eJournals Brückenkolloquium 6/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
0925
2024
61

Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistischer Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken

0925
2024
Alois Vorwagner
Marian Ralbovsky
Ursula Freundt
Rolf Kaschner
Omar Bisia Castillo Chang
Andreas Taras
Stefan Martinolli
Alain Nussbaumer
Markus Vill
In den vergangenen Jahrzehnten ist ein signifikanter Anstieg des Schwerverkehrsaufkommens auf den Straßen Europas zu verzeichnen. Gleichzeitig wurden zahlreiche Ingenieurbauwerke errichtet, die bereits über 40 Jahre alt sind. Ihre Konzeption erfolgte unter Berücksichtigung der damaligen Normen, Verkehrszahlen sowie Lasten. Eine wesentliche Herausforderung bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken besteht darin, dass aktuelle Lastmodelle für den Brückenneubau und künftige Lasten konzipiert wurden und können daher nicht unmittelbar für die Nachrechnung von Bestandsbrücken bei geringerer Restnutzungsdauer herangezogen werden. Zwar bieten aktuelle Regelwerke die Möglichkeit konservative Pauschalfaktoren oder Verkehrsmessdaten in einem stufenweisen Konzept zu verwenden, aber gerade diese Vorgehensweise findet in der Praxis kaum Anwendung. Messdaten gestützte Verfahren werden als zu komplex erachtet, wobei aber die Weigh-In-Motion (WIM)-Technologie ein großes Potenzial für eine spezifische Bewertung unter Berücksichtigung der realen Achslastverteilung bietet. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des FFG-VIF DACH-Projekts REALLAST ein Algorithmus zur Kalibrierung von Lastmodellen für streckenspezifische Autobahnabschnitte vom Konsortium, bestehend aus der ETH Zürich, der EPFL Lausanne, dem Ingenieurbüro Freundt, der VILL-ZT GmbH sowie dem AIT Austrian Institute of Technology GmbH, entwickelt. Die Analyse von Verkehrsdaten im D-A-CH raum zeigt, dass es streckenweise zu starken Schwankungen der Belastungen kommt. Die streckenspezifische Kalibrierung von Anpassungsfaktoren des LM1 nach EN1991-2 erlaubt eine ortsund verkehrsspezifische Optimierung der Lasten für bestehende Brücken auf bis zu 30 km langen Strecken. Während bei geringen Brückenspannweiten der Fließverkehr dominiert, ist bei Spannweiten von über 30 Metern der Stau maßgeblich. Es wurde ein Potenzial für eine Reduzierung der Lastansätze um 20 bis 50 % im Vergleich zu den in der EN 1991-2 definierten Lastmodellen identifiziert. Die Methodik leistet damit einen direkten Beitrag zur Verlängerung der Restnutzungsdauer von Bestandsbrücken und damit zur Verbesserung der Nachhaltigkeit.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 245 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistischer Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken Ergebnisse des FFG-VIF DACH Projekts REALLAST DI Dr. Alois Vorwagner AIT Austrian Institute of Technology, Wien, Österreich DI Marian Ralbovsky, PhD AIT Austrian Institute of Technology, Wien, Österreich Prof. Dr.-Ing. Ursula Freundt Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar Dipl.-Math. Rolf Kaschner Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar Omar Bisia Castillo Chang, M. Sc. Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar Prof. DI Dr. Andreas Taras Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Institut für Baustatik und Konstruktion, Zürich, Schweiz Stefan Martinolli, M. Sc. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Institut für Baustatik und Konstruktion, Zürich, Schweiz Prof. Dr. Alain Nussbaumer École Polytechnique Fédérale de Lausanne, Lausanne, Schweiz FH-Prof. DI Dr. Markus Vill VILL ZT-GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung In den vergangenen Jahrzehnten ist ein signifikanter Anstieg des Schwerverkehrsaufkommens auf den Straßen Europas zu verzeichnen. Gleichzeitig wurden zahlreiche Ingenieurbauwerke errichtet, die bereits über 40 Jahre alt sind. Ihre Konzeption erfolgte unter Berücksichtigung der damaligen Normen, Verkehrszahlen sowie Lasten. Eine wesentliche Herausforderung bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken besteht darin, dass aktuelle Lastmodelle für den Brückenneubau und künftige Lasten konzipiert wurden und können daher nicht unmittelbar für die Nachrechnung von Bestandsbrücken bei geringerer Restnutzungsdauer herangezogen werden. Zwar bieten aktuelle Regelwerke die Möglichkeit konservative Pauschalfaktoren oder Verkehrsmessdaten in einem stufenweisen Konzept zu verwenden, aber gerade diese Vorgehensweise findet in der Praxis kaum Anwendung. Messdaten gestützte Verfahren werden als zu komplex erachtet, wobei aber die Weigh-In-Motion (WIM)-Technologie ein großes Potenzial für eine spezifische Bewertung unter Berücksichtigung der realen Achslastverteilung bietet. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des FFG-VIF DACH-Projekts REAL- LAST ein Algorithmus zur Kalibrierung von Lastmodellen für streckenspezifische Autobahnabschnitte vom Konsortium, bestehend aus der ETH Zürich, der EPFL Lausanne, dem Ingenieurbüro Freundt, der VILL-ZT GmbH sowie dem AIT Austrian Institute of Technology GmbH, entwickelt. Die Analyse von Verkehrsdaten im D-A-CH raum zeigt, dass es streckenweise zu starken Schwankungen der Belastungen kommt. Die streckenspezifische Kalibrierung von Anpassungsfaktoren des LM1 nach EN1991-2 erlaubt eine orts- und verkehrsspezifische Optimierung der Lasten für bestehende Brücken auf bis zu 30 km langen Strecken. Während bei geringen Brückenspannweiten der Fließverkehr dominiert, ist bei Spannweiten von über 30 Metern der Stau maßgeblich. Es wurde ein Potenzial für eine Reduzierung der Lastansätze um 20 bis 50 % im Vergleich zu den in der EN 1991- 2 definierten Lastmodellen identifiziert. Die Methodik leistet damit einen direkten Beitrag zur Verlängerung der Restnutzungsdauer von Bestandsbrücken und damit zur Verbesserung der Nachhaltigkeit. 246 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken 1. Einführung Die EU-weite Einführung des Lastmodells nach EN 1991- 2 [1] (LMx) wurden auf Basis von Daten hoch belasteter Abschnitte entwickelt, das charakteristische Niveau entspricht einer Wiederkehrperiode von 1.000 Jahren. Damit sollen künftige Anforderungen für neu zu errichtende Brücken enthalten sein. Folglich ergeben sich Herausforderungen bei der Anwendung für Nachrechnung auf bereits nach den alten Normen errichteten Brücken. Die drei D-A-CH-Länder haben auf diese Problematik reagiert und entsprechende Nachrechnungsnormen für Bestandsbrücken entwickelt. Diese enthalten abgestufte Nachweiskonzepte, welche auch moderne Nachweismethoden wie probabilistische Untersuchungen und die Einbeziehung von Messdaten erlauben. Diese finden jedoch nur selten Anwendung, deshalb werden meist konservative pauschal angesetzte Faktoren verwendet. Als Gründe hierfür werden die Komplexität der Aufgabenstellung sowie der erforderliche hohe Spezialisierungsgrad vermutet. Zudem sind in der dazu benötigten EN 1990 (noch) nicht alle Details vollständig geregelt, sodass Expertenannahmen getroffen werden müssen. Bei der Verwendung realer Messdaten ist die prognostizierte Zunahme des Verkehrsaufkommens zu berücksichtigen. Des Weiteren sind Entwicklungen in der Fahrzeugtechnik zu bedenken. Als Beispiele für