eJournals Brückenkolloquium 6/1

Brückenkolloquium
kbr
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expert verlag Tübingen
0925
2024
61

Beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5

0925
2024
Mario Wettengel
Joachim Pflugfelder
Die Kosten und Folgen für Umwelt, Verkehrsmittel und Bauwerke lassen Bauherren von Brücken über Alternativen zum Einsatz von Streusalz im Winter nachdenken. Die Weiterentwicklung von Flächenheizsystemen für Parkhausrampen in Kombination mit reaktionsharzgebundenen Dünnbelägen verhalf zu einer praxistauglichen Lösung von Freiflächenheizungen, die überwiegend auf Stahl- und Stahlbetonbrücken zum Einsatz kommt. Wenngleich eine konkrete Ökobilanzierung beheizbarer Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 noch aussteht, sind der Einsatz von Strom aus erneuerbaren Quellen, die längere Lebensdauer der Brücken sowie ihre ganzjährig uneingeschränkte Nutzungssicherheit Argumente für die Anwendung dieser Innovation.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 461 Beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 Innovation durch Weiterentwicklung und Kooperation Mario Wettengel Bauschutz GmbH & Co. KG, Asperg Dipl.-Ing. Chemie Joachim Pflugfelder Sherwin-Williams Coatings Deutschland GmbH, Vaihingen/ Enz Zusammenfassung Die Kosten und Folgen für Umwelt, Verkehrsmittel und Bauwerke lassen Bauherren von Brücken über Alternativen zum Einsatz von Streusalz im Winter nachdenken. Die Weiterentwicklung von Flächenheizsystemen für Parkhausrampen in Kombination mit reaktionsharzgebundenen Dünnbelägen verhalf zu einer praxistauglichen Lösung von Freiflächenheizungen, die überwiegend auf Stahl- und Stahlbetonbrücken zum Einsatz kommt. Wenngleich eine konkrete Ökobilanzierung beheizbarer Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 noch aussteht, sind der Einsatz von Strom aus erneuerbaren Quellen, die längere Lebensdauer der Brücken sowie ihre ganzjährig uneingeschränkte Nutzungssicherheit Argumente für die Anwendung dieser Innovation. 1. Definition von RHD-Belägen Reaktionsharzgebundene Dünnbeläge (RHD) werden bevorzugt auf beweglichen Brücken (z. B. Klappbrücken), Festbrückengeräten, Fußgängerbrücken sowie Nebenbereichen von Brücken (z. B. Geh- und Radwege, Dienststege, Mittel- und Randkappen, Schrammborde), Seebrücken, Fähr- und RoRo-Anlegern, Pontons, Rampen wie z. B. Verladerampen usw. aus Stahl eingesetzt. Es dürfen nur RHD-Beläge verwendet werden, die nach den TL RHD-ST geprüft sind. Aktuell stehen dem Markt dafür Systeme von vier Herstellern zur Verfügung. Sie bestehen jeweils aus einer Grundierungsschicht aus Reaktionsharzen (Polyurethan, Epoxidharz/ Polyurethan oder Polymethylmethacrylatharz) mit Korrosionsschutzpigmenten sowie einer ein- oder zweilagigen Deckschicht aus Reaktionsharzen und Gesteinskörnungen. Die Deckschicht wird jeweils mit Quarzsand, Chromerzschlacke oder Korund abgestreut, um die Haftung der zweiten Lage sicherzustellen bzw. um Oberflächeneigenschaften wie z. B. Griffigkeit und Verschleißfestigkeit zu erzielen. Für Dienststeg-, Geh- und Radwegflächen ist eine Belagsdicke von 4 bis 6 mm festgelegt, für befahrene Flächen von 6 bis 10 mm. Diese Angaben sind in den „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten, Teil 6 Bauwerksausstattung, Abschnitt 