Brückenkolloquium
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2510-7895
expert verlag Tübingen
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2024
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Ermittlung von Traglastreserven in 16,5 m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung
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Christian Dommes
Josef Hegger
Anhand von Querkraftversuchen an 16,5 m langen Spannbetonträgern werden die Einflüsse von Lastart, Querschnittsform, Einspanngrad, Bügelbewehrung und Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit herausgearbeitet. Die experimentellen Untersuchungen bestätigten die neuen Bemessungsansätze für die Querkrafttragfähigkeit nach der BEMING Teil 2. Um noch zutreffendere Nachrechnungen von Spannbetonbrücken zu ermöglichen, wird anschließend ein verfeinerter Bemessungsansatz der BEMING Teil 2 vorgestellt, der auf der Basis von neuen großformatigen Querkraftversuchen verschiedener Forschungseinrichtungen hergeleitet und durch Vergleiche mit Versuchsdatenbanken validiert wurde. Die Erweiterungen umfassen die Aktivierung bisher rechnerisch nicht genutzter Tragfähigkeitsreserven des verbreiterten Druckgurtes und die Abminderung auflagernaher Streckenlasten bei der Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonträgern.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 497 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung Christian Dommes, M. Sc. Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Josef Hegger H+P Ingenieure GmbH Aachen; ehemals Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen University Zusammenfassung Anhand von Querkraftversuchen an 16,5-m langen Spannbetonträgern werden die Einflüsse von Lastart, Querschnittsform, Einspanngrad, Bügelbewehrung und Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit herausgearbeitet. Die experimentellen Untersuchungen bestätigten die neuen Bemessungsansätze für die Querkrafttragfähigkeit nach der BEMING Teil-2. Um noch zutreffendere Nachrechnungen von Spannbetonbrücken zu ermöglichen, wird anschließend ein verfeinerter Bemessungsansatz der BEMING Teil-2 vorgestellt, der auf der Basis von neuen großformatigen Querkraftversuchen verschiedener Forschungseinrichtungen hergeleitet und durch Vergleiche mit Versuchsdatenbanken validiert wurde. Die Erweiterungen umfassen die Aktivierung bisher rechnerisch nicht genutzter Tragfähigkeitsreserven des verbreiterten Druckgurtes und die Abminderung auflagernaher Streckenlasten bei der Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonträgern. 1. Einführung Die Anforderungen an die Infrastruktur der Straßen werden aufgrund des stets steigenden Güterverkehrs zunehmend höher [1; 2]. Dadurch ergeben sich häufig Defizite in der rechnerischen Querkraft- und Torsionstragfähigkeit vieler älterer Bestandsbrücken [2-4]. Zur zutreffenden Bewertung der Tragfähigkeit von Brücken im Bestand ist die Frage nach einer möglichst realistischen Berechnung der Bauteiltragfähigkeiten immer wichtiger geworden [5]. Da ein Großteil der für die Herleitung und Kalibrierung der Querkraftbemessungsansätze zugrunde gelegten Versuche an Einfeldträgern mit Einzellasten durchgeführt wurde [6], ergeben sich in realen Tragstrukturen oftmals erhebliche rechnerisch ungenutzte Tragfähigkeitsreserven. Auf Grundlage experimenteller und numerischer Untersuchungen konnte die Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken bereits verfeinert (z.-B. [7-14]) und den Tragwerksplanern in Form der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) zur Verfügung gestellt werden ([15; 16]), für die eine weitere Fortschreibung in Form BEMING Teil-2 [17] aktuell in Bearbeitung ist. Obwohl die NRR im Zuge der verankerten vierstufigen Vorgehensweise einige Modifikationen zur Ermittlung höherer Widerstände zulässt, scheinen bei der Querkraftbemessung immer noch signifikante Tragfähigkeitsreserven von Bestandsbrücken vorhanden zu sein, deren rechnerische Erfassung weiterhin nur in Nachweisstufe- 4 möglich ist [18]. Über neue Versuche mit für die Praxis relevanten Untersuchungsparametern an den Forschungseinrichtungen RWTH-Aachen-University, TU-München und TU-Dortmund wird die Basis für die erforderliche Weiterentwicklung der Bemessungsansätze in Stufe-2 der NRR geschaffen. Im vorliegenden Artikel werden die am Lehrstuhl und Institut für Massivbau - IMB der RWTH Aachen University durchgeführten Versuche vorgestellt und erläutert, inwieweit sich derzeit ungenutzte Traglastreserven von Bestandsbrücken rechnerisch berücksichtigen lassen. Darauf auf bauend werden Vorschläge für eine Erweiterung der Bemessungsansätze auf Stufe 2 erarbeitet. 