Brückenkolloquium
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2510-7895
expert verlag Tübingen
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2024
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Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung
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Hans-Peter Doser
Die hohe Anzahl an zu ersetzenden Brückenbauwerken im deutschen Straßennetz erfordern innovative und nachhaltige Lösungen für die Bauwerksentwürfe. Das BMDV hat aktuell zwei Bauwerksentwürfe genehmigt, die Maßstäbe in schnellem Bauen setzen können. Der erste Entwurf behandelt ein Bauwerk im Zuge der A1, bei dem die Autobahn eine Gemeindestraße mit einer lichten Weite von 8 m überführt. Das Bauwerk ist repräsentativ für eine Vielzahl „kleinerer“ Rahmentragwerke, deren Ersatzneubau üblicherweise ca. 2 Jahre in Anspruch nimmt. Im vorliegenden Fall wird eine Bauweise gewählt, die mit einem hohen Vorfertigungsgrad Fertigteile einsetzt, die vor Ort durch ausreichend Vergussbereiche verbunden werden. Damit entsteht ein robustes Bauwerk, das alle Anforderungen an die aktuellen Regelwerke erfüllt. Die gesamte Eingriffszeit in den Verkehr kann dadurch auf rund 9 Monate reduziert werden. Ein weiterer Entwurf, bei dem der Eingriff in den fließenden Verkehr durch die Baustellentätigkeit minimiert wird, befasst sich mit dem Neubau eines Überführungsbauwerkes über eine 6-streifige Autobahn ohne Mittelstütze. Hierbei wurde erstmals die Bauweise mit Spannbeton-Fertigteilen mit Transportlängen von 45 m aus hochfestem Beton (C80/95) als Rahmentragwerk genehmigt. Damit entfällt der Verkehrseingriff in die unterführte Straße für die Herstellung der Mittelstütze. Nach der Herstellung der Widerlager können die Überbaufertigteile außerhalb des Lichtraumprofils der unterführten Straße aufgelegt werden. In Verbindung mit der Rahmentragwirkung kann zudem ein schlanker Querschnitt verwirklicht werden, der zudem eine ansprechende Formgebung erhält.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 363 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung Bauwerksentwürfe, die Maßstäbe bei der Dauer des Verkehrseingriffs setzen können Dipl.-Ing. Hans-Peter Doser Doser Kempen Krause Ingenieure GmbH, Aachen Zusammenfassung Die hohe Anzahl an zu ersetzenden Brückenbauwerken im deutschen Straßennetz erfordern innovative und nachhaltige Lösungen für die Bauwerksentwürfe. Das BMDV hat aktuell zwei Bauwerksentwürfe genehmigt, die Maßstäbe in schnellem Bauen setzen können. Der erste Entwurf behandelt ein Bauwerk im Zuge der A1, bei dem die Autobahn eine Gemeindestraße mit einer lichten Weite von 8-m überführt. Das Bauwerk ist repräsentativ für eine Vielzahl „kleinerer“ Rahmentragwerke, deren Ersatzneubau üblicherweise ca. 2 Jahre in Anspruch nimmt. Im vorliegenden Fall wird eine Bauweise gewählt, die mit einem hohen Vorfertigungsgrad Fertigteile einsetzt, die vor Ort durch ausreichend Vergussbereiche verbunden werden. Damit entsteht ein robustes Bauwerk, das alle Anforderungen an die aktuellen Regelwerke erfüllt. Die gesamte Eingriffszeit in den Verkehr kann dadurch auf rund 9 Monate reduziert werden. Ein weiterer Entwurf, bei dem der Eingriff in den fließenden Verkehr durch die Baustellentätigkeit minimiert wird, befasst sich mit dem Neubau eines Überführungsbauwerkes über eine 6-streifige Autobahn ohne Mittelstütze. Hierbei wurde erstmals die Bauweise mit Spannbeton-Fertigteilen mit Transportlängen von 45-m aus hochfestem Beton (C80/ 95) als Rahmentragwerk genehmigt. Damit entfällt der Verkehrseingriff in die unterführte Straße für die Herstellung der Mittelstütze. Nach der Herstellung der Widerlager können die Überbaufertigteile außerhalb des Lichtraumprofils der unterführten Straße aufgelegt werden. In Verbindung mit der Rahmentragwirkung kann zudem ein schlanker Querschnitt verwirklicht werden, der zudem eine ansprechende Formgebung erhält. 