5 Reaktionsharzgebundene Dünnbeläge auf Stahl“ (ZTV-ING 6-5) festgeschrieben. [1] 2. Herstellung von RHD-Belägen Beim Einbau von RHD-Belägen ist die ordnungsgemäße Ausführung zu beachten -insbesondere die Einhaltung der vorgeschriebenen Witterungsbedingungen: Die Baustoffe dürfen nicht bei Niederschlag, Taubildung oder Nebelnässe eingebaut werden. Außerdem müssen die Arbeiten bei Oberflächen-, Luft- und Stofftemperaturen zwischen 12 °C und 40 °C ausgeführt werden, um auch bei Neigungen bis zu 8 % standfest zu sein. Die Oberflächentemperatur der Unterlage muss mindestens 3 K über der Taupunkttemperatur der umgebenden Luft liegen. [1] 3. Vorteile von RHD-Belägen Entsprechend der ZTV-ING 6-5 ausgeführte RHD-Beläge können eine Lebensdauer von mehr als 20 Jahren ohne Instandsetzungsmaßnahmen erreichen. Bei der Verwendung von Chromerzschlacke und Korund als Zuschlag und Abstreuung kann sich diese Lebensdauer weiter verlängern. [2] Abb. 1: Der RHD-Belag der beheizbaren Geh- und Radwegbrücke in Marquartstein ist auch nach einer Lebensdauer von 12 Jahren völlig intakt. Bei einer Dicke von maximal 10 mm kann mit einem RHD-Belag gegenüber Asphalt einer üblichen Dicke von 462 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 bis zu 2 x 35 mm Gewicht eingespart werden. Asphalt fließt und verformt sich zudem bei hohen Temperaturen. Vor allem bei Klappbrücken sind diese beiden Faktoren von Bedeutung. Der flachere Belagsauf bau und die geringere Auflast ermöglichen zudem filigranere und architektonisch anspruchsvollere Baukörper. Die ZTV-ING 6-5 erlaubt die Einstellung der Rutschhemmung über die Wahl der Korngröße des Abstreumaterials entsprechend der gewünschten Rutschhemmungsklasse. RHD-Beläge können durch farbige Einstreumittel oder Kopfversiegelungen in Farbe ausgeführt werden, was vor allem bei Geh- und Radwegbrücken von Bedeutung ist. Zudem wirkt sich eine entsprechende Farbgebung positiv auf das Stadtklima im Sommer aus, weil im Vergleich zu Asphalt mehr Sonneneinstrahlung reflektiert wird und sich die Oberfläche dadurch weniger stark erhitzt (siehe Kapitel 8.2 Geh- und Radwegbrücken in Tübingen). 4. Der Innovationssprung Die Planung der Geh- und Radwegbrücke in Marquartstein sah einen reaktionsharzgebundenen Dünnbelag (RHD-Belag) auf Stahl vor. Eine besondere Anforderung lag darin, die Brücke auch in den Wintermonaten schnee- und eisfrei und damit ganzjährig ohne Rutschgefahr begeh- und befahrbar zu halten. Um dies zu realisieren, setzte man sich mit dem Dresdener Unternehmen STL Heizsysteme GmbH in Verbindung, das bereits verschiedene Freiflächenheizsysteme der STELO-Serie entwickelt hatte. Seit mehreren Jahren wurde das STELO- System in Parkhausrampen eingesetzt in Kombination mit den speziellen Beschichtungslösungen des Stuttgarter Bauchemie-Herstellers Sika Deutschland GmbH. Bei diesem Flächenheizsystem kam die auch im Stahlbau verwendete robuste Verschleißschicht Elastomastic TF zum Einsatz. So entstand die Idee, das STELO-System in modifizierter Form erstmals bei einem Brückenbauwerk aus Stahl einzusetzen. Die Firma STL Heizsysteme GmbH entwickelte darauf hin die 1 mm dicken, hochbelastbaren, flächenhaften Heizelemente, die in verschiedenen Geometrien und mit unterschiedlichen Leistungsparametern produziert werden