Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
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2024
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ANYTWIN – Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise
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Pauline Esser
Maria Walker
Alex Lazoglu
Lisa Ulbrich
Steffen Marx
Mit dem Zukunftsbild „Digitaler Zwilling“ visioniert der „Masterplan BIM Bundesfernstraßen“ des BMDV die digitale Repräsentation und Vernetzung aller bauwerksrelevanten Daten der realen Infrastruktur. Insbesondere für Brücken als neuralgische Bestandteile der Verkehrsinfrastruktur ermöglichen digitale Zwillinge eine optimierte Zustandsbewertung. Die erfolgreiche Einbindung digitaler Brückenzwillinge in das Erhaltungsmanagement erfordert standardisierte Konzepte für deren Entwicklung. Hier knüpft das vom BMDV geförderte Forschungsprojekt ANYTWIN mit dem Ziel an, messwertgestützte Tragsicherheitsnachweise in digitale Brückenzwillinge einzubinden. Die Konzeptentwicklung umfasst eine umfangreiche, branchenübergreifende Recherche vorhandener Definitionen und Charakteristika. Es wurden reifegradabhängige Merkmale digitaler Brückenzwillinge herausgearbeitet und deren Einfluss auf die messwertgestützte Nachweisführung untersucht. BPMN-Prozessdiagramme dienen als anschauliches Werkzeug zur Beschreibung, wie die jeweiligen Reifegrade auf Prozessebene umgesetzt werden.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 409 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise Pauline Esser, M. Sc. MKP GmbH, Hannover Dipl.-Ing. Maria Walker Institut für Massivbau, Technische Universität Dresden Alex Lazoglu, M. Sc. MKP GmbH, Hannover Lisa Ulbrich, M. Sc. Hentschke Bau GmbH, Bautzen Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx Institut für Massivbau, Technische Universität Dresden Zusammenfassung Mit dem Zukunftsbild „Digitaler Zwilling“ visioniert der „Masterplan BIM Bundesfernstraßen“ des BMDV [1] die digitale Repräsentation und Vernetzung aller bauwerksrelevanten Daten der realen Infrastruktur. Insbesondere für Brücken als neuralgische Bestandteile der Verkehrsinfrastruktur ermöglichen digitale Zwillinge eine optimierte Zustandsbewertung. Die erfolgreiche Einbindung digitaler Brückenzwillinge in das Erhaltungsmanagement erfordert standardisierte Konzepte für deren Entwicklung. Hier knüpft das vom BMDV geförderte Forschungsprojekt ANYTWIN [2] mit dem Ziel an, messwertgestützte Tragsicherheitsnachweise in digitale Brückenzwillinge einzubinden. Die Konzeptentwicklung umfasst eine umfangreiche, branchenübergreifende Recherche vorhandener Definitionen und Charakteristika. Es wurden reifegradabhängige Merkmale digitaler Brückenzwillinge herausgearbeitet und deren Einfluss auf die messwertgestützte Nachweisführung untersucht. BPMN-Prozessdiagramme dienen als anschauliches Werkzeug zur Beschreibung, wie die jeweiligen Reifegrade auf Prozessebene umgesetzt werden. 1. Einleitung Die Verkehrsinfrastruktur ist zugleich Eckpfeiler und Schwachpunkt des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Bedingt durch das hohe Bauwerksalter und die starke Zunahme des Schwerlastverkehrs befand sich im Jahr 2024 rund 5 % der Brückenfläche in einem nicht ausreichenden Zustand [3]. Die Schäden können aus einem defizitären Erhaltungsmanagement oder Unzulänglichkeiten in den damaligen Bemessungsansätzen resultieren. Problematisch sind insbesondere jene Versagensmechanismen, die zunächst im Verborgenen bleiben und sich in einem plötzlichen tragsicherheitsrelevanten Bauteilversagen äußern. Auch bei einem inspizierten mängelfreien Zustand ist eine rechnerische Nachweisführung daher für die Bewertung des strukturellen Zustands unabdingbar. Einem i. d. R. vorherrschenden Informationsmangel bei Bestandsbrücken wird mit konservativen Rechenannahmen begegnet. Die Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands [4] fokussiert den Auf bau einer „widerstandsfähigen Verkehrsinfrastruktur“. Dabei gilt der Strategie „Erhalt vor Aus- und Neubau“ und der verkehrsträgerübergreifenden Optimierung des Verkehrsflusses besonderer Vorrang. Für den Erhalt von Bauwerken, vor allem bei hoher strategischer Bedeutung im Infrastrukturnetz, sind innovative Forschungsansätze erforderlich. Insbesondere die sensorgestützte Überwachung kann genutzt werden, um Nachweise realitätsnäher zu führen und im Rahmen einer Dauerüberwachung, Veränderungen frühzeitig zu detektieren. Der BIM-Masterplan Bundesfernstraßen [1] visioniert dafür das Zukunftsbild des Erhaltens und Betreibens auf der Basis Digitaler Zwillinge (DZ). Nachdem sich der Einsatz von Building Information Modeling (BIM) im Planen und Bauen etabliert hat, sollen durch die Entwicklung von Testfeldern DZ ab ca. 2025 als eine Erweiterung der BIM-Methodik entwickelt, erprobt und aus dem Erfahrungsschatz ein Masterplan zum Auf bau und Betrieb von DZ abgeleitet werden. DZ erhalten u. a. Betriebsdaten relevanter Bauwerksbereiche aus sensorischer Überwachung, um zukünftig prädiktive Erhaltungsstrategien auf Einzelobjekt- und Netzebene umzusetzen. Damit werden auch rechnerische Nachweise, die einmalig im Rahmen einer Nachrechnung oder fortlaufend durch ein Dauermonitoring geführt werden, in einen DZ integriert [5]. 