eJournals Brückenkolloquium 6/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
0925
2024
61

Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase

0925
2024
Jan-Hauke Bartels
Arne Klimt
Steffen Marx
Brücken sind wesentliche Infrastrukturbauwerke, die Mobilität und Handel ermöglichen. In Deutschland und auch international ist ein besorgniserregender Trend der Verschlechterung von Brücken zu beobachten, der die Instandhaltung vor große Herausforderungen stellt. Ein vielversprechender Ansatz für eine effizientere Instandhaltung ist der Einsatz von Bauwerksmonitoringsystemen zur kontinuierlichen Überwachung. Da dieser Messprozess ein Vergleichsprozess ist, hat sich in der Praxis die Messung einer einjährigen Referenzphase etabliert, um Zustandsänderungen am Bauwerk zuverlässig erfassen zu können. Bei Massivbrücken ist jedoch aufgrund des Abbindeprozesses des Betons unklar, wann der Endzustand für den Beginn dieser Referenzphase erreicht ist. In diesem Beitrag wird die Veränderung der modalen Bauwerksparameter an einer Spannbetonbrücke während der Herstellungsphase untersucht sowie der Zeitpunkt bestimmt, wann die Referenzphase des Bauwerksmonitorings beginnen sollte. Dazu wurden an einer Spannbeton-Forschungsbrücke über einen Zeitraum von 99 Tagen kontinuierlich Temperatur- und Beschleunigungsmessdaten erfasst und ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen eine Änderung der Biegeeigenfrequenz um bis zu 28 % während der Bauphase, eine negative Korrelation zwischen Eigenfrequenz und Temperatur sowie eine positive Korrelation zwischen Eigenfrequenz und Entwicklung der Betondruckfestigkeit. Der schadensfreie Endzustand des Bauprozesses wurde 70 Tage nach Beginn der Messungen erreicht, was den Beginn der Referenzphase ab diesem Zeitpunkt empfiehlt. Festzuhalten ist, dass ein besseres Verständnis über den optimalen Startzeitpunkt von Bauwerksmessungen deren Betrieb zuverlässiger und robuster gegenüber Fehlinterpretationen macht und die Ergebnisse des Beitrags die Bedeutung einer ingenieurmäßigen Analyse der Messdaten unterstreichen.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 387 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase Jan-Hauke Bartels, M.-Sc. Institut für Massivbau, Technische Universität Dresden Dipl.-Ing. Arne Klimt MKP GmbH, Lübeck Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx Institut für Massivbau, Technische Universität Dresden Zusammenfassung Brücken sind wesentliche Infrastrukturbauwerke, die Mobilität und Handel ermöglichen. In Deutschland und auch international ist ein besorgniserregender Trend der Verschlechterung von Brücken zu beobachten, der die Instandhaltung vor große Herausforderungen stellt. Ein vielversprechender Ansatz für eine effizientere Instandhaltung ist der Einsatz von Bauwerksmonitoringsystemen zur kontinuierlichen Überwachung. Da dieser Messprozess ein Vergleichsprozess ist, hat sich in der Praxis die Messung einer einjährigen Referenzphase etabliert, um Zustandsänderungen am Bauwerk zuverlässig erfassen zu können. Bei Massivbrücken ist jedoch aufgrund des Abbindeprozesses des Betons unklar, wann der Endzustand für den Beginn dieser Referenzphase erreicht ist. In diesem Beitrag wird die Veränderung der modalen Bauwerksparameter an einer Spannbetonbrücke während der Herstellungsphase untersucht sowie der Zeitpunkt bestimmt, wann die Referenzphase des Bauwerksmonitorings beginnen sollte. Dazu wurden an einer Spannbeton-Forschungsbrücke über einen Zeitraum von 99 Tagen kontinuierlich Temperatur- und Beschleunigungsmessdaten erfasst und ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen eine Änderung der Biegeeigenfrequenz um bis zu 28-% während der Bauphase, eine negative Korrelation zwischen Eigenfrequenz und Temperatur sowie eine positive Korrelation zwischen Eigenfrequenz und Entwicklung der Betondruckfestigkeit. Der schadensfreie Endzustand des Bauprozesses wurde 70 Tage nach Beginn der Messungen erreicht, was den Beginn der Referenzphase ab diesem Zeitpunkt empfiehlt. Festzuhalten ist, dass ein besseres Verständnis über den optimalen Startzeitpunkt von Bauwerksmessungen deren Betrieb zuverlässiger und robuster gegenüber Fehlinterpretationen macht und die Ergebnisse des Beitrags die Bedeutung einer ingenieurmäßigen Analyse der Messdaten unterstreichen. 