2. Experimentelle Untersuchungen 2.1 Versuchskörper und Versuchsaufbau Mit den am IMB durchgeführten Versuchen wird das Querkrafttragverhalten von Spannbetonträgern mit geringen Querkraftbewehrungsgraden vertiefter betrachtet. Insgesamt werden 16 Teilversuche (TV) an acht Trägern mit Vorspannung im nachträglichen Verbund durchgeführt. Als maßgebende Parameter wurden die Querschnittsform, die Lastart und die Vorspannung variiert. Zusätzlich wurden in TV-1 verschiedene Momenten-QuerkraftVerhältnisse, die in realen Bauwerken aus unterschiedlichen Feldweiten sowie Laststellungen resultieren, und in TV-2 verschiedene Bügelbewehrungsgrade getestet. Um den Einfluss der einwirkenden Schnittgrößen am Balken mit im Brückenbau üblichen Biegeschlankheiten bewerten zu können, wurde nur ein Feld vollständig abgebildet und die Durchlaufwirkung anhand unterschiedlicher Einspanngrade am Zwischenauflager durch eine separate Einzellast auf den Kragarm-F Krag simuliert. Die Lasten im Feld und am Kragarm wurden unter Einhaltung eines konstanten Kräfteverhältnisses (F Test bzw. q Test )-/ -F Krag -=-const. während eines Versuchs jeweils simultan gesteigert. Durch die gezielte Variation dieses Kräfteverhältnisses in den verschiedenen Versuchen war es so möglich, unterschiedliche Schnittgrößenkombina- 498 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung tionen zu erzeugen und somit verschiedene Einspanngrade-d r zu untersuchen. Über den Einspanngrad-d r wird das Verhältnis des aktuell einwirkenden Stützmomentes zu dem Stützmoment abgebildet, das sich in einem Zweifeldträger mit gleicher Spannweite und symmetrischer Belastung einstellen würde. Während d r -=-1,0 einer vollen Einspannung mit einem Momentennulldurchgang im Abstand 0,25-·-L 1 vom Mittelauflager entspricht, stellt d r -=-0 einen Einfeldträger ohne resultierendes Stützmoment dar. Ein Einspanngrad-d r -=-0,6 bildet ein Stützmoment ab, das 60-% des Stützmoments in einem Zweifeldträger mit gleicher Stützweite bei voller Last in beiden Feldern entspricht. Dementsprechend stellt sich bei d r -=-0,6 ein Momentennulldurchgang im Abstand von 0,6-·-(0,25-·-L 1 ) vom Auflager entfernt ein. Die Versuchsauf bauten mit den jeweiligen Untersuchungsbereichen in TV-1 und TV-2 sind in Abb.-1 dargestellt. Durch die Ausbildung der Versuchskörper als Einfeldträger mit Kragarm konnten die Spannweite des Hauptfeldes in TV-1 aufgrund des kürzeren Kragarms bei einer Gesamtlänge von 16,5-m auf 13-m vergrößert und somit realitätsnähere Schlankheiten untersucht werden. Die Testlast wurde entweder durch eine Streckenlast-q Test , die durch mehrere, nah beieinander wirkende Einzellasten realisiert wurde, oder eine weitere Einzellast-F Test aufgebracht. q Test q Test 8,0 m 16,5 m 13 m 2,5 m TV 1 M − + M F Krag TV 2 + M Abb.-1. Momentenverlauf infolge-q Test in TV-1 (oben) und TV-2 (unten) mit gekennzeichneten Untersuchungsbereichen Vor TV- 2 wurde der rechte Teil des Trägers mit der Bruchzone aus TV-1 durch einen Sägeschnitt abgetrennt, sodass ein Einfeldträger von 8-m Länge zur Verfügung stand, dessen Querkrafttragfähigkeit in TV-2 in der Nähe des Randauflagers bestimmt wurde. Aufgrund der geringen Biege- und Querkraftbeanspruchung am Randauflager während TV-1, war der Prüf bereich am Randauflager vor TV-2 weitestgehend ungerissen, wie es auch bei Versuchen von [19] der Fall war. Die untersuchten Trägerquerschnitte und die Sägeschnitte, anhand deren sowohl die Lage der Längsbewehrung als auch ein vollständiges Verpressen der Spannglieder überprüft werden konnte, sind in Abb.-2 dargestellt. Die Abmessungen des Stegs im gegliederten Querschnitt entsprechen denen des Rechteckquerschnitts. Die Betondeckung-c nom beträgt umlaufend 1,5-cm. Bügel Ø6/ 25 80 15 22 15 28 20 20 20 20 12Ø25 C G 8Ø25 20 20 20 20 Bügel Ø6/ 25 Bügel Ø10/ 25 8Ø25 12Ø25 C G 15 22 15 28 25 25 15 15 25 15 15 25 20 20 20 20 25 25 25 25 25 25 Abb.-2. Querschnitt mit Bewehrung, Sägeschnitte der Versuchskörper Das vollständige Versuchsprogramm ist in Tab.