410 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise 2. Definition und Charakterisierung digitaler Zwillinge Auf branchenübergreifender Ebene existiert bereits eine Vielzahl umgesetzter DZ, wobei die Fertigungsindustrie die Thematik dominiert [6]. Bislang bestehen in der Wissenschaft und Praxis keine einheitlichen Definitionen für DZ [5], [6]. Der Begriff wird u. a. aufgrund der Assoziation mit einer innovativen Technologie häufig für Marketingzwecke verwendet, wodurch heterogene und vielfältige Definitionen entstehen. Für eine perspektivisch nachhaltige Integration der DZ in das Instandhaltungsmanagement der Infrastrukturbetreiber ist eine standardisierte Definition erforderlich. Im Rahmen des Projekts ANYTWIN wurde folgende Definition entwickelt: Ein Digitaler Zwilling ist eine dynamische, virtuelle Repräsentation eines physischen Objekts über eine oder mehrere Lebenszyklusphasen. Dieses physische Objekt kann von einer Teilkomponente eines Bauwerks bis hin zu einem Prozess oder einem Netzwerk aus Bauwerken variieren. Das physische Objekt und sein Digitaler Zwilling sind über einen bidirektionalen und (teilweise) automatisierten Datenaustausch verknüpft. Der Digitale Zwilling strukturiert heterogene Daten und kann eine Entscheidungsgrundlage für die vorausschauende Wartung und Instandhaltung des physischen Objektes abbilden. Die Definition beinhaltet folgende drei Dimensionen der DZ-Klassifikation: - Zeitlich: Die Lebenszyklusphase des physischen Objektes - Räumlich-Kontextuell: Die Betrachtungsebene als Position und geometrische Struktur des Objektes sowie der Kontext, indem das Objekt operiert - Funktional: Der Reifegrad als Umfang und Komplexität der Fähigkeiten des Digitalen Zwillings In Anlehnung an [7] wurde ein Klassifikationswürfel für die Einordnung der DZ im Bauwesen entwickelt (Abb. 1). Dieser ermöglicht eine Einordnung der DZ unter Berücksichtigung der o. g. Dimensionen. Bei der Einteilung nach der Betrachtungsebene können DZ in Komponenten-, Objekt-, Prozess-. System- und vernetzte Systemzwillinge eingeteilt werden [7]. Übertragen auf Brückenbauwerke, können einzelne Bauteile wie z. B. Stützen oder auch Sensoren als Komponentenzwillinge dargestellt werden. Aus diesen setzt sich der Objektzwilling zusammen, der das Gesamtbauwerk repräsentiert. Die Darstellung von einzelnen Prozessen, wie z. B. Überfahrten von Fahrzeugen, erfolgt anhand von Prozesszwillingen. Werden mehrere Objektzwillinge miteinander verknüpft, entsteht ein Systemzwilling. Bei der Kombination von Systemzwillingen unterschiedlicher Domänen bspw. bei der Verknüpfung von Brückenzwillingen mit den darüberfahrenden Fahrzeugen entstehen vernetzte Zwillinge. Für die meisten Anwendungsfälle im Bauwesen ist eine exakte Abbildung des physischen Objektes mit all seinen Informationen nicht erforderlich. So beschränkt sich bspw. der Einsatz von Sensoren zur Informationsgewinnung im Bauwesen aktuell v. a. anlassbezogen auf neuralgische Bereiche und spezifische Schadensbzw. Versagensmechanismen eines Objekts. Abb. 1: Klassifikationswürfel zur Beschreibung von DZ nach [7] In der Idealvorstellung repräsentiert der DZ den gesamten Lebenszyklus der Bauwerke. In der Betriebs- und Instandhaltungsphase, auf denen der Fokus in ANYTWIN liegt, stehen der Erhalt bzw. die rechnerischen Tragsicherheitsnachweise durch sensorische Überwachung und die Entwicklung von Prognosen im Fokus. Für eine Einstufung eines DZs je nach Umfang und Komplexität seiner Fähigkeiten wurden in [8] als Erweiterung der BIM-Methodik Reifegrade für DZ definiert. Die Reifegrade beschreiben die Fähigkeiten eines DZ, wobei höhere Reifegrade Fähigkeiten von niedrigeren Reifegraden inkludieren. Der deskriptive DZ im Reifegrad 1 entspricht einem BIM- Modell, in dem aktuelle Zustandsdaten wie z. B. Messdaten von IoT-Sensoren verortet sind (As-maintained-Modell). Die höheren Reifegrade unterscheiden sich primär in der Ausprägung der Datenverarbeitung (Data Analytics). Der DZ im Reifegrad 2 ist in der Lage, die gesammelten Daten zu aggregieren, analysieren und informativ bereitzustellen. In Reifegrad 3 kommen Vorhersagen zur Zustandsentwicklung hinzu. Im Reifegrad 4 generiert der DZ Handlungsempfehlungen und im Reifegrad 5 handelt der DZ autonom. Das vorgestellte Konzept der Reifegrade ist jedoch nicht detailliert genug, um konkrete Anforderungen an die Implementierung der DZ daraus ableiten zu können. Das erschwert eine Standardisierung der DZ, sodass für jedes Bauwerk und für jeden Anwendungsfall der DZ von Grund auf neu entwickelt wird. Um dieser Problematik zu begegnen, wurden im Projekt ANYTWIN konkrete Merkmale von DZ herausgearbeitet und diese anschließend in Bezug auf ihre Reifegradabhängigkeit bewertet. Die Merkmale der DZ werden im Folgenden als Twinning Indicators (TI) bezeichnet. Es resultiert daraus ein Anforderungskatalog, der näher beschreibt, anhand welcher Merkmale die Charakterisierung eines DZ im Straßenbrückenbau erfolgen kann und welche Fähigkeiten in welchem Reifegrad nach [8] erfüllt sein sollen. Als mögliche Basis für eine künftige Standardisierung von DZ soll perspektivisch eine Handlungsempfehlung entstehen. Im nachfolgenden Kapitel wird das Konzept der TIs näher erläutert. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 411 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise 3. Twinning Indicators - Konzept zur Charakterisierung digitaler Zwillinge Die Wahl des zu erreichenden Reifegrades hängt individuell von den Anforderungen der Ingenieure und Anlagenbetreiber ab. Eine wichtige Grundlage ist die Komplexität des Objekts sowie die objektspezifische geschuldete Sicherheit und Relevanz für Gesellschaft und Umwelt. So sind DZ höherer Reife insbesondere für hochfrequentiert befahrene Bauwerke geeignet, die eine besondere strategische Bedeutung im Verkehrsnetz besitzen. In ANYTWIN wurden TIs entwickelt, welche die Funktionalitäten und die Merkmale eines digitalen Brückenzwillings beschreiben. Die TIs gelten zunächst unabhängig von dem jeweiligen Anwendungsfall. Es wird dabei zwischen reifegradabhängigen und -unabhängigen TIs unterschieden. Reifegradabhängige TIs werden ferner in diskrete Merkmale (erfüllt/ nicht erfüllt) sowie in graduelle Merkmale eingeteilt. Die Einteilung der TIs ist in Abb. 2 schematisch dargestellt. Reifegradunabhängige Merkmale definieren grundlegende Anforderungen, die in jedem Reifegrad des DZs zu erfüllen sind. Diese sind in vier Cluster eingeteilt: Datenbereitstellung, Sicherheit, Vernetzung und Leistungsfähigkeit. Die Datenbereitstellung erfolgt über die Mensch-Maschine- Schnittstelle (z. B. webbasierte Plattform), die eine Vielzahl von Informationen über den Bauwerkszustand auf einen Blick zugänglich macht. Die Einhaltung von Sicherheitsanforderungen ist ein zentrales Thema bei DZ. Es ist eine strenge Zugangskontrolle zu sensiblen Datensätzen einzurichten. Die Struktur eines DZ sollte im Optimalfall übertragbar auf andere Bauwerke ähnlicher Bauart sein und so die Vernetzung mehrerer DZ ermöglichen. Die Leistungsfähigkeit eines DZ steht für die Effizienz und Geschwindigkeit, mit der der DZ Daten verarbeitet. Dies hängt von der Verfügbarkeit der aktuellen Daten, von der IT-Infrastruktur sowie von den Auswertelogiken ab. Leistungsverluste können insbesondere beim Anfallen dynamischer Monitoringdaten und einer fehlenden Archivierung beim langfristigen Betrieb eines DZ zum Problem werden [9]. Als reifegradabhängige Merkmale wurden die Merkmale identifiziert, deren Vorliegen sowie Ausprägung sich je nach Reifegrad des DZ unterscheidet. In der Gesamtschau gibt es nur wenige Merkmale, deren Erfüllung oder Nichterfüllung sich eindeutig feststellen lässt. Diese Merkmale wurden als diskrete Merkmale bezeichnet, die den kognitiven Fähigkeiten eines DZ zur Datenverarbeitung und zur Mensch-Maschinen-Interaktion entsprechen. In der nachfolgenden Tab. 1 wird beispielhaft eine Auswahl diskreter reifegradabhängiger Merkmale mit ihrer Zuordnung zu den Reifegraden präsentiert. Abb. 2: Twinning Indicators (eigene Darstellung) Tab. 1: Auszug aus der Zuordnung von diskreten Merkmalen zu den Reifegraden (O - nicht erforderlich; X - erforderlich) Reifegrad: 1 2 3 4 5 Datenverarbeitung Aggregation der Daten O X X X X Zustandsbewertung O X X X X Prognose des Zustands O O X X X Interaktionsfähigkeiten Warnsystem O X X X X Handlungsempfehlungen O O O X X Autonome Handlungen O O O O X Mit der Prüfung der Erfüllung dieser diskreten Merkmale soll eine Klassifizierung in die Reifegrade ermöglicht werden. Analog zum Konzept der Reifegrade in [10] inkludieren die höheren Reifegrade die Funktionalitäten der niedrigeren Reifegrade. Damit nimmt die Komplexität des DZ mit steigendem Reifegrad zu. So ist die Formulierung von Handlungsempfehlungen wie z.