mögliche Veränderungen der Lastprofile sind neue LKW-Verbände wie Truck-Platooning, Lang-LKWs oder mit einer Batterie zusätzlich beladene E-LKWs zu nennen. Die Diskussion wird zudem durch die EU-weiten Überlegungen zum „Green Freight Traffic“ intensiviert. So wird seitens der Europäischen Kommission die Möglichkeit einer Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts für E-LKWs in Betracht gezogen (vgl. hierzu auch [2]). Aus diesem Grund wurde im Rahmen des FFG-VIF DACH-Projekts REALLAST ein Algorithmus zur streckenspezifischen Kalibrierung von Lastmodellen für Autobahnabschnitte, vom Konsortium bestehend aus der ETH Zürich, der EPFL Lausanne, dem Ingenieurbüro Freundt, der VILL-ZT GmbH sowie dem AIT Austrian Institute of Technology GmbH, entwickelt [3]. Die Grundzüge der Methodik, die Integration von Verkehrsdaten und Messungen in die Lastermittlung für bestehende Brücken sowie die Anwendung werden in diesem Beitrag vorgestellt. 2. Hintergründe zu Lastmodellen Die Bemessung von neuen Straßenbrücken erfolgt gemäß dem in der Norm EN 1991-2 [1] definierten Modell. Die Ableitung dieses Verkehrslastmodells erfolgte auf der Grundlage von Achslastmessungen, welche unter anderem ab dem Jahr 1986 insbesondere in der Nähe der französischen Stadt Auxerre durchgeführt wurden [4]. Als Grundlage dienten Strecken mit einer sehr hohen LKW- Belastung, welche durch zusätzliche Annahmen über das zukünftige Verkehrsaufkommen ergänzt wurden. Das in den Eurocodes etablierte Sicherheitskonzept unter Betrachtung von Grenzzuständen war Gegenstand folgender wissenschaftlicher Untersuchungen, welche 1994 mit der Dissertation von Merzenich [5] eine europäische Normbasis erreichten. Die Forschungsarbeiten fokussierten sich auf den Entwurf neuer Brücken und umfassten sowohl die bis dato vorliegenden deutschen und europäischen Verkehrsdaten aus Messungen als auch die EDVgestützte Verarbeitung. Sie entsprechen dem Stand der 1990er-Jahre und führten zu weiterführenden Arbeiten, beispielsweise von Böning [6] und Kraus [7]. Alle genannten Ansätze basieren auf gemessenen oder abgeleiteten Verkehrsdaten. Diese verwenden als Alternative für die Brückennachrechnung die ortsspezifischen Beanspruchungen aus dem Straßenverkehr über Bauwerksmessdaten. Allen Ansätzen ist eine Datengrundlage gemein, die eine Extrapolation für lange Betrachtungszeiträume (100-1000 Jahre) erlaubt und ein Optimierungspotenzial für den Grenzzustand der Traglast aufzeigen. Die aktuell in Europa implementierten Ermüdungslastmodelle basieren ebenfalls auf Messungen aus dem Jahr 1986 [4]. Die Eignung dieser Modelle für den gegenwärtigen Verkehr auf Bestandsbrücken wurde in mehreren Studien evaluiert und mit WIM-Datenbanken verglichen. Auch hier besteht weiterhin signifikantes Verbesserungspotenzial (siehe Croce [8], Maljaars [9], oder Nussbaumer et al. [10]). Die Schaffung eines EU-weit hohen Belastungsniveaus ist eine zielführende und nachhaltige Strategie für den Neubau von Straßenbrücken. Vor allem unter dem Standpunkt, dass Brücken für eine lange Lebensdauer ausgelegt sind. Dies steht jedoch im Widerspruch zum vorhandenen Brückenbestand sowie deren möglichen Verlängerung der Restnutzungsdauer. Aufgrund der Tatsache, dass die tatsächlichen Verkehrslasten sowohl in örtlicher als auch in zeitlicher Hinsicht Schwankungen unterliegen, besteht bei der Nachrechnung älterer Bestandsbrücken die Möglichkeit, diese Abweichungen von den aktuell geltenden Normen zu berücksichtigen, und damit länger zu Nutzen ohne das Sicherheitsniveau zu verletzten. Des Weiteren ist bekannt, dass die Verkehrsbelastung maßgebliche Faktoren