1. Einleitung Brücken sind essentielle Infrastrukturbauwerke, die Mobilität und effizienten Handel ermöglichen. Aufgrund seiner zentralen Lage in Europa spielt Deutschlands Verkehrsinfrastruktur eine Schlüsselrolle im europäischen Binnenmarkt. Allerdings zeigt sich sowohl international als auch in Deutschland ein besorgniserregender Trend zum Verfall von Brücken, was die Instandhaltung der Tragwerke vor erhebliche Herausforderungen stellt [1]. Statistiken der Bundesanstalt für Straßenwesen zeigen, dass über 60-% der Brücken an Bundesstraßen älter als 30 Jahre sind, wobei 4,6-% einen unbefriedigenden Zustand haben [2]. Um diesen Sanierungsstau abzubauen, soll die Zahl der zu modernisierenden Brücken im Vergleich zu 2021 verdreifacht werden [3]. Trotz eines positiven Trends bei der Zustandsbewertung des Gesamtbestands wird der Bauwerkserhalt in den kommenden Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen. Dabei spielen Massivbrücken aus Spann- oder Stahlbeton eine entscheidende Rolle, da sie etwa 86-% des Bestands im Bundesfernstraßennetz abdecken [2], siehe Abb. 1. Um die Funktionsfähigkeit dieser Strukturen zu gewährleisten, sind immer größere Anstrengungen im Bauwerkserhalt erforderlich. In diesem Zusammenhang haben sich neben konventionellen Inspektionen auch Monitoringsysteme zur kontinuierlichen Überwachung etabliert, die Einwirkungen und Bauwerksreaktionen in Echtzeit erfassen und in die Sicherheitsbewertung einbeziehen. Abb. 1: Flächenanteil der Baustoffe von Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen in Anlehnung an [2] 388 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase Der Bedarf an Brückeninstandhaltungsmaßnahmen wird voraussichtlich zunehmen, um die Lebensdauer zu verlängern und Ressourcen zu schonen, sodass der Einsatz effektiver Monitoringmaßnahmen entscheidend sein wird. Die Grundlagen des Monitoringprozesses (engl. Structural Health Monitoring, SHM) werden von Farrar und Worden (2013) in [4] beschrieben und als vierstufiger Prozess zur datenbasierten, kontinuierlichen Überwachung eines Bauwerks definiert: 1. Operative Bewertung der Messaufgabe 2. Datenerfassung und -vernetzung 3. Datenverarbeitung und Datenanalyse 4. Bewertung und Entscheidungsfindung In der operativen Bewertung wird festgelegt, welche Bauteile des Tragwerks überwacht und welche Zustandsänderungen detektiert werden müssen. Dabei werden geeignete Messprinzipien und Sensoren ausgewählt. Die Sensoren werden am Bauwerk installiert und das Monitoringsystem kalibriert. Das Tragwerksverhalten wird kontinuierlich gemessen und die Daten werden in eine Datenbank übertragen sowie zeitsynchronisiert. In der Datenverarbeitung werden die Rohdaten gefiltert, bereinigt und normalisiert. Auf Basis dieser vorverarbeiteten Daten werden Überwachungsmerkmale definiert, mit denen der aktuellen Bauwerkszustand zu bewerten ist und Zustandsänderungen erkannt werden sollen. Bei signifikanten Änderungen wird eine Vor-Ort-Inspektion durchgeführt, um notwendige Instandhaltungsmaßnahmen zu ergreifen. Dieses Vorgehen ermöglicht eine frühzeitige Erkennung von Zustandsänderungen, was Vor-Ort-Inspektionen in weiter auseinander liegenden Intervallen erlaubt sowie Ressourcen sparen kann [5]. In dieser Arbeit wird ein Augenmerk auf den dritten Schritt im Monitoringprozess gelegt. In der Datenverarbeitung ist die Datennormalisierung ein essenzieller Schritt für die Bewertungsqualität einer Messung. Einwirkungen wie Temperatur oder Verkehr haben nachweislich einen erheblichen Einfluss auf die Messung [6], [7] und können, bei nicht durchgeführter Kompensation dieser Einflüsse, zu falschen Schlussfolgerungen zum Zustand führen. So sinkt beispielsweise der Elastizitätsmodul von Beton mit steigender Temperatur [8]. Häufig werden Beschleunigungssensoren für das Monitoring eingesetzt, um modale Bauwerksparameter wie Eigenfrequenzen und Eigenformen zu berechnen sowie ein numerisches Modell des Bauwerks an das reale Bauwerksverhalten anzupassen (engl. Model Updating) [9], [10]. Lokale Schäden beeinflussen die Eigenfrequenzen aber nur selektiv, während Temperaturänderungen einen globalen Einfluss haben. Um Umwelteinflüsse daher zuverlässig zu erfassen und aus den Rohdaten kompensieren zu können, wird oft eine einjährige Referenzphase als Trainingsphase verwendet. Bei Massivbaubrücken ist jedoch aufgrund des Abbindeprozesses des Betons unklar, welche inhärenten Unsicherheiten im dynamischen Bauwerksverhalten vorliegen und wann der Endzustand für den Beginn der Referenzphase erreicht ist. Ziel dieses Beitrags ist es somit, die Veränderung der modalen Bauwerksparameter an einer Spannbetonbrücke während der Herstellungsphase zu bestimmen und basierend auf diesem Indikator eine Empfehlung für den Start der Monitoring-Referenzphase bei Spannbetonbrücken zu geben. Hierzu ist die Arbeit in fünf weitere Kapitel gegliedert. In Kap.-2 wird das Bauwerk mit seinen Randbedingungen und das verwendete Monitoringsystem beschrieben. Darauf auf bauend wird in Kap. 3 die messdatenbasierte Analyse der Bauwerkseigenfrequenzen analysiert. Diese Ergebnisse werden verwendet, um in Kap. 4 das numerische Modell abzugleichen. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und einem Ausblick in Kap. 5. Mit dieser Arbeit wird die Auslegung von Monitoringsystem an Brückenbauwerken noch zuverlässiger, indem für die Anwenderinnen und Anwender ein Bewusstsein geschaffen wird, wann ein Monitoringsystem an Spannbetonbrücken initialisiert werden sollten, um eine sinnvolle Ergänzung in der Instandhaltungsstrategie von Brücken abzubilden. Abb. 2: Darstellung des openLAB. (a) Isometrie und Querschnitt; (b) Aufnahme zum Zeitpunkt der Monitoringsystem-Installation 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 389 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase 2. Das openLAB und sein Monitoringsystem 2.1 Das Bauwerk Die Monitoringmaßnahmen werden an einer Forschungsbrücke, dem sogenannten openLAB, durchgeführt, welche konzipiert ist, um bis in den Bereich der starken Schädigung belastet zu werden. Es handelt sich um eine dreifeldrige Spannbetonbrücke mit einer Gesamtlänge von 45-m (3-× 15-m) und einer Breite von 4,5-m (Abb. 2). Die seit kurzem fertiggestellte Brücke steht auf dem Firmengelände der Hentschke Bau GmbH in Bautzen. Die Felder 1 und 2 bestehen aus drei, jeweils 1,5-m breiten Fertigteilen (FT), die als Plattenbalkenquerschnitte realisiert sind. Verbunden werden die FT mit einer klassischen Ortbetonergänzung. Für Feld-3 werden hingegen FT eines Schnellbausystems ohne Aufbeton verwendet. Es werden lediglich Fugenvergüsse (bewehrt) durchgeführt, um die Lastverteilung in Querrichtung sicherzustellen. Durch die Integration zylindrischer Hohlkörper kann das Eigengewicht der Schnellbausysteme reduziert werden [11]. Abb. 3: Das Monitoringsystem am openLAB während des Bauprozesses. (a) Verortung der Beschleunigungssensoren und des Temperatursensors in isometrischer Darstellung und im Schnitt; (b) Foto eines an der Unterseite des mittleren Steges angebrachten Beschleunigungssensors Bei der Bemessung des openLABs werden nur 25-% des Lastmodells 1 angesetzt, um relevante Beanspruchungszustände bis an den Grenzzustand der Tragfähigkeit zu erreichen. Daraus resultiert eine verhältnismäßig hohe Schlankheit von l/ d = 15- m/ 0,59- m ≈- 25, wobei l die Spannweite und d die Querschnittshöhe (mit Ortbetonergänzung) ist. Das openLAB verfügt über nennenswerte bauliche Besonderheiten. Zum einen sind über monolithische Anschlüsse die FT in den Achsen 10 und 20 kraftschlüssig mit den Unterbauten verbunden. Für den Übergang von Feld 2 zu Feld 3 in Achse 30 ist eine Verbindung aus einem zementgebundenen Ultra-Hochleistungs- Faserverbund-Baustoff (UHFB) vorgesehen. Die Fuge wird somit wasserdicht und lastabtragend überbrückt und eine schnelle Befahrbarkeit ist sichergestellt. Eine weitere Besonderheit stellt das Fundament in Achse 20 dar. Über eine Flächengleitlagerung können kontrollierte Verschiebungen in das Bauwerk eingetragen werden. Durch die Simulation der entstehenden Zwangsbeanspruchung kann die Auswirkung auf die semiintegrale Brücke beurteilt werden [11]. Jedes der drei Brückenfelder deckt einen eigenen Forschungsschwerpunkt ab. In Feld 1 werden typische bestandsprägende Schadensmechanismen für Spannbetonbrücken abgebildet. So werden im FT-1.1 Untersuchungen zur Koppelfugenproblematik und im FT-2.2 zur Spannungsrisskorrosion durchgeführt. Im FT-1.3 sind Bereiche mit reduzierter Querkrafttragfähigkeit realisiert. Ferner enthält das Feld-1 planmäßig Lunker und Kiesnester für diagnostische Untersuchungen. Es ist geplant, weitere Schäden, bspw. an den Spanngliedern, einzubringen. Das Feld 2 ist nach dem derzeitigen Stand der Technik errichtet und soll als Referenzgrundlage für den Vergleich mit spezifischen Schädigungsmechanismen im Spannbetonbrückenbau dienen. Das Feld 3 wird maßgeblich dazu genutzt die neuartige Fertigteilbauweise zu erproben und einen Beitrag zum ressourceneffizienten Bauen zu leisten. 2.2 Das Monitoringsystem und die Zielgröße der Messung Während der Bauphase werden vier Beschleunigungssensoren und ein Temperatursensor am Bauwerk eingesetzt, um Änderungen im globalen Tragwerksverhalten zu identifizieren. Die Verortung der Sensoren ist in Abb. 3 dargestellt. Die vier Beschleunigungssensoren werden in den Feldern 1 und 2 jeweils in Feldmitte und im Viertelspunkt an den mittleren Plattenbalken FT-1.2 und FT-2.2 mithilfe eine Zweikomponentenklebers appliziert. Die Sensorplatzierung ist mithilfe der Methode zur optimalen Sensorplatzierung und der Zugrundelegung der Fisher-Informationsmatrix bestimmt. Mit dieser Methode wird jeder potenzielle Sensorstandort mit einem Unabhängigkeitswert ausgestattet, der die Effektivität des Sensors darstellt. Der Wert gibt an, wie signifikant der Beitrag eines Sensors zum Gesamtergebnis der Eigenmoden ist. Zusammengenommen werden die Effektivitätswerte der einzelnen Sensoren in die Fisher-Informationsmatrix eingetragen und die Spur dieser Matrix kann berechnet werden, was eine Aussage über 390 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase die Effektivität des gesamten Messsystems erlaubt. In diesem Verfahren geht eine steigende Effektivität des Messsystems mit einer sinkenden Spur der Matrix einher. Der Iterationsprozess wird so lange durchgeführt, bis die vorgegebenen Kriterien erfüllt sind, also bspw. die maximale Anzahl der Sensoren (hier vier Beschleunigungssensoren) oder die Unabhängigkeit aller Sensoren einen Mindestwert (z.