Brückenkolloquium
kbr
2510-7895
expert verlag Tübingen
0925
2024
61
Intelligente Sensorik in Spanngliedern mit nachträglichem Verbund für die ortsauflösende Spannkraftermittlung und Zustandsbewertung von Bauwerken
0925
2024
Kay Löffler
Christian Gläser
kbr610519
6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 519 Intelligente Sensorik in Spanngliedern mit nachträglichem Verbund für die ortsauflösende Spannkraftermittlung und Zustandsbewertung von Bauwerken Dipl.-Ing. Kay Löffler DYWIDAG-Systems International GmbH - Bereich Instandsetzung und Verstärkung, Langenfeld Dr.-Ing. Christian Gläser DYWIDAG-Systems International GmbH - Leiter der Entwicklungsabteilung des Gesamtunternehmens, Unterschleißheim 1. Einführung Bei dem überwiegenden Großteil ingenieurtechnischer Spannbetonbauwerke kommen Spannverfahren mit nachträglichem Verbund zum Einsatz. Eine Aussage über die Entwicklung der Vorspannkraft nach Abschluss der Spannarbeiten bzw. während der Nutzungszeit der Systeme innerhalb des Bauwerkes ist systembedingt durch das Verpressen des Ringraumes mit Zementsuspension und die lokalen Spannungszuwächse infolge des Verbunds zwischen Spannstahl und Beton nur sehr eingeschränkt möglich. Durch die Entwicklung neuer, robuster Glasfasersensoren die werksseitig in die Hohlräume zwischen den Einzeldrähten der Spannstahllitzen eingearbeitet werden, wird eine ortsauflösende Dehnungsauswertung entlang des Spanngliedstrangs mittels einer Ausleseeinheit unter Nutzung der Brillouin-Rückstreuung ermöglicht [1] (smart tendons). Durch die Dehnungsermittlung sind quantitative Aussagen über die Spannkraft, den Spannkraftverlauf während des Spannens und nach Abschluss der Spannarbeiten sowie über die gesamte Nutzungszeit und über die gesamte Spanngliedlänge möglich. Bisher nur rechnerisch ermittelte Werte, wie die Spannkraftverluste infolge Reibung und Ankerschlupf, können durch die Dehnungsauswertung für jeden Spanngliedstrang individuell, ortsbezogen ermittelt werden. Eine Dehnungsmessung über die Glasfasersensorik während der Erhärtungsphase des Einpressmörtels kann örtliche Unterschiede im Quellverhalten des Einpressmörtels detektieren und damit Rückschlüsse auf die Verpressqualität oder sogar auf mögliche Hohlräume innerhalb des Spannkanals liefern. Über das Verhalten des Spannsystems hinaus können Glasfasersensoren aufgrund der ortlauflösenden Dehnungsermittlung und des direkten Verbunds zwischen Zugglied und Bauwerk bei entsprechender Ausstattung z. B. mehrerer Spannglieder auch Rückschlüsse auf das Rissverhalten in der Biegezugzone eines Bauteilquerschnittes ermöglichen. Da Spannsysteme mit nachträglichem Verbund in der Regel über die volle Länge und alle relevanten Tragrichtungen eines Bauwerkes verlegt werden, kann die ortsauflösende Dehnungsmessung mit Glasfasersensoren ausgestatteter Spannsysteme dazu dienen, computergestützte Vergleichsmodelle zu justieren und somit aktuelle Zustandseinschätzungen, sowie Entwicklungsprognosen zu verbessern. Bisherige Sensorik war in der Regel auf lokale, ortsgebundene Messwerterfassung ausgelegt. Eine ungeeignete Anordnung der Sensorik oder eine nicht ausreichende Anzahl an Messwertaufnehmern konnte in solch einem Fall relevante Zustandsänderungen nicht oder nur verspätet erfassen. Bei der Entwicklung der Spannsysteme mit integrierten Glasfaserkabeln wurden verschiedene Lösungsansätze untersucht. Der Einbau der Glasfaser Sensorik sollte dabei den Bauablauf zum Einbau der Spannsysteme nicht beeinflussen. Auch darf die Sensorik beim Einbau der Zugglieder keinem erhöhten Beschädigungspotenzials auszusetzt werden. Somit wurde das lose Einfädeln der Glasfaserkabel in die Wellhüllrohre des Spannsystems verworfen. Außen auf der Litze angebrachte Fasern müssten zur Aufnahme der Dehnungseigenschaften z. B. mit Epoxidharzen mit dem Zugglied verklebt werden [2]. Die Beschichtung von Litzen mit Epoxidharzen