eJournals Brückenkolloquium 6/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
0925
2024
61

Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI

0925
2024
Francesca Marsili
Filippo Landi
Rade Hajdin
Sylvia Keßler
Dieser Artikel beschreibt ein hybrides System zur Analyse von Zustands- und Bestandsdaten, die in Brückenmanagementsystemen enthalten sind, um die Nutzungsdauer von Stahlbetonbrücken zu ermitteln. Das System integriert vier unterschiedliche Analyseansätze, die auf überwachten und unüberwachten Lerntechniken, erklärbaren Methoden der künstlichen Intelligenz und stochastischen Prozessen basieren. Dieser innovative Ansatz unterstützt die Entwicklung und kritische Bewertung von Verfallsmodellen für typische Schäden an Stahlbetonbrücken. Zur Demonstration des Ansatzes wird eine Anwendung auf die Analyse von Schrägrissen in Brückenüberbauten vorgestellt. Die Methodik ist adaptierbar und kann zur Analyse verschiedener Arten von Schäden und Infrastrukturen angewendet werden.
kbr610113
6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 113 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI Dr.-Ing. Francesca Marsili Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg, Professur für Konstruktionswerkstoffe und Bauwerkserhaltung, Hamburg Dr. Filippo Landi University of Pisa, Department of Civil and Industrial Engineering, Pisa, Italien Prof. Dr. Rade Hajdin Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich, Schweiz Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg, Professur für Konstruktionswerkstoffe und Bauwerkserhaltung, Hamburg Zusammenfassung Dieser Artikel beschreibt ein hybrides System zur Analyse von Zustands- und Bestandsdaten, die in Brückenmanagementsystemen enthalten sind, um die Nutzungsdauer von Stahlbetonbrücken zu ermitteln. Das System integriert vier unterschiedliche Analyseansätze, die auf überwachten und unüberwachten Lerntechniken, erklärbaren Methoden der künstlichen Intelligenz und stochastischen Prozessen basieren. Dieser innovative Ansatz unterstützt die Entwicklung und kritische Bewertung von Verfallsmodellen für typische Schäden an Stahlbetonbrücken. Zur Demonstration des Ansatzes wird eine Anwendung auf die Analyse von Schrägrissen in Brückenüberbauten vorgestellt. Die Methodik ist adaptierbar und kann zur Analyse verschiedener Arten von Schäden und Infrastrukturen angewendet werden. 1. Einführung Ein Brückenmanagementsystem (BMS) ist ein digitales Werkzeug, das die Verwaltung des Brückeninventars, einschließlich der Instandhaltungsplanung, unterstützt [1]. Ein BMS umfasst eine Datenbank und Software zur Erfassung, Speicherung und Analyse von Bestands-, Zustands- und Instandhaltungsdaten über Brücken. Viele Länder, darunter Deutschland und die Schweiz, haben vor 30 bis 40 Jahren BMS-Systeme entwickelt. Bis heute enthalten BMS die Ergebnisse von in regelmäßigen Abständen durchgeführten i. d. R. visuellen Prüfungen von Brücken. Diese Daten unterstützen die Instandhaltungsplanung und die Entwicklung von Verfallsmodellen, mit denen die Restnutzungsdauer von Brücken oder Bauteilen vorhergesagt werden kann. Die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbrücken wird von vielen Faktoren beeinflusst, die die Verfallsprozesse beschleunigen oder verlangsamen können. Einige Beispiele sind Materialqualität, Einwirkungen aus der Nutzung, Herstellungsverfahren, Umweltbedingungen und Klimaveränderungen, Instandhaltungshistorie, sowie