-B. 95-%) übersteigen. Weitere Erläuterung hierzu können bspw. in [12] nachgelesen werden. Ein Temperatursensor ist am Fundament der Achse 20 angebracht, um die Betonoberflächentemperatur zu messen. Ziel der Beschleunigungsmessung ist es, das dynamische Tragverhalten des Brückenüberbaus über die Zeit zu erfassen und eine Aussage darüber zu treffen, ab wann die Referenzphase des Monitorings bei Spannbetonbrücken beginnen sollte. Hierzu werden die Eigenfrequenzen der Felder 1 und 2 als Ergebnisgrößen analysiert. Abb. 4: Betonoberflächentemperatur vom 22.01.-23.01.2024 im Tag-Nacht-Wechsel als Rohdatensignal mit einer Abtastrate von 200 Hz und im 10-Minuten-Intervall Für die Messung des dynamischen Bauwerksverhaltens werden IEPE-Beschleunigungssensoren (engl. Integrated Electronics Piezo Electric) eingesetzt. Dieser Sensortyp bietet gegenüber MEMS-Beschleunigungs-sensoren (engl. Micro Electro Mechanical Systems) den Vorteil, dass sie niederfrequente Bauwerks-schwingungen zuverlässiger und rauschärmer erfassen können. Konkret werden einachsige IEPE-Sensoren verwendet, die die Beschleunigung in vertikaler Überbaurichtung messen. Experimentelle Untersuchungen mit diesen IEPE-Sensoren zeigen, dass im Vergleich zu den MEMS-Sensoren besonders niedrige Eigenfrequenzen und weniger verrauschte Messungen aufgezeichnet werden können. Eine detaillierte Untersuchung zum spezifischen Sensorverhalten wurde durch die Autoren in [13] vorgenommen. Die Temperatur wird mit einem PT 100 gemessen. Der Sensor funktioniert nach dem Prinzip, dass sich der elektrische Widerstand proportional der Temperatur ändert, wobei ein Widerstand von 100 Ω einer Temperatur von 20 °C entspricht. Der Zeitraum, in dem das dynamische Bauwerksverhalten ermittelt wird, ist in Tab. 1 aufgelistet. Tab. 1: Messzeitraum und Informationen zum Herstellungsprozess Datum Tag Anmerkung 22.01.2024 -10 Installation des Monitoringsystems 01.02.2024 0 Betonage der Ortbetonergänzung 22.02.2024 21 Traggerüstabsenkung 28.02.2024 27 Erreichen der 28-Tage- Betondruckfestigkeit 30.04.2024 89 Ende der Messung Insgesamt wird über 99 Tage kontinuierlich mit einer Abtastrate von 200-Hz gemessen, ohne dass es zu Verkehrseinwirkungen auf der Forschungsbrücke kommt, wobei die Betonage der Ortbetonergänzung als Tag 0 interpretiert wird, da ab diesem Zeitpunkt die sukzessive Veränderung des Bauwerksverhaltens im Herstellungsprozess beginnt. Traggerüstabsenkung und Erreichung der 28-Tage-Betondruckfestigkeit sind ebenfalls wesentliche Zeitpunkte, die zu einer abrupten Zustandsänderung des Bauwerks führen. Alle Rohdaten der Beschleunigungs- und Temperaturmessungen, einschließlich einer ausführlichen Dokumentation des Testprogramms sind im Datenarchiv Zenodo hochgeladen [14]. Die Daten sind unter dem folgenden Link abruf bar: https: / / doi.org/ 10.5281/ zenodo.10782663 Die Daten sind als interoperable *.CSV-Dateien hochgeladen und downloadbar. Die erfassten Rohdaten seien für die Temperatur und für einen Beschleunigungssensor beispielhaft in Abb. 4 und Abb. 5 gezeigt. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 391 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase Abb. 5: Typische Beschleunigungsmessdaten, hier am 23.01.2024 um 05: 01 Uhr in Feld 2 bei einer Betonoberflächentemperatur von T = 4,4 °C. (a) Messdaten im Zeitbereich (ohne und mit Tiefpassfilterung); (b) Leistungsdichtespektrum (ohne und mit Glättung). Die Abtastrate beträgt 200 Hz Der Temperaturgradient beträgt für den betrachteten Tag- Nacht-Wechsel vom 22.01.2024 bis zum 23.01.2024 ca. 2-K, wobei die Temperaturmessung selbst einer Streuung von ca. ±-1-K unterliegt. Die Messung der Temperatur ist wichtig, da das Bauwerk mit seinen mechanischen Eigenschaften wie Elastizitätsmodul auf Temperaturwechsel reagiert und damit auch die Eigenfrequenz des Tragwerks verändert wird. Für die Bewertung des dynamischen Tragverhaltens des Brückenüberbaus sind die Beschleunigungsmessdaten über die Zeit mithilfe der Fast-Fourier-Transformation (FFT) in den Frequenzraum