- B. die Durchführung einer Sonderinspektion auf Basis von Zustandsbewertung erst ab Reifegrad 4 zu erwarten. Das Einrichten eines Warnsystems, das proaktiv den Nutzer des DZ auf mögliche Schäden am Bauwerk oder im Monitoringsystem hinweist, ist schon ab dem Reifegrad 2 zu empfehlen. Die graduellen Merkmale wiederum unterscheiden sich zwar in ihrer Ausprägung bei Steigerung der Reifegrade, jedoch sind diese Unterschiede einer qualitativen Art und können nicht anhand einer quantifizierbaren Metrik bewertet oder eindeutig den Reifegraden zugeordnet werden. Zu diesen Merkmalen zählen zum Beispiel die Realitätsnähe oder die Datenqualität. Je höher der Reifegrad eines DZ ist, desto höher werden die Anforderungen an die graduellen Merkmale eines DZ. Die konkrete Ausgestaltung sowie eine Festlegung prüf barer Kriterien oder Schwellenwerte bei graduellen Merkmalen muss projektspezifisch erfolgen. Mit steigendem Reifegrad des DZ verändert sich auch die Integration der messwertgestützten Nachweisführung in den DZ. Insbesondere die diskreten reifeabhängigen Merkmale der Datenverarbeitung und der Interaktionsfähigkeiten beeinflussen den Prozess der Nachweisführung. Zunehmende Funktionalitäten des DZ führen zur Verlagerung von Aufgaben von menschlichen Akteuren auf den DZ und erhöhen somit den Automatisierungsgrad. Dies geht allerdings mit einem höheren Implementierungsaufwand einher. Im nächsten Kapitel wird eine standardisierte Methode zur Beschreibung der Prozesse, in die der DZ involviert wird, vorgestellt. Es handelt sich dabei um Diagramme in der BPMN-Notation (Business Process Model and Notation). Im Folgenden wird die Motivation und die Vorgehensweise bei der Erstellung der BPMN-Diagramme erläutert. 412 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise 4. Entwicklung und Verwendung von BPMN- Prozessdiagrammen für digitale Zwillinge Um den DZ effektiv in den Prozess der messwertgestützten Nachweisführung einbinden zu können, ist zunächst eine generalisierte Beschreibung des Workflows notwendig, die alle wesentlichen Schritte einer derartigen Nachweisführung nach derzeitigem Praxisstand zusammenfasst. Des Weiteren wird auf Basis der reifeabhängigen diskreten TIs untersucht, auf welche Weise der DZ in den unterschiedlichen Reifegraden den Workflow der messwertgestützten Nachweisführung beeinflusst. Dies ist Gegenstand des Kapitels 4.1. Im darauffolgenden Kapitel 4.2 wird die BPMN-Notation vorgestellt und eine beispielhafte Umsetzung für die Nachweisführung gezeigt. 4.1 Prozess der messwertgestützten Nachweisführung Die messwertgestützte Nachweisführung ist in ihrem Ablauf komplex. Zur Veranschaulichung der sich unabhängig vom Nachweis oder Bauteil wiederkehrenden Teilprozesse wurde im Rahmen von ANYTWIN der Gesamtprozess anhand von Nachweisberichten beteiligter Projektpartner im Forschungsvorhaben ANYTWIN in 7 untergeordnete Teilprozesse untergliedert, siehe Abb. 3. Abb. 3: Workflow der messwertgestützten Nachweisführung mit Einteilung in reifegradabhängige und -unabhängige Prozesse (eigene Darstellung) Bei der Aufteilung und Zusammenführung des Workflows in bzw. aus zwei Pfaden wurde der inklusive ODER- Konnektor zur Verdeutlichung des optionalen Charakters verwendet. Dieser bedeutet, dass mindestens einer der Pfade gewählt werden muss. Anlass einer messwertgestützten Nachweisführung sind Nachweisdefizite in der Stufe 1 und 2 nach [11]. Zunächst muss die messwertgestützte Nachweisführung vorbereitet und die Aufgabenstellung zielgerichtet formuliert werden. Zu den vorbereitenden Aufgaben zählen u. a. die Untersuchungen der Ursache/ Wirkungs-Mechanismen, die Defizite der Nachweisführung zur Folge haben, die Abstimmung mit der obersten Straßenbaubehörde und die Sichtung der Bestandsunterlagen. Ist dieser Teilprozess abgeschlossen, wird mit der Planung und dem Aufbau des Messsystems fortgefahren, was in der fortlaufenden Datenerhebung am Bauwerk mündet. In Abhängigkeit davon, ob ein Tragwerksmodell bei der Nachrechnung genutzt werden soll bzw. ob bereits ein geeignetes Tragwerksmodell aus den vorherigen Stufen der Nachrechnung vorliegt, muss eine Erstellung und/ oder Kalibrierung der bereits bestehenden Tragwerksmodelle durchgeführt werden. Sobald im Anschluss die modifizierten Tragwerksmodelle sowie die erhobenen Messdaten vorliegen, können daraus die Eingangsgrößen für die Nachweisführung ermittelt werden. Zu den messtechnisch erfassten Eingangsgrößen zählen veränderliche Bauwerksreaktionen und damit reale Beanspruchungen des Tragwerkes. Häufig werden auch Einwirkungen gemessen, um das Tragwerksmodell zu kalibrieren. Beanspruchungen aus ständigen Lasten sowie die Eigenschaften auf der Widerstandsseite sind oftmals nur mit einem erheblichen Aufwand zu ermitteln. Mithilfe dieser direkt erfassten oder der indirekt aus den Tragwerksmodellen ermittelten Größen wird auf die Beanspruchungen eines Bauteils geschlossen. Nach dem Abschluss dieses Teilprozesses, erfolgt die eigentliche Nachweisführung. Alternativ oder zusätzlich zu der messwertgestützten Nachweisführung ermöglicht die Messdatenerhebung am Bauwerk einen Abgleich mit vordefinierten Grenzwerten (z. B. aus Regelwerken). Dieser Grenzwertabgleich kann im Falle eines Langzeit- oder Dauermonitorings in Form eines Warnsystems automatisiert werden, sodass der zuständige Baulastträger oder der Tragwerksplaner über die potenziell kritischen Zustände am Bauwerk rechtzeitig informiert wird. Auf Basis des Nachweises und eines möglichen Grenzwertabgleichs erfolgt die abschließende Bewertung der Ergebnisse. Dies schließt bei den Ermüdungsnachweisen auch die Ermittlung der