Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2024
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Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme
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2024
Max Gündel
Wolfgang Ries
Im dtec.bw-Projekt „Digitalisierung von Infrastrukturbauwerken zur Bauwerksüberwachung: Structural Health Monitoring“ (SHM) wird die zuverlässigkeitsbasierte Zustandsbewertung von bestehenden Infrastrukturbauwerken mittels unterschiedlicher Monitoringsysteme erforscht. Die im Rahmen des Projektes installierten umfangreichen Messsysteme erzeugen sehr große Datenmengen, die erfasst, gespeichert und ausgewertet werden müssen. Hierfür wurde eine zentrale Datenplattform entwickelt und erprobt, die in diesem Beitrag vorgestellt wird.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 129 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme Prof. Dr.-Ing. Max Gündel Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg Dipl.-Phys. Wolfgang Ries LykosTec GmbH, Alzenau Zusammenfassung Im dtec.bw-Projekt „Digitalisierung von Infrastrukturbauwerken zur Bauwerksüberwachung: Structural Health Monitoring“ (SHM) wird die zuverlässigkeitsbasierte Zustandsbewertung von bestehenden Infrastrukturbauwerken mittels unterschiedlicher Monitoringsysteme erforscht. Die im Rahmen des Projektes installierten umfangreichen Messsysteme erzeugen sehr große Datenmengen, die erfasst, gespeichert und ausgewertet werden müssen. Hierfür wurde eine zentrale Datenplattform entwickelt und erprobt, die in diesem Beitrag vorgestellt wird. 1. Einführung Bauwerks-Monitoringsysteme, mit denen kontinuierlich Messdaten mittels Sensoren erhoben werden, sind ein probates Mittel, um in Echtzeit Informationen über Infrastrukturbauwerke zu erhalten. Diese können genutzt werden, um das Erhaltungsmanagement des Bauwerks zu optimieren und Maßnahmen zur Verlängerung der Restlebensdauer umzusetzen. Monitoringsysteme umfassen in der Regel verschiedenartige Sensortypen, die insbesondere bei großer Sensoranzahl und hoher Abtastrate zu großen Datenmengen führen. Die Erfassung, Speicherung, Verarbeitung und Integration dieser Daten in Echtzeit ist daher eine große Herausforderung. Bisher sind zur Datenverarbeitung bei Bauwerks-Monitoringsystemen in Deutschland sowohl in der Forschung als auch in der Praxis meist individuelle Lösung für einzelne Projekt entwickelt worden. Im Rahmen des von der EU geförderten dtec.bw-Projektes „Digitalisierung von Infrastrukturbauwerken zur Bauwerksüberwachung: Structural Health Monitoring“ (SHM) wurde eine zentrale Datenplattform für Monitoringsysteme von Verkehrsinfrastrukturbauwerken geschaffen. Ziel war, eine skalierbare Datenplattform zu entwickeln und zu erproben, in die Bauwerks-Monitoringsysteme verschiedener Anbieter projektübergreifend integriert werden können und die Daten unterschiedlichen Nutzern zur Verfügung gestellt werden können. Die Datenplattform ist in erster Linie eine Forschungsplattform, die sowohl Forschungspartnern innerhalb des Projektes als auch externen Forschungsgruppen zentral einen einfachen Zugriff auf qualitätsgesicherten Mess- und Metadaten aus einer Vielzahl laufender und abgeschlossener Monitoringprojekte ermöglicht. Darüber hinaus wird die Skalierbarkeit der Datenplattform innerhalb eines Projektes (d. h. Sensoranzahl und Abtastrate) und projektübergreifend (d. h. Anzahl der Projekte) erprobt, und zwar bezüglich der Integration von Monitoringsystemen verschiedener Anbieter, der Verarbeitung großer Datenmengen unterschiedlicher Datentypen in Echtzeit und der autonomen Datenanalyse auf der Plattform mittels eigener Funktionen. Dies dient auch dazu, Erfahrungen zur Definition von Anforderungen an eine kommerzielle, zentrale Datenplattform für Infrastrukturbauwerks-Monitoringsysteme in Deutschland zu sammeln. 