zu überführen, da hiermit die modalen Eigenfrequenzen des Systems identifiziert werden können. Die Überführung aus dem Zeitin den Frequenzbereich erfolgt über das Fourier-Integral: (1) In dieser Gleichung ist X(f) die Fourier-Transformierte aus dem Zeitsignal x(t), die über die komplexe Form (komplexe Schwingungen und komplexe Fourier-Koeffizienten) als Exponentialfunktion und der komplexen Zahl i sowie mit der Frequenz f beschrieben wird. Diese Integration über die Zeit überführt das Rohdatensignal aus dem Zeitbereich in den Frequenzbereich. Nähere Angaben zur Fourier-Transformation können bspw. in [15] und [16] nachgelesen werden. Das Bauwerk selbst wird durch ambiente Schwingungen angeregt, d.-h. ausschließlich infolge Anregungen aus der Umgebung. In unmittelbarer Nähe des Bauwerks führt die Bundesstraße B156, die zwischen den sächsischen Orten Großräschen und Bautzen verläuft. Durch den landwirtschaftlichen Verkehr und insbesondere durch den Schwerlastverkehr werden Schwingungen im Baugrund übertragen, die das Bauwerk dynamisch anregen. Die Ermittlung der Biegeeigenfrequenzen des Brückenüberbaus erfolgt in mehreren Schritten, beginnend mit der Analyse des Rohdatensignals im Zeitbereich. Es werden manuell Signalfenster identifiziert, die signifikante Schwingungsänderungen aufweisen. In Abb. 5-(a) ist ein Zeitbereich von etwa 5 Sekunden dargestellt, in dem ein vorbeifahrendes Fahrzeug die Brücke dynamisch anregt. Eine vorausgegangene numerische Modellierung der Brücke hat ergeben, dass die 392 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase ersten beiden Biegeeigenfrequenzen unterhalb von 25-Hz liegen. Daher wird das Rohdatensignal einer Tiefpassfilterung mit einer Grenzfrequenz von f grenz- =-25-Hz unterzogen, um Störsignale aus der Umgebung zu minimieren. Die gemessene Temperatur während dieser dynamischen Brückenanregung beträgt T- =- 4,4- °C, vgl. Abb.- 4 und Abb. 5. Mithilfe der Fourier-Transformation wird das gefilterte Rohdatensignal in das Frequenzspektrum überführt und als Leistungsdichtespektrum dargestellt, siehe Abb. 5-(b). Da das Spektrum einer gewissen Unsicherheit unterliegt (alle Beschleunigungsmessungen und die daraus resultierenden Größen unterliegen einer gewissen statistischen Unsicherheit), wird es geglättet, um die Peaks besser identifizieren zu können. Dieses Vorgehen ermöglicht die Definition der Biegeeigenfrequenzen des Brückenüberbaus. Das Leistungsdichtespektrum zeigt die erste Biegeeigenfrequenz bei etwa f 1 - =- 6,7-Hz und die zweite Biegeeigenfrequenz bei f 1 -=-14,1-Hz. Das dynamische Verhalten des Überbaus dient als Grundlage für die numerische Modellierung und die damit verbundene Modellaktualisierung in Kap. 4. Für Letztere ist vor allem zu klären, wie die Randbedingungen des Brückentragwerks während des Bauprozesses definiert sind. 2.3 Randbedingungen des Brückentragwerks Die Auswertung der Messdaten erfolgt unter Berücksichtigung verschiedener Ereignisse im Bauprozess. Insgesamt sind drei statische Systeme im Messzeitraum zu unterscheiden, welche nachfolgend näher beschrieben werden und in Abb. 6 dargestellt sind. Zustand-1 beschreibt den Zeitpunkt, an dem die FT eingehoben werden. Gelagert werden die FT im Feld 1 auf dem zuvor fertiggestellten Widerlager (Achse 10) und einem Traggerüst, welches 2,5-m vor der eigentlichen Stütze in Achse-20 positioniert wird. Die FT im Feld-2 lagern ebenfalls auf einem 2,5-m eingerückten Traggerüst und der Stütze in Achse-30. Da die FT in diesem Zustand nicht auf der Stütze in Achse-20 aufliegen, handelt es sich um einen Einfeldträger mit Kragarm (Abb. 6-(a)). Mit der Anfang Februar 2024 aufgebrachten Ortbetonergänzung auf die FT startet der Betonabbindeprozess, der zu einem monolithischen Verbund zwischen Überbau und Widerlager (Achse 10) sowie der Stütze (Achse 20) führt, vgl. hierzu Tab. 1. In Achse 10 stellen die Widerlagerwand und die FT eine Rahmenecke dar und in Achse-20 bildet sich ein biegesteifer Anschluss an die Stütze. In Achse 30 besteht keine kraftschlüssige Verbindung zum Feld 3, weswegen an dieser Stelle eine gelenkige Auflagerung angenommen wird. Abb. 6: Statische Systeme im Bauzustand: (a) Zustand 1: Einheben der FT; (b) Zustand 2: Ortbetonergänzung; (c) Zustand 3: Zustand nach Absenkung des Traggerüsts Das neue statische System spiegelt den Zustand-2 wider (Abb. 6-(b)), bei dem die FT allerdings noch auf den Traggerüsten links und rechts der Stütze (Achse 20) aufliegen. Das Absenken der Traggerüste am 22.02.2024 realisiert den Endzustand des Tragsystems. In Abb. 6-(c) verdeutlicht dies der Zustand 3. 