können. Zusammen mit einer speziell entwickelten Steuer- und Regeltechnik entstand so eine neue, TÜV-sicherheitsgeprüfte Flächenheizung in Anlehnung an einen geprüften Dünnbelag nach ZTV-ING 6-5, die im Pilotprojekt Marquartstein 2012 erstmals in Betrieb ging. Die Kombination aus RHD-Belag und Flächenheizung funktioniert ähnlich wie bei den Parkhausrampen: Auf dem vorbereiteten und mit der Systemgrundierung versehenen Untergrund wird die Heizebene aus vorher passgenau konfektionierten STELOpreg-Heizelementen verklebt. Diese bestehen aus mehreren Lagen eines speziellen Kunstharzes, in denen sowohl die Heizmatten als auch ein Potenzialausgleich eingearbeitet ist. Das robuste Epoxid-Polyurethan-Hybrid Elastomastic TFN mit einer rutschhemmenden Abstreuung bildet die abschließende Verschleißschicht. Sie ist hochgradig abrieb-, stoß- und schlagfest. [3] Abb. 2: Die STELOpreg-Heizelemente werden vollflächig mit der RHD-Zwischenbeschichtung verklebt. Sie sind eine Weiterentwicklung des für Parkhäuser bewährten Systems. 5. Vorteile von Freiflächenheizungen für Brücken Auf deutschen Straßen werden im langjährigen Mittel 1,6 Millionen Tonnen Streusalz im Jahr eingesetzt und je nach Härte des Winters Mengen von mehr als vier Millionen Tonnen erreicht. [4] Neben Schäden an der Vegetation können hohe Salzgehalte die Stabilität der Bodenstruktur beeinträchtigen (Verschlämmung) und Bodenlebewesen schädigen. An Fahrzeugen und Bauwerken verursacht Streusalz Korrosion, die zu erheblichen Sanierungskosten und insgesamt zur Verkürzung ihrer Lebensdauer führt. Zudem fallen Kosten für das Streusalz selbst und die Ausbringung an. Eine Alternative für Brücken ist die Freiflächenheizung. Sie ermöglicht die automatisch gesteuerte und uneingeschränkte Nutzungssicherheit ganz ohne Personaleinsatz. Frostschäden im Untergrund der Bauwerke und Beschädigungen der Oberfläche durch Einsatz von Sand oder Splitt werden vermieden. Selbstverständlich muss auch hier die Ökobilanz bewertet werden. Günstige Auswirkungen auf das Ergebnis haben der Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien und Geothermie. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 463 Beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 Abb. 3: Durch Streusalz verdoppelt sich die Korrosionsgeschwindigkeit von Stahl. 6. Systemvergleich von Freiflächenheizungen Grundsätzlich stehen zwei unterschiedliche Konstruktionsformen für die Freiflächenheizungen zur Verfügung: die elektrische Variante und die warmwasserführende inerte Ausführung. Die direkten Betriebskosten der Freiflächenheizung sind niedriger, wenn Bauherren die wasserführende Variante wählen. Jedoch sind hier die Vorhaltungskosten höher, sofern nicht vorhandene Abwärme genutzt wird, weil von November bis März eine Wassertemperatur von 15 °C rund um die Uhr sichergestellt sein muss. Die elektrische Bauart reagiert bei Frostgefahr schneller. Ebenso gelangt die eingesetzte Energie schneller an die Oberfläche, wo sie auch benötigt wird. Außerdem sind die Installationskosten geringer und das Funktionsprinzip ist einfacher. Bei der elektrischen Variante gibt es je nach Hersteller Ausführungen mit mechanisch empfindlichen Heizmatten, in denen sich Heizschleifen befinden, oder Heizelemente, die aus einem Heizgewebe und einem Potenzialausgleichsgewebe