eJournals Brückenkolloquium 6/1

Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
0925
2024
61

Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern

0925
2024
Sebastian Lamatsch
Oliver Fischer
Bei der Nachrechnung von mehrfeldrigen Spannbetonbrücken führt ein rechnerisches Defizit des Nachweises der Querkrafttragfähigkeit häufig zu teuren Ertüchtigungsmaßnahmen oder gar zu Einschränkungen des Verkehrs oder einem Ersatzneubau. Neuen Modellen zur realitätsnahen Beurteilung der Schubtragfähigkeit dieser häufig gering querkraftbewehrten Spannbetonbrücken kommt deshalb eine große Bedeutung zu. Aufgrund der geringen Anzahl an Querkraftversuchen unter realen Belastungsbedingungen am inneren Auflager von Mehrfeldbrücken fehlt eine ausreichende Datenlage zur Verifizierung. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse von jeweils sechs Querkraftversuchen an T- und Rechteckquerschnitten mit großer Querschnittshöhe und geringem Schubbewehrungsgrad vorgestellt. Hauptaugenmerk der Untersuchungen waren die Vorspannung und der Einfluss eines begrenzten Dehnungszuwachses im Spannglied. Ein Vergleich der experimentell ermittelten Traglasten mit bestehenden und zukünftigen Modellen zur Nachrechnung von Brückenbauwerken zeigt die Potentiale neuer Ansätze auf.
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6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 509 Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern Sebastian Lamatsch, M. Sc. Technische Universität München Prof. Dr.-Ing. Oliver Fischer Technische Universität München Zusammenfassung Bei der Nachrechnung von mehrfeldrigen Spannbetonbrücken führt ein rechnerisches Defizit des Nachweises der Querkrafttragfähigkeit häufig zu teuren Ertüchtigungsmaßnahmen oder gar zu Einschränkungen des Verkehrs oder einem Ersatzneubau. Neuen Modellen zur realitätsnahen Beurteilung der Schubtragfähigkeit dieser häufig gering querkraftbewehrten Spannbetonbrücken kommt deshalb eine große Bedeutung zu. Aufgrund der geringen Anzahl an Querkraftversuchen unter realen Belastungsbedingungen am inneren Auflager von Mehrfeldbrücken fehlt eine ausreichende Datenlage zur Verifizierung. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse von jeweils sechs Querkraftversuchen an T- und Rechteckquerschnitten mit großer Querschnittshöhe und geringem Schubbewehrungsgrad vorgestellt. Hauptaugenmerk der Untersuchungen waren die Vorspannung und der Einfluss eines begrenzten Dehnungszuwachses im Spannglied. Ein Vergleich der experimentell ermittelten Traglasten mit bestehenden und zukünftigen Modellen zur Nachrechnung von Brückenbauwerken zeigt die Potentiale neuer Ansätze auf. 1. Einleitung Die Brückeninfrastruktur Deutschlands wurde überwiegend zwischen den Jahren 1965 und 1985 erbaut und steht heute vor erheblichen Herausforderungen [1]. Sowohl die über die Jahre stark angestiegene Verkehrsbelastung, insbesondere durch den zunehmenden Schwerlastverkehr, sowie die fortschreitende Weiterentwicklung der Normen und Nachweiskonzepte führen dazu, dass bei der Nachrechnung bestehender Brückenbauwerke häufig rechnerische Defizite festgestellt werden. Bei Brückenprüfungen wird jedoch oft ein guter Zustand der Bauwerke festgestellt. Dieser Widerspruch zeigt sich besonders ausgeprägt bei den Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit und der Schubübertragung am Druckgurtanschluss [2]. Im Zuge der Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie [3, 4] wurden innerhalb einiger Forschungsvorhaben der Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) Untersuchungen zur Identifikation und Berücksichtigung von noch nicht ausreichend genau erfassten Tragmechanismen durchgeführt und die bestehenden Nachweiskonzepte validiert [5- 7]. Experimentelle Untersuchungen konzentrierten sich aufgrund der geringen Versuchsdatenlage insbesondere auf vorgespannte Durchlaufträger mit geringem Bügelbewehrungsgrad [8-16]. Um von Versuchen auf den realen Brückenbestand schließen zu können, müssen diese möglichst viele Randbedingungen abdecken. Dabei wurden einige Einflüsse experimentell nur wenig bis gar nicht untersucht und fanden in neuartigen Modellvorstellungen keine oder nur eine pauschale Berücksichtigung. Deshalb wurden an der Technischen Universität München (TUM) Querkraftversuche an 12 Trägerausschnitten mit einer Querschnittshöhe von 120 - cm und einem - zusätzlich zum geringen Querkraftbewehrungsgrad - geringen Längsbewehrungsgrad durchgeführt. Der Fokus der Untersuchungen lag jedoch auf dem Einfluss der Vorspannung und des Spannungszuwachses im Spannglied. Zusätzlich wurden die Querschnittsform, der Querkraftbewehrungsgrad und die Ausbildung des Zuggurts mit glatter Längsbewehrung mit Endhaken untersucht. 2. Experimentelle Untersuchungen 2.1 Konzeption und Versuchsprogramm Für die Versuchsdurchführung wird ein innovativer Versuchsstand (vgl. [17, 18, 19]) verwendet, der aus dem globalen System eines Durchlaufträgers den zu untersuchenden Bereich zwischen Mittelauflager und Feldbereich herausgelöst untersucht. Dabei wirken unter Beibehaltung der Randbedingungen an den Schnittufern die Schnittgrößen, die einem Mehrfeldträger unter Einzellast entsprechen. Durch Verringerung des Materialeinsatzes können somit an vorgespannten Balkenelementen mit praxisnahen Querschnittsabmessungen Querkraftversuche durchgeführt werden, die ein gleichwertiges Tragverhalten eines konventionellen Balkenversuchs an einem Durchlaufträger aufweisen. Genauere Informationen zur Substrukturtechnik und den Kapazitäten des Versuchsstands sind in [19] zu finden. In Abb.-1 ist der Schnittgrößenverlauf eines Referenz-Durchlaufträgers unter Einzellasten und der Bereich, der im Versuchsstand geprüft wird zu erkennen. Die in diesem Beitrag vorgestellte Versuchsserie mit jeweils 6 Rechteck- und T-Trägern weist eine gleichbleibende Schubschlankheit von ca.-3,0 auf. Der Schubbewehrungsgrad wird bei den meisten Versuchen im Übergang zum erforderlichen Mindestquerkraftbewehrungsgrad gewählt (vgl. Tab. 1) 510 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern Abb. 1: Ableitung der Substrukturgeometrie und Schnittgrößen eines halben Referenz-Durchlaufträgers unter Einzellast im Feld Tab. 1: Versuchsprogramm ID QS [-] [MPa] [MPa] R-L5-S1.7 0,90 (ø6/ 25) 0,01 (6ø25) 1,78 0,44∙f p0,1k R-L3-S1.7 0,90 (ø6/ 25) 0,01 (6ø25) 1,76 0,72∙f p0,1k R-L9-S3.1 0,90 (ø6/ 25) 0,01 (6ø25) 3,06 0,42∙f p0,1k R-L5-S3.1 0,90 (ø6/ 25) 0,01 (6ø25) 3,00 0,74∙f p0,1k R-L5-S1.7g 0,90 (ø6/ 25) 0,01 glatt (6ø25 ) 1,74 0,43∙f p0,1k R-L5-S1.7f 1,50 (ø8/ 25) 0,01 (6ø25) 1,73 0,42∙f p0,1k T-L5-S1.2 0,90 (ø6/ 25) 0,01 (6ø25) 1,15 0,41∙f p0,1k T-L3-S1.2 0,90 (ø6/ 25) 0,01 (6ø25) 1,02 0,60∙f p0,1k T-L9-S2.1 0,90 (ø6/ 25) 0,01 (6ø25) 1,82 0,36∙f p0,1k T-L5-S2.1 0,90 (ø6/ 