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Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
0925
2024
61

Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“

0925
2024
Kristin Kottmeier
Tina Hackel
Chris Voigt
Marx Krontal Partner als Ingenieurbüro und die Hamburg Port Authority als Auftraggeber befassen sich im Forschungsprojekt openSIM gemeinsam mit anderen Partnern mit der Digitalisierung der Prozesse von bauwerksdiagnostischen Untersuchungen mit dem Ziel der Bewertung bestehender Bauwerke mithilfe der BIM-Methodik. Neben der Erfassung der Geometrie sollen zusätzlich Informationen aus dem Inneren der Konstruktion (Structural Information) berücksichtigt werden. Im Beitrag werden die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt vorgestellt und die Chancen der konsequenten Digitalisierung im Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken mit Schwerpunkt auf den Anwendungsfall (AwF) der digitalen Bauwerksdiagnostik (BWD) und dem Mehrwert für den Bestandserhalt aufgezeigt.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 91 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ Mehrwert der BIM-Methodik bei der Nachrechnung von Ingenieurbauwerken Kristin Kottmeier, M. Sc. Marx Krontal Partner, Hannover Tina Hackel Hamburg Port Authority AöR, Hamburg Chris Voigt, M. Eng. Marx Krontal Partner, Weimar Zusammenfassung Marx Krontal Partner als Ingenieurbüro und die Hamburg Port Authority als Auftraggeber befassen sich im Forschungsprojekt openSIM gemeinsam mit anderen Partnern mit der Digitalisierung der Prozesse von bauwerksdiagnostischen Untersuchungen mit dem Ziel der Bewertung bestehender Bauwerke mithilfe der BIM-Methodik. Neben der Erfassung der Geometrie sollen zusätzlich Informationen aus dem Inneren der Konstruktion (Structural Information) berücksichtigt werden. Im Beitrag werden die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt vorgestellt und die Chancen der konsequenten Digitalisierung im Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken mit Schwerpunkt auf den Anwendungsfall (AwF) der digitalen Bauwerksdiagnostik (BWD) und dem Mehrwert für den Bestandserhalt aufgezeigt. 1. Einführung Der Erhalt unserer Infrastruktur stellt eine wesentliche Aufgabe und Herausforderung unserer Zeit dar. Bei der rechnerischen Beurteilung von bestehenden Ingenieurbauwerken unterstützen uns bauwerksdiagnostische Untersuchungen dabei, realitätsnahe Aussagen zu vorhandener Konstruktion, Schäden und tatsächlichen Materialeigenschaften zu gewinnen. Die Digitalisierung der Planung, Durchführung, Auswertung und Bewertung diagnostischer Untersuchungen im Kontext der Building-Information-Modeling-Methode (BIM-Methode) bewirkt, dass Schnittstellen zwischen Bauherrn, Tragwerksplanern und Diagnostikern optimiert werden, indem eine übersichtlichere Ergebnisbereitstellung, vereinfachte Weiterverarbeitung und nachhaltigere Datenhaltung ermöglicht werden. 2. Bauwerksdiagnostik als Grundlage für die rechnerische Bewertung von Ingenieurbauwerken Bauwerksdiagnostik ist ein essenzielles Werkzeug im Bauwesen, das dazu dient, den Zustand von Bauwerken systematisch zu erfassen, zu analysieren und zu bewerten. Diese Disziplin umfasst verschiedene Techniken und Methoden, wie visuelle Inspektionen, zerstörungsfreie Prüfverfahren (Zf P) (z. B. Ultraschall, Magnetresonanz, Thermografie), zerstörungsarme Prüfverfahren (ZaP) (Sondierungen, Probenentnahmen), Materialproben und -analysen. Ziel der Bauwerksdiagnostik ist es, den aktuellen IST-Zustand des Bauwerkes genau zu beschreiben, um eine Grundlage für das Planen im Bestand zu schaffen. Ingenieurbauwerke, wie Brücken, Tunnel und beispielsweise Staudämme, sind komplexe Strukturen, deren sichere und effiziente Nutzung von einer regelmäßigen und genauen Bewertung abhängt. Durch die Bauwerksdiagnostik können Ingenieure detaillierte Informationen über den aktuellen Zustand eines Bauwerks gewinnen. Diese Daten sind unerlässlich, um fundierte Entscheidungen bezüglich notwendiger Instandhaltungsmaßnahmen, Reparaturen oder sogar des Abrisses und Neubaus zu treffen. Die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Bauwerksdiagnostik tragen somit entscheidend dazu bei, die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Bauwerken zu optimieren. [Abb. 1] Abb. 1: Endoskopische Befahrung eines Bohrkanals im Natursteinmauerwerk zur Beurteilung des Gefüges (© Marx Krontal Partner) 92 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Bauwerksdiagnostik ist die Ermittlung der tatsächlichen Materialeigenschaften eines Bauwerks. Dies umfasst die Bestimmung von Druckfestigkeiten, Zugfestigkeiten, Elastizitätsmodulen und anderen materialtechnischen Parametern. Diese Eigenschaften sind entscheidend, um die Tragfähigkeit eines Bauwerks zu beurteilen. Durch gezielte Materialproben und -analysen können Ingenieure präzise Daten über die verwendeten Baustoffe gewinnen und diese mit den ursprünglichen Planungs- und Ausführungsdaten vergleichen. Abweichungen von den erwarteten Materialeigenschaften können so frühzeitig erkannt und die sich ggf. ergebenden Reserven in die Nachrechnungen einbezogen werden. Insgesamt leistet die Bauwerksdiagnostik einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit, Lebensdauer und wirtschaftlichen Erhaltung von Ingenieurbauwerken. Sie ermöglicht es, den aktuellen Zustand und die tatsächlichen Materialeigenschaften von Bauwerken detailliert zu erfassen und fundierte Entscheidungen für deren Instandhaltung und Nutzung zu treffen. 3. Mehrwert der BIM-Methodik bei Planungsprozessen im Bestand 3.1 Was ist die BIM-Methodik? Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und die Zielerreichung im Forschungsprojekt openSIM mittels der BIM-Methodik ist ein einheitliches Verständnis darüber, was unter BIM zu verstehen ist. Im Stufenplan Digitales Planen und Bauen wird BIM mit folgenden Worten beschrieben: „Building Information Modeling bezeichnet eine kooperative Arbeitsmethodik, mit der auf der Grundlage digitaler Modelle eines Bauwerks die für seinen Lebenszyklus relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und in einer transparenten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgetauscht oder für die weitere Bearbeitung übergeben werden.“, [1]. Um innerhalb des Forschungsprojektes ein gleichartiges Grundverständnis bei allen Projektbeteiligten sicherzustellen, war es zunächst notwendig, die generelle Arbeitsweise mit der BIM-Methode zu erfassen. Anhand von aktuellen Projektbeispielen wurde die Methodik unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet: - Mögliche Anwendungsfälle in der Betriebsphase, - vorhandene Anwendungsfälle, - Prozessdefinitionen, - Modellaufbau und Datenstruktur, - standardisierte Datenformate, - Rollendefinitionen und Workflows, - Prüfregeln und -software, - kollaboratives Arbeiten in der CDE, - Issue-Management. Nachdem der Status Quo aus der Bearbeitung von Neubauprojekten ermittelt werden konnte, wurden die BIM- Prozesse konzeptionell auf die Betriebsphase und die sich aus der Bauwerksdiagnostik ergebenden Fragestellungen bei der Bestandsbewertung übertragen. Weiterhin wurden dabei die Rahmendokumente Auftraggeber-Informations-Anforderungen und BIM-Abwicklungs-Plan (AIA, BAP) thematisiert, in denen die projektbezogenen BIM- Anforderungen als Teil des Vertragswerks zwischen Bauherrn und Bauwerksdiagnostiker definiert werden. In der darauffolgenden Erprobungsphase wurde an ersten Demonstratoren getestet, wie die Methodik in der BWD innerhalb der Bewertung von bestehenden Ingenieurbauwerken anzuwenden ist, welche Herausforderungen aktuell noch bestehen und welche Standards für die erfolgreiche Implementierung geschaffen werden müssen. Die hier erwähnten BIM-Begriffe werden innerhalb der folgenden Kapitel erläutert. 3.2 Zentrale digitale Datenhaltung Um den Mehrwert der BIM-Methodik bei Planungsprozessen im Bestand nutzbar machen zu können, ist die Bereitstellung von bauwerksdiagnostischen Daten und Bestandsinformationen durch deren Digitalisierung, Strukturierung und Zentralisierung erforderlich. Aktuell liegen den Auftraggebern bzw. Anlagenverantwortlichen die Ergebnisse einer Bauwerksdiagnostik zumeist in Form von Gutachten in Berichtsform, im PDF-Format oder papiergebunden, vor. Aufgrund der Heterogenität der Diagnostikdaten sind umfangreiche Anlagen innerhalb der Berichte üblich. Liegen für ein Bestandsbauwerk Gutachten mehrerer Messkampagnen vor, stehen die einzelnen Dokumente inhaltlich häufig nicht zueinander in Bezug. Aufgrund der fehlenden inhaltlichen Verknüpfung kann auch schwerer nachvollzogen werden, welche Informationen aus der Vergangenheit bereits vorliegen. Dies steigert zudem den Aufwand herauszuarbeiten, welche weiteren Untersuchungen im Zuge einer Instandsetzungsmaßnahme erforderlich sind, oder ob die vorliegenden Gutachten den Informationsbedarf bereits abdecken. Werden die Diagnostikdaten aller Messkampagnen an einem Ingenieurbauwerk konsequent in eine digitale, maschinenlesbare und gleichzeitig strukturierte Form überführt, erleichtert dies den Prozess der Bestandsaufnahme für alle Projektbeteiligten. Mehrwerte bieten sich den Auftraggebern und Anlagenverantwortlichen, da sie die Ergebnisse in einer übersichtlicheren, zentralisierten Form bereitgestellt bekommen, Messkampagnen leichter miteinander abgleichen und diese sogar in Bezug zu anderen Fachplanungen stellen können. Auch auf der Seite der Auftragnehmer wird der Prozess der Bestandsaufnahme innerhalb der Grundlagenermittlung erleichtert und fortschrittlicher gestaltet. Dies fördert eine kollaborative Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern, den einzelnen Fachplanern und weiteren am Projekt Beteiligten. [2] Darüber hinaus bietet sich die Möglichkeit, zu einem frühen Zeitpunkt (bspw. vor Ausführung der bauwerksdiagnostischen Untersuchungen) in den modellbasierten Austausch zu treten. Hierdurch kann bspw. der Tragwerksplaner, der mit der Nachrechnung eines bestehenden Ingenieurbauwerks beauftragt wurde, geplante Untersuchungen einsehen und ein Feedback zu der Vollständigkeit und Verortung der Untersuchungsstellen 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 93 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ anhand der für ihn relevanten Erkundungsbereiche geben. Grundlage dafür ist ein zentraler, projektübergreifender Speicherort für die anfallenden Daten innerhalb des gesamten Prozesses der Bestandsbewertung (single source of truth) in Form einer Common Data Environment (CDE) und dessen vertragliche Vereinbarung. Innerhalb der BIM-Methodik erfolgt dies in den BIM-Vertragsdokumenten AIA und BAP. 4. BIM-Rahmendokumente Die bisher entwickelten Standards der BIM-Planung sollen auf die Anforderungen, welche sich in der Bauwerksdiagnostik ergeben, angepasst und weiterentwickelt werden. Der Einsatz der BIM-Methode bietet das Potenzial, die Bewertung bestehender Bauwerke durch Digitalisierung zu vereinfachen. BIM ermöglicht u. a. eine effektive, kooperative Zusammenarbeit der Beteiligten mithilfe von Modellen wie z. B. die datengestützte Auf bereitung von Problembeschreibungen und -kommunikationen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und diese verständlich zu vermitteln. Die direkt mit dem Bauteil verknüpften Informationen und Dokumente erleichtern das Erkennen von Zusammenhängen. Dadurch wird es gerade für projektfremde Personen erheblich einfacher, schnell in die Thematik einzusteigen. Vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) werden Standards bereitgestellt, um die BIM- Methode beim Bau von Bundesfernstraßen zu etablieren. Diese Rahmendokumente fassen die Rahmenbedingungen, welche bei der Arbeit mit der BIM-Methode notwendig sind, zusammen und legen Mindestanforderungen fest. Zu den Rahmendokumenten gehören u. a.: - die Erläuterung zu den Rahmendokumenten [3], - die Definition der Fachmodelle [4], - die Anwendungsfälle [5], - der Objektkatalog [6], [7], [8]. Um die Vorteile aus der BIM-Methodik nutzen zu können, werden auch die vertraglichen Grundlagen, welche die Anforderungen an die Modelle und die Zusammenarbeit beschreiben, in der Auftraggeber-Informations- Anforderung (AIA) sowie dem BIM-Abwicklungsplan (BAP) zusammengestellt. Für beide Dokumente gibt es ebenfalls Muster-Rahmendokumente. 