externe Faktoren wie aussergewöhnliche Ereignisse. Um die Ressourcen für die Instandhaltung optimal zu nutzen und die Lebensdauer von Brücken möglichst zu verlängern, wären Ad-hoc- Verfallsmodelle und eine individuelle Instandhaltungsplanung erforderlich. Dieser Ansatz ist jedoch in der Planungs- und Umsetzungsphase zeitintensiv. Für die Infrastrukturbetreiber ist es viel praktikabler, ein Instandhaltungsmanagement zu wählen, das auf festen Intervallen basiert, die vom Alter der Brücke oder deren Bauteile abhängen. Zwischen einem individuellen Ansatz für die Instandhaltungsplanung, der auf den unterschiedlichen Verfallsverhalten der einzelnen Brücken basiert, und einem verallgemeinerten Ansatz, der auf vordefinierten Intervallen für die Instandhaltung beruht, können einige Zwischenstrategien entwickelt werden, die darauf abzielen, die Vorteile dieser beiden Ansätze zu kombinieren und ihre Nachteile zu begrenzen. Eine mögliche Strategie besteht darin, Objekte, die eine ähnliche Degradationstendenz aufweisen, in Gruppen zusammenzufassen, die Restnutzungsdauer und den Lebenszyklus für jede Gruppe zu bestimmen. Dabei werden die Gruppen so gewonnen in dem die Streuung innerhalb der Gruppe minimiert wird. Dies erlaubt ähnliche Instandhaltungsprogramme für die Objekte der jeweiligen Gruppe zu entwickeln. Je nachdem, wie viele Gruppen ermittelt werden können, kann diese Strategie einen Kompromiss zwischen individueller und allgemeiner Instandhaltung darstellen und die Grundlage für ein effizienteres Infrastrukturmanagement bilden. In den letzten Jahrzehnten hat die Anwendung von unüberwachten und überwachten Lernverfahren im Bereich des Bauwesens zugenommen. Überwachte Techniken, wie z.-B. Clustering-Algorithmen, können zur Erkennung von Mustern in Datensätzen verwendet werden und dienen verschiedenen Zwecken, die für die betrachtete Dis- 114 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI ziplin relevant sind. In [2] wird beispielsweise der Expectation-Maximization-Algorithmus auf die Ergebnisse von Materialabnahmeprüfungen angewandt, die in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden, um Betonklassen aus den 1960er Jahren zu identifizieren. Diese Techniken können auch auf die Entwicklungszeiten von Schäden oder Zuständen angewandt werden, um Gruppen von Schäden oder Bauteilen zu identifizieren, die dem ähnlichen Verhalten unterliegen, um Verfallsmodelle auf der Grundlage der gruppierten Daten zu entwickeln. Die Anpassung des Modells an die gruppierten Daten gewährleistet eine Vorhersage der Lebensdauer, die sich durch begrenzte Unsicherheiten auszeichnet. Die Bestimmung von Clustern in den Daten kann für Infrastrukturbetreiber entscheidend sein. Von besonderer Bedeutung ist die Fähigkeit, Cluster auf der Grundlage von Brückenbestandsdaten, Brückenmerkmalen und Umweltbedingungen vorherzusagen. Dies würde es Infrastrukturbetreibern ermöglichen, die Lebensdauer eines Bauwerks vorherzusagen, bevor ein Verfallsprozess eingesetzt hat. Zu diesem Zweck können Techniken des überwachten Lernens zur Klassifizierung von Clustern auf der Grundlage verfügbarer Brückenmerkmale eingesetzt werden. Bei diesen Techniken handelt es sich jedoch häufig um Black-Box-Modelle, so dass ihre Ergebnisse für Infrastrukturbetreiber schwer zu nachvollziehen und zu interpretieren sind. Obwohl es möglich ist, diese Techniken auf Daten anzuwenden, die in BMS gehalten werden, wären die daraus resultierenden Managementpraktiken nicht transparent. Das Problem, datenbasierte KI-Techniken nachvollziehen zu können bzw. zu interpretieren, ist bei all ihren Anwendungen allgegenwärtig. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurden in den letzten Jahren erklärbare KI-Techniken (explanaibale AI, XAI) entwickelt [3]. Durch die Kopplung solcher Techniken mit KI-Anwendungen erhält man einen Einblick in die Vorhersage des KI-Modells, aus dem man eine Erklärung herbeiführen kann. Es gibt verschiedene XAI-Techniken, die in Klassen eingeteilt werden können. Eine davon ist die Post-hoc-Erklärbarkeit, zu der spieltheoretische Techniken wie die SHAP- Analyse gehören [4]. Um die Lebensdauer bzw. die Restnutzungsdauer zu ermitteln, sollte ein Modell die verfügbaren Zustandsdaten integrieren. In der Literatur finden sich verschiedene Modelle, die auf unterschiedlichen Herangehensweisen beruhen. Ein Ansatz besteht darin, die physikalischen, chemischen und mechanischen Prozesse zu berücksichtigen, die der Schadensentwicklung zugrunde liegen, und diese mit den verfügbaren Daten zu kombinieren [5]. Dieser Ansatz ist jedoch nur praktikabel, wenn die Faktoren, die den Prozess beeinflussen, eindeutig identifiziert werden können, was nicht immer der Fall ist. Ein anderer Ansatz ist die Anpassung eines stochastischen Prozesses an die Daten. Ein bekannter Prozess ist die Markov-Kette, die sich für diskrete Zustandsklasse eignet, wie sie Schäden und Brückenzuständen bei visuellen Inspektionen zugewiesen werden [6]. Die Entwicklung von Schäden oder Zuständen kann jedoch oft genauer durch einen physikalischen, kontinuierlichen Parameter beschrieben werden. Aus diesem Grund können andere stochastische Prozesse, die zeitlich und räumlich kontinuierlich sind, wie der Gamma-Prozess, in Betracht gezogen werden [7]. Dieses Verfahren wird bereits zur Modellierung von typischen Prozessen bei Stahlbetonbrücken, wie Korrosion und Ermüdung, eingesetzt. In diesem Beitrag wird ein Ansatz zur Entwicklung von Verfallsmodellen für Stahlbetonbrücken und zur Bewertung ihrer Lebensdauer vorgestellt. Der Ansatz integriert verschiedene überwachte und nicht überwachte Lerntechniken und wendet stochastische Prozesse an. Im Einzelnen werden die folgenden Methoden eingesetzt: 1) Clustering von Zustandsdaten (Schadensübergangszeiten) mit dem k-means-Algorithmus, um Cluster von Schäden zu identifizieren, die sich mit ähnlichen Geschwindigkeiten entwickeln; 2) Anwendung des Random-Forest-Modells zur Vorhersage von Clustern auf der Grundlage von Brückenbestandsdaten; 3) Erklärung von Cluster-Vorhersagen mit Hilfe der SHAP-Analyse; 4) Entwicklung eines Verfallsmodells auf der Grundlage geclusterter Daten unter Verwendung des Gamma-Prozesses. Dieser Ansatz ist in drei Punkten innovativ: 1) Identifizierung von Schadensgruppen und zugehörigen Bauteilen durch direkte Clusterung der Zustandsübergangszeiten; 2) Bewertung der Lebensdauer mit begrenzter Unsicherheit durch Anpassung eines Gamma-Prozesses an die Cluster-Übergangszeiten; 3) Bereitstellung eines Rahmens, der die kritische Bewertung von Verfallsmodellen im Infrastrukturmanagement ermöglicht. Kapitel 2 gibt einen Überblick über die Bestands- und Zustandsdaten von Brücken, die in den untersuchten BMS gesammelt werden. In Kapitel 3 werden die Methoden in qualitativer Hinsicht eingeführt. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse vorgestellt, die in Kapitel 5 diskutiert werden. 2. Methode 2.1 k-means-Algorithmus Der k-means-Algorithmus ist eine unüberwachte Lernmethode, die zur Identifizierung ähnlicher Datenelemente in einem Datensatz verwendet wird [8]. Er ist auf numerische Daten anwendbar und beruht auf der Berechnung des euklidischen Abstands zwischen Datenpunkten innerhalb von Clustern und ihren Mittelpunkten. Der Algorithmus besteht aus den folgenden Hauptschritten: 1) Zufällige Auswahl von Clusterschwerpunkten; 2) Berechnung des euklidischen Abstands zwischen Datenpunkten und Clusterschwerpunkten; 3) Zuordnung jedes Datenpunkts zu dem Cluster mit dem nächstgelegenen Schwerpunkt; 4) Berechnung des Mittelwerts des Clusters, der zum neuen Clusterschwerpunkt wird. Diese Schritte werden so lange wiederholt, bis der Algorithmus konvergiert (d.-h. sich die Clusterschwerpunkte nicht mehr ändern). Der Algorithmus hat zwei Nachteile: 1) Eine falsche Wahl der anfänglichen Schwerpunkte kann zu suboptimalen Ergebnissen führen. Dieses Problem wird durch die Verwendung des k-means++ Algorithmus entschärft. 2) Die optimale Anzahl von Clustern im Datensatz ist 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 115 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI unbekannt. Dieses Problem wird durch die Berechnung eines Leistungsmaßes namens Silhouette-Width (SW) für jedes Clustermodell angegangen. Der SW-Wert reicht von -1 bis 1, wobei der höchste SW-Wert das beste Clustermodell angibt [9]. 2.2 Random-Forest-Algorithmus Der Random-Forest-Algorithmus ist eine überwachte Lerntechnik, die für Klassifizierungsaufgaben (Vorhersage von kategorialen Variablen) verwendet wird [10]. Er besteht aus einem Ensemble von Entscheidungsbäumen. Ein Entscheidungsbaum strukturiert einen Datensatz hierarchisch auf der Grundlage der Werte der Merkmale des Datensatzes, ähnlich wie ein Baum mit Knoten und Blättern. Diese Struktur lässt sich leicht visualisieren und macht den Entscheidungsbaum zu einem leicht zu interpretierenden White-Box-Modell. Entscheidungsbäume sind jedoch anfällig für Overfitting. Random Forest, ein Ensemble von Entscheidungsbäumen, liefert robustere Ergebnisse, die jedoch schwieriger zu erklären und zu interpretieren sind. 2.3 SHAP-Analyse SHapley Additive exPlanations (SHAP) ist ein Ansatz zur Erklärung und Interpretation der Vorhersagen von Modellen des maschinellen Lernens [4]. Die SHAP-Analyse beruht auf den Shapley-Werten, einem Konzept aus der Spieltheorie, das die Zuweisung von Auszahlungen an die Spieler in einem kooperativen Spiel beschreibt. Beim maschinellen Lernen sind die „Spieler“ die Merkmale, und die „Auszahlung“ ist die Vorhersage des Modells für einen bestimmten Fall. Die SHAP-Analyse hilft dabei, den Beitrag jedes Merkmals bei der Vorhersage einzelner Instanzen zu verstehen und die Bedeutung jedes Merkmals für die Gesamtvorhersage zu bewerten. Jede Instanz hat so viele SHAP-Werte, wie es Merkmale gibt. Ein positiver SHAP-Wert zeigt an, dass der Wert des Merkmals für diese spezifische Instanz positiv zur Vorhersage der Klasse beiträgt. Durch Aggregation der SHAP-Werte für einzelne Instanzen kann man den mittleren SHAP-Wert für jedes Merkmal berechnen. Ein höherer durchschnittlicher SHAP-Wert bedeutet eine größere Bedeutung des Merkmals für die Vorhersage. 