eJournals Brückenkolloquium 6/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
0925
2024
61

Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg in Stuttgart

0925
2024
Julian Frede
Timo Krämer
Sergej Rempel
Durch den Einsatz innovativer Materialien wie Carbon und glasfaserverstärktem Kunststoff, kombiniert mit der unterhaltungsarmen integralen Holz-Beton-Verbundbauweise, war es notwendig, außerhalb bestehender brückenbaulicher Grundlagen zu bemessen. Mit mehrfachen experimentellen Ansätzen, aber auch der Anwendung neu erschienener Richtlinien konnte ein Bauwerk umgesetzt werden, das zukunftsorientiert das Potenzial dieser Bauweisen aufzeigt.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 441 Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg in Stuttgart 70 Meter lange integrale Holz-Carbonbeton-Verbundbrücke Julian Frede, M. Eng. Technische Hochschule Augsburg Dipl.-Ing. Timo Krämer Harrer Ingenieure GmbH, Zweigbüro Ostfildern-Nellingen Prof. Dr.-Ing. Sergej Rempel Technische Hochschule Augsburg Zusammenfassung Durch den Einsatz innovativer Materialien wie Carbon und glasfaserverstärktem Kunststoff, kombiniert mit der unterhaltungsarmen integralen Holz-Beton-Verbundbauweise, war es notwendig, außerhalb bestehender brückenbaulicher Grundlagen zu bemessen. Mit mehrfachen experimentellen Ansätzen, aber auch der Anwendung neu erschienener Richtlinien konnte ein Bauwerk umgesetzt werden, das zukunftsorientiert das Potenzial dieser Bauweisen aufzeigt. 1. Einführung Mehrfach wurden bereits Brückenkonstruktionen in Holz-Beton-Verbundbauweise hergestellt, wodurch die werkstoffspezifischen Vorteile der beiden Baustoffe in effektiver Weise den beanspruchten Querschnittsbereichen zugeordnet werden. So wird der Beton in der Druckzone des Querschnitts platziert, sowie das Holzbauteil in der Zugzone angeordnet. Die Betondeckschicht übernimmt dabei gleichzeitig auch eine schützende Funktion, sodass das Holz vor direkter Bewitterung abgeschirmt ist. Oftmals handelt es sich dabei um nicht integrale Brücken, die als Einfeldträger geplant wurden und so keinen Lagewechsel der Zugbzw. Druckzone aufweisen. Die Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg zwischen Stuttgart-Neugereut und Stuttgart-Steinhaldenfeld wurde hingegen als integrales Zweifeldsystem konzipiert, bei dem das volle Potenzial der Konstruktion nicht durch ein Anordnen zweier Einfeldträger, sondern einer Wirkung als eingespannter Durchlaufträger ausgeschöpft wird. Die Fahrbahnplatte wird hier mit einer Carbonbewehrung ausgeführt, wodurch auf eine Abdichtung des Bauwerks verzichtet werden kann. Diese Bewehrung wird ebenfalls im Bereich des mittleren Auflagers, sowie den Endauflagern verwendet, um die hohen Stützmomente adäquat aufnehmen und den erhöhten Anforderungen an die zulässigen Rissbreiten der Konstruktion gerecht werden zu können. 