2. Struktur der Datenplattform Die Architektur der Datenplattform folgt funktional und technisch einem Schichtenmodell und ist modular aufgebaut, sodass Module ergänzt, ausgetauscht oder entfernt werden können. 2.1 Datenverarbeitung und Datenintegration Die untere Schicht umfasst die Dateneingangsverarbeitung und Datenintegration. Die Datenerfassung erfolgt durch einer „Edge-Komponente“, an welche das spezifische Monitoringsystem des jeweiligen Anbieters angeschlossen wird. Auf dieser Komponente werden die firmenspezifischen Messdaten der verschiedenen Monitoringsystem-Anbieter in ein nicht-proprietäres Dateiformat transformiert (vereinheitlicht) und als Rohdaten an den zentralen Datenspeicher gesendet. Bei geringer Bandbreite ist eine Aggregierung der Rohdaten vor dem Versand möglich. Zudem ist das Aufspielen weiterer Datenanalyse-Algorithmen auf die Edge-Komponente zentral von der Datenplattform aus möglich (z. B. zur Analyse der Datenqualität). Die Datenspeicherung erfolgt zum einen in einem skalierbaren IoT-Datenspeicher und zum anderen in einer hoch performante, multimodale und für analytische Anwendungen optimierten Datenbank. Im IoT-Datenspeicher werden Zeitreihendaten, wie Sensorrohdaten, zeitlich aggregierte Sensordaten, berechnete KPIs und Prognosedaten, gespeichert. Die Analytics Datenbank hält alle Datenobjekte, die für eine integrierte Analyse z. B. unter Verwendung von Bauwerksmodellen, Last- und Klimadaten etc. erforderlich sind, vor und speichert die Ergebnisse aus Berechnungen und modellbasierten Prognosen oder Ereignisse aus dem Monitoring. 130 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme Für verknüpfte Analysen können Daten aus dem IoT- Speicher in die Analytics Datenbank eingelesen und dort verarbeitet werden. Die Datenplattform enthält zudem Schnittstellen zu FE-Modellen und einer BIM-Umgebung. Die Integration und Darstellung der Messdaten in einer BIM-Umgebung ist Ziel eines weiteren Teilprojektes innerhalb des Gesamtprojektes. Die Nutzung eigener, erprobter Funktionen zur autonomen Datenverarbeitung und -analyse direkt auf der Datenplattform ist durch Container-Lösungen möglich. Beispielhaft ist dies für die Ermittlung der Bauwerks- Eigenfrequenzen auf Basis von Beschleunigungsdaten mittels einer operational modal analysis (OMA) bereits implementiert und die Ergebnisse als ausgewertete Daten auf der Datenplattform verfügbar, siehe Abb. 1. Abb. 1: Beispielhafte Darstellung der kontinuierlich mittels operational modal analysis (OMA) ermittelten Eigenfrequenzen der Autobahnbrücke Stader Straße Relevante Ereignisse am Bauwerk, wie Baumaßnahmen oder Verkehrsumlegungen, werden in einem digitalen Bautagebuch auf der Datenplattform nachgehalten und können zu den Zeitreihen eingeblendet werden. In Abb. 2 sind beispielhaft Kalibrierfahrten zur Inbetriebnahme des Bridge-Weigh-in-Motion (B-WIM) Systems der Autobahnbrücke Stader Straße dargestellt. Abb. 2: Beispielhafte Darstellung von Dehnungs-Zeitverläufen und Event-Informationen (rot) bei Kalibrierfahrten des B-WIM-Systems 2.2 Datenzugriff In der Abstraktionsschicht wird den Nutzern der Datenzugriff und die Übergabe an darüberliegenden Anwendungen durch APIs