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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
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2021
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Herausgegeben von Michael Raupach Bernd Schwamborn Lars Wolff 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Fachtagung zur Beurteilung, Instandhaltung und Instandsetzung von Bauwerken Tagungshandbuch 2021 Bewusst bauen. Herausgegeben von Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Hon. Prof. Dr.-Ing. Bernd Schwamborn Dr.-Ing. Lars Wolff 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Fachtagung zur Beurteilung, Instandhaltung und Instandsetzung von Bauwerken Tagungshandbuch 2021 Medienpartner und Sponsor: Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2021. Alle Rechte vorbehalten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. expert verlag GmbH Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3524-7 (Print) ISBN 978-3-8169-8524-2 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · 73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Vorwort Die Erhaltung von Bauwerken hat bereits in vielen Bereichen eine größere Bedeutung als der Neubau. Die Individualität der Bauwerke hinsichtlich Tragkonstruktion, Bausubstanz, Bauablauf, bauliches Umfeld und Einwirkungen über die Bauteillebensdauer erlaubt hierbei keine Standardlösung, sondern erfordert meist objektindividuelle Lösungen. Zudem sind die Aufgaben beim Bauen im Bestand vielfältig. Sie beinhalten die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung unter Berücksichtigung aktueller Regelwerke und Rechtsprechung, die Produktauswahl, die Ausführung und Qualitätssicherung sowie Aspekte des Bauwerksmanagements. Dies alles erfordert eine enge und frühzeitige Abstimmung zwischen Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Ziel der Fachtagung zum Bauen im Bestand ist der Austausch aktueller Erkenntnisse auf dem Gebiet der Erhaltung von Bauwerken. Dabei sollen sowohl die Erfahrungen bei der Planung und Umsetzung von Instandsetzungsmaßnahmen als auch der Kenntnisstand bei der Entwicklung neuer Verfahren, Materialien und Untersuchungsmethoden kommuniziert werden. Im Rahmen des 7. Kolloquiums „Erhaltung von Bauwerken“ werden etwa 80 Beiträge aus Forschung, Industrie und Praxis in vier parallelen Sessions zu folgenden Themenschwerpunkten präsentiert: • Bauwerksdiagnostik • Denkmalpflege: Tragwerksplanung, Fassade, Mörtel, Fallbeispiele • Ingenieurbauwerke: Brücken, Wasserbauwerke • Digitalisierung und BIM • Ausführung • Textilbeton • Betonersatz • Mauerwerk • Oberflächenschutz • Rissbehandlung • Schadstoffe/ Gefahrstoffe • Dauerhaftigkeit • Regelwerke • Forschung und Entwicklung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Verfahren, Methoden und Technologien für die Beurteilung, Instandhaltung und Instandsetzung von Bauwerken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ go/ bauwerk. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.1 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung 17 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach, Hendrik Morgenstern, M.Sc. 0.2 Neuzeitliche Infrastrukturprojekte versus Denkmalpflege? Eine diplomatische Herausforderung? 25 Axel Dominik, Pascale Dominik 1.0 Bauwerksdiagnostik 1.1 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar 29 Dr.-Ing. Gabriele Patitz, Dipl.-Ing. Robert Render, Dr.-Ing. Daniel Stolz 1.2 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen 37 Dipl.Ing (FH) SIA Ralf Schoster 1.3 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung 43 Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann, Dipl.-Ing. Werner Malgut 1.4 Korrosionsinspektion an Stahlbetonbauwerken: Potentialfeldmessung vs. Kelvinsonde * Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler 2.0 Denkmalpflege/ Fallbeispiele 2.1 Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen 55 Kurt Christian Ehinger 2.2 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer 59 Christopher Grohmann, Katharina Schaller, Dr. Anja Hoppe 2.3 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms 69 Michael Auras 2.4 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms 79 Jörg Harnisch 8 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 3.0 Digitalisierung/ BIM 3.1 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung 91 Dr.-Ing. Christoph Blut, Dr.-Ing. Till Büttner, Dr.-Ing. Ralf Becker, Raymond Wollenberg, Baris Özcan, Heiner Stahl, Prof. Dr.-Ing. Jörg Blankenbach 3.2 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten 101 Cher Sze Tan, M.Eng., Sevket Ersan, M.Sc. 3.3 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung 105 Sarah Dabringhaus, Sonja Neumann, Yasser Alquasem, Peter Haardt 3.4 115 BIM in der Instandsetzungsplanung Marike Bornholdt, Matthias Petersen, Dr. Holle Goedeke 4.0 Regelwerke 4.1 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken 125 Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 4.2 Aktuelle Entwicklungen der ZTV-ING für die Sachkundige Planung und Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brücken- und Ingenieurbauwerken 131 Eckhard Kempkens 4.3 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen 135 Dipl.-Ing. Heinrich Bastert 4.4 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik 141 Holger Tebbe 5.0 Ingenieurbauwerke/ Brücken 5.1 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten 153 Dipl.-Ing. Katharina Dawirs, Dr.-Ing. Sebastian Krohn 5.2 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen 159 Dipl. Ing. Thomas Stihl 5.3 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes 165 Rolf Spreemann 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 9 6.0 Denkmalpflege/ Tragwerksplanung 6.1 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen an historischen Baudenkmälern unter Betrachtung ihrer Rezeptur, Belastungsgrenzen, umweltschonenden Wirkung und Nachhaltigkeit 171 Sophie Hoepner, Prof. Dr. Cordt Zollfrank 6.2 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode 179 Jessica Klinkner, M.Eng., Dipl.-Ing. Axel Dominik 6.3 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg 189 Dipl.-Ing. Hjalmar Schoch 7.0 Ausführung 7.1 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung 197 Dipl.-Ing. Rainer Braun 7.2 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen 201 Peter Sudermann, M.Eng., Prof. Dr.-Ing. Manfred Breitbach 8.0 Rissbehandlung 8.1 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen 217 Dr.-Ing. Angelika Eßer, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martina Schnellenbach-Held 8.2 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion 223 Dipl.-Ing. Bodo Appel 8.3 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung 233 Götz Tintelnot 10 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 9.0 Textilbeton 9.1 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung 243 Sebastian May, Alexander Schumann, Frank Schladitz 9.2 Dauerhaftigkeit von textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten unter zyklischer Belastung und rückseitigem Wasserdruck * Cynthia Morales Cruz, Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 9.3 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen 249 Amir Rahimi, Andreas Westendarp, Cynthia Morales Cruz, Michael Raupach 9.4 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken 253 Christian Dommes, Christian Knorrek, Josef Hegger 9.5 Dichtflächen für LAU-Anlagen auf Basis von Carbonbeton * Detlef Koch, Björn Neuberger, M. Sc 9.6 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis 261 Philipp Truffer 9.7 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken 275 Simon Liebl, Björn Callsen 10.0 Denkmalpflege/ Mörtel 10.1 Weiterbauen - im ländlichen Raum 283 Christian Kaiser 10.2 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? 285 Dr. rer. nat. Andreas Zahn, Dr. rer. nat. Andreas König, Jonas Hallmann 10.3 War es dem Turm zu heiß? Brände als mögliche Ursache für Mauerwerksschäden an einem historischen Turm 291 Prof. Dr.-Ing. Matthias Jagfeld 10.4 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen 301 Bernwart Jungermann 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 11 11.0 Dauerhaftigkeit 11.1 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis 307 Joost Gulikers, Maria Teresa Alonso Junghanns 11.2 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen 317 Dr. Matthias Bernhard Lierenfeld, Nathan Metthez, Philipp Truffer 11.3 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen 331 Iris Hindersmann, Peter Haardt 11.4 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 339 Prof. Dr.-Ing. Jörg Röder 12.0 Betonersatz 12.1 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken 351 Christian Knorrek, Christian Dommes, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 12.2 Betonersatz und Oberflächenschutz mit hochfesten Betonen Grundlagen und Anwendung am Beispiel Tiefgarage 361 Prof. Dr.-Ing. Stefan Linsel, Dieter Neff 12.3 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten 363 Olaf Kern, Eva-Maria Ladner, Björn Marucha, Markus Ehrhardt 12.4 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke 367 Michael Berndt, Wolfram Kämpfer 12 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 13.0 Ingenieurbauwerke/ Wasserbauwerke 13.1 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken 377 Annemarie Seiffert, M. Sc., Sarah Elting, M. Eng., François Marie Nyobeu Fangue, M. Sc. Lukas Weber, M. Sc. 13.2 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb 383 Dominik Waleczko, M.Sc., Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Shervin Haghsheno, Dipl.-Ing. Andreas Westendarp 13.3 Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens 397 Anna Leicht, M.Sc., Dipl-Ing. Marc Schmitz, Dipl.-Ing. Andreas Westendarp, Dominik Waleczko, M.Sc 13.4 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW 403 Frank Spörel 13.5 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr 411 Peter Gültner 13.6 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee 419 Lars Wolff, Michael Bruns 14.0 Denkmalpflege/ Fassade 14.1 Betoninstandsetzungsmaßnahmen an denkmalgeschützten Bauwerken - Fallbeispiel für nicht regelwerkkonforme Instandsetzungslösungen * Dr.-Ing. Michael Fiebrich 14.2 Kosmetische Betoninstandsetzung Haus der Berliner Festspiele in Berlin - Betoninstandsetzung mit Pfiff 433 Markus Ehrhardt, M.Sc., Dipl.-Ing. Annegret Hofmann-Kuhnert, Reiner Hofmann 14.3 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen 437 Wladislaus Metzger, Holger Tebbe 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 13 15.0 Forschung und Entwicklung 15.1 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen 455 Hendrik Morgenstern, M.Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach, Tobias Wessler, B.Eng. 15.2 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung 463 Martin Lenting, Jeanette Orlowsky 15.3 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton 473 Dipl.-Ing. Georg Schäfer 15.4 Alkalische Hydrogele als Ankoppelungsmaterial für den elektrochemischen Chloridentzug 481 Dr. rer. nat. Univ. Prof. Oliver Weichold, Andre Jung, Armin Faulhaber 15.5 Acrylatfreie Zweikomponentengele zur Rissverpressung * Dr. rer. nat. Univ. Prof. Oliver Weichold 15.6 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden 487 Christian Helm 16.0 Oberflächenschutz 16.1 Kunstharzbeschichtungen auf feuchten Untergründen - Herausforderungen und Lösungen in der Praxis 497 Eva-Maria Ladner, Patricia Gimeno, Dr. Stefan Kühner 16.2 Blasen in Polymerbeschichtungen Erkennungsmerkmale, Ursachenanalyse und Entstehungsmechanismen 501 Dr.- Ing. Robert Engelfried, Dipl.-Ing. Helena Eisenkrein-Kreksch 16.3 Mit neuem Prüfverfahren (PAT) und innovativen Rohstoffen - der Weg zu beständigeren Parkhaus-Verschleißschichten 515 Sandro La Spina, Dr. Stefan Kühner, Dr. Thomas Pusel 16.4 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem bei unterschiedlichen Anwendungsfällen 519 Tobias Bürkle, Prof. Dr. Andreas Gerdes 16.5 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung 539 Sebastian Lücke, M.Eng. 16.6 551 Instandhaltung von Verkehrswegeflächen Karl-Heinz Lindenbauer, Götz Tintelnot 14 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 17.0 Denkmalpflege/ Mauerwerk 17.1 Reparaturmörtel für gipshaltiges Mauerwerk 559 Dr. Petra Egloffstein 17.2 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen 563 Claudia Neuwald-Burg, Jonny Henkel 17.3 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? 571 Dipl.-Ing. Axel Dominik, Andreas Schell B. Eng., Pascale Dominik M. Sc. 17.4 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen 589 Dr.-Ing. Gabriele Patitz 17.5 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH/ HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk 597 Dipl.-Ing. Jonny Henkel, Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg 17.6 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge 611 Domenika von Kruedener, Axel Dominik 17.7 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Regelungen und Praxistipps 619 Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Jürgen H. R. Küenzlen, M. A., Dipl.-Ing. (FH) Eckehard Scheller, Dipl.-Ing. Rainer Becker, Dipl.-Ing. Thomas Kuhn 18.0 Schadstoffe/ Gefahrstoffe 18.1 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung 639 Diplom-Geoökologe Holger Andris 18.2 Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken 651 Klaus Kersting, Corinne Ziegler, Sabrina Schatzinger 18.3 Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung im Straßenbau 655 Dieter Licht ** Manuskript lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Plenarvorträge 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 17 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, D-52062 Aachen, Deutschland Hendrik Morgenstern, M.Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, D-52062 Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die Digitalisierung im Bauwesen schreitet weiter voran und eröffnet zusammen mit der zunehmenden Verbreitung und Weiterentwicklung von Hard- und Software stetig weitere Möglichkeiten für innovative Arbeitsweisen. Building Information Modeling (BIM) wird derzeit zum Standard für den Neubau, wurde jedoch noch nicht für die Verwendung bei Bestandsbauten optimiert. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Innovationsnetzwerkes werden gemeinsam mit vier RWTH-Instituten und derzeit acht Industriepartnern am Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University neue Methoden und Möglichkeiten zur BIM-basierten Bauwerkserhaltung erforscht und bis zur Praxistauglichkeit entwickelt. In diesem Beitrag werden die Vision der digitalisierten Bauwerkserhaltung, die bisherigen Arbeitsstände sowie die geplanten weiteren Schritte vorgestellt. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass die Nutzbarmachung von BIM-Modellen über die Planungs- und Ausführungsphase hinaus ein essenzieller Schritt für die Digitalisierung der Bauwerkserhaltung ist und ein großes Potenzial für effektive Bauwerksdiagnosen und ein effizientes Lebensdauermanagement birgt. 1. Allgemeines 1.1 Digitalisierung im Bauwesen Durch den Stufenplan Digitales Planen und Bauen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) wurde 2015 die Digitalisierung des Bauwesens offiziell ausgerufen [1]. Die Digitalisierung wird dabei nicht nur von technologischem Fortschritt, sondern auch von Begriffen wie Internet of Things (IoT), Industrie 4.0, Smart Buildings und BIM (Building Information Modeling) begleitet. Im ersten Fortschrittsbericht des Umsetzungsplans des BMVI liegt dabei der Fokus deutlich auf der Verwendung von BIM als Instrument für die Planung, Baufortschrittskontrolle und Informationsbereitstellung [2]. Die öffentliche Hand nimmt bei der Realisierung der Digitalisierung im Bauwesen eine Vorreiterrolle ein. So zeigen beispielsweise die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) deutliche Ambitionen und beschreiben ein großes Potenzial in der Digitalisierung, für deren effektive Umsetzung jedoch noch eine entsprechende Kollaborationsinfrastruktur geschaffen werden müsse [3, 4]. Aufgrund fehlender systemübergreifender Strukturen und vieler Insellösungen konnten sich die meisten Digitalisierungsmaßnahmen noch nicht zum Standard durchsetzen. Das Building Information Modeling jedoch wird zunehmend gefordert und angewandt, sodass dort eine weitverbreitete Implementierung in naher Zukunft absehbar ist. 1.2 Building Information Modeling (BIM) Building Information Modeling ist eine computergestützte Methode zur Ausführung, Planung und Betrieb von Gebäuden. In entsprechenden BIM-Softwares können sämtliche Bauteile grafisch dargestellt und mit spezifischen Informationen versehen werden. Durch einen Klick auf das jeweilige Element werden somit Informationen über den Baustoff, die Geometrie und die Ausführung abrufbar. Bei der Nutzung dieses Bauwerksmodells wird zwischen Closed-BIM- und Open-BIM-Prozessen unterschieden. Bei Closed-BIM muss für die Zusammenarbeit eine bestimmte Software genutzt werden, die für den jeweiligen Zweck optimiert wurde und in der Regel lizenzpflichtig ist. Bei Open-BIM wird ein offenes Dateiformat gewählt, das die Arbeit mit verschiedenen Programmen erlaubt, sodass alle am Bauprozess Beteiligten Zugriff auf das Modell haben können. In der Regel wird bei Open-BIM-Prozessen das IFC-Format (Industry Foundation Classes) genutzt. Dieses ist der offene Standard im Bauwesen und wird durch das Kompetenznetzwerk buildingSMART e.V. definiert. Das IFC-Format ist auf Vereinheitlichung und Normierung ausgelegt, was jedoch zulasten der Komplexität geht. 18 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Jedes BIM-Element trägt gewisse Informationen, sogenannte Merkmale, welche das Bauteil definieren oder die Spezifikationen beschreiben. Beim Übertrag in das offene IFC-Format kann es jedoch zu Informationsverlust kommen, wenn die Merkmale nicht in das IFC-Muster passen. Daher wird für eine einheitliche Datenkommunikation durch das buildingSMART Data Dictionary (bsDD) eine Art Wörterbuch für die gemeinsame Sprache in der BIM-gestützten Zusammenarbeit gegeben. Da auch das bsDD jedoch nicht alle nötigen Fälle abdeckt, wird die Verwendung eines (nationalen) Merkmalservers für die einheitliche Informationsübergabe vorgeschlagen [5]. Neben diesen derzeit noch bestehenden strukturellen Herausforderungen sollte beachtet werden, dass zwischen Modellierung und Realisierung stets eine gewisse Diskrepanz herrschen wird. So versteht die BAW trotz aller Möglichkeiten BIM in erster Linie als ein Werkzeug zur Optimierung des Planungsergebnisses [6]. Als ein solches findet es bis dato primär Anwendung in Neubau und Planung. 1.3 BIM-basierte Bauwerkserhaltung Bei gründlicher Planung beschreiben BIM-Modelle den Soll-Zustand teils äußerst präzise. Der Ist-Zustand nach der Ausführung findet seinen Weg bislang jedoch nicht in das entsprechende Modell zurück. Entsprechend eignet sich das Modell primär für die Planung des Neubaus, weniger jedoch für die Planung einer später gegebenenfalls nötigen Instandsetzungsmaßnahme. Um dies zu ändern und somit den technischen Wertverlust des BIM-Modells nach der Bauphase zu vermeiden, forscht das Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University an Maßnahmen zur BIM-basierten Bauwerkserhaltung. Diese soll nach der Realisierungsphase u.a. folgende Bereiche umfassen: • Zustandserfassung • Instandsetzungsplanung • Instandsetzungsausführung • Sensorbasiertes Monitoring • Probabilistische Dauerhaftigkeitsprognosen In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten ZIM-Projekt DigiPark werden die ersten Schritte hin zu einer BIM-basierten Bauwerkserhaltung erforscht. Ausgehend von diesem Projekt wurde mit insgesamt zwölf Partnern aus Industrie und Wissenschaft das ebenfalls BMWi-geförderte Innovationsnetzwerk (www.bim-xd.de) gegründet, das die Vision einer vollständigen Digitalisierung von Bestandsgebäuden und deren Instandhaltung verfolgt. Das Netzwerk vereint Kompetenzen der Bauwerksdiagnose, Instandsetzungsplanung und Bauausführung sowie aus den Bereichen der Soft- und Hardwareentwicklung, sodass alle erforderlichen Entwicklungen innerhalb des Netzwerkes erarbeitet werden können. In der Bauwerkserhaltung stellen die Komplexität und Individualität von Instandsetzungen im Vergleich zum Neubau eine besondere Herausforderung dar. Es gibt ebenso wenig die Standardlösung wie es den Standardschaden gibt. Entsprechend müssen die digitalisierten Methoden besonders anpassungsfähig und auf die verschiedensten Untersuchungsgegenstände anwendbar sein. Der erste Schritt zum BIM-basierten Erhalten ist dabei i.d.R. die nachträgliche Erstellung eines BIM-Modells. 2. Das digitale Bauwerksmodell Durch die vergangenen Fortschritte in der Geodäsie ist die Erstellung von Punktwolken-Scans mittlerweile anwenderfreundlich und kosteneffizient geworden. Entsprechende Fachkräfte können mittels handgeführten oder stativgebundenen Laserscannern Gebäude binnen kurzer Zeit in baupraktisch ausreichender Genauigkeit vermessen. Aus der Punktwolke kann mit üblichen BIM- Softwares nachträglich ein BIM-Modell des Gebäudes erstellt werden. In Abbildung 1 ist oben die Punktwolke des im DigiPark-Projekt vermessenen Parkdecks und unten das daraus abgeleitete Modell gezeigt. Dieses Modell kann aus der proprietären Software in das IFC- Format exportiert werden, sodass alle Beteiligten auch mit kostenfreien BIM-Viewern das Modell betrachten und die gespeicherten Informationen abrufen können. Abbildung 1: Punktwolke (oben) und abgeleitetes BIM- Modell (unten) eines Parkdecks Das erstellte Modell enthält nach diesem Arbeitsschritt jedoch noch keine bauwerkserhaltungsrelevanten Informationen, es dient lediglich als 3D-Planunterlage für die folgenden Schritte. Sollte bereits ein BIM-Modell vorliegen, kann dieses mitsamt aller vorhandener Informationen verwendet werden. In beiden Fällen sind in den Modellen jedoch noch keine Informationen der Zustandserfassung enthalten und lediglich generische Bauteile simuliert. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 19 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 2: Visuelle Programmierung in Revit mit dem Plugin Dynamo Das Hinzufügen von Informationen ist in den BIM-Modellen nur in einem gewissen Rahmen vorgesehen, der für die Bauwerkserhaltung derzeit nicht geeignet ist [7]. Entsprechend müssen alle Ergebnisse der Bauwerksuntersuchung jedem Element (Bauteil) einzeln hinzugefügt werden. Bei der Kartierung von dutzenden Prüfstellen, hunderten Rissen oder tausenden Werten eines Flächenscan-Rasters wäre eine manuelle Implementierung weder wirtschaftlich noch praxistauglich. Eine mögliche Lösung, die am ibac deshalb für die Dateneingabe verfolgt wird, nutzt die Visuelle Programmierung. Mit der BIM-Software Revit (Autodesk) kann das Open-Source Plugin Dynamo genutzt werden, um Elemente im Modell zu erstellen oder mit zusätzlichen Informationen zu versehen. Ein Auszug des Knotenplans der visuellen Programmierung zum Import von Bohrkern- Untersuchungen ist in Abbildung 2 gezeigt. Auf diese Weise genügt es, die zu importierenden Informationen in einer Excel-Tabelle zur Verfügung zu stellen, und mit derAusführung des Programmier-Skriptes werden die Daten (bspw. Untersuchungsergebnisse) dem jeweiligen Element im BIM-Modell hinzugefügt. Visuelle Programmierung ist zwar wesentlich intuitiver und einsteigerfreundlicher als die herkömmliche Arbeit mit Programmiersprachen, aber erfordert dennoch eine gewisse IT-Kompetenz. Für die praktische Anwendung genügt es allerdings, ein Skript ausführen zu können. Die Entwicklungsarbeit der jeweiligen Import-Skripte kann vollständig ausgelagert werden. Das Verorten bzw. Hinzufügen der jeweiligen Diagnoseergebnisse ist anschließend nicht schwieriger als die gewöhnliche Bedienung einer BIM-Software. 3. Zustandserfassung Ziele der Bauwerksuntersuchung bzw. Zustandserfassung sind die Bewertung des Bauteiles und die Abschätzung der zu erwartenden Restnutzungsdauer bzw. der durchzuführenden Maßnahmen. In der statischen Bewertung von Bestandsbauwerken werden bereits zerstörungsfreie Prüfungen (zfP) und Diagnoseinformationen als Basis für vollprobabilistische Modelle genutzt [8]. Für ein strukturiertes und übersichtliches Informationsmanagement findet dort ebenfalls das Konzept des modellbasierten Prüfens unter Verwendung von BIM-Modellen Anwendung [9]. Aus den Bauwerksinformationen liegen womöglich Angaben über den verwendeten Beton oder sogar Prüfergebnisse an Referenzprüfkörpern vor. In vergleichenden Untersuchungen konnte jedoch gezeigt werden, dass in situ die bestimmten Druckfestigkeiten durchschnittlich 20 % geringer und die ermittelten Carbonatisierungsbzw. Chloridmigrationskoeffizienten 40 bis 50 % höher als jene der separat hergestellten Vergleichsprobekörper sind [10]. Als Konsequenz daraus sollte also für eine zuverlässige Bewertung des Bauteilzustandes eine umfassende Diagnose durchgeführt werden. Neben invasiven Verfahren zur Bestimmung der Druckfestigkeit gibt es auch zerstörungsfreie Prüfungen, um bspw. Betondeckung oder Korrosionsaktivität zur prüfen (s. z.B. [11]). Im Idealfall liefert die Bauwerksdiagnose Angaben zu folgenden Bauteileigenschaften: • Betondeckung • Bewehrungslage • Carbonatisierungstiefe • Chloridgehalt (tiefengestaffelt) • Korrosionspotenzial (flächig) • Rissbild • Schadstellen 20 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Für eine effektive BIM-basierte Zustandserfassung und -bewertung müssen die verschiedenen Diagnoseergebnisse vollständig maschinenlesbar und ortsaufgelöst in das Modell übertragen werden. Dazu müssen die Daten aus dem jeweiligen Messgerät mit der ggf. proprietären Software in ein gängiges Format wie bspw. Excel-Tabellen exportiert werden. Auf diese Weise werden die Diagnosedaten für eine kollaborative Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt. Anschließend erfolgt der Import wie bereits erläutert z.B. über Visuelle Programmierung in das BIM-Modell. Mit jedem Schritt dieser digitalisierten Arbeitsweise werden die Daten effektiver genutzt und die folgenden Analysen zunehmend effizienter gestaltet, wie in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3: Nutzensteigerung von Diagnosedaten durch eine digitalisierte Arbeitsweise Ein praktisches Beispiel der Datenimplementierung ist in Abbildung 4 dargestellt. In einer Excel-Tabelle wurden für mehrere Bohrkerne Daten aus einer beispielhaften Bauwerksuntersuchung zur relativen Lage, absoluten Tiefe und zum Bohrkerndurchmesser übermittelt und mittels weniger Mausklicks in das BIM-Modell übertragen. Durch einen Klick auf die Bohrkerne werden Untersuchungsergebnisse zur Druckfestigkeit, Geometrie und Carbonatisierungstiefe abrufbar. Abbildung 4: Bohrkerne in Wand und Stütze 4. Instandsetzungsplanung Aufbauend auf der Zustandserfassung können die Bauteile nun effizient hinsichtlich ihrer Instandsetzungsbedürftigkeit bewertet werden. Die Diagnoseergebnisse können variabel ein- und ausgeblendet werden. Es können einzelne Eigenschaften oder auch ihre Kombinationen betrachtet werden. Flächige Scans können in übereinander liegenden Lagen angezeigt werden. Die Implementierung der Diagnoseergebnisse hängt vom verwendeten Skript ab und die Möglichkeiten werden lediglich durch die jeweilige Programmiersprache bzw. das Datenformat beschränkt. Die Darstellung erfolgt in Abhängigkeit des verwendeten BIM-Programmes und erlaubt auch relative Einfärbungen je nach Merkmalsausprägung, wie am Beispiel des BIM-Viewers BIMVision (Datacomp) in Abbildung 5 gezeigt. Die rot gefärbten Elemente weisen Carbonatisierungstiefen von über 45 mm auf und markieren somit neuralgische Punkte. Neben der Carbonatisierungstiefe kann auch jeder andere verfügbare Wert dargestellt werden, bspw. die Restnutzungsdauer oder auch ein quantifizierter Instandsetzungsbedarf. Auf diese Weise können beispielsweise kritische Bereiche identifiziert werden, die anschließend mit Sensorik gezielt überwacht werden. Auf diese Weise kann effizient ein Korrosionsmonitoring wie in [12] vorgestellt implementiert werden, um Zustandsdaten zu sammeln und Prognosen zu validieren. Neben der Einfärbung und gegenüberstellenden Visualisierung der Diagnoseergebnisse wäre es auch denkbar, Handlungsempfehlungen in Abhängigkeit der Zustände automatisiert zu generieren. Warnungsmeldungen könnten gefährliche Über- oder Unterschreitungen ankündigen und geeignete Gegenmaßnahmen aufführen. Die Analyse des Ist-Zustandes und die Planung der nötigen Instandsetzung kann auf diese Weise ideal unterstützt werden. Daneben erlaubt eine digitale Zustandserfassung ein nachhaltiges Datenmanagement, indem alle vorliegenden Informationen übersichtlich gebündelt und vollständig erhalten werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 21 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 5: Farbige Darstellung der Carbonatisierungstiefe in diskreten Bereichen (grün ≤ 20 mm, gelb ≤ 45 mm, rot ≤ 70 mm) 5. Ausführung Die BIM-basierte Ausführung arbeitet mit digitalen Planungsunterlagen und verbindet diese womöglich mit VR/ AR-Technologie (Virtual bzw. Augmented Reality). Es ist denkbar und technisch möglich, dass beispielsweise die Abtragstiefe bis zum tragfähigen Beton über eine AR- Brille farbig markiert oder die tatsächliche Bewehrungslage sichtbar wird, um Sondierungsöffnungen zielsicher zu platzieren. In einem weiteren Schritt könnten Baumaschinen mit dem BIM-Modell verknüpft und automatisierte Kollisionsprüfungen durchgeführt werden, sodass ein Bagger selbstständig die Bewegung stoppt, bevor seine Schaufel eine Gasleitung oder ein Wasserrohr treffen würde. Es wird auch eine Kombination mit der Aufwandsermittlung bei Instandsetzungen angestrebt, sodass die laufenden Meter oder Flächen nicht manuell, sondern fotobasiert ermittelt und automatisch im BIM-Modell lokalisiert werden. Die nötige Hard- und Software für diese Arbeitsweisen ist bereits vorhanden, für die Anwendung müssen jedoch geeignete BIM-Modelle und Infrastrukturen gegeben sein. 6. Sensorbasierte Dauerhaftigkeitsprognosen Die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbauteilen ist ein elementarer Faktor für die Sicherheit und Nachhaltigkeit von Gebäuden. Neben deskriptiven Verfahren zur Dauerhaftigkeitsbemessung gewinnen probabilistische Verfahren und Modelle zunehmend an Bedeutung, um zuverlässige Prognosen und sinnvolle Anforderungen an dauerhaftigkeitsrelevante Parameter wie beispielsweise die Betondeckung zu stellen. Die gängigen Prognosemodelle benötigen jedoch als Input die den Modellparametern zugrundeliegenden statistischen Verteilungen. Die notwendigen Daten liegen oft nicht in geprüfter Form vor, sodass auf Literaturwerte zurückgegriffen wird. Die Verwendung von Literaturwerten ist jedoch kritisch für die Aussagekraft und Fehleranfälligkeit der Modelle, insbesondere weil manche schlecht zu überprüfenden Parameter besonders einflussreich sind [13]. 22 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 6: Ableiten von statistischen Verteilungen aus Sensordaten Für eine belastbare Aussage der Prognosemodelle werden realistische Eingangsparameter benötigt, die durch Bauwerksprüfungen bestimmt werden [14]. Die Kalibrierung der Modelle auf das jeweilige Bauteil wird als vielversprechender betrachtet als die Verbesserung der Modelle selbst [15]. Darüber hinaus können die Modelle durch probabilistische Methoden wie beispielsweise das Bayes’sche Updating verbessert bzw. „angelernt“ werden. Der erforderliche Rechenaufwand war damals ein Hindernis, stellt jedoch bei den heutigen Computern kein Problem mehr dar [16]. Mittels Bayes’schem Updating können Defizite in der Verfügbarkeit gewisser Modellparameter kompensiert werden, sofern die Datengrundlage der anderen Parameter groß genug ist, was oft nicht der Fall ist [17]. Es gilt also, die durch die Bauwerksdiagnose und verbaute Sensorik gesammelte Daten nicht nur zu sammeln, sondern für lernfähige Lebensdauerprognosen zu nutzen. Aus den Rohdaten sollen statistische Verteilungen abgeleitet (vgl. Abbildung 6) und anschließend Zuverlässigkeitsindizes bestimmt werden. Die Ergebnisse können ebenfalls im BIM-Modell gespeichert und bauteilspezifisch abgerufen oder gegenübergestellt werden. Auf diese Weise wird nicht nur eine Bewertung des Ist-Zustandes BIM-basiert möglich, sondern auch der prognostizierten Zustände in der Zukunft. 7. Schlussfolgerungen und Ausblick Das vorgestellte Konzept zur Digitalisierung der Bauwerkserhaltung baut auf den technischen Fortschritten der letzten Jahre auf und leitet eine modellzentrierte Arbeitsweise ein. Daten sollen strukturiert aufbereitet, gesammelt und vernetzt werden. Mit automatisierten Auswertungen werden Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen und Bewertungen unterstützt. Mit einem vertretbaren Aufwand wächst über die Nutzungsdauer hinweg ein BIM-Modell, das nicht nur den Soll-Zustand, sondern auch den Ist-Zustand verlässlich wiedergibt. Aus dem bisherigen Arbeitsstand können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: • BIM-visualisierte Diagnosen ermöglichen effiziente Analysen, indem örtliche Häufungen oder Streuungen sichtbar werden. • Untersuchungsergebnisse, deren Verwendung bislang oft in einem Prüfbericht endete, bleiben maschinenlesbar erhalten und können für weitere Analysen genutzt werden (digitales Bauwerksbuch). • Farbige „Ampel-Systeme“ erlauben die simple Ersteinschätzung des Bauteilzustandes. • Digitalisierte Bauwerksdiagnosen ermöglichen effiziente Hightech-Instandsetzungen. • Zuverlässige Prognosen ermöglichen zielgerechte Erhaltungsmaßnahmen. Aktuell erfolgen weitere Bemühungen, um neben punktuellen und flächigen Bauwerksuntersuchungen auch komplexe Geometrien wie die tatsächliche Bewehrungslage aus diesen abzuleiten und automatisiert im BIM-Modell darzustellen. Es ist geplant, den Workflow mittelfristig cloudbasiert abzuwickeln und über diese mit Sensorik zu verknüpfen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 23 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung 8. Literatur [1] Stufenplan Digitales Planen und Bauen - Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2015. [2] Umsetzung des Stufenplans Digitales Planen und Bauen - Erster Fortschrittsbericht, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2017, p. 23. [3] C. Heinzelmann, J. Bödefeld, Z. Duric, Digitalisierung im Verkehrswasserbau, Bautechnik 97(6) (2020) 441-445. [4] Digitalisierung im Verkehrswasserbau, Bundesanstalt für Wasserbau, Hannover Congress Centrum, 2018. [5] G. Fröch, W. Gächter, A. Tautschnig, G. Specht, Merkmalserver im Open-BIM-Prozess, Bautechnik 96(4) (2019) 338-347. [6] J.L. Bödefeld, Stefan, BIM - Hype, Risiken und Chancen, Neubau von Wasserbauwerken, Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, 2019. [7] S. Kubens, J. Landis, C. Müller, R. Achenbach, BIM-basierte Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken, beton 12 (2019) 454-459. [8] S. Küttenbaum, S. Maack, T. Braml, A. Taffe, M. Haslbeck, Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten, Beton- und Stahlbetonbau 114(6) (2019) 370-382. [9] H.G. Oltmanns, H. Oltmanns, A. Dirks, BIM-Modelle und die Bearbeitung durch Prüfingenieure, Bautechnik (2019). [10] F. Jacobs, Dauerhaftigkeit von Beton im Bauteil, Beton- und Stahlbetonbau 114(6) (2019) 383-391. [11] S. Keßler, L.P. Emmenegger, A.A. Sagüés, Korrosionsdetektion an Stahlbetonbauwerken: konventionell und innovativ, Bautechnik 97(1) (2019) 11- 20. [12] A. Holst, H. Budelmann, H.-J. Wichmann, Korrosionsmonitoring von Stahlbetonbauwerken als Element des Lebensdauermanagements, Beton- und Stahlbetonbau 105(12) (2010) 536-549. [13] M.G. Grantham, J. Gulikers, C. Mircea, Predicting residual service life of concrete infrastructure: a considerably controversial subject, MATEC Web of Conferences 289 (2019). [14] C. Boschmann Käthler, U.M. Angst, Der kritische Chloridgehalt - Bestimmung am Bauwerk und Einfluss auf die Lebensdauer, Bautechnik 97(1) (2019) 41-47. [15] U.M. Angst, Predicting the time to corrosion initiation in reinforced concrete structures exposed to chlorides, Cement and Concrete Research 115 (2019) 559-567. [16] D. Straub, I. Papaioannou, Bayesian Updating with Structural Reliability Methods, Journal of Engineering Mechanics 141(3) (2015). [17] B. Cai, X. Kong, Y. Liu, J. Lin, X. Yuan, H. Xu, R. Ji, Application of Bayesian Networks in Reliability Evaluation, IEEE Transactions on Industrial Informatics 15(4) (2019) 2146-2157. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 25 Neuzeitliche Infrastrukturprojekte versus Denkmalpflege? Eine diplomatische Herausforderung? Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro, Bornheim | Deutschland Pascale Dominik Dominik Ingenieurbüro, Bornheim | Deutschland In dem Vortrag möchten wir anhand einiger Beispiele die Schwierigkeiten, aber auch die positiven Seiten schildern, die mit der restauratorischen Instandsetzung historischer Bauwerke verbunden sind. Beispiel 1: Eine historische Eisenbahnbrücke wurde im 18. Jahrhundert aus Natursteinmauerwerk errichtet, ist in großen Teilen schwer geschädigt und genügt nach Ansicht einiger Beteiligter nicht mehr den neuesten Infrastrukturanforderungen. Dies betrifft auch u. a. die Lasten, die zukünftig auf der Brücke transportiert werden sollen. Der Zustand der Brücke kann die heutigen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Im Rahmen der Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Brücke vielfältige Alterserscheinungen aufweist. Die Naturwerksteine der Fassade sind teilweise gelöst, der Mörtel des Bruchsteinmauerwerks dahinter existiert in Teilbereichen nicht als Mörtel, sondern eher in einem sandigen Zustand. Im Laufe der Untersuchungen entstand eine Faszination hinsichtlich der planerischen, aber auch der handwerklichen Leistungen, die an diesem Bauwerk mit den damaligen Mitteln des 18. Jahrhunderts und den Baustoffen aus der Region erbracht wurden. Für die Instandsetzung des Bauwerkes wurde nach Lösungen gesucht, die einerseits das traditionelle Bauwerk berücksichtigt, jedoch auch den heutigen Anforderungen entspricht. Beispiel 2: Ein historisches Bauwerk aus der Jahrhundertwende des 19. und 20. Jahrhunderts, welches seit vielen Jahrzehnten ungenutzt der Witterung frei ausgesetzt wurde und scheinbar keinen Nutzen mehr hat, gefährdet aufgrund seiner Baufälligkeit u. a. Passanten, die an dem Haus vorbeigehen. Eine Wohnungsbaugesellschaft möchte aufgrund des großen Wohnungsbedarfs in den Städten auf dem Grundstück dieses denkmalgeschützten und vollkommen heruntergekommenen Bauwerks ein mehrgeschossiges Wohnhaus nach dem neuesten Stand der Technik bauen. Das denkmalgeschützte Wohnhaus wurde mit den damaligen Baustoffen errichtet, weist feuchtebedingte Schäden, einen biologischen Befall und nach den heutigen Anforderungen keinen ausreichenden Wärme- und Schallschutz auf und ist zudem nicht mehr tragsicher. Beim näheren Hinsehen fasziniert jedoch diese verschmutzte Stuckfassade in Hinblick auf die handwerklichen Fähigkeiten, u. a. die der Stuckateure, der Schreiner und der Maurer. Das Gebäude strahlt nicht nur das handwerkliche Können aus, sondern auch seine gesamte Geschichte. Beispiel 3: Eine Autobahnbrücke wurde während des 2. Weltkrieges aus Mauerziegel- und Naturstein-mauerwerk errichtet. Es ist faszinierend, mit welcher Präzision und in welcher kurzen Zeit dieses riesige Brückenbauwerk, welches viele Jahrzehnte dem Autobahnverkehr standgehalten hat, mit einfachen Baustoffen errichtet wurde. Die Baustoffe dieses Bauwerks sind durch die Belastung aus dem Straßenverkehr und durch Umwelteinflüsse geschädigt, die Mörtelbestandteile sind infolge von Umwandlungsprozessen in ihren Eigenschaften stark verändert. Eine nicht angepasste Ertüchtigung kann zu weiteren inneren Beanspruchungen und damit zu Schäden führen, wenn nicht neuzeitliche Instandsetzungsstoffe entwickelt werden, die mit diesen veränderten Baustoffen verträglich sind. Ziel ist es, das Bauwerk zu stabilisieren, die Tragfähigkeit zu erhöhen und somit das Bauwerk zu erhalten. Es stellt sich die Frage, ob das Bauwerk auch nach der Instandsetzung den neuzeitlichen Infrastruktur-anforderungen, die heute an ein solches Bauwerk gestellt werden, genügen. Folgende Fragen stellen sich aufgrund der aufgezeigten Problematik: „Dürfen diese denkmalgeschützten Gebäude für die Schaffung neuer Infrastrukturprojekte abgerissen werden? “ „Welchen Wert haben diese Gebäude heute noch für einen persönlich, seine Nutzer und gibt es Wege, sie für die Nachwelt zu erhalten? “ 26 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Neuzeitliche Infrastrukturprojekte versus Denkmalpflege? Eine diplomatische Herausforderung? In dem Vortrag wird nicht nur auf historische Bauweisen und Baustoffe eingegangen, sondern auch auf die neuzeitlichen Forschungen und Entwicklungen, die mit der Planung und Instandsetzung solcher Bauwerke verbunden sind. Gerade im Baustoffsektor können uns diese Untersuchungen zukünftig von Nutzen sein, wenn es um Verträglichkeit, Alterung und Dauerhaftigkeit von Baustoffen geht. An historischen Bauwerken lassen sich Wege für die Anwendung, aber auch für die Widerstandsfähigkeit von Baustoffen finden, die auch für neuzeitliche Infrastrukturprojekte gelten können. Dabei ist die Einbeziehung der Denkmalpflege in die Forschungs- und Planungsaufgaben von großer Bedeutung. Sie besitzt die Erfahrung mit historischen Baustoffen sowie deren Anwendung und kann wichtige Hinweise auf die Instandsetzung der vielfältigen Bauwerke aus den vergangenen Jahrhunderten geben. Bauwerksdiagnostik 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 29 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Dr.-Ing. Gabriele Patitz Ingenieurbüro IGP Bauwerksidagnostik und Schadensgutachten Karlsruhe, Deutschland Dipl.-Ing. Robert Render Dr.-Ing. Daniel Stolz Schluchseewerk AG Asset Management Bautechnik Laufenburg, Deutschland Zusammenfassung Der Zustand des unbewehrten Schwarza-Witznaustollens aus den Jahren 1929 - 1943 wurde im Rahmen eines Pilotprojektes mit zerstörungsfreien Erkundungsverfahren wie Orthofotos und Stollenradar in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Bauingenieuren, Geophysikern und Vermessungsingenieuren erfasst, dokumentiert und bewertet. Als Basis für die Entwicklung und Planung eines Sanierungskonzeptes erfolgte die Kontrolle der ausgeführten Probeinjektionen mit Stollenradar in einem ausgewählten Abschnitt. Durch identische Vorher-Nachher-Messungen konnten signifikante Veränderungen in den Datensätzen des Stollenradars abgestuft über verschiedene Bauteiltiefen analysiert und bewertet werden. Es ist naheliegend, dass diese auf die Injektion zurückzuführen sind. Das betrifft zum einen Injektionen innerhalb der Betonschale und den Grenzbereich Beton - Fels und zum anderen Veränderungen der anstehenden Wasserfront in der Stollenlängsrichtung und Stollenwandtiefe. Mittels gezielter kalibrierender Bohrungen wurden die physikalischen Messwerte des Stollenradars verifiziert. 1. Objektvorstellung Der Schwarza-Witznaustollen gehört zur Schluchseewerk AG und ist mit einer Länge von rund 9.200 m ein Triebwasserstollen zwischen dem Schwarzabecken und dem KW Witznau im Südschwarzwald. Das Wasser läuft mit einem durchschnittlichen Gefälle von 1,2 % zwischen Schwarzabecken, dem Kraftwerk Witznau in Ühlingen-Birkendorf und schließlich dem Witznaubecken im Turbinenbetrieb hin und im Pumpbetrieb zurück. Abschnittsweise sind Gefälle- und Querschnittsveränderungen vorhanden. In der Ausbaustufe I wurde der Stollen mit einer Länge von ca. 2930 m vom Schwarzabecken bis zum heutigen Fenster Oberes Eichholz gebaut. Baubeginn war August 1929 und Inbetriebnahme im Juni 1931. Geplant wurde ein Kreisquerschnitt mit Durchmesser 4,1 m. Aufgrund des eingesetzten Ausbruchsverfahrens kam es jedoch zu einer ovalen Aufweitung des Profils über eine Strecke von ca. 500 m. Die Dicke der unbewehrten Tunnelschale schwankt zwischen einigen wenigen Zentimetern und bis zu ca. 50 cm. Aufgrund von lokalen Einbrüchen sind bewehrte und mit Ziegelsteinen hintermauerte Abschnitte vorhanden. Durch die Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise und des folgenden zweiten Weltkrieges konnten die Arbeiten für die Ausbaustufe II erst 1939 wieder beginnen und wurden 1943 beendet. Dieser Stollenabschnitt hat eine Länge von etwa 6300 m mit einem Gefälle von ca. 1% und Durchmesser von ca. 4,5 m bis zur Einmündung des Mettmastollens. Ab dieser Einmündung erweitert sich der Durchmesser auf ca. 4,95 m und bleibt konstant bis zum Wasserschloss Berau. Von dort beträgt dann bei einem Durchmesser von ca. 5,0 m das Gefälle ca. 5 % auf 1000 m bis zur Panzerung. In dem ab 1939 gebauten Stollenabschnitt befindet sich eine ca. 2 - 5 cm dicke Putzschicht auf dem Stollenbeton. 2. Erfassung des Ist- Zustandes der Stollenwandauskleidung In regelmäßigen Abständen erfolgt zu Revisionszwecken eine Entleerung des Stollens. Es wird zunächst eine visuelle Besichtigung und Bewertung des Stollenbetons durchgeführt, kombiniert mit Abklopfen. Typische Scha- 30 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar densbilder wie lokales Ausbrechen des Stollenbetons, Kiesnester, Hohllagen der Putzschicht bzw. des Stollenbetons, Risse in der Stollenwand und Wasseraustritte werden erfasst und ggf. repariert. Aufgrund des aktuellen Zustandes, bedingt durch die bisherige lange Lebens- und Nutzungszeit sowie die sehr unterschiedliche Qualität in der Bauausführung von 1929 - 1941 muss ein Sanierungskonzept unter Berücksichtigung der Dringlichkeit erarbeitet werden. Dazu ist es erforderlich, möglichst gut und vollflächig den aktuellen Zustand der betonierten Stollenwandauskleidung zu kennen. Im Zuge einer turnusmäßigen Entleerung 2018 wurde daher der Zustand des Stollenbetons zum einen durch die Aufnahmen von hochauflösenden Orthofotos und zum anderen durch vollflächige zerstörungsfreie Untersuchungen mit Stollenradar mit einer Auswertetiefe von ca. 30 cm erfasst und dokumentiert. Versuchs- und Entwicklungsreihen aus den Jahren 2014 - 2018 ergaben, dass das Stollenradar prinzipiell geeignet ist, sowohl lokale Fehlstellen als auch größere Abschnitte unterschiedlicher Betonqualität aufzuzeigen. Die Gesamtergebnisse aus Orthofotos und Stollenradar sind stationsgenau, übersichtlich, gut handhabbar und jederzeit fortschreibbar in einem pdf-Atlas digital dokumentiert. 3. Vorarbeiten für die Erstellung eines Sanierungskonzeptes Auf Basis der Ergebnisse aus den weitgehend vollflächigen Radarmessungen konnten stationierungsgenau Stollenabschnitte unterschiedlichen Schadensgrades und daraus ergebend mit unterschiedlichem Handlungsbedarf ausgewiesen werden. Es sind einerseits homogene und kompakte Betonabschnitte vorhanden und andererseits Abschnitte mit Wasserführung, Kiesnestern und zahlreichen Hohllagen. Kalibrierende Voll- und Kernbohrungen bestätigten die in den Radarergebnissen erkennbaren Verdachtsfälle unterschiedlicher Schäden und Schadensgrade. Als Basis für die Erstellung eines Sanierungskonzeptes erfolgten im Zuge der planmäßigen Revisionsphase 2020 Probeinjektionen in einem ausgewählten und vergleichsweise gut zugänglichen Stollenabschnitt. Um den Erfolg der Injektionen mit verschiedenen Materialien zu bewerten, wurden die injizierten Bereiche und unmittelbar angrenzende Stollenabschnitte mittels Stollenradar vollflächig untersucht werden. Durch den Einsatz identischer Geräte, Software und Datenverarbeitungsmodule bei identischem Messraster aus dem Jahr 2018 mit der Ersterkundung und der Wiederholungsmessung im Juni 2020 ist auf Basis eines Datenvergleichs eine Erfolgskontrolle der Injektionen möglich. 4. Kontrolle des Injektionserfolges in der Stollenwand Die Injektionskontrolle erfolgte zum einen durch einen direkten Vergleich der Radardaten aus 2018 und 2020. Zum anderen dienten Voll- und Kernbohrungen in Kombination mit Bohrlochvideos und Bohrlochbildern zur Kalibrierung der Radardaten und zur Injektionskontrolle. In einem Baustoffprüflabor wurden die entnommenen Bohrkerne einer visuellen Ansprache hinsichtlich vorhandenem Injektionsmaterial und Hohlraumgehalt unterzogen. 5. Verfahrensbeschreibung Stollenradar Vor Ort wurden die Radardaten (elektromagnetische Wellen) entlang von horizontalen Profillinien als Radargramme mit hochauflösenden 1,5 GHz Sensoren aufgenommen. Bei den Radargrammen handelt es sich um einen Schnitt in die Stollenwand entlang dieser Profillinie. Die Datenaufzeichnung erfolgte online während der Messung, kombiniert mit einer visuellen Qualitätskontrolle der Rohdaten hinsichtlich Eindringtiefe, Qualität, Störeinflüssen und Datenplausibilität. Ist der Abstand zwischen den gemessenen parallelen Profilen hinreichend klein, können in mehreren Datenverarbeitungsschritten aussagekräftige Zeitscheiben berechnet werden. Das sind grundrissähnliche Darstellungen in ausgewählten und relevanten Tiefenbereichen. Die Lage und Anzahl der berechneten Tiefenbereiche hängen objektweise von der Fragestellung ab. Zeitscheiben bzw. Tiefenhorizonte werden immer dann berechnet, wenn große Flächen beurteilt werden müssen, da sich hier die auftretenden Reflexionen gut darstellen, erkennen und bewerten lassen. Bei dieser flächigen Ergebnisdarstellung werden die unterschiedlichen Reflexionsstärken farbcodiert wiedergegeben (Bild 1). Geringe Reflexionsstärken korrelieren hier mit einem homogenen und wenig hohlraumreichen Beton ohne anstehendes Wasser. Dies ist farbcodiert Blau / Schwarz. Hohe bis sehr hohe Reflexionsstärken sind rot und gelb farbcodiert. Ursächlich sind Reflexionen der elektromagnetischen Wellen an Grenzen von Materialien unterschiedlicher elektrischer Leitfähigkeit. Diese werden zum Beispiel durch eine Anhäufung von Hohlräumen oder einer Ablösung mit Luftspalt, durch anstehendes Wasser oder durch die Materialgrenze Beton - Fels verursacht. Wasser ist ebenso wie Luft für das Radarverfahren ein Kontrastmittel. Bei der Interpretation der stark reflektierend rot erscheinenden Stollenwandbereiche muss folglich als deren Ursache zwischen Wasser, Luftspalten, Grenze Beton - Fels und der Anhäufung von Hohlräumen unterschieden werden. Dazu sind Kalibrierungsbohrungen kombiniert mit Videoendoskopie in auffälligen hoch reflektiven und im Vergleich dazu in kaum reflektiven Bereichen unerlässlich. [1, 2] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 31 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Bild 1: Legende zu den Zeitscheiben: Details einer Radarzeitscheibe für den Tiefenbereich von ca. 8 - 20 cm, Daten des 1,5 GHz Sensors, farbcodierte Darstellung der kalibrierten Reflexionsstärken Im Folgenden werden nur die Ergebnisse über den Gesamttiefenbereich von ca. 5 - 50 cm vorgestellt. Bild 2 zeigt im Vergleich die Radardaten für die Injektionsstrecke 3, injiziert mit der Fließrichtung im Stollen. Die obere Zeitscheibe entspricht der Nullmessung aus dem Jahr 2018 und die untere zeigt die Veränderungen nach den Injektionsarbeiten 2020. Bei den neuen dunkelblauen Bereichen handelt es sich jetzt um einen injizierten kompakten und wenig hohlraumhaltigen Beton. Die sehr hohen Reflexionen im Bereich der Firste werden durch Wasser verursacht. Hier sind diese wasserführenden Bereiche nach den Injektionen erkennbar größer und ausgedehnter. Durch den Vergleich der Datensätze aus 2018 und 2020 können injizierte Stollenwandabschnitte, wasserführende Bereiche und nicht injizierte Stollenwandabschnitte auskartiert werden (Bild 3). Bestätigt wurde dies durch die gezielt gesetzten Kalibrierungsbohrungen, die im Bild 3 entsprechend der Legende in Bild 4 eingetragen sind. 6. Ergebnisse der Radarmessungen zur Erfolgskontrolle der Injektionen Betrachtet und verglichen wurden die berechneten Zeitscheiben vor- und nach den Injektionen. Der wesentliche Vorteil einer Vorher-Nachher-Messung liegt darin, dass die Veränderungen in den Radardaten bewertet werden können. Es ist naheliegend, dass diese auf die Injektion zurückzuführen sind, mögliche Mehrdeutigkeiten hinsichtlich der Ursache (z.B. Hohlstellen oder Wasser) werden dadurch erheblich reduziert bzw. eingegrenzt. Die hier erreichte Datenqualität kann als sehr gut beurteilt werden. Bis in eine Eindringtiefe von ca. 50 cm sind aussagekräftige und zuverlässige Radardaten aus den Messungen von 2018 und 2020 vorhanden. Die Radarergebnisse wurden daher als farbcodierte Reflexionsstärken für folgende Tiefenbereiche berechnet: 1. Zeitscheibe für Tiefenbereich 5 - 10 cm oberflächennaher Bereich bis ca. 10 cm 2. Zeitscheibe für Tiefenbereich 10 - 20 cm vorderer Stollenwandbereich 3. Zeitscheibe für Tiefenbereich 20 - 50 cm tieferer Stollenwandbereich 4. Zeitscheibe für Tiefenbereich 5 - 50 cm Gesamtbereich bis ca. 50 cm Tiefe 32 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Bild 2: Strecke 3, Ergebnisdarstellung der Radardaten als Zeitscheibe Tiefenbereich ca. 5 - 50 cm, oben Nullmessung 2018, unten nach den Injektionen 2020 Bild 3: Ergebnisse im Injektionsbereich Strecke 3, Darstellung der injizierten Bereiche, analysiert über einen Gesamttiefenbereich der Stollenwandauskleidung von ca. 5 bis 50 cm, Hellgrau sind die nicht injizierten Stollenwandabschnitte, Grün: injizierte Abschnitte, Hellblau: Wasseransammlungen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 33 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Bild 4: Legende zur Markierung der Informationen aus den Kalibrierungsbohrungen Die Injektionen in Strecke 4 (Injektionen entgegen der Fließrichtung) erscheinen erfolgreicher. Bild 5 zeigt wieder die Zeitscheiben vor und nach den Injektionen. Die Rotfärbung = stark erhöhte Reflexionen korrelieren hier mit anstehendem Wasser. Im unteren Bild ist erkennbar dass durch die Injektionen die Wasserfront um ca. 10 - 15 m nach links (absteigende Stationierung) verschoben und in die Tiefe des anstehenden Felses gedrückt worden ist. Der Stollenwandbeton ist kaum hohlraumhaltig und die geringen Reflexionsstärken korrelieren mit einem kompakten Beton. Auch hier bestätigen dies die Kalibrierungsbohrungen (Bild 6). Bild 5: Injektionsstrecke 4, Ergebnisdarstellung der Radardaten als Zeitscheibe Tiefenbereich ca. 5 - 50 cm, oben Nullmessung 2018, unten nach den Injektionen 2020 34 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Bild 6: Ergebnisse Injektionsstrecke 4, Darstellung der injizierten Bereiche, analysiert über einen Gesamttiefenbereich von ca. 5 bis 50 cm, Hellgrau sind die nicht injizierten Stollenwandabschnitte, Grün: injizierte Abschnitte, Hellblau: Wasseransammlungen. 7. Zusammenfassung Die Kombination von Stollenradar mit kalibrierenden Bohrungen und Videoendoskopie ist prinzipiell geeignet, um den Zustand der betonierten Stollenwandauskleidung vollflächig zu erfassen und zu beurteilen. Es konnte hier durch den Einsatz hochfrequenter Radargeräte eine Bauteildicke bis ca. 50 cm erkundet und bewertet werden. Auf der Basis von Vorher-Nachher-Messungen können Veränderungen in den Radardaten erfasst und im Zusammenhang mit den erfolgten Eingriffen analysiert werden. Es konnte der Erfolg von Injektionen hinsichtlich der Verbesserung des Betonzustandes und des anstehenden Wassers überprüft werden. Der Einsatz des Radarverfahrens im Stollen hat auch gezeigt, dass unter realen Bedingungen sowohl Anpassungen der Geräte- und Messtechnik als auch Änderungen im Messkonzept sinnvoll und erforderlich werden können. Für diese Art von Untersuchungsobjekten können daher keine standardisierten Lösungen erstellt werden. Eine Beurteilung hinsichtlich der Praktikabilität und Aussagekraft der Messdaten kann und muss zwingend immer erst unter den reellen Bedingungen vor Ort beurteilt und bewertet werden. Unerlässlich ist, dass etwa zeitgleich eine Bewertung, Auswertung und Interpretation über kalibrierende Bohrungen der Radardaten erfolgt. Dabei sind Vollbohrungen mit Durchmesser ca. 22 mm ausreichend. Es muss maximale Flexibilität hinsichtlich der einzusetzenden Messtechnik, technischen Unterstützung für die Ausführung und Zugänglichkeit sowie Datenauswertung bestehen. Weiterführende Literatur: [1] Gabriele Patitz, Bauradar zur Bestandsbewertung am Laufenmühle-Viadukt. In: BAUSUBSTANZ Betoninstandsetzung, Sonderheft 1, 2017 [2] Der Bausachverständige, Baurechtliche und -technische Themensammlung, Arbeitshefte für Baujuristen und Sachverständige. Heft 7: Bauteiluntersuchungen Notwendigkeit und Grenzen. Seibel, Zöller (Hrsg.), Bundesanzeiger Verlag, Fraunhofer IRB Verlag 2016 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 35 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Auftraggeber Schluchseewerk AG Säckinger Str. 67, 79725 Laufenburg (Baden) Dipl.-Ing. Robert Render, Dr.-Ing. Daniel Stolz Projektleitung Dr.-Ing. Gabriele Patitz IGP Ingenieurbüro Bauwerksdiagnostik Schadensgutachten Alter Brauhof 11, 76137 Karlsruhe Bestandserfassung mit Orthofotos Radaruntersuchungen vor - und nach den Injektionen Bewertung Injektionserfolg Dipl.-Geophys. Markus Hübner GGU Gesellschaft für Geophysikalische Untersuchungen mbH Ettlingerstr. 51, 76137 Karlsruhe Dr. Andreas Bruschke Messbildstelle GmbH Altplauen 19, 01187 Dresden Planung Probeinjektionen ILF CONSULTING ENGINEERS AUSTRIA GMBH Feldkreuzstrasse 3 | A-6063 Rum/ Innsbruck | Österreich Eva Manninger ILF BERATENDE INGENIEURE AG Flurstrasse 55 | CH-8048 Zürich | Schweiz Dr. Markus Schwalt Frank Hennig Ausführung Probeinjektionen Renesco GmbH - Abteilung Marti Geotechnik Industriestrasse. 2, D-79541 Lörrach Andreas Heizmann, Flavio Piras, Petar Filev 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 37 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen Dipl.Ing (FH) SIA Ralf Schoster ewp AG Effretikon, Schweiz Zusammenfassung Unterhalt und Instandsetzung von Tiefgaragen und Einstellhallen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Wasserinfiltrationen, Tausalze, Bewehrungsdefizite und zu geringe Betondeckungen erfordern in der Schweiz bei jedem Bauwerk andere Schwerpunkte in der Zustandsaufnahme und -beurteilung auf der Grundlage der SIA-Normen 269ff. für Erhaltung und der SIA-Dokumentation «Tragsicherheit von Einstellhallen». Am Beispiel instandgesetzter Tiefgaragen grösserer Wohnüberbauungen wird das Vorgehen der visuellen Inspektion mit digitaler Unterstützung über Messungen und Ortungen bis zur Beurteilung aufgezeigt. Ziel ist eine möglichst ganzheitliche Erfassung und Beurteilung von Schadensmechanismen. • Digitale Aufbereitung der Bauwerksdokumentation als Grundlage für die appbasierte Zustandserfassung und Schadensaufnahme, welche unmittelbar mit lokalem Bezug erfasst und klassifiziert wird. • Verwendung der digitalen Dokumentation für Leistungsverzeichnisse, Instandsetzungskonzepte und -dokumentation. • Unmittelbare Einbindung der Messungen von Betondeckungen, Betonoberflächendruckfestigkeiten, Bewehrungsortungen. Durchstanzproblematiken aus höheren Lasten, zu geringer Durchstanzbewehrung oder zu geringer bzw. zu kurzer oberer Biegebewehrung. Statische Beurteilungen mit detaillierten Nachweisen der Stufe 3 i.V.m. den Kennwerten aus der Zustandserfassung. 1. Ausgangslage 1.1 An- und Herausforderungen Tiefgaragen und Einstellhallen geraten zunehmend in den Fokus der Eigentümer und Hausverwaltungen. Der Bedarf an Unterhalt und Instandsetzung bei Tiefgaragen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Sie sind oftmals nicht mehr nur ein dunkler, grauer Raum, in dem verschiedene Fahrzeuge untergebracht sind. In den Vordergrund treten Funktionalität und Gebrauchstauglichkeit bis hin zum Komfort im Sinne von trockenen, hellen und benutzerfreundlichen Räumen, die u.a. gut beleuchtet sind, helle Farbe in der Textur zeigen und frei von Nassstellen und Pfützen sind. Bild 1: Bodenplatte mit Wasserinfiltrationen infolge Grundwasser Bei vielen Tiefgaragen fehlen Planunterlagen und Nutzungsvereinbarungen. Die zulässigen Erdüberdeckungen lassen sich kaum mehr eruieren. Besonders kritisch wird dies im Zusammenhang mit den öfter formulierten Vorstellungen „es hat doch bis jetzt gehalten“ oder „nach alter Norm hat es doch auch gereicht“. Zusätzlich wird oft der Einfluss von Chloriden, Bewehrungsüberdeckung und Fugenabdichtungen nicht ausreichend beachtet oder gar negiert. 38 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen Bild 2: Aufplatzungen des Hartbetonbelags infolge Korrosion an Fussplatte der Betonverbundstütze 1.2 Grundlagen Neben den aktuell in der Schweiz gültigen SIA-Normen für Neubau und Abdichtung ist die Normenreihe 269ff. für Erhaltung von Tragwerken relevant, die Anfang 2011 für gültig erklärt wurde. Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang die Dokumentationen D 0239 “Erhaltung von Tragwerken” [7] und D0226 “Tragsicherheit von Einstellhallen” [6] von Bedeutung. 2. Zustandserfassung und -beurteilung 2.1 Vorbereitung Der Nutzen von Bauwerksunterlagen für eine Zustandsbeurteilung ist sehr gross, entsprechend ist der Recherche ein hoher Stellenwert einzuräumen. Für viele Bauwerke liegen leider keine Pläne oder Materialangaben auf Papier vor. Die zur Verfügung gestellte oder recherchierte Bauwerksdokumentation in Form von Übersichts- oder Ausführungsplänen, Baubeschrieben etc. wird digital aufbereitet als Grundlage für eine appbasierte Zustandserfassung der Mängel mit lokalem Bezug, wobei oft nicht mehr als Übersichtspläne vorhanden sind. Die vorgesehenen Schadensaufnahmen und Messungen von Betondeckungen und Betonoberflächendruckfestigkeiten sowie Bewehrungsortungen können somit lokal verortet werden. Bild 3: Digitale webbasierte Zustandserfassung mit dem Programm „Planradar“ Der Fokus liegt hierbei stets auch schon auf einem Instandsetzungskonzept und einer möglichen Nutzung für eine Ausschreibung der Instandsetzungsmassnahmen. Anforderungen an Brandschutz, Lüftung u.a. werden frühzeitig integriert. 2.2 Zustandserfassung Eine erste Schadensaufnahme erfolgt als visuelle Inspektion, bei der die Riss- und Schadensaufnahmen in den Plangrundlagen abgebildet werden. Zerstörungsfreie Prüfungen wie Betonoberflächendruckfestigkeit und Lage der Bewehrung o.a. werden nach den jeweiligen Erfordernissen bereits vorgesehen. Ziel ist hierbei, möglichst früh Schäden erkennen und dokumentieren zu können, dabei aber den Umfang der Prüfungen auf das Notwendige zu beschränken und soweit möglich zerstörungsfrei zu prüfen - ein Spagat zwischen fachlichen Erfordernissen und entstehenden Kosten. Eine vertiefende Schadensaufnahme lässt sich i.d.R. nicht mehr zerstörungsfrei durchführen. Insbesondere Bewehrungsortungen benötigen neben den Georadaraufnahmen zerstörende Sondagen, mit denen die eingebaute Bewehrung kalibriert werden kann. Die fehlenden Bewehrungspläne erfordern aufwendige Ortungen und Sondagen, die oftmals zu Diskussionen über den Umfang und die Kosten führen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 39 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen Bild 4: Zerstörende Bewehrungssondage an der Oberseite einer vorgespannten Flachdecke mit kreuzweise verlegten Monolitzen Die zu prüfende Betondruckfestigkeit erfolgt anhand am Bauwerk entnommener Bohrkerne i.d.R. mit einem Durchmesser von 100mm und einer Mindestlänge von 100 mm gemäss EN 13791/ A20: 2016 [10]. Zugleich kann an den Bohrkernen ein Chloridgehalt oder eine Karbonatisierungstiefe bestimmt werden. Bei jeder Zustandserfassung stellt sich auf ein Neues die Frage, welche zerstörungsfreien und zerstörungsarmen Prüfverfahren bringen den grösstmöglichen Erkenntnisgewinn für die praktische Lösung der Instandsetzung ohne den Aufwand der Prüfungen unnötig zu erhöhen. Eine statische Abschätzung nach der beim Erstellen des Bauwerks gültigen Norm kann bei unvollständigen Planunterlagen für eine Einschätzung der wahrscheinlich eingebauten Bewehrung hilfreich sein. Mit der in den Plänen kartierten und in Form einer Datenbank aufgenommenen Zustandserfassung liegt eine digitale Dokumentation vor, die als Grundlage für die Zustandsbeurteilung verwendet wird. 2.3 Zustandsbeurteilung Aus den Aufnahmen und Resultaten der visuellen Inspektionen und aus Messungen lassen sich in der Folge bereits viele Mängel und Schäden beurteilen oder sie erfordern detailliertere Untersuchungen. Bei der Beurteilung des Brandschutzes der Tragkonstruktion ist eine rechnerische Überprüfung infolge der fehlenden Bewehrungs- und Materialangaben nur mit grossem Aufwand möglich. Ein vereinfachter Nachweis des Feuerwiderstands mit Hilfe von Tabellen ist über die minimalen Bauteilabmessungen und Bewehrungsüberdeckungen und der Auswertung der Messergebnisse mit überschaubarem Aufwand zu erbringen. Falls der Nachweis eines ausreichenden Brandschutzes somit nicht erbracht werden kann, dann braucht es die oben genannte Bestandsaufnahme am Bauwerk und eine statische Überprüfung mit Warmbemessung. Die Messungen mit dem Betonprüfhammer in einem gleichmässigen Raster ermöglichen eine Einschätzung der Betonoberflächendruckfestigkeit und der Gleichmässigkeit und geben anhand einer Reihe von Vergleichsmessungen eine erste Einschätzung der Betondruckfestigkeit. Bild 5: Beispiel einer Auswertung einzelner Linienscans der Bewehrungsdeckungsmessungen mit grafischer Darstellung zur Brandschutzbeurteilung 40 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen Bild 6: Erfassung der Vergleichsmessungen mit Betonhamner SilverSchmidt Erfahrungsgemäss gibt eine normativ vorgesehene Abschätzung über das Betonalter keine verlässlichen Werte. Für eine statische Überprüfung sollte m.E. aber immer eine Bestimmung der Betondruckfestigkeit am Bohrkern als Referenzverfahren gemäss SIA 269/ 2: 2011 [5] erfolgen. 2.4 Überprüfung der Tragsicherheit Grundsätzlich erfolgen statische Überprüfungen anhand der aktuell gültigen Normen. Dabei ist die Normenreihe 269ff. zusammen mit der Normenreihe 260ff. anzuwenden. Am häufigsten ist die Überprüfung der Tragsicherheit von Flachdecken erforderlich, die hinsichtlich Biegung und Durchstanzen erfolgt. Durchstanznachweise nach der Norm SIA 262: 2013[2] sind in drei Näherungsstufen möglich, wobei die Näherungsstufe 3 für detaillierte Untersuchungen vorgesehen ist. Durchstanzen ist nach der Nachweisstufe 3 zu prüfen mit den aktualisierten Einwirkungen und Materialeigenschaften sowie reduzierten Lastbeiwerten gemäss SIA 269: 2011 Tabelle 1 [3] mit einer auf der Elastizitätstheorie basierenden Berechnungsmethode. Die reduzierten Lastbeiwerte sind für ständige Einwirkungen anwendbar, die zuvor durch Prüfungen gemäss SIA 269/ 1: 2011 [4] aktualisiert wurden. Weiterhin erfolgt eine Überprüfung und Beurteilung von Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit. Bild 7: Beispiel eines Momentenschnitt mit Abstände rs zwischen Stützenachse und Nullpunkt des Momentes für Durchstanznachweis Näherungsstufe 3 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 41 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen 2.5 Dokumentation Die digitale Dokumentation der Zustandserfassung lässt sich mit der Filterfunktion für die weitere Bearbeitung von Instandsetzungskonzepten verwenden. Zugleich dient sie als Beilage für Ausschreibungen oder als Mängelliste, sowohl in tabellarischer Form und im Planformat. Die aktualisierten Einwirkungen und Materialeigenschaften werden in einem technischen Bericht dokumentiert und können als Ersatz einer meist fehlenden Nutzungsvereinbarung verwendet werden. Literatur [1] SIA 260: 2013 Grundlagen der Projektierung von Tragwerken [2] SIA 262: 2013 Betonbau [3] SIA269: 2011 Grundlagen der Erhaltung von Tragwerken [4] SIA 269/ 1: 2011 Erhaltung von Tragwerken - Einwirkungen [5] SIA 269/ 2: 2011 Erhaltung von Tragwerken - Betonbau [6] SIA Dokumentation D0226, Ausgabe 2008 „Tragsicherheit von Einstellhallen“ [7] SIA Dokumentation D0239, Ausgabe 2011 „Erhaltung von Tragwerken - Einführung“ [8] EN 12504-1: 20 [9] EN 12504-2: 2012 Prüfung von Beton in Bauwerken - Teil 2 Zerstörungsfreie Prüfung - Bestimmung der Rückprallzahl [10] EN 13791/ A20: 2016 Bewertung der Druckfestigkeit von Beton in Bauwerken oder in Bauwerksteilen; Änderung A20 [11] TFB-Bulletin Nr. 4 November 2016 „Parkhäuser und Tiefgaragen» [12] TFB-Bulletin Nr. 2 November 2018 „Georadar» [13] Knab, F., Sodeikat, C.: Die Ermittlung der charakteristischen Betondruckfestigkeit von Bauwerken in Bestand. In: Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), Heft 8, S 539-553 [14] Taffe, A., Jungen, B.: Untersuchungen zur Genauigkeit von magnetisch induktiven Betondeckungsmessungen. In: Beton- und Stahlbetonbau 111 (2016), Heft 8, S 484-495 [15] Merkel M., Breit, W.: Zerstörungsfrei zur Bauwerksfestigkeit. In : Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Heft 9, S 640-646 [16] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (DBV) Heft 39 Ist-Zustandserfassung von Parkbauten in Betonbauweise, Fassung Januar 2017 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 43 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann Hochschule Bremen Dipl.-Ing. Werner Malgut Hochschule Bremen Voraussetzung für jede Planung im Bestand ist der Nachweis der Standsicherheit. Er setzt voraus, dass alle wesentlichen Parameter bekannt sind und die Ausführung den Bauvorschriften entspricht. Fehlen Angaben über die Konstruktion (Geometrie, Lagerung, Werkstoffeigenschaften) oder mindern Bauwerksmängel die Tragfähigkeit ab, führen rein rechnerische Beurteilungen meist zu negativen . Dieser Beitrag erläutert an ausgewählten Beispielen wie der Nachweis ausreichender Tragsicherheit alternativ durch den Einsatz experimentell gestützter Verfahren gelingen kann und wie diese zur Verlängerung der Restnutzungsdauer beitragen können. 1. Einführung Der schlechte Erhaltungszustand deutscher Autobahn- und Bundesstraßenbrücken ist hinlänglich bekannt. Kleinere Straßen- und Wegebrücken stehen dagegen eher selten im Fokus der Öffentlichkeit, obwohl ihre Zustandsbewertungen oft ebenso schlecht ausfallen wie bei den Brücken im Fernstraßennetz. Häufig kommt erschwerend hinzu, dass über die Jahre viele Informationen über die Bauausführung verlorengegangen sind und der Erhaltungszustand unbefriedigend ist. In solchen Fällen ist eine rechnerische Bewertung der Tragsicherheit oft unmöglich, insbesondere, wenn Teile des Bauwerks für Erkundungen unzugänglich sind oder die Gründungssituation unbekannt ist. Als Konsequenz wird meist konventionell verstärkt oder abgerissen und neu gebaut (Abb. 1). Das sind jedoch nicht immer wirtschaftliche Varianten, die besonders bei denkmalgeschützten Bauten auch nicht akzeptabel sind. Eine alternative Vorgehensweise ist der experimentell gestützte Nachweis, bei dem entweder wesentliche Parameter für einen rechnerischen Nachweis durch Versuche ermittelt werden, oder Belastungstests direkt nach Beendigung Planungssicherheit für den Baufortschritt bringen. Experimente sind Teil unserer Ingenieurgeschichte. Sie dienen der Absicherung neuer Bauweisen und helfen, theoretische Ansätze zu verstehen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde erkannt, dass nur durch Versuche und Erfahrung die komplexen Zusammenhänge der Werkstoffgesetze und Mechanik verständlich werden und Konstruktionsempfehlungen abgesichert werden können. Die ersten deutschen Stahlbetonvorschriften DIN 1045 (1925) enthielten daher auch Hinweise über Probebelastungen im Stahlbetonbau [1]. Abb. 1: Lösungsstrategien zum Tragsicherheitsnachweis für Bestandsbauten Experimentell gestützte Verfahren können auch dann erfolgreich sein, wenn alle anderen Ansätze zuvor gescheitert sind (s. a. Abb. 1): 1. Abschätzung der Tragsicherheit, z. B. aufgrund vorhandener Unterlagen 2. Überschlägige Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit einfachen Berechnungsmodellen 3. Genaue Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit komplexen FE-Berechnungsansätzen und modellen 4. Messwertgestützte Ermittlung der Tragsicherheit Experimentelle Methoden bewerten den aktuellen Tragwerkszustand inklusive aller realen Randbedingungen, sodass Unsicherheiten wegfallen und die Lasten deutlich über das rechnerisch nachgewiesene Lastniveau gesteigert werden können (Abb. 3). Bei experimentell gestützten Nachweiskonzepten (Punkt 4) werden z. B. wesentliche Eingabeparameter in in-situ-Versuchen gewonnen, um zuverlässige Daten für die Berechnungssoftware zu 44 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung erhalten. Denn trotz immer besserer und umfangreicherer Rechenprogramme wird die physikalische Wirklichkeit nur so gut beschrieben wie zutreffend seine Annahmen waren. Und letztere sollten selbstverständlich immer auf der sicheren Seite liegen. Alternativ kann mit Belastungsversuchen auch direkt der Nachweis ausreichender Tragsicherheit erfolgen (Kapitel 3). Das Ergebnis liegt dann direkt nach Beendigung der Versuche vor. Bei allen experimentellen Nachweisformaten gelten die gleichen Gültigkeitsbeschränkungen wie bei der Aufstellungsstatik eines Neubaus. Sie sind so lange gültig, bis sich die Nutzung verändert oder wiederkehrende Bauwerksprüfungen Anlass für weitere Untersuchungen geben. Für Bauwerke mit Korrosionsproblemen bietet es sich daher an, KKS einzusetzen, um den getesteten Zustand für den Restnutzungszeitraum einzufrieren [2]. Die Bandbreite der möglichen Einsatzgebiete experimenteller Methoden ist nahezu unbegrenzt (Tabelle 1). Einige Beispiele werden in den nachfolgenden Kapiteln exemplarisch vorgestellt, auch um wiederkehrende Besonderheiten aufzuzeigen. Planungs- und Ausführungsdetails einiger Projekte können der jeweils zitierten Literatur entnommen werden ([4] - [6]). In diesem Beitrag sollen Ergebnisse von Belastungsversuchen an Straßenbrücken kleiner Stützweiten (l S < 18,0 m) vorgestellt werden. Hier liegen umfangreiche Erfahrungen von über 45 Brücken mit insgesamt 85 Feldern im In- und Ausland vor [5]. Durchweg war das beobachtete Bauwerksverhalten deutlich besser als das vermutete, oft konnte sogar eine höhere Brückenklasse empfohlen werden (Abb. 2). Dabei war unerheblich, ob die Nachweise alle Brückenteile (Überbau, Auf- und Widerlager sowie Gründung) umfassten, welches Tragsystem vorhanden war (Platte, Trägerrost, Gewölbe) und aus welchem Material das Bauwerk erstellt worden war. Abb. 2: Statistische Auswertung der erreichten mittleren Nutzlasterhöhungen [5] (100% = rechnerische Prognose) Belastungsversuche Hybride Statik Überwachung Gebäude Decken, Unterzüge, Stützen, Fassaden, Treppen, Balkone, Dächer, Glasscheiben mit / ohne Denkmalschutz Austausch eines Kämpfersteines Erschütterungen (aus Zugverkehr) Ingenieurbau Abwassersonderbauten, Gründungen Spundwände Durchlässe Faltwerke, Fundamente von Windenergieanlagen Hubbrücke, Karussell Wasserbau Haltekreuze in Schleusen Anker von Spundwänden Kragstützwand Segmentwehr, Tordichtung Brücken Gewölbe Steinbogen Stahlbeton (Straße u. Schiene) Gewölbe Stahlfachwerk Stahlbeton (Schiene) Koppelfugen, Seilschwingungen, Freischneidetechnik Tabelle 1: Anwendungsbreite und Beispiele erfolgreicher experimenteller Untersuchungen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 45 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung 2. Legalisierung Das grundsätzliche Prinzip eines experimentellen Tragsicherheitsnachweises ist einfach und bewährt: es wird ein Bauteil belastet und seine Reaktionen gemessen (Abb. 3). Je nach Zielrichtung der Aufgabe kann in drei unterschiedliche Verfahren unterschieden werden [3]: A) Tragsicherheitsbewertung B) Systemmessungen C) Tragfähigkeitsmessungen (Bruchversuche) Abb. 3: Sicherheitskonzept (idealisiert! ); ΔQ: nutzbarer Zuwachs der Verkehrslast Jedes Konzept hat seine prädestinierten Einsatzbereiche und ist gekennzeichnet durch unterschiedlich hohen Aufwand (C > A > B). Bei allen Verfahren müssen die charakteristischen Daten eines Versuchsablaufs, wie z. B. Lastgrößen, Verformungen, Dehnungen etc. durch elektrische Messsysteme aufgenommen und ggf. zeitgleich angezeigt werden. Gängige Sensoren zur Zustandsbewertung von Bauwerken sind: • Kraftmessdosen zur Anzeige der eingeleiteten Kraft • Wegaufnehmer zur Analyse von Durchbiegungen, Verschiebungen, Rissweiten oder Dehnungen, die integral über die Beziehung ε = Δl/ l bestimmt werden. • Dehnungsmessstreifen zur örtlichen Kontrolle von Beanspruchungen • Neigungssensoren zur örtlichen Analyse von Verdrehungen, z. B. um den Einspanngrad bei Auflagern oder Bauteilverbindungen zu bestimmen. • Schallsensoren zur Analyse besonderer Ereignisse, die Schall freisetzen, wie z. B. Rissbildung oder Rissuferreibung. Der aktuelle Bauteilzustand kann besser eingeschätzt werden, so dass Belastungen oberhalb des Gebrauchslastniveaus auch bei sprödem Materialverhalten möglich sind. • Bei jeder Messung, im Besonderen im Freien, sollten die Umweltbedingungen wie z. B. die Lufttemperatur [°C] oder Windgeschwindigkeit [m/ s] aufgezeichnet werden, um die äußeren Einflüsse auf die Messung zu dokumentieren. Dabei ist bei der Planung Vorsicht geboten. „Wer viel misst, misst Mist“ ist ein geflügeltes Sprichwort und umschreibt zutreffend den Umstand, dass die gewonnenen Daten oft parallel auf Plausibilität geprüft sowie analysiert werden müssen. Dies setzt eine gewisse Erfahrung voraus. Die historische Methode, Versuchslasten durch Ballast zu erzeugen [1] ist der modernen und regelbaren Technik gewichen, Lasten hydraulisch im Kräftekreislauf zu erzeugen. So werden selbstsichernd die Beanspruchungen im Tragwerk simuliert, denen es nach Normung widerstehen muss. Im Hochbau werden dazu mobile Belastungsvorrichtungen genutzt, die kleinteilig transportiert und individuell an jede Aufgabe anpasst werden können [2]. Für Brücken kommen unter anderem [4] besondere Fahrzeuge zum Einsatz (Straßenbrücken: Belastungsfahrzeug BELFA [5]; Eisenbahnbrücken: Belastungswaggon BELFA-DB), die an der Hochschule Bremen in kooperativen Forschungsprojekten mit der TU Dresden, der HTWK Leipzig und der BU Weimar entwickelt wurden. Zuletzt wurde an der Hochschule Bremen ein neues Verfahren entwickelt, um kleine Straßen- und Wegebrücken kostengünstig und risikoarm mit einem Mobilkran als bewegliches Gegengewicht zu testen [6]. Seine Möglichkeiten und Grenzen werden derzeit in einem WiPa- No-Forschungsprojekt, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, grundlegend ausgelotet. Die experimentelle Tragsicherheitsbewertung ersetzt den rechnerischen Nachweis der Standsicherheit und wird nach unserer Erfahrung sowohl von den Prüfingenieuren als auch der Bauaufsicht der Länder akzeptiert. In Einzelfällen wurde eine Zulassung im Einzelfall verlangt, es ist daher sinnvoll, alle Beteiligten schon im Planungsprozess zu involvieren. Die grundsätzliche Eignung und Zulässigkeit des die Rechnung begleitenden experimentellen Tragfähigkeitsnachweises auf der Grundlage der Regelungen der DAfStb-Richtlinie [3] wurde auch von der Fachkommission „Bautechnik“ der ARGEBAU bestätigt [7]. Die versuchsgestützte Bemessung ist auch im aktuellen Normenwerk der Eurocodes enthalten, z. B. in den Grundlagen der Tragwerksplanung [8] oder in der Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken [9]. 3. Tragsicherheitsbewertung Tragsicherheitsbewertung bedeutet, dass das Tragwerk oberhalb der Gebrauchslast belastet wird, also inkl. dem Ansatz von Teilsicherheitsbeiwerten. Weil das Tragverhalten bis zur Versuchsziellast F Ziel analysiert werden kann (Abb. 3), deckt es ggf. auch nichtlineares Verformungsverhalten auf. Der Aufwand für Belastungs- und Messtechnik ist jedoch groß. Die Versuchslasten müssen regelbar und selbstsichernd die Beanspruchungen im 46 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Tragwerk simulieren, denen es nach Normung widerstehen muss, ohne die Gebrauchstauglichkeit oder Dauerhaftigkeit negativ zu beeinflussen. Dazu ist das Bauteil zuvor mit der dafür notwendigen Belastungs- und Messtechnik auszustatten. Das Potenzial von Probebelastungen zeigt Abb. 3: die gemessenen Reaktionen sind kleiner als die rechnerisch prognostizierten, und die Versuchsziellast wird ohne Überschreiten eines Grenzkriteriums erreicht. Als Konsequenz kann empfohlen werden, den nachgewiesenen Zuwachs ΔQd für eine Nutzlasterhöhung zu verwenden. Aus unserer langjährigen Erfahrungen betragen die Zuwächse zum Beispiel bei Stahlbetontragwerken mindestens 30-50% und können in Ausnahmefällen auch über 100% betragen (Abb. 4). Abb. 4: Steigerungspotenzial der Nutzlast durch Belastungsversuche (Torte = Gesamttragfähigkeit einer Massivdecke) 4. Anwendungsbeispiele 4.1 Wegebrücken in der Eilenriede, Landeshauptstadt Hannover In der Eilenriede der Landeshauptstadt Hannover befinden sich diverse Wegebrücken und Durchlässe mit Stützweiten l s ≤ 6,00 m, deren Original-Unterlagen nicht mehr vorliegen oder bei denen statische Berechnungen keine zufriedenstellenden Ergebnisse lieferten. Für die Bewirtschaftung des Forstes werden die Brücken jedoch mit schweren Fahrzeugen befahren. Es bot sich als alternative Nachweismethode an, Belastungsversuche durchzuführen. Aufgrund der unbefestigten, engen und zum Teil verschlungenen Wege wurde ein Konzept entwickelt, um unter Nutzung eines Mobilkrans als Gegengewicht Versuchslasten über 300 kN wirtschaftlich und vor allem risikoarm zu erzeugen (Abb. 5). Dabei führt der Mobilkran (GMK 4100 mit G ~ 50 t) die Nachweise schrittweise an mehreren Positionen durch und prüft sich quasi selbst über die gefahrlose Auffahrt. Das Verfahren ist in [5] ausführlich beschrieben, das System (Prüftraverse) wurde im März 2020 mit dem Patent Nr. 10 2017 118 041 geschützt. Die Untersuchungen umfassten vier Durchlässe mit einer lichten Weite von ca. 1,00 m; weitere fünf Bauwerke wiesen eine lichte Weite von ca. 2,50 m auf. Darüber hinaus wurden ein gemauerter Durchlass mit ca. 1,60 m lichter Weite und eine Stahlbetonbrücke mit ca. 5,60 m lichter Weite untersucht. Abb. 5: Prototyp: Traverse mit integrierten Hydraulikzylindern und verstellbarer Adapterplatte Das maximale Ziellastniveau war die Nachrechnungs- Brückenklasse 30 nach DIN 1072. Aus den maßgebenden Lastbildern ergaben sich maximale Beanspruchungen (z. B. Querkräfte und Biegemomente), die im Versuch durch ein äquivalentes Lastbild nachgebildet werden mussten. Die Gebrauchslast ext FQ ≤ 195 kN und die Versuchsziellast ext FZiel ≤ 330 kN wurden auf der Grund-lage des Ansatzes aus der Richtlinie für Belastungsversuche [3] ermittelt. Die messtechnische Ausstattung der Bauteile erfolgte so, dass alle notwendigen Informationen zur Zustandsbewertung - z. B. Dehnung, Durchbiegung, Setzung und Verschiebung (Abb. 6) - gewonnen werden konnten. Neben den obligatorischen Messungen der Überbaudurchbiegung und der Widerlagersetzung zur Erfassung des Gesamtverformungsverhaltens des Tragwerks wurden je nach Brückentyp weitere Sensoren installiert, die die zu erwartenden Versagensmechanismen überwachen sollten. So wurden bei den Durchlässen zusätzlich die Horizontalverschiebung der Widerlagerwände gemessen und bei Rahmentragwerken sowie Gewölben die Biegedehnungen. Letztere geben zwar grundsätzlich nur Informationen aus einem örtlich begrenzten Bereich, bei richtiger Positionierung jedoch können Systemveränderungen erkannt werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 47 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Abb. 6: Messtechnik: Dehnungs- und Durchbiegungsmessung im Gewölbe Die in der Eilenriede getesteten Bauwerke zeigten allesamt ein sehr gutmütiges Verformungsverhalten. Die Tragfähigkeiten, definiert durch das statische System und den Bauteilwiderstand (Geometrie und Material), waren so groß, dass die Lasten bei allen Versuchen ohne Erreichen eines Grenzwertkriteriums bis zur Versuchsziellast FZiel ≤ 330 kN gesteigert werden konnten. Die Brücken wurden daher für die gewünschte Nutzlast (BK 30 bzw. BK 9) als gebrauchstauglich und tragsicher eingestuft. Die technische Anwendungsgrenze des vorgestellten Systems liegt bei Brücken von Stützweiten l s < 9,0 m, bei denen der Lastfall „Schwere Einzelachse“ maßgebend ist. Dabei muss beachtet werden, dass noch einige Fragen zur risikofreien Durchführung beantwortet werden müssen. Dies wird derzeit in dem WiPaNo Forschungsvorhaben SyMoB untersucht. Alternativ ist es zu empfehlen, auf bewährte Belastungssysteme wie das Belastungsfahrzeug BELFA [5] zurückzugreifen und letztendlich einen größeren technischen und damit auch finanziellen Aufwand in Kauf zu nehmen. 4.2 Stahlbeton-Massivbrücke mit 2 Kragarmen In Preußisch Oldendorf (NRW) waren über die Stahlbetonbrücke „zur Öhlmühle“ über die Große Aue keine Originalunterlagen mehr vorhanden, so dass sie sich in keine zulässige Brückenklasse einstufen ließ. Durch lokales Freigraben unter den Brückenrändern wurde das statische System als 1-Feldbrücke (l s ~ 7,05 m) mit zwei Kragarmen (l k ~ 2,60 m) identifiziert (Abb. 7). Das Bauwerk besteht aus einer Massivplatte (d ~ 0,55 m), ist leicht schiefwinklig (ca. 8 gon) und bietet einer Fahrbahn mit b = 5,50 m und zwei schmalen Gehwegstreifen (45 cm) auf zwei Kappen Platz. Es musste im Vorfeld durch eine Vergleichsrechnung geklärt werden, ob die erforderlichen Nachweise (z. B. max. Feldmoment / min. Stützmoment) gegen das Gewicht eines Mobilkrans erzeugt werden können oder ob das viel leistungsfähigere Belastungsfahrzeug BELFA [5] eingesetzt werden muss. Während der Nachweis des Stützmomentes kein Problem war, musste für den Nachweis des maximalen Feldmomentes zusätzlicher Ballast auf dem Bauwerk abgelegt werden (Abb. 7). Für eine risikoarme Versuchsdurchführung gliederte sich der Ablauf daher in die folgenden Schritte: • Nachweis des Stützmomentes durch Aufbringen der Versuchslast am Kragarmende • Gefahrlose Auffahrt des Mobilkranes • Versuche F = 250 kN in Feldmitte mit dem Mobilkran • Gefahrloses Ablegen des Ballastes auf der Brücke • Auffahrt des Mobilkranes und Nachweis des Feldmomentes durch zusätzliches Aufbringen der hydraulisch regelbaren Gebrauchslast F Q und Versuchsziellast F Ziel Abb. 7: Ansicht während des Belastungsversuchs mit Ballast (20 t) und Mobilkran Während aller Phasen wurden die Bauwerksreaktionen mit einer abgestimmten messtechnischen Ausstattung beobachtet (z. B. Dehnungen, Durchbiegungen, Neigungen, Setzungen und Rissweitenveränderung). Aus den Kraft-Reaktions-Kurven ließ sich entnehmen, dass • die Bauwerksreaktionen der Überbauten vorwiegend linear-elastisch und bleibende Verformungen nur gering waren (Anlagen und Abb. 8) • die maximale Verformung der Überbauten unter Volllast (inkl. Teilsicherheitsbeiwerten) weniger als 0,5 mm betrug • die Setzungen der Widerlager teilweise bleibend waren, jedoch beim abschließenden Gebrauchstauglichkeitsversuch wieder linear-elastisches Verhalten aufzeigten • die Weite des vorhandenen Risses am Überbau (nördliches Auflager) sich nicht wesentlich veränderte • die Reaktionen unter Langzeitbelastung im Gebrauchstauglichkeitsniveau annährend konstantes Verformungsverhalten zeigten, also ein stabiler Lastabtrag vorlag Da die Beanspruchung schrittweise in mehreren Messungen gesteigert wurde, musste z. B. die Vertikalverschiebung in Feldmitte in Abhängigkeit der Feldmomente nachträglich dargestellt werden (Abb. 8). Letztere wurden der FE-Berechnung entnommen. 48 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Abb. 8: Vertikalverschiebungen in Feldmitte in Abhängigkeit des erzeugten Feldmomentes Die Tragsicherheit der Wegebrücke wurde für die Brückenklasse 30 (DIN 1072) erfolgreich nachgewiesen. Die Untersuchungen vor Ort dauerten 2 Tage, wovon einer für die messtechnische Ausstattung und einer für die Durchführung der Versuche sowie den Abbau benötigt wurde. 4.3 Naturstein-Gewölbebrücke in Hannover Die Clevertorbrücke überquert die Leine in Hannover im Zuge der Brühlstraße mit einer lichten Weite von 18,85 m. Sie wurde um 1781 als Korbbogenbrücke aus Natursteinmauerwerk errichtet und ist denkmalgeschützt. Die letzte Brückenprüfung offenbarte ein Schadensbild, das Durchfeuchtungen, Abplatzungen und offene Fugen bis zu 70 cm Tiefe im Bogenscheitel umfasste. Der Bauwerkszustand wurde mit der Note 3,5 bewertet. Für eine rechnerische Einstufungsrechnung wurde die Geometrie aufgemessen und die Materialkennwerte durch Probenentnahmen abgeschätzt. Die Berechnungen konnten keinen Nachweis für eine Brückenklasse 16/ 16 erbringen. Das Rechenmodell beruhte jedoch zwangsläufig auf einer Reihe von Annahmen, die auf der sicheren Seite lagen, z. B. die Modellierung in einem Stabmodell ohne Ansatz der Hinterfüllung aus Bruchsteinmauerwerk als lastabtragendes Element, da keine funktionierende Schubübertragung vorausgesetzt werden kann. Das Ergebnis bewertet jedoch strenggenommen die Modellannahmen und nicht etwa die tatsächliche Tragstruktur. Um diese besser einschätzen zu können, wurden daher Belastungsversuche durchgeführt. Dabei musste von Systemmessungen unter geringen Lasten abgesehen werden, weil dann nicht nachgewiesen werden kann, dass die Hinterfüllung auch bei hoher Beanspruchung mitträgt (inkl. Teilsicherheitsbeiwerten). Zur Lasterzeugung wurde das Belastungsfahrzeug BELFA gewählt, das bei Brücken bis 18 m Stützweite ohne zusätzlichen Ballast Versuchslasten bis 600 kN aufbringen kann (Abb. 9 und [5]). Abb. 9: BELFA in Prüfposition über der Clevertorbrücke Das größte Risiko bei den Untersuchungen bestand darin, dass die BELFA-Sattelzugmaschine die Brücke vor ihrem Einsatz einmal überqueren musste. Immerhin bringt sie auch in ihrer leichtesten Variante noch mehr als 20 Tonnen auf die Waage (die Brücke war lediglich für 16 Tonnen freigegeben). Eine umfassende Versuchsplanung, eine spezielle auf das Tragsystem dieser Brücke abgestimmte Messausstattung, vorausgehende Überfahrtsmessungen mit leichteren Fahrzeugen, und die Prognose der erwarteten Reaktionen mithilfe von FE- Berechnungen, führten zum Erfolg (Tabelle 2). Die externe Versuchslast konnte letztlich durch einen schweren Mobilkran in der Nebenspur (LTM 1080) und das Belastungsfahrzeug in der Hauptspur aufgebracht werden. Die hydraulischen Pressen des BELFA erzeugten dabei den Großteil der Versuchsziellast fein regelbar, während das BELFA auf der Brücke im Widerlagerbereich abgestützt war. Alle Bauteilreaktionen (z. B. Durchbiegungen, Dehnungen, Rissbreiten, Schallemission) blieben unterhalb kritischer Werte und zeigten noch an Ort und Stelle, dass • die Bauwerksreaktionen vorwiegend linear-elastisch waren • die maximale Verformung etwa 1,2 mm betrug (Tabelle 2) • nach Entlastung eine Durchbiegung von f << 0,1 mm verblieb • die Horizontalverschiebungen der Gewölbe so gering waren, dass sie unter der Auflösung der Messvorrichtung lagen (Δh ≤ 0,05 mm) • alle vier Schallsensoren kein Anzeichen für Gefügeveränderung geliefert haben. Unter besonderem Licht erscheint das Ergebnis dann, wenn man einem unter Fachleuten verbreiteten Merksatz folgt: eine Gewölbebrücke zeigt erst dann kritische Bauwerksreaktionen, wenn die Belastung mehr als 50 % der Bruchlast beträgt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 49 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Rechnerische Prognose Messung Dehnung ε [µm/ m] Durchbiegung f [mm] Dehnung ε [µm/ m] Durchbiegung f [mm] Überfahrt Zugmaschine 19 0,04 5 0,15 Auffahrt Kran (G ~ 48 t) 19 0,33 5 0,35 Versuchsziellast BK 16/ 16 (inkl. γ und Mobilkran) 56 0,92 35 0,70 Versuchsziellast BK 30/ 30 (inkl. γ und Mobilkran) 97 1,57 85 1,20 Tabelle 2: Ergebnisvergleich am Scheitel - Prognose (Hinterfüllung trägt) und Messung 4.4 (Historische) Möllerbrücke Die Brücke überquert im Zuge der Landesstraße L 263 den Mühlenbach in der Nähe von Bergen an der Dumme (l s = 5,80 m) und ist eine der letzten erhaltenen Stahlbetonbrücken nach der Bauweise Möller, die Anfang des 20. Jahrhunderts vielfach gebaut worden sind [10]. Durch ihre direkte Nähe zur Grenze Niedersachen / Sachsen-Anhalt war sie während der Existenz der innerdeutschen Grenze 40 Jahre lang außer Betrieb aber auch ohne Unterhaltung. Die Brücke wurde zuletzt im Jahre 2007 einer Bauwerksprüfung unterzogen, bei der erhebliche Mängel festgestellt wurden (Risse, Korrosion, Abplatzungen). Das Bauwerk erhielt als Zustandsnote eine 3,5 und wurde auf 2,8 t zulässige Verkehrslast zurückgestuft. Belastungsversuche sollten ausloten, ob trotz der diagnostizierten Mängel zumindest eine Brückenklasse 16 nach DIN 1076 nachgewiesen werden kann. Der Versuchsumfang wurde aufgrund von zerstörungsfreien / -armen Voruntersuchungen, der geringen Fahrbahnbreite (b ~ 5,00 m), einer Kostenminimierung und der örtlichen Gegebenheiten (Anfahrt / Rangieren des BELFA in der Kurve) auf eine Fahrbahnseite begrenzt. Der Ablauf dieser Ein-Tages-Aktion teilte sich in drei unterschiedliche Untersuchungen: • Überfahrten mit der abgekuppelten BELFA-Zugmaschine (Test [des Bauwerksverhaltens, Kontrolle der Gleichmäßigkeit des Lastabtrags über die Brückenbreite) • Überfahrt der Zugmaschine mit angekuppeltem BELFA • Belastungsversuche (Abb. 10) Abb. 10: Möller-Brücke: BELFA simuliert die schwere Einzelachse in Feldmitte Der experimentelle Tragsicherheitsnachweis umfasste den Brückenüberbau, die Auflager sowie die Widerlager und die Gründung. Während der Belastungsversuche wurde die externe Versuchslast durch hydraulische Pressen gegen das Gewicht des Belastungsfahrzeugs geregelt aufgebracht. Dabei war das BELFA in ausreichendem Abstand zur Brücke vor und nach dem Bauwerk abgestützt. Die externen Versuchsziellasten wurden so bemessen, dass ihre Wirkung für den Überbau identisch war mit der ständigen Lastwirkung und den Verkehrslasten, die nach den Vorschriften anzusetzen sind (inkl. Sicherheitsanteile). Um den Bauwerkszustand während der Versuche analysieren zu können, wurden mehrere Bauteilreaktionen (z. B. Durchbiegungen, Widerlagersetzung, Rissbreiten, Stahldehnung) online gemessen und zeitgleich am Monitor als Kraft-Reaktions-Diagramm dargestellt. Sie blieben insgesamt deutlich unter denen der Prognoserechnung (Tabelle 3), die auf der konservativen Annahme beruhte, dass eine Radlast nur von einem Träger abgetragen wird. Aus den Messergebnissen ließ sich ableiten, dass sich tatsächlich mehrere Träger am Lastabtrag beteiligen. 50 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Durchbiegung Stahldehnung Lastfall [mm] [μm/ m] Einzelachse in Feldmitte Gebrauchslast F Q = 210 kN Vorberechnung 2,7 30 Messung 0,5 67 Einzelachse in Feldmitte Ziellast F Ziel = 338 kN Vorberechnung 4,4 49 Messung 0,86 115 Tabelle 3: Vergleich der Bauwerksreaktionen in Feldmitte (FE / Versuch) Zusammenfassend ließen sich aus der erfolgreichen Tragsicherheitsbewertung folgende Schlussfolgerungen ableiten: • das Verformungsverhalten (Überbau / Gründung) war vorwiegend linear-elastisch • die Verformungen lagen unter den rechnerisch prognostizierten Werten • die Lastquerverteilung war intakt unbelastete Träger beteiligten sich am Lastabtrag • vorhandene Risse arbeiteten unter Last, kritische Rissbreiten wurden nicht erreicht • die massiven Brüstungen beteiligten sich am Lastabtrag Ergänzende Untersuchungen ließen auch eine Aussage zur Dauerhaftigkeit zu: Es zeigte sich, dass die meisten Bauwerksmängel keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Tragsicherheit haben. Um eine langfristige Nutzung der Brücke zu gewährleisten, sind jedoch Sanierungsmaßnahmen notwendig, wie z. B. Erneuern der Bauwerksabdichtung und das Wiederherstellen des Korrosionsschutzes am außenliegenden Zugband. 5. Systemmessungen Systemmessungen überprüfen das aktuelle Tragverhalten eines Bauwerks etwa im Gebrauchslastniveau (Abb. 3), um zum Beispiel bekannte Schäden zu überwachen oder Berechnungsannahmen zu verifizieren. Die Belastung muss dabei einerseits so hoch gewählt werden, dass das Tragverhalten der Konstruktion unter den planmäßig auftretenden Nutzlasten angemessen beurteilt werden kann und darf andererseits nicht so hoch sein, dass kritische Bauwerksreaktionen eintreten. Die Verformungen bleiben vorwiegend im linear-elastischen Bereich. Nichtlineare Untersuchungen bei höheren Beanspruchungszuständen können im Nachgang mit den entsprechenden Unsicherheiten an einem kalibrierten Berechnungsmodell durchgeführt werden. Wenn die Schwachstellen bekannt sind und konkrete Grenzwerte festgelegt werden können, sind Langzeitmessung auch zum Monitoring geeignet, das bei zuvor definierten Veränderungen Aktionen auslösen kann (Alarm, Information, Sperrung, …). Abb. 11: Brücke im Zuge der B75 in Höhe Neustadtsbahnhof, Bremen, Blickrichtung Westen Ein Beispiel ist die messtechnische Überprüfung von Koppelfugen von Spannbetonbrücken. Bei einer Hauptprüfung der Brücke Neustadtsbahnhof in Bremen (Abb. 11) wurden Aussinterungen am Überbau im Bereich einer Koppelfuge festgestellt, so dass ein Koppelfugenriss nicht ausgeschlossen werden konnte. Aus diesem Anlass wurde die Ermüdungssicherheit gemäß BASt- Handlungsanweisung [11] untersucht, die bei der Nachrechnung eine mehrstufige Vorgehensweise mit wachsender Genauigkeit der Berechnungsansätze vorsieht. Da in den ersten Berechnungsstufen ein Dauerfestigkeitsproblem nicht ausgeschlossen werden konnte, sollte wie in der Handlungsanweisung empfohlen für den genaueren Nachweis am Bauteil gemessen werden. Es wurden an ausgewählten Stellen Verschiebungen (Risse, Dehnungen) sowie die Bauteiltemperatur gemessen, um festzustellen, ob die Querschnitte gerissen oder ungerissen sind. Die Messdaten wurden in mehreren Koppelfugen während des normalen Verkehrs über einen Zeitraum von 12 h überwacht und abschließend mit einer kontrollierten Belastung durch 2 Sattelzüge mit je G = 40 t kalibriert. Der Verkehr wurde aus der Ferne per Videokamera registriert, so dass z. B. der Maximalausschlag der Überfahrt eines Mobilkrans (G~50 t) zugeordnet werden konnte. Die aufgezeichneten Messkurven zeigten sowohl während der Langzeitmessungen als auch während der Kurzzeitmessungen durch Sattelzüge plausible Verläufe und ließen darauf schließen, dass alle drei Koppelfugen gerissen sind. Aus den Messwerten konnte die maximale 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 51 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Rissweitenveränderung unter Verkehr auf Δw ≤ 0,03 mm abgeschätzt werden. Die Brücke wurde saniert und zusätzlich mit jeweils zwei Spanngliedern je Stegseite extern vorgespannt. 6. Ausblick Experimentell gestützte Nachweise loten die Tragwerksreserven bestehender Bauwerke aus und können selbst dann ein erfolgsversprechender Lösungsansatz sein, wenn umfangreiche rechnerische Analysen unbefriedigende Ergebnisse erzielt haben. Voranschreitender Computerhörigkeit trotzend bieten sie eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu Abriss und Neubau und leisten einen wichtigen Beitrag, um Baukultur zu bewahren. 7. Danksagung Ein herzlicher Dank gilt allen Projektbeteiligen, die mit ihrem Engagement und der konstruktiven Zusammenarbeit wesentlich zum Gelingen der komplexen Aufgaben beigetragen haben. Besonderer Dank gilt allen Auftraggebern, die unseren Prognosen und Erfahrungswerten vertraut und die Einsätze beauftragt haben. Wir hoffen, dass auch weiterhin die Restnutzungsdauer bei vielen Bauwerke durch experimentelle Untersuchungen verlängert werden kann. Literatur [1] Bolle, G.; Schacht, G.; Marx, S.: Geschichtliche Entwicklung und aktuelle Praxis der Probebelastung, Teil 1 und 2. Bautechnik 87 (2010) 11|12, S. 700-707|784-789 [2] Gutermann, M., Malgut, W.: Experimentelle Methoden - Ein alternativer Weg zum statischen Nachweis von Bestandsbauwerken. In: Gieler-Breßmer (Hrsg.): Tagungsband. 18. Symposium Kathodischer Korrosionsschutz von Stahlbetonbauwerken, 05. bis 06.11.2020. Ostfildern, TAE Verlag, 2020 [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken. Berlin: Beuth, 07-2020 [4] Bretschneider, N.; Fiedler, L.; Kapphahn, G.; Slowik, V.: Technische Möglichkeiten der Probebelastung von Massivbrücken. Bautechnik 89 (2012) 2, S. 102-110 [5] Gutermann, M.; Schröder, C.: 10 Jahre Belastungsfahrzeug BELFA. Bautechnik 88 (2011) 3, S. 199- 204 [6] Gutermann, M., Schröder, C., Böhme, C.: Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweite am Beispiel von Wegebrücken in der Eilenriede, Hannover. In: Bautechnik 95 (2018), Heft 7. Berlin: Ernst & Sohn, 2018. S. 477 - 484. https: / / doi. org/ 10.1002/ bate.201800018 [7] Manleitner et al.: Belastungsversuche an Betonbauwerken. In: Beton- und Stahlbetonbau 96, 2011, Heft 7, S. 489 [8] DIN EN 1990 (2010-12): Eurocode 0 - Grundlagen der Tragwerksplanung, Anhang D (informativ) [9] DIN EN 1992-1-1 (01.2011): Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken, Kapitel 2.5 [10] Droese, Siegfried: Eine fast vergessene Brückenbauweise: Hängegurtbrücken „System Möller“. In: Bautechnik 76 (1991), S. 625-634, Ernst & Sohn [11] Bundesanstalt für Straßenwesen: Handlungsanweisung zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit vorgespannter Bewehrung von älteren Spannbetonüberbauten, Ausgabe 1998 Denkmalpflege/ Fallbeispiele 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 55 Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen Kurt Christian Ehinger Dipl.-Ing. Architekt Rosensteinstraße 7 71576 Burgstetten Zusammenfassung: Das Gebäude Marktplatz 1 in Waiblingen wurde Mitte der 80-iger Jahre zu einem modernen Einkaufszentrum umgebaut und modernisiert. In diesem Zusammenhang wurde auf Vorschlag der Stadt Waiblingen die am Gebäude noch vorhandenen Fachwerkfassaden vom Putz freigelegt und die Fassaden als Sichtfachwerk neu gestaltet. Das Gebäude befindet sich im privaten Eigentum und wird heute aktuell von mehreren Geschäften und Dienstleistern genutzt. 1. Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen Der Stadtkern der Stadt Waiblingen entstand ab Mitte des 13. Jh. vorwiegend in Fachwerk-Architektur. 1634, im 30-jährigen Krieg wurde die Stadt vollständig abgebrannt und die bestehenden Gebäude bis auf die Grundmauern zerstört. in der gesamten Stadt blieben nur ca. fünf Gebäude erhalten. Ab Mitte des 17.Jh. begann ein Wiederaufbau der Stadt auf dem vorhandenen historischen Grundriss der Stadtanlage mit Gebäuden in Fachwerkbauweise, die auf Sicht gebaut waren. Mitte des 18.Jh. mussten dann aufgrund von Bauvorschriften die Sichtfachwerkbauten verputzt werden und es entstand eine vollkommen neue Stadtansicht mit Putzbauten, danach auch Bauten neueren Datums und mit zeitgemäßer Architektur. Dieser Zustand hatte sich dann bis in die Neuzeit des 20. Jh. erhalten. Fachwerk war bis auf einzelne Aktionen in den 20-iger Jahren (Heimatstil-Bewegung) kein Thema Im letzten Viertel des 20.Jh. begann in Waiblingen eine aktuelle Stadtsanierung, ausgelöst durch eine Städtebaukritik an moderner Architektur, die auch zu einer Rückbesinnung auf die historische Bausubstanz führte. In diesem Zusammenhang wurde eine wesentliche Zielsetzung der Stadtsanierung entwickelt, die in der Freilegung der historischen Fachwerkfassaden bestand. 1.1 Stadtsanierung und Freilegung historischer Fachwerkbauten 1970 und ff. begann der Einstieg in die aktuelle Stadtsanierung, die bis zum heutigen Tag andauert: 1970 Voruntersuchung des gesamten historischen Stadtkerns Abbildung 1: Historischer Stadtplan 1832, Plan Stadt Waiblingen 1974 Städtebaulicher Wettbewerb 1977 Städtebaulicher Leitplan und Bauwettbewerb Marktgasse 1977 Freilegung erster historischer Fachwerkfassaden auf der Grundlage von thermographischen Aufnahmen der Fassaden und städtisches Zuschussprogramm zur Freilegung und Finanzierung der gestalterischen Mehrkosten mit einer Programmdauer bis 200, in Ergänzung der staatlichen Zuschussmöglichkeiten im Rahmen der Stadtsanierung und Denkmalpflege 1988 Denkmalliste durch das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg 56 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen 1.2 Gebäude Marktplatz 1, Waiblingen Abbildung 2: Fachwerkfassade Marktplatz 1(Plan Stadt Waiblingen) Gebäudedaten: 1680-1690 Neubau des barocken Fachwerkbaus nach Stadtbrand, als ehemalige Vogtei (? ), oder durch Johann Weyser II, Bürgermeister, auf den historischen Grundmauern eines Vorgängerbaus der Renaissance (einzelne Baudetails blieben erhalten) Mitte des 18.Jh.: Verputz des Sichtfachwerks 1819-1909 nach Kauf des Gebäudes 1819 durch das Königreich Württemberg als Oberamtsgericht genutzt 1909 Kauf durch Heinrich Villinger, Kaufmann und Umbau zu einem Warenhaus, Veränderung der Fassaden durch Schaufenster 1921 unter Denkmalschutz gestellt Mitte der 80-iger Jahre Umbau, Modernisierung und Freilegung des Sichtfachwerks Mitte der 80-iger Jahre erfolgte ein Antrag auf Umbau und Modernisierung des Gebäudes. Ergebnis war u.a. ein neuer Anbau eines Treppenhauses zur Erschließung der einzelnen Geschäftsflächen, der auf der dem Marktplatz abgewandten rückwärtigen Gebäudeseite realisiert wurde. Aufgrund der vorhandenen Thermographie konnte mit dem Gebäudeeigentümer eine Freilegung der verputzten Fachwerkfassade vereinbart werden und wiederum auf der Grundlage historischer Farbbefunde eine Rekonstruktion der historischen Farbigkeit. In diesem ersten Abschnitt wurde der historische Gebäudeerker in seiner grauen Farbigkeit belassen. Die gestalterischen Mehrkosten trugen das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und die Stadt Waiblingen. In einem weiteren Bauabschnitt im Rahmen einer Fassaden-Instandhaltungsmaßnahme Anfang 2000 konnte dann auch Jahre später der historische Gebäudeerker seine ursprüngliche Farbigkeit wieder erhalten Das Gebäude wird seither wieder als Geschäftszentrum und Bürogebäude genutzt. Abbildung 3 Abbildung 4 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 57 Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen Abbildung 5: Nordseite mit dem neuen Treppenhausanbau. Der Anbau mit einer Glaskonstruktion beeinträchtigt nicht die Wirkung des freigelegten Fachwerkbaus. Abbildung 6: Befund Giebelseite, Kopfdreieck mit „Eselsrücken und Kreis“, Balkenfarbe grau Abbildung 7: Alter Zustand bis Mitte der 80-iger Jahre Literaturverzeichnis: Die Kunstdenkmäler in Baden-Württemberg, Rems-Murr- Kreis II, Adolf Schahl, S.1190-1191, Dt. Kunstverlag München Berlin, 1983, ISBN 3-422-00560-9 2(1983 Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart, Band V, 1977, S. 127 ff., Heimatverein Waiblingen, W. Glässner Waiblingen, Ein Führer durch die Altstadt, 1986,S. 25 Heimatverein Waiblingen, Wilhelm Glässner Ortskernatlas Baden-Württemberg, Stadt Waiblingen (1.6) 1987, Rems-Murr-Kreis, Landesdenkmalamt und Landesvermessungsamt Baden-Württemberg, Edeltrud Geiger, ISBN 3-89021-006—6 Fotos: Kurt Christian Ehinger Architekt der Sanierungs- und Umbauarbeiten: Kurt Ehrhardt (+) Dipl.-Ing./ Freier Architekt Fellbach-Schmiden 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 59 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Christopher Grohmann EHS beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart Katharina Schaller EHS beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart Dr. Anja Hoppe Burg Hohenzollern GbR, Burg Hohenzollern Zusammenfassung Die Burg Hohenzollern ist ein Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung nach §12 im Sinne des Denkmalschutzgesetzes Baden-Württemberg. Bei der aktuellen Maßnahme werden für ca. 17 Millionen Euro die Bastionsmauer der Burg Hohenzollern restauriert und zukunftssicher ertüchtigt. Nach zweijähriger Planungs- und Vorbereitungszeit begannen im Oktober 2019 die Sanierungs- und Instandsetzungsarbeiten an der Burg Hohenzollern. Die markante Burg auf dem 855 m hohen Hohenzollern in Baden-Württemberg ist die Stammburg des gleichnamigen Fürstengeschlechtes und ehemals regierenden deutschen Kaiserhauses. Die Burg gehört mit rund 340.000 Besuchern im Jahr zu den größten Attraktionen der Region. In den kommenden Jahren wird die Bastionsmauer in mehreren Bauabschnitten grundlegend instandgesetzt. Für die Gesamtmaßnahme Bauabschnitt I.1 bis I.5 wird eine Mauerfläche von mehr als 5.000 m² ertüchtigt. Notwendig wird die Maßnahme aufgrund des fortschreitenden Schadensbildes am Mauerwerk. Zudem wird die Erdbebensicherheit der Burganlage optimiert. 1. Historischer Hintergrund und Kunstsowie bauhistorische Bedeutung der Burg Hohenzollern Die Burg Hohenzollern liegt auf dem isolierten Berg Hohenzollern, einen sogenannten Zeugenberg. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Anlage sukzessive erweitert, geändert, ertüchtigt und auf ihr jetziges Erscheinungsbild vervollständigt Auf die erste Burg aus dem frühen 13. Jahrhundert folgte eine zweite Burg bereits mit Hochschloss und weitgehender Bastionierung als Barockfestung. Bis zur jetzigen dritten Burg, Einweihung 1867, wurde die Nutzung als Burganlage nur 1822 bis 1845 durch eine inszenierte Ruinenanlage unterbrochen. Die erste Phase der Bastionierung umfasste bereits alle bis heute bestehenden Bastionsmauern bis auf eine Ausnahme, die Neue Bastei. Sie wurde, wie der Name bereits indiziert, 1641 ergänzt. Erforderliche Unterhaltungs- und Reparaturmaßnahmen, bis hin zum Neubau ganzer Bauteile, sind im Zehnjahrestakt überliefert. Besonders gravierend waren die Probleme stets an der Neuen Bastei, die 1641 erbaut, 1655 ausgebaut, 1668 vollständig erneuert, 1672 abermals vollständig erneuert, 1695, 1697 und 1702 ertüchtigt werden musste. Eine weitere relevante, prägende Reparatur- und Ergänzungsphase erfolgte 1668. Hierbei wurden nicht nur der eingestürzte Bischofsturm und die stark geschädigte Neue Bastei zusammen mit der Langen Kurtine hin zur Fuchsloch Bastei neu erbaut, ebenso wurde das Niedere Vorwerk als massive Fortifikation angelegt. Sie ersetzte eine ältere Palisadenanlage vergleichbaren Zuschnittes. Trotz des ruinösen Zustandes war der Bestand der Bastionen eine der wesentlichen Motivationen für das preußische Königshaus sich ihrer Stammburg anzunehmen. König Friedrich Wilhelm von Preußen hatte bereits 1849 zur Sicherung der logistisch abgelegenen Ländereien beschlossen, eine zentrale Festungsanlage Abbildung 1: Burg Hohenzollern 2019 [EHS] 60 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer zu errichten. Bei der Reparatur bzw. dem Wiederaufbau des Bastionenkranzes erfolgte vor allem eine Erneuerung nahezu sämtlicher Oberflächen. Prägend für das heutige Erscheinungsbild der Burg Hohenzollern war die Entscheidung, Mauern die zunächst aus dem örtlichen Kalkstein gehauen und aufgebaut waren, nun additiv mit dem, für den Neubau der Burg verwendeten „Malbstein“, also Angulaten- Sandstein, zu bebauen. Historische, von außen sichtbare Kalkstein- Mauerpartien sind nur noch sehr versteckt erhalten. Zum Beispiel am südlichen Mauerfuß der Fuchsloch- Bastei kann man Teile der barocken Steinquader entdecken. Die eingestürzten Mauerpartien an der Neuen Bastei an der Langen Kurtine wurden vollständig neu aufgemauert. Ebenso bedingte das Ausbrechen des Rampenturmes den vollständigen Neubau der Kurtine zwischen Michaels-Bastei und Schnarrwachtbastei. Dokumente über den Aufbau und die Wandstärke auch der neu ausgemauerten Bereiche sind nicht erhalten. Abbildung 2: Zeichnung durch den Westflügel 1620 [2] Nach Ausweis der Befunde erfolgte an der Südseite der Schnarrwachtbastei, ein gravierender Eingriff, als der Treppenabgang am Adlertor angelegt wurde. Hierbei baute man die (vermutlich weitgehend erhaltene) südliche Face der Bastion zurück, und mauerte sie, nun mit einem Treppenaufgang versehen, wieder auf. Die Baufuge zwischen dem hier wohl noch teils barockzeitlichen Mauerbestand und der Ergänzung ist von innen wie von außen deutlich ablesbar. Der bei Bothe 1979 [2] dargestellte Querschnitt durch den Westflügel war und ist auch heute ein wichtiges Zeugnis für den Aufbau der Wand. Die Bastionsmauerhöhe wurde allerdings noch nicht gemäß dem heutigen Endzustand ausgeführt. Die Wandhöhe betrug im frühen 16. Jahrhundert etwas über 6,00m. Heute liegt die Mauerhöhe in dem entsprechenden Bereich bei über 10,00m. Die Mauerdicke beträgt am Fußpunkt etwa 2,00m. Der obere Wandabschluss mit etwa 1,50m dürfte bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben sein. Für die heutigen erforderlich werdenden Baumaßnahmen zur Sanierungs- und Ertüchtigung der Bastionsmauer, ist die bauhistorische Verifizierung und Untersuchung [1] wichtig. Wir erlangen so Kenntnis über die zahlreichen Baumaßnahmen und verstehen die Bausubstanz geschädigte Bereiche aus früheren Stadien besser. Der, sich im Sinne der Stand- und Dauerhaftigkeit im Laufe der Jahrzehnte verschlechternde Zustand der Bastionsmauer ergab die Notwendigkeit die Instandsetzungsplanung der Bastionsmauer im Jahr 2018 in die Wege zu leiten und Planungsleistungen auszuschreiben. Im Zuge der Planungsprozesse wurde und wird permanent darauf geachtet, dass sämtliche planerische und bauliche Maßnahmen an der Burg Hohenzollern, der denkmalschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegen. 2. Art der Maßnahme / Ausgeschriebene Aufgabenstellung Die Untersuchungen im Zuge der bauhistorischen Bestandsaufnahme an dem Festungskranz mit den Bastionsmauer der Burg Hohenzollern zeigten erhebliche Schäden und Verformungen am Festungskranz auf. Diese Schäden umfassen sowohl Einflüsse auf die globale Standsicherheit bis hin zu lokalen, einzelnen Fehlstellen an Formsteinen. Bei der ausgeschriebenen Planungsleistung wurde daher sowohl die Restauration als auch die statische Ertüchtigung berücksichtigt. Die naturgemäß schlechte Zugänglichkeit einer Festungsmauer hat die Dokumentation der Schäden im Vorfeld auf folgende Punkte beschränkt: - Fotodokumentation der Mauerwerksoberflächen inklusive Schadenskartierung von Ausbrüchen innerhalb der äußeren Steinlage, der flächigen Überfugung mit stark zementhaltigen Mörtel und ausgewitterten Fugen, Bewuchs von Flechten bis Bäumen, Ausblühungen (Salz), Absandungen, Schalenbildung, Verfärbungen, Rissen, beulender Bereiche, erneuerte Steine, Rohre und weitere nachträgliche Einbauten und Leitungen. - Verkippung und Beulen ganzer Mauerbereiche, größere Rissbreiten und Schalenbildungen ohne Vermessungsangaben. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 61 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Abbildung 3: Positionsplan Bauabschnitte [EHS] Zusätzliche wurde eine flächige Georadarbefahrung aller Bastionsmauern mit Prüfung auf Schalenablösung und weiterer Auffälligkeiten innerhalb des Mauergefüges durchgeführt. Dabei wurden drei unterschiedliche qualitative Verdachtsstufen (gering, mittel und hoch) sowohl für Schalenablösung als auch Gefüge-Störungen aufgeführt. Eine Verifizierung der Daten durch zugeordnete Kernbohrungen erfolgte im Vorfeld nicht. Einen einzelnen Indikator für das globale Schadensbild der Mauer, sozusagen einen Schuldigen, kann man auf Grund der diversen und zahlreichen Schadensfälle nicht direkt zuweisen. Neben der vernachlässigten Unterhaltung, die insbesondere einen ausufernden Bewuchs von der Hangseite, als auch von oben, dem Festungsterrain aus kommend zeigt, führt eine Bepflanzung mit Solitärgehölzen mit entsprechendem Wurzelwerk, eine defekte, historische Abdichtung und einer fehlerhaften Neu- Verfugung der Mauer auf Zementbasis zu Problemen. An dem exponierten Standort der Burg ist der natürliche Verwitterungsabtrag zusätzlich zu Gefüge- Störungen einzelner Steine, gar ganzer Mauerpartien durch Erdbebenereignisse ebenfalls erheblich. Eine Instandsetzung der Bastionsmauer war und ist überfällig. Ziel aller Instandsetzungsmaßnahmen ist es die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit des Festungskranzes zu verbessern. Zusätzliche Ertüchtigungen sollen das Mauerwerk gegen Erdbebenbeanspruchungen auf aktuellem Nachweisniveau sichern. Die an uns Ingenieure gerichtete Aufgabenstellung ist es: 1. Erhöhung der globalen Standsicherheit (insb. Lastfall Erdbeben) durch Einbringen von Erdnägeln 2. Lokale Mauerwerksinstandsetzung und steinrestauratorische Arbeiten, wie: - Erkunden, ggf. Freilegen und Ausbessern von oberflächigen Schadstellen - Setzen von Überblendungen / Vierungen an Ankerstellen, Teilaufmauerung - Injektion von Hohlstellen - Vernadelung von Schalenablösungen - Verklammerung 3. (Teil-)Flächige Oberflächeninstandsetzung - Reinigung - Entfernen des zementhaltigen Fugenmörtels - Neuverfugen mit steinverträglichem Fugenmörtel - Entsalzung, Steinfestigung 4. Maßnahmen zur Verbesserung der Entwässerung 5. Minimierung des Eingriffs in den historischen Bestand 6. Einhaltung Kostenrahmen / Minimierung Bauzeit 7. Minimierung des Einflusses auf den Burgbetrieb und damit die Besucher 62 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Die Instandsetzung und die Ertüchtigungsmaßnahmen des Festungskranzes werden abschnittsweise durchgeführt. Zunächst werden die Wandabschnitte aus dem Bauabschnitt I.1 ertüchtigt. Dazu gehört der Bauabschnitt rund um den Eingangsbereich der Burg am Adlertor, beginnend mit den Mauerabschnitten FK01 und FK02 an der Schnarrwachtbastei. 3. Verifizierung Bestand und Schadensbild Die Grundlagenermittlung im Vorfeld umfassten nicht nur die im Positionsplan hervorgehobenen Bereiche BAI.1 bis BAI.5 des Festungskranzes, sondern beschäftigen sich auch mit dem Zustand des Niederen Vorwerks und dem Hochschloss. Die Bereiche mit dem dringlichsten Handlungsbedarf galt es einzugrenzen. Im Zuge der Konkretisierung der Maßnahmen für den Festungskranz mit dem Landesamt für Denkmalpflege zur Erlangung einer ersten denkmalschutzrechtlichen Genehmigung, konnte zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Förderfähigkeit festgestellt und Mittel des Landes, des Bundes und der Deutschen Stiftung Denkmalpflege zugesichert werden. Zum Projektstart wird nicht, wie ursprünglich gedacht, direkt mit der Entwurfsplanung begonnen. Es stellt sich heraus, dass zur Verifizierung des Bestandes noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Zum Beispiel, sind bei einer neu zu erstellenden Stützwand, in der Regel sowohl das Material hinter als auch innerhalb der Stützwand bekannt. So kann und wird die Geometrie der Stützwand den lokalen Gegebenheiten geschuldet optimiert entwickelt. An der Burg Hohenzollern liegen zwar Erkenntnisse über die verwendeten Steine und historische Mörtelqualität vor, aber kaum Erkenntnisse über die Geometrie. Der tatsächliche, bemessungsrelevante Wandaufbau zur Nachweisführung der Standsicherheit auch für den Erdbebenfall (Geometrie mit Wandhöhe, Verkippung, Beulen, Schalenabmessung und Wandhinterkante) sowie der Felshorizont hinter und unterhalb der Mauern sind unbekannt. Zusätzlich sind die Verdachtsfälle auf Schalenablösung und Gefüge- Störungen zu konkretisieren. Gänzlich unberücksichtigt ist die Tatsache, dass es übergeordnete Ursachen für einzelne Schadensbilder an der Wand gibt und diese gruppiert werden müssen. Als Beispiel wird die defekte Abdichtungsebene auf dem Festungsterrain benannt. Hier ist zwingend eine kontrollierte und funktionierende Entwässerung auf dem gesamten Festungsterrain zu schaffen, um bei Starkregenereignissen ein weiteres Ausspülen bereits eingeprägter Hohlstellen, sowie die Transportwege von chloridhaltigem Wasser im Sinne der Gewährleitung der Dauerhaftigkeit und Standsicherheit zu unterbinden. Die Objektsowie die Tragwerksplanung beginnen damit in der Leistungsphase 1, HOAI. 4. Planung Das Konzept zur Geometriefindung sieht am Beispiel der Schnarrwachtbastei eine tachimetrische Vermessung des Bestandes vor. Die zerstörungsfreie, flächige Erkundung der Mauerrückseite über zusätzliche Georadarscheiben und zerstörungsarme vertikale und horizontale Bohrungen dient der Verifizierung aller Messergebnisse und der bauhistorischen Befunde. Zusätzlich werden größere Schürfe an der Mauerrückseite, unter der Einbindung der archäologischen Abteilung des Landesamtes für Denkmalpflege (LAD), zur Erkundung der abgestuften Mauerkrone und einer noch in Teilen vorhanden, aber defekten Entwässerungsebene angelegt. Erst wenn die Probefelder eine hinreichende Übereinstimmung zwischen zerstörungsfreier Erkundung und zerstörungsarmer Untersuchung zeigen, werden die weiteren Planungsschritte zur Sanierung und Ertüchtigung der Bastionsmauer eingeleitet. Die Anforderungen über die Bestands- und Erkundungsdokumentation gehen bei einem Denkmal nationaler Bedeutung weit über den Bedarf für eine HOAI- Planung hinaus. Hier wurde abermals in enger Abstimmung mit dem LAD ein für den Bauherrn zumutbarer Umfang festgelegt. Auf Basis der belastbaren Untersuchungen und in Abstimmung mit dem Baustatischen Prüfer und dem Bodenmechaniker, wird im Zuge der Tragwerksplanung ein erdstatisches Modell entwickelt. Dabei werden sowohl die Mauernachweise als auch die erdstatischen Nachweise mit Einbeziehung des Gelbdrucks DIN EN 1998-1/ NA (Eurocode 8) geführt. Die exponierte Lage der Burg Hohenzollern in Zusammenhang mit der Erdbebenzone 3 macht eine Abgrenzung der Ausgangwerte unter Berücksichtigung der Dauerhaftigkeit sinnvoll und erforderlich. Für die spektrale Antwortbeschleunigung wird für den Standort der Burg Hohenzollern ein Wiederkehrintervall von 475 Jahren angenommen. Nach dem Gelbdruck EC8 ergibt sich damit die Referenz- Spitzenbodenbeschleunigung von 1,54 m/ s². 