25) 0,01 (6ø25) 1,90 0,68∙f p0,1k T-L5-S1.2g 0,90 (ø6/ 25) 0,01 glatt (6ø25) 1,16 0,41∙f p0,1k T-L5-S1.2f 1,50 (ø8/ 25) 0,01 (6ø25) 1,17 0,42∙f p0,1k Im Fokus der Untersuchungen steht der Einfluss der Vorspannung, der differenziert bezogen auf den wirksamen Normalkraftanteil der Vorspannung und die Ausnutzung des Spannstahls und der daraus resultierenden variierenden Reserve für einen potentiellen Dehnungszuwachs im Spannglied betrachtet wird. Dafür wird bei gleicher Betondruckspannung aus Vorspannung sukzessive die Litzenanzahl variiert. Allen Versuchen ist eine möglichst realitätsnahe konstruktive Ausbildung entsprechend bestehender Brückenbauwerke gemein. Der geringe Längsbewehrungsgrad von =-1,0 zusammen mit bereits initial hoch ausgenutzten Spanngliedern führt zu hohen Längsdehnungen des Zuggurts und einer damit je nach Steifigkeit des gemischt bewehrten Zuggurts starken Aktivierung der Spannglieder. Zusätzlich wird jeweils ein Versuch mit erhöhtem Bügelbewehrungsgrad (f) und ein Versuch mit glatter Längsbewehrung- (g), die durch Endhaken verankert ist, getestet. Die gewählten Versuchsparameter sind Tab. 1 zu entnehmen. Die Versuchsbezeichnung enthalt dabei die wichtigsten Parameter, wie QS (T-/ Rechteckträger), die Litzenanzahl (L5) und die planmäßige Betondruckspannung aus Vorspannung (S1.2 = 1,2MPa). Die Abmessungen, die konstruktive Durchbildung und die Spanngliedlage der Balkenelemente findet sich in Abb. 2. Abb. 2: Bewehrung, Abmessungen und Spanngliedlage der Balkenelemente 2.2 Materialparameter Für alle Versuchskörper wurde Transportbeton mit der angestrebten Festigkeitsklasse C30/ 37 verwendet. Der Größtkorndurchmesser betrug 8-mm. Die in begleitenden Kleinkörperversuchen ermittelten Betoneigenschaften sind als Mittelwert aus mindestens drei Versuchen in Tab. 2 zusammen mit der erreichten maximalen Versuchsquerkraft der einzelnen Großversuche angegeben. Die mittleren Stahlparameter wurden aus jeweils sechs Zugversuchen jeder Charge bestimmt. Es wurden zwei Chargen der Bügel mit 6-mm Durchmesser verwendet und ein anderer Stahl für die glatte Längsbewehrung eingesetzt. Die Versuche mit 3 Litzen sollten mit einem Spannstahl der Klasse Y 1770 ausgestattet werden, es ergaben sich jedoch nahezu gleiche Festigkeiten, wie bei den anderen Versuchen. Die entsprechenden Parameter sind in Abhängigkeit ihres Durchmessers in Tab. 3 dargestellt. 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 511 Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern Tab. 2: Materialeigenschaften des Betons und des Verpressmörtels (m) und maximale Querkraft ID f c,cyl [MPa] f c,sp [MPa] E c [MPa] f ct, BZ,m [MPa] f c,cu,m [MPa] V max [kN] R-L5-S1.7 42,6 3,6 30-049 6,88 57,3 774,8 R-L3-S1.7 46,2 3,7 30-157 6,86 60,6 829,4 R-L9-S3.1 43,7 3,5 27-999 4,59 62,7 926,6 R-L5-S3.1 43,3 2,8 27-991 6,62 57,6 982,0 R-L5-S1.7g 41,6 2,9 27-499 7,03 57,2 774,9 R-L5-S1.7f 41,0 3,1 27-688 6,76 53,8 989,4 T-L5-S1.2 47,6 3,2 29-727 7,31 62,8 862,4 T-L3-S1.2 50,4 3,3 30-361 4,39 62,2 776,3 T-L9-S2.1 48,4 3,8 29-721 5,61 66,5 971,3 T-L5-S2.1 47,7 3,2 29 641 4,50 63,4 902,0 T-L5-S1.2g 44,8 3,2 28-075 9,76 60,4 804,3 T-L5-S1.2f 48,8 4,0 29-114 8,39 64,6 1-088,9 Tab 3: Stahleigenschaften von Bewehrung und Spannstahl je Charge ø [mm] R 0,2 [MPa] R m [MPa] E s [MPa] A gt [%] 6 (R) 566,7 622,9 195-644 4,4 6 (T) 536,6 628,4 202-908 6,8 8 555,7 633,0 200-157 