Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2024
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Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern – Erfahrungen aus einem gesamtheitlichen Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen)
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Steffen Müller
Max Käding
Gregor Schacht
Andreas Gruner
Ralf Seifert
Spannungsrisskorrosion stellt eine signifikante Bedrohung für die Standsicherheit älterer Spannbetonbrücken dar. Besonders gefährdet sind Bauweisen mit konzentrierten Spanngliedern, bei denen i. d. R. eine hohe Anzahl von Spanndrähte stegweise in nur einem Spanngliedkasten geführt werden. Diese konstruktive Besonderheit, verringert die Redundanz und erhöht die Anfälligkeit für tragsicherheitsrelevante Schäden bspw. im Fall unzureichender Verpressung oder bei elektrolytischem Angriff. Ein markantes Beispiel für die gravierenden Auswirkungen dieser Besonderheit bot die Brücke über den Altstädter Bahnhof in Brandenburg a. d. Havel, dessen dramatische Zustandsverschlechterung zu einer unmittelbaren Sperrung und schlussendlich einem Abbruch des Bauwerks durch Sprengung führte. Als Reaktion darauf forderte das Bundesministerium (BMVI) durch ein Obmannschreiben die Straßenbauverwaltungen auf, betroffene Bauwerke unverzüglich genaueren Untersuchungen zu unterziehen.
Im Zuge dieser Entwicklungen hat das sächsische Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) als Baulastträger mit seinem Partner, dem Ingenieurbüro Marx Krontal Partner (MKP GmbH), einen ganzheitlichen Bewertungsansatz für zwei besonders betroffene Bauwerke im Stadtgebiet Döbeln implementiert. Die betreffenden Bauwerke überführen einerseits die Anlagen der DB AG mit einer Schrägstielrahmenbrücke und den Fluss Freiberger Mulde mit einer 3-feldrigen Durchlaufträgerkonstruktion. Beide Bauwerke sind mit dem gefährdet eingestuften Hennigsdorfer Spannstahl im Spannblockverfahren hergestellt und die Baudokumentation ist nur noch lückenhaft vorhanden. Der Informationsmangel über den konstruktiven Zustand und den Zustand der Spannglieder führt bei einer ersten statischen Überprüfung dazu, dass zahlreiche Bauwerksabschnitte eine unzureichende Vorankündigung eines möglichen Versagens aufweisen. Um einen Ersatzneubau vor Ende der geplanten Nutzungsdauer zu vermeiden, bzw. hinreichende Planungszeit zu erhalten, wurden gezielte bauwerksdiagnostische Untersuchungen, statische Nachrechnungen und ein messtechnisches Monitoring implementiert. Die Ergebnisse dieses Vorgehens werden vorgestellt und die strategischen Schlussfolgerungen diskutiert, die aus den umfassenden Bewertungsmaßnahmen gezogen wurden. Diese Erkenntnisse leisten einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der beiden untersuchten Brücken und bieten zusätzlich wertvolle Einsichten für das Risikomanagement ähnlicher Bauwerke unter der Bedrohung durch Spannungsrisskorrosion und möglicher Instandhaltungspotentiale.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 233 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitlichen Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Dr.-Ing. Steffen Müller Landesamt für Straßenbau und Verkehr, Dresden Dipl.-Ing. Max Käding MKP GmbH - Marx Krontal Partner, Dresden Dr.-Ing. Gregor Schacht MKP GmbH - Marx Krontal Partner, Dresden Dipl.-Ing. Andreas Gruner Landesamt für Straßenbau und Verkehr, Dresden Dipl.-Ing. Ralf Seifert Landesamt für Straßenbau und Verkehr, Dresden Zusammenfassung Spannungsrisskorrosion stellt eine signifikante Bedrohung für die Standsicherheit älterer Spannbetonbrücken dar. Besonders gefährdet sind Bauweisen mit konzentrierten Spanngliedern, bei denen i. d. R. eine hohe Anzahl von Spanndrähte stegweise in nur einem Spanngliedkasten geführt werden. Diese konstruktive Besonderheit, verringert die Redundanz und erhöht die Anfälligkeit für tragsicherheitsrelevante Schäden bspw. im Fall unzureichender Verpressung oder bei elektrolytischem Angriff. Ein markantes Beispiel für die gravierenden Auswirkungen dieser Besonderheit bot die Brücke über den Altstädter Bahnhof in Brandenburg a. - d. Havel, dessen dramatische Zustandsverschlechterung zu einer unmittelbaren Sperrung und schlussendlich einem Abbruch des Bauwerks durch Sprengung führte. Als Reaktion darauf forderte das Bundesministerium (BMVI) durch ein Obmannschreiben die Straßenbauverwaltungen auf, betroffene Bauwerke unverzüglich genaueren Untersuchungen zu unterziehen. Im Zuge dieser Entwicklungen hat das sächsische Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) als Baulastträger mit seinem Partner, dem Ingenieurbüro Marx Krontal Partner (MKP GmbH), einen ganzheitlichen Bewertungsansatz für zwei besonders betroffene Bauwerke im Stadtgebiet Döbeln implementiert. Die betreffenden Bauwerke überführen einerseits die Anlagen der DB AG mit einer Schrägstielrahmenbrücke und den Fluss Freiberger Mulde mit einer 3-feldrigen Durchlaufträgerkonstruktion. Beide Bauwerke sind mit dem gefährdet eingestuften Hennigsdorfer Spannstahl im Spannblockverfahren hergestellt und die Baudokumentation ist nur noch lückenhaft vorhanden. Der Informationsmangel über den konstruktiven Zustand und den Zustand der Spannglieder führt bei einer ersten statischen Überprüfung dazu, dass zahlreiche Bauwerksabschnitte eine unzureichende Vorankündigung eines möglichen Versagens aufweisen. Um einen Ersatzneubau vor Ende der geplanten Nutzungsdauer zu vermeiden, bzw. hinreichende Planungszeit zu erhalten, wurden gezielte bauwerksdiagnostische Untersuchungen, statische Nachrechnungen und ein messtechnisches Monitoring implementiert. Die Ergebnisse dieses Vorgehens werden vorgestellt und die strategischen Schlussfolgerungen diskutiert, die aus den umfassenden Bewertungsmaßnahmen gezogen wurden. Diese Erkenntnisse leisten einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der beiden untersuchten Brücken und bieten zusätzlich wertvolle Einsichten für das Risikomanagement ähnlicher Bauwerke unter der Bedrohung durch Spannungsrisskorrosion und möglicher Instandhaltungspotentiale. 