2. Bauwerk 2.1 Entwurf Bei der Gestaltung der Brücke wurde besonders Wert daraufgelegt, das Bauwerk harmonisch in die vorhandene Landschaft zu integrieren. Die neue Brücke verläuft mit einem sanften Gefälle über die Straße und folgt der natürlichen Topografie des Geländes. Radfahrer und Fußgänger können so in sicherem Abstand über den Gefahrenbereich hinweggeführt werden. Die lichte Durchfahrtshöhe und die vorgegebenen Gradienten wurden bei der Planung berücksichtigt, was die verfügbare Höhe des Überbaus begrenzte. Dank der V-förmigen Mittelstütze konnte die Spannweite der Hauptfelder verringert werden, sodass der Überbau gemäß den statischen Anforderungen in Verbundbauweise ausgeführt werden konnte. Abb. 1 Brückenentwurf in der Planungsphase Um den schwebenden Charakter der Brücke zu betonen, wurde die Mittelstütze sowohl in ihrer Geometrie als auch in ihrem Material vom Überbau abgesetzt, wodurch die horizontale Linienführung nicht unterbrochen wird. Diese Wirkung wird durch die reduzierte Ansichtsfläche des Brückengesimses und die horizontale Ausrichtung des Geländers verstärkt. In der Seitenansicht ist die Mittelstütze auf ein Minimum reduziert. Die kantige Formensprache der Mittelstütze spiegelt sich in abgewandelter Weise in den Widerlagern wider. Die leicht geschwungene Unterkante des Überbaus veranschaulicht dabei die statischen Anforderungen. 442 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg in Stuttgart Abb. 2 Längsschnitt durch das Bauwerk 2.2 Tragstruktur Die Ausbildung des Bauwerks als integrale Brücke bedingt eine nachgiebige Gründung in den Widerlagerbereichen, welche über die elastische Bettung der Tiefgründungen sichergestellt wird. Der Überbau ist in den Bereichen mit positivem Moment als HBV-Querschnitt konzipiert und mit einer variablen Höhe des Holzquerschnitts entsprechend den statischen Belastungen angepasst. In den Bereichen der Rahmenecken und den Stützbereichen der Mittelstütze wird ein reiner Betonquerschnitt ausgeführt (siehe Abb. 2) Zur Sicherstellung des Verbundes zwischen Holz- und Betonquerschnitt werden eingeklebte HBV-Schubverbinder verwendet. Seitlich wird der Holzquerschnitt aufgrund der Erfordernisse zur Vermeidung von Schlagregen nach innen geneigt ausgeführt. Der aus mehreren Lagen bestehende blockverleimte Holzquerschnitt wird mittels CNC-Fräse so bearbeitet, dass sich eine gestalterisch ansprechende und statisch erforderliche Linienführung ergibt. Der Binder wurde so aufgebaut, dass die angeschnittene Faser entlang der Oberseite des Holzträgers verläuft. Da der Beton im Bereich des Holzquerschnitt hauptsächlich überdrückt ist und sich infolge der Belastung damit keine Risse einstellen können, ist für diese Bereiche der vertikale Feuchtetransport von oben unterbunden, was im Sinne der Dauerhaftigkeit des Holzträgers von großer Bedeutung ist. Auf Wunsch des Bauherrn werden zur Verifizierung dieser ingenieurmäßigen Überlegungen in den Endbereichen der Holzträger noch zusätzliche Holzfeuchtesensoren verbaut. In den Endbereichen des HBV-Querschnitts werden die Querkräfte über eingeklebte glasfaserverstärkten Kunststoffstäbe mit Kopfausbildung in die Betonplatte hochgehängt. Die Bemessung der Hochhängung erfolgte in Abhängigkeit zu den Steifigkeiten der Schubverbinder. 3. Material 3.1 Beton Für den Beton wurde die Festigkeitsklasse C50/ 60 festgelegt, um zum einen das mechanische Potenzial der Druckfestigkeit nutzen zu können, zum anderen auch um den Überbau den Umwelteinflüssen entsprechend anzupassen, da auf eine Abdichtung verzichtet werden soll. Besondere Relevanz hatte die richtige Konsistenz des Betons, um ein vollständiges Umschließen der engmaschigen nichtmetallische Bewehrungsgitter gewährleisten zu können. Daher wurde im Zuge der Ausschreibung bereits Betonierproben