bestehen. Beide Systeme sind in chemikalienbeständigem, schwerentflammbarem Kunststoff eingebettet, der gleichzeitig der Isolierung dient. Die Heizelemente haben den Vorteil, dass sie mechanisch stabil, einbausicher und bei einem Defekt leicht austauschbar sind. Zudem sind sie neben verschiedenen Standardgrößen auch in Sonderformaten erhältlich. Bei der Auswahl einer Freiflächenheizung ist vor allem die Systemtechnik zu bewerten, die letztendlich einen maßgeblichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit hat. Parameter wie der Energieverbrauch, die mechanische Festigkeit der Heizelemente oder -matten, das Steuer- und Regelsystem für ein kontrolliertes Heizverhalten, modernste Sensortechnik zur Heizleistungsoptimierung sowie die Frage, ob das Heizsystem in oder auf der Fläche eingebaut wird, haben Einfluss auf die Höhe der Betriebskosten. Freiflächenheizungen sind für die verschiedensten baulichen Untergründe geeignet; im Fall von Brücken können sie auf Beton- oder Stahlflächen installiert werden. 7. RHD-Systemaufbau von Freiflächenheizungen mit Heizelementen Für einen beheizbaren RHD-Belag auf einer stählernen Brückentafel in Anlehnung an die ZTV-ING 6-5 haben sich für die Systeme der Hersteller STL Heizsysteme GmbH sowie Sherwin-Williams (die Korrosions- und Brandschutzbeschichtungssparte der Sika AG wurde im Jahr 2022 von Sherwin-Williams übernommen) folgende Verarbeitungsschritte bewährt: Die Stahloberfläche wird zunächst durch Strahlen im Norm-Vorbereitungsgrad Sa 2½ nach DIN EN ISO 12944-4 vorbereitet. Anschließend wird die Grundbeschichtung Macropoxy HM Primer Plus im Airless-Spritzverfahren oder durch Steichen und Rollen appliziert. Es folgt das Aufspachteln der Zwischenbeschichtung Elastomastic TFN, einem Epoxid-Polyurethan-Hybrid-Flüssigkunststoff, in einer Schichtdicke von mindestens 4 mm. Nach der vorgegebenen Trocknungszeit in Abhängigkeit von der Temperatur werden der zweikomponentige Kleber STELObond auf Polyurethan-Basis appliziert und die hochbelastbaren, 1 mm dicken STELOpreg-Heizelemente darauf verklebt. Anschließend erfolgt der Einbau der Sensoren mit Dichtmanschette, das Herstellen der elektrischen Anschlüsse und das Ausspachteln der Zwischenräume. Zum Schluss wird die Deckbeschichtung Elastomastic TFN mit einer Schichtdicke von mindestens 2 mm appliziert und mit Chrmerzschlacke, Korund oder Quarzsand abgestreut. Das STELO-Heizsystem hat die Dauerschwellbiegeprüfung nach TL-RHD-ST bestanden. Dies ist die wichtigste Prüfung, der auch der RHD-Belag neben 23 weiteren zu unterziehen ist. Damit rückt das Ziel näher, dass die Dünnbeläge von Sherwin-Williams in Kombination mit dem STELO-Heizsystem bei der BASt gelistet werden. Abb. 4: RHD-Systemauf bau einer Freiflächenheizung mit Heizelementen: Stahlbrückentafel, Grundbeschichtung Macropoxy HM Primer Plus und Zwischenbeschichtung Elastomastic TFN, STELOpreg-Heizelemente, mit Quarzsand abgestreute Deckbeschichtung Elastomastic TFN (von unten nach oben). 464 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 8. Referenzbeispiele Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den beiden Partnerfirmen für Freiflächenheizungen und Bauchemie sind bislang sechs beheizbare Brücken mit RHD-Belägen und einer Gesamtfläche von 2007 m² realisiert worden. Das Pilotprojekt in Marquartstein und das Tübinger Radwegkonzept mit seinen beheizbaren Brücken werden nachfolgend beschrieben. 