1. Einleitung und Problemstellung Die sich seit den 50er Jahren schnell entwickelnde Spannbetontechnologie ermöglichte Brückenbauwerke bis dahin unbekannter Schlankheit, was eine völlig neue Formensprache ermöglichte. Gleichzeitig wurde ein deutlicher Anstieg des Individual- und Güterverkehrs beobachtet und weitere Steigerungen prognostiziert. Auf Basis dieser Entwicklungen entstanden die ersten Ortsumgehungen im Gebiet der damaligen DDR. Eine dieser Verbindungen ist die heutige B169 im Bereich der sächsischen Stadt Döbeln. Verkehrstechnisch stellt die B169 zudem ein Überlandverbindung der A4 (Chemnitz - Dresden) zur A14 (Leipzig - Dresden) dar und wird mit einem täglichen Verkehrsaufkommen von ca. 11.500 Fahrzeugen bei 14-% Schwerlastverkehr genutzt. Der Bereich der Ortsumgehung Döbeln ist planfrei ausgelegt, was mit der räumlichen Nähe zum Stadtrand und unten liegenden baulichen Anlagen die Errichtung der 234 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Bauwerke 55a bis 55f erforderlich machte. Dabei bilden die Bauwerke 55b und 55e jeweils eine Besonderheit, da sie mit größeren Spannweiten und somit im Spannbetonverfahren erstellt wurden. Beide Bauwerke sind mit dem gefährdet eingestuften Hennigsdorfer Spannstahl im Spannblockverfahren hergestellt und die Baudokumentation ist nur noch lückenhaft vorhanden. Der Mangel an Informationen zum konstruktiven Zustand, sowie zum Zustand der Spannglieder sorgt in einer ersten statischen Überprüfung für eine Vielzahl an Bauwerksabschnitten, welche über eine nicht hinreichende Versagensvorankündigung verfügen. Die restlichen Bauwerkszustände sind dem Alter entsprechend gut, weshalb ein Ersatz der Bauwerke keine wirtschaftliche und ressourceneffiziente Option darzustellen scheint. Zur Wiederherstellung des gewünschten Sicherheitsniveaus bei gleichzeitigem Erhalt der Bauwerksstruktur wurde ein umfassendes Untersuchungs- und Monitoringprogramm ausgeführt. Der Fokus dieser deutlich über die normale Bauwerksprüfung hinausgehenden Untersuchungen lag auf der Ortung und Bestimmung der Lage und Zustände der schlaffen Bewehrung. Weiterhin wurden die Spannstahlkästen geöffnet und Materialzustände visuell als auch mechanisch (Rückdehnungsmessung, direkter Zugversuch einzelner Spannglieder etc.) geprüft. Zur Gewinnung ergänzender Informationen wurde ein Schallemissionsmonitoringsystem installiert, was Zustandsänderungen seit dem Installationsbeginn detektiert und zielorientierte Erhaltungsplanung und Meldeketten ermöglicht. Im Bereich der Bahnbrücke wurden ergänzend durchgehende faseroptische Dehnungssensoren angebracht um zusätzliche Information im möglichen Schadensfall auch ohne neu Bahnsperrpause erhalten zu können. Zum Zeitpunkt der Tagung wird das Monitoringsystem des Bauwerks 55e fast ein vollständiges Betriebsjahr durchlaufen haben und vorgestellt werden, wobei die aktuell vorliegenden Ergebnisse eine langjährige Weiternutzung der Bauwerke bei vollumfänglichen Sicherheiten möglich erscheinen lassen. Abb. 1: Lage der Bauwerke im entlang der B169 im Stadtgebiet von Döbeln (Sachsen). 2. Bauwerke 2.1 Hennigsdorfer Spannstahl und Spannblockverfahren Zum Zeitpunkt der Errichtung der Bauwerke waren im Staatsgebiet der DDR nur drei Spannbetonverfahren zulässig und durch die TGL 0-4227 [1] geregelt. Dies wären Einstab-, Spannblock- und Bündelspanngliedverfahren. Aufgrund wirtschaftlicher Einschränkungen wurden fast alle Spannstähle, die in der DDR zum Einsatz kamen, im brandenburgischen Stahlwerk Hennigsdorf hergestellt. Sie haben eine ovale Grundform und sind gerippt ausgeführt. An den betrachteten Bauwerken wurden jeweils SSG-800 Spannglieder analog TGL 173-33 [2] mit 224 Einzellitzen à 40mm 2 Querschnitt in 16 Ebenen ausgeführt. Das Spannblockverfahren ähnelt anderen Verfahren mit konzentriertem Spannstahlverlauf, etwa dem BaurLeonhardt-Verfahren [3]. Grundlegend wird in der Schalung ein metallischer Spannkasten eingelegt und dieser lagenweise mit Einzellitzen gefüllt. Die Positionstreue innerhalb des Kastens wird über Abstandshalterbleche sichergestellt. Nach der Betonage wird der Kasten mit Mörtel verpresst und nach dessen Aushärtung mit hydraulischen Pressen gegen den Spannblock vorgespannt. Die Vorteile des Spannblockverfahrens gegenüber anderen Methoden wurden nach [4] folgendermaßen gewertet: • Relativ geringer Aufwand für die Einleitung der großen Vorspannkräfte • Geringer Platzbedarf des Spannglieds im Querschnitt, hierdurch Material- (Beton) und Gewichtseinsparung • Vereinfachung der Bautechnologie für Vorspannen und Auspressen und dadurch geringerer Aufwand für die Überwachung dieser relevanten Arbeitsschritte • Ökonomische Vorteile durch geringeren Spannstahlbedarf Abb. 2: Darstellung des Kastenspanngliedes [2]. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 235 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Hennigsdorfer Spannstahl gilt gegenüber der Spannungsrisskorrosion als besonders anfällig. Spannungsrisskorrosion ist eine lokal auftretende Korrosion am Spannstahl, welche durch einen plötzlichen und spröden Bruch gekennzeichnet ist [5]. Wesentliche Voraussetzungen für die Spannungsrisskorrosion sind die folgenden [6]: • Dauerhafte Zugspannung im Material, ist für Spannstähle immer erfüllt • Anfälligkeit des Spannstahles, hierzu zählen Kristallgefüge, Materialzusammensetzung etc. • Angebot an verfügbarem Wasserstoff Neben der Materialzusammensetzung und der Vergütungsart, wobei vergütete Stähle aufgrund ihrer anderen Kristallstruktur als anfälliger im Vergleich zu kaltgezogenen Stählen gelten, ergeben sich verschärfende Effekte zur Auslösung dieser für Spannbetonbauwerke schwer direkt nachzuweisenden Korrosionsart [7] häufig auch aus den Baustellenbedingungen, die vielfach nicht mehr nachvollziehbar sind. So spielen zum Beispiel Witterung und freie Bewitterungszeiten, Transportrollendurchmesser und Verlegegüte eine entscheidende Rolle für die Anzahl und Größe oberflächiger Vorschädigungen. Bauwerke mit konzentrierten Spanngliedern sind für diese bauzeitbedingten Einflussfaktoren wegen der speziellen Bauweise besonders anfällig. Aufgrund der oben skizzierten prinzipiellen Anfälligkeit des Spannbetonbauwerks und häufig fehlendem Versagensankündigungsverhaltens sind alle Bauwerke dieser Zeit und Fertigungsmethode als gefährdet eingestuft und die Betreiber der Bauwerke durch ein Obmannschreiben des BMVI [8] und dem Verweis auf die entsprechende Handlungsanweisung [9] dazu aufgefordert die Bauwerke detaillierter zu untersuchen und das Gefahrenpotential durch geeignete Maßnahmen zu senken. 2.2 BW 55b - Brücke über Anlagen der Bahn Die Straßenbrücke 55b führt die B169 über die Anlagen der Deutschen Bahn AG bei Döbeln und wurde 1966 auf einem Traggerüst hergestellt. Bei dem Bauwerk handelt es sich um einen geradlinigen, gevouteten 3-feldrigen-Schrägstielrahmen mit einer Gesamtlänge von ca. 67,0 m (siehe Abb.-3). Die Stützweiten betragen 17,50 m-37,40 m-11,92 m. Der Überbau besteht aus einem nicht begehbaren zweizelligen Hohlkasten. Er weist eine Breite von ca. 14,55 m und ein konstantes Quergefälle von 2 % sowie ein konstantes Längsgefälle von 6 % auf. Im Spannbetonüberbau liegt eine exzentrische, interne Längsvorspannung als Kastenspannglied in den Stegen der Hohlkästen vor. Das Bauwerk ist in die Brückenklasse BK 60/ 30 eingestuft.- 2.3 BW 55e - Brücke über die Freiberger Mulde Die Straßenbrücke 55e führt über den Fluss Freiberger Mulde bei Döbeln und wurde 1966 als gevouteter 3feldriger-DLT auf einem Traggerüst mit einer Gesamtlänge von 84,60 m hergestellt (siehe Abb. 4). Abb. 3: Bauwerksansicht und -untersicht der Straßenüberführung über die Anlagen der DB AG. Abb. 4: Bauwerksansicht der Straßenüberführung über die Freiberger Mulde. Die Stützweiten des dreizelligen nicht begehbaren Hohlkastens, betragen 25,52 m-33,57 m-25,52 m. Der Überbau weist eine Breite von 11,50 m und eine konstantes Quergefälle von 4 % auf wobei der Grundriss unter einem Bauwerkswinkel von 56 gon gekrümmt ist. Die Vorspannung des Überbaus ist ebenfalls als exzentrische, interne Längsvorspannung als Kastenspannglied in den Stegen der Hohlkästen ausgeführt. 236 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) 3. Untersuchungs- und Bewertungskonzept Die Bewertung spannungsrisskorrosionsgefährdeter Bauwerke ist prinzipiell in der Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion geregelt [9]. Diese bildete die Grundlage für das an den Brücken in Döbeln angewandte Untersuchungs- und Bewertungskonzept. Es kamen darüberhinausgehend jedoch innovative Methoden zur zerstörungsfreien Bestandserfassung und messtechnischen Dauerüberwachung zum Einsatz. Dies war erforderlich, da einerseits der aktuelle Stand der technischen Möglichkeiten zur Bewertung gefährdeter Bauwerke in der Handlungsanweisung nicht umfassend repräsentiert wird [10], und andererseits zum Bauwerk kaum Bestandsunterlagen vorlagen. Die schlussendlich angewandte Vorgehensweise untergliederte sich in folgende Arbeitspakete: 1. Bauwerksdiagnostische Untersuchungen: (a) Flächige zerstörungsfreie Radar-Untersuchungen zur Aufnahme der Bewehrungsmengen und -verteilungen, sowie der tatsächlichen Lage der Spannkästen in mehreren Messflächen an den Stegseitenflächen und der Überbauunterseite; (b) Erfassung des Zustands des Kastenspanngliedes, Spannstahls und Einpressmörtels durch Probenentnahme am Bauwerk mit vorgelagerte Erfassung des Verpresszustands mittels Ultraschallmessung zur Identifikation risikobehafteter Bereiche, chemische und metallografische Untersuchungen im Labor, Ermittlung des mechanischen Verhaltens des Spannstahls in Zugversuchen 2. Statische Betrachtung: Erstellung eines numerischen Modells des Bauwerks und Beurteilung des Tragwerks hinsichtlich seines Vorankündigungsverhaltens, Ermittlung von Tragfähigkeitsreserven