3. Die Veränderung der Eigenfrequenzen durch die Ortbetonergänzung Entsprechend der Vorgehensweise in Kap. 2.2 wird die erste Biegeeigenfrequenz über die Zeit analysiert, um den Einfluss von Systemveränderungen während der Bauphase zu analysieren. Es kann durchaus sinnvoll sein, die zweite oder dritte Biegeeigenfrequenz als Analysemetrik hinzuzuziehen, da die Berücksichtigung mehrerer Eigenfrequenzen empfindlicher auf Zustandsänderungen im Bauwerk reagieren als nur eine Biegeeigenfrequenz [17], [18]. In diesem Beitrag wird nur die erste Biegeeigenfrequenz gewählt, da die tatsächlichen Bauwerksschwingungen aufgrund der ambienten Anregung für die Bestimmung dieser Biegeeigenfrequenz groß genug sind, um die modalen Frequenzen mit geringer Unsicherheit zu identifizieren. Die Ergebnisse dieser Systemidentifikation sind in Abb.-7 dargestellt. Abb.-7 (a) zeigt die Eigenfrequenz als Funktion der Zeit. In Abb. 7 (b) ist die Temperatur zum Zeitpunkt der jeweiligen Eigenfrequenzmessung dargestellt. Über den gesamten Zeitraum werden Eigenfrequenzen zwischen 4,6 Hz und 7,25 Hz gemessen, was einer prozentualen Änderung von bis zu 28-% gegenüber der Anfangsmessung entspricht. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 393 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase Abb. 7: Zeitinvariantes Tragwerksverhalten des Überbaus. (a) Eigenfrequenz f 1 über die Zeit mit relevanten Zeitpunkten in der Baumaßnahme; (b) Temperatur T über die Zeit Eine Vergleichsmessung der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) an Tag 71 mit einem anderen piezoelektrischen Beschleunigungsaufnehmer verifiziert die mit den eingesetzten IEPE-Sensoren ermittelten Eigenfrequenzen. Da die ambiente Anregung relativ schwache Schwingungen am Überbau hervorruft, wurde der Überbau an Tag 80 zusätzlich mit einer Kopfpunktanregung durch einen Hammerschlag angeregt. Trotz einer minimalen Abweichung zwischen Eigenfrequenz infolge Hammerschlags und ambienter Anregung wird das Vorgehen zur Berechnung der modalen Eigenfrequenz als valide angesehen. Aus Abb. 7 lassen sich drei wesentliche Aspekte ableiten. Der erste Aspekt zeigt, dass sich das dynamische Verhalten des Überbaus im Laufe der Bauzeit ändert. Zu Beginn der Messungen sind die beiden Felder (Feld 1 und Feld-2) der Brücke voneinander entkoppelt und nicht monolithisch mit dem Unterbau verbunden, sodass sich die FT der beiden Felder getrennt voneinander bewegen können. Es ist zu beobachten, dass die Eigenfrequenz von Feld 1 niedriger ist als die von Feld-2, was auf die geringere Betonfestigkeit und den damit verbundenen geringeren Elastizitätsmodul von Feld 1 (C25/ 30) im Vergleich zu Feld 2 (C50/ 60) zurückzuführen ist. Bleibt der Fokus auf einem der beiden Felder, z.-B. Feld 1, zeigt es signifikante Änderungen der Eigenfrequenzen während des Bauprozesses. Am Tag 0 wurde die Ortbetonschicht gegossen, was die Eigenfrequenz aufgrund der zusätzlichen Masse ohne Steifigkeitserhöhung deutlich verringert. Das Absenken des Traggerüsts am Tag 22 bewirkt eine weitere Abnahme der Eigenfrequenz, da die Stützweite von Feld-1 abrupt zunimmt. Mit dem Überschreiten der 28-Tage-Betondruckfestigkeit, und dem sukzessiven Abbinden des Betons, werden die ehemals konstruktiv getrennten FT zu einem Zweifeldträger mit einer starren Rahmenecke in Achse 10 und Achse 20, was zu einem Anstieg der Eigenfrequenz bis zum Tag 35 führt. Der Vergleich zwischen Feld 1 und Feld 2 zeigt, dass sich die Eigenfrequenzen im Laufe der Zeit annähern, da die getrennten Felder durch das fortschreitende Abbinden der 394 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase Ortbetonergänzung zu einem monolithischen Tragsystem werden. Neben der Zeitabhängigkeit der Eigenfrequenz ist auch eine Temperaturabhängigkeit der Eigenfrequenz in Abb.- 7 sichtbar. Diese Beobachtung stellt den zweiten signifikanten Aspekt der Untersuchung dar. Die Temperatur schwankt im betrachteten Zeitraum zwischen 5-°C und 20-°C. Zwischen Tag -10 und Tag 20 steigt die Temperatur sukzessive um 3-K an, was infolge der negativen Korrelation zwischen Temperatur und modaler Eigenfrequenz (höhere Temperatur bedingt geringere Steifigkeit des Materials) zu einer Abnahme der Eigenfrequenz führen sollte. Abb. 8: Korrelationsanalyse zwischen Eigenfrequenz und Betondruckfestigkeitsentwicklung. (a) Entwicklung der Betondruckfestigkeit in % über die Zeit bei einer Lagertemperatur von 5 °C in Anlehnung an [18]; (b) Korrelation zwischen Eigenfrequenz und Betondruckfestigkeitsentwicklung Dies ist jedoch nicht der Fall, da der Abbindeprozess des Betons einen größeren Einfluss auf die Eigenfrequenzänderung hat. Die Eigenfrequenz verändert sich somit infolge der Überlagerung aus Temperatur und Betonabbindeprozess. Mit zunehmender Messdauer überwiegt der Effekt der Temperaturschwankungen, da der Abbindeprozess