5,6 25 570,5 687,4 198-894 8,2 25 glatt 400,7 554,1 205-567 15,7 15,7 1-675 1-891 194-760 6,0 15,7 (L3) 1-681 1-894 195-150 6,1 2.3 Versuchsdurchführung Nach dem Einbau und kraftschlüssigen Anschluss wurden die Balkenelemente jeweils vom Mittelauflager aus mittels Bündelspannpresse vorgespannt und anschließend verpresst. Nach Erreichen einer ausreichenden Druckfestigkeit der begleitenden Würfel wurde der Versuchsträger weggesteuert mit einem Querkraftziel von 0,2 - kN/ sek feldseitig mit simultan ansteigendem Biegemoment bis zu einem deutlichen Kraftabfall belastet und anschließend rein weg- und rotationsgesteuert bis zum endgültigen Versagen gefahren. Das Rissbild wurde über die gesamte Versuchsdauer dokumentiert. 3. Versuchsergebnisse 3.1 Trag- und Bruchverhalten Bei allen Versuchen konnte - trotz einer sehr hohen Dehnung der Biegebewehrung von mindestens 80 - % der Dehngrenze - ein klassisches Biegeschubversagen mit markanter Biegeschubrissbildung und starker Ausnutzung des Zuggurts festgestellt werden. Die hohen Verzerrungen wurden dabei mit auf der Längsbewehrung am Anschnitt der Voute applizierten Dehnmessstreifen gemessen. Abb. 3 zeigt die Ausnutzung aller Träger. Das Tragverhalten aller Versuchskörper ist durch fächerartig von der Trägeroberseite am Mittelauflager ausgehender Biegeschubrissbildung geprägt, wobei vereinzelte Stegzugrisse vor allem bei den Plattenbalken unter höherer Querkraftbeanspruchung auftraten. Abb. 3: Ausnutzung der Längsbewehrung Durch den geringen Biegebewehrungsgrad und die teils hohe initiale Ausnutzung des Spannglieds sind die Versuche durch eine starke Rissbildung mit großen Rissöffnungen charakterisiert. Die sich in einem kritischen Schubriss zunehmend konzentrierende Kinematik führt ausgehend vom Fließen der Bügel und der Umlagerung in andere Tragmechanismen wie einer Druckbogenwirkung oder dem Zuwachs der geneigten Spanngliedkraft schlussendlich zum abrupten Versagen durch die Zerstörung der Druckzone und das Reißen nahezu aller den kritischen Schubriss kreuzender Bügel. 3.2 Rissbildung Die Bruchbilder aller Versuche sind in Abb. 4 zusammen mit dem mittels faseroptischer Dehnungsmessung bestimmtem Dehnungsprofil dargestellt. Dabei wird deutlich, dass die Plattenbalken einen etwas gekrümmteren Rissverlauf aufweisen und dieser am Gurtanschluss horizontal versetzt ist. Dies ist auf den Steifigkeitssprung zwischen Steg und Gurt und der Erfordernis einer Kompatibilität der Verzerrungen zurückzuführen. Die beiden Träger mit erhöhtem Querkraftbewehrungsgrad (Endung-f) weisen eine etwas stärkere Rissbildung, vor allem auch im Bereich positiver Momente auf. Die Rissneigung korreliert größtenteils mit der Höhe der Vorspannung oder der Verwendung von glatter Längsbewehrung (Endung- g) und fällt in diesem Fall meist flacher aus. Die Versuche mit glatter Längsbewehrung haben überdies weniger Biege- und Schrägrisse. Die gemessene Rissneigung des kritischen Schubrisses aller Versuche wird in Abb. 5 der rechnerischen Schub- 512 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern Abb. 4: Bruchbild und Verzerrung des faseroptischen Sensors im Hüllrohr bei maximaler Querkraft rissneigung (formuliert auf Mittelwertniveau) gemäß Gleichung (1) aus [20, 21, 22] gegenübergestellt. (1) Es lässt sich feststellen, dass die vorgeschlagenen Rissneigungen auf der sicheren Seite liegen. Ein Trend in