verlangt, um die richtige Betonkonsistenz und das richtige Bearbeitungsverfahren testen und festlegen zu können. Abb. 3 Aufgeschnittener Betonkörper einer Probebetonage mit vollständigem Umschließen der acht Bewehrungslagen 3.2 Biegebewehrung Für die Biegebewehrung wurde das Carbongelege HTC 28-6/ 45-2/ 80 der Fa. Hitexbau GmbH verwendet. Im Zuge der Beurteilung der Tragfähigkeit wurden Zugversuche an der Technischen Hochschule Augsburg durchgeführt und folgende Bemessungsbruchspannungen und mittlere E-Moduli ermittelt. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 443 Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg in Stuttgart Tab. 1: Materialkennwerte der verwendeten Carbonbewehrung Kennwert Kettrichtung Schussrichtung f nm,d 1.360 N/ mm² 1.321 N/ mm² E nm 218.250 N/ mm² 207.204 N/ mm² Abb. 4 Besandete Längsbewehrung mit Querkraftbügeln Die Carbonbewehrung mit einer Dispersion auf Acrylatbasis wurde für ein verbessertes Verbundverhalten und eine Verringerung der Rissweite zusätzlich besandet. 3.3 Querkraftbewehrung Die Querkraftbewehrung wurde aus gebogenen Carbonstäben des Typs REBAR Form D10-CCE der Fa. Solidian GmbH gefertigt, da im Entwurf zur DAfStb-Richtlinie zu Betonbauteilen mit nichtmetallischer Bewehrung keine Gelege mitaufgenommen sind. Ein Biegerollendurchmesser von 120 mm führt hierbei zu einer Reduktion der charakteristischen Kurzzeittragfähigkeit von knapp 50 %, wie anhand von Versuchen des Herstellers ermittelt wurde. 3.4 Rückhängebewehrung Die Widerlager der Brücke sind monolithisch mit dem Überbau verbunden. Dadurch muss der Holzquerschnitt am Auflager in die Deckschicht rückverankert werden. Dies wurde mithilfe von glasfaserverstärkten Kunststoffstäben des Typs Combar der Fa. Schöck GmbH umgesetzt, die zur verbesserten Verankerung im Beton einen aufgeweiteten Kopfaufsatz aus Polymerbeton aufweisen. Die Klebung in ein Brettschichtholz wurde in Versuchen an der Technischen Hochschule Augsburg vorgenommen und ein charakteristischer Kurzzeit-Zugwiderstand von F ComBAR,k = 58,52 kN geprüft. Als 2K-PUR-Klebstoff wurde der LOCTITE CR PURBOND der Fa. Henkel & Cie. AG verwendet. 3.5 Holz Verwendet wurde ein blockverleimter Brettschichtholzträger der Festigkeitsklasse GL30c. Durch das unterschiedliche Verformungsverhalten von Holz und Beton bei Temperatur- und Feuchteänderungen muss bei der Bemessung besonders auf deren Einfluss geachtet werden, um die entstehenden Zwängungen in der Konstruktion zu erfassen. In Hinblick auf die ‚DIN CEN/ TS 19103 - Berechnung von Holz-Beton-Verbundbauteilen‘ wurde unterschieden zwischen einer ständig wirkenden Einwirkung aus der Differenz von Einbau- und mittlerer Ausgleichsfeuchte und der mittelfristigen Belastung aus jährlichen Holzfeuchteänderungen. Die Ausgleichsfeuchte wird in der Nutzungsklasse 2 mit 10 bis 20 % angegeben, weshalb auch im Sinne einer wirtschaftlichen Produktion die maximal mögliche Einbaufeuchte von 15 % gewählt wurde, um so die entstehende ständige Zwängung zu minimieren. Die jährliche Holzfeuchteänderung wurde ortsabhängig zu 3,0 % ermittelt und im Rechenmodell über eine Temperatur-Ersatzlast angesetzt. Abb. 5 Holzquerschnitt mit HBV-Schubverbindern und Auf hängebewehrung 4. Nachweisführung 4.1 Holz-Beton-Verbundquerschnitt im Feldbereich In den Feldbereichen der Brücke wurde ein gekrümmter