eJournals Brückenkolloquium 6/1

Brückenkolloquium
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expert verlag Tübingen
0925
2024
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Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen

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Heinz Friedrich
Im vorliegenden Beitrag werden vier von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) initiierte und durchgeführte Projekte zur „Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen“ beschrieben. Dabei handelt es sich um ein innovatives Instandsetzungs- bzw. Verstärkungsverfahren, das darauf abzielt, die Durchbiegungen und Spannungen an den Schweißnähten zu reduzieren. Ein ausführlicher Bericht zu den durchgeführten Untersuchungen kann über die Schriftenreihe der BASt bezogen werden.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 305 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen Dr.-Ing. Heinz Friedrich Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag werden vier von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) initiierte und durchgeführte Projekte zur „Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen“ beschrieben. Dabei handelt es sich um ein innovatives Instandsetzungsbzw. Verstärkungsverfahren, das darauf abzielt, die Durchbiegungen und Spannungen an den Schweißnähten zu reduzieren. Ein ausführlicher Bericht zu den durchgeführten Untersuchungen kann über die Schriftenreihe der BASt bezogen werden [1]. 1. Einleitung Ein Großteil der heute stehenden Stahlbrücken wurde in den 1960er Jahren errichtet, als man die Problematik der Materialermüdung noch nicht vorhergesehen hat. Seit Ende der 1990er Jahre ist bei diesen Bauwerken eine stetige Zunahme von Schäden zu verzeichnen, die durch die geringe Ermüdungsfestigkeit einzelner Konstruktionsdetails in Kombination mit erhöhten Beanspruchungen durch den wachsenden Schwerverkehr verursacht werden. Da Erweiterungsmaßnahmen, wie z. B. ein Ersatzneubau, sowohl mit hohen Kosten als auch mit langwierigen Genehmigungsverfahren verbunden sind, gilt es, den Bestand der vorhandenen Bauwerke nachhaltig zu sichern. In der Vergangenheit durchgeführte Reparaturen, die sich meist nur auf das Nachschweißen der schadhaften Stellen beschränkt haben, erwiesen sich im Nachhinein oft als kostspielige Maßnahmen, die in etlichen Fällen nicht zu dem erhofften Erfolg führten. Um auch bei weiter ansteigenden Ermüdungsbeanspruchungen eine hinreichende Restlebensdauer sicherzustellen, werden wirksame Konzepte und neue Lösungen für die Erhaltung von Stahlbrücken erforderlich. 2. Ziel Mit dem Lösungsansatz „Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen“ soll eine Reduzierung der Durchbiegungen und Spannungen an den Schweißnähten erreicht werden. Die beabsichtigte Wirkung lässt sich jedoch nur erzielen, wenn es gelingt, eine vollflächige, kraftschlüssige und dauerhafte Verbindung zwischen dem vorhandenen Deckblech und den Verstärkungsblechen herzustellen. Während klassische Fügeverfahren wie Nieten, Schrauben oder Schweißen hierfür nur bedingt geeignet sind, lässt sich mit dem „Kleben“ eine gleichmäßige Spannungsbzw. Kraftverteilung über die gesamte Klebfläche erreichen. Die Abwicklung erfolgte in vier aufeinander bezogenen Projekten: • Numerische Untersuchungen, • Optimierung der Klebtechnologie, • Dauerfestigkeitsuntersuchungen, • Fugen- und Randausbildung. Das Ziel war es, den klebtechnischen Prozess auf die speziellen Rahmenbedingungen abzustimmen, die bei der Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten bestehen: 3. Numerische Untersuchungen Im Rahmen des Projekts „Numerische Untersuchungen“ wurden die Auswirkungen einer Verstärkung des Deckblechs von 12-mm auf 18-mm und auf 24-mm an dem Beispiel der orthotropen Platte der stählernen Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp numerisch untersucht. Die Modellierung der Belastung entspricht dem Ermüdungslastmodell 3 des Eurocodes 1. Für vier unterschiedliche Lastfälle wurden die örtlichen Durchbiegungen des Deckbleches zwischen den Kelchblechen, die Vergleichsspannungen im Deckblech und die Vergleichsspannung in der Schweißnaht zwischen Kelchblech und Deckblech bestimmt. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass die örtlichen Durchbiegungen und Spannungen der Fahrbahnplatte, sowie die Spannungen in der Schweißnaht zwischen dem Deckblech und den in Richtung der Fahrstreifen verlaufenden aussteifenden Blechen entscheidend vermindert werden können (Abb. 1). Damit ist der rechnerische Nachweis erbracht, dass die Verstärkung des Deckblechs eine sinnvolle Maßnahme ist, die orthotropen Platten bestehender Stahlbrücken nachhaltig instand zu setzen, um Risse im Fahrbahnbelag, im Deckblech und in der untersuchten Schweißnaht zu vermindern. Voraussetzung für eine Anwendung in der Praxis ist, dass der Verbund zwischen der bestehenden Fahrbahnplatte und dem verstärkenden Blech den Belastungen des Schwerverkehrs standhält. 306 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen Abb. 1: Vergleich der örtlichen Durchbiegungen 4. Optimierung der Klebtechnologie Das vorrangige Ziel des Projekts „Optimierung der Klebtechnologie“ war es, den klebtechnischen Prozess auf die speziellen Rahmenbedingungen abzustimmen, die bei der Instandsetzung von orthotropen Fahrbahnplatten vorherrschen. Sowohl Klebstoff und Applikationsverfahren als auch die aufzuklebenden Bleche müssen im Hinblick auf einen erfolgreichen Praxiseinsatz bestimmte Anforderungen erfüllen. Diese Anforderungen wurden definiert, geeignete Produkte bzw. Verfahren ausgewählt, ein Versuchsprogramm erarbeitet und die entsprechenden Klebversuche durchgeführt. Im Rahmen des Projekts wurden 24 Probekörper mit den Abmessungen 1000 mm x 500 mm x 18 mm hergestellt. Die Klebungen erfolgten mit Epoxidharz-Klebstoffen, die für die Bauteilverstärkung mit Stahllamellen zugelassen sind. Die Probekörper unterscheiden sich durch die jeweilige Kombination der Bleche, Klebstoffe und Applikationsverfahren. Um die Klebflächen beurteilen und bewerten zu können, wurden die hergestellten Klebverbindungen nach einer ausreichend langen Aushärtezeit wieder getrennt. Anhand von Gegenüberstellung und Vergleichsbetrachtungen konnten Rückschlüsse und Empfehlungen für die Praxis abgeleitet werden. Das Hauptaugenmerk richtete sich dabei auf die Einflüsse von Blechgröße, Klebstoffen und Applikationsverfahren auf die erzielten Klebschichtdicken und die in Erscheinung getretenen Fehlstellen. Um die optimale Blechgröße zu ermitteln, wurden bei den Versuchen Bleche unterschiedlicher Länge und Breite verwendet. Aufgrund des relativ geringen Anteils an Fehlstellen auch bei den größeren Blechen sind für den späteren Praxiseinsatz Verstärkungsbleche mit Abmessungen von etwa 900 mm x 300 mm zu empfehlen. Für potenzielle Klebstoffe wurden bestimmte Anforderungen in Bezug auf den Gebrauchszustand und die Verarbeitbarkeit definiert. Die verwendeten Klebstoffe haben sich als tauglich erwiesen und kamen auch im Rahmen der Folgeprojekte zur Anwendung finden. Durch die Applikation des Klebstoffs mit unterschiedlichen Zahnspachteln wurden sowohl die Klebschichtdicke als auch der Anteil der Fehlstellen maßgeblich beeinflusst (Abb. 2). Die erarbeiteten Randbedingungen und Vorgaben für Bleche, Klebstoffe und Applikationsverfahren repräsentieren eine optimierte Lösung für den klebtechnischen Prozess bei der Deckblechverstärkung durch Aufkleben von Stahlblechen. Die gewonnenen Ergebnisse bilden sowohl eine wesentliche Grundlage für