Abhängigkeit der Betonparameter oder der Vorspannung kann jedoch nicht festgestellt werden. Abb. 5: Vergleich des experimentellen Kotangens der Schubrisswinkel mit Gleichung (1) Die markante Schubrissbildung führt durch den hoch ausgenutzten, gemischt bewehrten Zuggurt zu erheblichen Rissbreiten, die auf Höhe der Schwereachse bei Versuch R-L5-S3.1 einen Wert von ca. 9-mm beträgt. Auch alle anderen Versuche weisen sehr große Rissbreiten von 46-mm auf, die in gleicher Größenordnung bereits in Untersuchungen von Huber [14] festgestellt wurden (vgl.-Abb. 6). Betrachtet man die Spitzen der faseroptischen Dehnungsmessungen der robusten Faser im Hüllrohr (vgl. Abb. 4), ergibt sich eine gute Übereinstimmung der Lage und Größe der Peaks mit dem Rissbild. Besonders in Versuch R-L5-S3.1 wird der größte Dehnungszuwachs, wie auch die größte Rissbreite aufgezeichnet. Aufgrund derart großer Rissöffnungen, verbunden mit verhältnismäßig geringen tangentialen Verschiebungen der Rissufer, kann davon ausgegangen werden, dass Tragmechanismen aus Rissreibung zum Zeitpunkt der maximalen Querkraft ein sehr geringer Anteil zuzuschreiben ist. Abb. 6: Rissbreiten auf Höhe der Schwereachse 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 513 Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern 3.3 Einfluss der Vorspannung In der Versuchsserie werden die Betondruckspannung aus Vorspannung, als auch der nach initialer Vorspannung zur Verfügung stehender mobilisierbare Dehnungszuwachs im Spannglied variiert. Durch eine höhere Vorspannung entstehen mehrheitlich flachere Schubrisse, wobei der kritische Schubriss dadurch etwas mehr Bügel kreuzt und damit einen zusätzlichen Bügeltraganteil bewirkt. Die Rissbildung wird durch das Überdrücken der Hauptzugspannungen grundsätzlich etwas verzögert, was sich auch messtechnisch mithilfe der Definition einer Schrägrisslast belegen lässt. Dazu wird sowohl mit Hilfe eines Schwellenwerts der Bügeldehnung (500 ), als auch durch photogrammetrische Daten für jeden Versuch die Querkraft bestimmt, bei der ein erster sichtbarer, schräger Riss entsteht. Für die Versuchsserie zeigen sich insbesondere bei höher vorgespannten Versuchen höhere Schrägrisslasten (vgl. Abb. 7). Bezogen auf die maximal erreichte Querkraft heben sich die Versuche jedoch nicht sonderlich hervor. Einzig die beiden Versuche mit einer höheren Anzahl an Litzen verhindern bezogen auf die maximale Querkraft das Auftreten des ersten Schrägrisses bis zu einer höheren bezogenen Querkraft. Insgesamt tritt dieser bei 40--60 - % der maximalen Querkraft auf. Abb. 7: Schrägrisslasten der Balkenelemente Erwartungsgemäß führt eine höhere Vorspannung aufgrund der flacheren Risse und der dadurch initiierten Aktivierung von mehr Bügeln und der längeren Kompression der Zugspannungen zu einem Anstieg der Querkrafttragfähigkeit. Dies zeigt sich auch anhand von Abb. 8. Es werden alle Versuche mit gerippter Längsbewehrung und Bügeln ø - 6 - mm dargestellt und jeweils die Trendlinie der beiden unterschiedlichen Querschnittstypen angegeben. Aus Gründen der Vergleichbarkeit sind die auf der y-Achse angetragenen maximalen Querkräfte in normierter Form dargestellt. Wird der zwangsläufig vorhandene vertikale Traganteil der initialen Spannkraft V P0 von der maximalen Querkraft subtrahiert, liegen die Trendlinien beider Querschnittstypen nahezu auf einer Gerade. Die dennoch