1. Einleitung Vor dem Hintergrund der großen Anzahl an Infrastrukturobjekten mit akutem Handlungsbedarf trägt der schnelle Ersatzneubau von Brücken direkt zur Verbesserung des Verkehrsflusses, zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, zur Kosteneffizienz, zur Erhöhung der Sicherheit sowie zur Minimierung von sozialen und ökologischen Belastungen bei. Daher ist es eine gemeinsame Aufgabe von Bauherrn, Ingenieurbüros sowie den ausführenden Firmen Ersatzneubauten mit möglichst geringem Einfluss auf den fließenden Verkehr zu planen und umsetzen. 1.1 Vorteile des schnellen Bauens auf einen Blick Wenn Bauprojekte zügig abgeschlossen werden, minimiert dies Verkehrsunterbrechungen und führt zu einer effizienteren Nutzung unserer Straßen. Schnell gebaute Brücken gewährleisten die Erreichbarkeit von infrastrukturell relevanten Gebieten und fördern die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen, indem der Zugang zu Märkten und Arbeitsplätzen für Pendler, Güterverkehr und auch Notdienste gewährleistet wird. Schnellere Bauzeiten tragen zur Reduzierung der Gesamtkosten von Brückenbauprojekten bei. Einsatzzeiten von Arbeitskräften und Vorhaltung von Baustelleneinrichtung werden verkürzt und das Risiko von Kostensteigerungen durch Inflation, Materialpreisänderungen und andere unvorhergesehene Faktoren verringert sich. Durch kürzere Bauzeiten wird die Dauer von potenziell gefährlichen Verkehrssituationen für Bauarbeiter und Verkehrsteilnehmer minimiert und somit Unfallrisiken reduziert. Der schnelle Ersatz von beschädigten oder veralteten Brücken trägt zur Beseitigung von Gefahrenstellen bei und vermindert die Gefahr von strukturellem Versagen. Letztlich können schnelle Bauverfahren dazu beitragen, schädliche Umweltauswirkungen sowie die Beeinträchtigung von Anwohnern in Baustellennähe möglichst gering zu halten. 1.2 Moderne Brückenbaumethoden Ein zentraler Bestandteil moderner Brückenbaumethoden ist eine modulare Bauweise mit Bauelementen, die unter kontrollierten Bedingungen in Fertigteilwerken hergestellt und „just in time“ an der Baustelle angeliefert und schnell und präzise montiert werden. Die für Planung und Koordination der Bauprozesse zum Einsatz kommenden innovative Technologien, wie die 3D-Modellierung, ermöglichen eine präzise Visualisierung und Planung der Bauprojekte, wodurch potenzielle Probleme frühzeitig erkannt und behoben werden können. Digitale Projektmanagement- Tools verbessern die Koordination und Überwachung des Baufortschritts, sorgen für eine effiziente Ressourcennutzung und helfen dabei, die Projektziele termingerecht zu erreichen. 364 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung Durch diese modernen Bauverfahren können Brückenbauprojekte nicht nur schneller und effizienter realisiert werden, sondern auch mit höherer Präzision und Qualität abgeschlossen werden. 