-4 zusammengefasst. In allen Versuchskörpern wurde die Längsbewehrung über die gesamte Länge mit Ø25-mm ohne Übergreifungen ausgebildet und von vertikalen Bügeln umschlossen. In den gegliederten Querschnitten wurden zusätzlich horizontale Bügel in den Flanschen vorgesehen. Der Kragarm sowie der nicht betrachtete Auflagerbereich in TV-2 wurden zur Vermeidung eines Querkraftversagen mit einer dichteren Bügelbewehrung ausgeführt. Im Endbereich der Spannkrafteinleitung war zusätzliche Bewehrung zur Aufnahme der Spaltzugkräfte vorgesehen. In den Untersuchungsbereichen wurde die in Tab.-4 angegebenen Querkraftbewehrungen angeordnet. 2.2 Materialparameter und Vorspannung 2.2.1 Beton Um den Brückenbestand realitätsnah abzubilden, wurde zur Herstellung aller Träger ein Transportbeton der Festigkeitsklasse C30/ 37 mit einem Größtkorndurchmesser d g -=-8-mm verwendet. Die begleitend ermittelten Baustoffkennwerte sind in Tab.-1 zusammengefasst. Zur Bestimmung der Materialeigenschaften wurden die Mittelwerte aus ≥-3-Einzelprüfungen gebildet. Sowohl im direkten als auch im Vergleich zu den jeweiligen Mittelwerten wird deutlich, dass der in Träger-8 eingesetzte Beton trotz einheitlicher Rezeptur deutlich geringe Materialkennwerte aufweist und die Zielfestigkeit nicht erreicht. Bei den Trägern 5 und 8 wurden am Versuchstag von TV-2 trotz des höheren Betonalters geringfügig niedrigere Betonfestigkeiten ermittelt als in TV-1. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 499 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung Tab.-1: Mittelwerte der Betonkennwerte aus versuchsbegleitenden Baustoffprüfungen Träger-/ Versuch Alter f cm,cyl(150/ 300) E cm f cm,cube150 [d] [N/ mm²] [N/ mm²] [N/ mm²] Ø 26 33,3 22635 41,3 1 TV-1 TV-2 17 24 33,0 32,8 24812 23758 43,2 44,6 2 TV-1 TV-2 22 30 34,0 35,7 21983 22503 44,5 48,4 3 TV-1 TV-2 21 25 39,1 38,9 24474 24657 49,7 49,7 4 TV-1 TV-2 15 22 31,1 34,5 22509 22886 43,6 43,9 5 TV-1 TV-2 47 54 33,7 33,1 22142 21327 38,2 37,4 6 TV-1 TV-2 17 28 32,7 35,2 22519 22170 36,3 39,2 7 TV-1 TV-2 14 33 34,2 34,9 25236 24546 40,4 44,8 8 TV-1 TV-2 18 22 25,3 24,1 18178 18465 28,9 28,1 2.2.2 Betonstahlbewehrung Für die Betonstahlbewehrung der Versuchsträger wurde die Festigkeitsklasse B500B verwendet. Die Mittelwerte der Betonstahleigenschaften aus jeweils vier Baustoffproben sind in Tab.-2 zusammengefasst. Tab.-2: Mittelwerte der Betonstahleigenschaften Ø Art f y0,2 f yu R m -/ -R e E s [mm] [-] [N/ mm²] [N/ mm²] [-] [N/ mm²] 6 Bügel 555 612 1,10 193565 8 Bügel 566 645 1,14 200078 10 Bügel 543 632 1,16 200555 12 Bügel 553 622 1,12 195348 25 Längsstab 550 651 1,18 195577 2.2.3Spannstahl und Aufbringung der Vorspannung Die Vorspannung der Versuchsträger bestand aus zwei Spanngliedern mit jeweils drei 0,6“Litzen (A P -=-140-mm², A P,Gesamt - =- 840- mm²) der Festigkeitsklasse St- 1570/ 1770 im nachträglichen Verbund. Die Festigkeitswerte sind in Tab.- 3 dargestellt. Alle Träger wurden stufenweise mit zwei hydraulischen Pressen vorgespannt. Neben der Kontrolle der Spannwege am Spannanker wurde die Kraft am Festanker in ausgewählten Versuchen kontinuierlich mit einer Hohlkraftmessdose dokumentiert. Hierdurch war eine genauere Bestimmung der Spannkraftverluste infolge Reibung möglich. Da die Spannglieder gleichzeitig durch zwei Zylinder, die sich in einem Hydraulikkreislauf befanden, vorgespannt wurden und die gemessenen Spannwege identisch waren, kann von einer gleichen Vorspannkraft in beiden Spanngliedern ausgegangen werden. Tab.-3: Mittelwerte der Spannstahleigenschaften St-1570/ 1770 A p f p0,1 f p,0,2 f pt E p [mm²] [N/ mm²] 0,6“Litze 140 1729 1764 1950 190000 2.3 Versuchsdurchführung Die Versuchskörper wurden nach dem Vorspannen und Verpressen der Spannglieder in den Versuchsrahmen eingefahren und anschließend auf Rollenlagern abgesetzt. Zwischen Rollenlager und Versuchskörper wurde jeweils eine Stahlplatte (l/ b/ h-=-60/ 25/ 2-[cm]) angeordnet, die Lasten wurden über in Gips gebettete Stahlplatten (l/ b/ h-=-40/ 40/ 4-[cm]) in den Versuchskörper eingeleitet. Die Belastung wurde durch hydraulische Zylinder auf die Prüfkörper aufgebracht. Die Kragarmlast-F Krag wurde simultan dazu in einem festen Verhältnis durch einen zweiten Ölkreislauf aufgebracht. Ein Versuchskörper mit gegliedertem Querschnitt und Beanspruchung durch Streckenlast ist in Abb.-3 dargestellt. Abb.-3. Ansicht des Trägers-3 nach Schubversagen in TV-1; oben: Spannanker mit der Streckenlast im 13-m langen Feld; unten: Festanker mit der Einzellast auf der Kragarmspitze 500 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung Tab.