in der Alterung der Straßeninfrastruktur darstellen. Von entscheidender Bedeutung ist der Einfluss der Achslast auf die Materialermüdung, insbesondere von Beton, Stahl und Asphalt, welcher mitunter mit der vierten Potenz einhergeht. Eine orts- und objektbezogene Erfassung stellt einen wesentlichen Aspekt dar, um eine verlängerte Restnutzungsdauer von Bestandsbrücken zu ermöglichen. Die in den Nachrechnungsrichtlinien aufgeführten Verfahren der messwertgestützten Bemessung der höheren Stufen finden in der praktischen Anwendung noch zu wenig Berücksichtigung. Ein Grund hierfür ist, dass die Verfahren als sehr komplex wahrgenommen werden und deshalb derzeit meist nur im ingenieurwissenschaftlichen Umfeld Anwendung finden. Eine wesentliche Verbesserung könnte erzielt werden, wenn bekannte Lastmodelle wie das LM1 mit dem Anpassungsfaktor α auf tatsächlich gefahrene Lasten, Achsabstände, Fahrzeugabstände etc. sowie auch mögliche Verkehrsszenarien kalibriert würden (siehe Schema in Abb. 1). 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 247 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken Abb. 1: Schematische Tandem Achsen des LM1 nach EN 1991-2 [1]. 3. Reallast Algorithmus Der Reallastalgorithmus ermöglicht die Nutzung von Verkehrsmessdaten für die Nachrechnung von Brücken. Er basiert auf der Verwendung von streckenspezifischen Daten unterschiedlicher Quellen, anhand derer Lastmodelle in der Grundform gemäß dem Eurocode Modell kalibriert werden. Damit sollen spezifische Nachrechnungen von Brücken ohne wissenschaftliche Methoden oder probabilistische Berechnungen einfacher möglich werden. Der Algorithmus ist unterteilt in vier Module. Verkehrs- und Brückendaten werden zunächst getrennt auf bereitet und verarbeitet (Module 1-3), bevor sie zum Schluss wieder miteinander kombiniert werden (Modul 4). Der Reallast Algorithmus besteht aus: • Modul 1 Verkehrsdatenfusion • Modul 2 Verkehrssimulation • Modul 3 Brückenanalyse • Modul 4 Lastmodell Kalibrierung Die Auf bereitung maßgeblicher Verkehrskenngrößen erfolgt im Modul 1 auf Basis von Daten aus unterschiedlichen Quellen und mit verschiedenen Verfügbarkeiten von Verkehrsdatensätzen. Dazu zählen beispielsweise Zähl- und WIMsowie Videodaten. In die Betrachtung einbezogen werden unterschiedliche Stauhäufigkeiten (von 1-9- %), Szenarien für einen Verkehrszahlenzuwachs, eine Erhöhung der Achslasten für E-LKW sowie Verkehr mit und ohne dauergenehmigten Schwerverkehr (mGSV, oGSV). Eine Übersicht der angenommenen Parameter ist in Abb. 2 bzw. in der Tab. 1 enthalten. Vorhandene ortspezifische verfügbare Verkehrsdaten (Zähldaten, WIM-Daten, Videodaten etc.) werden im Modul 1 entsprechend auf bereitet. Zu diesem Zweck wurden entsprechende Filteralgorithmen entwickelt. Ein erster Schwerpunkt war die Datenfusion, vor allem wie im Falle einer unzureichenden Datenverfügbarkeit zu verfahren sei. Insbesondere bei Nichtvorliegen von Achslastmessungen müssen die Lasten hinreichend genau angenommen werden. In diesem Zusammenhang wurden in umfassender statistischer Auf bereitung [3] Vorschläge für die Komplementierung von Verkehrsdaten ausgearbeitet sowie ein Algorithmus zur Datenfusion aus unterschiedlichen Mess- und Aufzeichnungsstellen entwickelt. Auf diese Weise liegen länderspezifische Verkehrsdaten vor, die um ortsspezifische Besonderheiten und Prognoseszenarien (Tab.1) für eine Restnutzungsdauer erweitert werden. Die fusionierten Daten sind nach Merkmalen in Abb. 2 - Ergebnisbeschrieben und dienen als Basis für die darauffolgende Verkehrssimulation. Abb. 2: Modul 1- Datenfusion & streckenspezifische