zur Definition eines Grenzwerts einer zulässigen Drahtbruchanzahl bei konzentrierter Ereignishäufung für die messtechnische Dauerüberwachung (Schallemissionsmonitoring) 3. Messtechnisches Monitoring: (a) Installation und Betrieb eines Schallemissionsmonitorings zur Detektion und Lokalisierung von Spanndrahtbrüchen; (b) Installation von faseroptischer Sensorik (DFOS - distributed fiberoptical sensor) zur Rissdetektion und -beobachtung, Anwendung nur am BW 55b im schwer zugänglichen Bereich über den Hauptgleisen der Bahnanlagen. Das methodische Vorgehen wurde bei beiden Bauwerken - mit Ausnahme der Installation faseroptischer Sensorik - einheitlich angewendet. Aufgrund der baulichen Ähnlichkeit der Bauwerke waren die Anordnung und Anzahl der Messflächen und Untersuchungsbereiche für die bauwerksdiagnostischen Untersuchungen, sowie die Randbedingungen für die Umsetzung des Schallemissionsmonitorings, beispielsweise in Hinblick auf die Sensorverteilung, weitgehend identisch. Da der Zustand und die Ergebnisse des Bauwerks 55e über die Freiberger Mulde insgesamt einen besseren Eindruck vermittelten, wird in den folgenden Abschnitten detailliert auf die Umsetzung und Ergebnisse des Bauwerks 55b über die Anlagen der DB AG eingegangen. Auf die Ergebnisse des Bauwerks 55e wird nur dann kurz Bezug genommen, wenn relevante Abweichungen vorliegen. In Abb. 5 ist eine Übersicht über das Bauwerk 55b gegeben. Hierin sind die Messfelder und Untersuchungsbereiche für die bauwerksdiagnostischen Untersuchungen sowie die Lage der Sensorik dargestellt und bezeichnet Abb. 5: Bauwerk 55b in Längsschnitt und Grundriss mit Übersicht der Messfelder und Untersuchungsbereiche für die bauwerksdiagnostischen Untersuchungen und der Messstellen für das messtechnische Monitoring 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 237 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) 4. Untersuchungsergebnisse 4.1 Zerstörungsfreie Prüfung Mit Hilfe zerstörungsfreier Prüfung wurden die Bewehrungsmenge und -verteilung in ausgewählten Messflächen aufgenommen. Die Messflächen hatten jeweils eine Länge von ca. 3 m und wurden in einem Messraster von 10×10 cm mit einer Radarsonde abgefahren (siehe Abb. 6). Die bildgebenden Ergebnisse der Radaruntersuchungen sind auszugsweise in Abb. 7 dargestellt. Das Messfeld DB1-F2 zeigt die Aufnahmen der Bodenplatte in zwei Tiefen von 5,0 cm und 14,0 cm. Hier ist die konstruktive Bewehrung im Raster von 15 × 20 cm bis 15 × 30 cm ungleichmäßig verlegt. Es sind teilweise Fehlstellen in der Bewehrung der Bodenplatte festzustellen. Mit diesen Aufnahmen wurde die Längsbewehrung in der Bodenplatte für die Nachrechnung abgeschätzt. Abb. 6: Messflächen für die zerstörungsfreie Prüfung mit Georadar und Ultraschall. Abb. 7: Untersuchungsergebnis Georadar an der Unterseite Feld DB1-F2 in den Tiefen 5,0 cm und 14,0 cm. Die Betondeckung wurde sowohl am Steg als auch an der Bodenplatte unregelmäßig vorgefunden und schwankte zwischen min. 11 mm bis 63 mm (Mittel 38 mm). Die Betondeckung der Kastenspannglieder betrug 91-98 mm. Die Lage des Kastenspanngliedes konnte durch die Radaruntersuchungen deutlich identifiziert werden. Beispielhaft ist diese in Abb.-8 als Projektion der Messflächen in ein 3D-Visualisierung des Bestands aus einem Laserscan dargestellt. Die vorgefundene Höhenlage des Kastenspanngliedes entspricht den Angaben im Bestandsplan. Die Ultraschallmessungen wurde herangezogen, um u. a. Hohllagen zu ermitteln. Am Bauwerk 55b konnte kein nennenswertes Verdachtsmoment im Bereich der Öffnungsstellen gefunden werden. Am Bauwerk 55e wurden hingegen vermutliche Hohllagen identifiziert, die auf konstruktionsbedingte Spannkastenstöße zurückgeführt werden. Am Bauwerk 55e wurde eine gleichmäßig verlegte Bewehrung vorgefunden. Das Raster betrug hier im Regelfall 20 × 20 cm. Die Bewehrung der Bodenplatte war durchgängig über die gesamte Breite verlegt, wobei an den Stegen drei zusätzliche Stäbe mit 15 cm Abstand angeordnet waren. Die Höhenlage des Kastenspanngliedes entsprach auch hier dem Bestandsplan.- Abb. 8: Ergebnisse der Untersuchungen mit Georadar projiziert in die 3D-Visualisierung eines Laserscans; Bewehrungsverteilung und Lage des Kastenspanngliedes sind deutlich erkennbar. 4.2 Spannstahlentnahme Im Ergebnis der zerstörungsfreien Untersuchungen wurden die Kastenspannglieder geortet und markiert. Anschließend wurden sie über eine Länge von ca. 60 cm freigelegt. Beim Öffnen des Kastenspanngliedes wurden die Innenfläche des Kastens und der Einpressmörtel begutachtet. Es wurden nur vereinzelte Rostflecken und eine vollvolumige Verpressung vorgefunden. Das visuelle Erscheinungsbild des Einpressmörtels nach Öffnung des Kastenspanngliedes zeigte einen guten Zustand. Auffällig war eine intensive Schwarzfärbung des Einpressmörtels (siehe Abb. 9), die wahrscheinlich auf einen hohen Anteil an Hochofenschlacke zurückzuführen ist. Die Alkalität des Mörtels wurde an frischen Bruchflächen mit Phenolphthalein getestet und nachgewiesen (siehe Abb. 10). Für die Spanndrahtentnahme und Rückdehnungs-messung wurden die unteren Spanndrahtlagen ausgewählt. Die Rückdehnungsmessung erfolgte mittels Dehnungs- 238 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) messtreifen (DMS). Für die Messungen wurde ein DMS auf die vorbereitete Oberfläche des Spanndrahts aufgeklebt und dieser anschließend durchtrennt. Während des Trennschnittes wurde die Dehnung des DMS mit einer hohen Abtastrate aufgezeichnet. Der Messdatenverlauf zum Zeitpunkt des Bruchs ist in Abb.