2. Gemeindestraße über die Autobahn 2.1 Ausgangssituation Brückenbauwerke, die Verkehrswege über eine 6-streifige Autobahn führen, müssen bei begrenztem Lichtraumprofil in der Regel mit Pfeilern im Mittelstreifen der Autobahn ausgeführt werden. Für dessen Herstellung ist die Einrichtung einer Inselbaustelle erforderlich, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf den fließenden Autobahnverkehr. Frei spannende Systeme ohne Mittelpfeiler sind dagegen häufig deutlich teurer, da entsprechend aufwändige Bogensysteme hergestellt werden müssen, mit mehr oder weniger großem Einfluss auf den Verkehrsfluss. Stahl-Verbund-Systeme sind als Rahmentragwerke in der Lage, schlanke Überbauten ohne Mittelpfeiler zu realisieren. Durch die Vorfertigung und Verwendung von Beton-Teilfertigteilen lässt sich der Eingriff auf den fließenden Verkehr mit dieser Bauweise minimieren. Jedoch werden Stahlbauteile in Brücken nach ZTV-Ing in der Regel durch Beschichtungssysteme vor Korrosion geschützt, die über die Lebensdauer zu erneuern sind. Diese Instandsetzungsaufwände erzeugen zusätzliche Kosten mit entsprechendem Eingriff in den fließenden Verkehr. Eine Alternative stellt die Verwendung von Spannbeton- Fertigteilträgern aus hochfestem Beton dar. Im vorliegenden Fall muss eine Bestandsbrücke ersetzt werden, die eine Gemeindestraße über eine 6-streifige Autobahn überführt. Das Bestandsbauwerk weist folgende Randbedingungen auf: • 4-Feldbrücke mit einer Gesamtlänge von 64,22- m (11,74 - 20,37 - 20,37 - 11,74-m) • Konstruktionshöhe: 80 cm (Schlankheit ~25) • Breite zw den Geländern: 8,50 m • Flachgründung • Trassierung der Gemeindestraße mit konstantem Längsgefälle und R = ∞ in der Draufsicht • Kreuzungswinkel: 79,1-gon Abb. 1: Bestandsbauwerk Für den Ersatzneubau sind die folgenden Randbedingungen einzuhalten: • Lichte Weite zwischen den Widerlagern: ³ 51-m (in BW- Achse: 53,9-m). Die Dammkronen der Gemeindestraße haben einen Abstand von ca. 71-m. • Lichte Höhe ³ 5,0-m • Entfall des Pfeilers im Mittelstreifen • Breite zwischen den Geländern: 9,50-m • Baugrund: Flachgründung auf Fels möglich • Lichtraumprofil der Autobahn für Baustellenverkehr freihalten • Sperrung der überführten Gemeindestraße während der gesamten Bauzeit • Bauzeit möglichst minimieren 2.2 Vorplanung - Variantenuntersuchung Für die vorgenannten Randbedingungen sind verschiedene diverse Ausführungsvarianten denkbar, die sich am Gestaltungshandbuch des Bauherrn zum Autobahnabschnitt orientieren sollen. Die Variantenuntersuchung beschränkte sich dabei auf folgende Systeme: 1 - Stahlverbundbrücke als Rahmentragwerk Als Überbauquerschnitt wurden ein Hohlkasten sowie mehrstegige Plattenbalken mit offenen und geschlossenen Profilen untersucht. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 365 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung 2 - Spannbetonbrücke als Rahmentragwerk in Ortbeton Für die Ortbetonbauweise wurde ein 2-stegiger Plattenbalken betrachtet. 3 - Stabbogen mit Stahlverbund-Überbau An den seitlich geführten Stahlbögen wird der Überbau aufgeständert bzw. abgehängt. Die Betonfahrbahnplatte lagert auf entsprechenden Stahlquerträgern auf. 4 - Spannbeton-Rahmentragwerk mit Betonfertigteilen Der Querschnitt wird hier durch mehrstegige Plattenbalken gebildet. 366 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung Bei Variante 4 kommen Betonfertigteile mit einer Länge von 45-m zum Einsatz, um beim Einhub eine ausreichende Lichte Weite des Autobahnquerschnitts sicher zu stellen. Dies ist durch die aktuelle BEM-ING [1] nicht abgedeckt. Betonfertigteile dürfen demnach eine maximale Länge von 35-m aufweisen. Die Bewertung der unterschiedlichen Varianten führte dennoch zur Vorzugsvariante 4. Die Vorteile bezüglich Kosten, Herstellungsweise und Dauerhaftigkeit überwogen die Nachteile einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) für die überlangen und