Verkehrseigenschaften. Eingangsgrößen im Modul 2 sind Verteilungsfunktionen welche anhand der Messdaten entsprechend angepasst wurden. Dabei wurden die Parameter auf fünf als maßgebende identifizierte LKW-Typen reduziert (vgl. Abb. 3) auf denen das gesamte Verkehrsaufkommen entsprechend aufgeteilt wurde. Der Verkehr in den erstellten Verkehrsszenarien wurde getrennt für Fließ- und Stauverkehr über mehrere Jahre simuliert (Abb. 3). Für Verkehrssituationen und Szenarien, die sich nicht mit hinreichender Sicherheit aus verfügbaren Verkehrsdaten ableiten lassen, beispielsweise Daten des dauergenehmigten Schwerverkehrs, Verkehrsentwicklung in den nächsten 25 Jahre, Achslaständerungen aufgrund von E-Lkw oder Abstände des Schwerverkehrs im Stau, wurden zusätzliche Untersuchungen durchgeführt und begründete Annahmen nach Tab. 1 getroffen. Alle nicht dauergenehmigten Sondertransporte werden stets gesondert untersucht und werden im Reallast Al- 248 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken gorithmus nicht weiter betrachtet. Das Ergebnis sind auf Messdaten basierende errechnete Achslastfolgen (Verkehrsbänder). Die Verkehrsbänder werden dann zur Ermittlung von Schnittgrößen verschiedener Brückensysteme in der Brückenanalyse (Modul 3 und 4) genutzt. Es entstehen somit Verkehrsschnittgrößen - Zeitfolgen für ausgewählte Brücken der Streckenabschnitte. Tab. 1: Eingangsdaten für künftige Verkehrsereignisse in Modul 1 und Modul 2. Zeithorizont der Betrachtung 25 Jahre Jährlicher Zuwachs der LKW- Anzahl + 1,25 % Kumulierter Zuwachs der LKW- Anzahl + 36,42 % Jährlicher Zuwachs der PKW- Anzahl + 0,5 % Kumulierter Zuwachs der PKW- Anzahl + 13,28 % Erhöhung vom LKW-Gesamtgewicht, LKW bis zu 5 Achsen + 1 t Erhöhung vom LKW-Gesamtgewicht, LKW mit mehr als 5 Achsen + 2 t Dauergenehmigter Schwerverkehr GSV länderweise (max, min Werte) AT: 60 t Mobilkran 3 FZ / Tag CH: 60 t Mobilkran 1,6‰ u. 0,3‰ vom DTV SV *) CH: 72 t Mobilkran 0,8‰ u. 0,1‰ vom DTV SV *) DE: 60 t Mobilkran 3‰ u. 1,5‰ vom DTV SV *) *) Die maximale und minimale Annahmen stehen für verschiedene Verkehrsfälle Im Rahmen der durchgeführten Untersuchung wurden Einflusslinien und Einflussflächen für verschiedene Brücken in mehreren 30-km-Autobahnabschnitten ermittelt (Modul 3), wobei die realen Brücken den zu untersuchenden Gegenstand bildeten. Neben dem System und der Geometrie spielten auch Randbedingungen wie dynamische Lasterhöhung oder probabilistische Einflüsse wie das Verhältnis von Eigengewicht im Vergleich zur Nutzlast eine wesentliche Rolle. Das Ziel der ermittelten, nachweisrelevanten Verkehrsschnittgrößen im Modul 4 besteht in einem Vergleich mit den normativen Verkehrsschnittgrößen, worauf hin eine Anpassung des LM 1 aus EN 1991-2 erfolgen kann. Die Anpassung des LM 1 wird durch eine geeignete Kalibration der -Werte vorgenommen (siehe Abb. 4). Damit können die Anpassungsfaktoren (α-Faktoren) für Moment und Querkraft für die Traglast LM1 und Ermüdung ELM (l-Faktoren) für ortsspezifischen Verkehr und Brücken gefunden werden (Abb. 4). Diese Anpassungsfaktoren können für den ULS Semi- oder Vollprobabilistisch ermittelt werden, für Ermüdung wurde eine Kalibrierung über die Schädigung gewählt. Abb. 3: Modul 2- Verkehrssimulation. In Übereinstimmung mit den Empfehlungen und Festlegungen der Europäischen Normen (EN 1990 und EN 1991-2) für Nachweise der Standsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit werden auf zwei Wegen die nachweisrelevanten Werte definierter Kenngrößen aus Verkehr (Biegemomente, Querkräfte, Auflagerkräfte usw.) unter Beibehaltung des definierten Sicherheitsniveaus im Modul 4 bestimmt. Der