4.1 Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) Als Teil der Vertragsunterlagen beschreibt die Auftraggeber-Informations-Anforderung (AIA) die Vorgaben des Auftraggebers an die Informationslieferung. Im Dokument sind die Erwartungen an die Projektumsetzung mithilfe der BIM-Methode festgelegt. Dazu gehören z.-B. Angaben darüber, welche Informationen in welchem Umfang, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Qualität benötigt werden und welche Bestandsdaten bereits zur Verfügung stehen. Weitere Inhalte sind u. a. Rollenbeschreibungen, Modellierungsvorgaben und Angaben zum erforderlichen Informationsbedarf (LoI, Objektkatalog) [9]. Die AIA beschreibt die Anforderungen des Auftraggebers hinsichtlich des modellbasierten Bedarfs - innerhalb des Forschungsprojektes in Bezug auf die Modellierung von bauwerksdiagnostischen Untersuchungen. Dafür werden Empfehlungen für die Modellierung und die Zusammenarbeit entwickelt, welche die Umsetzung eines BIM-Anwendungsfalls im Projektgeschehen unterstützen und erleichtern sollen. Innerhalb der AIA wird zudem eine Testphase vorgesehen, welche die Durchführung der BIM-basierten Bauwerksdiagnostik für den Auftragnehmer vereinfachen soll, da ein einheitliches Verständnis an die Anforderungen des Auftraggebers sicherstellt wird. Durch die Umsetzung des Testbeispiels zum Projektstart können Auftraggeber- und Auftragnehmer-Sicht abgeglichen und kalibriert werden. Ein Testlauf könnte beispielsweise die Modellierung eines Bohrkernobjektes entsprechend des geforderten Untersuchungsverfahrens Kernbohrung sein, welches mit einer semantischen Information zu versehen ist, [2], [10], [11], [12]. 4.2 BIM-Abwicklungs-Plan (BAP) Abb. 2: Beispielhafte Organigramm-Vorlage (© BIM.Hamburg, 2023), [12] Auf Basis der AIA wird der BAP vom Auftragnehmer erstellt. In diesem Dokument wird die BIM-Umsetzung konkret für das Vorhaben beschreiben. Dabei werden die Anforderungen des Auftraggebers berücksichtigt. Der Auftragnehmer beschreibt, wie die Umsetzung der Ziele mittels der BIM-Methode von ihm erreicht werden. Dabei liegt der Fokus auf der digitalen Umsetzung der Aufgabenstellung. Dafür werden u. a. die eingesetzten Softwarelösungen aufgeführt und der beabsichtigte Ablauf je Anwendungsfall erklärt. Die Kapitel der AIA werden aufgegriffen und mit Details versehen. Dazu gehören neben der Modellaufteilung auch die Darstellung der Verantwortlichkeiten im BIM-Prozess, [Abb. 2]. [2], [13] Da konkrete Zielbeschreibungen bereits vor dem Projektstart sinnvoll sind, sollen die Vertragsunterlagen ebenfalls auf die spezifischen Anforderungen der BWD angepasst sein. Es werden die Informationsanforderungen und Modellierungsempfehlungen, die für die Umsetzung mittels BIM relevant sind, zusammengetragen. Die Lieferanforderungen an die Daten sollen in den Vertragsdokumenten möglichst konkret festgelegt werden. Hierbei 94 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ wird auf die unterschiedlichen Anforderungen der Prozessbeteiligten Rücksicht genommen. Durch möglichst präzise Vorgaben soll es später allen Prozessbeteiligten erleichtert werden, ihren Aufgabenteil zielgerichtet zu erfüllen und Missverständnisse zu vermeiden. Die Zusammenstellung der Erfahrungen erfolgt anhand von Musterdokumenten, welche als Arbeitshilfen am Ende der Projektlaufzeit des Forschungsprojektes bereitgestellt werden. Diese erprobten Textbausteine und Arbeitshilfen sollen unerfahrenen Auftragnehmern im Umgang mit der BIM-Methode den Einstieg in die digitale Planung erleichtern. Die im ersten Schritt entwickelten AIA-Textbausteine enthalten eine Umsetzungsempfehlung für die modellbasierte Durchführung der bauwerksdiagnostischen Untersuchungsverfahren. Diese werden im zweiten Schritt im BAP konkretisiert. Hier wird eine Umsetzung, wie sie auf Auftragnehmer-Seite aussehen könnte, durchgespielt. Modellbeispiele werden erarbeitet und mögliche Umsetzungsschritte zum Erreichen der Ziele aufgeführt [2]. 5. Anwendungsfälle (AwF) Zu den BIM-Rahmendokumenten zählen ebenso die Dokumente „Ergänzung zu den Rahmendokumenten: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen“ und „Anwendungsfälle - Phase II“, [14], [5]. Beide Dokumente sollen für ein bundesweit einheitliches BIM-Verständnis sorgen und bei der Implementierung von BIM unterstützen. „Ein Anwendungsfall beschreibt die zu erbringende Leistung und die Prozesse und Anforderungen, die in der Projektbearbeitung mit der BIM-Methodik zur Erreichung der Ziele zu berücksichtigen sind.