-11 dargestellt. Die Restvorspannung ergibt sich an der Öffnung DB3-F1 im Mittel zu 801 N/ mm 2 und für DB2-F4 zu 889 N/ mm 2 . Die gemessene Vorspannung überschreitet damit die in der TGL 173-33 [2] angegebene zulässige Nennvorspannung von 800 N/ mm 2 für das SSG 800 und die zulässige Vorspannung für den Spannstahl mit 40 mm² von 788 N/ mm². Die Einzelwerte zeigen jedoch auch eine signifikante Streuung im Bereich von 717-967 N/ mm 2 . Es wird daher vermutet, dass ungleichmäßiges Verlegen der einzelnen Drähte zu den Spannungsunterschieden beim Anspannen führten und nicht die Spannkraft für den gesamten Block grundsätzlich überschritten wurde. Abb. 9: Bauteilöffnung (DB3-F1), Einpressmörtel mit intensiver Schwarzfärbung und dritte Spannstahlprobe mit vorappliziertem DMS vor dem Trennschnitt. Abb. 10: Reaktionsergebnis des Phenolphtalein-Test im Bereich der Schnittenden der entnommenen Spannstahlproben. Abb. 11: Ermittlung der Restvorspannung durch Rückdehnungsmessung mittels DMS. Die heterogene Vorspannungsverteilung zwischen einzelnen Drähten führt wiederum zu einer individuell erhöhten Gefährdung einzelner Drähte gegenüber dem Spannungsrisskorrosionsprozess.- Am Bauwerk 55e wurde ein ähnlicher Zustand des Kastenspanngliedes angetroffen. Die Verpressung war auch hier vollvolumig und die Färbung des Mörtels auffällig. In diesem Fall wurden zwei Schichten festgestellt, die untersten 2-3 cm des Einpressmörtels wiesen eine intensive Schwarzfärbung mit weißen Schichtgrenzenlinien auf und der darüberliegende Einpressmörtel zeigte eine klassische Graufärbung. Die gemessene Restvorspannung betrug im Mittel an den Öffnungen 750 N/ mm 2 und 768 N/ mm 2 . Die Ergebnisse waren einheitlicher und lagen innerhalb der zulässigen Werte [2]. 4.3 Materialbeprobung Die entnommenen Proben des Spannstahls und Einpressmörtels wurden im Labor weiteren Untersuchungen unterzogen. Die Oberfläche des Spannstahls wurde makroskopisch untersucht. Die Proben wiesen vereinzelte Korrosionsprodukte und Grübchen auf. Die Oberfläche war durch Verquetschungen der Rippung bzw. an den Kanten teilweise mechanisch beschädigt. Alle sechs Proben zeigten eine einheitliche Oberflächenstruktur. Bei keinem der Prüfstücke konnten visuell Risse festgestellt werden. Die Oberflächenzustandsnote wurde mit 1,5 bis 2,5 bewertet; die schlechteste Probe mit 3,0. Der visuelle Zustand war demnach unauffällig (siehe Abb. 12). Die Beschaffenheit des Stahls wurde weiterhin durch Mikroschliffuntersuchungen analysiert (siehe Abb. 13). Hierbei konnten Oberflächenrisse und Grübchen mit bis zu 95 µm bzw. 138 µm Tiefe an der schlechtesten Probe ermittelt werden. Bei den anderen Proben waren derartige Schädigungen kleiner. Im Feinschliff wurde ein feinnadeliges Vergütungsgefüge mit einer Vielzahl nichtmetallischer Einschlüsse aus Silizium und Sauerstoff beobachtet. Die Einschlüsse sind nahezu homogen über Längs- und Querschliff verteilt und ergaben keinen relevanten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften. Die Zugversuche zeigten deutliche Einschnürungsbereiche, Bruchdehnungen von durchschnittlich 5,5 % und unauffällige Bruchbilder. Abb. 12: Charakteristische Oberflächenbeschaffenheit der Spannstahlproben, ersten Probe aus Öffnung DB2F4 mit visuell schlechtestem Zustand. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 239 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Abb. 13: Mikroschliffuntersuchung des Gefüges der ersten Spannstahlprobe aus der Öffnung DB2-F4 (schlechtester visueller Zustand). Der Spannstahl und der Verpressmörtel wurden auf die jeweilige chemische Zusammensetzung untersucht. Die Ergebnisse der Funkenemissionsspektroskopie sind in Tab. 1 aufgeführt. Zwischen den Proben waren keine nennenswerten Unterschiede festzustellen. Die Werte der Spannstahlproben liegen innerhalb der damals zulässigen Grenzen [11]. Der Anteil an Silizium ist im Vergleich zu heutigen Standards deutlich erhöht. Die Anteile weiterer unbeabsichtigter Beimengungen (P, S, Cr, Cu, Ni) liegen deutlich unter den jeweiligen Grenzwerten. Eine weiterführende Diskussion des Einflusses der chemischen Zusammensetzung des Stahls ist auch in [7] zu finden. Tab. 1: Chemische Zusammensetzung des Spannstahls: Vergleich der zulässigen Massenprozentanteile gemäß TGL 101-036 und den entnommenen Stahlproben. Chemisches Element in [M.-%] C Si Mn TGL 101-036 [11] 0,58-0,67 0,90-1,20 1,00-1,20 Spannstahl BW 55b 0,54-0,59 0,96-1,01 1,03-1,11 Abb. 14: Materialprobe des Schichtsystems. Die chemische Zusammensetzung des Einpressmörtels, sowie die Feuchtigkeit, der pH-Wert und die Anteile wichtiger Anionen wurden bestimmt. Die Werte sind für beide Bauteilöffnungen unkritisch. Bei der Herstellung der Bauteilöffnung wurden Bruchproben der Bauwerksoberfläche mit Beschichtungssystem entnommen und im Labor genauer analysiert (siehe Abb.