abklingt. Dies ist bspw. am Tag 50 sichtbar, wo die Eigenfrequenz infolge Temperaturabfall signifikant zunimmt. Die Temperaturabhängigkeit der Bauwerkseigenfrequenz wurde erstmals in [8] beschrieben, die das hier beobachtete Verhalten des Brückenüberbaus bestätigt. Je höher die Temperatur, desto weicher wird der Überbau und desto geringer wird die modale Bauwerks-Eigenfrequenz. Der dritte Aspekt, der im Zuge dieser Untersuchungen offensichtlich wird, ist die Korrelation zwischen Eigenfrequenz und Betondruckfestigkeitsentwicklung. Die Felder 1 und 2 gleichen sich nicht nur mit ihrer Eigenfrequenz an. Es wird auch in den einzelnen Feldern sichtbar, dass der Abbindeprozess des Betons einen Einfluss auf die Steifigkeit des Systems hat. Abb. 8 verdeutlicht dies. In Anlehnung an die DIN EN 12390-3 und DIN 1045- 3: 2023-08 werden in den Betontechnischen Daten, Abschnitt 10.5, Anhaltswerte für die Festigkeitsentwicklung des verwendeten Zements in Abhängigkeit von der Betontemperatur angegeben [19]. Die Betondruckfestigkeitsentwicklung des hier verwendeten Zements der Zementfestigkeitsklasse 42,5-N mit normaler Hydratationswärmeentwicklung zeigt in Abb. 8-(a), dass die Festigkeit nichtlinear ansteigt und zu Beginn einen höheren Zuwachs in der Festigkeit aufweist als am Ende der 28-Tage-Betonfestigkeit. Die Einflüsse wirken sich besonders stark auf die Anfangserhärtung in den ersten Tagen aus und sind in Abb. 7 vor allem zwischen Tag 0 und Tag 20 sichtbar. In diesem Zeitraum zeigt Abb. 8-(b) eine positive lineare Korrelation zwischen Eigenfrequenz und Betondruckfestigkeit für beide Felder. Je höher die Betondruckfestigkeit und damit die Steifigkeit des Materials, desto höher auch die Eigenfrequenz. Eine abschließende Bemerkung in diesem Kapitel soll die ursprüngliche Forschungsfrage dieses Beitrags beantworten. Mit den drei genannten Aspekten zeigt sich, dass infolge der Temperaturabhängigkeit, der Betonfestigkeitsentwicklung und der Ausbildung des monolithischen Verbundes zwischen Über- und Unterbau eine gewisse Zeit vergehen muss, bevor die Monitoring-Referenzphase bei Spannbetonbrücken initialisiert werden sollte. In diesem Fall sind es bis zu 70 Tage nach Betonage der Ortbetonergänzung, bevor von einem finalen Referenzzustand ausgegangen werden kann. Diese konkrete Tagesangabe sollte als grober Richtwert verstanden werden und kann bei unterschiedlichen Herstellungsverfahren variieren. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 395 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase Abb. 9: Überhöhte Darstellung der ersten Biegeeigenfrequenz im Zustand 1 Dennoch zeigt das Ergebnis die Wichtigkeit einer ingenieurmäßigen Entscheidung über den Beginn einer Monitoring-Referenzphase, um Fehlinterpretationen in den Messdaten, wie z.-B. die falsche Interpretation einer signifikanten Eigenfrequenzänderung als Bauwerksschaden, zu vermeiden. Ein anderer Anwendungsfall kann bspw. die Realisierung eines sogenannten Brücken-Geburtszertifikats sein, mit dem in Zukunft der gesunde Brücken-Referenzzustand zertifiziert werden könnte. 4. Finite-Elemente-Modellabgleich während des Bauprozesses Auf der Grundlage der in Kap. 3 beschriebenen Änderungen der Eigenfrequenzen wird mittels der Software SOFiSTiK (Version 2024) ein Finite-Elemente (FE-)Modell erstellt und unter Beachtung der drei verschiedenen (Bau-)Zustände (siehe Kap. 2.3) modelliert. Der Zustand-1 (Einheben der FT) ist aufgrund der unterschiedlichen Betonsorten und dementsprechend unterschiedlichen Elastizitätsmodule im Feld 1 und 2 gesondert zu betrachten, wobei das statische System für beide Felder identisch ist (siehe Abb. 6-(a). Als Modellierungsansatz wird ein Stabelement gewählt, dem ein Plattenbalken als Querschnitt zugewiesen wird. Um die Eigenfrequenz im Zustand 2 (Ortbetonergänzung) möglichst realistisch numerisch abzubilden, muss das FE-Modell erweitert werden. Zur Erweiterung zählen die verbleibenden FT links und rechts neben dem bereits modellierten Plattenbalken, die Widerlagerwand und Stützen sowie deren biegesteife Verbindung zum Überbau. Die Kopplung der drei nebeneinander liegenden FT im Feld 1 und 2 wird durch die Eingabe von FE-Plattenelementen erzielt. Abb. 10: Erweitertes FE-Modell zur Ermittlung der Eigenfrequenz im Zustand 2 und 3 Bei der Ausgabe der Eigenfrequenz im Zustand 2 sind links und rechts neben den Stützen Auflager modelliert, welche das noch stehende Traggerüst darstellen. Abb. 11: Überhöhte Darstellung der ersten Biegeeigenfrequenz im Zustand 2 (a) und 3 (b) Im Zustand 3 (Absenkung des Traggerüsts) werden diese Auflagerbedingungen ausgeschaltet - es wird der Endzustand erreicht. Die Ergebnisse sind in der nachfolgenden Tab. 2 zusammengefasst. Mit