eine Weg folgt der statistischen Auswertung von Verkehrsschnittgrößen-Zeitfolgen gemäß der Definition der charakteristischen Werte nach EN 1991-2 im Abschnitt 2.2 [1] mit der Festlegung einer Wiederkehrperiode von 1/ 1000-mal in einem Jahr. Der zweite Ansatz basiert auf zuverlässigkeitstheoretischen Untersuchungen, wobei zunächst die Versagenswahrscheinlichkeiten sowie die Bemessungswerte und Wichtungsfaktoren für streuende Basisvariablen, im vorliegenden Fall die Kennwerte des Verkehrs, ermittelt werden. Auch hier bildet die Verkehrsschnittgrößen-Zeitfolge die Grundlage. Für die Versagenswahrscheinlichkeit sind in der EN 1990 (im Anhang C) Zielwerte definiert, wobei bei diesen Vorgaben ein minimaler Sicherheitsindex angegeben wird. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 249 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken Abb. 4: Modul 3 Brückenanalyse und Modul 4 Lastmodellkalibrierung. 4. Anwendung des Reallast Algorithmus Im Rahmen der Untersuchung wurden drei Anwendungsfälle in den jeweiligen D-A-CH Länder betrachtet. Einer davon befindet sich in Österreich an einer 30 km Strecke an der A2 Südautobahn (von Wien nach Graz) in der Nähe von Gleisdorf (vgl. Abb. 5). Dieser Streckenabschnitt wird hier näher präsentiert. Er verfügt über zwei Fahrstreifen mit einer WIM-Anlage im rechten Fahrstreifen bei Ilz sowie drei Zählstellen mit den Nummern 354, 361 und 373. Die Daten zu Verkehr und Brücken wurden auf Basis übermittelter Betreiberdaten auf bereitet und der Reallast-Algorithmus mit allen vier Modulen angewandt. Abb. 5: Übersicht Use Case Österreich. Das Modul 1- Sensorfusion wurde für vier unterschiedliche Fälle der Datenverfügbarkeit getestet, welche wie folgt definiert sind: • Fall 1- Keine Daten: In diesem Fall wird die User-Vorgabe der Verkehrsaufkommensstufe (gering, mittel, stark) verwendet. Alle weiteren notwendigen Verkehrsparameter (Spurverteilung und Zusammensetzung, periodische Änderung, Gewichtsverteilungen, Abstände und Staumodelle) werden aus der statistischen Auf bereitung aller verfügbaren Zähldaten abgeleitet. Die Gewichtsverteilung (leicht, mittel, schwer) wird aus den länderspezifischen WIM- Daten in diesem Fall AT verwendet, wobei per Vorgabe konservativ die schwerste Ländergewichtsverteilung gewählt wird. • Fall 2: Bekanntes Verkehrsaufkommen - Anzahl der LKWs und PKWs: Es folgt die Sensorfusion für das bekannte Verkehrsaufkommen kombiniert mit der Annahme des Gesamtgewichts (leicht, mittel, schwer). Dieses wird wieder wie im Fall 1 konservativ mit der Stufe schwer des jeweiligen Landes vorgeben. • Fall 3 Bekannte lokale Zähldaten: Die Sensorfusion der Verkehrsparameter erfolgt aus den vorliegenden lokalen Zähldaten. Die Annahme des Gesamtgewichts (leicht, mittel, schwer) erfolgt wieder länderspezifisch mit der Stufe schwer, abgeleitet aus den WIM-Daten. • Fall4 Bekannt lokale WIM+Zähldaten: Im Rahmen von Fall 4 werden zusätzlich zu den Zählauch die lokalen WIM-Daten einbezogen. Dieser Fall stellt den besten Stand der Datenverfügbarkeit dar. Für die Sensorfusion wurden alle 4 unterschiedliche Fälle der Datenverfügbarkeit auf bereitet, in der weiteren Betrachtung der Verkehrssimulation (siehe [11]) und Lastmodellkalibrierung jedoch nur mehr die Fälle 2 und 4 miteinander verglichen. Die Ergebnisse der Anpassungsfaktoren für das LM1 sind für den Use-Case Österreich in Abb. 6 und Abb. 7 übersichtlich dargestellt. Dabei wurden die -Werte für den Fall 2 (bekannt nur das Verkehrsaufkommen) und Fall 4 (bekannte Zähl+WIM Daten) als semiprobabilistische Modellkalibrierung ausgewertet. Zur besseren Übersicht wurden