blockverleimter Brettschichtholzträger eingesetzt, der innerhalb der Momenten-Nullpunkte des Zweifeldsystems liegt und folglich ähnlich einem Einfeldträger bemessen werden kann. Für die Ermittlung der Schnittgrößen im Holz-bzw. Betonquerschnitt und den Verbindungsmitteln wurde die Stabwerkmodellierung nach Rautenstrauch [1] verwendet. Eine Besonderheit stellt dabei die Modellierung des gekrümmten Holzquerschnitts dar, die abschnittsweise die anwachsenden Querschnittsabmessungen erfasst, um so dem sich verändernden Faseranschnittswinkel gerecht zu werden. Die abrupten Höhensprünge zwischen den einzelnen Abschnitten mit konstanter Querschnittshöhe werden in der Modellierung über Koppelstäbe miteinander verbunden, um so eine gleichmäßige Verformung zu erzwingen. Die schematische Modellierung des Holzquerschnitts wird in Abb. 6 gezeigt und bildet den unteren Teil der Modellierung nach Rautenstrauch. 444 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg in Stuttgart Abb. 6 Modellierung des gekrümmten Holzträgers im Stabwerkmodell nach Rautenstrauch Der Schubverbund wird durch eingeklebte HBV-Verbinder entsprechend abZ Z-9.1-557 hergestellt, die in Gruppen von 8 bis 26 nebeneinander positionierten Verbindungsmitteln, dem Schubverlauf entsprechend, eingeklebt wurden (siehe Abb. 5). Ebenfalls sind in Abb. 5 die eingeklebten Glasfaserstäbe zu erkennen, die neben der Rückverankerung des Holzträgers in den Beton auch die Funktion der Querkraftaufnahme im Anschnittbereich der Carbonbetonplatte am Widerlager und über dem Mittelauflager übernehmen. Da die Konstruktion aufgrund der Boden-Bauwerks- Interaktion und der unterschiedlichen Steifigkeiten der Komponenten einen starken Einfluss auf die Schnittgrößenverteilung hat, wurden für die Bemessung verschiedene Grenzbetrachtungen durchgeführt. Neben einer variierenden Bettung der Widerlager, die einen großen Einfluss auf die integrale Konstruktion hat, wurden ebenso die Parameter der Steifigkeit der Verbundkomponenten untersucht. Zum einen wurde mit einem Beton im ungerissenen Zustand mit vollem E-Modul gerechnet, der maßgebend wird für die Bemessung des Betonquerschnitts über dem Mittelauflager, zum anderen wurde von einem gerissenen Beton und einer Momentenumlagerung in die Felder und somit einer erhöhten Beanspruchung der Holzquerschnitte ausgegangen. Um dem rheologisch unterschiedlichem Verhalten der Baustoffe Holz und Beton gerecht zu werden, wurde entsprechend der ‚DIN CEN/ TS 19103 - Berechnung von Holz-Beton-Verbundbauteilen‘ zudem noch der Zeitraum von 3 bis 7 Jahren untersucht, da in diesem Zeitraum das maximale Betonkriechen stattfindet [2] und der Beton sich der Last entzieht. Dies ist maßgeblich für die Bemessung des Holzquerschnitts. 4.2 Carbonlängsbewehrung im Stützbereich Zum Witterungsschutz der darunterliegenden Holzträger wurde eine maximale Rissweite von 0,1 mm für die ständige bzw. 0,15 mm für die häufige Lastkombination festgelegt. Die Bemessung auf Rissbildung wurde experimentell in Vier-Punkt-Biegeversuchen an der TU Dortmund mit einem Versuchsträger von 6,00 x 0,585 x 0,5 m durchgeführt und mittels optischem Messsystem analysiert. Dazu wurde mit einem Sicherheitsaufschlag das Biegemoment zum Zeitpunkt der Rissbildung von 0,1 bzw. 0,15 mm gemessen und daraus die Textilspannung rückgerechnet. Abb. 7 Abgeschlossenes Rissbild bei einem Stützmoment von 320 kNm Durch die geringen Abstände der Faserstränge zueinander wurde jeder achte Faserstrang zu einer Öffnung hin herausgetrennt, um so eine Betonageöffnung sowie eine Möglichkeit des Verdichtens zu schaffen. 