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 63 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Abbildung 4: Überlagerung Ergebnisse Bauradar und Bohrungen [3] 64 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Abbildung 5: Schurf im Bereich des Bemessungsschnittes [EHS] Abbildung 6: Erdbebenkarte [DIN EN 1998-1: 2018 (Gelbdruck)] Nachfolgend wird der Fokus auf die Tragwerksplanung für den Bauabschnitt I.1 gelegt: Ausgangspunkt für die statische Betrachtung für den Endzustand der Bastionsmauern ist die Standsicherheit unter der ständigen und veränderlichen Beanspruchungskombination. Erdbeben wird als außergewöhnlicher Lastfall berücksichtigt. Den Nachweisen des Mauerwerks liegen dynamische Berechnungen mittels Finite-Elemente Methodik zugrunde. Mit Hilfe der FE- Berechnung zur Untersuchung der Wechselwirkung mit der numerischen Geotechnik können Bodennagelraster und Nagellängen ermittelt und Modellfaktoren zur Anpassung der analytischen Berechnung an die Ergebnisse der FE-Berechnung festgelegt werden. Für die globale Standsicherheit im Endzustand sind auch einzelne Steine im Mauerwerksgefüge druckfest auszutauschen. Da einzelne Steine nicht Bestandteil der rechnerischen Analyse des Globalsystem sind, werden Spannungen mit realitätsnahen Mittelwerten auf Widerstandseite angesetzt. Diese rechnerische Analyse erlaubt es Steine bzgl. Ihrer Druckfestigkeitseigenschaften technisch zu bewerten und zu sortieren, mit dem Ergebnis, dass auch bei kleineren bis mittleren Substanzverlusten einzelne Steine und Bereiche ohne Steinaustausch erhalten werden können. Bezüglich der Erdbebensituation geht eine Gefahr von herabfallenden oder nachrutschenden Bauteilen aus. Die 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 65 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Nachweise werden im Sinne der globalen Standsicherheit durchgeführt. Allerdings wird außerhalb von Gefährdungsbereichen, wie Fluchtwegen rechnerisch und im Sinne der Verhältnismäßigkeit akzeptiert, dass einzelne Steine oder lokale Bereiche versagen können. Durch die Einführung eines Modelfaktors wird die Erdruckbeanspruchung im Erdbebenfall nach der Methode von Mononobe- Okabe an die dynamische FE-Berechnung mit dem topographischen Verstärkungsfaktor 1,70 an die exponierte Lage angepasst. Abbildung 7: Planauszug Bodennägel und Nadeln [EHS] Aus der dynamischen Berechnung gehen die Ankerkräfte hervor. Da es nach dem analytischen Rechenmodell im unteren Wandbereich zu Überschreitungen der Mauerwerksfuge kommt, werden die Ankerkräfte in einem iterativen Verfahren so lange erhöht, bis der Schubnachweis erfüllt ist. Neben dem Austausch und der Erneuerung des Fugenmaterials, von gebrochenem und verwittertem Gestein, sowie der Hohlraumverfüllung werden zusätzliche Maßnahmen durchführt, um im Erdbebenfall die Brüstung zu sichern. Das Bauteil wird dabei so bemessen, dass die Brüstung als Einheit standsicher bleibt. Teilbereiche können im Erdbebenfall beschädigt werden. Hierzu werden die Abdecksteine über Schubdollen gekoppelt. Zur Verteilung der Schubkräfte in der Lagerfuge wird eine Mauerwerksbewehrung eingemörtelt. Die statische Untersuchung zeigt, dass zusätzlich vertikale Nadeln eingebunden werden müssen. Abbildung 8: Detail Brüstung [EHS] Insgesamt werden im Zuge der Genehmigungsplanung nachfolgende Nachweise erforderlich: Nachweise Brüstung: - Nachweis Scheibenschub - Nachweis Schubdruckversagen - Nachweis Fugenversagen durch Kippen von Einzelsteinen - Nachweis Plattenschub - Biegenachweis senkrecht zur Scheibenrichtung - Kombinierte Biegenachweise Nachweise Stützmauern BAI.1: - Querkraftnachweis (Gleitnachweis) - Scheibenschub - Schubdruckversagen (Plattenschub) - Fugenversagen durch Kippen der Einzelsteine - Biegenachweis senkrecht zur Scheibenrichtung - Kombinierter Biegenachweis - Nachweis der Verankerung der Erdnägel - Spannungsnachweis - Grundbruchnachweis - Nachweis der Vernadelung 66 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer 5. Ausführung / Baumaßnahmen Aufbauend auf den zur Ausführung freigegebenen Planunterlagen wird der tatsächliche Schaden und die daraus resultierenden Maßnahmen zu Beginn der Baumaßnahmen 2019 steingenau dokumentiert. Abbildung 9: Maßnahmenskizze [Zedler Baugesellschaft mbH] Planmäßig werden die unterschiedlichen Maßnahmen anhand der folgenden Schritte durchgeführt. - Angulatsandsteine demontieren in der Lage der Erdnägel - Erdnägel erstellen und verschließen der Ankerstellen - Ausräumen der Fugen - Verwitterte und beschädigte Steine demontieren - Kalksteine ersetzen mit entsprechender Verfugung - Angulatensandsteine wieder montieren bzw. neu aufmauern mit entsprechenden Fugen, außer Steine die die Erdnägel verdecken - Benetzen der gesamten Oberfläche mit Wasser; - Hohlräume mit Mörtel verfüllen - Fugenmörtel ersetzen - Vernadelung erstellen Die neuen Steine (Angulatensansteine) werden aus dem privaten Steinbruch Grosselfingen gefördert. Diese werden im Steinbruch grob bearbeitet und auf die Baustelle gebracht. Bereiche mit einer Schalenablösung > 0,20m (starke Schalenablösungsbereiche) werden abschnittsweise neu aufgemauert. Stark beschädigte bzw. stark verwitterte Brüstungsabschnitte werden ebenfalls neu aufgebaut. Bei der Neuaufmauerung werden Form- und Ziersteine nummeriert und an der entnommenen Stelle wiedereingesetzt. Bei dem Steinaustausch achtet man darauf, dass sich für die Lastweiterleitung eine Gewölbewirkung ausbilden kann. Voraussetzung dafür ist eine störungsarme Umgebung des umliegenden Mauerwerks, um den Gewölbeschub aufnehmen zu können. Der Steinaustausch in Randbereichen erfolgt mit Hilfe zusätzlicher Stützmaßnahmen. Die neuen Mauerabschnitte werden so versetzt, dass sie einen kraftschlüssigen Verbund mit dem umgehenden Mauerwerk eingehen. Die Gesteine werden so bearbeitet, dass sie in das Gesamtbild passen. Die Steinbearbeitung erfolgt anhand der mit dem LAD abgestimmten vorhandenen Mustersteine. Abbildung 10: Einbauzustand [Foto: EHS] Abbildung 11: Endzustand [Foto EHS] Der Mörtel muss auf der ganzen Tiefe der Fugen ggf. mehrlagig mit Spachtel bzw. Handmörtelpumpe/ Mörtelspritze appliziert werden. Bereiche mit sehr beschädigten Steinen, die ausgetauscht werden müssen, werden vor dem Versetzen mit einem Wasserfilm benetzt. Hohlräume werden mit handappliziertem Mörtel wieder gefüllt. Zum Einsatz für die Neuverfugung kommt ein portlandzementfreier Fugenmörtel auf Kalkbasis der Mörtelklasse M5 nach DIN EN 998-2 in Verbindung mit DIN V 20000-412 und DIN V 18580 (Mörtelgruppe IIa DIN 1996-1-1/ NA). Mit dem portlandzementfreien Bindemittel werden Fugendruckfestigkeiten von ca. 5 - 8 MPa erreicht. Die Farbe und Körnung werden entsprechend dem historischen Bestand gewählt und mit dem LAD abgestimmt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 67 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Für die Herstellung einer form- und kraftschlüssigen Verbindung zwischen den Schalen der Festungsmauer finden Vernadelungen Verwendung. Sie bestehen aus einem Nadelanker aus Edelstahl Ø 12 mm, der mit einem zementhaltigen Mörtel eingesetzt wird. Für die Bodennägel wird das System für Permanentnagel mit einem Durchmesser von 28 mm ausgewählt. Die Materialien, der Einbau sowie die Prüfung des Permanentnagels werden überwacht. Im Zuge der Baumaßnahme kommt es im Bereich der Wand FK01zu einer Abweichung in der Bauabfolge auf Grund unvorhergesehener, flächiger Schalenablösungen. Hierzu müssen kurzfristig Sicherungsmaßnahmen im Mauerwerksverband durchgeführt werden. Da in diesen Bereichen auch die hintere Wandschale an Kompaktheit verloren hat, wird auf Grundlage der neuen Erkenntnis zusätzlicher Planungs- und Genehmigungsaufwand inklusive dem Abstimmungsprozess (zuzüglich Variantenuntersuchungen) im Sinne der denkmalschutzrechtlichen Genehmigung erforderlich. Es wird sich darauf geeinigt eine Spitzbetonsiche-rungsmaßnahme durchzuführen. Abbildung 12: Spritzbetonsicherungsarbeiten [Foto: EHS] 6. Ausblick Die Arbeiten am Bauabschnitt I.1 werden im Jahr 2021 abgeschlossen. Es folgen die Bauanschnitte I.2 bis I.5 im Jahreszyklus. Die Planungen für die kommenden Bauabschnitte laufen bereits. Literaturangaben [1] Kayser, Christian: Burg Hohenzollern, Ein Jahrtausend Baugeschichte, Südverlag 2017 [2] Bothe, Rolf: Burg Hohenzollern. Von der mittelalterlichen Burg zum nationaldynastischen Denkmal im 19. Jahrhundert. Berlin 1979 [3] BHZ, Bestimmung Mauerdicke mittels Bauradar, GGU, 08/ 2018 [4] Geotechnischer Bericht S&P, 08/ 2018 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 69 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Michael Auras Institut für Steinkonservierung e. V., Mainz Zusammenfassung Die Mikwe von Worms wurde im späten 12. Jahrhundert erbaut und ähnelt bezüglich ihrer Konstruktion einem viereckigen unterirdischen Turm. Auf seinem Boden sickert Grundwasser durch die Wände und füllt ein Wasserbecken, das früher als rituelles Bad genutzt wurde. Nach Perioden mangelnder Wartung, Zweckentfremdung und Vandalismus ist das Bauwerk heute durch ungünstige Bedingungen wie Destabilisierung des Mauerwerks, hohe Luftfeuchtigkeit, hohen Salzgehalt des Mauerwerks, starke Schwankungen des Raumklimas und intensives Wachstum von Schimmel und Algen gekennzeichnet. Diese Parameter haben zu schweren Schäden an Stein, Kalkputz und Mauerwerk geführt. Dennoch haben sich Reste der originalen Baudekoration erhalten. Neben bildhauerisch bearbeiteten Sandsteinelementen sind einige Überreste des ursprünglichen Putzes erkennbar. Nach einer sorgfältigen Untersuchung der Baukonstruktion, der Baumaterialien und der multiplen Schadensprozesse wurde ein Konservierungskonzept entworfen und durch Erprobungen an Musterflächen verfeinert. Dabei galt es Methoden sowohl zur statisch-konstruktiven Sicherung des Bauwerks als auch zur restauratorischen Sicherung der Wandoberflächen und ihrer Befunde zu finden. 1. Einführung Die Mikwe von Worms wurde bis zum frühen 19. Jahrhundert rituell genutzt. Anschließend wurde sie zeitweilig als Abwasserschacht missbraucht und schließlich wieder freigelegt und gereinigt. 1938 und 1942 wurde sie durch Vandalismus zerstört. In den späten 1950er Jahren erfolgten Reparaturmaßnahmen (Angaben zur Bau- und Restaurierungsgeschichte nach Kayser 2019). Die Wormser Mikwe ist ein wichtiger Teil des mittelalterlichen jüdischen Erbes in Deutschland. Sie ist zusammen mit anderen Denkmälern der SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz für die Anerkennung als UNESCO- Welterbe nominiert. Das gesamte Bauwerk liegt unter der Erdoberfläche, und etwa 8 m unter Geländeniveau befindet sich ein Wasserbecken, das vom Grundwasser gespeist wird. Das Bauwerk ist gliedert in obere Treppe, Vorraum, untere Treppe und den Badeschacht, an dessen Sohle sich das Badebecken befindet. Grundriss und Querschnitt geben die Konstruktionsweise wieder (Abb. 1). Das Bauwerk ist hauptsächlich aus regionalem rotem Buntsandstein errichtet. Für die dekorativen Elemente im Vorraum wurde gelbbrauner, tonig-ferritisch gebundener Sandstein des Unterrotliegend verwendet. Für die Gewölbe wurde teilweise ein poröser Kalksinterstein unbekannter Herkunft benutzt. Die Erhaltung von Resten des Originalputzes einschließlich gestalteter Oberfläche in einer mittelalterlichen Mikwe ist in Deutschland einzigartig. An einem Bogen im Vorraum befindet sich ein Putz mit spezieller Fugenritzung, einer sogenannten pietra rasa, wie sie für die Romanik typisch ist. Die pietra rasa wird durch Ritzung in den frischen, noch weichen Putz hergestellt und imitiert die Fugen einer regelmäßigen Steinquaderung. Als Mauer- und Putzmörtel wurde Kalkmörtel verwendet. Das Kalkbindemittel enthält geringe Mengen an hydraulischen Komponenten, aber keine dolomitischen Anteile. Es ist anzunehmen, dass als Rohstoff zur Bindemittelproduktion eines der nahegelegenen Vorkommen von tertiärem Kalkstein genutzt wurde. Als Zuschlagstoffe wurden Sand und Kies aus dem Rhein verwendet. In den 1950er Jahren wurden als Reparaturmaterialien gelbgebrannte Ziegelsteine sowie Zementmörtel und Beton eingebaut. Die Reparaturmörtel und Betone enthalten als Bindemittel einen alkalireichen Zement. 70 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Abb. 1: Die bauliche Anlage der Mikwe Worms in Grundriss und Querschnitt in N-S-Richtung (aus Kayser 2019) 2. Schadensphänomene Als Hauptprobleme des Bauwerks sind die Destabilisierung des Mauerwerks, die schädigende Wirkung löslicher Salze und ein intensives Wachstum von Grünalgen und Schimmelpilzen zu nennen. All diese Probleme lassen sich auf die Wirkung von Wasser in Kombination mit anderen Parametern zurückführen. Im mittleren und unteren Teil des Badeschachtes ist das Kalkbindemittel aus dem Setzmörtel des Mauerwerks ausgewaschen worden. Ursache hierfür ist Niederschlagswasser, das im überdeckenden Boden versickert und in das Mauerwerk eingedrungen ist (Abb. 2). Die Auswaschung des Kalkbindemittels aus den Fugen hat einerseits zur Destabilisierung des Mauerwerks geführt (Maus 2019), andererseits zur Bildung mehrlagiger Kalksinterkrusten auf den Oberflächen von Putz und Stein. Diese Kalksinterkrusten sind teilweise von Mikroorganismen durchwachsen und können mehrere Millimeter dick werden. Abb. 2: Schematische Darstellung des Eindringens von Niederschlagswasser (blau) in die Konstruktion (Querschnitt Ost-West). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 71 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Die wenigen erhaltenen, aus Sandstein gearbeiteten Bauzierelemente im Vorraum sind extrem geschädigt. Auch der Putz ist weitestgehend verloren und seine letzten Reste sind destabilisiert und lösen sich von der Wand. Putzreste und Sandsteinoberflächen sind gleichermaßen von schwarzen Krusten aus Gips, Schmutz und Resten von mikrobiologischem Material bedeckt. Andere Sandsteinoberflächen weisen aufgrund der Anwesenheit von löslichen Salzen ein intensives Absanden auf. Die Wandoberflächen sind durch mikrobiologischen Bewuchs mit Schimmelpilzen und, wo sie dem Licht ausgesetzt sind, mit Grünalgen und untergeordnet mit Cyanobakterien gekennzeichnet. Die Ursachen der Schäden sind vielfältig und es besteht dringender Bedarf einer Konservierung. Betrachtet man jedoch die verschiedenen Faktoren, die Einfluss auf die Raumschale der Mikwe nehmen, so wird ein recht komplexes System erkennbar (Abb. 3). Die Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren verdeutlicht, dass jede Einzelmaßnahme sorgfältig abzuwägen ist, da jeder Eingriff in dieses System Auswirkungen auf weitere Faktoren hat. Abb. 3: Einflussfaktoren und Wechselwirkungen in der Raumschale der Mikwe 3. Bauschädliche Salze In den Baustoffen der Mikwe sind verschiedenste wasserlösliche, bauschädliche Salze zu finden, die auf unterschiedliche Herkunftsquellen wie Luftschadstoffe (Gipsbildung), zeitweilige Zweckentfremdung (Abwasserschacht -> Nitrate), ungeeignete Reparaturmaterialien (Alkali- und Sulfationen aus Zement) und den permanenten Feuchteeintrag über das Erdreich (Nitrate) zurückzuführen sind. Dadurch liegen in den verschiedenen Bauteilen der Mikwe sehr unterschiedliche Salzbelastungen vor, die auf Änderungen des Raumklimas sehr unterschiedlich mit Lösungs- und Kristallisationsprozessen reagieren. Eine Unterbindung der Kristallisationsprozesse durch eine Stabilisierung des Raumklimas wäre nur bei sehr hohen relativen Luftfeuchten erfolgversprechend. 4. Belastung durch mikrobiologische Besiedlung Die meisten Oberflächen der Mikwe sind mit einem mikrobiologischen Film bedeckt. Derartige Biofilme beeinflussen sowohl das Erscheinungsbild des Rauminneren, weisen aber auch ein Schadenspotential auf (Petersen 2014). Darüber hinaus können sie je nach den in und auf diesen Biofilmen lebenden Arten schädliche Auswirkungen auf die Besucher haben. Daher wurden die Arten und die Aktivitäten der auf den Wandoberflächen lebenden Mikroorganismen ebenso bestimmt wie die Anzahl der Luftkeime (Fritz et al., 2019). Die erste Untersuchung der Raumluft zeigte eine Zunahme der Luftkeime im Vergleich zur Situation im Freien. Um die Auswirkungen auf Raumklima und Salzkristallisation zu prüfen, wurde während einer mehrmonatigen Testperiode die Eingangstür der Mikwe geschlossen und abgedichtet. Ziel war eine Stabilisierung des Raumklimas, eine Maßnahme, die in der Mikwe Friedberg vor ca. 20 Jahren erfolgreich umgesetzt wurde. Da während dieser Testperiode die Menge an Luftkeimen in der Mikwe Worms um ein Vielfaches anstieg, wurde die Tür wieder durch die alte Gittertür ersetzt. Durch die Rückkehr zu den vorherigen Bedingungen wurde die Durchlüftung der Mikwe wesentlich intensiviert und die Luftkeimbelastung sank umgehend auf das Niveau der Außenluft ab (Abb. 4). 72 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Fig. 4: Luftkeime, kultiviert auf Malzextrakt Agar, in den Mikwen von Friedberg und Worms. (Daten: Fritz et al. 2019) Neben seinen ästhetischen und substanzschädigenden Auswirkungen behindert der mikrobiologische Film auf den Baustoffoberflächen notwendige Konservierungsmaßnahmen und muss daher entfernt werden. Da es sich bei der Mikwe um einen religiösen Ort des Lebens handelt, sollte der Einsatz von chemischen Bioziden, die in den Baumaterialien verbleiben, vermieden werden. Andere Methoden zur Reduzierung des Algenwachstums wurden erprobt: - Desinfektion der Oberflächen durch UV-C-Strahlung, - die Verwendung von grünem Licht, um die Fähigkeit der Algen zur Photosynthese zu reduzieren, - Reduzierung des mikrobiellen Wachstums durch photokatalytisch aktives Titandioxid. Eine einmalige Desinfektion der Oberflächen ist als Voraussetzung für die Reinigung der Oberflächen einschließlich der Entfernung von Biofilmen notwendig. Getestet wurde eine Desinfektion durch UV-C-Strahlung. Während der Test auf einer Steinoberfläche zu guten Ergebnissen führte, funktionierte ein weiterer Test auf Putz nicht zufriedenstellend. Hier ist der Biofilm tiefer in das Mikrogefüge des Putzes und in die unregelmäßige Topographie seiner geschädigten Oberfläche eingewachsen. Weitere Tests zur Entfernung von Algen aus dem Putz sind notwendig. Die in der Mikwe vorkommenden Algenarten wurden im Labor kultiviert, um die Effizienz von grünem Licht zur Reduzierung des Grünalgenbewuchses zu überprüfen. Der Grundgedanke ist die wellenlängenabhängige Wirksamkeit von Chlorophyll und anderen Pigmenten bei der Photosynthese (Abb. 5). Sie zeigt ein Absorptionsminimum im grüngelben Bereich. Dementsprechend wurde eine monochromatische LED mit einer Wellenlänge im Bereich 525/ 550 nm für die Labor- und in situ- Versuche ausgewählt. Die Chlorophyllproduktion wurde bei Bestrahlung mit grünem Licht, sowie bei Tageslicht und bei Dunkelheit gemessen. Während konstantes Tageslicht die Produktion bis zu einem Maximum steigert und völlige Dunkelheit sie fast vollständig verhindert, reduzieren konstantes grünes Licht und abwechselnde Zyklen von grünem Licht und Dunkelheit die Produktion von Chlorophyll auf etwa 44 bzw. 19 % (Fritz et al. 2019). Ein signifikanter Effekt der Beleuchtung auf das Wachstum von Schimmelpilzen wurde nicht beobachtet. Daher wird eine Kombination aus einer Notbeleuchtung mit schwachem grünem Licht (Dauerlicht) und einer über Bewegungssensoren gesteuerten, nur temporär für den Besucherverkehr eingeschalteten weißen LED-Beleuchtung als praktikabler Ansatz für die künftige Beleuchtung der Mikwe angesehen. Dies wird das Algenwachstum reduzieren und gleichzeitig den Zugang für Besucher ermöglichen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 73 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Abb. 5: Wellenlängenabhängige Lichtabsorption von Chlorophyll und Karotinoiden 1 Um eine Wiederbesiedlung nach der Desinfektion zu verhindern, wurden Tests mit photokatalytisch aktivem Titanoxid (TiO 2 ) durchgeführt (Skasa-Lindermeir & Wendler 2019). Zur Aktivierung des TiO2 wurde ein Jahr lang eine UV-A-Lampe für 12 Stunden täglich während der Nachstunden eingeschaltet. Die Wirkung auf Grünalgen wurde durch die Messung der Fluoreszenz von Chlorophyll als Indikator für den Aktivitätsgrad der Photosynthese kontrolliert. In einigen Musterflächen wurde innerhalb der einjährigen Bestrahlung nach einem Jahr fast keine Wirkung auf die Photosyntheseaktivität gemessen. Jedoch wurde in Testflächen, die sehr nahe an der UV-Lampe lagen, eine starke Abnahme der Fluoreszenz beobachtet. Daraus kann geschlossen werden, dass die Intensität der UV-A-Strahlung für Testflächen in einem Abstand von ca. 1,5 m von der Lampe zu gering war, während das System bei Distanzen von ca. 0,2 m sehr gut funktionierte. Hier konnte die Photosyntheseaktivität nahezu vollständig unterbunden werden. Daraus ist zu folgern, dass für die Anwendung eines solchen Systems im Gebäudeinneren UV-A-Lampen mit höherer Strahlungsleistung benötigt werden. 1 Quelle: Cooke, S.J. on https: / / socratic.org/ questions/ how-does-lightfrequency-affect-the-rate-of-photosynthesis 5. Raumklima Das Raumklima wurde zwei Jahre lang an verschiedenen Orten innerhalb und außerhalb der Mikwe Worms gemessen. Die Ergebnisse zeigen sehr ungünstige Bedingungen: Im unteren Teil des Badeschachtes und im unteren Treppenabgang ist das Raumklima durch hohe Luftfeuchtigkeit und geringe Luftströmungen gekennzeichnet. Hingegen herrschen im Vorraum und im oberen Teil des Badeschachtes intensive Klimaschwankungen aufgrund der starken Luftströmung zwischen der Gittertür im oberen Treppenabgang und dem Lüftungsschacht in der Kuppel. Entsprechend dieser Situation sind die Wandflächen im oberen Teil des Bauwerks besonders häufigen Salzkristallisations-/ Lösungs- und Dehydratations-/ Hydratationsprozessen ausgesetzt. Vergleichsmessungen wurden in anderen mittelalterlichen Mikwen von vergleichbarer Größe, aber unterschiedlichem Raumklimamanagement durchgeführt (Abb. 6): - Die Mikwe von Speyer ist in konstruktiver Hinsicht der Wormser Mikwe sehr ähnlich. Sie ist etwas älter und größer als ihr Wormser Pendant und kann als dessen Vorbild angesehen werden. Im Gegensatz zu Worms wurde über dem Bauwerk ein Schutzdach errichtet, um das Eindringen von Regenwasser in das Mauerwerk zu verhindern. Das Raumklima variiert wie in Worms sehr stark, die relative Luftfeuchte liegt jedoch aufgrund des Schutzbaus im Mittel deutlich niedriger als in Worms. - In der Mikwe von Friedberg hingegen bleibt die Eingangstür jedoch meist geschlossen und die Belüftung ist auf ein Minimum reduziert. Folglich ist hier das Raumklima sehr stabil und dauerfeucht (Abb. 6). - Ein Besuch in der Mikwe von Andernach ergab, dass hier das Raumklima im unteren Teil des Bauwerks von einem Lüftungssystem abhängt, das nicht zur Regulierung der Luftfeuchtigkeit oder Temperatur, sondern zur Reduzierung der CO2-Konzentration in der Raumluft installiert wurde. Andernach liegt in einer Region mit hohen CO2-Emissionen aus dem Boden, die durch die frühere vulkanische Tätigkeit verursacht werden. Ein ähnliches Lüftungssystem wie in Andernach könnte eine Lösung für die Raumklimaprobleme in Worms darstellen. Sie erfordert jedoch die Installation von technischen Geräten und einer Schleuse am Eingang. Beide Elemente sind im Hinblick auf die Integrität des Bauwerks nicht unproblematisch. 74 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Abb.6: Streuung der relativen Luftfeuchtigkeit in den Mikwen Worms und Friedberg, jeweils oben und unten gemessen, bei einjähriger Messung (Daten: Hahn & Pischke 2019) 6. Konservierung von Putz und Stein Die originalen Putzoberflächen sind zum großen Teil mit schwarzen Gipskrusten bedeckt. Zur Reduzierung dieser Krusten wurden Arbeitsproben mit verschiedenen Laser-Reinigungsgeräten angelegt. Letztlich wurde für eine größere Musterfläche ein Nd-YAG-Laser eingesetzt (Abb. 7). Während die ästhetische Verbesserung offensichtlich ist, wurde der Gipsgehalt nicht vollständig entfernt. Dies wurde durch Untersuchungen mittels Lichtmikroskopie und mobiler Röntgenfluoreszenzanalyse und Ramanspektrometer nachgewiesen (Abb. 8). Abb. 7: Zwischenstadium bei der Laserreinigung des mittelalterlichen Putzes mittels Lasergerät (Aufnahme K. Keller). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 75 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Abb. 8: Nachweis von Gips auf Putzoberfläche nach Laserreinigung: a) Die lichtmikroskopische Untersuchung am Dünnschliffpräparat zeigt eine auf ca. 50 µm ausgedünnte Gipsschicht auf dem Putz, Aufnahme bei gekreuzten Polarisatoren (M. Auras). b): Raman-Spektren, aufgenommen an gereinigten und ungereinigten Putzoberflächen (Paz 2 ). 2 Aus: Zerstörungsfreie Materialanalysen zum Nachweis von Gips auf gereinigten und ungereinigten Putz- und Steinoberflächen in der Mikwe in Worms mittels mobiler Röntgenfluoreszenz- und ramanspektroskopischer Methoden. Untersuchungsbericht (unveröff.). Paz Laboratorien für Archäometrie, Bad Kreuznach, 22.10.2019. Mit dem Lasergerät wurden neben dem Putz auch die skulptierten Oberflächen der steinernen Bauzier gereinigt und von schwarzen Krusten befreit. Reinigungsversuche am Mauerwerk zeigten, dass eine sorgfältige Reinigung mit Bürsten und Staubsauger ausreicht. Ziel ist, losen Schmutz vom Mauerwerk zu entfernen, aber die Patina der geschwärzten Wände zumindest teilweise zu erhalten. Der Putz wurde mit so genanntem Nanokalk, einer Dispersion von sehr kleinen Calciumhydroxid-Partikeln in Ethanol gefestigt. Die Ränder der Putzschollen wurden mit baustellengemischtem Mörtel auf der Basis von natürlichem hydraulischem Kalk angeböscht. Zur Festigung von Sandstein kam Kieselsäureester zum Einsatz. Die Oberflächen von Zementmörtel und Beton wurden zurückgearbeitet und durch einen ästhetisch ansprechenden Kalkmörtel ersetzt. Er soll im Lauf der Zeit lösliche Salze aus dem Zement aufnehmen und somit als Opferschicht wirken. 7. Statische Ertüchtigung Die Tragwerksuntersuchungen sowie das Konzept zur statischen Ertüchtigung wurden durch das Büro Barthel & Maus, München, erarbeitet (Maus 2019). Die Tragfähigkeitsprobleme der Mikwe sind zweierlei: - Ein größerer Mauerwerksausbruch an der Einmündung der unteren Treppe in den Badeschacht und - eine großflächige Destabilisierung des Mauerwerks im unteren und mittleren Abschnitt des Badeschachtes. Zur Sicherung des beginnenden Mauerausbruchs wurden temporäre Sprießen eingebaut, später ist eine Sicherung durch Vernadelung und Mörtelinjektion oder durch partiellen Rückbau und Neuaufmauerung geplant. 76 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Das zweite Problem ist durch Niederschlagswasser verursacht, dass über der Mikwe versickert und sich seinen Weg durch das Mauerwerk sucht. Dabei wurden die Kalkbindemittel ausgewaschen, wodurch sich die innere Mauerschale vom Mauerkern gelöst hat. In den Fugen der inneren Schale findet sich statt Mörtel nur Sand und tonig-humöses, aus dem Erdreich eingeschwemmtes Material. Eine Mörtelinjektion in die derart gefüllten Fugen war nicht sinnvoll, weil der Mörtel nicht am Stein angebunden hätte. Daher musste das tonig-humöse Material erst ausgewaschen werden, bevor Mörtel injiziert werden konnte. Anhand von Musterflächen wurde ermittelt, wie das Auswaschen mit rotierenden Hochdruckwasserstrahldüsen bewerkstelligt werden kann, bevor Mörtelinjektionen erfolgen. Verschiedene Mörtel wurden zur Nachverfugung und zur Mörtelinjektion getestet. Aufgrund der Ergebnisse kann mit Mörteln auf Basis natürlich hydraulischen Kalks oder Romanzementes verfugt werden. Für die Injektion wird ein Mörtel auf Romanzementbasis empfohlen. 8. Schlussfolgerungen Unter den Bedingungen eines unterirdischen historischen Bades sind die konservatorischen Probleme vielfältig und die Lösungsansätze manchmal widersprüchlich. So wäre es beispielsweise sinnvoll, das Raumklima auf einem Niveau hoher Luftfeuchtigkeit zu stabilisieren, um die Häufigkeit von Salzkristallisationsprozessen zu reduzieren. Doch bei diesem Klima steigt die Zahl der Luftkeime exponentiell an, was ein potenzielles Gesundheitsrisiko für die Besucher darstellt. Daher muss jede Intervention sehr sorgfältig erwogen und überwacht werden. Ansätze für einige der Probleme konnten im Projekt entwickelt werden, andere müssen weiter untersucht und vertieft werden. Eine Abdichtung der Bodenoberfläche über der Mikwe ist in Planung, um das weitere Eindringen von Regenwasser zu verhindern. Das Raumklima könnte höchstwahrscheinlich durch die Entwicklung eines maßgeschneiderten Belüftungssystems stabilisiert werden, aber zunächst müssen die technischen und ästhetischen Aspekte eines solchen Systems sorgfältig bewertet und abgewogen werden. Das mikrobielle Wachstum von Algen und Schimmelpilzen kann durch ein anderes Beleuchtungssystem und durch die photokatalytische Wirkung von Titandioxid reduziert werden. Es fehlt jedoch noch eine Methode zur effektiven Grunddesinfektion von Putz, die den Einsatz chemischer Biozide vermeidet. Für die meisten der notwendigen Konservierungsschritte wurden geeignete Methoden und Mittel erfolgreich getestet. Es bestehen jedoch weitere Defizite wie die im Putz verbliebenen Gipsgehalte und die noch unzureichende Extraktion von löslichen Salzen aus den Sandstein-Zierelementen. Auch für die Behebung der Tragfähigkeitsprobleme wurden Lösungen entwickelt und es steht zu hoffen, dass die statische Sicherung in Kürze erfolgt. Zu manchen Detailfragen sind jedoch weitere Untersuchungen und Verfahrenserprobungen notwendig, um die hier dargestellten Konservierungsansätze zu optimieren und dabei den hohen und teils widersprüchlichen Anforderungen dieses wichtigen Zeugnisses des früheren jüdischen Lebens und Glaubens in Deutschland gerecht zu werden. 9. Schlussbemerkung Der vorliegende Artikel fasst die wichtigsten Arbeitsergebnisse aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt zusammen. Eine ausführliche Version ist in gedruckter Version erhältlich beim Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, als IFS-Bericht Nr. 58 (2019), s. https: / / ifs-mainz.de/ veroeffentlichungen/ ifs-berichte. 10. Dank Der Autor dankt der Jüdischen Gemeinde Mainz für die Genehmigung zur Untersuchung der Mikwe, der Projektgruppe, den Kolleginnen und Kollegen der beteiligten kommunalen und Landeseinrichtungen sowie des Architekturbüros Hamm für mannigfaltige Unterstützung. Ebenso gilt mein Dank den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die unsere Recherchearbeiten zur baulichen Situation anderer mittelalterlicher Mikwen unterstützten. Besonderen Dank der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für die Projektförderung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 77 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Literatur [1] Fritz, U.M., Medić, K., Gehrmann-Janssen, C., Petersen, K. (2019): Untersuchungen zur mikrobiellen Belastung der Mikwe. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS- Bericht 58: 49-59. [2] Kayser C. (2019): „Einen Brunnen grub er, führte auf das Gewölbe….“ - Bauforschung an der Mikwe von Worms. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS-Bericht 58: 7-33. [3] Keller, K., Brakebusch, C. (2019): Notsicherung der Wandputze und Arbeitsproben zur Konservierung der Putz- und Steinoberflächen. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS-Bericht 58: 43-48 [4] Maus H. (2019): Die statisch-konstruktive Instandsetzung. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS-Bericht 58: 35-42. [5] Petersen K. (2014): Mikrobiologische Materialschädigung an Naturstein und Vorgehensweise zu deren Beseitigung. In: Patitz, G., Grassegger, G., Wölbert, O. (Eds.): Natursteinbauwerke, Untersuchen-Bewerten-Instandsetzen. Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, S.175-182. [6] Skasa-Lindermeir, B. & Wendler, E. (2019): Anwendung von photokatalytisch wirksamen Titandioxid als Prophylaxe gegen mikrobiellen Befall von Naturstein und Putz in der Mikwe in Worms. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS-Bericht 58: 61-78. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 79 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms Jörg Harnisch FH Münster, Münster, Deutschland Zusammenfassung Der Baumberger Sandstein ist ein im Münsterland häufig anzutreffender Naturwerkstein, welcher in der Vergangenheit aufgrund seiner guten Bearbeitbarkeit häufig verbaut wurde. Aufgrund seiner beschränkten Witterungsbeständigkeit wird er heutzutage jedoch kaum noch planmäßig für Außenbauteile eingesetzt. Im Denkmalschutz jedoch kommt diese Gesteinsart jedoch noch häufig zum Einsatz. So auch im Südturm des Münsteraner Paulus Doms, welcher in den Jahren 2002 - 2004 umfassend restauriert wurde. Hierbei fand in stark geschädigten Bereichen der Austausch ganzer Mauersteine statt, welche basierend auf umfangreiche Voruntersuchungen ausgewählt wurden. Um die thermischen und hygrischen Belastungen dieser Steine im Nachgang der Restaurierung erfassen zu können, wurden ausgewählte Werksteine mit Multiring-Sensoren sowie Temperatursensoren ausgestattet, welche seit nun rd. 14 Jahren tiefengstaffelte Daten über den elektrischen Widerstand als auch Temperaturen liefern. Diese werden im Rahmen dieses Beitrages ausgewertet und interpretiert. Dabei zeigt sich, dass es aufgrund des individuellen Zusammenspiels von Sonneneinstrahlung, Lufttemperatur, Windrichtung und Beregnung innerhalb eines Jahres zu großen Messwertunterschieden zwischen den Sensorpositionen kommt. Aber auch für die individuelle Sensorposition werden starke Messwertschwankungen über die Jahre hinweg beobachtet. In Bezug auf den elektrischen Widerstand und damit dem Wassergehalt der Steine, kann eine aktive Randzone von rd. 3 cm ermittelt werden, die stark auf Bewitterungsereignisse reagiert. Für die Sommermonate im Messezeitraum kann ein genereller Anstieg der Widerstände und damit eine Austrocknung der Steine an den südlichen und südwestlichen Fassadenausrichtungen festgestellt werden, was auf die zunehmend sonnenreichen und trockenen Sommer zurückgeführt wird. Aufgrund der spezifischen Verhältnisse am Turm können sich in den Sommermonaten im Südwesten die stärksten Wassergehaltsgradienten ausbilden. Anhand von rechnerischen Abschätzungen kann gezeigt werden, dass diese das Potential besitzen den Stein über die Zeit zu schädigen. In den Wintermonaten dagegen vergleichmäßigt sich der Wassergehalt über die Steintiefe und fällt für alle Sensorpositionen vergleichbar aus. Die Analyse der thermischen Verhältnisse zeigt, dass sich im Südwesten des Turmes die größten Temperaturunterschiede einstellen. So müssen die Werksteine im Tagesgang Temperaturdifferenzen von bis zu 20 K, im Monatsgang von bis zu 35 K und über den gesamten Messzeitraum von 65 K ertragen. Anhand der tiefengestaffelten Temperaturwerte kann jedoch gezeigt werden, dass aus der Temperaturbeanspruchung alleine kein ausgeprägtes Schädigungspotential zu erwarten ist, sie jedoch die hygrisch induzierten Zwangsspannungen intensivieren kann. 1. Einleitung Der heutige Paulus-Dom zu Münster wurde in den Jahren 1225 bis 1264 errichtet und besteht im Wesentlichen aus dem romanischen Westwerk und einer Reihe von Anbauten, von denen bedeutende Teile der Gotik zuzuordnen sind. Im zweiten Weltkrieg wurde der Dom stark beschädigt. Das Westportal sowie der Südturm wurden dabei völlig zerstört. Während das Westportal nicht wiederhergestellt wurde, wurden die beiden prägnanten Türme des Doms wieder vollständig rekonstruiert. Verwendet wurden hierzu vor allem Baumberger (Kalk-)Sandsteine sowie Altenberger Schalenkalke. Beide Gesteine gelten als gut bearbeitbar, sind jedoch aufgrund ihres hohen Kalkanteils verwitterungsanfällig. Nach ca. 40 Jahren Standzeit machten herabfallende Steinverwitterungsstücke deutlich, dass eine erneute Restaurierung der Natursteinfassade aus Sicherheitsgründen unumgänglich war. Bei den Restaurierungsarbeiten ab 2002 wurde ersichtlich, dass es an den Turmfassaden zu großflächigen Verwitterungsschäden, aber auch zu lokal ausgeprägten Verwitterungen einzelner Steine gekommen war. Letztere wurden vollständig durch neue Steine 80 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms ersetzt. In Voruntersuchungen durch ein An-Institut der FH Münster wurde festgestellt, dass hygrische und thermische Verformungskenngrößen einen Steinersatz durch Baumberger Sandstein zulassen, vgl. Tabelle 1. Nach Vollendung der steinmetzmäßigen Fassadenrestaurierung wurde bewusst auf weitere Schutzmaßnahmen verzichtet, um die typische Optik der Fassaden zu erhalten. Da der verwendete Baumberger Sandstein aus den Werken Dirks und Fark aus Havixbeck und Billerbeck ebenfalls als verwitterungsanfällig gilt, wurden 2004 in Kooperation mit der FH Münster am Südturm des Doms ausgewählte Werksteine vor dem Einbau mit Temperatur- und Widerstandssensoren instrumentiert, um Informationen über die hygrischen und thermischen Verhältnisse in den Fassadensteinen zu erhalten. Thermische und hygrische Verformungsunterschiede über den Steinquerschnitt und die damit verbundenen Zwangsspannungen werden als maßgeblich für die graduelle Zerstörung des Natursteingefüges angesehen. Insbesondere für die Entwicklung zukünftiger Instandhaltungskonzepte spielen thermische und hygrische Informationen eine bedeutende Rolle, um technisch sinnvolle Materialentscheidungen (Steinersatz oder Oberflächenbehandlungen) treffen zu können. Vor diesem Hintergrund besteht die Zielsetzung der hier vorgestellten Langzeitstudie darin, die hygrischen und thermischen Verhältnisse im Baumberger Sandstein exponierter Fassadenabschnitte des Südturmes sowohl bei Kurzzeitereignissen, als auch über Jahre hinweg zu erfassen und in Hinblick auf ein mögliches Schädigungspotential für die Instandsetzungsbereiche zu bewerten. Hierzu liegen nun Daten vor, die einen Zeitraum von rd. 14 Jahren abdecken. 2. Materialien und Messtechnik 2.1 Allgemeines Um die angestrebten Messgrößen zu erfassen, wurde auf bewährte Technik zurückgegriffen, die am Institut für Bauforschung der RWTH Aachen, ibac, für den Stahlbetonbereich entwickelt wurde [1]. Diese musste für das vorliegende Projekt auf den Einsatz im Baumberger Sandstein angepasst werden. Nachfolgend wird auf den zu untersuchenden Naturstein und auf die verwendete Messtechnik näher eingegangen. 2.2 Der Baumberger Sandstein Der Baumberger Sandstein ist streng genommen kein Sandstein, sondern vielmehr ein sandhaltiger Kalkstein oder Kalksandstein. Als marine Ablagerung in der Oberkreide entstanden, weist er Kalziumkarbonatgehalte zwischen 50 und 70 M.-% bei Quarzsandgehalten von rd. 16 M.-% auf und gilt geologisch gesehen als junges Sedimentgestein. Aufgrund seiner Verfügbarkeit und guten Abbaubarkeit ist der Baumberger Sandstein ein oft anzutreffender Werkstein im Münsterland, welcher insbesondere durch die Werke des Baumeisters und Architekten Johann Conrad Schlaun in Szene gesetzt wurde. Grundlegende Kennwerte des Natursteins sind in Tabelle 1 zusammengestellt und beruhen auf eigenen Messungen sowie Literaturdaten [2]. Als nachteilig zu bezeichnen ist die mäßige Verwitterungsbeständigkeit des Gesteins [3]. Aus diesem Grunde wird der Baumberger Sandstein heute vornehmlich im Innenbereich eingesetzt. Bei der Restauration von Baudenkmälern, wie hier am Südturm des Paulus-Doms zu Münster, findet er jedoch auch heute noch Anwendung im Außenbereich. Tabelle 1: Kenngrößen des Baumberger Sandsteins Eigenschaft Einheit Wert 1 2 3 Farbe gelblich-braun bis grau Wasseraufnahme, atmosphärisch M.-% rd. 8 Wasseraufnahme unter Druck M.-% rd. 9 Sättigungsgrad rd. 0,8 Quellmaß ‰ 0,37 - 0,78* Schwindmaß ‰ 0,30 - 0,64* Druckfestigkeit N/ mm² 36,7 - 84,1* Biegezugfestigkeit N/ mm² 5,4 - 14,9* Dynamischer E-Modul (trocken) N/ mm² 15.900 - 23.600* Reindichte kg/ dm³ rd. 2,70 Rohdichte kg/ dm³ rd. 2,18 Porosität Vol.-% rd. 23 Temperatur-ausdehnungskoeffizient 1/ K*10-6 4,8 - 9,0* *Eigene Messungen 2.3 Messsystem Sensoren und Positionierung im Werkstein Zur Erfassung von Temperaturen und Widerstandswerten über die Steintiefe wurden so genannte Multitemperatur- Sensoren (MTS) sowie Multiring-Elektroden (MRE) eingesetzt, welche in den 1990er Jahren am ibac für den Stahlbetonbereich entwickelt wurden [1]. Während die MRE in Ihrer Standardversion mit fixen Messstellenabständen von 5 mm verbaut wurde, vgl. Bild 1, links, wurde der Sensor für die Temperaturerfassung mit variierenden Messstellenabständen zwischen 5 und 20 mm ausgestattet, vgl. Bild 1, rechts. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 81 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms Bild 1: Multiring Elektrode (links) und Multitemperatur- Sensor mit variierenden Messpunktabständen (rechts) Während bei der MRE der elektrische Widerstand im angrenzenden Werkstoff zwischen zwei benachbarten Ringen erfasst wird [4], finden im MTS Platintemperaturelemente Verwendung, welche bei 0 °C einen elektrischen Widerstand von 1000 Ω aufweisen. Aufgrund der bekannten Beziehung zwischen Temperatur und elektrischem Widerstand dieser Elemente kann auf die tiefengestaffelte Temperaturverteilung im Werkstein geschlossen werden. Da aufgrund der starken Verwitterungsschäden der Austausch ganzer Fassadensteine notwendig war, ergab sich die Möglichkeit, ausgesuchte Steine vor dem Einbau mit der entsprechenden Messsensorik zu bestücken. Die hierzu notwendige Einbautechnik wurde im Jahr 2002 im Rahmen einer Diplomarbeit an der FH Münster entwickelt [5]. Bei der Positionierung im Werkstein der Fassade musste ein Kompromiss zwischen Oberflächennähe und technischer Umsetzbarkeit gefunden werden. Nach Vorversuchen wurde ein Sensorabstand von 1,3 cm von der bewitterten Außenseite des Werksteins als zielführend identifiziert. Daraus ergeben sich für die Lage der Messstellen an den Sensoren die in Bild 2 gezeigten Abstände von der Werksteinoberfläche. Bild 2: Positionierung der Sensoren und Lage der Messpunkte im Werkstein Die Anordnung der Sensoren macht deutlich, dass über die MRE hygrische Vorgänge bis in eine Tiefe von rd. 5 cm, thermische Kennwerte über die MTS bis in eine Tiefe von rd. 10 cm erfasst werden können. Messanlage im Südturm Das Klima in Münster ist von atlantischen Einflüssen geprägt, was eine generelle Südwestbis Westwindlage mit eher milden, regenreichen Wintern und mäßig warmen Sommern mit sich bringt. Um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen, wurden insgesamt 6 Sensoren, 4 MRE und 2 MTS, an der südwestlichen und nordwestlichen Ecke des Turmes auf der Höhe des Glockenstuhls in rd. 30 m Höhe positioniert, vgl. Bild 3. Bild 3: Der Südturm während der Restaurationsarbeiten, Westansicht (links), Lage der Sensoren in der Aufsicht (rechts); Quelle Müller-Rochholz [6] Die im Jahre 2004 eingebaute Messanlage wurde ebenfalls am ibac entwickelt. Über drei Schnittstellenwandler werden seit nunmehr 14 Jahren die analogen Messdaten der eingebauten Sensoren erfasst, digitalisiert und über einen Multiplexer via serielle Schnittstelle an einen im Glockenturm installierten Rechner übertragen. Bild 4, oben zeigt zwei Schnittstellenwandler und den Multiplexer an Ihrem Aufstellungsort im Glockenstuhl des Südturms. Die Messkette vom Sensor zum Messwert ist in Bild 4, unten dargestellt. Bild 4: Datenerfassung Südturm mittels Schnittstellenwandler und Multiplexer aus dem Jahre 2004 (oben) und Messkette (unten); Quelle: Dorgeloh [7] 82 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms 3. Ausgewählte Messergebnisse und Interpretation 3.1 Hygrische Verhältnisse Kurzfristige Ereignisse Die Auswertung von Wetterdaten über den gesamten Messzeitraum bestätigt die atlantisch geprägte Wetterlage in Münster. So erkennt man, dass nahezu 50 % der beobachteten Regenereignisse bei südwestlichen Winden stattgefunden haben, vgl. Bild 5. Die Dominanz lag hierbei bei den westlich geprägten Windrichtungen im Bereich zwischen 220° bis 270°. Bei Winden aus nordwestlichen Richtungen regnete es immerhin noch in 37 % der Fälle. Hierbei ist anzumerken, dass hier vornehmlich die westlich geprägten Windrichtungen im Bereich zwischen 270° und 300° dominiert haben. Bild 5: Anzahl der Regenereignisse mit einer Niederschlagsmenge von mehr als 2 mm und die dazugehörige Verteilung der Windrichtung im gesamten Messzeitraum Für den Südturm bedeutet dies, dass die Steine der Westfassade am häufigsten von Regenereignissen betroffen sind. Da jede Beregnung mit Quell- und Schwindvorgängen in der Randzone der Werksteine einhergeht, ist die Belastung durch Quell- und Schwindspannungen demnach hier am größten. Was passiert nun im Werkstein, wenn eine Fassade intensiv beregnet wird? Dies wird anhand der nachstehend aufgeführten Auswertungen deutlich, welche die gemessenen Widerstände der MRE 3 (SW) bei einem Regenereignis nach einer längeren Trockenperiode bei westlichem Wind zeigt, vgl. Bild 6, oben und unten. Bild 6: Geschwindigkeit von Befeuchtung und Austrocknung (oben) sowie Ausbildung von Feuchtegradienten (unten) am Beispiel des Sensors MRE 3 bei einem singulären Niederschlagsereignis bei Westwind am 16. Juni 2017 Bei der Messung elektrischer Widerstände von kapillarporösen Baustoffen wird ausgenutzt, dass dieser stark mit dem vorliegenden Wassergehalt korreliert [8]. Weiterhin wird der Widerstand stark von der Temperatur beeinflusst, was durch eine Kompensation mit Hilfe eines Arrhenius-Ansatzes geschehen ist [9]. Aus Bild 6, oben wird deutlich, dass die Widerstände in 18 und 23 mm Tiefe mit Eintritt des Regenereignisses rasch und signifikant abfallen und das Niveau der Tiefenlage 53 mm erreichen. Dieser Vorgang nimmt einen Zeitraum von nur wenigen Minuten in Anspruch. Da davon auszugehen ist, dass die Werksteinaußenseite bei diesem Vorgang vollständig wassergesättigt wurde, kann anhand der Widerstandswerte geschlossen werden, dass der Stein zu diesem Zeitpunkt in der Tiefe von 53 mm sehr hohe Wassergehalte nahe der Sättigung aufgewiesen hat. Nach diesem Regenereignis folgte wieder eine längere Phase ohne Niederschlag und sommerlichen Temperaturen, die zur Austrocknung der Randzone führte. In diesem Fall wurden in 18 mm Tiefe nach rd. 7 Tagen wieder Widerstandswerte gemessen, die auch vor dem Regenereignis vorlagen. D.h. nach rd. einer Woche ist die Randzone wieder ausgetrocknet. Aufgrund der hohen Wassergehalte im Steininneren liegt vor dem Regenereignis ein starker Feuchtegradient zwischen 18 mm und 33 mm vor, welcher sich nach etwa einer Woche wieder ausbildet. Da der Stein vollständig 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 83 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms wassergesättigt eingebaut wurde, sorgt insbesondere das Austrocknen der Randzone bei hohen Wassergehalten im Inneren für Schwindzugspannungen. Unter der Annahme, dass der wasserreiche Kernbereich das Zusammenziehen der austrocknenden Randzone völlig behindert, lassen sich mit Hilfe der Kennwerte aus Tabelle 1 Schwindzugspannungen zwischen 2,4 N/ mm² und 7,5 N/ mm² für den verbauten Baumberger Sandstein berechnen. Hierbei wurde angenommen, dass der statische E-Modul etwa die Hälfte des ermittelten dynamischen E-Moduls beträgt. Anhand der gemessenen Biegezugfestigkeiten lassen sich weiterhin zentrische Zugfestigkeiten im Bereich zwischen 2,5 N/ mm² und 7,5 N/ mm² ableiten, wenn man davon ausgeht, dass die Biegezugfestigkeit in etwa dem Doppelten der zentrischen Zugsfestigkeit entspricht. Auch wenn es im Messzeitraum nicht zu sichtbaren Veränderungen an der Fassade gekommen ist, so zeigt der Vergleich dennoch, dass aufgrund der hygrischen Verhältnisse Zwangsspannungen im Stein erzeugt werden können, die in den Bereich der Zugfestigkeit des Werksteins ragen. Langfristige Ereignisse Aus Gründen der Übersichtlichkeit, werden im Folgenden Mittelwerte gemessener Widerstände aus den Sommermonaten Juni bis August sowie den Wintermonaten Dezember bis Februar gezeigt und diskutiert. Hierbei werden lediglich die Tiefenlagen 18 und 53 mm betrachtet. Bild 7 zeigt die derart ausgewerteten Ergebnisse für die Sommermonate. Bild 7: Mittlere Widerstände in den Sommermonaten (Juni - August) an den Sensoren MRE1 bis MRE4 von 2004 bis 2018 Der Sensor an der der nordwestlichen Fassade zeigt im Jahresdurchschnitt in den Sommermonaten die geringsten Widerstände in der Werksteinoberfläche, der Sensor im Süden die höchsten. Hieraus wird geschlossen, dass vor allem die intensive Sonneneinstrahlung in Kombination mit mäßiger Beregnung bei der Südfassade für eine schnelle und effektive Austrocknung der Oberflächen sorgt, während im Nordwesten eine intensive Beregnung gepaart mit einer geringeren Sonneneinstrahlung für die deutlich höheren Wassergehalte verantwortlich ist. Die Widerstände in 53 mm Steintiefe zeigen, dass die Austrocknung der Fassade bis in größere Tiefen vor allem im sonnenreichen Süden messbar ist. Die häufig beregneten Messstellen in der Westfassade lassen sich in dieser Steintiefe nicht voneinander unterscheiden. Aus dem Vergleich der Steintiefen ergibt sich für den Werkstein an der Südwestfassade im Sommer der größte Feuchtgradient und damit das größte hygrische Stresspotential. Bemerkenswert ist weiter, dass der Sensor im Norden aufgrund der geringen Beregnung in beiden Tiefenlagen höhere Widerstandswerte liefert als der direkt benachbarte Sensor im Nordwesten. Trotz der jährlich sehr individuellen Widerstandsverläufe kann in 18 mm Tiefe für die westlich und südlich orientierten Sensorpositionen ein Trend hin zu allgemein höheren Widerständen und damit geringeren Wassergehalten festgestellt werden. In 53 mm Tiefe kann dies nur für den südlich orientierten Sensor gesagt werden. Die Wintermonate zeigen gänzlich andere hygrische Verhältnisse, wie anhand von Bild 8 deutlich wird. Bild 8: Mittlere Widerstände in den Wintermonaten (Dezember - Februar) an den Sensoren MRE1 bis MRE4 von 2004 bis 2018 84 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms Schon der Blick auf die gewählte Widerstandsskalierung der Diagramme verrät das insgesamt deutlich niedrigere Widerstandsniveau von zumeist weniger als 40 kΩm in den Wintermonaten. Aufgrund der häufigeren Niederschläge, der geringeren Temperaturen sowie der fehlenden Sonneneinstrahlung reichern sich die Werksteine in dieser Jahreszeit mit Wasser an. Über alle Jahre hinweg betrachtet erscheint der Werkstein an der nordwestlichen Ecke des Südturms in 18 mm Tiefe im Winter den höchsten Wassergehalt aufzuweisen, gefolgt vom Südwesten und Norden. In 53 mm Tiefe ergeben sich im Mittel für den südwestlichen Stein die geringsten Widerstände, dicht gefolgt vom Nordwesten. Norden und Süden weisen in beiden Tiefenlagen die höchsten Widerstände auf, wobei die Unterschiede insgesamt als sehr gering zu bezeichnen sind. Interessant im Vergleich zu den Sommermonaten ist die südwestliche Messstelle, welche im Winter einen sehr geringen Feuchtegradienten über die Steintiefe aufweist, während hier im Sommer die größten Unterschiede zwischen den Tiefenlagen 18 und 53 mm festgestellt werden konnten. Im Gegensatz zu den Ergebnissen aus den Sommermonaten ist festzustellen, dass für die Wintermonate kein Trend zu höheren oder geringeren Widerstandsniveaus festgestellt werden kann. Die große Volatilität der mittleren Werte unterstreicht einmal mehr die sehr individuelle Ausbildung des Wassergehaltes in den Werksteinen in Abhängigkeit der Ausrichtung und des jährlichen Wettergeschehens. In Hinblick auf das Schädigungspotential wird festgehalten, dass dieses aufgrund der fehlenden oder deutlich geringeren Feuchtegradienten über die Steintiefe einerseits geringer wird, andererseits jedoch zu beachten ist, dass bei einer deutlich höheren Wassersättigung der Steine und möglichen Minustemperaturen die Gefahr von Frostschäden im Winter natürlich steigt. 3.2 Thermische Verhältnisse Wie anhand Bild 3 deutlich wird, sind in der Messanlage nur 2 MTS verbaut, was auf der Tatsache beruht, dass für die südlich und südwestlich ausgerichtete Fassade die größten thermischen Einwirkungen zu erwarten sind. Nachfolgend soll in Analogie zu den Widerstandsmessungen auf kurzfristige und langfristige Ereignisse näher eingegangen werden. Kurzfristige Ereignisse Um einen Eindruck darüber zu gewinnen, welche thermischen Verhältnisse sich über die Tiefe des Baumberger Sandsteins einstellen, ist in dieser Kurzfristbetrachtung der Oktober 2018 gewählt worden, da dieser ausgeprägte Temperaturtagesgänge und eine große Monatstemperaturspanne aufweist, vgl. Bild 9. Zu sehen sind die Messwerte aus 18 und 98 mm Steintiefe an der Südwestfassade. Bild 9: Exemplarischer Verlauf der gemessenen Temperatur an den Messstellen 18 und 98 mm des Sensors MTS1 an der Südwestfassade des Südturms, Oktober 2018, aus [10] Die Auswertung zeigt deutlich, dass es zwischen den gemessenen Temperaturen in 18 mm und 98 mm Tiefe keine großen Unterschiede gibt. So werden maximale Differenzen von rd. 2 K zwischen den beiden Messtiefen festgestellt, wobei Maxima und Minima an der Oberfläche erwartungsgemäß stärker ausgeprägt sind. Weiterhin kann keine nennenswerte zeitliche Verzögerung der Maxima und Minima zwischen den Messstellen erkannt werden. Beide Phänomene sprechen für eine gute Wärmeleitfähigkeit des Steins, so dass die Gefahr der Ausbildung starker Temperaturgradienten innerhalb der äußeren 10 cm nicht gegeben ist. Damit ist hier auch die Gefahr der Ausbildung von hohen, temperaturbedingten inneren Zwangsspannungen als gering einzustufen. Im Tagesgang werden im Beispiel an der Steinoberfläche Temperaturunterschiede von bis zu 16 K registriert, was in häufiger Wiederholung als thermischer Stress für den Werkstein angesehen werden muss. Über den betrachteten Monat kann eine Spanne von 33 K an der Oberfläche gemessen werden. In Hinblick auf die gezeigten Wechselbeanspruchungen sind die Übergangsmonate März bis Mai sowie September bis November hervorzuheben. Mittelbis langfristige Ereignisse Der bereits bei Kurzzeitbetrachtungen festgestellte, geringe Unterschied zwischen den Temperaturen in 18 und 98 mm Tiefe bestätigt sich auch im Jahresgang, vgl. Bild 10 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 85 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms Bild 10: Temperaturverläufe in den Tiefenlagen 18 mm und 98 mm an der Südwestfassade im Jahr 2017 Im vorliegenden Jahr werden Ende Mai mit 46,5 °C die höchsten Oberflächentemperaturen erreicht, Anfang Januar mit -6,5 °C die geringsten. Somit ergibt sich im vorliegenden Betrachtungszeitraum eine maximale Temperaturspanne von 53 K für die Fassadenoberfläche. Betrachtet man die ermittelten Werte für die Messstellen MTS 1 (SW) und MTS2 (S) in einer Steintiefe von 18 mm über den gesamten Messzeitraum so ergibt sich die in Bild 11 dargestellte Situation. Die Lücken im Messwertverlauf lassen sich auf die Deaktivierung der Anlage im Zuge von Instandsetzungsarbeiten am Glockenstuhl sowie unentdeckte Messanlagenausfälle zurückführen. Aus den vorliegenden Messwerten lassen sich Temperaturmaxima von rd. 52°C und -minima bis -12 °C lesen, was eine maximal mögliche Spanne von rd. 64 K für die Fassadenwerksteine bedeutet. Die höheren Temperaturmaxima in 2015 und 2018 deuten auf ein Ansteigen der sommerlichen Wärmebelastung hin, was als Hinweis auf die Auswirkungen des Klimawandels in Münster gewertet wird und sich gut mit dem Trend zu geringeren Wassergehalten in den Sommermonaten deckt, vgl. Bild 7. Bild 11: Temperaturverlauf über den gesamten Beobachtungszeitraum in den Tiefenlagen 18 mm an Südwest- und Südfassade des Turmes In Hinblick auf temperaturbedingte, äußere Zwangsspannungen (Mauerwerksverband) lässt sich vor dem Hintergrund des Steineinbaus im Oktober bei rd. 15 °C eine maximale zugspannungserzeugende Temperaturdifferenz von rd. 27 K anhand der Messwerte ermitteln. Unter der Annahme der völligen Dehnungsbehinderung sowie den Kennwerten aus Tabelle 1 können damit theoretisch mögliche Zugspannungen zwischen 1,0 und 2,9 N/ mm² berechnet werden. Letztere liegt im unteren Bereich der festgestellten zentrischen Zugfestigkeit der verbauten Steine, wenn davon ausgegangen wird, dass diese in etwa der Hälfte der Biegezugfestigkeit entspricht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese theoretischen Werte am Bauwerk nicht erreicht werden, da Steinverformungen von den eingesetzten Mörteln zugelassen werden. Der visuell feststellbare Zustand der Fassade untermauert diese These. Dennoch zeigen die Messungen, dass es vor allem im Süden und Südwesten wiederkehrend zu Temperaturbelastungen kommt, die aufgrund ihrer Häufigkeit ein Schädigungspotential für das Gefüge von Stein und Mörtel aufweisen. Zudem können hierdurch induzierte Zugspannungen im ungünstigen Fall Zugspannungen aus den hygrischen Verhältnissen überlagern und diese verstärken. 4. Schlussfolgerungen und Ausblick Anhand von Widerstands- und Temperaturmessungen wurden in diesem Beitrag Rückschlüsse auf die hygrischen und thermischen Verhältnisse im Baumberger Sandstein des Südturmes des Paulus-Doms zu Münster über einen Zeitraum von rd. 14 Jahren gezogen. Die wichtigsten Schlussfolgerungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Anhand der Widerstandsmessungen kann eine „aktive“ äußere Zone der Werksteine von rd. 30 mm ausgemacht werden, deren Wassergehalt von kurzfristigen Wetterereignissen beeinflusst wird. • Während die Auffeuchtung dieser Randzone bei einem Regenereignis innerhalb weniger Minuten erfolgt, dauert das Austrocknen im günstigsten Fall rd. eine Woche. • Die Betrachtung von mittelfristigen und langfristigen Widerstandsverläufen zeigt, dass der Wassergehalt der Steine eine individuelle Funktion von Beregnung, Sonnenbestrahlung und Windrichtung ist und somit für jedes Jahr anders ausfällt. Folgende Grundsätzlichkeiten lassen sich dennoch ableiten: - Die Fassadenoberfläche wird im Sommer im Süden und Südwesten am trockensten. Hierbei wird über die Jahre ein Trend zu höheren mittleren Widerständen festgestellt, die als Resultat der wärmer und trockener werdenden Sommer zu deuten sind. 86 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms - Eine deutliche Austrocknung bis in eine Steintiefe von 5 cm kann im Sommer nur an der Südfassade festgestellt werden. Bei westlichen (viel Regen) und nördlichen (wenig direkte Sonnenstrahlung) Ausrichtungen sind die Widerstandswerte auf vergleichbar niedrigem Niveau. - Der stärkste Wassergehaltsgradient über eine Steintiefe von 5 cm wird damit für die südwestlich ausgerichteten Fassadensteine identifiziert. - In den Wintermonaten gleichen sich die Wassergehalte über die Steintiefe sowie die Fassadenausrichtungen an. • Theoretische Berechnungen zu maximalen Schwindspannungen zeigen, dass diese unter den getroffenen Annahmen das Potential besitzen das Steingefüge über die Jahre zu schädigen. Derzeit liegen jedoch keine sichtbaren Schäden vor. • Die Temperaturbeobachtungen zeigen keine ausgeprägten Temperaturgradienten in den ersten 10 cm der Werksteine, was für eine gute Wärmeleitfähigkeit spricht. Innere thermische Zwangsspannungen sind daher nicht zu erwarten. • Kurz-, mittel-, und langfristige Temperaturauswertungen zeigen, dass: - die höchsten (rd. 52 °C) und niedrigsten (rd. -12 °C) Temperaturen an der südwestlich ausgerichteten Fassade erreicht werden, - die Messwertvolatilität an der Südwestfassade höher ist als an der Südfassade, - es im Tagesgang im Stein zu Temperaturdifferenzen von bis zu 20 K kommen kann, - im Monatsgang Temperaturdifferenzen von bis zu 35 K möglich sind, - und im Messzeitraum eine maximale Temperaturdifferenz von 65 K festgestellt werden kann. • Theoretische Berechnungen zu möglichen thermischen Zugspannung aufgrund äußeren Zwangs ergeben für die gewählten Randbedingungen, dass keine akute Schädigungsgefahr aus der Temperaturbeanspruchung alleine besteht. In ungünstigen Fällen können sich jedoch die Zugspannungen aus hygrischen und thermischen Belastungen überlagern und sich damit verstärken. Um die Auswirkungen der hygrischen und thermischen Vorgänge auf die Dauerhaftigkeit in den Fassadenwerksteinen des Paulus-Doms zukünftig präziser einschätzen zu können, werden folgende Maßnahmen als zielführend erachtet: • Fortsetzung der laufenden Messungen • Um Berechnungen zu potentiell schädlichen Spannungen in den Werksteinen in ihrer Aussage zu präzisieren, sollten: • die zentrische Zugfestigkeit des Natursteins in Abhängigkeit des Wassergehaltes • der statische E-Modul in Abhängigkeit des Wassergehaltes • sowie die Wärmeleitfähigkeit des verwendeten Baumberger Sandsteins • ermittelt werden • In Abstimmung mit der Domverwaltung wird angestrebt, ergänzende visuelle Untersuchungen der Fassadenoberfläche mit der nunmehr zur Verfügung stehenden Drohnentechnologie durchzuführen, um zukünftig den Zusammenhang zwischen ggf. auftretenden strukturellen Schädigungen der Werksteinoberflächen und den Sensordaten zu erforschen 5. Danksagung An dieser Stelle sei zuallererst meinem Vorgänger an der FH Münster, Prof. Dr.-Ing. Jochen Müller-Rochholz, für die Initiierung des Projektes gedankt, ohne die diese Studie nicht möglich gewesen wäre. Weiterhin möchte ich folgenden Mitarbeitern und Studierenden des Diplom-, Bachelor- und Masterstudiengangs der FH Münster für die geleisteten Arbeiten an den vielen Teilaspekten dieses Projektes danken: - Herr Ingo Fenneker - Herr Dipl.-Ing (FH) Stephan Westhus - Herr Marius Dorgeloh, M.Sc. - Herr Jan Suhrheinrich, M.Sc. - Frau Judith Zweipfennig, M.Sc. Nicht zuletzt sei der Bauabteilung des Bischöflichen Generalvikariats des Bistums Münster für die freundliche Unterstützung bei der Durchführung des Projektes herzlich gedankt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 87 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms 5. Literatur [1] Breit, W.: Bauwerküberwachung mit Hilfe von nachträglich installierten Feuchtesensoren (Multi- Ring-Elektroden). In: ibac Kurzberichte 7 (1994), Nr. 49 [2] Datenblatt „Merkmale des Baumberger Kalksandsteins“ der Bernd Dirks GmbH [3] Grimm, W.-D.; Petzet, Michael: Bildatlas wichtiger Denkmalgesteine der Bundesrepublik Deutschland, München: Lipp, 1990, S. 191 pp. [4] Harnisch, J.: Untersuchungen zum nachträglichen Einbau von Multi-Ring-Elektroden in Beton, Diplomarbeit Institut für Bauforschung der RWTH Aachen, 2003 (unveröffentlicht) [5] Westhus, S.: Naturstein am Dom Münster - Anpassung von Multiringfeuchte - und Multitemperatursonden an Baumberger Kalksandstein und erste Messungen, Diplomarbeit, FH Münster, September 2002 (unveröffentlicht) [6] Müller-Rochholz, J.; Fenneker, I.: Thermische und hygrische Verhältnisse im Naturstein der Domtürme in Münster, Beitrag zur DGzfP-Fachtagung Bauwerksdiagnose, Berlin, 2010 [7] Dorgeloh, M.: Messsystem für Feuchte- und Temperaturverteilung im Südturm des Paulus-Doms: Modernisierung und Bewertung erster Messergebnisse, Projektarbeit FH Münster, 2015 (unveröffentlicht) [8] Raupach, M. ; Dauberschmidt, C. ; Wolff, L. ; Harnisch, J.: Monitoring der Feuchteverteilung in Beton - Sensorik und Anwendungsmöglichkeiten, Bd. 1. In: Beton 57 (2007). [9] Jäggi, S.: Experimentelle und numerische Modellierung der lokalen Korrosion von Stahl in Beton unter besonderer Berücksichtigung der Temperaturabhängigkeit, Dissertation, ETH-Zürich, 2001, https: / / doi.org/ 103929/ ethz-a-004130093 [10] Zweifpennig, J.: Langzeitauswertung zu Feuchte- und Temperaturmessungen in einer Sandsteinfassade im Paulus-Dom zu Münster, Masterarbeit FH Münster, 2019 (unveröffentlicht) Digitalisierung/ BIM 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 91 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Dr.-Ing. Christoph Blut*, Dr.-Ing. Till Büttner**, Dr.-Ing. Ralf Becker*, Raymond Wollenberg*, Baris Özcan*, Heiner Stahl**, Prof. Dr.-Ing. Jörg Blankenbach* *Geodätisches Institut und Lehrstuhl für Bauinformatik & Geoinformationssysteme, RWTH Aachen University, Aachen ** Massenberg GmbH, Essen Zusammenfassung Im Zuge der Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken kommt der Erfassung von Schäden im Beton, wie Schadstellen und Rissen, für die Bauabwicklung, die Abrechnung sowie die Dokumentation der durchgeführten Arbeiten eine zentrale Bedeutung zu. Die Erfassung von Schäden umfasst sowohl die Dokumentation der lateralen Ausdehnung der Schäden als auch die genaue Position von Schäden oder des Verlaufs von Rissen im Bauwerk. Aktuell erfolgt eine Schadenserfassung/ -aufnahme und anschließende Dokumentation i.d.R. weitgehend manuell, d.h. ohne den Einsatz von digitalen Massenpunkterfassungsverfahren, wie z.B. der Photogrammetrie oder des Laserscannings sowie daran anschließend automatisierter Auswerteverfahren. Aufgrund der manuellen Erfassung ist diese Tätigkeit bei jedem Instandsetzungsprojekt zeit- und kostenintensiv sowie auch fehleranfällig. Im Rahmen eines AiF-Forschungsvorhabens werden von einem Konsortium mit Partnern aus der Industrie und Wissenschaft digitale Verfahren zur Instandsetzung und Instandhaltung von befahrenen Bestandsbauwerken entwickelt. Das Geodätische Institut und Lehrstuhl für Bauinformatik & Geoinformationssysteme und das Unternehmen Massenberg befassen sich im Zuge des Forschungsvorhabens sowohl mit der digitalen Ersterfassung von Bestandsbauwerken mittels scannender und bildgebender Verfahren sowie mit der Erfassung von Betonschäden während des Bauablaufs mittels mobiler Endgeräte, wie z.B. dem Smartphone. Auf der Basis der initialen Erfassung und BIM-Modellierung des Bauwerks sollen baubegleitend mit einem Smartphone Betonschäden bildhaft und mit Ortsbezug erfasst, in den relevanten Abmessungen ausgewertet und im BIM-Modell dokumentiert werden. Ziel ist es, die Dokumentation und Baufortschrittskontrolle der Instandsetzungsarbeiten gegenüber der derzeitigen Verfahrensweise durch konsequente Digitalisierung zu verbessern. Bei der Entwicklung der Verfahren steht die praxisnahe und wirtschaftliche Anwendung unter Berücksichtigung der erforderlichen Genauigkeiten während des gesamten Bauablaufs im Vordergrund. Im Zuge der vorliegenden Veröffentlichung werden die erarbeiteten Verfahren zur initialen Erfassung und BIM-Modellierung von Bauwerken sowie zur digitalen Erfassung von Betonschadstellen mittels mobiler Endgeräte und der Integration dieser in das BIM-Modell vorgestellt. Anhand ausgewählter Beispiele wird die Umsetzbarkeit der Methoden demonstriert. 1. Einleitung Bei der Instandsetzung von Bestandsbauwerken sind die Aufnahme der Bestandsgeometrie sowie die Erfassung von Schäden im Beton wesentliche Aufgaben bei der Bauausführung, die häufig ein hohes Maß an händischen Prozessen erfordert. In der Regel sind bei Bauwerken nur wenige oder unzureichende analoge Bestandspläne vorhanden, so dass für die Dokumentation der Ausführung sowie die Mengenermittlung Maße manuell erfasst und anschließend in neue Bestandspläne überführt werden müssen. Dies hat auch zur Folge, dass ausgeführte Instandsetzungsarbeiten, wie die Instandsetzung von Betonschadstellen, das Tränken von Rissen oder die Applikation von Oberflächenschutzsystemen, manuell aufgemessen und in Pläne übertragen werden müssen. Diese Tätigkeiten sind zeit-, kostenintensiv und auch fehleranfällig. Im Rahmen des gemeinsamen AiF-Forschungsprojektes des Geodätischen Instituts und Lehrstuhls für Bauinformatik & Geoinformationssysteme (gia) der RWTH Aachen sowie der Fa. Massenberg werden Verfahren zur digitalen Aufnahme von Bestandsbauwerken vor und während der Bauabwicklung sowie die Aufnahme von ausgeführten Leistungen mittels scannender und bildgebender Verfahren auf Basis des Building Information Modeling (BIM) entwickelt. BIM bezeichnet eine kooperative und lebenszyklusüberspannende digitale Arbeitsmethodik, bei der auf Grundlage digitaler Bauwerksmodelle alle relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und zwischen den Beteiligten ausgetauscht werden (vgl. [1]). Ziel ist es, nach einer schnellen Bestandsaufnahme für die Angebotskalkulation, Verfahren zur baubegleitenden Aufnahme von Arbeiten sowie für die anschließende Bauwerksdokumentation zu nutzen. Dabei ist das BIM- 92 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Modell des Bestandsbauwerks ein zentrales Element. Bei der Entwicklung wird ein wesentliches Augenmerk auf die Nutzbarkeit durch die an der Ausführung beteiligten Personen - Projektleitung, Baustellenleitung - gelegt. 2. Stand der Technik zur Erfassung von Bauwerksschäden Die Erfassung von Schäden bei Stahl- und Stahlbetonbauwerken ist sowohl bei der Planung als auch der Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen eine wesentliche Aufgabe - siehe u.a. DIN EN 1504 sowie DAfStb-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Stahlbetonbauteilen“. Die Zustandserfassung wird u.a. mit den folgenden Verfahren durchgeführt [2]: - optische Aufnahme von Schäden mittels visueller Inspektion, - Betondeckungsmessungen (Abb. 1), - Potentialfeldmessungen (Abb. 2), - Bestimmung der Karbonatisierungstiefe und - Entnahme von Bohrkernen für die Bestimmung von Betonfestigkeiten. Abbildung 1: Betondeckungsmessung mittels magnetinduktiven Verfahren [2]. Abbildung 2: Potentialfeldmessung mittels Radelektrode [2]. Bei der optischen Aufnahme von Schäden werden in Übereinstimmung mit den geltenden Regelwerken die folgenden Aspekte dokumentiert: - Schäden des Betons infolge von Bewehrungskorrosion („Betonschadstellen“) oder defektem Korrosionsschutz; - Risse im Beton sowie - augenscheinlichen Schäden an der Konstruktion z.B. infolge von Anprallereignissen. Abbildung 3: Exemplarische Schadensdokumentation bei einem Parkdeck [2]. Eine der Herausforderungen bei der Bestandsaufnahme von Bauwerken ist die Verortung der aufgenommenen Daten in Bezug auf das Bauwerk. Die Erfassung erfolgt i.d.R. manuell und ohne Unterstützung von georeferenzierenden Verfahren in analogen Plänen (Abb. 3). Dies ist ein vergleichsweise zeitaufwändiges Verfahren, welches auch je nach Randbedingungen vor Ort hohe Messungenauigkeiten zur Folge haben kann. Die Anforderungen an die Aufnahme von Schäden sowie ausgeführten Flächen können u.a. aus der ZTV-ING Teil 3, Abschnitt 2 für die Ausführung von Stahlbetonbauteilen sowie der DIN 18349: 2019-09 VOB/ C „Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen Betonerhaltungsarbeiten“ abgeleitet werden. Im Folgenden sind die Maßabweichungen der ZTV-ING Dl die „vom Nennmaß l der Abmessung eines Betonquerschnitts (Gesamtdicke eines Balkens oder einer Platte, Breite eines Balkens oder Steges, seitliche Abmessungen einer Stütze) (…) als zulässig angesehen werden“: • für l ≤ 150 mm: Dl = ± 3 mm • für l = 400 mm: Dl = ± 10 mm • für l ≥ 2500 mm: Dl = ± 20 mm Zwischenwerte dürfen linear interpoliert werden.“ Die genannten Genauigkeiten zeigen, dass für die Aufnahme von Flächen oder Längen bei der Instandsetzung die etablierten händischen Messeinrichtungen, wie „Zollstock“ oder Messrad grundsätzlich ausreichend sind, allerdings die Übertragung von einem Feldaufmaß in einen Plan der aufwändige Arbeitsschritt ist. Ferner 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 93 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung ist die Lokalisierung von Schadstellen mit den genannten Messverfahren vergleichsweise ungenau. Die gleiche Problematik zeigt sich bei der baubegleitenden Aufnahme von Schadstellen als umschreibendes Rechteck oder zu bearbeiteten Rissen. Die Aufnahme erfolgt auch hier mit händischen Messverfahren, die keine direkte Verortung ermöglichen und somit die Übertragung von den Handaufmaßen in die Pläne aufwändig und auch fehleranfällig machen. Neben den zu erfassenden Schäden ist insbesondere die Erfassung von Anlagen der technischen Gebäudeausstattung (TGA) sowie von Einbauteilen, wie z.B. Rauchmeldern, Schilder und Lampen, ebenfalls zeitaufwändig, da hier bisher keine automatischen Erfassungsmöglichkeiten am Markt verfügbar sind und die Erfassung händisch mittels Zähllisten und Messrad für die Erfassung von Längen erfolgt. Die Aufnahme der TGA ist z.B. für die Anzahl oder Länge von zu schützenden Einbauteilen erforderlich. 3. Digitalisierung der Erfassung von Bauwerksschäden Für die Digitalisierung von Instandsetzungs- und Instandhaltungsverfahren von befahrenen Bestandsbauwerken, ist im Zuge des Forschungsvorhabens eine digitale Ersterfassung des Parkbaus sowie eine bildhafte Erfassung der Betonschäden mit Ortsbezug während des Bauablaufs notwendig. Das aus der Ersterfassung abgeleitete digitale bauteilorientierte Bauwerksmodell (BIM-Bestandsmodell) dient dabei als Grundlage für die Schadstellendokumentation. Die erfassten Betonschäden werden georeferenziert in das Modell integriert und den entsprechenden Bauteilen zugeordnet. Dies erlaubt beispielsweise eine bauteilscharfe Schadstellenanalyse. 3.1 Initiale Erfassung und BIM-Modellierung von Bauwerken Zur Überführung von Bestandsbauwerken in BIM-Modelle haben sich so genannte Scan-to-BIM Workflows etabliert. Hier werden aus Scandaten (3D-Punktwolken) mithilfe von Modellierungswerkzeugen 3D-Bauteile und somit vollständige digitale Bestandsmodelle abgeleitet. Beim Laserscanning ist Stand der Technik, hochgenaue geodätische terrestrische Laserscanner (TLS) und Kamerasysteme miteinander zu koppeln. Dies ermöglicht zum einen eine geometrische Erfassung in Form von 3D-Punktwolken, als auch visuelle Erfassung mittels der auf dem Laserscanner angebrachten Kamerasysteme, zur Einfärbung der Punktwolken. So kann die Umgebung sehr realitätsnah abgebildet werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Kameraaufnahmen auch für photogrammetrische Auswertungsverfahren genutzt werden können. So kann zum einen die hohe räumliche Auflösung der Punktwolke, als auch die Detailtiefe (pixelweise Granularität) der Kameraaufnahmen für das Bauwerksaufmaß ausgewertet werden. TLS-Verfahren sind jedoch durch das stationäre Messprinzip und die Notwendigkeit der Registrierung der Einzelscans vergleichsweise zeitaufwändig. Als Alternative bieten sich mobile Laserscanning (MLS)-Verfahren an. Im Unterschied zum TLS kann der Scanner beim MLS während des Messens kontinuierlich - montiert auf einem Trolley oder handgeführt - bewegt werden, so dass das Bestandsbauwerk wesentlich schneller erfasst werden kann. In diesem Fall muss die sich ständig verändernde Position und Orientierung des Scanners (Pose) fortlaufend neu bestimmt werden, um die einzelnen Punktwolken miteinander zu registrieren. Neben Verfahren zur Trägheitsnavigation (mittels inertialer Messsysteme) [3] sowie Trackinglösungen (z.B. mit einem zielverfolgenden Tachymeter) [4], ist Simultaneous Localization and Mapping (SLAM) ein verwendetes Verfahren. Dabei wird die aktuelle Position über das stetige Wiedererkennen von geometrischen Merkmalen (Features) der Umgebung in der erfassten Punktwolke kontinuierlich geschätzt und optimiert. Ein weiterer Bestandteil des SLAM-Verfahrens ist die Wiederkennung von bereits besuchten Orten, um unvermeidliche Drifteffekte, die über die Scandauer zu tragen kommen, zu korrigieren (Loop-Closure, siehe Abschnitt 3.2). Ein wesentlicher Nachteil von MLS ist die üblicherweise geringere geometrische Genauigkeit gegenüber TLS. Als Vertreter von MLS-Systemen wurde das handgetragene System ZEB-REVO RT 1 von GeoSLAM untersucht. Von TLS wurden zum einen das Instrument BLK360 2 von Leica als Mid-Cost-System als auch der Laserscanner VZ-400 3 von RIEGL als hochgenaues geodätisches System evaluiert. Der Laserscanner VZ- 400 wurde als Referenz für die anderen Systeme verwendet. Zur Evaluierung der geometrischen Genauigkeiten wurden verschiedene Distanzen (Abb. 4) in den Punktwolken der vorgestellten Erfassungssysteme gemessen und miteinander verglichen. Zur Bewertung des MLS-Systems wurden zwei Aufmaße miteinander verglichen (MLS Aufmaß 1 „schnell“, MLS Aufmaß 2 „detailliert“). Beim MLS Aufmaß 1 wurde eine Erfassung der wesentlichen raumumschließenden architektonischen Flächen (Wände, Decken und Böden) bei möglichst zeiteffizienter Bewegung durch das Objekt fokussiert. Das MLS Aufmaß 2 beruht auf einer möglichst umfassenden Aufnahme aller sichtbaren Oberflächen, um zu bewerten, ob mehr geometrische Features zu einer besseren Genauigkeit führen. Die notwendige Scandauer für jedes System ist in Tabelle 1 aufgeführt. 1 https: / / geoslam.com/ wp-content/ uploads/ 2020/ 08/ ZEB-Revo-RTproduct-card-1.pdf 2 https: / / shop.leica-geosystems.com/ sites/ default/ files/ 2019-04/ blk 360_spec_sheet_2_0.pdf Datenblatt 3 http: / / www.riegl.com/ uploads/ tx_pxpriegldownloads/ 10_DataSheet _VZ-400_2017-06-14.pdf Datenblatt 94 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Abbildung 4: Übersicht Vergleichsstecken im Querschnitt Tabelle 1: Durchschnittliche Scandauer für die untersuchten Systeme Scanner Dauer VZ-400, RIEGL 60min BLK 360, Leica 75min ZEB-REVO RT, GeoSLAM (schnell) 7min ZEB-REVO RT,GeoSLAM (detailliert) 20min Die Scangenauigkeiten sind in der nachfolgenden Tabelle 2 aufgeführt: Tabelle 2: Auswertung der Vergleichsdistanzen Wie Tabelle 2 zu entnehmen ist, sind die Abweichungen des MLS größer als beim TLS BLK360, aber liegen im Durchschnitt innerhalb der formulierten geometrischen Toleranz von +/ -2 cm für ein Modell zur Schadenskartierung (siehe Kapitel 2), die im Rahmen der Anforderungsdefinition seitens Massenberg festgelegt wurde. Desweitern wird festgestellt, dass eine detaillierte Erfassung mit dem ZEB-REVO RT keine Verbesserung der Genauigkeit mit sich bringt. Dies ist wahrscheinlich auf die längere Scandauer und somit sich über die Zeit aufsummierender Drifteffekte zurückzuführen. Wird die Scandauer in die Bewertung miteinbezogen (Tabelle 1), lässt sich festhalten, dass MLS nicht nur aus Sicht der Genauigkeit für die initiale Erfassung geeignet sind, sondern TLS gegenüber die Scandauer um das 10-fache reduzieren können. Für eine inertiale Erfassung und Erstellung eines BIM- Modells ist neben der Genauigkeit die Ableitung von Semantik ein wichtiger Bestandteil. Für eine Bewertung wie gut die semantischen und beschreibenden Attribute von Objekten (z.B. Material, Zustand) aus den Punktwolken bestimmt werden können, wurden die von den drei Laserscannern erzeugten Punktwolken aufbereitet und analysiert, beispielsweise hinsichtlich der Erkennbarkeit von Fahrbahnmarkierungen (Abb. 5 und 6). Abbildung 5: Vergleich der Sichtbarkeit von Fahrbahnmarkierungen des TLS BLK360 im Vergleich zum TLS VZ-400 Abbildung 6: Vergleich der Sichtbarkeit von Parkplatzmarkierungen des MLS ZEB-REVO RT im Vergleich zum TLS VZ-400 Auf Grund der geringeren räumlichen Auflösung und Genauigkeit der MLS-Systeme weisen die Punktwolken des ZEB-REVO RT ein systembedingtes stärkeres Rauschen und bei den bisherigen Anwendungen fehlerhafte oder uneindeutige Einfärbungen der Punktwolke auf. So konnten Fahrbahnmarkierungen nur teilweise oder gar nicht abgeleitet werden. Hierfür sind TLS den MLS klar vorzuziehen. Zur Modellierung eines BIM-Modells, wurde die MLS- Punktwolke in die BIM-Autorensoftware AECOsim Building Designer/ Open Buildings Designer von Bentley geladen. Anschließend wurden ausgewählte Komponenten (u.a. Wände, Stützen) aus der Punktwolke unter Zuhilfenahme der Software PHIDIAS [5], ein Aufsatzsoftwaremodul für die Auswertung von Punktwolken und 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 95 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Kamerabildern, geometrisch modelliert, um ein digitales bauteilorientiertes Bauwerksmodell zu erstellen (siehe Abb. 7). Abbildung 7: BIM-Modell Parkdeck 3.2 Digitale Erfassung von Betonschadstellen mittels mobiler Endgeräte Für eine hohe Flexibilität und Zugänglichkeit wird im Rahmen des Projektes ein neuartiges mobiles, d.h. handgeführtes, Smartphone-basiertes Erfassungssystem realisiert. Moderne Smartphones stellen bereits alle notwendige Hardware zur Verfügung, speziell die zunehmend höher auflösenden Kameras eignen sich für eine bildhafte Schadenserfassung. Im Vergleich zu beispielsweise Trolley-basierten Systemen, können auch unebene Oberflächen, wie in Sanierung befindliche Bodenflächen oder Stufen, begangen und Schäden an Boden-, Wand- und Deckenoberflächen erfasst werden. Herausforderungen liegen jedoch in der mobilen Prozessierung der Bilddaten und der rechenintensiven Pose-Tracking-Prozesse. Um Schadstellen lagerichtig in das BIM-Modell zu integrieren und den zugehörigen Bauteilen zuzuordnen, ist es erforderlich die Pose (Position und Orientierung) des Erfassungssystems fortlaufend automatisch in Echtzeit zu bestimmen. Eine Herausforderung besteht beim sogenannten Pose-Tracking darin, eine für die Anwendung ausreichende Genauigkeit zu erreichen. Während im Außenbereich häufig eine Kombination aus satellitengestützten Lokalisierungssystemen (GNSS) und Inertialmesssystemen (IMU) für die Positionierungs- und Orientierungsbestimmung verwendet werden [6], sind im Innenbereich bisweilen infrastrukturbasierte Tracking-Systeme, beispielsweise auf Basis der Funktechnologien Ultra Wideband (UWB), Bluetooth oder WLAN, sowie auch auf Infrarot- oder Ultraschall-basis, Forschungsgegenstand, da GNSS in überbauten Bereichen üblicherweise nicht nutzbar ist (vgl. [7], [8]). Der Einsatz von infrastrukturbasierten Tracking-Systemen ist jedoch aufwändig, da sie jeweils im Voraus in der Umgebung installiert werden müssen. Eine Alternative für den Innenbereich sind infrastrukturunabhängige, rein IMU-basierte Lösungen. Die aus dem Sensordrift resultierenden und im zeitlichen Verlauf sich kumulierenden Unsicherheiten in der Pose-Bestimmung stellen sich dabei jedoch als problematisch dar. Die steigende Qualität von Kameras, speziell im mobilen Low-Cost-Bereich, erlaubt es zunehmend bildbasierte Verfahren den IMU-Lösungen hinzuzuziehen, um die Pose-Ungenauigkeiten auszugleichen. Grundsätzlich können diese in Marker- und Natural-Feature-basierte Lösungen unterteilt werden. Während für erstgenanntes entsprechende leicht zu identifizierende visuelle Marker ausgedruckt und in der Umgebung platziert werden müssen, können beim Natural-Feature-Tracking bereits in der natürlichen Umgebung enthaltene Objekte bzw. Merkmale verwendet werden (vgl. [6]), was in der Realisierung aufwändiger, doch in der Anwendung flexibler ist. Im vorliegenden Projekt wird eine Natural-Feature- Tracking-Lösung in Form eines visuellen SLAM (V- SLAM)-Verfahrens verwendet. SLAM nutzt Lokalisierungsinformationen, um eine lokale Karte der Umgebung zu erzeugen. Diese wird wiederum zur Lokalisierung verwendet. Ein Bestandteil von SLAM ist die Visuelle Odometrie (VO). Die relative Pose wird dabei über den paarweisen Vergleich von sequenziell aufgenommenen Kamerabildern mit hohem Überlappungsbereich berechnet. Ein typisches Anwendungsgebiet der VO ist die Realisierung von autonom navigierenden Robotern. Bekannte Beispiele sind die NASA-Rover Spirit und Opportunity [9]. Das genaue Vorgehen ist wie folgt: Im ersten Schritt werden markante Merkmale in den Kamerabildern detektiert, digital beschrieben und abgespeichert (Abb. 8). Abbildung 8: Detektierte Bildmerkmale (Features) Dies wird als Merkmalsdetektion (Feature Detection) und Merkmalsbeschreibung (Feature Description) bezeichnet. Bildmerkmale werden durch einen Helligkeitsvergleich des umliegenden Bereichs eines Pixels bestimmt und in Form eines Merkmalsdeskriptors abgelegt. Dieser wird für einen Merkmalsabgleich (Feature Matching) mit den nachfolgenden Kamerabildern verwendet, so dass spezielle Bildmerkmale miteinander in Verbindung ge- 96 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung bracht werden. Hierfür wird ein Ähnlichkeitsvergleich der Merkmalsvektoren beider Kamerabilder durchgeführt. Mithilfe der nun korrespondierenden Merkmale wird eine sogenannte Fundamentalmatrix berechnet. Diese beschreibt die relative Lage zweier Kamerabilder zueinander. Um die relative Bewegung der Kamera zu bestimmen, wird die Matrix in einen Translations- und Rotationsteil zerlegt. Dieser Prozess wird paarweise für alle nachfolgenden Kamerabilder durchgeführt. Ein Aufsummieren aller paarweisen Kameraposen ergibt die aktuelle Kamerapose relativ zur Initialkamerapose, die über georeferenzierte Marker (QR-Code) im Parkbau gesetzt wird. Die resultierende Trajektorie ist bis zu diesem Punkt jedoch noch nicht korrekt skaliert. Werden Stereokameras verwendet, kann die Skalierung direkt berechnet werden. Wird nur eine einzelne Kamera (monokular) verwendet, muss die Skalierung separat bestimmt werden, beispielsweise durch Einbeziehung von IMU-Daten. Dies wird als visuelle inertiale Odometrie (VIO) bezeichnet. Aufgrund von Ungenauigkeiten in den Posen-Schätzungen der VIO addieren sich Abweichungen zur realen Kamerapose mit der Anzahl der Kamerabilder auf. Als Lösung wird in SLAM zusätzlich zum VIO-Prozess eine Umgebungskarte hinzugezogen. Die Karte besteht aus einer 3D-Punktwolke, die durch Triangulation von korrespondierenden 2D-Bildmerkmalen aus aufeinanderfolgenden Kamerabildern erzeugt wird. Die 3D-Punkte stellen dabei ein digitales Abbild markanter Punkte der realen Umgebung dar. Mithilfe einer Bündelblockausgleichung werden die relativen Kameraposen anhand der 3D-Punktwolke optimiert, um eine hochgenaue lokale Trajektorie zu erhalten. Für eine global konsistente Trajektorie wird ein Schleifenschluss-Verfahren (Loop- Closure) angewendet. Loop-Closure bezieht sich auf die Wiederkehr an einen bereits besuchten Ort und die Einbeziehung vergangener Pose-Informationen in aktuelle Schätzungen. Für das Projekt ist das Verfahren in einer App für Android-basierte Smartphones umgesetzt. Die erfassten Schadstellen werden nach der Aufnahme persistent in einer lokalen Datenbank auf dem Gerät abgelegt. 3.3 Transfer und Integration in das BIM-Modell Um die mittels mobiler Endgeräte erfassten georeferenzierten Schadstellendaten in BIM-Modellen zu intergieren, ist zunächst deren Transfer vom mobilen Endgerät in die gewünschte BIM-Autorensoftware zu realisieren. Üblicherweise nutzt jeder Entwickler von BIM-Autorensoftware für seine Software proprietäre Austauschformate, z.B. rvt für Autodesk- oder dgn für Bentley-Produkte. Als herstellerunabhängiges, offenes Format haben sich die Industry Foundation Classes (IFC) [10] entwickelt und vorangetrieben von der Non-Profit-Standardisierungsorganisation buildungSMART etabliert. Zweck der IFC ist es allerdings, ganze Modelle bzw. einzelne Fachmodellen zur Verfügung zu stellen oder in einem Kollaborationsmodell zusammenzuführen. Für den Austausch einzelner Informationen oder Änderungsanweisungen, die sich z.B. aus einer Kollisionsprüfung zweier Fachmodelle in einem Kollaborationsmodell ergeben, wurde von buildingSMART das BIM Collaboration Format (BCF) [11] entwickelt. Ein BCF-Bericht besteht aus einer Menge von drei Dateien je Information. Die erste Datei enthält Metadaten wie einen Titel, das Erstellungsdatum, den Autor, den Adressaten und eine Beschreibung, die zweite Datei ist ein Bildausschnitt (Snapshot) des Modells zur Visualisierung der Information und die dritte Datei enthält Informationen insbesondere zum Aufnahmeort (CameraViewpoint) und zur Betrachtungsrichtung (CameraDirection) des Snapshots (Abb. 9). Abbildung 9: BIM-Collaboration-Format Im diesem Projekt wird BCF jedoch genutzt, um die mit der Kamera des mobilen Endgerätes aufgenommenen Schadensbilder, angereichert durch vom Nutzer erfasste Metadaten wie Schadensart, Erfasser etc. sowie die für die Verortung im BIM-Modell der Autorensoftware notwendige Position und Orientierung (Pose) der Kamera auszutauschen. Dazu wurde eine Export-Funktionalität im mobilen Endgerät zur Erstellung der BCF-Dateien und eine Import-Schnittstelle für die BIM-Autorensoftware entwickelt (Abb. 10). Abbildung 10: Transfer von Schadstellendaten in das BIM-Modell Der mobile BCF-Exporter sammelt alle notwendigen Daten aus der lokalen Datenbank und schreibt diese in 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 97 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung eine konforme BCF-Datei, so dass diese von Standarisierten BCF-Schnittstellen verarbeitet werden kann. Für den Import stellt verschiedene BIM-Software bereits Funktionalitäten bereit. Ziel in diesem Projekt war es, eine Import-Schnittstelle für die Autorensoftware AE- COsim Building Designer/ Open Buildings Designer von Bentley zu entwickeln, die einerseits eine nutzergerechte Visualisierung der Schadstelleninformation mit entsprechender graphisch-interaktiver Benutzeroberfläche (BCF-Manager) (Abb. 11) bietet und andererseits die Schadenstellen den betroffenen Bauelementen des BIM- Modelles zuordnet, d.h. die transferierten Schadensinformationen in das Modell integriert (Abb. 12). Abbildung 11: BCF-Manager für Bentley MicroStation / OpenBuildings Designer Für die Programmierung einer solchen Schnittstelle stellt die Autorensoftware von Bentley die MicroStation Development Library (MDL) bereit. Für die nutzergerechte Visualisierung (Abb. 12) wurden verschiedene Funktionalitäten geschaffen wie die Auswahl des zu visualisierenden Schadens, das Hervorheben des mutmaßlich betroffenen Bauelements wie auch eine teilautomatische Zuordnung des mutmaßlich betroffenen Bauelements durch Auswertung der Pose im BIM-Modell, indem der im Raum bekannte Zielstrahl der Kamera mit dem nächsten Bauelement des BIM-Modells geschnitten wird. Speicherung und Verknüpfung der Schadstelleninformationen und der Metadaten erfolgen als eigenes Informationsobjekt des BIM-Modells. Die Daten können schließlich zur Erstellung von Reports in Tabellenform (z.B. für Microsoft Excel) gefiltert abgefragt werden. Abbildung 12: Visualisierung einer Schadensstelle im Bentley MicroStation / OpenBuidings Designer 3.4 Schadstellenanalyse Ein weiterer Bestandteil der Digitalisierung der Schadensdokumentation ist die Detektion und Analyse der Schadstellen in den erfassten Bildaufnahmen. Ziel ist dabei die Bestimmung der absoluten Maße der Schäden und ggf. sogar der sichtbaren Bewehrung (Abb. 13). Abbildung 13: Ziel der Schadstellenanalyse: Bestimmung der (absoluten) Maße der Schäden 98 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Grundsätzlich lassen sich Schäden in Betonbauwerken in zwei Klassen unterteilen: Risse, die sich in den Bildaufnahmen als linienhafte Strukturen ausprägen (Abb. 14, links) oder Abplatzungen bzw. Abblätterungen der Oberfläche, die eine flächenhafte Ausbreitung aufweisen (Abb. 14, rechts) Flächenhafte Schäden und die Bewehrung können bspw. mithilfe einer Bildmaske hervorgehoben und mit einem umschreibenden Polygon, im einfachen Fall eines Rechtecks, eingegrenzt werden. Risse können mithilfe von Linienzügen beschrieben werden. Abbildung 14: Links Bildaufnahme von einem Riss, rechts von einer Abplatzung mit teilweise freigelegter Bewehrung Eine wesentliche Herausforderung im vorliegenden Anwendungsfall stellt dabei die Vielfalt von Schäden sowie der umgebenden (intakten) Oberfläche dar. Schäden können sich in ihrer Struktur sehr stark unterscheiden, was die manuelle Identifikation allgemeingültiger Merkmale, die in den Bildaufnahmen zur Detektion herangezogen werden könnten, erschwert. Auch die Textur der umliegenden intakten Oberfläche, was zur Umgrenzung und daher indirekt zur Detektion der Schäden genutzt werden könnte, lässt sich nur schlecht generalisieren. Seit einigen Jahren rücken Verfahren des maschinellen Lernens (ML), welche sich mit großen Datenmengen befassen, weiter in den Vordergrund. ML basiert auf Algorithmen, die Muster und Gesetzmäßigkeiten in großen Datenmengen erkennen. Insbesondere in der Bilderkennung werden dazu häufig Neuronale Netze eingesetzt, welche eigenständig die Merkmale in den Bildern, die zur Klassifikation entscheidend sind, erlernen. Im Rahmen erster Untersuchungen wurden Versuche zur Detektion von Rissen durchgeführt. Risse sind durch ihre linienhafte Struktur in einem Bildausschnitt in vergleichbarer Weise erkennbar, wie im vollständigen Bild. Wird demnach das Gesamtbild in einzelne Abschnitte unterteilt, kann so für jeden Abschnitt geprüft werden, ob sich ein Riss in diesem befindet. Die Problemstellung der Rissdetektion lässt sich daher als eine Klassifikationsaufgabe auffassen, bei der einzelne Ausschnitte des Bildes als „Riss“ oder „Intakt“ zu klassifizieren sind. Der Lösungsansatz beinhaltet ein zur Klassifikation von Riss- und intakten Oberflächen erstelltes Neuronales Netz. Das Netzwerk wurde mit Trainingsdaten von 40.000 Bildaufnahmen, bestehend aus 20.000 Aufnahmen von Betonoberflächen mit Rissen und 20.000 Aufnahmen von intakten Betonoberflächen, trainiert. Das trainierte Modell ermöglicht schließlich die Einordnung von neuen Bildaufnahmen in die Klassen „Riss“ oder „Intakt“. Zur Lokalisierung der Risse in den Bildern werden mithilfe eines über das Gesamtbild gleitenden Fensters einzelne Ausschnitte der Bilder extrahiert. Das trainierte Modell ermöglicht schließlich die Einordnung der Bildausschnitte in die entsprechenden Klassen. Die ausschnittweise Klassifizierung führt daher zu einer Grobsegmentierung des Risses im Bild. In Abbildung 15 wird das Ergebnis der Risssegmentierung anhand eines Rissbildes dargestellt. Abbildung 15: Segmentierter Riss mit Fehlsegmentierungen in den unteren Bildecken und an den Bildrändern Die ersten Versuche mit der vorgestellten Methodik zeigen, dass eine Grobsegmentierung von Rissen grundsätzlich möglich ist. Jedoch ist das derzeitige Modell zur Klassifizierung noch fehleranfällig für Störgrößen in den Bildern, wie beispielsweise eine unregelmäßige Helligkeit oder eine starke Textur (Abb. 14). In den nächsten Schritten wird daher das Modell verfeinert, um eine verbesserte Segmentierung von Rissen zu ermöglichen. Weiterhin wird eine zusätzliche Methodik für die Detektion von flächenhaften Schäden benötigt. Die Vorgehensweise einer fensterweisen Klassifizierung würde in diesem Fall vermutlich fehlschlagen, da sich ein flächenhafter Schaden in einem Ausschnitt in der Regel nicht eindeutig identifizieren lässt, wie es bei linienhaft ausgeprägten Rissen der Fall ist. Als alternativen Ansatz zur vollautomatisierten Schadstellenanalyse wird im Rahmen des Projekts eine Teilautomatisierung mithilfe des BIM-Modells umgesetzt. Vor Ort wird während der Erfassung der Riss oder die Schadstelle händisch per Linienzug bzw. umschreibendem Polygon auf dem Smartphone-Display markiert und neben dem Foto als Geometrie abgespeichert. Im Anschluss werden die Fotos und Linienzüge/ Polygone beim Import in das BIM-Modell automatisiert auf die entsprechenden BIM-Bauteile mithilfe der Georeferenzierung projiziert, so dass diese texturiert werden. So können Risslängen oder Schadensflächen automatisiert abgeleitet oder vom Nutzer visuell vermessen und analysiert werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 99 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung 4. Transfer in die Praxis In der Praxis ist folgender Arbeitsablauf mit den vorgestellten Verfahren vorgesehen: Im ersten Schritt wird mit Hilfe eines (mobilen) Laserscanners der Parkbau in Form einer 3D-Punktwolke digital erfasst und in ein initiales BIM-Modell überführt. Im zweiten Schritt wird das Bauwerk mit dem Smartphone-basierten Schadenserfassungssystem begangen, um Schäden, wie Risse und Schadstellen, digital und georeferenziert aufzunehmen. Bei der Aufnahme markiert der Nutzer die Schäden in den Fotos, so dass später eine automatisierte Auswertung der Schadensgeometrie erfolgen kann. Im dritten Schritt werden die erfassten digitalisierten Schäden in das BIM-Modell über das BCF-Austauschformat übertragen und mithilfe der Verortung lagerichtig den entsprechenden Bauteilen zugeordnet. Während der Zuordnung werden die Fotos mit den markierten Schäden auf die entsprechenden BIM-Geometrien projiziert, um die absoluten Maße der Schäden zu bestimmen. Für jeden Schaden wird ein eigenständiges BIM-Objekt im Modell angelegt. Das digitale BIM-Modell spiegelt so den Ist-Zustand des Parkbaus wider, auf dessen Basis beispielsweise Schadensanalysen digital durchgeführt werden können. Mithilfe der Digitalisierung kann somit eine deutliche Vereinfachung im Rahmen der Abwicklung von Instandsetzungsmaßnahmen erzielt werden. In den bisherigen Forschungsaktivitäten wurden basierend auf den Entwicklungen des gia die Anforderungen an die baupraktische Umsetzung seitens Massenberg definiert und erste Validierungsuntersuchungen durchgeführt. Die Untersuchungen haben sich zunächst auf die Möglichkeit der praxisnahen Lokalisierung mittels mobilen Endgeräts, ohne die Verwendung von geodätischen Vermessungsgeräten fokussiert. Dies ist insbesondere bei der Verortung von Schadstellen oder Rissen im Zuge der Bauabwicklung und einer BIM-gestützten Baufortschrittskontrolle sowie Abrechnung relevant. Die nachfolgende Abbildung 16 zeigt einen Soll-Ist-Vergleich der Verortungsgenauigkeit des entwickelten Smartphone-basierten Indoor- Positionierungssystem. Dafür wurde eine 110 m lange Strecke mehrfach abgegangen, auf der besonders kritische Punkte berücksichtigt werden konnten, wie beispielsweise vielfacher Richtungswechsel, Störquellen oder schlechte Beleuchtung. Jeder Durchlauf hat ca. 5 min in Anspruch genommen. Die Abweichung zur Soll-Position über alle Durchläufe betrug nach 110 m durchschnittlich 1 m. Abbildung 16: Genauigkeitsuntersuchung der Positionierung mit dem mobilen Endgerät. Blau: Soll; Gelb: Ist 5. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurden die Ergebnisse der Evaluierung massenpunktbasierter Verfahren zur Bestandsdatenerfassung und BIM-basierten As-is-Modellierung dargestellt, ein Smartphone-basiertes Schadenerfassungssystem mit bildbasiertem Trackingsystem vorgestellt und die Verwendbarkeit von BCF als digitales Schadstellenaustauschformat für BIM gezeigt. Die Gegenüberstellung von TLS und MLS hat gezeigt, dass MLS-Systeme mit einer ausreichenden Genauigkeit für die Projektziele arbeiten und eine bis zu 10-fache Zeitersparnis gegenüber TLS liefern. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass bereits kostengünstige mobile Geräte, wie Smartphones, zur flexiblen und georeferenzierten Erfassung von Schadstellen verwendet werden können. Mithilfe des BCF-Formats ist es möglich alle notwendigen Daten einer Schadenerfassung vom mobilen Gerät in das BIM- Modell zu übertragen. Durch die Georeferenzierung der Schäden, können diese dem BIM-Modell bauteilscharf zugeordnet werden, so dass digitale Schadenanalysen am Bauwerk durchgeführt werden können. Allgemein lässt sich festhalten, dass der Einsatz von BIM im Rahmen der Instandsetzung von Bauwerken sowohl bei der Erstaufnahme von Bauwerken als auch bei der Bauausführung umfangreiche Möglichkeiten bietet die bisher aufwändigen und fehleranfälligen analogen Schritte zu vereinfachen, bei gleichzeitiger Steigerung der Genauigkeit. Die Aufnahme von Schadstellen und Rissen mit mobilen Endgeräten, wie Smartphones, bietet im Rahmen der Bauausführung ein hohes Potential genau und wirtschaftlich zu arbeiten. In den weiteren Forschungsaktivitäten werden die vorgestellten Verfahren zur Anwendung in der Praxis verbessert und in einen praxisnahen Workflow integriert. Die Verfahren zur digitalen Erfassung von Schäden werden in einer nutzerorientierten mobilen Smartphone-Anwendung realisiert und im Rahmen von Feldtests validiert. 100 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Literaturverzeichnis [1] BMVI, „Stufenplan Digitales Planen und Bauen,“ Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin, 2015. [2] M. Raupach und T. Büttner, Concrete Repair to EN 1504: Diagnosis, Design, Principles and Practice, 1. Edition Hrsg., CRC Press, 2014. [3] C. Jekeli, Inertial Navigation Systems with Geodetic Applications, De Gruyter, 2001. [4] M. Ehrhart und W. Lienhart, „Object tracking with robotic total stations: Current technologies and improvements based on image data,“ Journal of Applied Geodesy, Band 11: Heft 3, 02 2017. [5] P. G. „PHIDIAS,“ 2011. [Online]. Available: http: / / phocad.de/ de/ PHIDIAS/ phidias.html. [Zugriff am 11 2020]. [6] C. Blut und J. Blankenbach, „Three-dimensional CityGML building models in mobile augmented reality: a smartphone-based pose tracking system,“ International Journal of Digital Earth. 1-20, DOI: 10.1080/ 17538947.2020.1733680, 2020. [7] J. Blankenbach, „Indoor-Positionierung & lokale Positionierungssysteme,“ in Leitfaden - Mobile GIS: Hardware, Software, IT-Sicherheit, Indoor- Positionierung, Runder Tisch GIS e.V., München, 2016, pp. 46-57. [8] J. Blankenbach, H. Sternberg und S. Tilch, Indoor- Positionierung, Freeden/ Rummel, Hrsg., Berlin Heidelberg: Springer-Verlag, 2016. [9] NASA, „Mars Exploration Rovers Overview,“ 2020. [Online]. Available: https: / / mars.nasa.gov/ mer/ mission/ overview/ . [Zugriff am 11 2020]. [10] buildingSMART, „Industry Foundation Classes (IFC),“ 2020. [Online]. Available: https: / / www.buildingsmart.org/ standards/ bsi-standards/ industryfoundation-classes/ . [Zugriff am 11 2020]. [11] buildingSMART, „BIM Collaboration Format (BCF),“ 2020. [Online]. Available: https: / / technical.buildingsmart.org/ standards/ bcf/ . [Zugriff am 11 2020]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 101 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten Cher Sze Tan, M.Eng. Con+ScanTech - IFSB GmbH, Barleben, Sachsen-Anhalt Sevket Ersan, M.Sc. Con+ScanTech - IFSB GmbH, Barleben, Sachsen-Anhalt Zusammenfassung Parkhäuser u. Tiefgaragen, in der Regel Stahlbetonkonstruktionen, werden alltäglich und in der ganzen Welt genutzt. Stahlbeton ist ein Verbundbaustoff der u.a. durch thermische Spannungen und dynamische Krafteinwirkungen reißt. Risse in Stahlbetonflächen lassen sich grundsätzlich nicht vermeiden, stellen aber keine Gefahr für das Bauwerk da, wenn sie rechtzeitig geschlossen werden. Andernfalls können Chloride aus Tausalz in die Risse eindringen und zur Korrosion der Bewehrung führen. In diesem Fall können umfangreiche Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden. Sobald Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind oder Umbauten an den Gebäuden geplant werden, werden exakte Planungsgrundlagen benötigt. Aktuell kann der Planer meistens nur auf alte und häufig nicht mehr aktuelle Baupläne zurückgreifen, die für eine fachgerechte Instandsetzungsplanung wenig geeignet sind. Da diese Planunterlagen für eine exakte Kartierung der Schadstellen zu ungenau sind, soll die digitale Bestandsaufnahme im Rahmen der Zustandsbegutachtung als eine effizientere Alternative herangezogen werden. Die digitale Bestandsaufnahme bietet mit seinem umfangreichen computergestützten Technologien wie 3D Vermessung, bildbasierte Erkennung von Rissen in Stahlbetonflächen auf Basis einer künstlichen Intelligenz, modelbasierte Mengenermittlung der Bauwerkskomponenten und virtuellen Objektbegehungen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen der Bauwerkshaltung für alle Projektbeteiligen - Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Bei der 3D Vermessung von Parkbauten mittels Bildvermessung in Kombination mit 3D Laserscans wird eine zusammenhängende und detaillierte Bestandserfassung durchgeführt. Einer der technischen Maßnahmen ist die Erstellung einer 3D Punktwolke sowie Orthofotos vom Bestandsgebäude. Daraus werden 2D Bestandspläne, Schnitte, Ansichten und Fassadenzeichnungen abgeleitet. Die erfassten Schadstellen, wie z. B. Risse in Stahlbetonflächen, werden dann Millimeter genau in die entsprechenden Bestandspläne automatisch kartiert. Das Ziel ist die Erzeugung eines zentralen, digitalen Gebäudemodells mit Schadensinformationen, das durch die Nutzer mit weiteren Informationen angereichert werden kann und somit eine fundierte Grundlage für die Aufgaben beim Bauen im Bestand liefert u.a. die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung und das Bauwerksmanagement. 1. Einführung Heutzutage ist es durch den breiten Einsatz von Werkzeugen und genauen digitalen Vermessungstechniken möglich, einen angemessenen Detaillierungsgrad in Bezug auf die Gebäude zu erreichen; neue mobile Mapping-Tools bieten ein großes Potenzial, sowohl in Bezug auf die Planung und Bewertung des gesamten Wissens- und Erhaltungsprozesses jeder Art von Gebäude als auch in Bezug auf seine Verwaltung und künftige Instandhaltung. Darüber hinaus ermöglichen die BIM-Technologien die Kommunikation zwischen Daten, die aus verschiedenen Softwareprogrammen stammen, was einen größeren Informationsaustausch zwischen vielen Beteiligten ermöglicht. 2. Bauwerksmodellierung Nach der Erfassung wird ein intelligentes 3D Bestandsmodell in einer BIM oder CAD-Umgebung erstellt und mit weiteren Gebäudeinformationen ergänzt. 2.1 Von der Punktwolke zum parametrischen Modell Entsprechend der geometrischen Formen müssen aus den in die BIM/ CAD einzubettenden 3D-Rohdaten erkannt und segmentiert werden: Flächen (Ebenen, Kurven oder Extrusion), Volumen und komplexe Objekte. Diese Konvertierung könnte auf der Grundlage dieser Daten erfolgen: 102 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten - automatische Verfahren zur Wiederherstellung des Objekts entsprechend der automatischen Oberflächenextraktion aus der Punktwolke. - halbautomatische Verfahren durch Verwaltung von Querschnitten und Oberflächenextrusionen; - manuelle Modellierungsoperationen von Volumen und Form von Kratzern; Für die Realisierung des parametrischen Modells wurden drei Hauptstrategien untersucht. Manuelle Modellierung von Grund auf, um die Volumina und die reale Form wiederherzustellen; halbautomatische Methode, bei der die Primitive an die Punktwolken angepasst werden, wobei der Querschnitt für die Modellierung oder die Oberflächenextrusion verwendet wird, und schließlich ein eher automatischer Ansatz, der es erlaubt, das Objekt gemäß der automatischen Oberflächenextraktion aus der Punktwolke wiederherzustellen. Abbildung 1: 3D Laserscanning eines Parkhauses (20.000 qm) Für BIM- und Bauwerkuntersuchung-Zwecke ist der automatische Ansatz nicht geeignet, da sich die Form komplexer Gebäude kaum mit einfachen Geometrien beschreiben lässt. Entsprechend dieser Annahme sind mehrere Plug-ins in der Entwicklung. Das Ziel dieser Plugins besteht in der Erstellung parametrischer Objekte aus der Verarbeitung metrischer Daten durch die Verwaltung von Punktwolken. Wenn die Parkbauten berücksichtigt werden, um die detaillierten Fassademodellierung oder die Übertragung detaillierter Markierungen am Boden auf das 3D Model durchzuführen, können neben der Punktwolke Orthofotos, die aus der Punktwolke erstellt werden können, verwendet werden. Abbildung 2: 3D Modell für digitale Bauwerkserhaltung 2.2 CAD und BIM als Planungsmethode in der digitalen Bestandsaufnahme BIM ist keine Weiterentwicklung von CAD, sondern basiert auf einer völlig anderen Herangehens-weise zur Erstellung von digitalen Planungsdaten. Die häufig verwendeten CAD-Systeme, wie AUTOCAD, imitieren das traditionelle Zeichnen von Plänen in Form von Grundrissen, Schnitten und Ansichten [1]. Diese Zeichnungen werden zweidimensional erstellt und beinhalten einfache geometrische Elemente wie Linien und Bögen sowie Beschriftungen. Im Gegensatz dazu wird in BIM nicht das händische Zeichnen von Grundrissen, Schnitten und Ansichten, sondern die Abbildung realer Weltstrukturen in Form von 3D-Modellen imitiert [1]. BIM verschiebt das traditionelle Designkonzept in Richtung der Reduzierung von Problemen, die durch die mangelnde Kommunikation zwischen Projektbeteiligten verursacht werden, die die Vorteile neuer Interoperabilitätsstandards nutzen können. Das BIM stützt sich auf ein 3D-Modell der Struktur mit zusätzlicher parametrischer Geometrie, so dass Objekte ohne Neuzeichnung modifiziert werden können. Es wird erkannt, dass BIM viel mehr als eine grobe 3D-Darstellung ist. Es handelt sich um eine objektorientierte Datenbank des Gebäudes mit einer verbesserten Koordination der Bauunterlagen, in der die Geometrie, die räumlichen Beziehungen und die Eigenschaften der Gebäudekomponenten strukturiert sind. Im Vergleich zu diesen Dimensionen ist es bemerkenswert, dass das Potenzial von BIM eher im Hinblick auf die Erstellung einer ganzheitlichen und nachhaltigen Dokumentation und in Anbetracht der Tatsache, dass diese Dokumentation eine funktionierende Infrastruktur zwischen verschiedenen Beteiligten schaffen muss, angemessen ist. 2.3 Detallierungsgrad der 3D Modelle Der unterschiedliche Anwendungskontext von Bauwerkuntersuchung erfordert auch unterschiedliche Definitionen des Detaillierungsgrads der Modelle. Level of Detail, kurz LOD, steht für einen geometrischen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 103 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten Detaillierungsgrad und beschreibt die Detailtreue eines Modellelements in einem digitalen Bauwerksmodell. Der Entwicklungsgrad LOD 100-500 definieren welche Anforderungen, Genauigkeiten und Inhalte das digitale Gebäudemodell erreicht und beinhaltet. Eine wichtige Definition von Detaillierungsgraden in BIM-Modellen beinhaltet die Level of Development Spezifikation [2]. Die sogenannten Level of Development (LOD) beziehen sich auf eine Disziplin und Leistungsphase und beinhalten Informationen über ein Bauteil in der jeweiligen erforderlichen Detailtiefe. Die LOD Spezifikation beinhaltet dabei keine spezifizierte Menge an Informationen, welche in einem Modell vorhanden sein müssen, sondern liefert vielmehr eine Sprache, mit dessen Hilfe diese Spezifizierungen definiert werden können. Das bedeutet, dass innerhalb einer Leistungsphase der LOD zwischen den Disziplinen unterschiedlich sein kann. [3] Die LODs sind entsprechend der Spezifikation wie folgt definiert (vgl. Abbildung 4): - LOD 100: konzeptionelle Darstellung von Volumen und Flächen. - LOD 200: generische (allgemein gültige) Darstellung von Gebäudeteilen: Wände, Decken, Treppen (z. B. Außenwand zweischalig, Fluchttreppe). - LOD 300: Darstellung mit exakten Abmessungen, Materialien und Positionierung (z. B. Wand in Beton). - LOD 400: produktspezifische Darstellung (z. B. Betonwand Typ 4-1, NPK A, 40 kg/ m³, Steinwolle 60 kg/ m³, Lambda 0.034 W/ mK). - LOD 500: As-Built-Modell (Informationsgehalt geeignet für die Bewirtschaftung) [3]. Abbildung 4: Beispiel Fertigstellungsgrad (LOD) eines Raumes und seiner Modellelemente [4] Die US-amerikanische LOD-Spezifikation kennt zusätzlich den LOD 350 (Bauausführung). Die LOD lassen sich in einen geometrischen (Level of Geometry, LOG) und einen semantischen Teil (Level of Information, LOI) gliedern [2]. Existierende Definitionen von LOD, LOG und LOI können dagegen in Bestandsprojekten in der Regel nur schwer übertragen werden, da sich die Anforderungen einer Planung im Bestand häufig stark von der einer Neuplanung unterscheiden. Daher sollen zu Beginn des Projekts mit dem Auftraggeber diese Punkte definiert werden, die den Zielen des Projekts entsprechen und im Rahmen einer Modellierung sinnvoll und wirtschaftlich sind. Bei der geometrischen Detaillierung ist dabei zwischen dem maximal zugelassenen Abstand zwischen Punktwolke und Modell und der geometrischen Abstrak- 104 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten tion der Bauteile zu unterscheiden. Darüber hinaus sollen des Weiteren eine sinnvolle Benennung und Attribuierung der Bauteile festgelegt werden. In diesem Zusammenhang kann LOD im Bereich Bauwerkuntersuchung als 300-350 am Beispiel von Parkbauten definiert werden. Basierend auf unseren Erfahrungen und angewandten Beispielen bietet dieses LOD-Niveau ein vorhersehbares Verhältnis von Preis/ Arbeitsaufwand und Nutzen. Sie bietet genügend Details nicht nur für die Dokumentation der bestehenden Struktur, sondern auch für die Verwendung des erhaltenen Modells für weitere Untersuchungen. 3. Erweiterung 3D Modell digitale Bauwerksuntersuchung Building Information Modeling (BIM) ist eine revolutionäre Entwicklung, die die AEC-FM-Branche (Architectural, Engineering and Construction, and Facilities Management) rasch verändert hat. Vergleicht man CAD und BIM oder 2D- und 3D-Workflows, rückt das komplexe BIM-System in den Vordergrund, wenn man die darin enthaltenen Potenziale im Bereich Bauwerksuntersuchung betrachtet. Das liegt daran, dass BIM sowohl als eine Technologie als auch als ein Prozess betrachtet werden kann, der alle für den Bau einer Anlage erforderlichen Informationen in einem einzigen, virtuellen 3D- Modell einbindet. Dieses 3D-Modell kann übertragen und mit anderen Projektbeteiligten geteilt werden. BIM verbessert die Kommunikation und Zusammenarbeit der Projektteams durch die Verwendung von Industry Foundation Classes (IFC), einem neutralen Dateiformat, das die Interoperabilität zwischen Anwendungen mit unterschiedlichen Dateiformaten vom Entwurf bis zu den Betriebs- und Wartungsphasen verbessert [5]. Die von IFSB entwickelte individuelle Anwendungslösung ermöglicht die Erstellung eines BIM-Instandsetzungsmodells mit einer Schadens- und Mängelverwaltung und die Visualisierung der Gesamtergebnisdaten aus den einzelnen Sensorsystemen (Rissdetektion, Potentialfeldanalyse, Betondeckung etc.) und sonstigen Ergebnissen aus Bauwerksprüfungen in einem Multi-Layer Schadensmodell (Abbildung 5) mit Analyse- und Bewertungskomponenten. Abbildung 5: Ebenen Modell digitale Bauwerkuntersuchung Literaturangaben [1] Grabowski, R. (2010): CAD & BIM - Is There A Free Pass? upFront.reSearch. http: / / download.graphisoft.com/ ftp/ marketing/ white_papers/ GRAPHISOFT_White_Paper_CADandBIM.pdf (27.10.2020). [2] BIMForum (2016): Level of Development Specification - For Building Information Models. BIM- Forum. http: / / bimforum.org/ lod/ (27.10.2020). [3] Robert Kaden, Robert Seuß und Thomas H. Kolbe (2020): Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu CAD und GIS. Leitfaden Geodäsie und BIM. [4] Aardeplan (2014): Level of Development. Aardeplan architektur & consulting. http: / / gesamtleitung.vdf-online.ch/ post/ 4-fertigstellungsgrad-lod (27.10.2020) [5] Building Smart International (2020) https: / / technical.buildingsmart.org/ standards/ ifc/ (27.10.2020) Nicht referenzierte Bilder sind Eigentum der IFSB GmbH. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 105 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Sarah Dabringhaus Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Sonja Neumann Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Yasser Alquasem Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Peter Haardt Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Intelligente Brücke“ der Bundesanstalt für Straßenwesen werden derzeit wesentliche Entwicklungen in Living Labs (Reallabore) unter Realbedingungen erprobt, weiterentwickelt und hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit bewertet. In diesem Beitrag werden zwei Living Labs vorgestellt und ausgewählte Ergebnisse aufgezeigt. Aktuelle und zukünftige Forschung ausgehend vom Themenschwerpunkt „Intelligente Brücke“ wird beleuchtet. 1. Einleitung Das Erhaltungsmanagement für Brückenbauwerke zielt darauf ab, die Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit eines Bauwerks mit zielgerichteten Maßnahmen wiederherzustellen bzw. sicherzustellen (BMVI 2013). Da Maßnahmen derzeit erst dann geplant und umgesetzt werden, wenn Schädigungen vorhanden und visuell sichtbar sind, kann das Erhaltungsmanagement für Brückenbauwerke als reaktiv bezeichnet werden. In der Regel sind Schädigungen dann bereits weit fortgeschritten und entsprechend umfangreiche Maßnahmen erforderlich (Dabringhaus und Haardt 2019). Aktuelle Herausforderungen der Bundesfernstraßen wie steigende verkehrsbedingte und klimatische Einwirkungen, die ungünstige Altersstruktur der Bauwerke sowie begrenzte Budgets erfordern eine Optimierung des Erhaltungsmanagements in Richtung prädiktives Erhaltungsmanagement (Dabringhaus 2020). Eine Grundlage für das prädiktive Erhaltungsmanagement schafft die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) seit 2011 im Rahmen des Forschungsclusters „Intelligente Brücke“. Ziel ist die kontinuierliche messtechnische Zustandsüberwachung und -prognose eines Bauwerks, um bevorstehende Zustandsänderungen frühzeitig erkennen und geeignete Maßnahmen einleiten zu können. Anhand von Living Labs (Reallabore) werden Teilentwicklungen der Intelligenten Brücke unter realen Bedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt. 2. Intelligente Brücke Die Arbeiten der BASt zu dem Thema „Intelligente Brücke“ erfolgen durch Eigen-, Auftrags- und Antragsforschung. Zunächst lag der Schwerpunkt vor allem auf konzeptionellen Projekten, mit dem Ziel den Stand der Technik, die Machbarkeit sowie Grundlagen aufzuzeigen und zu erarbeiten. Hierbei wurden vor allem die Themen Messtechnik, Datenanalyse und Bewertungsverfahren adressiert (Neumann und Haardt 2014). Darauf aufbauend erfolgte die Entwicklung instrumentierter Bauteile wie z.B. Fahrbahnübergänge und Brückenlager, neuer Analyse- und Bewertungs- und Visualisierungsverfahren sowie anschließend deren Evaluierung und Weiterentwicklung in Living Labs. 2.1 Definition Monitoring kann als „Gesamtprozess einer systematischen Überwachung von Bauwerksreaktionen und/ oder einwirkenden Größen in der Regel mittels eines Messsystems über einen repräsentativen Zeitraum“ (DBV 2018) definiert werden. In diesem Zusammenhang wird die Überwachung als eine auf z.B. Messungen basierende Beobachtung verstanden, bei der erfasste Daten mit Erwartungs- und Grenzwerten verglichen werden (DBV 2018). Die Intelligente Brücke stellt die letzte Ausbaustufe des Monitorings mit ganzheitlicher Erfassung und Bewertung der relevanten Bauwerksreaktionen und Ein- 106 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung wirkungen über die gesamte (Rest-)Nutzungsdauer des Bauwerks dar. Das Konzept „Intelligente Brücke“ kann sowohl beim Neubau als auch bei Bestandsbauwerken mit ausreichend hoher Restnutzungsdauer Anwendung finden. Vor allem Brückenbauwerke mit großer Bedeutung für das Bundesfernstraßennetz und/ oder repräsentative Bauwerke eignen sich für das Konzept Intelligente Brücke. Eine flächendeckende Umsetzung der Intelligenten Brücke ist aus heutiger Sicht nicht notwendig, da eine Übertragbarkeit von objektspezifischen Erkenntnissen auf geeignete Brückenbauwerke erwartet wird. Zu den zentralen Elementen der Intelligenten Brücke gehören die messtechnische Ausstattung des Bauwerks, Analyse- und Bewertungsverfahren, ein Datenmanagement sowie eine Nutzeroberfläche, siehe Bild 1. Die messtechnische Ausstattung des Bauwerks erfolgt bauwerksspezifisch und zielt auf eine ganzheitliche Betrachtung des Bauwerks ab. Bei der Analyse und Bewertung der Daten können sowohl Ingenieurmodelle als auch datengetriebene Verfahren (z.B. Data Mining, Big/ Smart Data Analytics) zum Einsatz kommen. Anhand der Nutzeroberfläche kann der Bauwerkseigentümer bzw. -betreiber wichtige Informationen, die an einer Intelligenten Brücke gewonnen werden, einsehen (Dabringhaus und Haardt 2019). Bild 1: Schema der Intelligenten Brücke (in Anlehnung an (Dabringhaus und Haardt 2019)) Die Intelligente Brücke kann in nahezu Echtzeit Informationen hinsichtlich des Zustands, der Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer des Bauwerks und seiner Bauteile bereitstellen. In der Regel können Anomalien in Messdaten, die in Verhaltensveränderungen des Bauwerks begründet sind, frühzeitig erkannt werden, bevor eine Schädigung visuell erfassbar ist. Auf dieser Grundlage können Zustandsveränderungen prognostiziert werden. Damit schafft die Intelligente Brücke den Ausgangspunkt für die Entwicklung vom aktuellen, reaktiven zum prädiktiven Lebenszyklusmanagement. Im Sinne dieser Lebenszyklusstrategie sollen die Reserven einer Brücke und ihrer Bauteile voll ausgeschöpft und gleichzeitig Ausfälle vermieden werden, um damit eine bestmögliche Verfügbarkeit zu gewährleisten (Haardt 2018). 2.2 Nutzen der Intelligenten Brücke Das Konzept der Intelligenten Brücke zielt darauf ab, den Bauwerksbetreiber bei der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit eines Bauwerks während dessen Nutzungsdauer durch die kontinuierliche Bereitstellung relevanter Informationen hinsichtlich Zustands, Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer eines Bauwerks und seiner Bauteile in nahezu Echtzeit zu unterstützen. Dem Bauwerksbetreiber stehen durch die Intelligente Brücke neben den Informationen aus der Bauwerksprüfung zusätzliche, objektive Informationen, gewonnen aus Messdaten, zur Verfügung. Diese können als Indikator für eine zuverlässigkeitsorientierte Bauwerksprüfung dienen und deren Effizienz steigern. Die Informationen aus einer Intelligenten Brücke ermöglichen dem Bauwerksbetreiber eine Optimierung des Lebenszyklusmanagements, indem vorausschauende Maßnahmen ergriffen werden können (Dabringhaus und Haardt 2019). Geringere Verkehrsbeeinträchtigungen sowie kürzere und/ oder weniger Erhaltungsmaßnahmen während der gesamten Nutzungszeit eines Bauwerks können daraus resultieren. Mit der Intelligenten Brücke werden Kenntniserweiterungen durch die Verifikation von Systemannahmen und Bauteil-/ Bauwerksverhalten auf Grundlage von Messdaten möglich, die die tatsächlichen Einwirkungen und Bauwerksreaktionen wiederspiegeln (Dabringhaus 2020). Dies ist vor allem für Bestandsbauwerke relevant, da tragfähigkeitsrelevante oder verschleißbasierte Veränderungen in der Regel im Laufe der Nutzungsdauer auftreten. Die an der Intelligenten Brücke gewonnenen Messdaten ermöglichen darüber hinaus eine Überprüfung bzw. Kalibrierung von Ingenieurmodellen sowie eine Anpassung von Bemessungsnormen. Im Zuge der Betrachtung des Mehrwerts einer Intelligenten Brücke, sind auch die entstehenden Kosten zu berücksichtigen. Für die Realisierung einer Intelligenten Brücke müssen derzeit noch relativ hohe Sach- und Personalkosten angesetzt werden. Dies begründet sich in der zielgerichteten intensiven Ausstattung des Bauwerks mit Messtechnik, dem Betrieb der Anlage und dessen Aufrechtrechterhaltung sowie der Analyse, Bewertung und Management von Messdaten. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Intelligente Brücke, betrachtet über ihren gesamten Nutzungszeitraum, das Potenzial hat, derzeitige Kosten für den Bauwerksbetreiber und Nutzer zu reduzieren durch z.B. geringere Betriebskosten, eingesparte Reisezeit und Umweltbelastungen (Schubert et al. 2019). Durch eine zielgerichtete und prädiktive Lebenszyklusplanung kann die Bauwerkprüfung bestmöglich unterstützt und die Verfügbarkeit eines Bauwerks verbessert werden. 3. Living Labs Innovative Entwicklungen der Intelligenten Brücke werden im Rahmen von Living Labs erprobt, weiterentwickelt und v.a. hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 107 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung bewertet. Living Labs sind Testumgebungen, in denen verkehrsinfrastrukturrelevante Innovationen unter realen Bedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt werden können (BMWI 2020). Aus Living Labs gewonnene Erkenntnisse können wichtige Grundlagen für eine nachfolgende schnelle Implementierung neuer und innovativer Ansätze in der Praxis liefern, wobei auch dieser Ansatz eine volle Variation aller in der Praxis vorkommenden Randbedingungen nur eingeschränkt ermöglicht (Dabringhaus et al. 2020). Darüber hinaus bieten Living Labs die Möglichkeit umfangreiche Messdaten unter Realbedingungen zu erfassen, die für weitergehende Forschung zur Verfügung stehen. In der BASt wird derzeit im Rahmen der Living Labs „Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn“ und „Talbrücke Sachsengraben“ verschiedenen Forschungsfragen nachgegangen. 