ist in Deutschland unüblich und sowohl die Applikation als auch die Alkaliresistenz bzw. das Langzeitverhalten dieses Klebers würde hohe Anforderungen an eine außen angeordnete Faser stellen. Da der Einbau in der Regel in Litzenbündeln von bis zu 31 Litzen je Spanngliedstrang erfolgt, kann bei außen aufgeklebten Fasern z. B. während des Einstoßens der Litzen in das Hüllrohr, eine Beschädigung nicht ausgeschlossen werden. Aus den o. g. Gründen wurde daher die Anordnung der Glasfaser innerhalb des Litzenquerschnitts favorisiert. Die handelsübliche, in Deutschland verwendete Spannstahllitze besteht aus sieben Einzeldrähten mit einem Gesamtquerschnitt von 150 mm². Diese im Herstellprozess verseilte Litze kann durch spezielle Geräte aufgespleißt und eine entsprechende Glasfaser eingefädelt werden. Diese Faser kommt dann im Zwickelbereich zwischen dem Litzenkerndraht und den Außendrähten zu liegen. Die Geometrie der Litze, sowie die mechanischen Eigenschaften werden dabei nicht verändert. Durch die Wahl einer geeigneten Geometrie und Auf bau der Faser kann der zugfeste Verbund der Faser mit der Litze sichergestellt und auf das Verkleben z. B. mit Harz verzichtet werden. Eine entsprechende Faser wurde durch 520 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Intelligente Sensorik in Spanngliedern mit nachträgl. Verbund für die ortsauflösende Spannkraftermittlung und Zustandsbewertung von Bauwerken den Forschungspartner Solifos AG im Rahmen des durch mfund geförderten Forschungsprojektes „smart tendon“ bereitgestellt. Die Faser wird dabei durch eine Polyamidschicht sowie einem Edelstahlmantel insbesondere während des Einbringens in den Zwickelbereich der Litze geschützt. Auch die Querdruckempfindlichkeit auf der freien Spangliedlänge (Umlenkpressung) und im Verankerungsbereich (Keilpressung) wird hierdurch reduziert. Durch die Wahl eines Faserdurchmessers von 0,8 mm konnte in Versuchen gezeigt werden, dass der Verbund zwischen der Faser und der Litze ausreichend vorhanden ist bzw. ein Herausziehen der Faser aus dem Zwickelbereich vermieden wird. Bei größeren Faserdurchmessern kann der Querdruck zwischen den Außendrähten und dem Kerndraht zu Beschädigungen und damit fehlerhaften Messergebnissen führen. Zum Anschluss an die Ausleseeinheit kann die Litze inklusive der Faser aus dem Bereich der Keilverankerung herausgeführt und anschließend durch kontrolliertes Abtrennen der Spannstahldrähte freigelegt werden. Nach Terminierung kann diese mit einer Spleißverbindung mit einem Kabel mit Steckverbinder verbunden und aus dem Bereich der Verpresskappe herausgeführt werden. Sollen bereits Messungen während des Spannvorgangs erfolgen, kann ein entsprechender Zugang zur Faser temporär auch hinter der Spannpresse erfolgen. Bild 1: Litze mit Glasfaserkabel 2. Bauteilversuche an mit Glasfasersensoren ausgestatteten Einzellitzen Im Rahmen des durch mfund geförderten Projektes „smart tendon“ wurden in Vorversuchen sowohl die außenliegende Applikation als auch die im Bereich der Zwickeln liegende Anordnung der Glasfasersoren in Bauteilversuchen untersucht. Dabei wurden an der HWTK Leipzig und in Kooperation mit der IexB Ingenieurgesellschaft für experimentelle Bauwerksuntersuchung mbH Zugversuche an Einzellitzen ohne Endverankerungen durchgeführt und mit Messwerten von z. B. induktiven Wegaufnehmers verglichen. Die Ergebnisse zeigten bei allen Versuchen eine gute Übereinstimmung zwischen der in den Glasfasern gemessenen Dehnungen und der Referenzmessung. Aufgrund der o. g. Vorteile der im Zwickel angeordneten Glasfasersensoren wurden alle weiteren Versuche ausschließlich an dieser Applikationsvariante durchgeführt. In einer weiteren Versuchsserie wurden mit Glasfasern ausgestattete Einzellitzen in ein übliches Wellhüllrohr eingebracht, auf ca. 0,6 Fpk vorgespannt und mit Keilen verankert. Der Ringraum zwischen den Litzen und dem Hüllrohr wurden