“, [5]. Um die Projektdurchführung mittels der BIM-Methode voranzubringen und ein einheitliches Verständnis zu schaffen, wurden übergeordnete Anwendungsfallbezeichnungen zusammengetragen. Für jeden Anwendungsfall wird eine einheitliche Beschreibung in Form von Steckbriefen (inklusive Definition, Umsetzungsempfehlung, Prozessdiagramm und Lessons Learned) veröffentlicht. Aktuell sind im Dokument „Anwendungsfälle - Phase II“ folgende Anwendungsfälle erschienen [14], [5]: AwF 010 - Bestandserfassung und -modellierung, AwF 030 - Planungsvarianten bzw. Erstellung haushaltsbegründender Unterlagen, AwF 040 - Visualisierung, AwF 050 - Koordination der Fachgewerke, AwF 060 - Planungsfortschrittskontrolle und Qualitätsprüfung, AwF 070 - Bemessung und Nachweisführung, AwF 080 - Ableitung von Planunterlagen, AwF 100 - Mengen- und Kostenermittlung, AwF 110 - Leistungsverzeichnis, Ausschreibung, Vergabe, AwF 120 - Terminplanung der Ausführung, AwF 130 - Logistikplanung, AwF 140 - Baufortschrittskontrolle, AwF 170 - Abnahme- und Mängelmanagement, AwF 190 - Projekt- und Bauwerksdokumentation. Weitere AwF für die Betriebsphase befinden sich in Vorbereitung. Auf Basis des noch nicht veröffentlichten Anwendungsfalls „AwF 220 - Zustandserfassung, Prüfung und Inspektion“ wird im Forschungsprojekt openSIM der Unteranwendungsfall „UAwF 221 - digitale Bauwerksdiagnostik“ bearbeitet und in den Musterdokumenten (s.-Kap. 4.1 und 4.2) beschrieben. 5.1 Umsetzung der BIM-Methodik innerhalb des Anwendungsfalls „Digitale Bauwerksdiagnostik“ Abb. 3: Schematischer Ablauf der Prozesskette, die innerhalb des Projekts betrachtet wird (© openSIM, 2023) Initial wurde das klassische Vorgehen der Bauwerksdiagnostik anhand von beispielhaften Projekten des Ingenieurbaus analysiert. Dabei wurden als wesentliche Prozessschritte die Aufgabenstellung und Vergabe der bauwerksdiagnostischen Leistungen, die Planung und Durchführung der bauwerksdiagnostischen Untersuchungen sowie die Aus- und Bewertung für übergeordnete Untersuchungsziele mit nachfolgender Ergebnisbereitstellung identifiziert [Abb. 3]. Diese Prozessschritte wurden anschließend in die Vorgehensweise der BIM-Methodik überführt und eine darauf auf bauende Datenstruktur als Grundlage zur Entwicklung eines BIM-fähigen Datenmodells erarbeitet: das Fachmodell Bauwerksdiagnostik (FM BWD). Die Erstellung dieses Fachmodells wird durch den UAwF 221 beschrieben und umgesetzt. Die Datenstruktur beinhaltet die Definition von Bezeichnungen, Eigenschaften (innerhalb der BIM-Methodik Merkmal oder in der Informatik auch Attribut genannt), Datentypen und Hierarchien für 25 ausgewählte bauwerksdiagnostische Untersuchungen an Ingenieurbauwerken aus Stahl-, Stahlbeton und Spannbeton. Das Datenmodell bildet sowohl geplante bauwerksdiagnostische Untersuchungen, deren Einzelergebnisse nach Durchführung der Bauwerksdiagnostik (Messdaten sowie deren beschreibende Metadaten) als auch bewertete Daten (Messdaten nach Datenkonvertierung und -auf bereitung) ab. Die modellierten Objekte innerhalb des Fachmodells Diagnostik entsprechen (teils fiktiven) Untersuchungsstellen oder Untersuchungsbereichen, wobei zu jedem Untersuchungsbereich-Objekt mindestens ein Untersuchungsstellen-Objekt zugehörig ist. Eine tabellarische Auflistung der möglichen Objekte ist in der Objektübersicht Bauwerksdiagnostik enthalten. Die Anforderungen an die semantische Informationstiefe enthält der Objektkatalog Bauwerksdiagnostik in Form des Level of Information (LoI), Erläuterung siehe Kapitel 6.4. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 95 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ 6. Datenstruktur des Fachmodells Bauwerksdiagnostik Zur Umsetzung des UAwF 221 werden die Anforderungen an die Modellierung und die semantische Informationstiefe der enthaltenen Objekte für das FM BWD [Abb.-4] in drei Teilmodellen (TM), dem Teilmodell Untersuchungsplanung (entspricht UAwF 221.01), dem Teilmodell Einzelergebnisse (entspricht UAwF 221.02) und dem Teilmodell Untersuchungsergebnisse (entspricht UAwF 221.03) definiert. Für die Umsetzung innerhalb des BIM-Prozesses ist es erforderlich, eine konsistente Datenstruktur in den einzelnen Teilmodellen vorzugeben, damit die modellierten Objekte in logischem Bezug zueinanderstehen. Abb. 4: Fachmodell Bauwerksdiagnostik, bestehend aus Untersuchungsstellen und -bereichen und eingeblendetes Bestandsmodell im Hintergrund (© BIM.Hamburg, 2023, © Marx Krontal Partner, 2024) 6.1 Modellbasierte Untersuchungsplanung Innerhalb der Bauwerksdiagnostik wird, nachdem die Problembzw. Aufgabenstellung abgestimmt wurde und eine Beauftragung erfolgt ist, mit der Planung der durchzuführenden Untersuchungen begonnen. Die Grundlage hierfür bildet die Leistungsbeschreibung mit definierten Untersuchungszielen, die vom Auftraggeber übergeben und durch den Bauwerksdiagnostiker spezifiziert, bzw. fachlich unterlegt wird. Die Planung der Untersuchungsverfahren, mit denen die Untersuchungsziele aus der Aufgabenstellung erreicht werden können, die anschließende Verortung der Untersuchungsstellen sowie deren Eingliederung in übergeordnete Untersuchungsbereiche werden im UAwF 221.01 innerhalb des FM BWD abgebildet. Der UAwF 221.01 definiert demnach die modellbasierte Darstellung der Untersuchungsplanung, primär in Form von verorteten Untersuchungsstellen. Die semantische Informationstiefe ist im Wesentlichen auf Angaben zum Untersuchungsverfahren, Nennung weiterführender Baustoffuntersuchungen von zu entnehmenden Proben und Anweisungen zur Durchführung beschränkt. Eine oder mehrere Untersuchungsstellen („Y“) werden durch ihre Bezeichnung „US_ X_Y“ einem Untersuchungsbereich („X“) zugeordnet, für den entsprechend der Leistungsbeschreibung spezifische Untersuchungsziele vorliegen. 6.2 Implementierung von Einzelergebnissen Der UAwF 221.02 befasst sich mit der modellbasierten Darstellung der Untersuchungsstellen nach Durchführung der Bauwerksdiagnostik. Die einzelnen Objekte werden in diesem Leistungsschritt mit Einzelergebnissen und den zugrundeliegenden Rohdaten der jeweiligen Untersuchungsverfahren inhaltlich befüllt. Beispielsweise können in diesem Leistungsschritt Beprobungsergebnisse von durchgeführten Laboruntersuchungen entnommener Proben im Modell hinterlegt werden. Die an den Objekten im Modell hinterlegten Daten ersetzen die üblicherweise im PDF-Bericht vorhandenen Anlagen mit Einzelergebnissen. Ein Bericht, der die Aufgabenstellung, die Durchführung der Untersuchungen und die vorgenommenen Bewertungen beschreibt, wird dem Auftraggeber weiterhin übergeben. 