Restnutzungsdauer sowie die Ableitung notwendiger Interventionsmaßnahmen ein. Dieser Workflow wurde weiterführend dazu genutzt, um die Einbindung der messwertgestützten Nachweisführung in den DZ von Brücken zu beschreiben. Dazu wurde untersucht, welche der dargestellten Teilprozesse vom Reifegrad des DZ beeinflusst werden. In AN- YTWIN werden DZ von Brücken in den Reifegraden 1 bis 3 betrachtet, da deren Implementierung bereits in der Forschung und Praxis gelungen ist. Die Teilprozesse „Vorbereitung und Definition der Aufgabenstellung“, „Erstellung und / oder Kalibrierung der Tragwerksmodelle“ sowie die abschließende „Bewertung der Ergebnisse“ finden in den ersten drei Reifegraden außerhalb des DZ statt und werden manuell bis teilautomatisiert (z.-B. unterstützt durch FE-Programme) von den menschlichen Akteuren durchgeführt. Daher sind diese Teilprozesse nicht von den Reifegraddefinition betroffen. Im ersten, deskriptiven Reifegrad dient der DZ dem Sammeln von Daten und ihrer Bereitstellung für den Nutzer. Es handelt sich um ein BIM-Modell, das den aktuellen Bestand und die installierte Sensorik inkl. ihrer Eigenschaften abbildet. In diesem werden Monitoringdaten, verarbeitete Daten und Berichte zu den durchgeführten Nach- 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 413 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise weisen manuell hinterlegt. Aus diesem Grund ist der erste Reifegrad vor allem beim zeitlich begrenzten Kurzzeit- oder Langzeitmonitoring sinnvoll. Die Datenverarbeitung und die Nachweisführung erfolgen auf die konventionelle Art und Weise außerhalb des DZ. Der Mehrwert eines DZ besteht in der strukturierten Datenablage, die als Single Source of Truth für alle Stakeholder dient und aktuelle Informationen zum Bauwerk bereitstellt. Im zweiten, informativen Reifegrad wird eine automatisierte Nachweisführung auf Basis der gesammelten Monitoringdaten im DZ implementiert [9]. Damit wird eine regelmäßige Führung der Nachweise in vordefinierten Zeitabständen möglich. Hierzu ist jedoch ein Dauermonitoring und eine automatisierte Datenübertragung an den DZ erforderlich. Bei einer Überschreitung von festgelegten Schwellenwerten sendet der DZ eine Mitteilung an den Anlagenbetreiber. Des Weiteren findet im DZ des zweiten Reifegrads über die Führung der Nachweise zugleich eine Aggregation der Daten zu einer Zustandsinformation statt. Dank der Verkürzung zeitlicher Intervalle wird die Informationsdichte und die Realitätsnähe der Bewertung vom aktuellen strukturellen Bauwerkszustand wesentlich erhöht. Im dritten, prädiktiven Reifegrad kommt die Vorhersage des künftigen strukturellen Zustands hinzu. Die Vorhersage basiert auf den gesammelten historischen Monitoringdaten sowie auf den geführten Nachweisen. Für die Erkennung von Mustern und Trends sowie für die Simulation verschiedener Szenarien können die Methoden des Maschinellen Lernens eingesetzt werden. Das Warnsystem weist nun nicht nur auf die aktuellen, sondern auch auf die möglichen künftigen, kritischen Zustände hin, sodass der Anlagenbetreiber befähigt wird, vorausschauend Maßnahmen zu planen und durchzuführen. Die Verwendung der Reifegrade ermöglicht eine stufenweise Weiterentwicklung eines DZ und damit einen niederschwelligen Einstieg für die Einbindung der DZ in die bestehenden Instandhaltungsprozesse in der Praxis. Damit wird klargestellt, dass der Aufbau und der Betrieb eines DZ nicht zwangsläufig mit einem hohen Aufwand und hohen Kosten verbunden sein muss. Komplexe DZ, deren Implementierung ein kompetentes Expertenteam erfordert, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft eher Einzelfälle bleiben. Für den Großteil der kleinen und mittelgroßen Brückenbauwerke ist ein niedriger Reifegrad ausreichend. Die Betreiber der Infrastrukturanlagen können zunächst den Nutzen eines DZ in einem niedrigen Reifegrad erproben und den Reifegrad nach Bedarf erhöhen, um weitere Funktionalitäten nutzen zu können. Welche Komponenten hierfür im Anwendungsfall der messwertgestützten Nachweisführung notwendig sind und wie die Interaktion der einzelnen Akteure inkl. des DZ aussieht, lässt sich u.-a. mithilfe von BPMN-Diagrammen standardisiert darstellen. Die Vorgehensweise und Motivation werden im nächsten Kapitel erläutert. 4.2 BPMN-Prozessdiagramme: Grundlagen und Motivation Business Process Model and Notation (BPMN) ist ein weltweit anerkannter ISO-Standard [12] für die Prozessmodellierung, der von der Object Management Group (OMG) entwickelt wurde [13]. Er bietet eine grafische Darstellung von Geschäftsprozessen und ermöglicht es Organisationen, ihre Arbeitsabläufe zu dokumentieren, zu analysieren und zu optimieren. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Flussdiagrammen (wie in Abb. 3) verwendet BPMN über 150 spezifische Symbole, um die Komplexität moderner Geschäftsaktivitäten zu erfassen- [14]. Diese Standardisierung wird als ein wichtiger Schritt angesehen, um die Fragmentierung unter bestehenden Prozessmodellierungswerkzeugen und Notationen zu verringern [15]. Ein BIM-basierter DZ liegt der kollaborativen und standardisierten Arbeitsweise der BIM-Methodik zu Grunde- [5]. Im Rahmen des Forschungsprojektes IDA-KI wurde eine Forschungsbrücke „openLAB“ errichtet, die abschnittsweise in einen geplanten Zustand der Schädigung gebracht wird und auf diese Weise eine Untersuchung bestandsprägender Schadensmechanismen ermöglicht [16]. Sowohl das Konzept des DZ in ANYTWIN als auch der umgesetzte DZ für das openLAB sind BIM-basierte DZ. In der BIM-Methodik werden die vom Auftragnehmer zu erbringende Prozesse in BIM-Anwendungsfällen (BIM-AwF), wie z.- B. der messwertgestützten Nachweisführung, zusammengefasst. Die Beschreibung der Prozesse erfolgt im Information Delivery Manual (IDM), welches aus der Prozessbeschreibung selbst und den Austauschanforderungen (Exchange Requirements - ER) für die BIM-Fachmodelle besteht. Die Erfüllung der Austauschanforderungen im BIM-Modell erfolgt automatisiert mit Hilfe von Model View Definitions (MVD), welche maschinenlesbar beschreiben, wie Informationen im BIM-Modell abzubilden sind [17]. Nach Definition der Anwendungsfälle bildet das IDM den Kern der BIM-Methodik. Um die Prozesse der umzusetzenden BIM-AwF zu beschreiben sowie Art und Kontext des Informationsaustausches festzulegen, bietet es sich an, mit Prozessdiagrammen zu arbeiten. Nach VDI 2552 Blatt 11.1 [17] wird für die Darstellung von Prozessdiagrammen die Business Process Model Notation (BPMN) nach ISO/ IEC 19510 [12] als Standard empfohlen. Prozessdiagramme dienen sowohl als Grundlage für die Festlegung von Austauschanforderungen als auch für die Implementierung eines BIM-basierten DZ. Für das openLAB wurden fünf zum Teil aufeinander aufbauende BIM-AwF definiert (siehe Abb. 4). Abb. 4: BIM-AwF für die Forschungsbrücke openLAB (Hentschke Bau GmbH) Für die BIM-AwF wurden jeweils Prozessdiagramme in der BPMN entworfen. Aus den Prozessdiagrammen ge- 414 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise hen die Rollenverteilung sowie Art und Zeitpunkt des Informationsaustausches hervor. Daraus wurden die ER für die jeweiligen BIM-AwF sowie das Softwarekonzept abgeleitet. Auf bauend auf die ER kann die Umsetzung der MVD unter Anwendung der Software BIMQ erfolgen. Als Ergebnis entsteht ein BIM-basierter Digitaler Zwilling im Reifegrad 2 (siehe Abb. 5). Die Erstellung eines Prozessdiagramms mit ausreichender Informationstiefe für den Auf bau eines DZ ist zeitaufwändig und erfordert einen Überblick über die Aufgaben aller beteiligten Akteure sowie ihr detailliertes Verständnis. Jedoch wurde am Beispiel des openLABs festgestellt, dass die Verwendung von Prozessdiagrammen in der BPMN einige Vorteile bietet. Das Prozessdiagramm stellt den Prozess mit allen Aufgaben und Verantwortlichkeiten für alle Beteiligten verständlich dar, bildet somit eine gute Kommunikationsgrundlage und ermöglicht eine frühzeitige Abstimmung aller Akteure. Zudem bildet das Prozessdiagramm mit Hilfe der ER und MVD die Grundlage für die Sicherung der Qualität der im DZ hinterlegten Informationen. Abb. 5: Übersichtsansicht des DZs der Forschungsbrücke openLAB (Hentschke Bau GmbH) Des Weiteren zeigt es Aufgaben des DZ auf und kann als Grundlage für dessen Planung, Implementierung und Betrieb dienen. Aufgrund der positiven Erfahrung wurde auch für ANYTWIN der Einsatz von BPMN als sinnvoll bewertet. Dabei lag der Fokus jedoch nicht auf den Austauschanforderungen für Informationen, sondern auf der Zuweisung der Aufgaben zu den jeweiligen Akteuren, wobei der DZ als ein eigenständiger Akteur auftritt. 4.3 BPMN in ANYTWIN Ausgehend von den in Kapitel 3.1 herausgearbeiteten Teilprozessen einer messwertgestützten Nachweisführung wurden einzelne BPMN-Prozessdiagramme erstellt. Die reifegradunabhängigen Teilprozesse werden je anhand eines BPMN-Diagramms abgebildet. Zu den reifegradabhängigen Teilprozessen hingegen gehören je drei Prozessdiagramme für die ersten drei Reifegrade. Die Aufgaben sowie Interaktionen beteiligter Akteure sollen auf diese Weise herausgearbeitet werden. Diese Prozessdiagramme beziehen sich nur auf den Betrieb des DZ und nicht auf seine Implementierung, die in einem gesonderten BMPN-Diagramm darzustellen ist. Zielstellung ist die Identifikation von Schnittstellen, Datenübergabepunkten und Abhängigkeiten. Der DZ wird dabei als eigener Akteur im Anwendungsfall der messwertgestützten Nachweisführung betrachtet, da dieser Aufgaben des Menschen übernimmt. Die vom Menschen ausgeführten Prozessschritte der messwertgestützten Nachweisführung werden in Anlehnung an [18] benannten Akteuren (z. B. Fachplaner Monitoring, Tragwerksplaner, usw.) zugeordnet. Diese ganzheitliche Betrachtung des Anwendungsfalls und seiner Akteure ermöglicht ein näheres Verständnis der Mensch-Maschinen-Interaktion bei