8.1 Geh- und Radwegbrücke Marquartstein Im Rahmen der Ortsentwicklung in Marquartstein beschloss die Gemeindeverwaltung, eine Brücke über die Tiroler Achen für Fußgänger und Radfahrer zu errichten. Das Bauwerk sollte darüber hinaus zu einem wesentlichen Bestandteil des geplanten Uferrundweges mit Erlebnischarakter werden. Das Traunsteiner Büro für Ingenieur-Architektur von Richard J. Dietrich plante die moderne Stahlrundrohrkonstruktion der freitragenden Brücke. Trotz einer Gesamtlänge von 73 m kommt das Tragwerk mit einem einseitigen Stabbogen an der Nordseite aus, nach Süden hin kann sich der Blick frei öffnen. Die im Werk vorgefertigten Brückenelemente wurden in drei Teilstücken mit Schwertransportern angeliefert und mit einem Spezialkran in Millimeterarbeit auf die vorbereiteten Widerlager an den Flussufern aufgesetzt. Nach der abgeschlossenen Montage wurde die Brücke mit einer befahrbaren, rutschfesten Korrosionsschutzbeschichtung versehen. Die Planung sah einen RHD-Belag auf Stahl vor. Eine besondere Anforderung lag darin, die Brücke auch in den Wintermonaten schnee- und eisfrei und damit ganzjährig ohne Rutschgefahr begeh- und befahrbar zu halten. Um dies zu realisieren, wurde das neu für diese Brücke entwickelte STELO-Freiflächenheizsystem eingesetzt in Kombination mit den speziellen Beschichtungslösungen des Bauchemie-Herstellers Sika - und damit die erste Flächenheizung für Brücken in Anlehnung an einen geprüften Dünnbelag nach ZTV-ING 6-5. Abb. 5: Die beheizbare Geh- und Radwegbrücke Marquartstein im Winter. Um die elektrotechnischen Sicherheitsanforderungen der Freiflächenheizung zu erfüllen, ist ein zweifacher Potenzialausgleich in das System integriert - unterhalb und oberhalb der Heizebene. Objektbezogene Wärmebedarfsberechnung und eine Stromlaufplanung wurden durchgeführt. Für die gesamte Fahrbahnfläche waren insgesamt zwölf elektrische Heizkreise erforderlich, die je nach Bedarf modular angesteuert werden können. Dabei kam die von STL neu entwickelte Sensorik für den Dünnbelag von 10 mm Gesamtschichtdicke zum Einsatz, die zahlreiche Temperatur- und Feuchtigkeitssensoren enthält und so das Ein- und Abschalten der Flächenheizung steuert. Die nicht durch Fußgänger oder Radfahrer genutzten Flächen der Brückenkonstruktion wurden mit dem 2-komponentigen EG-System, einem hochwertigen Korrosionsschutz nach TL/ TP-KOR-Stahlbauten, Blatt 87, beschichtet. Dieses System ist für hohe Beanspruchungen geeignet und setzt sich aus einer Epoxidharz-Zinkstaub- Grundierung, einer zweimaligen Zwischenschicht aus Epoxidharz-Eisenglimmer und einer Polyurethan-Deckbeschichtung im Farbton RAL 9006 zusammen. EG-4 bzw. -5 verfügt über eine sehr gute Kreidungs- und Farbtonstabilität mit dauerhaft dekorativer Wirkung. Abb. 6: STELOpreg-Heizelement mit elektrischem Anschluss 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 465 Beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 Abb. 7: Feuchtesensor, der bei Frostgefahr und entsprechender Feuchtigkeit den Heizprozess in Gang setzt. Für die Gemeinde Marquartstein war es von enormem Vorteil, dass Flächenheizung und Beschichtung aus einer Hand installiert wurden, und