6.3 Bereitstellung von Untersuchungsergebnissen Im letzten Schritt erfolgt die ingenieurtechnische Aus- und Bewertung der durchgeführten Untersuchungen im UAwF 221.03. Aus den Einzelergebnissen der Untersuchungsstellen werden Ergebnisse für übergeordnete Bereiche abgeleitet. Die Modellierungsvorgaben der Objekte werden hierbei nur in Bezug auf den semantischen Informationsgehalt definiert, die Ergebnisdarstellung des Aus- und Bewertungsprozesses soll dem Fachplaner der BWD offengehalten werden. Dies befähigt den Bauwerksdiagnostiker dazu, selbstständig eine dem Untersuchungsziel entsprechende Ergebnisdarstellung abzubilden. Beispielsweise kann in dem Teilmodell Untersuchungsergebnisse das Geometrieobjekt eines Bauteilbereiches aus dem vorliegenden Bestandsmodell übernommen werden, für das eine bewertete bauwerksdiagnostische Erkenntnis vorliegt. Durch eine entsprechende Einfärbung ist es so zum Beispiel möglich, einen Stahlbetonpfeiler in farblichen Abstufungen hervorzuheben, um unterschiedlich hohe Korrosionswahrscheinlichkeiten der erkundeten Bewehrung aufgrund zu geringer Betondeckung unter den vorliegenden Expositionsbeanspruchungen darzustellen. Dieses Modell unterstützt somit das Verständnis der im Bericht beschriebenen Bewertungen, die aus den Untersuchungen abgeleitet werden. 6.4 Objektkatalog „Objektkataloge enthalten projektunabhängige Vorgaben für die Erstellung von Fachmodellen in BIM-Projekten und sind von allen Projektbeteiligten anzuwenden. Sie dienen der semantischen Detaillierung (Level of Information, LoI) der Fachmodelle und sorgen für eine einheitliche Modellstruktur, die für die Koordinierung mit anderen Fachmodellen erforderlich ist.“, [6] Übertragen auf die Bauwerksdiagnostikobjekte innerhalb der Teilmodelle wurde die semantische Informationstiefe über den LoI im Objektkatalog Bauwerksdiagnostik definiert (noch nicht veröffentlicht, Ausarbeitungsgegenstand des Forschungsprojektes openSIM). Die Definition des LoI wurde für den Objektkatalog der Bauwerksdiagnostik wie im Folgenden beschrieben, umgesetzt. 96 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ Abb. 5: Auszug aus dem Objektkatalog Bauwerksdiagnostik (© openSIM, 2024) Für die stufenweise Implementierung der 25 Untersuchungsverfahren werden unabhängig von der Definition des LoI erforderliche und optionale Merkmale definiert, aus denen eine projektspezifische Auswahl erfolgen kann. Die Merkmale sind verfahrens-, objekt- oder Messkampagnen-spezifisch in Eigenschaftensets (Propertysets, Psets) gruppiert. Beispielsweise sind hier die Psets Pset_DiagnostikProjekt, Pset_Untersuchungsstelle [Abb.-5] oder Pset_ Kernbohrung zu nennen. Das Attribuieren der Objekte mit den erforderlichen Merkmalen sichert den Bauherren dahingehend ab, dass eine ausreichende fachliche Informationstiefe in den jeweiligen Teilmodellen entsprechend der LoI-Vorgabe übergeben wird. Die Relevanz optionaler Merkmale obliegt dem Fachplaner Bauwerksdiagnostik. Diese Merkmale bieten Optionen für das Anhängen zusätzlicher Bemerkungen, ergänzender Fotos, Videos oder Skizzen. Die erforderlichen Merkmale der einzelnen BWD-Objekte stellen hierbei einen ausreichenden Informationsgehalt sicher. Eine höhere semantische Detaillierung der Teilmodelle - durch das Ergänzen von optionalen Merkmalen - kann für den Auftraggeber einen Mehrwert bieten, ist jedoch projektspezifisch mit fachlicher Expertise zu beurteilen und daher aus Sicht der AutorInnen nicht durch die Angabe eines höheren LoI in den BIM-Vertragsdokumenten abbildbar. Die Attribuierung mit ergänzenden Merkmalen kann dennoch vertragssicher durch Fortschreibung des BAP festgelegt werden. Im herkömmlichen Planungsprozess nimmt der LoI fortlaufend zu. In der Bauwerksdiagnostik wird dementsprechend dem ersten Teilmodell Untersuchungsplanung der LoI 100 zugewiesen, da innerhalb dieses Modells der Informationsumfang auf für die Kalkulation und Durchführung der BWD relevante Angaben beschränkt ist. Für jede geplante vor-Ort-Untersuchung (bspw. Kernbohrung, Ultraschallmessung, Georadar) wird ein eigenständiges Untersuchungsstellen-Objekt mit eindeutiger Bezeichnung „US_ X_Y“ modelliert. In Bezug auf weiterführende Laboruntersuchungen entnommener Proben („Z“), bspw. an einem Bohrkern, besteht das Erfordernis, dass voneinander getrennte Objekte „Bohrkern“ und „Probe“ modelliert werden. Die Zugehörigkeit der Probe-Objekte zu der Untersuchungsstelle („Y“) bzw. dem übergeordneten Untersuchungsbereich („X“), wird wiederum durch die Bezeichnungskonvention „PB_ X_Y_ Z“ am Probe-Objekt vorgenommen. Wird bspw. von einem entnommenen Bohrkern an zwei Proben die Druckfestigkeit ermittelt, ohne dass zugehörige Probe-Objekte modelliert werden, müsste das Pset_Druckfestigkeitspruefung mit den zugehörigen Merkmalen doppelt an das Bohrkernobjekt angehangen werden. Die doppelte Merkmalsvergabe ist in der IFC-Datenstruktur (offener Standard zur Beschreibung von BIM-Modellen „Industry Foundation Classes“ [15]) jedoch nicht möglich. Aus diesem Grund wird dem Untersuchungsstellen-Objekt im „Ausgangs-“ Pset_Untersuchungsstelle bereits in Form der erforderlichen Merkmale _ AnzahlProben_US und _BaustoffuntersuchungProbe_US mitgegeben, wie viele Proben zu welchem Zweck entnommen werden sollen. Diese Merkmale lösen innerhalb des Objektkataloges neu zu modellierende Objekte mit weiteren Eigenschaftensets aus: Pset_Probe und Pset_ Druckfestigkeitspruefung. An dieser Stelle