2.4 Gamma-Prozess Der Gamma-Prozess ist ein stochastisches Modell zur Darstellung der zeitlichen Entwicklung typischer Schäden an Bauwerken, wie Korrosion, Ermüdung und Abnutzung. Er eignet sich besonders für die Modellierung von nicht fallenden Verfallsprozesse, die durch einen kontinuierlichen Parameter, wie Korrosionstiefe oder Rissbreite, gekennzeichnet sind [7]. Es werden Daten über die Entwicklung dieses Parameters im Laufe der Zeit gesammelt, und durch Anpassung eines Gamma-Prozesses an die Daten wird die Unsicherheit in der Entwicklung des Parameters modelliert. Die Entwicklung des Parameters kann linear oder nichtlinear sein, wobei beide Varianten durch den Gamma-Prozess erfasst werden. In einigen Fällen werden die Daten über den Verfallsprozess in umgekehrter Weise erhoben: Die Schadensniveau sind fest, während der Zeitpunkt, zu dem diese Stufen erreicht werden, zufällig ist. In diesem Szenario kann das Gamma-Prozess immer noch angewendet werden, indem die Zeit als Zufallsvariable (abhängiger Parameter) und das Schadensniveau als unabhängiger Parameter behandelt wird. 2.5 Integrierter Rahmen für die Analyse Die vier Methoden werden in einen einheitlichen Rahmen integriert, der es Infrastrukturbetreibern ermöglicht, Degradationsmodelle kritisch zu bewerten. Im Mittelpunkt dieses Rahmens steht die Identifizierung von Clustern auf der Grundlage ähnlicher Schadens- oder Zustandsentwicklungsraten. Die Cluster werden zunächst durch Anwendung des k-means-Algorithmus auf die Übergangszeiten von Schäden oder Zuständen ermittelt. Diese Cluster werden dann mit Hilfe des Random- Forest-Algorithmus auf der Grundlage von Brückenbestandsdaten vorhergesagt. Die Vorhersagen werden durch die SHAP-Analyse erläutert, die auch die Zusammensetzung der einzelnen Cluster verdeutlicht. Schließlich wird das Gamma- Prozess an die Daten innerhalb jedes Clusters angepasst, wobei die Schadens- oder Zustandsübergangszeit als abhängiger Parameter (die Zufallsvariable) betrachtet wird. 3. Daten SIB-Bauwerke ist im Wesentlichen eine Inventar- und Zustandsdatenbank, in der die Zustandsdaten für Stahlbetonbrücken gespeichert werden. Umfassende Prüfungen finden alle sechs Jahre statt, mit Überwachungen alle drei Jahre. Die hierarchische Datenbankstruktur umfasst drei Ebenen: die Brücke, die Bauteile der Brücke und die Schäden, die an diesen Bauteilen festgestellt wurden. Beispiele für Brückenbauteile sind der Überbau und der Unterbau. Jedem Schaden wird eine Schadensklasse in Bezug auf Dauerhaftigkeit, Tragfähigkeit und Verkehrssicherheit zugeordnet. Ein Algorithmus aggregiert die Zustandsdaten von der Schadensebene auf die Bauteilebene und dann auf die Brückenebene. Diese Forschung konzentriert sich auf Schadensklassen, die mit der Dauerhaftigkeit zusammenhängen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die schlechteste Schadensklasse den Gesamtzustand des Bauteils bestimmt, obwohl auch andere Faktoren wie das Ausmaß der Schäden berücksichtigt werden. In dieser Studie wird die Lebensdauer einer Brücke definiert als die Zeit bis zum Erreichen der Schadensklasse 4 unter Berücksichtigung der geplanten Instandhaltung, aber ohne größere Instandsetzungen. Besondere Aufmerksamkeit wird den Zustandsdaten im Zusammenhang mit Rissen gewidmet. Es werden nur Schäden berücksichtigt, die von den Schadensklassen 0 auf 1 und von 1 auf 2 übergegangen sind. Dies bedeutet, dass Schäden vernachlässigt werden, die bisher keinen oder nur einen Übergang gezeigt haben. Manchmal wurde ein Schaden behoben, d. h. er