vorhandene Steigung in Abhängigkeit der Betondruckspannung aus Vorspannung weist auf zusätzlich positive Effekte unabhängig von der initialen Vorspannung hin. Betrachtet man in einer ähnlichen Darstellung den Einfluss eines - durch bereits initial hoch ausgenutzte Spannglieder - nur begrenzt mobilisierbaren Dehnungszuwachses im Spannglied, fällt die Bewertung nicht mehr eindeutig aus (vgl. Abb. 9). Für Rechteckträger und Plattenbalken ergeben sich unterschiedliche Einflüsse, wobei die aufgezeigten Trendlinien eine nur sehr geringe Steigung aufweisen. Bereits initial hoch ausgenutzte Spannlitzen ermöglichen bei gleicher absoluter Spannkraft bei den Rechteckträgern eine geringfügige Steigung der maximalen Querkraft, wohingegen diese bei den T-Querschnitten mit zunehmender initialer Ausnutzung sinkt. Abb. 8: Einfluss der Vorspannung Abb. 9: Normierte Querkraft in Abhängigkeit der initialen Ausnutzung des Spannglieds Vor allem die bereits festgestellten Abweichungen der Rissbildung und der Steifigkeitssprung scheinen dafür verantwortlich zu sein. Nach erheblicher Rissbildung ermöglicht der homogene Rechteckquerschnitt Umlagerungsmöglichkeiten, die beim T-Querschnitt aufgrund der erforderlichen Kompatibilität der Verzerrungen von Steg und Gurt nicht mehr möglich zu sein scheinen. Aufgrund der geringen Datenlage lassen sich jedoch keine allgemeingültigen Aussagen treffen. 514 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern 3.4 Vergleich der experimentellen und analytischen Tragfähigkeiten Im Folgenden sollen die experimentellen Traglasten den analytischen Ansätzen nach der Nachrechnungsrichtlinie mit ihrer 1. Ergänzung (NRR) [3,4] und dem Entwurf der BEM- ING Teil 2 (BEM-ING/ T2) [22] gegenübergestellt werden, um die Verfeinerungen des Nachweiskonzepts zu verdeutlichen. Die größte Veränderung von NRR zu BEM-ING/ T2 ist der explizite Betontraganteil, der zusätzlich zur Bügeltragfähigkeit addiert wird. Zur Bewertung der analytischen Ansätze wird jeweils ein in den Versuchen variierender Parameter der in den Bemessungsansatz miteingeht, auf der x-Achse dargestellt. Die Auswertung erfolgt auf Mittelwertniveau im Abstand d vom Lager, wobei die Gleichung zur Berechnung des Schubrisswinkels an Bemessungswerten kalibriert wurde und deshalb hier auch der Bemessungswert eingesetzt wird. Auf eine Überprüfung der Mindestquerkraftbewehrung wird verzichtet, da sich bei gleicher Zielfestigkeit ansonsten stark unterschiedliche Querkrafttragfähigkeiten ergeben würden, die rein auf diese Begrenzung zurückzuführen wären. In Abb. 10 wird die Modellsicherheit beider Verfahren der Betondruckspannung aus Vorspannung gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass für die höher querkraftbewehrten Versuche eine relativ gute Modellsicherheit der NRR berechnet wird. Alle anderen Versuche mit Bügeln ø-6-mm ergeben sehr konservative Werte, die für sich zusätzlich eine zu konservative Berücksichtigung von Effekten aus der Vorspannung σ cp aufweisen. Im Entwurf der BEM-ING/ T2 wird insbesondere durch den expliziten Betontraganteil die Tragfähigkeit eben dieser gering schubbewehrten Versuche besser approximiert und es werden auch nahezu trendfreie Ergebnisse (auch bezogen auf die einzelnen Querschnittsformen) erzielt. Durch weitere kleinere Anpassungen kann zusätzlich ein insgesamt besseres Niveau von μ-=-1,34 erreicht werden. Abb. 10: Vergleich der experimentellen Querkrafttragfähigkeit mit analytischen Modellen zur Nachrechnung von Bestandsbrücken in Bezug auf den Einfluss der Betondruckspannung aus Vorspannung Die zuvor für die NRR diskutierten konservativen Ergebnisse der Versuche mit geringen Bügelbewehrungsgraden (schwarze Trendlinie), werden explizit in Abb.