stellt die doppelte Vergabe wiederum kein Problem dar, da es sich um getrennt modellierte Objekte handelt. Auf bauend auf das TM Untersuchungsplanung erfolgt die Erweiterung hin zu dem TM Einzelergebnisse. Liegen Abweichungen zur Planung vor, werden die modellierten Objekte der einzelnen Untersuchungsstellen an die tatsächlich ausgeführte Lage verschoben. Die Verortung erfolgt bei der Modellerstellung georeferenziert und/ oder im Lagebezug auf eineindeutige Bauwerksteile anhand des im Hintergrund eingeblendeten Bestandsmodells. Anschließend werden die Objekte entsprechend der im Objektkatalog vorhandenen Eigenschaftensets verfahrensspezifisch mit Informationen befüllt. Die semantische Informationstiefe wird hier mit dem höchsten LoI, dem LoI 500 vorgegeben, da dieses Teilmodell die größte Datenmenge und Informationstiefe innerhalb des FM BWD enthält [16]. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 97 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ Abb. 6: Semantische Informationen eines Bewertungsergebnisses innerhalb des Teilmodells Untersuchungsergebnisse (© BIM.Hamburg, © Marx Krontal Partner, 2024) Das Teilmodell Untersuchungsergebnisse beinhaltet wiederum die ingenieurtechnische Auswertung und Bewertung der einzelnen Untersuchungsstellen. Als Ergebnis dieses Prozesses werden Untersuchungsergebnisse für übergeordnete Untersuchungsbereiche abgeleitet. In diesem dritten Teil des Fachmodells Bauwerksdiagnostik werden anstelle der bisherigen Untersuchungsstellen die Bauteile oder Bauteilbereiche modelliert und attribuiert, denen eine Bewertung basierend auf ggf. mehreren einzelnen Untersuchungen zugewiesen wird. In dem TM Untersuchungsergebnisse werden die Objekte im LoI 300 attribuiert. Am Beispiel der Druckfestigkeitsermittlung enthält der modellierte Untersuchungsbereich (bspw. ein oder mehrere Brückenpfeiler) nicht mehr die charakteristischen Einzelwerte der Druckfestigkeit aller Kernbohrungen, die an diesem Pfeiler beprobt wurden, sondern die abgeleitete statistisch ausgewertete Festigkeitsklasse [Abb. 6]. Es handelt sich demnach um einen rückwirkenden Detaillierungsgrad, der sich in der Angabe des LoI 300 für das TM Untersuchungsergebnisse (abgeleitetes und bewertetes Ergebnis des übergeordneten Untersuchungsbereiches) gegenüber dem LoI 500 im TM Einzelergebnisse (Einzelergebnisse der Untersuchungsstellen) widerspiegelt. 6.5 Objektübersicht Für einen einheitlichen Modellauf bau ist ein einheitliches Klassifikationssystem der Modellobjekte wichtig. Die Objektübersicht gibt eine hierarchische Struktur vor, welche jedes Objekt für die 25 betrachteten Untersuchungsverfahren in sogenannte ID-Ebenen eingliedert. Dadurch können Objekte z. B. entsprechend der Inhalte gefiltert oder sortiert werden. Die Objektübersicht ist Teil des Objektkatalogs (s. Kap. 6.4), [16], [12], [6], [8]. Für die diagnostischen Untersuchungsmethoden bedeutet das z. B., dass Objekte entsprechend ihrer Untersuchungsmethode oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Untersuchungsstelle oder einem -bereich gefiltert, gesammelt ausgewählt und visuell hervorgehoben werden können [Abb. 7]. Abb. 7: Untersuchungsstelle einer zerstörungsfreien Prüfung (© BIM.Hamburg, © openSIM, 2024) Eine besondere Herausforderung im Fachmodell Bauwerksdiagnostik besteht darin, dass nur ein Teil der diagnostischen Untersuchungen durch modellierte Objekte abbildbar ist, die auch in der Realität vorhanden sind - bspw. der Bohrkern einer zerstörungsarmen Prüfung. Andere zerstörungsfreie Prüfungen (wie bspw. Radarmessungen) können in BIM-Modellen nur in Form von fiktiven Objekten abgebildet und attribuiert werden. Der Umgang damit erfolgt, indem das FM BWD als eigenständige IFC-Datei vorliegt und nicht dauerhaft mit dem Bestandsmodell vereint werden kann. Alle im FM BWD enthaltenden Objekte (für Zf P und ZaP) stellen fiktive Untersuchungsstellen und -bereiche dar. Eine zeitlich begrenzte Überlagerung beider Modelle in einem Koordinationsmodell führt unter Umständen dazu, dass Bauteile derselben Geometrie doppelt vorhanden sind. Dies ist dann der Fall, wenn ein Bewertungsergebnis auf ein gesamtes Bauteil übertragen werden kann und aus der Auswertung der durchgeführten Untersuchungen keine abweichende Bauteilgeometrie ermittelt wurde. Anhand der Datenstruktur und den semantischen Informationen ist das Untersuchungsbereich-Objekt jedoch eindeutig von dem modellierten Bauteil zu unterscheiden. 7. Etablieren eines Workflows zur digitalisierten Ergebnisbereitstellung Der UAwF 221 endet mit der Bereitstellung und Freigabe der Untersuchungsergebnisse innerhalb der CDE (Erläuterung in Kap. 7.1), auf die alle Projektbeteiligten zugreifen können. Der Bauwerksdiagnostiker ist dabei für die durch ihn produzierten Daten verantwortlich und alleinig dazu befähigt, die Inhalte zu ändern bzw. zu aktualisieren. Um eine kollaborative Zusammenarbeit zu ermöglichen, sind eindeutige Strukturen und Prozesse, bspw. durch die Dateinamenskonvention und Versionierung aller importierten Daten, einzuhalten [17]. Innerhalb der Erprobungsphase des Forschungsprojektes wurden mögliche Prozessschritte mit den beteilig- 98 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ ten Akteuren Bauherr, Bauwerksdiagnostiker und Tragwerksplaner sowie deren Informationsbedarf beispielhaft bearbeitet. Dabei wurden BIM-Rollen definiert und die bereits eingeführten AwF 050 (Koordination der Fachgewerke) sowie AwF 060 (Planungsfortschrittskontrolle und Qualitätsprüfung) in Bezug auf das Fachmodell Bauwerksdiagnostik betrachtet. Anschließend wurde daraus ein Workflow abgeleitet. Eine Definition der benannten BIM-Rollen kann dem BIM-Leitfaden für die FHH [12] entnommen werden. Der AwF 060 beinhaltet die Eigenkontrolle durch den