3.1 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn Das Reallabor „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist Teil des 2015 vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eingerichteten digitalen Testfelds Autobahn auf der A9 zwischen Nürnberg und München. Ziel des digitalen Testfelds Autobahn ist es, digitale Innovationen zum Thema „Mobilität 4.0“ unter realen Bedingungen zu erproben und ggf. weiterzuentwickeln (BMVI 2015). Das Reallabor „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist ein mit Messtechnik ausgestattetes, 2015/ 16 errichtetes Ersatzbauwerk im Autobahnkreuz Nürnberg, welches die A3 überführt. Es handelt sich dabei um eine 4-feldrige, 156°m lange Spannbeton-Hohlkastenbrücke, die zweispurig Richtung Regensburg führt. Das Bauwerk wurde nach Abschluss von messtechnischen Vorbereitungen wie Kalibrierfahrten im Oktober 2016 für den Verkehr freigegeben. Der Messbetrieb startete 2017 (Dabringhaus und Haardt 2019). Ziel dieses Reallabors ist es, ausgewählte Entwicklungen an dem Bauwerk zu demonstrieren, weiterzuentwickeln und hinsichtlich der Praxistauglichkeit zu bewerten. Dabei werden eine Weiterentwicklung der Messsysteme im Hinblick auf die zielgerichtete Erfassung und automatisierte Auswertung von Messdaten sowie die Entwicklung eines geeigneten Datenmanagements und einer Nutzeroberfläche angestrebt, auf der wesentliche Ergebnisse einem ausgewählten Nutzerkreis zugänglich gemacht werden können. Die Arbeiten im Rahmen des Reallabors erfolgen durch Auftragsforschung der BASt. Die Untersuchungszeit des Reallabors startete 2017 und ist zunächst für 5 Jahre ausgelegt. Im Rahmen des Reallabors „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ sind neben der BASt folgende Einrichtungen beteiligt: BMVI, Bayerisches Staatsministerium des Innern für Bau und Verkehr, Autobahndirektion Nordbayern, Ingenieurbüro Prof. Freundt, Maurer SE und das Institut für Telematik der Universität zu Lübeck. 3.1.1 Ausstattung Die „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist der erste in diesem Maße mit Messtechnik ausgestattete Neubau in Deutschland. Das Bauwerk ist mit vier Messsystemen ausgestattet, die im Rahmen des BMVI- Forschungsprogramms „Straße im 21. Jahrhunderts“ entwickelt wurden. Dazu zählen das System zur Erfassung von Einwirkungen und Bauwerksreaktionen des Ingenieurbüros Prof. Dr. U. Freundt (Freundt 2014), instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge entwickelt von der Fa. Maurer SE (Friedl et al. 2015) sowie ein drahtloses Sensornetzwerk der Universität zu Lübeck (Fischer und Boldt 2015). Für jedes Messsystem befinden sich separate Messrechner in der Brücke, auf denen die automatisierte Auswertung der Messdaten erfolgt. Das Bauwerk ist darüber hinaus mit einem Network Attached Storage (NAS) ausgestattet. Dort werden sämtliche Rohdaten und ausgewertete Daten gehalten. Die Ergebnisdaten für die Nutzeroberfläche werden während der Laufzeit des Reallabors in einer Datenbank auf Servern der Universität zu Lübeck und zusätzlich auf dem NAS abgelegt. Die Nutzeroberfläche wird kontinuierlich um Ergebnisdaten aus der Datenbank aktualisiert. 3.1.2 Ausgewählte Ergebnisse Die Entwicklungsarbeiten an den einzelnen Messsystemen sind im Rahmen des Reallabors mit Ende 2020 abgeschlossen. Für die installierten Systeme wurden Erfassungs- und Auswertestrategien und Lösungen für die Zeitsynchronisation der Messsysteme entwickelt sowie entsprechende Algorithmen zur vollautomatisierten Auswertung der Messdaten auf den Messrechnern an der Brücke implementiert. Eine zuverlässige und sichere Datenverarbeitung wird durch die Entwicklung eines geeigneten Datenmanagements gewährleistet. Auf Grundlage der ausgewerteten Daten wurden Kennwerte ermittelt, die eine Zustandserkennung und -überwachung der Brücke und ihrer Bauteile ermöglichen. Dazu zählen u.a. der objektspezifische Auslastungsgrad infolge statischer Verkehrslast, die Ermüdungsbeanspruchung, Bauwerkssteifigkeit und Vorspannkraft der externen Spannglieder. Des Weiteren werden Informationen zum Verkehr und Wetter ermittelt. Ein zentraler Baustein der Intelligenten Brücke ist neben der Erfassung, Auswertung, Bewertung und Management der Daten die Visualisierung der Messdaten und Darstellung von Kennwert-Zeitverläufen. Im Rahmen dieses Reallabors wurde eine Nutzeroberfläche, im nachfolgenden auch als „Webanwendung“ bezeichnet, erarbeitet. Diese ermöglicht dem Bauwerkseigentümer jederzeit einen Überblick über den auf messtechnischen Informationen beruhenden Status des Bauwerks und der Bauteile. In der Webanwendung werden fortlaufend Messdatenverläufe und abgeleitete 108 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Kennwert-Zeitverläufe angezeigt. Sobald Kennwerte einen Grenzwert überschreiten, kann eine Email- Benachrichtigung sowohl an den Systembetreuer als auch den Bauwerkseigentümer erfolgen (Freundt et al. 2020). Die Webanwendung ist nur für einen beschränkten Nutzerkreis verfügbar und zielt darauf ab, den Bauwerksbetreiber mit zusätzlichen Informationen zum Bauwerk und seiner Bauteile zu unterstützen. Sie kann von unterschiedlichen Endgeräten aufgerufen werden wie Laptop, Tablet oder Smartphone. Herzstück der Webanwendung ist die Übersichtsseite. Dort werden die wichtigsten Kennwerte zur Beurteilung des Bauwerks- und Bauteilzustands auf Grundlage von Messdaten, Informationen zu Wetter und Verkehr sowie der Status der einzelnen Messsysteme angezeigt, siehe Bild 2. Die Subseiten zeigen Messdatenverläufe sowie weitere Detailinformationen. Bild 2: Übersichtsseite der Webanwendung Unter „Bauwerksstatus“ werden alle Kennwerte gefasst, die Bewertungen zu Brücke, Fahrbahnübergang und Lager ermöglichen. Im Folgenden werden die Kennwerte zur Brücke, die anhand des Messsystems zur Erfassung von Einwirkungen und Widerständen des Ingenieurbüros Prof. Dr. U. Freundt, ermittelt werden, vorgestellt: Statische Beanspruchung des Bauwerks Der Kennwert „Statische Beanspruchung des Bauwerks“ ist als Verhältnis von ermittelten statischen Beanspruchungswerten aus Verkehr zu Werten aus dem Ansatz des für die Tragwerksbemessung verwendeten Lastmodells, LM 1, definiert. Durch statistische Auswertung der Zeitverläufe an ausgewählten Messstellen werden Kennwerte der statischen Beanspruchung des Bauwerks infolge Verkehrs ermittelt. In Bild 3 ist exemplarisch das Ergebnis für eine Messstelle als Verhältniswerte zum Vergleichswert aus dem Ansatz des Lastmodells LM 1 aufgetragen. Zwei Niveauschwellen wurden bei einem Wert von 0,80 (Gelb) und 0,90 (Rot) festgelegt. Bei Überschreiten der Niveauschwellen erfolgt eine Benachrichtigung (Freundt et al. 2020). Bild 3: Kennwertverlauf “Auslastung statisch” Auslastung Ermüdung Der Kennwert „Auslastung Ermüdung” wird auf Grundlage von Messdaten der Dehnungsmessungen an der Bewehrung im unteren Bereich des Hohlkastens ermittelt. Dazu werden die temperaturkompensierten Messdaten einer Rainflow-Auszählung unterzogen und die erhaltenen Dehnungsschwingbreiten in Spannungsschwingspiele umgerechnet. Anschließend erfolgt eine Berechnung von Schädigungen und Schädigungssummen anhand der Wöhler-Linie für den Bewehrungsstahl sowie eine Umrechnung zu schädigungsrelevanten Schwingbreiten. Diese werden zu entsprechenden Werten aus dem Ermüdungsnachweis für die jeweilige am Tragwerk betrachtete Stelle ins Verhältnis gesetzt, siehe Bild 4. Betrachtungszeiträume wie die gesamte Messzeit, die letzten 52, 12 und 1 Wochen werden dargestellt. Bei kürzeren Betrachtungsräumen kommen saisonale Effekte stärker zum Tragen. Wie in Bild 4 zu sehen ist, liegt der errechnete Wert derzeit bei 0,45. Es wird davon ausgegangen, dass sich der errechnete Wert, bei unveränderter Charakteristik der bislang ermittelten schädigungsrelevanten Schwingspiele aus Verkehr, nicht wesentlich ändert. Die Niveauschwellen liegen bei einem Wert von 0,80 und 0,90 (Freundt et al. 2020). Bild 4: Kennwertverlauf “Auslastung Ermüdung” 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 109 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Auf Grundlage der Messdaten der installierten Beschleunigungssensoren erfolgt die Ableitung der Statuskennwerte des Widerstandes des Bauwerks. Dazu werden die Eigenfrequenzen automatisiert über eine Fast-Fourier- Transformation auf dem Messrechner im Brückenhohlkasten ermittelt. Im Rahmen des Projekts FE 15.0631 „Digitales Testfeld Autobahn - Intelligente Brücke Synchronisation von Sensorik und automatisierte Auswertung von Messdaten“ wurde eine Methodik zur Kompensation von lang-, mittel- und kurzfristigen Effekten in den Messdaten entwickelt auf Basis vorhandener Messdaten und unter der Annahme, dass bisher keine Schädigungen am Bauwerk eingetreten sind (Freundt et al. 2020). Im Folgenden werden die Statuswerte für die externe Vorspannung und. die Bauwerkssteifigkeit vorgestellt. Statuskennwert „Vorspannung“ Der entwickelte Statuskennwert „Vorspannung“ ermöglicht die Detektion einer Veränderung der Vorspannkraft, z.B. durch den Bruch einzelner Litzen im Spannglied, anhand der erfassten Messdaten. Zur Ermittlung dieses Statuskennwerts werden die Eigenfrequenzen aus den Beschleunigungsmessungen an externen Spanngliedern herangezogen, da diese mit der Vorspannkraft im Spannglied korrespondieren. Ein Statuswert von 1,00 entspricht dem derzeitigen Stand der kompensierten externen Vorspannung. Dabei wurde definiert, dass ein Statuswert von 0,00 den theoretischen Ausfall von 20 der 60 Litzen repräsentieren soll. In Bild 5 ist der Verlauf des Statuswertes „Vorspannung“ über die Projektlaufzeit dargestellt. Die eingezeichneten Niveaulinien bei 0,95 und 0,9 zeigen die rechnerisch ermittelte Abweichung der normalisierten Eigenfrequenz bei Ausfall einer bzw. zweier Litzen (Freundt et al. 2020). Bild 5: Kennwertverlauf “Vorspannung” Status „Bauwerkssteifigkeit“ Der entwickelte Statuskennwert „Bauwerkssteifigkeit“ ermöglicht die Detektion von Veränderungen der Bauwerkssteifigkeit anhand der erfassten Messdaten. Zur Ermittlung des Statuskennwerts werden die Eigenfrequenzen der Brücke herangezogen, die aus der Beschleunigungsmessung am Umlenksattel des externen Spanngliedes abgeleitet werden. Die Eigenfrequenzen der Brücke korrespondieren mit der Steifigkeit des Bauwerks. Im Gegensatz zur Vorspannung ist der Zusammenhang zwischen der Änderung der Eigenfrequenz und der Bauwerkssteifigkeit zahlenmäßig nicht hinterlegt, so dass eine qualitative Überwachung der Eigenfrequenzen erfolgt. Auf Grundlage der bisher erfassten Messdaten werden Werte von 0,00 zu einem Statuswert von 1,00 und ein in vorherigen Analysen berechneter Mittelwert von 3,234 zu einem Statuswert von 0,00 gesetzt. Bild 6 zeigt den Verlauf der Bauwerkssteifigkeit über die Projektlaufzeit. Signifikante Abweichungen können auf eine Änderung der Bauwerkssteifigkeit hindeuten (Freundt et al. 2020). Bild 6: Kennwertverlauf “Bauwerkssteifigkeit” 4. Fazit Wie zu erwarten, zeigen die Kennwert-Zeitverläufe des vier Jahre alten Bauwerks keine Ausfälligkeiten, die auf Schädigungen hinweisen könnten. Im Rahmen dieses Reallabors ist es gelungen, Messdaten zielgerichtet und automatisiert auszuwerten sowie Kennwerte aus den Messdaten abzuleiten, die den Bauwerksbetreiber bei der Überwachung des Bauwerks unterstützen können. Das Reallabor läuft bis Ende 2021 und in der verbleibenden Zeit werden die Entwicklungen hauptsächlich weiter erprobt werden. Eine Weiterführung des Reallabors wird angestrebt, um Langzeiterfahrungen zu sammeln und eine breite Messdatenbasis zu erzielen, die für weitere Forschung zur Verfügung stehen soll. 4.1 Online Sicherheitsmanagement für Brücken (OSIMAB) Das Projekt OSIMAB wird im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND des Bundesministeriums für Verkehr 110 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung und digitale Infrastruktur gefördert. Im Rahmen des Projekts wird angestrebt, ein ganzheitliches Konzept zur kontinuierlichen Überwachung, Bewertung und Prognose des Zustands von Straßenbrücken zu entwickeln. Damit wird ein Grundstein für ein prädiktives Erhaltungsmanagement gelegt. Hierdurch können längere Zeiträume zur Planung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen geschaffen und somit Verkehrseinschränkungen minimiert werden. Im Rahmen des Projektes wird ein breites Spektrum an Datensätzen betrachtet, die sowohl flächendeckende Bestandsdaten als auch objektspezifische Messdaten umfassen. Zunächst wurden auf Grundlage von Bestandsdaten des Bundes bauwerksspezifische Parameter flächendeckend analysiert (Socher und Müller 2020). Die damit verbundenen Auswertungen hinsichtlich relevanter Brückentypen für das Bundesfernstraßennetz bilden die Grundlage für weitere, objektspezifische Untersuchungen an einem ausgewählten Brückenbauwerk (Talbrücke Sachsengraben A45). Hierdurch können im Gegenzug Rückschlüsse auf Problemstellungen im Gesamtbestand gezogen werden. Die Praxistauglichkeit des OSIMAB-Systems soll im Rahmen des Reallabors „Talbrücke Sachsengraben“ unter Beweis gestellt werden. Es wurden Methoden entwickelt, um anhand eines an Messdaten kalibrierten Systemmodells Aussagen über den Zustand abzuleiten und zu bewerten. Darüber hinaus wurde untersucht, inwieweit innovative Smart-Data-Algorithmen eingesetzt werden können, um Anomalien in Messdatenströmen zu identifizieren, die auf Veränderungen des Tragwerksverhaltens hindeuten können. Den Abschluss des Projekts bildet die Entwicklung eines Risikomanagementkonzepts. 4.1.1 Ausstattung des Demonstrator-Bauwerkes Für das globale und lokale Monitoring wurde das Demonstrator-Bauwerk mit 145 Sensoren ausgestattet. Der nördliche Überbau mit Fahrtrichtung Dortmund ist aufgrund des schlechteren Zustandes (Zustandsnote: 2,9) mit 89 Sensoren ausgestattet. Die übrigen der Sensoren sind am südlichen Überbau mit Fahrtrichtung Frankfurt (Zustandsnote: 2,3) eingesetzt. Die Sensortechnologie besteht aus: Elektrischen Dehnmessstreifen, induktiven Wegaufnehmern, piezoelektrischen Beschleunigungsaufnehmern, Neigungsaufnehmern, Temperatursensoren, einer Videokamera sowie Mikrofonen. Bei den meisten dieser Sensortypen handelt es sich um etablierte Technologien, die bereits bei einer Vielzahl an Brückenmessungen ihre Leistungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit unter Beweis gestellt haben. Bild 7: Induktiver Wegaufnehmer (Talbrücke Sachsengr.) 4.1.2 Risikomanagementkonzept Der Begriff „Risiko“ bezeichnet die Kombination aus der Eintrittswahrscheinlichkeit und dem Schadensausmaß eines Ereignisses (Schneider und Schlatter 2018). Anhand eines geeigneten Risikomanagements kann Risiken bestmöglich begegnet werden. Risiken können in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft auftreten. Vor allem in sicherheitsrelevanten Bereichen, wie das Bauwesen, erhält das Risikomanagement eine große Bedeutung im Rahmen der Unterstützung des Baulastträgers bei seinen Verantwortlichkeiten. Das im Rahmen des Projekts OSIMAB zu entwickelnde Risikomanagementkonzept beinhaltet die Kombination von Analysen und Auswertungen der Bestandsdaten sowie am Bauwerk erfassten und analysierten Messdaten, um potenzielle Risiken zu identifizieren und bewerten. In diesem Zuge sollen mögliche Kompensationsmaßnahmen und Erhaltungsmaßnahmen betrachtet werden, mit denen die Zielzuverlässigkeit des untersuchten Brückenbauwerks gewährleistet oder wiederhergestellt werden kann. Anhand der Risikobewertung soll das aktuelle Sicherheitsniveau eines Bauwerks und seiner Bauteile abgeleitet werden können. Bild 1 zeigt das Konzept des Risikomanagements im Rahmen des Projekts OSIMAB. Ein wichtiger Baustein ist hierbei eine mögliche zukünftige Interaktion zwischen der modellbasierten und der datenbasierten Auswertung, die als Grundlage für die Risikoanalyse dienen könnte. Im Rahmen des Projekts wurde dies jedoch nicht erprobt. Ausgangspunkt für die Auswahl des Brückenbauwerkes (Talbrücke Sachsengraben, A45), und die damit verbundenen Schadensdaten und Schwachstellen ist die Systemidentifikation (Socher und Müller 2020). Diese Informationen werden im Systemmodell betrachtet. Für das Bauwerks-Monitoring bilden die Messdaten den Anfangspunkt. Dem erarbeiteten Konzept folgend sollen die Messdaten mittels intelligenter Data-Mining-Algorithmen analysiert werden. Bei Feststellung einer Anomalie und ggf. manueller Über- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 111 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung prüfung kann im Risikomanagementtool ein Warnsignal geschaltet und ein Finite-Elemente-Update zur Klärung der Ursache der Anomalie angestoßen werden. Der Vergleich der aktuellen Messdaten mit Daten aus einem Referenzzustand kann Aufschluss über das Auftreten eines Schadens und seiner Lage geben. Mithilfe von Zusatzinformationen über das Bauwerk, seine Randbedingungen und Schadensauswirkungen können Art und Ursache des Schadens ermittelt werden. Werden durch das Finite-Elemente-Update Veränderungen im Tragverhalten festgestellt, ist das entsprechende Warnsignal zu schalten und eine neue Zuverlässigkeitsanalyse durchzuführen. Ziel ist es, den Zuverlässigkeitsindex an der maßgebenden Stelle des Querschnittes durch die Grenzzustandsfunktion probabilistisch zu ermitteln (Steffens 2019). Die bereitgestellten Informationen über den Zustand des Brückenbauwerks aus Finite-Element-Update und Data Mining Analyse könnten in der Zuverlässigkeitsanalyse betrachtet werden. Z.B. die Änderung des Betonquerschnittes oder Entstehung eines Risses kann in der Grenzzustandsfunktion an der maßgebenden Stelle für die Ermittlung des Zuverlässigkeitsindexes betrachtet werden. Auf Grundlage des Zuverlässigkeitsindexes kann die globale Versagenswahrscheinlichkeit ermittelt werden. Nach der Bewertung der globalen Versagenswahrscheinlichkeit kann auf eine detaillierte Ebene von Ereignissen eingegangen werden. Hier werden mögliche Ereignisse dem Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) zugeordnet. Für die Ermittlung der Zustandsfunktionen für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) der Dauerhaftigkeit und dem Schubversagen gibt es jedoch noch sehr grundlegenden Forschungsbedarf, der im Rahmen dieses Projekts nicht gelöst werden kann. Jedes Ereignis (A, B, C) übernimmt in Abhängigkeit von seiner Eintrittswahrscheinlichkeit einen Teil der globalen Versagenswahrscheinlichkeit. Ereignisse können Auswirkungen u.a. auf die Umwelt, die Nutzer und den Baulastträger haben. Das Risiko eines Ereignisses R C ergibt sich durch die Multiplikation der eigenen Versagenswahrscheinlichkeit mit der Summe der einzelnen Auswirkungsmaße (z.B. Kosten für den Baulastträger und die Nutzer). In Gleichung 1 wird dieses Prinzip für das Ereignis C dargestellt. Anhand der Risikobewertung kann unterschieden werden, welche Risiken für den Betrieb des Brückenbauwerkes akzeptiert werden können, und welchen mit geeigneten Maßnahmen begegnet werden muss. Überschreitet das Risiko eines Ereignisses einen durch Experten festgelegten Risikowert, wird ein Warnsignal wegen Nichteinhaltung der Struktursicherheit ausgegeben. In diesem Falle gilt es zielgerichtet Maßnahmen einzusetzen. Die Art der Maßnahme ist je nach Risikobewertung und Ereignis individuell zu bestimmen. Sowohl Erhaltungsals auch Kompensationsmaßnahmen können einen Einfluss auf die Messdaten haben und eine Aktualisierung des Systemmodells zur Folge haben. Sofern Kompensationsmaßnahmen nicht verzichtbar sind, muss geprüft werden, welche Maßnahmen für einen reibungslosen Verkehrsfluss am besten geeignet sind. Für ein effektives Risikomanagementsystem sollten in zukünftigen Forschungsarbeiten Kriterien für die Ereignisse und Auswirkungsmaße definiert werden. Auf einer globalen Ebene spielt die Bedeutung des Bauwerkes eine große Rolle. Auf der lokalen Ebene haben z. B. Betonrisse weniger Einfluss als ein Spanngliedbruch. Darüber hinaus ist ein mögliches Vorankündigungsverhalten in der Risikobewertung zu berücksichtigen. 112 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Bild 8: Risikomanagement im Zusammenspiel mit Systemmodell, Data Mining Analyse, Finite-Element-Update und der Zuverlässigkeitsanalyse 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 113 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung 5. Ausblick In Zusammenarbeit mit der BASt und dem BMVI beabsichtigt die Autobahn GmbH des Bundes die aktuellen Entwicklungen der Intelligenten Brücke als Leuchtturmprojekt an einer neu zu errichtenden Brücke und einem relevanten Bestandsbauwerk zu realisieren und die bestehenden Living Labs zu Forschungszwecken weiterzuführen. Gewonnene Erkenntnisse aus Living Labs können wichtige Grundlagen für eine nachfolgende schnellere Implementierung neuer und innovativer Ansätze in der Praxis liefern, wobei dieser Ansatz eine volle Variation aller in der Praxis vorkommenden Randbedingungen nur eingeschränkt ermöglicht. Dies ist erst mit einem Digital Twin möglich. Der Digital Twin stellt eine gezielte Erweiterung des Konzepts der Intelligenten Brücke im Hinblick auf z.B. Big Data/ Smart Data-Anwendungen, KI-Ansätze, Mixed-Reality-Anwendungen und virtuelle Experimentierräume dar. 5.1 Digital Twin einer Brücke Der Digital Twin eines Ingenieurbauwerks ist ein digitales Abbild eines realen Bauwerks und spiegelt sämtliche Eigenschaften und sein Verhalten über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg anhand verschiedener Modelle. Zu diesen Modellen gehören u.a. Geometrie-, FEsowie Datenmodelle. Der Digital Twin aktualisiert sich kontinuierlich, um den aktuellen Zustand des realen Bauwerks sowie die daraus ableitbaren Prognosen in nahezu Echtzeit darzustellen. Zu diesem Zweck greift er auf große Datenmengen zurück, die u.a. am realen Bauwerk, dem Living Lab, gesammelt oder auch von bereits bestehenden Systemen über Schnittstellen bereitgestellt werden. Daneben nutzt er Informationen aus unkonventionellen Datenquellen wie z.B. vernetzten Fahrzeugen, Smartphones und sozialen Medien sowie Daten von bereits bestehenden Systemen, die ihm über Schnittstellen bereitgestellt werden. In Anbetracht der großen Datenmengen kommen ein Datenmanagementsystem, Big Data/ Smart Data-Anwendungen sowie Verfahren der künstlichen Intelligenz zur Analyse und Bewertung der Daten zum Einsatz. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Digital Twin ist der virtuelle Experimentierraum. Dort kann das virtuelle Objekt sämtlichen Randbedingungen ausgesetzt, hinsichtlich des Designs und des fehlerfreien Betriebs analysiert sowie szenariobasierte Prognosen durchgeführt werden. Die Realisierung eines Digital Twin ist insbesondere für Ingenieurbauwerke mit besonderer Relevanz für das Bundesfernstraßennetz und/ oder repräsentative Bauwerke sowie Teilaspekten von diesen interessant (Dabringhaus et al. 2020). 5.2 Ziel und Nutzen eines Digital Twin Hauptziel des Digital Twins in der Betriebsphase ist die Unterstützung des Bauwerkseigentümers bei der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit, Instandhaltbarkeit und Verfügbarkeit des Bauwerks. In nahezu Echtzeit liefert der Digital Twin Informationen hinsichtlich des Zustands, der Zuverlässigkeit und der Restnutzungsdauer des Bauwerks und seiner Bauteile und zeigt kritische Bauwerkszustände frühzeitig an. Darüber hinaus legt der Digital Twin einen starken Fokus auf Prognosen hinsichtlich des Lebenszyklus und leitet Handlungsbedarf ab, bevor konkrete Gefahren und Schäden entstehen. In virtuellen Experimentierräumen des Digital Twins können sämtliche Randbedingungen variiert und Analysen sowie insbesondere Prognosen für verschiedene Szenarien wie z.B. Unfälle und Extremereignisse durchgeführt werden. Schließlich können erprobte Maßnahmen mit Hilfe des Digital Twin früher, zuverlässiger und effizienter eingeleitet werden. Auch der Einsatz neuer Technologien wie KI-Anwendungen kann im Rahmen von virtuellen Experimentierräumen erprobt werden, ohne die Integrität des sicheren Betriebs zu verletzen. Durch die genannten Eigenschaften bietet der Digital Twin das Potenzial zu einer Entwicklung vom prädiktiven Lebenszyklusmanagement, welches basierend auf Zustandserkennung und -prognose zielgerichtete vorausschauende Maßnahmen ermöglicht, hin zum kognitiven Lebenszyklusmanagement. Das kognitive Lebenszyklusmanagement ist eine Erweiterung des prädiktiven Lebenszyklusmanagements. Es zeichnet sich durch einen proaktiven, lernenden sowie interaktiven Charakter aus und zielt auf ein im Hinblick auf ökologische, ökonomische und gesamtgesellschaftliche Aspekte optimiertes Management ab. Anhand selbstlernender Algorithmen kann ein kognitives Managementsystem in seiner höchsten Entwicklungsstufe, die für den Lebenszyklus relevanten Sachverhalte verstehen, analysieren, evaluieren, anwenden und weiterentwickeln. Auf dieser Grundlage kann das System interagierend mit Experten ein optimales Handeln erzielen (BITKOM 2015). Gewonnene Erkenntnisse können auf das Teil-/ Gesamtnetz übertragen werden. Insgesamt lassen sich durch die aufgeführten Aspekte z.B. Potenziale hinsichtlich reduzierter Erhaltungsmaßnahmen, verminderter Sperrzeiten und verlängerter Bauwerkszyklen erschließen (Dabringhaus et al. 2020). 5.3 BASt-Forschung zum Digital Twin Der Digital Twin von Ingenieurbauwerken stellt in Verbindung mit dem Living Lab ein bedeutendes Zukunftsfeld der digitalen Entwicklung in der Forschung dar. Im Rahmen zukünftiger Forschung wird sich die BASt auch dem Thema „Digital Twin“ widmen und dabei auf die in den letzten Jahren erarbeiteten Konzeptionen, Machbarkeitsstudien und Entwicklungen zu den BASt-Forschungsfeldern „Intelligente Brücke“, „Building Information Modelling“ und „Virtual/ Augmented Reality“ zurückgreifen. Diese bilden die Ausgangslage für die Entwicklung eines Digital Twin. Ausstehende Forschungsschritte sollen zukünftig im Rahmen einer Forschungsplanung zur Thematik „Digital Twin“ in der BASt erarbeitet und umgesetzt werden (Dabringhaus et al. 2020). Literaturverzeichnis [1] BITKOM (2015): Kognitive Maschinen - Meilenstein in der Wissensarbeit. Leitfaden. Hg. v. BIT- KOM. Online verfügbar unter https: / / www.bitkom. org/ Bitkom/ Publikationen/ Kognitive-Maschinen- Meilenstein-in-der-Wissensarbeit.html. [2] BMVI (Hg.) (2013): ASB-ING. Anweisung Straßeninformationsbank. Segment Bauwerksdaten. [3] BMVI (2015): Innovationscharta „Digitales Testfeld Autobahn“ auf der Bundesautobahn A9. Hg. v. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Berlin. [4] BMWI (2020): Reallabore - Innovation ermöglichen und Regulierung weiterentwickeln. Hg. v. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Online verfügbar unter https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Downloads/ I/ info-reallabore.pdf? __ blob=publicationFile&v=20. [5] Dabringhaus, S.; Neumann, S.; Hindersmann, I. (2020): Monitoring, Intelligente Brücke, Digital Twin. Positionspapier der Abteilung B Brücken- und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlicht). [6] Dabringhaus, Sarah (2020): Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze. 4. Brückenkolloquium. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. [7] Dabringhaus, Sarah; Haardt, Peter (2019): Infrastruktur im Wandel - Die Intelligente Brücke. 6. Kolloquium: Erhaltung von Brückenbauwerken. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. [8] DBV (2018): DBV Merkblatt Brückenmonitoring. Hg. v. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. [9] Fischer, S.; Boldt, D. (2015): iBAST instantaneous Bridge Assessment based on Sensor Network Technology. Bericht zu FE 88.0122/ 2012 der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlich). Lübeck. [10] Freundt, U.; Böning, S.; Fischer, S.; Lau, F.-L. (2020): Digitales Testfeld Autobahn - Intelligente Brücke - Synchronisation von Sensorik und automatisierte Auswertung von Messdaten. FE-Nr. 15.0631/ 2016/ LRB Entwurf zum Schlussbericht (noch nicht veröffentlicht). [11] Freundt, Ursula (2014): Roadtraffic Management System (RTMS). Bericht zum Forschungsprojekt 88.0106/ 2010. Bremen: Fachverl. NW (Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen B, Brücken- und Ingenieurbau, 100). Online verfügbar unter http: / / bast.opus.hbz-nrw.de/ volltexte/ 2014/ 777/ pdf/ B100b_ELBA.pdf. [12] Friedl, R.; Mangerig, I.; Butz, C.; Distl, J.; Adam, A. (2015): Intelligente Schwenktraversendehnfuge und intelligentes Kalottenlager. Bericht zu FE-Nr. 88.110- 88.112 der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlicht). München. [13] Haardt, Peter (2018): Intelligente Brücke. Fachtagung Bauwerksdiagnose 2018. Berlin. [14] Neumann, T.; Haardt, T. (2014): Die Intelligente Brücke - Adaptive Konzepte zur ganzheitlichen Zustandsbewertung. Fachtagung Bauwerksdiagnose 2014. Berlin. [15] Schneider, Jörg; Schlatter, Hanspeter (2018): Sicherheit und Zuverlässigkeit im Bauwesen: Grundwissen für Ingenieure: ETH Zurich. [16] Schubert, M.; Betz, W.; Niemeier, E.; Ziegler, D.; Majka, M.; Straub, D.; Walther, C. (2019): Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Monitoringmaßnahmen - Entwicklung eines Konzepts für die Analyse von Nutzen und Kosten von Monitoringmaßnahmen. Schlussbericht zu FE 89.0331/ 2017 (unverffentlicht). Bundesanstalt für Straßenwesen. [17] Socher, A.; Müller, M. (2020): Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement. 3. Brückenkolloquium. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. Esslingen. [18] Steffens, Nico (2019): Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring. Düren: Shaker (Heftreihe des Instituts für Bauingenieurwesen / Book series of the Department of Civil Engineering, Technische Universität Berlin). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 115 BIM in der Instandsetzungsplanung - Projektbezogene Anwendungsfälle bei WTM Engineers - Marike Bornholdt WTM Engineers, Hamburg, Deutschland Matthias Petersen WTM Engineers, Hamburg, Deutschland Dr. Holle Goedeke WTM Engineers, Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Nutzung der BIM-Software Desite von thinkproject in der Instandsetzungsplanung von Bestandsbauwerken. Anhand aktueller Projekte des Ingenieurbüros WTM Engineers wird die Art und Weise der Softwarenutzung in verschiedenen Phasen der Planung erläutert um die Digitalisierung von Instandsetzungsprojekten voranzutreiben. In der Instandsetzungsplanung beginnt BIM mit der dreidimensionalen Modellierung des Bestands. Im weiteren Projektverlauf ist im Zusammenhang mit der Schadensaufnahme im Bestand und der Planung und Durchführung von Bauteil- und Baustoffuntersuchungen eine eindeutige Platzierung und Attribuierung von Objekten im Modell notwendig. Um die strukturierten Daten aus der BIM-Software an andere Projektbeteiligte weiterzugeben, steht ein verlustfreier Datenaustausch über allgemeingültige Dateiformate im Vordergrund. Das bezieht sich auch auf den Austausch von Informationen zwischen unterschiedlichen Softwareanwendungen in Bezug auf Terminplanungen und Kostenkalkulationen. Anhand von ersten Erfahrungen in diesem Bereich wird ein Ausblick über die Möglichkeiten einer BIM-basierten Instandsetzungsplanung gegeben. 1. Einleitung Spätestens mit der Veröffentlichung der Richtlinienreihe 2552 des VDI [1] kann das Thema Building Information Modeling (BIM) nicht mehr ignoriert werden. Bestehende Workflows in kleinen wie in großen Ingenieurbüros und bauausführenden Firmen müssen digitalisiert und an die modellbasierte Methode angepasst werden. Damit die dreidimensionalen BIM-Modelle über die Entstehung des realen Bauwerks hinaus, also für weitere Meilensteine im Lebenszyklus des Bauwerks genutzt werden können, werden aktuell bei WTM Engineers die ersten Instandsetzungsplanungen modellbasiert ausgeführt. Dafür werden bereits vorhandene Standards und Softwareprodukte aus anderen Bereichen des Bauingenieurwesens an die Vorgänge und Bedürfnisse einer Instandsetzungsplanung angepasst und durch individuelle Bearbeitungsschritte ergänzt. Abb. 1 stellt die digitalen Workflows und die zu verwendende Software schematisch dar. Zunächst wird auf der Grundlage vorhandener Bestandsunterlagen - i. d. R. zweidimensionale Pläne im PDF oder DWG Format - ein dreidimensionales Bestandsmodell konstruiert. Ein 3D-Modell liegt nur in Einzelfällen schon vor der Planung einer Instandsetzung vor und kann als Bestandsunterlage in Form von IFC-Dateien oder Punktwolken als Planungsgrundlage in die Koordinationssoftware Desite geladen werden. Hier fließen dann alle weiteren Informationen zu dem Bestandsbauwerk aus Zustandserfassungen oder Untersuchungen in Form von objektspezifisch verknüpften Attributen ein. Die Koordinationssoftware dient zu diesem Zeitpunkt als zentraler Speicher von bauwerks- und planungsrelevanten Daten und Informationen. Über die Nutzung von softwareinternen Programmierschnittstellen können diese Informationen ausgewertet und zu aussagekräftigen Darstellungen weiterverarbeitet werden. Auch im Hinblick auf die Terminplanung und Kostenkalkulation von Instandsetzungsmaßnahmen kann das BIM-Modell als Berechnungsgrundlage genutzt werden. Durch die Verknüpfung aktueller Terminpläne mit dem BIM-Modell können terminliche Kollisionen durch Fehlermeldungen in der Koordinationssoftware frühzeitig erkannt werden. 116 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 BIM in der Instandsetzungsplanung Abb. 1 Darstellung der BIM-Prozesse bei WTM Engineers (eigene Darstellung) Die erste Anwendung des zuvor beschriebenen Informationsmanagements erfolgte bei WTM Engineers im Zuge der Instandsetzungsplanung eines Schwimmbades Anfang 2020 im Rahmen einer Bachelorarbeit [2]. Hier wurde für sämtliche Schritte, von der Konstruktion des 3D-Modells über die Attribuierung bis hin zur Auswertung von Untersuchungsergebnissen, die BIM-Software Revit von Autodesk verwendet. Mit der Nutzung von Revit konnten zunächst einzelne Schritte der Gesamtplanung digitalisiert und die Ergebnisse projektorientiert ausgewertet werden. Die Nutzung der Software Revit stellte dabei viele Möglichkeiten für die modellbasierte Instandsetzungsplanung zur Verfügung und konnte erfolgreich eingesetzt werden. Um in einem zweiten Schritt auch den Datenaustausch zwischen verschiedener Software beurteilen zu können und Herausforderungen bezüglich des Modellmanagements zu meistern, wird für weitere digitale Instandsetzungsplanungen zusätzlich die Software Desite verwendet. 1.1 Die BIM-Software Desite Die Software Desite manage data (MD) von thinkproject ist eine Koordinationssoftware für das Bauwesen [3]. Grundsätzlich bietet die Software eine Plattform, auf der projektspezifische, visuelle und numerische Informationen gesammelt und weiterverarbeitet werden können. In der Projektstruktur von Desite können verschiedene Modelle abgelegt und zu einem Koordinationsmodell zusammengefügt werden. Um dem Standard von BIM gerecht zu werden, sollten diese Modelle im IFC-Format vorliegen, aber auch andere Dateiformate können von Desite gelesen und weiterverarbeitet werden. In der Instandsetzungsplanung kann Desite vor allem für das Informationsmanagement eingesetzt werden, um den Zustand des Bestandsbauwerkes digital festzuhalten. Darüber hinaus bietet Desite die Möglichkeit auch ergänzende Dokumente (Bestandsunterlagen, Fotos, Konzepte) in sämtlichen Dateiformaten zu speichern und mit den entsprechenden Bauteilen im Modell zu verknüpfen. Durch das Einbinden von Skripten 1 können zusätzliche Automatisierungen und Funktionen programmiert werden. Dies erhöht die Flexibilität innerhalb der Software hinsichtlich der Möglichkeiten des automatisierten Datenabgleiches und -austausches. 2. Das Projekt - Bestand & Umnutzung Das Instandsetzungsprojekt bei dem Desite zunächst eingesetzt wird, ist Teil der geplanten Umnutzung eines bestehenden Parkhauses in der Hamburger Innenstadt. Das Bauwerk stammt aus den 60er Jahren und umfasst derzeit acht oberirdische und eine unterirdische Ebene. Pro Parkdeckebene ist eine Fläche von ca. 3.000 m² vorhanden. Die gesamte Bauwerkshöhe beträgt ca. 32 m. Die Fassade ist in Teilbereichen offen und an der Außenseite mit großen Eternitplatten verkleidet (s. Abb. 2). Das Tragwerk wurde in Stahlbetonskelettbauweise errichtet und auf Pfählen gegründet. Die zweiachsig gespannte Kassettendecke ist auf zum Auflager hin gevouteten Unterzügen bzw. auf Wänden gelagert. Über Rechteckstützen mit variierenden Querschnitten und die Außenwände werden die Lasten aus Decken und Unterzügen in den Baugrund abgetragen. In der Mitte des Gebäudes ist eine Bauwerksfuge ausgebildet. Zusätzlich zu den Parkflächen befinden sich im Erdgeschoss noch mehrere Räume, die als Werkstatt genutzt wurden. Abb. 2 Ansicht des Gesamtmodells in Desite (Screenshot aus Desite) In Zukunft soll das Objekt als Quartier für Kleingewerbe, Kultur-, Gastronomie- und Wohnungsangebote dienen. Ein Teil des Bestands soll dafür erhalten bleiben. WTM Engineers wurde mit der Einschätzung des derzeitigen Ist-Zustandes und der darauf aufbauenden Empfehlung für notwendige Instandsetzungsmaßnahmen beauftragt. Um im Bereich der Instandsetzungsplanung weitere Erfahrungen mit BIM zu sammeln, wird die kon- 1 JavaScript und HTML 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 117 BIM in der Instandsetzungsplanung ventionelle Instandsetzungsplanung durch WTM Engineers digital begleitet. 2.1 Digitalisierung des Bestands Der zentrale Punkt jeder BIM-gestützten Planung ist das 3D-Modell des Bauwerks, welches bei Neubauprojekten, die von Grund auf BIM-basiert geplant werden, schon ab Leistungsphase 1 als Bestandteil der Planung entwickelt wird. Bei der Instandsetzungsplanung von Bauwerken, die in der Regel im 20. Jahrhundert errichtet wurden, ergibt sich hier eine Problematik. Oft sind aussagekräftige Bestandsunterlagen wie statische Berechnungen oder Bewehrungsbzw. Ausführungspläne nur in geringem Umfang vorhanden. Diese sind aber notwendig um ein ausreichend detailliertes, dreidimensionales Bestandsmodell zu konstruieren, das auch die Tragwerksstruktur darstellt. Der Aufwand, der für die Erstellung eines Bestandsmodells nötig ist, übersteigt, schnell die Mittel, die für ein solches Projekt angesetzt sind. Dass das Modell allerdings weit über die Instandsetzungsplanung hinaus für den weiteren Betrieb des Gebäudes eingesetzt werden kann, wird dabei oft übersehen. Außerdem ist vor allem zu Beginn der Instandsetzungsplanung weder ein hoher Detaillierungsgrad hinsichtlich Geometrie noch Informationsgehalt (LOIN) 2 erforderlich, da zunächst hauptsächlich die Positionen sowie die Bauweise der tragenden Bauteile im Modell von Relevanz sind. Für die Umnutzung des Parkhauses wurde im Zuge eines Architekturwettbewerbs ein 3D-Modell erstellt, das WTM Engineers für die Instandsetzungsplanung zur Verfügung gestellt wurde. Dieses Modell lag im DWG-Format 3 vor und bildet lediglich die Bauwerksstruktur ab, ohne weitere semantische Informationen zu einzelnen Bauteilen oder der gesamten Konstruktion darzustellen. Das 3D-Modell konnte problemlos in die Software Desite eingelesen werden. Die erste visuelle Inaugenscheinnahme der unteren Geschosse des Bestandsbauwerks wurde zunächst konventionell durchgeführt. Sämtliche Schadstellen an den für den Lastabtrag relevanten Bauteilen sowie ergänzende Anmerkungen zur Bauweise wurden in den Bestandsplänen festgehalten. Fotos wurden mithilfe der Fotonummern händisch im Plan verortet. Diese ausführliche Dokumentation konnte als Grundlage genutzt werden, um das vorhandene 3D-Modell in einem ersten Schritt mit Informationen zum augenscheinlich erkennbaren Ist-Zustand anzureichern. 2.2 Implementierung von Informationen Zur Visualisierung der auftretenden Schäden im Modell wurden an den entsprechenden Stellen im Modell so- 2 Level of information need 3 Dateiformat für Konstruktionsdaten genannte Markierungsobjekte, im weiteren Verlauf als Pins bezeichnet, abgelegt (s. Abb. 4, links). Pins sind Modellkörper, die als visuelle Platzhalter - in Form von Stecknadeln oder Würfeln - für (alpha)-numerische Informationen im Bestandsmodell dienen und über einen individuellen Pin-Namen eindeutig identifiziert werden können. Damit schadensbezogene Informationen hinterlegt werden können, müssen instandsetzungsspezifische Attribute im BIM-Modell von Desite angelegt werden. Diese Attribute können dann entweder im Datenblatt des jeweiligen Pins oder in einer durch den Nutzer angepassten QuickInfo aufgerufen werden (s. Abb. 3). Zusätzlich zu den Attributen können auch Fotos und weitere Dokumente mit einzelnen Pins verknüpft werden. So können beispielsweise die textgebundenen Informationen in den Attributen mit aussagekräftigen Fotos des Bestands unterstützt werden. Ein manuelles Suchen des entsprechenden Fotos zu dem jeweiligen Schaden erübrigt sich somit. Abb. 3 QuickInfo im Beispielprojekt mit selektiertem Pin, Kategorisierung des vorliegenden Schadens anhand vorgegebener Attribute (Screenshot aus Desite) Durch das Sammeln von Informationen in Desite und die Verknüpfung mit Fotos entsteht eine ausführliche Datenbank und somit eine übersichtliche Darstellung sämtlicher vorhandener Schäden, die dem planenden Ingenieur eine fundierte erste Einschätzung zum Ist-Zustand deutlich erleichtert. Mithilfe einer entsprechenden Programmierung über ein HTML-Skript kann ein bauteilbezogenes Schadenskataster anhand der Informationen in Desite erstellt werden. Somit können die ersten Schritte einer konventionellen Instandsetzungsplanung - die Verarbeitung von Informationen der ersten Inaugenscheinnahme, das Zuordnen und Sortieren von Fotos sowie die Einschätzung und Auswertung von Schäden an den Bauteilen - digitalisiert werden. Desite bietet hierfür einen Informationsspeicher und kann durch entsprechende Umwandlungen die Informationen in unterschiedlichen Dateiformaten ausgeben, die dann allen Planungsbeteiligten zur Verfügung stehen. 118 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 BIM in der Instandsetzungsplanung 2.3 Verarbeitung von Untersuchungskonzepten Um die vorhandene Bausubstanz hinsichtlich der geplanten Umnutzung des Bauwerks einschätzen zu können, sind Bauteil- und Baustoffuntersuchungen erforderlich. Zunächst muss je nach Belastung der Tragwerksstruktur die Art der notwendigen Untersuchungen festgelegt werden. Im Anschluss müssen die unterschiedlichen Bauteil- und Baustoffuntersuchungen den vorhandenen Bauteilen zugeordnet werden. Diese Planung und Verteilung wird konventionell textlich festgehalten und durch die Verwendung von Plänen, in denen die Untersuchungsstellen markiert sind, visuell unterstützt. Auf dieser Grundlage werden die Untersuchungen von der ausführenden Firma vorgenommen. In der BIM-gestützten Instandsetzungsplanung wird für diesen Schritt auch die BIM-Software Desite verwendet. Desite ersetzt nicht das textliche Untersuchungskonzept, sondern dient zur Unterstützung dessen und zur besseren Darstellung und eindeutigen Definition der geplanten Untersuchungsstellen. Die geplanten Untersuchungen werden im BIM-Modell durch würfelartige Pins visualisiert (s. Abb. 4, rechts). Jeder Pin funktioniert als Platzhalter für eine Untersuchung an einer bestimmten Stelle im Bauwerk. Die Art der Untersuchung kann über verschiedene Farben der Pins visualisiert werden (s. Abb. 5). Dem Pin können alphanumerische Informationen, die für die ausführende Firma von Nutzen sind, über Attribute angehängt werden (z.B. Anzahl zu nehmender Proben). Abb. 4 links: Darstellung eines Pins für augenscheinlich erkennbare Schäden, rechts: Darstellung eines Pins für geplante Bauteil- und Baustoffuntersuchungen (Screenshot aus Desite) Für die Übermittlung der Prüfpositionen an die ausführende Firma werden aus dem BIM-Modell 2D-Pläne abgeleitet. Um 2D-Pläne aus dem BIM-Modell abzuleiten, ist eine BIM-fähige CAD-Software notwendig. Diese Pläne können dann zusammen mit dem Untersuchungskonzept an die ausführende Firma übergeben werden. Abb. 5 Einblick in das Modell mit geplanten Bauteil- / Baustoffuntersuchungen (Screenshot aus Desite) Damit im weiteren Planungsverlauf zusätzliche Informationen bezüglich der Untersuchungsergebnisse im Modell gespeichert werden können, müssen die Pins mit weiteren Attributen verknüpft werden. Die Attribute werden dabei vom Nutzer definiert und sollten sich dabei eindeutig auf die geplanten bzw. durchgeführten Bauteil- und Baustoffuntersuchungen beziehen. Im Anschluss an die Untersuchungen können die Ergebnisse dann über die Attribute an die jeweiligen Untersuchungsstellen im Modell angehängt werden. Im Hinblick auf eine Erleichterung der digitalen Handhabung kann das Einbinden von Informationen in einem Excel-Dokument erfolgen und im Anschluss mithilfe eines Automationsskripts 4 den jeweiligen Pins im Modell zugeordnet werden. Eine Auswertung der Ergebnisse sowie das Einbinden von Erkenntnissen und Überlegungen hinsichtlich der Instandsetzungsplanung können dann auch in Desite über entsprechende Attribute erfolgen. 2.4 Datenaustausch & -export Eine enge Zusammenarbeit zwischen planenden Ingenieuren und ausführenden Firmen hinsichtlich der Bauteil- und Baustoffuntersuchungen hat ein hohes Potential für eine noch effizientere Auswertung der Ergebnisse. Im Hinblick auf eine unkomplizierte Zusammenarbeit sind offene Austauschformate 5 erforderlich. So können Daten ohne eine aufwendige Bearbeitung weiterverarbeitet werden. Ziel ist dabei immer das Ablegen und Speichern sämtlicher Informationen im BIM-Modell, sodass dieses als zentraler Datenspeicher weiter genutzt werden kann. Werden Untersuchungsergebnisse in einem maschinenlesbaren Format weitergegeben, kann eine automatisierte Einbindung der Daten in das BIM-Modell erfolgen. In der Instandsetzungsplanung ist der Austausch von Daten in unterschiedlichen Planungsphasen notwendig. 4 Individuell anpassbares Skript über das Informationen aus einer entsprechend formatierten Excel-Tabelle in die Projektstruktur von Desite gelangen. 5 maschinenlesbare Dateien wie XLSX / CSV Formate (Excel). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 119 BIM in der Instandsetzungsplanung Zum einen müssen die Daten aus dem BIM-Modell an die ausführende Firma für die Durchführung von Bauteil- und Baustoffuntersuchungen weitergegeben werden. Zum anderen müssen die Ergebnisse dieser Untersuchungen in das BIM-Modell eingepflegt werden. Des Weiteren muss während der gesamten Planungsphase ein Export der Informationen gewährleistet sein, der es ermöglicht Informationen als Tabellen- oder Textdokument darzustellen um auch Planungspartnern ohne Zugriff auf das BIM-Modell wichtige Informationen zukommen zu lassen 6 . Zum Zeitpunkt des Projektabschlusses sollte das gesamte BIM-Modell dem Bauherrn übergeben werden, um eine Weiternutzung im Gebäudebetrieb zu ermöglichen. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte des Datenaustausches in der Instandsetzungsplanung und die hierfür notwendigen Programmierungen in Desite erläutert (s. Abb. 6). Um die Informationen aus den durchgeführten Bauteil- und Baustoffuntersuchungen in das BIM-Modell zu implementieren, müssen die Ergebnisse in einer Excel-Tabelle 7 aufgeführt werden (Mapping Tabelle). Im Hinblick auf das korrekte Einlesen in Desite muss die Tabelle dabei einer bestimmten Formatierung entsprechen. Die tabellarische Zuordnung der Untersuchungsergebnisse zu den im Modell verorteten Pins erfolgt dabei über die vorher vergebenen individuellen Pin-Namen. Ein Automationsskript sorgt für die korrekte Verbindung zwischen Excel-Tabelle und BIM-Modell. Abb. 6 Schematische Darstellung des digitalen Datenaustausches und der Weiterverarbeitung in Desite (eigene Darstellung). Mit diesem Vorgang werden alle relevanten Daten der Untersuchungsergebnisse in das BIM-Modell importiert und können dort visualisiert werden. Die Auswertung und Weiterverarbeitung dieser Informationen innerhalb der 6 Im Idealfall haben alle Planungspartner Zugriff auf ein Koordinationsmodell, in das alle Informationen einfließen und abgerufen werden können. 7 Verwendung einer CSV Datei. Software erfolgt durch den planenden Ingenieur. Hierfür werden erneut Attribute an die Pins vergeben, die die Ergebnisse kategorisieren und hinsichtlich ihrer Relevanz für den Ist-Zustand des Bauwerks einordnen. Anhand dieser Attribute kann wiederum der Ist-Zustand einzelner Bauteile festgestellt werden. Über ein Ampelsystem im BIM-Modell werden die Untersuchungsergebnisse hinsichtlich ihrer Einschränkung der Dauerhaftigkeit eingeordnet, sodass eine visuelle Einschätzung der Bauteilzustände und übergeordnet auch eine Einschätzung des Gesamtzustandes des Bauwerks erfolgen können. Vor allem im Hinblick auf die Kommunikation mit dem Bauherrn ist diese Funktion sehr hilfreich, da eine aussagekräftige Übersicht im Modell erstellt werden kann. Das BIM-Modell bietet darüber hinaus die Grundlage für die konventionelle textliche Darstellung des Ist-Zustands. Damit die visuelle Auswertung der Ergebnisse in Desite auch für Projektbeteiligte zugänglich ist, die nicht mit dem BIM-Modell arbeiten bzw. die Daten an Dritte weitergegeben werden können, ist ein Export der Auswertung der Untersuchungen zu gewährleisten. Zunächst kann das Modell inklusive der Visualisierungen mit eingeschränkten Berechtigungen anderen Projektbeteiligten in einem Viewer 8 zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin kann ein Bericht im PDF-Format aus Desite ausgegeben werden, der die Bauteil- und Baustoffuntersuchungen zusammen mit den Ergebnissen und zusätzlichen Attributen wie einer Zustandsbeurteilung darstellt. Die Erstellung dieses Berichts kann in Desite über die Implementierung von Formularen erfolgen. Auf der Grundlage einer JavaScript Datei, die über die Programmierschnittstelle von Desite gelesen werden kann, können erfasste Daten in Form von Attributen im PDF-Format ausgegeben und so eine Übersicht über die ausgewerteten Ergebnisse erstellt werden. Um die gewünschten Funktionen hinsichtlich des Im- und Exports von Daten in Desite zu implementieren, sind zwar grundlegende Programmierkenntnisse erforderlich, dennoch bietet diese Vorgehensweise deutliche Vorteile in Hinblick auf den Austausch und die Weitergabe von Daten. Somit kann die Nutzung des BIM-Modells über die Verwendung als zentraler Datenspeicher hinausgehen. 3. Zukunftsorientierte Nutzung als 5D-Modell Weitere Nutzungsmöglichkeiten von BIM-Modellen wurden bei WTM Engineers bei der Instandsetzungsplanung einer Bestandsschleuse im Rahmen einer projektbezogenen Masterarbeit zum Thema „Programmierung und Analyse zentraler BIM-Attribute […]“ ausgearbeitet [5]. Der Schwerpunkt wurde hier einerseits auf die Erstellung bzw. Verknüpfung des BIM-Modells mit Terminplänen aus MS Project sowie die Kollisionsprüfung bei Termin- 8 Zur Verfügung steht hier der Viewer Desite Share von thinkproject 120 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 BIM in der Instandsetzungsplanung änderungen als auch auf die Erstellung eines Leistungsverzeichnisses auf der Grundlage des BIM-Modells mit ORCA AVA gelegt. 3.1 Terminplanung mit Desite Für die verknüpfte Terminplanung wird zunächst ein Terminplan in MS Project erstellt, der in Desite eingelesen werden kann. Über eine Attributzuordnung können einzelne Bauteile verschiedenen Vorgängen, die auf den Terminplan abgestimmt sind, zugeordnet werden. Diese Vorgänge werden in Desite über Farbschemata visualisiert. So ist eine Bauablaufsimulation anhand des vorab erstellten Terminplans möglich. Wird der eigentlich vorgesehene Bauablauf durch Terminabweichungen geändert, können diese Meldungen über eine Implementierung von Soll- und Ist-Terminen in Desite eingepflegt werden. Über ein individuell erstelltes Formular können diese Termine bauteilbezogen geprüft und kritische Abweichungen angezeigt werden (s. Abb. 7). Vor allem im Hinblick auf Abhängigkeiten zwischen Bauabläufen ist diese Funktion elementar. Durch simulierte Kollisionsprüfungen über längere Zeiträume anhand von aktuellen Terminplänen können Probleme im Bauablauf frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Abb. 7 Visualisierung eines Bauablaufes in Bezug auf die Errichtung einer temporären Baustelleneinrichtung [5]. 3.2 Verknüpfte Mengenermittlung Für eine BIM-basierte Mengenermittlung inklusive Leistungsverzeichnis (LV) erfolgt ein Austausch zwischen der AVA-Software ORCA AVA und Desite. Die einzelnen Positionen aus dem LV werden mit den Bauteilen in Desite verknüpft und mit ergänzenden (geometrischen) Attributen aufbereitet. Ein zusätzliches Attribut greift über ein Eigenschaftsskript auf geometrische Objektattribute zu und erzeugt so die für die Mengenermittlung im LV relevanten Eigenschaften. Weiterhin werden Attribute angelegt, die keine klassischen Werte sondern Formeln enthalten. So werden automatisiert relevante Mengen aus bereits vorhandenen Attributen berechnet. Nach Abschluss der Mengenermittlung kann das LV aus Desite exportiert und in der AVA-Software bepreist werden. 4. Fazit Grundsätzlich kann mit der Software Desite die Planung einer Instandsetzung in jedem notwendigen Schritt begleitet werden. Dabei dient Desite in erster Linie als Managementplattform und Informationsspeicher für das vorher konstruierte 3D-Modell. Das 3D-Modell dient als Planungsgrundlage und wird im Laufe der Planung mit allen relevanten Informationen an den aktuellen Planungsstand angepasst. Gleichzeitig können aber auch Informationen, die entweder visuell oder über die Attribuierung in dem BIM-Modell generiert wurden, in Form von Tabellen- oder Textdokumenten exportiert und als Informationsquelle oder Anlage an weitere Projektbeteiligte weitergegeben werden. Insbesondere die Visualisierung und Verortung von Bauteilzuständen hinsichtlich Schädigungen oder Untersuchungsergebnissen stellen einen deutlichen Vorteil hinsichtlich der Übersichtlichkeit gegenüber der konventionellen Planung dar. Durch die Verknüpfung mit Terminplänen lassen sich Kollisionsprüfungen visualisieren, die das frühzeitige Erkennen von Problemen im Bauablauf ermöglichen. Dadurch können Verzögerungen rechtzeitig angezeigt und vermieden werden. Auch in der Erstellung von Leistungsverzeichnissen bietet die BIM-Methode durch teilweise Automatisierungen einige Erleichterungen. Mengen können anhand von geometrischen Attributen im Modell ermittelt und in das bestehende LV importiert werden. Dieser Schritt wirkt sich positiv auf die Genauigkeit der Kostenkalkulation aus. Auch wenn derzeit schon viele Planungsschritte mit einem BIM-Modell begleitet werden können, muss festgehalten werden, dass sich die BIM-basierte Planung in der Instandsetzung noch im Anfangsstadium befindet. Prozesse und Workflows müssen immer wieder angepasst werden um letztendlich die neuen Möglichkeiten, die sich durch die Nutzung von BIM-Software ergeben, optimal nutzen zu können. Standards, mit denen beispielsweise bereits in Neubauprojekten im Infrastrukturbereich gearbeitet werden kann, sind so für den Schutz und die Instandsetzung von Bestandsobjekten noch nicht vorhanden [4]. Hier sind die Expertise, die Erfahrung und vor allem die Kooperation von planenden Ingenieuren, ausführenden Firmen und BIM-Koordinatoren gefragt. 5. Ausblick Die Digitalisierung der Instandsetzungsplanung erfolgt bei WTM Engineers zunächst projektbezogen. Das übergeordnete Ziel dabei ist allerdings, eine BIM-basierte Instandsetzungsplanung zu standardisieren und allgemeingültig auf andere Instandsetzungsprojekte anzuwenden. Dafür ist eine ausführliche Dokumentation aller Vorgänge während der Planung notwendig, die nicht nur mögliche Workflows erläutert, sondern auch auf auftretende Probleme, entweder software- oder projektablaufbezogen, hinweist. Diese Dokumentation muss kontinuierlich 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 122 BIM in der Instandsetzungsplanung weitergeführt werden um die Arbeitsweise mit jedem Projekt zu modifizieren und an auftretende Herausforderungen anzupassen. So können mit jeder weiteren Umsetzung Erfahrungen gesammelt und weitergegeben werden, um die BIM-Methode erfolgreich auf weitere Instandsetzungsprojekte anwenden zu können. Der Nutzen einer BIM-basierten Planung liegt deutlich auf der Hand und sollte auch im Interesse der Bauherren weiter gefördert und ausgebaut werden. Literatur [1] VDI, VDI-Richtlinie 2552, Düsseldorf, 2019 [2] Bornholdt, Marike, Analyse von Einsatzmöglichkeiten der Methode des Building Information Modeling im Rahmen von Instandsetzungsplanungen am Beispiel eines Hallen- und Wellenbades, Bachelorarbeit, TU Hamburg-Harburg, 2020 [3] thinkproject, https: / / group.thinkproject.com/ en/ so lutions/ desite/ , besucht am 08.09.2020 [4] BMVI, BIM4INFRA2020 Handreichungen und Leitfäden, Teil 1 - Grundlagen und BIM-Gesamtprozess, Berlin, April 2019, S.9 [5] Petersen, Matthias, Programmierung und Analyse zentraler BIM-Attribute im Zuge der Grundinstandsetzung der Alten Schleuse Kiel Holtenau, Masterarbeit, TU Hamburg-Harburg, 2020 Regelwerke 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 125 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, D-52062 Aachen, Deutschland Zusammenfassung Nach mehrjährigen kontroversen Diskussionen um die Instandhaltungsrichtlinie des DAfStb ist nun die Technische Regel “Instandhaltung von Betonbauwerken“ des DIBt, Ausgabe Mai 2020, erschienen [1, 2]. Das auch kurz als TR IH bezeichnete Regelwerk ist in der MVV TB 2020/ 1 enthalten, die auf der DIBt-Website veröffentlicht ist und bereits in drei Ländern bauaufsichtlich eingeführt wurde. Es ist damit zu rechnen, dass auch die weiteren Bundesländer dieses Regelwerk sukzessive in Landesrecht umsetzen. Die TR IH basiert auf den Arbeitsergebnissen des Technischen Ausschusses „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ des DAfStb und seiner zugehörigen Arbeitskreise „Mörtel“, „OS-Systeme“, „Rissfüllstoffe“ und „Ausführung“. Mit dieser Regel können nun Instandhaltungskonzepte und Instandhaltungsmaßnahmen nach dem Stand der Technik geplant werden. Die Neuerungen der TR IH, darunter die Erweiterung von der Instandsetzung zur Instandhaltung mit Inspektion, Wartung und Verbesserung, die Einführung von Expositionsklassen für Bestandsbauwerke, die neuen Altbetonklassen für minderfeste und höherfeste Untergründe, die Einführung des Systems aus Prinzipien und Verfahren, Regelungen für den kritischen Choridgehalt und Schichtdicken und die vielen weiteren Regelungen eröffnen zahlreiche neue Möglichkeiten für die Instandhaltung von Betonbauwerken. 1. Ausgangssituation Bedingt durch das Erscheinen der Europäischen Normenreihe EN 1504 in 10 Teilen für den Bereich der Betoninstandsetzung wurde eine Anpassung der bestehenden Regelwerke erforderlich. Dies waren im Wesentlichen die Instandsetzungsrichtlinie des DAfStb (RL SIB 2001 [3-6]), die ZTV-W LB 219 aus dem Jahr 2004 und die ZTV-ING, Teile 3.4 und 3.5 aus dem Jahr 2003. Das ursprüngliche Ziel, die bestehenden Regelwerke durch die Normenreihe EN 1504 abzulösen, war leider nicht realisierbar, da die Regelungen in der EN 1504 dafür unzureichend sind. Daher wurden Übergangsregelungen erarbeitet, die die Verwendung der CE-gekennzeichneten Produkte erlaubten, wie z.B. die DIN V 18026 für die Oberflächenschutzsysteme und DIN V 18028 für die Rissfüllstoffe. Um diese Regelungen in einem Werk zu bündeln und die technischen Neuerungen bezüglich des Standes der RL SIB aus dem Jahr 2001 anzupassen, wurde im DAfStb ein Entwurf der Instandhaltungsrichtlinie (RL IH) erstellt, der im Juni 2016 als Gelbdruck erschien. Dieser wurde jedoch abgelehnt, da er unter anderem nicht europarechtskonform sei. Nach intensiven Diskussionen mit allen an der Erstellung dieses Regelwerks Beteiligten wurde beschlossen, zu versuchen, die kritischen Punkte im Rahmen der anstehenden Einspruchssitzungen zu beseitigen. Da keine zeitnahe Lösung für das Erscheinen der Instandhaltungsrichtlinie zu erwarten war, wurden 2017 die ZTV-W LB 219 mit einer Empfehlung zu den Instandsetzungsprodukten, die 2019 aktualisiert wurde, und 2019 die Teile 3.4 und 3.5 der ZTV-ING mit Hinweisen zu den Instandsetzungsprodukten 2019 veröffentlicht. Die Situation für Betoninstandsetzungen in den Bereichen der Bundeswasserstraßen und Bundesfernstraßen war und ist damit geregelt. Die Behandlung der Einsprüche zum Gelbdruck der RL IH führte zur Erstellung eines weiteren Gelbdruckes in der Fassung von Juni 2018, da zum Teil grundlegende Änderungen vorgenommen wurden, die ein erneutes Gelbdruckverfahren erforderlich machten. In diesem Gelbdruck wurde konsequent das Konzept der Produktauswahl auf Basis der individuellen Belange des Bauwerkes umgesetzt, was der Forderung für Europäische Regelwerke entspricht. Leider wurde auch dieser Gelbdruck abgelehnt. Um die weitere Vorgehensweise zu klären, wurde die Erstellung der RL IH für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Um die damit entstandene Regelungslücke für die Instandhaltung von Betonbauteilen außerhalb der Bundeswasserstraßen und Bundesfernstraßen zu schließen, hat das DIBt nun die TR IH erstellt. Dies erfolgte in einer Projektgruppe, die als Mitglieder die Obleute der Arbeitskreise des DAfStb „Mörtel“, „OS Systeme“, 126 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken „Rissfüllstoffe“ und „Ausführung“, einen Vertreter der Bauwirtschaft (DBV), einen Vertreter der Bauüberwachung (GÜB), einen Vertreter der Hersteller (DBC), zwei Sachkundige Planer (GUEP, BGIB) sowie Vertreter der Bauaufsicht (STMI Bayern) und der Bauenden Verwaltung (BAW, BASt) hatte, so dass alle interessierten Kreise eingebunden waren. Die TR IH basiert auf dem o.g. zweiten Gelbdruck von Juni 2018, der den Stand der Technik darstellt. Mit der TR IH liegt nun eine verlässliche Basis für die Instandhaltung von Betonbauwerken in Deutschland nach dem aktuellen Stand der Technik vor. Eigentlich ist eine umfassende Europäische Norm, die den größten Teil der Anforderungen aus der Baupraxis abdeckt, für alle Beteiligten immer die Wunschlösung gewesen. Trotz langjähriger intensiver Bemühungen in den entsprechenden Normungsgremien ist eine überarbeitete Version der Europäischen Normenreihe EN 1504 jedoch immer noch nicht in greifbarer Nähe. Diese Bemühungen werden selbstverständlich fortgeführt. 2. Aufbau und Konzeption Die TR IH ist in zwei Teilen erschienen: • Teil 1 “Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung“ [1] regelt die Planung und ergänzt für den Kathodischen Korrosionsschutz den Teil 3 „Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung“ der Instandsetzungs-Richtlinie des DAfStb, Ausgabe Oktober 2001, der ansonsten unverändert weitergilt. • Teil 2 “Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung“ [2] legt die Leistungsmerkmale und Anforderungen an Instandsetzungsprodukte fest, mit denen die Grundanforderungen an Bauwerke verwendungsspezifisch erfüllt werden können. Die TR IH ist systematisch aufgebaut und geht von den Bedürfnissen des Bauwerkes aus: Nach der Ermittlung des Ist-Zustandes erfolgt eine Prognose für die vorhandene Restnutzungsdauer und ein Vergleich zwischen Ist- und Mindest-Sollzustand, s. Abbildung 1. Basierend auf den sich daraus ergebenden Zielen werden Instandhaltungskonzepte und Instandhaltungspläne erarbeitet. Die erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen werden aus dem aus der DIN EN 1504-9 [7] übernommenen System aus Instandsetzungsprinzipien und Verfahren ausgewählt. Die Auswahl der Baustoffklassen erfolgt über Tabellen in Abhängigkeit von den am Bauteil vorliegenden Expositions- und Altbetonklassen und dem gewählten Verfahren. Ferner werden die Leistungsmerkmale und Anforderungen der relevanten Bauprodukte in weiteren Tabellen aufgelistet. Mit Hilfe dieser Technischen Regel ist nun eindeutig festgelegt, welche Anforderungen Baustoffe für die jeweilige bauwerksspezifische Situation erfüllen müssen. Mit der TR IH liegt nun auch eine verlässliche Basis vor, einfache Nachweisverfahren für die Bauprodukte (“DIBt-Gutachten“) anzuwenden, bis geeignete europäische Produktregelungen vorliegen (CE- Kennzeichnung). Abbildung 1: Vorgehensweise bei der Planung und Ausführung am Beispiel einer Instandsetzung mittels Betonersatz nach TR IH, Teil 1, Abb. 3 Bezüglich der Ausführung gilt weiterhin die RL SIB des DAfStb, Ausgabe Oktober 2001, insbesondere der Teil 3 [5]. 3. Wartung, Inspektion und Sachkundiger Planer Mit der Erweiterung der Instandsetzungsrichtlinie zur Instandhaltungsrichtlinie wurden neben der Instandsetzung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 127 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken die neuen Elemente Wartung, Inspektion und Verbesserung eingeführt. Dadurch ergeben sich neue Aufgaben, die im Rahmen des Instandhaltungskonzeptes geregelt und ausgeführt werden müssen: • Erstellung eines Inspektions-/ Wartungskonzeptes, • Erstellung eines Inspektions-/ Wartungsplans und • Ausführung der Inspektion/ Wartung. Durch verschiedene Kombinationen von Inspektion, Wartung und Instandsetzung können sinnvolle Varianten für die Instandhaltungskonzepte erarbeitet werden, die dem Eigentümer des Bauwerkes als Entscheidungsgrundlage vorgelegt werden sollen. Nach TR IH muss mit der Beurteilung und Planung von Instandhaltungsmaßnahmen ein Sachkundiger Planer (SKP) beauftragt werden, der die erforderlichen besonderen Kenntnisse hinsichtlich des Erkennens und Bewertens von Mängeln und Schäden an Betonbauwerken hat. Dieser Kenntnisnachweis kann durch verschiedene Organisationen auf Grundlage einheitlicher Regelungen und Inhalte für die Aus- und Weiterbildung von Sachkundigen Planern bescheinigt werden, die durch den Ausbildungsbeirat „Sachkundiger Planer (SKP)“ beim Deutschen Institut für Prüfung und Überwachung e.V. (DPÜ) festgelegt werden. Der Kenntnisnachweis kann auch durch Dokumente eines anderen Mitgliedstaates, aus denen hervorgeht, dass die Anforderungen erfüllt sind, bescheinigt werden. 4. Expositions- und Altbetonklassen Für eine einheitliche Beschreibung der Bauwerkssituation und als Vereinfachung für die Produktauswahl wurden Expositions- und Altbetonklassen eingeführt. Die Expositionsklassen entsprechen dem bekannten Prinzip für die Beschreibung der Exposition für den Neubau von Betonbauwerken. Für bestehende Bauwerke kommen jedoch weitere Bedingungen aus der Umgebung und dem Betonuntergrund hinzu, wie z.B. für Risse oder Feuchtezustände, die für den Neubau nicht relevant sind, so dass neue Expositionsklassen eingeführt wurden. Diese konnten zum Teil aus der Europäischen Normenreihe EN 1504 übernommen werden und sind auch in der aktuellen ZTV-W LB 219 und ZTV-ING enthalten. Um die Instandsetzung minderfester Untergründe nach Richtlinie zu ermöglichen, wurde seit längerem die Einführung neuer Altbetonklassen diskutiert, da die Verwendung von Mörteln nach RL SIB auf minderfesten Untergründen die Gefahr von Enthaftungen und Rissbildungen mit sich bringt. Diese konnte durch die Entwicklung spezieller Mörtel mit an den Untergrund angepasstem E-Modul beseitigt werden. In der aktuellen ZTV-W LB 219 sind bereits Altbetonklassen definiert. Altbetonklasse A4 ist dabei die “übliche“ Klasse mit einer Mindest- Oberflächenzugfestigkeit von 1,0/ 1,5 N/ mm2 (Einzel-/ Mittelwert) und einer Druckfestigkeit von über 30 N/ mm2. Die Klassen A1 bis A3 haben geringere Festigkeiten. Mit der Altbetonklasse A5 wurde in der TR IH auch eine höherfeste Klasse mit Mindest-Oberflächenzugfestigkeiten von 2,0/ 2,5 N/ mm2 und einer Druckfestigkeit von mindestens 75 N/ mm2 eingeführt. In der TR IH sind die Anforderungen an die verschiedenen Mörtel und Betone für den Betonersatz der Altbetonklassen A2 bis A5 angegeben. Für die Altbetonklasse A1 mit Oberflächenzugfestigkeiten unter 0,5/ 0,8 N/ mm2 sind keine Mörtel oder Betone geregelt. 5. Prinzipien und Verfahren Die RL SIB regelte bislang sechs Verfahren für die Instandsetzung von Schäden durch Korrosion der Bewehrung: • R1: Repassivierung durch großflächigen Auftrag von Spritzmörtel, • R2: Repassivierung durch lokale Ausbesserung mit alkalischem Mörtel, • Rx: Elektrochemische Realkalisierung, • C: Beschichtung der Stahloberflächen in kritischen Bereichen, • K: Kathodischer Korrosionsschutz, und • W: Absenkung des Wassergehaltes. Mit dem Planungsteil der Europäischen Normenreihe EN 1504 [7] liegt nun ein umfassendes System mit Prinzipien und Verfahren vor, dass sowohl für Schäden im Beton (Prinzipien 1-6) als auch für Korrosionsschäden der Bewehrung (Prinzipien 7-11) gilt. Für jedes dieser Prinzipien gibt es mindestens 1 und bis zu 8 Verfahren, so dass die DIN EN 1504-9 insgesamt 43 Verfahren enthält. Die TR IH orientiert sich an diesem System und übernimmt auch die Bezeichnungen, regelt aber 20 von diesen Verfahren nicht und hat 4 weitere Verfahren eingeführt, so dass sie insgesamt 27 Verfahren regelt. Die vier neu eingeführten Verfahren sollen in die Europäische Normenreihe eingebracht werden. Auf eine Erläuterung der einzelnen Verfahren wird im Rahmen dieses Beitrags verzichtet und auf Teil 1 der TR IH verwiesen. 6. Regelungen für Ausbruchtiefen, Schichtdicken und zum kritischen Chloridgehalt Die TR IH regelt für die Verfahren 7.1 bis 8.3 für Korrosionsschäden der Bewehrung die Anforderungen an den Chloridgehalt, der im Beton verbleiben darf, die erforderlichen Ausbruchstiefen und Schichtdicken. Diese sind schematisch im Teil 1 in den Abbildungen 4 bis 13 dargestellt. Für den kritischen Chloridgehalt gilt nach wie vor ein Schwellenwert von 0,5 M.-%/ z bei Stahlbeton und 0,2 M.-%/ z bei Spannbeton. Werden diese Werte überschritten, legt der Sachkundige Planer die erforderlichen Maß- 128 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken nahmen fest. Für das Verfahren 8.3, das dem Verfahren W-Cl nach RL SIB entspricht, wurde festgelegt, dass es ab einem Chloridgehalt von 1,5 M.-%/ z nicht angewendet werden sollte. Zusätzlich gibt es einen Warnhinweis, dass bei Chloridgehalten über 1 M.-%/ z an der Bewehrung unter Umständen keine ausreichende Austrocknung im Beton eintritt. Für die Verfahren 7.1, 7.2 und 7.7 dürfen bis zu 1,5 M.-%/ z Chlorid in ausreichendem Abstand von der Bewehrung verbleiben, der in den zugehörigen Abbildungen 5, 8 und 11 angegeben ist. Für die Verfahren, bei denen eine Querschnittsergänzung mit Mörtel oder Beton vorgenommen wird, sind die Randbedingungen für die erforderlichen Schichtdicken in jeweiligen Absatz, der das Verfahren beschreibt, angegeben. 7. Regelungen für die Produkte 7.1 Auswahl geeigneter Produktklassen Eine erhebliche Vereinfachung des Planungsablaufes stellt die tabellarische Zusammenstellung der geeigneten Produktklassen für die einzelnen Prinzipien und Verfahren dar. Diese sind in Teil 1 der TR IH in Tabelle 5 für Schäden im Beton und in Tabelle 6 für Bewehrungskorrosion angegeben. Darin befinden sich auch Verweise für die relevanten Regelwerke der geeigneten Produktklassen sowie die Tabellen in Teil 2 der TR IH, die weitere Details regeln. Dieser Aufbau spiegelt das Konzept der Produktauswahl von den Belangen des Bauwerkes hin zu den Produktanforderungen wider, das bereits im Gelbdruck der RL IH in der Fassung 2018 zugrunde lag. 7.2 Anforderungen an die Produkte In Teil 2 der TR IH wird die zur Erfüllung der Grundanforderungen an Betonbauwerke oder Betonbauteile für die Instandhaltung erforderliche Leistung von Produkten und Systemen in Bezug auf ihre Merkmale abgeleitet und festgelegt. Es dürfen nur Produkte/ Systeme mit nachgewiesener Eignung hinsichtlich ihrer Beständigkeit und der Dauerhaftigkeit des Verbundes zum Beton für die vorgesehene Verwendung eingesetzt werden. In den folgenden Abschnitten wird auf die wesentlichen neuen Regelungen für Oberflächenschutzsysteme, Rissfüllstoffe und Betonersatz kurz eingegangen. 7.2.1 Oberflächenschutzsysteme Oberflächenschutzsysteme werden für verschiedene Verfahren benötigt: • 1.1, 1.3 und 1.4: als Hydrophobierung, Beschichtung oder Rissbandage zum Schutz gegen das Eindringen von Stoffen • 2.1 und 2.3: als Hydrophobierung oder Beschichtung zur Absenkung des Wassergehaltes für den Schutz vor Betonkorrosion • 5.1 und 6.1: als Beschichtung zur Erhöhung des physikalischen oder chemischen Widerstandes • 7.7: als Beschichtung zum Erhalt der Passivität • 8.1 und 8.3: als Hydrophobierung oder Beschichtung zur Absenkung des Wassergehaltes für den Korrosionsschutz der Bewehrung Im Vergleich zur RL SIB ergaben sich gleich mehrere wesentliche Änderungen: • OS 7 und OS 10 wurden 2017 in die Abdichtungsnorm DIN 18532 verlagert, • OS 9 und OS 13 wurden herausgenommen, da sie sich nicht am Markt durchsetzen konnten, • Für OS 8 wurde die systemspezifische Mindestschichtdicke auf 2,5 mm als Gesamtschichtdicke inklusive Grundierung und Deckschicht festgelegt, • OS 14 wurde neu eingeführt, • es wurden Regelungen für die Überarbeitung von befahrbaren OS-Systemen eingeführt, und • das Konzept der Schichtdickenzuschläge zur Erreichung der Mindestschichtdicken wurde durch Mengenzuschläge neu geregelt. Somit sind in der TR IH nur noch die neun im folgenden genannten OS-Systeme geregelt: • OS 1: Hydrophobierung, für nicht begeh- und befahrbare Flächen • OS 2: starres Beschichtungssystem ohne Kratzbzw. Ausgleichspachtelung, • OS 4: starres Beschichtungssystem mit Kratzbzw. Ausgleichspachtelung, • OS 5a: Beschichtungssystem mit geringer Rissüberbrückungsfähigkeit, hwO = Polymerdispersion • OS 5b: Beschichtung mit geringer Rissüberbrückungsfähigkeit, hwO aus Polymer/ Zement-Gemisch, und für befahrbare Flächen • OS 8: starre Reaktionsharzbeschichtung mit hohem Verschleißwiderstand, • OS 11a: rissüberbrückendes Beschichtungssystem mit Schwimm- und Verschleißschicht, • OS 11b: rissüberbrückendes Beschichtungssystem, “einschichtig“, und • OS 14: neu, wie OS 11a, aber mit größeren Schichtdicken größerer Rissüberbrückungsfähigkeit (0,3±0,05 mm statt 0,2±0,05 mm bei -20 °C). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 129 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken Die Anforderungen an die Produkte und Systeme für den Oberflächenschutz sind im Detail in Anhang A des Teils 2 der TR IH überwiegend in Tabellenform angegeben. 7.2.2 Rissfüllstoffe Der Sachkundige Planer legt unter Berücksichtigung der für das Bauteil maßgeblichen Einwirkungen aus der Umgebung und dem Untergrund den geeigneten Rissfüllstoff, das Füllziel und die Füllart fest. Nach TR IH gibt es vier Füllziele: • Schließen (Verfahren 1.5 und 7.6), zur Begrenzung der Rissbreite durch Füllen, um den Zutritt korrosionsfördernder Stoffe zu hemmen, durch Injektion oder Vergießen, • Abdichten (Verfahren 1.5 und 2.6) zur Beseitigung rissbedingter Undichtigkeiten durch Injektion oder Vergießen (WU-Richtlinie), • kraftschlüssiges Verbinden (Verfahren 4.5) zur Herstellung einer Kraftübertragung über den Riss durch Injektion oder Vergießen, wobei der Füllgrad mindestens 80 % betragen muss, und • begrenzt dehnbares Verbinden (Verfahren 1.5, 2.6 und 7.6) ohne Beeinflussung der Steifigkeitsverhältnisse, das die am häufigsten angewendete Maßnahme ist. Bezüglich der Füllart ist die seit langem etablierte Injektion über Bohr- oder Klebepacker als Füllart I geregelt. Zusätzlich wurde in der TR IH das “Vergießen“ (Füllart V) durch druckloses Füllen mit kontinuierlichem Fluss des Rissfüllstoffes durch ein ständig gefülltes Füllstoffreservoir, z.B. als eingeschnittene Nut, neu eingeführt. Das sogenannte “Tränken“ als druckloses Füllen ohne Füllstoffreservoir stellt kein eigenständiges Instandsetzungsverfahren dar und ist daher in der TR IH nicht geregelt. Es ist jedoch ggfs. als vorbereitende Maßnahme vor dem Auftrag von OS-Systemen geeignet. Je nach Füllziel ergeben sich für die Rissfüllstoffe 2 Klassen: • F: Rissfüllstoffe, die in der Lage sind, Kräfte über die Rissflanken zu übertragen (F = force transmitting) • D: Dehnbare Rissfüllstoffe, die einen Verbund mit den Rissflanken bilden (D = ductile) Als Stoffgruppen sind mit dem Kurzzeichen P (Polymer) reaktive Bindemittel möglich, wie z.B. EP, PUR oder schnellschäumendes PUR (SPUR) oder mit dem Kurzzeichen H hydraulische Bindemittel, z.B. Zementleim ZL oder Zementsuspension ZS. Aus den Füllzielen, Füllarten und Stoffgruppen ergeben sich die Bezeichnungen für die Rissfüllstoffe, z.B. D-I (P) für einen dehnbaren Rissfüllstoff für die Injektion auf Polymerbasis wie z.B. PUR. Dehnbare Stoffe können nur injiziert werden, da beim Vergießen die Gefahr des Aufschäumens besteht. Für das kraftschlüssige Füllen eignen sich grundsätzlich F-I (P), F-V (P), F-I (H) oder F-V (H). Tabelle 13 des Teils 2 der TR IH regelt die zulässigen Rissfüllstoffe für die neuen Expositionsklassen Trocken (DY), Feucht (DP), nass (WT) und fließendes Wasser (WF). Die Kurzbezeichnungen entsprechen jeweils denen aus der Normenreihe EN 1504. Für das kraftschlüssige Verbinden nach Verfahren 4.5 gibt es drei Festigkeitsklassen F1-F3, die in Tabelle 14 des Teils 2 der TR IH erläutert sind. Dies ist bei der Spezifikation und Ausführung von Maßnahmen nach Verfahren 4.5 zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die Produkte und Systeme für das Schließen, Abdichten und Verbinden von Rissen bzw. Rissflanken mit kraftschlüssigen und dehnbaren Rissfüllstoffen sind im Detail in Anhang B des Teils 2 der TR IH überwiegend in Tabellenform angegeben. 7.2.3 Betonersatz Betonersatz wird für viele Verfahren benötigt: • 3.1: Kleinflächiger Handauftrag, • 3.2: Betonieren oder Vergießen, • 3.3: Spritzauftrag, • 4.4: Querschnittsergänzung durch Mörtel/ Beton, • 5.3 und 6.3: zur Erhöhung des physikalischen oder chemischen Widerstandes, • 7.1, 7.2 und 7.4 für den Erhalt oder die Wiederherstellung der Passivität, und • 10.1 für den kathodischen Korrosionsschutz. Auch für den Betonersatz ergeben sich einige grundlegende Änderungen im Vergleich zur RL SIB. Dies betrifft zunächst gewohnte Bezeichnungen, denn • PCC ist nun RM bzw. RC, • SPCC ist nun SRM bzw. SRC, und • PC ist nun PRM bzw. PRC. Dies ist den neuen Kurzbezeichnungen aus der Internationalen Normung geschuldet: R = repair (Instandsetzung), M = mortar (Mörtel), C = concrete (Beton), S = sprayable (spritzbar) und P = polymer (Polymer). Daraus ergibt sich z.B. die Bezeichnung SRM-A3 für einen spritzbaren Mörtel als Betonersatz mit oder ohne Kunststoffmodifizierung für Altbetonklasse A3. Für den Betonersatz werden i.d.R. speziell für die Instandsetzung entwickelte Baustoffe wie RM/ RC, SRM/ 130 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken SRC und PRM/ PRC verwendet. Instandsetzungsmörtel RM und -betone RC, Polymermörtel PRM und Polymerbetone PRC dürfen für Altbetonklassen A4 und A5 und kleine Flächen im Handauftrag verwendet werden. Spritzbare Instandsetzungsmörtel SRM und betone SRC sind dagegen für die Altbetonklassen A2 bis A5 geregelt. Unter bestimmten Randbedingungen können auch geeignete genormte bzw. geregelte Baustoffe wie Beton, Spritzbeton, Spritzmörtel oder Vergussbeton verwendet werden: • Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 und Spritzbeton nach DIN EN 14487 und DIN 18551 sind für Adhäsionsverbund nicht anwendbar, aber für Expositionsklassen A2-A5 für die flächige Instandsetzung mit Verankerung und Bewehrung. • Vergussbeton nach DAfStb-Richtlinie darf für die flächige Instandsetzung mit Verankerung und Bewehrung und zusätzlich für das drucklose Füllen von Hohlstellen angewendet werden, allerdings nur für die Expositionsklassen A4 und A5. • Spritzmörtel nach DIN EN 14487 und DIN 18551 sind nur in Sonderfällen für die Expositionsklassen X0, XC1-4 und für Altbetonklasse A4 anwendbar. Die gewohnten Beanspruchbarkeitsklassen M1 bis M3 nach RL SIB wurden hinfällig. Die sich daraus ergebenden Leistungsmerkmale wurden in der TR IH den Anforderungen an den Betonersatz für die jeweiligen relevanten Verfahren zugeordnet. Die Richtwerte für die Schichtdicken sind ebenfalls nicht mehr wie in der RL SIB allgemein für die Betonbzw. Mörtelart angegeben, sondern spezifisch in Abhängigkeit des geplanten Verfahrens, der Altbetonklasse und der Art der Sicherstellung des Verbundes (durch Adhäsion oder Verankerung und Bewehrung). Zur Sicherstellung des Adhäsionsverbundes wurden die Anforderungen an die Rautiefen über fünf Rautiefeklassen RT0,3 bis RT3,0 neu geregelt. Für PRM und PRC ist die Mindest-Rautiefeklasse RT0,5, was einer mittleren Rautiefe von 0,5 bis 1 mm entspricht. Für die übrigen Stoffgruppen sind die Anforderungen je nach Anforderungen an die Fuge (rau, verzahnt, etc.) entsprechend höher und können Tabellen 8 und 9 im Teil 1 der TR IH entnommen werden. Die Anforderungen an die Produkte und Systeme für die Instandsetzung mit Betonersatz sind im Detail in Anhang C des Teils 2 der TR IH überwiegend in Tabellenform angegeben. 8. Schlussfolgerungen und Ausblick Mit der TR IH liegt nun ein Regelwerk vor, dass dem Stand der Technik von der Planung bis zur Produktauswahl entspricht. Das Konzept, dass das Bauwerk die Produktanforderung bestimmt, erfordert eine konsequente Arbeitsweise mit neuen Expositions- und Altbetonklassen sowie einem System aus Prinzipien und Verfahren, aus denen sich die Produktanforderungen ergeben, s. Abbildung 1. Bezüglich der Ausführung gilt weiterhin die RL SIB des DAfStb, Ausgabe Oktober 2001 inkl. aller Berichtigungen, insbesondere der Teil 3. Der DAfStb plant, die beiden Teile der TR IH zusammen mit den Bezügen zur RL SIB 2001 und einem Ausführungsteil als Arbeitshilfe für Planer, Ausführende und die im Bereich der Instandsetzung Tätigen zu veröffentlichen. Literatur [1] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) - Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung, 2020-05. [2] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) - Teil 2: Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung, 2020-05. [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze, 2001-10. [4] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 2: Bauprodukte und Anwendung, 2001-10. [5] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung, 2001-10. [6] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 4: Prüfverfahren, 2001-10. [7] DIN EN 1504-9: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Teil 9: Allgemeine Grundsätze für die Anwendung von Produkten und Systemen, Beuth, 2008-11. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 131 Aktuelle Entwicklungen der ZTV-ING für die Sachkundige Planung und Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brücken- und Ingenieurbauwerken Eckhard Kempkens Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Der Beitrag stellt die aktuellen Entwicklungen der ZTV-ING Teil 3, Abschnitte 4 „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ und 5 „Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen“ hinsichtlich der Verwendung von Baustoffen und Baustoffsystemen unbekannter Zusammensetzung für die Betoninstandsetzung für den Massivbau, d. h. Oberflächenschutzsysteme, polymergebundene bzw. -modifizierte Instandsetzungsmörtel und Rissfüllstoffe vor. Berichtet wird über inhaltliche Korrekturen und Ergänzungen der zugehörigen aktualisierten Hinweise zu den ZTV-ING, Ausgabe April 2019 und Festlegungen zu den Zusammenstellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen. Weiterhin wird auf die bisherigen Erfahrungen der Straßenbauverwaltungen, die Verfügbarkeit prüffähiger Bescheinigungen gemäß Artikel 30 Bauproduktenverordnung (BauPVO) qualifizierter Stellen sowie die Bereitstellung eines „Ablaufplans zum projektspezifischen Nachweis“ als praktische Hilfestellung eingegangen. Überlegungen zur zukünftigen Einbindung der Technischen Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ des DIBt in die Bauherrenregelung ZTV-ING schließen das Thema ab. 1. Hintergrund Mit dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau 20/ 2017 wurde bei der ZTV-ING Teil 3, Abschnitte 4 und 5 eine neue Vorgehensweise der Festlegung des Nachweises der Verwendbarkeit und der Übereinstimmung von Produkten und -systemen unbekannter Zusammensetzung in der Betoninstandsetzung eingeführt. Mit den zugehörigen Hinweisen wurde hierzu eine Hilfestellung für den Sachkundigen Planer zur Festlegung projektspezifischer Anforderungen und Nachweise erarbeitet. Konkret verlangt die ZTV-ING, dass der Sachkundige Planer vor dem Hintergrund der jeweiligen Einwirkungen und im Hinblick auf das Erreichen der jeweiligen Schutz- und Instandsetzungsziele festlegt, welche projektspezifischen Anforderungen an Baustoffe zu stellen sind. Der Sachkundige Planer muss hierzu projektspezifisch festlegen, - welche Produktmerkmale, Prüfverfahren und Anforderungen für den Nachweis der Verwendbarkeit erforderlich sind und in welcher Form der Nachweis durch den Auftragnehmer (AN) erfolgen muss, - welche Produktmerkmale, Prüfverfahren und Anforderungen für den Nachweis der Übereinstimmung erforderlich sind und in welcher Form der Nachweis durch den AN erfolgen muss, - welchen Mindestumfang die verbindlichen „Angaben zur Ausführung“ (des Produktherstellers) aufweisen müssen. 2. Inhaltliche Korrekturen und Ergänzungen zu den Hinweisen Mit ihrer aktuellen Ausgabe 30.04.2019 der Hinweise zu den ZTV-ING wurde gegenüber der Ausgabe 15.10.2017 eine Überarbeitung vorgenommen. Zu den inhaltlichen Korrekturen zählt u. a. die Aktualisierung von z. T. veralteten Normenbezügen bei den aufgeführten Prüfverfahren. Zudem wurden einige erforderliche Merkmale für die Qualitätssicherung der Produkte ergänzt. Hierdurch werden auch direkte Bezüge zu den prüffähigen Bescheinigungen entsprechend Art. 30 BauPVO qualifizierter Stellen (z. B. freiwillige Gutachten des DIBt und der Kiwa Nederland B.V.) hergestellt. Weiterhin sind Merkmale als Bezugswerte für im Rahmen der Überwachung der Ausführung erforderliche Prüfungen (z. B. Frischmörtel- und Trockenrohdichte) aufgenommen worden. Ergänzend wurden z. T. Merkmale bei Oberflächenschutzsystemen als alternative Verfahren für den Nachweis der Verwendbarkeit und Übereinstimmung ausgewiesen (z. B. Auslaufzeit, Viskosität). Anforderungen an Füllstoffe für Injektionsschlauchsysteme wurden ergänzend aufgenommen. 132 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Aktuelle Entwicklungen der ZTV-ING: Sachkundige Planung u. Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brückenu. Ingenieurbauwerken Die Verweise zu den in den Anhängen A1 bis A3 beschriebenen Prüfverfahren der in vergleichbarer Weise überarbeiteten BAWEmpfehlung „Instandsetzungsprodukte - Hinweise für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren“, Ausgabe 2019 wurden beibehalten bzw. ergänzt. 3. Zusammenstellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen Die Übergangsregelungen zur Nutzung von gelisteten Baustoffen und Baustoffsystemen aus den Zusammenstellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen als alternativer Nachweis der Verwendbarkeit (und Übereinstimmung) galten bis zum 30.06.2019. Die Zusammenstellungen sind da sie als Reaktion auf das Urteil C-100/ 13 des EuGH seit Oktober 2016 nicht mehr fachinhaltlich fortgeschrieben bzw. aktualisiert wurden - im März 2020 endgültig von der BASt-Homepage (www. bast.de) entfernt worden. 4. Erfahrungen der Straßenbauverwaltungen Mit Entfernung der Zusammenstellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen steht ein im Rahmen der ZTV- ING geforderter und von der überwiegenden Mehrheit der Baubeteiligten als einfach, eindeutig, transparent und verfahrenssicher wahrgenommener Weg des Nachweises der Verwendbarkeit (und Übereinstimmung) nicht mehr zur Verfügung. Daher sind nun regelmäßig projektspezifische Produktanforderungen, Positionen der Qualitätssicherung der durch den AN zu erbringenden Nachweise sowie fachkundliche und organisatorische Kriterien hinsichtlich der Durchführung dieser Prüfungen zu ermitteln und in die Leistungsbeschreibung aufzunehmen. Hierdurch kommt es in den Straßenbauverwaltungen bei Planung, Ausschreibung und Baudurchführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen zu einer deutlichen Umstellung der etablierten Routineprozesse, die zudem mit erhöhtem Aufwand und größerer Planungsverantwortung verbunden sind. Hieraus ergibt insbesondere auch ein erhöhter Informationsbedarf hinsichtlich der Vorgehensweise. 5. Verfügbarkeit prüffähiger Bescheinigungen Prüffähige Bescheinigungen einer gemäß Artikel 30 BauPVO qualifizierten Stelle werden bei Baumaßnahmen gemäß ZTV-ING Teil 3, Abschnitte 4 und 5 für den Nachweis der Verwendbarkeit (und Übereinstimmung) der Baustoffe und Baustoffsysteme als gleichwertige Alternative zum projektspezifischen Nachweis anerkannt, sofern sie den Anforderungen der Leistungsbeschreibung vollumfänglich genügen. Bei den Herstellern liegen aktuell für nahezu alle Produktgruppen von Baustoffbzw. Baustoffsystemen unbekannter Zusammensetzung prüffähige Bescheinigungen von gemäß Artikel 30 BauPVO qualifizierten Stellen in großer Anzahl vor, werden derzeit aber von einer Vielzahl von Herstellern nicht für den Markt bereitgestellt. Somit kann sich diese Form des verfahrensvereinfachenden alternativen Nachweises derzeit nur sehr zögerlich etablieren. 6. Bereitstellung eines Ablaufplans Die Bereitstellung eines „Ablaufplans zum projektspezifischen Nachweis“, Stand 05.2020, soll nach Umstellung auf projektspezifische Anforderungen als praktische Hilfestellung eine anwendungssichere Planung, Ausschreibung und Durchführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen nach ZTV-ING 3-4 und 3-5 unterstützen. Hier werden getrennt nach Planung und Ausschreibung sowie Baudurchführung die von den Baubeteiligten erforderlich durchzuführenden Arbeitsschritte in zusammengefasster Weise dargestellt. Beide Nachweiswege der Verwendbarkeit über die Prüfergebnisse an der einzusetzenden Charge bzw. über prüffähige Bescheinigungen sind abgebildet. An einem Anwendungsbeispiel zur Betoninstandsetzung des Überbaus einer Spannbetonbrücke werden im Rahmen der Erstellung der Leistungsbeschreibung beispielhaft - die Beschreibung der Schutz- und Instandsetzungsleistung (STLK LB 124) sowie die die Aufnahme der festgelegten projektspezifischen Anforderungen für die Produktnachweise, - die Berücksichtigung der Positionen der im Rahmen der Qualitätssicherung durch den AN zu erbringenden Nachweise nach Art und Menge (in Anlehnung an STLK-W LB 219) sowie - die Festlegung von fachkundlichen und organisatorischen Kriterien hinsichtlich der Durchführung von Prüfungen durch den AN bzw. eine vom AN einzubindende Prüfstelle dargestellt. 7. Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ Die Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (TR) des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) befindet sich derzeit in einem Notifizierungsverfahren. Sie verfolgt eine projektspezifische Vorgehensweise hinsichtlich der Festlegung der Anforderungen an Baustoffe und Baustoffsysteme. Zudem sind im Brücken- und Ingenieurbau erforderliche Leistungsmerkmale berücksichtigt. Die zugehörigen Qualitätssicherungsverfahren sind durch den Sachkundigen Planer hierbei projektspezifisch festzulegen. Für den Bereich des Verkehrswegebaus können nach TR vom jeweiligen Baulastträger erforderlichenfalls Qualitätssicherungsmaßnahmen auf dem Niveau AVCP-System 1+, d. h. mit „Erstprüfung“ 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 133 Aktuelle Entwicklungen der ZTV-ING: Sachkundige Planung u. Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brückenu. Ingenieurbauwerken und „Stichprobenprüfung“ festgelegt werden. Zukünftig ist daher im Rahmen der ZTV-ING hinsichtlich der Anforderungen an Produkte ein Verweis auf die TR geplant. Erforderliche Festlegungen von Bauherrenseite zu den Nachweisen der Verwendbarkeit und Übereinstimmung verbleiben in der ZTV-ING. Literatur [1] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke (2017). Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach (www.bast.de). [2] Hinweise zu ZTV-ING (2019). Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach (www.bast.de). [3] BAWEmpfehlung „Instandsetzungsprodukte“ (2019). Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe (www. baw.de). [4] „ Ablaufplan zum projektspezifischen Nachweis - Hinweise zu Planung, Ausschreibung und Durchführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen von Betonbauteilen“ (05.2020). Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach (www.bast.de). [5] STLK - Standardleistungskatalog für den Straßen und Brückenbau, Leistungsbereich 124 „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ (2019). Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen, Köln (www.fgsv-verlag.de). [6] STLK - Standardleistungskatalog für den Wasserbau „Instandsetzung v. Betonbauteilen“, Leistungsbereich 219 (2018). Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe (www.baw.de). [7] Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (Fassung Mai 2020). Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt), Berlin. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 135 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Dipl.-Ing. Heinrich Bastert Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (DBV), Berlin (Obmann des DAfStb-Arbeitskreises „RL SIB Ausführung“) Zusammenfassung Die aktuelle Regelwerkssituation für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen im allgemeinen Hochbau umfasst die beiden Teile der neuen „Technischen Regel Instandhaltung von Betonbauwerken“ (TR IH) des DIBt und Inhalte der Instandsetzungs-Richtlinie des DAfStb von 2001 (RL SIB). Das Ergebnis der über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren unter dem Dach des DAfStb erfolgten Aktualisierung der Themen der Bauausführung sucht man in dieser Regelwerkskonstellation jedoch vergebens. Einen Entwurf zu den überarbeiteten Inhalten enthält der Teil 3 des nicht veröffentlichten Gelbdrucks der „Instandhaltungs-Richtlinie“ des DAfStb von 2016 sowie der überarbeitete Entwurf von 2018. Dieser Beitrag vermittelt einen Überblick über die aktuelle Regelwerkssituation für den allgemeinen Hochbau unter dem Aspekt der Belange der bauausführenden Unternehmen in der Betoninstandsetzung. Aufgezeigt werden u. a. die Themenfelder Anwendung/ Verarbeitung von Bauprodukten, Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung. Zielgruppen des Vortrags sind Auftraggeber, Planer, Überwacher und Bauausführende. 1. Die Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ des DIBt 1.1 Allgemeines Die Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (abgekürzt: TR Instandhaltung, oder: “TR IH”) [1] wurde vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) als Institution der deutschen Bauaufsicht im Auftrag der Bauministerkonferenz (Fachministerkonferenz der deutschen Bundesländer) in der Fassung November 2019 erstellt. Nach einem Anhörungsverfahren wurde ein überarbeiteter Entwurfsstand der TR IH (Stand: Mai 2020) zur Notifizierung bei der Europäischen Kommission eingereicht. Die Aufnahme der TR IH in die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB) [2] der einzelnen Bundesländer wird ermöglicht über die Integration der TR IH in die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) [3]. Mit der Aufnahme der TR IH in die VV TB der einzelnen Bundesländer erhält sie bauaufsichtlich den gleichen Status, wie die gegenwärtig und zunächst auch weiterhin bauaufsichtlich eingeführte Instandsetzungs-Richtlinie (RL SIB) des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton e. V. (DAfStb) von 2001 [4]. 1.2 Bestandteile der TR IH Die TR IH besteht aus zwei Teilen, die inhaltlich weitestgehend die Teile 1 und 2 des Entwurfsstandes 2018 der bisher geplanten Instandhaltungs-Richtlinie (IH-RL) [5] des DAfStb aufgreifen. Die weitere Bearbeitung des o. g. DAfStb-Entwurfs (Teile 1 bis 5) von 2018 ist bis auf Weiteres ausgesetzt. Eine Veröffent-lichung ist bislang nicht erfolgt. Seitens des DAfStb wurde der Entwurfsstand 2016 im Zuge des Gelb-druckverfahrens an die Mitglieder und an angeschlos-sene Verbände verteilt. Außerdem wurden die Inhalte bisher als Grundlagen für die bundesweit angebotenen Ausbildungslehrgänge für Sachkundige Planer in der Instandhaltung von Betonbauteilen herangezogen. Der Teil 1 der TR IH trägt den Titel „Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung“ und enthält wesentliche Planungsgrundlagen, die bereits im Teil 1 des Entwurfs der IH-RL formuliert wurden. Dazu gehören die Bestimmung des Ist-Zustands, die Fest-legung von Expositions- und Altbetonklassen und die Wahl geeigneter Instandsetzungsprinzipien und -ver-fahren (auf Basis der DIN EN 1504 [6]) sowie die zum Erreichen von Instandsetzungszielen erforderlichen Leistungsmerkmale bestimmter Gruppen von Instandsetzungsprodukten. Adressiert werden hier Produkte mit Leistungserklärungen nach den harmonisierten Teilen der europäischen Normenreihe DIN EN 1504. 136 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Der Teil 2 (Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung) enthält, ebenfalls auf Basis der Inhalte des Entwurfes der IH-RL, Angaben für Produktmerkmale und Verwendungsregelungen, aufgeteilt in die drei Produktgruppen Oberflächenschutzsysteme, Rissfüllstoffe und Betonersatz (Instandsetzungsmörtel). 1.3 Anwendungsbereich der TR IH Im Abschnitt 1 (Anwendungsbereich) der TR IH wird darauf hingewiesen, dass die technische Regel in Verbindung mit der DAfStb-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungsrichtlinie)“ (Ausgabe Oktober 2001, auch: “RL SIB”, inkl. der Berichtigungen 1 und 3 [4]) gilt. In der Technischen Regel nicht genannte Sachverhalte, die in der RL SIB enthalten sind, sollen insofern weiter gelten. Hierzu gehören insbesondere Regelungen des Teil 3 der RL SIB. Zu beachten ist, dass die Regelungen der TR Vorrang vor der RL SIB haben. Außerdem werden in der TR IH Hinweise gegeben, welche Regelungen der Teile 1 und 2 der RL SIB ersetzt werden. Die TR IH regelt die Planung der Instandhaltung von Betonbauwerken (Teil 1) und die Anforderungen an Produkte und Systeme (Teil 2) für den Schutz und die Instandsetzung von Bauteilen aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton nach den Normen DIN EN 1992-1-1 [7], DIN EN 206-1 [8], DIN EN 13670 [9] sowie der Normenreihe DIN 1045 [10] und deren Vorläufern. Demgegenüber werden die Ausführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen, die Anforderungen an die Betriebe und die Überwachung der Ausführung im Teil 3 der RL SIB sowie die ausführungsbezogenen Inhalte in deren Teil 2 geregelt. 1.4 Zusammenspiel von TR IH und RL SIB Die TR IH ist als aktuelle Ergänzung bzw. teilweise auch als Ersatz für Inhalte von Teil 1 (Planung) und 2 (Bauprodukte) der RL SIB von 2001 zu verstehen. Die RL SIB bleibt parallel bauaufsichtlich eingeführt, es werden jedoch einige ihrer Inhalte der Teile 1 und 2 durch die entsprechenden Abschnitte der TR IH ersetzt bzw. ergänzt. Entsprechende Anmerkungen sind in den jeweiligen Abschnitten der TR IH enthalten. Fazit 1: Mit Inkrafttreten der TR IH wird diese zusammen mit der bisherigen RL SIB gelten. Beide Regelwerke werden bzw. bleiben bauaufsichtlich eingeführt. Allerdings ersetzt bzw. ergänzt die TR IH einige Inhalte von Teil 1 und 2 der RL SIB. Der Teil 3 der RL SIB bleibt davon unberührt und ebenfalls weiterhin bauaufsichtlich eingeführt. Bei der parallelen Nutzung der beiden Regelwerke sollten folgende Unterschiede berücksichtigt werden: - Die in der TR IH, Teil 1 genannten Instandsetzungsprinzipien und -verfahren wurden im Abgleich mit der europäischen Normung (DIN EN 1504) formuliert und sind daher nicht unbedingt deckungsgleich mit den Instandsetzungsprinzipien der RL SIB von 2001. - Die TR IH verwendet neue Begriffe für be-stimmte Instandsetzungsbaustoffe. So werden bspw. für die in der RL SIB genannten Produkte zum Beton-ersatz PCC und SPCC in der TR IH die Begriffe RM und SRM verwendet. Fazit 2: Aufgrund der Ausrichtung der TR IH auf die europäische Normung gibt es Unterschiede zur RL SIB, die insbesondere inhaltliche Strukturen (Schema der Prinzipien und Verfahren) sowie die Verwendung von Begriffen umfassen. Zu beachten ist außerdem, dass die Inhalte, insbesondere des Teils 2 der RL SIB einerseits und der jeweiligen Teile 2 der Entwürfe von IH-RL und TR IH andererseits, nicht vollständig deckungsgleich sind: Wie unter 1.3 festgestellt, enthält der Teil 2 der RL SIB u. a. auch Regelungen zur Verarbeitung von Instandsetzungsbaustoffen, also ein Thema der Bauausführung. Für den Entwurf der IH-RL wurden diese Inhalte seinerzeit, ausgehend von Teil 2 der RL SIB, bis 2018 überarbeitet, erweitert und im neuen Teil 3 des Entwurfes der IH-RL platziert. Zu den seinerzeitigen Ergänzungen, die derzeit jedoch keine regelwerkstechnische Berücksichtigung finden, gehört u. a. die Ein-führung von „Überwachungsklassen Instandsetzung“, abgekürzt ÜK-I. Da der Teil 3 des Entwurfes der IH-RL jedoch nicht, wie oben erläutert, in die neue TR IH übernommen wurde (es gibt keinen Teil 3 der TR IH), fehlen in der TR IH die aktualisierten Inhalte der Regelungen zur Verarbeitung von Instandsetzungsbaustoffen. Die (unverändert gebliebene) RL SIB enthält diese aktualisierten Inhalte selbstverständlich ebenfalls nicht. Fazit 3: Im beabsichtigten künftigen Zusammenwirken von RL SIB und TR IH existieren die aktualisierten Inhalte zu Themen der Bauausführung, wie sie im Entwurf der IH-RL bis 2018 erarbeitet wurden, nicht. 2. Die Belange der Bauausführung 2.1 Einordnung der Bauausführung in die Regelwerkssituation der Betoninstandsetzung (allgemeiner Hochbau) Die TR IH verweist im Teil 1 zum Thema Instandhaltung auf die in DIN 31051 [11] diesbezüglich ge-nannten Komponenten Inspektion, Wartung, Instandsetzung und Verbesserung. Die Komponenten der Planung und Ausführung von Instandhaltungsmaßnahmen an Betonbauwerken im Sinne der TR IH werden in Bild 1 [1] dargestellt und zwar aufgeteilt in die beiden Gruppen Inspek-tion/ Wartung (lin- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 137 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen ke Spalte) einerseits und Instandsetzung (rechte Spalte) andererseits. Die TR IH weist darauf hin, dass für die im Rahmen der Instandhaltung auszuführenden Leistungen War-tung, Inspektion, Instandsetzung und Verbesserung unterschiedliche Beteiligte verantwortlich sein können. Das bauausführende Unternehmen ist üblicherweise für die Ausführung von Schutz-, Instandsetzungs- und Verbesserungsmaßnahmen zuständig, d. h. dieses sind die in der Betoninstandsetzung üblichen Leistungen der Bauausführung. Bild 1. Grundsätzliche Vorgehensweise bei der Planung und Ausführung von Instandhaltungsmaßnahmen [1] In Bild 1 wird die Bauausführung in der rechten Spalte unter „Instandsetzung“ im Textfeld unten rechts mit den Worten „Ausführung Instandsetzungsmaßnahme“ adressiert. Der Ausführung vorangestellt werden die Komponenten Instandsetzungskonzept und Instand-setzungsplan. Unter dem Begriff „Ausführung Instandsetzungsmaßnahme“ sind Arbeiten für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen sowie zur Verbesserung zu verstehen. Die insofern in der TR IH geregelten Schutz- und Instandsetzungsarbeiten umfassen nach [1]: - Herstellung des dauerhaften Korrosions-schutzes der Bewehrung; - Wiederherstellung des dauerhaften Korrosionsschutzes bereits korrodierter Bewehrung; - Erneuerung des Betons im oberflächennahen Bereich (Randbereich), wenn der Beton durch äußere Einflüsse oder infolge Korrosion der Bewehrung geschädigt ist; - Füllen von Rissen und Hohlräumen; - Vorbeugender zusätzlicher Schutz der Bau-teile gegen das Eindringen von beton- und stahlangreifenden Stoffen; - Erhöhung des Widerstandes von Bauteiloberflächen gegen Abrieb und Verschleiß. 2.2 Themen der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für die Betoninstandsetzung (allgemeiner Hochbau) Teil 1 der TR IH formuliert Annahmen und Voraus-setzungen für Instandsetzungsmaßnahmen, die vom Bauausführenden zu beachten sind. Es wird u. a. vorausgesetzt, dass - jede Instandsetzung geplant wird und dass die Planung durch einen sachkundigen Planer (SKP) aufgrund der ihm zu übertragenden Verantwortung durchgeführt wird und dass - die Ausführung von Schutz- und Instand-setzungsmaßnahmen nach einem Instand-setzungsplan durch einen SKP begleitet wird. Außerdem wird gefordert, dass für Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen nach der TR IH auf der Auftraggeberseite in jeder Phase von Planung und Ausführung festgelegt sein muss, wer die Fragen der Standsicherheit verantwortlich beurteilt und wer die dazu erforderlichen Maßnahmen plant und ausführt. Zudem darf mit der Ausführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen erst begonnen werden, wenn der Auftraggeber denjenigen schriftlich benannt hat, der während der Bauausführung die Fragen der Standsicherheit verantwortlich beurteilt und ggf. erforderliche Maßnahmen veranlasst. Für das bauausführende Unternehmen sind selbst-verständlich die vom Auftraggeber für die Instand-setzungsmaßnahmen übergebenen Unterlagen maß-gebend. Jedoch sind sie vom Bauausführenden im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung auf etwaige Unstimmigkeiten zu überprüfen. Der Auftraggeber muss ggf. auf entdeckte oder vermutete Mängel hingewiesen werden. Ansonsten, enthalten die Teile 1 und 2 der TR IH, wie bereits festgestellt, lediglich Verweise auf die Themen der Bauausführung. Dazu gehört auch der Verweis auf den Teil 3 der RL SIB (2001) sowie auf einzelne Inhalte des Teil 2. Dies führt dazu, dass zunächst bezüglich der Belange der Bauausführung regelwerks-technisch weiterhin die RL SIB, Teil 2 (Bauprodukte und Anwendung) und Teil 3 (Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung) heran-zuziehen sind. Die in der RL SIB, Teile 2 und 3, enthaltenen Themen der Bauausführung sind: - Anwendung/ Verarbeitung von Bauprodukten (RL SIB, Teil 2), - Anforderungen an die Betriebe (RL SIB, Teil 3) und - Überwachung der Ausführung (ebenfalls RL SIB, Teil 3). Inhaltlich befasst sich der Teil 2 neben den Verwendbarkeits- und Übereinstimmungsnachweisen u. a. auch mit planerischen und ausführungstechnischen Themen, die für den Einsatz der Instandsetzungsbaustoffe von Belang sind. 138 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Der Inhalt des Teils 3 der RL SIB definiert Anforderungen an das ausführende Unternehmen, u. a. bezüg-lich der Personalqualifikation und Geräteausstattung. Weitere Themen sind die Organisation und Durchführung der Überwachung. Zentrales Thema der neuen Regelwerkssituation ist der Nachweis der Verwendbarkeit von CE-gekenn-zeichneten Instandsetzungsbaustoffen. Der Entfall des Ü- Zeichens führte hier zu einem Paradigmenwechsel und ordnet den am Bau Beteiligten (Bauherr, Planer, Bauausführender) die Verantwortung für die Nach-weisführung zu. Im Zuge der Auftragserteilung übernimmt der Bauausführende Verpflichtungen, die erheblich über das bisherige Maß hinausgehen und nicht ohne Weiteres im Rahmen der eigentlichen Bauausführung zu leisten sind. Festlegungen zu den geforderten Nachweisen sind Bestandteil der Planung und müssen durch den SKP erfolgen. Diese Festlegungen gehören zu einem korrekt erstellten und vollständigen Leistungsverzeichnis und betreffen: - Nachweis der Verwendbarkeit, - Nachweis der Übereinstimmung, - Angaben zur Ausführung. Es wird dem bauausführenden Unternehmen dringend empfohlen, nach Prüfung des Leistungsverzeichnisses entscheidende Schritte bezüglich der erforderlichen Nachweise bereits in der Angebotsphase oder spätestens vor der Materialbestellung zu vollziehen. Im Zuge der Angebotserstellung und Arbeitsvorbereitung kommt der Qualifizierten Führungskraft innerhalb des Bauunternehmens diesbezüglich eine entscheidende Bedeutung zu. Zu deren Aufgaben gehören: - Erklärungen des Herstellers für die in der Planung genannten Leistungsmerkmale der Instandsetzungsprodukte anfordern (Leistungserklärung auf Grundlage der EN 1504 zzgl. technische Dokumentation unter Einschaltung einer Drittstelle für weitere Leistungsmerkmale gemäß Prioritätenliste zum Mandat M/ 128); - Abgleichen der erklärten Leistung mit der erforderlichen Leistung. Bei vollständiger Entsprechung ist dies der Nachweis der Verwend-barkeit gemäß Ausschreibung; - Unterlagen zu dem o. g. Abgleich in die Bau-stellendokumentation nehmen und ggf. beim Bauherrn vorlegen; - Prüfen der vom Hersteller übergebenen Angaben zur Ausführung auf Übereinstimmung mit den Festlegungen der Planung und Umsetzung der Angaben in die Arbeitsvorbereitung; - Erstellen von Anweisungen für die Waren-eingangskontrolle auf der Baustelle (durch die SIVV-Fachkraft); - Erstellen von Anweisungen für die Eigen-überwachung auf der Baustelle (SIVV-Fachkraft). Sollten Hersteller oder Lieferanten der in Betracht gezogenen CE-gekennzeichneten Instandsetzungs-produkte nicht bereit oder in der Lage sein, in der Angebotsphase oder spätestens vor der Materialbestellung die erforderlichen Nachweisdokumente und Bestäti-gungen zur Verfügung zu stellen, ist die Verwendung für das betreffende Projekt ausgeschlossen und es sollte möglichst auf alternative Produkte ausgewichen wer-den. Die Nachweisdokumente und technischen Datenblätter sollten vor der Materialbestellung der Auftraggeber-seite (ggf. inkl. dem SKP) vorgelegt und von dieser ge-prüft und zur Ausführung freigegeben werden. Um den Aufwand der oben beschriebenen Nachweisführung zu reduzieren, könnte bei entsprechenden Voraussetzungen, z. B. nach Klärung mit dem SKP, alternativ die Verwendung von nicht CE-gekenn-zeichneten Baustoffen in Erwägung gezogen werden, bspw. Spritzbeton oder -mörtel anstelle von SRM (SPCC). 3. Offene Punkte und nicht Gelöstes Offen und ungelöst ist in der neuen Regelwerkssituation bis jetzt die Frage, wie die aktualisierten Inhalte zu Themen der Bauausführung, wie sie im Entwurf der IH-RL bis 2018 erarbeitet wurden, in die Praxis transferiert werden können. Formuliert sind diese Themen im Gelbdruck der IH-RL von 2016 und im überarbeiteten Entwurf der IH-RL von 2018, die allerdings nicht veröffentlicht wurden und auch nicht käuflich zu erwerben sind. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 139 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Literatur [1] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (abgekürzt: TR Instandhaltung, oder: TR IH), Entwurf Mai 2020. [2] Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW: Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen NRW (VV TB NRW) (Ausgabe Juni 2019) - Runderlass des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung - 614 - 408 - In: MBl. NRW. 2018 S. 775, geändert durch Runderlass vom 14. Juni 2019 (MBl. NRW. 2019 S. 255), 28. September 2020 (MBl. NRW. 2020 S. 624). [3] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) Ausgabe 2019/ 1 mit Druckfehlerberich-tigung vom 7. August 2020. - In: https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ P5/ Technische_Bestimmun-gen/ MVVTB_2019.pdf - Letzter Zugriff am 2. November 2020. [4] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb): DAfStb-Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie). Ausgabe Oktober 2001, Berlin: Beuth Verlag, 2001 und Berich-tigungen 2002-01 und 2005-12. [5] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb): DAfStb-Richtlinie Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungs-Richtlinie). Gelbdruck 2016 (nicht veröffentlicht). [6] DIN EN 1504-2: 2005-01 Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitäts-überwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 2: Oberflächenschutzsysteme für Beton, u. a. [7] DIN EN 1992-1-1: 2011-01 Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbeton-tragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. [8] DIN EN 206-1: 2001-07 Beton - Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität (inkl. DIN EN 206-1/ A1: 2004-10, DIN EN 206-1/ A2: 2005-09). [9] DIN EN 13670: 2011-03 Ausführung von Tragwerken aus Beton. [10] Normenreihe DIN 1045: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: 2008-08 Beton; Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konfor-mität und Teil 3: 2012-03 Bauausführung. [11] DIN 31051: 2019-06 Grundlagen der Instandhaltung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 141 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik Holger Tebbe Ing. -Büro H. Tebbe GmbH, Neuwied Zusammenfassung Im vorliegenden Aufsatz wird aus dem Blickwinkel des Bautechnikers der unbestimmte Rechtsbegriff „Anerkannte Regel der Technik versucht zu beleuchten. Hierzu werden der Aufbau und die Bewertungskriterien dieser Technikklausel erläutert. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf den technischen Inhalten, mit den dieser Rechtsbegriff zu füllen ist. Es soll hier insbesondere das Bewusstsein geschärft werden, dass diese Ausgestaltung ureigene Aufgabe der Techniker ist und erst nach der Ausgestaltung als Werkzeug der Juristen zur Verfügung steht. Aufgrund der aufgezeigten vielfältigen Unsicherheiten bei den entsprechenden Festlegungen und Beurteilungen, die in konkreten Einzelbeispielen in den jeweilig erläuterten Sachzusammenhängen benannt werden, kann das geschärfte Bewusstsein der erläuterten Abhängigkeit der juristischen Auslegung von technisch zu liefernden Vorgaben für Betroffene im Streitfall hilfreich sein. 1. Einführung Bei den Begriffen „Anerkannte Regeln der Technik“ (ARdT) und „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ (AARdT) handelt es sich zunächst um ein rechtliches Hilfskonstrukt (unbestimmter Rechtsbegriff) mit zunächst juristisch unbestimmten Inhalten. Als von Technikern mit Inhalt zu füllende Technikklausel ist sie dann Instrument für juristische Entscheidungsfindungen. Juristische Regelsetzungen beruhen auf dogmatischen, möglichst allgemeinen und umfassenden Ansätzen, die im Regelfall in öffentlichen (Gesetzgebungs-)Verfahren verhandelt und verfasst werden. Die Festlegung der technischen Inhalte erfolgt jedoch naturgemäß über technischen Regelsetzungen, die aufgrund der anderen Ausgangslage und anderen Zielsetzungen deutlich von juristischen Regelsetzungsgepflogenheiten abweichen. Hier erfolgt die Regelfestlegung in der Regel in geschlossenen, häufig privat oder privatwirtschaftlich organisierten Fachgremien. Die Zielsetzung sind Mindestfestlegungen in Hinblick auf Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Vollumfassende Regelungen werden nicht angestrebt. Die Technikklausel „Anerkannte Regeln der Technik“ ist über privatrechtliche Vertragsklauseln (VOB) indirekt im Zivil- (BGB) und Strafrecht (StGB) verankert, die Technikklausel „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ z.B. in den Landesbauordnungen. Die Begriffsinhalte dieser Klauseln werden im Baubereich als ein wesentliches Beurteilungskriterium für die Bestimmung von Solleigenschaften bei Entwurf und Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte verwendet. Sie spielen daher in der Rechtsprechung bei der Bewertung und Festlegung von entsprechenden Mängelansprüchen, aber auch von strafrechtlich relevanten Tatbeständen eine große Rolle. Die Bezeichnung „Anerkannte Regel“ suggeriert zudem ein nachschlagbares schriftliches Regelwerk („Kodifizierung“), dass so nicht gegeben ist. Es handelt sich vielmehr, wie bereits erläutert, um einen unbestimmten Rechtsbegriff, mit den damit naturgemäß gegeben größeren Auslegungsunschärfen und -unsicherheiten. Die somit ggf. nicht von vornherein eindeutige Rechtslage bei der Beurteilung von Einzelsachverhalten führt in Anbetracht der häufig erheblichen finanziellen Risiken immer wieder zu teilweise spektakulären Rechtsstreiten, bis höchste Gerichtsinstanzen ggf. eine klarere Beurteilungslage geschaffen haben. Die Klarstellung gilt dann allerdings in der Regel nur für die hier jeweils zu beurteilende Detailfrage, zudem je nach Urteilsbegründung, auch nur für den zu beurteilenden Zeitpunkt und für die dort gegebenen Umstände. Da gleichzeitig Bautechnik, Bauverfahren sowie die zugehörigen Regelungen und Vorgaben laufenden, zum Teil sehr schnellen Veränderungen unterliegen, wirkt sich dies natürlich auch auf den Stand und Inhalt der „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ aus. Diese Dynamik führt dazu, dass sich die dementsprechenden rechtlichen Risiken, trotz der derzeit hohen Anzahl an gerichtlichen Einzelentscheidungen die sich mit den „Anerkannte Re- 142 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik gen der Technik“ beschäftigen, nicht vermindern, sondern tendenziell eher laufend erhöhen. Die vorliegende Veröffentlichung soll daher dazu dienen, dem Bauschaffenden aus dem Blickwinkel eines Technikers die einzelnen Begrifflichkeiten und Zusammenhänge dieser Technikklausel näher zu erläutern um die damit verbundenen Gefahren besser einschätzen zu können und sich somit ggf. auch besser gegenüber diesen Gefahren wappnen zu können. 2. Erläuterung des Begriffs „Anerkannte Regel der Technik“ 2.1 Anwendungszweck Das für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte zu erbringende Vertragssoll (zu erbringender Leistungserfolg) wird nicht allein durch die Vertragsunterlagen beschrieben und vorgegeben. Beschreiben die Vertragsunterlagen die projektierte Gesamtleistung nicht erschöpfend und vollständig, wird zunehmend relevant, was die Parteien als vertragliche Gesamtleistung erreichen wollten. Die erbrachte Werkleistung muss somit für den vertraglich vorausgesetzten Gebrauch geeignet sein, vergl. [1]. Hier kommen nun die „Anerkannten Regeln der Technik“ ins Spiel, die als Hilfskonstruktion im dogmatischen Rechtssystem zur Bestimmung des Vertragssolls mit herangezogen werden, vorbehaltlich abweichender Parteienvereinbarungen (inhaltliche Öffnungsklausel). Sie sollen somit, wie bereits ausgeführt, als ein Beurteilungsstandart zur Bestimmung von Solleigenschaften dienen. Es handelt sich somit u. a. um ein Hilfsmittel zur (juristischen) Feststellung von technischen Planungs- oder Ausführungsmängeln. 2.2 Inhalte Unter den „Anerkannten Regeln der Technik“ werden Technikklauseln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte verstanden. Diese Technikklauseln sind jedoch nicht in einem nachschlagbaren schriftlichen Regelwerk („Kodifizierung“) zusammengefasst. Es handelt sich vielmehr um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Inhalt von technischer Seite implementiert wird, vergl. Bild 1. Bild 1: schematische Darstellung des inhaltlichen Rückgriffs auf technische Inhalte zur Konkretisierung der juristischen Technikklausel „Anerkannte Regeln der Technik“ gemäß [1] Als maßgebende technische Inhalte sind, unter den in Abschn. 2.4 genannte Einschränkungen hier einschlägige Regelwerke z.B. DIN-Normen, aber auch nicht schriftlich nicht weiter fixierte Erkenntnisse aus der Baupraxis, vergl. Bild 2, zu sehen. Bei letzterem kann es sich z. B. um handwerklich tradierte Arbeitsweisen (z.B. Verfahrensweisen zur händischen Oberflächenbearbeitung von Natursteinen und den hieraus erzielbaren optischen Erscheinungsbildern) handeln. Bildquelle: trust -projekts GmbH Bild 2: schematische Darstellung der Einflüsse verschiedener Wissensbereiche auf die „Anerkannten bzw. Allgemein anerkannten Regeln der Technik“ analog dem sog. Dreistufenmodell, vergl. Bild 3. Der maßgebende Inhalt und Umfang der „Anerkannten Regel der Technik“ ist damit auf juristische Nachfrage von technischer Seite bezogen auf den Streitgegenstand genauer festzulegen und zu definieren. In Gerichtsauseinandersetzungen ist dies im Regelfall der gerichtlich bestellte Sachverständige. Hier besteht somit durchaus die Gefahr, dass hier eine Einzelmeinung als Grundlage für die Bewertung der betreffenden Standards der „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ für die juristische Bewertung angesetzt werden könnte. Die Abgrenzungskriterien für die „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ von anderen oder ähnlichen Regeln, vergl. Bild 3, werden durch die Rechtsprechung (sog. Kasselbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes (vom 1978) näher definiert, vergl. Abschn. 1.3. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 143 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik 2.3 Einordnung im Dreistufenmodell Die technische Entwicklung befindet sich fortlaufend im Fluss, sie ist dynamisch. Bei Neuentwicklungen entwickelt sich die Erfahrung mit Anwendung, Umgang und mit dem Verhalten dieser Technik aus einer Anfangsidee erst im Laufe der vermehrten Anwendung. Dies soll nachfolgenden exemplarisch anhand einer Materialneuentwicklung erläutert werden. Die einzelnen Stufen und Schritte laufen in der Praxis natürlich nicht so chronologisch ab, wie sie hier aus Verständnisgründen dargestellt werden. So kann es auch bei schon lange eingeführten Produkten noch ein erheblicher Forschungsbedarf aufgrund neuer Erfahrungen oder Erkenntnisse ergeben. Grundsätzlich kann jedoch die sich verbreiternde Wissensbasis einer Neuentwicklung vereinfacht als Spitze des gleichschenkligen Dreiecks angesehen werden, vergl. Bild 2, welche sich mit zunehmender Anwendung auf einer nach unten gerichteten Zeitachse laufend verbreitert. Bild 3: Entwicklung des technischen Wissensstandes zu einer neuen Bautechnik analog dem sog. Dreistufenmodell Die ersten Experimente und Machbarkeitsstudien sind in dem Modell als dunkelrote Spitze eingezeichnet. Erweist sich die Idee als möglicherweise erfolgversprechend, beginnen die weitere Entwicklungsarbeit mit dem der Stand der Wissenschaft und Technik erarbeitet wird. Diese besteht unter anderem aus - der Materialentwicklung und -optimierung zur Erzielung einer Anwendungsreife, - der Erkundung der Materialeigenschaften, und Materialkennwerte für u. a. zur Entwicklung von Dimensionierung- und Bemessungsansätzen, - Untersuchung der Verträglichkeit mit angrenzenden Baustoffen und Alterungsverhaltens, - Entwicklung geeigneter Applizierungs- oder Montagetechniken und -werkzeuge. Sind diese Schritte abgeschlossen wird die Anwendung in Labor und Technikumsversuchen getestet. Es werden Detail- und Anschlusslösungen erarbeitet und auf ihre Eignung getestet. Sind diese Schritte abgeschlossen, erfolgt die Anwendungen auf ausgewählten Musterbaustellen um Erfahrungen mit der alltäglichen Anwendung zu erhalten. Derartige Produktentwicklungen werden von der Baustoffindustrie gerne auf einschlägigen Messen als Produktneuheit mit ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteilen angepriesen. Gerade wenn hier noch keine oder kaum Erfahrungen auf Praxisbaustellen vorliegen, und somit kaum Wissen über das Stadium des Standes der Wissenschaft und Technik hinaus vorliegen, bietet eine Anwendung natürlich entsprechende Risiken, da der Stand der Wissenschaft und Technik für eine zielsichere und risikolose Anwendung in der Regel bei weitem nicht ausreicht. Vorgelegte umfangreiche Forschungs- und Prüfberichte sowie einzelne Berichte zu Praxistest und entsprechende gutachterliche Stellungnahmen reichen hierzu nicht aus. Erst mit zunehmender Ausführungspraxis können die „Kinderkrankheiten“ ausgemerzt werden und eine sichere Ausführungspraxis unter den verschiedenen anzutreffenden Baustellenbedingungen erreicht werden. Mit zunehmender Standzeit der ausgeführten Objekte kann dann Bewährung hinsichtlich Funktionalität und die Dauerhaftigkeiten unter realen Umweltbedingungen nachgewiesen werden. Die neue Bauweise kann nunmehr nach den „Stand der Technik“ (SdT) oder entsprechenden europäischen Begriff „Beste Verfügbare Technik“ (BVT) ausgeführt werden. Mit zunehmender Verbreitung der Erfahrungen der einschlägigen Fachkreise und entsprechen umfangreichere Erfahrung mit der Anwendungstechnik sinkt der Bedarf an Modifizierungen und Änderungen am System. Bei entsprechender Marktbedeutung wird nun häufig ein Normungsprozess in Gang gesetzt, mit dem Anwendungsregeln standardisiert werden. Liegt dann eine breite, allgemein zugängliche Wissensbasis in der Fachwelt über Normung, Richtlinien, Fachliteratur, Fortbildungsveranstaltungen etc. vor und ist die Technik in entsprechend standardisierter Form allgemein verbreitet, wird sie dann den „Anerkannten Regeln der Technik“ zugeordnet werden können. Hingewiesen werden soll noch auf die Problematik, dass Ausführungen nach den „Stand der Technik“ im in der Regel moderner sind und somit eher dem „neusten Stand der Technik“ der häufiger von Bauherrn gewünscht wird, entspricht, Darauf zielt auch der europäische Begriff „Beste Verfügbare Technik“ hin. Verträge sind daher auch daraufhin zu prüfen, ob nicht die „Anerkannten Regeln der Technik“, sondern (nur) der „Stand der Technik“ einzuhalten war. Hier ergibt sich aufgrund der Schnelligkeit der technischen Weiterentwicklung weiteres Streit- und Interpretationspotential. Der u. a. in der Landesbauordnung verankerte Begriff „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ verliert aufgrund der Dynamik der Entwicklung zunehmend an Sinnhaftigkeit und wird daher auch durchaus von Fachautoren in Frage gestellt, vergl. [1]. 144 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik 2.4 Unterschiede zwischen juristischer und technischer Regelsetzung Juristische Regelsetzungen streben an, ein in sich geschlossenen System zu bilden, das auf festen allgemeinverbindlichen Grundsätzen „Axiomen“ beruht. Das Grundgerüst dieser Axiome wird durch das aktuelle moralisch ethische Grundgerüst und deren gesellschaftlich gewachsenen Traditionen vorgegeben. Die Regelsetzungen sind dafür geschaffen auf den Einzelfall angewendet zu werden und müssen daher eine gewisse Universalität, Abgeschlossenheit oder Allgemeingültigkeit aufweisen. Die Regelsetzung wird im Regelfall in öffentlichen (Gesetzgebungs-)Verfahren verhandelt und verfasst. Da die Technikklauseln „Anerkannte Regeln der Technik“ oder „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ sich aufgrund ihrer durch den technischen Fortschritt gegeben Dynamik laufend verändern, werden sie juristisch als unbestimmter Rechtsbegriff geführt der durch Nichtjuristen (einschlägige technische Fachleute) definiert werden, vergl. Bild 1, Neben den systemimmanenten Übertragungsschwierigkeiten, bedingt durch die ggf. abweichende differierende Termini und Inhalte von Einzelbegriffen der jeweiligen Fachsprache, unterliegen Technische Regelugen auch andere Gesetzmäßigkeiten und Zielsetzungen. Technische Regelungen werden, statt von moralisch ethischen Grundprinzipien, eher von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Gegebenheiten geprägt, ohne deren Berücksichtigung eine Funktionalität einer technischen Regel nicht gegeben sein kann. Sie unterlegen damit den Naturgesetzen und können somit bereits systembedingt nicht jeden möglichen oder denkbaren Einzelfall berücksichtigen. Die Zielsetzung sind Mindestfestlegungen in Hinblick auf Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Vollumfassende Regelungen werden aus vorgenannten Gründen nicht angestrebt. Die Festlegung der technischen Inhalte erfolgt in der Regel über privat oder privatwirtschaftlich organisierte Fachgremien. Diese setzen sich aus den interessierten und betroffenen Kreisen zusammen und vertreten (oder gar repräsentieren) somit nicht, oder allenfalls bedingt, die allgemeine Öffentlichkeit. 3. Stellenwert schriftlich fixierter Regelwerke 3.1 Gruppen verschiedener Regelsetzer Im Bauwesen gibt es eine Vielzahl verschiedener Regelsetzer für verschiedenste Bereiche und Anwendungsfälle. Die Regelsetzer sind in der Regel privat oder privatwirtschaftlich organisierte Fachgremien. Initiator oder Betreiber der Fachgremien sind häufig Zusammenschlüsse von Verbänden aber auch öffentlich-rechtliche Institutionen (z.B. im Wasserbau und im Verkehrswesen). Sie können häufiger den jeweiligen Interessengruppen - Hersteller, z.B.: - Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb); - Fachvereinigung deutscher Fertigteilbau (FDB); - Deutscher Naturwerksteinverband e.V. (DNV); - RAL Gütegemeinschaft Fenster und Haustüren e.V.; - Bundesverband der Gipsindustrie; - Industrieverband Fugendichtstoffe (IVD); - Planer, Anwender, und Verbraucher z.B.: - Deutscher Betonverein (DBV); - Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH); - Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege (WTA); - Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks e.V.; - Forschungs.u. Entwicklungsgesellschaft Landschaftsbau e.V. (FLL); - Objektbetreiber, z.B.: - Wasserstrassen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV); - Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt); - Eisenbahnbundesamt; - Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA); - Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) zugeordnet werden. Im Hinblick auf eine größere Allgemeinakzeptanz und Relevanz haben sich jeweilige Verbände und Interessengruppen häufiger auch zusammengeschlossen oder ihren Arbeitskreis entsprechend erweitert, um so entsprechende allgemeinverbindlichere Bedeutung zu erlangen. Als Beispiel ist hier das Deutsche Institut für Normung (DIN) zu nennen, in deren Gremien standardmäßig Herstellervertreter, Fachplaner bzw. Fachingenieure und Prüfinstitute, aber auch Vertreter von Endverbrauchern vertreten sind. Ähnliches gilt beispielsweise für die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Aufgrund der zunehmenden Relevanz des Umweltschutzes sind mittlerweile einzelne Gremien auch mit Vertretern von Verbänden oder Zusammenschlüssen dieser Interessengruppen als Gast oder Vollmitglied besetzt. Aufgrund deren anderen primären Zielsetzungen (ethisch-moralische Aspekte) führt dies häufiger zu Interessenkonflikten und Auseinandersetzungen, die häufig 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 145 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik außerhalb der eigentlichen, primär technisch motivierten, Regelsetzung liegen. Regelwerke letztgenannte Regelsetzer haben für den Hochbau (DIN) bzw. Straßen- und Wegebau (FGSV) erhebliche Relevanz und sollten bei entsprechenden Planungen und Ausführungen grundsätzlich berücksichtigt, zumindest aber beachtet werden. Einzelne Regelungen haben regelmäßig Eingang in das Bauordnungsrecht (Landesbauordnungen, Bauregelliste etc.) gefunden. Dies gilt allerdings auch für einzelne Regelwerke anderer Regelsetzer z.B. DAfStb und DBV. 3.2 Problem der Harmonisierung v. Regelwerken Bereits die unterschiedlichen Fachgruppen einzelner Regelsetzer haben das Problem, sich mit den anderen Fachgruppen in Verbindung setzen zu müssen, um Wiedersprüche zwischen Einzelregelwerken zu vermeiden. Aufgrund der unterschiedlichen Traditionen, Anforderungen und Zielsetzen in den jeweiligen Einzelgewerken treten hier regelmäßig Abweichungen und Widersprüche auf, die durch Angleichungen, Querverweise, Ausnahmeklausen, etc. möglichst beseitigt werden müssen. Die Wiedersprüche werden jedoch häufiger erst durch Anwender (Planer oder Ausführende) der betreffenden Regelwerke nachträglich entdeckt. Aufgrund von Interessenkonflikten zwischen den jeweilig Beteiligten können derartige Widersprüche häufiger erst nach langjährigen Abstimmungsaufwand durch die betroffenen Regelsetzer ausgeräumt werden. Dies gilt umso mehr zwischen Regelwerken unterschiedlicher Regelsetzer, die Regelungen für gleichartige Bauweisen erlassen, z. B für die Betoninstandsetzung im Hochbzw. Tiefbau (DIN bzw. BASt) oder Pflasterbauweisen im Wegebau (u. A. FGSV und FLL). Hier werden von den betroffenen Organisationen oft sogenannte Lenkungsgremien geschaffen, die versuchen entsprechende Widersprüche aufzulösen. Der Anwender hat daher den vom Regelsetzer benannte Geltungsbereich des Regelwerkes genau zu prüfen, um bei Gegensätzen in den jeweiligen Regelsetzungen das eher zutreffende Regelwerk stärker zu gewichten und nach Möglichkeit den Auftraggeber in die Entscheidungsfindung verantwortlich mit einzubinden. Im Zweifel ist hier der Auftraggeber somit vorab umfassend zu informieren und nachweisbar aufzuklären (Hinweispflicht! ), um gemeinsam zu entscheiden oder festzulegen nach welchen Maßgaben das projektierte Bauvorhaben geplant und ausgeführt werden soll. Die Schwierigkeiten entsprechenden Harmonisierungsbemühungen werden endgültig deutlich, wenn man die Angleichung der Regelwerke im internationalen Geltungsbereich z.B. auf europäischer Ebene, betrachtet. Die entsprechenden Entwicklungen sind häufig auch für ausgewiesene Fachleute nur schwer zu überblicken. Daher wird auf diese Problematik, aufgrund der Komplexität des Themas, im Rahmen dieses Aufsatzes nicht näher eingegangen. 3.3 Normgruppenunterteilung im Hochbau In der alten deutschen hochbaurelevanten Normgebung des DIN waren die wesentlichen Anforderungen an Stoffeigenschaften, Verarbeitung und Verwendung des Produkts sowie wesentliche Grundzüge der artspezifischen Bemessung für einzelne Bauprodukte oder Bauweisen häufig in einer einzelnen DIN-Norm zusammengefast. Im Rahmen der europäischen Normung werden einzelne Regelungssachverhalte möglichst separiert und in Einzelnormen getrennt standardisiert. Für den vorliegenden Sachverhalt sind u. a. folgende vier Normgruppen von größerem Interesse: - Produkt- oder Stoffnorm Legt Anforderungen fest, die vom Produkt erfüllt werden müssen, damit das Produkt als nach dieser Stoffnorm gefertigt in den Handel gebracht werden darf. Grundlegend dazu gehört auch eine Festlegung, für welchen Anwendungsbereich das Produkt vorgesehen ist. In der Europäischen Normung werden zudem umfangreiche Vorgaben hinsichtlich des vom Hersteller zu leistenden Deklarationsumfangs und dessen Erscheinungsform getroffen (Stichwort CE- Kennzeichnung). In den Normen werden in der Regel keine umfassenden Vorgaben hinsichtlich aller Beschaffenheitsmerkmale des jeweiligen Produktes getroffen. Es werden lediglich Rahmenbedingungen für die einzusetzenden Ausgangsstoffe festgelegt und ggf. Vorgaben hinsichtlich der einzuhaltenden Fertigungsverfahren getroffen und wesentliche technische Eigenschaften (z.B. Maße Druckfestigkeit) festgelegt. Darüber hinaus werden ggf. technische Festlegungen für bestimmte zu erzielende oder einzuhaltende Eigenschaften (Rechenwert der Wärmeleitfähigkeit, Klassifizierung des Brandverhaltens, Zusammendrückbarkeit etc.) getroffen. Somit werden in der Regel lediglich wesentliche technische Beschaffenheitsparameter festgelegt, die benötigt werden um die Gebrauchstauglichkeit festzustellen. Die Festlegung von optischen Merkmalen findet in der Regel lediglich dann statt, wenn die optische Beschaffenheit für die spätere Funktion eine höhere Relevanz hat. Da es sich um keine technische Eigenschaft handelt und somit der Produzent nicht unnötig in seiner Gestaltungsfreiheit zu Anpassung an den jeweiligen Endverbrauchergeschmack eingeengt werden soll, sind die entsprechenden Anforderungen oft recht allgemein gehalten (z.B. „Struktur bzw. Farbe entsprechend dem vom Hersteller bereitgestellten und vom Käufer genehmigten Muster“). 146 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik Etwas konkreter sind lediglich die Beurteilungskriterien hinsichtlich Schäden (Kratzer, Risse Abplatzungen und Ablösungen) und fertigungsbedingte Beschaffenheitsabweichungen (z. B. Ausblühungen, Struktur einer Beschichtung etc.). Zusätzlich werden in einigen Normen anzuwendende Betrachtungsabstände sowie Vorgaben bzgl. Beleuchtungsverhältnisse angegeben. - Ausführungsnormen In Ausführungsnormen werden zunächst der Bereich die von der Norm erfassten Ausführungen festgelegt und definiert. Es werden die für die Ausführung zu verwendenden Baustoffen benannt. Hier wird, wenn möglich auf die entsprechende Stoffnormung Bezug genommen. Häufig werden dann ausführungsspezifische Begriffe und Verfahren erläutert und festgelegt. Danach werden die Anforderungen an Konstruktion und Baustoff benannt und die zu berücksichtigenden Einwirkungen in Art und Größe festgelegt. Es werden die produktspezifischen Bemessungsgrundsätze benannt. Sind für die Bemessung umfangreichere Berechnungen und/ oder schriftliche Nachweise z. B. in Form einer Statik notwendig, wird die Bemessung häufig in einer eigenen Bemessungsnorm ausgegliedert. In der Regel werden Annahmekriterien für die Baustoffe auf der Baustelle benannt, Vorgaben zum Schutz und zur Lagerung auf der Baustelle getroffen und die technisch relevanten Verarbeitungstechniken benannt. Die Ausführungsgüte wird häufig indirekt über Anforderung an Ebenheit- und Winkligkeit, Fugenbreite oder Anforderungen an Fugenbreiten etwas eingegrenzt. Nur in Ausnahmefällen werden darüber hinaus spezielle Festlegungen hinsichtlich der Optik getroffen. Anforderungen an die Optik werden in der Regel in separaten privatrechtlichen Regelwerken (z. B Sichtbetonmerkblatt des Deutschen Betonvereins; Merkblätter zu Qualitätsstufen von Innenputz vom Bundesverband der Gipsindustrie) festgelegt. Diese werden, je nach allgemeiner Anerkennung, dann ihrerseits als Vertragsbestandteil mit benannt oder ggf. sogar als übliche Verkehrssitte allgemein vorausgesetzt. - Bemessungsnormen Sind zur Ausführung einer Konstruktion umfangreichere statische oder bauphysikalische Berechnungen notwendig, werden die Vorgaben zum Rechnerischen Nachweis der benötigten Eigenschaften häufig in separaten Bemessungsnormen festgelegt und standardisiert. Zu den Bemessungsnormen gehören im weitesten Sinne auch die Passungsnormen, wie z. B. die DIN 18 202 „Toleranzen im Hochbau“. - Prüfnormen Prüfnormen standardisieren die Verfahren zur Festlegung fest umrissener Eigenschaften, sowie deren Ergebnisauswertung und Dokumentation. Die Normen beinhalten auch Vorgaben hinsichtlich des Aufbaus und Handhabung der Prüfwerkzeuge und Maschinen. Es werden Verschleißgrenzen definiert und Vorgaben zu Überprüfungs- und Kalibrierverfahren getroffen. 3.4 Regelungsstandards DIN-Normung Die DIN-Normung ist, wie bereits in Abschn. 2.1 ausgeführt, grundsätzlich privatrechtlicher Natur und daher von den Zielsetzungen und Interessen der in diesem Gremium versammelten Regelsetzer bestimmt. Sie umfasst weder alle Aspekte des jeweiligen Normierungsgegenstandes, noch sind im Bauwesen alle Baustoffe, Bauverfahren und Bauweisen normiert. Im Bauwesen verfolgt die Normung im Wesentlichen drei Ziele - Sicherstellung eines Mindestsicherheitsniveaus bei sicherheitsrelevanten Baustoffen, Bauverfahren und Bauweisen. Diese Normen sind häufig über Landesund/ oder Bundesbaurecht in der Rechtsprechung verankert - Standardisierung von Bauweisen - Erzielung nachvollziehbarer gleichbleibender Qualitätsstandards für Baustoffe, Bauverfahren und Bauweisen. Die Normen regeln zudem im Wesentlichen lediglich technische Aspekte und dies wiederum fast ausschließlich für den Neubaubereich. Bei nicht sicherheitsrelevanten Themenbereichen oder Bereiche mit geringer Anwendungshäufigkeit ist daher ggf. nur eine geringe Durchdringung durch Normen und andere Regelwerke gegeben. Insbesondere bei Normungsgegenständen, bei denen die optische Relevanz nicht ein wesentliches Charakteristikum der Bauweise ist, finden sich in den Regelwerken häufig keine oder nur marginale Vorgaben zur optischen Beschaffenheit und deren Bewertung. In einigen Fällen sind von interessierter Seite (häufig von Industrieverbänden) für derartige Themen Merkblätter oder Regelwerke erarbeitet worden, die sich dem Thema Optik und optische Beurteilungskriterien annehmen. Einige dieser Merkblätter, z. B. Sichtbetonmerkblatt des DBV, haben einen normähnlichen Charakter und sind zwingend bei Ausschreibung, Planung, Ausführung und Abnahme zugrunde zu legen. Liegen für den zu betrachtenden Sachverhalt keine allgemeinverbindlichen und allgemein anerkannten Bewertungskriterien in Form einer Norm oder eines Merkblattes vor, sind die Kriterien gemäß allgemein üblicher 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 147 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik Verkehrssitte unter Berücksichtigung der vorliegenden Vorgaben zusammenzustellen (z. B. Ausführungs- und Bewertungsmaßstäbe der einschlägigen Handwerkerausbildung die größtenteils auch in einschlägigen Lehrbüchern dokumentiert sind, vergl. Abschn. 3). 3.5 Beurteilung der Allgemeingültigkeit Aus den Ausführungen in Abschn. 2.1 ist bereits abzuleiten, dass Planer und Ausführende vor der Anwendung von Regelungen die allgemeine und spezielle Relevanz und ggf. die Partikularinteressen des betreffenden Regelsetzer berücksichtigen bzw. bewerten sollten oder müssen. Um eine Gemeingültigkeit zu erlagen ist natürlich die theoretische Richtigkeit vorauszusehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass z.B. aufgrund Veränderungen in der Bauweise oder Nutzung, auch die Annahme der theoretischen Richtigkeit plötzlich nicht mehr gegeben sein kann. Dies kann im ungünstigen Fall auch bei langjährig bewährten, bauaufsichtlich eingeführten und regelmäßig novellierten Normreihen auftreten. Hier sei beispielsweise auf die Norm DIN 11622-2, Ausgabe 06.2004, verwiesen. Diese lies für Fahrsilos unter bestimmten Voraussetzungen unbeschichtete Innenseiten der Behälterwände zu. Mit Aufkommen der Biogasanlagen wurden die Dimensionen derartiger Anlagen beträchtlich vergrößert und somit auch der Angriffsgrad der beim Regelbetrieb zeitweise entstehende Säuren beträchtlich erhöht. Die Behälterwände wurden dadurch so geschädigt, dass es hier bereits nach einem Jahr Betriebszeit zu standsicherheitsgefährdenden Schäden, teilweise sogar zu Einstürzen kam, vergl. [3]. Die Norm musste daher in Hinblick auf den Säureschutz des Betons grundsätzlich überarbeitet werden. Aus den vorgenannten Gründen wird ersichtlich, dass auch DIN-Normen immer auf ihre Richtigkeit und Relevanz geprüft werden sollten. Damit ein schriftliches Regelwerk als „Anerkannte Regel der Technik“ gelten kann, müssen u. a. folgende Voraussetzungen erfüllt sein: - Theoretische Richtigkeit - Allgemeine Verbreitung u. Bewährung d. Bauweise - Allgemeine Bekanntheit und Relevanz d. Bauweise - Regelsetzung d. entsprechend anerkannte Fachkreise mit Berücksichtigung möglichst aller betroffenen Interessengruppen - Gewährleistung allgemeiner Zugänglichkeit des Regelwerkes - Überprüfungsmöglichkeiten der Regelsetzung, einschließlich Revisionsmöglichkeiten z. B. über entsprechend geregelte und verankerte Einspruchsverfahren - Anpassung der Norminhalte an die aktuellen Gegebenheiten und Randbedingungen. Ein bekanntes Beispiel für fehlende Aktualität ist die Mindestanforderung im Schallschutz regelnde DIN 4109, Ausgabe 1989, die erst 2016 grundlegend novelliert wurde. Die in dieser Norm verankerten Mindestanforderungen wurden vor ihrer Novellierung regelmäßig von hierzu angerufenen Gerichten als zu niedrig angesehen, weil sich mittlerweile wesentlich schärfere Mindeststandards in der Baubranche durchgesetzt hatten, die teilweise zielsicher erreicht werden konnten und deren Umsetzung daher vom Nutzer und/ oder Besteller erwartet werden konnte. Hilfsweise wurde in der betreffenden Zeit u.a. auf Regelwerke anderer Regelsetzer (z. B. VDI) zurückgegriffen. 3.6 Abhängigkeit vom Beurteilungszeitpunkt Grundsätzlich müssen zum Zeitpunkt der Abnahme u. a. die „Anerkannten Regeln der Technik eingehalten worden sein. Ansonsten liegt u. U. ein Sachmangel vor, vergl. z.B. VOB Teil B §13 (1) [2], siehe Bild 4. Bild 4: Auszug aus VOB Teil B zu Mängelansprüchen zum Zeitpunkt der Abnahme Hieraus ergeben sich bei Bauprojekten mit längeren andauernden Planungs- und Ausführungsfristen erhebliche Probleme und Risiken. Die Gefahr der Generierung eines Sachmangels aufgrund vorgenannten Sachverhaltes soll am Beispiel der Einführung der DIN 1045 Teil 1 - 4, Ausgabe 07.2001 näher erläutert werden. U.a. bedingt durch die in der vorgenannten Ausgabe vorgenommene Harmonisierungsbemühungen mit dem im Geltungsbereich der BRD erst später eingerührten Eurocode 2 unterschied sich diese Neuausgabe so wesentlich von der vorherigen Ausgabe 07.1988, dass ein Mischungsverbot bestand, vergl. [4]. Dies bedeutete, dass Planung, Bemessung und Ausführung grundsätzlich nach einem der beiden Regelwerke auszuführen waren. Das Mischungsverbot wurde jedoch nicht verletzt, wenn die jeweils strengere Vorschrift angewendet wurde. Um zum Einführungszeitpunkt hier eine praktikable Handhabung für laufende Projekte zu ermöglichen, vor dem Einführungszeitpunkt nach vorhergehender längere Diskussion durch die Fachkommission Bautechnik der Bauministerkonferenz eine Übergangsfrist bis 2004 festgesetzt, in der die alte und neue Ausgabe unter bauaufsichtlichen Aspekten parallel angewendet werden durfte, vergl. [5]. 148 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik Von interessierter Seite (u.a. Bauträger) wurde bei diesen laufenden Projekten, die nach alter Norm ausgeführt wurden, geltend gemacht, dass zum Abnahmezeitpunkt eine veraltete Bautechnik eingesetzt und hieraus Schadensersatzansprüche abgeleitet, da die neue Normgeneration ein höheres Dauerhaftigkeitsniveau, vergl. z.B. [6], sicherstelle. Dieses höhere Sicherheitsniveau sei eindeutig nach VOB zum Abnahmezeitpunkt zu gewährleisten. Einschlägige Fachautoren der juristischen Seite, z. B. der damalige Vorsitzende Richter am OLG München, Herr Prof. Dr. Gerd Motzke, zeigte in entsprechenden Fachaufsätzen großes Verständnis für diese Argumentationskette, obwohl gleichzeitig von fachtechnischer Seite immer wieder auf viele Unsicherheiten und Risiken der neuen Regelung hingewiesen wurde, vergl. z.B. [5]. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass eine Umplanung noch nicht begonnener Projekte u. a. erhebliche Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen zur Folge gehabt hätten. Bei bereits in der Erstellung befindlichen Projekten wäre zudem unter Umständen eine Anpassung bereits ausgeführte Bauteile an die Anforderungen der neuen Normgeneration unter wirtschaftlich sinnvollen Erwägung ggf. nicht oder nur noch eingeschränkt möglich gewesen. Sofern hier der Auftraggeber nicht frühzeitig (also vor Einführung der neuen Normengeneration) von Auftragnehmerseite auf die vorgenannte Problematik aufmerksam gemacht und entsprechend aufgeklärt worden war, ergaben sich hieraus erhebliche Haftungsrisiken für den Auftragnehmer. 3.7 Bedeutung vorliegender Normung für einzelne Bauverfahren oder -bautechniken Grundsätzlich erhöht eine vorliegende Normung die Anscheinsvermutung, dass es sich um eine Technik entsprechend den „Stand der Technik“ oder gar um Bauweise gemäß einer „Anerkannten Regel der Technik“ handelt, erheblich. Die Baustoffindustrie ist bei entsprechender Marktbedeutung des Produktes oder der Bauweise in der Regel bestrebt Neuerung in das bestehende Normensystem zu verankern. Ohne diese Verankerung ist das Risiko, aus den in Abschn. 2.6 genannte Gründen, vergl. Bild 4, der Geltendmachung von Sachmängeln eher höher. So wurden Bitumendickbeschichtungen (PMBS oder vormals KMB) bereits seit Jahrzehnten als Abdichtung von erdberührten Wänden erfolgreich eingesetzt, bevor sie im August 2000 in der einschlägigen Abdichtungsnormung DIN 18195 verankert wurden, vergl. [1]. Noch in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren immer wieder Rechtstreite anhängig, ob diese Technik als anerkanntes und bewährtes Verfahren anzusehen ist oder ob ein Sachmangel vorliegt. Aktuell ist die Anwendung von Bitumendickbeschichtung erneut im Fokus einer gerichtsanhängigen Auseinandersetzung. Das OLG Hamm entscheidet gemäß einen am 14.08.19 gefällten Urteil, dass eine Außenabdichtung mittels Kombinationslösung aus polymermodifizierten Bitumendickbeschichtung und WU-Bodenplatte für den Kombinationslastfall aufstauendes Sickerwasser nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht, vergl. [6]. Hier geht es also im Wesentlichen um die Problematik des Materialübergangs zwischen den beiden Systemen. Dieser Fall zeigt deutlich, der Planer und der Ausführende auch bei prinzipiell eingeführten Bauweisen, insbesondere bei der Kombination unterschiedlicher konstruktiver Lösungsansätze immer noch selbst eine Risikoabwägung treffen sollte und den Bauherrn bzw. Auftraggeber in diese mit einbeziehen sollte. Im vorliegenden Fall war die Mischbauweise sogar in der einschlägigen Abdichtungsnormung (DIN 18533 bzw. vormalig DIN 18195) verankert. Darüber hinaus lag eine produktspezifische Ausführungsrichtlinie [7], die ebenfalls langjährig eingeführt ist und regelmäßig überarbeitet wurde, vor. 3.8 Problematiken beim Bauen im Bestand Ein Großteil der einschlägigen Regelwerke beschäftigt sich ausschließlich mit Neubauvorhaben oder setzt für seine Vorgaben Bausubstanz, die entsprechende Vorgaben genügt, voraus. Daher sind bereits bei einfachen Umbaumaßnahmen von erst wenigen Jahren alten Objekten ggf. die Vorrausetzungen des angesetzten Regelwerks nicht oder allenfalls sinngemäß erfüllt. Planer und ausführende sind hier gut beraten, wenn sie den Bauherren über diesen Sachverhalt aufklären und (schriftlich) auf nicht auszuschließende Abweichungen in der geplanten Ausführung hinweisen und sich diese dann auch im Bedarfsfall entsprechend genehmigen lassen. Bei Umbau oder Ertüchtigung historischer Altbausubstanz ist eine Ausführung entsprechend der zum aktuellen Planungs- und Ausführungsstand anzusetzenden „Anerkannten Regeln der Technik“ in der Regel nicht oder allenfalls nur sehr eingeschränkt möglich. Teilweise liegen hier alte Bauweisen, Baustoffe oder Bemessungsverfahren vor, die so nicht mehr hergestellt bzw. ausgeführt werden. Beispielsweise seien hier, z.B. preußische Kappengewölbe, Stampflehmboden in Keller, auskragende Natursteinbalken als Balkonauflager, etc. genannt. Im Stahlbetonbau betrug die Mindestbetondeckung bei Stahlbetonfertigteilen bis in die 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bei Innenbauteilen nur 0,5 cm. Insbesondere wenn bei historisch wertvoller Bausubstanz zusätzlich Auflagen der Denkmalbehörden zu berücksichtigen sind, sind zudem die Eingriffe auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken. Dies führt dazu, dass Gebrauchstauglichkeit (z.B. Deckenhöhe, Schallschutz oder Wärmeschutz) ggf. gegenüber aktuell anzusetzenden Standards zurückbleiben. Gleiches gilt für die Dauerhaftigkeit (z.B. bei Ausführungen mit reinen Kalkputzen in ungünstigen Anwendungszonen oder -bereichen). Derartige Einschränkungen sind z.B. beim Sicherheitsniveau oder Gesundheitsschutz (z.B. Gefahr der Kon- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 149 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik denswasserproblematik in der Heizperiode) natürlich nicht zu akzeptieren. Hier ergibt sich jedoch häufig die Schwierigkeit, dass für das zu beurteilende Bauwerk keine aktuellen Bemessungsansätze (z. B. bei historischen Stahlsteindeckensystemen) vorliegen. Die Tragwerksanalyse und die zu wählenden Bemessungsansätze müssen dann einzelfallbezogen durch entsprechende Fachingenieure erst festgelegt werden. Ähnliches gilt u.a. für die Sicherstellung von Mindestbrandschutzanforderungen. Als ein Regelsetzer, der sich insbesondere um derartige Problemstellung im Hochbau kümmert, ist die Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft (WTA) zu nennen. Da sich im Bereich der Wasserstraßen zahlreiche noch im Betrieb befindliche Bauwerke vorzufinden sind, die vor mehr als einhundert Jahren erstellt wurden, sind von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) einige Regelwerke erstellt worden, die sich speziell der Instandsetzung derartige Bauwerke widmen. Insbesondere für Baumaßnahmen an Mauerwerksbauten, sowie Beton- und Stahlbetonbauten ab der Gründerzeit lassen sich hieraus über Analogieschlüsse Ausführungshinweise auch für Bauwerke mit anderen Anwendungszwecken gewinnen. 4. Stellenwert nicht kodifizierter Regeln Einzelne handwerkliche Ausführungs- und Applikationsweisen oder Oberflächenbearbeitung sind häufig kaum oder nicht in übergeordneten Regelwerken verankert. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Festlegungen hinsichtlich der Wahl geeigneter oder sachgerechter Ausführungswerkzeuge, die im Zweifel die Beschaffenheit oder das Erscheinungsbild (beispielsweise Festlegungen zu den Steinmetzwerkzeugen für die händische Oberflächenbearbeitung) erheblich beeinflussen können. Eher allgemeingültige Regelwerke finden sich im Regelfall lediglich zu wirtschaftlich relevanten Aspekten und/ oder Ausführungsweisen mit hohem Streitpotential. Beispiele hierzu sind das DBV-Merkblatt zu Sichtbeton, die relativ ausführlichen Ausführungshinweise zu Natursteinmauern im Eurocode 6 oder die Merkblätter des Industrieverband Fugendichtstoffe zur Ausbildung sogenannter dauerelastischer Fugen zu nennen. Teilweise werden darüber hinaus zwar interne Spezifikationen niedergelegt, deren Verbreitung jedoch in Einzelfällen bewusst eingeschränkt, da allgemein bekannte Standards ggf. den Wettbewerbsdruck durch unerwünschte ggf. sogar artfremde Wettbewerber erhöhen könnte. Liegen lediglich schriftliche Spezifikationen mit geringen Verbreitungsgrad vor oder ist die Arbeits- oder Verarbeitungsweise nicht oder nur in wenigen Fundstellen dokumentiert, ist der Nachweis, dass es sich hier um Techniken handelt, die durchaus als Anerkannte Regel der Technik anzusehen sind, sehr schwierig, insbesondere, wenn es sich um gerichtsanhängige Auseinandersetzungen handelt. Ausdrücklich soll betont werden, dass Anwendungs- oder Ausführungsmerkblätter von Baustoffherstellern zu Einzelprodukten hierbei eher nicht hilfsweise als Beleg für den „Stand der Technik“, geschweige denn als „Anerkannte Regel der Technik“ herangezogen werden können. Dies gilt allenfalls dann, wenn sich die entsprechenden Ausführungshinweise auch in den Merkblättern der Mitbewerber in gleicher oder ähnlicher Weise wiederfinden lassen. Besser geeignet sind hier schon die entsprechenden Lehrmaterialen oder Lehrbücher, die zur Schulung von Auszubildenden im Handwerk verwendet werden. Hier lässt sich ggf. eher plausibel herleiten, dass bestimmte Ausführungsweisen eine langjährige Tradition mit entsprechender Verbreitung und allgemeiner Kenntnis der Ausführenden ausweisen. Quellennachweise [1] Zöller. M.; Boldt, A.: Anerkannte Regeln der Technik; Inhalt eines unbestimmten Rechtsbegriffs, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, 2017 [2] Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.): Vergabeu. Vertragsordnung für Bauleistung, Ausgabe 2019, Beuth Verlag, Berlin Wien u. Zürich 2019 [3] H. Tebbe: Betonbau in der Landwirtschaft (Teil1): in: DBV-Heft 33, S. 19 - 43, DBV (Selbstverlag); Berlin 2014 [4] Schießl. P.; Gehlen Ch, Sodeikat, Ch.: Dauerhafter Konstruktionsbeton f. Verkehrsbauwerke,Betonkalender 2004; S. 157 - 220 [5] Fingerloos, F., Litzner H.-U.: Erläuterung zur praktischen Anwendung der neuen DIN 1045,Betonkalender 2005; S. 377 - 445 [6] Rheinhardt H.-W.: Beton, Betonkalender 2001; S. 6 - 145 [7] Deutsche Bauchemie: Kombinationsbauweise „Außenabdichtung aus PMBC mit Übergang auf eine WU-Bodenplatte“ [8] Deutsche Bauchemie (Hrsg.): Richtlinie zur Planung und Ausführung von Abdichtungen mit polymermodifizierten Bitumendickbeschichtungen (PMBC), Ausgabe 12.2018,Selbstverlag Frankfurt a. M., 2018 Ingenieurbauwerke/ Brücken 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 153 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Dipl.-Ing. Katharina Dawirs Ingenieurbüro Grassl GmbH, Hamburg Dr.-Ing. Sebastian Krohn DEGES GmbH, Berlin Zusammenfassung Über die Gesamtmaßnahme zur Verbreiterung der 3,8 km langen Hochstraße Elbmarsch (K20) in Hamburg und den zugehörigen Sonderbereich der Megastützen wurde bereits auf dem 4. Brückenkolloquium im September 2020 berichtet. Aufgrund der Erkenntnisse u.a. aus einer Instandsetzungsmaßnahme an der Megastütze in Achse 55 West wurde im Zuge der Planung der Verbreiterung festgelegt, die Mehrzahl der Megastützen abzubrechen und neuzubauen. Der Ersatzneubau der massiven Megastützen muss direkt unterhalb der weiterhin befahrenen Bestandsüberbauten erfolgen. Neben der komplexen Tragwerksplanung der Megastützenkonstruktionen musste eine Lösung für die bauzeitliche Aufrechterhaltung des Verkehrs auf und unter der K20 gefunden und die räumlich begrenzten Platzverhältnisse berücksichtigt werden. Der Ersatzneubau der Megastützen hat im Jahr 2020 begonnen. 1. Einordnung in die Gesamtmaßnahme Der 8-streifige Ausbau der A7 im Bereich der K20 wird durch die innenseitige Verbreiterung des Bestandsbauwerks realisiert. In 7 der 110 Achsen der K20 befinden sich schiefwinklig kreuzende Verkehrswege unterhalb des Bauwerks. Der vorhandene Spannbetonüberbau lagert dort zur Überführung der Verkehrswege auf sogenannten Megastützen auf. Je Richtungsfahrbahn ist eine Megastütze angeordnet. Die Megastützen bestehen im Wesentlichen aus einer Großrundstütze und massiven, vorgespannten, beidseitig auskragenden Riegeln. Abb. 1: Bestand Megastützen Achse 56 154 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Für 10 der 14 Megastützen wurde im Zuge der Planungen festgelegt, dass die Bauwerke für die Verbreiterung neu zu bauen sind (s. Kap. 2.1). Die finale Entscheidung für den Ersatzneubau fiel erst zum Abschluss der vorgezogenen Instandsetzungsmaßnahmen. Im Anschluss erfolgte kurzfristig eine umfangreiche Planung des komplexen Ersatzneubaus, sodass dieser Berücksichtigung in der Ausschreibung der Gesamtmaßnahme finden konnte. Bereits in der Planungsphase wurde deutlich, dass die Ausführung des Ersatzneubaus der Megastützen auf dem zeitkritischen Weg der Gesamtmaßnahme der Verbreiterung liegt. Der Ersatzneubau muss erfolgen bevor die eigentliche Verbreiterung in den betroffenen Achsen realisiert werden kann. Der vorgesehene Gesamtbauablauf wurde dementsprechend angepasst. 2. Planung Ersatzneubau 2.1 Veranlassung Die ersten Untersuchungen zu den Megastützen fanden, aufgrund der im Rahmen der kontinuierlichen Bauwerksprüfungen vorgefundenen Schäden, ab dem Jahr 2003 statt. Die seitdem fortschreitenden Betonabplatzungen und Rissbildungen mit Aussinterungen, besonders an den schwer zugänglichen Kopfbereichen der Spannbetonriegel, führten zu der Instandsetzungsmaßnahme in Achse 55 West. Die Planungen der Instandsetzungsmaßnahme begannen im Sommer 2015 und die Ausführung wurde im Januar 2019 erfolgreich abgeschlossen. Diese Maßnahme wird in [1] umfassend beschrieben. Neben der Instandsetzungsmaßnahme an Achse 55 West erfolgten weitere umfangreiche Untersuchungen als Grundlage zur Entscheidungsfindung über Erhalt oder Ersatz der Megastützen. Die komplexen statischen Betrachtungen, baustofftechnologischen Analysen und bauwerksspezifischen Versuche sind in [2] beschrieben. Auf dieser Basis wurden die Erkenntnisse aus sämtlichen Untersuchungen zusammengetragen und ausgewertet. Im Ergebnis wäre ein Erhalt der Konstruktion bei 10 der 14 Megastützen wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen. Maßgeblich für die Entscheidung zum Ersatzneubau war die vorgegebene Restnutzungsdauer aller Unterbauten bis mindestens zum Jahr 2084. 2.2 Hilfsumfahrungen Die Megastützen befinden sich unmittelbar neben befahrenen Straßen, die Spannbetonriegel liegen teilweise direkt über dem Verkehrsraum. Eine Sperrung dieser Straßen ist aufgrund der Lage im Hamburger Hafen nicht möglich. In den betroffenen Achsen mussten daher Hilfsumfahrungen für diese Straßen geplant werden. Dabei waren die Betroffenheiten Dritter und baugrundtechnische Anforderungen zu beachten. Abb. 2: Hilfsumfahrung Achsen 55 und 56 2.3 Hilfskonstruktion Zur Abfangung der angrenzenden Spannbetonüberbauten werden Hilfskonstruktionen benötigt. Die geplanten stählernen Fachwerkkonstruktionen sollen im Werk vorgefertigt, vor Ort abschließend verschraubt und montiert werden. Die Planung sieht vor die Hilfskonstruktionen beidseitig der Megastützen auf den Bestandsunterbauten aufzulagern. Die jeweiligen Lagerungsbedingungen der angrenzenden Überbauten können somit durch horizontale Knaggen in Längsund/ oder Querrichtung aufrechterhalten werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 155 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Abb. 3: Längsschnitt Bauzustand Achse 56 West Die neuzubauenden Riegel in den Achsen 55, 56 und 69 sind direkt befahren. Um den Verkehr der A7 über die gesamte Bauzeit aufrechtzuhalten wurde geplant, den gut 2 m breiten Streifen zwischen den Überbauten mit speziell für diese Achsen entwickelten Abdeckplatten temporär zu überbrücken. Die zum Einsatz kommenden Stahlkonstruktionen sind für die Überfahrt von Schwer- und Großraumtransporten mit einer Achslast von 12 t und eine Überfahr-Geschwindigkeit von mindestens 60 km/ h ausgelegt. 2.4 Abbruch Nach erfolgter Montage der Hilfskonstruktionen werden die vorhandenen Überbauten hydraulisch angepresst und somit abgefangen. Der vorhandene Spannbetonriegel wird anschließend mit einem Traggerüst unterstützt. Der geplante Rückbau der Megastützen beginnt mit einem horizontalen Trennschnitt durch die Großrundstütze direkt unterhalb des Riegels. Die Großrundstützen haben einen Außendurchmesser von 6,0 m und eine maximale Wandstärke von 80 cm. Der konventionelle Abbruch der Stütze wird bis auf 1,0 m über der Oberkante der Pfahlkopfplatte erfolgen. Der verbliebene Stützenquerschnitt wird zum Erhalt der vorhandenen Anschlussbewehrung der Pfahlkopfplatte mittels Hochdruckwasserstrahlens abgebrochen. Danach wird der Riegel abgesenkt, vor Ort in Teilstücke zerschnitten und das Abbruchmaterial abtransportiert. 2.5 Neubau Für den Ersatzneubau wurden verschiedene Bauwerksvarianten untersucht. Die geometrischen Zwänge aufgrund der Lichtraumprofile der unterführten Straßen führten dazu, dass eine Lösung in Anlehnung an den Bestand gefunden werden musste. Anstelle der ursprünglich in der Planung der 1970er Jahre bereits vorgesehenen Einhängeträger, wurde jedoch eine Verlängerung des innenseitigen Kragarms der Spannbetonriegel geplant. Die Verlängerung wird als direkte Auflagerung für den Verbreiterungsträger genutzt. Bis auf den verlängerten innenseitigen Kragarm wurden die Megastützen mit den gleichen Querschnitten wie der Bestand geplant. 156 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Abb. 4: Neubau mit Verbreiterung in Achse 56 West Es wurde nachgewiesen, dass die infolge des Neubaus geänderte Gesamtbelastung der bestehenden Gründungen der Megastützen weiterhin statisch aufgenommen werden kann. Der Ersatzneubau wurde nach Eurocode bemessen, die bestehenden Gründungen analog der gültigen Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken überprüft. Der Neubau der Megastützen wurde in umgekehrter Abfolge des Abbruchs geplant. Zunächst wird der neue Riegel bodennah auf einem Traggerüst, unterhalb der befahrenen Überbauten hergestellt. Der Riegel wird dabei im Traggerüst mit einer 1. Vorspannstufe versehen. Nach dem Hochpressen des Riegels ist die Betonage der Stahlbetongroßrundstütze unterhalb des Riegels vorgesehen. Im Anschluss daran werden die angrenzenden Bestandsüberbauten von der Hilfskonstruktion mittels Pressen auf die neuen Megastützen umgelagert. Ab diesem Zeitpunkt wirken Eigengewicht und Ausbaulasten der Bestandsüberbauten auf die neuen Megastützen. Erst unter dieser Belastung kann die 2. Vorspannstufe auf den Riegel aufgebracht werden. Diese 2. Vorspannstufe wurde im Bereich des verlängerten Kragarms aus statischer Sicht für den 8-streifigen Ausbauzustand der K20 erforderlich. Nach Fertigstellung der Megastützen kann die Auflagerung der Verbundträger für die innenseitige Verbreiterung des Bauwerks erfolgen. 3. Ausführung Ersatzneubau Die vorbereitenden Arbeiten für den Ersatz der Megastützenriegel haben bereits begonnen. Die Werksfertigung der Stahlhilfskonstruktionen zum Abfangen der Überbauten läuft derzeit. Im Zuge der Ausführungsplanung wurden der Bauablauf und die Konstruktionen so optimiert, dass die meisten Stahlfachwerke mehrfach zum Einsatz kommen können. Der Einbau der überfahrbaren Abdeckplatten wurde innerhalb einer Wochenendsperrung der A7 durchgeführt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 157 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Abb. 5: Testfahrt nach Fertigstellung Abdeckplatten Das Plattensystem muss sowohl die Verkehrslasten der A7 aufnehmen, als auch die Dilatation der am Megastützenriegel anschließenden Überbauten ausgleichen. Ursprünglich war das System als reine Stahlkonstruktion geplant. Um einen optimalen Verkehrsfluss zu gewährleisten, entschied man sich, Anrampungen aus Asphalt mit einem Längsgefälle von nur 1% vor und hinter den Stahlplatten vorzusehen. So werden die Verkehrsteilnehmer bei der Überfahrt nicht irritiert und der Verkehrsfluss bleibt ungestört, während unterhalb der Stahlplatten der Ersatzneubau der Megastützen erfolgen kann. Literatur [1] Peters, F.; Krohn, S.; Mangold, M.: K20 Hochstraße Elbmarsch - Planung und Ausführung der Instandsetzung einer Megastütze unter Verkehr, Tagungsband 6. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, Technische Akademie Esslingen 01/ 2019 [2] Krohn, S.: Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch, Tagungsband 4. Brückenkolloquium, Technische Akademie Esslingen 09/ 2020 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 159 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen Dipl. Ing. Thomas Stihl SEH Engineering GmbH, Büro Dortmund Zusammenfassung Für Brückenfahrbahnen, welche die Fahrzeuglasten in die Tragwerksstruktur einleiten und am stärksten dynamischen Einflüssen ausgesetzt sind, wurden neue innovative Techniken zur Verstärkung und Entlastung von vorhandenen Tragwerken entwickelt. Bei dem SPS-Overlay-Verfahren werden orthotrope Stahlfahrbahnen verstärkt, indem ein zusätzliches Deckblech im Abstand von nur 25mm über dem alten Fahrbahnblech angeordnet wird und der entstehende Hohlraum mit einem zu einem massiven Kern aushärtenden Kunststoff (Polyurethan) vergossen wird (SPS, Sandwich-Plate-System). Dadurch verringern sich die Materialspannungen und Verformungen an den gefährdeten Aussteifungsrippen um 60%. Gleichzeitig erhält das Bauwerk durch den Kunststoff zusätzliche bauphysikalische Eigenschaften. Diese sind Schwingungsdämpfung der Stahlfahrbahn durch die Energieabsorptionsfähigkeit des Kunststoffes sowie dessen Isolationsverhalten bei Temperaturänderungen (Blitzeis) oder die Geräuschdämpfung (Trittschall). Vom Bundesverkehrsministerium wurde dieses System (SPS-Overlay) 2005 mit einem Pilotprojekt auf der vielbefahrenen A57 in der Nähe von Krefeld an der Schönwasserparkbrücke qualifiziert und erfolgreich eingesetzt. In Luxemburg wurden in 2016 an der „Roten Brücke“ Pont Grande Duchesse Charlotte 5.100 m² der Brückenfahrbahn mit SPS-Overlay erfolgreich verstärkt und 2.300 m³ neue Gehwege aus SPS-Platten ersetzt. Die 1965 gebaute 355m lange Stahlbrücke konnte mit dieser Maßnahme für weitere 50 Jahre mit den Lasten der DIN-Fb 101/ 103 ermüdungstechnisch nachgewiesen werden. Der Vortrag erklärt die Technik des Stahl-Kunststoff-Verbundsystems SPS anhand von ausgeführten Projekten. 1. Einleitung Die steigende aktuelle Verkehrsbelastung des öffentlichen Straßenverkehrs führt auch zu hohen Beanspruchungen der Brückenbauwerke im öffentlichen Straßenverkehr. Brückenbauten aus Stahl wurden in den 1960-er bis 1980-er Baujahren aus Wirtschaftlichkeitsgründen möglichst leicht gebaut. Die damals gültige Normung war besonders hinsichtlich Stahlermüdung und dynamischer Beanspruchung noch nicht so weit entwickelt und hatte bei weitem nicht den heutigen Stand. Die daraus resultierenden schädigenden Effekte auf das Tragwerk und die Lebensdauer wurden nicht abgebildet. Gleichzeitig berücksichtigten die Verkehrsprognosen bei weitem nicht die eingetretenen Fahrzeugzahlen und -größen. Beanspruchbarkeit und Beanspruchung wurden beide nicht in der erforderlichen Größe berücksichtigt und führten zu den bekannten Schäden an den Brückentragwerken und zum daraus entstandenen Sanierungsstau. Um die Effekte auf Stahlfahrbahnen (orthotrope Platte) von Stahlbrücken, welche die Radlasten direkt in das Tragwerk einleiten müssen, zu reduzieren wurde die Technologie von Stahl-Kunststoff-Verbund-Kompo-nenten als Overlay entwickelt. Damit können die von der BASt als Kategorie 1-Schaden klassifizierten Fahrbahnschäden saniert und die Lebensdauer auf rechnerisch bis zu weiteren 50 Jahren erweitert werden. 2. Technologie der Stahl-Kunststoff-Verbundbauteile (SPS) Die Technologie der Stahl-Kunststoff-Verbundbau-teile (SPS) basiert auf einem Forschungsvorhaben an der Carleton Universität Ottawa, Kanada welche 1983 für die Entwicklung von Eisbarrieren in der Beaufort Sea gestartet wurde. Die Forschungskooperation zwischen dem Stahlbaulehrstuhl der RWTH Aachen und der Carleton Universität mit den Wirtschaftspartnern Krupp Stahlbau Hannover und in der Folge SEH Engineering führte zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung und Manifestierung der Technologie seit nunmehr über 30 Jahren. Die Technologie ist umfassend untersucht. Beim SPS handelt es sich um einen Sandwichquerschnitt, der aus zwei außen liegenden Stahlplatten besteht (Bild 1), die einen festen Polyurethankern umschließen. SPS- 160 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen Platten sind isotrope, auf Ober- und Unterseite ebene Plattenelemente ohne Aussteifungsrippen. Bild 1: Geometrische Daten des SPS-Systems Die phantastischen Haftungseigenschaften des speziell formulierten Polyurethans auf der Stahloberfläche führen zu einem hochbelastbaren Tragelement, welches auch große, dynamische Lasten aufnehmen kann. Im Gegensatz zu bekannten Sandwichelementen mit geschäumten PUR, welche im Bauwesen als Fassaden- und Dachelemente eingesetzt werden, steht beim SPS die statische Tragwirkung und nicht die Bauphysik im Vordergrund. Aus diesem Grund besteht der Kunststoff aus einem massiven, nicht geschäumten Kern. Auch beim massiven Kunststoffkern des SPS wirken die bauphysikalischen Vorteile des Kunststoffes positiv auf die Performance. Bei der Konstruktion von Brücken werden SPS-Platten auch verwendet, weil diese die typischen Nachteile der Stahlkonstruktion, wie fehlende Dämpfung oder strukturphysikalische Nachteile wie Schallübertragung oder Isolierung ausgleichen und dies alles ohne zusätzliche Maßnahmen. Bild 2: Fahrbahnoberseite Baustelle Hergestellt wird die Verbundplatte indem zwei Stahldeckbleche mit einem Kern aus Polyurethan Elastomer zu einem Sandwich (Bild 1) der in zwei Schritten verbunden werden: 1. Zusammenbau des Oberblechs und Unterblechs mit Abstandhaltern und Randleisten durch Schweißung oder Klebung, so dass geschlossene Kavitäten entstehen (Bild 2). 2. Injektion des 2-komponentigen flüssigen Polyurethans (Bild 10) in die Kavität, welches beim Erhärten mit dem Oberblech und Unterblech eine zug- und schubfeste mechanische Verbindung eingeht und eine tragende Verbundkonstruktion entsteht. Biegesteifigkeit und Festigkeit der Sandwichplatte lassen sich durch entsprechende Geometriewahl (Blech- und Elastomerdicken) anpassen und so wählen, dass diese denen einer konventionell ausgesteiften Stahlkonstruktion entsprechen. Durch das vollständig verbundene Elastomer werden die Stahlbleche kontinuierlich gestützt: lokales Beulen wird so verhindert, ohne dass zusätzliche Steifen angeschweißt werden müssen; Schubkräfte lassen sich von einem Stahlblech zum anderen übertragen. Die Stahlbleche müssen vor der Montage gesandstrahlt sein, die Kavitäten müssen vor der Injektion des Elastomers sauber und trocken sein. Das Aushärten geht mit Wärmewirkung und Volumenausdehnung einher, die durch Niederhalter unterdrückt wird (Druckbildung). Nach der Aushärtung des Elastomers besteht vollständiger Verbund mit den Stahldeckblechen, die Schubfestigkeit in der Verbundfuge zwischen Elastomer und Stahl beträgt mindestens 4 MPa. 3. Bauweisen Die Stahl- Kunststoff-Verbundbauteile werden in zwei Bauweisen unterschieden. Zum einen können Paneele oder Fertigteilplatten in der Werkstatt vorgefertigt und dann am Bauort montiert werden. Zum anderen ist es möglich auf der Baustelle, vor Ort plattenartige Tragwerksteile (z.B. Brückenfahrbahnen, Gehwege) mit einem Overlay zu versehen und in der Tragfähigkeit zu ertüchtigen. 3.1 Bauweise Paneele Fertigteil-Platten aus mit Polyurethan gefüllten Stahlboxen Anwendungen: Fahrbahntafeln Gehwegplatten Bild 3: Einbau Fahrbahnpaneele 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 161 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen Bei Einsatz von Stahl-Kunststoff-Verbundplatten werden in der Werkstatt vorgefertigte Fahrbahnelemente auf der Baustelle in das zu sanierende Tragwerk eingefügt (Bild 3). Der üblicherweise vorhandene und tragfähige Trägerrost der Primärkonstruktion eignet sich, die Platten mittels Schraub- oder Schweißverbindung aufzunehmen. Beim Schweißen werden an den Stahlboxen Stahl-Randleisten verwendet, welche die Wärme der Schweißenergie so weit aufnehmen, dass die Glasübergangstemperatur des Elastomers nicht überschritten wird und keine Schädigung des Kunststoffkerns stattfindet. 3.2 Bauweise Overlay Ergänzung einer vorhandenen Stahlplatte um ein weiteres Deckblech, mit Verfüllung des Zwischenraums mit Polyurethan (Bild 4). Anwendungen: Orthotrophe Brückenfahrbahnen Bild 4: Einbausituation Fahrbahn-Overlay Beim Herstellen der Kavitätenboxen des Overlay werden relativ dünnen Bleche verwendet, die bis zum Kunststoffeinbau noch keine Stabilisierung erfahren. Das Schweißen geschieht durch energiearme Schweißverfahren, welche den Schweißschrumpf minimieren. Außerdem werden die Leisten und Rahmen fixiert, weil die beim anschließenden Schweißen der Kavitäten entstehenden Zwängungen durch Schrumpf zu einem Beulen der Deckbleche (Bild 8) führen würden. 4. Austausch der Verbundfahrbahnplatte der Hängebrücke Mettlach mit SPS-Fertigteilplatten Die Fahrbahn der 1951 gebauten, über 108m gestützten Hängebrücke über die Saar in Mettlach (Bild 5) musste im Jahr 2012/ 13 erneuert werden, weil die Tragfähigkeit des Bauwerks auf Grund von Verschleiß, Korrosion und hohem Verkehrsaufkommen nicht mehr ausreichend war. Bild 5: Saarbücke Mettlach Durch die Verwendung von SPS-Fertigteilplatten (Bauweise Paneele) war es möglich das Fahrbahngewicht von 500t auf 200t zu reduzieren. Dadurch konnte das erhöhte Verkehrsaufkommen der aktuellen Normung für die Brücke angesetzt werden und dies bei gleichzeitiger Entlastung der Spannungen in den Tragkabeln. Dies war erforderlich, weil eines der im Erdankerblock vergossenen Hauptkabel wegen korrodierter und gebrochener Drähte nicht mehr ausreichend tragfähig war. Im konkreten Fall konnte außerdem aufgezeigt werden, dass der massive Kunststoffkern in der Lage war Verkehrslärmemissionen zu reduzieren, weil kein stahlbautypischer Resonanzkörper vorhanden ist und der Kunststoff zudem als Dämpfungselement wirkt. Innerhalb von nur 3,5 Monaten wurde die isotrope, nur 45mm dicke SPS-Fahrbahnplatte eingebaut. Das entspricht einer Bauleistung von 15 m²/ Tag. Der Verkehr wurde während des Umbaus in 1-spuriger Verkehrsführung weiter über das Bauwerk geführt. Der innerstädtische Verkehr konnte ohne Komplettsperrung aufrechterhalten werden. 5. Anwendungsbeispiel Pont Grande-Duchesse Charlotte Luxemburg (SPS-Overlay) Im Rahmen der Entwicklung der luxemburgischen Infrastruktur beschloss die luxemburgische Verwaltung, den öffentlichen Verkehr in der Stadt auszubauen und die Busverbindung durch eine Straßenbahn zu ergänzen oder teilweise zu ersetzen. Die Pont Grande-Duchesse Charlotte (PGDC), welche die Innenstadt Luxemburgs mit dem Kirchberg Plateau verbindet (Bild 6) und die seit ihrem Bau im Jahr 1965 mit ihrer roten Farbe („Rout Bréck“) das Stadtbild stark beeinflusst hat, sollte aufgrund des UNESCO-Weltkulturerbes nahezu unverändert erhalten bleiben. Dies führte zu der Entscheidung, die bestehende Struktur für die neuen Aufgaben zu ertüchtigen. Die gesamte Realisierung ist in Lit. [11] umfassend charakterisiert. Aufgrund der geplanten Nutzungsänderung musste der Verkehrsquerschnitt der Brücke angepasst werden. Charakteristisch ist die Überführung einer zweigleisigen 162 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen Straßenbahnstrecke, welche am Widerlager Kirchberg über eine Standseilbahn (Funiculaire) mit dem neuen S- Bahnhof der Alzettetal-Bahn verbunden ist. Die Bauaufgabe erforderte umfangreiche Verstärkungs- und Unbaumaßnahmen, der orthotrophen Fahrbahn an der PGDC, welche anschließend die Tragfähigkeit der Baustruktur nach den heutigen Standards gewährleistet. Dies konnte mittels großflächiger Verstärkung der orthotropen Fahrbahnplatte mittels SPS-Overlay sichergestellt werden. Die Arbeiten an der Brückenkonstruktion wurden im Juni 2015 begonnen und konnten im September 2017 mit dem Rückbau der Stahlbaustelle abgeschlossen werden. 6. Baustellenorganisation / operativer Ablauf Die exponierte Lage der Baustelle in der Stadt Luxemburg, die innerstädtische Verkehrssituation und die zeitlich enge Verknüpfung mit anderen Infrastrukturmaßnahmen in der Stadt wurden durch weitere Besonderheiten beeinflusst. Bild 6: Pont Grande-Duchesse Charlotte Luxemburg Unter anderem wurde der öffentliche Verkehr über dem Bauwerk während der gesamten Umbaumaßnahme aufrechterhalten. Die großen Gelenkbusse der luxemburgischen Verkehrsbetriebe erreichten Ihre Haltestellen nur fahrplanmäßig, weil sie die Brücke passieren konnten. Für Fußgänger und Radfahrer gab es immer mindestens einen Bürgersteig für den Übergang von der Stadt zum Europa-Viertel und zum Kirchberg-Plateau. Das Hauptkriterium für die Organisation der Prozesse war jedoch das Erreichen des Fertigstellungstermins des Brückendecks am 30.06.2017. Dieser war zwingend erforderlich, weil die die Montage der Straßenbahnschienen zu diesem Zeitpunkt die Brücke erreichten und die Gleisbauarbeiten ohne Unterbrechung über die Brücke weitergeführt werden mussten. Die Arbeit wurde in 4 Arbeitsschritte unterteilt (Bild 7, Tabelle 1) in denen je zwei Fahrspuren umgebaut wurden. - Während der Bauphase I und III waren beide Bürgersteige für Fußgänger und Radfahrer frei nutzbar. - Während der Bauphasen II und IV war nur einer der Fußgänger- und Radwege verfügbar, da entweder der nördliche oder der südliche Fußgängerradweg umgebaut wurde und die neue Geländer- / Schutzwand installiert werden musste. - Sowohl die Arbeitsbereiche als auch die Lager- und Logistikflächen wurden während des Bauens vier Mal neu aktiviert. Terminplan Arbeitsbereich Beginn Ende Tage Arbeitsbereich I 01.10.15 03.02.16 90 Arbeitsbereich II 04.02.16 05.10.16 175 Arbeitsbereich III 06.10.16 03.02.16 85 Arbeitsbereich IV 04.02.17 30.06.17 105 Fahrbahnumbau gesamt: 01.10.15 30.06.17 455 Tabelle 1: Terminplan des PGDC-Fahrbahnumbaus Bild 7: Bauphasen an der PGDC 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 163 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen 7. Konstruktion Fahrbahnverstärkung mit SPS-Overlay Bild 8: SPS-Overlay-Kavität vor dem Schließen Die entscheidende Entwicklung der SPS-Technik bestand darin, die Kunststoffinjektionstechnik für 2-komponentige Elastomere, die für die Fabrikfertigung entwickelt wurde und dort seit Jahrzehnten eingesetzt wird, an die Umgebungsbedingungen eines Baustelleneinsatzes anzupassen. Robuste, wetterunempfindliche Technik, die den hohen Qualitätsanforderungen im Bauwesen entspricht, musste entwickelt und serienreif gemacht werden. Bild 9: selbstfahrende Kunststoff-Injektionsmaschine Eine auf einem Raupenfahrwerk montierte, selbstfahrende, vollautomatische und computergesteuerte Injektionsmaschine (Bild 9) kam dabei zum Einsatz. Sie wurde durch die BASF-Tochter Elastogran speziell für die Anforderungen von Baustelleninjektionen entwickelt. Mit dieser Maschine ist es möglich, auch schwer zugängliche Bauorte zu erreichen und die Elastomerinjektion in der erforderlichen Qualität durchzuführen. Bild 10: Kunststoff- Injektionsvorgang 8. Qualitätssicherung SPS-Brückenfahrbahn- Overlay Zur Qualitätssicherung der Sandwich-Schichten wurde ein spezielles Testverfahren entwickelt, welche eventuelle Fehlstelle in der Haftungsschicht zwischen dem Stahlblech und dem Kunststoffkern sowie Luftblasen detektieren kann. Herkömmliche Techniken wie Ultraschall liefern keine Ergebnisse, weil die unterschiedliche Dichte der Kompositbestandteile immer zu einem Signal führt. Deshalb wurde ein Messverfahren (SONALIS) entwickelt, bei dem die Schallantwort auf ein Klopfsignal ausgewertet wird (Bild 11). Mit Hilfe eines geeichten Schlagwerks, welches in einem Messkopf untergebracht ist und einem Mikrofon, werden die Signale erzeugt und mittels einer elektronischen Auswert-einheit verarbeitet. Detektiert und angezeigt werden „Bonded“ = verbunden, „Debonded“ = kein Verbund und „uncertain“ = unsicher => Neumessung. Bild 11: Sonalis Testgerät 164 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen An der PGDC wurde ein Messprogramm durchgeführt, bei dem die Fahrbahn in einem Raster von 30 cm x 30 cm abgeklopft wurde 9. Zusammenfassung Sanierungs-Leistung und Kosten Entscheidungskriterien für den Einsatz solcher Sanierungssysteme sind die Leistung und die Kosten. Beides muss im wirtschaftlichen Verhältnis stehen und dem Bauwerk bezüglich nachhaltigen Bauens eine ausreichende Restlebensdauer gewähren. Am Beispiel der PGDC lässt sich erkennen, dass die neue Sanierungsmethode mittels Stahl- Kunststoff-Sandwich beide Kriterien erfüllt und mit minimal-invasivem Bauen großartige Ergebnisse liefert. Sanierungsleistung Fahrbahn Brückenfläche 355,00 m x (26,58 -6,33 m) = 7.190 m² (minus Tram) Dauer 21 Monate = 455 Arbeitstage Sanierungsleistung = 16m²/ Tag Sanierungskosten Fahrbahn Brückenfläche = 7.190 m² Kosten Stahl-Kunststoff-Verbundbauteile = 4.219 tsd € Sanierungskosten Stahl-Kunststoff-Verbundbauteile 587,- €/ m² Brückenumbau gesamt Dauer 47 Monate = 940 Arbeitstage (9.440 m²) Leistung 10 m²/ Tag / Kosten 2.000,- €/ m² Im Kostenvergleich erkennt man, dass die Verstärkung der Fahrbahn 30% der Gesamtbaukosten einer umfassenden Restrukturierung ausmacht. Die Kosten für den Fahrbahnumbau mit Paneelen bewegen sich im Übrigen auf dem gleichen Niveau wie die Overlayergänzung. Nachhaltiges, wirtschaftliches Bauen im Bestand ist mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen möglich. Literaturverzeichnis [1] Kennedy, S.J.: Das Sandwich-Platten-System (SPS). Stahlbau 76 (2007), H. 7, S. 455-464. [2] Matuschek, J., Stihl, T., Bild, S.: Verstärkung der orthotropen Stahlfahrbahn der Schönwasserparkbrücke mittels Stahl-Elastomer-Sandwich (SPS). Stahlbau 76 (2007), H. 7, S. 465-471. [3] Minten, J., Sedlacek, G., Paschen, M., Feldmann, M., Geßler, A.: SPS-ein neues Verfahren zur Instandsetzung und Ertüchtigung von stählernen orthotropen Fahrbahnplatten. Stahlbau 76 (2007), H. 7, S. 438-454. [4] Friedrich, H.: Schönwasserparkbrücke: Untersuchung zur thermischen Beanspruchung von SPS beim Einbau bituminöser Fahrbahnbeläge. Stahlbau 76 (2007), H. 7, S. 472-477. [5] Feldmann, M., Sedlacek, G., Möller, S., Geßler, A., Ungermann, D., Kalameya, J.: Herstellung von Stahlfahrbahnen in Sandwichbauweise mit verringertem Schweißaufwand. Forschungsbericht P628, aus der Reihe Forschung für die Praxis, ISBN 3-937567-92-5, Forschungsvereinigung Stahlanwendung e.V., Düsseldorf, 2010. [6] Sedlacek, G., Feldmann, M., Paschen, M., Geßler, A.: SPS-applications in bridge design - safety and economy aspects, PU Magazine, Volume 2, No 4, October 2005. pp. 246-250. [7] Feldmann, M., Sedlacek, G., Geßler, A.: A System of Steel-Elastomer Sandwich Plates for Strengthening Orthotropic Bridge Decks. Mechanics of Composite Materials, journal, Vol. 43, No. 2, Institute of Polymer Mechanics, University of Latvia 2007, Seite 271-282. [8] Kennedy, S. J.: SPS Bridge Deck Design Guidelines. Intelligent Engineering Limited, Nov 2010. [9] Uwe Heiland, Thomas Stihl, Stefan Henschke.: Erkenntnisse und Bewertung von Verfahren zur Grundinstandsetzung stählerner Hochbahntrasse; Stahlbaunachrichten, September 2012, Deutscher Stahlbauverband DSTV, Düsseldorf [10] Thomas Stihl, Carsten Chassard, Markus Feldmann, Stefan Bild: Neue Technologie für die Hängebrücke über die Saar in Mettlach-Brückenfahrbahn aus Sandwich Plate System (SPS), Ernst und Sohn, Berlin, Stahlbau 82 (2013), Heft 3 [11] Gesella, H., Schwarz, W., Didier, G.: Planung und Ausschreibung der Ertüchtigung der Brücke Grande-Duchesse Charlotte in Luxemburg. Stahlbau (2016), H. 4. [12] Stihl, Th., Geßler, A., Feldmann, M., Kennedy, Stephen J.: Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen. Stahlbau (2016), H. 10. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 165 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes Rolf Spreemann Implenia Instandsetzung GmbH, München Zusammenfassung Im Rahmen eines Pilotprojektes von Hessen Mobil wurden zwei 3-feldrige Brückenbauwerke im Zuge der A 648 durch den Einbau von Verstärkungsschichten aus Carbonbeton auf der Oberseite und in Teilbereichen der Untersicht zur Erreichung eines ausreichenden Ankündigungsverhaltens bei Spanngliedausfall verstärkt. Die bauseitige Planung konnte auf der Baustelle erfolgreich umgesetzt werden. Hohes Augenmerk muss bei den Arbeiten auf die Qualitätssicherung der Ausführung gelegt werden. Für die Ausführung der Arbeiten waren Kolonen mit bis zu 15 Mann im Einsatz. Der Artikel berichtet von der erfolgreichen Ausführung der Carbonbetonarbeiten. Für viele Bestandsbauwerke mit mangelndem Ankündigungsverhalten dürfte der Einsatz von Carbonbeton eine sinnvolle Sanierungsmethode darstellen. 1. Einleitung Bei den Bauwerken handelt es sich um zwei 3-feldrige Brückenbauwerke im Zuge der A 648 mit einer Spannweite von ca. 67m aus den frühen 70er Jahren. Der damals eingesetzte Spannstahl (Sigma-Oval) ist anfällig für Spannungsrisskorrosion und zeigt Minderfestigkeiten. Bei Ausfall des Spannstahl in Folge von Spannungsrisskorrosion zeigen die Bauwerke kein ausreichendes Ankündigungsverhalten in den Randfeldern und über den Stützen im Sinne der Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion. Ziel der hier geplanten Hauptmaßnahme ist die Ertüchtigung der Teilbauwerke 1 und 2, um eine verkehrssichere Nutzung für die nächsten ca. 15 Jahre (Restnutzungsdauer bis 2034) zu erreichen. Das fehlende Ankündigungsverhalten besteht bei einer Vielzahl ähnlicher Bauwerke. Es besteht erheblicher Bedarf an alternativen Instandsetzungsmaßnahmen. Daher entschied sich der Bauherr im Rahmen eines Pilotprojekts für eine Ertüchtigung mittels Textilbeton (hier Carbonbeton genannt). Die ARGE Implenia Instandsetzung/ Züblin wurde im Frühjahr 2020 nach öffentlicher Ausschreibung mit der Ausführung beauftragt. Beide Firmen haben langjährige Erfahrung in der Ausführung der Textilbetonarbeiten. Der Vortrag fasst die Erfahrungen aus der Ausführung der Maßnahme von Juni-Oktober 2020 zusammen. Behandelt werden die Themen Arbeitsvorbereitung und Gerätetechnik, Qualitätssicherung, Ausführung der Arbeiten sowie „lessons learned“ und gibt einen Ausblick für den zukünftigen Einsatz. 1.1 Ausführungsplanung Die Planung sah vor, dass das der Bereich der Stützmomente über den zwei Stützenachsen, sowie das Feldmoment in den Randfeldern durch zusätzliche Bewehrung zur Gewährleistung eines ausreichenden Ankündigungsverhalten verstärkt werden sollte. An der Untersicht war die verfügbare Stärke für eine Verstärkungsschicht durch den unter der Brücke verlaufenden Radweg auf wenige Zentimeter beschränkt. Gleiches galt für die Oberseite der Brücke, da aufgrund der Zwangspunkte in der Gradiente nur wenigen Zentimeter für die Verstärkung zur Verfügung standen. Die fertige Ausführungsplanung wurde bauseits gestellt. Dies schaffte Planungssicherheit, machte es jedoch nicht ganz leicht, die Erfahrung der ausführenden Firmen in die Planung zu integrieren. 166 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes Bild 1: Schnitt der Brücke mit Verstärkungslagen Als Carbonbewehrung kamen Einzelmatten mit Abmessungen von bis zu 6x2m zum Einsatz. Die Übergreifungsstöße waren gestaffelt, wobei lediglich die oberste Lage auch in Querrichtung übergriffen wurde. 1.2 Arbeitsvorbereitung für die Ausführung Im Rahmen der Arbeitsvorbereitung wurde durch die Ausführende ARGE eine umfangreiche Arbeitsanweisung zur Planung jedes einzelnen Schrittes erstellt und mit der Ausführung von Musterflächen verifiziert. Bild 2 - Erstellung einer Probefläche vorab 1.3 Qualitätssicherung Eine gute Qualitätssicherung ist von zentraler Bedeutung zur Erreichung der erforderlichen Qualität in der Ausführung. Für das ausführende Personal ist ein personenbezogener Eignungsnachweis erforderlich. Jeder Handgriff der Ausführung wurde anhand einer genauen Arbeitsanweisung penibel geplant. Die Qualitätsprüfungen erfolgen erst 28 Tage nach der Ausführung. Um die Erreichbarkeit der geforderten Werte vor Ausführungsbeginn zu validieren, hat sich die Ausführung von Musterflächen unter Baustellenbedingungen als hilfreich erwiesen. Für die Ausführung ist ein sehr gewissenhaftes und sauberes Arbeiten auf der Baustelle sehr wichtig. Hierzu gehören insbesondere: - Ausreichend rauer, sauberer und gut vorgenässter Untergrund - Kontrolle der zugegebenen Wassermenge und des Ausbreitmaßes für den Feinmörtel - Applikation des Feinmörtels durch den Düsenführer - Zügiges Arbeiten für die Einbettung der Carbonbewehrung, solange der Mörtel noch offen ist. - Kontrolle der Schichtstärke der einzelnen Lagen - Lagegenauer Einbau der Carbonbewehrung (Masche über Masche) - sehr sorgsame Herstellung der Probekörper (Prismen & Probeplatten) Bei der Ermittlung der Haftzugwerte an der verstärkten Fläche hat sich gezeigt, dass hier eine sehr vorsichtige Erstellung der Ringnut mittels Nassbohren und gut befestigten Stativ, sowie ein Abzug exakt senkrecht zur geprüften Fläche unbedingt erforderlich ist. Die Einhaltung wetterunabhängiger Umgebungsbedingungen mit Hilfe eines Schutzzeltes hat sich als sehr sinnvoll erwiesen. 1.4 Ausführung Die Ausführung auf der Oberseite erfolgte in Streifen von ca. 2,50 m Breite. Bild 3: vorbereitete Fläche Die Verarbeitung des Feinmörtels erfolgt im Spritzverfahren für den lageweisen Einbau der Mattenbewehrung. Hierfür waren die Düsenführer mittels einer verschieblichen Brücke über der zu bearbeitenden Fläche positio- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 167 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes niert, um nach Vorgabe den Mörtel senkrecht zur Oberfläche in einer Schichtstärke von 4-5mm je Lage aufbringen zu können. Die nicht bearbeitete Fläche musste hierbei gut abgedeckt werden, um Trennschichten aus Sprühnebel und Begehen der Fläche zu verhindern. Bild 4: Ausführung eines Streifens Carbonbeton Die einzelnen Matten mussten exakt Masche über Masche mittels Ausrichtungshilfen verlegt werden. Bild 5: Einbetten einer Bewehrungsmatte mit Ausrichtungshilfen Der Einbau „Masche über Masche“, welcher bessere Verbundwerte als ein Einbau ohne geordnetes Übereinanderliegen der Bewehrungsgarne erbringt, konnte mit Hilfe von Ausrichtungshilfen auch unter Baustellenbedingungen umgesetzt werden. Das Einhalten der geforderten Gesamtschichtstärke unter Einhaltung der für den Verbund erforderlichen Zwischenschicht zwischen den Lagen, welche auch im Stoßbereich erforderlich ist, hat eine genaue Arbeitsplanung und sehr exaktes Arbeiten erfordert. Die Erstellung einer Musterfläche mit einem Maximum von bis zu 10 Lagen hatte nützliche Erkenntnisse hierzu gebracht. Für die Ausführung auf der Oberseite musste eine Kolonne von bis zu 15 Mann eingespielt zusammenarbeiten. Eine besondere Herausforderung war die Umsetzung eines durchgängigen und soweit möglich gleichmäßigen Personalstandes, was nicht immer gelang. Für ein wirtschaftliches Arbeiten ist es erforderlich, dass die Kolonnen für den Einbau des Carbonbeton durchgängig und soweit möglich ohne unproduktive Wartezeiten durcharbeiten können. Aufgrund der Zwangspunkte wie Begehbarkeit der frisch erstellen Bereiche, Umbau von Schutzmaßnahmen, war dies nur eingeschränkt möglich. Günstig wirkt sich hier aus, wenn „Ausweicharbeiten“ zur Verfügung stehen. Bild 6: Aufbringen der Deckschicht Bei der Applikation von bis zu 5 Lagen Bewehrung mit einer Gesamtschichtstärke von ca. 4 cm an der Untersicht der Plattenstege hat sich gezeigt, dass ein Einbau nass in nass unter Baustellenbedingungen extrem schwierig ist. Um die Gefahr eines Herunterfallens der frischen Schichten zu vermeiden, hat es sich bewährt, maximal 3 Lagen frisch in frisch zu verarbeiten und mit einer spritzrauen Oberfläche für einen guten Verbund zu versehen. Am nächsten Tag konnten dann die letzten 2 Lagen mit der Deckschicht aufgebracht werden. Die sehr konstruktive und gute Zusammenarbeit aller Beteiligten hat maßgeblich zu einer erfolgreichen Umsetzung dieses Pilotprojektes beigetragen. Bild 7: Kugelgestrahler Carbonbeton vor Aufbringen der Abdichtung 168 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes 1.5 Fazit Die geplante Verstärkung der Bauwerke konnte unter Baustellenbedingungen erfolgreich umgesetzt werden. Sinnvolle Erfahrungen für zukünftige Projekte konnten gesammelt werden. Zur Verstärkung von Bauwerken mit fehlendem Ankündigungsverhalten hat sich Carbonbeton in diesem Projekt sehr gut bewährt. Für viele Bestandsbauwerke mit mangelndem Ankündigungsverhalten und ähnlichen Zwangspunkten dürfte der Einsatz von Carbonbeton eine sinnvolle Sanierungsmethode darstellen. Denkmalpflege/ Tragwerksplanung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 171 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen an historischen Baudenkmälern unter Betrachtung ihrer Rezeptur, Belastungsgrenzen, umweltschonenden Wirkung und Nachhaltigkeit Sophie Hoepner Technische Universität München, Professur für Biogene Polymere, Straubing, Deutschland Prof. Dr. Cordt Zollfrank Technische Universität München, Professur für Biogene Polymere, Straubing, Deutschland Abb. 1 Zusammenfassung Bereits vor über 600 Jahren wurde am Regensburger Dom, am Straßburger und Ulmer Münster und anderen Steinbauten äußerst erfolgreich mit Schmelzklebstoffen gearbeitet. Die Klebungen an Vierungen und Fragmenten im Außenbereich der Steinfassaden sind auch nach dieser Zeit vollständig intakt, was man von heute gängigen Klebstoffen kaum zu erwarten wagt. Die Grundrezeptur dieser in Vergessenheit geratenen Schmelzkleber besteht aus biogenen Inhaltsstoffen wie Baumharzen unterschiedlicher Modifizierung, Bienenwachs sowie mineralischen Zuschlägen. Dies bietet den Anreiz, ihr Potenzial bei der Entwicklung eines biobasierten Schmelzklebstoffes unter Betrachtung ihrer Inhaltsstoffe, Rezeptur und Belastungsgrenzen zu untersuchen und weiter zu erforschen. Die Sammlung von Klebstoff-Befunden verschiedener historischer Steinobjekte, ihre Untersuchung und Dokumentation und der Versuch der Rekonstruktion einiger vielversprechender Rezepturen sind das Ergebnis eines Forschungsprojektes der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, das im Zeitraum von 2018 bis 2020 an der Professur für Biogene Polymere der TU München durchgeführt wurde. 172 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen 1. Einführung Die Redewendung „wie Pech und Schwefel“ steht für einen engen dauerhaften Zusammenhalt, der im Wesentlichen durch das klebrige Pech entsteht. Tatsächlich wurde dieser zähflüssige bituminöse, schmelzbare Rückstand, der bei der Destillation organischer Materie oder von Stein- oder Braunkohlenteer zurückbleibt [1], bereits in prähistorischer Zeit verwendet, um Zerbrochenes zu reparieren oder steinerne Pfeil- und Speerspitzen dauerhaft mit Holzschäften zu verkleben [2-7]. Doch aufgrund seiner schwarzen Färbung und seines äußerst intensiven rauchigen Geruchs findet es heute kaum noch Verwendung, während ein anderer Destillationsrückstand von Nadelholzharzen heute durchaus noch Verwendung als Tackifier in Klebstoffen findet. Im Mittelalter wurden solche Harzmodifizierungen sogar zur Klebung von Steinen im Außenbereich stark bewitterter Kathedralfassaden verwendet und dies so erfolgreich, dass sie noch heute halten. Dombaumeister Dr. Michael Hauck fielen solche Klebstoffe am Passauer Dom auf, wo sie in augenscheinlich sehr ähnlicher Rezeptur in Spätgotik und Barockzeit verwendet wurden. Obwohl der Bau nach der spätgotischen Phase 100 Jahre ruhte und somit eine direkte Weitergabe der Rezepturen kaum möglich war, hat sich das Wissen um diese Technik erhalten. Durch diese Befunde inspiriert, konnten im Rahmen eines DBU-Projektes 59 Proben von 14 historischen Bauwerken und neun kleineren Objekten gesammelt und analysiert werden (Abb. 2 und 3). Ein Einblick in die Vorgehensweise und Erkenntnisse dieses Projektes soll nun folgen. Abb. 2 links Regensburger Dom, Nordturm nordwestlicher Pfeiler, Vierung im Rundstab eines Kielbogens um 1400. Historischer Klebstoff aus Kolophonium und Quarzmehl. Foto: S. Hoepner. Abb. 3 rechts Auflichtmikroskopie des historischen Klebstoffs einer Vierung im Kalkstein am Regensburger Dom. Probe RDP1 am Kielbogen am Nordturm Nordseite 8m Höhe um 1400. Foto: S. Hoepner. 2. Was macht einen Steinklebstoff aus? Klebstoffe sollen nach DIN EN 923 durch Oberflächenhaftung und eigene Festigkeit Fügeteile fest miteinander verbinden. Die Verbindung zwischen den verschiedenen oder auch gleichen Werkstoffen erfolgt dabei ohne eine strukturelle Veränderung der Fügepartner [8]. Moderne Steinklebstoffe basieren meist auf Epoxidharz oder sind acryl- oder polyurethangebundene Copolymere. Die hier untersuchten historischen Klebstoffe sind zu den Schmelzklebstoffen zu zählen, die nur heiß als Schmelze verarbeitet werden können und im erkalteten Zustand fest an der Oberfläche haften. Sie unterscheiden sich deutlich von anderen mittelalterlichen Fügetechniken wie dem Verbleien oder der Verwendung von Mörteln. Beim Verbleien findet keine kraftschlüssige Verbindung infolge von Adhäsion statt, beim Mörtel ist wie der Name des für Keramik verwendeten Mörtels Fliesenkleber schon andeutet eine gewisse Adhäsion erreichbar, doch dauert das Abbinden und Aushärten natürlich viel länger und ist zudem nicht reversibel. Die historischen Schmelzkleber hingegen können noch heute mit Hitze oder Lösungsmitteln angelöst werden. Ein Steinklebstoff sollte wasserfest sein, UV-beständig und so belastbar, dass er das Gewicht eines Steines hält, aber auch eine steinmetzmäßige Überarbeitung des geklebten Bereiches schadenfrei übersteht. Genau diesen Anforderungen entsprechen diese historischen Klebstoffe, und obendrein sind sie im Gegensatz zu den heute genutzten Klebstoffen für Umwelt und Gesundheit unbedenklich und setzen sich aus nachwachsenden Rohstoffen zusammen. Viele Aspekte, die zu einer genaueren Untersuchung anregen. 3. Zusammensetzung der Historischen Klebstoffe Eines der ältesten überlieferten Rezepte für einen witterungsbeständigen Steinklebstoff stammt aus dem Traktat über die Malerei von Cennino Cennini von 1400. Er be- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 173 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen schreibt leider ohne Mengenangaben, dass Mastix, Wachs und Steinmehl gemeinsam erhitzt werden müssen und die zu klebenden Steinoberflächen zu reinigen und zu erwärmen sind [9]. Einige Quellen aus dem Italien des 16. und 17. Jahrhunderts geben Rezepte mit Kolophonium (Destillationsrückstand von Nadelholzharz, der an gelben bis braunen Bernstein erinnert), Kiefernharz, Pech (Destillationsrückstand von Holzteer, durch Holzverschwelung entsteht schwarzer, stark riechender flüssiger Holzteer und Holzkohle bleibt zurück), Bienenwachs und Steinmehl an, deren Mengenangaben durch die Angabe von Unzen und Libre einigermaßen rekonstruierbar sind [10-12]. Doch wirklich verlässliche Klebstoffrezepturen wurden erst im 18., vor allem aber dem 19. und 20. Jh. in Haushaltsratgebern, Handbüchern, Mitteilungen „vorzüglicher Vorschriften“ und Anleitungen von Gelehrtengesellschaften dokumentiert, wobei die Mengenangaben von Loth, Quentchen und Handvoll noch viel Spielraum für Interpretation lassen. Sie enthalten häufig zahlreiche Rezepturen für den Hausgebrauch, sodass man Schäden in beinahe jedem Material selbstständig ausbessern konnte. Es wurde also nicht der „UHU-Porzellankleber“ gekauft, sondern man suchte sich ein Rezept aus und verarbeitete die aufgeführten Zutaten, die jedoch teilweise auch etwas abenteuerlich erscheinende Ingredienzien wie Knoblauch, Galläpfel, Pferdemist, Unschlitt, Rinderfett, Eisenfeilspäne, Scherwolle, Kuhhaare, Baumwolle, Blei- und Silberglätte erwähnen [13-18]. Somit bleibt für die konkrete Klärung nur die chemische Analyse, um sich an die ursprünglichen Rezepturen heranzutasten. 4. Wo wurde mit diesen Klebstoffen geklebt? Neben dem bereits erwähnten Passauer Dom konnten am Bamberger und Regensburger Dom, an Ulmer, Straßburger, Freiburger und Berner Münster, am Kloster Einsiedeln, am Kloster Maria Opferung in Zug, an zwei Nürnberger Großkirchen, aber auch am Dresdner Zwinger und an der Großen Kolonnade am Neuen Palais in Potsdam Sanssouci historische Klebstoffe nachgewiesen werden. In den meisten Fällen handelt es sich um eingeklebte Vierungen, die Materialinhomogenitäten im Werkstein ausbessern sollten, aber natürlich wurden auch versehentliche Kantenausbrüche auf diese Art ergänzt oder abgebrochene Fragmente wieder angeklebt. An den meisten genannten Bauten sind nur wenige Klebungen zu finden, eine Ausnahme stellt das Freiburger Münster dar. Hier wurden während des Baus des Chorobergadens auffällig viele Vierungen eingeklebt. Der vermutet, dass es in der Bauphase des 15. Jahrhunderts zu Materialengpässen kam [19]. Die Werksteinformate sind kleiner als während der anderen Bauphasen, was dafür spricht, dass jeder verfügbare Stein eingebaut werden musste. Gibt es keine Wahl beim Material, muss auch häufiger geklebt werden, um fragile und entfestigte Zonen zu stabilisieren. Brüchige Bereiche wurden sofort entfernt, ausgeklinkt und direkt im Anschluss ein Passstück wieder eingeklebt. Am Ulmer Münster wurde fast ausschließlich am Westturm im Doggersandstein des 15. Jahrhunderts geklebt. Die Klebungen fallen hier trotz sauber gearbeiteter Klebefugen auf. Der eigentlich gelblich-ockrige Doggersandstein weist im Bereich der Vierungen nämlich violette Verfärbungen auf (Abb. 4). Die Fugenflanken wurden vermutlich vor der Klebstoffapplikation mit glühenden Kohlen erwärmt, damit sich der Schmelzkleber nicht zu schnell an der Steinoberfläche abkühlte. Die starke Erhitzung hat dann jedoch zu chemischen Reaktionen bei den Eisenverbindungen des Gesteins geführt und die violette Verfärbung an den Rändern hervorgerufen. Diese Vorgehensweise verdeutlicht, dass die Klebungen in der Werkstatt in der Nähe des Feuers durchgeführt werdenmussten, da der Einsatz eines Schmelzkessels auf dem Gerüst zu gefährlich und zu umständlich gewesen wäre. Abb. 4 links Ulmer Münster, Westturm Ostseite ca. 70 m Höhe, Bauzeit um 1480. Violette Verfärbungen an den Fugenflanken der Vierung. Foto: S. Hoepner. 174 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen Abb. 5 rechts Athena mit Erechthoniosknaben. Römische Marmorskulptur aus dem 2. Jh. n. Chr. mit barocken Ergänzungen wie u. a. rechter Arm und Kopf von Lambert Sigisbert Adam (1710-1771) Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Foto: Daniel Lindner, Inventarnummer: Skulpturensammlung 198, GK III 4156. [27]. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Belastbarkeit dieser Klebstoffe sind die zahlreichen Marmorskulpturen der Barockzeit wie die Antiken der Staatlichen Museen in Berlin oder in Potsdam Sanssouci (Abb.5). Die antiken griechischen und römischen Torsi erhielten neue Arme, Köpfe oder andere Ergänzungen aus Marmor, die mit Dübeln und Schmelzklebstoff (Kolophonium, Bienenwachs und Marmormehl) fixiert wurden. Das Gewicht der meist ausladenden Arme ist oft beachtlich (10-30 kg) und nur an einer verhältnismäßig kleinen Fläche angeklebt. Die Skulpturen wurden mit den Transportmitteln des 18. Jahrhunderts auf holprigen Straßen von den italienischen oder französischen Bildhauerwerkstätten nach Deutschland gebracht und halten noch heute. Ein besser erforschtes Thema für den Einsatz dieser Schmelzklebstoffe für Stein ist die Steininkrustation oder pietra dura, eine Steinintarsientechnik, die zur Verzierung von Schmuckkästchen, Tischplatten, Kabinettschränken, Wandverkleidungen oder für aufwendige Fußböden verwendet wurde. Die Technik erreichte ihre Blüte bei den Medici im 16. Jahrhundert und verbreitete sich rasch an andere europäische Höfe. Die Klebstoffzusammensatzung ähnelt den Klebstoffen an den Außenfassaden sehr, doch müssen die Klebefugen zwischen den gesägten dünnen Steinplatten besonders dünn und möglichst farbig angepasst sein. Trotzdem müssen z. B. Steinintarsien in Fußböden starke Belastungen durch schwingende Unterkonstruktionen und historische Fußbodenheizungen aushalten und elastisch bleiben. 5. Analysemethoden zur Identifizierung der Klebstoffbestandteile Zur Bestimmung der Harzbestandteile wurde zunächst eine Referenzensammlung (Abb. 6) von Harzen, Kolophoniumarten und Pechen verschiedener Nadelbäume angelegt. Die gelösten Harzsäuren konnten so besser mittels Gaschromatographie und Massenspektroskopie bestimmt werden. Abb. 6 Referenzensammlung verschiedener Baumharze, Kolophonienarten, Teere und Wachse. Foto: S. Hoepner Durch die Analysen [20] konnte ein Großteil der Harzbestandteile als Fichtenkolophonium und in einigen Fällen Fichtenpech identifiziert werden. Bienenwachs war in den kleinen Probenmengen oft nur in geringen Teilen enthalten und konnte nicht immer eindeutig nachgewiesen werden, auch wenn es sehr wahrscheinlich in allen Proben enthalten war. Durch die heterogene Zusammensetzung der Proben war die Fourier-Transform- Infrarotspektrometrie keine Hilfe zur Identifizierung der Bestandteile. Zur Identifizierung der mineralischen Zuschläge wurden Röntgendiffraktometrie und Energiedispersive Röntgenspektroskopie verwendet. In dem meisten Fällen wurden regional verfügbare Sande oder das Mehl des verwendeten Werksteins (Sandstein oder Kalkstein) verarbeitet, aber auch Ziegelmehl kam zum Einsatz. Die Anteile von Bindemittel (Kolophonium und Bienenwachs) und Zuschlag (Ziegel- oder Stein- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 175 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen mehl) wurden näherungsweise mittels Thermogravimetrischer Analyse bestimmt. Das Bindemittel-Zuschlagsverhältnis schwankte jedoch bei den verschiedenen Proben sehr stark, was unterschiedliche Gründe haben könnte. Einerseits kann durch die kleinen Probenmengen nur ein winziger Einblick in die Klebefuge gewonnen werden. Durch Sedimentation, inhomogene Verarbeitung und mehrfaches Erwärmen des Klebstoffes durch den Anwender konnte der untersuchte Ausschnitt also stark von der ursprünglichen Rezeptur abweichen. Andererseits hat der Anwender je nach Situation die Viskosität des Klebstoffs mithilfe des Bindemittel-Zuschlagsverhältnisses variieren können und somit je nach Bedarf Messerfugen oder stärkere Klebstoffschichten herstellen können. Zur näheren Bestimmung der Eigenschaften der unterschiedlichen Klebstoffformulierungen wurden Rekonstruktionsversuche mit variierenden Anteilen von Bienenwachs und Zuschlag zur gleichen Menge Kolophonium hergestellt und Materialprüfungen unterzogen. 6. Materialprüfungen zur Bewertung verschiedener Klebstoffformulierungen Um die Klebstoffformulierungen untereinander und mit anderen Klebstoffen vergleichen zu können, wurden gängige Materialprüfungen an der Universalprüfmaschine [21] an Edelstahlprüfkörpern und Natursteinprüfkörpern durchgeführt. Zunächst wurden die Proben im Zugscherversuch in Anlehnung an DIN EN 1465 [22] - Bestimmung der Zugscherfestigkeit von Überlappungsklebungen - geprüft. Zwar wäre für einen Steinklebstoff natürlich Stein das entscheidende Substrat, das geprüft werden sollte, doch würden Steinprüfkörper dazu führen, dass durch ihre stabilitätsbedingte Dicke (20 mm statt der vorgegebenen 1,62 mm bei Metall) die Messung nicht mehr vergleichbar mit der DIN-Norm wäre. Außerdem müssten Gesteinsvarietäten gewählt werden, die dem Zugversuch standhalten (z. B. Granit), die jedoch nichts mit den zu klebenden Gesteinen der historischen Bauten gemein hätten (meist Sandstein, selten Kalkstein). Der Materialbezug wäre also ohnehin nicht mehr gegeben. Die Zugscherversuche zeigten, dass Formulierungen mit nur 9 % Bienenwachs im Bindemittel noch sehr spröde waren und eine nur sehr geringe Klebkraft erzeugten. Bessere Werte erzielten Klebungen mit 17 % und 23 % Bienenwachsanteil im Bindemittel (Tab. 1). Das Bindemittel-Zuschlagsverhältnis war hierbei 2: 1 und 1: 2. Das beste Ergebnis (Fmax=3,04 MPa, Abb. 7) erzielte die Formulierung KB39A mit 23 % Bienenwachs im Bindemittel und einem hohen Quarzmehlanteil [23]. Formulierungen im Zugscherversuch an Edelstahlüberlappungsklebungen mit Zwick/ Roell Zmart. Pro 10kN Bezeichnung Bienenwachs- Anteil im Bindemittel Verarbeitungstemperatur Fmax in N/ mm2 KB11A 9 % 150 °C 0,74 KB24A 17 % 150 °C 2,34 KB39A 23 % 150 °C 3,04 KB11B 9 % 150 °C 0,47 KB24B 17 % 130 °C 1,65 KB39B 23 % 130 °C 1,97 KB11C 9 % 130 °C 0,74 KB24C 17 % 120 °C 1,76 KB39C 23 % 110 °C 2,38 Tab. 1 Messung der Zugscherfestigkeit von Überlappungsklebungen an Edelstahlprüfkörpern an neun Formulierungen zur Rekonstruktion historischer Steinklebstoffrezepturen. Fmax ist der Durchschnittswert von fünf Messungen. Abb. 7 Messung der Zugscherfestigkeit an Überlappungsklebungen an Edelstahlprüfkörpern. Beispiel für die Formulierung KB39 A. Um die Formulierungen zu optimieren und außerdem den Einfluss anderer Zuschläge auf die Massen zu untersuchen, wurde eine Auswahl der besten drei Formulierungen mit anderen Zuschlägen, nämlich Marmormehl [24] und Ziegelmehl [25] hergestellt. Hinzu kamen zwei weitere Formulierungen, die noch etwas mehr Bienenwachs enthielten. 176 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen Abb. 8 Verschiedene ausgegossene und erkaltete Klebstoffformulierungen mit Quarzmehl (Q) und Ziegelmehlzuschlägen (Z). Es sollte eine Grenze absehbar werden, ab der das Bienenwachs die Masse nicht mehr positiv elastifizierend beeinflusst, sondern die Masse zu weich und im schlechtesten Fall bei Raumtemperatur klebrig macht. Es konnte festgestellt werden, dass Quarzmehl und Ziegelmehl ähnlich gute Haftzugeigenschaften hervorrufen, während Marmormehl schlechtere Werte aufwies. Dies steht sicherlich mit der deutlich kleineren Korngröße (<23 µm) in Zusammenhang. Bereits die Mischung des geschmolzenen Bindemittels mit dem Marmormehl erzeugt eine pastösere, niedrigviskose Masse im Vergleich zu Mischungen mit Ziegelmehl und Quarzmehl. Die Zugscherprüfungen wurden zusätzlich in einer Klimakammer auf Stabilität zwischen -5 und 50 °C und getestet. Da die Formulierung mit 33 % Bienenwachs im Bindemittel bei 50 °C bereits stark erweichte, wurde sie aus den folgenden Messungen ausgeschlossen, auch wenn sie bessere Ergebnisse im Frostbereich zeigte. Somit wurden fünf Formulierungen für Untersuchungen mit Natursteinbezug verwendet. Da an den untersuchten Objekten im Wesentlichen Sandstein oder Kalkstein verwendet wurde, sollten Prüfkörper aus Lahrer Sandstein, ein Material, das aktuell am Freiburger Münster verwendet wird, hergestellt werden. Für stabile Prüfkörper wären mindestens 3 cm starke Platten nötig gewesen, die jedoch überlappend geklebt nicht in der Prüfvorrichtung einspannbar wären. Daher wurden Würfel mit 5 cm Kantenlänge zusammengeklebt und eine Metallmanschette (Abb. 8) entwickelt, um die Prüfkörper im Schraubspannzeug fixieren zu können. Die Prüfung erfolgte in Anlehnung an DIN EN 15870: 2009 Klebstoffe - Bestimmung der Zugfestigkeit von Stumpfklebungen [26]. Abb. 9 links Zugversuch an Stumpfklebungen an bruchfrischem Lahrer Sandstein. Klebefläche 50 x 50 mm² mit Formulierung aus Kolophonium, Bienenwachs und 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 177 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen Quarzmehl geklebt. Sandsteinwürfel sind durch angepasste Metallmanschette eingespannt und brechen im Substrat bei 2,45 MPa. Foto: S. Hoepner Abb. 10 rechts Zugversuch an Stumpfklebungen in Anlehnung an DIN EN 15870: 2009. Granitprüfkörper mit 50 x 20 mm² Klebefläche im Schraubspannzeug einer Universalprüfmaschine der Bauart KARG Industrietechnik smarTens010 für einen Lastweg bis zu 20 kN mit einer Nennlast von 10 kN. Foto: S. Hoepner Trotz der großen Klebeflächen versagte ein Großteil der Prüfkörper im Substrat und somit konnte die tatsächliche Höchstbelastung der Klebstoffformulierungen oft nicht bestimmt werden. Die Zugfestigkeit reichte von 2- 2,5 MPa. Daher wurde eine weitere Prüfreihe mit Granitprüfkörpern mit einer Klebfläche von 5 x 2 cm 2 durchgeführt (Abb. 9). Die Formulierung mit dem besten Ergebnis von 3 MPa ließ sich für einen ersten Test auch mit einer handelsüblichen Heißklebepistole applizieren, was sich aufgrund der abrasiven Zuschläge sicherlich nicht oft wiederholen lässt. 7. Ausblick Ziel für weitere Untersuchungen soll es nun sein, verschiedene Sieblinien aus Ziegelmehl in die Formulierungen zu integrieren. Diese Formulierungen sollen an Granitprüfkörpern in Form von Stumpfklebungen appliziert und teils 12 Monate im Außenklima und teils mittels Frost-Tau-Zyklus bewittert werden. Außerdem soll in Zusammenarbeit mit einem Hersteller für Schmelzklebepistolen ein belastbares Modell für die Klebstoffformulierungen entwickelt werden. Literaturangaben [1] Falbe, Jürgen; Regitz, Manfred (Hrsg.): Römpp Lexikon Chemie, Band 1-6, Georg Thieme Verlag, 10. Auflage, Stuttgart 1996-1999, Band 4 1998, S. 3151 [2] Connan, Jacques: Use and trade of bitumen in antiquity and prehistory: molecular archaeology reveals secrets of past civilizations. The Royal Society Publishing 1999 [3] Gaillard, Y.; Chesnaux, L.; Girard, M.; Burr, A.; Darque-Ceretti, E.; Felder, E.; Mazuy, A.; Regert, M.: Assessing hafting adhesive efficiency in the experimental shooting of projectile points: a new device for instrumented and ballistic experiments. In: archaeometry. Vol. 58, Issue 3, Oxford 2015, S. 465-483. 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[7] Wadley, Lyn; Hodgskiss, Tamaryn; Grant, Michael; Klein, Richard G.: Implications for Complex Cognition from the Hafting of Tools with Compound Adhesives in the Middle Stone Age, South Africa. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Vol. 106, No. 24, 2009, S. 9590-9594. [8] Onusseit, Hermann (Hrsg.): Praxiswissen Klebtechnik. Band 1 / Grundlagen. Hüthig Verlag, Heidelberg 2008, S. 1 [9] Cennini, Cennino: Il libro dell’arte, o Trattato della pittura. Kuratoren Milanesi, Gaetano; Milanesi, Carlo; e-book liberliber.it; 2014 S. 181 [10] Gnoli; Raniero; Sironi; Attilia (Hrsg.): Agostino del Riccio: Istoria delle Pietre. Umberto Allemandi, Turin 1996, Capitolo 98 [11] Borghini, Raffaello: Il riposo di Raffaello Borghini, in cui della pittura, e della scultura si favella, de’ più illustri pittori, e scultori, e delle più famose opere loro si fa mentione; e le cose principali appartenenti à dette arti s’insegnano. Appresso Giorgio Marescotti, Florenz 1584, S. 156 [12] Dent Weil, Phoebe: Contributions toward a History of Sculpture Techniques: I. Orfeo Boselli on the Restoration of Antique Sculpture. In: Studies in Conservation Vol. 12 Issue 3, Routledge Taylor and Francis Group, London 1967, S. 90 [13] Schiessel, Ulrich (Hrsg.): Johann Melchior Cröker. Der wohl anführende Mahler. Mäander Kunstverlag, Nachdruck der Ausgabe Jena 1736, Mittenwald 1982 [14] Gütle, Johann Conrad: Hand- und Hülfsbuch für alle Künstler und Handwerker, die Kitte, Formen und Massen zu gebrauchen : oder eine Auswahl von 600 verschiedenen Recepten, alle Arten Kitte, Leime, Formen und Massen zu verfertigen . Johann Leonhard Schrag, Nürnberg 1812, S. 498-506. [15] Prechtl, Johann Joseph von: Technologische Encyclopädie oder alphabetisches Handbuch der Technologie, der technischen Chemie und des Maschinenwesens. 8. Band, Hygrometer-Küferarbeiten, Verlag der F. G. Gotta‘schen Buchhandlung, Stuttgart 1837, S. 385-397. 178 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen [16] Thon, Christian Friedrich Gottlieb: Kitt-Kunst oder Anleitung alle Arten von Kitten, Leimen, Kleistern und sonstigen Klebstoffen zu bereiten und sie mit Erfolg und Dauer anzuwenden. Verlag B. F. Voigt, Weimar 1869, S. 106-118. [17] Lehner, Sigmund: Die Kitte und Klebemittel. Ausführliche Anleitung zur Darstellung sämtlicher Kitte und Klebemittel für alle Zwecke. U. Hartleben’s Verlag, Leipzig 1922 [18] Weber, Martin: Das Schleifen, Polieren und Färben des Marmors, wie auch aller anderen Steinarten (…) In: Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke. Mit Berücksichtigung der neuesten Erfindungen, herausgegeben von einer Gesellschaft von Künstlern, Technologen und Professionisten. Mit vielen Abbildungen. 268 Band, Bernhard Friedrich Voigt Weimar 1882, S. 52-93. [19] Persönliche Mitteilung Uwe Zäh, Hüttenmeister der Freiburger Münsterbauhütte [20] Dr. Veronika Huber, TU München, Campus Straubing, Professur Organisch-Analytische Chemie [21] Universalprüfmaschine der Bauart Zwick/ Roell Zmart.Pro mit einer Nennlast von 10 kN und Universalprüfmaschine der Bauart KARG Industrietechnik smarTens010 für einen Lastweg bis zu 20 kN mit einer Nennlast von 10 kN mit Scherenspannzeug [22] Beuth Verlag GmbH: DIN EN 1465. Klebstoffe - Bestimmung der Zugscherfestigkeit von Überlappungsklebungen; Deutsche Fassung EN 1465: 2009, Berlin 2009, S. 5-8 [23] Kremer Pigmente 58630 Quarzmehl gesiebt, 0,04 - 0,15 mm [24] Kremer Pigmente 58520 Marmormehl extra <23 µm [25] Kremer Pigmente 31250 Schamottemehl fein 0 - 0,5 mm [26] Beuth Verlag GmbH: DIN EN 15870: 2009-08. Klebstoffe - Bestimmung der Zugfestigkeit von Stumpfklebungen (ISO 6922: 1987 modifiziert); Deutsche Fassung EN 15870: 2009. [27] Hüneke, Saskia; Dostert, Astrid; Gröschel, Sepp- Gustav; Heilmeyer, Dieter; Kreikenbom, Detlev, Lange, Kathrin; Müller-Kaspar, Ulrike. : Antiken I. Kurfürstliche und königliche Erwerbungen für die Schlösser und Gärten Brandenburg-Preußens vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Bestandskataloge der Kunstsammlungen: Skulpturen; Antike und Mittelalterliche Sammlungsobjekte. Herausgegeben von der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Akademie Verlag, Berlin 2009, S. 97-101. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 179 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Untersuchungen am Beispiel eines Gewölbemodells im Labor unter Berücksichtigung von Formänderungsmessungen infolge von Belastungsversuchen und zu ermittelnder Baustoffkennwerte Jessica Klinkner, M.Eng. TH Köln Dipl.-Ing. Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro | TH Köln Zusammenfassung Inhalt dieser Forschungsarbeit ist die Erarbeitung eines rechnerischen Ansatzes mithilfe der Finite-Elemente-Methode für die Tragstruktur einer abgehängten Drahtputzgewölbedecke. Hierfür werden FE-Modelle als Projektion zweier im Labor hergestellter Gewölbemodelle erzeugt. Als Referenzwerte werden Formänderungsmessungen an den Gewölbemodellen unter definierter Lasteinwirkung herangezogen. Die Formänderungen werden in der Symmetrieachse der Gewölbemodelle radial mit digitalen Wegaufnehmern gemessen. Die reell aufgezeichneten Formänderungen dienen dem Vergleich zwischen tatsächlichen Formänderungsverhalten einer Drahtputzgewölbedecke und der digitalen Nachbildung im FE- Programm. Einhergehen Baustoffuntersuchungen um die Materialkennwerte der einzelnen Bestandteile des Gewölbemodells in dem FE-Programm möglichst genau darstellen zu können. Weiterhin wird eine Instandsetzungsmaßnahme an einem der beiden Gewölbemodelle durchgeführt und untersucht. Die Maßnahme wird in Hinblick auf die Funktionalität und Verbesserung der statischen Nachrechnung mittels FEM ausgewertet. Mithilfe der digitalen Darstellung und Nachrechnung einer Drahtputzgewölbedecke können Formänderungen bestimmt und Risse sowie folgeschwere Schädigungen vorhergesehen werden. Besonders für die Instandsetzung sind diese Erkenntnisse wichtig, um bei Ausfall und Verformung einzelner Tragelemente die Standsicherheit des gesamten Gewölbes beurteilen zu können. Zugleich lassen sich Instandsetzungskonzepte aufgrund der berechenbaren Tragreserven der Konstruktion erarbeiten. 1. Drahtputzgewölbedecken 1.1 Entstehung Das Drahtputzgewölbe oder auch Rabitzgewölbe genannt wurde 1878 vom Berliner Maurermeister Carl Rabitz patentiert. Hierbei handelt es sich nicht um ein selbsttragendes, sondern ein abgehängtes Bauwerk. Das Gewölbe wird an einer Tragkonstruktion aus Holz oder Stahl abgehängt und wir nur unter Eigengewicht belastet. Dadurch kann die Gewölbeschale sehr dünn ausgeführt werden. Im Vergleich zu einem Mauerwerksgewölbe ist somit viel weniger Material erforderlich und es können vielseitigere Geometrien erzielt werden. Die Bauweise wurde insbesondere für Bauwerke ausgewählt, die in Erdbebengebieten oder setzungsempfindlichen Gebieten errichtet wurden. 180 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode 1.2 Ausführung Eine genormte Ausführung einer Drahtputzdecke bzw. eines Drahtputzgewölbes wurde erstmals im August 1951 veröffentlicht 1 . Dementsprechend sind viele Bestandsbauten ohne Richtlinien und stat. Nachweisen erbaut worden. Die Bauweise als Rabitzkonstruktion wird im Buch „Putz, Stuck, Rabitz“ von Karl Lade-Adolf Winkler 2 in ihrer Ausführung und dem zu verwendenden Werkzeug, sowie dem Material, beschrieben. 1.3 Aufbau eines Drahtputzgewölbes Die Besonderheit bei dieser Bauweise ist das „Rabitzgewebe“, welches die Funktion eines Putzträgers übernimmt. Es wird mit den Bewehrungsstäben in Längs- und Querrichtung verbunden und stellt den Verbund zwischen abgehängter tragender Bewehrung und Putz her. Die erste Putzmörtellage wird von der Unterseite in den Putzträger eingedrückt. Nachdem diese ausreichend erhärtet ist, werden weitere Putzmörtellagen unterseitig aufgebracht. Stuckelemente werden entweder direkt am Gewölbe handwerklich hergestellt oder als eine Art Fertigteil am Putzgewölbe angesetzt. Was oft nicht erfolgt ist ein Putzauftrag auf den Gewölberücken. Dieser dient dazu die Verklammerung des Mörtels mit dem Putzträger zu verbessern und die Tragbewehrung zu schützen. Der Putzträger weist ca. 10 mm große quadratische Maschen auf und hat in der Regel eine 1 mm Drahtdicke. Die Bindung erfolgt mittels verzinkten Bindedrahts. Der Draht wird dabei doppelt gelegt und kann entweder als einfacher Kreuzbund oder Doppelbund ausgeführt werden. Die Abmessungen der Bewehrungsstäbe können je nach Art und Spannweite des Gewölbes stark variieren. Nach Norm sind Abmessungen der Bewehrungsstäbe in Tragrichtung zwischen 7-30 mm, die der Querrichtung zwischen 5-10 mm und der Abhänger 5-10 mm zu verwenden. Bei Spannweiten über 5 m ist mindestens ein Querschnitt von 7 mm für die Abhänger erforderlich 1 . In der folgenden Abbildung ist eine Skizze eines Drahtputzgewölbes dargestellt. Im Bestand findet man sowohl radiale als auch senkrechte Abhänger vor. 1 Vgl. DIN 4121: 2017-18, Hängende Drahtputzdecken - Putzdecken mit Metallputzträgern, Rabitzdecken; Anforderungen für die Ausführung. 2 Vgl. Karl Lade, Adolf Winkler. Putz Stuck Rabitz. Stuttgart. 1952. Abbildung 1: Schematischer Aufbau eines Rabitzgewölbes nach Lade/ Winkler 1.4 Heutige Problemstellung Bei vielen Drahtputzdecken oder -gewölben im Bestand treten über die Jahre meist unterschiedliche Schäden auf. Rissbildungen oder Abplatzungen der unteren Putzlage sowie Loslösen der Abhänger und Korrosion aufgrund fehlenden Korrosionsschutzes sind typische Schadensbilder. Die Ursachen für diese schadensauslösenden Beanspruchungen sind vielfältig und hängen, neben der Baukonstruktion selbst, sehr oft mit der Nutzung der Gebäude insbesondere aber auch mit den bauphysikalischen Verhältnissen zusammen. Grundlage für diese Forschungsarbeit und weitere Untersuchungen ist ein Bestandsgewölbe in Bad Honnef an dem Schäden aufgetreten sind. Ziel ist es das Tragverhalten solcher schadhaften Drahtputzbauwerke rechnerisch zu erfassen, um die Arbeitssicherheit bei der Instandsetzung gewährleisten und anhand der vorliegenden Tragreserven mögliche Instandsetzungskonzepte ableiten zu können. Anhand der Erkenntnis der Verformung des Gewölbes lassen sich zugleich die Ursachen aufgrund Spannungsüberschreitungen infolge zu größer Verformungen rückschließen. 2. Versuchsdurchführung Es werden zwei Gewölbemodelle erstellt, welche dem Bestandsgewölbe in Bad Honnef in skalierter Darstellung entsprechen. Hierbei wird die Gewölbeform übernommen und auf eine Länge von 3,0 m projiziert. Der Aufbau bzw. Querschnitt des Gewölbes sowie der Abhänger bleibt hingegen analog zum Ursprungsgewölbe näherungsweise gleich. Aufgrund der Abweichung der Putzträgerlage zur Norm DIN 4121 werden zwei Gewölbe hergestellt. Dadurch kann die Auswirkung der Putzträgerlage auf die Tragwirkung des Gewölbes untersucht werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 181 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Gewölbemodell 1 (in Anlehnung an Bestandsgewölbe) Gewölbemodell 2 (in Anlehnung DIN 4121) Um eine möglichst genaue Projektion der Gewölbemodelle im FE-Programm zu erzielen, werden alle verwendeten Baustoffe labortechnisch geprüft. Hierfür werden Einzelals auch Verbundprüfkörper hergestellt und auf ihre Druck-, Biegezug- und Zugfestigkeit überprüft. Zusätzlich wird der stat. und dyn. E-Modul der Putzschale ermittelt. Verbund- und Haftzugfestigkeiten werden ebenfalls untersucht. Anschließend werden Belastungsversuche an den Gewölbemodellen durchgeführt. Es wird eine Punktlast von 100 kg über die zuvor eingelassenen Gewindestangen eingeleitet, welche über 6,0 x 6,0 cm² große Stahlplatten an der Gewölbeoberseite rückverankert sind (siehe Abbildung 2). Abbildung 2: Detail Lasteinleitungspunkt Abbildung 3: Detail zwischengeschaltete Federwaage In der Abbildung 5 sind die Belastungspunkte in der Draufsicht dargestellt. Da das Gewölbe symmetrisch errichtet wurde, werden die Belastungsversuche nur in einem Viertel des Gewölbes und hauptsächlich in den Achsen 3 und 4 durchgeführt. Abbildung 4: Belastungsversuch des Gewölbemodells Abbildung 5: Draufsicht Gewölbe Lastleitungspunkte 182 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Mithilfe von hoch sensibler Messtechnik werden die Formänderungen während der Belastungs- und Entlastungsphasen aufgenommen. Da es sich bei den Gewölbemodellen um Gewölbeausschnitte handelt und die freien Ränder sich nicht auf das Tragverhalten eines größeren Bestandsgewölbes projizieren lassen, wird die Messtechnik zentrisch in den Achsen 3 und 4 angebracht. Die digitalen Wegaufnehmer werden radial auf die Gewölbeunterseite ausgerichtet (siehe Abbildung 6 - 8). Zusätzlich werden in der Mittelachse (Achse 4) der Gewölbemodelle Federwaagen zwischen die Abhänger geschaltet. Damit können die Kräfte in den Abhänger der Achse 4 während der Belastungsversuche, sowie des Erhärtungsprozesses und unter Eigengewicht abgelesen werden (siehe Abbildung 3). Es werden sowohl Kurzzeit- (<2 h) als auch Langzeitbelastungsphasen (>24 h) untersucht, um mögliche Kriechverformungen zu berücksichtigen. Nach der ersten Sichtung der Aufzeichnungen wird zugleich deutlich, dass die Formänderungen infolge Kriechen kaum nachweisbar und irrelevant für den Vergleich mit dem FE-Modell sind. Pro Belastungspunkt wird demensprechend die maximale Formänderung mit dem Ergebnis der FE-Berechnung verglichen bzw. für die Auswertung herangezogen. Zusätzlich wird eine weitere Putzlage auf ein Gewölbemodell im Labor als Instandsetzungsmaßnahme aufgetragen. Der Querschnitt der Putzschale wird von ca. 5 cm auf eine gleichmäßige Dicke von 7 cm erhöht (siehe Abbildung 9). Aufgrund des zuvor untersuchten, guten Verbundes zwischen alter und neuer Putzlage, kann für die FE-Bemessung der volle Querschnitt von 7 cm angesetzt werden. Dadurch wird eine kalkulierbarere Bemessungssituation geschaffen. Anordnung der Messtechnik: Abbildung 6: Draufsicht - Anordnung der Messtechnik Abbildung 7: Schnitt Achse 3 Abbildung 8: Schnitt Achse 4 Abbildung 9: Querschnitt Gewölbeschale mit Ausgleichslage Die Ausgleichslage wird von oben auf das Gewölbe aufgetragen, damit die freiliegenden Bewehrungsstäbe überdeckt werden (siehe Abbildung 10). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 183 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Abbildung 10: Freiliegende Bewehrungsstäbe Anschließend werden die Belastungsversuche am Gewölbemodell wiederholt und im Vergleich zu den vorherigen Aufzeichnungen der Belastungsversuche sowie der FE-Berechnungen ausgewertet. Besonders für Bestandskonstruktionen bietet sich diese Instandsetzungsmethode an, da die Unterseite des Gewölbes nicht beeinträchtigt wird. In der Realität variiert die Putzdicke oftmals sehr stark. Es wird angenommen, dass durch die Ausgleichslage und zugleich Erhöhung der Querschnittsdicke der Putzschale sich die Verformungen und letztendlich die Spannungsüberschreitungen reduzieren und weitere Schäden verhindert werden. 3. Auswertung der Formänderung Bei der Bemessung des FE-Modells wird der E-Modul als auch die Querdehnzahl variiert und mit den Verformungen der Gewölbemodelle im Labor verglichen. Insgesamt werden sechs FE-Modelle mit verschiedenen Baustoffkennwerten generiert. Die Spannweite des angesetzten E-Moduls liegt bei ca. 550 MN/ m² ermittelt aus dem stat. E-Modul bis hin zu 3000 MN/ m² ermittelt aus dem dynamischen E-Modul. Es lassen sich bei allen FE-Modellen Annäherungen der Formänderungsverläufe zu den Gewölbemodellen mit und ohne Ausgleichslage feststellen. Die geringsten Abweichungen der Formänderungen können für das Gewölbemodell 2 bei der Belastung in F-3, F-1 und B-3 und dem FE-Modell mit einem E-Modul von 3000 MN/ m² und einer Querdehnzahl von 0,18 festgestellt werden. Für die weitere Auswertung sowie die Durchführung der Instandsetzungsmaßnahme mittels einer oberseitig aufgetragenen Ausgleichlage wird dementsprechend das Gewölbemodell 2 (Querschnitt in Anlehnung an DIN 4121) herangezogen. In dem folgenden Diagramm sind die Standardabweichungen pro Lastfall und FE-Modell bezogen auf die Formänderungsmessungen im Labor zur Übersicht der Ergebnisse des Gewölbemodells 2 ohne Ausgleichlage dargestellt. Pro Lastfall ist das FE-Modell mit der geringsten Standardabweichung markiert. Der Durchschnitt der Standardabweichungen aller Lastfälle beträgt 0,237 mm. Diagramm 1 - Standartabweichung Gewölbemodell 2 ohne Ausgleichslage 184 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Diagramm 2: Standartabweichung Gewölbemodell 2 mit AusgleichslageD Belastung in B-3 ohne Ausgleichslage Diagramm 3: Formänderungsverlauf B-3 ohne Ausgleichslage Belastung in F-3 ohne Ausgleichslage Diagramm 5: Formänderungsverlauf F-3 ohne Ausgleichslage Belastung in B-3 mit Ausgleichslage Diagramm 4: Formänderungsverlauf B-3 ohne Ausgleichslage Belastung in F-3 mit Ausgleichslage Diagramm 6: Formänderungsverlauf F-3 mit Ausgleichslage 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 185 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Diagramm 7: Abweichungen der Gewichtsdaten der Abhänger in Achse 4 Nach Auftragen der Ausgleichslage auf dem Gewölbemodell 2 verringern sich die Formänderungen unter Belastungseinwirkung deutlich. Der Durchschnitt der Standardabweichungen aller Lastfälle liegt hierbei nur noch bei 0,191 mm (siehe Diagramm 2). In den Diagrammen 3-6 sind exemplarisch die Verläufe der Formänderungen infolge der Belastung in Punkt Achse F/ 3 und B/ 3 zum Vergleich mit und ohne Ausgleichslage dargestellt. Bei dem Belastungsversuch in Punkt B-3 reduziert sich die maximale Durchbiegung von 0,608 mm auf 0,107 mm. Dies entspricht einer Abminderung der Durchbiegung um 82,4 %. Die Abminderung der maximalen Durchbiegung während des Belastungsversuchs in F-3 beträgt 31%. Dadurch bestätigt sich die Annahme, dass das Auftragen einer Ausgleichslage oberhalb des Gewölbes trotz zusätzlicher Eigenlast eine positive Auswirkung auf das Tragverhalten des Gewölbes hat. Der Verbund zwischen der oberen Putzlage des ursprünglichen Gewölbes und der Ausgleichslage ist aufgrund der unebenen Gewölbeoberseite sehr gut. Aufgrund des dickeren Querschnitts und höheren Steifigkeit der Gewölbeschale können mehr Lasten direkt über die Schale abgetragen werden. Die Formänderungen bleiben dabei, durch die hohe Steifigkeit der Schale, sehr gering. Dies hat zur Folge, dass die Abhänger kaum beansprucht werden, da diese als Federn fungieren und erst unter Längenänderung aktiviert werden, bzw. Last aufnehmen können. Bei allen Belastungsversuchen liegen die mit den FE-Modellen ermittelten Kräfte der Abhänger in Achse 4 über den abgelesenen Werten der Federwagen am Gewölbemodell. Im Durchschnitt beträgt die Differenz zwischen den im FE-Programm ermittelten Kräften der Abhänger in Achse 4 und den im Labor abgelesenen Werten ca. 4 kg (siehe Diagramm 7). Nach Aufbringen der Instandsetzungsputzlage auf der Gewölbeschale und erneuten Belastungsversuchen beträgt die durchschnittliche Standardabweichung der Kräfte in den Abhängern in Achse 4 ca. 2,5 kg. Die Ursache für diese Abweichungen lässt sich auf zwei mögliche Gründe beschränken. Zum einen können Messungenauigkeiten beim Ablesen der Federwaagen zu nicht aussagekräftigen Ergebnissen führen. Darüber hinaus können die Waagen selbst fehleranfällig sein. 186 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Diagramm 8: Abweichungen der Gewichtsdaten der Abhänger in Achse 4 (mit Ausgleichlage) Zum anderen können falsch angesetzte Federsteifigkeiten der Abhänger oder ein zu hoher E-Modul der Gewölbeschale die geringen Waagenkräfte der FE-Modelle verursachen. Die Lasten verteilen sich auf die umliegenden Abhänger um oder werden je nach Steifigkeit der Gewölbeschale direkt über Schalentragwirkung abgetragen. Trotz der Vergrößerung des Eigengewichts verringert sich die Abweichung der gemessenen Gewichtsdaten zu den Federkräften im FE-Modul, was diese Annahme bestätigt. Miteingeht, dass die Auflager im Fußpunkt der Gewölbeschale im FE-Programm als Festlager definiert wurden. Ohne Nachgiebigkeit der Auflager können die Lasten über die Schale direkt abgeleitet werden, wodurch weniger Last über die Abhänger abgetragen wird. Die abschließende Beurteilung des Vergleichs der Waagendaten ist demensprechend nur unter Vorbehalt möglich. Messungenauigkeiten, Fehler beim Ablesen der Waagen, ein falscher Ansatz der Federsteifigkeiten im FE-Modell sowie eine falsche Annahme der Auflagerbedingungen können nicht ausgeschlossen werden. Ohne weitere Sensitivitätsstudie oder Ausschließen unbekannter Variablen lassen sich die Abweichungen der Formänderungsmessungen an den Gewölbemodellen im Vergleich zu den FE-Bemessungen nicht eliminieren. Abschließend bestätigt sich die Annahme, dass sich die Instandsetzungsmaßnahme mit einer Ausgleichslage auf der Gewölbeschale positiv auf das Formänderungsverhalten einer Drahtputzgewölbedecke auswirkt. Dies kann aus der Annäherung der Formänderungsverläufe an das Referenzgewölbe im Labor, sowie der gesamten Minimierung der Standardabweichungen von ca. 20 % der Formänderungsmessungen, beurteilt werden. In Summe erzielt das FE-Modell mit der Eingabe eines E-Moduls von 3000 MN/ m² und einer Querdehnzahl von 0,18 die geringsten Abweichungen zu den reell gemessenen Formänderungen im Labor. 4. Fazit und weitere Forschungsziele Schlussfolgend kann nach Auswertung der Finite-Elemente-Berechnung, sowie der Untersuchungen im Labor ein erster Ansatz für das Tragbzw. Formänderungsverhalten von Drahtputzgewölbedecken aufgestellt werden. Aufgrund der großen Streuungen der Ergebnisse sind weitere Untersuchungen notwendig um eine statistisch aussagekräftige Beurteilung für die Anwendbarkeit der FE-Modelle für die Praxis treffen zu können. Es sind weitere Gewölbemodelle erforderlich, damit sich die Unregelmäßigkeiten bei der Herstellung der Gewölbe geringer auf die Auswertung auswirken. Zusätzlich prägen sich die Schwankungen der Messwerte infolge Messungenauigkeiten bei den Formänderungsuntersuchungen geringer auf das Gesamtergebnis aus. Ebenfalls sind weitere labortechnische Untersuchungen der Baustoffe und die weitere Anpassung der Untersuchungsmethodik an die speziellen Verhältnisse des Putzmörtels im Verbund zu den Stahlelementen notwendig. Zusätzlich ist für eine aussagekräftige Auswertung umfangreichere Messtechnik erforderlich. Bei der Berechnung der Modelle sind hauptsächlich vier unbekannte Variablen vorhanden, welche sich auf das Formänderungsverhalten des Gewölbemodelles am prägnantesten auswirken: - E-Modul der Gewölbeschale sowie Querdehnzahl - Dicke der Gewölbeschale - Federsteifigkeit der Abhänger - Auflagerbedingung des Gewölbefußes 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 187 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Der E-Modul sowie die Federsteifigkeiten der Abhänger wurden labortechnisch ermittelt. Bei den Abhängern wurde, resultierend aus den Baustoffprüfungen der einzelnen Elemente, eine zusammengesetzte Federsteifigkeit ermittelt. Aufgrund der verschiedenen Längen der Abhänger wurden die Werte für die Drahtseile interpoliert. Angesichts dieser Interpolation, sowie der Berechnung einer zusammengesetzten Feder, sind eventuelle Ungenauigkeiten nicht auszuschließen. Um die Auswirkung der Verbindungselemente mit den Drahtseilen zu bestimmen, sind zusätzlich Zugversuche eines zusammengesetzten Abhängers zu empfehlen. Dadurch kann zugleich die Gesamtfedersteifigkeit kontrolliert werden. Um die Kräfte in den Aufhängern besser ablesen zu können sind für die weiteren Untersuchungen digitale Waagen mit höherer Messgenauigkeit zu verwenden. Um die Lastverteilung auf umliegende Abhänger aufgrund der geringen Steifigkeit der Waagen zu verhindern, müssen an allen Abhänger digitale Waagen zwischen geschaltet werden. Die geringe Steifigkeit spiegelt zugegebenermaßen nicht die Ausführung eines Bestandsgewölbes dar, wiederum können so alle Lasten mit dem FE-Modell verglichen und eine Lastverteilung des gesamten Gewölbes besser abgeschätzt werden. Eine andere Alternative bieten zwischengeschaltete Kraftmessdosen in den Abhängern. Auch an den Gewölbefußpunkten ist eine entsprechende Messtechnik wie z.B. Druckmessplatten zur Erfassung der Auflagerkräfte des Gewölbes zu empfehlen. Die Eigenverformungen des Traggerüstes, an dem das Gewölbe abgehängt wird, sowie dessen Auflagerkräfte müssen ebenso erfasst werden. Somit lassen sich alle Auflagerbedingungen für die FE- Berechnung bestimmen. Die Dicke der Gewölbeschale kann infolge der Ausgleichslage als nahezu konstant angesetzt werden. Als letzter unbekannter Wert kann der E- Modul über eine Iteration der FE-Berechnung ermittelt werden. Es wurde sowohl der statische E-modul mithilfe von Druckversuchen an Verbundprüfkörpern, als auch der dynamische E-Modul bestimmt. Der Querschnittsaufbau der Verbundprüfkörper wurde analog zu dem Gewölbemodelle ausgeführt. Die Differenzen der beiden Werte sind sehr groß. Der dynamische liegt nahezu beim fünffachen Wert des stat. E-Moduls. Aufgrund der Inhomogenität der Querschnitte der Verbundprüfkörper sind Fehlstellen, wie z.B. Lufteinschlüsse oder vorgeschädigt Bereiche, nicht auszuschließen. Diese wirken sich negativ auf die Tragfähigkeit der Prüfkörper aus und verfälschen die Ergebnisse des stat. E-Moduls. Durch eine Erhöhung der Prüfkörperanzahl können die Schwankungen der Prüfergebnisse ggf. reduziert werden. Versuchstechnisch sind weitere Überlegungen notwendig um die Eigenschaften der Gewölbeschale bestehend aus Putz und Stahl im Verbund zu prüfen. Ein weiterer Grund für Ungenauigkeiten bei der Auswertung der Formänderungsverläufe lässt sich auf die Schwind- und Quellverformungen während der Erhärtungsphase des Gewölbes zurückführen. Aufgrund der Formänderungen bereits vor Beginn der Belastungsversuche verändert sich die Ausgangslage der Gewölbeform für die FE-Berechnung. Dieser Effekt wird allerdings als Einfluss auf das Formänderungsverhalten des Gewölbes bei den sehr geringen Abmessungen als irrelevant angenommen. Bei größeren Spannweiten im Bestand kann dies allerding weitaus prägnanter ausfallen. Die Untersuchungen dieser Forschungsarbeit stellen einen ersten Ansatz für die Berechnung einer Drahtputzgewölbedecke in einem FE-Programm dar. Aufgrund der Annäherung der Formänderungsverläufe zu den im Labor gemessenen Formänderungen unter definierter Belastungseinwirkung kann die Eingabe in das FE-Programm mit den zuvor ermittelten Baustoffkennwerten als tendenzielle Grundlage eingestuft werden. Allerdings ist diese mit weiteren Untersuchungen, sowohl im Labor als auch an den Gewölben in der Praxis, zu bekräftigen, um einen für die Praxis relevanten Berechnungsweg auszuarbeiten. Der Ansatz der Instandsetzungsmaßnahme in Form einer nachträglich, oberseitig aufgetragenen Putzlage kann abschließend als positive Beeinflussung auf das Verformungsverhalten einer Drahtputzgewölbedecke eingestuft werden. Es ist allerdings nicht außer Acht zu lassen, dass es sich bei den Gewölbemodellen im Labor um nicht vorbeschädigte Gewölbequerschnitte mit einer ausreichenden Querschnittsdicke handelt. Im Bestand lassen sich oftmals Drahtputzgewölbedecken mit einer deutlich geringeren Querschnittsdicke und teilweise losen Putzlagen vorfinden. Hier muss ingenieurtechnisch beurteilt werden, ob die zusätzliche Belastung aus Eigengewicht der Ausgleichslage zu weiteren Schäden führen kann. 5. Literaturangaben [1] DIN 4121: 2017-18, Hängende Drahtputzdecken - Putzdecken mit Metallputzträgern, Rabitzdecken; Anforderungen für die Ausführung. [2] Karl Lade u. Adolf Winkler. (1952). Putz Stuck Rabitz. Stuttgart: Hoffmansche Buchdruckerei Felix Krais. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 189 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg Dipl.-Ing. Hjalmar Schoch Sailer Stepan und Partner GmbH München Zusammenfassung Der als Werkbericht gestaltete Vortrag zeigt anhand ausgewählter Beispiele an der Cadolzburg, wie die Tragwerksplanung durch Sonderlösungen auf die historische Tragstruktur sowie neuzeitliche Veränderungen eingehen kann, um die Anforderungen zur Umsetzung der geplanten Museumsnutzung hinsichtlich Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Brandschutz unter Berücksichtigung der Belange der Denkmalpflege zu erfüllen. Die im Vortrag aufgezeigten Maßnahmen erfolgten während der beiden Ausbauphasen zum Museum in den Jahren 2001 bis 2017 in zwei Bauabschnitten. 1. Einführung 1.1 Die Cadolzburg Die für den Markt Cadolzburg im mittefränkischen Landkreis Fürth namensgebende Burganlage liegt auf einem Felsrücken und besitzt eine imposante Ringmauer, die, wie das Haupttor und der sog. Palas (ein Teil des Neuen Schlosses), aus dem 13. Jahrhundert stammt. Von einer möglichen Vorgängerbebauung des Areals zeugt heute nur noch das Krypta genannte Untergeschoss der ehemals freistehenden Kapelle. Der Kernburg vorgelagert ist eine geräumige Vorburg, in der zunächst die Sitze der Burgmannen und in der Renaissance ein Garten lagen. Bild 1 - Übersichtsplan Burganlage [2] In der Kernburg schließen an die hochmittelalterliche Ringmauer die beiden Baukörper des Alten und des Neuen Schlosses an, die durch den Kapellentrakt verbunden werden. Der an den Kapellentrakt anschließende Teil des sog. Neuen Schlosses gehört zur ältesten Bebauung des Burgareals um 1250. Daran anschließend wurde das Neue Schloss um 1600 erheblich erweitert. Das Alte Schloss ist ein Neubau des 15. Jahrhunderts unter Kurfürst Friedrich I. Die repräsentative Raumgestaltung des 2. Obergeschosses - Saal der Eichensäule und Erkersaal - dürfte wie das ehemalige kurfürstliche Fachwerkgeschoss darüber unter Albrecht Achilles nach 1473 entstanden sein. 190 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg Bild 2 - Ansicht Burganlage von Westen Kurz vor Kriegsende am 17.4.1945 ging die Burg in Flammen auf. Die stürmischen Feuerwogen konnten tagelang nicht gelöscht werden, die Kernburg verlor ihre Dächer und Zwischendecken. Jahrzehntelang blieb die Ruine offen stehen, der Bauzustand wurde immer desolater. [2] Bild 3 - Ruinenbild 1.2 Tragkonstruktion Die innere Tragstruktur der Gebäude einschließlich der Dachstühle der Cadolzburg wurde durch den Brandbombenangriff im Zweiten Weltkrieg nahezu komplett zerstört. Die massiven Außenwände sowie Wehr- und Burgmauern aus Burgsandstein blieben teilweise stark geschädigt erhalten. Bild 4 - Gründungskonzept zur Ruinensicherung Mit Planungen aus den Jahren 1983-1988 erfolgte die Sicherung der Ruine mittels Stahlrohrpfählen als Gründungselemente und z.T. massiven Stahlbetonbauteilen, was mit aus heutiger Sicht starken Eingriffen in die Bausubstanz einherging. Die ursprünglichen Holzdecken wurden als Stahlbetonrippendecken wieder aufgebaut und auf neue Stahlbetonpfeiler in den Sandsteinwänden aufgelagert. Gewölbe wurden soweit dies möglich war erhalten und mit Stahlbetonbalken und -decken ertüchtigt. Die Dachstühle wurden mit Stahlbetondecken und Holzsparren oder wie im Neuen Schloss mit neuzeitlichen Fachwerkbindern wieder hergestellt. 