die Durchführung der Folgeprojekte als auch für eine Anwendung auf Stahlbrücken generell. Abb. 2: Relation zwischen Klebschichtdicke und Fehlstellen 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 307 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen 5. Dauerfestigkeitsuntersuchungen Ziel des Projekts „Dauerfestigkeitsuntersuchungen“ war es, sowohl die Existenz einer technologischen Dauerfestigkeit der für die Instandsetzung von orthotropen Fahrbahnplatten optimierten Klebverbindungen nachzuweisen als auch zu zeigen, dass das Niveau dieser Dauerfestigkeit ausreicht, um den Beanspruchungen infolge des Straßenverkehrs nachhaltig zu widerstehen. Für eine Beurteilung der Ergebnisse der Dauerfestigkeitsversuche sind Vergleichswerte aus den tatsächlich auftretenden Beanspruchungen infolge des Straßenverkehrs von orthotropen Fahrbahnplatten erforderlich. Um die maßgeblichen Werte zu ermitteln, wurden unterschiedliche Ansätze verfolgt: • Schlussfolgerungen aus einem Belastungskollektiv, das bei zurückliegenden Untersuchungen der BASt Projekte ermittelt wurde, • Gegenüberstellung unterschiedlicher Lastmodelle aus den gültigen Bemessungsvorschriften (DIN-EN 1991-2), • Betrachtung der aktuellen Entwicklung bei den Achslasten und bei den Lkw-Reifen. Im Rahmen der Dauerfestigkeitsprüfungen wurden 35 Probekörper in 5-Punkt-Biegezugversuchen an einer Hydropulsanlage getestet. Aus den aufgezeichneten Daten lassen sich die Durchbiegungen darstellen und die kritischen Lastwechselzahlen ermitteln. Für die weitere Versuchsauswertung wurden die geklebten Bleche mit Hilfe von Hammer und Meißel getrennt. Anschließend wurden die Klebflächen der Bleche fotografiert, die tatsächliche Klebschichtdicke bestimmt und der Anteil der Fehlstellen (d. h. die nicht verklebten Flächen) ermittelt. Abb. 3: Wöhler-Diagramm Anhand der gemessenen Durchbiegungen wird das große Potential der Verstärkung durch Aufkleben von Stahlblechen deutlich. Die Messwerte liegen um mehr als 60 % unter den rechnerisch ermittelten Durchbiegungen für Bleche ohne Verbund. Für alle getesteten Probekörper mit einem Fehlstellenanteil von weniger als 25 % sind die erzielten Lastwechselzahlen in einem Wöhler-Diagramm dargestellt (Abb. 3). Aufgrund der großen Spannbreite bei den erreichten Lastwechselzahlen wurde darauf verzichtet, aus diesen Werten eine Wöhler-Kurve zu generieren. Größere Abweichungen der Klebschichtdicke innerhalb eines Probekörpers scheinen sich negativ auf die Dauerfestigkeit der Klebverbindung auszuwirken. Das gleiche gilt für Probekörper mit einem hohen Anteil an Fehlstellen. Die erzielten Ergebnisse zeigen jedoch auch, dass es bei der Verwendung hinreichend ebener Bleche möglich sein sollte, die Abweichungen zu beschränken. Unter der Voraussetzung der vorgenannten Ausführungsqualität erreichen sämtliche bei einer Oberlast von 60 kN getesteten Probekörper eine Anzahl von 10 7 Lastwechseln schadlos. Die Versuchsergebnisse liegen selbst gegenüber dem extremen, theoretischen Lastfall des Lastmodells 1 (55,5 kN) auf der sicheren Seite. Gegenüber den maximalen praxisrelevanten Werten (44 kN) beträgt der Abstand 16 kN bzw. 36 %. Gegenüber dem Ermüdungslastmodell 3 (22,2 kN) beträgt der Abstand 37,7 kN bzw. 63 %. Im Rahmen des Projekts konnte nachgewiesen werden, dass sich mit dem Fügeverfahren Kleben dauerfeste Verbindungen herstellen lassen. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass sich die zwischen den Längsrippen auftretenden Durchbiegungen durch aufgeklebte Bleche signi- 308 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen fikant reduzieren lassen. Unter einer Belastung von 60 kN verringert sich die Durchbiegung bei einem 12 mm Blech von 1,3 mm durch das Aufkleben eines 6-mm-Verstärkungsblechs auf unter 0,4 mm (Abb. 4). Somit verfügt diese Verstärkungsmaßnahme über das Potential, die Entwicklung von Kategorie-1-Schäden - zumindest für einige Jahre - deutlich zu reduzieren. Zur Gewährleistung der entsprechenden Ausführungsqualität werden Grenzwerte für zulässige Toleranzen für den Anteil der Fehlstellen sowie für die Abweichungen der Klebschichtdicke vorgestellt. Damit ist die grundsätzliche Anwendbarkeit der Variante „Verstärkung durch Aufkleben von Stahlblechen“ nachgewiesen. Abb. 4: Durchbiegungen bei 60 kN 6. Fugen- und Randausbildung Gegenüber den durchgeführten Dauerfestigkeitsuntersuchungen sind in der Praxis Unstetigkeitsstellen in Form von Fugen und Randabschlüssen vorhanden, die eine gesonderten Untersuchung und Bewertung erforderlich machen (Abb. 5). Zu diesem Zweck werden verschiedene Varianten konzipiert, um deren Tauglichkeit anhand praxisnaher Dauer-Schwell-Biege-Versuche nachzuweisen. Dabei unterscheiden sich die Position der Fugen bzw. der Randabschlüsse sowie die Form der Randabschlüsse. Im Rahmen des Projekts wurden 24 Probekörper (je Variante 4 Stück) hergestellt und in 5-Punkt-Biegeversuchen getestet. Aus den aufgezeichneten Daten lassen sich die Durchbiegungen darstellen und die kritischen Lastwechselzahlen ermitteln. Für die weitere Versuchsauswertung wurden die geklebten Bleche mit Hilfe von Hammer und Meißel getrennt. Anschließend wurden die Klebflächen der Bleche fotografiert, die tatsächliche Klebschichtdicke bestimmt und der Anteil der Fehlstellen (d. h. die nicht verklebten Flächen) ermittelt. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass lediglich geringfügige Unterschiede zwischen den vergleichbaren Varianten bestehen. Die bei den Probekörpern mit Fugen ermittelten Durchbiegungen passen zu den Werten, die sich für die Probekörper ohne Fugen ergeben haben. Auch die erreichten Lastwechselzahlen liegen in einem sehr ähnlichen Bereich wie die bei den fugenlosen Probekörpern im Rahmen der Dauerfestigkeitsuntersuchungen ermittelten Werten. Bei den Probekörpern mit Randabschluss werden infolge der geringeren Fläche der Verstärkungsbleche tendenziell größere Durchbiegungen und etwas niedrigere Lastwechselzahlen erreicht. Weder bei der Position, noch bei der Form des Randabschlusses lässt sich ein signifikanter Einfluss auf die erreichten Lastwechselzahlen erkennen (Abb. 6). 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 309 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen Abb. 5: Fugen- und Randausbildung: Restspalte werden mit Grundierungsmaterial gefüllt (Prinzipskizze) Abb. 6: Probekörper mit Randabschluss: erreichte Lastwechselzahl in Relation zur Klebschichtdicke 90° Stufe über der Steife 20° Schräge über der Steife 90° Stufe im Feldbereich 20° Schräge im Feldbereich Die bei den Dauerfestigkeitsuntersuchungen vorgestellten Grenzwerte für den Anteil der Fehlstellen sowie für die Abweichungen der Klebschichtdicke können bestätigt werden. Zusammenfassend betrachtet, konnte gezeigt werden, dass die Dauerhaftigkeit der Klebverbindung weder durch Fugen noch durch Randabschlüsse besonders beeinträchtigt wird. Für die Position von Fugen und Randabschluss ergeben sich keine Einschränkungen. Der Randabschluss kann ggfs. mit einer 90° Stufe erfolgen. 310 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen 7. Fazit Mit den erzielten Ergebnissen ist die Anwendbarkeit der Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen labortechnisch nachgewiesen. Wesentliche Grundlagen und Empfehlungen für erste Pilotanwendungen stehen zur Verfügung. Literatur [1] Heinz Friedrich Verstärkung orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Brücken- und Ingenieurbau; Heft B 187 Wirtschaftsverlag NW Bergisch Gladbach Februar 2023 ISSN 0943-9293 ISBN 978-3-95606-719-8