weist 116 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI eine abnehmende Schadensklasse auf. In diesem Fall werden die Zustandsdaten bis zur Durchführung der Maßnahme berücksichtigt. Da die verfügbaren Zustandsdaten sehr umfangreich sind, lassen sich Schadensfamilien anhand ihrer Entwicklungsgeschwindigkeit identifizieren. Anschließend wird der Random-Forest-Algorithmus zur Vorhersage von Clustern auf der Grundlage von Brückenmerkmalen, insbesondere Bestandsdaten, eingesetzt. Die berücksichtigten Bestandsmerkmale sind: Baujahr, Bauart, Bautyp, Statisches System, Ziellastniveau, Traglastindex, Fläche(qm). In dieser Analyse dienen die Bestandsmerkmale als unabhängige Variablen, während das Cluster als abhängige oder Zielvariable fungiert. Da viele unabhängige Variablen kategorisch sind, werden sie mit Hilfe des One-Hot-Codierungsansatzes in numerische Arrays umgewandelt. 4. Ergebnisse Das beschriebene Verfahren wurde auf Zustandsdaten angewandt, die sich auf viele im SIB-Bauwerke dokumentierte Schaden beziehen, darunter Netzrisse, Querrisse, Schrägrisse, Längsrisse und Abplatzungen. Schäden am Brückenüberbau wurden getrennt von denen am Brückenunterbau analysiert. In dieser Arbeit werden nur die Ergebnisse der Analyse von Schrägrissen im Überbau wiedergegeben. Die Ergebnisse zu den anderen Schadensprozessen werden am Ende dieses Abschnitts zusammengefasst. Alle Analysen wurden in Python mit den Paketen Scikit-Learn [11] und SciPy durchgeführt [12]. Zunächst wird eine Clusteranalyse auf der Grundlage des k-means-Algorithmus durchgeführt, bei der ähnliche Sequenzen von Schadensübergangszeiten ermittelt wurden. Diese Analyse wurde für insgesamt 226 Datenpunkte durchgeführt. Jeder Datenpunkt ist ein Vektor, der aus zwei Elementen besteht (Verbleibzeit in Schadensklasse 1 und in Schadensklasse 2). Die Berechnung der SW zeigt, dass die besten Clustermodelle diejenigen sind, die durch 2 und 3 Cluster gekennzeichnet sind. Da die beiden Modelle fast gleich gut sind (SW von ca. 0,62), wurde das Modell mit 3 Clustern gewählt. Dieses Modell identifiziert drei Gruppen von Schäden, die durch schnelle, normale und langsame Entwicklungsraten gekennzeichnet sind. Die in den einzelnen Clustern gesammelten Datenpunkte sind jeweils 120, 84, 22 (Abb. 1). In Anbetracht der Tatsache, dass der Zustand des Bauteils durch die schlechteste Schadensklasse bestimmt wird, identifiziert die Clusteranalyse ebenfalls drei Gruppen von Bauteilen: anfällig, normal und robust. Eine visuelle Analyse der Clusterbildung zeigt, dass die Verbleibzeit in der Schadensklasse 1 hauptsächlich die Clusterdefinition beeinflusst und die Phase der Rissöffnung darstellt. In einem zweiten Schritt wurde die Vorhersage des Clusters auf der Grundlage der Daten des Brückenbestands durch Anwendung des Random-Forest-Algorithmus durchgeführt. Während der Trainingsphase wurden die Hyperparameter des Algorithmus abgestimmt und optimiert. Der Algorithmus erreichte eine Genauigkeit von 0,92 für die korrekte Vorhersage der Cluster. Dieses Ergebnis spiegelt sich in der Konfusionsmatrix wider (Abb.-2). Der Algorithmus klassifiziert jedoch nicht korrekt den Cluster „robust“. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Cluster lediglich eine geringe Anzahl von Datenpunkten enthält. Abb. 1: Clusteranalyse auf der Grundlage des k-means- Algorithmus. Abb. 2: Konfusionsmatrix aus dem Random Forest- Algorithmus. Anschließend wurde eine SHAP-Analyse durchgeführt deren Ergebnisse mithilfe des Wichtigkeitsdiagramms und des Abhängigkeitsdiagramms visualisiert werden. Das Wichtigkeitsdiagramms ordnet die Merkmale nach ihren durchschnittlichen SHAP-Werten ein, was die Wichtigkeit der Merkmale widerspiegelt. Das Abhängigkeitsdiagramm gibt an, welche Werte der Merkmale zur Vorhersage welcher Cluster beitragen. Zudem zeigt es die Wechselwirkungen mit anderen Merkmalen auf. Das Wichtigkeitsdiagramms verdeutlicht die wichtigsten Merkmale: „Baujahr“, gefolgt von „Ziellastniveau“ und „Traglastindex“ (Abb.-3). Das Abhängigkeitsdiagramm liefert zusätzliche Informationen und zeigt, dass (Abb. 4, Abb. 5, Abb. 6): 1) Schäden an kürzlich gebauten Brücken (von 1990 bis 2010) sind mit dem Cluster „fragile“ assoziiert; 2) Schäden an alten Brücken (von 1940 bis 1965) sind mit dem Cluster „robust“ assoziiert; 3) Schäden an Brücken, die zwischen 1965 und 1990 gebaut wurden, sind mit dem Cluster „normal“ assoziiert. Das Merkmal „Baujahr“ zeigt auch starke Wechselwirkungen mit den Merkmalen „Traglastindex“ und „Ziellastniveau“, da bei- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 117 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI de Merkmale von den im Laufe der Zeit entwickelten und veränderten Vorschriften und Normen abhängen. Abb. 3: SHAP-Wichtigkeitsdiagramm. Abb. 4: SHAP-Abhängigkeitsdiagramm (Cluster „robust“). Abb. 5: SHAP-Abhängigkeitsdiagramm (Cluster „normal“). Abb. 6: SHAP-Abhängigkeitsdiagramm (Cluster „anfällig“). Abb. 7: Simulation der Schadensentwicklung auf der Grundlage des Gamma-Prozesses. Abb. 8: Kumulative Lebenszeitverteilungsfunktion, die sich aus der Simulation des Gamma-Prozesses ergibt. Schließlich wird die Analyse auf der Grundlage des Gamma-Prozesses durchgeführt. Dieser Schritt ermöglicht die Entwicklung von Verfallsmodellen auf der Grundlage der in den einzelnen Clustern gruppierten Zustandsdaten (Abb. 7, Abb. 8). Die Abfolge der Übergangszeiten in Schadensklasse 1 und 2 wird durch eine Stichprobe aus der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Übergangszeiten in Schadensklasse 3 ergänzt. Obwohl diese Daten für die Einbeziehung in die Clusteranalyse nicht ausreichen, können sie in diesem Stadium berücksichtigt werden, um die Robustheit des entwickelten Degradationsmodells zu erhöhen. Durch die Durchführung einer Monte-Carlo-Simulation mit dem abgeleiteten Degradationsmodell kann das Alter, in dem die Brückenschäden in die Schadensklasse 4 übergehen, abgeschätzt werden: Dies entspricht 24.0 Jahren für anfällige Bauteile, 47.9 Jahren für normale Bauteile und 67.0 Jahren für robuste Bauteile (Tabelle 1). Tabelle 1. Durchschnittliche Verbleibzeit en (Jahre) in jeder Schadensklasse (Schäden: Schrägrisse). 1 2 3 4 Anfällig 7,0 12,4 17,9 24,0 Normal 31,6 38,8 43,8 47,9 Robust 51,7 58,9 63,5 67,0 118 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Lebensdauerbewertung für Stahlbetonbrücken auf der Grundlage von XAI 5. Interpretation der Ergebnisse Die Analyse der Zustandsdaten in Bezug auf andere Arten von Rissen und Abplatzungen liefert ähnliche Ergebnisse. In einigen Fällen ist die Anzahl der Datenpunkte jedoch geringer, so dass die Ergebnisse weniger zuverlässig sind. Das Merkmal „Baujahr“ erweist sich durchweg als der wichtigste Faktor bei der Vorhersage des Clusters. Ähnliche Bereiche von Merkmalswerten werden mit den Clustern „fragil“, „normal“ und „robust“ assoziiert. Allerdings haben die Merkmale „Ziellastniveau“ und „Traglastindex“ eine geringere Bedeutung, was zu einer größeren Ungenauigkeit bei der Vorhersage von Clustern auf der Grundlage der ausgewählten Merkmale führt. Das entwickelte hybride KI-System, das sich aus vier verschiedenen Analysen zusammensetzt, zeigt Beziehungen zwischen Brückenalter und Schadensclustern auf: 1) Schäden, die sich schnell entwickeln, werden mit kürzlich gebauten Brücken in Verbindung gebracht; 2) Schäden, die sich langsam entwickeln, sind mit älteren Brücken verbunden; 3) Schäden, die sich mit mittlerer Geschwindigkeit entwickeln, entsprechen Brücken, die in den 1970er und 1980er Jahren gebaut wurden. Diese Ergebnisse sind kontraintuitiv, denn angesichts des Fortschritts bei Bautechniken, Vorschriften und Materialien würde man erwarten, dass ältere Brücken schneller Risse entwickeln, während neuere Brücken diese langsamer entwickeln. Die Datenbank, die erst vor 30-40 Jahren erstellt wurde, dokumentiert jedoch keine sich schnell entwickelnden Schäden an älteren Brücken. Einige dieser Schäden wurden bereits behoben, und in einigen Fällen wurden anfällige Brücken und Bauteile vor der Entwicklung der Datenbank ersetzt. Folglich deuten die Analysen, insbesondere die SHAP-Analyse, darauf hin, dass die Daten von einer Überlebensverzerrung betroffen sind. Die Analysen zeigen auch, dass eine Vorhersage von Schadensgruppen auf der Grundlage der im BMS gespeicherten Brückenbestandsdaten derzeit nicht möglich ist. Ein weiteres wertvolles Forschungsthema ist die Untersuchung von Faktoren, die den Zeitpunkt der Schadensentstehung und -entwicklung beeinflussen und somit das Schadenscluster bestimmen. Wenn Daten über diese Faktoren gesammelt werden können, würde dies die Vorhersage der Lebensdauer von Bauteilen und die Bewertung der Schadensentwicklung erheblich verbessern. 6. Fazit In diesem Artikel wird ein Verfahren zur Entwicklung von Degradationsmodellen für Stahlbetonbrücken vorgeschlagen. Das Verfahren basiert auf Zustands- und Bestandsdaten aus Brückenmanagementsystemen. Die Daten von SIB-Bauwerken, wurden mit dem vorgeschlagenen Ansatz analysiert. Der Ansatz besteht aus vier verschiedenen Analysen, die überwachte und unüberwachte Lerntechniken, erklärbare Methoden der künstlichen Intelligenz und stochastische Prozesse beinhalten. Die Integration dieser vier Analysen ermöglicht die Entwicklung von Verfallsmodellen mit begrenzen Unsicherheiten. Darüber hinaus verdeutlicht der Rahmen die Merkmale der Daten, aus denen die Degradationsmodelle entwickelt werden, insbesondere die Population der Schäden und Bauteile der Brücke. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Zustandsdaten durch eine Überlebenden-Verzerrung beeinflusst werden. Die Auswirkungen dieses Umstandes werden in zukünftigen Forschungsstudien untersucht werden. Danksagungen Diese Arbeit wurde im Rahmen des DACH-Projekts „ENDURE - Entwicklung und Erprobung hybrider Modelle zur Abschätzung der Restnutzungsdauer von Brücken“ durchgeführt. Dieser Artikel stellt einen Teil der Projektergebnisse vor. Ausführliche Details finden sich im Abschlussbericht (https: / / projekte.ffg.at/ projekt/ 4213294). Literatur [1] S. W. Hudson, R. F. Carmichael III, L. O. Moser, W.-R. Hudson, and W. J. Wilkes, “Bridge management systems,” 1987. [2] P. Croce, F. Marsili, F. Klawonn, P. 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