1983-1988 1.3 Planungen Der Entschluss, die Cadolzburg als Museum zu nutzen und den Besuchern den Zugang auch in nicht ausgebaute Bereiche zu ermöglichen, stellte neben der Frage zum generellen Zustand der Bausubstanz viele Fragen zur Tragfähigkeit der bereits im Zuge der Ruinensicherung umgesetzten statischen Maßnahmen wie auch der bislang nicht „bearbeiteten“ Bauteile. Für die Museumsnutzung waren die Anforderungen an den Brandschutz und an die Fluchtwegsituation essentiell. Die exponierte Lage der Burganlage lässt die Baustellenbedienung nur durch den äußeren Burghof mit seinen Burgtoren zu. All diese Anforderungen wurden im Team mit Bauherrnvertretern, Denkmalpflegern, Bauforschern, Architekten, Museumsplanern, Fachingenieuren sowie dem Prüfingenieur diskutiert und in zwei Planungs- und Bauabschnitten zwischen 2001 und 2017 umgesetzt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 191 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg 2. Maßnahmen In den nachfolgenden Kapiteln wird eine Auswahl an tragwerksplanerische Lösungen mit ingenieurmäßigen Ansätzen vorgestellt, die maßgeblich dazu beigetragen haben, die Museumsnutzung zu realisieren und die Aspekte der Denkmalpflege zu berücksichtigen. 2.1 Torturm Im Durchgang des Torturms zeigten sich deutliche Risse, die auf eine Überlastung des Mauerwerks hindeuteten. Bild 5 - Ansicht Torturm Ein Gutachten aus dem Jahr 1977 wies dem Mauerwerk eine Druckbelastung zu, die von den tatsächlich rechnerisch ermittelten Mauerwerksbelastungen um ein Vielfaches überschritten wurde. Verschiedene weitere Untersuchungen der Mauerwerksstruktur ergaben keine abschließenden Erkenntnisse. Die ingenieurmäßige Betrachtung ergab, dass es sich bei der Rissursache um Querzugbeanspruchungen handelt, denen mit einem vorsichtigen Einbau von Vernadelungen und -verankerung entgegengewirkt werden konnte. Die Überwachung der verschlossenen Risse mittels Rissmonitoren zeigten, dass es zu keinen weiteren Bewegungen in den Rissen kam und somit der ingenieurmäßig ertüchtigte Mauerwerksverband in der Lage ist, die hohen Lasten abzutragen. 2.2 Treppe im Neuen Schloss Die Ruine des neuen Schlosses wurde mit früheren Planungen mittels in den Mauerwerkswänden eingeschlitzter Stahlbetonstützen und -riegel, die auf Stahlpfählen gegründet und eingespannt wurden, gesichert. Das Museumskonzept machte es nun erforderlich, eine Fluchttreppe in dem hohen Raum einzubauen. Bild 6 - Treppe im Neuen Schloß Die tragwerksplanerische Lösung sieht vor, dass die vorhandenen Stahlbetonbauteile dazu genutzt werden, eine stützenfreie Treppenkonstruktion mittels Kragträger zu befestigen und das obere Podest abzuhängen. Die Abhängung erfolgt aus Gründen des Brandschutzes nicht an der vorhandenen Dachkonstruktion, sondern an neu eingebauten Stahlfachwerkträgern, deren Struktur den Holzbindern nachempfunden ist. 2.3 Gewölbe im Erkersaal Der Aufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gewölbes erfolgte mittels neu gearbeiteter Sandstein-Segmente, die durch Edelstahlbolzen untereinander verbunden und mit Drahtseilen von einer Deckenkonstruktion abgehängt wurden. Es handelt sich somit im statischen Sinne nicht um ein echtes Gewölbe, da es aufgrund der Schlankheit der Rippen nicht in der Lage ist, sich selbst zu tragen. Bild 7 - Erkersaal nach Fertigstellung 192 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg Die Tragstruktur wurde anhand eines dreidimensionalen Aufmaßes berechnet und anschließend eine Ertüchtigung mittels an die tatsächliche Form angepasster Stahllaschen entwickelt, die die in den Steinen vorhandenen Bohrungen aufnehmen und die Stabilität so weit erhöhen, dass die Gewölberippen frei tragen können. Während des Einbaus konnten die Abhängungen sukzessive entfernt werden. 2.4 Aufzug im Alten Schloss Der im ersten Bauabschnitt begonnene Einbau eines Aufzugs im Mauerwerkspfeiler wurde auf die oberen Geschosse erweitert. Aufgrund der Stahlbetonbauteile in den alten Wänden sowie Lastumhebelungen im Zusammenhang mit den Stahlpfählen war der Einbau in zahlreichen Einzelschritten mit umfangreichen Hilfsabstützungen verbunden. Durch das gewählte Konzept konnte die Außenwand sowie die Gewölbe in den Wandnischen weitestgehend erhalten werden. Bild 8 - Einbau Aufzug in Burgmauer 2.5 Decke im Saal der Eichensäule Die vorhandene Tragstruktur aus der Wiederaufbauphase in den 1980iger Jahren sah vor, dass der komplette Raum mittels eines hohen, massiven Stahlbetonunterzuges überspannt und hieran eine Stahlbetonwand angehängt war. Der Einbau der geplanten Holzbalkendecke mit mittiger Eichensäule war jedoch hinsichtlich der Anforderungen an die Belastung und den Brandschutz für die Museumsnutzung nicht geeignet. Zudem sind die lastabtragenden Pfeiler im darunterliegenden Geschoss nicht unter der zentralen Holzstütze angeordnet. Das ausgeführte Tragwerkskonzept sieht vor, eine neue Stahlbetondecke einzubauen, die sowohl die statischen als auch die brandschutztechnischen Anforderungen erfüllt. Diese neue Stahlbetondecke wurde mit zwei schlanken Zugstützen an eine Wandscheibe im Dachgeschoss gehängt, die die Lasten an den Punkten abträgt, wo dies auch durch den vorhandenen Unterzug bereits vorhanden war. Somit werden die Gründungspfähle gleich belastet. Bild 9 - Ausbau vorhandener Unterzug Der massive Stahlbetonunterzug konnte ausgebaut und durch einen nahezu deckengleichen Unterzug ersetzt werden, was eine wesentlich großzügigere Raumnutzung ermöglicht. Die sich ergebende Raumwirkung entspricht dem historischen Vorbild, wenngleich die Eichensäule keine statisch tragende Funktion hat. Bild 10 - Fertig gestellter Saal der Eichensäule 3. Schlusswort Der Werkbericht über die Baumaßnahmen an der Cadolzburg stellt eine Auswahl dar, die zeigen soll, wie mit ingenieurmäßigen Lösungen die Bausubstanz bewertet und deren Potential genutzt werden kann. Die ausschließliche Anwendung von Normen und Vorschriften hätte eine Umsetzung der Planungsaufgaben nicht möglich gemacht. Dieser Weg funktioniert nur gemeinsam mit allen Projektbeteiligten, die mit gegenseitigem Verständnis alle das gleiche Ziel verfolgt haben. Der Umgang mit den vorgefundenen, nicht von unserem Büro geplanten Eingriffen aus den 1980iger Jahren stellt zusammen mit der 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 193 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg mittelalterlichen Bausubstanz eine anspruchsvolle aber interessante Aufgabenstellung an die Tragwerksplanung dar und erfordert die Einarbeitung in Konstruktionen aus verschiedenen zeitlichen Epochen. Literatur- und Bildangaben [1] Burger, Daniel (2005): Die Cadolzburg. Dynastenburg der Hohenzollern und markgräflicher Amtssitz. Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums. [2] Internetseite der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen https: / / www.burg-cadolzburg.de/ Bild 1: [2] Bild 2: Sailer Stepan und Partner GmbH Bild 3: Staatliches Bauamt Erlangen-Nürnberg Bild 4: Firmenprospekt Fa. Stump Bilder 5-10: Sailer Stepan und Partner GmbH Ausführung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 197 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung Dipl.-Ing. Rainer Braun Müller + Braun Ingenieure GmbH & Co. KG Waiblinger Str. 124 70734 Fellbach 1. Einleitende Worte Im Zuge der Instandsetzung von Bauwerken nehmen Auftraggeber, meist vertreten durch einen Sachkundiger Planer, die ausführende Firma sowie unter Umständen die Aufsichtsbehörde Überwachungsfunktionen in unterschiedlicher Form wahr. Der Bauüberwachung kommt hierbei eine bedeutende Rolle zu. Basierend auf einer möglichst umfänglichen Planung und einer erschöpfend beschriebenen Leistung gilt es für die Bauüberwachung gemeinsam mit der ausführenden Firma das dem Auftraggeber geschuldete, mängelfreie Werk im vorgegebenen Zeitraum zu realisieren. Die Überwachung durch das ausführende Unternehmen sowie die Überwachung durch eine dafür anerkannte Überwachungsstelle sind u.a. in der Instandsetzungsrichtlinie (und künftig wohl auch in der Instandhaltungsrichtlinie) sowie der ZTV-ING und ZTV-W etc. geregelt und in deren Umfang beschrieben. Zum Umfang der durch einen Sachkundigen Planer in der Bauüberwachung zu erbringenden Leistungen hingegen finden sich nur verstreut über zahlreiche Regelwerke, Merkblätter und Handbücher Angaben und Hinweise. Im Folgenden wird der Versuch unternommen herauszuarbeiten, was genau ein Sachkundiger Planer bei der Bauüberwachung zu leisten hat. Für Auftraggeber dahingehend interessant, zu wissen was er einem Planer abverlangen kann und was nicht und was ggf. im Ingenieurvertrag zusätzlich zu regeln ist. Für Sachkundige Planer ist es von Interesse die eigenen Leistungspflichten zu kennen um dem erheblichen Haftungsrisiko wirkungsvoll zu begegnen. Ausführende Unternehmen sollten den Mehrwehrt einer Bauüberwachung erkennen, sorgt sie doch für zusätzliche Sicherheit bei der Ausführung von Bauleistungen. 2. Regelwerke, Vertragsgrundlagen, Merkblätter, Handbücher, Rechtsprechung etc. 2.1 Instandsetzungsrichtlinie / Gelbdruck Instandhaltungsrichtlinie (DAfStB) In beiden Richtlinien finden sich Angaben zur Überwachung durch das ausführende Unternehmen sowie zur Überwachung durch eine dafür anerkannte Überwachungs-stelle, nicht jedoch zu weitergehenden Überwachungen wie z.B. die Bauüberwachung. 2.2 Bauordnungsrecht / Landesbauordnungen / Musterbauordnung (Länder) Zwingend zu beachten, in der Formulierung jedoch sehr allgemein gehalten sind die Vorgaben aus dem Bauordnungsrecht. Hier steht im Vordergrund, dass Bauwerke in allen Belangen sicher erstellt und sicher betrieben werden können. Übernimmt der Planer die Rolle des verantwortlichen Bauleiters (nach HOAI eine besondere Leistung), ist hierzu eine zivilrechtliche Vereinbarung mit dem Bauherrn zu schließen. Die Überwachung einer Baumaßnahme umfasst nach LBO die Sicherstellung, dass die Baumaßnahme dem öffentlichen Recht, den genehmigten Bauvorlagen sowie den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. 2.3 HOAI (Bund) Wenngleich die HOAI eine reine Preisverordnung ist und keinen normativen Charakter hinsichtlich der im Zuge der Bauüberwachung zu erbringenden Leistungen besitzt, werden die Leistungen der Leistungsphase 8 bzw. der besonderen Leistungen im Zuge der Bauüberwachung beschrieben. Die HOAI verlangt im § 34 „Gebäude und Innenräume“ u.a. die Einhaltung einschlägiger Vorschriften und der allgemein anerkannten Regeln der Technik. § 41 „Ingenieurbauwerke“ bezieht sich etwas weniger weit gefasst auf die zur Ausführung freigegebenen Unterlagen, den Bauvertrag und die Vorgaben des Auftraggebers. Hier wird vermutlich unterstellt, dass Bauherren, die im Besitz eines Ingenieurbauwerks sind, in der Lage sind weitergehende Regelungen im Bauvertrag z.B. durch die Vereinbarung von Zusätzlichen und Besonderen technischen Vertrags-bedingungen zu regeln. 2.4 BGB Bauvertrag §§ 650 a bis 650 n (Bund) Im neuen § 650p finden sich ebenfalls nur sehr allgemein gehaltene Ausführungen zum Thema „vertragstypische Pflichten aus Architekten- und Ingenieurverträgen“: (1) Durch einen Architekten- oder Ingenieurvertrag wird der Unternehmer verpflichtet, die Leistungen zu erbringen, die nach dem jeweiligen Stand der Planung und Ausführung des Bauwerks oder der Außenanlage erforderlich sind, um die zwischen den Parteien vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele zu erreichen. 198 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung 2.5 VOB/ B (DIN 1961) Die VOB/ B räumt dem Auftraggeber in § 2 Ausführung (2) das Recht ein, die Arbeiten zu überwachen. Weitere Rechte und Pflichten des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer sind in der VOB/ B geregelt. Aus Teil C der VOB gehen u.a. die zu beachtenden DIN-Normen sowie weitere Anforderungen an die jeweilige Bauart hervor Inwieweit der Auftraggeber Rechte und Pflichten der Bauüberwachung / dem Sachkundigen Planer überträgt sollte im Ingenieurvertrag geregelt werden, bzw. sind dadurch bereits übertragen, dass die Bauüberwachung die Übereinstimmung der Ausführung mit den Verträgen mit ausführenden Unternehmen (in denen zumeist die VOB/ B und C vereinbart ist) zu überwachen hat. 2.6 ZTV-ING (BAST) / ZTVW Lb 219 (BMVI/ BAW) In den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen für Ingenieurbzw. Wasser-bauwerke sind neben der Eigen- und Fremdüberwachung sogenannte Kontrollprüfungen und zusätzliche Kontrollprüfungen geregelt. Weiter ist in beiden Vertragsbedingungen geregelt, welche Prüfungen im Zuge der Eigenüberwachung in Anwesenheit des Auftraggebers durchzuführen sind. 2.7 M-BÜ-ING (Merkblatt für die Überwachung von Ingenieurbauten, BAST) Das M-BÜ-ING ist analog der ZTV-ING in 10 Teile gegliedert. In allen Teilen wird das M-BÜ-ING zu den Aufgaben in der Bauüberwachung sehr konkret. Zum Großteil in Form von Fragen. Auch in Teil 3 Massivbau Abschnitt 4 Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen sind für die Unterpunkte 1-8 getrennt Fragenkataloge beinhaltet. 2.8 HVA B-Stb (Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau, BMVI) In Teil 3 des HVA B Stb „Richtlinien für das Abwickeln von Verträgen“ enthält Richtlinien die, von der sog. Baudienststelle bei der Überwachung von Baumaßnahmen zu beachten sind. 2.9 Der Ingenieurvertrag Der Ingenieurvertrag kann und sollte individuell ausgestaltet werden. Bestenfalls gehen die Pflichten der Bauüberwachung eindeutig aus ihm hervor. Abhängig vom Auftraggeber unterscheiden sich die vertraglichen Regelungen zur Bauüberwachung in ihrer Schärfe. Am unteren Ende steht das Honorarangebot, das mit dem Wort „beauftragt“ und Unterschrift versehen ist. Am oberen Ende stehen Verträge in denen vieles explizit und noch mehr implizit durch die Nennung von Regelwerken (bis hin zur M-BÜ-ING) geregelt ist. Gängige Vertragsmuster der öffentlichen Hand, die die Beschaffenheit der Architekten-/ Ingenieurleistung beschreiben, sind u.a.: AVB F-StB Allgemeine Vertragsbedingungen für freiberufliche Leistungen im Straßen- und Brückenbau / BMVI 2016) KVM/ AVB Arch/ Ing Allgemeine Vertragsbestimmungen für Architekten-/ Ingenieur-leistungen KVM/ ZVB Arch/ Ing Zusätzliche Vertragsbestimmungen für Architekten-/ Ingenieur-leistungen Vertragsmuster VM 2/ 1 Vertrag Objektplanung Gebäude und Innenräume (BMVBS) 2.10 Rechtsprechung Die Sichtung von zahlreichen Urteilen zur Bauüberwachung hat gezeigt, dass die Gerichte die Anforderungen an die Bauüberwachung sehr streng formulieren. Nach Auskunft eines Versicherers liegen ca. 2/ 3 der Schadensfälle innerhalb der Leistungsphasen 5-8, wobei Leistungsphase 8 mit wiederum ca. 2/ 3 den Löwenanteil bildet. Die meisten Gerichtsurteile haben eines gemein, sie unterscheiden bei der Beurteilung der Überwachungspflicht u.a. folgende Gegebenheiten: - Liegt der Schaden im Bereich einfacher und üblicher Arbeiten, sogenannten handwerklichen Selbstverständlichkeiten? - Liegt der Schaden im Bereich von wichtigen und kritischen Arbeiten bzw. typischen Gefahrenquellen? - Ergaben sich im Verlauf der Bauausführung Anhaltspunkte für eine mangelhafte Ausführung? - War ein Mangel an Sachkunde oder Zuverlässigkeit beim Unternehmen erkennbar? Abhängig von den Antworten auf obige Fragen ergibt sich der Anspruch an die Bauüberwachung. Beginnend mit einer eingeschränkten Überwachungspflicht bei handwerklichen Selbstverständlichkeiten bis hin zu sehr zeitintensiven Überwachungspflichten bei kritischen Arbeiten. 3. Bauüberwachung / Sachkundiger Planer Die Bauüberwachung sollte folgendes zum Ziel haben: - Die Sicherheit auf der Baustelle. - Das Umsetzten der Projektziele in technischer Hinsicht (Allgemein anerkannte Regeln der Technik etc.). - Die wirtschaftliche Umsetzung der Maßnahme im vereinbarten Zeitraum. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 199 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung 200 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung 3.1 Sicherheit auf der Baustelle Die Sicherheit liegt primär beim ausführenden Unternehmen. Die sekundäre Sicherungspflicht der Bauüberwachung wird jedoch zu einer primären, wenn Gefahr im Verzug ist und wenn der Unternehmer unzuverlässig ist und seinen Sicherungspflichten nicht nachkommt. 3.2 Administrative Aufgaben Die administrativen Aufgaben eines Sachkundigen Planers, wie der VOB-konforme Schriftverkehr, die Kostenkontrolle, das Fortschreiben von Terminplänen, die Rechnungsprüfung usw. unterscheiden sich nicht grundlegend von denen in der Bauüberwachung von anderen Maßnahmen. 3.3 Bauüberwachung / Handwerkliche Selbstverständlichkeiten Der weit überwiegende Teil von Instandsetzungsmaßnahmen ist standsicherheits-relevant. Viele der notwendigen Arbeitsgänge liegen nach Fertigstellung im Verborgenen. Alle Arbeitsgänge sind wichtig, die meisten auch kritisch. Handwerkliche Selbstverständlichkeiten sind dünn gesät. Wenngleich im Regelfall nachweislich fähige und zuverlässige Unternehmen mit der Ausführung von Maßnahmen zum Betonerhalt beauftragt werden, kann die Bauüberwachung sich nicht darauf zurückziehen, es handele sich für das Unternehmen beim Großteil der Arbeiten um handwerkliche Selbstverständlichkeiten. Die Bauüberwachung hat dies auszublenden. Ist das Unternehmen zuverlässig bleibt es beim gewöhnlichen Umfang in der Bauüberwachung, ist das Unternehmen jedoch nachweislich unzuverlässig, ist die Schlagzahl in der Bauüberwachung zu erhöhen. Die einzelnen Arbeiten sind für sich nach ihrer Wichtigkeit und ihrer Anfälligkeit für Mängel und damit dem Potential zum Scheitern der Projektziele beizutragen, zu beurteilen. Nachfolgende Tabelle zeigt exemplarisch, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, am Beispiel einer Brückeninstandsetzung was aus Sicht des Verfassers überwachungswürdig / -pflichtig ist. 4. Zusammenfassung Die Recherche zu diesem Vortrag und die tägliche Praxis haben gezeigt, dass es keinen Aufgabenkatalog gibt, aus dem die im Zuge der Bauüberwachung zu erbringenden Leistungen hervorgehen. Vielmehr existieren zahlreiche Quellen. Gleich wie erschöpfend oder eben gar nicht die Leistungen der Bauüberwachung im Ingenieurvertrag beschrieben sind, sollten immer höchste Maßstäbe an die Bauüberwachung gelegt werden. Ein Mangel in der Überwachungsleistung lässt sich nicht (ohne weiteres) nachbessern! Ein guter Ratgeber ist der Gedanke, welche Fragen ein Richter stellen wird, wenn es zum Prozess kommt. Und das vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung in diesem Bereich eisern ist. Am Ende liegt die Wahrheit irgendwo zwischen unterlassener Bauüberwachung und durchgehender Anwesenheit auf der Baustelle. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 201 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Peter Sudermann, M.Eng. Prof. Dr.-Ing. Manfred Breitbach Koblenz University of Applied Sciences, Germany Lehrgebiet Werkstoffe des Bauwesens, Betontechnologie, Betoninstandsetzung Amtliche Prüfstelle Baustoffe Konrad-Zuse-Straße1, D-56075 Koblenz Abstract The constantly supply with healthy drinking water is one of the most important tasks for the World Health Organisation (WHO) and the European Commission. Furthermore drinking water reservoirs are necessary e.g. for fire protection, in times with ecological crises or war activities and basically to prevent epidemics. The hygiene and functionality requirements on are about 20 times higher than for usual food industries, because the population use their drinking water in many cases over the lifetime. Considering these circumstances there are very special requirements to the construction principles of the reservoir itself, material limitations concerning starting materials as well as material design (concrete, polymers, metallic materials), building supplies, repair materials and material changes due to the chemical attack by the drinking water and thereby negative influence on the further water quality. There must be a modeling of hydraulic functions and steady fluctuation of the water, stagnant water must be prevented in order to reduce microbiological growth. In this contribution the essential aspects for open up construction projects, planning, joint constructions, crack width limitation, construction executions, quality assurance, hygienic standards for materials … will be explained by practical examples with new buildings and existing old structures (up to 100 years old) north of the Alps. The author is among others member of the German Waterways Standards Committee, chairman of different working groups, publicly appointed and sworn expert and planning engineer for drinking water reservoirs. 202 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen 1. EINFÜHRUNG Trinkwasser ist das wichtigste Lebensmittel. Gegenüber anderen Lebensmitteln wird für Trinkwasser ein etwa 20fach höheres Schutzniveau für die menschliche Gesundheit gefordert, da der Mensch i.d.R. lokal ansässig ist und über lange Zeiträume das gleiche Trinkwasser konsumiert und dadurch möglicherweise schädliche Stoffe im Körper akkumuliert. Aus diesem Grunde gibt es für das Trinkwasser selbst und die Werkstoffe im Kontakt mit dem Trinkwasser besondere gesetzliche Rahmenbedingungen und Werkstoffanforderungen (z. B. Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG), Trinkwasserverordnung (TrinkwV), UBA Umweltbundesamt: z. B. Bewertungsgrundlage für zementgebundene Werkstoffe im Kontakt mit Trinkwasser, Bewertungsgrundlage für Kunststoffe und andere organische Materialien im Kontakt mit Trinkwasser). Derzeit befasst sich die ECHA European Chemicals Agency in Helsinki, Finnland, mit der Festlegung von Grenzwerten von z. B. Schwermetall- und Kunststoffkonzentrationen in zementgebundenen Werkstoffen. Ein Trinkwasserspeicher hat ist neben der sicheren Versorgung der Bevölkerung mit dem Trinkwasser auch weitere zentrale Funktionen zur Sicherstellung: - eines minimalen und maximalen Druckniveaus im Rohrnetz, damit die öffentlichen und privaten Leitungen, Armaturen und Geräte sicher betrieben werden und ungewollte Druckstöße nicht zum Abtransport von Biofilmen im Rohrnetz zu den Endverbrauchern führen, - der Löschwasserreserve, - der Notversorgung bei Katastrophen und Stromausfällen, - notwendiger längerfristiger Bevorratungskonzepte im Rahmen des Trinkwassermanagements aufgrund der Klimaveränderungen. Erfahrungen haben gezeigt, dass die alleinige Versorgung durch das Wasserdargebot (Stauseen, Brunnen, Meerwasserentsalzung) über drehzahlgeregelte Pumpen bei Havarien oder Energieschwankungen anfällig sein kann. Dieser Beitrag dient zur Einordnung der technischen und hygienischen Rahmenbedingungen für den Neubau und die nachhaltige Instandsetzung von Trinkwasserspeichern. Hierbei ist zu beachten, dass gegenüber Bauwerken der Wasserverteilung (z. B. Rohrnetz) das Trinkwasser in großen Mengen und über längere Zeiträume gespeichert wird. Hierzu sind das Oberflächen/ Volumenverhältnis (O/ V) der Wasserkammer, die Fluktuation (z. B. Wasserwechsel/ d, Ganglinie) und die geometrisch-hydraulische Bauform von Bedeutung. Eine tabellarische Grundlagenübersicht der zu beachtenden Punkte für Trinkwasserspeicher sind im Tabellenverzeichnis zusammengestellt (siehe Tabellen 1/ 2 und Tabelle 2/ 2) Stagnierende Wässer in Todzonen, Sümpfen, ungünstig bewirtschafteten Reservoirs, aber auch in Fugen, Hohlstellen, Rissen und Kiesnester führen grundsätzlich zu einem mikrobiell bedenklichen Milieu. Daher sind die Konstruktionen möglichst Fugenfrei und mit besonderer Sorgfalt herzustellen. Zur Unterbindung der Migration von gesundheitsschädlichen Schadstoffen in das Trinkwasser und mikrobieller Filme an den trinkwasserberührten Oberflächen müssen alle Ausgangsstoffe, die verarbeiteten Stoffe, alle Bau- und Hilfsstoffe (z. Schalhaut) und die Bauausführung speziellen Hygienekonzepten unterworfen werden. Aufgrund dieser Anforderungen muss die Verwendung von sonst im Bauwesen üblichen Bauprodukte wie z. B. Abdichtungsstoffe, elastifizierte kunststoffmodifizierte rissüberbrückende Beschichtungs- oder Auskleidungsstoffe, Polymerwerkstoffe, Injektionsstoffe, Klebstoffe … unterbunden bzw. auf ein technisch notwendiges Minimum (Minimierungsgebot) beschränkt werden. Diese Tatsache hat zur Konsequenz, dass bei der Planung und der Bauausführung besondere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Exposition „Lagerung von Trinkwasser“ gilt im Allgemeinen Stahlbetonbau als unbedenklich. Die üblichen Parameter für den Betonbau wie pH-Wert (für XA), Chloridgehalt (für XD, XS), Wassersättigung (für die Feuchtigkeitsklasse) etc. sind diesem Fall nicht die einzigen wichtigen Parameter. Wasser muss in der Regel nach der Gewinnung aufbereitet werden. Die sogenannte Rohwässer sind in ihrer unbehandelten, chemischen Zusammensetzung (wie Härte, pH-Wert, Chloridgehalt, Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht usw.) nicht zum direkten Verzehr geeignet. Die Wässer durchlaufen dann sogenannte Vorstufen (z. B. Kohlefilter, Membranfilter, Ozonierungsanlagen, Chloranlagen etc.). Erst nach diesem Durchlauf kann man von verzehrsicherem Trinkwasser sprechen. Dieses Trinkwasser wird dann zwischengespeichert bis es verbraucht wird. Kleinere Behälter haben ein Fassungsvermögen von wenigen 100 m 3 , wohingegen große Trinkwasserbehältern (für urbane Gebiete oder Industrien) durchaus auch bis zu 100.000 m 3 speichern können. Die erforderlichen Speicherkapazitäten richten sich nach ihrem Verbrauch. Dabei wird die sogenannte Ganglinie des Wassers mit den dazugehörigen Spitzenverbräuchen im Sommerfall und den ggf. erforderlichen Löschwasserreserven für die Dimensionierung verwendet. In einem Trinkwasserbehältern sollte i.d.R. mindestens 1-2mal pro Tag das Wasser gewechselt werden. Die sogenannten Wasserwechsel dienen dazu Stagnationen des Wassers zu vermeiden und somit der Keimbildung vorzubeugen. Bei diesen Wasserwechseln strömt gespeichertes Wasser aus und frisches (vorkonfektioniertes) Wasser wird dauerhaft wieder eingeleitet. Dies geschieht in der Regel nicht im konstanten Verhältnis, sondern zu Spit- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 203 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen zenzeiten wird mehr Wasser verbraucht als nachfließen kann. Über die Nachtzeiten füllen sich dann die Speicher wieder bis zur nächsten Stoßzeit, sodass dann die volle Speicherkapazität wieder zur Verfügung steht. Dadurch entstehen zu den chemischen auch physikalischen Einwirkungen an den Wand-, Boden- und Stützflächen. Diese Einwirkung kann in drei Zonen unterteilt werden: - 1. Zone: oberhalb der Wasserlinie - 2. Zone: Wasserwechsel-Zone - 3. Zone: dauerhaft unter Wasserlinie Aufgrund von dauerhaften Wasserwechsel mit frischen Trinkwasser erfolgt gerade in der Wasserwechsel-Zone ein enormer Frischwasseraustausch, der den oben beschriebenen dynamisch-hydraulischen Verhältnissen entspricht. Dieser Austausch löst chemisch-physikalische Reaktionen aus, die über die üblichen europäisch-harmonisierten Expositionen nicht abgedeckt wird. Die sogenannte Hydrolyse bewirkt Ionentransporte (von innen nach außen). Als Folge dessen ist ein Kalkabbau des Zementsteines (von außen nach innen) zu beobachten. Der hohe pH-Wert an den Oberflächen von mineralisch gebundenen Beton/ Beschichtungen sorgt dafür, dass kein biogener Aufwuchs möglich ist. Durch die Hydrolyse (auch als Auslaugung durch Ionenaustausch bekannt) verliert die Oberfläche stetig ihren hohen pH-Wert. Dadurch steigt wiederum die Gefahr des Aufwuchses und somit auch der Verkeimungen des Behälters 2. HYDROLYSE, MIGRATION UND AUSLAUGUNG Trinkwasser stellt immer einen werkstoffchemischen Angriff auf die Randzone der Oberflächen im Kontakt mit dem Trinkwasser dar. Es handelt sich nicht nur um einen Angriff an der Oberfläche, sondern es werden auch tiefere Schichten miterfasst. Das gilt für Kunststoffe, zementgebundene Werkstoffe und Metalle gleichermaßen (vgl. z. B. Umweltbundesamt UBA: Bewertungsgrundlage für metallene Werkstoffe im Kontakt mit Trinkwasser). Bei den trinkwasserberührten Oberflächen handelt es sich um 1. unmittelbar trinkwasserberührte Oberflächen (unterhalb des maximalen Füllstands), 2. mittelbar trinkwasserberührte Oberflächen (oberhalb des maximalen Füllstands durch Kontakt mit Kondenswasser und/ oder CO 2 -Ausgasung). Die Auskleidung der Wasserkammern stellt immer eine „Opferschicht“ dar. Dabei muss die planmäßige Restnutzungsdauer und die Abnutzungsgrenze beachtet werden (Abbildung 01). Der Abnutzungsvorrat ist der Zustand vor der Erstinbetriebnahme. Er wird planmäßig durch unterschiedliche Prozesse reduziert: - chemische Prozesse (Ionentransporte, chemische Umwandlungen, Auslaugung). - physikalische Prozesse (Druckschwankungen, Wasseraustausch, Abrasion, Reinigung, Desinfektion). Die Abnutzung schreitet zunächst nicht sichtbar von der Oberfläche ausgehend in die Tiefe voran. Physikalische und chemische Vorgänge erfolgen interaktiv (Abbildung 02). Abbildung 01: Abnutzungsgrenze nach der TR-Instandhaltung / breitbach sudermann/ 204 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Abbildung 02: Schadensprozesse an der trinkwasserberührten Randzone / breitbach sudermann/ Der pH-Wert des Trinkwassers liegt zwischen pH @ 6,5 und pH @ 9,5. Der pH-Wert zementgebundener Werkstoffe wird hauptsächlich durch das Calciumhydroxid mit pH @ 12,6 bestimmt. Ein Teil des Calciumhydroxides liegt chemisch nicht gebunden im Gelporenwasser des Zementsteines vor, ein weiterer Teil chemisch gebunden im Zementgel. Der Abbau des Restnutzungsvorrates erfolgt an der Oberfläche durch chemische Umwandlung von Calciumhydroxid in Calciumcarbonat mit pH @ 8. Calciumcarbonat ist leicht wasserlöslich und geht in Hydrogencarbonat über. Dadurch würde zunächst nur an der Oberfläche spontan der pH-Wert abgesenkt werden, was aber in der Praxis nicht der Fall ist. Aktuelle Forschungsarbeiten (Korrosionsschutz durch mineralische Beschichtungen unter Berücksichtigung der Anforderungen aus dem neuen DVGW- Arbeitsblatt W 300/ Hr. Univ.-Prof. Dr. W. Breit & Hr. Univ.-Prof. Dr. M.Raupach) zeigen, dass der Abbau der Randzone bei üblichen Betriebsbedingungen und nicht betonaggressiver Trinkwasserzusammensetzung etwa 2 mm in Anspruch nimmt. Bei ungünstigen Verhältnissen werden auch Substanzverluste, Aufweichungen und Porosierungen bis in Tiefen von 5 mm beobachtet. Durch Ionentransporte werden aus der Beschichtung bzw. dem Beton Hydroxide infolge des Konzentrationsunterschiedes an die Oberfläche nachgefördert, so dass im Laufe der Zeit sich eine Verarmung bis tief in den Untergrund einstellt (Abbildung 03). Abbildung 03: Auslaugung im Tiefenprofil (repräsentative Bestimmung aus einem anderen Schadensfall)/ breitbach sudermann/ 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 205 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Mit der Auslaugung stellen sich drei Prozesse ein: 1. Substanzverlust an der Oberfläche 2. Festigkeitsverlust Oberfläche (Aufweichungen, pastöse Konsistenz) 3. Zunahme der Porosität durch den Abbau von Zementphasen Die Zunahme der Porosität begünstigt wiederum das Eindringen von Wasser und verlagert die Auslaugung zusätzlich in die Tiefe. Die Frage der Betonaggressivität des Trinkwassers kann durch die Bestimmung der Calcitlösekapazität des Trinkwassers beantwortet werden. Über die Tillmans‘sche Gleichung (Gleichgewichtskurve zum Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht) können erste Hinweise für die grundsätzlichen Zusammenhänge gefunden werden (Abbildung 04). Kalkabscheidende Wässern sind kein Garant zur Unterbindung der Auslaugung, wie es zu vermuten wäre. Durch die Carbonatschicht an der Oberfläche mit pH @ 8 kann es zu einer Verschiebung der Wasserqualität in der Mikrowasserschicht an der Oberflächen kommen. Abbildung 04: Zuordnung des Wasser nach dem Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht / breitbach sudermann/ Migration beschreibt in der Praxis allgemein das Wandern (Migrieren) von Ionen oder niedermolekularer Stoffe. Konzentrationsunterschiede in der Porenlösung bewirken einen Diffusionsstrom gelöster Ionen oder Stoffe von Bereichen höherer Konzentration in Bereiche niedriger Konzentration. Sind Baustoffe mit löslichen Salzen belastet, gehen diese bei Aufnahme einer polaren Flüssigkeit in Lösung und werden mit der Flüssigkeit durch das Porengefüge transportiert. Grundlage dieser Transporte ist es, dass die gelösten Stoffe kleiner sind als die Porenradien. Oder umgekehrt reduzieren/ hemmen kleinere Porenradien den Stofftransport. Schwermetallionen haben im Atommodell einen Durchmesser in einer Größenordnung zwischen rd. 0,00005 µm bis 0,0001 µm. Makromoleküle haben einen theoretischen Durchmesser in einer Größenordnung zwischen rd. 0,001 µm bis 0,01 µm. Untersuchungen zur Ionendiffusion in Zementstein zeigen, dass nicht nur die Porenradien die Diffusionsgeschwindigkeit beeinflussen. Die Art den Ionen sowie die Zusammensetzung des Zementsteins spielen eine dabei eine wichtige Rolle. Der Diffusionskoeffizient des Zementsteins durch einen abnehmenden w/ z-Wert und durch Zugabe von Puzzolanen und latent hydraulischen 206 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Stoffen reduziert. Gegenüber einem CEM I kann diese Reduktion zwischen rd. 60 % bis 80 % betragen. Aus diesen Gründen soll bei zementgebundenen Werkstoffen im Kontakt mit dem Trinkwasser die Porosität und die Porenradienverteilung ermittelt werden. Die Ermittlung der Gesamtporosität erfolgt nach dem gemäß DVGW W 300-5 festgelegten Verfahren mit der Quecksilberdruckporosimetrie bei 2000 bar. Mit dem Prüfverfahren werden Porenradien im Bereich zwischen 0,004 µm (unterer Gelporenbereich) bis zu 100 µm (Luftporen) erfasst. Luftporen sind isolierte Einzelporen und tragen nicht zur Hydrolysebeständigkeit bei. Gelporen haben Porenradien zwischen 0,004 µm und 0,01 µm. Die Kapillaren liegen in einer Größenordnung zwischen rd. 0,01 µm und 0,2 µm. Für die Diffusion sind Porenradien ≤ 0,1 µm relevant. Der Porenradienverteilung ≤ 0,1 µm weist auf Kapillarporen hin, die so klein sind, dass eine Diffusion weitgehend unterbunden wird. Sie dient als indirekter Nachweis zum Wassert-Zement-Wert (w/ z). Liegt der Porenanteil der Porenradien ≤ 0,1 µm ≥ 50 % (Mikrokapillarbereich), so kann der der Zementgebundene Werkstoff als diffusionshemmend eingestuft werden (Abbildung 05). Abbildung 05: mittlere Porenradienverteilung aus einem Praxisbeispiel für zementgebundene Beschichtungen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 207 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen 3. BETONTECHNOLOGISCHE ANFORDERUNGEN Im allgemeinen Betonbau sind „Betonrezepturen nach Eigenschaften“ oder „Betonrezepturen nach Zusammensetzung“ die gängigen Orderwege für eine Betonbestellung. Bei „Betonrezepturen nach Zusammensetzung“ legt der Besteller selbst fest wie die Verhältnisse der Zusammensetzung sind. Er übernimmt an dieser Stelle die Verantwortung zur Einhaltung der erforderlichen Widerstände gegenüber den geplanten Einwirkungen. Eignungsprüfungen sind dabei unabdingbar. Bei „Betonrezepturen nach Eigenschaften“ wird der Beton nach seiner Exposition seiner äußeren Einwirkungen erstellt. Die Verantwortung zur Einhaltung der erforderlichen Widerstände liegt hier beim Betonlieferanten. Im Gegenzug dazu kann er frei entscheiden welche Zusammensetzung dafür erforderlich ist. Dabei wird jede Einwirkung im Allgemeinen in betonangreifende (XC, XF, XA, XM) und bewehrungsangreifende (XS, XD) Reaktionen unterteilt. Dies ist für den Bereich der Trinkwasserspeicherung nicht ausreichend. Aufgrund der oben beschrieben Hydrolyse wurde zum Schutz des Bauwerkes die separate Exposition XTWB erforderlich, um einen entsprechenden Widerstand zu schaffen. Die wesentlichen, betontechnologischen Merkmale sind bei XTWB mit Anforderungen an „Zusammensetzung und Eigenschaft“ mit folgenden Anforderungen geregelt: w/ z < 0,5 - Druckfestigkeitsklasse > C30/ 37 N/ mm 2 - Zementgehalt > 320 kg/ m 3 - z bei Anrechnung von Stoffen > 270 kg/ m 3 - Mehlkorngehalt < 400 kg/ m 3 - Sieblinie A/ B 16 oder A/ B 32 - Gesteinskörnung, frei von organischen Verunreinigungen - Konsistenzklasse F 3 Mitte Durch die Einhaltung der oben genannten Eigenschaften wird sichergestellt, dass der Beton - ausreichend dicht ist - geringe Porosität aufweist - eine feste Oberfläche als Widerstand für mechanische Einwirkungen (z.B. Reinigung) hat - einen hoher pH-Wert an der Oberfläche aufweist - eine geringe Feinmörtelschicht an den Schalungsflächen hat - eine gut abgestufte Sieblinie mit hygienisch verwendbarer Gesteinskörnung hat Die Zementauswahl ist eingeschränkt und der Einsatz von Zusatzmittel und Zusatzstoffen ist ebenfalls begrenzt. Bei den Zusatzmitteln ist darauf zu achten, dass es so kann Wechselwirkung kommt. Auch hier gilt das Minimierungsgebot. Viele Arten von Zusatzmitteln Zusatzstoffen können aufgrund ihrer hygienischen Bewertung nicht bedenkenlos eingesetzt werden. Ein Leitfaden zur hygienische Bewertung der betontechnologischen Zusammensetzung kann dem DVGW W347 „hygienische Anforderungen an zementgebundene Werkstoffe im Trinkwasserbereich-Prüfung und Bewertung“ / entnommen werden. Für den Nachweis der „hygienischen Eignung von Ortbeton und vor Ort hergestellten zementgebundenen Werkstoffen in zur Trinkwasserspeicherung“ kann das Merkblatt DVGW W398 herangezogen werden. Die bis hierhin beschriebenen Vorgaben richten sich nach den heutigen Anerkannten Regeln der Technik. Diese sind aber leider noch recht jung, wenn man sich die Gesamtzeit des modernen Betonbaus mit Start ca. Mitte des 19. Jahrhunderts heranzieht. Die ersten Regelwerke zu den hygienischen Nachweisen für Werkstoffe im Kontakt mit dem Trinkwasser wurden in der Zeit zwischen 1984 (DVGW W 270) und 1999 (DVGW W 347) eingeführt. Für Betonbauwerke, die vor dieser Zeit errichtet wurden, liegen keine gesicherten Hygienenachweise vor. Kontamination können durch Migration oder biologisch abbaubare organische Bestandteilen/ Werkstoffe hervorgerufen werden. Analog zu den Nachweisen für neue Werkstoffe (vgl. Abschnitt 3.1.1) können Schwermetelle in den früheren Ausgangsstoffen (z. B. Gesteinskörnungen, Zement) vorhanden sein. Organisch abbaubare Stoffe können z. B. aus Betonzusatzmitteln, Schalölresten, ungeeigneten Fugenmaterialien, Injektionsstoffen, Lösemittelreste oder Abbauprodukte von Beschichtungen resultieren. Diese Kontaminationen lassen sich in manchen Fällen in mehrere Millimeter, bis Zentimeter Tiefe nachweisen, z. B. Kontamination der Betonrandzone mit PCB hinter Chlorkautschukbeschichtungen, zementgebundene Asbest-Schalungsanker, PCB für die langfristige Elastizität von wasserdichten organischen Kunststoffbeschichtungen, etc. Bei undichten Konstruktionen können auch Kontaminationen von außen eingetragen werden, z. B. durch Grund- und Oberflächenwasser oder Abdichtungsstoffe. Kontaminationen des Trinkwassers aus dem Untergrund müssen unterbunden werden, da sich insbesondere bei stagnierendem Wasserverhältnissen (Holstellen, Risse, Fugen, Sumpf, …) ein mikrobiologisches Milieu ausbildet und über Fehlstellen und Transportvorgänge zum Trinkwasser gelangen kann. Die nachträgliche Untersuchung von Kontaminationen in der Bausubstanz ist aufgrund der erforderlichen Probenbeschaffenheit vielfach nicht mit hinreichender Sicherheit möglich. Wenn z. B. aus den Unterlagen/ Aufzeichnungen bekannte oder durch Erkundungen/ Bauwerksöffnungen feststellbare Kontaminationen vorhanden sind, die die 208 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Trinkwasserqualität negativ beeinflussen können, müssen diese so weit wie technisch möglich beseitigt werden. Lassen sich die Kontaminationen aus technischen Gründen nicht vollständig entfernen, muss das Instandsetzungskonzept sicherstellen, dass die verbleibenden Kontaminationen langfristig innerhalb der vorgesehenen Restnutzungsdauer nicht zu einer negativen Beeinflussung des Trinkwassers führen können. Durch einen sachkundigen Planer müssen die erforderlichen objektspezifischen Mindestanforderungen festgelegt werden (Abbildung 06): Abbildung 06: Modell zur Migration und Auslaugung bei kontaminierten Untergründen in Trinkwasserbehältern / breitbach sudermann/ Alle bekannten, sichtbaren oder nachgewiesenen Kontaminationen müssen vor der Beschichtung technisch beseitigt werden. Es gilt das Minimierungsgebot. Die wirksame Schichtdicke dE,wirk beträgt gemäß DVGW W 347/ 18/ ≥ 10 mm. Statistische Vorhaltemaße gemäß DIN EN 1990 für die den Ebenheits- und Rautiefenausgleich ΔdE und die Auslaugung DdAl müssen vom sachkundigen Planer festgelegt werden. Die Mindestnachbehandlungsdauer beträgt zwischen ≥ 14d und ist vom sachkundigen Planer festzulegen. In der Praxis muss dieser Zeitraum sichergestellt werden, damit eine möglichst lange und ungestörte Hydratation erfolgt und das Porenvolumen reduziert und die Porenradienverteilung verkleinert werden In Zweifelsfällen ist durch ein Monitoring der Erfolg der Maßnahme nachzuweisen. 4. HYGIENISCHE ANFORDERUNGEN AN DIE BAU- UND WERKSTOFFE Ein wesentlicher Unterschied von einem Neubau/ Betoninstandsetzung eines Trinkwasserbehälters im Vergleich zu einem herkömmlichen Neubau/ Betoninstandsetzung eines Ingenieurbauwerks resultiert aus dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) § 37 Beschaffenheit von Wasser für den menschlichen Gebrauch. Dort wird in ersten Absatz ersichtlich, dass „Wasser für den menschlichen Gebrauch so beschaffen sein [muss], dass durch seinen Genuss oder Gebrauch eine Schädigung der menschlichen Gesundheit, insbesondere durch Krankheitserreger, nicht zu besorgen ist.“ Um dies sicherzustellen sind über die üblichen Vorgaben der Normen für den Stahlbetonbau, wie DIN EN 1990, DIN EN 1992, DIN EN 206, Normungsreihe DIN 1045, Normungsreihe DIN EN 1504, WU-Richtlinie und der TR Instandhaltung zusätzliche rechtlich eingeführte Regelwerke zu beachten. Aus diesem Grund wurden die Arbeitsblätter DVGW W300-1 bis W300-8 herausgebracht (s. Abbildung 07), die die Allgemein Anerkannten Regeln der Technik darstellen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 209 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Abbildung 07: Systemaufbau und Zusammenhang von DVGW W 300-1 bis W300-8 und DVGW W316 Gemäß der Trinkwasserverordnung, § 17, Absatz 2, dürfen für die Neuerrichtung oder Instandhaltung von Anlagen für die Gewinnung, Aufbereitung oder Verteilung von Trinkwasser nur Werkstoffe und Materialien verwendet werden, die nicht - den nach dieser Verordnung vorgesehenen Schutz der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar mindern, - den Geruch oder den Geschmack des Wassers nachteilig verändern oder - Stoffe in Mengen ins Trinkwasser abgeben, die größer sind als dies bei Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik unvermeidbar ist. Für alle Baustoffe (Beton / Mörtel oder für polymere und metallische Werkstoffe) dürfen nur eingeschränkte Ausgangsstoffe verwendet werden. Die Untersuchung zur Migration von Inhaltsstoffen in das Wasser erfolgt durch Kontaktversuche mit stagnierendem Prüfwasser über 72 Stunden. Das Wasser wird auf die organoleptischen Eigenschaften (Farbe, Geruch, Trübung, Schaumbildung) sowie auf TOC und die Schwermetalle (Aluminium, Arsen, Blei, Cadmium, Lithium und Nickel) untersucht. Die Untersuchung zum mikrobiologischen Verhalten von organischen Stoffen erfolgt durch Lagerung der Proben in permanent strömenden Wasser. In bestimmten Intervallen werden die Prüfkörper entnommen, der mikrobielle Oberflächenbewuchs nach dem Abtropfen des Wassers gesammelt und das Volumen des Oberflächenbewuchses quantitativ nach Zentrifugieren bestimmt. Die Bewertung erfolgt anhand von anorganischen Referenzproben. Es dürfen nur solche Materialien im Kontakt mit dem Trinkwasser eingesetzt werden, die die festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten. Der Betreiber von Anlagen für die Gewinnung, Aufbereitung oder Verteilung von Trinkwasser haben sicherzustellen, dass bei der Neuerrichtung oder Instandhaltung nur Werkstoffe und Materialien verwendet werden, die den oben genannten Ansatz-Anforderungen entsprechen. In der dafür vorgesehenen Umsetzungsverordnung heißt es nach § 17 der Trinkwasserverordnung „Anlagen für die Gewinnung, Aufbereitung oder Verteilung von Trinkwasser sind mindestens nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu planen, zu bauen und zu betreiben“ Zusätzlich zu den rein mineralischen Trinkwasserbehältern gibt es die Möglichkeit weiterer Auskleidungen in Form von Platten oder Folien in einem Behälter zu integrieren. Die Ausführungskombination von statisch-konstruktivem Betontragwerk mit darauf aufgebrachter Werkstoffauskleidung dient im Wesentlichen der Vermeidung eines Hydrolyseproblems. Dies kann vor allem bei stark angreifenden Wässern erforderlich sein. Folgende Materialien haben sich im Laufe der Zeit für den Einsatz im Bereich des Neubaus / der Instandsetzung in der Trinkwasserspeicherung bewährt und sind entsprechend auf dem Markt etabliert - zementgebundene Werkstoffe (CC/ PCC) - Polymerbeschichtung (PB) - PE/ PP Platten (KDP) - PE/ PP Dichtungsbahnen (KDB) - Nichtrostender Stahl (NI) - Glasfaser Kunststoffe (GFK) - Systembehälter aus den oben genannten Stoffen In Abbildung 08 ist die Systematik zur Verwendung der oben genannten Auskleidungsarten dargestellt. Dabei können die verwendbaren Materialien in zwei Kategorien unterteilt werden. 210 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Abbildung 08: Systematik von Auskleidungen Die 1. Kategorie hat einen direkten Verbund zum Untergrund und somit auch keinen Luftspalt zwischen Auskleidung und Konstruktion. Die 2. Kategorie hat keinen direkten Verbund Untergrund und dementsprechend einen Luftspalt zwischen Auskleidung und Konstruktion Die Verwendung eines Auskleidungsprinzips mit direkten Verbund kann bedenkenlos ausgeführt werden. Sofern eine Auskleidungsvariante mit Luftspalt erforderlich wird, ist dieser separat hygienisch und technisch zu bewerten. Aufgrund der dauerhaft geringen Wassertemperatur (i.d.R. zwischen 8-12 °C) und hohen Luftfeuchtigkeitswerten ist mit Tauwasserausfall in diesem Luftspalt zu rechnen. Tauwasser stellt aufgrund seines Mineralmangels ein betonangreifendes Medium dar. Zudem muss gewährleistet werden, dass das anfallende Tauwasser über alle Flächen abgeführt werden kann. Da die Wasserabführung oft nicht sichergestellt werden kann, bilden sich Pfützen in denen sich stagnierendes Wasser sammelt und zur Verkeimung des Untergrunds führen kann. Daher ist eine hygienische Bewertung eines solchen Luftspaltes aufgrund der fehlenden Inspizierbarkeit oft schwierig. 5. INSTANDHALTUNG Trinkwasserbehälters sind so beschaffen, dass sie in der Regel aus zwei Kammern und einem Bedienhaus bestehen. Sofern der lokale Versorger keine Möglichkeit hat, im Falle einer Instandsetzung, sein Wasser aus anderen Trinkwasserbehältern zu beziehen, ist es notwendig aufgrund der gesetzlich geregelten Versorgungssicherheit, eine der beiden Kammern dauerhaft zu betreiben. Dies beinhaltet zum einen die Aufrechterhaltung eines hygienisch einwandfreien Bereichs zur ausschließlichen Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser und zum anderen eine Instandsetzungsmaßnahme mit allen üblichen Schwierigkeiten und Herausforderungen die es zu bewältigen gilt. Bei der Instandsetzung eines alten Behälters ist der Sollzustand eine wesentliche Bezugsgröße. Durch die Instandsetzung soll nicht der Ursprungszustand, sondern ein Zustand mit entsprechender Restnutzungsdauer nach den heutigen Regelwerken erreicht werden. Dabei stellen Abweichungen (von z.B. alten Betonen zum heutigen WU-Beton, Rissbreitenbeschränkungen, statisch Bewertungen nach heutigen Berechnungsregeln) wirtschaftlich, technisch und auch hygienische Herausforderungen dar, Bei Planung, Bau, Instandsetzungen und Verbesserung von Bauwerken kommt es nicht nur auf die Erfahrung an, sondern auch ob die notwendigen rechtlich vorgeschriebenen und organisatorische notwendigen Voraussetzungen und Fachkenntnisse der einzelnen Beteiligten vorhanden sind und erfüllt werden. Daher wurde mit dem technischen Regelwerk DVGW W 300-ff und W 316 ein hoher Standard von Qualifikationsanforderungen und -kriterien für Fachplaner und Fachunternehmen festgelegt. Durch ein erfolgreiches durchlaufenes Zertifizierungsverfahren nach DVGW W316 bei der DVGW CERT haben Planer und Fachunternehmen die Möglichkeit eine Zertifizierung zu erhalten, die die erforderliche Qualifikation nachweist. Diese Präqualifizierung dient der Vorprüfung der erforderlichen Sachkunde für diese bestimme Fachdisziplin in Planung und Ausführung, die nur durch aufwendigem Nachweisführung sichergestellt werden kann. Durch den Einsatz von DVGW W316zertifizierte Beteiligte wird das Risikopotenzial in der öffentlichen Wasserversorgung aus chemischer, physikalischer und mikrobiologsicher Sicht stark verringert und die Versorgungssicherheit erhöht. Im Rahmen eines (Neu-)Baus oder einer Instandsetzungsmaßnahme wird mit der Außerbetriebnahme und der Übergabe eines Trinkwasserbehälters, an die entsprechende Fachfirma, auch die hygienische Verantwortung übertragen. Dabei stellt jedes Eintreten und jede Verwendung von Materialien in der Wasserkammer, über die gesamte Bauzeit, eine potentielle Gefahr zur Einbringung von Keimen und Erregern dar. Erst wenn das Gesundheitsamt, nach der Wiederinbetriebnahme des Behälters, einen einwandfreien/ keimfreien Zustand feststellen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 211 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen 6. Tabellenverzeichnis Tabelle 1/ 2: Eckpunkte für die Planung und den Bau eines Trinkwasserbehälters kann, geht die Verantwortung von der entsprechenden Fachfirma an den Versorger/ Betreiber wieder über. Zur Überprüfung ob die erforderliche Sorgfalt und das Verständnis für diese sensible Thematik vorhanden ist, gibt es die Möglichkeit die Qualifikationsanforderung im Bereich der Planung, Bau, Instandsetzung und Verbesserung von Trinkwasserbehältern nach DVGW W 316 über das DAkkS geprüfte Qualitätsmanagement-Sicherungssystem der DVGW-CERT als Fachunternehmen zertifizieren zu lassen. Dies ist für Planer, Fachfirmen und auch Versorger möglich. Die Differenzierung zu herkömmlichen Instandsetzung von Ingenieurbauwerken und Erläuterungen zu den anerkannten Regeln der Technik in diesem Spezialgebiet müssen im Vorfeld klar kommuniziert, aus hygienischer Sicht geplant, z.T. als vertragliche Sonderleistung ausgeschrieben und mit besonderer Sorgfalt ausgeführt und überwacht werden. Definitionen und Begriffe Bedienungshaus Betriebsreserve Durchlaufbehälter Gegenbehälter Hochbehälter Löschwasserreserve Nutzvolumen Porenarm/ porenarm Raumvolumen Speichervolumen Systembehälter Tiefbehälter Vorlagebehälter Wasserbehälter Wasserturm Qualifikationsanforderungen Grundlagenermittlung Bestimmung des Netzvolumens Lage im Versorgungsnetz Topographische Lage Wasserchemie Radonexposition Vorplanung Varianten Betrachtung Behälterbauart Behälterbauformen Materialfrage bezüglich Wasserqualität Wirtschaftlichkeit Entscheidungsfindung für eine Variante Planung Gelände, Außenanlagen Funktionale Anforderungen Zugang Bedienhaus und Wasserkammer Einsicht Wasseroberfläche Geometrie der Wasserkammer Auswahl hygienisch geeigneter Werkstoffe Beton DVW-Arbeitsblatt W347 Technische Ausrüstung Zulauf Entnahme Überlauf Entleerung Vorflut Probenentnahmeeinrichtungen Technische Ausrüstung, Unter-und Überdrucksicherung Elektrotechnische Ausrüstung Gebäudetechnik, Blitzschutz Objektschutz Mess-, Steuer-und Regeltechnik, Fernwirktechnik Hygienekonzept Tabelle 2/ 2: Eckpunkte für die Planung und den Bau eines Trinkwasserbehälters Tragwerksplanung und konstruktive Anforderungen Dauerhaftigkeit, Expositionsklasse für Trinkwasserbehältern (Wasserkammer) XTWB Lasseinwirkung und Schnittgrößenermittlung Grenzzustand der Tragfähigkeit Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit Begrenzung der Spannung (Spannungsnachweise) Begrenzung der Rissbreite, Dichtheit Bauphysik Konstruktive Anforderungen für Stahlbeton Oberfläche Betonzusatzmittel Konstruktion Gründung Dränage, Feuchtigkeitsabdichtung Sohle Wände und Stützen Decken, Dächer Bauausführung Dokumentation, Bauleitung Bewehren Größe, Scheidung, Trennmittel, Einbauteile sowie Ausrüstung und Auschalen Vorspannen Betonieren Bauen mit Betonfertigteilen Maßtoleranzen Überwachung durch das Bauunternehmen Qualitätssicherung hygienisch geeigneter Ort Beton und Mörtel Qualitätssicherung Verwendung hygienisch geeigneter anderer Werkstoffe Kontrollen, Prüfen und Erst-Inbetriebnahme Wasserdichtheitsprüfung Hygienemaßnahmen Reinigung Desinfektion Auswahl der Desinfektionsmittel Durchführung der Desinfektion Freigabe Inbetriebnahme des Behälters und Anbindung ans Versorgungsnetz Dokumentation 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 213 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen LITERATUR [01] DIBtMVV TB Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen [02] DIBt Technische Regel Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung [03] DIBt Technische Regel Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) Teil 2: Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung [04] DAfStb-Richtlinie Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) Schutz und Instandsetzung von Be-tonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie inkl. Berichtigungen 1 bis 3) Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze Teil 2: Bauprodukte und Anwen-dung Teil 3: Anforderung an die Betriebe und Überwachung der Aus-führung [05] DAfStb-Richtlinie Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton (WU-Richtlinie) [06] DIN EN 1992-1-1 EC 2 Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton und Spannbeton; Allge-meine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau [07] DIN EN 1992-1-2 EC 2 Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton und Spannbeton; Silos und Behälterbauwerke aus Beton [08] DIN 1045-2 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Festlegung, Eigenschaf-ten, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1 [09] DIN 1045-3 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Bauausführung [10] DIN EN 13 670 Ausführung von Tragwerken aus Beton [11] DIN 18 551 Spritzbeton, Herstellung und Güte-überwachung [12] DIN EN 14 487-1 Spritzbeton: Begriffe, Festlegungen und Konformität [13] DIN EN 14 487-2 Spritzbeton: Ausführung [14] DIN 31 051 Grundlagen der Instandhaltung [15] DVGW W 300 - 1 Trinkwasserbehälter; Teil 1: Planung und Bau [16] DVGW W 300 - 2 Trinkwasserbehälter; Teil 2: Betrieb und Instandhaltung [17] DVGW W 300 - 3 Trinkwasserbehälter; Teil 3: Instandsetzung und Verbesserung [18] DVGW W 300 - 4 Trinkwasserbehälter; Teil 4: Werkstoffe, Auskleidungs- und Beschichtungssysteme - Grundsätze und Qualitätssicherung auf der Baustelle [19] DVGW W 300 - 5 Trinkwasserbehälter; Teil 5: Bewertung der Verwendbarkeit von Bauprodukten für Auskleidung und Beschichtungssysteme [20] DVGW W 300 - 6 Trinkwasserbehälter; Teil 6: Planung, Bau, Betrieb und Instand-haltung von System-und Fertigteil-behältern [21] DVGW W 300 - 7 Trinkwasserbehälter; Teil 7: Praxishinweise Reinigungs- und Desinfektionskonzept [22] DVGW W 300 - 8 Trinkwasserbehälter; Teil 8: Praxishinweis: Hygienekonzept: Neubau und Instandsetzung [23] DVGW W 316 Qualifikationsanforderungen an Fachunternehmen für Planung, Bau, Instandsetzung und Verbesserung von Trinkwasserbehältern; Fachin-halte [24] DVGW W347 Hygienische Anforderungen an ze-mentgebundene Werkstoffe im Trinkwasserbereich - Prüfung und Bewertung [25] DVGW W398 Praxishinweise zur hygienischen Eignung von Ortbeton und vor Ort hergestellten zementgebundenen Werkstoffen zur Trinkwasserspei-cherung [26] UBA Diverse Bewertungsgrundlagen und Richtlinien des Umweltbundesamtes: https: / / www. umweltbundesamt.de/ themen/ wasser/ trinkwasser Rissbehandlung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 217 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen Dr.-Ing. Angelika Eßer Universität Duisburg-Essen, Essen Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martina Schnellenbach-Held Universität Duisburg-Essen, Essen Zusammenfassung Instandsetzungsziele mit der passenden Wahl der Rissfüllstoffe zur dauerhaften Instandhaltung können nur erreicht werden, wenn die Situation am Bauwerk erfasst und der Anwendungsbereich genau definiert worden ist. Bei der zugehörigen Planung gemäß den aktuellen Regelwerken auf Basis von Prinzipien und zulässigen Verfahren müssen dabei vor allem die füllstoffspezifischen Verwendungsbedingungen und die Leistungsfähigkeit der eingesetzten Stoffe beachtet werden. Dieser Beitrag liefert einen Überblick darüber, was bei der Planung beim kraftschlüssigen, dehnbaren und quellfähigen Füllen von Rissen zu beachten ist. 1. Einleitung Ein Füllen von Rissen durch eine Rissinjektion oder ein Vergießen mit geeigneten polymeren oder zementgebundenen Rissfüllstoffen ist nur erforderlich, wenn die Auswirkungen auf das Bauwerk aufgrund der Risse im Hinblick auf • Tragfähigkeit, • Gebrauchstauglichkeit • Dauerhaftigkeit, • Ästhetik nicht hingenommen werden können. Ein Handlungsbedarf ergibt sich vorwiegend in Bezug auf Beschränkungen der Gebrauchstauglichkeit und der Dauerhaftigkeit. Trennrisse in erdberührten Bauteilen, wie sie z. B. häufig in Tunnelwänden, in Wänden oder Bodenplatten von wasserundurchlässigen Betonkonstruktionen auftreten, können aufgrund von Wasserdurchdringungen in Form von Durchfeuchtungen bis zur Druckwasserführung die Nutzung einschränken oder ausschließen. Die Dauerhaftigkeit wird z. B. in Frage gestellt, wenn zulässige Rissbreiten in Abhängigkeit der vorherrschenden Exposition überschritten werden. Eine Hilfe zur Einschätzung der Situation hinsichtlich noch akzeptabler Rissbreiten bietet das DBV-Merkblatt „Begrenzung der Rissbildung im Stahl- und Spannbetonbau“ [1]. Die stets fortgeschriebenen nationalen Regelwerke für die Instandhaltung von Betonbauwerken [2] bis [8] bilden je nach Zuständigkeit und Anwendungsbereich eine Grundlage für eine sachkundige Planung. 2. Rissfüllstoffe Zur Verfügung stehen polymerhärtende (P) oder zementgebundene, also durch Hydratation härtende Rissfüllstoffe (H). Sie werden in den aktuellen nationalen Regelwerken und Fortschreibungen nicht mehr nach Stoffgruppen (z B. Epoxidharz (EP), Polyurethan (PUR), Zementleim (ZL), Zementsuspension (ZS)) eingeteilt, sondern in Anlehnung an DIN EN 1504-5 [10] nach ihren Eigenschaften und ihrer Leistungsfähigkeit. So unterscheidet man Rissfüllstoffe zum: • Kraftschlüssigen Füllen (F: force transmitting), sie übertragen Zug-, Druck- und Schubkräfte. Unter einer kraftübertragenden Rissflankenverbindung kann für das Bauteil der ungerissene Zustand I mit höherer Biegesteifigkeit des Bauteils im Vergleich zum gerissenen Zustand (Zustand II) angesetzt werden. Der Aufbau von Zwangspannungen, die zu einer Neurissbildung führen können, ist möglich. • Dehnbaren Füllen (D: ductile), sie verbinden die Betonflanken zur Aufnahme der Rissbreitenänderungen weich-elastisch, die Steifigkeitsverhältnisse des gerissenen Stahlbetonquerschnitts werden beibehalten. Bei diesen Bauteilen ist mit höheren Verformungen zu rechnen. Aufgrund der Rissbewegungen bauen sich keine wesentlichen Zwangspannungen neu auf. 218 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen • Quellfähigen Füllen (S: swelling fitted), sie dichten Risse und Hohlräume durch wiederholtes Quellen durch Wasserabsorption ab. Sie Schwinden bei Austrocknung. In den nationalen Anwendungsdokumenten [2] bis [8] werden die quellfähigen Rissfüllstoffe nicht behandelt, für einige Produkte liegt für die Anwendung im Stahlbetonbau eine bauaufsichtliche Zulassung für einen eingeschränkten Anwendungsbereich vor. Die Klassifizierung der Rissfüllstoffe erfolgt über • Allgemeine Merkmale (z. B. Zug- Druckfestigkeiten, Haftzugfestigkeiten, Glasübergangstemperatur (nur bei polymeren Stoffen), Volumenänderung, Chloridgehalt (nur bei zementgebundenen Stoffen) • Verarbeitbarkeitsmerkmale (z. B. Injizierbarkeit, Viskosität) • Reaktionsfähigkeitsmerkmale (z. B. Verarbeitbarkeitsdauer, Festigkeitsentwicklung, Erstarrungszeit (nur bei H)), • Dauerhaftigkeit (Beibehaltung der Rissfüllstoffmerkmale nach z. B. Temperaturwechselbeanspruchungen, Nass-Trocken-Zyklen, Verträglichkeit mit Beton und allen Kontaktstoffen). 3. Erfassung der Bauwerkssituation Die Bauwerkssituation muss durch eine Ist-Zustandsanalyse, z. B. nach [3], beschrieben werden, zu erfassen sind: • Rissmerkmale (Rissart, Rissverlauf, Rissbreite, Rissbreitenänderung, Zustand: Feuchte, Verschmutzung, Aussinterung, vorangegangene Maßnahmen, Einbauten), • Einwirkungen auf das Bauwerk aus Lasten und Zwang, • angewandte Bemessungsverfahren, • Ursachen zur Trennrissbildung (herstellungs- oder nutzungsbedingt), • Lage und Querschnitt der Bewehrung, • Baugrundeigenschaften, • Bemessungswasserstand, • hydraulischer Wasserdruck, • chemischer Angriffsgrad des Wassers, • Möglichkeiten zur Selbstheilung, • Zugängigkeit. Bei einer Aufnahme der Rissbreiten sind die augenblickliche Situation erfassende, genauer beschreibende Angaben zur Bewertung der Messergebnisse dringend erforderlich, wie z. B.: • Einwirkungszustand (z. B. Behälter gefüllt oder leer), • Meteorologische Bedingungen bei Bauteilen im Freien (Bauwerkstemperatur, Lufttemperatur, Witterungsverhältnisse, Sonnenbestrahlung (bewölkt, sonnig)), • Datum und u. U. Uhrzeit der Messung. Die Dauerhaftigkeit einer Rissfüllmaßnahme wird maßgeblich vom Feuchtezustand und der Rissursache beeinflusst. Nicht jeder Rissfüllstoff kann bei allen verschiedenen Feuchtezuständen (trocken, feucht, wasserführend, unter Druck wasserführend) eingesetzt werden. Damit entscheidet der Feuchtezustand, inwiefern ein gewünschtes Instandsetzungsziel (Füllziel) überhaupt möglich ist, und somit, ob das Instandsetzungsprinzip grundsätzlich anwendbar ist. Verunreinigungen, Aussinterungsprodukte und Spuren von Eisenoxiden belegen die Rissflanken und verhindern einen Kraftschluss, vgl. Bild 1. Bild 1: Feuchte Risse mit ausgesintertem Calciumcarbonat und ausgetretenem Eisenoxid Die Rissursache zu erkunden entscheidet ebenso über die Dauerhaftigkeit einer Füllmaßnahme. Bei wiederkehrenden Rissursachen besteht keine Möglichkeit, Rissflanken dauerhaft kraftschlüssig mit starren Rissfüllstoffen zu verbinden, ohne eine Gefahr der Neurissbildung oder erneutes Aufreißen der Rissflankenverbindung einzuleiten. 4. Prinzipien und Verfahren, Füllziele In der Instandhaltungs-Richtlinie [3] werden in Anlehnung an DIN EN 1504-9 [11] der Korrosionsschutz des Betons und der Bewehrung als übergeordnete Instandsetzungsziele festgelegt. Dazu werden Instandsetzungsprinzipien beschrieben, die eingesetzt werden können, um Schäden zu vermeiden oder den gerade noch akzeptablen Ist-Zustand für eine definierte Restnutzungsdauer ausreichend zu stabilisieren. Das „Füllen von Rissen oder Hohlräumen“ gehört zu den dort geregelten Instandsetzungsverfahren. Drei von sechs definierten Prinzipien, die zum Schutz oder zur Instandsetzung von Beton dienen, befassen sich mit der Rissbehandlung bei gerissenem Betonuntergrund: 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 219 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen • Prinzip 1: Schutz gegen das Eindringen von Stoffen, • Prinzip 2: Regulierung des Wasserhaushalts des Betons, • Prinzip 4: Verstärkung des Betontragwerks. Zum Schutz und zur Instandsetzung von Bewehrungskorrosion wird das Verfahren „Füllen von Rissen oder Hohlräumen“ allein beim • Prinzip 7: Erhalt oder Wiederherstellung der Passivität behandelt. Bei diesem Prinzip geht es um den Erhalt oder die Wiederherstellung von elektrochemischen Bedingungen, bei denen die Betonstahlbewehrung ihren passiven Zustand beibehält oder zurückgewinnt. Den Instandsetzungszielen „Korrosionsschutz des Betons und der Bewehrung untergeordnet sind die Füllziele zur Rissbehandlung: • Schließen (Begrenzen der Rissbreite durch Füllen), • Abdichten, • kraftschlüssig Verbinden, • begrenzt dehnbar Verbinden. 5. Füllen mit kraftschlüssigen Rissfüllstoffen Kraftschlüssige Rissfüllstoffe können zum Schließen von Rissen, zum Abdichten und zum kraftschlüssigen Verbinden der Rissflanken herangezogen werden. I. d. R. werden Epoxidharze als polymere Stoffe eingesetzt, aber grundsätzlich können alle niedrigviskosen Reaktionsstoffe eingesetzt werden, die die Leistungsanforderungen erfüllen. Zementleime und Zementsuspensionen gehören zu den hydraulisch gebundenen kraftschlüssigen Rissfüllstoffen. Man unterscheidet für den kraftschlüssigen Verbund zwei Festigkeitsklassen bei der Haftzugfestigkeit: F1: f ct 3,0 N/ mm² (Kleinstwert 2,5 N/ mm²) F2: f ct 2,0 N/ mm² (Kleinstwert 1,5 N/ mm²) Hydraulische Rissfüllstoffe sind i. d. R. nicht so leistungsstark im Vergleich zu Epoxidharz bei trockenen Betonflanken. Sie eignen sich dennoch für das Füllen von Hohlräumen oder für Rissfüllungen, die den Prinzipien 1 (Schließen von Rissen), 2 (Regulierung des Wasserhaushaltes) oder 7 (Erhalt oder Wiederherstellung der Passivität) genügen sollen. Hierfür genügt die Festigkeitsklasse F3. Hierzu muss der hydraulische Rissfüllstoff auf jeden Fall eine 7-Tagesdruckfestigkeit von 20 N/ mm² aufweisen, es wurde kein Grenzwert für die Haftzugfestigkeit festgelegt, deshalb gilt: F3: angegebener Wert (H). Der Feuchtezustand im Riss oder Hohlraum beeinflusst signifikant die spezifischen Eigenfestigkeiten, denn anstehendes Wasser im Riss oder Hohlraum kann nicht durch den eindringenden Rissfüllstoff vollständig verdrängt werden. Es lässt sich vermuten, dass in Abhängigkeit vom einwirkenden Wasserdruck und anstehenden Injektionsdruck teilweise Vermengungen zwischen Rissfüllstoff und Wasser stattfinden [12, 13]. Ein Einfluss der Wasserbeimengung auf die Glasübergangstemperatur muss zudem beachtet werden. Es besteht die Gefahr, dass sich Glasübergangstemperaturen auf Gebrauchstemperaturen absenken. Wasser beeinflusst auch die Haftung zwischen dem Rissfüllstoff und der Betonflanke. Selbst wenn Rissfüllstoffe nicht direkt wasserunverträglich sind, so sind die Poren der Betonflanken mit Wasser gefüllt, und damit die wirksame Verbundfläche reduziert. Es findet auch keine „Verkrallung“ mit der porösen Betonoberfläche statt. Erwägt man den Einsatz eines Epoxidharzes bei Wasserkontakt, z. B. bei feuchten Rissflanken, so empfiehlt sich dringend, einen expliziten Nachweis über die Wasserverträglichkeit vom Produkthersteller anzufordern, in dem die Leistungsfähigkeit beschrieben ist, sie kann durchaus höher als beim Einsatz eines zementgebundenen Rissfüllstoffes ausfallen. Zementsuspensionen (ZS) und Zementleime (ZL) sind gegenüber Wasser unempfindlicher. Sie besitzen eine hohe Alkalität und bedienen neben den Füllzielen Schließen und Abdichten zugleich das Instandsetzungsprinzip 7 „Erhalt oder Wiederherstellung der Passivität der Bewehrung“. Sie bieten somit der Bewehrung auch einen guten Korrosionsschutz. Gute Füllgrade lassen sich bei den ZS-I und ZL-I im Niederdruckverfahren über Klebepacker erreichen. Anders als bei polymeren Rissfüllstoffen kann bei zementgebundenen Stoffen am Einpressnippel kein Kugelrückschlagventil verwendet werden, hier setzen sich die Zementkörner ab, es kommt zu Verstopfungen. Injektionen über Bohrpacker sind im Vergleich zu Klebepackern u. U. schwieriger ausführen, sofern im Bohrkanal befindliche Restmengen des Bohrmehls zu Verschlüssen führen. Hier empfehlen sich Nassbohrverfahren und Kernbohrungen. 6. Füllen mit dehnbaren Rissfüllstoffen Polyurethane sind weich-elastische Rissfüllstoffe zum dehnbaren Verbinden der Rissflanken. Sie können zum Schließen von Rissen, zum Abdichten und zum dehnbaren Verbinden der Rissflanken herangezogen werden. Polyurethane verbinden sich mit Wasser und bieten deshalb das breiteste Spektrum möglicher Anwendungen unter beliebigen Feuchtebedingungen im Riss. Polyurethanharze werden klassisch über Bohrpacker unter Verzicht einer im Vorlauf aufgetragenen Verdämmung injiziert (Bild 2). 220 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen Bild 2: PUR-Injektion ohne Verdämmung Vorteilhaft wirkt sich hierbei die beschleunigte Reaktion bei Wasserkontakt aus, das herauslaufende Polyurethan erhärtet schnell und bildet die eigene „Rissverdämmung“ aus. Die Steifigkeit des gerissenen Bauteils bleibt relativ unverändert erhalten, gleichzeitig wird eine abdichtende Wirkung gegen Flüssigkeiten erzielt. Polyurethan ist aus diesem Grund besonders für die Abdichtung gerissener Bauwerke mit wiederkehrender Rissursache geeignet. Der dehnbare Rissfüllstoff hat im Gebrauchszustand die Aufgabe, Rissbreitenänderungen mitzutragen. Die Leistungsfähigkeit dieser dehnbaren Verbindungen ist begrenzt, nachgewiesen werden müssen mindestens 10 % Dehnung bezogen auf die Injektionsrissbreite, deshalb sind die Risse vorzugsweise bei maximalen Breiten zu füllen, das bedeutet für die meisten zwangbeanspruchten Bauteile ein Füllen bei der niedrigsten Anwendungstemperatur, die je nach Produkt variiert, allerdings nie unter 3°C liegt. Polyurethan kann zwar wiederholt in überdehnte Risse injiziert werden, aber dennoch sollte der Sachkundige Planer vor der Abdichtungsmaßnahme die zu erwartenden Rissbreitenänderungen sinnvoll abschätzen oder messen, um grundsätzlich sicherzustellen, dass die Rissfüllstoffeigenschaften den Anforderungen grundsätzlich gerecht werden können. Wird bei unter Druck wasserführenden Rissen das injizierte Polyurethan immer wieder herausgespült und können weder Wasserhaltungsmaßnahmen durchgeführt, noch Entlastungsbohrungen gesetzt werden, oder greifen diese nicht, so besteht die Möglichkeit, schnellschäumende Polyurethane (SPUR) als Hilfsstoff in Teilbereiche oder hinter das Bauwerk vorab zu injizieren. Diese Polyurethanformulierungen haben einen hohen Isocyanatüberschuss und gehen mit Wasser unter Abspaltung von CO 2 eine chemische Verbindung ein, wodurch sich in Sekundenschnelle eine Schaumbildung einstellt, die den Wasserfluss reduziert. Für die Vorinjektion mit SPUR empfiehlt sich ein Setzen separater Bohrkanäle, die den Riss im hinteren wasserseitigen Viertel kreuzen, oder das Bauteil durchbohren, um ähnlich wie bei einer Schleierinjektion den Riss von außen mit dem SPUR partiell abzudichten. Das SPUR verliert rasch seine Elastizität, es versprödet durch die Alkalität des Betons. Das SPUR zählt deshalb nicht zu den dehnbaren Rissfüllstoffen. 7. Füllen mit quellfähigen Rissfüllstoffen Acrylatgele Gele sind extrem niedrig viskos und infolgedessen sehr gut injizierbar. Die Volumenzunahme bei Wasserkontakt wirkt abdichtend. Bei fehlendem Wasserkontakt schrumpft das Gelvolumen. Für einen eingeschränkten Anwendungsbereich wurden mittlerweile auch aufgrund von Forschungsergebnissen [14] bauaufsichtliche Zulassungen für die Anwendung in Stahlbetonbauteilen erteilt. Sie gelten für festgelegte Rezepturen mit beschränkten Startersalzzugaben und eingegrenztem Anwendungsbereich. Der Sachkundige Planer sollte neben der Risikoeinschätzung bezüglich des Korrosionsverhaltens von Bewehrungsstahl im Kontakt mit Acrylatgel auch Abschätzungen hinsichtlich zu erwartender Rissbewegungen im Gebrauchszustand vornehmen. Es besteht die Gefahr, dass bei hohen Quellgraden die Eigenfestigkeiten der Gele reduziert werden, und in Rissschließungsphasen die Gele herausgedrückt werden könnten. Literatur [1] Begrenzung der Rissbildung im Stahlbeton- und Spannbetonbau, DBV-Merkblatt, Fassung Mai 2016 [2] DAfStb-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie)“. Teil 1 - Teil 4. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton. Beuth Verlag GmbH, Berlin, Oktober 2001. [3] DAfStb-Richtlinie „Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungs-Richtlinie)“, Teil 1 - Teil 5. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton. Beuth Verlag GmbH, Berlin, Gelbdruckentwurf, 2016-06-14. [4] ZTV-ING „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke“, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2017 [5] Hinweise zu ZTV-ING, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2017 [6] ZTV-W LB 219 „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), BMVI, Abteilung Wasserstraßen, Schifffahrt, Ausgabe 2017. [7] BAWEmpfehlung Instandsetzungsprodukte - Hinweise für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Ausgabe 2019 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 221 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen [8] Technische Regel (DIBt) Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung), Fassung November 2019: Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung, Teil 2: Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung. [9] DIN V 18028 “Rissfüllstoffe nach DIN EN 15045: 2005-03 mit besonderen Eigenschaften“, Ausgabe 06.2006 [10] DIN EN 1504-5: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 5: Injektionen von Bauteilen. [11] DIN EN 1504-9 “Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung - Teil 9: Allgemeine Prinzipien für die Anwendung von Produkten und Systemen“, Ausgabe 11.2008 [12] Perbix, W.: Feuchteabhängiges Tragverhalten von Epoxidharzen für das kraftschlüssige Füllen von Rissen in Betonbauteilen. Dissertation, Technische Universität Braunschweig, 1993 [13] Cakir, G.: Das Verbundverhalten von Epoxidharz mit Beton bei variierenden Feuchtezuständen während der Rissinjektion, Master-Thesis, Universität Duisburg-Essen, 2017 [14] Eßer, A., Schnellenbach-Held, M.: Acrylatgele als Rissfüllstoff in Stahlbetonbauteilen, Untersuchungen zur Eignung gemäß DIN EN 1504-5, Schriftenreihe Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1095, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Bonn, 2013 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 223 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Von der Analyse des Ist-Zustandes zur objektspezifischen Ausführung der Instandsetzung Dipl.-Ing. Bodo Appel Berlin, Deutschland Zusammenfassung Zitat: „Das Füllen von Rissen ist so durchzuführen, dass das Entweichen von Wasser und/ oder Luft im Zuge der Injektion sicherzustellt ist.“ (ZTV-ING, Teil 3, Abschnitt 5, Pkt. 2.3.4 Grundsätzliches zur Ausführung von Injektionsarbeiten) [1] Die Analyse des Ist-Zustandes bildet die Grundlage für die Instandsetzung von riss- und hohlraumbedingten Undichtheiten an Betonbauteilen. Besonders die Einwirkung von Wasser kann zu sehr großen Schäden führen. Ausgehend von dem konstruktiven Aufbau und den Riss- und Hohlraummerkmalen werden die objektspezifischen Anforderungen für den Rissfüllstoff und die Technologie der Füllmaßnahme festgelegt. Der Grundsatz, dass das Wasser mit der Injektion aus der Konstruktion zu verdrängen ist, erfordert i.d.R. besondere Eigenschaften der Rissfüllstoffe und objektspezifische Ausführungen der Füllmaßnahmen. In der Praxis sind oftmals die in den Regelwerken beschriebenen Zustände nicht vorhanden, sodass abweichend von den Regeln Sondermaßnahmen zu planen und auszuführen sind. 1. Schadenssituation Nach Abschaltung der Wasserhaltung drang Grundwasser in eine Tiefgarage (WU-Konstruktion) aufgrund von riss- und hohlraumbedingten Undichtheiten der Betonkonstruktion ein. (Abb. 1 und 2) Wasser, das von den Außenseiten andrängt, dringt aufgrund einer undichten Betonkonstruktion ein und verteil sich durch porige Gefüge, Hohlräume, Risse sowie Arbeitsfugen in der Konstruktion. An den inneren Betonoberflächen sind die unterschiedlichen Zustände bzw. Schädigungen feststellbar. Das Ausmaß der Schäden, besonders in der Konstruktion, lässt sich nicht nur durch eine Inaugenscheinnahme bestimmen, es sollten zusätzlich Analysen der Herstellungsbedingungen und Auswertungen gezielter Entnahmen von Bohrkernen vorhanden sein. Damit ist es möglich, Rückschlüsse auf Schadenssrsachen der Infiltration und der Wegsamkeit/ Verteilung des Wassers zu ziehen, objektspezifische Anforderungen für den anzuwendenden Rissfüllstoff festzulegen und die Ausführung der Injektionsarbeiten zu planen. 224 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 1 Schadenssituation nach Fertigstellung der Tiefgarage und Abschaltung der Wasserhaltung Abb. 2 Schadens- und Feuchtezustand WF von Rissen und Hohlräumen an Betonoberflächen 2. Analyse des Ist-Zustandes Eine fachgerechte Instandsetzung von Betonbauteilen setzt die Kenntnis der Schadensursachen voraus. Die Bestandsaufnahme muss alle relevanten Merkmale der Rissbildung und die Einwirkungen auf das Bauteil beinhalten. In den Regelwerken für die Instandsetzung von Betonbauteilen sind die zu erfassenden Rissmerkmale, die Untersuchungsmethoden und Dokumentationen festgelegt. Insbesondere bei dem Zustand „Wasser in der Betonkonstruktion“ genügen diese Merkmale nicht aus. Die Herstellungsbedingungen des Betonbaus, die Ausführungsarten an den Unterseiten sowie bei Betonbauunterbrechungen und der Bewehrungsbau geben Aufschluss über mögliche Gefahren von Hohlraumbildungen. Die gezielte Entnahme Bohrkernentnahmen unter Beachtung der einwirkenden Einflüsse ermöglicht Schlussfolgerungen auf Gefügestörungen Rissverläufe in der Konstruktion. Diese umfangreiche Analyse des Ist-Zustandes ermöglicht eine objektspezifische Planung und fachgerechte Ausführung der Injektionsarbeiten. 2.1 Herstellungsbedingungen Die Erkundung von Herstellungsbedingungen, besonders die Beschaffenheit der äußeren Bauteiloberflächen ist für eine Beurteilung der Riss- und Holraumursachen von Bedeutung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 225 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 3 Herstellungsbedingungen am Bodenanschluss Hohlräume an den unteren Bodenanschlüssen und Gefügestörungen / Kiesnester an den Seitenflächen der Betonbauteile sind die Ursache für das Eindringen / Infiltration des andrängenden Wassers. (Abb. 3 und 4) Abb. 4 Herstellungsbedingungen an Seitenflächen Abb. 5 Darstellung der Infiltration von Wasser 2.2 Bohrkernentnahmen zur Erfassung der Risse- und Hohlraumerkmale Die Bohrkernentnahme als Untersuchungsmethode im Ausnahmefall sollte dann durchgeführt werden, wenn durch die Betrachtung aller einwirkenden Einflüsse keine eindeutige Analyse des Rissverlaufes in der Konstruktion möglich ist, ggf. Verbindungen mit Gefügestörungen / Hohlräumen bestehen und unterschiedliche Zustände der Rissflanken vorhanden sind. Vor einer gezielten Bohrkernentnahme kann Pressluft als einfaches Hilfsmittel für die Erkundung der Wasserverteilung in der Konstruktion eingesetzt werden. Gemäß den Vorgaben für die Anordnung von Packern bezogen auf das Bauteil werden ein oder mehrere Bohrlöcher hergestellt, die den Riss in der vorgegebenen Tiefe kreuzen. (Abb.6) Mit dem Einpressen von Luft und der Verdrängung des Wassers kann die Wegsamkeit und Verteilung in und aus der Konstruktion heraus erkundet werden. So wie sich die Pressluft in der Betonkonstruktion verteilt, kann sich mit der Ausführung der Injektionsarbeiten der Rissfüllstoff bei Beachtung der Reaktionseigenschaften verteilen. Abb. 6 Anwendung von Pressluft zur Erkundung der Wasserverteilung in der Konstruktion 226 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Nach Entnahme der Bohrkerne sind diese für die Erfassung der Riss- und Hohlraummerkmale auszuwerten. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Verlauf und der Zustand von Gefügestörungen (Hohräumen). (Abb. 7 bis 10) Abb. 7 Bohrkernentnahme mit Erkundung der Hohlräume Abb. 8 Zustand und Verlauf eines oberflächennahen Risses Abb. 9 Zustände der senkrechten und horizontalem Trennrisse und Hohlräume Abb. 10 Analyseergebnisse von Rissen und Hohlräumen nach Bohrkernentnahmen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 227 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Tabelle 1 Kriterien zur Auswahl eines Rissfüllstoffes 3. Leistungsmerkmale des zu verwendenden Rissfüllstoffes Aus der Analyse des Ist-Zustandes und unter Berücksichtigung der für das Betonbauteil maßgebliche Einwirkungen sind die erforderlichen objektspezifischen Anforderungen für den Rissfüllstoff und die geeignete Ausführung der Injektionsarbeit festzulegen. In der Tabelle 1 sind allgemeine Kriterien benannt. Für die o.g. Schadenssituation wurde objektspeziefisch ein polymerer Rissfüllstoff, PUR-Injektionsharz, mit speziellen wasserreaktiven Eingenschaften und einem hohem Dehnverhaltern eingesetzt. 4. Baustellenbericht zur Instandsetzung des Betonbauteils (WU-Bodenplatte) Vorab kurz eine Darstellung der Schadenssituation. Nach der Abschaltung der Grundwasserhaltung wurden erhebliche rissbedingte Undichtheiten an der Bodenplatte der Tiefgarage festgestellt. Eine grobe Rissanalyse ergab, dass Risse in regelmäßigen Abständen und mit unterschiedlichen Feuchtezuständen vorhanden waren. Teilweise trocken (DY), nass (WT), jedoch überwiegend unter Druck wasserführend (WF). Es wurden Rissbreiten in wesentlichen Bereichen von ca. 0,4 mm gemessen. Der HGW befand sich ca. 0,80 m über OK Bodenplatte. Der stetige Wasserdurchfluss führte zu nicht unerheblichen Pfützenbildungen. Der Auftrag zur Instandsetzung bestand darin, die rissbedingten Undichtheiten der WU-Bodenplatte durch Injektion abzudichten, wobei trockene Risse nicht zu befüllen waren. Es wurde keine Analyse des Ist-Zustandes, keine Untersuchung des Zustandes der Betonkonstruktion sowie der Wasserwegsamkeit in der Konstruktion durchgeführt. Abb. 11 Tiefgarage Abb. 12 Feuchtezustand (WF) eines Risses 228 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 13 Feuchtezustand (WT) einer Arbeitsfuge Abb. 14 Rissbreitenmessung Bei der Vorbereitung der Ausführung der Injektionsarbeiten wurde davon ausgegangen, dass aufgrund des einwirkenden hydrostatischen Wasserdruckes eine geringe Verformung der Bodenplatte, in Form einer Aufwölbung, vorhanden ist. Dadurch ist im Rissverlauf eine Verjüngung der Trennrisse zur Rückseite der Bodenplatte zu berücksichtigen. Die unterschiedlichen Feuchtezustände deuteten darauf hin, dass nur in bestimmten Bereichen Verbindungen mit dem außen andrängenden Grundwasser vorhanden sind. Auf Hohlräume in der Konstruktion konnte augenscheinlich nicht geschlossen werden, da Durchfeuchtungen immer in Verbindung mit Rissen oder Arbeitsfugen ersichtlich waren. Da es sich um ein dickwandiges Betonbauteil handelte wurden die Injektionsbohrungen so hergestellt, dass eine Verbindung mit den Rissen in unterschiedlichen Tiefen, mind. ca. 2/ 3 der Bauteildicke, erzielt wurden. Die Kontrolle der Verbindung der Bohrlöcher mit dem Riss erfolgte mit Pressluft. Mit dieser Maßnahme wurden bereits festgestellt, dass durch diese vorbereitenden Maßnahmen trockene Risse feucht bzw. nass wurden, obwohl oberflächlich keine sichtbaren Verbindungen zu den nassen Rissen zu erkennen waren. Dieser Sachverhalt hätte weiter untersucht werden müssen. Da teilweise die Bohrlöcher vor der Montage der Packer mit Wasser gefüllt waren, wurden die Risse nochmals über die Bohrlöcher mit Pressluft ausgeblasen. Dabei konnte festgestellt werden, wie das Wasser aus dem Riss entweicht. Abb. 15 Darstellung der Ausführung der Injektionsarbeiten Bei der Auswahl des Rissfüllstoffes wurde Folgendes beachtet: - Trennrisse mit Verlauf bis zum Bodenanschluss - sehr geringe Rissbreiten am Bodenanschluss - unterschiedliche Feuchtezustände - Unterschiede im Wasserdurchfluss. Merkmale des Rissfüllstoffes mit Bezug auf die objektspezifischen Anforderungen: - niedrige Viskosität - Reaktionsverhalten mit Einmischen von Wasser - Haftverbundeigenschaften für unter Druck wasserführende Risse - Rissfüllstoff für begrenzt dehnbares Verbinden (PUR-I) Das eingesetzte PUR-Injektionsharz eignet sich besonders für unter Druck wasserführende Risse mit geringen Durchflussmengen und geringen Rissbreiten. Es zeichnet sich durch eine sehr niedrige Viskosität und einer schnellen Wasserreaktivität aus. Die Reaktion durch die Einmischung von Wasser während der Injektion führt zu einem Anstieg der Viskosität und durch die Bildung geschlossenzelliger Poren erfolgt eine Volumenzunahme. Aufgrund dieser Eigenschaften konnte auf eine Vorinjektion mit einem SPUR-I verzichtet werden. Bei der Ausführung der Injektionsarbeiten am ersten Riss wurde solange durchgeführt, bis der Rissfüllstoff blasenfrei an den Oberflächen aus dem Risse austrat. Während der Injektion wurde festgestellt, dass trockene Risse, die sich an den feuchten bzw. wasserführenden Rissen an- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 229 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion schlossen, gefüllt wurden. Auch im direkten Umfeld vorhandene Nebenrisse und Poren wurde von den Füllmaßnahmen beeinflusst. Das Wasser der wasserführenden Risse wurde mit den ersten Injektionarbeiten nicht im vollen Umfang aus der Konstruktion heraus verdrängt, sondern in der Konstruktion verteilt. Abb. 16 Injektionsmaßnahme Abb. 17 Oberfläche nach der Injektion mit Haupt- und Nebenrissen Nach Beseitigung des ausgehärteten Rissfüllstoffleckagen konnte am Haupt- und den mitgefüllten Nebenrissen die Dichtheit optisch festgestellt werden. Mit weiteren Ausführungen von Injektionsarbeiten wurde festgestellt, dass an bereits behandelten dichten Bereichen erneute Durchfeuchtungen auftraten. Mit jeder Injektion wurden Veränderungen festgestellt. Bohrlöcher, die vermörtelt waren aber nicht für die Injektion verwendet wurden, zeigen Durchfeuchtungen. Erneute Nebenrisse wurden sichtbar und der Beton zeigte an der Oberfläche kapillare Durchfeuchtungen. Weitere Ausführungen von Füllmaßnahmen wurden eingestellt und aufgrund der aufgetretenen Durchfeuchtungen an den bereits behandelten Bereichen wurde die Ursachen erkundet. (Abb. 17) Abb. 18 Durchfeuchtungsschäden an bereits behandelten Rissen 230 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 19 Darstellung der Wasserverdrängungen während der Injektionsmaßnahmen Als erste Maßnahme zur Untersuchung der Ursache, wurden Bohrlöcher senkrecht in den Riss gebohrt. Dabei wurde festgestellt, dass der Beton bis in einer Tiefe von ca. 5 cm relativ trockenes Bohrmehl zeigte, dann zunehmend feuchter und schließlich nass wurde. (Abb. 18 und 19) Das im Bohrloch erkennbare Wasser trat jedoch nicht über das Bohrloch aus, sondern blieb auf einem gleichbleibenden Pegel stehen. Beobachtungen an darauffolgenden Tagen ohne Injektionsmaßnahmen zeigten, dass die flächigen Durchfeuchtungen abtrockneten. Abb. 20 Untersuchung des Feuchtezustandes an einem Nebenriss 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 231 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 21 Untersuchungen der Durchfeuchtungen am gefüllten Riss Fazit: Im Bereich der oberen Bewehrung befindet sich nach Ausführung der Injektion Wasser. Eine weitere Maßnahme zur Untersuchung der Rissmerkmale ist die gezielte Entnahme von Bohrkernen. Merkmale der Bohrkernuntersuchungen zu den Ursachen der erneuten Durchfeuchtungen: - Trennrisse die den Querschnitt des Bauteils durchtrennen - horizontal in unterschiedliche Ebenen verlaufende Verbundstörungen im Bereich der oberen Bewehrungslagen - Hohlräume direkt unter der Bewehrung im Bereich der oberen Bewehrungslagen - Wasserverdrängung in den Trennrissen, Verbundstörungen und Hohlräumen. Abb. 22 Bohrkerne aus unterschiedlichen Schadensbereichen Fazit: Die Injektionstechnologie ist nach den Gegebenheiten und Bedingungen am Bauteil als Sondermaßnahme festzulegen und weicht i.d.R. von den allgemeinen Regeln ab. Die Ausführung der Füllmaßnahmen zur Beseitigung der nachträglichen Durchfeuchtungen und zur Vermeidung der Wasserverdrängung in der Konstruktion wurde in Phasen notwendig. An den bereits behandelten Rissbereichen wurde mit einer Nachinjektion über senkrecht in den Rissen bis zu einer Tiefe von ca. 10 cm hergestellten Bohrlöchern und mit Pressluft beauflagt und anschließend erneut der Rissfüllstoff injiziert. Bei diesen Injektionen wurde festgestellt, dass im Rissverlauf keine Rissfüllstoffleckagen auftraten. Jedoch aus den benachbarten Packern und in unterschiedlichen Abständen von den Injektionsbohrungen entfernt zuerst erhebliche Mengen Wasser durch Risse oder porige Oberflächen austrat und anschließend der injizierte Rissfüllstoff. Abb. 23 Ausführung der Injektion am geschlossenen Riss mit Wasseraustritt im angrenzenden Bereich Abb. 24 Nach Injektionsmaßnahme erkennbarer Füllbereich durch Leckagen Nach Aushärtung des Rissfüllstoffes und Abtrocknung der Oberflächen konnte festgestellt werden, dass durch diese zweite Injektionsmaßnahme eine Verdrängung des Wassers aus den Hohlraumbereichen im oberflächennahen Bereich durchgeführt werden konnte. 232 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Für die weiteren Ausführungen der Füllmaßnahmen wurden zwei oder mehr Phasen der Injektion durchgeführt. Mit dieser Injekttionstechnolgie konnte sichergestellt werden, dass das Wasser aus der Konstruktion heraus verdrängt und eine Abdichtung der riss- und hohlraumbedingten Undichtheiten der WU-Betonbodenplatte erzielt werden konnte. (Abb. 25) Abb. 25 Ausführung der Injektionen zur dauerhaften Abdichtung Literaturangaben [1] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke ZTV-ING (2017/ 10) Teil 3 Massivbau, Abschnitt 5 Füllen von Rissen und Hohlrumen in Betonbauteile 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 233 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung Korrektes technisches Vorgehen gemäß neuer Regelwerke Götz Tintelnot TPH Bausysteme GmbH, Norderstedt Zusammenfassung Durch das EuGH Urteil von 2014 zu Zusatzanforderungen an Bauprodukte in Deutschland und dem daraus resultierenden Wegfall der bisherigen Nachweisführung und Ausschreibungspraxis hat sich baurechtlich für Bauunternehmen, Sachkundige Planer und die öffentliche Bauverwaltung eine neue Situation ergeben: Mit den harmonisierten europäischen Bauproduktnormen (hEN) lässt sich die Erfüllung der deutschen Bauwerksanforderungen nicht immer lückenlos nachweisen. Hierzu gibt auch die durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) veröffentlichte so genannte Prioritätenliste Aufschluss. Auf der Suche nach einer Lösung dieses Problems hat sich der öffentliche Bauherr im Jahre 2017 für die Einführung der BAWEmpfehlung (Bundesanstalt für Wasserbau) bei gleichzeitiger Novellierung der ZTV-ING und ZTV-W entschieden. Die Nachweisführung für einzelne Bauprodukte können seither entweder in Form von projektspezifischen Leistungsnachweisen gemäß Anforderung des Planers erbracht werden oder alternativ über ein freiwilliges DIBt Gutachten. Die Interaktion überlagernder Regelwerke bei der WU-Planung mit Rissen und deren Sanierung wird veranschaulicht. Die Grundsätze der Planung gemäß geltenden Regeln und Praxis wird erklärt, die Abhängigkeiten zwischen Rissarten, Rissursachen, Bauwerksnutzung, Lasteinträgen und den richtigen Füllstoffen wird schrittweise erläutert. Eine praxisorientierte, detaillierte Darstellung der Rissbehandlung wird schrittweise gezeigt, ebenso das notwendige Gerät in Abhängigkeit der Füllstoffe, Packerarten und Planung. 1. Einführung Für Bauunternehmen, Sachkundige Planer und die öffentliche Bauverwaltung ist eine neue baurechtliche Situation entstanden. Mit harmonisierten europäischen Bauproduktnormen (hEN) lässt sich die Erfüllung der deutschen Bauwerksanforderungen nicht immer lückenlos nachweisen. Durch die Neugestaltung der Musterbauordnung (MBO) [1] sowie die neue Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) [2] wird ein neues, anspruchsvolles Vorgehen aufgezeigt. Die Anforderungen an Instandhaltungsprodukte müssen für jedes Projekt aus den Anforderungen an das jeweilige Bauwerk abgeleitet werden. Die für die Betoninstandsetzung relevanten ZTV-W LB 219 [3] und ZTV-ING Teil 3, Abschnitt 4 und 5 [4] wurden bereits daran angepasst, dass standardisierte Qualitätsmerkmale, die zuvor Restnormen wie der DIN V 18028 [5] entsprechen mussten, nicht mehr gefordert werden dürfen. Stattdessen sind die Qualitätsmerkmale der zu verwendenden Rissinjektionsstoffe vom Auftraggeber bzw. durch den von diesem beauftragten Sachkundigen Planer für jedes Projekt einzeln festzulegen. Vor diesem Hintergrund wurde ebenfalls die BASt-Listung [6] eingestellt. Bild 1. Entstandene Lücken durch Wegfall deutscher Restnormen 234 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung 2. Regelwerke 2.1 Entstehung und Entwicklung baurechtlicher Normen und Regelwerke In Deutschland wurde bereits ab 1968 mit der Einführung der DIN 1045 der Umgang mit Stahlbeton geregelt. Ab 1988 wurde die ZTV-Riss, also die erste Regelung des öffentlichen Bauherrn zum Thema der Betoninstandsetzung eingeführt, die ab 1993 in die ZTV-ING mit dem Teil 3, Abs. 5 intrigiert wurde. Die 2001 eingeführte Instandsetzungsrichtlinie (IS-RL) [7] des Deutschen Ausschuss’ für Stahlbeton (DAfStb) regelt bis heute die Betoninstandsetzung in vier Teilen, zusätzlich führte er im Jahr 2003 die DAfStb-Richtlinie „Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton“ (WU-Richtlinie) ein, die in der Überarbeitung von Dezember 2017 ein Standardwerk für sachkundige Planer für das technisch korrekte Planen einer WU-Konstruktion darstellt. Auch in dieser WU-Richtlinie wird auf die Notwendigkeit einer Betoninstandsetzung in Zusammenhang mit der Entstehung und Planung von zum Beispiel Trennrissen gemäß der Entwurfsgrundsätze (EGS) A, B und C hingewiesen (A: Vermeidung von Trennrissen, B: Bauweise mit vielem kleinen Trennrissen, C: Bauweise mit wenigen breiten Trennrissen). Hier überlagern sich die Regelwerke, der sachkundige Planer muss nach zwei verschiedenen Regelwerken planen. Durch die Einführung der EN 1504-5 in Deutschland im Jahr 2007 musste die ZTV-ING Teil 3, Abs. 5 angepasst werden, die Anforderungsprüfungen zur Erfüllung der „Brauchbarkeit“ wurde nun innerhalb der DIN 18028 und 18026 für Instandsetzungsprodukte zusätzlich zur Leistungserklärung gemäß EN1504-5 geregelt. Durch das EuGH Urteil 2014 sah sich der Gesetzgeber genötigt, tiefgreifende Änderung im Baurecht durchzuführen. 2.2 Welche Konsequenzen hat das EuGH-Urteil für die Planung von Risssanierungen? Einige ausgewählte Zitate aus dem ergangenen Urteil des EuGH verdeutlichen die Tragweite in der Regelung der Nachweisführung von Rissfüllstoffen bzw. Instandsetzungsprodukte durch z.B. AbZ oder die DIN 18028 bzw. 18026. EuGH-Urteil, Randziffer 48: „(Selbst) wenn ein Mitgliedstaat eine bestehende harmonisierte Norm für lückenhaft hält, (…) kann ein Mitgliedstaat keine (…) einseitigen nationalen Maßnahmen treffen“ EuGH-Urteil, Randziffer 57: „Die Richtlinie 89/ 106 sieht Verfahren vor, anhand deren die Mitgliedstaaten gegen harmonisierte Normen vorgehen können (…).“ EuGH-Urteil, Randziffer 58: „Die in der Richtlinie 89/ 106 vorgesehenen Verfahren können (…) nicht als fakultativ angesehen werden, wenn ein Mitgliedstatt eine bestehende harmonisierte Norm für lückenhaft hält (…)“ EuGH-Urteil, Randziffer 52: „Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/ 106 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten von der Brauchbarkeit der Produkte ausgehen, die so beschaffen sind, dass die Bauwerke, für die sie verwendet werden, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung den wesentlichen Anforderungen nach Art. 3 entsprechen, wenn diese Produkte die CE-Kennzeichnung tragen, aus der hervorgeht, dass sie sämtlichen Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen. (Konzept der „Brauchbarkeit“ in der Bauproduktrichtlinie wurde nicht in die EU-BauPVO übernommen)“ Da das Konzept der „Brauchbarkeit“ der Instandsetzungsprodukte eben nicht mehr Bestandteil der Nachweisführung ist, sondern lediglich die Leistungserklärung gemäß EN 1504-5 beizubringen ist, muss nun der Sachkundige Planer je nach Einwirkungen auf das instand zu setzende Bauwerk und Bauteil und im Hinblick auf das Erreichen des jeweiligen Schutz- und Instandsetzungsziel festlegen, welche projektspezifischen Anforderungen an Rissinjektionsstoffe zu stellen sind. Mit „Brauchbarkeit“ ist im Übrigen die technische Eignungsprüfung durch beispielsweise die Rissbalkenprüfung oder eine vergleichbar realistische Anwendungsuntersuchung gemeint. 2.3 Derzeitige Hürden für Planer und Ausführende bei der Planung. Aktuell verlangen ZTV-W und ZTV-ING, dass der Sachkundige Planer die projektspezifischen Anforderungen an Rissinjektionsstoffe je nach Bauwerk festlegt. Die erforderlichen Nachweise sind vom jeweiligen Auftragnehmer, also der bauausführenden Firma an jeder einzusetzenden Charge zu führen. Ein solcher Nachweis für jedes Projekt bedeutet erhebliche Zeitaufwendungen sowie zeitliche Vorläufe - sowohl für Planer als auch für öffentliche Bauverwaltungen. 2.4 Gibt es aktuell einen technisch-juristischen konsistenten Planungsweg? Im Einführungserlass zur BAWEmpfehlung 2017 [9] sowie im Anhang der aktuellen ZTV-ING und ZTV-W sind DIBt-Gutachten als freiwillige Systemnachweise zur Qualitätssicherung vorgesehen. Diese Gutachten bescheinigen, dass ein harmonisiertes Bauprodukt mit CE- Kennzeichnung zusätzlich dazu auch die vom Hersteller angegebenen Leistungen für Bauwerksanforderungen in Deutschland erfüllt. Sie bieten für öffentliche Bauvorha- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 235 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung ben sowie für den Hoch- und Ingenieurbau eine komfortable Alternative zu aufwendigeren projektspezifischen Produktnachweisen. (MVV TB Abschnitt D 3) Das DIBt wurde als einzige in Deutschland benannte Stelle dieser Art (§ 30 BauPVO [10]) vom Bund mit der Erstellung solcher freiwilligen Gutachten beauftragt. Die Erstellung von Gutachten für Rissinjektionssysteme zur Betoninstandsetzung auf Grundlage der BAWEmpfehlung 2017 erfolgte durch offizielle Beauftragung des Bundesverkehrsministeriums. Als solche werden die Gutachten regelmäßig im Bereich des Verkehrswegebaus des Bundes als gleichwertige Alternative akzeptiert, sofern sie den projektspezifischen Anforderungen der Leistungsbeschreibung vollumfänglich genügen. (BAWBrief 01/ 2017 [11]) Bild 2. DIBt-Gutachten zum Lückenschluss gemäß MVV TB Abschnitt D 3 2.5 Rissinstandsetzungsarbeiten bereits bei Entwurfsgrundsätzen einplanen; konkrete Hinweise an WU- Planer gemäß WU-Richtlinie 2017: 12 In der aktuellen WU-Richtlinie wird auf die Notwendigkeit einer Betoninstandsetzung gemäß Instandhaltungsrichtlinie bzw. ZTV-ING und BAWEmpfehlung 2017 in Zusammenhang mit der Entstehung und Planung von zum Beispiel Trennrissen gemäß den Entwurfsgrundsätzen hingewiesen. Hier überlagern sich die Regelwerke: Der sachkundige Planer muss nach zwei verschiedenen Regelwerken planen. In den letzten Jahren haben sich im allgemeinen Hochbau die so genannten Frischbetonverbundfolien (FBV) als Alternative zur Rissinstandsetzung angeboten, die den rückwärtigen Wasserzutritt durch solche Trennrisse verhindern sollen. Trotz vorhandener AbP als Prüfnachweis sind diese Folien kein Bestandteil der Regelwerke. Damit schuldet der sachkundige Planer eine regelkonforme WU-Planung mit Instandsetzungskonzept gemäß geltenden Regeln. Es wird derzeit empfohlen, bis zur Einführung einer Überarbeitung der Instandsetzungsrichtlinie in Form der Technischen Regel Instandhaltung (TR-IH) die BA- WEmpfehlung mit ZTV-ING 2017 als Planungsgrundlage zu wählen. 3. Planung 3.1 Rissarten Die Bestimmung der Rissarten ist eine planerische Aufgabe und fällt in den Bereich eines Fachplaners, Gutachters oder Sachverständigen. Um einen Riss wirkungsvoll behandeln zu können, muss man zu allererst die Ursache des Risses feststellen, danach den Riss kategorisieren und zum Schluss den Riss genau benennen. In der Praxis werden die folgenden Rissarten unterschieden: 1. Längsrisse 2. Frostsprengungen 3. Risse längs der Bewehrung 4. Diagonal gerichtete Risse 5. Krakeleerisse 6. Schwindrisse 7. Trennrisse 8. Oberflächige Netzrisse 9. Längs- und Verbundrisse 10. Schubrisse 11. Unwirksame Fuge 12. Rostflecken 13. Biegerisse Bild 3. Übersicht der Rissarten 3.2 Rissursachen Es gibt unterschiedliche Ursachen für Risse im Beton, beispielsweise: • Schwindvorgänge • Temperaturspannungen • Bauteilüberlastung • Bauteilsetzung • fehlerhafte Dimensionierung der Bewehrung • Frost, Tau, Regen 236 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung • Bewehrungskorrosion • fehlende Nachbehandlung des Betons Sobald die Rissursache erkannt und der Riss kategorisiert ist, kann der Planer ein schlüssiges Konzept erarbeiten. Bild 4. Rissschaden Schwindvorgänge 3.3 Füllziele Gemäß ZTV-ING werden bestimmte Instandsetzungsziele je nach Bauwerk und dessen Funktion unterschieden. Ein Riss lässt sich gegen den Eintritt von Wasser, Feuchtigkeit oder Chloriden verschließen. Instandsetzungsziele können daher sein: • Abdichten • begrenzt dehnbares Verbinden • kraftschlüssiges Verbinden • optische Instandsetzung 3.4 Identifizierung von Rissfüllstoffen Gemäß ZTV-ING lässt sich der Feuchtezustand eines Risses in eine von vier Kategorien einordnen: • DY: trocken („Dry“) • D: feucht („Damp“) • WT: nass („Wet“) • WF: fließendes Wasser („Water Flow“) Gemäß ZTV-ING lässt sich die Verwendung eines Rissfüllstoffes in eine von drei Kategorien einordnen: • F: kraftschlüssiger Füllstoff („Force“) • D: dehnfähiger Füllstoff („Durable“) = begrenztes Füllen und Verbinden von Rissen • S: quellfähiger Füllstoff („Swellable“) Das Verfüllen eines Risses geschieht entweder durch Injektion (I) oder durch Vergießen (V). Entsprechend dieser ZTV-ING Einteilung ergeben sich die in folgender Tabelle aufgeführten Kürzel für die Kategorisierung von Rissfüllstoffen. Bild 5. ZTV-ING - Teil 3 Massivbau - Abschnitt 5: „Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen - Anhang A“ 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 237 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung 4. Praxis - Wie wird ein Riss verpresst? 4.1 Notwendiges Equipment Um einen Riss fachgerecht zu verpressen, benötigt man neben dem nötigen Werkzeug wie Bohrmaschine, Injektionsgerät und korrekten Rissfüllstoff auch die entsprechenden Einfüllstutzen (Packer) sowie das nötige Zubehör wie beispielsweise Zuleitungen und Mischer, Risslineal, Eimer und Pressluft zum Ausblasen der Bohrlöcher. Man unterscheidet zwei Arten von Packern, die je nach Einsatzzweck verwendet werden: Klebepacker finden Verwendung bei Sichtbeton und anderen Bauteilen, bei denen optische Aspekte eine Rolle spielen oder bei denen die Bewehrung nicht angegriffen werden darf. Die Packer werden mit speziellem Werkstoff direkt auf den Riss geklebt, so dass die Bauteiloberfläche weitestgehend instand bleibt. Im Gegensatz dazu wird das Bauteil für das Setzen von Bohrpackern angebohrt, was zu wesentlich höheren möglichen Injektionsdrücken und entsprechend tieferem Eindringen des Füllstoffes führt. Zudem wird etwaiges Nachverpressen mit höheren Drücken ermöglicht. Die Entscheidung über die Art der zu verwendenden Packer muss individuell vom Sachkundigen Planer getroffen werden. Die Wahl des Injektionsgerätes ist abhängig vom verwendeten Rissfüllstoff und kann beispielsweise in ein- oder zweikomponentiger Ausführung, als handbetriebene oder pneumatisch angetriebene Pumpe in unterschiedlichen Größen vorkommen; die Anzahl und Größe der zu verpressenden Risse ist hierbei entscheidend. 4.2 Fachgerechte Vorbereitung Ein wichtiger Punkt bei der Vorbereitung ist das Kennzeichnen des Risses auf der Bauteiloberfläche sowie das Anzeichnen der Punkte für die Positionierung der Packer, um der Bohr- und Injektionskolonne eindeutige Hinweise auf den zu verpressenden Riss zu geben. Anschließend wird der Riss in einer Zeichnung möglichst genau kartographiert, um die Instandsetzung später exakt dokumentieren zu können. Bei der Verwendung von Bohrpackern muss das Bohrmehl nach dem Bohren unbedingt mit Hilfe von Pressluft zunächst aus dem Bohrloch entfernt werden, bevor der Packer eingesetzt wird. Ansonsten ist ein korrektes Verfüllen nicht möglich, da der Staub das vollständige Eindringen des reinen Rissfüllstoffes in den Riss erschwert oder sogar verhindert. Bei Klebepackern ist zu beachten, dass vor dem Setzen des Packers eine ordnungsmäßige Untergrundvorbereitung vorgenommen wird: Die Stellen, wo ein Klebepacker angebracht werden soll, müssen vorher gereinigt werden - zum Beispiel mit einer Topfscheibe. Erst danach dürfen die Klebepacker mit Hilfe eines Nagels zentriert über dem Riss aufgesetzt werden. Hier ist zu beachten, dass die Verdämmung, gerade bei Verwendung von Klebepackern und insbesondere bei der kraftschlüssigen Rissinjektion, eine wichtige Voraussetzung für die Verteilung des Füllguts unter Druck darstellt. Vom Füllgrad wiederum ist der Erfolg der Maßnahme abhängig, in der Regel lässt sich eine misslungene Rissverfüllung nicht wieder heilen. Vor Herstellung der Verdämmung beziehungsweise dem Verkleben der Packer ist die Tragfähigkeit des Betonuntergrundes festzustellen, die gilt besonders bei niedrigen Altbetonklassen gemäß ZTV-ING 2017, beziehungsweise ZTV-W 2017. Der Packerabstand ist abhängig von der Bauteildicke. In der Regel entspricht der Packerabstand der halben Bauteildicke oder maximal 30 cm, gemäß ZTV-ING. Für Bohrpacker werden die Löcher im 45° Winkel gebohrt, um den Riss möglichst mittig anzuschneiden. 238 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung Bild 6. Anordnung der Packer in Standardfällen bei einer vorgegebenen Fülltiefe bis max. 600 mm [4] 4.3 Injektionsvorgang Nach korrektem Setzen der Packer erfolgt die Entnahme einer Rückstellprobe. Hierfür wird eine kleine Menge des zu verpressenden Rissfüllstoffes in einen bereitgestellten Behälter eingefüllt. Diese Rückstellprobe ist auch ein wichtiger Bestandteil der fachgerechten Dokumentation (siehe 4.4 Dokumentation). Anschließend erfolgt die Rissinjektion nach einem vom Sachkundigen Planer vorab festgelegten Injektionsplan. Die Injektion sollte aufgrund der Gravitation unbedingt von unten nach oben erfolgen; zudem muss die einmal gewählte Seitenrichtung links/ rechts oder rechts/ links während der gesamten Injektionen konsistent beibehalten werden. Abhängig vom zu verfüllenden Riss, des Füllziels und des Füllstoffes erfolgt eine oder mehrere Nachinjektionen. Die Rückstellprobe kann dabei Aufschluss über den Reaktionsgrad des Materials geben. Nach Ende der Aushärtezeit wird gegebenenfalls die Verdämmung abgeschlagen und die Packer entfernt. Im Anschluss daran werden die Bohrlöcher fachgerecht verschlossen, beispielsweise mit PCC-Mörtel (Polymer 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 239 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung Cement Conrete) und die Oberfläche gegebenenfalls optisch wiederhergestellt. 4.4 Dokumentation Zu einer Betoninstandsetzung mit Hilfe einer Rissinjektion gehört immer auch eine umfassende, lückenlose Dokumentation. Diese erlaubt unter anderem den späteren Nachweis der korrekten Planung und Ausführung der Betoninstandsetzung. Die folgenden Punkte gehören zu einer fachgerechten Dokumentation: • Basisdaten (Baustelle, Bauteil, Datum, Fehlstellenbezeichnung) • Witterung • Bauteiltemperatur • Risskartierung • Risslänge, Rissbreite • Füllgutbezeichnung, Hersteller, Chargen-Nr. • Prüfung der Vorbereitung (zum Beispiel Verdämmung) • verwendete Injektionsdrücke • eingebrachte Füllgutmenge (Menge oder Masse) Anhand der vor der Injektion genommenen Rückstellprobe des Injektionsmaterials kann der Verarbeiter nachweisen, dass das Material korrekt reagiert hat. Alle Informationen zur korrekten Dokumentation sowie standardisierte Formblätter findet man in der ZTV-ING Teil 3, Abschnitt 5. 5. Zusammenfassung Risse in Betonbauwerken sind systemimmanent und müssen entsprechend der aktuellen Regelwerke eingeplant werden. Jeder Riss ist einzeln zu bewerten und nach den aktuell geltenden technischen Richtlinien und Regelwerken auch einzeln zu behandeln. Mit Einführung der BAWEmpfehlung bei gleichzeitiger Novellierung der ZTV-ING und ZTV-W wurden entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen. Nachweisführung für einzelne Bauprodukte kann entweder in Form von projektspezifischen Leistungsnachweisen gemäß Anforderung des Planers erbracht werden oder alternativ über ein freiwilliges DIBt Gutachten. Dies gilt auch dort, wo es um die Planung von WU-Konstruktionen gemäß WU-Richtlinie geht. Ein WU-Planer ist verpflichtet, ein Instandsetzungskonzept vorzulegen. Das freiwillige DIBt Gutachten bietet Planern und Ausführern die Möglichkeit, auf einfache Art zu bescheinigen, dass ein harmonisiertes Bauprodukt mit CE-Kennzeichnung zusätzlich die vom Hersteller angegebenen Leistungen für Bauwerksanforderungen sicher erfüllt. Werden zudem die hier skizzierten Handlungsanweisungen zum korrekten Instandsetzen mittels Rissinjektion in der Praxis befolgt, so entspricht dies allen Anforderungen einer fachgerechten Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung. Literaturangaben [1] Bauministerkonferenz: Musterbauordnung (MBO) [2] DIBt (Hrsg.): Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB). Ausgabe 2017/ 1 mit Druckfehlerkorrektur vom 11. Dez. 2017. [3] ZTV-W LB 219 (2017): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), Ausgabe 2017. BMVI, Abteilung Wasserstraßen, Schifffahrt. [4] ZTV-ING Teil 3 Massivbau, Abschnitt 4 Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen und Abschnitt 5 Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen. Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 2017/ 10 [5] DIN V 18028: 2006-06 (zurückgezogen): Rissfüllstoffe nach DIN EN 1504-5: 2005-03 mit besonderen Eigenschaften [6] Bundesanstalt für Straßenwesen: Zusammenstellungen der geprüften/ zertifizierten Stoffe, Stoffsysteme und Bauteile für Bauwerke der Bundesfernstraßen [7] Deutschen Ausschuss für Stahlbeton: Richtlinie für Instandsetzung von Betonbauteilen - Oktober 2001 [7] DIBt: Prioritätenliste für die Überarbeitung defizitärer harmonisierter Bauproduktnormen. Stand 25. Februar 2019 [8] Europäischer Gerichtshof: Urteil C-100/ 13 vom 16. Oktober 2014 [9] BAW Bundesanstalt für Wasserbau: BAWEmpfehlung Instandsetzungsprodukte - Hinweise für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren, Ausgabe 2019 [10] Bau PVO: Verordnung (Eu) Nr. 305/ 2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/ 106/ EWG des Rates [11] Westendarp, A.: Betoninstandsetzung im Verkehrswasserbau - Überarbeitung der ZTV-W LB 219 und der zugehörigen Regelwerke. BAWBrief 01/ 2017 Textilbeton 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 243 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung Sebastian May CARBOCON GmbH, Dresden, Deutschland Alexander Schumann CARBOCON GmbH, Dresden, Deutschland Frank Schladitz Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland Zusammenfassung Die Ertüchtigung von bestehenden Bauwerken stellt Planer und Bauherren immer häufiger vor große Herausforderungen. So sind häufig aus architektonischen, historischen aber auch statischen Gesichtspunkten Sanierungen und Verstärkungen von Tragstrukturen ohne größere Baumaßnahmen nicht möglich. Soll zusätzlich die Trag- und Gebrauchstauglichkeit wiederhergestellt oder verbessert werden z. B. infolge Dauerhaftigkeitsproblemen der Stahlbewehrung kann dies meistens nur mit ressourcenintensiven, aufwendigen und bestandsbelastenden Maßnahmen erfolgen (z. B. Ergänzung von massiven Verstärkungen aus Stahlbeton oder Teilabriss und Neubau). Eine wirtschaftliche und bereits des Öfteren angewendete Alternative ist die Verstärkung mit Carbonbeton. Durch seine hohe Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit bei minimalen Schichtdicken überzeugt der innovative und noch relativ neue Werkstoff gegenüber herkömmlichen Maßnahmen. Im Rahmen des Berichts werden neben den planerischen Leistungen beim Anwenden der vorhandenen allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung zum Verstärken mit Textil-/ Carbonbeton auch die Ausführung auf der Baustelle ausführlich gezeigt. Ebenso sind die planerischen Schritte für eine Zustimmung im Einzelfall - welche häufig im vornherein überschätzt werden - nachvollziehbar dargestellt. Abschließend werden neben den Bearbeitungsinhalten bei jetzigen Planungsprojekten aktuelle Ausführungsbeispiele im Brücken- und Hochbau gezeigt. 1. Einleitung Der Stahlbeton ist in den letzten knapp 200 Jahren seit seiner Entwicklung 1855, u.a. durch Joseph Monier. zum wichtigsten Baumaterial der Welt geworden. Es gibt neben zahlreichen Vorteilen des Materials (u. a. Festigkeit, Formgestaltung) auch einige gravierende Nachteile. So werden jährlich mehrere Milliarden Kubikmeter an Beton weltweit verbaut. Dabei werden neben dem Verbrauch von Ressourcen auch über 4,5 Milliarden Tonnen an hergestelltem Zement verbraucht. Die Herstellung einer Tonne Zement ist in Deutschland mit rund 600 kg CO 2 -Emission verbunden. Das Bauwesen gilt daher als einer der treibenden Faktoren bei der Klimaerwärmung. Ein weiterer Nachteil des Stahlbetons sind seine Dauerhaftigkeitsprobleme. Bei unzureichender oder fehlender Betondeckung fängt die Stahlbewehrung an zu korrodieren. In Deutschland wurden zahlreiche Bauwerke im Brücken- und Hochbau mit dem Verbundmaterial Stahlbeton in der Nachkriegszeit errichtet und sind mit einem Alter von ca. 60 Jahren an ihre ursprüngliche Lebensdauer angelangt, siehe u. a. [1]. Infolge von Nutzungsänderungen und höheren Beanspruchungen sowie normativen Änderungen gegenüber der ursprünglichen Planung sind zahlreiche Bauwerke normativ nicht mehr ausreichend tragfähig. Sollten konventionelle Instandsetzungsmaßnahmen aufgrund von statischen, architektonischen oder planerischen Gründen nicht funktionieren, werden die Bauwerke häufig teil- oder vollabgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Eine bereits des Öfteren verwendete Alternative zur Verstärkung solcher Bauwerke stellt der Verbundwerkstoff Textilbzw. Carbonbeton dar. Dieses innovative Baumaterial ist seit über 20 Jahren erforscht und besteht aus einer gitterartigen textilen Carbonbewehrung und einem feinkörnigen Hochleistungsbeton. Aufgrund seiner hervorragen Eigenschaften hat sich dieses Material in zahlreichen Anwendungen bewährt. Die neuartige Carbonbewehrung korrodiert nicht und besitzt eine hohe Tragfähigkeit. Somit kann der Carbonbeton insbesondere für dünne Schichten und Bauteile erfolgreich einge- 244 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung setzt werden. Das zeigen sowohl die Anwendungen im Bereich des Neubaus, wie z. B. Fassadenelementen und Schalentragwerken (vgl. z. B. [2], [3]), als auch bei der Verwendung zum Instandsetzen/ Verstärken für verschiedenste Tragwerke im Hoch- und Brückenbau (vgl. z. B. [4], [5], [6] und [6]). 2. Allgemeine Informationen zur Carbonbeton- Verstärkung Die Vorteile einer Verstärkung mit Carbonbeton sind vielfältig. Bestandskonstruktionen können mit wenigen Millimetern Carbonbeton saniert oder statisch verstärkt werden. Durch die dünnen Schichtdicken (vgl. Abbildung 1) werden nur sehr geringe Zusatzlasten infolge Eigenlasten in das Bauteil getragen und die Optik der oft denkmalgeschützten Bauwerke bleibt erhalten. Die dünnen Schichtstärke sind ausreichend zur Aufnahme der Verbundspannungen zwischen Verstärkungsbeton und Gelege. Die Carbongelege der aktuellen Anwendungen weisen dabei charakteristische Zugfestigkeiten oberhalb von 2.000 N/ mm² auf, weshalb i. d. R. eine Verstärkung mit 1 - 2 Lagen Carbonmatten (Carbongelegen) ausreicht (entspricht einer Carbonbeton Schichtstärke von 10 - 15 mm). Abbildung 1: Aufbau einer Carbonbeton-Verstärkung Foto, links: SGL Group, rechts: CARBOCON Diese Carbongelege wurde in den letzten Jahren ausreichend erforscht und hinsichtlich ihrer Anwendung in der Praxis durch Projekte bestätigt (siehe folgende Abschnitte). Durch eine einlagige Carbonbetonverstärkung kann die Biegetragfähigkeit im Versuch um das 3 - 4-fache angehoben werden [7]. Einachsial tragende Gelege können dabei statisch nur in eine Richtung angesetzt werden (analog R-Matte im Stahlbetonbau), siehe u. a. [8]. Zweiachsial tragende Carbongelege (analog Q-Matte) können in beide Richtungen statisch angesetzt werden. Aufgrund des flächigen Eintrags der Kraft der Carbongelege der Verstärkungsschicht in den Bestand kann auf eine zusätzliche Verdübelung der Verbundfuge, wie bei der herkömmlichen Spritzbetonverstärkung erforderlich, verzichtet werden. Die Ausführung ist daher weniger schädigend für das Bestandsbauwerk und kann aufgrund der leichten Bewehrungsstruktur sowie der geringen Feinbetonschicht zügiger und somit wirtschaftlicher erfolgen. Durch den geringeren Materialverbrauch beim Verstärkungsbeton aufgrund der dünnen Schichtstärken können sowohl wertvolle Ressourcen, wie z. B. Sand, aber auch CO 2 -Emissionen eingespart werden, was der Carbonbeton-Verstärkung im Thema Nachhaltigkeit zu Gute kommt. Des Weiteren entstehen keine „Abfallprodukte“ (Bauschutt), da die Gebäude nicht abgerissen werden und somit nachhaltig und ökologisch weitergenutzt werden können. Ein weiterer signifikanter Vorteil für den Carbonbeton ist, dass dieser weit über die beim Stahlbeton angestrebten Lebenszeiten von 50 bis 100 Jahren hinaus ausgelegt werden kann. Aufgrund der guten Dauerhaftigkeitseigenschaften der Carbonbewehrungen sind Lebensdauern von über 100 Jahren möglich. 3. Planungsschritte einer Carbonbeton-Verstärkung Der Carbonbeton unterliegt zum jetzigen Zeitpunkt keiner normativen Regelung oder Richtlinie in Deutschland. Die Planung, Berechnung und Ausführung sind jedoch in der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) [8] zum Verstärken mit Carbon-/ Textilbeton geregelt. In dieser abZ sind Anwendungsbereiche, Materialien und technische Regelungen für die Ausführung beschrieben. Die Zulassung wurde erstmalig bereits 2014 erteilt und diente als Grundlage für zahlreiche ausgeführte Verstärkungsmaßnahmen (siehe Abschnitt 4 und 5). Aufgrund der materialspezifischen Weiterentwicklung der Carbongelege in den vergangenen Jahren und dem teils beschränkten Anwendungsbereich der abZ sind häufig - aufbauend auf den Regelungen der abZ - Zustimmungen im Einzelfall (ZiE) bzw. vorhabenbezogene Bauartengenehmigungen (vBG) erforderlich. Viele Bauherren und beteiligte Planer verbinden mit einer ZiE und dem damit einhergehenden Planungsprozess zusätzliche Kosten und Terminprobleme, weshalb häufig anstelle des Carbonbetons auf eine konventionelle Baumaßnahme zurückgegriffen wird. Betrachtet man jedoch alle Kosten (Planung, Ausführung, Unterhaltung) sind die Bedenken nicht gerechtfertigt und der Carbonbeton ist schon jetzt wirtschaftlicher. In den nächsten Abschnitten werden die Planungsschritte für eine Carbonbetonverstärkung geschildert. Bedingt durch die genannten Vorteile des Carbonbetons und der oft vorhandenen Nachteile konventioneller Verstärkungsmaßnahmen entscheiden sich Bauherren und Architekten/ Planer für die Verstärkung mit Carbonbeton. Nach einer Rücksprache mit den projektbeteiligten Partnern werden die Randbedingungen und Anforderungen an die Baumaßnahme geklärt. Hierbei wird zu Beginn, als Teil einer Machbarkeitsstudie, überprüft, ob und in welchem Rahmen der Carbonbeton angewendet werden kann. Dabei wird erörtert, ob die vorhandene abZ ausreicht oder eine ZiE notwendig wird. Bei positiver Beurteilung der Studie und Entscheidung für die Carbonbeton-Verstärkung werden als Nächstes die Materialien festgelegt. Anhand dieser kann der Planer den benötigten 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 245 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung Verstärkungsgrad (Lagenanzahl) bestimmen. Sollte dabei während der ersten beiden Schritte festgestellt werden, dass die Materialien der abZ [8] nicht zur Anwendung kommen und das Projekt außerhalb des Anwendungsgebietes der abZ [8] liegt, muss nun das Versuchskonzept für die ZiE erarbeitet werden. Die Erstellung dieses Konzeptes basiert auf dem Knowhow des Planers bzw. Gutachters für die Carbonbeton-Verstärkung und erfolgt unter Einbeziehung der Projektbeteiligten sowie der zugehörigen Prüfstelle des jeweiligen Bundeslandes. Nur durch regen Austausch aller Partner im Projekt kann die ZiE erfolgreich in den Planungsprozess (Leistungsphasen nach HOAI) eingeordnet werden. Im nächsten Schritt werden die bisherigen Ergebnisse zum Carbonbeton zusammengestellt. Durch vorhandene Versuchsergebnisse aus der Forschung sowie ggf. bisherigen Praxisprojekten und einer nationalen und internationalen Literatur-/ Richtlinienrecherche lässt sich das Versuchsprogramm in Absprache mit den bauaufsichtlichen Behörden oft deutlich reduzieren. Dadurch können Kosten und Zeit im Projekt gespart werden. Diese Phase läuft meist schon parallel zur Erstellung des Versuchskonzeptes der ZiE. Im Anschluss daran erfolgt die Prüfung der fehlenden Materialkennwerte in Abhängigkeit der jeweiligen projektbezogenen Randbedingungen (vgl. Abbildung 2). Dabei werden u. a. Abminderungsfaktoren für äußere Einflüsse (z. B. Temperatur, Expositionsklasse) im Versuch für die Carbonbewehrung und bei Bedarf für den Beton bestimmt. Abbildung 2: Prüfung Zugfestigkeit des Geleges im Dehnkörper (links: Raumtemperatur; rechts: erhöhte Temperatur mittels Heizstrahler) Sollten darüber hinaus Großbauteilversuche zur Bestätigung der Ingenieurmodelle und zur Überprüfung der Übertragbarkeit der Materialkennwerte aus den kleinteiligen Versuchen sowie der Statik erforderlich sein, sind die zu verstärkenden Bauteile in Anlehnung an das reale Bauteil/ Bauwerk zu konzeptionieren und zu bemessen. Dabei muss das Bauteil hinsichtlich der nachzuweisenden Versagensart dimensioniert sein. Sind diese Bedingungen erfüllt, wird anschließend das Bauteil hergestellt und verstärkt. Des Weiteren muss hierbei der Versuchsstand unter Einhaltung der ZiE-Randbedingungen des nachzuweisenden Bauteils sowie der örtlichen Bedingungen des Prüflabors geplant werden (vgl. Abbildung 3). Dabei muss das verstärkte Bauteil die erforderliche Laststeigerung im Versuch aufweisen und i. d. R. auch die vorhergesagte Versagensart nach Erreichen des benötigten Lastniveaus abbilden. Hierbei sind des Weiteren vorab die Lastkapazität der Prüfmaschine für den Bauteilversuch sowie die Einrichtung der Labore (z. B. Hebezeug der Labore für Bauteil, Messtechnik) zu berücksichtigen. Abbildung 3: Querkraftversuch eines verstärkten T-Trägers in Kooperation mit der Universität Innsbruck Foto: CARBOCON Als Letztes werden im Rahmen des Gutachtens zur ZiE die Kennwerte aus der Statik mit den Versuchsergebnissen überprüft sowie Prüfempfehlungen für begleitende Bauteilversuche während der Ausführung (Fremdüberwachung) erstellt. 