-4: Experimentelle Querkrafttragfähigkeiten V´ Test,d im Abstand-d vom Auflagerrand Versuchskörper Querschnitt TV 1 TV 2 Vorspannung σ cp Statische Nutzhöhe-d Längsbewehrungsgrad- ρ l System und max. Pressenlast Abstand M-=-0 infolge äußerer Lasten Einspanngrad-d r ρ w,vorh -/ - ρ w,min (Ø sw / s sw ) vorh V Test,d Vorspannung σ cp Statische Nutzhöhe-d Längsbewehrungsgrad- ρ l System und max. Pressenlast ρ w,vorh -/ - ρ w,min (Ø sw / s sw ) vorh V Test,d [-] [-] [N/ mm²] [cm] [%] [kN/ m]-/ -[kN] [L Feld ] [-] [-] [kN] [N/ mm²] [cm] [%] [kN/ m]-/ -[kN] [-] [kN] 1 2,41 74,2 2,1 q max -=-62,9 0,24 0,95 1,11 482 2,18 74,2 2,1 q max -=-176,0 1,11 565 (Ø6/ 25) (Ø6/ 25) 2 2,41 F max -=-416,0 0,20 0,80 1,08 410 2,18 F max -=-580,3 1,04 415 (Ø6/ 25) (Ø6/ 25) 3 2,47 76,7 3,1 q max -=-94,8 0,23 0,94 0,61 727 2,25 76,7 3,1 q max -=-249,5 0,61 804 (Ø6/ 25) (Ø6/ 25) 4 2,46 F max -=-526,0 0,21 0,85 0,72 537 2,25 F max -=-773,7 0,67 557 (Ø6/ 25) (Ø6/ 25) 5 2,47 q max -=-92,0 0,19 0,75 0,68 679 2,24 76,5 3,1 q max -=-297,7 1,25 954 (Ø6/ 25) (Ø8/ 25) 6 2,46 q max -=-88,1 0,15 0,60 0,70 631 2,25 76,1 3,1 q max -=-376,8 2,63 1201 (Ø6/ 25) (Ø12/ 25) 7 0,96 q max -=-75,2 0,19 0,76 0,67 565 0,86 76,7 3,1 q max -=-206,1 0,66 669 (Ø6/ 25) (Ø6/ 25) 8 2,43 q max -=-84,0 0,07 0,29 0,85 562 2,21 76,3 3,1 q max -=-300,2 2,40 962 (Ø6/ 25) (Ø10/ 25) 3. Versuchsergebnisse 3.1 Übersicht In allen 16 Teilversuchen trat ein Querkraftversagen im geplanten Untersuchungsbereich ein. In Tab.-4 sind die Versuchsparameter und Querkrafttragfähigkeiten-V Test,d für TV-1 und TV-2 jeweils im Abstand-d vom Auflagerrand dargestellt. V Test,d beinhaltet die Beanspruchung aus den äußeren Lasten und dem Eigengewicht, der vertikale Anteil der Vorspannkraft-V P wird in Kapitel-4 auf der Widerstandsseite berücksichtigt. Der Mindestquerkraftbewehrungsgrad- ρ w,min in Gl.-1 wurde entsprechend [20] in Kombination mit Tab.-1 ermittelt. Der Einfluss der untersuchten Parameter auf die Querkrafttragfähigkeiten-V Test,d wird anhand Abb.-4 verdeutlicht. Für die Auswertung sind die einwirkenden Querkräfte bei Maximallast-V Test,d auf der Ordinate über den untersuchten Parameter auf der Abszisse aufgetragen. Neben der Querschnittsform, der Lastart und der Vorspannung wurde in TV-1 zusätzlich der Einspanngrad-d r variiert (Abb.-4 oben), während in TV-2 der Einfluss des Querkraftbewehrungsgrades ρ w,vorh -/ - ρ w,min untersucht wurde (Abb.-4 unten). In den Diagrammen werden die Punkte entsprechend ihrem Querschnitt, der Lastart und der Höhe der Vorspannung dargestellt. In jedem Diagramm ist eine Trendlinie angegeben, die sich auf die Versuche bezieht, die sich allein in dem auf der Abszisse dargestellten Parameter unterscheiden. Der Vergleich der Bruchlasten-V Test,d der Durchlaufträger in TV-1 und der Einfeldträger in TV-2 liefert u.-a. die folgenden Erkenntnisse: • Ein erhöhter Einspanngrad-d r führt zu einer höheren Querkrafttragfähigkeit. • Ein gegliederter Querschnitt erreicht eine höhere Querkrafttragfähigkeit als ein Rechteck-Querschnitt. • Eine Belastung durch Streckenlasten erreicht eine höhere Querkrafttragfähigkeit als eine Belastung mit Einzellasten. • Eine höhere Vorspannung- σ cp vergrößert die Querkrafttragfähigkeit. • Die in TV-1 gewonnen Erkenntnisse an Durchlaufträgern lassen sich auf die Einfeldträger in TV-2 übertragen. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 501 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung σ cp = 0,96 200 400 600 800 1000 1200 1400 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 Einspanngrad d r σ cp = 2,41 - 2,47 N/ mm² 1.1 2.1 3.1 4.1 8.1 6.1 5.1 7.1 σ cp = 0,86 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 V Test,d ρ w,vorh / ρ w,min σ cp = 2,18 - 2,25 N/ mm² 1.2 2.2 3.2 8.2 6.2 5.2 7.2 4.2 0 Test,d Test,d V Test,d Abb.-4. Querkrafttragfähigkeiten V Test,d im Abstand-d vom Auflager für TV-1 (oben) und TV-2 (unten) Nachfolgend werden die Einflüsse aus Querschnittsform und Lastart auf die Querkrafttragfähigkeit diskutiert. Weitere Untersuchungen, u.- a. zu den Einflüssen aus Querkraftbewehrungsgrad- ρ w,vorh - / - ρ w,min , Vorspannung- σ cp sowie Einspanngrad- d r sowie eine Untersuchung der Schubrissbildung können [21; 22] entnommen werden. Anschließend werden die experimentellen mit den rechnerischen Tragfähigkeiten nach der NRR mit 1.-Ergänzung [16] (im Folgenden: NRR-2015) sowie BE- MING Teil-2 [17] (i.