die Einwirkungsgrößen Biegung und Querkraft getrennt voneinander abgebildet. Unterschieden wurde außerdem, ob der genehmigungspflichtige Schwerverkehr (mGSV-Abb. 6) oder nicht (oGSV-Abb. 7) nach Tab. 1 einbezogen worden ist. Es ist klar erkennbar, wenn im Fall 4 mehr und genauere Verkehrsdaten vorliegen, sich die - Faktoren von auf reduzieren. Auch der Einfluss des dauergenehmigten Schwerverkehr (mGSV), ist trotz der geringen prozentuellen Anteile aufgrund der Extremwertableitungen maßgebend. Ohne dauergenehmigte Schwerfahrzeuge betragen die Werte bzw. , und sind nochmals nahezu 20 % geringer. Auffallend ist, dass kurze Stützweiten tendenziell höhere a-Faktoren aufweisen, was zum einen auf die höheren dynamischen Effekte zurückzuführen ist. Zum anderen sind in diesem betrachteten Streckenabschnitt Durchlaufträger (DLT) mit kurzen Stützweiten vorhanden. Hier bildet das Lastmodell mit der Grundform der Tandemachse mit Gleichlastdie 250 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken unter realen Verkehrssituationen auftretenden Stützmomente weniger konservativ ab als es im Falle des Feldmomentes. Während bei kleinen Brückenspannweiten der Einfluss des Fließverkehrs überwiegt, ist bei Spannweiten ab ca. 30 m der Einfluss von Staus maßgeblich. Abb. 6: Ergebnisse der semiprobabilistischen Lastmodell-Kalibrierung: Use Case Österreich mit Berücksichtigung des dauergenehmigten Schwerverkehrs für Biegemomente (links) und Querkräfte (rechts). Im Fall 2 ist nur das Verkehrsaufkommen und im Fall 4 sind WIM und Zähldaten bekannt. Abb. 7: Ergebnisse der semiprobabilistischen Lastmodell-Kalibrierung: Use Case Österreich ohne Berücksichtigung des dauergenehmigten Schwerverkehrs. Im Fall 2 ist nur das Verkehrsaufkommen und im Fall 4 sind WIM und Zähldaten bekannt. 5. Zusammenfassung & Schlussfolgerungen Im Rahmen des VIF-DACH-Forschungsprojekts REAL- LAST wurde ein Algorithmus entwickelt, der eine Anpassung der Verkehrsbelastungsmodelle der Autobahnen an das real gemessene Verkehrsaufkommen sowie gemessene Achslasten ermöglicht. Wesentliche Merkmale der entwickelten Methodik, das Grundschema zur Einbindung von gemessenen Verkehrsdaten in die Belastungsanalyse bestehender Brücken sowie ein Anwendungsbeispiel in Österreich wurden vorgestellt. Bei der Entwicklung des Algorithmus wurden zudem die Auswirkungen des zukünftigen Verkehrsaufkommens sowie mögliche leichte Erhöhung der Achslasten in Bezug auf batteriebetriebenen E-LKWs berücksichtigt. Die Ermittlung charakteristischer Verkehrslasten kann sowohl streckenspezifisch als auch brückenspezifisch erfolgen, sofern die entsprechenden Verkehrs- und Brückendaten verfügbar sind. Im Rahmen des Projekts wurde ein Sensorfusion-Ansatz entwickelt, der die Verkehrsdaten im Falle ihrer Nichtverfügbarkeit durch statistische Grundannahmen länderweise „schätzen“ kann. Mit einer Zunahme des Kenntnisstandes und der Datenverfügbarkeit ist eine tendenzielle Verbesserung der Kalibration zu erwarten. Der Einfluss des genehmigungspflichtigen Schwerverkehrs und schwerer Sattelschlepper war insbesondere bei Brücken mit kurzen Spannweiten signifikant. Eine Überladung ist die Ursache für große Belastungen, daher müssen Gewichtskontrollen bzw. Überwachungsmöglichkeiten für Lkw durchgesetzt werden. Während bei kleinen Brückenspannweiten der Einfluss des Fließverkehrs überwiegt, ist bei Spannweiten ab ca. 30 m der Einfluss von Staus maßgeblich. Die grundlegende Regelung des voll-probabilistischen Nachweises findet sich in der EN 1990, allerdings fehlen darin spezifische Informationen und Faktoren für Brückenlasten auf Basis von WIM-Daten. Empfehlungen