ermöglicht. Die Anwendungen (Visualisierungs-, Analyse-, Modellierungs-Werkzeuge etc.) können über Aufrufparameter die angeforderten Daten anhand von ingenieurtechnisch relevanten Attributen einschränken (z. B. Bauwerk, Teilbauwerk, Baugruppen, Sensoren, Zeiträume etc.) und erhalten die Ergebnisse in Form strukturierter Tabellen zurück. Die Visualisierung und visuelle Analyse von Zeitreihen unterstützten dabei die Auswahl von Daten für die darüberliegenden Anwendungen. Dies ist für mehrere Sensoren in hoher zeitlicher Auflösung und in (Nahe-) Echtzeit durch das Open Source Werkzeug Grafana möglich, siehe Abb 2. Zudem steht die SAP Analytics Cloud mit sehr mächtigen grafischen Analysefunktion zur Verfügung. Verschiedene parallele Grafiken können miteinander verbunden werden und durch Auswahl einzelner Datenpunkte oder Bereiche die zugehörigen Daten in anderen Visualisierungen angezeigt werden. Das Nutzermanagement der Datenplattform ermöglicht einen sicheren Datenzugriff auch für externe Nutzer, wobei die Freigabe der Daten auf bestimmte Bauwerke, Sensoren und Zeiträume begrenzt werden kann. 3. Verfügbare Monitoringdaten auf der Datenplattform Bisher sind Monitoringsysteme von fünf Bauwerken (z.T. aufgeteilt in mehrere Teilbauwerke) mit insgesamt 998 Kanäle in die Datenplattform integriert (Stand 31.07.2024), siehe Abb.3. Von den Monitoring-Projekte sind drei abgeschlossen und zwei aktuell in Betrieb. Gespräche zur Integration weiterer Monitoringsysteme aus anderen Forschungsprojekten (z. B. mfund-Projekt BrAssMan) werden aktuell geführt. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 131 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme Abb. 3: Übersicht über Monitoringsysteme und Datentypen auf der Datenplattform 3.1 Autobahnbrücke Stader Straße Die Autobahnbrücke Stader Straße im Verlauf der A7 ist eine 7-feldrige Spannbetonbrücke bei Hamburg, die zwischen 1971 und 1975 errichtet wurde. Die Überbauten bestehen aus doppelstegigen Plattenbalken und sind durch eine Längsfuge in die Teilbauwerke Ost und West getrennt. Im Rahmen des dtec.bw-Projektes SHM wurde die Brücke mit 281 Sensoren ausgestattet, die Informationen über den Zustand der Brücke liefern sollen, siehe Tabelle 1 [3]. Zudem sind Sensoren als Teil eines Bridge- Weigh-in-Motion Systems zur Ermittlung von Achslasten installiert. Ferner sind 196 Sensoren zur Überwachung der Bewehrungskorrosion installiert, deren Integration in die Datenplattform zeitnah erfolgt. Das Monitoringsystem liefert seit April 2023 Daten und wird bis mindestens Ende 2026 betrieben. Tab. 1: Sensoren des Monitoringsystems Stader Straße (Daten seit 20.04.2023, laufend) Sensortyp Anzahl Kanäle Dehnung 26 Verschiebung 36 Neigung 48 Beschleunigung 81 Bauteiltemperatur 85 Wetterstation 5 Summe 281 3.2 Autobahnüberführung Vahrendorfer Stadtweg Die Brücke Vahrendorfer Stadtweg ist ein Überführungsbauwerk über die Autobahn A7 in Hamburg. Das statische System ist eine Kombination aus Zweigelenkrahmen und Bogensystem mit Kragarm, wobei der Überbau als einzelliger Hohlkasten ausgeführt ist. Die Brücke wurde 1972 erbaut. Im Rahmen des dtec.bw-Projektes SHM wurde die Brücke mit 131 Sensoren zur Zustandsüberwachung ausgestattet, siehe Tabelle 2 [4]. Das Monitoringsystem wird seit Mai 2023 bis mindestens Ende 2026 betrieben. Tab. 2: Sensoren des Monitoringsystems Vahrendorfer Stadtweg (Daten seit 17.05.2023, laufend) Sensortyp Anzahl Kanäle Dehnung 56 Verschiebung 4 Neigung 8 Beschleunigung 36 Bauteiltemperatur 20 Wetterstation 