4.3 Querkraftbewehrung im Stützbereich Durch die Ausführung der Querkraftbewehrung mit den in 3.3 beschriebenen Steckbügeln wurde sich an der ‚DAfStb Richtlinie - Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung‘ orientiert. In diesem ist ein maximaler Druckstrebenwinkel cot θ = 0,8 festgelegt, wodurch die reinen Carbonbügel nicht mehr ausreichend bemessen waren. Zusätzlich wurden demnach die glasfaserverstärkten Kunststoffstäbe an der Querkraftaufnahme beteiligt, die ebenso den Holzträger in die Betonplatte rückverankern. Die Querkraftbemessung erfolgte additiv, d. h. ein reiner Betontraganteil wird mit einem Fachwerkanteil addiert. In Abb. 8 sind die 8-lagige Carbonlängsbewehrung, die glasfaserverstärkten Kunststoffstäbe und die gebogenen Carbonschubbügel zu sehen. Abb. 8 Schnitt durch den Übergang vom HBV-Träger zur Betonvoute Ebenfalls ist der Abbildung zu entnehmen, dass im Übergangsbereich eine Druckbewehrung aus Stahl angeordnet wurde. Eine Besonderheit der nichtmetallischen Querkraftbewehrung ist, dass sich aufgrund der veränderten Dehnsteifigkeit im Gegensatz zur Stahlbewehrung ein Biegeschubversagen ergeben könnte, ohne dass sich ein Versagen der Carbonbewehrung beobachten lässt. Daher wurde eine Begrenzung der Faserdehnung auf 7 ‰ nach DAfStb-Richtlinie vorgesehen. Ebenfalls wurde das 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 445 Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg in Stuttgart Zusammenwirken der Carbon- und Glasfaserstäbe über einen Vergleich der Dehnungen untersucht, um zu verhindern, dass die Grenzdehnung eines Stabes überschritten wird, bevor das andere Material sich überhaupt am Lastabtrag beteiligen kann. 5. Herstellungs- und Bauverfahren Eine Besonderheit beim Bauen mit Carbonbewehrung stellt zweifelsohne das Erfordernis dar, dass das Gelege nicht direkt betreten werden darf. Hierzu wurde bereits im Zuge der Entwurfsplanung entsprechende Überlegungen hinsichtlich des Umgangs damit angestellt. Im Zuge des Bieterverfahrens konnte dieser Themenpunkt bereits mit den Bietern selbst diskutiert werden, um etwaige ggf. übervorsichtige Annahmen bieterseits zu entkräften aber auch auf evtl. Risiken bei der bautechnischen Umsetzung hinzuweisen. Abb. 9 Verschubplattform zum Einbau der Bewehrung Dennoch ist hier vor allem das handwerkliche Geschick und auch der Erfindungsreichtum der ausführenden Akteure gefragt. Der Bau von eigenentwickelten Verschubplattformen erleichterte zum Beispiel den Einbau der erforderlichen kraftschlüssigen Mattenverbindungen mit Kabelbindern erheblich. Eine weitere Besonderheit stellte das Einfädeln der großformatigen Matten (3,40 m x 15,0 m) über die Schubbewehrung dar. Durch den geschickten Einsatz von einfachsten Hilfsmitteln und durch eine stetig steigende Routine konnte das Auffädeln der Matten zusehends beschleunigt werden. Bei der Herstellung der Einfüllöffnungen im Bewehrungsgitter zeigte sich, dass z. B. das Heraustrennen mit einem Winkelschleifer mit einem zu großen Risiko für ungewollte Schädigungen des verbleibenden Materials verbunden war. Auch hier sind das handwerkliche Geschick und die richtige Werkzeugwahl von entscheidender Bedeutung, um die Bewehrung vor bauzeitlichen Beschädigungen bestmöglich zu bewahren. 