zur Lastseite sind im REAL-LAST-Bericht [3] enthalten. Die Methodik ist ebenfalls für eine semiprobabilistische Kalibrierung anwendbar, wobei eine Nachrechnung gemäß diverser Nachrechnungsrichtlinien, insbesondere im Sinne der Stufe 3, möglich wäre. Eine mögliche Integration umfasst die Verwendung charakteristischer Verkehrslasten aus ortsspezifischen Untersuchungen, während alle anderen Faktoren mit Teilsicherheitsbeiwerten gemäß der geltenden Norm behandelt werden könnten, und somit auch für die Praxis leicht anwendbar sind. Danksagung Die vorliegenden Arbeiten wurden im Rahmen des FFG- VIF-Dach-Projekts „Reallast“ zur Förderung von Realen Verkehrslastmodellen von Brückenbauwerken im Rahmen der D-A-CH-Kooperation Verkehrsinfrastrukturforschung DACH 2021 unterstützt. Die Autoren möchten sich bei den Auftraggebern (BMVD, BMK, Bundesamt für Straßen ASTRA) sowie auf Betreiberseite ASFiNAG, BASt und ASTRA der drei D-A-CH Länder sowie der FFG für die exzellente Zusammenarbeit, ergebnisorientierte Diskussionen und Unterstützung und Förderung des Projekts bedanken. Literatur [1] DIN EN 1991-2/ NA: 2012-08, Nationaler Anhang_- National festgelegte Parameter_- Eurocode_1: Einwirkungen auf Tragwerke_- Teil_2: Verkehrslasten auf Brücken“. Beuth Verlag GmbH. doi: 10.31030/ 1884309. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 251 Ein neuer Algorithmus zur Erstellung realistische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken [2] DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIA- MENT AND OF THE COUNCIL amending Council Directive 96/ 53/ EC. 2023. [3] A. Vorwagner et. al, Reale Verkehrslastmodelle von Brückenbauwerken, Ergebnisbericht Projekt REAL-LAST, DACH Kooperation 2021 Verkehrsinfrastrukturforschung, 2024. https: / / projekte.ffg. at/ projekt/ 4213287 [4] G. Sedlacek u. a., Background document to EN 1991- Part 2 - Traffic loads for road bridges and consequences for the design. 2008. [Online]. Verfügbar unter: https: / / scribd.com/ document/ 253441678/ 06- Ma n u s - S e dl a c e k- 1 -B a c k g r o u n d -Do c u m e n tto-en-1991-Part-2-Traffic-Loads-for-Road-Bridges [5] G. Merzenich, „Entwicklung eines europäischen Verkehrslastmodells für die Bemessung von Straßenbrücken“, RWTH Aachen, 1994. [Online]. Verfügbar unter: https: / / publications.rwth-aachen.de/ record/ 78308 [6] S. Böning, Entwicklung einer geschlossenen Vorgehensweise zur Ermittlung von Beanspruchungen von Brückenbauwerken infolge Straßenverkehr. In Berichte aus dem Bauwesen. Aachen: Shaker, 2013. [7] J. K. Kraus, Zur analytischen Herleitung von Verkehrslastmodellen für die Tragfähigkeit und Ermüdung von Straßenbrücken. in Heftreihe des Instituts für Bauingenieurwesen, no. 30. Düren: Shaker, 2021. [8] P. Croce, „Impact of Road Traffic Tendency in Europe on Fatigue Assessment of Bridges“, Applied Sciences, Bd. 10, Nr. 4, S. 1389, Feb. 2020, doi: 10.3390/ app10041389. [9] J. Maljaars, „Evaluation of traffic load models for fatigue verification of European road bridges“, Engineering Structures, Bd. 225, S. 111326, Dez. 2020, doi: 10.1016/ j.engstruct.2020.111326. [10] Nussbaumer, A., Oliveira Pedro, J., Pereira Baptista, C.A., Duval, M. (2019). Fatigue Damage Factor Calibration for Long-Span Cable-Stayed Bridge Decks. In: Correia, J., De Jesus, A., Fernandes, A., Calçada, R. (eds) Mechanical Fatigue of Metals. Structural Integrity, vol 7. Springer, Cham. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-030-13980-3_47 [11] U. Freundt u.- a., „REAL-LAST: generierte Daten zur Verkehrsbelastung von Brückenbauwerken“. 30. April 2024. doi: 10.5281/ zenodo.11072646.