4. Ausführung einer Carbonbeton-Verstärkung am Beispiel der Hyparschale in Magdeburg Die Baumaßnahme „Verstärkung der Hyparschale Magdeburg mit Carbonbeton“ soll die einzelnen Ausführungsschritte zeigen. Das Schalentragwerk von Ulrich Müther wurde 1969 errichtet und war über Jahrzehnte eines der größten Schalenbauwerke Deutschlands (Abbildung 4). Im Jahr 1990 wurde das Bauwerk unter Denkmalschutz gestellt. Infolge nicht ausreichender Instandsetzungsarbeiten musste das Objekt 1997 aufgrund von Mängeln und Abnutzungserscheinungen gesperrt werden [4]. Im Rahmen von Voruntersuchungen stellte sich die Maßnahme „Verstärken mit Carbonbeton“ aufgrund des minimalen Materialverbrauchs, deutlich geringerer Ausführungskosten sowie dem minimal invasiven Eingriff in die Bestandsstruktur als wirtschaftlichste Variante unter Berücksichtigung der ZiE-Versuchs- und Planungskosten dar. Des Weiteren sprach ebenso die schnelle Ausführung der Verstärkung für den Carbonbeton. 246 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung Abbildung 4: Hyparschale Magdeburg vor der Verstärkung Foto: CARBOCON Als erster Schritt wird die zu verstärkende Betonoberfläche gemäß [9] von Aufbauten (z. B. Abdichtung) befreit und anschließend mit einem geeigneten Verfahren (z. B. Sandstrahlen bzw. Feststoffstrahlen) aufgeraut. Die geforderte Rautiefe zur Sicherstellung des Verbundes zwischen Altbeton und Verstärkungsbeton wird anschließend kontrolliert (Abbildung 5). Hier kann u. a. das Sandverfahren nach Kaufmann [10] verwendet werden. Die allgemeinen Anforderungen (z. B. Vorbehandlung) an die zu verstärkende Oberfläche sind in [8] geregelt, Abweichungen oder zusätzliche Anforderungen werden im Gutachten zur ZiE bestimmt. Abbildung 5: Überprüfung der Oberflächenbeschaffenheit Foto: CARBOCON Im Anschluss daran wird die Feinbetonschicht mit einer Stärke ca. 5 mm im Spritzverfahren aufgebracht (Abbildung 6). Dafür wurde der in der abZ [8] geregelte Feinbeton verwendet werden. Alternativ kann der Feinbeton im Laminierverfahren aufgetragen werden. Abbildung 6: Auftragen der ersten Feinbetonschicht Foto: CARBOCON Als Nächstes wird das Carbongelege - welches als Matten- oder Rollenware erhältlich ist - in den frischen Feinbeton eingearbeitet. Dabei können sowohl einachsiale Gelege entsprechend der abZ [8] oder weiterentwickelte zweiachsial tragende Gelege wie in Magedeburg verwendet werden. Zur Sicherstellung des einwandfreien Kontakts der beiden Materialien wird das Gelege mit Glättkellen leicht in den Feinbeton gedrückt (Abbildung 7). Daran anschließend wird die nächste Feinbetonschicht mit einer Schichtstärke von ca. 5 mm aufgebracht. Dieser Vorgang „Gelege + Feinbeton“ kann nach erforderlichem Verstärkungsgrad wiederholt werden. Abbildung 7: Einarbeiten des Carbongeleges Foto: CARBOCON Aufgrund der relativ feinen aber hochfesten Struktur des Carbongeleges und der damit verbundenen flächigen Einleitung der Querzugspannungen der Verstärkung in den Bestand ist eine zusätzliche Verdübelung, wie bei der herkömmlichen Spritzverstärkung, nicht erforderlich. Dadurch können u. a. Dauerhaftigkeitsprobleme infolge Eintrags von Feuchte in den Bestand ausgeschlossen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 247 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung Abbildung 8: Nachbehandlung der Carbonbetonverstärkung Foto: CARBOCON Die obere Betonschicht wird abschließend glatt abgezogen und nachbehandelt (z. B. feuchte Jutebahnen), siehe Abbildung 8. Eine größere Betondeckung ist für das Gelege aufgrund seiner Resistenz gegen äußere Medien nicht nötig. Für das Projekt Hyparschale Magdeburg ist eine Verstärkungsschicht von gerade einmal 10 mm auf der Schalenober- und -unterseite ausreichend, um das Bestandsbauwerk statisch nach aktueller Normung zu ertüchtigen und hinsichtlich der Dauerhaftigkeit aufgrund des sehr feinen Rissbildes mit sehr geringen Rissbreiten zu verbessern. 5. Weitere Ausführungsbeispiele mit Carbonbeton- Verstärkung Die folgenden Projekte sollen beispielhaft die Anwendung des Carbonbetons im Bereich der Verstärkung zeigen. Bei diesen Bauwerken hat sich die effiziente Instandsetzungsmaßnahme sowohl aus wirtschaftlicher als auch technischer und architektonischer Sicht durchgesetzt. Der Beyer-Bau der Technischen Universität (TU) Dresden ist eines der ältesten Bestandsgebäude des Universitätsgeländes (vgl. Abbildung 9). In dem Gebäude befindet sich die Fakultät der Bauingenieure, welche in den vergangenen Jahren den Carbonbeton für die Verstärkung erforscht haben. Jetzt wird dieses Gebäude mit dem innovativen Carbonbeton verstärkt. Abweichend von der abZ [8] wird die Verstärkung neben den Deckenfeldern auch an den Unterzügen im Bereich der Biegezugzone angeordnet. Diese Konfiguration wurde im Rahmen des ZiE- Prozesses rechnerisch und experimentell nachgewiesen. Abbildung 9: Verstärkung des Beyer-Baus (Fakultät Bauingenieure) der TU Dresden Foto: CARBOCON Der Carbonbeton wurde neben der Verstärkung im Hochbau auch schon im Brückenbau erfolgreich angewendet. In Abbildung 10 wird eine Autobahnbrücke in Hessen gezeigt, welche im dritten und vierten Quartal 2020 auf der Unter- und Oberseite mit bis zu 6 Lagen Carbongelege verstärkt wurde. Bei der Brücke handelt es sich um eine vorgespannte Mehrfeldbrücke mit rechnerischen Defiziten im Bereich der Robustheitsbewehrung infolge des möglichen Ausfalls spannungsrissgefährdeter Spannglieder. Zwar wurden experimentelle Versuche zur Bestätigung der entwickelten Ingenieuransätze durchgeführt, die Kennwerte des Carbongeleges wurden jedoch aus bestehenden Ergebnissen aus der Literatur übernommen. Abbildung 10: Verstärkung einer Autobahnbrücke in Hessen Foto: Oliver Steinbock, cbing Ein zweites aktuelles Projekt im Brückenbau ist die Verstärkung einer Brücke bzw. Durchführung unter einer Autobahn in Nordrhein-Westfalen (vgl. Abbildung 11). Bedingt durch die zu erhaltende Durchflussbreite des Flusses und der Überschüttung des Querschnittes mit mehreren Metern Bodenmaterial, wird bei dem Bauwerk eine dünne Schale aus Carbonbeton als Neubau unter dem vorhandenen Bestand geplant. Diese Konstruktion wird alle Lasten des Bestandsbauwerk aufnehmen. Für 248 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung die Maßnahme wurde sich entschieden, da sie sowohl dauerhafter aber auch deutlich wirtschaftlicher gegenüber herkömmlichen Maßnahmen (z. B. Abriss und Neubau) ist. Abbildung 11: Verstärkung einer Autobahnbrücke in Nordrhein-Westfalen Foto: CARBOCON Als letztes Projekt wird auf die denkmalgeschützte Brücke Thainburg in Naumburg verwiesen (siehe Abbildung 12). Die Fußgängerbrücke wurde 1894 in Monierbauweise errichtet und ist aufgrund seiner geringen Konstruktionshöhe und dem niedrigen Bogenstich bei einer Spannweite von knapp 15 m ingenieurtechnisch herausragend. Die Genehmigungsplanung und ZiE wurde aufbauend auf der abZ [8] geplant und erteilt. Durch eine argumentative ZiE-Planung wurden keine Versuche zur Erlangung der Genehmigung benötigt. Aufgrund von Corona und der aktuellen Bausituation in Deutschland wurde die Ausführung auf voraussichtlich 2021 verschoben. Abbildung 12: Verstärkung der Brücke Thainburg in Naumburg Foto: CARBOCON 6. Zusammenfassung und Ausblick Anhand der gezeigten Vorteile zum Verstärken mit Carbonbeton hat sich die neuartige Bauweise schon jetzt in zahlreichen Bereichen sowohl wirtschaftlich als auch technisch durchgesetzt. Der ggf. zusätzliche Planungsaufwand einer ZiE lässt sich durch eine frühzeitige Integration in den Planungsprozess ohne zeitlichen Verzug des Projektes integrieren und umsetzen. Durch die schlanke, materialsparende und nachhaltige Carbonbetonverstärkung können Bestandsgebäude durch minimalen Eingriff dauerhaft und effizient verstärkt werden. Die Ausführungskosten der Carbonbetonverstärkung - trotz der etwas preisintensiveren Carbonbewehrungen - sind bereits heute aufgrund der zuvor beschriebenen Vorteile mehr als konkurrenzfähig im Vergleich zu herkömmlichen Verstärkungsvarianten oder zum oftmals erforderlichen Abriss und Ersatzneubau. Literatur [1] Naumann J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. In: DBV - Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E. V. (Hrsg.), DBV-Heft 22, Berlin, 2011. [2] Rempel, S.; Will, N.; Hegger, J.; Beul, P.: Filigrane Bauwerke aus Textilbeton. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), Heft S1, S. 83-93. [3] Müller, E.; Scheerer, S., Curbach, M.: Material and space saving carbon concrete elements. Civil Engineering Design 1 (2019), Heft 1, S. 3-9. [4] Hentschel, M.; Schumann, A.; Urlich, H.; Jentzsch, S.: Sanierung der Hyparschale Magdeburg. Bautechnik 96 (2019), Heft 1, S. 25-30. [5] Erhard, E.; Weiland, S.; Lorenz, E.; Schladitz, F.; Beckmann, B.; Curbach, M.: Anwendungsbeispiele für Textilbetonverstärkung: Instandsetzung und Verstärkung bestehender Tragwerke mit Textilbeton. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), Heft S1, S. 74-82. [6] Al-Jamous, A.; Uhlig, K.: Sanierung der historischen Betonbogenbrücke in Naila. In: Curbach, M. (Hrsg.): Tagungsband zum 27. Dresdner Brückenbausymposium am 13. und 14.3.2017 in Dresden, Dresden: Institut für Massivbau der TU Dresden, 2017, S. 71-78. [7] Müller, E.; Schmidt, A.; Schumann, A.; May, S.; Curbach, M: Biegeverstärkung mit Carbonbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2020). doi: 10.1002/ best.202000012. [8] Z-31.10-182: Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit TUDALIT (Textilbewehrter Beton). Geltungsdauer 2016-2021. [9] DAfStb-Instandsetzungs-Richtlinie: Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (2001); Teil 1-4. [10] Kaufmann, N: Das Sandflächenverfahren. Straßenbautechnik 24 (1971), Nr. 3, S. 131-135. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 249 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen Amir Rahimi, Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Cynthia Morales Cruz, Michael Raupach Institut für Baustoffforschung (ibac) RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Bei der Instandsetzung gerissener Betonbauteile mit unbewehrten, dünnschichtig aufgebrachten Spritzmörteln können Risse aus dem Betonuntergrund bereits infolge temperaturbedingter Rissbreitenänderungen in das Instandsetzungssystem durchschlagen. Konventionelle Bewehrung aus Betonstahl zur Rissüberbrückung kann bei geringen Schichtdicken aus Korrosionsschutzgründen im Regelfall nicht eingesetzt werden. Mit dem neuen BAWMerkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“ wird nunmehr der Einsatz von korrosionsunkritischen textilbewehrten Betonersatzsystemen zur Instandsetzung von Beton- und Stahlbetonbauwerken geregelt. Die Vorgaben gelten nicht nur für Verkehrswasserbauwerke, sondern können auch in anderen Baubereichen unter definierten Randbedingungen und Beanspruchungsszenarien Anwendung finden. BAW-MITEX berücksichtigt die Aspekte Bemessung, Baustoffe und Bauausführung sowie Qualitätssicherung. 1. Aufbau und Funktionsweise des Instandsetzungssystems Das BAWMerkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“ [1] wurde im März 2020 veröffentlicht. Das darin beschriebene und geregelte Instandsetzungssystem besteht aus einem an den Betonuntergrund angepassten Spritzmörtel/ Spritzbeton gemäß [2], Abschnitt 5, und einer textilen Carbon-Bewehrung. Bei Rissen mit einer Rissbreitenänderung von ∆wop > 0,2 mm, die vom Sachkundigen Planer als maßgebend erkannt wurden, kommt zudem ein Enthaftungsbereich zur Anwendung. Das Enthaftungsmaterial soll im Bereich des Risses den Verbund zwischen Untergrund und Spritzmörtel/ Spritzbeton verhindern und so zu einer Erhöhung der freien Dehnlänge des textilbewehrten Spritzmörtels/ Spritzbetons führen. Die in den Spritzmörtel/ Spritzbeton eingebettete textile Bewehrung ermöglicht die Realisierung von dünnen bewehrten Schichten. Diese sorgt dafür, dass die Rissbreitenänderung ∆w op des zu überbrückenden Risses am Bauwerk im Enthaftungsbereich auf mehrere Risse mit Rissbreiten w i < 0,1 mm im textilbewehrten Spritzmörtel/ Spritzbeton verteilt wird, siehe Bild 1. 2. Anwendungsbereich und -grenzen des BAWMerkblatts MITEX BAW-MITEX gilt für die flächige Instandsetzung gerissener Bauwerke aus Beton oder Stahlbeton mittels textilbewehrtem Spritzmörtel/ Spritzbeton aus zementgebundenem Betonersatz mit oder ohne Polymermodifizierung gemäß [2], Abschnitt 5, mit einem Größtkorn ≤ 6 mm, der in dünnen Schichten (30 bis 40 mm) ohne zusätzliche Verankerung im Spritzverfahren auf Betonuntergründe der Altbetonklasse A2, A3, A4 oder A5 gemäß [2] aufgebracht wird. Weitere Betonersatzsysteme, d. h. Mörtel und Beton für geschalte Flächen und im Handauftrag, werden derzeit im Merkblatt nicht berücksichtigt. Eine zukünftige Anwendung dieser Systeme ist jedoch vorstellbar. Die Instandsetzungsschicht darf während der Applikations- und Nutzungsphase keinem hydrostatischen Wasserdruck von der Rückseite (Risswasser- und Porenwasserdruck) oder von der Vorderseite ausgesetzt sein (ähnlich zu einem freibewitterten Fassadenelement). Das Instandsetzungssystem darf bei Bauteilen der Expositionsklassen XALL, XBW1, XCR, Δw LFR, XC1(trocken), XC3, XC4, XS1, XD1, XF1 und XF2 gemäß [2] und [3] eingesetzt werden. Die Anwendung 250 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen - Bild 1: Aufbau und Funktionsweise des Instandsetzungssystems im BAW-MITEX Tabelle 1: Belastungsszenarien zur flächigen Instandsetzung nach BAW-MITEX 1 2 3 4 5 6 7 Belastung Variante 1 Variante 2 Variante 3 a b a b a b Freibewitterte Instandsetzungsfläche ja Zyklisch bewegende, evtl. wasserführende Ris-se im Untergrundbeton ja Ausreichender Verbund zwischen Instandsetzungsschicht und Untergrundbeton ja nein nein Risswasser- und Poren-wasserdruck nein nein ja Hydrostatische Wasserbelastung auf der Oberfläche nein ja nein ja nein ja ist nur zulässig bei Rissbreitenänderungen im Betonuntergrund, welche vorwiegend aus jahreszeitlich bedingten Temperaturänderungen resultieren. Die Rissbreitenänderung im Betonuntergrund darf in der Regel maximal 0,6 mm betragen. Der Verbund zwischen dem Betonuntergrund und der textilbewehrten Spritzmörtel-/ Spritzbetonschicht wird ausschließlich über Adhäsion hergestellt. Das Instandsetzungssystem kann an senkrechten und stark geneigten Flächen sowie über Kopf angebracht werden. Es ist beabsichtigt, weitere Anwendungsbereiche (mit Wasserdruck und Verankerung) entsprechend Tabelle 1 in späteren Fassungen des Merkblatts zu berücksichtigen. 3. Anforderungen und Qualitätssicherung 3.1 Nachweisverfahren Die Anforderungen an das Instandsetzungssystem und die damit verbundene Qualitätssicherung werden anhand folgender Nachweisverfahren geregelt: - Nachweis der Verwendbarkeit ◦ Nachweis der Verwendbarkeit der Einzelkomponenten ▪ Spritzmörtel/ Spritzbeton ▪ textile Bewehrung ▪ Enthaftungsmaterial ◦ Nachweis der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung) - Nachweis der Übereinstimmung - Prüfungen im Rahmen der Ausführung - Überprüfung der ausgeführten Leistung 3.2 Nachweis der Verwendbarkeit des Spritzmörtels/ Spritzbetons Der Spritzmörtel/ Spritzbeton muss hinsichtlich seines Festigkeits- und Verformungsverhaltens dem jeweiligen Altbeton angepasst sein. Als Spritzmörtel/ Spritzbeton können Produkte gemäß [2] auf Basis von [4] in Verbindung mit [5] mit zusätzlichen Merkmalen oder Produkte unbekannter Zusammensetzung verwendet werden. Die expositionsbedingten Anforderungen sind in [6] enthalten. 3.3 Nachweis der Verwendbarkeit der textilen Bewehrung Vom Hersteller der Textilbewehrung sind definierte Eigenschaften wie z. B. Typ und Feinheit der Carbonfaser, Tränkungsmaterial (Art, Glasübergangstemperatur) anzugeben. Im Fall einer Oberflächenmodifikation der textilen Bewehrung sind das Beschichtungsmaterial (Art, Glasübergangstemperatur) und die Besandung (Partikelart und Sieblinie) anzugeben. Zusätzlich müssen bestimmte Kennwerte anhand im Merkblatt [1] beschriebener Prüfverfahren ermittelt werden. Es sind nur textile Bewehrungen mit quadratischer Maschenform anzuwenden. Der Faserquerschnitt des Rovings muss in Kett- und Schussrichtung gleich sein. Das lichte Maß zwischen zwei Rovings muss mindestens dem dreifachen Größtkorndurchmesser des Spritzmörtels/ Spritzbetons entsprechen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 251 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen 3.4 Nachweis der Verwendbarkeit des Enthaftungsmaterials Das Enthaftungsmaterial muss zum einen auf trockenem und/ oder feuchtem Untergrund gut haften. Zum anderen darf zwischen Spritzmörtel/ Spritzbeton und dem Enthaftungsmaterial kein nennenswerter Haftverbund bestehen. Dies wird im Rahmen des Nachweises der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung, s. u.) geprüft. Es wird jedoch empfohlen, die Entkopplungswirkung des Enthaftungsmaterials vor der Systemprüfung mittels Prüfung der Haftzugfestigkeit an entsprechend hergestellten Probekörpern zu bestimmen. Als Enthaftungsmaterialien kommen beispielsweise Klebebänder, Epoxidharze oder zementöse Dichtungsschlämmen in Frage. 3.5 Nachweis der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung) Die Systemprüfung erfolgt an Verbundprobekörpern (s. Bild 2) bestehend aus Grundkörperbeton (gerissen), Enthaftungsmaterial und textilbewehrter Spritzmörtel-/ Spritzbetonschicht. Sie umfasst die Prüfungen der Applizierbarkeit, Haftzugfestigkeit, Rissverteilung und Haftzugfestigkeit nach Rissaufweitung. Die jeweiligen Probekörper für diese Prüfungen werden aus den Verbundprobekörpern entsprechend Bild 2 gewonnen. Mit der Prüfung der Applizierbarkeit wird das eventuelle Auftreten von Fehlstellen in unmittelbarer Nähe der Rovings in Anlehnung an [6], Anlage A1.7, untersucht. Mit der Prüfung der Haftzugfestigkeit vor und nach der Prüfung der Rissverteilung wird der notwendige Adhäsionsverbund zwischen dem Betonersatzsystem und dem Untergrund nach der Ausführung bzw. nach der Beanspruchung in Folge der Rissaufweitung überprüft. Für die Prüfung der Rissverteilung wird der Rissüberbrückungskörper nach Bild 2 an einem Prüfrahmen befestigt. Durch das Aufbringen einer Zugkraft auf den Grundkörper wird der Riss auf die vorgesehene Breite aufgeweitet. Anschließend werden die Rissbreiten im textilbewehrten Spritzmörtel/ Spritzbeton an den Seitenflächen der Probe über dem Enthaftungsbereich in über die Probenhöhe gleich verteilten Ebenen auf 1 µm genau gemessen. Die Rissbreiten müssen weniger als 0,1 mm betragen. Des Weiteren werden die Textilzugspannung und die Textildehnung im Enthaftungsbereich im Laufe des Versuchs ermittelt. Sie dürfen 1500 N/ mm² bzw. 10 ‰ nicht überschreiten. 3.6 Nachweis der Übereinstimmung Die Übereinstimmung des Spritzmörtels/ Spritzbetons mit dem Spritzmörtel/ Spritzbeton, der im Rahmen des Nachweises der Verwendbarkeit untersucht worden ist, muss gemäß [6] nachgewiesen werden. Für das Enthaftungsmaterial muss die Übereinstimmung von dem entsprechenden Hersteller mittels Lieferschein bestätigt werden. Der Nachweis der Übereinstimmung der textilen Bewehrung muss durch eine Werkseigene Produktionskontrolle (WPK) und eine Fremdüberwachung (FÜ) gemäß [7] durch eine von der BAW hierfür anerkannte Stelle sichergestellt sein. Die Häufigkeit der durchzuführenden Prüfungen sowie die Anforderungen, die im Rahmen der WPK und der FÜ zu erfüllen sind, sind im Merkblatt vorgegeben. 3.7 Prüfungen im Rahmen der Ausführung Hinsichtlich des Spritzmörtels/ Spritzbetons ist entsprechend [2], Abschnitt 5.6.2, vorzugehen. Hinsichtlich der textilen Bewehrung und des Enthaftungsmaterials müssen vom Auftragnehmer im Rahmen der Eigenüberwachung zusätzliche Kontrollen zur ordnungsgemäßen Lieferung und zur Qualität des Materials durchgeführt werden. Angaben hierzu sind in [3] enthalten. 3.8 Überprüfung der ausgeführten Leistung Die Überprüfung der ausgeführten Leistung ist vom Auftragnehmer gemäß [2], Abschnitt 5.6.3, durchzuführen und zu dokumentieren. Zusätzlich ist die Höhenlage der textilen Bewehrung an den Bohrkernen für die Verbundfestigkeitsprüfung zu bestimmen. Die lichten Maße zwischen der Betonuntergrundoberfläche und der benachbarten textilen Bewehrungslage, zwischen den benachbarten textilen Bewehrungslagen sowie zwischen der Spritzmörtel-/ Spritzbetonoberfläche und der benachbarten textilen Bewehrungslage müssen mindestens dem Größtkorndurchmesser entsprechen und dürfen 5 mm nicht unterschreiten. Die Bestimmung der Trockenrohdichte erfolgt an Scheiben ohne textile Bewehrung mit einer Dicke von 8 bis 15 mm, die aus den Bohrkernen für die Verbundfestigkeitsprüfung präpariert werden. 252 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen Bild 5: Verbundkörper für die Systemprüfung, Schnittmuster Literatur [1] BAW-MITEX (2019): Merkblatt Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX). Bundesanstalt für Wasserbau. [2] ZTV-W LB 219 (2017): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), Ausgabe 2017. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). [3] IH-RL (2017): Richtlinie für Instandhaltung von Betonbauteilen -- Gelbdruck -- Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb). [4] DIN EN 14487-1: 2006 Spritzbeton - Teil 1: Begriffe, Festlegungen und Konformität. [5] DIN 18551: 2014 Spritzbeton - Nationale Anwendungsregeln zur Reihe DIN EN 14487 und Regeln für die Bemessung von Spritzbetonkonstruktionen. [6] BAWEmpfehlung (2017): Instandsetzungsprodukte - Hinweis für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren. Bundesanstalt für Wasserbau. [7] DIN 18200: 2018 Übereinstimmungsnachweis für Bauprodukte - Werkseigene Produktionskontrolle, Fremdüberwachung und Zertifizierung (2018). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 253 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken Christian Dommes Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Christian Knorrek Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Zusammenfassung Brücken stellen essentielle Verbindungen im kommunalen und Fernstraßennetz dar. Neben Alterserscheinungen setzt den Brücken auch das stark gestiegene Verkehrsaufkommen zu, sodass sich laut BMVI allein bei den Bundesfernstraßen weit über 2.200 Brücken in einem kritischen Zustand befinden. Die Traglastreserven dieser Bauwerke stoßen in vielen Fällen bereits jetzt an ihre Grenzen und müssen dringend erhöht werden, um auch das zukünftig zu erwartende Verkehrsaufkommen aufnehmen zu können. Am Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen werden daher in enger Zusammenarbeit mit mehreren Industriepartnern theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt, um ein neuartiges Konzept zur ganzheitlichen Verstärkung von Bestandsbrücken in Massivbauweise zu entwickeln. Durch die unterschiedlichen Applizierungsorte der Verstärkungsmaßnahmen sollen die Druck- und Zugzone verstärkt und die Querkrafttragfähigkeit erhöht werden. Die Verstärkung kann dabei gezielt spezifische Traglastdefizite ausgleichen ohne das Eigengewicht der Brücke maßgeblich zu erhöhen, da innovative Materialien samt neuartigen Applikationsverfahren verwendet werden. Dadurch ist die Ertüchtigungsmaßnahme auf eine Vielzahl von Brückenbauwerken anwendbar. 1. Einleitung Brücken sind für die Verkehrsinfrastruktur von höchster Bedeutung und stellen wichtige Verbindungen im Bundesfern- und kommunalen Straßennetz sowie im Schienenverkehr dar. Mehr als 2.200 der knapp 40.000 Brücken im Bundesfernstraßennetz sind in einem kritischen Zustand. Davon sind mehr als 90% in Stahl- oder Spannbetonweise gebaut. Neben dem stark gestiegenen Verkehrsaufkommen sind Tragfähigkeitsdefizite aufgrund des Alters der Bestandsbrücken und der Bauart sowie einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes für den hohen Sanierungsbedarf verantwortlich. So sind gerade in den alten Bundesländern eine Vielzahl der bestehenden Brücken in der Nachkriegszeit errichtet worden. Die damaligen Lastananahmen decken die prognostizierte Zunahme der Beförderungsleistungen im Straßengüterverkehr zwischen 1980 und 2030 von 760% nicht ab. Zudem nimmt die Anzahl der genehmigungspflichtigen Schwerlasttransporte jedes Jahr weiter zu [7]. Durch das BMVI wurde 2013 daher die „Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen“ mit dem Ziel der Erhöhung bzw. Wiederherstellung der Tragfähigkeit von bestehenden Brückenbauwerken entwickelt. Neben Brückenneubauten soll dabei die Brückenertüchtigung als wirtschaftliche Alternative verfolgt werden [2]. Für eine Verstärkungsmaßnahme ist im Allgemeinen nicht das Bauteil entscheidend, sondern die Beanspruchungsart. So müssen Brückenquerschnitte sowohl für Zug- und Druckals auch für Querkraftbeanspruchungen verstärkt werden. Bestehende Verstärkungskonzepte weisen allerdings gravierende Nachteile auf, weil diese aufgrund des Platzbedarfes häufig nur beschränkt eingesetzt werden können, nur lokal wirken oder das Eigengewicht drastisch erhöhen. Zudem ist die Instandsetzungsmaßnahme i.d.R. langwierig und bedarf einer umfangreichen Sperrung von Fahrbanen, sodass der Verkehrsfluss erheblich belastet wird. Es müssen daher effektive, schnelle und kostengünstige Lösungen zur Instandsetzung und Verstärkung entwickelt werden, damit die Bestandstragwerke bestmöglich ertüchtigt und die geplante Lebensdauer eingehalten werden kann. Innovative Lösungen mit einem Preisleistungsvorteil stellen für Bund, Länder, Kommunen und private Brückeneigner eine wirtschaftliche Alternative dar und reduzieren das Problem der ausgereizten Traglastreserven und der Überbelastung deutlich. Am Lehrstuhl und Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen University wurden daher theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt, um neue und innovative Konzepte zur ganzheitlichen Verstärkung von Bestandsbrücken zu entwickeln. 254 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken 2. Experimentelle Untersuchung 2.1 Versuchskörper Um eine Verstärkungsschicht aktivieren zu können, müssen die auftretenden Kräfte von der Fuge zwischen Bauwerk und Ertüchtigungsmaterial aufgenommen werden können. Zur Untersuchung dieser Kraftübertragung wurden insgesamt 26 Schubversuche an Verbundfugen durchgeführt, siehe Abbildung 1. Hierbei wurden zwei verschiedene Verstärkungssysteme aus einem Ultrahochfesten Beton (UHPC) und einem mikrobewehrten hochfesten Mörtel auf einen Altbeton (C20/ 25) appliziert. Der Altbeton repräsentiert eine Bestandsbrücke aus den 1950-Jahren. Die Einflüsse der Oberflächenrauigkeit und mechanischer Verbundmittel wurden für verschiedene Fugenlängen untersucht. Es wurde keine fugenkreuzende Bewehrung angeordnet. Lediglich die mit einer Mörtelschicht mit Mikrostahlarmierung verstärkten Versuchskörper wiesen eine Bewehrung parallel zur Fugenoberfläche auf, siehe dazu Abbildung 2. In Tabelle 1 ist die Versuchsmatrix dargestellt. Abbildung 1 - Versuchsaufbau der 26 Push-Off Tests Tabelle 1 - Versuchsmatrix Material Fugenfläche Anzahl Verbundmittel Rautiefe ØSchubspannung [-] [cm] [-] [-] [mm] [N/ mm²] UHPC 35 x 20 7 - 6 3,7 35 x 20 7 1 x Hilti HUS-6 6 3,3 Mörtel 35 x 20 3 - 1,5 3,3 35 x 20 3 1 x Ducon 12.9 Ø6mm 1,5 3,2 70 x 20 3 - 1,5 2,8 70 x 20 3 2 x Ducon 12.9 Ø6mm 1,5 2,9 2.2 Versuchsaufbau und -durchführung Um die in der Fuge übertragbaren Spannungen zu ermitteln, wurden zwei L-förmige Versuchskörper in Push-Off Versuchen bis zum Versagen belastet. Auf den Altbetonkörper wurden in horizontaler Position die verschiedenen Verstärkungsschichten betoniert. Um Schiefstellungen während der Versuche auszugleichen, wurde die Kraft mittels einer Kalotte in die Prüfkörper eingeleitet. Die Belastung erfolgte weggesteuert, d.h. die erforderliche Druckkraft zum Erzeugen der Verformung wurde kontinuierlich gemessen. Die verwendeten Materialien und die Baustoffkennwerte können Tabelle 2 entnommen werden. Abbildung 2 - Anordnung der Mikrostahlarmierung Tabelle 2 - Baustoffkennwerte Material Druckfestigkeit E-Modul Größtkorn [-] [N/ mm²] [N/ mm²] [mm] Altbeton 25 30000 32 UHPC 190 54000 2 Mörtel 100 38000 1 - 2 Um die Bauteilverformungen während der Versuche zu erfassen, wurden sowohl induktive Wegaufnehmer auf der Oberfläche der Versuchskörper angebracht als auch ein optisches Messverfahren genutzt. Neben der Fugenöffnung vertikal zur Fugenebene wurde die Fugenverschiebung parallel zur Fugenebene mit Wegaufnehmern dokumentiert. In Abbildung 3 ist die Anordnung der Messtechnik für einen Versuchskörper mit 35 cm Fugenlänge dargestellt. Durch das beidseitige Aufbringen der Wegaufnehmer konnte eine ungewollte Verdrehung des Versuchskörpers während der Belastung ausgeschlossen und somit ein symmetrischer Lastabtrag nachgewiesen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 255 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken Abbildung 3 - Anordnung der Messtechnik 2.3 Ergebnisse 2.3.1 Auswertungskonzept Die Versuche werden mit Hilfe von Schubspannungs- Verformungsdiagrammen ausgewertet. Dazu wird die gemessene Kraft auf die Fugenfläche nach Tabelle 1 aufgeteilt. Die Diagramme wurden um den Effekt des Kriechens bereinigt, welcher während der Belastungspausen zum Dokumentieren der Risse auftrat. Die Risse lassen sich in zwei Kategorien einteilen: • Biegerisse im Anschnitt des kurzen Schenkels im Altbeton • Schubrisse im Fugenbereich Die Biegerisse treten lediglich aufgrund des Versuchsaufbaus auf und sind nicht Gegenstand der Untersuchung. Aufgrund der geringeren Festigkeit treten die Biegerisse fast ausschließlich im Altbetonkörper auf. Die Auswirkungen auftretender Biegerisse werden durch die Auswertung der Verformungen über die fugennahen Wegaufnehmer der Verstärkungsschicht minimiert. Aufgrund des höheren E-Moduls der Verstärkungsschicht erfassen diese geringere Stauchungen im Betonkörper als der entsprechende Wegaufnehmer am Altbeton. Schubrisse im Fugenbereich treten erst bei höheren Belastungen unmittelbar vor dem spröden Versagen der Fuge auf und sind dadurch schwer zu erfassen. Ein repräsentatives Bruchbild eines mit einer UHPC-Schicht verstärkten Versuchskörpers ohne Verbundmittel ist in Abbildung 4 dargestellt. Abbildung 4 - Rissbild nach Versagen der Fuge zwischen Altbeton und UHPC-Schicht In Abbildung 5 sind die Bruchflächen zweier verschiedener Versuchskörper dargestellt. An den unterschiedlichen Färbungen der Bruchflächen ist zu erkennen, dass das Versagen bei Versuchskörper a) im Altbeton (hellgrau) nahe der Fuge und bei Versuchskörper b) in der Fuge (Wechsel von hell- und dunkelgrau) auftrat. Bis auf Untersuchungen mit bewusst geschwächtem Verbund trat das Versagen im Altbeton immer parallel zur Fugenfläche auf. Somit wurde die Tragfähigkeit des Altbetons maßgebend. a) Versagen im Altbeton b) Versagen in der Fuge Abbildung 5 - Bruchflächen zweier Versuchskörper 2.3.2 Einfluss der Verbundmittel Die Hälfte der Versuchskörper wurde mit einem mechanischen Verbundmittel ausgebildet, siehe Tabelle 1. Die Schubspannungs-Verformungsbeziehungen reprä- 256 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken sentativer Versuchskörper mit Verbundmittel sind in Abbildung 6 in schwarz bzw. der Versuchskörper ohne Verbundmittel in grau dargestellt. Unabhängig vom gewählten Verbundmittel wurde keine Traglaststeigerung durch die Dübel beobachtet. Die Maximallast der Versuchskörper mit Verbundmittel liegt teilweise unter der Tragfähigkeit der Versuchskörper ohne Verbundmittel, da durch das nachträgliche Einbringen der Verbundmittel teilweise eine Schädigung der umliegenden Betonmatrix resultiert. Randl führt eine Abminderung der Traglast in [11] auf einen ähnlichen Effekt zurück. Die Einbindelänge der Dübel in den Altbeton und die Verstärkungsschicht reichte nicht aus, um die Traglast zu erhöhen. Stattdessen zog sich der Dübel nach Versagen der Fuge bei weiterer Belastung aus dem Altbeton heraus. In Abbildung 7 a) ist der in Lastrichtung verformte Dübel und in b) der Betonausbruch dargestellt. Abbildung 6 - Auswirkung von mechanischen Verbundmitteln auf die übertragbare Schubspannung in der Fuge Nach dem Schubversagen der Fuge können die Versuchskörper ohne Verbundmittel keine Lasten mehr übertragen, die zwei L-Körper sind voneinander gelöst. Die Versuchskörper mit Verbundmittel können nach dem Fugenversagen eine deutlich abgeminderte Kraft entsprechend dem Scherwiderstand des Dübels abtragen. Dieser wird allerdings erst mit dem Bruch in der Fuge und dem damit verbundenen Ausfall des Adhäsionstraganteils in der Fuge aktiviert [6]. Abbildung 7 - Auszug und Verformung des Dübels nach Versagen in der Fuge a) im UHPC b) im Altbeton 2.3.3 Einfluss der Rautiefe in der Fuge In Abbildung 8 sind die Schubspannungs-Verformungsdiagramme von Versuchskörpern mit einer Rautiefe von 6 mm in schwarz und mit einer Rautiefe von 1,5 mm in grau dargestellt. Die höhere Rautiefe führt zu einer ca. 15% höheren übertragbaren Schubspannung in der Fuge bei gleichzeitig geringeren Verformungen. Randl [11] bestätigt den positiven Einfluss der Oberflächenrauigkeit in der Fuge auf deren Schubsteifigkeit. Abbildung 8 - Auswirkung der Rautiefe auf die übertragbare Schubspannung in der Fuge 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 257 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken Die größere Rautiefe ermöglicht zudem eine Kraftübertragung bei sich öffnenden Fugen. Die entsprechenden Verläufe sind in Abbildung 9 in schwarz dargestellt. Es ist zu erkennen, dass die Kraft für eine Rautiefe von 6 mm mit steigender Rissöffnung länger übertragen werden kann. Abbildung 9 - Auswirkung der Rautiefe auf die Fugenöffnung 2.3.4 Einfluss der Fugenlänge Der Einfluss der Fugenlänge ist in Abbildung 10 anhand von Versuchen mit einer Fugenlänge von 35 cm (schwarz) und 70 cm (grau) dargestellt. Die Fugenverschiebung wurde dazu über die Fugenlänge normiert. Die Körper weisen unabhängig von der Fugenlänge eine ähnliche Steigung auf, somit hat die Fugenlänge keinen sichtbaren Einfluss auf die Steifigkeit der Fuge. Nach Claßen [3] werden Schubspannungen überwiegend über die Randbereiche der Fuge übertragen. So können über kürzere Fugen höhere mittlere Spannungen übertragen werden, da sich kein ausgeprägtes Tal in der übertragbaren Schubspannung ausbilden kann, siehe Abbildung 11. Aus diesem Grund nehmen die über die Fugenfläche gemittelten Spannungen mit zunehmender Länge der Fugen ab. Abbildung 10 - Auswirkung der Fugenlänge auf die übertragbaren Schubspannungen in der Fuge Abbildung 11 - Verlauf der Schubspannungsübertragung bei variierender Fugenlänge a) für eine lange Fuge b) für eine kurze Fuge 3. Versuchsnachrechnung Zur Überprüfung gängiger Bemessungsansätze werden die rechnerischen Tragfähigkeiten für die durchgeführten Versuche bestimmt. Die Schubkrafttragfähigkeit in der Fuge wird je nach Bemessungsansatz auf verschiedene Traganteile zurückgeführt. Die hier dargestellten Ansätze setzen in der Fuge folgende drei additive Traganteile an: • Adhäsion • Reibung • Bewehrung Das simple additive Zusammenführen der unterschiedlichen Traganteile wird in der Literatur diskutiert. Untersuchungen von Reinecke [12] beschreiben die zeitlich versetze Aktivierung der unterschiedlichen Traganteile. Obwohl die durchgeführten Versuche dies bestätigen, wird die zeitversetzte Aktivierung weder in den 258 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken Euro noch in den Model Codes berücksichtigt. Der Reibung wird aufgrund der fehlenden Kraft senkrecht zur Fugenfläche für die vorgestellte Versuchsreihe kein Traganteil zugeordnet. Abweichungen in den rechnerischen Tragfähigkeiten kommen daher aus unterschiedlich anzusetzenden Adhäsionsbeiwerten je nach Rauigkeit und den eingesetzten Verbunddübeln. In Abbildung 12 sind die rechnerischen Schubtragfähigkeiten der Fuge nach dem Eurocode 2 + NA(D) [4, 5], den Modelcodes von 1990 [8] und 2010 [9] und der amerikanischen AASHTO 2014 [1] für die mit einer UHPC- Schicht verstärkten Körper dargestellt. Zu erkennen ist, dass kein Bemessungsansatz die Tragfähigkeit annähernd richtig quantifiziert. Die höchste Tragfähigkeit, die durch die AASHTO berechnet wird, liegt bei weniger als der Hälfte der im Versuch ermittelten Schubspannung in der Fuge. Nach MC90 ergibt sich die geringste Tragfähigkeit von 1 N/ mm² übertragbarer Schubspannung. Das unterschiedliche Größtkorn des Altbetons und der Verstärkungsschichten wird durch keinen Bemessungsansatz berücksichtigt. Abbildung 12 - Rechnerische Tragfähigkeiten der UHPC Fugen mit einer Rautiefe von 6 mm In Abbildung 13 sind die Tragfähigkeiten für eine Fuge mit 70 cm Länge dargestellt. Da die Fugenlänge in den Bemessungsansätzen nicht berücksichtigt wird und ein Maßstabseffekt somit nicht berücksichtigt werden kann, liefern die Bemessungsansätze hier für die längeren Fugen qualitativ bessere Ergebnisse. Die rechnerische Tragfähigkeit setzt sich aus den Traganteilen der Adhäsion und der Bewehrung zusammen, obwohl die experimentelle Untersuchung zeigt, dass keine Traglaststeigerung durch den Einsatz von Verbunddübeln erreicht werden konnte. Der AASHTO ermittelt auch für die langen Fugen die besten Ergebnisse. Im Gegensatz dazu liefert der MC10 die geringste Tragfähigkeit. Abbildung 13 - Rechnerische Tragfähigkeit der 70 cm Fugen mit Verbunddübeln und einer Rautiefe von 1,5 mm Aus dem Vergleich der Bemessungsansätze untereinander und dem Vergleich mit den Versuchsergebnissen können zwei Schlussfolgerungen abgeleitet werden: • Die untersuchten Bemessungsansätze liefern für alle Prüfkörper eine deutlich verminderte rechnerische Tragfähigkeit in der Fuge gegenüber den durchgeführten Versuchen. • Obwohl nur Bemessungsansätze verglichen werden, welche die Fugentragfähigkeit auf die identischen drei Traganteile zurückführen, unterscheiden sich die rechnerischen Tragfähigkeiten erheblich. Diese großen Unterschiede zeigen, dass bisher keine einheitliche Bemessungsgrundlage existiert. 4. Zusammenfassung und Ausblick Brückenbauwerke in Deutschland müssen in den kommenden Jahren ertüchtigt werden, um den erheblich gestiegenen Verkehrslasten standhalten zu können. Gängige Bemessungsansätze schätzen die Schubkraftübertragung vom Bestandsbauwerk in die Verstärkungsschicht allerdings deutlich zu konservativ ab, dadurch verlieren viele Ertüchtigungsvorhaben ihre Wirtschaftlichkeit bereits in der Planungsphase. Die am Lehrstuhl und Institut für Massivbau der RWTH Aachen University durchgeführten Schubversuche zeigen, dass die rechnerische Tragfähigkeit nach dem in Deutschland gültigen Eurocode 2 je nach Fugenausbildung nicht einmal 50% der experimentell bestimmten Last entspricht. Der Vergleich zu weiteren Bemessungsansätzen verdeutlicht, dass keine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Schubkraftübertragung in Fugen existiert. Die durchgeführten Versuche zeigen, dass das nachträgliche Einbringen der untersuchten Verbundmittel zu keiner Traglaststeigerung in der Fuge führt. Eine größere Rauigkeit der Fugenoberfläche ermöglicht neben der erhöhten Tragfähigkeit auch 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 259 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken eine längere Kraftübertragung bei einer sich öffnenden Fuge. Die über die Fugenfläche gemittelte Schubspannung ist für Fugen mit kleiner Fläche höher. Um Brückenertüchtigungen auch für die ausführenden Firmen attraktiver zu machen, muss die Bemessung der Verbundfugen an aktuelle Forschungsergebnisse angepasst werden. Nur so kann die Brückenproblematik entschärft und damit das wirtschaftliche Potential Deutschlands ausgeschöpft werden. 5. Danksagung Die vorgestellten Untersuchungen wurden durch das Förderprogramm „Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) gefördert. Die Autoren bedanken sich für die Unterstützung. Literaturverzeichnis [1] American Association of State Highway and Transportation Officials: AASHTO LRFD Bridge Design Specifications. Customary U.S. Units 7th Edition 2014, American Association of State Highway and Transportation Officials, Washington, (2014) [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Brückenmodernisierung im Bereich der Bundesfernstraßen [3] Classen, Martin; Adam, Viviane; Hillebrand, Matthias: Torsion Test Setup to Investigate Aggregate Interlock and Mixed Mode Fracture of Monolithic and 3D-Printed Concrete, in: Derkowski, W; Gwozdziewicz, P; Hojdys, L; Krajewski, P; Pantak, M. (Hrsg.): Concrete - Innovations in Materials, Design and Structures: Proceedings of the 2019 fib Symposium. fib Symposium 2019, Krakow, Poland, (2019), S. 521-528 [4] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall. Deutsche Fassung EN 1992-1-2: 2004 + AC: 2008 (DIN EN 1992-1-2: 2010-12), Beuth, Berlin, (2010) [5] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall (DIN EN 1992-1-2/ NA: 2010-12), Beuth, Berlin, (2010) [6] Heinrich, Jens; Zenk, Thomas; Maurer, Reinhard: Bewehrte Beton-Beton-Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische Tragfähigkeit, in: Bauingenieur 94 (11), (2019), S. 425-435 [7] Kaschner, R. et al.: Berichte der Bundesanstalt für Straßenwese; Heft B 68, Auswikrungen des Schwerlastverkehrs auf die Brücken der Bundesfernstraßen, (2009). [8] Comite Euro-International du Béton: CEB-FIP Model Code for Concrete Structures. Design Code (Model Code 1990), Thomas Telford, London, Großbritannien, (1991) [9] International Federation for Structural Concrete: Model Code 2010. Final draft - Volume 2, International Federation for Structural Concrete (fib), Lausanne, Switzerland, (2012) [10] Randl, Norbert: Untersuchungen zur Kraftübertragung zwischen Alt- und Neubeton bei unterschiedlichen Fugenrauigkeiten. Dissertation, Fakultät für Bauingenieurwesen und Architektur. Leopold- Franzens-Universität, Innsbruck, (1997) [11] Randl, Norbert; Wicke, Manfred: Schubübertragung zwischen Alt und Neubeton: Experimentelle Untersuchungen, theoretischer Hintergrund und Bemessungsansatz, in: Beton- und Stahlbetonbau 95 (8), (2000), S. 461-473 [12] Reinecke, Ralf: Haftverbund und Rissverzahnung in unbewehrten Betonschubfugen. Dissertation. TU München, München, (2004) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 261 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Philipp Truffer Truffer Ingenieurberatung AG, Lalden/ Schweiz Zusammenfassung In den letzten Jahren wurden zahlreiche Bauaufgaben mit dem Einsatz von Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) realisiert. UHFB ist ein Hochleistungswerkstoff mit hervorragenden Eigenschaften, welcher jedoch insgesamt hohe Anforderungen an die Mischungszusammensetzung, die Herstellung und die Verarbeitung stellt. Im vorliegenden Beitrag werden unterschiedliche realisierte Projekte mit UHFB vorgestellt. Dabei wird auf die spezifischen Eigenheiten des UHFB eingegangen und anderseits sollen jedoch auch mögliche Probleme erläutert werden. Bei einem bestehenden Parkhaus wurde der UHFB als statisch wirksamer und direkt befahrbarer Belag eingesetzt. Ein anderes Beispiel zeigt die Anwendung des UHFB als Vorsatzschale von Mauern im Spritzwasserbereich einer Strasse. Der UHFB wurde zudem auch als schwimmende Druckverteilplatte auf einer Wärmedämmung ausgeführt. Schliesslich wird noch auf die Qualitätssicherung beim Einsatz von UHFB eingegangen. 1. Einleitung Beim Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) handelt es sich um einen modernen Werkstoff. UHFB wurde in den letzten Jahren international in verschiedenen Bereichen des Bauwesens bei Instandsetzungen oder Ersatzneubauten erfolgreich eingesetzt (siehe hierzu u.a. [1] bis [7]). Im vorliegenden Beitrag sollen anhand von konkreten Beispielen eigene Erfahrungen des Verfassers bei der Anwendung und Qualitätskontrolle von UHFB vorgestellt werden. Die konkreten Beispiele aus der Praxis sollen die spezifischen Eigenschaften und die Fülle von möglichen Anwendungsmöglichkeiten von UHFB darlegen. 2. Was ist Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB)? Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) ist ein Hochleistungswerkstoff mit sehr hohen Festigkeiten, einem extrem dichten Gefüge und ausgezeichneten Dauerhaftigkeitseigenschaften (siehe nachfolgende exemplarische Auslistung): charakteristische Materialkennwerte von UHFB: • Druckfestigkeiten mind. 120 N/ mm 2 in der Praxis werden durchaus Festigkeit bis gegen 200 N/ m 2 erreicht • elastische Grenzzugfestigkeiten 7-12 N/ mm 2 • Elastizitätsmodul 40-60 kN/ mm 2 Diese Eigenschaften werden durch sehr hohe Zement-, Zusatzstoff- und Fliessmittelgehalte und gleichzeitig extrem niedrige Wasser-Bindemittel-gehalte (ca. 0.20) erreicht. Die Bindemittelgehalte betragen z.T. bis gegen 1‘100 kg/ m 3 . UHFB-Anwendungen stellen insgesamt hohe Anforderungen an den Mischungsentwurf/ Konzeption, die Herstellung und die Verarbeitung des Baustoffs. Der UHFB wird im Normalfall direkt auf Platz in speziellen Hochleistungsmischern hergestellt. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen die wichtigsten Arbeitsschritte: • In einen ersten Schritt wird der sogenannte Premix in den Mischer gegeben (siehe Abb. 2-1 und 2-2). Es handelt sich dabei um eine vorkonfektionierte Trockenmischung bestehend aus Zement, feiner Gesteinskörnung (Grösstkörn im Normalfall kleiner 1 mm), Quarz- oder Kalksteinmehl sowie Zusatzstoffen wie z.B. Silikastaub. • Anschliessend erfolgt die Zugabe des Wassers und der Zusatzmittel (Hochleistungsverflüssiger). • Erst am Schluss werden die Mikrostahlfasern (Fasergehalt z.T. über 3 Vol-%) hinzugegeben (siehe Abb. 2-3). Die Zudosierung erfolgt dabei von Hand oder über Zudosiermaschinen. Bei der Zudosierung von Hand ist auf eine gleichmässige Faserverteilung zu achten (Vermeidung von sogenannter Igelbildung). In einigen Fällen sind die Mikrostahlfasern bereits dem Premix dazu gemischt. • Die gesamte Mischdauer beträgt dabei insgesamt zwischen 15 und 20 Minuten. 262 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 2-1: Premix aus Zement, Steinmehl und Silikastaub (links) und den Mikrostahlfasern (rechts) Abb. 2-2: Zugabe des UHFB-Premix in den Mischer, Anlieferung über Bigbags Abb. 2-3: Zudosierung der Mikrostahlfasern (separate Anlieferung in Säcken) von Hand Die zur Zeit eingesetzten Mikrostahlfasern sind gerade und weisen Längen um 12 bis 13 mm auf. Der Durchmesser beträgt dabei zwischen 0.175 bis 0.20 mm. Dies ergibt Faserschlankheiten von über 70. Die Mikrostahlfasern weisen eine sehr hohe Zugfestigkeit von über 2‘400 N/ mm 2 auf. UHFB ist in der Regel, je nach Anwendung, selbstverdichtend und er entlüftet sich folglich selbst. Aufgrund des hohen volumetrischen Feststoffgehalts weist UHFB eine hohe Viskosität auf (siehe Abb. 2-4). «Dies führt zu einer sehr langsamen Fliessbewegung während des Einbaus, in welcher der UHPC bereits wieder eine thixotrope Struktur aufbauen kann.» [8]. Damit besteht dann aber wiederum die Gefahr einer unzureichenden Entlüftung oder Formfüllung (siehe Beispiel 2). Abb. 2-4: hochviskose UHFB-Mischung im Mischer 3. Anwendungen aus der Praxis 3.1 Beispiel 1: Parkhaus P3, Saas Fee Instandsetzung und Verstärkung 3.1.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Das Parkhaus P3 in Saas Fee wurde in den Jahren 1979 bis 1981 erbaut. Es liegt im hochalpinen Raum auf einer Meereshöhe von rund 1‘800 Metern. Es handelt sich dabei um eine achtgeschossige Parkhalle mit ursprünglich insgesamt 950 Parkplätzen. Das Tragwerk ist ein offener Skelettbau mit einem mittigen Gebäudekern. Die 20 cm dicken Parkdecken sind mittels kunststoffummantelten Monolitzen ohne Verbund vorgespannt (Stützstreifen- und Feldvorspannung). Nähere Informationen zum Bauwerk sowie zur Zustandsuntersuchung finden sich in [1]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 263 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Die durchgeführte Zustandsuntersuchung sowie die statischen Überprüfungen zeigten u.a. folgende Ergebnisse: • Die Parkdecks weisen kein Oberflächenschutzsystem auf. • Es sind visuell erkennbare Betonschäden in Form von Rissen und Betonabplatzungen vorhanden. Diese beschränken sich jedoch auf lokale Erscheinungen. • Die Flachdecken weisen praktisch nur im Stützenbereich eine statisch wirksame Bewehrung auf. Aufgrund des damals gewählten hohen Vorspanngrads sind im Feldbereich zwischen den Stützen keine Bewehrungen vorhanden (siehe hierzu auch [9]. • Die Bewehrungen im Stützenbereich weisen grösstenteils eine ungenügende Betondeckung auf. • Es wurden durchwegs stark erhöhte Chloridgehalte bis in mehrere Zentimeter Tiefe und damit auch bis auf die Höhe der Bewehrung und Vorspannung festgestellt. • Zur Gewährleistung der Tragsicherheit und insbesondere des Durchstanzwiderstands ist die Stützenkopfbewehrung und die eingelegte Vorspannung in den Decken zwingend erforderlich. Die nominelle Tragsicherheit ist damit gewährleistet. • Die punktuell durchgeführten Sondageöffnungen in einzelnen Decken sowie die Überprüfung der Verankerungen bestätigten einen einwandfreien Zustand der Vorspannung. Die Monolitzen wurden dabei im Bereich der Sondagen auf einer Länge von rund einem Meter freigelegt. Die freigelegten Litzen wurden anschliessend mittels eines Hammers in Schwingung versetzt (siehe Abb. 3-1) und die Beschleunigung mit Hilfe eines auf der Litze befestigten, hochsensiblen Beschleunigungsmessers gemessen. Mittels Fourier Transformation konnte die Eigenfrequenz der freigelegten Litzenstücke bestimmt und schliesslich auf die verbleibende Spannkraft in den Litzen geschlossen werden. Abb. 3-1: Anregung der freigelegten Monolitze mit einem Gummihammer bei gleichzeitiger messtechnischer Erfassung der Schwingungs-parameter, Messstelle 5.1 Messdurchführung VSL (Schweiz) AG Der Zustand des Parkhauses wurde insgesamt als schadhaft mit einem hohen Gefährdungspotenzial eingestuft, so dass beschlossen wurde, eine ganzheitliche Instandsetzung einzuleiten. Dabei sollte eine Restnutzungsdauer von 50 Jahren angestrebt werden. 3.1.2 Instandsetzungskonzept Aufgrund des baulichen Zustands und unter der gegebenen Randbedingungen wurde für das Parkhaus folgendes Instandsetzungskonzept gewählt: • punktuelle Verstärkung der Parkdecks im Bereich der Stützen (siehe Abb. 3-2) mit einem UHFB • Hierzu wurden die entsprechenden Bereiche mittels Wasserhöchstdruck (HDW) bis auf eine Tiefe von 20 mm freigelegt. Dies hatte zudem den Vorteil, dass bis auf diese Tiefe der chloridverseuchte Beton entfernt werden konnte. • Die Flachdecken waren während den Instandsetzungsarbeiten unterspriesst. • kreuzweise Verlegung einer Stabbewehrung (siehe Abb. 3-3). Die bestehende schlaffe Bewehrung im Stützenkopfbereich wurde statisch nicht mehr berücksichtigt. • Einbau eines UHFB Sorte UA gemäss [11] mit einer Gesamtschichtstärke von 50 mm (siehe Abb. 3-4). Dies ergab eine Überhöhe von 30 mm. Der UHFB wurde dabei oberflächenparallel zur bestehenden Decke eingebaut. • Der UHFB bewirkt neben der Schutzfunktion eine zusätzliche statische Verstärkung (Erhöhung des Biege- und Durchstanzwiderstands). • Die seitlichen Anrampungen zur Überbrückung der Überhöhe wurden schliesslich mit einem kunststoffmodifizierten Zementmörtel der Klasse R4 gemäss SN EN 1504-3 ausgeführt (siehe Abb. 3-5). Abb. 3-2: Grundriss (Ausschnitt) Parkdeck mit den lokalen Verstärkungsmassnahmen mittels UHFB (gelb markiert) 264 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Nachfolgend noch ein paar ergänzende Überlegungen zum Instandsetzungskonzept und der gewählten Ausführungsart: • Auf den ursprünglich vorgesehenen vollflächigen Einbau eines UHFB-Belags wurde verzichtet. Einerseits ist im Feldbereich keine Bewehrung vorhanden und anderseits konnte im Rahmen der vorgängig durchgeführten Eignungsversuche bei den UHFB- Oberflächen ein Herausstehen der Mikrostahlfaser nicht verhindert werden. Dies stellt im vorliegenden Fall nicht unbedingt für die Menschen oder Fahrzeuge ein Problem dar. Damit sollten vielmehr mögliche Verletzungen von Tieren wie z.B. Hundepfoten verhindert werden. • Erfahrungen von anderen ausgeführten direkt befahrenen UHFB-Oberflächen zeigen, dass die herausstehenden Mikrostahlfasern nach relativ kurzer Zeit (Winterperiode) aufgrund der Feuchte- und Chlorideinwirkungen abgetragen sind (siehe [5]). • Beim Einsatz der neuen UHFB-Schicht konnte zudem darauf abgestützt werden, dass nach dem Schweizerischen Merkblatt SIA 2052 [11] reduzierte Bewehrungsüberdeckungen möglich sind («Die Bewehrungsüberdeckung c nom beträgt im Allgemeinen 15 mm.»). Gleichzeitig reduzieren sich auch die Verankerungslängen von gerippten Bewehrungsstählen und Matten aus Bewehrungsstahl auf mindestens den 15-fachen-Bewehrungsdurchmesser. • Die Parkdecks weisen ein Gefälle von 4.5 % auf. Dies führte dazu, dass der UHFB entsprechend thixotroper eingestellt werden musste (siehe Abb. 2-4 und 3-4). Diese Anforderung an die Gefälleignung wurde vorgängig im Rahmen der Einungsprüfung nachgewiesen. • Wie unter 2. erwähnt wird der UHFB im Normallfall selbstverdichtend eingestellt. Im vorliegenden Fall reichte eine Oberflächenbearbeitung mit einem niederfrequenten Abziehbalken um eine optimale Verfüllung und Verdichtung zu erhalten. • In die frische Oberfläche des UHFB wurde am Schluss eine Quarzsandmischung eingearbeitet. • Optional ist noch der Einbau einer vollflächigen Parkdeckbeschichtung OS 8 vorgesehen. • Aufgrund der Bedeutung der Vorspannung beim vorliegenden Parkhaus und aufgrund des guten Zustands der Monolitzen wird für die Vorspannung ein umfassendes Monitoringsystem eingebaut werden. • Schliesslich wird die Instandsetzung noch durch allfällig erforderliche Massnahmen zur Gewährleistung der Erdbebensicherheit ergänzt werden. Abb. 3-3: hydrodynamischer Betonabtrag im Bereich der Stützen mit der neu eingelegten Zusatzbewehrung Abb. 3-4: Einbau des UHFB (steife Konsistenz! ) Abb. 3-5: mit UHFB verstärkte Stützenköpfe auf den Parkdecks 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 265 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis 3.2 Beispiel 2: Instandsetzung Einstellhallen 3.2.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Bei den vorliegenden Objekten handelt es sich um insgesamt vier Einstellhallen, welche unmittelbar und parallel zur bestehenden öffentlichen Strasse in den Hang gebaut worden sind (siehe Abb. 3-6). Die Einstellhallen befinden sich auf einer Meereshöhe von rund 1‘300 Metern. Abb. 3-6: Einstellhalle C, unmittelbar neben der öffentlichen Kantonsstrasse Die talseitige Abschlusswand entlang der Strasse ist dabei extremen Einwirkungen aus Taumitteleinwirkungen, Frost, Hitze und mechanischen Einwirkungen durch den Einsatz des Schneepflugs ausgesetzt. Die Zustandsuntersuchungen zeigten u.a. dass die Karbonatisierung bereits hinter die Bewehrung reichte und es waren erhöhte Chloridbelastungen im Sockelbereich der Betonwände bis auf etwa 70 cm Höhe vorhanden. Zudem waren an den exponierten Wänden zahlreiche vertikal verlaufenden Trennrisse festzustellen. Diese dürften die Ursache bei fehlenden Dilatationsfugen sowie thermisch bedingte Spannungen im Beton haben. Die punktuell durchgeführten Rissbewegungsmessungen mittels Rissmonitoren zeigten erhebliche Rissbewegungen (siehe Abb. 3-7). 3.2.2 Instandsetzung Diese Ausgangslage erschwerte eine nachhaltige Instandsetzung der Wände. Starre Mörtelschichten aber auch kunststoffmodifizierte Beschichtungen vermögen nicht die temperaturbedingten Rissbewegungen aufzunehmen. Zudem musste davon ausgegangen werden, dass alle oberflächigen Massnahmen an der strassenseitigen Oberfläche durch Schneepflugeinwirkungen beschädigt oder gar zerstört würden. Aufgrund der mechanischen Kennwerte des UHFB wurde schliesslich im Sockelbereich eine Vorsatzschale aus UHFB der Sorte UA eingebaut. Der UHFB wirkt dabei als Oberflächen- (Chlorideinwirkungen) und Abrasionsschutz. Aufgrund seiner Zähigkeit (Mikrostahlfaserbewehrung) ist er zudem in der Lage die thermischen Spannungen rissefrei zu übernehmen. Abb. 3-7: Oberflächentemperatur- und Rissbewegungsverlauf Aussenwand, Messperiode 1 Woche im April 2019 266 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis • Hierzu wurde vorgängig der chloridbelastete Beton auf deine Tiefe von rund 30 mm und einer Gesamthöhe von 90 cm (inkl. Fundationsbereich) hydrodynamisch entfernt. • Anschliessend wurde der UHFB mit einer Gesamtschichtstärke von ca. 60 mm eingebaut (siehe Abb. 3-8). • Der UHFB wies bei der Herstellung ein Setzfliessmass von 510 mm bei einer Fliesszeit t 500 von 3s auf. Abb. 3-8: Einbau des UHFB im Sockelbereich der Aussenwände der Einstellhalle Abb. 3-9: Bildung einer sogenannten «Elefantenhaut» auf dem UHFB im Kipper Abb. 3-10: eingebauter UHFB im Sockelbereich Die Schwarzfärbung des UHFB ergab sich aufgrund des eingesetzten Zuschlagstoffs. • Der UHFB wurde dabei punktuell mittels Schalungsrüttlern nachverdichtet. Der Einbau erfolgte anfangs am Vormittag bei steigenden hochsommerlichen Temperaturen. Es zeigte sich dabei, dass der UHFB relativ schnell ansteifte (eingeschränkte Konsistenzhaltung), es bildete sich zeitweise auf dem noch nicht eingebauten UHFB eine sogenannte «Elefantenhaut» (siehe Abb. 3-9). Dabei handelt es sich um eine zähe Zementleimschicht, welche die Entlüftung des UHFB erschwerte. Der Einbau und die manuelle Verarbeitung wurden zudem dabei erheblich beeinträchtigt. Das Verarbeitungsfenster für den UHFB musste folglich in den frühen Vormittag vorverschoben werden. Bis auf kleine, lokal bei der Erstetappe vorkommende Schwachstellen konnten keine unzulässigen Hohlstellen und/ oder Entmischungserscheinungen an den ausgeschalten Flächen festgestellt werden (siehe Abb. 3-10). 3.3 Beispiel 3: Instandsetzung Parkhaus 3.3.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Bei einem bestehenden Parkhaus in Zermatt musste der befahrbare Aussenbereich mit der Zufahrt instandgesetzt werden. Auf dem Vorplatz über der Einstellhalle waren eine bituminöse Abdichtung und ein Walzasphaltbelag eingebaut. Es war keine Gefälle und somit keine funktionierende Entwässerung vorhanden. 3.3.2 Instandsetzung Aufgrund der beschränkten Höhenverhältnisse, der stark belasteten Fläche (Einwirkung durch Schwerverkehr und Gabelstaplerbetrieb mit Schneeketten) sowie der engen zeitlichen Vorgaben wurde beschlossen auf einer Fläche von rund 290 m 2 einen UHFB-Belag im Gefälle einzubauen. Dieser erfüllt im vorliegenden Fall gleichzeitig 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 267 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis eine Abdichtungsfunktion (Verzicht auf eine zusätzliche Abdichtung) sowie die Funktion eines direkt befahrbaren, abrasionsbeständigen Nutzbelags. Die wesentlichsten Arbeitsschritte lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Abbruch bestehender Asphaltbelag und Verbundabdichtung • Untergrundbearbeitung Decke mittels Feinfräse und anschliessendem Kugelstrahlen • partieller Einbau eines Hartbetonbelags zur Gefällsausbildung (siehe Abb. 3-11). Damit sollte die Einbaumenge des UHFB minimiert werden. • Kugelstrahlen der Hartbetonoberflächen • Einbau von befahrbaren Entwässerungsrinnen (Verdunstungsrinnen) • Einbau von Membran-Abdichtungsbändern entlang der Bauteilanschlüsse an die bestehenden Tore und Wände • Einbau eines Ultra-Hochleistungs-Faserbetons der Sorte UA in 2 Etappen, Schichtstärke variabel, minimal 20 mm, Abstreuung der Oberfläche mit einem Hartstoff • Der UHFB wurde unmittelbar während des Einbaus zwischen- und nach Abschluss mit einem Curing Compound nachbehandelt. Schliesslich wurden die Einbauflächen jeweils am Folgetag noch zusätzlich mit einer PE-Folie vollflächig abgedeckt (siehe Abb. 3-12 und 3-13). Abb. 3-11: Einbau des Hartbetons (Gefällsausbildung) Flügelglättung Abb. 3-12: manueller Einbau des UHFB im Gefälle gegen die neuen Entwässerungsrinnen Abb. 3-13: eingebauter UHFB-Nutzbelag, mit PE-Folien abgedeckt 3.4 Beispiel 4: Einsatz von UHFB als schwimmender und befahrbarer Estrichbelag 3.4.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Aufgrund eines Schadenfalls musste bei einem Vierstern- Hotel der Vorplatz im Erdgeschoss und im 1. Untergeschoss instandgesetzt werden. Der bestehende Plattenbelag aus Natursteinen musste dabei vollflächig ersetzt werden. Der Belag im Erdgeschoss wird dabei von Elektrofahrzeugen (Gesamtgewicht bis 4 Tonnen) befahren. Im 1. Untergeschoss bildet der Belag den Aussenbereich einer Wellnessanlage mit einem dazugehörigen Schwimmbad (siehe Abb. 3-16). Währenddem der Belag im 1. UG als Verbundbelag auf der bestehenden Bodenplatte ausgebildet werden konnte, war im Erdgeschoss zwischen der Deckenkonstruktion und dem Belag noch eine zusätzliche Wärmedämmschicht vorhanden. Der Belag hatte hier also zusätzlich noch eine Verteilfunktion zu übernehmen. 268 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis 3.4.2 Instandsetzungskonzept Bei beiden Decken kam ein UHFB-Belag zur Anwendung. Dabei spielten neben den technischen Anforderungen an das gewählte System zusätzlich auch hohe ästhetische Vorgaben (Vierstern-Hotel) eine entscheidende Rolle. Der UHFB auf der Bodenplatte im Lichthof wurde als Verbundbelag eingebaut (siehe Abb. 3-14). Die Schichtstärke betrug 20 mm. Auf eine Abdichtung konnte damit verzichtet werden. Die Anschlussbereiche wurden mittels Membranabdichtungsbändern realisiert. Die konstruktive Ausbildung im Erdgeschoss stellte eine Herausforderung dar. Die ursprünglich vorgeschlagene Druckverteilplatte mit einem Deckenbeton aus dem Verkehrsbereich (frost-tausalzbeständig) war mit einer Dicke von 120 mm grenzwertig und vermochte zudem die Bauherrschaft vom ästhetischen Standpunkt nicht zu überzeugen. Folglich entschied man sich für einen UHFB-Belag. Dieser wurde als schwimmend verlegte Druckverteilplatte mit einer Schichtstärke von 50 mm konzipiert. Die Fugeneinteilung im Belag wurde dabei nur auf die erforderlichen Arbeitsetappen abgestellt. Es wurden keine zusätzlichen Fugen ausgebildet. Durch die reduzierte Dicke des UHFB-Belags konnte die Wärmedämmschicht verstärkt werden. Unter dem UHFB-Belag wurde vorgängig auf der Wärmedämmung/ Gefällsdämmung eine zweilagige Polymerbitumenabdichtung mit einer darüberliegenden Drainschicht eingebaut. Bei beiden Belägen konnten nicht die rohe Oberfläche des UHFB belassen werden. Der Wellnessbereich im 1. Untergeschoss ist Barfussbereich für die Gäste. Allfällig herausstehende Mikrostahlfasern hätten eine permanente Verletzungsgefahr für die Gäste bedeutet. Im Erdgeschoss hätte der fertige UHFB-Nutzbelag nicht den hohen ästhetischen Anforderungen der Bauherrschaft zu genügen vermögen. Abb. 3-14: Einbau UHFB im Verbund auf Bodenplatte im 1. UG Abb. 3-15: Einbau UHFB (schwimmend) im Rampenbereich Erdgeschoss (Gefälle) auf Wärmedämmung und zweilagig verlegter Polymerbitumen-Abdichtung Abb. 3-16: fertig eingebauter UHFB mit Color-Quarz- Einstreuschicht Lichthof Wellness/ Schwimm-bad 1. Untergeschoss Auf die eingebrachten UHFB-Beläge wurden daher jeweils in separaten Arbeitsgängen noch zusätzliche dampfdiffusionsoffene Epoxy-Sandträgerschichten eingebaut. Im UG d.h. im Aussenbereich des Wellness wurde im Barfussbereich diese Schicht mit einem Color-Quarz abgestreut (siehe Abb. 3-16). Im Erdgeschoss wurde eine grün eingefärbte Siliciumcarbid-Abstreuung eingebaut (siehe Abb. 3-17). Dies soll auch einen entsprechenden Abriebwiderstand gegenüber dem Elektrofahrzeugbetrieb auf dem Vorplatz gewährleisten. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 269 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 3-17: fertig eingebauter UHFB mit Einstreuschicht Siliciumcarbid im Rampenbereich Erdgeschoss Die Ausführung der beiden UHFB-Beläge hat sehr gut geklappt. Einzig die Ausbildung der Arbeitsfugen bedurfte noch entsprechender Anpassungen. Durch die relativ grossen Felder beim schwimmenden UHFB-Belag sind die thermisch bedingten Bewegungen der Platten entsprechend grösser. 3.5 Beispiel 5: Verstärkung einer Brückenplatte mit einem UHFB 3.5.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Bei diesem Beispiel galt es auf einer bestehenden Brückenüberführung nachträglich eine statische Verstärkung durchzuführen und gleichzeitig die Abdichtung zu ersetzen. Die Strassenbrücke führt über mehrere Bahnlinien und weist dabei ein beidseitiges Gefälle auf. 3.5.2 Instandsetzungskonzept Wie bereits in einigen Fällen ausgeführt, wurde im vorliegenden Fall ein mit schlaffer Bewehrung verstärkter UHFB auf den vorbereiteten Betonuntergrund eingebaut. Der Einbau erfolgte dabei in mehreren Etappen. Auf die Oberflächen des eingebauten UHFB wurden unmittelbar beim Abziehen ein Zwischennachbehandlungsmittel (Verdunstungsschutz) aufgebracht. Es handelte sich hierbei um eine Emulsion bestehend aus Öl und Wasser. Sobald der UHFB trittfest war, wurde zudem ein flüssiges Nachbehandlungsmittel (Curing Compound) aufgesprüht und die Oberflächen mit einer PE-Folie vollflächig abgedeckt. Nachfolgend soll auf einige spezifische Probleme und Erkenntnisse im Rahmen der Bauausführung eingegangen werden: • Aufgrund der Anforderung an die Gefälleeignung wies der UHFB eine erhöhte Viskosität auf. • Dies war den Beteiligten von Anfang an klar, so dass die entsprechenden Arbeiten während des Hochsommers bewusst auf die Nacht verschoben wurden. • Im Rahmen der ersten Einbauetappe kam es während des Einbaus zu einem längeren Stromausfall, so dass sich die Einbauarbeiten bis in den späten Vormittag hinzogen. • Aufgrund der steigenden Temperaturen und der Sonneneinstrahlung veränderte sich die Konsistenz immer mehr, so dass der Einbau erschwert und schliesslich nicht mehr möglich war (siehe Abb. 3-18). Der Einbau wurde unterbrochen und eine zusätzliche Etappe musste vorgesehen werden. Abb. 3-18: Einbau UHFB 1. Etappe • Trotz der vorgängig beschriebenen Nachbehandlungsmassnahmen wurden am Folgetag auf der UHFB-Oberfläche lokal Risse festgestellt (siehe Abb. 3-19). Es handelte sich hierbei um Frühschwindrisse. Abb. 3-19: Rissbild UHFB-Oberfläche, 1. Etappe 270 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 3-20: halbierter Bohrkern Fahrbahnplatte mit Riss (Pfeil) im UHFB Zur Abklärung wie tief die Risse im UHFB vorhanden sind, wurden verschiedene Bohrkernproben entnommen und anschliessend im Labor untersucht (siehe Abb. 3-20). Dabei zeigte es sich, dass die Risse maximal 10 mm, bei einem Einzelriss 22 mm tief im UHFB vorhanden waren. 4. Eignungs- und Qualitätskontrollen Das in der Schweiz eingeführte Merkblatt SIA 2052 [11] behandelt u.a. auch den Aspekt der Qualitätssicherung von UHFB. Dabei werden Prüfungen für den UHFB bei den Erstprüfungen, den periodischen Qualitätsprüfungen des Herstellers sowie den Eignungs- und Qualitätsprüfungen auf der Baustelle beschrieben. Die nachfolgende Tabelle 5 aus dem erwähnten Merkblatt fasst die entsprechenden Prüfungen, in diesem Fall für UHFB, welcher als Premix angeliefert wird, zusammen. Im Rahmen der Frisch-UHFB-Prüfungen geht es neben den traditionellen Frischbetonuntersuchen wie der Bestimmung des Wassergehalts, des Luftgehalts und der Rohdichte auch um die messtechnische Ermittlung von Rheologie-Parametern, welche man auch bei der Anwendung von selbstverdichtenden Betonen (SVB) kennt. Die Fliessgrenze bzw. das Fliessvermögen wird dabei über das Setzfliessmass nach EN 12350-8 bestimmt. Die Viskosität wird mit der Fliesszeit t 500 ermittelt. Dabei zeigt die Erfahrung, dass bei UHFB’s mit Gefälleeignung das Setzfliessmass und insbesondere die Fliesszeit nicht unbedingt die geeigneten Untersuchungsmethoden darstellen. Zum Teil kann bei hochviskosen Mischungen die Fliesszeit gar nicht messtechnisch erfasst werden. Allenfalls kann als Alternative zur Bestimmung der Viskosität die Trichterauslaufzeit ermittelt werden. Weitere wichtige Untersuchungsbzw. Nachweiskenngrössen stellt die Verarbeitungszeit dar. Diese definiert den Zeitraum, in welchem der UHFB gutes Fliessverhalten, gute Selbstverdichtung sowie eine gute Selbstentlüftung aufweist. Daneben spielen zusätzlich auch das Rücksteifverhalten und die Temperaturempfindlichkeit des Frisch-UHFB’s eine wichtige Rolle. Verarbeitungszeit und Temperaturempfindlichkeit kennzeichnen schliesslich die Robustheit des UHFB. Die Mikrostahlfasern werden vielfach händisch zur Mischung dazugegeben. Zur Kontrolle des effektiven Fasergehalts im frischen UHFB kann entweder ein Auswaschversuch oder das Stahlfasergerät (siehe Abb. 4-2) eingesetzt werden. Beim letzteren handelt es sich um ein induktives Messverfahren. Abb. 4-2: Stahlfasergerät 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 271 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 4-1: Tabelle 5 aus [11] Beim ausgehärteten UHFB werden hauptsächlich die Druckfestigkeit und die Biegezugfestigkeit bestimmt. Bei der Biegezugprüfung wird die Kraft-Durchbiegungs- Antwort unter einer 4-Punkt-Biegung eines Prüfkörpers aus UHFB ermittelt (siehe Abb. 4-3). Es handelt sich dabei um einen verformungsgesteuerten Versuch, welcher grosse Anforderungen an die Steuerung der Prüfeinrichtung stellt. Dabei werden Platten mit den Abmessungen 30 mm x 100 mm x 500 mm geprüft. Die Herstellung der entsprechenden Probekörper (siehe Abb. 4-4) beeinflusst die Ausrichtung der Fasern und hat daher je nach Konsistenz einen gewissen Einfluss auf die Ergebnisse. Abb. 4-3: 4-Punkt-Biegezugversuch nach MB SIA 2052 272 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 4-4: Herstellung der Probeplatten mit einem relativ hochviskosen UHFB Abb. 4-5: Kraft-Durchbiegungs-Kurven aus dem Biegezugversuch an Platten Abb. 4-6: qualitative Bestimmung des Fasergehalts an einer UHFB-Platte (Querschnitt 30x100 mm) nach dem Biegezugversuch mittels LIPS, Schnittfläche mit Abstand der Faserlänge zum Riss Um schliesslich allfällige Streuungen bei den Ergebnissen der Biegezugversuche auf Plausibilität hin zu untersuchen, besteht u.U. der Bedarf den Fasergehalt und die Faserverteilung am erhärteten UHFB nachzuweisen. Hierzu besteht neben fotooptischen Methoden auch die Möglichkeit der Anwendung der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIPS). Dieses Verfahren ist u.a. auch in [12] und [13] näher erläutert. Die Abb. 4-6 zeigt eine entsprechende Auswertung. 5. Fazit Mit dem Hochleistungswerkstoff UHFB konnten in den letzten Jahren zahlreiche Anwendungen durchgeführt und entsprechende Erfahrungen gesammelt werden. Typische Anwendungen sind dabei eher flächige und filigrane Bauteile. Für den Einsatz von UHFB bedarf es in 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 273 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis jedem Fall einer sorgfältigen Planung und guten Vorbereitung der Ausführung. Zur Erreichung einer ausreichenden Formfüllung in Abhängigkeit der Geometrie des zu füllenden Bauteils sind Mindestanforderungen an die Fliessgrenze und Viskosität festzulegen. Das Fliess- und Entlüftungsverhalten muss an die Fragestellung und an die Bauteilgeometrie angepasst werden. Die Verarbeitungszeiten und auch die Temperaturempfindlichkeit des anzuwendenden UHFB muss bereits im Rahmen von Eignungsprüfungen untersucht und bei der Ausführung berücksichtigt werden. Der Zwischen- und der Nachbehandlung muss bei UHFB-Flächen eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Durch den ohnehin kleinen Wassergehalt verträgt es keine zusätzlichen Verdunstungsverluste beim UHFB. Den Fachleuten stehen heute eine Vielzahl von Möglichkeiten zum Eignungsnachweis und zur Qualitätsüberwachung bei UHFB-Anwendungen zur Verfügung (z.B. Merkblatt SIA 2052 [11]). 6. Ausblick Der Anwendung von UHFB sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Er eignet sich u.a. auch für nachfolgende Einsatzgebiete: • Wasserbau: Bauteile mit Anforderungen an einen erhöhten Abrasionsschutz • Industriebau: Bauteile, welche chemischen Einwirkungen ausgesetzt sind • Vorfabrikation: dünnwandige Bauelemente im Fassaden- oder Brückenbau • weitere… Hinsichtlich der Materialtechnologie sind aktuell schon erste Anwendungen von UHFB mit einem Ersatz der Mikrostahlfasern durch synthetische Fasern durchgeführt worden. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit wird es künftig auch darum gehen die CO 2 -Bilanz von UHFB zu minimieren. Dies kann man beispielsweise durch eine Reduzierung des Portlandzementklinkeranteils und des Fliessmittelgehalts sowie den Ersatz der Mikrostahlfasern durch gewellte Stahlfasern grösseren Durchmesser erreicht werden. Literatur [1] Brühwiler E., Oesterle C., Redaelli D.: 3. Fachtagung Ultra-Hochleistungs-Faserbeton 2019, Freiburg/ Schweiz ISBN 978-3-906878-07-2 [2] Brühwiler E. et al: Bau einer Bahnbrücke aus bewehrtem UHFB - Weltweit erste Bahnbrücke aus UHFB auf einer Hauptlinie Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [3] Methner R., Müller R.: Brückeninstandsetzung, Ertüchtigung und Abdichtung mit Ultrahochfestem- Faserbeton (UHFB) Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [4] Cuennet St.: Nutzung des Ultra-Hochleistungs- Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven 4. Kolloquium Brückenbauten, September 2020, Technische Akademie Esslingen [5] Hadl P. et al: Anwendung von UHPC als direkt befahrener Aufbeton bei der Integralisierung eines bestehenden Brückenbauwerks in Österreich Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015) [6] Orgass M. et al: Überführungsbauwerk der L 3378 bei Fulda-Lehnerz, Erster Einsatz von UHPC in Deutschland im Strassenbrückenbau, Teil 2: Betontechnologie und Qualitätssicherung Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018) [7] Fischer O. et al: Deutschlandweit erstmalige Anwendung von UHPFRC im Eisenbahnbrückenbau, Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [8] Kränkel Th.: Ultrahochfeste Betone: anwendungsorientierte Optimierung hinsichtlich der Verarbeitbarkeit und Festbetoneigenschaften, FKSB-Fachtagung Betontechnologie - aktuelle Themen und Erkenntnisse, 2020 [9] Truffer Ph.: Parkhaus P3, Saas Fee - Moderne Untersuchungsmethoden und ein innovativer Ansatz bei der Instandsetzung eines chloridverseuchten Bauwerks, 9. Kolloquium Parkbauten 2020, Technische Akademie Esslingen [10] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: Ultrahochfester Beton - Sachstandsbericht, 2008, Heft 561 [11] Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA, Zürich: Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) - Baustoffe, Bemessung und Ausführung, SIA 2052: 2016, inkl. Korrigendas [12] Millar St. et al: Chemische Zustandsanalyse von Stahlbetonbauwerken mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS), [13] Truffer. Ph. et al: Wie lange noch? - Semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessung bei Parkdecks mit Chlorideinwirkung mittels Einbezug von LIBS-Untersuchungen, 9. Kolloquium Parkbauten 2020, Technische Akademie Esslingen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 275 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken Simon Liebl Holcim (Deutschland) GmbH, Stuttgart, Deutschland Björn Callsen Holcim (Deutschland) GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Stahlbetonbauwerke sind langlebige und dauerhafte Konstruktionen. Doch auch diese erreichen die geplante Lebensdauer nur durch regelmäßige Wartung und Sanierung. Ausführungsmängel und fehlende Überwachung können schon vorzeitig zu ungeplanten Sanierungsmaßnahmen führen. Für diese Maßnahmen gibt es zahlreiche etablierte Produkte und Sanierungssysteme. In der Regel sind diese meistens zementbasierte Reparaturmörtel und -betone. Viele Produkte sind auf Trockenmörtelbasis und finden sich in der Rubrik PCC-Mörtel wieder (Polymer Cement Concrete). Diese Mörtel und Betone werden bei größeren Einsatzmengen in Silos direkt auf der Baustelle vorgehalten, bei kleineren Sanierungen in 25kg Säcken. Die Herstellung und Verarbeitung von Sackware ist sehr personal- und zeitaufwändig. Um diese Produkte analog zu Transportbeton in größeren Mengen auf der Baustelle herstellen zu können hat die Fa. Holcim (Deutschland) GmbH eine radmobile Mischanlage entwickelt. Mit dieser Anlage ist es nun möglich viele Sanierungsbetone inklusive modifizierter Transportbetone direkt auf der Baustelle ohne aufwändige Baustelleneinrichtung herzustellen. Im Folgenden werden einige Anwendungen vorgestellt. 1. Radmobile Mischanlage Mitte 2018 beschloss die Fa. Holcim (Deutschland) GmbH eine radmobile Mischanlage zu entwickeln. Diese sollte vollkommen autark direkt auf der Baustelle zementgebundende Baustoffe herstellen können. Der ursprüngliche Fokus lag dabei auf die Produktion von Infraleichtbeton, welcher flächendeckend in Deutschland nicht verfügbar ist, da kein Transportbetonanbieter überall eine entsprechend technisch ausgestattete stationäre Betonmischanlage betreiben kann, um diesen Hochleistungsbeton herzustellen. Dieser Infraleichtbeton ist in seiner Zusammensetzung ähnlich komplex aufgebaut wie polymermodifizierte zementöse Sanierungsmörtel. Daher war von Anfang an geplant diese mobile Mischanlage so flexibel wie möglich zu gestalten, um neben Infraleichtbeton auch konventionellen Transportbeton nach DIN EN 206-1/ DIN 1045-2 herstellen zu können. Dafür wird das Werk von dem Materialprüfungsamt für das Bauwesen der Technischen Universität München fremdüberwacht. Des Weiteren sollten alle handelsüblichen zementösen Baustoffe mit dieser Anlage hergestellt werden können. Abbildung 1: Ansicht radmobile Mischanlage (Quelle: Holcim) Die Anlage besteht aus einer dreiachsigen Sattelzugmaschine von MAN mit einem Kranaufbau von Palfinger. Die Mischanlage und Silos sind auf einem speziellen Plateauauflieger von Fliegl verbaut. Zur autarken Stromversorgung ist ein 130 KW Stromaggregat installiert worden. Daneben befinden sich die verschiedenen Betonzusatzmittel und Zusatzstoffe zur Herstellung der entsprechenden Betonrezepturen. Zwei Bindemittelsilos können mit Zement, Zusatzstoffen oder Trockenmörtel befüllt werden. Von diesen Silos fördern zwei konventionelle Zementschnecken das Bindemittel zum Mischer. Dieser 1m³ fassende leistungsstarke Tellermischer mit Wirbler wird auch in Transportbetonmischanlagen verbaut und hat eine sehr gute Mischwirkung. Dahinter befinden sich zwei Silos für Gesteinskörnungen, welche über Förderbänder in den Mischer dosieren. Auf dem Mischer befindet sich eine Betonzusatzmittelwaage zur Verwiegung der Zusatzmittel. Diese werden mit Zusatzmittelpumpen aus den Lagerbehältern gefördert und verwogen. Be- 276 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken tonzusatzstoffe wie Mikrosilikaslurry oder Polymerdispersionen werden mit einer speziellen Schlauchpumpe gefördert. Zusätzlich ist eine Faserdosieranlage für Polymermikrofasern verbaut. Der Mischer steht auf Wägezellen zur Verwiegung der festen Ausgangsstoffe. Lediglich das Zugabewasser aus dem 2 m³ Wassertank wird mittels geeichtem Durchflussmengenzähler dosiert. Die Anlage wird über eine vollautomatische Steuerung von Dorner betrieben. Abbildung 2: Komponenten der radmobile Mischanlage (Quelle: Holcim) Die Ausgangsstoffe wie der Zement und die Gesteinskörnung werden in Big Bags auf die Baustelle geliefert und mit dem Kran in die Bindemittelsilos bzw. Gesteinskörnungssilos entleert. Abbildung 3: Beladung Anlage mit Big Bags (Quelle: Holcim) Somit ist die radmobile Mischanlage komplett autark und kann an jedem Ort zum Einsatz kommen. Zusätzlich wurde das Betonwerk CSC-GOLD-zertifiziert als weltweit erste mobile Mischanlage. Das Concrete Sustainability Council (CSC) wurde von der „Nachhaltigskeitsinitiative Zement“ initiiert und führte ein weltweites Zertifizierungssystem ein, das Unternehmen im Bereich Beton, Zement und Gesteinskörnung Aufschluss darüber gibt, inwieweit ökologisch, sozial und ökonomisch verantwortlich operiert wird. [1] Abbildung 4: CSC-Zertifikat in Gold (Quelle: Holcim) Abbildung 5: Übereinstimmungszertifikat (Quelle: Holcim) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 277 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken 2. PCC-Trockenmörtel Für die Sanierung von Betonbauwerken gemäß der Instandsetzungs-Richtlinie (RiLi SIB) des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) [2] haben zahlreiche Anbieter geprüfte PCC-Sanierungssysteme im Angebot. Diese Systeme haben sich über viele Jahrzehnte bewährt und bestehen in der Regel aus fertigen Mischungen in denen bereits alle Komponenten außer dem Zugabewasser enthalten sind. Für größere Baumaßnahmen werden Trockenmörtelsilos direkt auf der Baustelle errichtet und mit Silozügen beliefert. Abbildung 6: Trockenmörtelsilos (Quelle: Sika) Die erforderliche Baustelleneinrichtung und Vorhaltung der Silos ist in der Regel erst ab einem gewissen Volumen wirtschaftlich. Kleinere Sanierungen werden immer noch durch die Herstellung von PCC-Mörtel aus 25kg Säcken im Schaufelmischer durchgeführt. Dies ist sehr personalaufwändig und es sind nur geringe Mengen herstellbar. Bei größeren Mengen von mehreren Tonnen PCC-Mörtel stößt man dabei schnell an die Grenzen des machbaren. Die radmobile Mischanlage ist für diese Einsatzzwecke ideal geeignet. Es können alle in Big Bags verfügbaren Trockenmörtel direkt auf der Baustelle angemischt werden und dort an eine Betonpumpe oder Laderschaufel übergeben werden. Es werden bis zu zehn Kubikmeter Stundenleistung erreicht und ein kontinuierlicher Materialfluss ist gewährleistet. 3. Sanierung mit Ultrahochfestem Beton (UHPC) Die Sanierung von Bauwerken mit UHPC ist in Deutschland noch nicht sehr verbreitet. Dieser Baustoff ist noch nicht genormt, eine entsprechende Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) ist in Erstellung [3]. Insbesondere für die Sanierung von Brückenbauwerken ist die Verwendung von einer dünnen Schicht UHPC als „overlay“ interessant, da die Funktion der Abdichtung und Tragschicht in einem Produktionsschritt erfolgen kann. In vielen Ländern ist diese Art der Sanierungsmaßnahme bereits etabliert. Abbildung 7: Brückensanierung mit UHPC in Basel (2018) (Quelle: Holcim) Eine weitere Anwendung von UHPC ist der Einsatz von UHPC-Spritzbeton zur Verstärkung von Bauteilen. Diese Anwendung wurde in Deutschland bisher nur in Form eines Forschungsvorhabens getestet [4]. Zum Einsatz kam ein Trockenmörtel von LafargeHolcim aus der DUCTAL-Reihe. Abbildung 8: Anlieferung des DUCTAL-Trockencompounds in Big Bags (Quelle: Holcim) Dieser UHPC wurde mit der radmobilen Mischanlage vor Ort auf dem Versuchsgelände problemlos hergestellt und direkt an die Betonpumpe übergeben. 278 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken Abbildung 9: Baustellenversuch mit DUCTAL Shotcrete (Quelle: Holcim) Die Konsistenz des Spritzbetons war relativ steif eingestellt. Zudem war der Beton mit 250kg/ m³ Mikrostahlfasern bewehrt. Abbildung 10: steife Konsistenz des DUCTAL-UHPC- Spritzbetons (Quelle: Holcim) 4. Polymermodifizierter Transportbeton als Sanierungsbeton Neben PCC-Trockenmörteln können zahlreiche Sanierungsmaßnahmen auch mit konventionellem Transportbeton durchgeführt werden. Der Einsatz erfolgt meistens bei sehr großen Abtragsraten des geschädigten Altbetons mit einsprechend starkem Betonauftrag. 4.1 Sanierungsbeton als Betonersatz Bei dünneren Schichten ist oft der Einsatz von den beschriebenen PCC-Sanierungssystemen erforderlich. Eine weitere Möglichkeit besteht mit der Verwendung eines polymermodifizierten, faserbewehrten, schwindreduzierten Sanierungsbeton als Transportbeton. Diese Betone sind sehr aufwändig in der Herstellung, und daher in einigen Regionen nicht verfügbar. Mit der radmobilen Anlage können diese Betone auf der Baustelle hergestellt werden. Da immer die gleichen Ausgangsstoffe zum Einsatz kommen ist eine erweiterte Erstprüfung und die genaue Auswahl der geeigneten Stoffe möglich. Um einen möglichst gefügedichten Beton herzustellen wird ein CEM III/ A 42,5 N eingesetzt, um einen hohen Chloridmigrationswiderstand von < 5 * 10^-12 m²/ s zu erzielen. 4.2 Reprofilierungsmörtel für Kathodischen Korrosionsschutz (KKS) Eine Sonderform der Sanierung von chloridkontaminierten Bauteilen ist der kathodische Korrosionsschutz. Hierbei werden nicht alle Chloride aus dem Bauteil entfernt, sondern die Bewehrung wird durch das Anlegen eines Gleichstroms kathodisch geschützt. Zur Einbettung der Titanbandanoden und zur Reprofilierung der Betonoberflächen können zugelassene PCC-Mörtel oder geeignete Reprofilierungsmörtel und -betone verwendet werden. [5] Abbildung 11: Montage der Titanbandanoden des KKS- Systems auf der Parkhausdecke (Quelle: Lay) Die Eignung der mineralischen Einbettung ist durch den sachkundigen Planer zu bewerten. Im Gegensatz zu den vorgenannten möglichst dichten Sanierungsbetonen dürfen die Reprofilierungsmörtel keine puzzolanen Stoffe enthalten, welche zu einer nachträglichen Verdichtung des Gefüges führen und somit zu einer Erhöhung des Elektrolytwiderstands. Auch hier wurden schon polymermodifizierte, faserbewehrte und schwindreduzierte Sanierungsbetone als Transportbeton verwendet. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 279 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken Diese Betone sind einerseits leichtverdichtend, andererseits sehr thixotrop, so dass sie auch im Gefälle verarbeitbar sind. Abbildung 12: Betoneinbau des Reprofilierungsmörtels mit einer konventionellen Betonpumpe (Quelle: Lay) Mit diesem Beton können in Kombination mit einer Kunststoffdispersion wie dem Sika Control E-260 als Haftbrücke, welche nicht „frisch in frisch“ verarbeitet werden muss, sehr große Flächen in kurzer Zeit reprofiliert werden. 5. Zusammenfassung Jedes Bauprodukt für die Sanierung hat Vor- und Nachteile. Insbesondere die händische Verarbeitung von PCC- Trockenmörteln und UHPC-Trockencompound ist sehr aufwändig. Mit der vorgestellten radmobilen Mischanlage können diese Systeme wirtschaftlich direkt auf der Baustelle in größeren Mengen und ohne Baustellensilos hergestellt werden. Des Weiteren können anspruchsvolle Betone wie in einem Transportbetonwerk, aber ortsunabhängig mit den gleichen Ausgangsstoffen deutschlandweit angeboten werden. Die Fa. Holcim (Deutschland) GmbH plant mit vier Fahrzeugen bis 2023. Somit kann eine flächendeckende Versorgung in Deutschland sichergestellt werden. Literaturverzeichnis [1] Bundesverband der Deutschen Transportbetonindustrie e.V., Concrete Sustainability Council - Einführung in das CSC-Zertifizierungssystem, September 2019 [2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, DAfStb- Richtlinie - Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie), Oktober 2001 [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, DAfStb- Richtlinie - Ultrahochfester Beton, Teil 2: Beton, Entwurf Juni 2019 [4] Jungwirth, J.; Kustermann, A.; Dauberschmidt, C.; Strotmann, A.; Pollner, T., Innovative retrofitting and strengthening of reinforced concrete structures using Ultra-High Performance Shotcrete. Proceedings of HiPerMat 2020 5th International Symposium on Ultra-High Performance Concrete and High Performance Construction Materials. Kassel, 11-13 März, 2020 [5] Lay, S., Gutachten zum Elektrolytwiderstand von KKS-Beton, 2018, unveröffentlicht Denkmalpflege/ Mörtel 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 283 Weiterbauen - im ländlichen Raum Dipl.-Ing. Christian Kaiser Zusammenfassung Ein Grossteil des Baubestandes ist 40 Jahre alt oder älter und befindet sich im ländlichen Raum. Häufig werden diese bestehenden Gebäude entweder durch unpassende Materialwahl überformt und in ihrer Gestaltung beeinträchtigt oder durch unpassende Neubauten ersetzt. Dabei wäre die sanfte Weiterentwicklung der Bestandsbauten bei gleichzeitiger Modernisierung ein deutlich nachhaltigere Beitrag für klimagerechtes und ressourcenschonendes Bauen. Die Gesellschaft ist sich einig, dass beim heutigen Bauen stets auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden müssen. Nur, welche Aspekte sind besonders wichtig und welche sind verzichtbar? Während die einen auf höchstmögliche Energieeinsparung setzen, ist für andere der Verzicht auf Materialien und Energieträger aus fossilen Rohstoffen prioritär. Während Nachhaltigkeitskriterien bei Neubauten oft mühsam umgesetzt werden, bieten Bestandsbauten vielfältige Möglichkeiten, wie ressourcenschonendes und klimagerechtes Bauen umgesetzt werden können. 1. Regionale Baukultur Gerade im ländlichen Raum dominiert eine lokale Baukultur, die heutige Nachhaltigkeitsaspekte auf selbstverständliche Weise berücksichtigt: Es dominieren vor Ort verfügbare Materialien, die geringe Grauenergiebilanzen aufweisen, wie z.B. Massivhölzer, Lehm, Kalk und gebrannte Ziegel. Der ökologische Baustoff Holz findet Anwendung in Konstruktion, Fassade und Innenausbau, während flankierende Baustoffe wie Lehm und Kalk für eine mängelfreie Langlebigkeit sorgen. Gleichzeitig wurden regionale Handwerkstechniken eingesetzt, die zur Herausbildung eigenständiger lokal verwurzelter Bautechnologien führten und die Wertschöpfung in der Region behielten. In Grösse, Ausrichtung und Konstruktion sind Bestandsgebäude vorbildlich in die kleinklimatische Umgebungssituation eingebunden. Vor allem aber im Hinblick auf einen möglichst nachhaltigen Lebenszyklus mit hoher Umbaufähigkeit sind Altbauten häufig im Vorteil. Im Gegensatz hierzu lassen konventionelle Neubauten diese regionale Verwurzelung oder auch nur die Einbindung in bestehende Strukturen vermissen, da diese aus ortsungebundenen industriell hergestellten Baustoffen unter dem Primat von Kosteneinsparung und schnellen Bauzeiten erstellt werden. In Funktion und Ausführung sind Neubauten nur auf die konkrete Bauaufgabe ausgerichtet und bieten nur geringe Optionen für eine spätere Umbaufähigkeit. Ein kurzer Lebenszyklus mit gleichzeitig hohem Müllaufkommen (beim Abbruch) ist damit Teil der Planungsgrundlage. 2. Hohes Umbaupotential im Bestand Dabei liegt ein grosses Potential gerade im Umbau und der Umnutzung von Bestandsbauten im ländlichen Raum. Leer stehende Scheunen, still gelegte Werksgebäude und Gaststätten, aber auch vielfach überdimensionierte Nutzgebäude in attraktiver Lage können mit geringem Aufwand für neue Nutzungen umgestaltet und auf ein technisch zeitgemässes Niveau gebracht werden. Dabei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass die Eigen- und Besonderheiten des Bestandes nicht verloren gehen, sondern gestärkt werden. Immerhin prägen diese Gebäude das Erscheinungsbild der Ortschaften und gebauten Landschaften. Auch in der Materialisierung zerstören moderne und unpassende Baustoffe die bestehende Struktur. Daher empfehlen sich sensible Konzepte eines Umbaus mit gleichartigen Materialien - eben ein Konzept des „Weiterbauens“. So können bestehende Konstruktionen aus Holzblockbauweisen oder Fachwerk weitergeführt und mit natürlichen Materialien für moderne Gestaltung und zeitgemässen Komfort ertüchtigt werden. 3. Lerning from the past Am Beispiel einer durch Jahrhunderte geprägten Baukultur mit eigenständigen konstruktiven Techniken und streng ressourcenoptimierter Bau- und Handwerkskunst lässt sich ablesen, wie die Verbindung der vielfältigen Nachhaltigkeitsaspekte nicht nur gelingen kann, sondern auch zu einer identitätsstiftenden und verbindenden Klammer für unsere Siedlungen und Landschaften wird. Regionale Baukultur wird somit zum vorbildhaften Gegenentwurf zu einer beliebig gewordenen Planungskultur, die ohne Berücksichtigung und Kenntnis der kleinräumlichen und klimatischen Situation den immergleichen seriellen Bautypus an jedem beliebigen Ort dieser Welt planen und bauen kann. 284 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Weiterbauen - im ländlichen Raum Zudem zeigt sich an alten Häusern, dass der Verzicht auf synthetische Materialien, Kunst- und Giftstoffe, sowie auf starren Beton zu einem sehr dauerhaften Bautypus führt, der noch dazu mit einem sehr guten Raumklima führt. Weiterhin bestechen die mit natürlichen Materialien umgebauten Altbauten mit einer hohen sinnlichen und hatischen Qualität der Innenräume und Oberflächen, die zu einer eigenen Identität der Gebäude führen. Gerade auch bei heutigen Umbauten alter Gebäude sollte daher nicht mit neuen ortsfremden Materialien eingegriffen werden, sondern die bestehende Konstruktion weitergeführt und für heutige Bedürfnisse verbessert werden. So können Altbauten auf nachhaltige Weise „weitergebaut“ werden. Dies erlaubt auch ergänzende An- und Umbauten, sowie ergänzende Neubauten. Gerade in Zeiten eines zunehmenden gesellschaftlichen Orientierungs- und Identitätsverlustes ist dies ein wichtiges Anliegen, um nicht den ererbten Schatz an Bauten, Ortsbildern und handwerklicher Kunst gegen eine austauschbare Baukultur der verputzten Dämmfassade zu verlieren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 285 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? Dr. rer. nat. Andreas Zahn MC-Bauchemie Müller GmbH & Co. KG, Leipzig Dr. rer. nat. Andreas König Universitätsklinikum Leipzig AöR, Poliklinik für zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde, Leipzig Jonas Hallmann MC-Bauchemie Müller GmbH & Co. KG, Leipzig Zusammenfassung Feuchteregulierungsputze - optimiert für den Salztransport - wurden mit Mikroröntgencomputertompgraphie (µXCT) untersucht. Damit wird ein ortsaufgelöster Einblick in die Makroporenstruktur dieser SalzTransportPutze ermöglicht. Über 90 % des Gesamtmakroporengehaltes wird erstaunlicher Weise durch eine einzige Pore ausgebildet. Diese Pore bildet ein dreidimensionales Makroporennetzwerk in der Putzmatrix und keinen in sich geschlossenen, geometrischen Körper. Das bedeutet für die Praxis, dass kristallisierende Salze stets ausreichend Hohlraum zur Ausbildung ihrer Kristallstruktur finden, ohne die Putzmatrix zu zerstören. Dies gilt nicht nur für die Putzoberfläche, sondern auch für das Innere der Putzschicht. Jenes dreidimensionale Makroporennetzwerk ist für die Langzeitstabilität der Putzmatrix verantwortlich und funktioniert selbst bei mittleren bis hohen Salzlasten. Es konnte nicht nur in Laborprismen nachgewiesen werden, sondern auch in Putzproben, die von Bauwerken entnommen und bei denen der Putz in Hand- und in Spritzapplikation eingebaut worden war. Darüber hinaus entsteht dieses Netzwerk sowohl in zementgebundenen als auch in zementfreien NHL-Putzen. 1. Feuchtigkeit und Salze im Mauerwerk Der Feuchtezustand eines Mauerwerks ist vor allem im erdberührten Bereich meist erhöht. Häufig sind horizontal sperrende Schichten eines älteren Mauerwerks nicht mehr intakt oder fehlen gänzlich. Dieser Umstand führt nicht selten zu einem starken kapillaren Sog insbesondere im Sockelbereich eines Gebäudes. Ähnlich feuchtebelastet sind erdberührte Mauern (Umfassungsmauern, Stützmauern u.a.). Die eingetragene Feuchtigkeit ist in der Regel kein reines Wasser, sondern mehr oder weniger mit wasserlöslichen Salzen (Chloride, Nitrate, Sulfate) angereichert. Außerdem werden auch die in den Baumaterialien vorhandenen wasserlöslichen Salze mobilisiert. Das bedeutet, es benötigt nicht zwingend einen Eintrag von Salzen von außerhalb. Bei einigen Bauwerken wurde das Schadpotential bereits mit der Wahl der Baumaterialien eingearbeitet. In den Verdunstungszonen reichern sich die Salze an und die Salzkristallisationen führen zu den bekannten Mauerwerks- und Putzschädigungen. Jedoch führt nicht nur die Kristallbildung in den Trocknungsbereichen zur Schädigung. Die mauerwerksschädigenden Salze sind oftmals in der Lage Kristallstrukturen mit unterschiedlicher Anzahl von Wassermolekülen in der Elementarzelle auszubilden. Somit können auch Umkristallisationen bei Änderungen der Mauerwerksfeuchte zu kristallisationsbedingten Schäden führen. Eine „Trockenlegung“ feuchte- und salzbelasteter Mauerwerke ist vielfach nicht möglich, nicht erwünscht oder aufgrund von Anforderungen aus dem Denkmalschutz nicht gestattet. 2. Feuchteregulierung mit Funktionsputzen nach WTA Im WTA-Merkblatt 2-14 [01] „Funktionsputze“ ist unter dem Aspekt der Beeinflussung des Wassertransports die „Feuchteregulierung - Wasserabgabe aus dem Mauerwerk ohne Schädigung des Putzes“ als spezielle Funktion enthalten. Anwendungsziel ist hier dauerhaftes Verputzen von stark durchfeuchtetem Mauerwerk. Für diese, nicht hydrophob eingestellten Putze wird eine Kombination aus überwiegend Kapillarporen (0,1 - 100 µm) und Luftporen (> 100 µm) zur Beeinflussung des Wasser- und Salztransportes definiert. Gelöste Salze werden in Richtung Oberfläche transportiert und können in Luftporen oder an der Oberfläche auskristallisieren. Die Gesamtporosität soll 40 - 60 Vol.-% betragen. 286 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? 3. Porositätsuntersuchungen 3.1 Feuchteregulierungsputz (2010) In den Ausführungen „Feuchteregulierungsputz: Feuchte- und Salztransport in einem porositätsoptimierten Putzsystem“ [2] wurde mit Hg-Druckporosimetrie der Kapillarporenanteil und die Porenradienverteilung des von uns betrachteten Feuchteregulierungsputzes bestimmt. Die Gesamtporosität wurde aus der Bestimmung von Roh- und Reindichte ermittelt. Der Luftporenanteil (Makroporen > 100 µm) konnte somit aus der Differenz berechnet werden. Diese Eigenschaften wurden so auch an einem Sanierputz ermittelt. Porensystem - Feuchteregulierungsputz (2010): - Kapillarporen < 100µm 27,8 Vol.-% - Gesamtporosität 53,9 Vol.-% - Makroporen > 100 µm berechnet 26,1 Vol.-% Porensystem - Sanierputz (2010): - Kapillarporen < 100µm 45,2 Vol.-% - Gesamtporosität 54,3 Vol.-% - Makroporen > 100 µm berechnet 9,1 Vol.-% Der von uns betrachtete Feuchteregulierungsputz zeichnete sich durch einen relativ hohen Makroporenanteil aus. Wir haben damals bereits geschlussfolgert, dass der Feuchteregulierungsputz nicht nur ein enges Kapillarporensystem besitzt, sondern insgesamt sehr breit gefächerte Porengrößen aufweist. Dadurch wird der kapillare Sog im Wesentlichen unterbunden und die gelösten Salze werden an die Oberfläche transportiert und können kristallisieren. Antworten auf die Fragen „Was passiert bei vollständiger Austrocknung des Putzes? “ und „Zerstören die Kristalle das Putzgefüge im Inneren des Putzes? “ konnten wir nicht geben. 3.2 Feuchteregulierungsputze - optimiert für den Salztransport In Fortführung dieser Untersuchungen haben wir uns speziell auf Feuchteregulierungsputze konzentriert, die augenscheinlich auch bei hohen Salzlasten Stabilität im Putzgefüge aufweisen. Diese Feuchteregulierungsputze werden nachfolgend als SalzTransportPutze (STP) bezeichnet. Für die Porositätsuntersuchungen wurden folgende Proben herangezogen: STP 01 (2016) Probe aus einem 40x40x160 mm Prisma, im Labor hergestellt Bindemittel Zement, Zuschlag Kalkstein-Brechsand- Sieblinie µXCT-Probe ca. 20x20x90 mm STP 02 (2019) Probe aus einer Putzfläche geschnitten - BV Plötzky Putz wurde mit der Hand gemischt und verarbeitet, Putzstärke ca. 3 cm Bindemittel NHL, Zuschlag Kalkstein-Brechsand-Sieblinie µXCT-Probe ca. 15x15x25 mm STP 03 (2018) Probe aus einer Putzfläche geschnitten - BV Pöthen Putz wurde maschinell verarbeitet (G4, Nachmischer, D4-2 LP, 26 m Schlauch - Innendurchmesser 30 mm), Putzstärke ca. 6 cm Bindemittel Zement, Zuschlag Kalkstein-Brechsand- Sieblinie µXCT-Probe ca. 20x20x60 mm STP 04 (2018) Probe aus einer Putzfläche geschnitten - BV Pöthen Putz wurde maschinell verarbeitet (G4, Nachmischer, D4-2 LP, 26 m Schlauch - Innendurchmesser 30 mm), Putzstärke ca. 6,5 cm Bindemittel NHL, Zuschlag Kalkstein-Brechsand-Sieblinie µXCT-Probe ca. 20x20x60 mm Da bisherige Untersuchungen an unseren Feuchteregulierungsputzen zum Porensystem mit Hg-Druckporosimetrie und Bestimmung von Roh- und Reindichte keinen detaillierten Einblick in das Makroporensystem gestatten, haben wir die Mikroröntgencomputertomographie (µXCT) ausgewählt, mit der Poren > 40 µm ortsaufgelöst bestimmt werden können. Dazu wurde ein Industrietomograph mit einer Feinfokusröntgenröhre (Öffnungsdurchmesser 3mm, Wolfram Target) und einem 2D-Detektor benutzt. Bei den länglicheren Proben (STP 03 (2018), STP 04 (2018)) wurden die digitalen Datensätze nach einer Kalibrierung der Grauwertverteilungen miteinander verbunden [3]. Die Messungen erfolgten ortsaufgelöst entlang der Probenlängsachse. (Abb. 1) Abb. 1: ortsaufgelöste Makroporosität (3D) entlang der Probenachse Aus den µXCT-Messungen sind folgende grundsätzlichen Ergebnisse ermittelt worden: - ortsaufgelöste Makroporosität - Porenanzahl (Makroporen) in den Porenklassen (Anlehnung an DIN EN 480-11) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 287 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? - Sphärizität der Makroporen in den einzelnen Porenklassen - ortsaufgelöste, dreidimensionale Darstellung des Makroporensystems Abb. 2: örtlich aufgelöste Gesamtporosität - STP 01 Die örtliche aufgelöste Makroporosität entlang der Längsachse der Probe STP 01 (Laborprisma 2016) zeigt einen Verlauf mit relativ geringen Abweichungen. Der gemittelte Wert liegt > 23 Vol.-%. (Abb. 2) Die ortsaufgelöste Makroporosität der Proben STP 02 - 04 ist in Abb. 3 dargestellt. Hierfür wurde in Längsrichtung die Makroporosität für jedes einzelne Schnittbild ermittelt und als Liniendiagramm dargestellt. Die Abbildung verdeutlicht, dass sich die Makroporosität im Längsquerschnitt einer Probe im Mittel (Standardabweichung) um max. 2,7 Vol.-% verändert. Abb. 3: ortsaufgelöste Gesamtporosität - STP 02-04 In den nachfolgenden Diagrammen sind Porenanzahl, Porosität in Vol.-% und die Sphärizität der Poren für die einzelnen Porenklassen dargestellt. Die Werte beziehen sich auf ein Volumen von 12x12x25 mm = 3.600 mm 3 . Die Sphärizität, auch Zirkularität genannt, ist eine charakteristische Größe in der Granulometrie zur Beschreibung des Rundungsgrades. Die Größe wird aus dem Verhältnis zwischen spezifischer Oberfläche und dem Volumen berechnet. Die Sphärizität kann maximal den Wert 1, was einer Kugel entspricht, erreichen. Abb. 4a: STP 02 (2018) Abb. 4b: STP 02 (2019) Abb. 5a: STP 03 (2018) 288 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? Abb. 5b: STP 03 (2018) Abb. 6a: STP 04 (2018) Abb. 6b: STP 04 (2018) Anhand des Vergleiches zwischen Anzahl an Poren sowie anteiligem Porenvolumen wird deutlich, dass der überwiegende Anteil am Gesamtporenvolumen in einem einzigen großen Porennetzwerk vorliegt. Kleine Poren mit einer Größe von ≥ 40 µm kommen zwar in großer Anzahl vor, tragen aber auf Grund ihres sehr geringen einzelnen Porenvolumens nur einen sehr geringen Anteil am Gesamtmakroporenvolumen bei. In allen untersuchten Fällen nimmt die größte einzelne Pore über 90 % des Gesamtmakroporenvolumens ein. Die mit steigender Porengröße abnehmende Sphärizität verdeutlicht, dass es sich bei den großen Poren nicht um kuglige Luftporen, sondern um Fehlstellen im Putzgefüge mit einer deutlich größeren spezifischen Oberfläche im Verhältnis zu ihrem Volumen handelt. Es sind jedoch immer noch geschlossene geometrische Körper. Das dreidimensionale Makroporennetzwerk wurde computertomographisch als eine Pore nachgewiesen. Miteinander kommunizierende Röhren sind immer nach einer oder mehreren Seiten offen, ohne Materialbegrenzung. Das Makroporennetzwerk kann auch dreidimensional dargestellt werden (Abb. 7-10). Im jeweils linken Prisma sind die Poren in die Putzmatrix (grau) eingebettet. Im jeweils rechten Prisma wurde die Putzmatrix entfernt. Das dreidimensionale Makroporennetzwerk ist eindeutig erkennbar. Abb. 7: STP 01 (2016) - Laborprisma Abb. 8: STP 02 (2019) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 289 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? Abb. 9: STP 03 (2018) Abb. 10: STP 04 (2018) 4. Fazit Die Mikroröntgencomputertomographie (µXCT) gestattet einen detaillierten Einblick in die Makroporenverteilung von Putzproben. In den porositätsoptimierten SalzTransportPutzen wurden folgende Makroporengehalten ermittelt: Erfasst wurden Poren mit einem Durchmesser > 41 µm. Je größer die Poren werden, umso mehr verringert sich die Sphärizität. Bis zu einem Durchmesser von ca. 1.000 µm sind die Poren aber stets in sich abgeschlossene geometrische Gebilde. Ihr Anteil an der gesamten Makroporosität liegt immer bei kleiner 10 %. Über 90 % des Gesamtmakroporengehaltes wird durch ein großes Gebilde von miteinander verbundenen Poren, einem dreidimensionalen Netzwerk in der Putzmatrix, ausgebildet. Die Mikroröntgencomputertomographie identifiziert dieses Netzwerk als eine einzige große Pore. Da an keiner Stelle des erfassten Porennetzwerkes eine Porenwandung einen Abschluss bildet, liegt das Makroporennetzwerk praktisch nicht als geschlossener geometrischer Körper vor. Kristallisierende Salze treffen aus diesem Grund bei der Kristallisation auf keinen Widerstand, welcher den Aufbau eines Expansionsdrucks ermöglichen würde. Es gibt immer einen Hohlraum zur störungsfreien Ausbildung ihrer Kristallstruktur. Da sich dies nicht nur auf die Oberfläche der untersuchten Salztransportputze bezieht, sondern auch auf die Putzmatrix im Inneren einer Putzschicht, können die Putze eine besonders hohe Dauerhaftigkeit auch bei hohen Salzlasten generieren. In den Bereichen, in denen eine Trockenlegung der Bauwerke nicht wirtschaftlich oder nicht möglich ist, können Salztransportputze eine echte Alternative darstellen. Die Vorteile eines dreidimensionalen Makroporennetzwerkes liegen auf der Hand. Zum einen kann die Feuchtigkeit effizient und ohne Feuchtigkeitsstau über die Putzoberfläche an die Umgebung abgegeben werden und zum anderen bietet die spezielle Porenstruktur ausreichend Platz um Kristallisationsdruck auf das Putzgefüge zu vermeiden. Dadurch kann auch bei mittel bis hoch salzbelasteten Bauwerken eine Langzeitstabilität erzielt werden, welche eine nachhaltige Instandsetzung dort ermöglicht, wo andere Maßnahmen versagen. Literaturquellen [1] WTA-Merkblatt 2-14 Funktionsputze Ausgabe 07.2019, Frauenhofer IRB Verlag 2019 [2] Jungermann-Last, W. et.al., Feuchteregulierungsputz: Feuchte- und Salztransport in einem porositätsoptimiertem Putzsystem TAE Esslingen, 2. Kolloqium zur Erhaltung von Bauwerken 2011 [3] König, A., Analysis of air voids in cementitious materials using micro X-ray computed tomograohy (µXCT) Construction and Building Materials 244 (2020) 118313 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 291 War es dem Turm zu heiß? Brände als mögliche Ursache für Mauerwerksschäden an einem historischen Turm Prof. Dr.-Ing. Matthias Jagfeld Hochschule Coburg, Studiengang Digitale Denkmaltechnologien, Coburg TFI-Jagfeld, Gröbenzell Zusammenfassung In vielen historischen Türmen zeigen sich vertikale Risse deren Ursache oft mit Baugrundsetzungen und allgemeiner Verwitterung sowie dem heterogenen Aufbau des in der Regel mehrschaligen Mauerwerks in Zusammenhang gebracht wird. Auch der Einflüsse von täglich und jahreszeitlich wechselnden Bauwerkstemperaturen, der bei Kirchen oft als Ursache für Risse in den Längswänden vermutet wird, könnten einen Einfluss haben. Eine viel größere Temperatureinwirkung entsteht, wenn die hölzernen Geschossdecken und Dachwerke durch Brände zerstört werden. Dass solche Ereignisse eine mögliche Schadensursache darstellen können, kann mit der Methode der Finten Elemente rechnerisch gezeigt werden. 1. Einleitung Anlass für die durchgeführten Untersuchungen war die Planung von Instandsetzungsmaßnahmen am „Blauen Turm“ in Bad Wimpfen durch das Büro Kayser + Böttges, Barthel + Maus GmbH aus München. Die umfangreiche Bestands- und Schadensaufnahme ergab, dass auf allen vier Seiten des Turmes vertikale Risse mit Breiten von mehreren Zentimetern Breite vorhanden sind, die schon mehrfach überarbeitet und verfüllt worden waren. Bei mehreren vorangegangenen Sanierungsmaßnahmen wurde bereits erfolglos versucht, durch dem Einbau von Zugankern, Mund Mauerwerkinjektionen ein weiteres Risswachstum zu verhindern. Da weder Schäden an der Gründung vorliegen noch rechnerische Überbeanspruchungen des intakten Mauerwerks bei Eigengewicht und Windbelastungen festzustellen sind, blieb letztendlich neben dem speziellen Aufbau der Mittelschale des dreischaligen Mauerwerks die Lastumlagerungen durch die mehrfachen Umbauten der Turmspitze als mögliche Schadensursache übrig. Temperatureinflüsse aus täglich und jahreszeitlich wechselnden Bauwerkstemperaturen wurden wegen der großen Masse des Mauerwerks als Rissursache zunächst ausgeschlossen. Bekannt ist aber, dass es mehrere Brände gegeben hat, bei dem der Innenausbau des Turmes sowie das Turmdach vollständig zerstört wurden - siehe (Arbeitskreis für Hausforschung, 2020). Der vorliegende Artikel beruht auf einer Studie, die der Autor im Auftrag des Planungsbüros Büro Kayser + Böttges, Barthel + Maus GmbH erstellt hat. Ziel war zu untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Brandeinwirkung und den vorhandenen massiven vertikalen Rissen geben kann. 292 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 War es dem Turm zu heiß? Fig. 1: „Blauer Turm“ in Bad Wimpfen; Rissaufnahme Piper, 1972 (Institut für örtliche Angelegenheiten, 2020), oberhalb der gestrichelten Linie wurde das Mauerwerk 1848ff erneuert. 2. Bauwerk 2.1 Konstruktion In der hier beschriebenen Untersuchung wurde ein möglicher Schadensmechanismus qualitativ untersucht. Daher genügen einige Eckpunkte zur Beschreibung der Konstruktion: Der Turm ist bis zur Turmspitze ca. 52 m hoch. Der mittelalterliche Turmschaft ist nahezu quadratisch mit Außenmaßen von ca. 10,4 m, seine Oberkante befindet sich in einer Höhe von ca. 24 m über Gelände. Die Mauerdicken betragen auf allen Seiten ca. 2,4 m. Das Mauerwerk ist dreischalig, die Dicken der Innen- und der Außenschalen aus behauenen Kalksteinen beträgt ca. 40 - 60 cm, auf Innenseite wurde bei den Maßnahmen der 1970er Jahre eine Spritzbetonschale ergänzt. Die Mittelschale besteht aus Opus Spicatum, einem Mauerwerk, bei dem flache Steine schrägstehend in Mörtel versetzt werden. Auf dem mittelalterlichen Turmschaft befindet sich ein ca. 6,5 m hohes gemauertes Geschoß mit vier Ecktürmchen darüber das hölzerne Dachwerk. 2.2 Schäden Neben weiteren Schäden weisen alle vier Seiten des Turmes eine Vielzahl kleinerer und größerer vertikaler Risse auf. Auffällig ist, dass die Rissbreiten von unten bis zur mittleren Höhe des mittelalterlichen Schaftes zu- und nach oben wieder abnehmen. 2.3 Brandereignisse Dokumentiert sind drei Brandereignisse: 1674, 1848 und 1984. Aus Berichten von Zeitzeugen ist bekannt, dass der Turm nach dem Brand im Jahr 1848 aufgrund der Hitze im Inneren erst mehrere Wochen später wieder betreten werden konnte. Bei dem folgenden Wideraufbau mussten ca. 3,3 m des mittelalterlichen Mauerwerks abgetragen werden, weil das Mauerwerksgefüge als nicht mehr tragfähig eingeschätzt wurde. 3. Berechnungen 3.1 Zielsetzung Die durchgeführten Berechnungen sollen qualitativ klären, ob ein Zusammenhang zwischen den Rissen und dem Brandereignis bestehen kann. Die Temperaturverhältnisse während des Brandes und die für die Ermittlung der zeitlich veränderlichen Temperaturverteilungen erforderlichen thermodynamischen Materialparameter sind nicht bekannt und können nur mit Hilfe von Literaturangaben grob abgeschätzt werden. Quantitative Aussagen sind daher nicht möglich. Deswegen kann auch auf eine geometrisch exakte Abbildung des Turmes im Rechenmodell verzichtet werden. Für die Berechnungen kann ein einfaches Modell verwendet werden, dass die wichtigsten Maße schematisch abbildet. (CADFEM-WikiPLUS, 2020) 3.2 Modellbildung Die Geometrie des Turmes weist insgesamt 4 Symmetrieebenen auf: jeweils vertikale Flächen durch die gegen- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 293 War es dem Turm zu heiß? überliegenden Seitenmitten des quadratischen Grundrisses und zwei weitere vertikale Ebenen in Richtung der Diagonalen des Grundrisses. Da näherungsweise davon ausgegangen werden kann, dass auch die Temperaturbelastung durch den Brand dieselben Symmetrieebenen besitzt, ist es bei Berücksichtigung entsprechender Symmetriebedingungen ausreichend, ein Achtel des Turmschaftes in einem Rechenmodell abzubilden. Da die Außen- und Innenschale andere Materialeigenschaften aufweist, wird die Mehrschaligkeit im Modell berücksichtigt. Fig. 2: Geometrie des Turmschaftes (schematisch), Ausschnitt Rechenmodell, Maße in [m] 3.3 Materialkennwerte: Mechanische Materialkennwerte: Die außer der Dichte des Mauerwerks und der Druckfestigkeit sind keine mechanischen Materialkennwerte bekannt. Sie werden daher aus Erfahrung abgeschätzt oder Literaturangaben entnommen. Außenbzw. Innenschale: E-Modul Außenschalen: 1500 MN/ m² Dichte: 2800 kg/ m³ Druckfestigkeit vertikal: 7 MN/ m² Zugfestigkeit horizontal: 0,5 MN/ m² Füllmauerwerk: E-Modul Außenschalen: ~500 MN/ m² Dichte: 1800 kg/ m³ Druckfestigkeit vertikal: 2 MN/ m² Zugfestigkeit horizontal: 0,5 MN/ m Thermodynamische Materialkennwerte: Die Thermodynamischen Kennwerte wurden aus Literaturangaben abgeschätzt (TU Dresden. Szilagy, J., 1995): Wärmeleitfähigkeit: K = 0,7 - 1,75 ⇒ K = 0,7 W/ (m*K) Wärmekapazität: C = 700 - 740 ⇒ C = 700 J/ (kg*K) 3.4 Transiente Temperaturfeldberechnung: Die maßgebende Belastung ist bei den hier vorgestellten Untersuchungen die aus dem Brand im Mauerwerk entstehende Temperaturverteilung. Vor der Berechnung von mechanischen Spannungen muss daher eine zeitabhängige Temperaturfeldberechnung erfolgen. Temperaturmessungen zum Brandereignis stehen selbstverständlich nicht zur Verfügung. Es ist aber bekannt, dass die hölzerne Dachkonstruktion und die hölzernen Zwischendecken beim Brand eingestürzt sind. Eine plausible Annahme ist daher, dass das glühende Material sich unten im Turm angesammelt und dort lange hohe Temperaturen erzeugt hat. Über Konvektion und Strahlung wurde dort das Mauerwerk am meisten erhitzt. Das heiße Rauchgas ist nach oben gestiegen, hat über Konvektion die Turminnenseite erwärmt und sich dabei abgekühlt. In der Temperaturfeldberechnung wird das Brandereignis über Temperaturvorgaben für die umgebende Luft beschrieben. Die Wärmeübertragung von Luft auf Mauerwerk erfolgt im Rechenmodell ausschließlich über Konvektion. Übertragung über Strahlung wird nicht berücksichtigt. 294 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 War es dem Turm zu heiß? • Zu Beginn wird dem gesamten Turm eine konstante Temperatur von 20°C vorgegeben. • Auf der Außenseite kann das Mauerwerk Wärme über Konvektion an die umgebende Luft abgeben. Für die Umgebungsluft wird eine Temperatur von 20°C angesetzt. • Innenseitig werden drei Zonen berücksichtigt: Die untersten 5 m, der Bereich zwischen 5 m und 15 m und die obere Turmhälfte. Der Brand wird dadurch angenähert, dass im unteren Bereich für 24 Stunden eine Innenraumtemperatur von 1000°C angesetzt wird, im mittleren Bereich 600°C und in der oberen Turmhälfte 300°C. • Danach findet auf den Innenflächen keine Wärmeübertragung mehr statt (Adiabatische Randbedingungen) Der Wärmeübergangskoeffizient a an der Oberfläche des Turmes zur Außenlauft und zum Innenraum hängt von der Oberflächenbeschaffenheit und der Luftströmung ab. Auch er kann nur näherungsweise mit Literaturwerten beschrieben werden. In nachfolgender Tabelle 1 sind beispielhafte Werte angegeben. Der Wärmeübergangskoeffizient hängt von der Strömungsgeschwindigkeit der umgebenden Luft ab. Je schneller die Luft an der Wand vorbeiströmt, desto größer ist der Wärmeübergang. Während des Brandes war im Turminneren durch die entstehende Thermik eine schnelle Luftbewegung vorhanden. Sie wird mit 20 m/ s (=72 km/ h) abgeschätzt. Vorberechnungen zeigen, dass der Turm sich außenseitig kaum erwärmt, so dass dort kaum Luftbewegungen aus dem Brand selber resultieren. Luftbewegungen entstehen dort durch Wind. Sie werden näherungsweise mit 5 m/ s = 18 km/ h abgeschätzt. Tabelle 1: Wärmeübergangskoeffizienten aus (CADFEM-WikiPLUS, 2020) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 295 War es dem Turm zu heiß? Innenwände: a = 7,5 * 20 0,78 = 77,6 Þ 80 W/ (m²*K) Außenwände: a = 7,5 * 5 0,78 = 26,3 Þ 30 W/ (m²*K) Fig. 3: Angenommene Konvektionsrandbedingungen für die ersten 24 Stunden des Brandes Di Berechnung wird für einen Zeitraum von 10 Tagen durchgeführt. Weil zu diesem Zeitpunkt das Mauerwerk noch immer nicht vollständig abgekühlt ist, wird ein letzter Lastschritt angehängt, mit dem das Modell wieder auf konstant 20°C gesetzt wird. Die Berechnungen zeigen, dass im Mauerquerschnitt ein starker Temperaturgradient entsteht. Zu Beginn des Brandes heizt sich die Innenwandung fast auf die angesetzte Innentemperatur auf. Nachdem innenseitig die Temperaturlast entfernt wurde fällt die Temperaturkurve wieder stark ab. Die Wärme breitet sich nach außen im Turmmauerwerk aus und der Temperaturgradient wird kleiner. Außenseitig ändern sich die Temperaturen kaum. Dass auf der Innenseite auch nach 20 Tagen noch eine Temperatur von ca. 200°C errechnet wird, stimmt qualitativ mit der historischen Aussage überein, dass der Turm auch zwei Wochen nach dem Brand aufgrund der Hitze nicht betreten werden konnte. Ein Wärmeabfluss kann bei den berücksichtigten Randbedingungen nur an der Außenseite stattfinden. Dort ergibt sich mit den hier angenommenen Materialdaten im untersuchten Zeitraum nur eine sehr geringe Temperaturerhöhung, so dass die eingebrachte Wärme im Rechenmodell noch nahezu vollständig im Mauerwerk gespeichert ist. Fig. 4: Errechneter Temperaturverlauf [°C] am in 5 m Höhe an verschiedenen Punkten des Mauerquerschnitts über die Zeit [Tage] 3.5 Mechanische Berechnung Für die mechanische Untersuchung wird dasselbe Elementnetz verwendet. Das Mauerwerk wird an der Unterseite in allen Richtungen unverschieblich gelagert. An den Symmetrieebenen werden die entsprechenden Randbedingungen angebracht. Die Berechnung erfolgt mit einem Materialmodell, das die Rissbildung im Mauerwerk berücksichtigen kann (Jagfeld, 2000). Bei dem auf der Mehrflächenplastizität beruhenden Materialmodell werden Risse durch plastische Dehnungen wiedergegeben. In einem ersten Lastschritt wird das Eigengewicht aufgebracht. Die Referenztemperatur, bei der keine Temperaturdehnungen entstehen, wird mit der Anfangstemperatur von 20°C gleichgesetzt. Anschließend werden der Reihenfolge nach die zuvor errechneten Temperaturverteilungen als Belastungen aufgebracht. Zum Ende der Berechnung wird das gesamte Modell wieder auf die Anfangstemperatur von 20°C gesetzt. Die statischen Berechnungen der einzelnen Belastungen bauen aufeinander auf. Sie sind nichtlinear und erfordern daher ein iteratives Lösungsverfahren. 4. Berechnungsergebnisse In den nachfolgenden Abbildungen Fig. 5- Fig. 8 sind die Verformungen 200-fach überhöht dargestellt. Um die Vergleichbarkeit der bbildungen herzustellen, werden im die selben Farbskalen verwendet. Zur besseren Anschulichkeit wird das 1/ 8-Modell auf den halben Turmquerschnitt erweitert. Vor dem Brandereignis entstehen durch das Eigengewicht des Mauerwerks Vertikalspannungen, die deutlich unterhalb der Mauerwerksfestigkeit liegen. In Außenbzw. Innenschale werden Werte von -2,2 MN/ m² errech- 296 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 War es dem Turm zu heiß? net, in der Mittelschale sind die Werte kleiner als -0,5 MN/ m² siehe Fig. 5. Die Größe der Druckspannungen ist in der Innen- und der Außenschale ungefähr gleich. Im unteren Bereich - beim ersten Querschnittssprung - sind geringe Verformungen nach außen erkennbar. Risse werden nicht errechnet. Daher wird auf die entsprechenden Abbildungen verzichtet. Fig. 5: Vertikalspannungen [MN/ m²] bei Eigengewicht, vor Brandbeginn Ein Tag nach Brandbeginn herrschen auf den Innenflächen des Turmes ungefähr die im Innenraum vorgegebenen Lufttemperaturen - siehe Fig. 6. Die Erwärmung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Innenschale des Mauerwerks. Diese dehnt sich vertikal und horizontal aus. Einerseits führt das dazu, dass die Mittel- und Außenschale horizontal mitgezogen werden und dort vertikale Risse entstehen und andererseits wird die vertikale Druckfestigkeit der Innenschale überschritten, so dass dort plastische Stauchungen entstehen. Die Verformungsfigur zeigt Ausbauchungen nach außen im unteren Turmbereich und eine „vasenförmige“ Ausweitung des oberen Schaftendes. 