anschließend mit Zementleim verpresst. Zur Kompensation des Verankerungsschlupfes wurden unter den Verankerungselementen Tellerfedern angeordnet. Zusätzlich wurden bei einzelnen Prüfkörpern die Litzen mechanisch geschwächt bzw. durch Verdrängungskörper Verpressfehler simuliert. Durch eine Dehnungsmessung bereits während der Erhärtungsphase des Verpresszementes konnten an den mit Verdrängungskörpern ausgestatteten Prüfkörpern Fehlstellen ab ca. 10 cm detektiert werden. Nach Abschluss der Erhärtungsphase wurden die vorgespannten Litzen über die zuvor eingebrachte Vorspannkraft hinaus bis zum Spannstahlbruch belastet. In allen Versuchsergebnissen konnte eine sehr gute Korrelation zwischen den Ergebnissen der faseroptischen Messung und einer herkömmlichen Messung mit Wegaufnehmern festgestellt werden. Sowohl die vorzeitigen Drahtbrüche in den mechanisch vorgeschädigten Litzen, als auch die bei der weiteren Belastung der Proben im Verpresskörper auftretenden Risse, konnten eindeutig und ortsauflösend erkannt werden. Bild 2: Vorspannen der mit Glasfaser versehenen Litzen in einer Rahmenkonstruktion 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 521 Intelligente Sensorik in Spanngliedern mit nachträgl. Verbund für die ortsauflösende Spannkraftermittlung und Zustandsbewertung von Bauwerken Bild 3: Zugversuch der mit Glasfaser versehenen Einzellitzenspannglieder 3. Biegeversuche an einem mit Glasfasersensoren ausgestatteten Spannbetonträger Im Anschluss an die Versuche an Einzellitzen, wurde die baupraktische Umsetzung von mit Glasfasern ausgestatteten Spannsystemen u. a. an einem 15 m langen Spannbetonträger untersucht [3]. Im Rahmen des Forschungsprojektes IDA-KI bzw. der Forschungsbrücke openLAB wurde der 1,5 m breite, vorgespannte T-Träger neben einzelnen Litzen im direkten Verbund auch mit einem DY- WIDAG-Litzenspannsystem des Typs SUSPA-Litze DW 6-4 bestehend aus vier Litzen mit einem Querschnitt von je 150 mm² ausgestattet. Aufgrund des gemeinschaftlichen Forschungsprojektes wurden der Träger neben den in den Zwickeln der Litzen angeordneten Glasfasersensoren auch im Bereich des Betons, sowie angeklebt an die Bewehrung mit Glasfasersensoren ausgestattet. In einer ersten Testphase werden an diesem einzelnen Fertigteilträger erste Biegeversuche durchgeführt. Anschließend erfolgt der Auf bau mehrerer Fertigteilträger zu einer Testbrücke, sowie die Belastung der Brücke in einer einjährige Referenzphase unter moderater Last, bevor in der letzten Phase die Brücke kontrolliert bis zum Bauteilversagen belastet wird. Der in der Betongüte C50/ 60 hergestellte Fertigteilträger, wurde mit einer Längs- und Schubbewehrung in der Güte B500 mit einem Durchmesser von 10 mm bewehrt. Die Spanngliedführung folgt parabelförmig dem Momentenverlauf des Trägers. Im Rahmen eines 4-Punkt Biegeversuche wurde der Träger jeweils ca. 1,5 m beidseitig der Trägermitte kraftgesteuert in verschiedenen Kraftstufen bis max. 80 kN belastet. Die Auslesung der Glasfasersensoren in den Litzen erfolgt durch eine auf der Brillouin-Rückstreuung basierenden Ausleseeinheit (fTB 5020, fibrisTerre Systems GmbH, 2019). Die Auflösung wurde dabei auf 0,2 m eingestellt, was zu einer räumlichen Abtastung von ungefähr 5 cm führte. Wenn auch durch die eingestellte Auflösung die Rissbildung im Träger nicht detektiert werden kann, so zeigt die in den Litzen eingebrachten Glasfasersensoren eine sehr gute Übereinstimmung mit dem gemessenen Dehnungsverhalten der Glasfasern im Beton sowie auf der Bewehrung. Weitere Untersuchung zum Verhalten der in die Litzen eingebrachten Glasfasersensoren werden derzeit durchgeführt. Die Ergebnisse sollen einem abschließenden Bericht zusammengestellt werden. Bild 4: Spannbetonträger und Lage der Glasfasersensoren Bild 5: Ermittlung der Dehnungsverteilung - Ausleseeinheit fTB 5020, fibrisTerre Systems GmbH Bild 6: Vergleich der Dehnungsverteilung