das in einer äußerst kurzen Zeitspanne. Für die Umsetzung des Gesamtpakets - von der Energieberechnung über die elektro- und bautechnische Planung bis hin zum Abschluss der Belagsarbeiten - wurden insgesamt nur zwei Monate benötigt. Die Brücke konnte im Oktober 2012 offiziell eingeweiht werden - noch vor Beginn der kalten Jahreszeit. Abb. 8: Durch zusätzliche Bodentemperatursensoren an der Heizfläche werden Heizleistung und Energieverbrauch optimiert. Für die Vertriebspartnerschaft der beteiligten Firmen eröffnete das Pilotprojekt des Flächenheizungssystems auf der Stahlbrücke ganz neue Perspektiven für weitere Einsätze bei unterschiedlichen Stahlkonstruktionen.[3] Wichtig ist dabei, dass die Entscheidung für beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an die ZTV-ING 6-5 in enger Abstimmung mit den Architekten und Ingenieurbüros erfolgt und frühzeitig in der Bauplanung berücksichtigt wird. Die Partner STL Heizsysteme GmbH und Sherwin-Williams stehen hier mit ihrem Know-how vor allem hinsichtlich Heizkreisberechnung, Verlege- und Stromlaufplanung sowie Auswahl der Beschichtungssysteme beratend zur Seite. 8.2 Geh- und Radwegbrücken in Tübingen Mit gleich vier beheizbaren, vier Meter breiten Geh- und Radwegbrücken setzt die Stadt Tübingen aktuell neue Maßstäbe bei der Realisierung ihres umweltfreundlichen Mobilitätskonzepts. Die Finanzierung der Brücken ist mit Bundes- und Landesmitteln gefördert. Abb. 9: Übersicht der vier Fahrradbrücken im Radwegenetz. Dunkelblau dargestellt ist das Blaue Band. (Bild: Universitätsstadt Tübingen) Die Radbrücken West, Mitte und Ost schließen wichtige Verbindungslücken für Fahrradfahrer. Bisherige Barrieren wie der Neckar, die Steinlach oder die Bahngleise werden überwunden. Gleichzeitig entsteht dadurch eine neue Nord-Süd-Radverbindung. Das 1,5 km lange und überwiegend vier Meter breite „Blaue Band“, eine zentrale Radvorrangroute von Ost nach West, vernetzt sie miteinander und bindet sie an die geplanten überörtlichen Radschnellverbindungen an. Pendlerverkehre und die Alltagsverkehre mit Fahrrad werden dadurch systematisch gefördert. Die Radbrücke Mitte wurde als erste im Juli 2021 fertiggestellt. Sie ist aus Beton und rund 35 Meter lang. Im Juli 2023 wurde die Radbrücke Ost eröffnet. Sie ermöglicht es den Fahrradfahrenden, den Neckar schnell und komfortabel zu überqueren. Südlich des Neckars führt die Verbindung auf das Blaue Band. Die Brücke ist rund 85 Meter lang. Die Überbauteile für die Brücke sind jeweils bis zu 33 Meter lang und 25 Tonnen schwer und bestehen aus drei Brückenabschnitten, sogenannten Tragwerks- Schüssen. Der Fahrbahnbelag besteht aus Gussasphalt. Das Freiflächenheizsystem der beiden Brücken besteht aus elektrischen Heizschleifen. Die Radbrücke West ist inklusive der Rampen rund 378 Meter lang. Am höchsten Punkt ist sie elf Meter hoch. Baubeginn der vom Ingenieurbüro Mayr Ludescher Partner aus Stuttgart geplanten Brücke war im April 2022, die Fertigstellung der Radbrücke ist für Oktober 2024 geplant. Sie ist aus Kostengründen in Stahl ausgeführt. Der RHD-Belag sowie die integrierte Flächenheizung wurden mit denselben Systemen hergestellt wie bei der Geh- und Radwegbrücke in Marquartstein. Die elektrotechnische Planung erfolgte durch das Ingenieurbüro Neher Butz Plus aus