schweren Betonfertigteile. Abb. 2: Visualisierung der Seitenansicht 2.3 Bauwerksentwurf Die überführte Gemeindestraße weist einen Regelquerschnitt RQ-9B gemäß RAL mit beidseitigem Gehweg mit einer Breite von 1,50-m auf. Der Ausbauquerschnitt der unterführten Autobahn stand zum Entwurfszeitpunkt noch nicht abschließend fest, so dass ein Lichtraumprofil in Anlehnung an RQ-35,5 berücksichtigt wurde. Für die Vorzugsvariante 4 ergab sich damit ein einfeldriges Bauwerk, welches die Gemeindestraße in einer geraden Trassierung und mit einem Kreuzungswinkel von 79,1- gon überführt. Die Gradiente fällt in Stationierungsrichtung mit 1,24-% in Richtung Südwesten. Die lichte Weite zwischen den Widerlagern beträgt in Bauwerksachse 53,90- m und rechtwinklig zur BAB 51,02-m. Die Stützweite, die durch den in der statischen Berechnung zugrunde gelegten Abstand zwischen den Systemachsen der Widerlager definiert wird, beträgt 55,90- m. Unter Berücksichtigung dieser Stützweite und einer Querschnittshöhe von 1,75- m in Feldmitte ergibt sich eine maximale Schlankheit von L/ H-=- 32. Die kleinste lichte Höhe zwischen UK Überbau und OK der jetzigen Autobahn beträgt am kritischen Punkt 5,80-m und liegt damit über dem geforderten Mindestwert von 5,00-m. Der Überbau der Brücke wird als mehrstegiger Spannbetonquerschnitt vorgesehen. Die Längsträger werden mit einer Länge von 45-m im Fertigteilwerk hergestellt. Die lichte Weite der Widerlager beträgt 53,9-m, so dass beidseitig Ortbetonergänzungen von je 4,45-m Länge erforderlich werden. Die Querschnittsgestaltung der Überbaustege ist dabei in Längsrichtung an die statische Beanspruchung angepasst. Im Anschnitt an das Widerlager ist der Querschnitt 3,34-m hoch und reduziert sich über die Länge der Ortbetonergänzung von 4,45-m auf 1,75-m. Die Stegunterkante wird dabei im Radius geschalt. Im weiteren Verlauf kann sich die Steghöhe entsprechend der Momentenbeanspruchung über eine Länge von 7,84-m weiter auf 1,35-m reduzieren, bevor die Unterkante parabelförmig bis zur Feldmitte eine Querschnittshöhe von 1,75-m erzeugt. Dabei kann der Querschnitt der Fertigteile aufgrund der dort noch reduzierten Querkraftbeanspruchung als „Hundeknochen“ mit verjüngtem Steg ausgebildet werden. Die Neigungen wurden dabei so gewählt, dass sich keine verwundenen Schalflächen ergeben. Abb. 3: Regelquerschnitt 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 367 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung Mit dieser Querschnittsgestaltung ergibt sich eine sehr ansprechende Bauwerksform, die hinsichtlich Transportgewichten und Ressourcenverbrauch optimiert ist. Vor diesem Hintergrund wurden auch beispielsweise die Ortbetonbereiche des Überbaus mit den vorhandenen Stegbreiten fortgeführt und nicht als Vollquerschnitt im Sinne eines Endquerträgers ausgeführt. Der hier erhöhte Schalungsaufwand wird durch die eingesparten Betonkubaturen (und damit CO2-Einsparung) gerechtfertigt. Abb. 4: Längsschnitt Aufgrund der guten Erfahrungen des Bauherrn mit der Verwendung von höherfesten Betonen (vgl. [2]) wurde für den Überbau ein Beton der Festigkeitsklasse C50/ 60 gewählt. Damit können die erforderlichen Übergreifungslängen der Rahmeneckbewehrungen reduziert werden. Für die Spannbeton-Fertigteile wurde ein Beton der Festigkeitsklasse C80/ 95 gewählt. Pilotbauwerke mit diesem Beton zeigen eine äußerst gute Bewertung bei Bauwerksprüfungen, so dass dieser Beton auch hier zur Anwendung kommen soll. Für dessen Einsatz ist eine weitere Zustimmung im Einzelfall des BMDV erforderlich. Im Zuge der Entwurfsbearbeitung