dem Abgleich der Biegeeigenfrequenzen aus Messung und FE-Modellierung erfolgt die Anpassung der Bauwerksparameter im numerischen Modell (bspw. Elastizitätsmodul und Auflagerelastizitäten), sodass das tatsächliche Tragverhalten im gesunden Endzustand (= Beginn der Monitoring-Referenzphase) mithilfe des FE-Modells beschrieben werden kann. Tab. 2: Zusammenfassung der berechneten Eigenfrequenzen im Vergleich zur Messung (Abweichung in %) Bauzustand Feld 1 Feld 2 1 6,06 (0,8-%) 6,45 (2,2-%) 2 7,12 (-4,7-%) 7,12 (1,8-%) 3 4,97 (6,2-%) Mit dem abgeglichenen FE-Modell ist dann eine Prognose über das Bauwerksverhalten bei variierenden Umgebungsbedingungen und Einwirkungen möglich. In diesem Fall kann auf Basis des FE-Modells bspw. ein robustes, optimal platziertes Sensor-Setup ausgelegt werden, indem mithilfe der numerischen Modellierung neuralgische Bauwerkspunkte identifiziert werden und potenziell auftretende lokale Schädigungsmechanismen besser überwacht werden können. Dieser Schritt wird in zukünftigen Untersuchungen durchgeführt. 5. Fazit und Ausblick Dieser Beitrag beschäftigte sich mit der Frage, wie signifikant die Veränderungen der modalen Bauwerksparameter an einer Spannbetonbrücke während der Herstellungsphase sind und, basierend auf dem Indikator der ersten Biegeeigenfrequenz des Überbaus, ab wann der Start einer Bauwerksmonitoring-Referenzphase bei Spannbetonbrücken (bspw. für die Vergabe eines Brücken-Geburtszertifikats) beginnen sollte. Hierzu wurde während der Bauphase einer Spannbeton-Forschungsbrücke über einen Zeitraum von 99 Tagen kontinuierliche Temperatur- und Beschleunigungsmessdaten erhoben und ana- 396 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Monitoring während der Bauphase einer Spannbetonbrücke: Änderung der modalen Bauwerksparameter und Optimierung der Referenzphase lysiert. Die Ergebnisse können folgendermaßen zusammengefasst werden: • Die erste modale Biegeeigenfrequenz verändert sich während des Herstellungsprozesses der Brücke signifikant um bis zu 28-%. Würde die Monitoring-Referenzphase in dieser Zeit beginnen, können Fehlinterpretationen auftreten und Schäden in einem späteren Stadium des Bauwerkslebens schlechtestenfalls nicht erkannt werden. • Es zeigt sich eine positive lineare Korrelation zwischen Betondruckfestigkeitsentwicklung und Biegeeigenfrequenz, die zu nennenswerten Änderungen in der Eigenfrequenz führen. Mit dem Abklingen des Hydratationsbzw. Abbindeprozesses des Betons wird ein monolithisches Tragverhalten realisiert, das einem gesunden Endzustand des Bauwerks gleichkommt. Erst wenn dieser gesunde Endzustand erreicht ist, sollte mit einer Monitoring-Referenzphase begonnen werden. In diesem konkreten Fall ist dieser Zustand nach ca. 70 Tagen erreicht. Abhängig vom Bauverfahren und Umgebungsbedingungen ist dieser Zeitraum lediglich als grober Richtwert zu verstehen. In der Praxis kann bspw. eine Beschleunigungsmessung mithilfe eines reduzierten Sensor-Setups am Bauwerk Abhilfe schaffen, um den gesunden Endzustand zu definieren. • Die Messung der Biegeeigenfrequenzen im gesunden Endzustand ermöglicht einen Modellabgleich des numerischen Bauwerksmodells, mit dem eine Prognose über das Bauwerksverhalten bei variierenden Umgebungsbedingungen und Einwirkungen möglich ist. In zukünftigen Arbeiten wird mithilfe des FE-Bauwerksmodells untersucht, wie nach der Identifikation des gesunden Endzustands (=Beginn der Monitoring-Referenzphase) und der Aktualisierung des numerischen Modells auf Basis der Beschleunigungsmessungen eine Auslegung eines optimalen Monitoringsystems für die Brücke realisiert werden kann, indem mithilfe numerischer Analysen neuralgische Bauwerkspunkte identifiziert werden. Schon jetzt zeigen die hier vorgestellten Ergebnisse, wie wichtig die ingenieurmäßige Bewertung gegenüber der bloßen mathematischen Quantifizierung der Monitoringdaten ist. Mit dem Wissen der Anwenderinnen und Anwender darüber, wann ein Monitoringsystem initialisiert werden sollte, wird das Betreiben von Brückenmonitoringsystemen zuverlässiger und robuster gegenüber Fehlinterpretationen. Danksagung Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden innerhalb des Forschungsprojektes ANYTWIN erarbeitet, welches vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr im Rahmen des Förderprogramms mFUND (Förderkennzeichen: 19FS2248A-F) gefördert wird. Literatur [1] C.-H. Jeon, C.-S. Shim, Y.-H. Lee, und J. Schooling, „Prescriptive maintenance of prestressed concrete bridges considering digital twin and key performance indicator“, Eng. Struct., Bd. 302, S. 117383, März 2024, doi: 10.1016/ j.engstruct.2023.117383. [2] BASt, „Brückenstatistik“. 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