zunehmendem Reifegrad. In Abb. 6 ist beispielhaft ein BPMN-Diagramm zur Beschreibung des Teilprozesses „Nachweisführung“ (gemäß der Unterteilung in Abb. 3) dargestellt. Es handelt sich dabei um das Prozessdiagramm eines DZ im Reifegrad 2, der in der Lage ist, selbständig Daten zu verarbeiten und daraus Zustandsinformationen zu gewinnen. Daher findet hier die messwertgestützte Nachweisführung automatisiert statt. Der Prozess startet mit dem Abschluss des vorangegangenen Teilprozesses, in dem eine Erstellung und Kalibrierung der FE-Modelle erfolgt. Der gesamte Prozess gilt als beendet, wenn der Tragwerksplaner die Ergebnisse der Nachweisführung aus dem DZ auf Plausibilität geprüft hat. Im dargestellten BPMN-Diagramm sind zwei Pools definiert worden: Tragwerksplaner und digitaler Zwilling im Reifegrad 2, die jeweils eine eigenständige Organisationseinheit bilden. Damit wird deutlich gemacht, welche Aufgaben, die üblicherweise von einem Tragwerksplaner ausgeführt werden, durch den DZ übernommen werden. So ist der Tragwerksplaner nach wie vor für die Validierung bzw. Kalibrierung der FE-Modelle anhand der Monitoringdaten zuständig, die im DZ in einer Datenbank gespeichert sind. Darauf legt der Tragwerksplaner die Intervalle fest, mit denen die Nachweisführung im DZ stattfinden soll, und führt die Plausibilitätskontrolle der Ergebnisse durch, die der DZ ausgibt. Der DZ wiederum greift auf die aktualisierten FE-Modelle und die Monitoringdaten zur automatisierten Nachweisführung zu, führt die Nachweise und dokumentiert deren Ergebnisse. Die Sequenzflüsse legen die Reihenfolge von Aktivitäten fest und werden mithilfe von durchgezogenen Pfeilen dargestellt, die horizontal angeordnet sind. Sequenzflüsse sind auf einen einzelnen Pool beschränkt, während Nachrichtenflüsse verschiedene Pools verbinden können und somit den Informationsaustausch zwischen verschiedenen organisatorischen Einheiten sowie die Interaktionen der Pools untereinander darstellen. Nachrichtenflüsse werden mit gestrichelten Pfeilen dargestellt, die vertikal zwischen den Pools verlaufen. Beispiele für Nachrichtenflüsse sind im Beispieldiagramm das Auslösen der Nachweisführung im DZ durch den Tragwerksplaner und die Übergabe der Ergebnisse der Nachweisführung vom DZ an den Tragwerksplaner zu deren Überprüfung. Datenobjekte wie Modelle, Dokumente oder auch Datenbanken können mit Aktivitäten verknüpft werden und zeigen an, welche Daten verwendet, benötigt oder generiert werden. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 415 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise Abb. 6: BPMN-Prozessdiagramm für den Teilprozess „Nachweisführung“ mithilfe eines DZ im Reifegrad 2 (eigene Darstellung) Diese werden mithilfe einer Daten-Assoziation mit der Aktivität verknüpft werden, dargestellt als gepunktete Linie oder Pfeil. So greift der DZ bspw. auf die Datenbank mit den notwendigen Eingangsgrößen für die Nachweisführung und die Bestandsdaten zum Material und Geometrie des Bauwerks zur Führung der Nachweise zu. Letztere sind im IFC-Format eines BIM-Bestandsmodells gespeichert, das die Basis des DZ bildet. Die vollständige Ausarbeitung aller BPMN-Prozessdiagramme wird dem Abschlussbericht des Projekts ANYT- WIN zu entnehmen sein. 5. Fazit und Ausblick Die Auseinandersetzung mit dem Ausdruck „Digitaler Zwilling“ zeigt auf, dass es zum einen an einer einheitlichen Definition der Begrifflichkeit mangelt. Zum anderen bestehen daraus resultierend keine standardisierten Vorgehensweisen, DZ für bestimmte Anwendungsfälle einzusetzen und auf diese Weise das Erhaltungsmanagement bestehender Infrastruktur nachhaltig zu digitalisieren. Um diesem Mangel entgegenzuwirken, wurde im vorliegenden Paper ein standardisiertes Konzept zur Einbindung messwertgestützter Nachweise in DZ vorgestellt. Zur einheitlichen Charakterisierung von DZ wurden Merkmale (sog. „Twinning Indicators“) herausgearbeitet und diese in reifegradabhängig und -unabhängig eingeteilt. Ausgehend von den mit zunehmendem Reifegrad steigenden Funktionalitäten des DZ wurde der Einfluss auf die Interaktion zwischen beteiligten menschlichen Akteuren und dem DZ beschrieben. Mithilfe von reifegradabhängigen BPMN-Prozessen wurde ferner eine Möglichkeit aufgezeigt, Prozessketten, Abhängigkeiten, Informationsflüsse sowie Aufgabenverteilungen in standardisierter Form abzubilden. Die Beschreibung der Prozesse mithilfe der standardisierten BPMN-Diagramme erleichtert dabei den Übergang zur Automatisierung der Prozesse, die heute überwiegend manuell stattfinden und in der Praxis häufig sehr heterogen sind. Dieser Übergang ist bereits exemplarisch an der Forschungsbrücke openLAB gelungen. Darauf auf bauend wird sich die Erarbeitung eines standardisierten Datenstrukturmodells zur Einbindung heterogener Daten in einen DZ anschließen. Dazu werden Schnittstellen für externe Datenquellen definiert und Informationsaustauschanforderungen formuliert. Darüber hinaus werden Qualitätsanforderungen an die Messdaten sowie Anforderungen an die Metainformationen für messwertgestützte Nachweisführungen erarbeitet. Die Validierung der Konzepte erfolgt durch die Integration der Nachweisergebnisse in den vorhandenen DZ der Köhlbrandbrücke aus dem Projekt smartBRIDGE Hamburg [19]. Das weitere Projektvorhaben bildet auf diese Weise die Basis zur nachhaltigen Integration und interoperablen Nutzung heterogener Daten und setzt einen Grundstein für eine realitätsnahe und zuverlässige Tragsicherheitsbewertung. 