wurden die Anforderungen der RE-ING [3] an integrale Bauwerke beachtet. Das Bauwerk muss für eine Bandbreite der Bodensteifigkeit untersucht werden. Hierfür fanden bereits in dieser Planungsphase intensive Abstimmungen mit dem Baugrundgutachter statt, um entsprechend wirtschaftliche Querschnitte erreichen zu können. Zur weiteren Reduzierung der Biegebeanspruchung des Überbaus wurden die erdseitigen Fundamentsporne minimiert und die luftseitigen deutlich verlängert, so dass das Bauwerk qausi „auf Zehenspitzen“ gründet (vgl. Abb. 4). Der verlängerte Sporn dient gleichzeitig als Auflager für das Traggerüst der Fertigteilträger und des Ortbetonbereichs. Abb. 5: Visualisierung mit Widerlager Die Fertigteile weisen eine werkseitige Vorspannung mit je zwei Spanngliedern auf. Zwei weitere Hüllrohre dienen der Aufnahme von Spanngliedern, die vor Ort eingebaut und hinter den Rahmenecken verankert werden. Die Dekompression des Überbauquerschnitts wird unter Berücksichtigung des Bauablaufes mit den verschiedenen Arbeitsschritten und dem unterschiedlichen Kriech- und Schwindverhalten der Betone nachgewiesen. Intensive Untersuchungen waren für die Rahmenecke und die stirnseitige Arbeitsfuge zwischen Fertigteilende und Ortbetonverlängerung erforderlich. Die Spannungsentwicklungen in der Rahmenecke wurden mit zusätzlichen Schalenmodellen verifiziert. Die Arbeitsfuge wurde für verschiedene Modelle nachgewiesen, um eine Rissbildung möglichst auszuschließen bzw. zu minimieren. 3. Autobahnbrücke über eine kommunale Straße 3.1 Ausgangssituation Autobahnen queren sehr häufig Straßen des untergeordneten Netzes mit geringen Regelquerschnitten. Die Brückenbauwerke weisen entsprechend kurze Stützweiten auf. Gleichzeitig führen die Ersatzneubauten solcher Bauwerke trotz der geringen Bauwerksfläche zu einer Bauzeit von häufig über zwei Jahren. Damit geht eine entsprechend lange Beeinträchtigung des Autobahnverkehrs durch Baustellenverkehrsführungen einher. Um diese erheblich zu reduzieren und bei der Planung und Ausführung das Know-How der ausführenden Firmen zu nutzen, hat der Bauherr den Ersatzneubau über eine innerstädtische Straße funktional mit einer Gesamtbauzeit (Planung und Ausführung) von 17 Monaten ausgeschrieben. Die Aachener Bauunternehmung nesseler bau hat diese Herausforderung angenommen. Durch den Einsatz von Fertigteilen soll die Ausführungszeit erheblich verkürzt werden. Dafür darf der Ortbetonanteil im Bauwerk minimiert werden und dabei gleichzeitig ausreichend sein, dass alle Regelungen der ZTV-ING [4] eingehalten werden. Eine Zustimmung im Einzelfall ist im Verfahren ausgeschlossen. Der Ersatzneubau überführt einen sechsstreifigen Autobahnabschnitt über eine innerstädtische Straße, die aufgrund ihrer Lage während der Baumaßnahme nicht längerfristig gesperrt werden kann. Dies ist nur kurzzeitig für den Abbruch und den Fertigteileinhub möglich. Das Bestandsbauwerk weist folgende Randbedingungen auf: 368 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung • Rahmentragwerk mit einer Lichten Weite von 8-m, Stützweite in Schiefe 10,5-m • Konstruktionshöhe: 55 cm (Schlankheit ~19) • Breite zw den Geländern: 39,40-m • Flachgründung • Trassierung der Autobahn im Radius bei konstantem Längsgefälle • Kreuzungswinkel: 69,4-gon Abb. 6: Bestandsbauwerk Für den Ersatzneubau sind die folgenden Randbedingungen einzuhalten: • Lichte Weite und Höhe entsprechend Bestandsbauwerk • Breite entsprechend Bestandbauwerk • Baugrund: Flachgründung auf Fels möglich • Innerstädtische Straße muss während der Bauzeit immer passierbar bleiben • Ersatzneubau in zwei Bauabschnitten, Trennung in BAB-Achse • Bauzeit ab Einrichtung der Verkehrsführung: max 9 Monate 3.2 Bauwerksentwurf Der Ersatzneubau wird analog zum Bestand als Rahmentragwerk entworfen. Der Überbau wird aus 35-cm dicken Betonfertigteilen mit einer 20-cm dicken Ortbetonergänzung gebildet. Die Widerlager bestehen aus einzelnen Vollfertigteilen in Form von Winkelstützelementen ohne luftseitigen Sporn, um die unterführte Straße nicht durch Abstützungen o.