-F.: BEM-ING/ T2) verglichen. Um für die Auswertung den Einfluss der unterschiedlichen Betonfestigkeiten bei den experimentellen Querkrafttragfähigkeiten zu berücksichtigen, werden die absoluten Querkrafttragfähigkeiten im Abstand-d vom Auflagerrand in normierte Schubspannungen umgerechnet. Dazu wird die einwirkende Querkraftbeanspruchung-V Test,d zusätzlich um den vertikalen Anteil des geneigten Spannglieds-V P+ΔP reduziert und anschließend über die Betondruckfestigkeit- f cm , den Längsbewehrungsgrad- ρ l , den Maßstabsfaktor-k und die Schubfläche-b w -·-d auf Grundlage der NRR normiert (vgl. Gl.- (2)). Die obere Grenze des Längsbewehrungsgrades- ρ l mit ρ l -≤-0,02 wurde dabei vernachlässigt, da diese trotz des positiven Einflusses eines erhöhten Längsbewehrungsgrades auf die Querkrafttragfähigkeit eingeführt wurde, um in Längsrichtung überbewehrte Bauteile mit sprödem Bruchtragverhalten ohne Querkraftbewehrung zu verhindern [23]. 𝜏 Test,d,norm -=-(V Test,d ---V P+ΔP )/ (( f cm -·- ρ l ) 1/ 3 -·-k-·-b w -·-d) (2) Neben der ursprünglich aufgebrachten Vorspannung- σ cp wurde die zusätzliche Vorspannung-Δ σ cp aus dem Spannungszuwachs infolge Rissbildung und Verformung kurz vor dem Querkraftversagen bei der Ermittlung des Querkrafttraganteils aus dem geneigten Spannglied-V P+ΔP berücksichtigt (vgl. Tab.-5). Die zusätzliche Vorspannung-Δ σ cp wurde über die Dehnungsebene auf Spanngliedhöhe durch eine iterative Biegebemessung mit der Software INCA2 [24] ermittelt. Der Querkrafttraganteil aus dem geneigten Spannglied-V P+ΔP ergibt sich nach Gl.-(3) zu: V P+ΔP -=-( σ P -+- σ ΔP )-·-A P -·-sin- α (3) Tab.-5: Zusätzliche Vorspannung infolge Dehnung im Abstand-d zum Auflagerrand Versuchskörper TV-1 TV-2 Vorspannung σ cp Zusätzliche Vorspannung Δ σ cp Querkraft der Vorspannung V P+ΔP nach Gl.-(3) Vorspannung σ cp Zusätzliche Vorspannung Δ σ cp Querkraft der Vorspannung V P+ΔP nach Gl.-(3) [-] [N/ mm²] [kN] [N/ mm²] [kN] 1 2,41 1,19 28,1 2,18 0,48 38,3 2 2,41 0,81 25,5 2,18 0,15 34,4 3 2,47 1,22 41,7 2,25 0,52 61,3 4 2,46 0,75 38,4 2,25 0,25 57,8 5 2,47 0,49 36,8 2,24 0,67 62,7 6 2,46 0,27 35,2 2,25 0,91 65,7 7 0,96 0,80 18,4 0,86 0,54 27,4 8 2,43 0,01 33,2 2,21 0,41 58,8 Die normierten Schubspannungen- 𝜏 Test,d,norm im Abstand-d zum Auflagerrand sind in Abb.-5 oben für TV-1 über den Einspanngrad-d r dargestellt. Der positive Einfluss hoher Einspanngrade auf die Querkrafttragfähigkeit wird be- 502 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung stätigt, ebenso wie die Zunahme der Querkrafttragfähigkeit durch gegliederte Querschnitte, höhere Vorspannungen und Streckenlasten. Die Darstellung der normierten Schubspannungen- 𝜏 Test,d,norm über ρ w,vorh -/ - ρ w,min in Abb.-5 unten bestätigen die positiven Einflüsse dieser Parameter am Beispiel eines Einfeldträgers. Die etwas geringere Querkrafttragfähigkeit von Versuch-8.2 mit einem Querkraftbewehrungsgrad von ρ w,vorh -/ - ρ w,min -=-2,40 (vgl. Abb.-4 unten) ist maßgeblich auf die deutlich geringere Betondruckfestigkeit-f cm (24,1-N/ mm² im Vergleich zur mittleren Festigkeit aller Versuche von -=-33,3-N/ mm², vgl. Tab.- 1) zurückzuführen, da der Versuch nach der Normierung deutlich näher an der Trendlinie liegt. σ cp = 0,96 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 (V Test,d - V P+ΔP ) / ((f cm · ρ l ) 1/ 3 · k · b w · d) σ cp = 2,41 - 2,47 N/ mm² 1.1 2.1 3.1 4.1 8.1 6.1 5.1 7.1 σ cp = 0,86 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 (V Test,d - V P+ΔP ) / ((f cm · ρ l ) 1/ 3 · k · b w · d) ρ w,vorh / ρ w,min σ cp = 2,18 - 2,25 N/ mm² 1.2 2.2 3.2 8.2 6.2 5.2 7.2 4.2 0,0 Einspanngrad d r Abb.-5. Normierte Schubspannungen im Abstand-d vom Auflager für TV-1 (oben) und TV-2 (unten) 3.2 Einfluss der Querschnittsform Um den Einfluss der Querschnittsform auf die Querkrafttragfähigkeit zu untersuchen, werden die normierten Schubspannungen von Trägern mit unterschiedlichen Querschnittsformen und sonst sehr ähnlichen Parametern paarweise in Säulendiagrammen dargestellt (Abb.-6). Das statische System, die Lastart, der Querkraftbewehrungsgrad- ρ w,vorh -/ - ρ w,min und die Vorspannung- σ cp sind unterhalb der Säulen dargestellt. Je Paar zeigt die hellere Säule die normierte Schubspannung des Rechteckprofils und die dunklere Säule die des gegliederten Querschnitts. Obwohl die gegliederten Querschnitte bei identischer Bügelbewehrungsmenge im Vergleich zu den Rechteckquerschnitten einen geringeren Querkraftbewehrungsgrad- ρ w,vorh -/ - ρ w,min aufweisen (siehe Gl.