416 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 ANYTWIN - Charakterisierung Digitaler Brückenzwillinge zur Integration messwertgestützter Tragsicherheitsnachweise Danksagung Dieser Artikel präsentiert Ergebnisse des Forschungsprojekts ANYTWIN (Entwicklung und Standardisierung von Methoden zur messdatengestützten Tragsicherheitsbewertung von Straßenbrücken und die Integration in digitale Zwillinge), gefördert durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr im Rahmen des mFUND-Förderprogramms (Förderkennzeichen: 19F2248A). Literatur [1] BMDV, „Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der Methode Building Information Modeling (BIM)“. September 2021. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.bim-bundesfernstrassen.de/ fileadmin/ user_ upload/ BIM_Masterplan_Bundesfernstrassen_barrierefrei.pdf [2] BMDV, „Entwicklung und Standardisierung von Methoden zur messdatengestützten Tragsicherheitsbewertung von Straßenbrücken und die Integration in digitale Zwillinge - ANYTWIN“. Zugegriffen: 5. Juli 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ anytwin.html [3] BASt, „Brückenstatistik“. Bundesanstalt für Straßenwesen, 1. September 2023. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.bast.de/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.html [4] „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie Weiterentwicklung 2021“. Die Bundesregierung, 15. Dezember 2020. [Online]. Verfügbar unter: www.bundesregierung.de/ publikationen. [5] BMDV, „Digitaler Zwilling von Brücken - Beitrag zum Masterplan Digitaler Zwilling Bundesfernstraßen“. Bundesministerium für Digitales und Verkehr, 2023. [6] N. Julien und E. Martin, „How to characterize a Digital Twin: A Usage-Driven Classification“, IFAC- PapersOnLine, Bd. 54, Nr. 1, S. 894-899, 2021, doi: 10.1016/ j.ifacol.2021.08.106. [7] IoT Analytics, „How the world’s 250 Digital Twins compare? Same, same but different.“, The 250 classifications of Digital Twin technology. Zugegriffen: 10. Mai 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / iotanalytics.com/ how-the-worlds-250-digital-twinscompare/ [8] buildingSMART, „Take BIM Processes to the next level with Digital Twins buildingSMART International“. Zugegriffen: 10. Mai 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.buildingsmart.org/ take-bim-processes-to-the-next-level-with-digitaltwins/ [9] A. Lazoglu, A. Bartsch, H. Naraniecki, D. Oberhauser, und S. Marx, „Ein Digitaler Zwilling für die Filstalbrücken entsteht - Erweiterung der Konzepte aus smartBRIDGE Hamburg“. Tagungsband des 2. Fachkongress Digitale Transformation der Verkehrsinfrastruktur, 2023. [10] ARUP, „Digital Twin towards a meaningful framework“. Zugegriffen: 13. Mai 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.arup.com/ perspectives/ publications/ research/ section/ digital-twin-towardsa-meaningful-framework [11] BMVBS, „Richtlinie für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie)“, Jan. 2011. [12] „ISO/ IEC 19510: 2013 - Information technology — Object Management Group Business Process Model and Notation“. ISO/ IEC JTC 1, Juli 2013. [13] „Business Process Model & NotationTM (BPMNTM) | Object Management Group“. Zugegriffen: 7. August 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.omg.org/ bpmn/ [14] „What is BPMN? The Easy Guide to Business Process Modeling Notation“. Zugegriffen: 16. Juni 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / creately. com/ guides/ what-is-bpmn/ [15] Gustav Aagesen, John Krogstie, „BPMN 2.0 for Modeling Business Processes“, in Handbook on Business Process Management 1, Berlin Heidelberg: Springer Verlag, S. 219-250. [16] M. Herbers u.- a., „openLAB - Eine Forschungsbrücke zur Entwicklung eines digitalen Brückenzwillings“, Beton und Stahlbetonbau, Bd. 119, Nr. 3, S. 169-180, März 2024, doi: 10.1002/ best.202300094. [17] „VDI 2552 Blatt 11.1, Informationsaustauschanforderungen zu BIM-Anwendungsfällen“, Verein Deutscher Ingenieure, Düsseldorf, Okt. 2021. [18] Deutscher Beton- und Bautechnikverein, „DBV -Merkblatt Brueckenmonitoring“. August 2018. [19] M. Wenner, M. Meyer-Westphal, M. Herbrand, und C. Ullerich, „The Concept of Digital Twin to Revolutionise Infrastructure Maintenance: the Pilot Project smartBRIDGE Hamburg“, gehalten auf der 27th ITS World Congress, Hamburg, Germany, Okt. 2021.