7 Summe 131 3.3 Talbrücke Eisern In einer gemeinsamen Messkampagne des dtec.bw-Projektes SHM und des Forschungsprojektes ROBUST wurde die Zustandsveränderungen der Talbrücke Eisern vor und während der Rückbauarbeiten erfasst [5]. Hierbei handelt es sich um eine 7-feldrige Spannbetonbrücke im Verlauf der Autobahn A45, die 1967 errichtet und 2023 sprechtechnisch abgebrochen wurde. Im Rahmen des Sprengabbruchs wurden definierte Vorschwächungen vorgenommen, die in den Messdaten erfasst sind. Das Monitoringsystem umfasste 18 Sensoren am Überbau und 26 Sensoren an den Pfeilern, siehe Tabelle 3. Insgesamt wurden von 08.02.2023 bis 20.03.2023 Daten erhoben. Tab. 3: Sensoren des Monitoringsystems Talbrücke Eisern (Daten von 08.02.2023 bis 20.03.2023) Sensortyp Anzahl Kanäle Neigung 6 Beschleunigung 31 Wetterstation 7 Summe 44 3.4 Versuchsbrücke UniBw München Zu Beginn der dtec.bw-Projekte SHM und RISK- TWIN wurde eine gemeinsame Messkampagne an der Versuchsbrücke der UniBw München durchgeführt [2]. Hierbei handelt es sich um eine zweifeldrige Verbundbrücke, bei der vordefinierte Zustandsänderungen und Schadensszenarien vorgenommen werden können. Die Messkampagne wurde mit 56 Sensoren durchgeführt und dauerte 6 Wochen. Sie umfasste verschiedene Schadensszenarien sowie eine Dauermessung über 4 Wochen zur Erfassung von Umwelteinflüssen. 132 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Zentrale Datenplattform für Brücken-Monitoringsysteme Tab. 4: Sensoren des Monitoringsystems Versuchsbrücke UniBw München (Daten von 04.03.2022 bis 11.04.2022) Sensortyp Anzahl Kanäle Dehnung 6 Neigung 10 Beschleunigung 32 Wetterstation 5 Kraft 2 Kamera 1 Summe 56 3.5 Talbrücke Sachsengraben Im mfund-Forschungsprojekt OSIMAB (Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken) wurde die Talbrücke Sachsengraben der A45 umfangreich mit Sensorik ausgestattet, siehe Tabelle 5 [1]; von Anfang 2020 bis Juli 2021 wurden Messdaten aufgenommen. Das Bauwerk hat drei Felder mit Spannweiten zwischen 30 bis 38 m und wurde 1971 erbaut. Tab. 5: Sensoren des Monitoringsystems Talbrücke Sachsengraben (Daten seit 01.01.2020 bis 31.07.2021) Sensortyp Anzahl Kanäle Dehnung 34 Verschiebung 16 Neigung 20 Beschleunigung 30 Bauteiltemperatur 16 sonstige 65 Summe 181 Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen et al (2021): Verbundprojekt OSIMAB (Online Sicherheits- Managementssystem für Brücken): Gesamtabschlussbericht. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Abteilung Brücken- und Ingenieurbau, Bergisch Gladbach, 2021. https: / / doi.org/ 10.2314/ KXP: 1787930734 [2] Jaelani et al (2023): Developing a benchmark study for bridge monitoring. Steel Construction, Volume 16, Issue 4, S.215-225. https: / / doi.org/ 10.1002/ stco.202200037 [3] Keßler et al (2024): A highway bridge - A database for digital methods. Structural Concrete, Early View. https: / / doi.org/ 10.1002/ suco.202400119 [4] Jaelani et al (geplant 2024): Bridge Load Testing Vahrendorfer Stadtweg. [5] Wittenberg et al (geplant 2024): Bridging the Gap: A dataset for the Eisern Viaduct before and during Deconstruction. Anfrage Messdaten Auf Anfrage wird externen Forschungsgruppen der Zugang zu den Messdaten auf der Datenplattform in Übereinstimmung mit den Freigabebedingungen der Infrastrukturbetreiber eingerichtet. Danksagung Die Autoren bedanken sich für die Förderung bei dtec. bw - Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr. dtec.bw wird von der Europäischen Union - NextGenerationEU finanziert.