-1), erreichten die gegliederten Querschnitte für alle Systeme und Lasten eine höhere Querkrafttragfähigkeit. Im Mittel ergibt sich für die durchgeführten Versuche eine um 17-% höhere Querkrafttragfähigkeit für die gegliederten Querschnitte. Versuch 1.1 3.1 2.1 4.1 1.2 3.2 2.2 4.2 ρ w,vorh / ρ w,min 1,11 0,61 1,08 0,72 1,11 0,61 1,04 0,67 σ cp [N/ mm²] 2,41 2,47 2,41 2,46 2,18 2,25 2,18 2,25 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 (V Test,d - V P+ΔP ) / ((f cm · ρ l ) 1/ 3 · k · b w · d) Ø: + 17% + 23% + 15% + 15% + 14% → Abb.-6. Normierte Schubspannung in Abhängigkeit der Querschnittsform 3.3 Einfluss der Lastart Zur Untersuchung des Einflusses der Lastart auf die Querkrafttragfähigkeit werden die normierten Schubspannungen von Versuchspaaren mit Einzeln- und Streckenlasten verglichen. Die Querschnittsform, der Querkraftbewehrungsgrad- ρ w,vorh - / - ρ w,min , die Vorspannung - σ cp und die Schubschlankheit- λ je Versuchspaar sind unterhalb der Säulen angegeben. Die hellere Säule je Paar zeigt die Tragfähigkeit des mit einer Einzellast beanspruchten Trägers, während die dunklere Säule die Tragfähigkeit des mit Streckenlast beanspruchten Trägers angibt. Insgesamt wird deutlich, dass unabhängig von der Querschnittsform und dem statischen System eine höhere Querkraft bei einer Belastung durch eine Streckenlast abgetragen werden kann. Im Mittel ergibt sich eine um 24-% höhere Traglast bei einer Streckenlast. Aufgrund der erhöhten Schubschlankheit- λ in TV-2 bei Beanspruchung durch eine Einzellast im Vergleich zur Streckenlast ( λ -≈-3,2 infolge F Test und λ -≈-2,6 infolge q Test ) wurden die Versuchspaare 2.2 und 1.2 sowie 4.2 und 3.2 nicht in die Berechnung der mittleren Tragfähigkeitssteigerung einbezogen und sind in Abb.-7 schraffiert dargestellt. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 503 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung Versuch 2.1 1.1 4.1 3.1 4.1 5.1 2.2 1.2 4.2 3.2 ρ w,vorh / ρ w,min 1,08 1,11 0,72 0,61 0,72 0,68 1,04 1,11 0,67 0,61 σ cp [N/ mm²] 2,41 2,41 2,46 2,47 2,46 2,47 2,18 2,18 2,25 2,25 λ 3,1 3,8 3,2 3,7 3,2 3,3 3,3 2,7 3,1 2,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 (V Test,d - V P+ΔP ) / ((f cm · ρ l ) 1/ 3 · k · b w · d) + 20% + 28% + 26% + 42% Ø: + 24% + 43% → Abb.-7. Normierte Schubspannung in Abhängigkeit der Lastart 3.4 Zusammenfassung Es wurden 16 Teilversuche an Spannbetonträgern mit geringen Querkraftbewehrungsgraden durchgeführt. Die Auswirkungen der untersuchten Parameter auf die Querkrafttragfähigkeit sind in Tab.-6 zusammengefasst. Inwieweit diese Parameter und die aus den Versuchen gewonnenen Erkenntnisse durch die analytischen Bemessungsansätze nach NRR-2015 und BEMING/ T2 erfasst werden, wird in Kapitel-4 untersucht. Tab.-6: Einflüsse der experimentellen untersuchten Parameter auf die vereinfachte normierte Schubspannung Einfluss τ est,d,norm (Gl.-(2)) Querschnitt RProfil IProfil +-17-% Lastart Einzellast Streckenlast +-24-% P w,vorh P w,min =-0,61 =-2,63 +-59-% σ cp ≈-1 ≈-2,5 +-15-% d r d r -=-0,29 d r -=-0,94 +-12-% 4. Vergleich mit verschiedenen analytischen Verfahren In diesem Abschnitt werden die experimentell ermittelten Tragfähigkeiten mit den analytischen Werten auf Mittelwertniveau nach der NRR- 2015 [16] und BEMING/ T2-[17] verglichen. Während die rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach NRR-2015 auf einem Fachwerkmodell mit Rissreibung basiert, wird die Querkrafttragfähigkeit nach BEMING/ T2 auf ein Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil zurückgeführt (vgl. Tab.- 7). Die obere Grenze des Längsbewehrungsgrades- ρ l mit ρ l -≤-0,02 wurde entsprechend Kapitel-3.1 vernachlässigt. Der vertikale Anteil der Vorspannung-V P+ΔP wurde entsprechend Gl.-(3) auf der Widerstandsseite-V calc,d berücksichtigt. Zur Auswertung werden Diagramme mit dem Quotienten V Test,d / V calc,d auf der Ordinate in Abhängigkeit des untersuchten Parameters auf der Abszisse erstellt. In den Bildern-14a) und c) werden die Quotienten V Test,d / V calc,d für TV-1 nach NRR-2015 mit den entsprechenden Werten nach BEMING/ T2 verglichen. Die Diagramme verdeutlichen, dass sowohl die positive Wirkung gegliederter Querschnitte im Vergleich zu Rechteckquerschnitten als auch die erhöhte Querkrafttragfähigkeit bei Belastung durch Streckenlasten durch die Bemessungsansätze noch nicht ausreichend berücksichtigt werden, da sich für alle profilierten Querschnitte mit einer Belastung aus Streckenlasten ein steigender Quotient V Test,d / V calc,d ergibt. Zudem wird der Einfluss eines höheren Einspanngrades-d r durch die Bemessungsansätze für profilierte Querschnitte