BIM-Koordinator des Fachplaners BWD sowie die Fremdkontrolle durch den übergeordneten BIM-Gesamtkoordinator und den auftraggeberseitigen BIM-Manager-[5]. Innerhalb des AwF 060 wird dafür in Ergänzung zu der Qualitätssicherung gemäß dem BIM-Leitfaden für die FHH [12] eine Checkliste bereitgestellt, die fachspezifische Methoden der Modellüberprüfung beinhaltet, bspw. in Bezug auf zugelassene und nicht zugelassene Kollisionen von BWD-Objekten. Außerdem werden Prüfregeln zur Vollständigkeit der semantischen Informationen und der Einhaltung vorgegebener Austauschformate berücksichtigt. Der AwF 050 ist durch die Rolle des BIM-Gesamtkoordinators zu erbringen. In dem durchlaufenen Beispielprozess wurde die Annahme getroffen, dass der Fachplaner BWD gleichzeitig die Rolle der BIM-Gesamtkoordination innehält. Innerhalb des AwF wird die Einhaltung der definierten Abläufe zur Informationsbereitstellung unter den vorgegebenen Lieferzeitpunkten aller Fachplaner kontrolliert und gesteuert, dass ein konsistenter Informationsaustausch unter den vorgeschrieben Austauschregeln stattfindet [5]. Außerdem erfolgt in AwF 050 das regelmäßige Zusammenführen der Fachmodelle zu Koordinationsmodellen [Abb. 8] mit anschließender Qualitätsprüfung und systematischer Konfliktbehebung. Dafür finden in regelmäßigen Abständen modellgestützte Planungsbesprechungen zwischen den Projektbeteiligten statt, die durch den BIM-Gesamtkoordinator geleitet werden. Abb. 8: Modellkonzept zur schrittweisen Erzeugung des Fachmodells Bauwerksdiagnostik und Überlagerung mit dem Bestandsmodell innerhalb eines Koordinationsmodells (© openSIM, 2024) Die Prozessschritte zur Umsetzung der AwF 050, 060 und 221 werden im BAP beschrieben. 7.1 Kollaboratives Arbeiten bei der Bestandsbewertung unter Nutzung einer CDE Eine CDE (Common Data Environment) kann als gemeinsame Datenumgebung, bzw. virtueller Projektraum verstanden werden, in dem alle Projektinformationen (Modelle, Pläne, weitere Dokumente) innerhalb des Projektteams geteilt, ausgetauscht und zentral verwaltet werden. [18] Innerhalb der CDE werden Issues als zentral verwaltetes Kommunikationstool genutzt. Diese ermöglichen, festgelegte Ansichten der 3D-Modellumgebung mit optionaler Auswahl eines bestimmten Objektes zu generieren und diesen eine Aufgabe mit Priorität, Verantwortlichkeit, Ablaufdatum und Status hinzuzufügen. Ergänzend können Dokumente oder spezifische Objektmerkmale mit dem Issue verknüpft werden. Beispielsweise kann sich der Bauwerksdiagnostiker so die geplante Lage einer zerstörungsarmen Untersuchung, mit der potenziell in das Tragwerk eingegriffen wird, durch den Tragwerksplaner bestätigen lassen [Abb. 9]. Durch den Ex- und Import des Issues in einem standardisierten Dateiformat, den BIM Collaboration Format (BCF), kann der Tragwerksplaner die modellunabhängige Ansicht auch in seine eigene BIM-fähige Software überführen und damit zum Beispiel die Lage der Untersuchungsstelle auf die Überschneidung mit vorhandenen Spanngliedern überprüfen. Dies reduziert Übertragungsfehler und das Risiko, dass Abstimmungen nicht auf Grundlage von aktuellen Planungsständen stattfinden. Abb. 9: Issue zur Abstimmung der geplanten Lage einer Untersuchungsstelle (© Marx Krontal Partner, 2024) Mehrwerte bieten sich dem Tragwerksplaner für die Nachrechnung aber auch durch die übersichtlichere Bereitstellung der Ergebnisse aus der Bauwerksdiagnostik und daraus, dass alle vorhandenen Informationen über das Bestandsbauwerk in geprüfter Form zentralisiert und digitalisiert verwaltet sind. Durch die modellbasierte Darstellung entstehen weniger Medienbrüche zwischen und innerhalb der einzelnen Fachplanungen. In dem Fall, dass die relevanten Grundlagendokumente für die rechnerische Bewertung eines Bestandstragwerkes auch in Form von Modellen in der CDE vorliegen, können diese 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 99 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ überlagert in einem Koordinationsmodell dargestellt und weiterverwendet werden, bspw.: - das aus einer Bauwerksvermessung und vorhandenen Bestandsplänen/ -unterlagen entwickelte Bestandsmodell mit dem Fokus auf die reale äußere Bauteilkubatur und bestandsdatenbasierte Materialangaben (AwF 010), - das Fachmodell Baugrund mit geometrischer Abbildung der Baugrundschichten und Informationen aus dem Geotechnischen Bericht (AwF 010) [19], - das aktuelle Fachmodell Bauwerksdiagnostik mit Informationen zum Inneren der Konstruktion (Structural Information), tatsächlich beprobten Materialeigenschaften und Aussagen zum Zustand von Bauteilen (UAwF 221 in Entwicklung), - weitere Fachmodelle Bauwerksdiagnostik aus zurückliegenden Messkampagnen. Die Filterfunktion innerhalb der CDE ermöglicht, dass der Tragwerksplaner gezielt nach für ihn relevanten semantischen Bauteilinformationen innerhalb der Modelle suchen kann. Dadurch reduziert sich der Aufwand bei dem Zusammenstellen der Grundlagen für die eigene Modellierung. Die nötigen Prozessschritte, um das tatsächliche Tragwerksverhalten realitätsnah abzubilden und dadurch mögliche Tragreserven unter Aufrechterhaltung des Sicherheitsniveaus zu identifizieren, werden an dieser Stelle durch die Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik entscheidend optimiert. Nicht zu vernachlässigen ist dafür jedoch, dass die Qualität des erzeugten Fachmodells Bauwerksdiagnostik innerhalb des Anwendungsfalls sichergestellt werden muss. Dies kann nur durch vertraglich vorgegebene Modellierungsstandards und klar definierte Prüfprozesse mit zugewiesenen Rollenverantwortlichkeiten erfolgen. 