der unterschiedlichen Glasfasersensoren (F=80 kN) 4. Faseroptischen Messung für die Beurteilung des Bauteilzustandes Anders als z. B. mechanisch belastete Sensoren (z. B. Kraftmessdosen) unterliegen faseroptische Sensoren keiner Alterung. Damit sind sie geeignet, insbesondere in der fortgeschrittenen Nutzungsphase eines Bauwerkes, in dem mögliche Änderungen des Tragverhaltens beobachtet werden sollen, eingesetzt zu werden. Aufgrund der derzeit noch hohen Anschaffungskosten für Auslesegeräte ist von einem kontinuierlichen Monitoring 522 6. Brückenkolloquium 2024 - Oktober 2024 Intelligente Sensorik in Spanngliedern mit nachträgl. Verbund für die ortsauflösende Spannkraftermittlung und Zustandsbewertung von Bauwerken nicht auszugehen. Im Rahmen der üblichen Hauptprüfungen nach DIN 1076 kann jedoch ohne große Kosten ein Auslesegerät angeschlossen und mit den Ergebnissen einer Referenzmessung direkt nach Auf bringen der Vorspannung verglichen werden. Neben der aktuellen Vorspannkraft entlang des Spanngliedes können bei einer entsprechenden Auflösung der Ausleseeinheit auch Aussagen über eine etwaige Rissbildungen insbesondere in unzugänglichen Bereichen (z. B. im Bereich der Fahrbahnplatte) gewonnen werden. Als Eingangsparameter in rechnergestützten Modellen können die gewonnenen Dehnungsverteilungen auch dazu dienen, mögliche kritische Bereiche eines Bauwerkes zu identifizieren und frühzeitig Instandsetzungsbzw. Verstärkungsmaßnahmen einzuleiten. Bereits die mit geringen Mehrkosten verbundene Ausstattung einzelner Litzen in relevanten Spanngliedsträngen können dazu beitragen, in einer späteren Nutzungsphase des Bauwerkes eine ortsauflösende Dehnungsverteilung und somit Wesentliche Aussagen über das Tragverhalten des Bauwerkes zu erhalten. 5. Fazit Durch die Integration von Glasfasersensoren in Spannglieder von Spannbetonneubauten können, ohne Eingriff in den allgemeinen Bauablauf und bei minimaler Steigerung der Herstellkosten über die gesamte Lebensdauer des Bauwerkes hinweg, wichtige Informationen zur ortsauflösenden Dehnungsverteilung im Spannsystem, aber auch im Bauteilquerschnitt des Gesamtbauwerkes geliefert werden. Direkt während des Spannvorgangs und nach Abschluss der Spannarbeiten kann die Spannkraftverteilung und somit der Verankerungs- und Reibungsverlust über die Spanngliedlänge ermittelt werden. Durch Messungen während der Erhärtungsphase des Verpresszementes können Verpressfehler festgestellt und in Ihrer Lage detektiert werden. Bei einer Einbindung in vorhandene Bauwerksprüfnormen (DIN 1076 [4], Ri-EBW-Prüf [5] etc.), einer regelmäßigen Messung der Dehnungsverteilung über die Nutzungszeit des Bauwerkes hinweg und in Kombination mit rechengestützten Vergleichsmodellen, können frühzeitig Veränderungen im Tragverhalten festgestellt und Instandsetzungsbzw. Verstärkungsmaßnahmen frühzeitig eingeleitet werden. Erste Pilotanwendungen im Rahmen von weiteren Forschungsvorhaben sowie in realen Brückenbauwerken sind geplant bzw. befinden sich derzeit in der Ausführung. Literatur [1] Samiec, D.: Verteilte faseroptische Temperatur- und Dehnungs-messung mit sehr hoher Ortsauflösung. In: Photonik 6/ 2011. [2] Masashi Oikawa, Shinji Nakaue, Naoki Sogabe, Michio Imai: “SmART Strand” Prestressing Steel Strand with Optical Fiber Sensor for Tension Monitoring. Im Tagungsband des „13th - Japanese-German Bridge Symposium“, 01/ 2023, Osaka. [3] Monitoring of a prestressed bridge girder with integrated distributed fiber optic sensors, Bertram Richter, Dennis Messerer, Max Herbers, Kerstin Speck, Jakob Laukner, Christian Gläser, Frank Jesse, Steffen Marx, Smar 2024 - 7th International Conference on Smart Monitoring, Assessment and Rehabilitation of Civil Structures [4] DIN 1076: „Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung“, 11/ 1999, Berlin. [5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076, Stand 22.02.2017