-11 noch einmal deutlich, in der die Modellsicherheiten dem auf die Mindestquerkraftbewehrung bezogenen Schubbewehrungsgrad gegenübergestellt ist. Versuche mit kleinerem Bügeldurchmesser und damit geringem bezogenen Schubbewehrungsgrad zeigen hier erwartungsgemäß für die NRR sehr konservative Ergebnisse. Die Modellsicherheiten der BEMING/ T2 liegen dagegen auch hinsichtlich des Querkraftbewehrungsgrads auf einer nahezu trendfreien Gerade mit sehr kleiner Streuung. 4. Zusammenfassung In diesem Beitrag wurden die Versuchsergebnisse von 12 Querkraftversuchen an vorgespannten Balkenelementen eines Durchlaufträgers mit großen Querschnittsabmessungen und geringem Querkraft- und Längsbewehrungsgrad vorgestellt. Im Fokus stand die Variation der Vorspannung in Bezug auf die vorhandene Betondruckspannung aus Vorspannung und die initiale Ausnutzung der Spannlitzen. Es konnte gezeigt werden, dass eine Skalierung der Balkenelemente auf baupraktische Dimensionen und die konstruktive Auslegung entsprechend bestehender Brückenbauwerke durch das Bemessungskonzept der BEM-ING/ T2 sehr gut abgebildet werden kann. Ferner weist der Modellansatz sehr geringe Trendabhängigkeiten und einen geringen Variationskoeffizienten auf. Die Untersuchungen zeigten außerdem, dass eine höhere Vorspannung das Tragverhalten und die maximale Querkrafttragfähigkeit positiv beeinflusst. Eine initial hohe Ausnutzung der Spannlitzen führt dabei nicht zwangsläufig zu einer Reduktion der Tragfähigkeit. Vor allem die große Rotationskapazität ermöglicht den homogenen Rechteckquerschnitten weitere Umlagerungen in andere Tragmechanismen und damit eine geringfügige Lasterhöhung trotz höherer initialer Ausnutzung der Litzen. Bei den T-Querschnitten begrenzt die nötige Kompatibilität der Verzerrungen von Steg und Gurt weitere Umlagerungsmöglichkeiten bei markanter Schubrissbildung und die Maximaltragfähigkeit von Versuchen mit initial hoch ausgenutzten Spannlitzen fällt hier etwas geringer aus. Abb. 11: Vergleich der experimentellen Querkrafttragfähigkeit mit analytischen Modellen zur Nachrechnung von Bestandsbrücken in Bezug auf den Einfluss des Querkraftbewehrungsgrades 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 515 Der Einfluss unterschiedlicher Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonträgern Danksagung Der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird für die Finanzierung des Projekts und den Mitgliedern des Betreuungsausschusses für die anregenden Diskussionen gedankt. Diesem Bericht liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE 15.0664/ 2019/ DRB durchgeführten Forschungsarbeiten zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. Literatur [1] BASt - Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg.): Brücken an Bundesfernstraßen, Brückenstatistik 08.2023. Bergisch Gladbach, (2024). www.bast.de/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.html. [2] Fischer, O. et al.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland. 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