8. Ausblick und Projektziele openSIM Das Forschungsprojekt openSIM „Integration und Bereitstellung von Structural-Information-Daten zur Bestandsbewertung von Infrastrukturbauwerken im BIM-Prozess“ hat zum Ziel, Standards zu entwickeln, welche die Nutzung und Weiterverarbeitung von Bestands- und Zustandsdaten innerhalb der BIM-Planung beschreiben. So können die bauwerksdiagnostischen Ergebnisse direkt in die BIM-Planung einfließen und gewerkeübergreifende Abstimmungen am Koordinationsmodell erfolgen. Das Bauvorhaben wird so im Gesamtkontext dargestellt und Schwierigkeiten, welche sich in Zusammenhang mit anderen Gewerken ergeben, können frühzeitig identifiziert werden. Untersuchungsergebnisse und Auswertungen können nicht nur betrachtet, sondern auch zusammenhängend untersucht, im Kontext analysiert und ausgewertet werden. Die Praxiserfahrungen und das Expertenwissen der Projektpartner fließen in die Standards ein, sodass am Ende der Projektlaufzeit im Oktober 2025 ein anwendbarer Workflow für den UAwF 221 bereitsteht, indem die Anforderungen der Prozessbeteiligten z. B. Auftraggeber, Tragwerksplaner und Bauwerksdiagnostiker berücksichtigt wurden. Ziel ist es, vor allem die Belange der Fachplaner zu berücksichtigen und für alle Projektbeteiligten einen nutzbaren, digitalisierten, praxisbezogenen Prozess bereitzustellen, der die Zusammenarbeit fördert, strukturierte Ergebnisse in übersichtlicher Darstellungsform liefert und Schnittstellenverluste zu vermeiden. Um das Ziel zu erreichen wird der Ablauf an realen Bauwerken durchgeführt (also frühzeitig der Praxisbezug hergestellt). Parallel dazu findet fortlaufend eine Prozessoptimierung statt. So werden die Visualisierungs- und Bereitstellungsmöglichkeiten geprüft und eine digitalisierte, strukturierte und zentralisierte Arbeitsweise entwickelt. Die AutorInnen danken Bau-Consult Hermsdorf, der MFPA Weimar, der Bauhaus-Universität Weimar und customQuake für die Zusammenarbeit sowie dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr für die Förderung im Rahmen der Förderinitiative mFUND in dem vorgenannten Projekt. Literatur [1] Stufenplan Digitales Planen und Bauen: Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 12/ 2015. [2] Voigt, C.; Fritsch, C.; Hackel, T.: Digitalisierung der Bauwerksdiagnostik zur realitätsnahen Bewertung von Ingenieurbauwerken. 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur, 2023. [3] Masterplan BIM Bundesfernstraßen: Erläuterung zu den Rahmendokumenten - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021, Link: stufenplan-digitales-bauen.pdf (bund.de) [4] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Rahmendokument: Definition der Fachmodelle - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021. [5] Anwendungsfälle - Phase II, Rahmendokument Version 2.0, BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 10/ 2021, Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Rahmendokument Steckbriefe der Anwendungsfälle V-1.0 (bim-bundesfernstrassen.de) [6] Objektkatalog Allgemein, Version V004, BIM. Hamburg, 2023, Link: d-06-allgemein-v004-data.pdf (hamburg.de) [7] Rahmendokumente des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, Link: https: / / www.bim-bundesfernstrassen.de/ publikationen/ [8] Objektkatalog, Rahmendokument Version 1.0, BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 01/ 2024, Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen V 1.0 (bim-bundesfernstrassen.de) 100 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der BIM-Anwendungsfall „digitale Bauwerksdiagnostik“ [9] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 09/ 2021, Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen V 1.0 (bim-bundesfernstrassen.de). [10] Masterplan BIM Bundesfernstraßen Rahmendokument: Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021. [11] Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA), Mustervorlage Version 1, BIM.Hamburg, 2021, Link: AIA-Mustervorlage (hamburg.de). [12] BIM-Leitfaden für die FHH, Version 4, BIM. Hamburg, 2023. [13] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Rahmendokument: BIM-Abwicklungsplan (BAP) - Version 1.0, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021. Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Rahmendokument BIM-Abwicklungsplan (BAP) V 1.0 (bim-bundesfernstrassen.de). [14] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Ergänzung zu den Rahmendokumenten: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 10/ 2021. Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Ergänzung zu den Rahmendokumenten: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen (bimbundesfernstrassen.de). [15] DIN EN ISO 16739-1: 2021-11, Industry Foundation Classes (IFC) für den Datenaustausch in der Bauwirtschaft und im Anlagenmanagement - Teil-1: Datenschema. [16] Schickert, M.; Khairtdinov, M.; Kottmeier, K.; Hackel, T.; Voigt, C.; Stark, Y.: Strukturierter Prozess zur langfristigen Speicherung von Ultraschall-Inspektionsergebnissen in digitalen Bauwerksmodellen. Zerstörungsfreie Materialprüfung. DGZfP-Jahrestagung 2024: 06.-08. Mai 2024 in Osnabrück, Link: https: / / doi.org/ 10.58286/ 29561 [17] DIN EN ISO 19650-1: 2019-08, Organisation und Digitalisierung von Informationen zu Bauwerken und Ingenieurleistungen, einschließlich Bauwerksinformationsmodellierung (BIM) - Informationsmanagement mit BIM - Teil 1: Begriffe und Grundsätze. [18] Rahmendokument: Datenmanagement - Version-1.0, BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 10/ 2021, Link: Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Rahmendokument: Datenmanagement - Version 1.0 (bim-bundesfernstrassen.de). [19] Bauer, J., Beck, J., Clostermann, D., Henke, S., Schwabe, K. und Tilger, K. (2023), Vergleichende Untersuchung von Software zur Erstellung des Fachmodells Baugrund. Bautechnik 100, H. 9, S.-552-564. Link: https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202300076