-14). Die Beschichtung ist dreilagig aufgebaut. Direkt auf der Betonoberfläche ist ein 12-mm dicker Feinmörtel/ Feinspachtel aufgetragen; darauf befindet sich eine etwa 2-3 mm dicke, sehr flexible Beschichtung, möglicherweise eine mineralische Dichtungsschlämme ohne Fasern; und darüber eine flexible graue Beschichtung von etwa 0,10,2 mm Dicke. Die visuelle Detektion von Rissen ist durch diesen Auf bau stark eingeschränkt bzw. unmöglich, wodurch Bauwerksreaktionen auf Spanndrahtbrüche nicht im Rahmen von optischen Beobachtungen/ Bauwerksprüfungen erkannt werden können. Aus diesem Grund wurde eine messtechnische Überwachung mit Schallemissionssensoren und faseroptischen Sensoren erforderlich und letztlich implementiert. Die Laborergebnisse zum Spannstahl und Verpressmörtel spiegeln einen unbedenklichen und unauffälligen Zustand wider. Es sind keine Hinweise auf eine vorhandene oder voranschreitende Spannungsrisskorrosion und Versprödung vorzufinden. Die Untersuchungen der Proben des Bauwerks 55e ergaben ähnliche Ergebnisse. Auch hier wurden keine signifikanten Anrisse, Versprödung oder bedenkliche chemische Zusammensetzung festgestellt. 4.4 Statische Betrachtung der Ergebnisse Zur statischen Beurteilung wurde ein numerisches Modell gebildet. Dieses wurde als Trägerrostmodell erstellt (siehe Abb. 15). Jeder Hohlkasten wurde in zwei einzelne Längsträger mit zugehöriger mitwirkender Plattenbreite zerlegt und an den Querträgern miteinander verbunden. Die Schrägstile sind monolithisch mit dem Überbau verbunden und gelenkig im Baugrund verankert. Am WL Döbeln ist der Endquerträger auf Rollen gelagert. Am WL Riesa sind keine beweglichen Lager vorhanden. Durch die Schrägstile in der Böschung des Widerlagers entsteht eine Rahmenecke. Abb. 15: Statisches Modell der Brücke über die Anlagen der DB AG. Es wurde ein Beton der Festigkeitsklasse B450 verbaut und angesetzt. Auf Grundlage der bauwerksdiagnostischen Untersuchungen wurden die Mengen für die Betonstahlbewehrung am unteren und oberen Querschnittsrand für den Feld- und Stützbereich abgeschätzt. Die Lage des Spanngliedes wurde für das Modell abgeschätzt, konnte jedoch durch die Erkenntnisse aus den Untersuchungen vor Ort verifiziert werden. Für die Berechnung wurden 240 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) die Lasten entsprechend der Handlungsanweisung [9] angesetzt. Die Verkehrseinwirkungen wurde für die Brückenklasse 60/ 30 gewählt. Im ersten Schritt wurde der Nachweis auf Querschnittsebene für jeden Hauptträger geführt. Die Felder wurden in den Zehntelspunkten unterteilt. Das Ergebnis der querschnittsweisen Restsicherheit ist in Abb. 16 dargestellt. Deutliche Defizite sind in den Randfeldern zu erkennen. Diese sind aufgrund der Rahmenbauweise im Vergleich zum Hauptfeld verhältnismäßig kurz, wodurch die Vorspannung zentrisch wirkt. Dies führt zu einer ungünstigen Ausgangssituation für den Nachweis (Biegenachweis). So haben am Steg 1 nur 12 von 31 Querschnitten eine Restsicherheit größer 1,1. Am Steg 2 sind es hingegen 18 Querschnitte, die den Nachweis erfüllen.- Die Anwendungsgrenzen des stochastischen Nachweises sind nicht erfüllt, da jeder Hauptträger nur ein Kastenspannglied enthält. Somit kann kein Ankündigungsverhalten nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis wurde bereits so erwartet. Jedoch bieten das statische Modell und die erstellten Berechnungen die Möglichkeit, die Reserve am Bauwerk zu quantifizieren und eine Grundlage für die Definition eines Grenzwertes zulässiger Drahtbrüche für das messtechnische Monitoring zu ermitteln. Hierzu wird ein Vorgehen verwendet, welches bereits in [12] beschrieben wurde. Im Gegensatz zur Sichtprüfung, für die ein äußerlich erkennbarer Riss vorausgesetzt werden muss, wird beim Schallemissionsmonitoring der Spanndrahtbruch direkt detektiert. Für diese Überwachungsmethode ist die verbleibende Drahtanzahl bei Rissbildung n cr,i und damit verbundene visuelle Feststellbarkeit der inneren Schädigung nicht relevant. Entscheidend ist, dass an keiner Stelle die erforderliche Drahtanzahl n br,i zur Gewährleistung einer ausreichenden Restsicherheit von g p = 1,1 unterschritten wird. Der stochastische Nachweis wurde daher mit veränderten Eingangsparameter geführt und jeder Spanndraht individuell angesetzt. Das Ergebnis ist in Abb. 17 dargestellt. In den Randbereichen ist zu erkennen, dass die erforderliche Drahtanzahl nbr,i die bei Rissbildung verbleibende Drahtanzahl n cr,i überschreitet. In diesen Bereichen liegt kein Ankündigungsverhalten vor. Die maßgebende Stelle liegt jedoch im Bereich der Zwischenstützung am Schrägstil. Hier beträgt n br,max = 150 Spanndrähte. Gegenüber den vorhandenen 224 Spanndrähten können demnach an der ungünstigsten Stelle n DB,max = 75 Spanndrähte ausfallen, ohne dass die geforderte Restsicherheit von g p = 1,1 unterschritten wird. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Bauwerksdiagnostik ist diese Anzahl hinreichend groß, um den zulässigen Grenzwert für örtlich korrelierte Drahtbruchereignisse mit n DB = 3 für die Überwachung zu definieren. Das vorgestellte Vorgehen der rechnerischen Bewertung sollte möglichst immer im Zusammenhang mit einer Bauwerksuntersuchung erfolgen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Zustand im Inneren der Spannglieder nur stichprobenartig überprüft werden kann. Wie auch in diesem Anwendungsfall liegen die Eindrücke zum Zustand des Spannstahls und Einpressmörtel von nur zwei Bauteilöffnungen vor. Die Ergebnisse wiesen jedoch keine besonderen Auffälligkeiten auf, so dass grundlegend davon ausgegangen wird, dass dieser Zustand in vergleichbarer Weise auch in den übrigen Bereichen vorliegt. Mit einem Grenzwert von n DB = 3 wird, in Anbetracht der Ergebnisse, kein unangemessenes Risiko eingegangen. Am Bauwerk 55e wurde die erforderliche Drahtanzahl zu n br,i = 120 berechnet. Die theoretisch mögliche Anzahl an Bruchereignissen ist für diese Bauwerk demnach größer und liegt bei n DB,max = 124 Spanndrahtbrüchen. Der Grenzwert ist bei diesem Bauwerk in gleicher Weise gültig. Abb. 16: Restsicherheit über die Bauwerkslänge im Ergebnis des Nachweises auf Querschnittsebene für die am Außensteg (Steg 1) maßgebende Laststellung. Abb. 17: Ergebnis der statischen Berechnung nach [9] für den maßgebenden Hauptträger; vorhandene Drahtanzahl n, verbleibende Drahtanzahl bei Rissbildung n cr,i und der erforderlichen Drahtanzahl zur Gewährleistung einer ausreichenden Restsicherheit von g p = 1,1 n br,i . 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 241 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) 4.5 Monitoring Zur Kompensation des fehlenden Ankündigungsverhaltens wurde ein umfassendes Monitoringkonzept für das Bauwerk 55b entwickelt. Dieses beinhaltet 36 Schallemissionssensoren, einen Lufttemperatursensor, zwei Bauwerkstemperatursensoren und vier faseroptische Sensoren mit jeweils einer Länge von 13,3 m. Die Anwendung der Schallemissionsanalyse zur Detektion von Spanndrahtbrüche wurde erst kürzlich in der Richtlinie SE05 der DGZfP geregelt [13]. Die Schallemissionssensoren wurden parallel zur Längsrichtung in neun Messquerschnitten seitlich an den Stegflanken der Hauptträger appliziert. Die Sensoren wurden nach einer Oberflächenvorbereitung durch Schleifen an die Betonoberfläche mit Heißkleber akustisch gekoppelt und mittels einer Magnethalterung an einer im Beton verschraubten Metalplatte fixiert (siehe Abb. 18, oben). Durch die Sensorhalterung ist eine dauerhafte Befestigung und eine konstante Anpresskraft zwischen Sensor und Bauteil zur zuverlässigen Signalübertragung gewährleistet. Jeder Sensor und seine Halterung ist zusätzlich mit einer Schutzabdeckung aus Blech eingehaust (siehe Abb. 18, unten). Der Sensorabstand wurde äquidistant mit 8 m gewählt. Die Luft- und Bauwerkstemperaturen sind im Bereich des Endquerträgers des Widerlagers Riesa appliziert (siehe Abb. 18, unten). Abb. 18: Messstelle eines Schallemissionssensor ohne (oben) und mit Abdeckung (unten). Temperatursensoren zur Erfassung der Luft- und Bauwerkstemperatur (unten). Die Inbetriebnahme der Schallemissionssensorik umfasst mehrere Schritte, in denen die Gleichwertigkeit der Ankopplung und die Funktionsfähigkeit des Sensornetzwerks nachgewiesen werden [13]. Hierzu werden beispielsweise Bleistiftminenbrüche in unmittelbarer Sensornähe erzeugt, oder Signale mit dem Rückprallhammer als Referenzquelle für einen Drahtbruch in die Struktur eingeleitet. Im vorliegenden Fall konnten zusätzlich die akustischen Emissionen der Drahtbrüche mit der abschließend installierten Schallemissionsanlage mitgemessen werden. Die Drahtbrüche wurden an den Bauteilöffnungen erzeugt, während die Anlage in der Regelbetriebskonfiguration lief. Die Bauteilöffnung DB3-F1 befand sich in der Nähe des Sensors 13 (siehe Abb. 19). Der Anstand zwischen der Bruchstelle und Sensor betrug ca. 1,7 m. Dieser Sensor wurde durch das Drahtbruchereignis zuerst getroffen und zeigte ein deutlich übersteuertes Signal. Darüber hinaus wurden bei jedem Drahtbruch jeweils noch sechs weitere Sensoren getroffen und erfassten ein signifikantes Signal mit einer PeakAmplitude von bis zu 120 dB. Die Bauteilöffnung DB2-F4 lag zentraler zwischen den benachbarten Sensoren mit einem Abstand von ca. 3,25 m zum Sensor 20. Die Intensität dieses zuerst getroffenen Sensors war erwartungsgemäß geringer, jedoch immer noch sehr hoch. Auch in diesem Fall wurden vier bis sechs weitere Sensoren mit einer Peak-Amplitude von bis zu 124 dB getroffen. Das Sensornetzwerk ist somit hinreichend redundant aufgestellt und die Vielzahl an Detektionen können zur Plausibilisierung potenzieller Ereignisse herangezogen werden. Es ist eine hohe Detektionswahrscheinlichkeit gegeben [14]. Die Ergebnisse der Lokalisierung dieser Drahtbrüche und die Genauigkeit ihrer Lokalisierung ist in Tab. 3 zusammengefasst. Zur Vereinheitlichung wurden jeweils nur vier der getroffenen Sensoren für die Berechnung des Quellortes herangezogen. Es sind die Soll- und IstKoordinaten gegenübergestellt und die jeweiligen Fehler berechnet. Unter Berücksichtigung aller Ereignisse wurde zusätzlich die Wurzel des mittleren quadratischen Fehlers (RMSE) angegeben. Insbesondere entlang der x-Koordinate ist die Genauigkeit der Lokalisierung mit einem RMSE von 44 cm für die baupraktische Anwendung sehr hoch einzuschätzen. Bezogen auf den Sensorabstand von 8 m beträgt die Abweichung 5,5 %. In Querrichtung liegen größere Abweichungen vor. Dies ist darauf zurückzuführen, dass keine anisotrope Ausbreitungsgeschwindigkeit hinterlegt wurde. Abb. 19: Lage der Bauteilöffnung DB3-F1 und des Trennschnitts in Bezug auf den SE-Sensor. 