14 Tage nach Brandbeginn hat sich die eingetragene Wärme im Mauerwerk verteilt. Es ergibt sich eine deutlich gleichmäßigere Temperaturverteilung im Mauerwerk - siehe Fig. 7. Die Innenschale ist wieder deutlich abgekühlt, dafür ist die Mittelschale nun wärmer geworden. Die Vertikalspannungen in der Innenschale sind wieder deutlich kleiner geworden bleiben aber trotzdem größer als die Spannungen in der Außenschale. Dadurch, dass jetzt auch die Mittelschale erwärmt ist und sich horizontal ausdehnt, werden die vertikalen Risse in der Außenschale größer. Fig. 6: Ergebnisse 1 Tag nach Brandbeginn 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 297 War es dem Turm zu heiß? Fig. 7: Ergebnisse 14 Tage nach Brandbeginn Am oberen Schaftende des Turmes entstehen in Seitenmitte ebenfalls vertikale Risse. Die Ausbauchungen im unteren und mittleren Bereich nehmen ebenso zu wie „vasenförmige“ Aufweitung des oberen Randes. Fig. 8: Ergebnisse nach vollständiger Abkühlung 298 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 War es dem Turm zu heiß? Auch nach der vollständigen Abkühlung des Turmes verbleiben die Verformungen mit annähernd gleicher Größenordnung - siehe Fig. 8. Durch die Abkühlung zieht sich die Innenschale vertikal zusammen. Die plastischen Stauchungen bleiben jedoch vorhanden, so dass sie sich ihrer Belastung teilweise entzieht. Ein Teil ihrer ursprünglichen Last wird durch Schubverbund auf die Mittel- und Außenschale übertragen. Die Außenschale ist nun deutlich stärker belastet. Die vertikalen Risse auf der Außenseite verbleiben, zusätzlich ist eine Vielzahl vertikaler Risse auf der Innenseite entstanden. Unterhalb der „vasenförmigen“ Aufweitung werden innenseitig horizontale Risse errechnet. 5. Übertragung der Ergebnisse auf den Bergfried der Burgruine Forstenberg Die Ruine des Bergfrieds von Burg Forstenberg weist auf drei der vier erhaltenen Außenwänden des fünfeckigen Grundrisses jeweils einen breiten vertikale Risse auf. Die Risse beginnen in Höhe des zweiten Turmgeschosses, nehmen nach oben in der Breite zu und laufen am oberen Turmende in einem großen Mauerwerksbereich mit stark aufgelockertem Gefüge aus. Das Rissbild weist ausgenscheinlich eine große Ähnlichkeit mit den oben errechneten Rissbild auf. Auffällig ist auch die qualitative Ähnlichkeit der „vasenförmigen“ Aufweitung am oberen Ende des Schaftes - siehe Fig. 8. Die geschilderten Ähnlichkeiten legen die Vermutung nahe, dass der Berfried der spätestens im 17. Jhrdt. (Wikipedia, 2020) aufgegebenen Burg ausgebrannt ist. Fig. 9: Bergfried der Burgruine Forstenberg bei Regenstauf 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 299 War es dem Turm zu heiß? Fig. 10: Grundriss und Verlauf der Außenkanten der Turmwände 6. Bewertung Die hier vorgestellten Berechungen beruhen auf einer Vielzahl von Annahmen zu Materialdaten und Randbedinungen. Sie erheben keinen Anspruch auf eine quantitative Genauigkeit. Sie zeigen jedoch qualitativ, dass ein Brand im Turminneren eine mögliche Ursache für die vertikalen Rissen auf der Außenseite des „Blauen Turmes“ ind Bad Wimpfen ist. Weiter kann spekuliert werden, ob die deutliche Zerüttung des Mauergefüges durch viele vertikale Risse auf der Turminnenseite zum Einbau der Spritzbetonschale in den 1970er Jahren geführt hat. Auch könnte die „vasenförmige“ Aufweitung des oberen Endes mit den einhergehenden flächig in Seitemitte verteilten vertikalen Rissen und den innenseitigen horizontalen Rissen zum Abtrag und Wiederaufbau der oberen 3,3 m des Turmes nach dem Brand von 1852 geführt haben. Um Instandsetzungsmaßen zielgerichtet planen zu können, müssen die Ursachen vorhandener Schäden so genau wie möglich verstanden sein. Beim Blauen Turm in Bad Wimpfen konnten die vorgestellten Berechnungen dazu beitragen. Der Vergleich der Berechnungsergebnisse mit dem Schadensbild des Bergfriedes in Forstenberg zeigt ebenfalls eine große Ähnlichkeit. Auch bei diesem Turm kann ein Branderegnis zu den vorhandenen Schäden geführt haben. Die Erkenntnis, dass die Schäden am Bergfried der Ruine Forstenberg vermutlich auf ein einmaliges Brandereignis zurückgeführt werden können und nicht durch regelmäßig wiederkehrende Lasten hervorgerufen werden, war für den Entwurf und die Dimensionierung der Instandsetzungsmaßnahmen von großer Bedeutng. Die vorgesehenen Zuganker konnten für geringe Lasten konstruktiv bemessen werden. Die Eingriffe in den noch vorhandenen Bestand konnten so minimiert werden. Literaturverzeichnis [1] Arbeitskreis für Hausforschung, R.-W. (16. 11 2020). Datenbank Bauforschung/ Restaurierung. Von ttps: / / www.bauforschung-bw.de/ objekt/ id/ 127710667418/ blauer-turm-in-74206-bad-wimp fen/ abgerufen [2] CADFEM-WikiPLUS. (19. 11 2020). Von http: / / www.cae-wiki.info/ wikiplus/ images/ 5/ 57/ Konvek tion-2.jpg abgerufen [3] Institut für örtliche Angelegenheiten. (16. 11 2020). Institut für örtliche Angelegenheiten. Von https: / / cms.gtas-braunschweig.de/ uploads/ images/ Collec ting/ Pieper_Wimpfen_1972_Foto.jpg abgerufen [4] Jagfeld, M. (2000). Tragverhalten und Berechnung gemauerter Gewölbe bei großen Auflagerverschiebungen - Untersuchungen mit der Finite-Elemente- Methode. Aachen: Shaker. [5] TU Dresden. Szilagy, J. (1995). Leitgesteine für dei Denkmalpflege, Untersuchung petrophysikalischer Eigenschaften an Leitgesteinen für die Denkmalpflege. Dresden. [6] Wikipedia. (26. 11 2020). Wikipedia. Von https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Burg_Forstenberg abgerufen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 301 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen Bernwart Jungermann LBJ Baustoffmikroskopie und Baustofftechnologie UG (haftungsbeschränkt) 57399 Kirchhundem - Silberg 1. Einleitung: Wenn von historischen Mörteln die Rede ist, kann man große Zeiträume in die Überlegungen einbeziehen, hier sollen überwiegend Ingenieurbauwerke betrachtet werden, deren Nutzung und Dauerhaftigkeit eine größere Bedeutung haben und nicht nur aus Gründen der Denkmalpflege einen Fortbestand erfahren sollen. Viele dieser Bauwerke stammen aus dem Beginn des Industriezeitalters und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den zu verwendenden Bindemitteln ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dazu zählen insbesondere große Ingenieurbauwerke, wie Talsperren, Brücken oder auch große Profanbauten. Diese Bauwerke haben heute noch eine große Bedeutung in der Nutzung und damit auch in der Dauerhaftigkeit. Nun haben sich in der Zeit von etwa 1850 bis heute gewaltige Veränderungen in der Anwendung und der Art der Bindemittel ergeben. Viele der historischen Konzepte aus dieser Zeit stützen sich im Grundgedanken auf die sehr alten Beispiele der Römer und fanden dort ihre ihre Anwendung. Parallel dazu entwickelte sich allerdings ein neues Verständnis zu dem Bindemittel und seiner Optimierung hin zum hoch energiereich gebrannten Zement. 2. Veränderung der Bindemittel: Diese rasche Entwicklung vom Kalkbindemittel zum hochgebrannten Zement kann man an den Talsperren am deutlichsten ablesen. Sie vollzog sich ebenso rasant wie die Entwicklung der polytechnischen Hochschulen in Europa. Die Talsperren in Europa wurden überwiegend von dem bekannten Prof. Dr.-Ing. Otto Intze und seinen Absolventen aus Aachen dominiert. Zu einer seiner ersten Talsperren gehörte die Eschbachtalsperre 1888 im Bergischen Land, als die Zementindustrie noch keine vorrangige Bedeutung hatte. Es wurden als Mörtel und Bindemittel, vergleichbar mit römischen Beispielen, Puzzolane mit einem hohen Kalkanteil eingesetzt. Der nächste wesentliche Schritt der Veränderung kam schon mit der Planung und Ausführung der Talsperre Malter in Sachsen, die bereits 1906 aus einem hervorragenden Beton hergestellt wurde. Dieses war noch eine parallele Entwicklung. Zur gleichen Zeit wurde die Oestertalsperre im Bergischen Land noch mit Kalkhydrat und Puzzolanen vergleichbar der Eschbachtalsperre gebaut. Abb. 1 Olympus BH 2, 25 x Bindemittelmatrix mit Kalk und Puzzolanen Mikrorissen und Kalkspatzen (Portlandit, roter Pfeil) M = 400 µm Abb. 2 Olympus BH 2 100 x Detail aus Abb. 1 im UV- Licht, Mikrorisse < 10 µm Zwischen diesen beiden Baustoffarten Kalk mit Puzzolan und die junge Alternative" dem Beton sind deutliche technische Unterschiede vorhanden, aber die Dauerhaftigkeit beider Mörtel steht außer Frage. Bei allen Bindemitteln war man bestrebt hydraulische Bindekräfte auf- 302 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen zubauen damit eine höhere Festigkeit und Beständigkeit gegenüber einem wässrigen Angriff gegeben ist. Die Zusammensetzungen der Vergangenheit waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr geprägt von dem Zusatz an puzzolanen Zusatzstoffen, während mit zunehmender Entwicklung der Zemente die puzzolanen Bestandteile zurückgedrängt wurden. Diese Entwicklung kann man auch in den technischen Eigenschaften deutlich erkennen. Die Rezeptur der Eschbachtalsperre und der Oestertalsperre zeigt noch eindeutig eine Zusammensetzung die ausschließlich aus Kalk hergestellt wurde. 4 Vol. Teile Fettkalk (Weißkalk), 4 Vol. Teile Rheinsand, 6 Vol. Trass aus Plaidt in der Eifel. Untersucht man heute die Zusammensetzung kommt man im Mittel auf eine Rohdichte von 1,55 kg/ dcm 3 , eine Wasseraufnahme von 17 Ma.-% und eine Druckfestigkeit von ca.18 N/ mm 2 . Diese Zusammensetzung führt im Gefüge zu einer relativ dichten Bindemittelmatrix, die allerdings auch von Mikrorissstrukturen durchzogen ist. Die Alkalität ist auch heute noch im stabilen Bereich mit einem pH-Wert von > 12. Die puzzolanen Baustoffe mit den hohen Anteilen an Kalk haben immer eine deutlich niedrigere Rohdichte als die heutigen Baustoffe. Allerdings muss man feststellen, dass die Dauerhaftigkeit und die Neigung zu Kristallneubildungen bei den historischen Baustoffkonzepten kaum anders zu bewerten ist als bei den jüngeren Betonbaustoffen. Die auch bereits relativ alte Talsperre Malter in Sachsen, wurde bereits mit einem Portlandzement hergestellt und zeigt ebenso stabile Verhältnisse wie die Eschbachtalsperre. Allerdings sind die technischen Daten der Talsperre Malter gegenüber der Eschbachtalsperre deutlich verändert. Hier haben wir eine mittlere Rohdichten der Mörtelmasse von 2,2 kg/ dcm 3 und ein geringere Wasseraufnahme von nur 5 Ma.-%. Sowohl bei den Brückenbauwerken der Bundesbahn als auch im sonstigen Talsperrenbau kann man im Zeitfenster von 70 Jahren (1850 - 1920) vergleichbare techn. Wertunterschiede feststellen. Die Dauerhaftigkeit wird immer begleitet von einer noch vorhandenen hohen Alkalität und im Prinzip einer unveränderten Mörtelmatrix trotz einer deutlichen Veränderung der Rohdichten und der Wasseraufnahme. 3. Veränderungen die zu Kristallneubildungen führen: Kristallneubildungen sind das Produkt von Veränderungen des inneren Gleichgewichts der Kapillarporen in dem Baustoffgefüge. Die Veränderung des Gleichgewichtszustandes wird nur in Zonen vollzogen, die einer erheblichen Wechselbelastung feucht / trocken ausgesetzt waren. Dies ist nur wenigen Fällen der bei den Baustoffen gegeben, solche die nicht permanent in einem alkalischen Milieu einer feuchtebelasteten Umgebung vorhanden waren. Eine wesentliche Veränderung des Gleichgewichtszustandes wird auch durch die unmittelbare Carbonatisierung vollzogen. Diese Carbonatisierung kann aber nur in Bereichen erfolgen, die belüftet werden. Ein weiterer Faktor ist der pH-Wert, wenn dieser in einem pH-Bereich von <12 absinkt, wird anderen Neubildungen in dem Gefüge das Tor geöffnet. Der häufig übliche Test mit dem Indikator Phenolphtalein ist wenig aussagekräftig, weil dieser bereits einen pH-Wert von > 8,2 mit rotvioletter Farbe die Alkalität anzeigt. Die Zersetzung der Baustoffe ist letztlich eine Rückführung in einen energieärmeren Zustand. Diese Rückführung ist ein sehr langsamer Prozess der sich in der Regel über mehrere Jahrhunderte vollzieht oder wie manche Römerbauten uns zeigen, über Jahrtausende. Dabei ist schon entscheidend welche Art von Zusammensetzungen dort vorliegt. Dabei geht man davon aus, dass z.B. zwischen der Differenz aus den Calciumionen im zugeführten Wasser und dem Sickerwasser ein wesentlicher Parameter zu sehen ist, der für die Dauerhaftigkeit der Mörtelmatrix von Bedeutung ist. Nach einer solchen Betrachtung kommt man zu der Annahme, dass der Anteil an Verlust von Calciumionen ausschließlich aus dem Mörtel stammt und eine Auswaschung über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten noch nicht zu einem zerstörenden Verlust führt. Aus dieser ingenieurtechnischen Betrachtungsweise sind solche Berechnungen nachvollziehbar und sie zeigen, wie gering bei den entsprechenden Annahmen die Verluste sind. Allerdings sind hier Anmerkungen zu machen, dass die Vorgänge doch wesentlich komplexer zu betrachten sind. Dazu nur zwei Beispiele: Es gibt noch viele Wasserbauwerke aus der Römerzeit, die ihre Funktion noch nicht eingestellt haben und deren kalkhaltige Mörtel auch noch heute ihre Funktion erfüllen. Demgegenüber gibt es in Ausnahmefällen auch Betonrohrleitungen, die unter einer natürlichen Wasserbelastung bereits nach 6 Jahren Ihre Funktion eingestellt haben. Hier waren es dann allerdings extrem belastete Bereiche mit kalkangreifender Kohlensäure, die solche Ausnahmen von der Regel bewirkt haben. Es ist in der Tat immer der Calciumgehalt, der in diesem natürlichen Kreislauf die wesentliche Rolle spielt. Hinzu kommt die hydrolytische Zersetzung von Gesteinen und Mörtel, die beide Calciumionen freisetzen können. Das bedeutet, die Calciumionen, die freigesetzt werden, kommen nicht nur aus der Mörtelmasse, sondern auch aus dem Gesteinskörper selbst. Die Mörtelmasse stellt zunächst noch immer ein hohes alkalisches Potential zur Verfügung, welches gegenüber einem sauren Angriff zunächst als ein Stabilisator zu betrachten ist. Erst wenn dieses Gleichgewicht, durch einen hohen Strömungs- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 303 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen durchgang nachhaltig gestört wird und dieses alkalische Potential an den Strömungsflanken abnimmt, kommt es an den Randzonen vermehrt zu Neutralisationsreaktionen und nachfolgend auch zu hydrolytischen Zersetzungen [1,3]. Die hydrolytische Zersetzung ist nicht nur ein Problem der Mörtel, sondern kann auch die Zuschläge betreffen und auch aus diesen Gesteinskörpern Calciumionen freisetzen. Dazu ist zu bemerken, dass die Zuschläge selbst kein Neutralisationspotential gegenüber einer hydrolytischen Zersetzung besitzen. Sie haben nur einen höheren Lösungswiderstand, bedingt durch ihre geringe Wasseraufnahme. Ein Freisetzen von Calciumionen erfolgt auch hier. Aus der Erfahrung der Untersuchung von Mörteln aus vielen „Intze- Mauern der Talsperren zeigen diese nach über 100 Jahren im Kernbereich noch eine stabile Funktion. Das gleiche kann man von den Brückenbauwerken berichten, die in der Regel noch ein höheres Alter besitzen und weniger mit Puzzolanen verarbeitet wurden, sondern noch mit der historischen Sandkalktechnik gebaut worden sind. Diese Bauwerke aus der Zeit vor dem Jahr 1870 haben häufig noch sehr niedrige Mörtelrohdichten, die kaum über der Wasserrohdichte von 1,0 kg/ dcm 3 angesiedelt sind und noch keine geregelte Körnungskennlinie besitzen. So hat besonders Dyckerhoff [1] Mitte des 19. Jahrhunderts darauf hingewiesen, eine geregelte Körnungskennlinie einzuhalten, um die Mörteleigenschaften mehr zu vereinheitlichen. Die Mörtel selbst besitzen durch ihre hohen Bindemittelanteile ein hohes Neutralisationspotential und verlieren das stabilisierende Gleichgewicht erst, wenn sie völlig carbonatisiert sind. Dies wird im Bereich der Erdüberdeckungen nicht erreicht und somit bleiben die Bauwerke lange in ihrer hohen Alkalität. An der Luftseite der Talsperren ist eine solche Situation nicht gegeben: Hier kann man dann in Regel auch beobachten, dass durch die Carbonatisierung und die Gleichgewichtsverschiebung mit dem Abbau der Alkalität viel schneller eine Zerstörung durch Mineralneubildungen droht. Wenn man nun Aussagen über den Zustand eines großen Bauwerks machen will, ist der einfache Ansatz, dies über die Ionen an Calcium zu bestimmen, der ingenieurtechnisch sicherste Weg. Das dabei der ganze Verlust auf den Mörtel bezogen wird, ist trotz der vielen Unbekannten legitim. Die Zersetzungen von solchen Baustoffkörpern verlaufen immer sehr langsam, man kann dies mit erdgeschichtlichen Zeiträumen vergleichen. Bei einer Durchströmung wird das Porenwasser in der Betonsteinmatrix bzw. Mörtelmatrix zunächst nicht abgebaut, sondern wirkt in einem komplexen Vorgang der durch die darin vorhandenen Ionen als Puffer.[2]. Diese Abpufferung wird bei erdüberdeckten Bauwerken seit Jahrhunderten durch die hohe Alkalität stabil gehalten. Gemessen an manchen Römermörteln ist dies eine relativ geringe Zeit. Die häufig verwendeten Traßpuzzolane enthalten einen hohen Anteil an Kalium und Natriumionen, die neben den Calciumionen die Gesamtalkalität ergeben. Dabei ist nicht einmal der Calciumionenanteil aus dem Portlandit (Calciumhydroxid) der wesentliche Lieferant der Alkalität. Auch wenn dieser in der Gesamtmasse in großer Reserve vorhanden ist. Bei 20º C lösen sich nur 1,18 g/ l dieser Verbindung im Wasser. Der wesentliche Lieferant der Alkalität in der Porenflüssigkeit des Zementsteines sind die Kalilauge und die Natronlauge. Diese Verbindungen werden in der Porenflüssigkeit des Mörtels durch die hohen Alkalianteile, die sich in dem Traß befinden, gebildet. Das Verhältnis der Löslichkeiten der drei wesentlichen Alkalitätsbildner von Kalilauge, Natronlauge und Kalklauge (Kalkmilch) ist 75 : 24 : 1. Unter diesem Aspekt betrachtet ist der Traß in diesem Fall nicht nur ein Dichtungsmittel, wie es traditionell gesehen wird, sondern ein wesentlicher Parameter der Gefügestabilisierung durch eine hohe Alkalität. Ein geringer Kalksteinanteil im Baustoff wird über die Bildung von Kohlensäure in Calciumhydrogencarbonat umgewandelt. Das entstehende Calciumhy-drogencarbonat hat eine größere Löslichkeit als Calciumcarbonat und kann durch kapillare Transportvorgänge in andere Baustoffbereiche transportiert werden. Dort lagert es sich durch Fällungsvorgänge, insbesondere bei dem Antreffen von Calciumhydroxid, wieder ab. Der Zutritt von kohlensäurehaltigem Wasser löst in dem Gefügeaufbau einen Reaktionsmechanismus aus, der durch die vorhandene Alkalität des Mörtelsystems abgefangen wird. Dabei wird die Kohlensäure unter Bildung von Calciumcarbonat durch Fällungsreaktionen neutralisiert. Es entsteht ein Gleichgewichtszustand von HCO 3 - / CO 3 2- - Ionen in der Porenlösung, auf hohem alkalischem Niveau, der sich über eine lange Zeit einstellt. 4. Zusammenfassung: Aus vielen Untersuchungen von Wasserbauten und Brückenbauwerken der über Hundertjährigen überwiegt aus meiner Sicht der Anteil der dauerhaften Mörtel. Dabei hat die Wasseraufnahme, die Mörtelrohdichte und die Festigkeit eine wesentlich geringere Bedeutung als die Masse der zur Verfügung stehenden Alkalität. Wenn man bei diesen Massen eine Minimierung vornimmt, so verringert man damit die Dauerhaftigkeit. Eine solche Minimierung stellt auch der Hochofenzement dar. Durch den Zusatz von Puzzolanen (Schlacke) steigt der Widerstand gegenüber Sulfat, aber ein Abbau der Alkalität wird durch viele andere Stoffe früher eingeleitet (z.B. Austauchreaktionen durch Chloride) und damit ein beschleunigter Zerfall ausgelöst. Die Veränderung der Gleichgewichtszustände ist dann gegeben, wenn Materialien mit unterschiedlichen Kapillarporositäten und Porenlösungen aufeinandertreffen. 304 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen Zerstörungen, die aus dem verwendeten Baustoff selbst entstehen, z.B. durch Alkalikieselsäurereaktionen (AKR) sind relativ selten und sie werden durch begleitenden Kristallneubildungen wie Ettringit intensiviert. Bei welchen alkalischen Verhältnissen bzw. Kombinationsreaktionen diese besonders aktiviert werden, ist noch nicht ausreichend untersucht, deshalb sehe ich allgemein in einer Optimierung der Alkalität den größten Garanten der Dauerhaftigkeit. Literatur: [1] Dyckerhoff, R - Zementkalkmörtel mit gewähltem Zusatz von Kalk 1881, Thonstein - Zeitung S. 276: „Magere Zementkalkmörtel werden dagegen bei richtig gewähltem Kalkzusatz in Bezug auf Festigkeit und Adhäsion wesentlich verbessert“. [2] Jungermann, B. - Salveter G.: Historische Mörtel im Staumauerbau1. Kolloquium „Bauen in Boden und Fels „ TAE Esslingen 1997 [3] Jungermann, B. - Mikroskopische Untersuchung von Mörteln der Eschbachtalsperre Untersuchungsbericht von 2015 Projekt A 151022 B [4] Tobias, G; Bettzieche, V - Materialauslaugung in Bruchstein Staumauern Wasserwirtschaft 6/ 2016 [5] Burgiesser, P. G. - Der Einfluss von puzzolanischen Zusatzstoffen vulkanischen Ursprungs auf die Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) im Beton, Dissertation 2011, FU Berlin Dauerhaftigkeit 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 307 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Joost Gulikers Rijkswaterstaat, Utrecht (NL) Maria Teresa Alonso Junghanns BASt, Bergisch-Gladbach (D) Abstrakt Die physikalische Bedeutung der Restnutzungsdauer von bestehenden Ingenieurbauwerken ist für die Erhaltungspraxis von besonderer Bedeutung. Chloridinduzierte Bewehrungskorrosion gilt in Ingenieurbauwerken aus Beton als große Herausforderung. Die Nutzungsdauer unter dauerhaftigkeitsrelevanten Aspekten wird deshalb häufig vor dem Hintergrund des Entstehens von Bewehrungskorrosion durch eingedrungene Chloride betrachtet. Für die Einschätzung der Nutzungsdauer werden zunehmend probabilistische Ansätze bevorzugt, um die große Streuung der gemessenen Chloridprofile, der Betondeckung und der kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalte im Bauwerk angemessen berücksichtigen zu können. Die Nutzungsbzw. Restnutzungsdauer wird dabei an einen bestimmten Zuverlässigkeitsindex gekoppelt. In der Erhaltungspraxis ist die Festlegung konkreter Maßnahmen in Abhängigkeit solcher Methoden aber schwer zu treffen, da die physikalische Bedeutung der im Modell enthaltenden Annahmen, Parameter und Folgen im Hinblick auf eine Restnutzungsdauer für die bestehenden Bauwerke nicht eindeutig geklärt ist. In diesen Beitrag werden die Herausforderungen solcher probabilistischen Verfahren aus Sicht der Bauherren vorgestellt und diskutiert. 1. Einleitung Für die Planung von Erhaltungs- oder Ersatzmaßnahmen ist die Frage der Restnutzungsdauer bzw. ihre physikalische Bedeutung maßgebend. Die Vorhersage der Restnutzungsdauer kann eine Strategiebasis für eine objektive und quantitative Vergleichbarkeit von Maßnahmen der Erhaltungspraxis bieten. In der Praxis gilt für die meisten Ingenieurbauwerke aus Beton chlorid- und karbonatisierungsinduzierte Bewehrungskorrosion als große Herausforderung. Die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von Bauwerken basiert zurzeit auf den im Regelwerk geltenden deskriptiven Bemessungsregeln. Für neue Infrastruktur werden Anforderungen nach Expositionsklassen festlegt. Der heutige Erhaltungsansatz basiert auf planmäßigen Bauwerksprüfungen. Dabei wird der jetzige Zustand des Ingenieurbauwerks erfasst und ggf. Maßnahmen unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Aspekten geplant und durchgeführt. Solche deskriptiven Vorgehensweisen ergeben aber kein quantitatives Kriterium für „das Ende der Nutzungsdauer“ oder der damit verbundenen „Restnutzungsdauer“ und erlauben keine Vorhersage. Für eine quantitative Einschätzung der Lebensdauer sind jedoch in den letzten Jahrzehnten probabilistische Prognosemodelle für den Grenzzustand der Depassivierung entwickelt worden [1, 2]. Ein Grenzzustand wird erreicht, wenn ein kritischer Chloridgehalt an der ersten Bewehrungslage vorhanden ist, beziehungsweise wenn die Karbonatisierungsfront bis zu dieser vordringt. Solche probabilistischen Dauerhaftigkeitsprognosen wurden für die Ingenieurbauwerke der deutschen Bundeswasserstraßen eingeführt [3]. Die Anwendung probabilistischer Prognosemodelle für Brückenbauwerke aus Beton im deutschen Bundesfernstraßennetz ist auch unter bestimmten Voraussetzungen möglich [4]. Sie könnte einen Übergang von den derzeitigen rein deskriptiven zu einer rechnerischen Vorhersage der Restnutzungsdauer ermöglichen. Die mathematischen Modelle für z. B. chloridinduzierte Korrosion umfassen Transportmodelle zur Beschreibung des Eindringens von Chlorid in Beton. Sie erfordern besondere Kenntnisse für die Auswahl der Modelparameter und für die Berechnung selbst. Einige Parameter können aus dem IST-Zustand des Bauwerks abgeleitet werden und andere aus Literaturstellen (z. B. [1,2,3,4]) entnommen werden. Die hierfür notwendigen Kenntnisse aus der Bauwerksprüfung gelten dabei als Startpunkt für eine Vorhersage. Für eine Vorhersage „a priori“, d.h. für eine Vorhersage ohne reale Daten, sind die Parameter aus den vorhandenen Literaturstellen abzuschätzen. In einem vollprobabilistischen Ansatz werden alle Parameter als stochastische Variablen betrachtet 308 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis und mit einer statistischen Verteilung beschrieben. Für die Erhaltungspraxis ist der Einfluss solcher statistischen Parameter auf die Vorhersage von besonderer Bedeutung, um die Genauigkeit der Aussage einschätzen und damit eine Erhaltungsstrategie festlegen zu können. Darüber hinaus setzt die Berechnung der Restnutzungsdauer die Festlegung von Kriterien für die Definition eines relevanten Grenzzustandes voraus. Als Grenzzustand für die chlorid- und karbonatisierungsinduzierte Bewehrungskorrosion wird im Allgemeinen die „Depassivierung der Bewehrung“ angenommen, die mit der Wahrscheinlichkeit ihres Entstehens gekoppelt wird. In Anlehnung an die Grenzzustände für die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit, wird hierfür oft auch ein Zuverlässigkeitsindex angewendet. Bei einer praktischen Anwendung der probabilistischen Methoden sind u.a. die Eingangsparameter im Modell, die Berechnungen selbst, die Festlegung von notwendigen Bauwerksprüfungen und die Auswirkungen der vorausgesetzten Grenzzustände auf den Bauteilzustand in Abhängigkeit von der Zuverlässigkeit maßgebend. Diese Zusammenhänge prägen die physikalische Bedeutung der Restnutzungsdauer und stellen eine Herausforderung für die Erhaltungspraxis dar. Jedoch kann die Bestimmung einer rechnerischen Restnutzungsdauer des Bauwerks eine große Hilfe für die Erhaltungspraxis darstellen. 2. Zur Restnutzungsdauer Gültige Regelwerke für Ingenieurbrückenbauwerke aus Beton wie z. B. DIN EN 1990 [5], DIN EN 1992-2 [6] fordern die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit, die ausschließlich unter Berücksichtigung von umgebungs- und lagerungsbedingten Einflüssen betrachtet wird. Dauerhaftigkeitsrelevante Schädigungsprozesse im Ingenieurbau aus Stahl- und Spannbeton, die zu Schäden und Mängeln im Bauwerk führen können, sind z. B. die Karbonatisierung des Betons und das Chlorideindringen in Stahl- und Spannbeton. Weltweit werden traditionelle Nachweise der Dauerhaftigkeit auf deskriptiver Basis durchgeführt und sind auch im Regelwerk enthalten. Jedoch enthalten die pränormativen Arbeiten auch Bemessungsformate, die Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen ermöglichen. 2.1 Das aktuelle Vorgehen Nach aktuellem Regelwerk wird die Lebensdauer als die Zeitdauer festgelegt, innerhalb der die Nutzung eines Tragwerks unter Berücksichtigung der zu „erwartenden Instandhaltung“ [5] und „ohne wesentliche Instandsetzungsmaßnahmen“ [7] sichergestellt ist. Hierbei wer-den aber quantitative Angaben für eine Festlegung von „zu erwartenden“ und/ oder „wesentlichen Maßnahmen“ im Regelwerk nicht festgelegt. Nach RI-ERH-ING [8] ist die theoretische Nutzungsdauer ein Erfahrungswert für die mögliche Nutzungsdauer eines Bauwerks oder eines Bauwerksteils, die im Jahr ihrer Fertigstellung beginnt. Die Restnutzungs-dauer wird als der Zeitraum bis zur voraussichtlichen nächsten Erneuerung des Bauwerks oder des Bauwerksteils verstanden. Dabei soll die Dauer unter Aufrechthaltung der Standsicherheit und Verkehrssicherheit bei planmäßiger Nutzung und planmäßiger Bauwerkserhaltung erreicht werden. Die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von neuer Infrastruktur aus Beton erfolgt zurzeit weltweit anhand expositionsabhängiger Angaben zu Betonzusammensetzung, Bauteilgeometrie und Ausführungsregeln, die auf Labor- und Bauwerksprüfungen, empirischen Zusammenhängen, sowie auf Erfahrungswerten basieren. Die Anforderungen berücksichtigen, dass eine ausreichende Betondeckung, die Dichtigkeit des Betons und die Ausführungsqualität die maßgebenden Einflüsse sind. Die in Abhängigkeit der Expositionsklassen gestellten Mindestanforderungen sollen eine geplante Nutzungsdauer des Betons von mindestens 50 Jahren gewährleisten [7]. Für bestehende Bauwerke basiert der heutige Erhaltungsansatz auf Beobachtung, Prüfung, Schadenserfassung und Zustandsbewertung in festgelegten Zeitintervallen im Rahmen der Bauwerksprüfung. In Abhängigkeit von Schadenstyp und -umfang werden Maßnahmen unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Aspekten geplant und durchgeführt. Bei dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen können sich die Betoneigenschaften nachteilig verändern. Der Beton schützt mit seinem alkalischen Milieu zunächst den Stahl vor Korrosion durch den auf der Stahloberfläche ausgebildeten Passivfilm. Die Bewehrungskorrosion kann erst einsetzen, wenn der Passivfilm z. B. durch Chlorideindringen zerstört wird, d.h. bei Depassivierung der Bewehrung. Man geht davon aus, dass eine Schädigung nach Depassivierung der Bewehrung während der Wachstumsphase fortschreiten kann, wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind, wie z. B. ein ausreichender Feuchte- und Sauerstoffgehalt, s. Bild 1. Somit stellt die Depassivierung der Stahloberfläche in Prinzip noch keine Schädigung dar. Bild 1 zeigt, dass die Erfassung der Schäden in der Regel nach dem Auftreten von Schäden bzw. Mängeln stattfindet. Dies entspricht einem Stadium, in dem die Einleitungsphase lokal, an einige singulären Stellen des Bauwerks, beendet ist. Dieses Bemessungsformat ergibt aber kein quantitatives Kriterium für „das Ende der Nutzungsdauer“ und auch nicht für die Restnutzungsdauer von einem Bauwerk oder Bauteil und steht im Gegensatz zur Tragwerksbemessung für statische und dynamische Beanspruchungen. Das aktuelle Vorgehen ist an deskriptive Verhältnisse und an die Erfahrung gekoppelt. Mit dem aktuellen Vorgehen wird eine Ankündigung des Versagens vorausgesetzt. Die erkannten Schäden werden reaktiv und i.d.R. nach Auftreten beseitigt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 309 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Bild 1: Schädigungsverlauf in Anlehnung an [9] Zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit nach DIN EN 1990 [5] darf „das Maß der zeitabhängigen Änderungen der Eigenschaften“ nicht nur durch Messungen und Erfahrungen sondern auch durch Berechnungen oder in ihrer Kombination bestimmt werden. Eine Abschätzung des Bauwerkszustands bevor sichtbare Schäden entstehen kann zu einer prädiktiven und quantitativen Abschätzung der Restnutzungsdauer führen und somit zu einer Verbesserung und Vereinfachung der zu treffenden Maßnahmen im Rahmen des Erhaltungsmanagements beitragen. 2.2 Zur Berechnung der Restnutzungsdauer Die Berechnung der Restnutzungsdauer stützt sich auf die Bestimmung einer Lebensdauer, die bei einer Bemessung auf dem Vergleich zwischen einem geforderten Zuverlässigkeitsindex und der für die vorhandenen Einwirkungen und Bauteilwiderstände berechneten Bauteil-Zuverlässigkeit basiert: eine mögliche Schädigung (negative Veränderung der Betoneigenschaften) erreicht einen Grenzzustand mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Im Bauteil sind weder die Einwirkung noch das Verhalten des Bauteils exakt bekannt und sie sind stochastisch verteilt. Sowohl die Einwirkungen als auch die entgegengesetzten Bauteilwiderstände sind in hohem Maß zeitabhängig und folgen während der Initiierung und des Wachstums einer Schädigung (s. Bild 1) unterschiedlichen Gesetzen. Nach [1,2] ist die Bemessungsdauer mit einem Grenzzustand, mit einer zeitlichen Angabe in Jahren und mit einem bestimmten Wert für den Zuverlässigkeitsindex festzulegen. Das bedeutet, dass Angaben zu Wahrscheinlichkeiten zur Erfüllung der Anforderungen an die Bemessungsdauer aufgestellt werden, die der angestrebten Nutzungsdauer entsprechen. Die tatsächliche Lebensdauer endet, wenn ein Tragwerk oder ein Teil davon den Mindest-Sollzustand erreicht hat. Somit wird die Restlebensdauer als die noch vorhandene Lebensdauer zu einem bestimmten Zeitpunkt verstanden, vorausgesetzt dass der aktuelle Zustand bekannt ist. Das Ende der Lebensdauer wird in der Bemessung mit dem Grenzzustand der Tragfähigkeit (Ultimate Limit State ULS) oder mit dem Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (Serviceability Limit State SLS) berücksichtigt. Für die Dauerhaftigkeit wird die Depassivierung als Grenzzustand aller anderen Zustände betrachtet, die sich danach einstellen könnten. Somit werden bei der Dauerhaftigkeit meistens der Gebrauchstauglichkeit (SLS) ähnelnde Grenzzustände betrachtet. Sie entsprechen aber nicht den klassischen Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit, weil nach der Überschreitung die Gebrauchstauglichkeit nicht unmittelbar beeinträchtigt wird. Sie bilden vielmehr Ersatzgrenzen [10]. Die Bemessungsdauer (geplante Lebensdauer) unter dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen ist an das Ende der Einleitungsphase gekoppelt. Die Berechnung beschränkt sich auf die Transportprozesse bis zur Depassivierung und somit ist die Bestimmung der Restnutzungsdauer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nur bis zum Ende der Einleitungsphase möglich. Sowohl die Karbonatisierung des Betons als auch das Eindringen von Chloriden in die Betondeckung sind diffusionsgesteuerte Transportprozesse und für beide Mechanismen werden Modelle verwendet, die auf Diffusionsgesetzen basie- 310 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis ren. Der Grenzzustand wird erreicht, wenn ein kritischer Chloridgehalt an der ersten Bewehrungslage erreicht wird, beziehungsweise wenn die Karbonatisierungsfront bis zu dieser vordringt. Vor einer Bemessung muss die maximal akzeptierte Wahrscheinlichkeit, die die Eintrittswahrscheinlichkeit eines „Versagens“ darstellt, festgelegt werden. Stattdessen kann auch ein Zuverlässigkeitsindex angegeben werden. Dieser ist über die inverse Funktion der Normalverteilung definiert. Übliche Zuverlässigkeitsindizes für neue Betonbauteile, die zum Ende der geplanten Nutzungsdauer erreicht werden sollen, werden in Abhängigkeit von der Exposition mit β = 0,5 und β = 1,5 angegeben [11]. Diese Zuverlässigkeitsindizes korrespondieren mit einer Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit von 3 0,8 % bzw. 6,7%. Ziel der vollprobabilistischen Bemessung ist die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass ein Bauwerkwerk oder ein Teil davon die festgelegte Bemessungsdauer erreicht. Für eine quantitative Dauerhaftigkeitsbemessung sind probabilistische Prognosemodelle für den Grenzzustand der Depassivierung in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden [1, 2]. 3. Herausforderung des probabilistischen Verfahrens Die Anwendung von probabilistischen Berechnungs-verfahren für die Dauerhaftigkeit kann auch für Brückenbauwerke aus Beton in deutschen Bundesfernstraßen möglich sein und für die Erhaltungspraxis herangezogen werden [4]. Jedoch benötigen die Methoden Ergebnisse aus Labor- und Bauwerkprüfungen, um die altersabhängigen Eingangsparameter der Modelle zuverlässig ermitteln zu können. Die relevanten Eigenschaften der Betondeckung sollten vor dem Eintreten von visuellen Schäden erfasst werden und der Umfang der Prüfungen sollte unter Berücksichtigung der für die Modelle notwendigen Daten festgelegt werden. 3.1 Die Modelle und die Modellparameter Es gibt viele empirische und semiempirische mathematische Modelle, die die Schädigung bis zum Ende der Einleitungsphase beschreiben. Diese Modelle betrachten mit unterschiedlicher Genauigkeit die physikalischen, chemischen, lagerungsbedingten, geometrischen und betontechnologischen Einflüsse. Die mathematischen Modelle zur Beschreibung der Materialschädigung in [1,2] basieren auf den Modellen, die im Europäischen Projekt DuraCrete entwickelt wurden [12]. Diese Modelle sind für die karbonatisierungsinduzierte und chloridinduzierte Korrosion vollständig entwickelt. Die Schädigungsmodelle in [1,2] stellen durch Gleichungen und Orientierungsbeiwerte der Variablen ein operatives Anwendungsmodell dar. In einem solchem Modell wird die Schädigung über den Chloridgehalt in der Tiefe der Betondeckung unter Berücksichtigung der zu quantifizierenden Eingabeparameter ermittelt. Die Variablen im Modell stellen den Widerstand über einen zeitabhängigen Diffussionskoeffizient des Betons und die Einwirkung über den zeitabhängigen Chloridgehalt in der Tiefe dar. Darüber hinaus werden Parameter zur Berücksichtigung der Temperatur und der Prüfmethode einbezogen. Dabei wird vorausgesetzt, dass der diffusionsbedingte Transport in nicht ständig wassergesättigtem Beton erst ab einer bestimmten Tiefe (Konvektions- oder Ersatzzone) der maßgebende Transportprozess ist. Deshalb wird eine Anpassung in der Diffussionsgleichung ab der Tiefe dieser Zone durchgeführt. Zur Abschätzung des Chloridgehalts C(x,t) in Tiefe x zu Zeit t wird Gleichung (1) angewendet [1]: (1) Dabei sind C 0 der Eigenchloridgehalt des Betons, C S, Δ x der Chloridgehalt an der Ersatzoberfläche in einer Tiefe x = Δ x und D app (t) der zeitabhängige scheinbare Chlorid- Diffusionskoeffizient. Der Chlorid-Diffusionskoeffizient wird als „scheinbar“ bezeichnet, weil während des diffusionsgesteuerten Chloridtransports einige Chloridionen eingebunden oder Interaktionen mit anderen Ionen in Betongefüge eingehen können. Die zeitliche Entwicklung des Diffusionskoeffizients D app (t) wird in Abhängigkeit vom Referenzzeitpunkt t0 nach Gleichung (2) ermittelt: (2) Dabei ist D RCM (t 0 ) in m²/ s der Chloridmigrationskoeffizient, der mit dem Schnellchloridmigrationstest RCM in Labor im Alter t 0 ermittelt wird [3]. Der Beiwert α (-) stellt den sogenannten Alterungsexponent für die Zeitabhängigkeit von D app dar und der Umweltparameter k e berücksichtigt den Einfluss der Umgebungstemperatur [1]. Der scheinbare Diffusionskoeffizient D app (t) kann auch statt mit D RCM (t 0 ) über den instationären Chloriddiffusionskoeffizienten D nss (t 0 ) nach DIN EN 12390-11 [13] experimentell bestimmt werden. Jedoch unterscheiden sich die Werte der Diffusionskoeffizienten in Abhängigkeit von der Versuchsmethode. Der Alterungsexponent wird durch die Zementart und Exposition beeinflusst und wird mit Werten zwischen 0 und 1 bestimmt. Bei α =0 sind die für das Chloridein-dringen maßgebenden Transporteigenschaften des Betons über die Zeit konstant. Für 0 < α < 1 wird eine Abnahme des Diffusionskoeffizienten über die Zeit ermittelt; für α = 1 bleibt das Chloridprofil ab t 0 über die Zeit konstant. Andere Werte für α und auch eine Zeitabhängigkeit des Exponenten sind theoretisch denkbar, wird jedoch in 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 311 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis den vorhandenen Modellen für den Alterungsexponenten nicht betrachtet [14]. Als Orientierungswerte können die für Gleichung 2 notwendigen Werte aus Literaturstellen entnommen werden: D RCM (t 0 ) wird in Abhängigkeit von der Betonzusammensetzung (Zementart- und -gehalt sowie vom w/ z-Wert) und α in Abhängigkeit von der Zementart und Exposition angegeben [1,2,3]. An dieser Stelle ist jedoch Vorsicht geboten und nur Parameter, die mit gleichen Versuchsmethoden bestimmt wurden, sind anzuwenden. Der Zeitpunkt t 0 wird i.d.R. mit 28d angegeben. Zum Beispiel werden Mittelwerte für D RCM (t 0 =28d) von 15,8 ∙ 10 -12 m²/ s bzw. 2,8 ∙ 10 -12 m²/ s für einen CEM I 42,5 R bzw. CEM I 42,5 R mit Flugasche mit einem äquivalenten w/ z-Wert von 0,50 angegeben; für den Alterungsexponent α werden Mittelwerte in Abhängigkeit von der Zementart in den Expositionsklassen XD2 und XD3 von 0,30 für CEM I 42,5 R und 0,60 für CEM I 42,5 R mit Flugasche angegeben. Für die Expositionsklasse XD1 kann unabhängig von Zementart ein Mittelwert für a von 0,65 angenommen werden [z.B. 1,2,12]. Orientierungswerte für die Ersatzoberfläche und ihren Chloridgehalt können auch aus der Literatur entnommen werden. Falls Daten aus bestehenden Bauwerken vorhanden sind, kann Gleichung (3) angegeben werden: (3) Dabei wird D app (t i ) und aapp durch eine Regressionsanalyse gemessener Chloridprofile aus dem Bauwerk für mindestens 2 verschiedenen Zeitpunkte bestimmt. Hierfür muss das erste Chloridprofil mindestens 10 Jahre nach der Beaufschlagung des Bauteils erfasst werden und der zeitliche Abstand zwischen den weiteren Chloridprofilen minimal 5 Jahre betragen. Ebenfalls kann der Alterungsexponent aus Untersuchungen anderer Bauwerke mit gleicher Betonzusammensetzung, Ausführungsqualität und Einwirkungsbedingungen erfolgen [3,10]. Eine Bewertung der Restnutzungsdauer bei Anwendung der vollprobabilistischen Methode setzt jedoch Kenntnisse über den Einfluss der Eingangsparameter auf die Ergebnisse voraus. In der Erhaltungspraxis sind Kenntnisse über die Auswirkungen auf den zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Chloridgehalt im Bauwerk, bzw. auf die Lebensdauer notwendig, um bei der Erhaltungsstrategie mögliche Szenarien berücksichtigen zu können. Obwohl die Berechnungen vollprobabilistisch durchzuführen sind, kann der Planungsund/ oder Erhaltungsingenieur den relativen Einfluss verschiedener Parameter auf die Ergebnisse mit einer einfachen Tabellenkalkulation und zunächst ohne probabilistische Ansätze, d.h. deterministisch, abschätzen. Bild 2: Deterministisch berechnete Lebensdauer in Abhängigkeit der Alterungsexponent α [15] Bild 2 zeigt als Beispiel die deterministisch ermittelte Lebensdauer in Abhängigkeit vom Alterungsexponenten. Eine Änderung des Alterungsexponenten von 0,5 auf 0,6 würde bei einer Betondeckung von 45 mm eine Änderung der Lebensdauer von ca. 100 auf 1000 Jahre bedeuten. Die Ergebnisse in Bild 2 wurden mit Gleichung (2) ermittelt. Jedoch können die zunächst aus Literaturstellen übernommenen Werte für die Berechnungen stark von den im Bauwerk bestimmten Werten abweichen. Zum Beispiel wird für einen Zement CEM III B ein Alterungsexponent von 0,45 angegeben [1], während die auf Chloridprofilen basierenden Alterungsexponente realer Strukturen einen Wert von mehr als 0,60 ergaben [15]. Die deterministischen Berechnungen können nur eine erste Hilfestellung sein. Um den Einfluss von maßgebenden Parametern bei probabilistischen Berechnungen veranschaulichen zu können sollten z. B. Sensitivitätsanalysen herangezogen werden. Sie zeigen die Auswirkung streuender Eingangsparameter vom Modell auf das Ergebnis. Bild 3 zeigt ein Beispiel für die Sensitivitätsanalyse unter Anwendung der deskriptiven Regeln für Brückenbauwerke aus Beton nach ZTV-ING [16]. Für die Bemessung werden die Auswirkungen hoher Einwirkungen und geringer Materialwiderstände denen hoher Materialwiderstände und geringer Einwirkungen gegenübergestellt. Dabei wurden reale Klimadaten verschiedener Orte in Deutschland berücksichtigt. Bild 3 zeigt, dass vor allem unter vollprobabilistischen Betrachtungen der Alterungsexponent, der Chloridgehalt an der Ersatzoberfläche und die Temperatur in Abhängigkeit von der Bemessungssituation maßgebend sind. Die Ergebnisse zeigen [17], dass für XD-exponierte Bauteile genaue Angaben des Alterungsexponenten, der Diffusionskoeffizienten, der Oberflächenchloridgehalt und der Temperatur die Modellunsicherheit reduzieren. Die ausgeführten Zusammenhänge zeigen, dass der Einfluss der Parameter im Modell auf die Ergebnisse sehr groß sein kann. Und somit stellen sich einige offene jedoch praxisrelevante Fragen, die zurzeit noch nicht beantwortet werden können. An dieser Stelle und für die Erhaltungspraxis sind insbesondere von Bedeutung: die 312 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Auswirkung und Bedeutung der Streuung und der Annahmen in den Modellen bezüglich der Zeitabhängigkeit der Koeffizienten und der Prüfungen im Vergleich mit den Ergebnissen aus der Bauwerksprüfung. Darüber hinaus ist die Auswirkung von Vereinfachungen in den Annahmen und Berechnungen auf die berechnete Restnutzungsdauer zu erfassen, um die Prognose um mögliche Maßnahme im Rahmen der Erhaltungspraxis einschätzen zu können. 3.2 Die Prognose bis zur Depassivierung Bei Dauerhaftigkeitsbetrachtungen nimmt die Schädigung und somit die „Versagenswahrscheinlichkeit“ mit der Zeit zu, d.h. die Wahrscheinlichkeit der Depassivierung steigt und somit nimmt mit der Zeit die Zuverlässigkeit im Hinblick auf Depassivierung ab. Bei einer probabilistischen Prognose der Lebensdauer unter z. B. Chlorideindringen in die Betondeckung wird eine akzeptierte Eintrittswahrscheinlichkeit der Depassivierung, bzw. des damit verbundenen und im Voraus festgelegten Zuverlässigkeitsindex verbunden. Die Zuverlässigkeit ist ein Wahrscheinlichkeitsbegriff, der mit der Wahrscheinlichkeit des Versagens korreliert. Zum Beispiel bedeutet ein Index von b = 0 eine Versagenswahrscheinlichkeit von 50% und negative Werte des Index sind mit einer Wahrscheinlichkeit > 50% verbunden. Eine Wahrscheinlichkeit von 100 % bedeutet, dass mit Sicherheit überall im Bauteil Depassivierung eingetreten ist. Eine Wahrscheinlichkeit von 0% bedeutet, dass im Bauwerk nirgendwo Depassivierung der Bewehrung eingetreten ist [15]. 1: >S, <R; 2: <S, >R; S: Exposition; R: Material, Geometrie c: 45 mm und 55 mm; z = 320 kg/ m 3 ; w/ z = 0,50 Bild 3: Beispiel für die Sensitivitätsanalyse für die Exposition XD nach [17] Die Bestimmung von b ist vom Grenzzustand abhängig und muss durch Transformation der Variablen und Iteration bestimmt werden. Dabei kann gezeigt werden, dass die berechnete Zuverlässigkeit von der statistischen Streuung der Parameter im Modell abhängig ist. Die Faktoren für diese Abhängigkeit werden als Sensivitätsfaktoren bezeichnet: Je größer der Sensitivitätsfaktor einer Zufallsvariable ist, desto größer ist deren Einfluss auf die Depassivierung, s. Bild 3. Die aktuellen Konzepte zur Bemessungsdauer (geplante Lebensdauer) sind an das Ende der Einleitungsphase gekoppelt. Somit bestimmen die Berechnungen eine mathematische Wahrscheinlichkeit für die Depassivierung. Diese Wahrscheinlichkeit gibt aber keinen eindeutigen Hinweis über das Ausmaß einer möglichen Korrosion, obwohl man davon ausgeht, dass je höher die Wahrscheinlichkeit ist, desto größer die betroffenen Bereiche sein mögen. Auf welche Weise die rechnerisch angestrebte und bestimmte Bemessung erreichtwird, hängt einerseits vom Bemessungskonzept und andererseits von den bei der Festlegung der Zuverlässigkeit relevanten Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ab, wie z. B. Ursache und Folgen des Versagens, Kosten, Akzeptanz des Versagens. Im aktuellen pränormativen Regelwerk werden nicht einheitliche Werte für die Zuverlässigkeitsindizes angegeben. Die Festlegung der Versagenswahrscheinlichkeit für die Dauerhaftigkeit wird nach [1] mit einem b = 1,28, d.h. eine Wahrscheinlichkeit der Depassivierung von ca. 10% betrachtet. Dieser Wert liegt etwas höher als der in DIN EN 1990 [5] empfohlene Wert für die Gebrauchstauglichkeit. In DuraCrete [12] werden Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von den ggf. akzeptierten Kosten für eine Instandsetzungsmaßnahme zwischen 10 % ( b = 1,28) und 0,009 % ( b = 3,72) angegeben. Übliche Zuverlässigkeitsindizes für neue Betonbauteile, die zum Ende der geplanten Nutzungsdauer erreicht werden sollen, werden in Abhängigkeit von der Exposition mit b = 1,5 für XC1(ständig nass), XC2, XC4 und XD1 und b = 0,5 für XC3, XD3 und XD2 angegeben [11]. Diese Zuverlässigkeitsindizes korrespondieren mit einer Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit von 30,8 % bzw. 6,7 %. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 313 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Eingangsparameter C S, Δ X : µ = 3,00 %, s = 0,60 %, Normal; C 0 : µ = 0,10 %, s = 0,025 %, Normal; D RCM (t 0 = 28d): µ = 1,9∙10 -12 m 2 / s, s = 0,38∙10 -12 m 2 / s, LogNormal; C crit : µ = 0,60 %, s = 0,15 %; a= 0,2; b = 2,0; Beta; Δ x = 0 mm; c: µ = 60 mm, s = 8 mm; Normal; T real : µ = 284,4 K, s = 7,5 K, Normal, T ref : 293 K; Monte Carlo-Simulation mit 50.10³ Simulationen (Chloridprofile) Bild 4: Depassivierungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Alterungsexponenten Bild 4 zeigt der Einfluss des Alterungsexponents a auf die Ergebnisse der Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit ab dem Zeitpunkt einer Bauwerksprüfung (t insp ) von 30 Jahren und abhängig von den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Werten aus gemessenen Chloridprofilen. Für einen akzeptierten Wert von b =1,5 wird der berechnete Grenzzustand hinsichtlich Depassivierung im diesem konkreten Beispiel für XD2 oder XD3, und abhängig vom α -Wert zwischen ca. 23 bis 45 Jahre nach der Inspektion erreicht. Diese Zeitspanne ist durch die Variation des Alterungsexponents bedingt. Soll der Zuverlässigkeitsindex oder die der Anzahl an dem Zeitpunkt t insp verfügbare Chloridprofile kleiner werden, dann nimmt diese Zeitspanne zu. Dies könnte der Ungenauigkeit beim Alterungsexponent entsprechen. Die in Bild 4 grafisch dargestellten Ergebnisse basieren auf einer vollprobabilististischen Berechnung. Dabei sind die notwendigen statistischen Angaben zum kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt Ccrit aus [1] verwendet worden. Jedoch wird in der Literatur über wesentlich höhere kritische Chloridgehalte für die meiste Praxisfällen berichtet [18,19]. In [18] wird eine deutliche Variation des Ccrit anhand von Untersuchungen an verschiedenen Bauwerken festgestellt. Die Werte liegen teilweise unter- und teilweise oberhalb des Normwerts. Das Fazit ist, dass für eine zuverlässige Restnutzungsbemessung der kritische Chloridgehalt objektspezifisch betrachtet werden sollte. In [17] wurden übliche Betonzusammensetzungen nach ZTV-ING [16] vollprobabilistisch berechnet. Bild 5 zeigt, dass sich der berechnete Zuverlässigkeitsindex im Soll- und Ist-Zustand im Spektrum der für die XD1-Exposition berechneten Zuverlässigkeitsindices unter Berücksichtigung der deskriptiven Angaben in ZTV-ING [16] befinden. Zuverlässigkeit. Spektrum, Soll- und Ist-Zustand D RCM (t 0 ) [10 -12 m²/ s] C S, Δ x [M%/ b] c [mm] Spektrum: XD1_1_45; XD1_2_45 z = 320 kg/ m³; w/ z = 0,50 µ 15,8; 2,8 1,5; 0,5 45 s 3,16; 0,56 1,1; ,4 3 Soll-Zustand; Ist-Zustand Baujahr 1965; Inspektion 1999 CEM I; z = 350 kg/ mm³, w/ z = 0,38 µ 8,9; 0,3 1,0; 0,35 45; 33 s 1,78; 0,3 0,75; 0,2 5,0; 5,5 α = 0,65 ± 0,12; b e = 4800 ± 700 K; Δ x = 0 mm; C 0 = 0 M.-%/ b; C crit = 0,6 ± 0,15 M.-%/ b µ: Mittelwert; s : Standartabweichung Bild 5: Beispiele für die Entwicklung der Zuverlässigkeit für die Exposition XD1 mit Gleichung (1) nach [17] Für den Soll-Zustand wurden Parameter aus der Literatur für die vorhandene Betonzusammensetzung gewählt; für den Ist-Zustand wurde der Diffusionskoeffizient, der aus sechs Chloridprofilen, die in jeweils drei Tiefen aus einer Bauwerksprüfung aus ungerissenen Bereichen gemessen wurden, abgeleitet [17]. Bild 5 zeigt auch, dass eine Zielzuverlässigkeit von b = 1,5 für starke Einwirkung und schwachen Chlorideindringwiderstand rechnerisch nicht über 50 Jahre eingehalten wird. Liegen jedoch hohe Widerstände bei schwachen Einwirkungen vor, fällt b rechnerisch auch nach 100 Jahren nicht unter 2 und ist damit auf der sicheren Seite. Im Ist-Zustand ist b größer als im Soll-Zustand, obwohl die reale Betondeckung kleiner als der vorausgesetzte Wert ist und die reale Oberflächenchloridgehalt schwächer als die angenommene Chloridbelastung. Auch noch nach 100 Jahren wird rechnerisch ein höherer Zuverlässigkeitsindex als der geforderte Wert gefunden. 314 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Eine Anwendung setzt eine Validierung der Berechnungen in der Praxis für Brückenbauwerke voraus. Die Ergebnisse in [17] können nicht unmittelbar in der Praxis Berücksichtigung finden, da für eine sichere Anwendung noch deutlich mehr Ingenieurbauwerke aus verschiedenen Expositionsklassen mit einer breiteren Auswahl an Standorten/ Expositionen und Betonzusammensetzungen zur Verifizierung der Modellanalyse und vor allem für die Expositionsklassen XD2 und XD3 notwendig sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung von numerischen Programmen für diese Bestimmungen unverzichtbar ist. Jedoch wäre eine scharfe Trennung zwischen möglichen Methoden, Annahmen, Berechnungen, Ergebnissen und Vergleichen von Vorteil, um in der Praxis die Anwendung zu ermöglichen. 3.3 Ergebnisse für Ingenieurbauwerke Eine Verbesserung der Genauigkeit der rechnerischen Vorhersage wird durch den Vergleich mit Ergebnissen aus Ingenieurbauwerken erreicht. Jedoch stellt eine sinnvolle Anwendung solcher Modelle hohe Anforderungen an die Quantität und Qualität der Ergebnisse der Bauwerksprüfung. Zum Beispiel ist die Messung der realen Betondeckung notwendig, falls sie bei der Abnahme nicht bestimmt wurde. Darüber hinaus wird es in [17] empfohlen, dass z. B. im Fall der Chloridexposition die Proben aus mindestens vier, besser fünf relevante Tiefenlagen entnommen werden sollen. Darüber hinaus sind die Proben im Bauwerk aus nicht beschädigten Betonoberflächen zu entnehmen um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Einleitungsphase entsprechen. Nach [2] werden Risse bis 0,2 mm für die Dauerhaftigkeit nicht berücksichtigt und der Depassivierungsfortschritt des Stahls im Beton mit Rissen bis 0,2 mm wird analog zum ungerissenen Beton angenommen. Aus den vorhandenen wissenschaftlichen Literaturstellen sind zurzeit eindeutige Zusammenhänge zwischen Berechnungen und Messdaten aus Ingenieurtragwerken nicht zu entnehmen. Solche Informationen werden vermisst um die Streuung der Variablen in den Modellen absichern zu können. Experimentelle Ergebnisse aus Laborprüfungen und Bauwerksprüfungen und die daraus resultierenden Berechnungen sollten vergleichend dargestellt werden. Der Einfluss der Betonzusammensetzung auf die Modellergebnisse sollte zunächst anhand von Laboruntersuchungen vergleichend mit den Ergebnissen aus dem Bauwerk dargestellt werden. Unter Berücksichtigung der bestehenden Bauwerke stellt sich grundsätzlich die Frage über den Einfluss der Auswirkung der Ausführungsqualität und der Anzahl an kostenspieligen Untersuchungen. Die Bauwerksprüfverfahren sind nicht immer einheitlich. Welche Untersuchungen erforderlich wären, um die Genauigkeit der Ergebnisse zu verbessern und eine Vereinfachung treffen zu können, ist zurzeit noch unbekannt. Darüber hinaus stellt es sich heraus, dass für Brückenbauwerke viele Untersuchungen, Berechnungen, Anwendungen und Validierungen vorhanden sind. Jedoch ist die enthaltene Information kaum verfügbar und es wäre vom Vorteil, wenn diese Ergebnisse Eingang durch eine geeignete Betrachtung in die genannten Prognosen finden könnten. Den vorhandenen Berechnungen mangelt es manchmal an Transparenz bei der Abschätzung der Orientierungswerte. Vereinfachungen bei den Annahmen und deren Auswirkung auf die Genauigkeit bleiben unbekannt. Die Erfahrung des Ingenieurs ist gefragt, jedoch ist tatsächlich die für die Auswahl nötige Erfahrung in der Regel nicht vorhanden. Somit ist die Frage der Möglichkeiten der Analyse der Ergebnisse durch Planungs- und Prüfingenieure von Bedeutung. 4. Aspekte für eine praktikable Bemessung Die aktuelle Erhaltungspraxis erfasst Schädigungsprozesse im Brückenbau, die zu Schäden und Mängeln im Bauwerk führen können, durch planmäßige Inspektionen im Rahmen der Bauwerksprüfung. Hier werden auch typische Schädigungen im Sinne z. B. der Karbonatisierung des Betons und der Chlorideindringung in den Beton berücksichtigt. Dabei wird ein gewisses Schädigungsniveau in Abhängigkeit von der Tiefe der Karbonatisierungsund/ oder der Chlorideindringtiefe erreicht und Beurteilungsnoten werden erteilt. Diese Ergebnisse ermöglichen eine systematische und sichere Bauwerkserhaltung. Jedoch ist es denkbar, dass die probabilistischen Verfahren die Grundlage zur Vorhersage der Nutzungsdauer und der damit verbundenen Restnutzungsdauer in Brückenbauwerken darstellen können. Der in den vorherigen Abschnitten beschriebene Ansatz für die Dauerhaftigkeit benötigt Ergebnisse aus Labor- und Bauwerksprüfungen. Die Betoneigenschaften des Bauwerks sollten vor dem Eintreten von visuellen Schäden erfasst werden und der Umfang der Prüfungen sollte unter Berücksichtigung der für die Ansätze notwendigen Daten festgelegt werden. Vereinfachungen der Methoden, Selektierung der Parameter und Darstellung ihrer Auswirkung auf die Ergebnisse sowie die Analyse, die aus der Schadensebene auf die Systemebene und aus der Bauteilebene auf das System Brücke schließt, können eine Basis zur Bewertung der Ergebnisse bilden. Angesichts der noch bestehenden Herausforderungen bei der Anwendung eines solchen Ansatzes sind folgende Aspekte zu betrachten: - Die physikalische Bedeutung der Parameter und seiner Genauigkeit in den rechnerischen Modellen und die Möglichkeiten von Vereinfachungen im Hinblick auf eine praktische Anwendung - Die notwendigen Prüfungen für Validierung und Überprüfung - Die Erklärung der physikalischen Bedeutung der Zuverlässigkeit und der Folgen für das Bauwerk-Ma- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 315 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis nagement in Abhängigkeit von gewähltem Parameter in Modell - Erläuterungen durch Beispiele und Betrachtungen zur Wirtschaftlichkeit der Methode Mit solchen probabilistischen Methoden und ihrer Validierung ist denkbar eine Verkopplung zwischen Prognose, Inspektionen, und Erhaltung zu entwickeln. Hierfür scheint zusätzlich zur weiteren Forschung, ein regelmäßiger fachlicher Austausch zwischen Bauherren, Planern und Wissenschaft wichtig zu sein. Dabei könnten die Möglichkeiten einer Umsetzung der Verfahren für Straßeninfrastrukturen betrachtet werden. Somit kann eine Strategie für eine effiziente Durchführung von notwendigen Labor- und Bauwerksuntersuchungen in Zusammenhang mit den o. g. Ansätzen erarbeitet werden. Die Ergebnisse sollen eine Lebensdauerbewertung unter Berücksichtigung der heutigen und der zukünftigen Vorgehensweisen ermöglichen. Vollprobabilistische Ansätze können einen Übergang von den derzeitigen deskriptiven Bewertungsverfahren zu einer Vorgehensweise ermöglichen, die sich auf einer leistungsbezogenen und ggf. zuverlässigkeitsbasierten Ansatz stützt. Dadurch könnte die Erhaltungsstrategie ergänzt und die Implementierung eines Lebenszyklusmanagements ermöglicht werden. Zurzeit sind nur unpräzise Aussagen über die tatsächliche Nutzungsdauer von Brücken bezüglich der Dauerhaftigkeit möglich. Literatur [1] Fib Bulletin 34: Model Code for Service Life Design. International Federation for Structural Concrete. Lausanne, February 2016 [2] Fib Model Code for Concrete Structures 2010. Ernst&Sohn, Berlin 2013 [3] BAW-Merkblatt: Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauwerken bei Karbonatisierung und Chlorideinwirkung (MDCC). Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) 2017 [4] Alonso Junghanns, M.T.; Haardt, P.: Rechnerische Dauerhaftigkeitsbemessung für Brückenbauwerke aus Beton: Status quo. In: Technische Akademie Esslingen „6. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - 22. und 23. Januar 2019“. [5] DIN EN 1990: 2010-12: Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Deutsche Fassung EN 1990: 2002 + A1: 2005 + A1: 2005/ AC: 2010, Beuth, Berlin [6] DIN EN 1992-2: 2010-12: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbeton-tragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln; Deutsche Fassung EN 1992-2: 2005 + AC: 2008, Beuth, Berlin [7] DIN EN 206: 2017-01: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität; Deutsche Fassung EN 206: 2013+A1: 2016, Beuth, Berlin [8] RI-ERH-ING: Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten. Leitfaden Objektbezogene Schadensanalyse OSA [9] Schießl, P., Mayer, T.: Schlussberichte zur ersten Phase des DAfStb/ BMF- Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltiges Bauen mit Beton“. DAfStb Heft 572, Beuth, Berlin 2007 [10] Fib Bulletin 59: Condition Control and assessment of reinforced Concrete Structures. International Federation for Structural Concrete, Lausanne, May 2011 [11] D eutscher Ausschuss für Stahlbeton: Positionspapier des DAfStb zur Umsetzung des Konzepts von leistungsbezogenen Entwurfsverfahren unter Berücksichtigung von DIN EN 206-1, Anhang J. Beton- und Stahlbetonbau 103 (2008), Heft 12, 837- 839 [12] DuraCrete, DuraCrete Final Technical Report, Document BE95-1347/ R17, May 2000 [13] DIN EN 12390-11: 2015-11: Prüfung von Festbeton - Teil 11: Bestimmung des Chloridwiderstandes von Beton - Einseitig gerichtete Diffusion; Deutsche Fassung EN 12390-11: 2015 [14] Gulikers, J.: Predicting residual service life of concrete infrastructure: a considerably controversial subject. In: MATEC Web of Conferences 289, 08002 (2019), Concrete Solutions [15] Ferreira, R.M; Gulikers, J.: Critical Considerations on the Assessment of the Durability (Serviceability) Limit State of Reinforced Concrete Structures. In: 11DBMC International Conference on Durability of Building Materials and Components. Istanbul 11-14 May, 2008 [16] ZTV-ING: Zusätzliche Technische Vertragsbe-dingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten, Teil 3 Massivbau, Bundesanstalt für Straßenwesen, 2017 [17] Keßler, S.; Gehlen, C.: Untersuchungen zum Einfluss von Modellparametern auf die Lebens-dauerprpgnose für Brückenbauwerke. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Brücken.- Und Ingenieurbau Heft B 149. Bergisch Gladbach, Februar 2020 [18] Boschmann Käthler, C.; Angst, U.: Der kritische Chloridgehalt - Bestimmung am Bauwerk und Einfluss auf die Lebensdauer. Bautechnik 97 (2020), Heft 1, 41-47 [19] Breit, W.; Dauberschmidt, C.; Gehlen, C.; Sodeikat, C; Taffe, A.; Wiens,U.: Zum Ansatz eines kritischen Chloridgehaltes bei Stahlbetonbau-werken. Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 5, 290- 298 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 317 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Dr. Matthias Bernhard Lierenfeld Valtest AG, CH-Lalden Nathan Metthez Valtest AG, CH-Lalden Philipp Truffer Valtest AG, CH-Lalden Zusammenfassung In den letzten Jahren wurden vermehrt leistungsbezogene d.h. performancebasierte Konzepte und Anwendungshilfen zur differenzierten Abschätzung von Bauteilwiderständen entwickelt. Diese bieten einem die Möglichkeit, dass u.a. mittels am bestehenden Bauwerk ermittelten Kennwerten, wie z.B. dem scheinbaren Diffusionskoeffizienten, fundierte Kennwerte für die Dauerhaftigkeitsbemessungen bestimmt werden können. Diese werden z.B. aufgrund von gemessenen Chlorideindringprofilen mittels Curve-Fittings bestimmt. Zurzeit wird der Chloridgehalt standardmässig nasschemisch am Bohrmehl bestimmt, wodurch verfahrensbedingten Einschränkungen auftreten (z.B. durch die Homogenisierung der Proben oder relativ grosse Schrittweiten (im Normalfall 10 mm) bei den Tiefenstufen). Die Summe dieser Nachteile führt zu Ungenauigkeiten bei der Ermittlung der erwähnten Kennwerte und der darauf basierenden Aussagen. Ein Ausweg bietet hierbei die laserinduzierte Plasmaspektroskopie (LIPS), mit deren Hilfe diese Einschränkungen wegfallen. Mit einem Messraster von bis zu 0.1 mm können wesentlich präzisere Datengrundlagen bei den Chlorideindringprofilen ermittelt werden. Bei den weitergehenden Analysen wird zudem nicht ein fixer Wert des kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts angesetzt, sondern dieser wird gemäss eines an der ETH Zürich entwickelten Verfahrens, objektbzw. bauteilspezifisch an entnommenen Bohrkernen einzeln bestimmt. Im vorliegenden Beitrag wird hierauf unter Einbezug von Messdaten und -auswertungen aus LIPS -Untersuchungen eingegangen. 1. Ausgangslage Bauwerke müssen tragsicher, gebrauchstauglich und im Normalfall auch dauerhaft sein. Das Thema Dauerhaftigkeit von Beton ist nicht erst seit der Katastrophe des Polcevera-Viadukts 2018 in Genua (hoch)aktuell. Zusätzlich verursachen korrosionsbedingte Schäden monetäre Kosten in der Grössenordnung von ca. 3 % des Bruttoinlandprodukts [1]. Unter der Voraussetzung, dass er fachgerecht hergestellt und verarbeitet sowie optimal nachbehandelt wurde, ist Stahlbeton eigentlich ein dauerhafter Baustoff. Stark und Wicht definieren in [2] die Dauerhaftigkeit von Beton dementsprechend, dass Bauteile aus Beton bei Beanspruchungen durch Einwirkungen aus Betrieb und Umwelt über die vorgesehene Nutzungsdauer bei ausreichender Wartung und Instandhaltung genügend beständig sind. Der Nachweis der Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit wird durch entsprechende Bemessungs- und vielfach normenbasierte Nachweisverfahren gewährleistet. Die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit werden hingegen über erfahrungsbasierte, empirische Regeln abgehandelt. Je nach Exposition des Betonbauteils muss der Beton z.B. eine Mindestzementmenge, einen maximalen Wasser-Zementwert und eine minimale Bewehrungsüberdeckung aufweisen. Mit der Einhaltung dieser deskriptiven und rein empirischen Regelungen aus der Betonnorm EN 206 [3] wird davon ausgegangen, dass damit eine Nutzungsdauer von 50 bzw. 100 Jahren erreicht werden kann wird. Betonbauteile unterliegen vielfältigen und hohen Beanspruchungen aus nutzungs- und umweltbedingten Einwirkungen. Die dadurch ausgelösten Schäden nehmen über das Bauteilalter progressiv zu, wodurch erhebliche Kosten verursacht werden. Bei Fragen zur weiteren 318 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Schadensentwicklung und Restnutzungsdauer, geben die oben erwähnten deskriptiven Ansätze jedoch, aufgrund fehlender Informationen zur Zusammensetzung der Baustoffe, vielfach nur unzureichende Antworten und Hilfestellungen. Bei Einwirkungen auf Betonbauteile infolge Karbonatisierung und/ oder Chloridbeaufschlagung liefern leistungsbezogene d.h. performancebasierte Konzepte und Anwendungshilfen fundiertere Lösungsansätze. 2. Bemessung der Dauerhaftigkeit und Lebensdauerprognose Grundsätzlich bestehen bei semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessungen keine Unterschiede, ob diese bei einer Dauerhaftigkeitsbemessung (Neubau) oder einer Lebensdauerprognose (Bestandsbau) zur Anwendung kommen. Es finden die gleichen Schädigungs-Zeit-Gesetze, probabilistischen Methoden und Grenzzustandsdefinitionen Verwendung. Nachfolgend wird vermehrt auf die Lebensdauerprognose bei bestehenden Bauwerken eingegangen. Eine nachhaltige Instandsetzungsplanung erfordert gemäss der DAfStb-Instandsetzungsrichtlinie [4] eine detaillierte Zustandserfassung des betroffenen Betonbauwerks (inkl. Bewertung von Schäden und deren Schädigungsentwicklung, die einen Einfluss auf die Dauerhaftigkeit des Betons ausüben). Mit dem heutigen deskriptiven Ansatz sind verlässliche Aussagen jedoch nicht bzw. nur bedingt möglich. Trotzdem sehen sich Fachleute gezwungen, fundierte Aussagen zur weiteren Entwicklung der Schädigung am Bauwerk (Lebensdauerprognose) und über mögliche einzuleitende Massnahmen zu machen, damit die angestrebte Nutzungsdauer erreicht wird. Aussagen und Einschätzungen zur Restnutzungsdauer oder zu Instandsetzungsmassnahmen sollten nicht willkürlich getätigt werden, sondern auf der Berechnung des fortschreitenden d.h. zeitabhängigen Dauerhaftigkeitsverlusts beruhen. 3. Dauerhaftigkeitsrelevante Schädigungen Im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbauteilen sind die karbonatisierungs- und chloridinduzierte Bewehrungskorrosion bei zahlreichen Bauwerken die wesentliche Schadensbeanspruchung. Für die Beurteilung dieser beiden Schädigungsmechanismen sind semiprobabilistische Nachweiskonzepte zur Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung bereits vorhanden. Der Stahl im Beton ist durch die Alkalität der Porenlösung (pH-Wert 12.5 bis 13.5) vor Korrosion geschützt. Die mikroskopisch dünne Passivschicht unterbindet dabei die anodische Eisenauflösung. Wenn der pH-Wert des Betons infolge Karbonatisierung unter ca. 9.0 fällt oder der Chloridgehalt des Betons einen charakteristischen kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts (C crit ) überschreitet, wird die Passivschicht und damit auch der Korrosionsschutz der Bewehrung degradiert. Der Schädigungsablauf bei karbonatisierungs- oder chloridinduzierter Bewehrungskorrosion läuft grundsätzlich gleich ab (Abb. 3-1): (I) In der Einleitungsphase dringt die Karbonatisierungsfront, Chloride oder andere schädlichen Bestandsteile zur Oberfläche der Bewehrung vor, ohne, dass es zu einer eigentlichen Schädigung am Bauwerk kommt. Am Ende dieser Phase ist die Passivschicht nicht mehr stabil, d.h. die Bewehrung ist depassiviert. (II) In der Schädigungsphase beginnt die eigentliche Schädigung der Bewehrung aufgrund der einsetzenden Korrosion, welche sich je nach Grad der Schädigung zuerst in Form von auftretenden Rissen und anschliessend fortschreitend mit Betonabplatzungen zeigt. Am Ende dieser Phase ist der Grenzzustand der Tragfähigkeit erreicht. Abb. 3-1 Zeitliche Entwicklung der Bauteilschädigung durch Bewehrungskorrosion [5] 4. Der deskriptiver Dauerhaftigkeitsansatz Zur Beurteilung des aktuellen (Korrosions)-Zustands und der Einleitung von möglichen Massnahmen bei Stahlbetonbauten stehen heute zahlreiche Möglichkeiten in Form von Richtlinien und Normen zur Verfügung. So sind z.B. in der DAfStb-Instandsetzungsrichtlinie [4] verschiedene Prinzipien und Verfahren bei unterschiedlichen Einwirkungen und Schädigungsgraden beschrieben. Beim Verfahren 7.2 „Ersatz von schadstoffhaltigem oder karbonatisiertem Beton“ wird z.B. vorgeschlagen, dass der Beton bei grossen Chlorideindringtiefen bis mindestens 30 mm hinter die Bewehrung zu entfernen ist. Dabei darf der Chloridgehalt im verbleibenden Altbeton 1.5 M- %/ Z nicht überschreiten (Abb. 4-1). Bei dieser Vorgabe handelt es sich allerdings nur um einen Erfahrungswert. Höhere verbleibende Chloridgehalte über 1.5 M-%/ Z sind nur bei entsprechenden Nachweisen zulässig. Im Kapitel 5 sind hierzu informative Verfahren zur einfachen Abschätzung aufgeführt inkl. semiprobabilistischer und probabilistischer Verfahren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 319 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 4-1 Verfahren 7.2 “Ersatz von schadstoffhaltigem oder karbonatisiertem Beton” [4] Diese und andere Vorgaben berücksichtigen nicht die konkrete materialtechnologische Situation oder die effektiv vorhandene Exposition des betroffenen Bauteils. Es handelt sich dabei um eine Art „Rezeptvorschlage“. 5. Semiprobabilistisches Bemessungsmodell 5.1 Modellansatz Im Bereich der Tragsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit hat sich das semiprobabilistische Sicherheitskonzept basierend auf Grenzzuständen durchgesetzt. Zufallsverteilten Einwirkungen (E) werden zufallsverteilten Tragwiderstände (R) gegenübergestellt. Da für beide Zufallsgrössen vielfach unzureichende empirische Kenntnisse vorliegen, wird der Ansatz dementsprechend so gewählt, dass zwischen den Bemessungswerten der jeweiligen Verteilungsfunktionen ein genügend grosser Sicherheitsabstand vorliegt. Ein Versagen des Tragwerks d.h. Überschreiten des Grenzzustands wird vermieden, solange folgende Bedingung gilt: R - E > 0 (1) Auch für die leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung wird das gleiche Grundprinzip herangezogen: Möglichen Beton- und Bauteilwiderständen werden die zu erwartenden umgebungsbedingten Beanspruchungen aus der jeweiligen Exposition gegenübergestellt. Als Grenzzustand gilt hierbei eine Depassivierung der Betonstahloberfläche (ausgelöst durch Karbonatisierung oder eindringende Chloride). Im weiteren Verlauf wird schwergewichtig auf die Chlorideinwirkung eingegangen. Es wird eine mögliche Depassivierung des Betonstahls durch das Erreichen eines kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts C crit auf Höhe der Betonstahloberfläche zugrunde gelegt [4]. Mit dem Erreichen dieses Werts ist der Grenzzustand für die chloridinduzierte Betonstahlkorrosion erreicht [6], sodass folgende Grenzzustandsgleichung gilt: g(X, t) = C crit - C(c, t SL ) (2) C crit kritischer korrosionsauslösender Chloridgehalt [M-%/ Z] C(c, t SL ) Chloridgehalt an der Betonstahloberfläche zum Zeitpunkt t SL [M-%/ Z] c Bewehrungsüberdeckung [m] t SL Nutzungsdauer (Service Life) [Jahr] Die Zustandsprognose erfolgt durch eine Zuverlässigkeitsanalyse mit Hilfe der Grenzzustandsgleichung (2) und durch Festlegung eines Zielwertes des Zielzuverlässigkeitsindex β 0 , mit welchem die Anforderungen an die Sicherheit des Bauwerks für den betrachteten Zeitpunkt ausgedrückt wird. Bei der vorliegenden Modellbetrachtung gilt es zu beachten, dass sich die Aussagen ausschliesslich auf den Zeitpunkt der Korrosionsinitiierung d.h. den Beginn der Schädigungsphase (Abb. 3-1) beziehen. Der weitere Korrosionsprozess kann aktuell modellmässig noch nicht 320 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen richtig abgebildet werden. Zudem gilt das Modell nur in umgerissenen Bereichen des Bauteils. 5.2 Widerstand In der Grenzzustandsgleichung (2) stellt C crit den Widerstand dar. Es handelt es dabei sich um einen angenommenen Schwellenwert, der u.a. von Dicke und Qualität der Betondeckung abhängig ist. In der Wissenschaft ist man sich im Grundsatz einig, dass es nicht einen fixen gleichbleibenden C crit gibt. Er ist von einer Vielzahl von Parametern abhängig. «Der Chloridgehalt, der an der Bewehrung Korrosion auslösen kann, ist keine konstante Grösse, sondern hängt vom pH-Wert des Porenwassers, vom Zementgehalt und der Zementart des Betons ab.» (Auszug aus der Norm SN EN 14629). Die Schweizer Norm SIA 269/ 2 [7] besagt, dass bei Chloridgehalten < 0.4 M-%/ Z kaum Korrosion vorhanden und bei Chloridgehalten zwischen 0.4 und 1.0 M-%/ Z Korrosion möglich ist. In [8] wird ein unterer Grenzwert des Chloridgehalts von 0.5 M-%/ Z vorgegeben. Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass C crit bauteilbezogen sehr stark streuen kann. Laut Angst et al. [9] lagen die entsprechenden Werte bei einem konkreten Bauwerk zwischen 0.04 und 8.34 % M-%/ Z. „Eine verlässliche Abschätzung der verbleibenden Zeit bis zur Korrosionsinitiierung ist damit nach dem heutigen Stand des Wissens nicht möglich.“ [9]. Bei der vereinfachten Methode der semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessung wird für C crit eine statistische Betaverteilung mit einem Mittelwert von 0.6 M-%/ Z angenommen [4]. Es handelt sich daher um eine Zufallsgrösse mit einer entsprechenden Streuung, ohne die lokalen oder materialtechnologischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. In [9, 10] wird ein standardisiertes Verfahren zur bauteilspezifischen Bestimmung des kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts C crit im Labor. Dabei werden Probekörper aus einem chloridbelasteten Bauwerk entnommen und nach einer entsprechenden Präparation ausgelagert (Chloridexponierung). Durch einen gesteuerten Chlorideintrag durch den Überdeckungsbeton wird rein über Diffusion ein Chloridtransport bis zur Bewehrung ausgelöst. Die Detektion der Korrosionsinitiierung erfolgt mittels Potenzialmessung. Sobald das Potenzial ausgehend von einem ursprünglich definierten Passivlevel innerhalb von 24 Stunden um 150 mV abfällt und anschliessend das Potenzial während mehrerer Tage auf diesem Niveau verweilt, wird dies als der stabile Anfang der Korrosionsinitiierung angenommen (siehe Abb. 5-1). Abb. 5-1 Potenzialverlauf bei einem Auslagerungsversuch (Vortrag Prof. Dr. U. Angst) Die Untersuchungen von Angst et al. [9] zeigten, dass teilweise sehr hohe Chloridgehalte tolerierbar sind, ohne das Korrosion einsetzte. Auf der anderen Seite kann jedoch bereits bei Chloridgehalten unter den bekannten Grenzwerten Korrosion ausgelöst werden. Der oben erwähnte C crit von 0.6 M-%/ Z kann dabei als sehr konservativ betrachtet werden. Insgesamt steht folglich ein Instrument zur Verfügung, welches es ermöglicht bauteilbezogen C crit zu bestimmen. 5.3 Einwirkung Der vorhandene Chloridgehalt an der Betonstahlober-fläche zum Zeitpunkt t repräsentiert die Einwirkung [6]. Die Grenzzustandsgleichung (2) kann somit auch wie folgt beschrieben werden: g(X,t) = c x crit (t SL ) (3) c Bewehrungsüberdeckung [m] x crit (t SL ) Tiefenlage des kritischen korrosions-auslösenden Chloridgehalts zum Zeitpunkt tSL [m] Zur Abschätzung des Zeitraums vom Beginn der Chloridbeaufschlagung bis zur Depassivierung des Betonstahls (Initiierungsphase) wird der zeit- und tiefenabhängige Chlorideindringverlauf im Beton bestimmt. Es handelt sich dabei um einen Diffusionsprozess gemäss des zweiten Fick’schen Diffusionsgesetz [4]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 321 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen (4) C(x,t) Chloridgehalt [M-%/ Z] in der Tiefe x von der Bauteilbzw. Probekörperoberfläche [mm] zum Zeitpunkt t C S,Δx Chloridgehalt an der Bauteiloberfläche (bei Δx=0) bzw. in der Tiefe Δx zum Beobachtungszeitpunkt in Abhängigkeit der anstehenden Chloridquelle, welche als konstante Einwirkung angenommen wird (Oberflächenchloridgehalt) [M-%/ Z] Δx Tiefenbereich, in dem ggf. das Chlorideindringverhalten durch intermittierende Chlorid einwirkung vom Fick’schen Diffusionsverhalten abweicht [mm] C 0 Eigenchloridgehalt des Betons [M-%/ Z] D app(t) scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient des Betons [mm 2 / Jahr] zum Zeitpunkt t t Zeitdauer vom Beginn der Beaufschlagung bis zur Inspektion bzw. die Lebensdauer [Jahr] erfc Komplementäre der Gauss’schen Fehlerfunktion (=1-erf) Abb. 5-2 Ermittlung von Dtest(t0) und Cs,0 bzw. Cs,Δx anhand von nasschemischen Chloridprofilen aus beste-henden Bauwerken oder Laborkurzzeitversuch [6]. Für die Ermittlung der Restnutzungsdauer werden folgende Parameter mittels Curve-Fittings bestimmt: • scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient D app(t0) • der Altersexponent α app • der Oberflächenchloridgehalt bzw. der Chlorid-gehalt in der Tiefe Δx (Konvektionszone; Nasschemie Annahme von 10 mm) und C S, Δx (Abb. 5-2) • die Mindestdeckung c min (5%-Quantil der am Bauteil gemessenen Betondeckung) Weitere Eingangsparameter werden aus dem Chloridprofil abgeleitet durch eine Regressionsanalyse unter Verwendung der Gleichung (4) berechnet [6]: Der scheinbare Chloriddiffusionskoeffizient zum Zeitpunkt der Inspektion D app(tinsp) sowie der Oberflächenchloridgehalt bzw. der Chloridgehalt in der Tiefe Δx (Konvektionszone) C S, Δx,insp . 6. Bestimmung des Chloridgehalts 6.1 Nasschemie Für die nasschemische Analyse werden an mehreren Stellen Bohrkerne bzw. Bohrmehlproben (z.B. in 10 mm- Tiefenstufen) entnommen und im Labor untersucht. Die Bohrkerne werden hierfür zunächst in zehn Millimetern dicke Scheiben geschnitten. Anschließend werden diese zerkleinert, gemahlen, homogenisiert und nasschemisch analysiert. Das Ergebnis zeigt die mittlere Konzentration der Chloride bezogen auf das homogenisierte Volumen der Probe. Diese Art der Analyse ist zeitaufwendig und aufgrund der vielen Prozessschritte arbeitsintensiv, sodass oft weniger Scheiben untersucht werden (z.B: nur aus drei Tiefenstufen) und damit die Aussagekraft der Ergebnisse gemindert werden [11]. Ein weiteres Problem besteht darin, dass beim Zerkleinern die Bindemittelmatrix (Zement) und die Gesteinskörnung zu einem homogenen Pulver verarbeitet werden. Das Analyseergebnis zeigt somit die Chloridkonzentration bezogen auf die Gesamtmasse aus Zement und Gesteinskörnung an. Um die Chloridkonzentration bezogen auf den Zementanteil zu erhalten, werden die Ergebnisse deshalb umgerechnet Hierfür muss in Anbetracht der fehlenden Kenntnisse über die effektive Betonzusammensetzung der Zementgehalt der Probe angenommen werden (z.B. 300 kg/ m 3 , dies entspricht einer Rohdichte des Betons von 2‘400 kg/ m 3 einem Verhältnis von 1 zu 8). Des Weiteren bleibt bei nasschemischen Analysen der Einfluss der chloridhaltiger Gesteinskörnung unberücksichtigt. Bei der Homogenisierung der Proben gehen zusätzlich Informationen über inhomogene Chloridverteilungen z.B. im Bereich von wasserführenden Rissen im Beton verloren [11]. 322 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 6-1 nasschemische Bestimmung der Chloridkonzentratio-nen (Tiefenprofil) bei Bohrkernproben 6.2 Laser-induzierte Plasmaspektroskopie (LIPS) Eine Alternative zur nasschemischen Analyse bietet die laser-induzierte Plasmaspektroskopie (LIPS). Es handelt sich hierbei um ein berührungsloses Analyseverfahren zur Untersuchung von Baustoffen. Das Resultat ist eine zweidimensionale Darstellung der Elementverteilung der untersuchten Baustoffoberfläche. Bei der Messung kann die Probenoberfläche mit einem minimalen Raster von 0.1 x 0.1 mm automatisiert abgescannt werden (schematischer Aufbau in Abb. 6-2). Mit einem hochenergetischen gepulsten Laserpuls werden kleinste Materialmengen an der Oberfläche der Probe verdampft und in ein Plasma (Temperaturen von > 10.000° K) überführt. Dabei werden die chemischen Bindungen aufgebrochen. Nach Beendigung der Energiezufuhr kühlt das Plasma ab und zerfällt wieder («breakdown»), wobei element-charakteristische Strahlung emittiert wird. Durch Spektralanalyse des vom Plasma emittierten Lichts können in Abhängigkeit der Wellenlänge Spektrallinien identifiziert werden, wodurch ein Nachweis von einzelnen Elementen ermöglicht wird. Durch dieses Messprinzip sind grundsätzlich alle Elemente des Periodensystems zeitgleich nachweisbar. Es können alle für die Zusammensetzung des Zements und der Gesteinskörnung sowie die für die Schädigungsprozesse im Beton relevanten Elemente (z.B. Chlor, Schwefel, Natrium, und Kohlenstoff) bestimmt werden. Durch die Verwendung von Standards kann eine Kalibrierung und somit auch eine Quantifizierung der Ergebnisse ermöglicht werden. Das LIPS-Verfahren bietet dabei folgende Vorteile: • Die Probe wird zweidimensional abgescannt und die Elementverteilung ortsaufgelöst dargestellt. Die Heterogenität des Betons wird bei der Ergebnisdarstellung berücksichtigt, da die Gesteinskörnung durch die Verwendung von bestimmten Algorithmen ausgeschlossen wird. • Die Elementgehalte werden quantifiziert. • Durch die simultane Detektion von unterschiedlichen Elementen werden mehrere für eine mögliche Schädigung in Frage kommende Einflussgrössen gleichzeitig analysiert (Multi-Element-Analyse). • Die Probenvorbereitung/ -präparation ist einfach und schnell. Durch das automatisierte Messverfahren liegen die Resultate innert kürzester Zeit vor. LIPS kann u.a. bei den folgenden Fragestellungen angewendet werden: • Nachweis der Chlorverteilung und des -gehalts in der Bindemittelmatrix sowie der Karbonatisierungsfront • Visualisierung von Transport- und Umverteilungsvorgängen innerhalb des Betons • Identifizierung von Zusatzstoffen, wie z.B. Silikastaub im Festbeton und Nachweis von Zusatzmitteln, wie z.B. Beschleuniger im Spritzbeton • Kennwertermittlung (scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient) bei semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessungen (Ermittlung von Restnutzungsdauern oder Bemessung von Schichtdicken für Betonersatz bei Chloridbeaufschlagung) Mittels Auswertungen von Chloridprofilen aus LIPS- Messungen ist es nun möglich die erforderlichen Eingangsparameter für eine semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessung zu bestimmen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 323 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 6-2 a) Schematische Darstellung des verwendeten Messprinzips des LIPS-Messgeräts bei der Valtest AG. b) Foto eines erzeugten Plasmas auf einer Betonoberfläche. c) Typi-sches Messspektrum eines Betons im Wellenlängenbereich von 276 nm zu 322 nm. 7. Anwendungen 7.1 Bestimmung des charakteristischen kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts (C crit ) Nachfolgend sollen einige konkrete Anwendungen von LIPS-Analysen aufzeigen, wie sehr der kritische korrosionsauslösende Chloridgehalt C crit innerhalb des gleichen Bauwerks schwanken kann. Im Rahmen einer Zustandserfassung eins Parkhauses wurden mehrere Bohrkerne aus dem Bauwerk entnommen und an der ETH Zürich mit der in Kapitel 5.2 beschriebenen Methode C crit bestimmt. Parallel dazu wurde bei der Valtest AG an den gespaltenen Bohrkernen mittels LIPS die Chloridverteilung bestimmt. Hierbei gilt es zu beachten, dass sich die LIPS Messwerte auf den Zementstein (CP) beziehen. Beim ersten Beispiel hat die ETH Zürich einen C crit von 2.293 M-%/ Z bestimmt. Abbildung 7-1a zeigt die Korrosionsstelle in der Probe (dunkelbrauner Korrosionspunkt auf dem Beton; hervorgehoben mit einem braunen Pfeil). Es zeigt sich in dem zweidimensionalen LIPS-Flächenscan, dass mit 1.0-1.5 M-%/ CP tiefere Chloridwerte um den Korrosionspunkt erreicht werden (Abb. 7-1b). Nur wenige Millimeter vom detektierten Korrosionspunkt entfernt wurden mit LIPS auch Chloridwerte > 2.3 M-%/ CP gemessen. Diese Ergebnisse spiegelt sich auch in der Abbildung 7-1c wider. 324 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 7-1 a) Foto des Prüfkörpers 16493_6e mit markiertem LIPS-Messfeld und hervorge-hobener Korrosionsstelle (brauner Pfeil). b) Quantitative, zementsteinbezogene Chloridverteilung (Cl), mit Ausschluss der Gesteinskörnung (GK) über die Quer-schnittfläche des Prüfkörpers inkl. hervor-gehobener Korrosionsstelle (brauner Pfeil und (c) dem dazugehörigen Tiefenprofil. Beim zweiten Beispiel hat die ETH Zürich einen C crit von 0.199 M-%/ Z bestimmt. Abbildung 7-2a zeigt die Korrosionsstelle in der Probe (dunkelbrauner Korrosionspunkt auf dem Beton; hervorgehoben mit dem braunen Pfeil). Um diesen Punkte herum wurden die LIPS Messungen durchgeführt (Abb. 7-2b qualitative Eisenverteilung) und es zeigt sich in dem zweidimensionalen LIPS Flächenscan, dass durchaus auch höhere Chloridwerte (> 0.5 -%/ CP) um den Korrosionspunkt erreicht werden (Abbildung 7-2c), wobei im Mittel Werte von 0.11 M-%/ CP bestimmt wurden (Abbildung 7-2d). Wenn man die nasschemischen und die LIPS Ergebnisse vergleicht, wird deutlich, dass die Nasschemie bei solchen örtlich begrenzten Messumgebungen an seine Grenzen gerät und LIPS (Messraster von 0.1 x 0.1 mm) seine Vorteile ausspielen kann. Zudem unterstreichen die Messergebnisse, dass aus dem gleichen Bauwerk sehr unterschiedliche C crit auftreten können. Es wird deutlich, dass es «den» kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt nicht gibt, sondern, dass dieser immer individuell von Bauwerk zu Bauwerk bzw. wie in dem vorliegenden Fall sogar von Bauteil zu Bauteil gemessen und bestimmt werden sollte. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 325 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 7-2 a) Foto des Prüfkörpers 16493_4b mit markiertem LIPS-Messfeld und hervorgehobener Korrosi-onsstelle (brauner Pfeil). b) Qualitative, Eisenverteilung (Fe) über die Querschnittsfläche des Prüfkörpers ohne Ausschluss der Gesteinskörnung. c) Quantitative, zementsteinbezogene Chlorid-verteilung (Cl), mit Ausschluss der Gesteinskörnung (GK) über die Querschnittfläche des Prüfkör-pers inkl. hervorgehobener Korrosionsstelle (brauner Pfeil und (d) dem dazugehörigen Tiefenpro-fil. 7.2 Vergleich Nasschemie vs. LIPS Um der Problemstellung Nasschemie vs. LIPS genauer zu beleuchten wurden in einer Galerie zwei Bohrmehlproben (Bohrdurchmesser d=20 mm) mit je fünf Tiefenstufen a 10 mm an der gleichen Stelle entnommen (Doppelbestimmung). Zusätzlich wurde je ein Bohrkern mit einem Durchmesser von 50 mm zur LIPS-Analyse gezogen (Abb. 7-3). Für die Nasschemie wurde ein Zementverhältnis (300 kg/ m 3 Zement bei einer Betonrohdichte von 2‘400 kg/ m 3 ) von 1/ 8 angenommen (blaue Balken in Abb. 7-4 und 7-5). Es zeigt sich, dass die Chloridwerte der beiden nasschemischen Messpaare relativ stark voneinander abweichen (Abb. 7-4a/ b und 7-5 a/ b). Im Der zweidimensionale LIPS-Flächenscan (Abb. 7-4d und 7-5d) und das dazugehörige Mittelwertdiagramm (Abb. 7-4e und 7-5e), dass die nasschemisch ermittelten Werte relativ gut mit den LIPS-Daten übereinstimmen. Besonders in den tieferen Konzentrationsbereichen sich gute Übereinstimmungen feststellbar. Ein wesentlicher Vorteil der präziseren Messauflösung von LIPS zeigt sich zudem beim Nachweis der Konventionszone an der Oberfläche. Diese wurde im vorliegenden Fall mit der nasschemischen Analyse nicht nachgewiesen. 326 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 7-3 Probennahme für die nasschemische und die dazugehörige LIPS- Analyse (UZ-8). In den Abbildungen 7-4f und 7-5f sind zudem die tiefenbezogenen Zementgehalte dargestellt. Es wird deutlich, dass das angenommene Zementverhältnis (1/ 8) stark vom «wahren» effektiven Zementverhältnis abweicht, welches sich eher im Bereich von 1/ 5 befindet. Um diesen Effekt zu visualisieren, wurden in Abbildung 7-4a/ b und 7-5 a/ b die Chloridwerte bezogen auf die effektiven Zementverhältnissen berechnet. Dabei zeigt es sich, dass diese sehr stark von den Messwerten mit der Annahme eines homogenen Zement-gehalts abweichen (graue Balken). Bei der LIPS-Analyse treten dieser Art von Problemen nicht in Erscheinung, da sich die gemessene Werte direkt auf die Bindemittelmatrix beziehen (Ausschluss der Gesteinskörnung). Im Zusammenhang mit den Zementgehalten gilt es aber anzumerken, dass es sich bei der LIPS-Messung um eine zweidimensionale Darstellung handelt, sodass die Zementgehalte nicht unbedingt für das gesamt Volumen des nasschemisch gemessenen Bohrkern gelten, sondern nur für den Flächenscan. Zusätzlich wurden an den LIPS Bohrkernen noch semiprobalistische Dauerhaftigkeitsbemessungen durchgeführt. Die nachfolgenden Auswertungen beruhen auf einem C crit von jeweils 0.4 M-%/ Z (7-4g/ h und 7-5 g/ h). Es stellte sich heraus, dass die Restnutzungsdauer, der hier untersuchten Bauteile erreicht bzw. nahezu erreicht worden sind. 8. Fazit Bei LIPS handelt es sich um ein hochpräzises Nachweisverfahren zur Untersuchung und anschliessender zweidimensionalen Darstellung der Elementverteilung an Oberflächen von Baustoffen. Geeignet ist LIPS zur Visualisierung von Transport- und Umverteilungsvorgängen innerhalb des Betons und bei Zustandsuntersuchungen u.a. zum Nachweis des Chloridgehalts in der Bindemittelmatrix. Im Vergleich zur Nasschemie hat LIPS den Vorteil, dass die Heterogenität des Betons berücksichtigt werden kann, da die Gesteinskörnung ausgeschlossen wird. Im Hinblick auf semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessungen erhält man, gegenüber nasschemisch ermittelten Chloridprofilen, präzisere Datengrundlagen. Wenn zusätzlich noch effektiv vorhandene kritische korrosionsauslösende Chloridgehalt C crit am Bauwerk bestimmt werden kann, sind gute d.h. fundierte Aussagen hinsichtlich einer Restnutzungsdauer des Bauwerks möglich. Dabei gelten jedoch folgende Einschränkungen: • Die Auswertungen beruhen auf punktuell ermittelten Probenahmen am Bauwerk. Hierzu folgendes Zitat aus [6]: «Die Lage der Probestellen sowie der Ablauf der Probenahme sind vor grosser Bedeutung. Die Chloridproben müssen expositionsgerecht und aus repräsentativen Stellen entnommen werden und keine Singularitäten z.B. Risse beinhalten. Eine nicht sachgerechte Probenahme und Festlegung von Probenahmestellen führt zu Ermittlung von Chloridgehalten, die zu fehlerhaften Bewertung des Bauteils sowie des Modells führen.» • Die Aussagen beziehen sich auf ungestörte bzw. unbeschädigte Betonbauteile. So sind beispielsweise bei Rissen separate Betrachtungen erforderlich. • Die Ergebnisse beziehen sich auf das Ende der Einleitungsphase bzw. den Beginn der Schädigungsphase. Wie und in welcher Zeitspanne der anschliessende Korrosionsprozess abläuft, kann mit dem vorliegenden semiprobabilistischen Bemessungsmodell nicht vorhergesagt werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 327 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 7-4 a/ b) Nasschemische Analyse der Bohrmehlproben 16642_UZ7-1 und -2 c) Foto des Bohrkerns 16642_UZ7 mit mar-kiertem LIPS-Messfeld. d) Quantitative, zementsteinbezogene Chloridverteilung (Cl), mit Ausschluss der Gesteinskör-nung (GK) über die Querschnittfläche des Prüfkörpers und (e) dem dazugehörigen Tiefenprofil. f) Bestimmung des Zementanteils in Bohrkerns 16642_UZ7 mittels LIPS. g) Regressionsanalyse (Methode der kleinsten Fehlerquadrate) der gemessenen LIPS-Daten. h) Ergebnisse der durch die gefittete Kurve bestimmten Eingangsparameter sowie die Ergebnisse für die Lebensdauerbemessung. Abb. 7-5 a/ b) Nasschemische Analyse der Bohrmehlproben 16642_UZ8-1 und -2 c) Foto des Bohrkerns 16642_UZ8 mit markier-tem LIPS-Messfeld. d) Quantitative, zementsteinbezogene Chloridverteilung (Cl), mit Ausschluss der Gesteinskörnung (GK) über die Querschnittfläche des Prüfkörpers und (e) dem dazugehörigen Tiefenprofil. f) Bestimmung des Zementan-teils in Bohrkerns 16642_UZ8 mittels LIPS. g) Regressionsanalyse (Methode der kleinsten Fehlerquadrate) der gemesse-nen LIPS-Daten. h) Ergebnisse der durch die gefittete Kurve bestimmten Eingangsparameter sowie die Ergebnisse für die Lebensdauerbemessung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 329 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Literatur [1] Wendler-Kalsch E., Gräfen H., Wilsch G.: Korrosionsschadenkunde, Berlin Heidelberg: Springer, 1998. doi: 10.1007/ 978-3-642-30431-6. [2] Stark J., Wicht B.: Dauerhaftigkeit von Beton, Springer Vieweg, 2013 [3] EN 206: 2013 Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität [4] BAW Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe: Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauwerken bei Carbonatisierung und Chlorideinwirkung (MDCC), BAW-Merkblatt Ausgabe 2017 [5] Tuutti, K.: Corrosion of Steel in Concrete. CBI Research No. Fo 4: 82, 1982 [6] Rahimi A.: Semiprobalistisches Nachweiskonzept zur Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauteilen unter Chlorideinwirkung, DAfStb Deutscher Ausschus für Stahlbeton, 2017, Heft 626 [7] SIA 269/ 2: 2011 Erhaltung von Tragwerken - Bet onbau [8] Breit W. et al: Zum Ansatz eines kritischen Chloridgehaltes bei Stahlbetonbauwerken, Beton- und Stahlbetonbau 106(2011), Heft 5 [9] Angst U. et al: Methode zur Bestimmung des kritischen Chloridgehaltes an bestehenden Stahlbetonbauwerken, Forschungsauftrag AGB 2012/ 010 Bundesamt für Strassen, Bern [10] Boschmann Käthler C., Angst U.: Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkungen auf die Restlebensdauer, 4. Brückenkolloquium 2020, Technische Akademie Esslingen [11] Gottlieb C. et al: Es geht auch einfacher, B+B Bauen im Bestand 42(2019), Heft 7 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 331 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen Iris Hindersmann Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Peter Haardt Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Zusammenfassung Der Einsatz von Monitoring an Bundesfernstraßen findet aktuell nur statt, wenn ein konkreter Schaden bzw. ein Defizit beurteilt oder überwacht werden soll. Monitoring bietet aber auch die Möglichkeit sicherzustellen, dass vorhandene Brücken bis zu Sanierung oder Neubau weiter genutzt werden können. Um Monitoring in eine breitere Anwendung zu bringen, wurden im Rahmen der Ressortforschung an der BASt zwei Forschungsvorhaben durchgeführt, mit dem Ziel einer Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen von Monitoringmaßnahmen. Die Quantifizierung der Zuverlässigkeit erfolgt über ein Verfahren, welches die Abschätzung der Versagenswahrscheinlichkeit einer Monitoringmaßnahme bei einer Schwellwertüberwachung ermöglicht. Hierbei werden zwei Aspekte zur Bestimmung des Zugewinns an Zuverlässigkeit betrachtet, erstens die Wahrscheinlichkeit, dass das Monitoring einen gravierenden Schaden nicht erkennt und zweitens die Wahrscheinlichkeit, dass der zeitliche Aspekt zwischen der Erkennung des Schadens und Umsetzung einer entsprechenden Maßnahme zu kurz ist. Die Quantifizierung des Nutzens einer Monitoringmaßnahme erfolgt durch die Gegenüberstellung der Kosten und des Nutzens. Einbezogen werden hierbei die Kosten für Unterhaltung und Instandsetzung, Installation und Betrieb des Monitoringsystems, ein mögliches Brückenversagen und die volkswirtschaftlichen Kosten. Die volkswirtschaftlichen bzw. indirekten Kosten entstehen durch Verkehrseinschränkungen und werden durch die Parameter Betriebskosten, Reisezeiten, Verkehrssicherheit (Unfälle), Lärm und Luftverschmutzung abgebildet. 1. Einleitung Die Bundesfernstraßen umfassen ein Netz von etwa 39.500 Brücken [1]. Ein großer Teil dieser Brücken muss instandgesetzt, ertüchtigt oder erneuert werden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Der Verkehr auf Bundesfernstraßen ist in den letzten Jahren stark angestiegen und der Güterverkehr hat dabei überproportional an Menge und Gesamtgewicht zugelegt. Die Tragreserven der Brücken sind dadurch teilweise aufgebraucht, da faktisch eine Nutzungsänderung für die Brücken stattgefunden hat. Der Großteil der Brückenbauwerke in Westdeutschland wurde in den 1960er bis 1980er Jahren gebaut. Bedingt durch hohe Materialpreise und geringe Lohnkosten wurde der Materialeinsatz optimiert, dadurch gibt es heute beispielsweise Probleme mit zu geringer Schubbewehrung bei relevanten Hauptbauteilen von Massivbrücken. Als zusätzliches Problem kommt die Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Brücken hinzu, die auf einen Rückstau der Erhaltungsmaßnahmen schließen lässt [1; 2]. Da eine Ertüchtigung und/ oder Ersatz aller betroffenen Bauwerke kurzfristig nicht möglich sein wird, ist es notwendig, Konzepte und Verfahren zu entwickeln, um die vorhandenen Brücken bis zur Sanierung oder dem Neubau sicher weiter zu nutzen. Monitoring kann zur Sicherstellung der Verfügbarkeit nutzbringend eingesetzt werden, in dem Sicherheitsreserven erkannt, Prognosen des zukünftigen Verhaltens ermöglicht und so das Erhaltungsmanagement optimiert werden kann. Bislang unbekannt ist die Quantifizierung der Zuverlässigkeit des vorhandenen Brückenbauwerks als Ergebnis des Einsatzes von Monitoring sowie die Bewertung des tatsächlichen Nutzens. Zur Entwicklung von Verfahren mit dem Ziel einer Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen wurden im Rahmen der Ressortforschung der BASt zwei Forschungsvorhaben durchgeführt, die im Folgenden beschrieben werden. 2. Monitoring - Definition und Einsatz in der Praxis Eine einheitliche Definition der Begriffe „Überwachung“ und „Monitoring“ liegt nicht vor, in diesem Artikel wird den Definitionen des Merkblatts „Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb“ des Deutschen Beton- und Bautechnik Vereins gefolgt [3]. Monitoring beschreibt da- 332 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen rin den Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse und Bewertung von Bauwerksreaktionen und/ oder der einwirkenden Größen mittels eines Messsystems über einen repräsentativen Zeitraum (zeitliche Entwicklung der Messgröße; kontinuierliche, periodische oder ereignisbasierte Messung, global lokal). Zu unterscheiden sind hierbei Kurzzeitmonitoring (Datenerfassung über Minuten bis Tage, z.B. während einer Probebelastung), Langzeitmonitoring (Datenerfassung über Wochen bis Jahre, z.B. zur Schadensüberwachung) und Dauermonitoring (permanente Datenerfassung ohne geplantes Ende, z.B. für kathodischen Korrosionsschutz) [3]. Bislang kommt bei den Brücken im Bundesfernstraßennetz Monitoring einerseits zur Anwendung, wenn eine Brücke geschädigt ist und das Ausmaß der Schädigung beurteilt werden soll. Andererseits wird mit dem Einsatz von unterschiedlichen Messtechniken ein vorhandener Schaden überwacht, damit die Funktionsfähigkeit der Brücke weiter gewährleistet werden kann. Ein Beispiel für diese Aufgabenstellung ist die Überwachung der Koppelfugen der Autobahnbrücke Duisburg-Beeck (A42). Es handelt sich um eine Spannbetonbrücke, die in drei Bauabschnitten je Richtung gebaut wurde. Nach der Fertigstellung der einzelnen Bauabschnitte wurde an den Arbeitsfugen die Vorspannung über Spanngliedkopplungen übertragen. Infolge von erhöhten Spannungen in diesen Kopplungsfugen, z.B. durch Temperaturgradienten, kann es zu Rissen kommen. Ermüdungsrelevante Rissbewegungen in Abhängigkeit von Temperaturveränderungen und Verkehrsbelastungen können durch das Anbringen von Wegaufnehmern und Temperatursensoren beobachtet werden. Sofern die zulässigen Spannungsschwingbreiten eingehalten werden und die Schädigungssumme unterhalb eines kritischen Wertes liegt, kann die Brücke weiter betrieben werden [4; 5]. Eine aktuelle Abfrage des BMVI bei den Bundesländern zum Einsatz von Monitoring-Systemen hat gezeigt, dass der Einsatz von Monitoring derzeit auf vorhandene Schäden und Defizite beschränkt ist. Mit dem Einsatz des Monitorings werden v.a. die Verlängerung der Restlebensdauer und der Weiterbetrieb der Brücke angestrebt. Grund für die noch geringe Verbreitung des Einsatzes von Monitoring sind häufig fehlendes Wissen in Bezug auf den Einsatz und den Nutzen von Monitoring, fehlende Regelwerke und Standardisierung und die Tatsache, dass der Nutzen des Monitorings finanziell nicht abgeschätzt werden kann. Der Einsatz von Monitoring kann aber insbesondere bei Entscheidungen über Erhaltungsmaßnahmen positive Auswirkungen haben. Aktuell werden Entscheidungen zu Erhaltungsmaßnahmen auf Grundlage objektbezogener Informationen aus der Bauwerksprüfung nach DIN 1076: 1999 [6] und eventueller Sonderprüfungen (nach OSA) getroffen [7]. Der Einsatz von Monitoring kann helfen weitere relevante Informationen zum Bauwerk zu gewinnen. Der verstärkte Einsatz von Monitoring bringt einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen durch die verbesserte Gewährleistung der Verfügbarkeit sowie einer Kostenersparnis in Verbindung mit der besseren Ausnutzung der vorhandenen Brücken und ihrem späteren Ersatzneubau. 3. Quantifizierung der Zuverlässigkeit In der Nachrechnungsrichtlinie des BMVI ist der Einsatz von Monitoring als Kompensationsmaßnahme aufgeführt. Der Einsatz dieser Kompensationsmaßnahme in der Praxis ist aber selten, da der Sicherheitsgewinn, welcher durch den Einsatz von Monitoring entsteht, nicht quantifizierbar ist [8]. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt [9] wurde ein Verfahren für Überwachungsaufgaben entwickelt. Das Verfahren ermöglicht die Abschätzung der Versagenswahrscheinlichkeit einer Monitoringmaßnahme mit einer Schwellwertüberwachung. Ausgehend von der Überlegung, dass zwischen zwei Bauwerksprüfungen (in der Regel im Abstand von 6 Jahren) die Gefahr besteht, dass sich ein Schaden neu entwickelt bzw. ein Schadensverlauf gravierender ist, als erwartet, steht im Resultat eine erhöhte Versagenswahrscheinlichkeit des Bauwerks. Der Einsatz von Monitoring ist eine Möglichkeit zur Reduzierung des Risikos, dies entspricht einer Verknüpfung von Versagenswahrscheinlichkeit und Auswirkungen. Durch den Einsatz von Monitoring sind Informationen zum Zustand des Bauwerks in deutlich kürzeren Abständen verfügbar. Mit der Schadenserkennung ist die Einleitung von entsprechenden Maßnahmen, wie beispielsweise Verringerung der Verkehrslast durch Reduzierung der Fahrspuren, verbunden. Dieser Mechanismus ergibt einen Zugewinn an Zuverlässigkeit und dieser wird im Rahmen des Projekts quantifiziert [9]. Zwei Aspekte sind bei der Bestimmung des Zugewinns an Zuverlässigkeit relevant, erstens die Wahrscheinlichkeit, dass das Monitoring einen gravierenden Schaden nicht erkennt und zweitens die Wahrscheinlichkeit, dass der zeitliche Aspekt zwischen der Erkennung des Schadens und Umsetzung einer entsprechenden Maßnahme zu kurz ist. Diese beiden Aspekte werden in den Phasen „Schadenserkennung“ und „Reaktion“ ermittelt [9]. In der „Schadenserkennungsphase“ wird die Wahrscheinlichkeit quantifiziert, dass trotz Datenerhebung und auswertung ein gravierender Schaden nicht erkannt wird und das Tragwerk versagt. Das Vorgehen wird hier beispielhaft für eine Schwellwertüberwachung der Verkehrslasten erläutert. In Abbildung 1 ist der Zusammenhang zwischen der Verkehrsbelastung Q und einem Indikator X (z.B. Durchbiegung) dargestellt [9]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 333 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen Abbildung 1: Schema der Beziehung zwischen dem Indikator X und der Verkehrslast Q [9] Der Wert X lim bezeichnet einen Schwellwert, der eine Maßnahme auslöst und Q Xlim ist die zugehörige Verkehrslast. Der Wert X Qmax stellt die Erreichung des Grenzzustands und der Wert Qmax die entsprechende Verkehrslast dar. Bei der Überschreitung des Grenzwertes (X Qmax ) kommt es zum Tragwerksversagen. Der Schwellwert (X lim ) muss so gewählt werden, dass die Überschreitung des Grenzwertes X Qmax und damit ein Tragwerksversagen vermieden wird, d.h. es sollten vorher Warnmeldungen ausgelöst und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Die Überschreitung der Verkehrslast (Q Xlim ), welche mit einer Maßnahme verbunden ist, wird durch die Überschreitung des Schwellwerts (X lim ) angezeigt. Dieser Wert (X lim ) kann aus der Verteilung der Verkehrslasten in einem bestimmten Zeitraum (z.B. Stunden) über eine Auswertung der Extremwerte ermittelt werden [9]. In der „Reaktionsphase“ wird der zeitliche Aspekt berücksichtigt, dass aufgrund des kurzen zeitlichen Abstandes zwischen der Schwellwertüberschreitung und dem Tragwerksversagen eine risikoreduzierende Maßnahme nicht umgesetzt werden kann. Die Reaktionsphase setzt sich zusammen aus den Aspekten Messdauer, verlängerte Messdauer aufgrund von Ausfällen, der Dauer der Datenverarbeitung und der Dauer der Maßnahmenumsetzung. Im Projekt wurde die verlängerte Messdauer aufgrund von Ausfällen über eine Befragung von Herstellern und Nutzern von Sensoren erfasst [9]. Abbildung 2: Hochstraße Gifhorn [10] Das Verfahren wurde am Fallbeispiel der Plattenbalkenbrücke „Hochstraße Gifhorn“ im Zuge der Bundesstraße B4 getestet. Die Brücke wurde in einem vorherigen Projekt mit einem Monitoring zur Schwellwertüberwachung der Defizite Schub und Biegung in Längsrichtung ausgestattet [9; 10]. Um den Zusammenhang zwischen den messbaren Indikatoren und der Tragfähigkeit herzustellen, wurden die Versagensmechanismen Biegeversagen und Schubversagen anhand von nichtlinearen FE-Modellen simuliert. Die temperaturkompensierten Durchbiegungs- und Dehnungsmesswerte konnten dann genutzt werden, um die Versagenswahrscheinlichkeit in der Schadenserkennungs- und Reaktionsphase zu bestimmen. Im Ergebnis brachte die Monitoringmaßnahme einen Zuverlässigkeitsgewinn, welcher auf den Zugewinn bei der Überwachung des Grenzzustands der Schubtragfähigkeit zurückzuführen ist [9; 10]. Das entwickelte Verfahren liefert konzeptionelle und berechnungstechnische Grundlagen, um den Sicherheitsgewinn durch den Einsatz von Monitoring zu quantifizieren. Vor einem breiten Einsatz in der Praxis sind jedoch noch Fragen zu klären. Diese betreffen z. B. eine mögliche Vereinfachung des Verfahrens und die Ausweitung der Quantifizierung der Zuverlässigkeit auf Monitoring ohne Schwellwertüberwachung. Weiterhin ist aufgrund der komplexen Berechnungsmethodik die Entwicklung eines Softwaretools erforderlich. 4. Nutzen von Monitoring Der Einsatz von Monitoring ist immer mit der Entstehung von Kosten verbunden. Da Monitoring keine Standardleistung im Ingenieurbau ist, muss nach der Bundeshaushaltsordnung die Wirtschaftlichkeit der Maßnahme dargelegt werden. Mit dem Einsatz eines Monitorings ist ein Informationsgewinn verbunden, dieser Informationsgewinn ist aber nicht kostenlos. Eine Methode zur Abschätzung der Kosten des Informationsgewinns liegt aktuell nicht vor. Mit der Richtlinie zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Rahmen von Instandsetzungs-/ Erneuerungsmaßnahmen bei Straßenbrücken (RI-WI-BRÜ), den Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen (EWS) und dem Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP 2030) liegen Methoden vor, mit denen eine Abschätzung des Nutzens von Maßnahmen möglich ist [11-13]. Das Verfahren nach RI-WI-BRÜ erfolgt auf Basis der Kapitalwertmethode, hierbei werden die aktuell zu tätigen Investitionskosten ins Verhältnis zu dem Kapital gesetzt, das jetzt eingesetzt werden müsste, um die Investition später zu tätigen. Also das Verhältnis von Ersatzneubau jetzt zu Instandhaltung jetzt und Ersatzneubau später [3; 11]. Die Nutzen-Kosten-Analyse stellt die Kosten und Nutzen einer Maßnahme gegenüber, diese Methode findet u. a. in der Bundesverkehrswegeplanung und auch in der Empfehlung für Wirtschaftlichkeitsuntersuchun- 334 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen gen an Straßen Anwendung. [12; 13]. Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nach der EWS hat entweder das Ziel einen Variantenvergleich alternativer Ausführungen eines Projekts bezüglich seiner Wirtschaftlichkeit zu betrachten und/ oder eine Dringlichkeitsreihung von Straßenbaumaßnahmen durchzuführen. In der EWS werden Investitionskosten und laufende Kosten, wie Unterhalt, Verkehrssicherung und Verkehrslenkung einbezogen und dem Nutzen aus Veränderung der Betriebskosten, Fahrzeiten, Unfallgeschehen, Lärmbelästigung, Schadstoffbelastung, Klimabelastung, Trennwirkung und Flächenverfügbarkeit in bebauten Gebieten gegenübergestellt [12]. Im Rahmen eines weiteren Forschungsvorhabens der BASt [5] wurde eine Methode zur Abschätzung von Kosten und Nutzen einer Monitoringmaßnahme entwickelt. Diese Methode ermöglicht es, den monetären Nutzen einer Monitoringmaßnahme darzulegen, bevor das Monitoring installiert ist. Bei diesem Vorgehen sollen nicht nur die Kosten betrachtet werden, die dem Auftraggeber entstehen, sondern auch die Kosten, die für die Allgemeinheit anfallen, also die indirekten oder volkswirtschaftlichen Kosten. Diese Kosten entstehen beispielsweise bei der Sperrung einer Brücke, wenn Umwege gefahren werden müssen. Aus diesen Umfahrungen resultieren längere Reisezeiten, höhere Betriebskosten, beispielsweise durch höheren Spritverbrauch und einen höheren Ausstoß an Luftschadstoffen. Für die Kosten- Nutzen-Abschätzung einer Monitoringmaßnahme greift die Methode auf das „Value-of-Information-Konzept“ zurück, welches auf der Bayes’schen Entscheidungstheorie aufbaut [5]. Um den monetären Nutzen einer Monitoringmaßnahme darlegen zu können, wird eine Abschätzung der Kosten und des Nutzens durch die Gegenüberstellung von Betrieb mit Monitoring und Betrieb ohne Monitoring durchgeführt. Hierbei werden die Kosten, welche durch Installation und Betrieb der Monitoringanlage, Versagenskosten der Brücke, Kosten für Unterhalt und Instandsetzung und volkswirtschaftliche Kosten, abgebildet durch die Parameter Betriebskosten, Reisezeiten, Verkehrssicherheit (Unfälle), Lärm und Luftverschmutzung einbezogen [5]. Abbildung 3: Darstellung des Konzepts zur Abschätzung des Nutzens von Monitoringmaßnahmen [5] Abbildung 3 zeigt schematisch das Konzept für den Fall Betrieb mit Monitoring und Betrieb ohne Monitoring. Für den Fall, dass kein Monitoring eingesetzt wird, ergibt sich aus der Zustandserfassung nach der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [6] eine Unterhaltsentscheidung, aus der Kosten abgeleitet werden. Weiterhin werden indirekte Kosten, die sich aus den Verkehrsbeschränkungen, beispielsweise Geschwindigkeitsbeschränkungen oder eine Fahrbahnstreifenreduktion, einbezogen. Diese Kosten werden dann durch die Parameter Betriebskosten, Reisezeiten, Verkehrssicherheit (Unfälle), Lärm und Luftverschmutzung beschrieben. Verkehrseinschränkungen werden im Projekt für die betrachteten Beispiele mit dem Programm PTV Visum berechnet [5]. Für den Fall, dass Monitoring eingesetzt wird, ist die Ermittlung der Kosten komplexer. Die Zustandsentwicklung wird im diesem Fall durch ein Indikatormodell beschrieben. Aufgrund der Kenntnisse zum Zustand der Brücke wird eine physikalische Größe (Schadensindikator) gewählt, dessen Überwachung Informationen zum Zustand liefert. Unterschiedliche Zustände des Bauwerks werden in sog. Schwellwertgruppen beschrieben. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 335 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen Die Schwellwertgruppen ergeben sich aus der zeitlichen Entwicklung des Schadensindikators (Unsicherheiten in der Monitoringmessung und in der Aussagekraft des Schadenindikators zum Zustand werden berücksichtigt). Abbildung 4 zeigt, wie sich der Zustand des Bauwerks im betrachteten Beispiel durch die Veränderung des Monitoringergebnisses in Bezug auf den Schadensindikator von unkritisch zu kritisch verändert [5]. Abbildung 4: Schematische Darstellung des Schwellwertmonitorings und der Schwellwertgruppen [5] Die Kosten für den Fall mit Monitoring ergeben sich dann aus den Aspekten [5]: • Kosten für Installation und Betrieb des Monitoringsystems. • Kosten für ein mögliches Versagen des Brückenbauwerks. • Kosten für die entsprechende Unterhaltungsstrategie. • Kosten für die Verkehrsbeschränkung. Die Kosten für den Betrieb mit Monitoring werden dann mit den Kosten für den Betrieb ohne Monitoring verglichen und der Nutzen als Differenzgröße abgeleitet. Im Folgenden wird das Vorgehen am Beispiel der Brücke Duisburg-Beeck im Zuge der A 42 (Abbildung 5) erläutert. Abbildung 5: Brücke an der A42 in Duisburg-Beeck [14] Es handelt sich um eine Hohlkastenbrücke aus dem Jahr 1980. Die Brücke wurde in 3 Bauabschnitten mit vollgestoßenen Spanngliedern gebaut. Die Nachrechnung der Brücke und die Bauwerksprüfung ergab eine Überschreitung der zugelassenen Rissweiten im Bereich der Koppelfugen. Das Ergebnis vorläufiger Analysen ist, dass es für die Brücke zwei Alternativen gibt [5]: • Ersatzneubau (Sperrung für Sondertransporte während der Planungszeit, Sperrung von jeweils einem Teilbauwerke für den Neubau, Dauer von 48 Monate). • Verstärkung und Einsatz eines Monitorings (Verstärkung beider Teilbauwerk, Instandsetzung von jeweils einem Teilbauwerk und Monitoring mit Auswertung, Dauer 26 Monate). Um die Kosten für den Betrieb mit und ohne Monitoring berechnen zu können, ist es notwendig die unterschiedlichen Verkehrsszenarien für die Brücke je nach Alternative darzulegen. Aus den o.g. Entscheidungsalternativen ergeben sich die folgenden Szenarien [5]: • 1: keine Einschränkung. • 2: Sperrung für Sonderschwertransporte. • 3: Sperrung des südlichen Teils der Brücke aufgrund der Verstärkung bzw. Neubau, Sperrung für Sonderschwertransporte. • 4: Sperrung des nördlichen Teils der Brücke aufgrund der Verstärkung bzw. Neubau, Sperrung für Sonderschwertransporte. • 5: Sperrung des südlichen Teils der Brücke, nördlicher Teil Brückenklasse 60. Das erste Szenario beschreibt den Basisfall ohne Sperrung vor der Entscheidung. Die Szenarien zwei bis fünf beschreiben den Verkehr in den unterschiedlichen Entscheidungsalternativen bis zu dem Zeitpunkte, an dem eine Entscheidung für eine der beiden Alternativen getroffen wurde. Für alle Verkehrsszenarien werden die Kosten für die Parameter Reisezeiten, Betriebskosten, Verkehrssicherheit (Unfälle), Luftverschmutzung und Lärm berechnet. Abbildung 6 zeigt die Kostenveränderungen im Vergleich zum Basisfall. Abbildung 6: tägliche Veränderung der Kosten im Vergleich zum Basisfall, eigene Darstellung nach [5]. 336 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen Neben den Kosten, die sich aus den Verkehrsbeschränkung ergeben haben, sind die folgenden Kosten in die Berechnung des Beispiels einbezogen worden: • Kosten für die Unterhaltungsstrategie (hier Kosten für Verstärkung oder Neubau). • Versagenskosten. • Kosten für das Monitoring (Installation und Betrieb). Die Gegenüberstellung der Kosten von Neubau zu Monitoring und Verstärkung der Brücke haben gezeigt, dass ein Neubau deutlich höhere Kosten verursachen würde. Dieses lässt sich insbesondere auf die höhen indirekten Kosten aus der Verkehrseinschränkung zurückführen, wie Tabelle 1 zeigt. ohne Monitoring (Mio. €) mit Monitoring (Mio. €) Differenz (Mio. €) direkte Kosten 11,8 4,3 7,4 indirekte Kosten 61,0 24,0 37,0 Summe 72,8 28,3 44,4 Tabelle 1: Kosten für die Fälle mit und ohne Monitoring[5] Im Ergebnis wurde durch die Überwachung der Koppelfugen gezeigt, dass eine Weiternutzung der Brücke möglich ist. Damit konnten im Vergleich zum Neubau Kosten eingespart werden [5]. Die wirtschaftliche Analyse von Monitoringmaßnahme mit der Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen findet aktuell nicht statt. Die Nutzung dieser Methode stellt aber eine gute Möglichkeit dar, die Anwendung von Monitoring beim Verkehrsträger Straße zu erweitern. Insbesondere die Darlegung einer Kosteneinsparung vor der Installation des Monitorings ist positiv zu bewerten. Für den Einsatz der Methode sind noch einige Weiterentwicklungen notwendig. Im Rahmen des Projekts wurde bereits ein Softwaretool zur Nutzung erstellt, dieses sollte weiter vereinfacht und getestet werden. Die Abschätzung der indirekten Kosten ist mit viel Aufwand bzw. der Nutzung einer speziellen Software verbunden. In einem weiteren Schritt sollte die Methode daher vereinfacht und der Einsatz an verschiedenen Monitoringanwendungen getestet werden. 5. Fazit Monitoring als Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse und Bewertung von Bauwerksreaktionen bzw. einwirkenden Größen mittels eines Messsystems wird bei Brückenbauwerken nur schadens- und einzelfallbezogen eingesetzt. Im Rahmen von zwei Ressortforschungsprojekten wurden Verfahren zur Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen einer Monitoringmaßnahme entwickelt. Diese Verfahren tragen zu einer breiteren Anwendung von Monitoring bei Brückenbauwerken und einer besseren Verfügbarkeit dieser Bauwerke bei. Dieses ist möglich, da eine Begründung für die entstehenden Kosten abgeleitet werden kann. Dieser Aspekt spielt neben dem fehlenden Hintergrundwissen auf Seiten der Auftraggeber zum Einsatz von Monitoring und der fehlenden Standardisierung von Monitoringanwendungen eine entscheidende Rolle für den eingeschränkten Einsatz von Monitoring. Das Verfahren zur Abschätzung der Zuverlässigkeit einer Monitoringmaßnahme ermöglicht die Darstellung des Sicherheitsgewinns für Brückenbauwerke. Die Ergebnisse der Ressortforschungsprojekte stellen einen wichtigen Schritt zum breiteren Einsatz von Monitoring und damit der Verfügbarkeit von Brückenbauwerken dar. Der Einsatz der entwickelten Verfahren in der Praxis kann durch eine Vereinfachung und die Entwicklung passender Software gelingen. 6. Literatur [1] BMVI: Bericht „Stand der Ertüchtigung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen“ 26.10.2015. [2] Marzahn, G.: Instandsetzungsbedarf von Infrastrukturbauten in Deutschland. In: Müller, H. S., Nolting, U., Haist, M. (Hg.): Bauwerkserhaltung - Instandsetzung im Beton- und Stahlbetonbau 2016. [3] DBV: Merkblatt: Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb 2018. [4] Sperling, D., Heumann, G.: Anwendung der Nachrechnungsrichtlinie aus Betonbrücken - Praxisbeispiel aus Sicht eines Ingenieurbüros. In: Empelmann, M. (Hg.): VSVI Seminar Brücken- und Ingenieurbau 2012. [5] Schubert, M., Faber, M. H., Betz, W., Straub, D., Niemeier, E., Ziegler, D., Walther, C., Majka, M.: Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Monitoringmaßnahmen. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH 2020. [6] DIN 1076: 1999: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. [7] BMVBS: Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten RI-ERH-ING - Leitfaden Objektbezogene Schadensanalyse (OSA) 2007. [8] BMVBS: Richtlinie für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) 2011. [9] Ralbovsky, M., Prammer, D., Lachinger, S., Vorwagner, A.: Verfahren und Modelle zur Quantifizierung der Zuverlässigkeit von dauerüberwachten Bestandsbrücken. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH 2020. [10] Siegert, C., Holst, A., Empelmann, M., Budelmann, H.: Überwachungskonzepte für Bestandsbauwerke aus Beton als Kompensationsmaßnahme zur Sicherstellung von Standsicherheit und Gebrauchs- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 337 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen tauglichkeit. Bremen, Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH 2015. [11] BMVBS: Richtlinie zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Rahmen von Instandsetzungs-/ Erneuerungsmaßnahmen bei Straßenbrücken (RI-WI-BRÜ) 2004. [12] FGSV: Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen 1997. [13] Dahl, A., Kindl, A., Walter, C., Paufler-Mann, D., Ross, A., Waßmuth, V., Weinstock, F., Mann, H.- U.: Methodenhandbuch zum Bundesverkehrswegeplan 2030. FE 97.358 2015. [14] Straßen NRW: Prüfbericht Hauptprüfung 2010 nach DIN 1076 an der A 42 2010. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 339 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik Prof. Dr.