6. Monitoring Es wurden jeweils zwei faseroptische Messtränge über die gesamte Brückenlänge eingebaut. Aufgrund der hohen Genauigkeit des Messverfahrens erlauben die Messergebnisse dezidierte Rückschlüsse über das tatsächliche Rissverhalten an den entsprechenden Carbonmatten (Messpunkte über den gesamten Faserstrang im Abstand von 2,0mm bei einer Genauigkeit von 1mm), deren Verbundverhalten sicherlich noch nicht abschließend erforscht ist und daher noch viel Potential für weitere Materialoptimierungen bietet. Infolge der inzwischen wirtschaftlichen Verfügbarkeit stellt die faseroptische Messung eine für das Baugewerbe noch nicht ausgeschöpfte Methode des building learnings dar, um unsere Bauwerke besser verstehen und damit effizienter und dauerhafter bauen und betreiben zu können. Durch das eingebaute Temperaturmonitoring können die im Carbonbetonbau noch ungeklärten Fragestellungen beantwortet werden. Mit den eingebauten Temperatursensoren im Bereich der oberen Mattenlage kann über ein Tracking geklärt werden, welche maximalen Temperaturen an der direkt beschienen exponiertesten Bewehrungslage bei einer unbeschichteten Betonoberfläche und einer Betondeckung von ~2,5 cm tatsächlich auftreten können. Hieraus können Schlüsse bzgl. der erforderlichen Temperaturbeständigkeit gezogen werden, um das Bewehrungsmaterial ggf. weiter optimieren zu können. Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass Feuchtigkeit durch den Beton bis auf der Holzträger durchdiffundiert, wäre die Dauerhaftigkeit des Holzträgers ggf. eingeschränkt. Um die Option eines proaktiven Gegensteuerns garantieren zu können, ist ein entsprechendes Monitoring hierzu ein zielführendes Instrument. Die an der oberen Lamelle des Holzträgers eingebauten Holzfeuchtesensoren sind daher ein elementarer Bestandteil zur Überprüfung der getroffenen Annahmen und um die Dauerhaftigkeit sicherstellen zu können. 7. Zusammenfassung Durch den Einsatz von Carbonbeton in Kombination mit einer integralen HBV-Konstruktion werden im Brückenbereich neue Wege beschritten, was aufgrund des aktuellen Forschungsstandes nur in enger Abstimmung mit allen Beteiligten und der innovativen Einstellung des Bauherrn gelingen konnte. Wir hoffen, dass dieses Projekt einen weiteren Baustein liefern kann, um diese neuartige Konstruktionsart mit wichtigen Erkenntnissen voranzubringen. Dank und Beteiligte Dank gilt allen Projektbeteiligten, die mit ihrem Fachwissen und Engagement einen Beitrag zum Gelingen des Projektes beigetragen haben. Ein besonderes Dankeschön gilt aber dem Bauherrn, der durch seine Offenheit hinsichtlich neuer innovativer Bauweisen erst das Umsetzen des Projektes ermöglicht hat. 446 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Fuß- und Radwegbrücke über den Seeblickweg in Stuttgart Abb. 10 Abgelassene Brückenkonstruktion Literatur [1] Rautenstrauch et. al.: Modellierung von diskontinuierlich verbundenen Holz-Beton-Verbundkonstruktionen - Teil 1: Kurzzeittragverhalten Bautechnik 80 (2003), Heft 8, S. 534-541 [2] Schänzlin, J.: Zum Langzeitragverhalten von Brettstapel-Beton-Verbunddecken, Universität Stuttgart, Dissertation, 2003