242 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) Tab. 3: Lokalisierungsergebnisse der Drahtbrüche; Soll- und Ist-Koordinaten, berechnete Fehler und Wurzel des mittleren quadratischen Fehlers (RMSE). Drahtbruch Soll [cm] Ist [cm] Fehler [cm] x y x y x y Dist. DB3- F1 2570 365 2477 310 93 55 108 2570 365 2579 296 -9 69 70 2570 365 2574 253 -4 112 112 DB2- F4 535 760 567 837 -32 -77 83 535 760 569 857 -34 -97 103 535 760 560 832 -25 -72 76 RMSE 44 83 93 Das Schallemissionsmesssystem des Bauwerks 55b wurde im April 2024 in Betrieb genommen. Seither erfolgt eine kontinuierliche und automatisierte Datenauswertung. Bisher wurden keine auffälligen Ereignisse detektiert. Am Bauwerks 55e wurde das Messsystem bereits im September 2023 installiert und in Betrieb genommen. Bei diesem Bauwerk wurden 44 Schallemissionssensoren verbaut. Auch bei dieser Überwachung wurden bisher keine auffälligen Ereignisse detektiert. Die verteilte faseroptische Sensorik (DFOS) wurde nur am Bauwerks 55b installiert, um Rissbreitenänderungen oder die Neubildung von Rissen zu detektieren. Die unterführten Bahnanlagen erschweren außerdem die Zugänglichkeit im Fall einer erforderlichen Sonderprüfung und das elastische Beschichtungssystem machen eine Rissdetektion nahezu unmöglich. Zum Einbau der faseroptischen Sensoren wurden in den Beton ca. 5-mm tiefe Nuten gefräst (siehe Abb. 20). Die Nuten wurden gründlich gereinigt, anschließend die Sensoren eingelegt und dann mit einem Injektionsmörtel festgeklebt. Die Enden der Fasern (sog. „Pigtail“) wurden in Leerrohren zu einem Messschrank geführt, wo sie für Messeinsätze an den Interrogator angeschlossen werden können. Nach der Installation wurde die Nullmessung durchgeführt. Eine erste Folgemessung wurde bisher noch nicht vorgenommen. Abb. 20: Verteilte faseroptische Sensorik (DFOS); Herstellung der Längsschlitze an der Überbauunterseite. Zusammenfassung und Fazit Spannungsrisskorrosion stellt eine signifikante Bedrohung für die Standsicherheit älterer Spannbetonbrücken dar. In Reaktion auf das Obmannschreiben zur Spannungsrisskorrosion und die bekanntgewordenen Problemlagen mit Hennigsdorfer Spannstahl in Kastenspanngliedern wurde für zwei Bauwerke im Zuge der B169 in der Ortsumfahrung Döbeln (Sachsen) ein umfassender Bewertungsansatz implementiert, der bauwerksdiagnostische Untersuchungen, statische Nachrechnungen und ein messtechnisches Monitoring umfasste. Die Ergebnisse zeigten, dass trotz anfänglicher Bedenken keine aktive Spannungsrisskorrosion nachgewiesen werden konnte. Die intensive Bewertung und der Einsatz innovativer Methoden haben sich gelohnt und zu einer präzisen Einschätzung des tatsächlichen Zustands geführt. Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass nicht alle Bauwerke mit Kastenspanngliedern gravierende Probleme aufweisen und ein Weiterbetrieb bei vollumfänglicher Sicherheit möglich ist. Im ersten Schritt ergeben sich dadurch deutlich umsetzungsfreundlichere Zeithorizonte für die Planung und Vorbereitung eines entsprechenden Ersatzneubaus. Jedoch erscheint auch der Verbleib der Bauwerke im Netz bis zum planmäßigen Lebensende möglich. Das vorgestellte Vorgehen bietet somit die Chance nicht nur Kosten, sondern auch Ressourcen zu sparen. Literatur [1] TGL 0-4227, Spannbeton - Berechnung und Ausführung, Mai 1963. [2] TGL 173-33: Spannblockverfahren, Spannglieder mit Nennspannkraft 600 bis 1600 Mp. 1967. [3] Leonhardt, F.: Vorspannung mit konzentrierten Spanngliedern: Verfahren Baur-Leonhardt. Richtlinien für Entwurf und Bauausführung. Berlin: W.-Ernst, 1956. [4] Lippold, P.: Konzentrierte Spannglieder im Straßenbrückenbau. Bauplanung - Bautechnik, Heft 4/ 1969, S. 172. [5] Nürnberger, U.: Korrosion und Korrosionsschutz im Bauwesen. Wiesbaden und Berlin: Bauverlag, 1995. ISBN: 37625319 [6] Hickling, J.: Dehnungsinduzierte Rißkorrosion: Spannungsrißkorrosion oder Schwingungsrißkorrosion. In: Der Maschinenschaden 55 (1982) Nr. 2, S. 95-105 [7] Wilhelm, T.: Wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion, Dissertation, TU Dresden, 2014. [8] Obmannschreiben 2021-13, Gero Marzahn, Bundeministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2021. [9] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl erstellt wurden (Handlungsanweisung Spannungsriss-korrosion), Ausgabe 06/ 2011. [10] Schacht, G., Käding, M., Bolle, G. and Marx, S.: Konzepte für die Bewertung von Brücken mit Span- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 243 Spannungsrisskorrosion in konzentrierten Spanngliedern - Erfahrungen aus einem gesamtheitl. Bewertungsansatz für zwei Bauwerke in Döbeln (Sachsen) nungsrisskorrosionsgefahr. Beton- und Stahlbetonbau, 114: 85-94, 2019. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.201800087 [11] TGL 101-036 Blatt 1: Spannstahl St 140/ 160, ölschlussvergütet, oval gerippt. 1962. [12] Käding, M.; Schacht, G.; Marx, S.: Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten. In: Isecke,- B.; Krieger, J. (Hrsg.): 4. Brückenkolloquium, 8./ 9.09.2020 in Esslingen, S. 549-560. [13] Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung: Richtlinie SE05 - Detektion von Spanndrahtbrüchen mit Schallemissionsanalyse, Berlin, 2024. [14] Käding, M., Marx, S. and Schacht, G. (2022). Schallemissionsmonitoring zur Spanndrahtbruchdetektion. In 2023 BetonKalender (eds K. Bergmeister, F. Fingerloos and J.-D. Wörner). https: / / doi. org/ 10.1002/ 9783433611180.ch15