nicht ausreichend genau abgebildet. Während die experimentelle Traglast für alle Versuche über der Tragfähigkeit nach der NRR- 2015 liegt, werden die Tragfähigkeiten für Rechteckquerschnitte mit der BEMING/ T2 auf Mittelwertniveau teilweise leicht überschätzt. Für alle gegliederten Querschnitte liegt die analytische Tragfähigkeit nach der BEMING/ T2 unterhalb der experimentell ermittelten Bruchlasten. Ein Vergleich über alle Versuche zeigt eine deutlich höhere Ausnutzung der vorhandenen Querkrafttragfähigkeit nach der BEMING/ T2. In den Bildern-14-b) und d) werden die Quotienten V Test,d / V calc,d nach NRR- 2015 und BEMING/ T2 für den TV- 2 auf Mittelwertniveau verglichen. Analog zu TV-1 werden auch hier die Tragfähigkeiten der gegliederten Querschnitte durch die Bemessungsansätze im Vergleich zu den Rechteckprofilen unterschätzt. Ebenfalls bestätigt sich, dass die höhere Tragfähigkeit bei einer Beanspruchung aus Streckenlasten im Vergleich zur Belastung mit Einzellasten durch die Bemessungsansätze nicht ausreichend abgebildet wird. Je ausgeprägter der Fachwerktraganteil bei steigenden Querkraftbewehrungsgraden wird, desto zutreffender kann die Querkrafttragfähigkeit sowohl nach der NRR-2015 als auch nach der BEMING/ T2 ermittelt werden. Analog zu TV-1 ergibt sich für den Rechteckquerschnitt mit Belastung durch eine Einzellast in TV-2 eine geringfügige Überschätzung der Querkrafttragfähigkeit nach BEMING/ T2 auf Mittelwertniveau. Alle übrigen Querschnitte werden nach BEMING/ T2 besser abgebildet als nach NRR-2015. Insgesamt lassen 504 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung sich aus den Vergleichen der experimentellen mit den analytischen Tragfähigkeiten folgende Schlüsse ziehen: • Die BEMING/ T2 bildet das tatsächliche Tragverhalten deutlich besser ab als NRR-2015. • Der positive Einfluss gegliederter Querschnitte wird weder nach NRR-2015 noch nach BEMING/ T2 erfasst. • Der positive Einfluss einer Belastung durch Streckenlasten im Vergleich zu Einzellasten wird durch die Ansätze nicht zutreffend abgebildet. • Der Einspanngrad bleibt in beiden Ansätzen unberücksichtigt. • Bei Bauteilen mit geringeren Querkraftbewehrungsgraden- ρ w,vorh -/ - ρ w,min wird der Betontraganteil unterschätzt. Da die Anwendung von BEMING/ T2 eine gute Übereinstimmung zwischen rechnerischen und experimentellen Traglasten zeigt, wird dieser Ansatz durch weitere Faktoren verfeinert. Ziel war es, einen erweiterten Ansatz zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken herzuleiten, der eine Aktivierung bislang rechnerisch ungenutzter Tragfähigkeitsreserven ermöglicht. Daraus ergeben sich die folgenden Anforderungen: • Erhöhung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit von gegliederten Querschnitten. • Berücksichtigung der erhöhten Querkrafttragfähigkeit unter der Einwirkung von Streckenlasten im Vergleich zu Einzellasten. • Berücksichtigung des infolge Biegung auftretenden globalen Spannkraftzuwachses im Spannglied. Untersuchungen des Betontraganteils in [21] zeigen, dass die erhöhten Querkrafttragfähigkeiten gegliederter Querschnitte vor allem auf einen vergrößerten Betontraganteil und von Trägern mit Streckenlasten auf einen direkten Lastabtrag im Auflagerbereich zurückzuführen sind. Um den positiven Einfluss einer vergrößerten Druckzone bei gegliederten Querschnitten durch eine größere am Querkraftabtrag beteiligten Schubfläche zu erfassen, wurde zum einen die Stegbreite-b w in Abhängigkeit des Druckgurtes zu b V,eff erweitert. Zum anderen wurde eine Abminderung der einwirkenden Querkraft-V Ed im Bemessungsschnitt infolge Streckenlasten und Eigengewicht durch einen Abzugswert-ΔV Ed eingeführt. Tab.-7 verdeutlicht die Verfeinerungen von BEMING/ T2* im Vergleich zu BEMING/ T2 und NRR-2015. Die Symbole ① und ⓑ kennzeichnen die Stellen, an denen BEMING Teil-2 und die Erweiterung unterschiedliche Gleichungen oder Definitionen verwenden. Die Anwendung des verfeinerten Bemessungsmodells BEMING/ T2* auf die am IMB durchgeführten 16 Teilversuche ist in den Bildern- 12e) und f) dargestellt. Im Vergleich zur BEMING/ T2 ist gut zu erkennen, dass die Rechteck- und gegliederten Querschnitte durch die Berücksichtigung von b V,eff und ΔV Ed näher aneinander rücken. Zudem liegen die durch Streckenlasten beanspruchten Träger (ausgefüllte Symbole) näher an den mit Einzellasten beanspruchten Trägern (helle Symbole). Die positiven Auswirkungen der vorgeschlagenen Verfeinerung werden durch die statistischen Kennwerte bestätigt. Durch die Berücksichtigung des Druckgurtes und die Abminderung für Streckenlasten senkt sich der Mittelwert-µ in TV-1 von 1,24 auf 1,06 bei einer gleichzeitig geringeren Streuung (CoV sinkt von 14 % auf 8 %). Diese bei der Nachrechnung der Durchlaufträger in TV-1 gewonnenen Erkenntnisse werden durch die Anwendung der BEMING/ T2* mit b V,eff und ΔV Ed auf die Einfeldträger in TV-2 bestätigt. Hier verringert sich der Mittelwert-µ von 1,36 auf 1,13 und der CoV von 17 % auf 10 %. Für die Versuche der RWTH Aachen University liefert die Erweiterung der Querkraftbemessung nach BEMING/ T2* demnach eine erkennbare Verbesserung. Tab.