ä. zu blockieren. Die Verbindung unter den Elementen wird durch eine Ortbetonergänzung auf dem erdseitigen Sporn und dem im Rahmeneckbereich verlaufenden Ringbalken in Verbindung mit bewehrten Vergusstaschen über die Wandhöhe hergestellt. Die Flügelelemente sind durch den Ringbalken kraftschlüssig mit der Widerlagerwand verbunden. Die Widerlagerwand ist 80-cm dick und weitet sich nach oben zur Auflagerung der Überbaufertigteile und Ausbildung des Ringankers / Rahmeneckbereiches auf 1,40-m auf. Der erdseitige Fundamentsporn ist 1-m lang und 1-m dick. In statischer Hinsicht entstehen bei der Bauweise aufgrund der kurzen Spannweite zunächst keine besonderen Herausforderungen. Allerdings führt die Ausführung mit einem hohen Anteil an Betonfertigteilen und geringen Ortbetonbereichen in Verbindung mit der Schiefwinkligkeit des Bauwerks und dem schlanken Überbau zu erheblichen Detailüberlegungen zur Fertigteilgestaltung und Bewehrungsführung. Bei der Planung konnte auf gemeinsame Erfahrungen von nesseler bau und dem Planer in einem Pilotprojekt [5] zurückgegriffen werden. Im dortigen Projekt wurden die Unterbauten ebenfalls als Winkelstützelemente ausgebildet, die über den kopfseitig durchlaufenden Ringanker verbunden wurden. Abb. 7: Winkelstützelemente Der Überbau bestand aus eng liegenden, vorgespannten Längsträgern, die über Fahrbahnplattenelemente mit teilweiser Ortbetonergänzung zur mehrstegigen Plattenbalken verbunden wurden. Die Rahmenecke war aufgrund der sehr filigranen Bauteilabmessungen bei gleichzeitig extremer Schiefwinkligkeit konstruktiv eine erhebliche Herausforderung, Die Anforderungen an die Bewehrungsführung waren nur durch das Arbeiten mit Schablonen im Fertigteilwerk in Verbindung mit einem funktionierenden Qualitätsmanagement zu meistern. Die Fugen zwischen den Unterbauelementen wurden dabei in Anlehnung an RIZ Fug1 als modifzierte Raumfuge ausgebildet. Analog erfolgte die Fugenausbildung beim Pilotprojekt Amselbürener Straße. Neben dem durchlaufenden Ringbalken gab es daher keine weitere konstruktive Verbindung unter den Elementen. Dies war aufgrund der sehr günstigen, da steifen Baugrundverhältnisse so umsetzbar. Für die Übertragung auf ein Bauwerk, das den Autobahnverkehr überführen muss, waren gewisse Modifikationen für die Unterbauten erforderlich. Im Wesentlichen war eine besonders robuste Scheibenwirkung der Widerlager auszubilden. Während die vertikalen Fugen der Unterbauten im Pilotprojekt und auch bei anderen aktuellen Pilotprojekten [2] ohne durchgehende Bewehrung ausgeführt wurden, war dem Bauherrn wichtig, dass Bauwerke, die Autobahnverkehr aufnehmen müssen, auch eine durchlaufende Bewehrung für die Aufnahme unplanmäßigen Scheibenschubes aufweisen. Diese Anforderung wurde durch die Ausbildung von Fugen mit sich übergreifender Anschlussbewehrung aus den Fertigteilen erfüllt, wenngleich diese für den Abtrag der planmäßigen Scheibenbeanspruchung nicht erforderlich war. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 369 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung Abb. 8: Querschnitt Vergussfuge Widerlager Abb. 9: Isometrie Widerlager Fertigteil Für Entwurfsvorlage, Ausführungsplanung, Prüfung, Herstellung der Fertigteile und Ausführung auf der Baustelle wurde vom Bauherrn ein sehr ambitionierter Zeitplan vorgesehen. Grundsätzlich ist planerseits anzumerken, dass die Fertigteilbauweise enorme Vorteile für die Ausführungszeiten auf der Baustelle mit sich bringt. Gleichzeitig ist der Planungsaufwand für die Fertigteile erheblich höher. Neben der „üblichen“ Planung von Einbauteilen und Bewehrungsführung müssen die einzelnen Elemente auch hinsichtlich Transport und Einhub optimiert und ausgebildet werden. Die Fertigteilbauweise sollte deshalb in funktionalen Ausschreibungen dahingehend berücksichtigt werden, dass in der Planungsphase Raum enthalten ist, um Entwurfsgrundsätze ausreichend mit dem Bauherrn diskutieren und die Planung der Fertigteile auf Basis der getroffenen Abstimmungen durchführen zu können. Die Planungszeit ist sinnvoll investiert. Nur dann ist es möglich, die Vorteile dieser Bauweise in einen reibungslosen und zeitsparenden Ablauf vor Ort münden zu lassen. Dies sollte auch das vornehmliche Ziel der Bauweise sein: Die Verkehrseinschränkungen durch die Maßnahme zu minimieren. 3.3 Bauausführung Der Ersatzneubau wird in zwei Bauabschnitten umgesetzt. Das Bestandsbauwerk wurde 1960 errichtet und 1988 verbreitert. Über den Bestand von 1960 liegen keine Unterlagen vor, so dass vor der Verlegung des BAB- Verkehr zu einer 5+0-Führung auf einem Überbau dieser mit einer Notunterstützung ausgestattet werden muss. Mit der Verlegung des Verkehrs auf einen Überbau beginnt die eigentliche Bauphase. Für die Herstellung des Mittellängsverbaus, den Abbruch und die Herstellung der Gründungskote sind dabei 17 Tage vorgesehen. Die Montage der Fertigteile mit den Bewehrungsarbeiten vor Ort und der anschließenden Ortbetonergänzung nehmen für den 1. BA weitere 25 Tage in Anspruch. Bis die Abdichtungsarbeiten ausgeführt sind und die Kappe betoniert ist, vergehen weitere 24 Tage. Für die Montage der Lärmschutzwandelemente muss die Aushärtung der Kappe abgewartet werden, so dass nach Betonage Kappe bis zur Verkehrsfreigabe wiederum 24 Tage einkalkuliert werden müssen. Die Gesamtbauzeit des 1. BA beträgt damit rund 90 Tage, der 2. BA wird mit einer vergleichbaren Bauzeit kalkuliert. 370 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Brückensysteme mit geringer Verkehrsbeeinträchtigung Abb. 10: Visualisierung des Bauablaufs Im Summe stehen damit ca. 7 Monate an Bauzeit an, die zu relevanten Verkehrseinschränkungen auf der BAB durch die 5+0-Verkehrsführung führen. Diese Bauzeit führt zu erheblichen Einsparungen in den gesellschaftlichen externen Kosten. Literatur [1] BEM-ING: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2022): Regelungen und Richtlinien für die Berechnung und Bemessung Ingenieurbauten. [2] Heinrich, J., Maurer, R., Reddemann, T., Schnetgöke, T., Yavuz, T.: „Schnellbauweise für Brücken mit weitgespannten Fertigteilträgern aus C80/ 95, Beton- und Stahlbetonbau 11/ 23 Seite 779f. [3] RE-ING: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2022/ 2023): Richtlinien für den Entwurf, die konstruktive Ausbildung und Ausstattung von Ingenieurbauten - RE-ING, 01-2022, 03- 2023. [4] ZTV-ING: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2023): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten - ZTV-ING 12-2023. [5] nesseler bau: Die innovative n.Brücke - das Schnellbausyste aus der Fabrik. Andreas Huppertz M.Sc. MBA, Dipl.-Ing. Karl Arnolds MBA.