Konstanz. Bei der Radbrücke West sind an jedem der 82 Heizkreise acht Heizelemente angeschlossen. Damit die Heizelemente auf der geschwungenen Brückentafel flächendecken installiert werden konnten, musste jedes Element mit einer individuellen Geometrie maßangefertigt werden. Um das Design des Blauen 466 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Beheizbare Brückenbeläge in Anlehnung an ZTV-ING 6-5 Bandes fortzusetzen, wurde abschließend die optionale Acryl-Polyurethan-Kopfversiegelung Acrolon EG-5 im Blauton RAL 5015 appliziert. Bei Frostgefahr und entsprechender Feuchtigkeit reagieren die Sensoren und setzen den Heizprozess in Gang. Sobald die Feuchtigkeitsfühler - auch bei Minustemperaturen - Trockenheit signalisieren, schaltet sich die Heizung automatisch wieder ab. So kann sich auf der Brücke weder Glätte durch Blitzeis noch durch abtauenden Schnee bilden. Das STELO-System auf der Stahlbrücke hat neben dem Sicherheitsaspekt weitere Vorteile: Diese Lösung ist mit einem Gesamtstrombedarf von 228 kW äußerst energiesparend, da die Steuerung ausschließlich auf die Referenztemperaturen aus der Fahrbahnoberfläche Abb. 10: Die Radbrücke West in Tübingen mit der Acryl- Polyurethan-Kopfversiegelung im Blauton RAL 5015. reagiert und sich die Heizung erst bei zusätzlichem Auf kommen von Feuchtigkeit einschaltet. Daher kostet das Abtauen laut Oberbürgermeister Boris Palmer kaum Strom, der in Tübingen ohnehin zu 70 Prozent aus erneuerbaren Energien kommt. Die Stadtverwaltung rechnet durch die Beheizung anstelle von Streusalz mit einer wesentlich längeren Lebensdauer der Brücke von 50 Prozent bei akzeptablen Einbau- und Wartungskosten. Die beheizbaren Radbrücken in Tübingen kühlen nach Angaben von Oberbürgermeister Boris Palmer die Stadt ab. Der Grund liegt laut Palmer im blauen Fahrbahnbelag. Nach Angaben des Herstellers, der an den Radbrücken Mitte und Ost beteiligt war, reflektiert eine traditionelle schwarze Asphaltfläche lediglich 10 Prozent der Sonnenstrahlen. Die restlichen 90 Prozent werden in Wärme umgewandelt und erhitzen somit die Oberflächen und die Umgebung. Das können an einem warmen Sommertag bis zu 900 Watt pro Quadratmeter sein. Messungen in Tübingen hatten laut Hersteller eine Oberflächentemperatur von 52,5 Grad Celsius auf der normalen Straße ergeben. Die blaue Farbe hingegen habe 31 Prozent der Sonnenstrahlen reflektiert und die Oberflächentemperatur bei 38,2 Grad Celsius gelegen. Im Rahmen des Blauen Bands geplant ist weiterhin der Bau der 5,50 Meter breiten, ebenfalls beheizbaren Fuß- und Radbrücke Lustnau in nachhaltiger Holzbauweise mit einer Brückentafel aus Beton. Auch hier hat sich die Stadt Tübingen für einen RHD-Belag in Verbindung mit dem STELO-Heizsystem entschieden. Denn im Vergleich zu herkömmlichen Heizsystemen, bei denen die Heizebene im Beton verbaut ist und mindestens 350 W/ m² verbraucht, benötigt das beauftragte, auf dem Beton verklebte Freiflächenheizsystem nur 200 W/ m². Der Baubeginn der Brücke ist für 2024 geplant. [5,6,7] Literatur [1] ZTV-ING 6-5 [2] Erfassung und Bewertung von reaktionsharzgebundenen Dünnbelägen auf Stahl, BASt [3] Allgemeine Bauzeitung 2014 [4] Statista [5] www.aktivmobil-bw.de 2021 [6] dpa/ lsw 2021, Webseite der Stadt Tübingen [7] Reutlinger Generalanzeiger, 27.07.2021