-7: Querkrafttragfähigkeit in Abhängigkeit der Querkraftbewehrungsmenge nach verschiedenen Modellen 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 505 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung a) b) c) d) e) f) σ cp = 0,96 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 V Test,d / V calc,d NRR 2015 σ cp = 2,41 - 2,47 N/ mm² 1.1 2.1 3.1 4.1 8.1 6.1 5.17.1 n = 8 µ = 2,09 CoV = 10% σ cp = 0,86 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 V Test,d / V calc,d ρ w,vorh / ρ w,min NRR 2015 σ cp = 2,18 - 2,25 N/ mm² 2.2 1.2 3.2 8.2 6.2 5.2 7.2 4.2 n = 8 µ = 2,05 CoV = 19% σ cp = 0,96 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 Einspanngrad d r BEM-ING/ T2 σ cp = 2,41 - 2,47 N/ mm² 1.1 2.1 3.1 4.1 8.1 6.1 5.1 7.1 n = 8 µ = 1,24 CoV = 14% σ cp = 0,86 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 ρ w,vorh / ρ w,min BEM-ING/ T2 σ cp = 2,18 - 2,25 N/ mm² 1.2 2.2 3.2 8.2 6.2 5.2 7.2 4.2 n = 8 µ = 1,36 CoV = 17% σ cp = 0,96 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 Einspanngrad d r BEM-ING/ T2* σ cp = 2,41 - 2,47 N/ mm² 1.1 2.1 3.1 4.1 8.1 6.1 5.1 7.1 n = 8 µ = 1,06 CoV = 8% σ cp = 0,86 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 ρ w,vorh / ρ w,min BEM-ING/ T2* σ cp = 2,18 - 2,25 N/ mm² 1.2 2.2 3.2 8.2 6.2 5.2 7.2 4.2 n = 8 µ = 1,13 CoV = 10% 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 Einspanngrad d r 0,0 V Test,d / V calc,d V Test,d / V calc,d 0,0 V Test,d / V calc,d 0,0 V Test,d / V calc,d Abb.-8. Vergleich der experimentellen und analytischen Tragfähigkeit im Abstand-d vom Auflager nach verschiedenen Ansätzen 506 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Ermittlung von Traglastreserven in 16,5-m Spannbetonträgern unter Querkraftbeanspruchung Der Formelapparat sowie dessen Herleitung sind in [21] und [25] im Detail wiedergegeben. Der anhand großformatiger Querkraftversuche (RWTH Aachen University, Technische Universität München) hergeleitete Ansatz wurde durch Auswertungen mit Querkraftversuchen aus der ACI/ DAfStb [26-28] Querkraftdatenbank kalibriert. 5. Fazit und Ausblick In diesem Beitrag werden zunächst die Querkraftversuche an 16,5-m langen Spannbetonträgern vorgestellt. In der Analyse der experimentellen Querkrafttragfähigkeiten werden die Einflüsse aus Art der Belastung (Einzel- und Streckenlasten), Querschnittsform (Rechteck- und IProfile), Höhe des Einspanngrades- d r (Übergang vom Einfeldträger zum Durchlaufträger), Bügelbewehrung (0,6bis 2,6facher Wert der Mindestquerkraftbewehrung- ρ w,min ) und Vorspannung ( σ cp - ≈ - 1- N/ mm²; σ cp - ≈- 2,5- N/ mm²) herausgearbeitet. Die Berechnungsansätze nach BEMING Teil-2 bilden die experimentellen Querkrafttragfähigkeiten deutlich besser ab als die NRR von 2015. Um eine noch zutreffendere und wirtschaftlichere Nachrechnung von Spannbetonbrücken zu ermöglichen, wird anschließend ein verfeinerter Bemessungsansatz auf Basis der BEMING/ T2 vorgestellt. Die Verfeinerung besteht aus der rechnerischen Erhöhung der Querkrafttragfähigkeit für gegliederte Querschnitte, der Abminderung der Querkräfte aus auflagernahen Streckenlasten und der Berücksichtigung des Spannungszuwachses geneigter Spannglieder im maßgebenden Bemessungsschnitt. Mit diesen Ansätzen lassen sich die rechnerischen Defizite der Querkrafttragfähigkeit vieler älterer Spannbetonbrücken im Bestand bereits in Stufe-2 der Nachrechnung deutlich reduzieren. Danksagung Der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird für die Finanzierung des Projekts und den Mitgliedern des Betreuungsausschusses für die anregenden Diskussionen gedankt. Diesem Bericht liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE-15.0664/ 2019/ DRB durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. 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