-Ing. Jörg Röder Fachhochschule Potsdam, Fachgebiet Bauwerkserhaltung, Bundesrepublik Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen von Untersuchungen zur Stand- und Verkehrssicherheit zweier weitgespannter Hallendachkonstruktionen mit äußerem Hängewerk wurden Schäden erkannt. Zum einen wurden an der Hängewerkskonstruktion, deren Zugglieder aus Spannstählen St 60/ 90 aus DDR-Produktion bestehen, die mittels Muffen und Verschraubungen verbunden wurden, vornehmlich im Bereich der Gewinde und Einleitungspunkten in die Dachkonstruktion fortgeschrittene Korrosionsschäden festgestellt. Zudem wurden vor allem an den Stahlbetonpylonen und Riegeln und in verringertem Maße an den Stahlbetonfundamenten der Hallenkonstruktionen ungerichtete Rissbildungen und Schäden vorgefunden, die im Rahmen von Untersuchungen auf eine lang anhaltende Alkali-Kieselsäue-Reaktion (AKR) zurückgeführt werden konnten. Unter Berücksichtigung des AKR-Restpotentials, der daraus abgeleiteten weiteren Schädigung des Betongefüges und der prognostizierten Beeinträchtigung der Betonfestigkeitseigenschaften für die vorgesehene Restnutzungsdauer wurde die Standsicherheit der Hängewerkskonstruktionen nachgewiesen, die Sanierung der Tragwerke geplant und schließlich durchgeführt. Neben dem Nachweis der Standsicherheit der Hängewerkskonstruktionen wurde in Abstimmung mit dem zuständigen Prüfingenieur die Ausarbeitung und Durchführung eines Standsicherheitsmonitorings als zweite Grundbedingung für die Nutzung der Hallentragwerke für weitere 30 Jahre festgelegt. Das diskontinuierliche Standsicherheitsmonitoring umfasst engmaschige Inspektionen und Untersuchungen und gibt konkret vor, wann welche Bauteile in Augenschein zu nehmen, handnah zu untersuchen, zu vermessen bzw. zu beproben sind, um die Standsicherheit der Bauteile und damit des gesamten Tragwerks sicherzustellen. Ziel der Inspektionen ist es, die Auswirkungen der AKR auf die Festigkeitseigenschaften der Betonbauteile sowie deren Geometrie, wie zum Beispiel Längenänderungen der Fundamente oder eine Verkrümmungszunahme der unter hoher Druckbeanspruchung stehenden Stahlbetonpylone infolge Verringerung des Beton-E- Moduls zu überwachen und im Hinblick auf die Standsicherheit des gesamten Hängetragwerks zu bewerten. 1. Zweck und Ziel An zwei weitgespannten, stützenfreien Hallentragwerken (siehe Bild 1) wurden im Jahr 2012 Untersuchungen der Stand- und Verkehrssicherheit in Anlehnung an die AR- GEBAU-Richtlinie [1] durchgeführt. Bei diesen Hallen werden die Lasten der Hallendächer mittels einer außenliegenden Hängewerkskonstruktion bestehend aus Spannstäben und Stahlbetonpylonen abgetragen (Bild 2 und 3). Im Rahmen dieser Erstuntersuchungen wurden durch die CRP Bauingenieure GmbH (nachfolgend CRP genannt) neben Korrosionsschäden an den Spannstäben der Hängewerkskonstruktion Schäden an den Stahlbetonpylonen und den zwischen diesen angeordneten Spannbetonriegeln festgestellt. Neben offensichtlich korrosionsbedingten Betonabplatzungen vor allem im Bereich der Bügelbewehrung (Pylone der Schwimmhalle) konnten die überwiegend ungerichteten Rissbildungen mit Aussinterungen an den Stahlbetonpylonen der Leichtathletikhalle im Rahmen weiterer Untersuchungen auf eine lang andauernde AKR zurückgeführt werden. Eine abgeschwächte AKR-Problematik zeigten Untersuchungen auch an den Fundamenten. Anschließend erfolgte der statische Nachweis der Hallentragwerke unter Berücksichtigung der AKR-Prognose und die darauf abgestimmten Sanierungen der Hallentragwerke bis zum Jahr 2017. Wesentlicher Bestandteil der Genehmigung der Nutzung der Hallentragwerke für weitere 30 Jahre war die Ausarbeitung und Durchführung eines Standsicherheitsmonitorings mit engmaschiger, diskontinuierlicher Überwachung der Beton- und Stahlbauteile der Hängewerke. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Überwachung verdeckter Bauteile gelegt. Im Rahmen des Beitrags werden nach einer kurzen Vorstellung der Hallentragwerke, der vorgefundenen Schäden sowie deren Sanierung die wesentlichen Elemente des Inspektions- und Überwachungskonzeptes sowie deren Berücksichtigung im Zuge der Sanierungsplanung und -umsetzung zusammenfassend vorgestellt und erläutert. 340 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 2. Beschreibung der Hallentragwerke Die Leichtathletik- und Schwimmhalle wurden in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre errichtet. Das Dachtragwerk besteht bei beiden Hallen aus einem räumlichen Stabnetzfaltwerk (siehe Bild 1). Das statische System und die Abmessungen des Hängewerks der Leichtathletik- und der Schwimmhalle, an das das räumliche Stabnetzfaltwerk der Hallendächer angehängt ist, sind in den Bildern 2 und 3 wiedergegeben. Nachfolgend wird exemplarisch die Hallendachkonstruktion der Leichtathletikhalle kurz beschrieben und der wesentliche Unterschied zum Tragwerk der Schwimmhalle erläutert. Bild 1: Räumliches Stabnetzfaltwerk vom Typ „Berlin“ als Dachtragwerk 2.1 Hallentragwerk der Leichtathletikhalle Das in 11 Achsen vorhandene Hängewerk zur Aufnahme der Dachlasten der Leichtathletikhalle besteht je Hängewerksachse aus Spannstahlzuggliedern, zwei Abhängepunkten in den Drittelspunkten des Daches und zwei ca. 18,9 m hohen Stahlbetonpylonen (siehe Bild 2). Die Spannweite zwischen den Stahlbetonpylonen beträgt 63 m. Die Spannweite der Hallenkonstruktion selbst beträgt zwischen den Längsaußenwänden 60 m. Die Spannweite von den Hallenlängswänden bis zu den beiden Abhängepunkten je Hängewerksachse wird jeweils durch ein 18 m langes Raumnetzfalt-werkselement überspannt. Zwischen den beiden Abhängepunkten je Hängewerksachse spannt ein 24 m langes Raumnetzfaltwerkselement. Die Abhängepunkte sind somit in Hallenquerrichtung symmetrisch angeordnet. An den Giebelseiten gibt das Raumnetzfaltwerk seine Lasten an in den Giebelwänden integrierte, eingespannte Stahlbetonstützen ab. Der Abstand zwischen den einzelnen Hängewerken in Hallenlängsrichtung beträgt 12 m. Die Hallenlänge beträgt somit insgesamt (10+2) * 12 m = 144 m. Von den beiden je Hängewerksachse vorhandenen Abhängepunkten des Hallendaches verlaufen je 6 geneigte Spannseile St 60/ 90 mit einem Durchmesser von 32 mm zum Kopfpunkt der Stahlbetonpylone. Zur Aufnahme der daraus resultierenden Horizontalkräfte wurden von den Pylonköpfen 12 steil geneigte Spannseile St 60/ 90 mit einem Durchmesser von 32 mm nach außen bis zum Baugrund geführt und dort mittels einer Pfahlkopfplatte mit jeweils acht Zugpfählen verankert. Zwischen den Abhängepunkten des Hallendaches befinden sich zur Aufnahme der dort auftretenden Horizontalkräfte ebenfalls Spannseile St 60/ 90 mit einem Durchmesser von 32 mm. Zur Reduktion der Verformungen der Dachkonstruktion beim Auftreten ungleichmäßiger Dachlasten wurden zudem zwischen den Abhängepunkten des Daches und den Stahlbetonpylonen je 2 vorgespannte, horizontale Spannseile St 60/ 90 mit einem Durchmesser von 32 mm angeordnet. Die Vertikallasten aus den beiden Schrägabspannungen vom Hallendach zum Baugrund werden von den Stahlbetonpylonen aufgenommen und über ein flach gegründetes Einzelfundament in den Baugrund abgeleitet. Die aus den Schrägseilen in Höhe der Pfahlkopfplatte der Zugpfähle resultierenden Horizontalkräfte werden über Stahlbetondruckglieder, die zwischen dem Pfahlkopfbalken und dem Einzelfundament des Stahlbetonpylons horizontal angeordnet sind, in das Einzelfundament des Stahlbetonpylons abgeleitet und dort über Reibung in den Baugrund abgetragen. Im Bereich der Hallenlängswände sind eingespannte Stahlbetonstützen angeordnet, an die das Raumnetzfaltwerk die Vertikallasten des Dachtragwerks abgibt. Zudem nehmen die eingespannten Stahlbetonstützen die horizontalen Windlasten auf die Hallenlängswände auf. Die Aussteifung des Hallentragwerks erfolgt über das Stabnetzfaltwerk und die eingespannten Stahlbetonstützen in den Hallenwänden. Die Stahlbetonpylone werden in Hallenlängsrichtung durch biegesteif angeschlossene Stahlbetonfertigteilrahmenriegel, die jeweils zwischen zwei Pylonen angeordnet sind, gegen Knicken gesichert. 2.2 Hallentragwerk der Schwimmhalle Die Hallendachkonstruktion der Schwimmhalle unterscheidet sich von jener der Leichtathletikhalle im Wesentlichen darin, dass aufgrund der geringeren Spannweite nur ein Abhängepunkt je Querachse angeordnet wurde und die Anzahl der Spannstäbe geringer ist (siehe Bild 3). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 341 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik Bild 2: Schematischer Querschnitt des Dachtragwerks der Leichtathletikhalle mit Darstellung der wesentlichen Tragglieder des Dachtragwerks in Hallenquerrichtung; in Hallenlängsrichtung wurde diese Hängwerkskonstruktion insgesamt 11 mal ausgeführt Bild 3: Schematischer Querschnitt des Dachtragwerks der Schwimmhalle mit Darstellung der wesentlichen Tragglieder des Dachtragwerks in Hallenquerrichtung; in Hallenlängsrichtung wurde diese Hängwerkskonstruktion insgesamt 4 mal ausgeführt 342 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 3. Korrosionsschäden an den Spannstählen der Hängewerkskonstruktion Im Jahr 2012 wurde durch die CRP Bauingenieure GmbH eine Überprüfung der Stand- und Verkehrssicherheit der beiden Hallenkonstruktionen in Anlehnung an die ARGEBAU-Richtlinie [1] durchgeführt. Vertiefende Untersuchungen im Bereich nicht ohne weiteres einsehbarer Konstruktionselemente schlossen sich an. Bild 4: Korrosionsschaden im Gewindebereich eines gering beanspruchten Spannstabes Neben Korrosion im Bereich offen liegender Gewindeteile (siehe Bild 4) wurden im Bereich der Durchstoßungspunkte der aus Spannstahl St 60/ 90 bestehenden Abhängestäbe durch den Dachaufbau der Hallendächer Korrosionsschäden zum Teil mit Materialabtrag vorgefunden. An einem Abhängestab der Schwimmhalle wurde eine Blattrostbildung mit einem Materialabtrag von bis zu 1 mm vorgefunden (siehe Bild 5). Bild 5: Korrosionsschäden an einem Abhängestab an der Schwimmhalle über die Höhe des Dachaufbaus mit geringer Blattrostbildung Auch bei der exemplarischen Untersuchung am Übergang der Zugstäbe aus St 60/ 90 in die Pfahlkopffundamente wurden punktuelle Korrosionsschäden ohne signifikante Querschnittsabminderung festgestellt. Die geringe Korrosion war dem guten Korrosionsschutz der Stäbe bestehend aus einem Beschichtungssystem sowie einer Bitumenummantelung zu verdanken. Einzeluntersuchungen an korrodierten Gewinden zeigten, dass der Korrosionsangriff im Gewindegrund nur gering ist (siehe auch Bild 6 und 7). Zusammenfassend wird im Gutachten von Prof. Nürnberger sinngemäß festgestellt, dass bei fachgerechter Erneuerung des Korrosionsschutzes ein zukünftiges Versagen der Zugstäbe infolge Spannungsrisskorrosion, Schwingkorrosion und Reibeermüdung ausgeschlossen werden kann. Dies bedingt auch, dass der Korrosionsschutz nach dessen Herstellung regelmäßig zu überprüfen, zu warten und bei Bedarf instand zu setzen ist. Bild 6: Korrodiertes Gewinde eines Spannstahlstabes nach dem Ausbau aus der Konstruktion Bild 7: Gewinde des Spannstahlstabes aus Bild 7 nach dem Sandstrahlen, die Gewindegänge sind durch die Korrosion beeinträchtigt, der Gewindegrund ist nur gering angegriffen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 343 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 4. Schäden an den Stahlbetonbauteilen infolge Korrosion und AKR An den außenliegenden Stahlbetonbauteilen der Schwimmhalle wurden vor allem Betonabplatzungen entlang der Bügelbewehrung und zum Teil auch entlang der Längsbewehrung der Stahlbetonpylone festgestellt. Die Betonabplatzungen, die in Bild 8 zu erkennen sind, waren auf eine Depassivierung infolge Karbonatisierung des Betons zurückzuführen. Trotz recht geringer Karbonatisierungstiefe waren aufgrund der geringen Betondeckung systematische Betonabplatzungen (siehe Bild 8a)) und Korrosion mit leichter Blattrostbildung festzustellen Im Gegensatz dazu wurden an der Leichtathletikhalle weitgehend ungerichtete Rissbildungen festgestellt, die an allen Seitenflächen der Pylone und der Riegel in variierendem Umfang vorzufinden waren. Bild 9 zeigt eine Detailaufnahme dieser ungerichteten Rissbildungen und der begleitenden Aussinterungen an einem Stahlbetonpylon. a) Betonabplatzung entlang der Querbewehrung b) Betonabplatzung entlang der Längsbewehrung Bild 8: Korrosionsbedingte Betonabplatzungen an den Stahlbetonpylonen der Schwimmhalle Bild 9: Detailaufnahme ungerichteter Rissbildungen mit Aussinterungen an einem Stahlbetonpylon Ein Fluoreszenzschnelltest zeigte, dass im Beton bereits eine AKR stattgefunden hatte. Zur Ermittlung der Auswirkungen des AKR-Restpotentials auf die Entwicklung der Druckfestigkeit und des E-Moduls des Betons wurden Klimawechsellagerungen am F.A. Finger-Institut für 344 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik Baustoffkunde durchgeführt, die eine Alterung des Betons für eine Zeitspanne von 30 Jahren simulieren sollten. Begleitend wurden vor und nach den Klimawechsellagerungen an Bohrkernen aus dem gleichen Entnahmebereich vergleichende Druckfestigkeits- und E-Modulbestimmungen durchgeführt. Anhand der Zustandsanalyse aus dem Jahr 2013 sowie der Untersuchungsergebnisse des F.A. Finger-Instituts für Baustoffkunde leitete Univ.- Prof. Dr.-Ing. Könke eine Prognose für die Entwicklung der Betondruckfestigkeit und des E-Moduls für die Stahlbetonbauteile für die nächsten 30 Jahre bezogen auf die aktuell festgestellten Werte ab. Abhängig vom AKR-Restpotential wurde für die Stahlbetonpylone der Schwimmhalle bzw. der Leichtathletikhalle eine Reduktion der Betondruckfestigkeit um 15 % bzw. 20 % und des E-Moduls um 30 % bzw. 50 % prognostiziert. 5. Statischer Nachweis sowie Austausch der Spannbetonriegel und Sanierung der Stahlbetonpylone Im Wesentlichen aufgrund der in den nächsten 30 Jahren zu erwartenden Halbierung des E-Moduls des Betons und weniger aufgrund der prognostizierten Abminderung der Druckfestigkeit konnte die Standsicherheit der Stahlbetonpylone der Leichtathletikhalle nur durch Austausch der stark geschädigten Spannbetonriegel, Ersatz durch steifere Stahlriegel und den um 1,25 m höheren Einbau der neuen Stahlriegel nachgewiesen werden. Damit konnte die freie Kraglänge oberhalb der Aussteifungsriegel so weit verringert werden, dass deren Standsicherheit unter Ansatz des außergewöhnlichen Schneelastfalls „norddeutsche Tiefebene“ und der tatsächlich vorhandenen Imperfektionen der Stahlbetonpylone, die durch ein Aufmaß ermittelt wurden, für die nächsten 30 Jahre nachgewiesen werden konnte. Die neuen Stahlriegel wurden mittels massiver Kopfplatten, durch den Stahlbetonpylon durchgeführter Gewindestangen und auf der Pylonrückseite angeordneter massiver Widerlagerplatten mit den Stahlbetonpylonen biegesteif verbunden (siehe Bild 10). Bild 10: Neue Stahlriegel an der Leichtathletikhalle Aufgrund des geringen AKR-Restpotentials und zur Verhinderung zukünftiger Korrosionsschäden wurden die Stahlbetonpylone der Schwimmhalle mittels eines ca. 4 cm dicken, zweilagigen Spritzmörtelauftrags (M3 mit niedrigem Alkaligehalt) und einer Beschichtung mit einem Oberflächenschutzsystem OS5 saniert. Aufgrund des höheren AKR-Potentials wurden an der Leichtathletikhalle Risse verpresst, Fehlstellen lokal ausgebessert und reprofiliert sowie abschließend ein möglichst diffusionsoffenes Oberflächenschutzsystem OS5 mit erhöhter Rissüberbrückung aufgebracht. Die beschriebenen Maßnahmen sollen den Wassereintritt von außen in den Stahlbetonquerschnitt minimieren und gleichzeitig eine Abgabe von Feuchtigkeit aus dem Betonquerschnitt mittels Diffusion ermöglichen, um die Kernfeuchte zu minimieren. 6. Diskontinuierliches Standsicherheitsmonitoring für die Hallentragwerke zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit Weitere Voraussetzung für die Nutzung der Leichtathletikhalle in den kommenden 30 Jahren war - ergänzend zum Nachweis der Standsicherheit unter Berücksichtigung der fortschreitenden AKR - die gemeinsame Festlegung von Planer, Prüfingenieur und Gutachter, dass ein verbindliches Inspektions- und Überwachungskonzept für das Primärtragwerk der Leichtathletikhalle erstellt und umgesetzt wird. Das Standsicherheitsmonitoring soll die in den nächsten 30 Jahren durchzuführenden Inspektionen, Untersuchungen und geodätischen Überwachungsmessungen am Tragwerk hinsichtlich der zeitlichen Abstände und des Umfangs umfassen. Die regelmäßig durchzuführenden Inspektionen, Untersuchungen und geodätischen Überwachungsmessungen sollen sicherstellen, dass am Primärtragwerk auftretende Schäden so rechtzeitig erkannt und behoben werden, dass es zu keiner Beeinträchtigung der Standsicherheit und Dauerhaftigkeit der Konstruktion kommt. Zudem soll in größeren zeitlichen Abständen mit begleitenden, in geringem Umfang zerstörenden Untersuchungen die Entwicklung der Betonfestigkeit in den Stahlbetonpylonen überwacht werden. Grundlage des Standsicherheitsmonitorings ist ein Bauwerksbuch, in dem alle wesentlichen Informationen zum Tragwerk und den durchgeführten Sanierungsmaßnahmen enthalten sind. Dieses Bauwerksbuch ist Teil des Inspektions- und Überwachungskonzeptes und bildet die Grundlage für die Bewertung des Tragwerkszustandes. Das Standsicherheitsmonitoring umfasst das gesamte Primärtragwerk und die Fassade mit einer Fokussierung auf die kritischen Tragwerkselemente Hängewerk aus Spannstählen, Stahlbetonbauteile mit aktiver AKR und neu eingebaute Stahlriegel sowie den Anschluss der neuen Stahlriegel an die Stahlbetonpylone. Im Rahmen des Standsicherheitsmonitorings werden Untersuchungen des Zustandes folgender Tragwerkselemente des Primärtragwerks sowie der Fassade durchgeführt: 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 345 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 1 Tragende Stahlbauteile der Hängewerkskonstruktion und der Pylonaussteifung: > Abhängepunkte des Dachtragwerks (Abhängestäbe besonders im Bereich der Dachdurchführung - siehe Bild 11 und 12, Kalottenlager, Joche und Verschraubungen etc.), > Zugstäbe des Hängewerks (visuelle Untersuchung und bei erhöhter Schiefstellung Untersuchung der Zugtragfähigkeit), > Verankerung der Zugstäbe an den Pylonköpfen (siehe Bild 13 und 14) und in den Fundamenten, > neue Stahlriegel zwischen den Pylonen (Korrosionsschutz, Anschluss an die Stahlbetonpylone). Bild 11: Durchstoßungspunkt des Hängewerks durch das Dachtragwerk mit möglichst einfach zu öffnendem Anschluss zur Zustandskontrolle des Abhängestabes Bild 12: Detaildarstellung zu Bild 11 mit einfach zu demontierendem und wieder herstellbarem Formstück zur Zustandskontrolle des Abhängestabes im Bereich des Durchstoßungspunktes des Hängewerks durch das Dachtragwerk Bild 13: Verankerung der Zugstäbe am Pylonkopf, neu hergestellte Abdeckung mit einer Blechhaube zum Schutz vor direkter Regenbeanspruchung Bild 14: Übergang der Zugstäbe in den Pylonkopf und Abdeckung des Pylonkopfes mit einer Blechhaube zum Schutz vor direkter Regenbeanspruchung 346 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 2 Tragende Stahlbauteile des Dachtragwerks > Stahltrapezblech, > Stabnetzfaltwerk. 3 Stahlbetonpylone > Visuelle Untersuchungen zum Allgemeinzustand, zur Oberflächenschutzbeschichtung und zur Abdichtung im Übergang zum Erdreich, > Materialuntersuchungen mittels Bohrkernen zur Ermittlung von E-Modul und Druckfestigkeit, > geodätische Messungen zur Schiefstellung und Krümmung der Pylone. 4 Stahlbetonfundamente > Visuelle Untersuchungen der herausstehenden Teile des Pfahlkopffundamentes (Beton und Abdichtung), > Materialuntersuchungen mittels Bohrkernen zur Ermittlung von E-Modul und Druckfestigkeit, > geodätische Messungen zur Höhenlage der Pfahlkopffundamente (Überwachung der Tragfähigkeit der Stahlbetonfundamente und der Zugpfähle) und zur Höhenlage der Pylonfundamente (Überwachung der Tragfähigkeit der Stahlbetonfundamente; siehe Bild 15), > geodätische Messungen zur Ermittlung der Abmessungen der Pylon- und Pfahlkopffundamente zur Überwachung einer durch eine AKR hervorgerufenen Ausdehnung des Betons (siehe Bild 15), > exemplarische Messung der Temperatur der Fundamente nahe der Betonoberfläche zur Erfassung der temperaturbedingten Längenänderungen (Differenzierung zwischen einer Dehnung infolge Temperatur bzw. einer AKRbedingten Ausdehnung; siehe Bild 15). Bild 15: Messpunktordnung an den Fundamenten zur geodätischen Überwachung der Höhenlage und der Fundamentabmessungen, hier exemplarisch für ein Pylonfundament der Schwimmhalle 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 347 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 5 Verglasung und hinterlüftete Keramik-Fassade > Inaugenscheinnahme der Glaselemente im Hinblick auf Schäden an der Verglasung bzw. der Befestigung der Glaselemente, > Inaugenscheinnahme der Keramikfassade im Hinblick auf Schäden an den Keramikelementen und deren Befestigung an der Unterkonstruktion. Grundsätzlich wird beim Standsicherheitsmonitoring des Primärtragwerks der Hallen zwischen Inspektionen alle 3 Jahre, alle 6 Jahre und alle 12 Jahre unterschieden. Dabei wurde bei der Vorgabe dieser Inspektions- und Untersuchungsabstände vorausgesetzt, dass eine jährliche Baubegehung durch den Gebäudeeigentümer bzw. eine von ihm beauftragte Person erfolgt. Die Inspektions- und Untersuchungstiefe variiert abhängig vom betrachteten Tragwerkselement leicht. In der Regel wurden abhängig vom Untersuchungsintervall folgende Inspektionstiefen vorgegeben: > Begehung: jährlich > Sichtkontrolle: alle 3 Jahre > handnahe Untersuchung: alle 6 Jahre > Überprüfung der Geometrie: alle 3 Jahre > Druckfestigkeitsuntersuchung: alle 12 Jahre bzw. bei Feststellung erhöhter Verformungen Die turnusmäßigen Prüfungen und daraus gegebenenfalls resultierenden Instandhaltungsmaßnahmen dienen der Sicherstellung der Verkehrs- und Standsicherheit des Primärtragwerks und der Fassade für die noch angestrebte Nutzungsdauer bis zum Jahr 2045. Die aufgeführten Inspektionen und Überwachungen des Tragwerks sind durch ein entsprechend qualifiziertes Ingenieurbüro durchzuführen. Die im Rahmen der Bauwerksinspektion und -überwachung durchgeführten Untersuchungen sowie deren Ergebnisse sind in einer gutachtlichen Stellungnahme nachvollziehbar darzustellen und zu bewerten. Die gutachtliche Stellungnahme enthält auch eine Fotodokumentation und/ oder Skizzen mit Darstellung der Untersuchungsergebnisse. Folgenden Umfang muss die gutachtliche Stellungnahme in jedem Fall aufweisen: - Ort und Datum der Prüfungen, - genaue Benennung und Bezeichnung des Gebäude- oder Bauteils, - Personen, die bei den Prüfungen anwesend waren, - Art der durchgeführten Prüfungen, - Dokumentation der Prüfergebnisse (auch der unauffälligen), - Beurteilung der Prüfergebnisse, - Soll-Ist-Vergleich sowie - ggf. Empfehlungen zur Instandsetzung. Wird bei der Inspektion und Überwachung eine signifikante Abweichung des Istvom Sollzustand festgestellt, sind weitergehende Untersuchungen zu veranlassen und/ oder Instandsetzungsmaßnahmen zu planen und durchzuführen. 7. Bedeutung des Standsicherheitsmonitorings Das Versagen eines Stahlbetonpylons würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem progressiven Kollaps der gesamten Hallendachkonstruktion führen. Nicht vorhandene Umlagerungsmöglichkeiten, hohe Tragwerksauslastungen und verdeckte Konstruktionselemente, deren Zustand nicht visuell beurteilt werden kann, bergen ein erhöhtes Schadensrisiko. Folgerichtig sind diese beiden Hallenkonstruktionen gemäß [2] in eine hohe Bauwerkskategorie einzugruppieren. Daher sind an diesen Tragwerken sehr sorgfältige und in die Tiefe gehende regelmäßige Inspektionen und Untersuchungen gemäß den Anforderungen in [1] und [3] durchzuführen, um das Schadensrisiko zu minimieren. Hinzu kommt die noch nicht abgeschlossene AKR in den Stahlbetonbauteilen - insbesondere in den Stahlbetonpylonen. Die Entwicklung der AKR und deren Auswirkungen muss überwacht und bewertet werden. Zur Beurteilung des Betons sind dabei auch in größeren Zeitabständen Bohrkernentnahmen unter anderem zur Bestimmung des E-Moduls und der Druckfestigkeit vorgesehen. Bei der Sanierung der Hängewerkskonstruktion der Hallentragwerke bestand das Bestreben, Konstruktionspunkte, die einer erhöhten Witterungbeanspruchung ausgesetzt und zugleich nicht ohne Hilfsmittel einsehbar sind, möglichst effektiv zu schützen. Daher wurden die Pylonköpfe mit einer Blechhaube, die geöffnet werden kann, vor direkter Regenbeanspruchung geschützt (siehe Bild 13 und 14). Trotz aller Maßnahmen sind Alterungsschäden nicht zu vermeiden. Daher bleibt abschließend zu betonen, dass im Rahmen der Inspektionen empfohlene Wartungen und Instandsetzungen umzusetzen sind, um eine Schädigung und Beeinträchtigung der Stand- und Verkehrssicherheit bereits in einem frühen Stadium zu beheben und den Schadensfortschritt zu verhindern. 348 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik Literatur [1] Hinweise für die Überprüfung der Standsicherheit von baulichen Anlagen durch den Eigentümer/ Verfügungsberechtigten, veröffentlicht von der Bauministerkonferenz, Konferenz der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder (ARGEBAU), Fassung September 2006 [2] Röder, J.: Möglichkeiten zur Klassifizierung von Gebäuden im Hinblick auf die Überprüfung der Verkehrssicherheit, in: Erhaltung von Bauwerken, 1. Kolloquium 27. und 28.01.2009, Ostfildern: Technische Akademie Esslingen [3] Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes - RÜV -, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Abteilung Bauwesen, Bauwirtschaft und Bundesbauten, Stand: 31. März 2006 Betonersatz 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 351 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken Christian Knorrek Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Christian Dommes Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Zusammenfassung Die Verstärkung von Bestandsbauwerken mit Querschnittsergänzungen aus bewehrtem Beton ist bereits heute sowohl im Hoch-, Brückenals auch im Industriebau von großer Bedeutung und wird in der Zukunft als Folge der steigenden Anforderungen an die Bestandsbauwerke weiter zunehmen [1][2][3]. Im Rahmen eines durch die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) geförderten laufenden Forschungsvorhabens am Institut für Massivbau der RWTH Aachen soll durch neue systematische Versuchsserien ein Zusammenhang zwischen dem Verfahren zur Oberflächenbearbeitung des Altbetons, der Rauheit (gemessene Rautiefe), der Art der Betonergänzung und der Tragfähigkeit der Verbundfuge hergeleitet werden. Als Ergebnis sollen eine Datenbank und ein möglicher Praxisleitfaden zur Tragfähigkeit verschiedener Kombinationen aus Altbeton, Oberflächenbearbeitung, Ergänzungsbetonschichten und Verbundmitteln erarbeitet werden. In diesem Beitrag sollen die ersten Erkenntnisse aus diesem Forschungsprojekt vorgestellt werden. 1. Einleitung Die Altersstruktur von Bestandsbauwerken hat in Verbindung mit den größeren Beanspruchungen sowie durch verschobene Erhaltungsinvestitionen aus der Vergangenheit dazu geführt, dass sich der bewertete Zustand vieler Bauwerke und deren Tragsystemen in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat. Aus zeitlichen und wirtschaftlichen Gründen sind aufwändige Sanierungsarbeiten oder Ersatzneubauten für Bauwerke mit zu geringer Tragfähigkeit nicht immer sofort umsetzungsfähig, sodass die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit von Bestandsbauwerken durch nachträgliche Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen sichergestellt werden müssen [3]. Die Verstärkung von Betontragwerken kann z.B. durch Anordnung einer zusätzlichen Bewehrung in Ergänzungsschichten oder durch eine Vergrößerung des Betonquerschnitts umgesetzt werden. Zu den in der Baupraxis etablierten Verstärkungsmaßnahmen zählen insbesondere horizontale Ergänzungsbetonschichten auf Platten, vertikale Ergänzungen bei Stützen und Wänden sowie Querschnittsergänzungen an geneigten Flächen mit Beton [4][5][6][7]. Bei nachträglich aufgebrachten Betonschichten entstehen zwischen der Altbetonoberfläche und der Ergänzungsbetonschicht Verbundfugen, über die eine kraft-schlüssige Verbindung der Betonschichten sichergestellt werden muss (quasimonolithischer Verbund). Die Bemessung und Ausführung der Verbundfugen sind in DIN EN 1992- 1-1 [8] (EC2) und dem Nationalen Anhang für Deutschland [9] (NA(D)) geregelt. Danach wird die Kraftübertragung in der Fuge durch Adhäsion, Reibung und eine Verbundfugenbewehrung sichergestellt. Dabei hat die Oberflächenstruktur des Altbetons einen maßgeblichen Einfluss auf die Tragfähigkeit der Verbundfuge. Die Klassifizierung der Fugenqualität erfolgt in der Baupraxis über die Art der Fugenausbildung bzw. -herstellung und die dabei erreichte Rauheit der Betonoberfläche. Die Rauheit wird über die mittlere Rautiefe definiert und in der Regel durch das Sandflächenverfahren nach Kaufmann bestimmt [10] Nachteile des Sandflächenverfahrens liegen in den dabei auftretenden großen Streuungen sowie der Beschränkung auf die Anwendung bei horizontalen Oberflächen. Deshalb werden aktuell alternative optische Verfahren auf Basis von z.B. Photogrammetrie und Lasertriangulation entwickelt [11][12]. Die baupraktische Anwendbarkeit dieser Verfahren zur 352 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken Beurteilung der Oberflächenrauheit steht noch aus und ist durch systematische Rauheitsmessungen mit diesen Messsystemen und der anschließenden Untersuchung der Verbund- und Haftzugfestigkeit in der Verbundfuge nach dem Aufbringen der Ergänzungsschicht zu überprüfen und zu bewerten. Eine Standardisierung des Zusammenhangs zwischen Fugenrauheit sowie Verbund- und Haftzugfestigkeit ermöglicht eine schnelle und zuverlässige Beurteilung der Oberflächenrauheit von Bestandsbauteilen. Zur Untersuchung der Tragfähigkeit von Verbundfugen in Abhängigkeit der Fugenrauheit sind in der Literatur (z.B.: [13][14][15][16][17]) verschiedene Versuchsserien unter Biege- und Schubbelastung dokumentiert. Dabei wurde entweder die Schubtragfähigkeit der Verbundfuge unter reiner Schubspannung sowie kombinierter Schub- und Normalspannung untersucht oder es wurden Spaltzug-, Haftzug- und Balkenversuche durchgeführt. 2. Stand der Forschung und Entwicklung 2.1 Verbundfugen bei Bauwerksverstärkung durch Betonergänzung Die Tragfähigkeit von Bestandsbauwerken kann durch das Aufbringen von Verstärkungsschichten aus Beton mit und ohne Bewehrungen gesteigert werden. Dabei wird die Biegetragfähigkeit durch Druckzonenergänzungen mit horizontalen Aufbetonschichten parallel zur Bauteilachse oder zusätzlicher Bewehrung in Ergänzungsschichten sowie die Querkrafttragfähigkeit mit vertikalen bzw. geneigten Ergänzungsschichten am Steg vergrößert [4][5][6] (Bild 1). Auch Stützenverstärkungen zur Steigerung der Axial- und Biegetragfähigkeit werden ausgeführt [7]. Für die Verstärkungsschicht können Normalbetone mit Festigkeiten des zu ertüchtigenden Bauwerks oder hochfeste bzw. ultrahochfeste Betone verwendet werden. Mit dem Einsatz von ultrahochfesten Betonen (UHPC) wird zum einen eine bessere Dauerhaftigkeit und zum anderen wegen der dünneren Schichtdicken eine effizientere Tragfähigkeitssteigerung erzielt, da die zusätzliche Belastung aus Eigengewicht gering bleibt [18]. Bild 1: Nachträgliche Betonquerschnittsergänzungen Zur Übertragung von Schubkräften in der Fuge ist eine ausreichend aufgeraute Fugenoberfläche erforderlich (Bild 2). Verbundmittel (z.B. eingeklebte / eingemörtelte gerade Stäbe oder Winkelhaken) vergrößern die Tragfähigkeit der Verbundfuge und können Beanspruchungen wie kleine Schubkräfte aus differenziellem Schwinden in den Randbereichen und wechselnden Temperaturgradienten aufnehmen (Bild 3). Bild 2: Aufgeraute Betonoberfläche eines Brückenoberbaus [19] Bild 3: Aufgeraute Betonoberfläche mit gestaffelt angeordneten Verbundankern [19] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 353 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken Baupraktisch übliche Verfahren zum Aufrauen der Altbetonoberfläche sind dabei beispielsweise das Stemmen und das Wasser- oder Trockenstrahlen [5]. Weitere Oberflächenbearbeitungsverfahren (z.B. Frä-sen oder Flammstrahlen) und deren Anwendungsbereiche werden in [20] beschrieben. Das Stemmen stellt für großflächigen Verstärkungsmaßnahmen eine unwirtschaftliche Methode dar, wenn eine gleichmäßige Oberfläche notwendig ist [5]. Bei einer Oberflächenbehandlung mit dem Druckwasserstrahlen wird zwischen Niederdruck-, Hochdruck- und Höchstdruckwasserstrahlen unterschieden [21]. Das Niederdruckwasserstrahlen dient zur Entfernung von Verunreinigungen und ist zur Oberflächenbehandlung für Betonergänzungen nicht oder nur bedingt geeignet. Beim Hochdruckwasserstrahlen wird die Altbetonoberfläche mit einem Druck von bis zu 700 bar bearbeitet und Kiesnester oder am Beton haftende Rückstände entfernt. Das Höchstdruckwasserstrahlen raut die Betonoberfläche mit einem Druck von bis zu 2000 bar auf und eignet sich zum Abtragen von geschädigtem Beton, zum Freilegen der Bewehrung sowie zum Entfernen von Rostschichten an freiliegender Bewehrung [5]. Beim Feststoffstrahlen werden zum Aufrauen unterschiedlicher Oberflächen verschiedene Strahlmittelsysteme und -arten eingesetzt. Die baupraktisch üblichsten Verfahren zur Betonbearbeitung sind das Sandstrahlen und das Kugelstrahlen mit rundem und gebrochenem Korn [21]. Das Trockenstrahlen stellt dabei nach [5] das wirtschaftlichste Verfahren dar, da hierbei nur maximal 5 mm von der Altbetonoberfläche abgetragen werden. Im Allgemeinen wird mit zunehmendem Feststoffdurchmesser eine größere Rauheit der Oberfläche erzielt. Zudem erreichen scharfkantige Strahlmittel höhere Abtragsraten als kugelförmige Strahlmittel [21]. Bild 4: Traganteile der Verbundfuge [15] 2.2 Tragfähigkeit von Verbundfugen Die Beanspruchungen in einer Verbundfuge werden durch Traganteile aus Adhäsion, Reibung und der fugenkreuzenden Verbundbewehrung aufgenommen [13][14] [15][22][23] (Bild 3). Die Adhäsion beschreibt den Haftverbund und die mikromechanische Verzahnung zwischen den beiden Betonschichten. Der Traganteil der Reibung wird maßgeblich von der in der Verbundfuge übertragenen Drucknormalspannung und der Kornverzahnung der Rissufer beeinflusst. Für den Bewehrungstraganteil wird zwischen der durch die horizontale Rissuferverschiebung beeinflussten Querbelastung (Dübel-wirkung) und der Längszugbeanspruchung der Stäbe infolge Rissöffnung (Spannfedereffekt) unterschieden. Der maßgebliche Einflussfaktor aller Traganteile der Verbundfuge ist neben den Betoneigenschaften und der Fugenbewehrung die Rauheit der Altbetonoberfläche [23]. Für den Nachweis der Schubkraftübertragung über die Verbundfuge nach EC2+NA(D) [8] [9] werden die einwirkenden Schubspannungen v Ed aus der einwirkenden Querkraft V Ed über die Breite der Verbundfuge b und dem inneren Hebelarm z ermittelt (Gl. 1). v Ed = β∙V Ed / (b∙z) (Gl. 1) Hierbei beschreibt β das Verhältnis aus Normalkraft in der Betonergänzung und der Gesamtnormalkraft in der Druckbzw. Zugzone des betrachteten Querschnittes. Die aufnehmbare Schubspannung in der Verbundfuge v Rdi ergibt sich als Summe der Traganteile aus Adhäsion, Reibung und Bewehrung und ist über eine definierte Obergrenze der maximalen Spannungen in der Verbundfuge begrenzt (Gl. 2). 354 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken (Gl. 2) Für die Beiwerte c, μ und ν werden in EC2+NA(D) [8] [9] die vier Oberflächenkategorien „sehr glatt“, „glatt“, „rau“ und „verzahnt“ definiert. Die Einteilung der Betonoberflächen in die Kategorien erfolgt abhängig von der Herstellung bzw. Bearbeitung der Oberfläche und durch die Festlegung der Rauheit z.B. über die mit dem Sandflächenverfahren nach Kaufmann [10] bestimmte mittlere Rautiefe R t . So wird nach [24] eine raue Fuge mit einer Rauheit von mindestens 3 mm (mittlere Rautiefe nach dem Sandflächenverfahren R t ≥ 1,5 mm) definiert, die durch einen Rechen mit Zinkenabstand von 40 mm, einem Freilegen der Gesteinskörnung oder anderen Verfahren erzeugt wurde. Für die Neufassung des EUROCODES 2 werden für den Nachweis der Verbundfuge auf europäischer Ebene zurzeit zwei Vorschläge diskutiert. Ein Vorschlag basiert auf dem aktuellen Ansatz nach EC2+NA(D) [8][9] und beschreibt die aufnehmbaren Fugenspannungen ebenfalls als Summe der Traganteile aus Adhäsion, Reibung und Bewehrung (Gl. 3-2). Auf die Begrenzung der maximalen Spannungen in der Fuge über eine definierte Obergrenze wird in diesem Vorschlag verzichtet. Unter zyklischer Belastung wird der Traganteil der Adhäsion auf c fat = 0,5∙c reduziert. Der zweite Vorschlag für die Neufassung des EC2 basiert auf dem Model nach MO-DEL CODE 2010 [25] und setzt sich ebenfalls aus den Traganteilen aus Adhäsion, Rissreibung und Schubbewehrung zusammen. Der Traganteil der Schubbewehrung wird dabei in einen Spannfedereffekt und eine Dübelwirkung aufgeteilt (Gl. 3) [26]. (Gl. 3) 2.3 Versuche zur Ermittlung der Verbundfestigkeit Zur Untersuchung der Tragfähigkeit von Verbundfugen sind in der Literatur verschiedene Versuchsmethoden beschrieben. Die zur Untersuchung der Schubtrag-fähigkeit von Verbundfugen etablierten Versuchsaufbauten sind in Bild 5 dargestellt. Da die Verbundfugentragfähigkeit sowohl von Versuchsaufbau und Versuchskörpergrößen als auch von der Belastungsart und -geschwindigkeit beeinflusst wird, ist ein Vergleich der dokumentierten Ergebnisse auch bei gleichem Versuchsaufbau nur selten möglich [27]. (a) Push-Out Test Im Push-Out-Test werden zwei Altbetonschichten mit einer mittigen Neubetonschicht ergänzt, sodass zwei Abscherflächen entstehen (Bild 5 (a)). Durch die Belastung parallel zur Fugenachse soll eine reine Schubbeanspruchung untersucht werden [13][14][17]. Der Versuchsaufbau ist zwar grundsätzlich so konzipiert, dass eine möglichst gleichmäßige Belastung der Schubfuge vorliegt. Tatsächlich ist nach [15] aber wegen der versetzten Lasteinleitungspunkte und der Querdehnungsbehinderung am Fußpunkt von einer ungleichmäßigen Verteilung der Schubbeanspruchungen auszugehen. Das Versagen wird in der Regel durch das Abscheren einer Verbundfuge eingeleitet. (b) Schubversuche/ Modifizierte Schubversuche Die Schubversuche gemäß Bild 5 (b, links) werden ebenfalls parallel zur Fuge beansprucht. Durch die Aufbringung von Normalspannungen senkrecht zur Fuge können verschiedene Verhältnisse von Schub- und Normalspannung untersucht werden [13][16]. Die versetzte Lasteinleitung der Betonschichten ruft aber zusätzliche Biegebeanspruchungen in der Fuge hervor. Der Schubversuchskörper mit Konsolen gemäß Bild 5 (b, rechts) ermöglicht eine zentrische Lasteinleitung [7]. Nachteilig sind der große Aufwand bei der Herstellung und der Einbau der Versuchskörper in die Prüfmaschine. Bild 5: Versuchsaufbau verschiedener Versuchskörper zur Untersuchung der Schubtragfähigkeit von Verbundfugen [27] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 355 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken (c) Geneigte Schubversuche/ Modifizierte geneigte Schubversuche Schubversuche an Versuchskörpern mit geneigten Fugen gemäß Bild 5 (c) ermöglichen über die Neigung unter einer zentrischen Belastung ein konstantes Verhältnis zwischen Schub- und Normalspannung [13][17]. Da in Versuchskörpern mit großer Fugenfläche (Bild 5 (c, links)) das Versagen bei Ausbildung einer rauen Fugenoberfläche meist im Bereich der schwächeren Betonschicht eintritt, wird für ein Versagen in der Fuge die Fugenfläche durch Einkerbungen zwischen Alt- und Neubetonschicht reduziert (Bild 5 (c, rechts)) [17]. Die so ermittelten Haftverbundfestigkeiten sind etwa 2,5-fach größer als die Werte aus Push-Out-Tests. Ein konstanter Verlauf der Schubspannungen entlang der Fuge wird schon bei geringfügig exzentrische Lasteinleitung nicht mehr erreicht. Über die aus diesem Versuch indirekt abgeleitete Haftzugfestigkeit kann auf die Verbundfestigkeit geschlossen werden. 2.4 Verfahren zur Ermittlung der mittleren Rautiefe von Betonoberflächen Die Rauheit einer Betonoberfläche ist nicht eindeutig definiert und wird in Abhängigkeit des Anwendungsbereiches festgelegt. Im Allgemeinen werden dazu die Abweichungen der Ist-Oberfläche von einer geometrisch idealen Oberfläche betrachtet [25][28]. Im Bauwesen wird zur Beschreibung der Rauheit die mittlere Rautiefe R t verwendet, die in der Regel durch volumetrische Verfahren (z. B. das Sandflächenverfahren nach Kaufmann [10]) ermittelt wird. Alternative Verfahren, wie laserbasierte Messungen und photogrammetrische Verfahren, wurden von verschiedenen Forschern und Instituten bereits eingesetzt und zeigten vielversprechende Ergebnisse [11][12][13] Allerdings werden diese Verfahren aufgrund unzureichender Erfahrungen bisher nicht in den technischen Richtlinien als alternative Verfahren zum Sandflächenverfahren anerkannt. Sandflächenverfahren nach Kaufmann Das einfachste und überwiegend etablierte Verfahren zur Bestimmung der mittleren Rautiefe ist das Sandflächenverfahren nach Kaufmann [10]. Bei diesem Verfahren wird eine definierte Menge Sand einer bestimmten Körnung kegelförmig auf die zu beurteilende Oberfläche aufgebracht und mit einer Scheibe kreisförmig ausgebreitet bis der Sand vollständig verteilt ist (Bild 6 (a)). Aus dem gemittelten Durchmesser d, der in mindestens zwei Richtungen ausgemessenen Sandfläche und dem Sandvolumen V kann die mittlere Rautiefe R t ermittelt werden (Gl. 4): R t = V∙4/ (π∙d²) (Gl. 4) Das Verfahren wird zur Ermittlung der mittleren Rautiefe unter anderem in der ZTV-ING der Bundesanstalt für Straßenwesen [20], DIN EN 13036 1 zur Oberflächeneigenschaften von Straßen und Flugplätzen [29], DIN EN 1766 für Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken [30] und der DAfStb-Richtlinie: Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen [31] eingesetzt. Laserbasierte Messverfahren Das Verfahren der Lasertriangulation basiert auf einem Laserstrahl, der auf die zu untersuchende Oberfläche gerichtet wird. Ein lateral versetzter Detektor ist in der Lage die teilweise diffus reflektiertenden Laserstrahlen, die mittels optischer Linsen gebündelt werden, zu messen und Abstände über trigonometrische Zusammenhänge zu berechnen [12]. Aus diesen Abständen können dreidimensionale Koordinaten erstellt und abgespeichert werden. In [12] wurde bereits die Funktionsfähigkeit mit der Entwicklung eines Prototyps gezeigt (Bild 6 (b)). Die Messung erfolgte durch 10 Einzelmessungen, aus denen daraufhin ein linienförmiges Oberflächenprofil abgebildet und die Rautiefe R tLaser ermittelt wurde. Die so Bild 6: Verfahren zur Ermittlung der Rautiefe von Betonoberflächen 356 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken ermittelten Rautiefen wurden den Ergebnissen der Sandflächenverfahren gegenübergestellt. Durch Vergleichsmessungen an unterschiedlichen Betonoberflächen konnte eine Beziehung zwischen der mittleren Rautiefe R t nach den Sandflächenverfahren (z.B.: [20][29][30] [31]) und der mit dem Lasermessgerät ermittelten Rautiefe R tLaser erstellt werden. Damit ist eine direkte Umrechnung der Ergebnisse aus dem Lasermessverfahren auf die Sandflächenverfahren möglich. Der Vorteil der Lasermessungen liegt in der hohen Reproduzierbarkeit bei Wiederholungsmessungen und der deutlich geringeren Streuung der Ergebnisse von 50 Prozent im Vergleich zum Sandflächenverfahren. Photogrammetrische Verfahren Die Photogrammetrie stellt neben der Lasertriangulation ein weiteres berührungsloses Messverfahren dar. Mit Hilfe eines mehrschnittigen Auswerteverfahrens kann eine dreidimensionale Abbildung einer Oberfläche erstellt werden. Dazu werden mit einer Kamera Bilder aus verschiedenen Perspektiven mit unveränderten Kamera- und Objektiveinstellungen aufgenommen. Durch die räumliche Orientierung der Aufnahmen wird über markante Bildpunkte eine dichte Punktwolke des Oberflächenprofils ermittelt [32]. Über eine Verdichtung der Punktwolke sowie die Bestimmung der 3D-Objektkoordinaten wird mit Hilfe einer Dreiecksvermaschung anschließend ein digitales Oberflächenmodell (DOM) erstellt (Bild 6 (c)). Aus diesem wird die mittlere Rautiefe der Oberfläche über die Berechnung einer ausgleichenden Ebene aus den Profilkoordinaten abgeleitet. Zur Kalibrierung des Verfahrens und der abgesicherten Anwendung für die Ermittlung der mittleren Rautiefe nach aktuellen Regelwerken sind Vergleichsmessungen an profilierten Betonoberflächen notwendig. 3. Forschungsvorhaben 3.1 Allgemeines Ziel des Forschungsvorhabens ist es, durch theoretische und experimentelle Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen dem Verfahren zur Oberflächenbearbeitung des Altbetons, der Fugenrauheit, der Art der Betonergänzung und der Tragfähigkeit der Verbundfuge zu erarbeiten. Dazu werden Betonoberflächen nachträglich durch verschiedene Verfahren aufgeraut und die Rauheit durch volumetrische und optische Messverfahren bestimmt. Im Anschluss werden die Versuchskörper mit einer Ergänzungsschicht versehen, um anschließend die Verbund- und Haftzugfestigkeit der Verbundfuge zu untersuchen. Mit der Bereitstellung einer Datenbank zur Verbundfugentragfähigkeit und einer Datenbankauswertung zur Verbund- und Haftzugfestigkeit in Abhängigkeit des Altbetons, der Oberflächenbearbeitung, der mittleren Rautiefe, des Verbundmittels und des Ergänzungsbetons lassen sich Verstärkungen im Hoch-, Brücken- und Industriebau realistischer bewerten und wirtschaftlicher bemessen. Zudem liefert das Forschungsvorhaben einen wichtigen Beitrag zur Etablierung optischer Rauheitsmessverfahren für die zuverlässige Ermittlung der mittleren Rautiefe bei vertikalen Fugenflächen. 3.2 Datenbank Zur Untersuchung der Tragmechanismen von Verbundfugen zwischen Altbetonoberflächen und der Ergänzungsbetonschichten führten mehrere Forscher experimentelle Untersuchungen durch, um ein besseres Verständnis bestimmter Einflussfaktoren für verschiedene Belastungsmechanismen und deren Zusammenwirken in Verbundfugen zu erhalten. Für individuelle Untersuchungen der Tragwerksmechanismen (Adhäsion, Reibung und Verbundbewehrung) stellen Kleinkörperversuche eine gute und effiziente Methode dar, um die vielen unterschiedlichen Einflussparameter für die Verbundfugentragfähigkeit wie Oberflächenrauhigkeit, Betonfestigkeit, Alter und Zusammensetzung (z.B. Zuschlagstoffe), Verbundbewehrung (z.B. Form, Menge und Verankerung) sowie die aufgebrachte Last (unter Berücksichtigung von z.B. Normalspannung, Biegung und zyklischer Belastung) zu berücksichtigen. Bei Großversuchen an Balken- und Plattenkonstruktionen mit Verbundquerschnitten entsteht die Längsschubübertragung über eine Verbundfuge nicht durch eine reine Scherung, sondern durch Verbundwirkung verschiedener Tragwerksmechanismen. Aufgrund des Zusammenwirkens der verschiedenen Tragwerksmechanismen in den Großversuchen können daher die Verbundfestigkeit sowie die Rissentwicklung und die Spannungszustände von den Ergebnissen aus Kleinversuchen abweichen. Um einen vollständigen Überblick über vorhandene Versuchsergebnisse zu erhalten und um eine konsistente und kritisch überprüfbare Datenbasis für die Bewertung von Verbundfugenfestigkeiten zu gewährleisten, wurde im Rahmen des Forschungsvorhabens eine umfassende Literaturrecherche zu Versuchsberichten von experimentellen Untersuchungen an Verbundfugen durchgeführt. Zur systematischen Bewertung der Verbundfugenfestigkeiten aus den Versuchsergebnissen aus der Literatur wurden die gesammelten Daten in Teildatenbanken unterteilt, um die unterschiedlichen Auswirkungen von Strukturverhalten, Tragmechanismen und Belastungsbedingungen zu untersuchen. Dazu wurden zwei Hauptdatenbanken entwickelt, die zwischen Kleinkörperversuchen und Großversuchen an Balken- und Plattenkonstruktionen unterscheiden. Unter Berücksichtigung der Belastungsbedingungen wurden die Hauptdatenbanken in Versuche mit statischer und zyklischer Belastung unterteilt. Um die Wirkung von Verbundbewehrung zu untersuchen, wurden die Datenbanken weiter in Proben ohne Verbundbewehrung und mit Verbundbewehrung unterteilt. Somit bildeten acht Teildatenbanken die Grundlage für 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 357 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken die Datenbankauswertung. Für jeden Versuch wurden die relevanten Versuchsparameter Geometrie, Verbundfugenbeschaffenheit, Materialparameter von Beton und Bewehrung sowie Traglast und Versagensbild bewertet. Da die gesammelten Versuchsberichte unterschiedliche Definitionen des Verbundflächenzustandes, Bestimmungen der Betonfestigkeit und Einheiten für Spannung und Abmessungen voraussetzen, wurden die Daten konvertiert, um eine einheitliche Bewertungsgrundlage zu erhalten. Darüber hinaus wurden Auswahlkriterien definiert, um die Anwendungsgrenzen der Datenbankauswertung für horizontale Verbundflächen in Balken- und Plattenkonstruktionen zu erfüllen. Im nächsten Schritt soll diese erstellte Datenbank durch eigene experimentelle Untersuchung erweitert werden. 3.3 Experimentelle Untersuchung Zur Erweiterung der Datenbank und zur systematischen Untersuchung der Tragfähigkeit bewehrter und unbewehrter Verbundfugen in Abhängigkeit von der Oberflächenbearbeitung werden die Schub- und Haftzugfestigkeit der Verbundfugen anhand von Kleinkörperversuchen bestimmt. Damit soll eine ausreichende Datenbasis bereitgestellt werden, um den Einfluss der untersuchten Parameter mit begrenzter Streuung der Herstellungstoleranzen bewerten zu können. Für die Versuchskörper werden Platten mit Abmessungen von 70 x 70 x 10 cm hergestellt, deren Oberfläche nach Aushärtung des Betons durch Praxispartner bearbeitet werden. Nachdem die Rautiefe mit den in Kapitel 2.4 beschriebenen Verfahren gemessen wurde, wird ein Ergänzungsbeton aufgebracht. Aus diesen Platten werden nach Aushärten des Ergänzungsbetons vier quadratische Versuchskörper (25 x 25 x 20 cm) herausgeschnitten (Bild 7 (a)). Durch dieses Vorgehen werden vier Versuchskörper einer Parameterkombination hergestellt, deren Streuung der Oberflächenstruktur minimiert ist. An drei der vier in Bild 7 (b) dargestellten Plattenausschnitten wird die Schubtragfähigkeiten der Fuge bestimmt. Parallel werden an dem vierten Plattenausschnitt fünf Haftzugprüfungen mit einem Durchmesser von 5 cm in Anlehnung an die DIN EN 1542 [33] durchgeführt (Bild 7 (c)). Diese Versuchsreihen befinden sich zurzeit in der Herstellung und erste Versuchsergebnisse können voraussichtlich am 7. Kolloquium „Erhaltung von Bauwerken“ vorgestellt werden. Alle Versuchsergebnisse werden ebenfalls in den zuvor beschriebenen Datenbanken für bewehrte und unbewehrte Verbundfugen erfasst. Dadurch werden die erstellten Datenbanken, die Versuche mit unterschiedlichen Versuchsaufbauten und Belastungen aus der Literatur beinhalten, um eine große eigene Datenmenge erweitert, Bild 7: Versuchskörper: (a) Platte einer Parameterkombination; (b) Versuchskörper für Schubversuche; (c) Versuchskörper für Haftzugversuche 358 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken die eine geringe versuchsaufbaubedingte Streuung aufweisen. Anhand von Datenbankauswertungen werden die Traganteile der unbewehrten Verbundfugen und der bewehrten Verbundfugen herausgearbeitet, sowie gezielt der Einfluss der Fugenrauheit auf die Tragfähigkeit bestimmt. Ziel ist die Bereitstellung eines Zusammenhanges zwischen Schub- und Haftzugfestigkeit und der Oberflächenausbildung. Aus den Messungen der Oberflächenprofile mit verschiedenen Messverfahren wird auch der Einfluss der Oberflächenbearbeitung auf die mittlerer Rautiefe ermittelt. Zur Überprüfung der Messverfahren werden das Lasermessverfahren und die Photogrammetrie nach Einsatz an horizontalen und vertikalen Fugenflächen mit dem Sandflächenverfahren verglichen und für die baupraktische Umsetzung validiert. Anschließend wird ein Bezug zwischen den Verfahren zur Oberflächenbearbeitung, der Art der Querschnittsergänzung und der daraus resultierenden Verbund- und Haftzugfestigkeit der Verbundfuge abgeleitet und eine Einordnung in die Oberflächenkategorien nach dem derzeitigen Eurocode 2 [8][9] bzw. nach Model Code 2010 [25] mit Blick auf die zukünftigen Normen EC2 und MC 2020 vorgenommen. 4. Fazit und Ausblick Die Bestandsbauwerke im Hoch- und Brückenbau erfordern aktuell und in der nahen Zukunft häufig Verstärkungsmaßnahmen zur Sicherstellung der weiteren Nutzung, da Ersatzbauwerke kurzfristig nicht umsetzbar sind. Mit den Ergebnissen des Forschungsvorhabens wird ein Vorschlag zur wirtschaftlichen und effektiven Anwendung von Oberflächenbearbeitung, Querschnittsergänzung und einem Verbundmittel formuliert. Die Einordnung der bearbeiteten Oberflächen in die Kategorien nach dem derzeitigen EC2 [8][9] bzw. nach Model Code 2010 [25] mit Blick auf die zukünftigen Normen EC und MC 2020 ermöglicht zusammen mit der Standardisierung optischer Messverfahren eine direkte Umsetzung in die Praxis über Richtlinien und Merkblätter des deutschen Beton- und Bautechnikvereins e.V. und erlauben damit eine bessere und wirtschaftlichere Planung und Ausführung von Verstärkungen Danksagung Die vorgestellten und geplanten Untersuchungen werden von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) gefördert, der an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Literaturverzeichnis [1] Küchler, M.: Instandsetzung von Betontragwerken. Betonkalender 2013 -Lebensdauer und Instandsetzung - Brandschutz, S. 345-468, 2013. [2] Naumann, J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin 2011. 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[9] DIN EN 1992-1-1/ NA: 2013-04: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. Deutsche Fassung EN 1992-1-1/ NA: 2013-04. Berlin, April 2013. [10] Kaufmann, N.: Das Sandflächenverfahren. Straßenbau-Technik, 24(3), Seiten 131-135, 1971. [11] Santos, P., Julio, E.: A state-of-the-art review on roughness quantification methods for concrete surfaces; Construction and Building Materials 38, Seiten 912-923, 2013. [12] Vogler, N., Gluth, G., Oppat, K., Kühne, H.-C.: Charakterisierung von Bauteiloberflächen mittels Lasertriangulation bei der Instandsetzung; 38. Dresdener Wasserbaukolloquium, Seiten 446-454, 2015. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 359 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken [13] Reinecke, R.: Haftverbund und Rissverzahnung in unbewehrten Betonschubfugen. 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Ursache hierfür sind Lasteinwirkungen, die oft in den Planungsgrundsätzen hinsichtlich Materialwahl nur ungenügend Berücksichtigung finden. Nennenswerte Lasteinwirkungen sind hier thermische-hygrische Belastungen, die zur Rissbildung führen können, womit beschleunigte Karbonatisierungsvorgänge und auch erhöhte Schadstoffeinträge (Salzeintrag) stattfinden. Diese Vorgänge beschleunigen den Abnutzungsprozess deutlich. Betontechnologisch wurden bereits vor vielen Jahren sehr dichte Betone entwickelt, die, auch dadurch bedingt, oft sehr hohe Festigkeiten aufweisen. Hochfeste und auch ultrahochfeste Betone sind der Praxis nicht unbekannt. Im Neubau wurden hochfeste Betone bereits vor Jahrzehnten, insbesondere im Hochhausbau bei Stützen im Untergeschoss, als Transportbetone eingesetzt. Ziel muss es sein, diese sehr dichten Betone auch in der Instandsetzung zum Erhalt von Bauwerken einzusetzen. Dabei ist weniger die hohe Festigkeit entscheidend als vielmehr die damit einhergehende hohe Dichtheit des Systems. Diese hohe Dichtheit verhindert resp. mindestens verzögert die Einwirkung und den Eintrag von Schadstoffen. Besonders vorteilhaft können hier hochfeste und auch ultrahochfeste Betone als Fertigteile in der Instandsetzung eingesetzt werden. Dabei dienen sie nicht nur der Sicherstellung einer erhöhten Dauerhaftigkeit, sondern können je nach Anwendungsfall auch zum Lastabtrag mit herangezogen werden. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten auch unter Berücksichtigen normativ anzusetzenden Nachrechnungsrichtlinien, beispielsweise im Brückenbau. In dem hier vorliegenden Beitrag soll die Anwendung am Beispiel der Instandsetzung einer Tiefgarage aufgezeigt werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 363 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten Olaf Kern Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Eva-Maria Ladner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Björn Marucha Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Markus Ehrhardt Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Die Betoninstandsetzung mit ihrer außerordentlich großen Anzahl an Regelwerken für die verschiedensten Bauwerke, hat sich in den vergangenen Jahren Zusehens als sehr komplexen und dynamischen Prozess entwickelt. Auf die Bauherren, die Planer, die Verarbeiter und vor allem auch auf die Produkthersteller kommen durch diese Vielfalt und Dynamik immer wieder neue Herausforderungen zu, denen alle Beteiligte vollumfänglich gerecht werden müssen. Um auch in der Zukunft Betoninstandsetzungen erfolgreich, den Regelwerken entsprechend, mit ausreichender Nachhaltigkeit, sowie einer ausreichenden (Rest-)Nutzungsdauer des sanierten Objektes, durchführen zu können, benötigt der Markt kontinuierlich innovative, leistungsstarke, sowie auf den Anwendungsfall angepasste Produkte. Diese Veränderungen resultieren natürlich auch aus Erfahrungen, die die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Produkthersteller, die forschenden Hochschulen und Materialprüfanstalten bzw. die Sachverständigen bei den Bauzustandsermittlungen und die Verarbeiter während Ihrer täglichen Arbeit gemacht haben. Erkenntnisse aus diesem Erfahrungsfundus führen immer wieder zu Veränderungen der Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Instandsetzungsprodukte und hat dadurch auch die Produktvielfalt der benötigten Materialien für den Instandsetzungsmarkt signifikant erweitert. In diesem Zusammenhang wurden durch diverse Regelwerke unter anderem Anforderungen definiert, welche in Altbetonklassen ausgedrückt, die physikalischen Leistungsfähigkeit der Instandsetzungsprodukte bezogen auf den Bestandsbeton ausdrückt. 1. Allgemein Zunächst war der Instandsetzungsmarkt geprägt durch Vorgaben an die Instandsetzungsprodukte, die höchsten Anforderungen entsprachen. Mit der Zeit und vor allem durch neue Erkenntnissen die gewonnen wurden, konnte in der Praxis festgestellt werden, dass mit den vorhandenen Produkten nicht jeder Instandsetzungsfall abgebildet werden kann. Die zunächst zur Verfügung stehenden Hochleistungsprodukte sind nicht für jede Maßnahme bezogen auf den Bestandsbeton geeignet, da sie zu leistungsfähig waren und bei einem Einsatz nicht zum Erhalt des Bauwerks beigetragen hätten. Die Regelwerkswelt in Deutschland hat sich unter diesen Voraussetzungen, nicht nur im Zuge der Europäisierung verändert, angepasst bzw. ergänzt. 2. DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Beton (Instandsetzungs-Richtlinie) Die Instandsetzungsrichtlinie beinhaltet keine Anforderungen bezüglich Systemen, die auf Bestandsbetone mit geringen physikalischen Parametern eine Anwendung finden. Prinzipiell werden in diesem Regelwerk die höchsten Leistungen in Bezug auf Biegezug- und Druckfestigkeiten, Verbundverhalten, E-Moduli usw. definiert. Zusätzlich werden in dieser Richtlinie weitere Anforderungen an die Produkte gestellt wie zuvor beschrieben. [1] Daraus ergeben sich dann immer wieder die Fragestellung, wie mit Untergründen umgegangen werden kann, welche von ihrer Bauphysik wesentlich schlechtere Bedingungen mitbringen und somit für die leistungsfähigen Mörtel keine geeignete Basis darstellen. Die erfolgreiche 364 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten Instandsetzung kann nur mit der auf die Bestandsubstanz abgestimmten Materialien erfolgreich und dauerhaft durchgeführt werden. 3. DAfStb-Richtlinie Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungs-Richtlinie-Entwurf) Im Gelbdruck der neu geplanten Instandhaltungsrichtlinie wurden erstmals Anforderungen, Druckfestigkeit, Haftvermögen, sowie Elastizitätsmodul, an Instandsetzungsprodukte für Bestandsbetone (Untergründe) mit niedrigen physikalischen Leistungsdaten definiert. In diesem Fall wurde, um die Vergleichbarkeit mit anderen deutschen Regelwerken zu gewährleisten, für fünf sogenannte Altbetonklassen (A1 bis A5) die Anforderungen an die entsprechenden Produkte definiert (siehe Abb. 1). [2] Anmerkung: Aufgrund des EUGH-Urteils wurde die Einführung dieses Regelwerks in Deutschland untersagt. Abb. 1: Auszug Anforderungen IH-RL Abb.2 Auszug Anforderungen ZTV-W LB 219 4. Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für Schutz und Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219) In der ZTV-W LB 219 waren zunächst für vier Altbetonklassen Anforderungen an die Instandsetzungsprodukte definiert, wobei in diesem Regelwerk nur die Druckfestigkeiten und die Abreißfestigkeiten und nicht der statische E-Modul definiert ist. In der überarbeiteten Fassung der Ausgabe von 2017 wurde dieses Regelwerk um eine weitere Klasse ergänzt und somit sind auch in diesem Fall Anforderungen in fünf Klassen gestellt. Eine Gegenüberstellung kann Abb. 2 entnommen werden. [3] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 365 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten 5. DIN EN 1504-3 Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken Im europäischen Regelwerk DIN EN 1504-3 werden keine Altbetonklassen definiert, sondern in erster Linie Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit für statisch und nicht statisch relevante Instandsetzungsprodukte gestellt. Diese Norm beschränkt sich in diesem Fall auf vier Klassen (siehe Abb. 3). Im speziellen sind dies die Gebrauchstauglichkeitsklassen R1 und R2 für den nicht statisch relevanten Einsatz, sowie die Klassen R3 und R4 für die statisch relevante Gebrauchstauglichkeit. [4] Abb. 3 Auszug DIN EN 1504-3 6. Praxisbeispiele Instandsetzung Decken von 8 Laubengängen in einer Wohnanlage, 7 Etagen, Hamburg Zum Einsatz kam ein R2-Mörtel nach DIN EN 1504-3, der von den Planern, nach Beurteilung des Untergrundes und der sich daraus ergebenden Anforderungen an den Sanierungsmörtel, ausgewählt wurde. Der R2-Mörtel kam im Besonderen, auf Grund der Anforderungen an das sehr niedrige statische E-Modul zum Einsatz. Das Produkt wurde im Nassspritzverfahren mit einer Einbaustärke von 30 mm pro Arbeitsgang appliziert. In Abstimmung mit den verantwortlichen Bauleitern, den Herstellern der Maschinentechnik und der Sika Deutschland GmbH, als Produkthersteller, wurde der Mörtel in diesem Fall in einem Durchlaufmischverfahren angerührt und im Anschluss mit der Schneckenpumpe gefördert. Instandsetzung Tunnel Berlin, Wände Decken Zum Einsatz bei diesem Bauwerk kam nach der sach- und fachgerechten Bauzustandsanalyse ein Mörtel mit der Gebrauchstauglichkeitsklasse R3-Mörtel nach DIN EN 1504-3, auch hier gab es wieder explizit die Vorgabe an das niedrig statische E-Modul, sowie die Anforderung an die relativ hohe Auftragsstärke. Die Applikation wurde ebenfalls im Nassspritzverfahren durchgeführt. Bei dieser Maßnahme mussten auf 1200 m² mit einer Auftragsstärke von 100 mm gearbeitet werden. Als Misch- und Fördertechnologie wurden ein Zwangsmischer (Chargenmischer), sowie eine Schneckenpumpe zur Förderung verwendet. 7. Zusammenfassung Um in Zukunft den Anforderungen in der Instandsetzung von Betonbauwerken, unter jeder Voraussetzung gerecht werden zu können, gestalten sich die Regelwerke immer umfangreicher. Die Schnittmengen der einzelnen Regelwerke, die Anforderungen an Bauwerke im Besonderen an die Bestandsbetone stellen, sind relativ groß und somit nahezu vergleichbar. Der Entwicklungsaufwand wird auf Grund der Regelwerksveränderungen für die Produkthersteller um ein Vielfaches höher als es in der Vergangenheit war. Der Prüfaufwand der Produkte und Produktsysteme nimmt stark zu und wird schlussendlich immer komplexer. Dadurch steigt für den Hersteller natürlich der Kostenaufwand von der Neuwicklung bis zum konfektionierten Instandsetzungsprodukt. Nach wie vor müssen Instandsetzungsprodukte prinzipiell immer mehreren Regelwerken entsprechen, wobei die ermittelten Leistungsdaten der Instandsetzungsprodukte von akkreditierten Prüfanstalten immer bestätigt werden müssen, um sie erfolgreich am Markt platzieren zu können. 366 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten Die Herausforderungen an die Produkthersteller solcher leistungsstarker Betoninstandsetzungsprodukte werden nicht weniger. Die Anforderungsprofile bleiben auch in der Zukunft für diese Bauprodukte auf einem eher steigenden, sehr hohem Niveau. Literatur [1] DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie), Ausgabe Oktober 2001 [2] DAfStb-Richtlinie Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungsrichtlinie-Entwurf), Ausgabe 2018 [3] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für Schutz und Instandsetzung der Bauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), Ausgabe Juni 2017 [4] DIN EN 1505-3: 2006-03 Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 367 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Michael Berndt Materialforschungs- und -prüfantalt an der Bauhaus-Universität Weimar (MFPA) Coudraystraße 9 D-99423 Weimar michael.berndt@mfpa.de Wolfram Kämpfer Materialforschungs- und -prüfantalt an der Bauhaus-Universität Weimar (MFPA) Coudraystraße 9 D-99423 Weimar wolfram.kaempfer@mfpa.de 1. Chemischer Angriff und Bewertung des Angriffsgrades Bei dem zu betrachtenden chemischen Angriff werden alle Reaktionen des Instandsetzungsmörtels mit seiner Umgebung verstanden, die durch chemische, elektrochemische oder mikrobiologische Vorgänge zu einer Beeinträchtigung des Mörtels führen. Eine Übersicht über die wesentlichen Angriffsarten bzw. Korrosionsarten gibt die nachfolgende Abbildung. Abbildung 1: Chemische Angriffsarten für Instandsetzungsmörtel Basis für die Sicherstellung einer geplanten Nutzungsdauer sind die Bewertung einer projektspezifischen, chemischen Angriffssituation auf den Instandsetzungsmörtel, die sogenannte Einwirkungsseite, die Festlegung der Einflussfaktoren auf der Widerstandsseite und die Berücksichtigung bautechnischer Einflussfaktoren. So erfordern beispielsweise Anwendungen im Bereich von Böden, Wänden und Decken im Stall- und Freiluftbereich landwirtschaftlicher Anlagen, Gülle- und Biogasanlagen ganz spezielle Eigenschaften der Instandsetzungsmörtel. Die maßgebenden Einflussfaktoren auf der Einwirkungsseite, die das heißt der Expositionen, welche auf den Baustoff vor Ort einwirken, gliedern sich wie folgt: • chemische Angriffssituation: Angriffsart (erweichend / lösend / treibend) Konzentration, pH-Werte des anstehenden Mediums • Dauer der Einwirkung (konstant, zyklisch, …) Angriffsvorrat • Druck/ Temperatur/ relative Luftfeuchte (konstant, zyklisch,…) Die wesentlichen Einflussfaktoren auf der Widerstandsseite kennzeichnen sich wie folgt: • Zementart • Art der Gesteinskörnung und Korngruppen • Volumenverhältnis (Zementleim/ Gesteinskörnung) • Wasserzementwert (w/ z - Wert) • Kapillarporenanteil • Schwindneigung / Schwindmaß • Zusatzstoffe und -mittel • Feuchtegehalt Untergrund • Oberflächenzugfestigkeit des Untergrundes • Salzgehalte des Untergrundes • Besonderheiten des Bauteils / konstruktionsspezifische Besonderheiten, Risse, Stahleinbauteile, Durchdringungen, Fugen. 368 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Für eine Bewertung des Angriffsgrades können beispielweise die Regelwerke DIN 4030-1 / 15/ , DIN 1045-2 / 16/ und DBV Merkblatt „Chemischer Angriff auf Betonbauwerke - Bewertung des Angriffsgrads und geeignete Schutzprinzipien“ / 11/ , angewendet werden. 2. Relevante Regelwerke Für den Einsatz von Instandsetzungsmörtel sind in Deutschland verschiedene technische und rechtliche Regelwerke vorhanden. Eine Übersicht zu den relevantesten Regelwerken zeigt die Abbildung 2. Die Normenreihe DIN EN 1504 legt Anforderungen an die Identität, die Gebrauchstauglichkeit/ Dauerhaftigkeit, die Sicherheit und die Beurteilung der Konformität von Produkten und Systemen fest, welche für den Oberflächenschutz von Beton zur Verbesserung der Dauerhaftigkeit von neuen Betonbauwerken und für Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten an Bestandsbauwerken angewendet werden. Die DAfStb-Richtlinie - Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie) gliedert sich in folgende Teile: • Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze • Teil 2: Bauprodukte und Anwendung • Teil 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung • Teil 4: Prüfverfahren. Die Regelwerke des Deutschen Beton- und Bautechnikverein (DBV e.V) dienen als Hilfsmittel zur Bewertung des chemischen Angriffsgrades, zur Auswahl geeigneter Schutzprinzipien und zur Zusammenstellung geeigneter Prüfverfahren des chemischen Angriffs. Abbildung 2: Relevante Regelwerke für den Einsatz von Instandsetzungsmörteln 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 369 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Spezielle Anwendungsbereiche berücksichtigen die Norm DIN 19573 und die ZTV-W LB 219. Die DIN 19573 regelt die Anforderungen an Instandsetzungsmörtel für die Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden. ZTV-W LB 219 regelt die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken. In ZTV-W LB 219 werden beispielsweise Expositions- und Feuchtigkeitsklassen, Grundsätze für Baustoffe und Baustoffsysteme sowie für die Bauausführung geregelt. Die Bundesanstalt für Straßenwesen lenkt über ihre zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING) im Teil 3 Massivbau den Einsatz von Instandsetzungsmörteln. Bei Kontakt des Betons mit aggressiven Stoffen kann auf Basis der DIN 4030-1 bzw. EN 206-1/ DIN 1045-2 der Angriff in Böden und Grundwässern eine Einteilung in Expositionsklassen erfolgen. 3. Möglichkeiten der Prüfung und Bewertung der Beständigkeit Das grundsätzliche Ziel von Prüfverfahren ist die Simulation der im Laufe einer Nutzungsdauer zu erwartenden Einwirkungen auf den Baustoff. Auf dieser Grundlage sollen beispielweise Instandsetzungsmörtel oder Bindemittel hinsichtlich des Widerstandes gegenüber einem chemischen Angriff beurteilt werden. Über die Bewertung des Angriffsgrades, abgeleitet aus den Einflussfaktoren der Einwirkungsseite, werden die Prüfparameter auf den Anwendungsbereich angepasst. Für die Ableitung von Nutzungs- und Umgebungsbedingungen für einen chemischen Angriff in natürlichen Böden und Grundwässern sowie aufgrund des Betriebs von baulichen Anlagen mit einem stark chemischen Angriff (XA3 und höher) kann das DBV Merkblatt „Chemischer Angriff auf Betonbauwerke - Bewertung des Angriffsgrads und geeignete Schutzprinzipien“ / 9/ angewendet werden. In der Tabelle 9 des DBV Merkblattes / 9/ , so wie in Abbildung 3 dargestellt, werden beeinflussende Beanspruchungsgrößen Anwendungsgebieten gegenübergestellt. Im DBV Merkblatt Chemischer Angriff auf Betonbauwerke - Bewertung des Angriffsgrads und geeignete Schutzprinzipien - werden wesentliche Prüf- und Bewertungskonzepte für Säure- und Sulfatprüfverfahren gegenübergestellt. In den nachfolgenden Ausführungen werden zwei Beispiele für die Prüfung von Instandsetzungsmörteln mit Beanspruchung durch biogene Schwefelsäurekorrosion und kalklösender Kohlensäure vorgestellt. Abbildung 3: Beanspruchungen aus Nutzungs- und Umgebungsbedingungen / 9/ 370 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Beispiel 1: Chemischer Angriff durch biogene Schwefelsäure-Korrosion in Abwasseranlagen Die Prüfung des Widerstands gegen biogenen Schwefelsäureangriff (XWW4) kann nach der DIN 19573, Anhang A / 7/ erfolgen. Dieses zeitraffende Prüfverfahren dient der Abschätzung, ob ein Mörtel in der Praxis dem biogenen Schwefelsäureangriff in Entwässerungssystemen widerstehen kann. Bei diesem Prüfverfahren werden Mörtelprismen in Schwefelsäure mit einem pH-Wert von pH0 für 14 Tage bzw. mit einem pH-Wert von pH1 für 70 Tage eingelagert. Die Versuchsparameter pH-Wert und Temperatur werden konstant gehalten. Parallel zur Säurelagerung werden Mörtelprismen in Wasser eingelagert, um Referenzdruckfestigkeiten für die Auswertung zu liefern. Als Maß für die Intensität der Korrosion wird die Gesamt-Korrosionstiefe X f,D und die relative Restdruckfestigkeit der korrodierten Mörtelproben herangezogen. Den Aufbau und die Komponenten des eingesetzten Säurebades zeigt die Abbildung 4. Untersuchungen, z.B. in / 17/ bis / 19/ zeigen, dass bei Erfüllung der Anforderungen an die Gesamt-Korrosionstiefe X f,D und relative Restdruckfestigkeit ein Zementmörtel auch in der Praxis gegenüber den Beanspruchungen durch bei biogener Schwefelsäure-Korrosion beständig ist. Abbildung 4: Anordnung des Säurebades mit Einrichtung zur Konstanthaltung des Säuregrades nach / 7/ Beispiel 2: Chemischer Angriff durch kalklösender Kohlensäure / weiches Wasser Ein chemischer Angriff durch kalklösende Kohlensäure/ weiches Wasser führt an der Mörteloberfläche zu einem Zersetzungsprozess, einer sogenannten „Auslaugung“ und ist als Extraktion von Stoffen aus einem Festkörper durch eine Flüssigkeit definiert. Der Ablauf basiert bei Zementmörteln auf einem Konzentrationsgradienten zwischen der hochkonzentrierten Porenlösung des Zementsteins und Wasser geringer Carbonathärte. In der Folge löst weiches Wasser das Calciumhydroxid aus dem Zementstein heraus. Entsprechend nimmt die Stabilität des Zementsteins ab. Bei einer kontinuierlichen Einwirkung werden zusätzlich die Calcium-Silikat-Hydrat-Phasen ausgelaugt. Laborversuche sind ein probates Mittel für die Abbildung von Schädigungsprozessen für eine verlässliche quantitative Beurteilung, aber auch zur qualitativen Beurteilung, ob ein Instandsetzungsmörtel für eine Beanspruchung durch aggressives Wasser, speziell durch kalklösende Kohlensäure, geeignet ist. Ein Versuchsstand zur Beurteilung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln, gegenüber kalklösender Kohlensäure wurde an der MFPA Weimar entwickelt. Ziel der Einlagerungen im Versuchsstand ist es, die Beständigkeit des Instandsetzungsmörtels unter Bedingungen abzuschätzen, die eine praxisnahe Beanspruchung infolge chemisch schwach angreifender Umgebung durch kalklösende Kohlensäure mit der Expositionsklasse XA3 möglichst real abbildet. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 371 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Tabelle 1: Grenzwerte für die Expositionsklassen bei chemischem Angriff durch natürliche Böden und Grundwässer; Zusammenstellung aus DIN 4030-1: 2008-06 für kalklösende Kohlensäure Chemisches Merkmal Referenzprüfverfahren nach XA1 XA2 XA3 chemisch schwach chemisch mäßig chemisch stark angreifende Umgebung Grundwasser CO 2 mg/ l angreifend DIN EN 13577: 2007 ≥ 15 und ≤ 40 > 40 und ≤ 100 > 100 bis zur Sättigung Der Angriff durch kalklösende Kohlensäure wird nach DIN EN 206-1, durch die Expositionsklasse XA, Expositionsklassen für chemischen Angriff, berücksichtigt. Wenn Beton einem chemischen Angriff durch natürliche Böden und Grundwasser ausgesetzt ist, muss die Expositionsklasse wie in Tabelle 1 zugeordnet werden. In der Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, (Trinkwasserverordnung - TrinkwV) / 24/ wird in der Anlage 2 (zu § 6 Absatz 2) als Grenzwert/ Anforderung für die Calcitlösekapazität 5 mg/ l CaCO 3 festgelegt. Um eine ansatzweise Abschätzung hinsichtlich der chemischen Langzeitbeständigkeit zu treffen, wurde die Umweltprüfung maßgeschneidert auf die avisierte Exposition („Test-Tailoring“) modifiziert, um zu gewährleisten, dass der Mörtel ausreichend, aber nicht nach unrealistischen und überhöhten Anforderungen, geprüft wird. Die Prüfeinrichtung wird mit einem geschlossenen Wasserkreislauf betrieben, wobei die Einstellung der Kennwerte der Prüflösung im Bereich der Vorkonditionierung und die Einlagerung der Prismen in einem separaten Prüfraum erfolgen. Beide Bereiche sind durch einen kontinuierlichen Wasseraustausch miteinander verbunden. Beide Bereiche werden mit den gleichen Volumina betrieben. Die Versuchseinrichtung ist nach außen thermisch isoliert. Örtlich ist im Bereich der Vorkonditionierung noch eine in sich geschlossene und thermisch verbundene Referenzlagerung von Prismen in Wasser integriert. Für die Einlagerungen und die Abbildung einer chemisch stark angreifenden Umgebung (XA3) wurde eine Prüfkonzentration von 250 mg CO 2 / l und eine Kalklösekapazität / Calcitlösekapazität von 569 mg/ l CaCO 3 sowie ein Prüfaufbau in Anlehnung an Locher et. al. / 25/ gewählt. Die Prüfbedingungen ergeben sich aus der einzustellenden CO 2 -Konzentration im Wasser und der sich daraus ergebenden Kalklösekapazität. Alle Angaben zum Prüfaufbau und zu den Prüfbedingungen für die Lagerung der Prüfkörper in kalklösender Kohlensäure sind in der Abbildung 5 aufgeführt. 372 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Konzentrationen der Einlagerung CO 2 -Konzentration 250 mg/ l ⎢ 50 mg/ l Kalklösekapazität ≈ 569 mg/ l CaCO 3 ⎢ 114 mg/ l CaCO 3 • thermisch isolierter geschlossener Wasserkreislauf mit einer Einlagerungstemperatur von T Prüf = 8 ± 1 °C ⎢ T Prüf = 10 ± 2 °C • vorab empirisch ermittelt für notwendige CO2/ l-Konzentration pH-Wert ≈ 5,6 ⎢ pH-Wert ≈ 6,6 • kontinuierliche pH-Werterfassung und CO 2 -Dosierung in Abhängigkeit vom pH-Wert • Verhältnis von Prüflösung zu Probenkörper (Prisma 40x40x160 mm 3 ) V Prüf = 3,3 ± 0,5 l pro Prüfkörper (Volumenverhältnis Wasser zu Mörtel rd. 13: 1) • kontinuierlicher Wasseraustausch zwischen Bereich der Einlagerung und Vorkonditionierung Q Prüf = 50 ± 5 l/ h • Überprüfung der Kalklösekapazität / CaCO 3 -Konzentration mindestens ein bis zweimal in der Woche und mindestens wöchentlicher Wasserwechsel • Einlagerungszeitraum 180 Tage Abbildung 5: Prüfaufbau und -bedingungen für die Lagerung der Prüfkörper in kalklösender Kohlensäure 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 373 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Literaturverzeichnis [1] DIN 18349: 2019-09: VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Betonerhaltungsarbeiten [2] DIN EN 1504-1: 2005-10: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Güteüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 1: Definitionen; Deutsche Fassung EN 1504- 1: 2005 [3] DIN EN 1504-2: 2005-01: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 2: Oberflächenschutzsysteme für Beton; Deutsche Fassung EN 1504-2: 2004 [4] DIN EN 1504-3: 2006-03: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 3: Statisch und nicht statisch relevante Instandsetzung; Deutsche Fassung EN 1504-3: 2005 [5] DIN EN 1504-8: 2016-08: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätskontrolle und AVCP - Teil 8: Qualitätskontrolle und Bewertung und Überprüfung der Leistungsbeständigkeit (AVCP); Deutsche Fassung EN 1504- 8: 2016 [6] DIN EN 1504-9: 2008-11: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 9: Allgemeine Grundsätze für die Anwendung von Produkten und Systemen; Deutsche Fassung EN 1504-9: 2008 [7] DIN 19573 2016-03: Mörtel für Neubau und Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden [8] DAfStb Instandsetzungs-Richtlinie: 2001-10; Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen, Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze, Teil 2: Bauprodukte und Anwendung, Teil 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung, Teil 4: Prüfverfahren [9] DIN 31051: 2019-06; Grundlagen der Instandhaltung [10] DBV Merkblatt Chemischer Angriff auf Beton - Empfehlungen zur Prüfung und Bewertung Fassung: Mai 2017, Hrsg.: Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin [11] DBV Merkblatt Chemischer Angriff auf Betonbauwerke - Bewertung des Angriffsgrads und geeignete Schutzprinzipien: Juli 2014, Hrsg.: Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin [12] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten ZTV-ING; Bundesanstalt für Straßenwesen; Stand: 2012/ 12 - Teil 3 Massivbau, Abschnitt 1 Beton - Teil 3 Massivbau; Abschnitt 4 Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 3 Massivbau - Abschnitt 5 Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen - Teil 3 Massivbau - Abschnitt 7 Verstärken von Betonbauteilen [13] ZTV-W LB 219: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau für Schutz und Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken, LB 219: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Abteilung Wasserstraßen, Schifffahrt; Stand 2015/ 09 [14] Kämpfer, W., Berndt, M.: Einfluss kalklösender Kohlensäure auf das Langzeitverhalten von zementgebundenen Beschichtungen: Technische Akademie Esslingen, Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis, 12./ 13.05.2020, Esslingen [15] DIN 4030-1: 2008-06: Beurteilung betonangreifender Wässer, Böden und Gase - Teil 1: Grundlagen und Grenzwerte [16] DIN 1045-2: 2008-08: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1 [17] Schmidt, H.: Korrosionsverhalten von Normalmörtel und UHPC - Experimente und numerische Simulation. Verlag Dr. Hut, München, 2011. ISBN 978-3-8439-0146-8. Zugleich: Dissertation TU Hamburg-Harburg, 2011 [18] Franke, L.; Schmidt, H.; Schmidt-Döhl, F.: Prüfung der Beständigkeit von Mörtelprodukten gegenüber saurem Angriff bis pH3 und Einstufung in Expositionsklassen. Beton, Heft 1+2, Bd. 60, S. 20-31, 2010 [19] Franke, L.; Schmidt, H.; Schmidt-Döhl, F.: Beständigkeit von Mörtelprodukten. bi-UmweltBau, Heft 3, S. 110-120, Juni 2013 [20] Schuler, H.: Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln gegenüber kritischen Wässern mit erhöhtem Anteil an kalklösender Kohlensäure am Beispiel trinkwassertechnischer Anlagen; Abschlussarbeit Bachelor of Engineering an der HTWK Leipzig, Januar .2019 374 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke [21] Gerdes, A.: Wechselwirkung zementgebundener Werkstoffe in Wasser; WTA Schriftenreihe, Heft 12; Aedificatio Verlag Freiburg; 1996 [22] Locher, F.W.; Sprung, S.: Die Beständigkeit von Beton gegenüber kalklösender Kohlensäure, Beton 25 (1975), Nr. 7 [23] DVGW Arbeitsblatt W 300-5: 08/ 2020: Trinkwasserbehälter; Teil 5: Bewertung der Verwendbarkeit von Bauprodukten für Auskleidungs- und Beschichtungssysteme [24] Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, (Trinkwasserverordnung - TrinkwV): in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. März 2016 (BGBl. I S. 459), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 3. Januar 2018 (BGBl. I S. 99) geändert worden ist Ingenieurbauwerke/ Wasserbauwerke 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 377 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken Annemarie Seiffert, M. Sc. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Sarah Elting, M. Eng. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland François Marie Nyobeu Fangue, M. Sc. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Lukas Weber, M. Sc. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung Alters- und belastungsbedingt unterliegt die Infrastruktur in Deutschland einem zunehmenden Verfallsprozess. Besonders angespannt ist die Situation bei Wasserbauwerken, z. B. bei Wehr- und Schleusenanlagen, deren Altersstruktur bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Dem hohen Erhaltungsbedarf stehen begrenzte Ressourcen entgegen, die eine überregionale Priorisierung von Investitionsmaßnahmen nach definierten Kriterien erfordern. Ein wichtiges Kriterium ist der aktuelle Zustand der Bauwerke, der in regelmäßigen Bauwerksinspektionen mit Zustandsnoten bewertet wird. Problematisch ist jedoch die hohe Anzahl an Bauwerken, bei Schiffsschleusen beispielsweise rund ein Drittel, die die schlechteste Zustandsbewertung aufweist. Angesichts dessen sollen zusätzliche Kennzahlen generiert werden, die zur netzweiten Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen im Rahmen eines Erhaltungsmanagementsystems herangezogen werden können. Vor diesem Hintergrund erfolgt auf Basis der Inspektionsergebnisse eine weitestgehend automatisierte Klassifizierung der Schäden nach ihren Auswirkungen, wodurch ein genaueres Bild über den Zustand des Bauwerksbestandes entsteht. 1. Einführung Der Bund ist in Gestalt der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) für den Bau und die Erhaltung der Bundeswasserstraßen zuständig (Art. 89 Abs. 2 Grundgesetz). Darin inbegriffen sind die wasserbaulichen Anlagen, wie Schiffsschleusen-, Düker-, Wehr-, Leuchtfeuer- und Brückenanlagen, die sich durch eine besondere Objektvielfalt auszeichnen. Ihre Altersstruktur hat zu zunehmend kritischen Bauwerkszuständen und damit zu einem steigenden Bedarf an Investitionsmaßnahmen geführt [1]. So wurden beispielsweise rund sechzig Prozent der Schiffsschleusenanlagen vor 1950 errichtet und rund zwanzig Prozent vor 1900 [2]. Etwa vierzig Prozent von ihnen befinden sich in einem nicht ausreichenden bzw. ungenügenden Zustand, siehe Abbildung 1. Aus diesem Grund wird im Bundesverkehrswegeplan für den Zeitraum von 2016 bis 2030 ein gegenüber der Vorperiode (2001 bis 2015) um ca. 110 Prozent höheres Investitionsvolumen von 16,2 Milliarden Euro veranschlagt [3]. Mit einem Anteil von ca. 85 Prozent für Erhaltungs- und Ersatzinvestitionen wird dem Erhalt der Infrastruktur einen höheren Stellenwert als dem Aus- und Neubau eingeräumt. Dieser Schwerpunkt ist gerade für die Bundeswasserstraßen angesichts der geringen Umfahrungsmöglichkeiten von besonderer Bedeutung [3]. Abbildung 1: Verteilung des Zustandes der Schiffsschleusenanlagen an Bundeswasserstraßen (Stand 07.2020) Allerdings hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass weniger ein Mangel an finanziellen, sondern vielmehr ein Mangel an personellen Ressourcen infolge des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels 378 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken für die ungenügende Umsetzung von Investitionsmaßnahmen verantwortlich ist [4]. Zur Begegnung dieser Situation fordert der Bundesverkehrswegeplan eine fachliche und verkehrliche Priorisierung der Investitionsmaßnahmen [3]. 2. Problemstellung Die Priorisierung der Ressourcen soll nach dem „Masterplan Binnenschifffahrt“ entsprechend den Kriterien „Erhalt vor Neubau“, „Zustand und Systemrelevanz“ und „Nutzen-Kosten-Faktor“ erfolgen [4]. Der Zustand der wasserbaulichen Anlagen wird zur Gewährleistung ihrer Sicherheit und Funktionsfähigkeit gemäß der Verwaltungsvorschrift (VV) „Bauwerksinspektion VV-WSV 2101“ in regelmäßigen Abständen überwacht und geprüft [5]. Hierbei werden von sachkundigem Inspektionspersonal Schäden „hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Tragfähigkeit und/ oder Gebrauchstauglichkeit des betroffenen Bauteils“ mit Schadensklassen von 1 (keine Beeinträchtigung) bis 4 (sofortiger Handlungsbedarf) bewertet [6]. Zur Zustandsdokumentation dient das Programmsystem WSVPruf, in dem unter anderem die Art, die Größe des Schadens sowie das vom ihm betroffene Bauteil und Material mit definierten Begriffen festgehalten werden. Die Bewertung der einzelnen Schäden bildet die Grundlage zur Ermittlung von Zustandsnoten für die gesamte Anlage und von Teilnoten für Teile der Anlage. Die Noten reichen von 1,0 für einen sehr guten Zustand bis 4,0 für einen nicht ausreichenden bzw. ungenügenden Zustand. Als Teilnotenkategorien sind eingeführt: die Konstruktion, der Stahlbau, die Ausrüstung, der Korrosionsschutz und Sonstiges, die wiederum weiter nach Objektteilkategorien (z. B. Ausrüstung in Ausrüstungsteile und Festmachevorrichtungen) unterteilt werden können [7]. Die Teilnote ergibt sich aus dem am schlechtesten bewerteten Einzelschaden der jeweiligen Teilnotenkategorie mit einem maximalen Zu- oder Abschlag von 0,2 je Umfang und Anzahl der Schäden je Objektteilkategorie. Die Zustandsnote resultiert aus der am schlechtesten bewerteten Teilnote, einschließlich eines maximalen Zu- oder Abschlags von 0,1 entsprechend der Anzahl der beschädigten Objektteilkategorien. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass trotz Zu- und Abschlägen von den berechneten Zustands-/ Teilnoten auf die maßgebende Schadensklasse geschlossen werden kann. Die Kennzahlen zeigen die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs an und dienen als ein Entscheidungskriterium für die Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen [7]. Problematisch ist, dass eine Vielzahl an wasserbaulichen Anlagen, bei Schiffsschleusenanlagen rund ein Drittel, die schlechteste Zustandsbewertung (nicht ausreichender bzw. ungenügender Zustand) aufweist und die Einleitung sofortiger Maßnahmen erfordert, siehe Abbildung 1. Dementsprechend wären für den Infrastrukturbetreiber zusätzliche, über die derzeitigen Teil- und Zustandsnoten hinausgehende Informationen hilfreich, die ein umfassenderes Bild über den Zustand seiner Bauwerke liefern. Diese Informationen könnten bei der Entscheidung helfen, wie Haushaltsmittel ver-waltungsintern zu verteilen sind. Ziel des im Folgenden vorgestellten Verfahrens ist daher die Generierung zusätzlicher Kennzahlen, die als Zustandsindikatoren zur netzweiten Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen im Rahmen eines Erhaltungsmanagementsystems, wie es z. B. in [8] konzeptioniert wird, herangezogen werden kann. Diese Zielsetzung ist abzugrenzen von einer Beurteilung der Notwendigkeit und der Art einer Erhaltungsmaßnahme am Einzelobjekt, welches nicht Bestandteil der folgenden Betrachtungen ist. 3. Lösungsansatz Um ein genaueres Bild über den Zustand des Bauwerksbestandes zu erlangen, sollen die Schäden entsprechend ihrer Auswirkungen auf die an ein Bauwerk gestellten Anforderungen klassifiziert werden. Nach DIN EN 1990 sind dies die Tragfähigkeit, die Gebrauchstauglichkeit und die Dauerhaftigkeit [9]. Um eine solche Klassifizierung mit den aktuell vorliegenden Daten zu erreichen, wird im Folgenden geprüft, ob eine weitestgehend automatisierte Klassifizierung der Schäden hinsichtlich ihrer Auswirkungen allein auf der Grundlage der Schadensdaten aus WSVPruf gelingen kann. Zu diesem Zweck wurde mithilfe von Ursache-Wirkungsketten, wie sie beispielsweise in [10] zur Zuverlässigkeitsbewertung von Produkten genutzt werden, ein kausaler Zusammenhang zwischen den Schäden aus WSVPruf, ihren Ursachen und ihren Folgen hergestellt. Die Verknüpfung der Schäden mit potenziellen Ursachen hält die Möglichkeit offen, die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden abzuschätzen. Die Verknüpfung mit möglichen Folgen führt auf die vom Schaden beeinträchtigten Bauwerksanforderungen. Sie bilden die Grundlage für die Berechnung zusätzlicher Teilbzw. Zustandsnoten, die als anforderungsspezifische Noten bezeichnet werden. Mit ihrer Hilfe kann eine konkrete Aussage über die potenziell eingeschränkten Bauwerksanforderungen getroffen werden. Das Vorgehen wird im nachfolgenden Abschnitt am Beispiel von Schäden an der Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen beschrieben. Die Konstruktion umfasst das Ober- und Unterhaupt, das Füll- und Entleersystem, die Sparbecken sowie die Kammer der Anlage. 4. Vorgehen Für die Beschreibung von Schäden stehen in WSVPruf mehr als zweihundert definierte Schadensbegriffe zur Verfügung, die mit acht verschiedenen Materialgruppen wie Beton oder Stahl verknüpft werden können. Ziel der entwickelten Systematik ist es, alle möglichen Kombinationen von Schäden und Materialgruppen potenziellen Ursachen und Folgen zuzuordnen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 379 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken Tabelle 1: Ursache-Wirkungsketten für die Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen Schadensfolge Schadensbild Beispielschaden Beispiel- Schadensursache Dauerhaftigkeit Geschädigte Bauteiloberfläche Oberflächenabtrag Abplatzung am Beton Physikalischer Angriff Offenporige Oberfläche Kiesnest am Beton Ausführungsfehler Risse Schadensklasse 1/ 2 Massivbau Vertikalriss am Beton Temperaturwechsel Sonstiges (Dauerhaftigkeit) Schadhafter Beton Planungsfehler Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt Undichtigkeiten im Massivbau Nassfläche am Beton Ausführungsfehler Fugenschäden Nicht verfugtes Mauerwerk Planungsfehler Tragfähigkeit Sprödes Bauteilversagen Risse Stahl/ Metall Gerissene Bewehrung Ermüdung Sonstiges (Tragfähigkeit) Deformierte Bewehrung Ausführungsfehler Duktiles Bauteilversagen Korrosion Lochkorrosion an Bewehrung Elektrochemischer Angriff Risse Schadensklasse 3/ 4 Massivbau Vertikalriss am Beton Temperaturwechsel Setzungen und Unterspülungen Abgesackter Beton Statische Last Gebrauchs-tauglichkeit Eingeschränkte Funktionsfähigkeit Verformungen am Massivbau Ausgebauchtes Metall Planungsfehler Ablagerungen Geröllablagerung am Beton Mangelhafte Wartung Sonstiges (Gebrauchstauglichkeit) Metall nicht gemäß Unfallverhütungsvorschrift Ausführungsfehler Beeinträchtigtes Erscheinungsbild Verschmutzungen Verschmutzter Beton Mangelhafte Wartung Tabelle 1 zeigt die für die Schäden der Teilnotenkategorie Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen aufgestellten Ursache-Wirkungsketten. Diese werden mit der folgenden Systematik aufgestellt: Zu Beginn steht eine Ursache, z. B. ein physikalischer Angriff, der zu einer Schädigung z. B. Abplatzung am Beton führt. Es folgt eine Bündelung von Schäden ähnlicher Gestalt zu einem Schadensbild z. B. Oberflächenabtrag, die der gleichen Folge z. B. geschädigte Bauteiloberfläche zugeordnet werden. Der erste Schritt besteht in der Identifikation möglicher Schadensursachen. [11] führt auf, dass Rückschlüsse auf die Ursache eines dokumentierten Schadens nur unter Zuhilfenahme detaillierter Informationen zum Schaden (z. B. Erscheinungsbild, Lage, Entstehungsgeschichte) und anhand vertiefter Untersuchungen vor Ort möglich sind. Die für den Gesamtbestand verfügbaren Daten aus WSVPruf reichen daher nur aus, um entsprechend Tabelle 1 anhand des Schadensbildes auf mehrere potenzielle Schadensursachen zu schließen, welches hinnehmbar ist, da die Ermittlung von Schadensauswirkungen im Vordergrund des Verfahrens steht. In einem zweiten Schritt wird definiert, welche Daten aus WSVPruf verwendet werden sollen, um einen Schaden einer Ursache-Wirkungskette zuzuordnen. Es handelt sich um den Schadensbegriff (z. B. Abplatzung, Roststelle), die hiermit verknüpfte Materialgruppe (z. B. Beton, Stahl) und in Einzelfällen die zugehörige Schadensklasse (1 - 4) sowie eine vorliegende Gefährdung für Personen. Auswahlkriterium für die vier Kriterien ist, dass sie maschinenlesbar sind und eine Aussage über die Schadensfolge ermöglichen. Aufgrund der hohen Anzahl von Schäden wird vor der Zuordnung zu einer Schadensfolge ein Zwischenschritt eingeführt, indem Schäden mit einem gemeinsamen Schadensbild gebündelt werden. Schadensbegriffe, die sich nicht zu einem gemeinsamen Schadensbild zusammenfassen lassen, aber die gleiche mögliche Schadensfolge aufweisen, werden in den Kategorien Sonstiges (Dauerhaftigkeit/ Tragfähigkeit/ Gebrauchstauglichkeit) zusammengefasst, siehe Tabelle 1. Die Kategorie Sonstiges (Gebrauchstauglichkeit) umfasst alle Schäden, unabhängig ihrer Art und ihres Materials, für die das Inspektionspersonal eine Gefährdung von Personen dokumentiert hat. Risse führen je nach betroffenem Material und der vorliegenden Schadensklasse zu unterschiedlichen Schadensfolgen [6]. Aus diesem Grund wird für Risse an Stahl oder Metall und für Risse am Massivbau ein eigenständiges Schadensbild eingeführt. Risse am Massivbau führen in Abhängigkeit von der Rissbreite, dem Rissverlauf und dem Sachverhalt, ob der Riss wasserführend ist oder mit einem Bodenaustrag einhergeht, zu einer Beeinträchtigung der Dauerhaftigkeit oder der Tragfähigkeit [6], so dass sie den zwei unterschiedlichen Schadensbildern Risse Schadensklasse 1/ 2 Massivbau und Risse Schadensklasse 3/ 4 Massivbau zugeteilt werden. Als mögliche Schadensfolgen werden eine geschädigte Bauteiloberfläche, der Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt, das spröde und duktile Bauteilversagen, die eingeschränkte Funktionsfähigkeit und die Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes identifiziert und im Anschluss zu 380 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken den Anforderungen Dauerhaftigkeit (D), Tragfähigkeit (T) oder Gebrauchstauglichkeit (G) zugeordnet [12-17]. Tabelle 2: Beispiel für die Benotung von Schäden, SK = Schadensklasse, D = Dauerhaftigkeit, T = Tragfähigkeit, G = Gebrauchstauglichkeit Einzelschaden SK D-SK T-SK G-SK Abplatzung am Beton 2,0 2,0 0 0 Korrosion an tragender Bewehrung 3,0 0 3,0 0 Geröllablagerung auf dem Beton 1,0 0 0 1,0 Teilnotenkategorie Teilnote D-Teilnote T-Teilnote G-Teilnote Konstruktion 3,0 2,0 3,0 1,0 Eine Kombination von Schäden und Materialgruppen, die ein ungewöhnliches Schadensbild anzeigen, wie z. B. ein Kiesnest an der Bewehrung werden dabei von einer allgemein gültigen Klassifizierung ausgeschlossen und stattdessen im Einzelfall auf Basis des Schadensbildes und des Freitextfeldes aus WSVPruf beurteilt. Die Klassifikation bildet die Grundlage für die Berechnung der neu entwickelten anforderungsspezifischen Teilnoten. Die Idee besteht darin, die vom Inspektionspersonal vor Ort ermittelten Schadensklassen unverändert zu belassen, sie aber in Abhängigkeit der Anforderung, die der Schaden am stärksten beeinträchtigt, in die Kategorien D, T oder G einzustufen. Die Einstufung erfolgt immer auf der sicheren Seite, indem Schäden, die mehrere Anforderungen einschränken können, mit der folgenden Systematik bewertet werden: Tragfähigkeit vor Gebrauchstauglichkeit, Gebrauchstauglichkeit vor Dauerhaftigkeit. Um eine möglichst hohe Übereinstimmung mit dem aktuellen Vorgehen zu erreichen, erfolgt die Berechnung der Teilnoten entsprechend dem in WSVPruf hinterlegten Notenalgorithmus, allerdings stets spezifisch für D, T oder G. Das heißt, der am schlechtesten bewertete D-, T-, G-Schaden führt auf die D-, T-, G-Teilnote inklusive eines maximalen Zu- oder Abschlages von 0,2 in Abhängigkeit des Ausmaßes und der Anzahl der Schäden. Tabelle 2 zeigt ein fiktives Beispiel mit drei Schäden der Teilnotenkategorie Konstruktion, die unterschiedliche Anforderungen beeinträchtigen. Dank der anforderungsspezifischen Noten ist zu erkennen, dass die Benotung für die Konstruktion des Bauwerks aus einem tragfähigkeits- und nicht einem gebrauchstauglichkeits- oder dauerhaftigkeitsrelevanten Schaden herrührt. Bei der Bewertung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die Definition der Dauerhaftigkeit bereits impliziert, dass sie immer dann eingeschränkt ist, wenn die Tragfähigkeit oder Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigt wird [9]. Umgekehrt kann bei einem dauerhaftigkeitsrelevanten Schaden der Schadensklasse 3 oder 4 eine Beeinträchtigung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit nicht ausgeschlossen werden [6]. 5. Validierung Im Zuge der Bearbeitung wurde eine große Anzahl an Schäden an Schiffsschleusenanlagen gesichtet und deren Klassifizierung unter Berücksichtigung des Schadensfotos und des Bemerkungsfeldes überprüft. Im Ergebnis gelingt bei etwa neunzig Prozent der Schäden eine korrekte Zuordnung. Auffallend ist, dass die gebrauchstauglichkeitsrelevanten Schäden vermehrt eine fehlerhafte Zuordnung erfahren. Ursächlich ist, dass das vom Schaden betroffene Bauteil bei der Systematik nicht berücksichtigt wird, da es infolge einer unzureichenden Objektteilgliederung häufig unbekannt ist. Auch bei Schäden, die sich an unterschiedlichen Materialien oder am Übergangsbereich von Bauteilen befinden, ist eine höhere Rate an Fehlzuordnungen zu beobachten. Abbildung 2: Schäden an der Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen an Bundeswasserstraßen nach Schadensbild mit zugehöriger Schadensklasse (Stand 07.2020) 5.1 Schadensebene Die automatische Klassifizierung von Schäden erlaubt eine Einschätzung ihrer Häufigkeit, wie in Abbildung 2 dargestellt ist. Es wird deutlich, dass Risse am Massivbau niedriger Schadensklasse, gefolgt vom Oberflächenabtrag, die dominierenden Schadensbilder an der Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen sind. Mit größerem 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 381 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken Abstand folgt die Korrosion als dritthäufigstes Schadensbild, die der Schadensfolge duktiles Bauteilversagen zugeordnet wird. Die insgesamt an der Konstruktion von Schiffsschleusen vorhandenen 19.000 Schäden verteilen sich nach Abbildung 3 (ganz links) wie folgt auf die drei Kategorien: rund siebzig Prozent von ihnen werden als relevant für die Dauerhaftigkeit (D), rund zwanzig Prozent als relevant für die Tragfähigkeit (T) und lediglich fünf Prozent als relevant für die Gebrauchstauglichkeit (G) eingestuft, wobei letzteres nach Abschnitt 5 vermutlich mit einer höheren Fehlerrate behaftet ist. Etwa ein Prozent kann aufgrund einer ungewöhnlichen Kombination von Schadensbegriff und Materialgruppe, siehe Abschnitt 4, nicht eindeutig zu einer Schadensfolge zugeordnet werden. Aufgrund der Berechnungsmethodik der Teil- und Zustandsnoten ist jedoch weniger die Gesamtzahl der Schäden von Interesse, sondern vielmehr, wie oft die jeweiligen Schäden schlechte Bewertungen in Form hoher Schadensklassen aufweisen. Daher zeigen die übrigen Grafiken aus Abbildung 3 den Anteil der D-, T-, G-Schäden nach Schadensklassen. Die Mehrheit, rund neunzig Prozent, der D-Schäden besitzen die Schadensklassen 1 oder 2, nur ein Prozent die Schadensklasse 4. Bei den tragfähigkeitsrelevanten Schäden verschiebt sich die Schadensbewertung zu höheren Schadensklassen. Rund sechzig Prozent der Schäden haben die Schadensklassen 1 oder 2 und ca. vierzig Prozent der Schäden weisen die Schadenklasse 3 auf. Der Anteil der Schäden mit der schlechtesten Bewertung bleibt mit rund drei Prozent relativ gering. Ein anderes Bild ergibt sich bei der Auswertung der G-Schäden, von denen mit ca. 14 Prozent ein vergleichsweiser großer Anteil die schlechteste Note aufweist. Hintergrund ist, dass hierunter Schäden mit Gefahr für Leib und Leben fallen, die nach dem BAW-Merkblatt Schadensklassifizierung [6] mit der Schadensklasse 4 zu bewerten sind. Vergleichbar mit den T-Schäden liegt der Anteil der G-Schäden mit einer niedrigen Schadensklasse (Schadensklassen 1 und 2) bei ca. siebzig Prozent. 5.2 Objektebene Tabelle 3 zeigt am Beispiel von realen, aber anonymisierten Schiffsschleusenanlagen an einer Bundeswasserstraße eine Gegenüberstellung der bisherigen Teilnoten für die Konstruktion mit den neu entwickelten anforderungsspezifischen D-, T-, G-Teilnoten der Konstruktion. Es lassen sich Bauwerke identifizieren, deren Schäden an der Konstruktion eher auf eine Dauerhaftigkeitsproblematik (z. B. Anlage 1 und 2) oder eher auf eine Tragfähigkeitsproblematik (z. B. Anlage 4, 6, 7 und 8) hindeuten. Die Gebrauchstauglichkeit der Konstruktion der aufgeführten Bauwerke scheint dem gegenüber im geringeren oder gleichen Maße (z. B. Anlage 9) beeinträchtigt zu sein. Tabelle 3: Benotung der Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen an einer Bundeswasserstraße, D = Dauerhaftigkeit, T = Tragfähigkeit, G = Gebrauchstauglichkeit (Stand 07.2020) Schiffsschleusenanlage Teilnote D-Teilnote T-Teilnote G-Teilnote Anlage 1 4,0 4,0 3,2 2,1 Anlage 2 3,2 3,2 2,1 - Anlage 3 2,2 2,0 2,1 1,0 Anlage 4 3,0 2,2 2,9 - Anlage 5 3,2 3,2 3,1 1,0 Anlage 6 3,2 2,2 3,2 - Anlage 7 3,2 - 3,1 - Anlage 8 3,2 2,2 3,2 1,8 Anlage 9 2,2 2,2 2,2 1,8 Anlage 10 3,0 3,0 3,0 - Anlage 11 3,2 3,2 3,2 - Anlage 12 3,0 2,2 2,9 - Abbildung 4: Verteilung der anforderungsspezifischen Teilnoten von Schiffsschleusenanlagen an Bundeswasserstraßen mit jeweiliger maximaler Anforderung, D = Dauerhaftigkeit, G = Gebrauchstauglichkeit, T = Tragfähigkeit (Stand 07.2020) Abbildung 4 zeigt hingegen eine Auswertung über die anforderungsspezifischen Konstruktionsnoten von Schiffsschleusenanlagen an Bundeswasserstraßen. Ausschlaggebend für die dargestellte Gruppierung ist, welche Anforderung (Dauerhaftigkeit, Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit) die schlechteste Note generiert. Entsprechend des Notenalgorithmuses bedeutet dieser Umstand, dass der schlechteste Schaden an der Konstruktion, die entsprechende Anforderung einschränkt. Demnach ergibt sich die Teilnote für die Konstruktion bei ca. 70 Prozent der Schiffsschleusenanlagen aus mindestens einem tragfähigkeitsrelevanten Schaden (T, D+T, T+G, D+T+G). Bei 15 Prozent der Konstruktionen geht der Zustand hingegen auf mindestens einen dauerhaftigkeitsrelevanten Schaden und bei 9 Prozent auf mindestens einen gebrauchstauglichkeitsrelevanten Schaden zurück. Eine derartige Gruppierung der Bauwerke könnte zusätzlich zur Höhe der Noten zur Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen herangezogen werden. 382 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken 6. Fazit Im vorliegenden Beitrag wurde untersucht, inwieweit sich die Daten aus WSVPruf für die Klassifizierung von Schäden nach ihren Auswirkungen und als Ergebnis zur Erstellung von anforderungsspezifischen Teilbzw. Zustandsnoten eignen. Dahinter stand das Ziel, ein genaueres Bild über den Zustand des Bauwerksbestandes zu liefern, womit die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes in dem Vorhaben einer effizienten und nachvollziehbaren Mittelverteilung unterstützt werden kann. Im Ergebnis gelingt in etwa 90 Prozent der Fälle eine aussagekräftige Klassifizierung der Schäden in die Kategorien Dauerhaftigkeit, Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit, womit ebenfalls eine Analyse hinsichtlich Schadensschwerpunkten durchführbar ist. Nachteilig ist die erschwerte Erkennung von gebrauchstauglichkeitsrelevanten Schäden, welches zukünftig durch die geplante Einführung einheitlicher Objektteilgliederungen verbessert werden könnte. Weiterhin ist zu beachten, dass die automatisierte Zuordnung stets durch eine sachkundige Person zu plausibilisieren ist. Zur praktischen Verwendung der Vorgehensweise sollte zudem festgelegt werden, welche Priorität den Anforderungen Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit einzuräumen ist, eine Frage, die vom Infrastrukturbetreiber entsprechend seinen Sicherheitsanforderungen festgelegt werden kann. Als nächster Schritt ist vorgesehen, die anforderungsspezifischen Zustandsnoten mit weiteren Kennzahlen, die sich für eine netzweite Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen eignen, zu verknüpfen. Hierunter fällt die Robustheit der Bauwerke, die sich aus der Verbindung ihrer statischen Auslastung und ihrer Konstruktionsmerkmale ergibt [18]. Weiterhin fällt darunter die Bewertung der möglichen Folgen bei Bauwerksversagen bzw. -ausfall auf Objekt- und Netzebene. Sie können von einer Funktionsbeeinträchtigung einzelner Bauwerke, über wirtschaftliche Schäden bis hin zur Gefährdung von Personen reichen und lassen sich beispielsweise mit einer Risikobetrachtung abbilden [19]. Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hg.) (2020): Investitionsrahmenplan 2019 - 2023 für die Verkehrsinfrastruktur des Bundes (IRP). [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hg.) (2015): Verkehrsinfrastrukturbericht. [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hg.) (2016): Bundesverkehrswegeplan 2030. [4] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hg.) (2019): Masterplan Binnenschifffahrt. [5] Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) (Hg.) (2009): VV-WSV 2101 Bauwerksinspektion. Verwaltungsvorschrift der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (VV-WSV). [6] Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) (Hg.) (2018): BAWMerkblatt Schadensklassifizierung an Verkehrswasserbauwerken (MSV) Ausgabe 2018. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. [7] Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) (Hg.) (2010): BAWMerkblatt Bauwerksinspektion (MBI). Ausgabe 2010. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. [8] Kühni, Katrin (2010): Ein Erhaltungsmanagementsystem für Verkehrswasserbauwerke. Deutsche Beiträge. 32. Internationaler Schifffahrtskongreß; Liverpool, Großbritannien, 10. - 14. Mai 2010, 68-72. [9] DIN. Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung EN 1990: 2002 + A1: 2005 + A1: 2005/ AC: 2010. Beuth Verlag GmbH, Berlin, DIN EN 1990: 2010-12. [10] Bowles, John, B. (1998): Fundamentals of failure modes and effects analysis, University of South Carolina. [11] Weber, Silvia (2013): Betoninstandsetzung. Baustoff - Schadensfeststellung - Instandsetzung. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden. [12] Zilch, Konrad; Zehetmaier, Gerhard (2010): Bemessung im konstruktiven Betonbau. Nach DIN 1045-1 (Fassung 2008) und EN 1992-1-1 (Eurocode 2). Springer-Verlag Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg. [13] Maisner, Matthias (2016): Ertüchtigung der Bewegungsfugen von Massivbauwerken im Verkehrswasserbau. FuE-Abschlussbericht B3951.03.04.70006. [14] Akiyama, Mitsuyoshi; Soliman, Mohamed; Biondini, Fabio; Frangopol, Dan M. (2019): Structural Deterioration Mechanisms. American Society of Civil Engineers. [15] Jacobs, Frank; Winkler, Kurt; Hunkeler, Fritz; Volkart, Peter (2001): Betonabrasion im Wasserbau. Grundlagen - Feldversuche - Empfehlungen, Zürich. [16] Stark, Jochen; Wicht, Bernd (2013): Dauerhaftigkeit von Beton. Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg. [17] Roos, Frank (2009): Die Beurteilung von Rissen im Stahlbetonbau. Beton-Informationen, 2, 31-42. [18] Akkermann, Jan; Weiler, Simon; Bödefeld, Jörg; Meier, Jochen (2018): Die Bauwerksrobustheit im Kontext eines risikobasierten Erhaltungsmanagements. Beton- und Stahlbetonbau 113, 10, 716- 726. [19] Wehrle, Rebecca; Wiens, Marcus; Schultmann, Frank; Akkermann, Jan; Bödefeld, Jörg (2020): Ebenensystem zur Resilienzbewertung kritischer Verkehrsinfrastrukturen am Beispiel der Wasserstraßen. Bautechnik 97, 6, 395-403. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 383 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Dominik Waleczko, M.Sc. Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB), Karlsruhe, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Shervin Haghsheno Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB), Karlsruhe, Deutschland Dipl.-Ing. Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung Die für Betrieb und Unterhaltung der Bundeswasserstraßen zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) betreibt aktuell etwa 260 Einkammerschleusen. Für die Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen an derartigen Anlagen müssen diese nach heutigem Stand vollständig gesperrt werden. Dies bedingt teilweise erhebliche Beeinträchtigungen der Schifffahrt, da eine Umleitung in vielen Fällen nicht möglich ist. Oft wird ein technisch und wirtschaftlich aufwendiger Ersatzneubau realisiert, da Verfahren zur Instandsetzung unter Betrieb, trotz der Durchführung von Probemaßnahmen und der Erarbeitung von theoretischen Konzepten, nicht hinreichend ausgearbeitet sind. In diesem Beitrag wird ein Entscheidungsunterstützungssystem (EUS) vorgestellt, welches dem Anwender hilft, ein Instandsetzungsverfahren auszuwählen. Das EUS ist so aufgebaut, dass es auch zur Lösung anderer Entscheidungsprobleme im Bauwesen verwendet werden kann. Um dies aufzuzeigen, werden Grundzüge der Entscheidungstheorie sowie die Entscheidungsphilosophie Choosing by Advantages (CBA) kurz vorgestellt. 1. Einleitung Die aufgrund von Instandsetzungsarbeiten längerfristige Sperrung einer Einkammerschleuse, führt zu einem großen volkswirtschaftlichen Schaden. Da für die herkömmliche Grundinstandsetzung einer Schleusen-kammer erfahrungsgemäß zwei Jahre angesetzt werden müssen, ist es die Aufgabe der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) über Alternativen nachzudenken, da sie für den Betrieb und die Unterhaltung der Schleusenanlagen an deutschen Bundeswasserstraßen verantwortlich ist. Aus diesem Grund wurde in der Vergangenheit die Bausubstanz oftmals nur notdürftig instandgesetzt oder ein Ersatzneubau realisiert. Die Möglichkeiten eines Ersatzneubaus sind jedoch beschränkt, da dieser nur bei bestimmten räumlichen Randbedingungen realisiert werden kann. Um auch in Zukunft Alternativen zur Verfügung zu haben, hat die WSV in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) das Projekt Instandsetzung unter Betrieb (IuB) ins Leben gerufen. Die WSV wird dabei durch das Wasserstraßen-Neubauamt Heidelberg (WNA Heidelberg) vertreten. Dieser Beitrag baut unmittelbar auf einen Beitrag [1] im 6. Kolloquium „Erhaltung von Bauwerken“ der TAE auf. Zur besseren Verständlichkeit wird dennoch auf notwendige Grundlagen kurz eingegangen. Außerdem knüpft dieser an den diesjährigen Beitrag „Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens“ [2] an. Dieser Beitrag geht vertieft auf die Fragestellung ein, wie ein passendes Instandsetzungsverfahren für eine konkrete Instandsetzungsaufgabe ausgewählt werden kann. Hierzu werden in Kapitel 2 die Heraus-forderungen bei einer Instandsetzung unter Betrieb beschrieben. Dazu wird kurz auf die Problemstellungen eingegangen, die im Rahmen der Instandsetzung unter Betrieb beachtet und gelöst werden müssen. Darauf aufbauend werden die Entscheidungsfaktoren vor-gestellt, die bei der Auswahl eines Instandsetzungs-verfahrens für das Projekt IuB berücksichtigt werden müssen. In Kapitel 3 werden die Grundzüge der Entscheidungstheorie beschrieben. Neben Definitionen wird gezielt auf verhaltensökonomische Phänomene der Entscheidungstheorie eingegangen, da diese das Handeln eines Menschen unmittelbar bei 384 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb dessen Entscheidungen beeinflussen. Darauf aufbauend wird das Grundmodell der Entscheidungstheorie vorgestellt. Abschließend wird in diesem Kapitel beschrieben, wie rationale Entscheidungen auf der Basis der Entscheidungsphilosophie Choosing by Advantages (CBA) getroffen werden können. Kapitel 4 befasst sich mit der Entwicklung eines Entscheidungsunter-stützungssystems (EUS) für das Projekt IuB. Es besteht jedoch der Anspruch, dass der darin enthaltene Entscheidungsprozess in jeglichen Entscheidungs-problemen des Bauwesens anwendbar ist. Zunächst werden die verschiedenen Entscheidungsverfahren miteinander verglichen, bevor ein allgemeingültiger Entscheidungsprozess beschrieben wird. Dieser Entscheidungsprozess wird im Anschluss daran aufgegriffen und die konkrete Umsetzung in einem EUS-Tool beschrieben. Außerdem wird ein Seminar vorgestellt, durch welches den Teilnehmern die Anwendung des Entscheidungsprozesses verdeutlicht werden soll. Abschließend wird ein Ausblick gewagt. 2. Herausforderungen bei der Instandsetzung von Schleusen unter Betrieb 2.1 Probleme bei der Instandsetzung unter Betrieb In [2] wurde bereits genauer auf die Problemstellungen eingegangen, die bei der Instandsetzung unter Betrieb zu beachten sind. Dabei liegt der Fokus jedoch auf den Herausforderungen und Problemen, die bei der Planung und Umsetzung solcher Maßnahmen beachtet werden müssen. An dieser Stelle sollen gezielt Problem-stellungen betrachtet werden, die sich mit Entscheidungen rund um Instandsetzungen von Schleusen befassen. Zuallererst muss angemerkt werden, dass bereits die Entscheidung für eine Instandsetzung unter Betrieb eine Herausforderung darstellt. Von einer Instandsetzung unter Betrieb wird im Rahmen des Projekts dann gesprochen, wenn Instandsetzungsbzw. Ersatz-maßnahmen am Massivbau oder dem Stahlwasserbau, innerhalb eng bemessener Zeitfenster, bei grund-sätzlicher Aufrechterhaltung der Funktion und mit dem Ziel einer langfristigen Weiternutzung der Schleuse erfolgen. Vorzugsweise sollen die Instandsetzungs-arbeiten in arbeitstäglichen Sperrpausen erfolgen. Außerhalb dieser arbeitstäglichen Sperrpausen soll die Schleusenanlage für die Schifffahrt verfügbar sein. Es besteht das Risiko, dass zum Abschluss der arbeitstäglichen Sperrpause das Baufeld noch nicht geräumt und damit die Schleusenkammer nicht für die Schifffahrt freigegeben werden kann. Um die Betriebssicherheit auf jeden Fall gewährleisten zu können, wurde bei vergangenen Projekten von einer Instandsetzung unter Betrieb abgesehen. Dies kann anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht werden. 2001 wurden von der BAW in Zusammenarbeit mit Universitäten und Baufirmen erste Überlegungen angestellt, wie die Kammerwände der Schleuse Obernau unter Betrieb instandgesetzt werden können. Da zum Zeitpunkt der Entscheidung noch keine Erfahrungen gesammelt werden konnten und zusätzlich noch keine Komplettlösung vorhanden war, wurde das Vorzugs-konzept nicht realisiert. Stattdessen wurde 2004 ein Ersatzneubau beschlossen. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll die neue Staustufe 2033 in Betrieb genommen werden [3]. Aufgrund der fehlenden Erfahrungen wurde sich auch in den Folgejahren immer wieder gegen eine Instandsetzung unter Betrieb entschieden. Bis zum heutigen Tag konnten einzelne Probe- oder Teilmaßnahmen erfolgreich realisiert werden. Allerdings blieb eine vollständige Instandsetzung bisher aus. Somit liegt eine der Herausforderungen darin, den Entscheidern die Informationen möglichst anschaulich darzulegen. Aus diesem Grund wird der in [2] beschriebene Modulbaukasten entwickelt. Dieser gilt als Informationssystem und ermöglicht es Anwendern sich einen Überblick über die Sachlage zu verschaffen. Dies reicht in den meisten Fällen jedoch nicht aus, um eine Entscheidung treffen zu können, weswegen in dem geplanten EUS die Informationen entsprechend auf-bereitet und in Bezug zueinander gesetzt werden sollen. Unmittelbar damit geht einher, dass ausschließlich theoretische Konzepte nicht ausreichen, um die WSV von der Anwendung einer Instandsetzung unter Betrieb zu überzeugen. Demnach sollen die theoretisch erarbeiteten Konzepte in Bauteilversuchen oder Pilot-projekten erprobt werden. Dadurch sollen belastbare praktische Erfahrungen gesammelt werden. Dies setzt jedoch eine gewisse Flexibilität des EUS voraus, damit neue Informationen und Erfahrungen laufend ergänzt werden können. Eine weitere Herausforderung, die aufgrund des Bauens im Bestand berücksichtigt werden muss, ist, dass viele verschiedene Bauteile vorhanden sind, die unterschiedliche Instandsetzungsverfahren erfordern. Daher muss das EUS so flexibel ausgelegt sein, dass verschiedenste Instandsetzungsverfahren miteinander verglichen und verschiedenste Entscheidungsprobleme gelöst werden können. In einer ersten Version des Modulbaukastens sind Alternativen zu folgenden Elementen enthalten: • Partielle Trockenlegung • Abtrag • Reprofilierung • Lokale Instandsetzung • Fugen • Schleusenausrüstung • NEM-Technik • Stahlwasserbau • Ausbau Schleusenkammer • Vergabe Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass neben den technischen Fragestellungen auch andere Themen-gebiete von Bedeutung sein können. Das hier konkret aufgeführte Beispiel ist die Auswahl eines Vergabeverfahrens. Hierbei müssen andere Randbedingungen beachtet werden als bei einer Schleusentorinstandsetzung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 385 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Eine weitere Herausforderung stellt der Entscheidungsprozess der betrachteten Organisationseinheit bzw. Unternehmens dar. Dementsprechend wurden in [1] die Entscheidungsprozesse der WSV genauer betrachtet. Die WSV ist in einer Linienstruktur organisiert, innerhalb der das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Spitze der Orga-nisation bildet. Direkt untergeordnet ist die General-direktion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS). Seit 2013 werden die früher regional wahrgenommenen Aufgaben und Kompetenzen der WSV im Binnen- und Küstenbereich in der GDWS zusammengeführt. Regionale Belange sind weiterhin den Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern (WSÄ) sowie den Wasser-straßenneubauämtern zugeordnet. Zu den regionalen Belangen gehört auch die Instandsetzung von Schleu-senanlagen. Sobald wichtige Entscheidungen innerhalb eines Projekts getroffen werden müssen, ist ein Bericht an die zuständige übergeordnete Stelle erforderlich. Die Zuständigkeiten können der Verwaltungsvorschrift der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (VV-WSV) entnommen werden. [4] [5] Solche Abhängigkeiten und Vorgaben müssen bei der Entwicklung des EUS berücksichtigt werden. 2.2 Entscheidungsfaktoren für die Instandsetzung unter Betrieb Bevor auf die ermittelten Entscheidungsfaktoren eingegangen wird, müssen zunächst einige Begriffe definiert werden. Zunächst soll der Unterschied zwischen Entscheidungsfaktor und Entscheidungs-kriterium erläutert werden. Hierzu wird auf die Definitionen von Suhr [6] zurückgegriffen. Bei einem Faktor handelt es sich um ein Element oder den Bestandteil einer Entscheidung. Dieses Element oder der Bestandteil dient sinngemäß als Behälter für Kriterien, Eigenschaften, Vorteile sowie andere Formen von Informationen. Ein Kriterium wiederum ist eine Entscheidungsregel oder Richtlinie. Damit stellt das Kriterium in der Regel einen Standard dar, auf dem eine Beurteilung basiert. In besonderen Fällen ist ein Kriterium eine Entscheidung, die den weiteren Entscheidungsprozess lenkt. Um diese beiden Begriffe zu veranschaulichen, soll an dieser Stelle ein Beispiel angeführt werden. Beim Kauf einer Baumaschine könnte das Gesamtgewicht ein zu berücksichtigender Faktor sein. Das entsprechende Kriterium könnte demnach lauten, je leichter die Maschine ist desto besser. Anhand dieser Regel könnten nun verschiedene Alternativen miteinander verglichen werden. Darüber hinaus kann noch in Muss- und Kann-Kriterien unterschieden werden [6]. Die Einhaltung eines Muss- Kriteriums ist Voraussetzung dafür, dass eine Alternative im weiteren Verlauf der Entscheidungs-findung berücksichtigt wird. Somit stellt dieses eine Art KO-Kriterium dar, welches von den Alternativen eingehalten werden muss. Zur Veranschaulichung kann das eben verwendete Beispiel verwendet werden. Das Kriterium je leichter die Maschine ist desto besser stellt demnach ein Kann-Kriterium dar. Dieses kann durch das Muss-Kriterium ergänzt werden, dass das Gesamt-gewicht der Baumaschine maximal 5 t betragen darf. Auf der Grundlage dieser Definitionen kann ermittelt werden, welche Faktoren und Kriterien berücksichtigt werden sollten, wenn für die Instandsetzung unter Betrieb ein Instandsetzungsverfahren ausgewählt wird. Um diese Informationen ermitteln zu können, wurden zwei Ansätze verfolgt [1]. Zum einen wurden während der Vorplanung des Pilotprojekts Grundinstandsetzung und Verlängerung der Schleuse Schwabenheim [7] Entscheidungsfaktoren und -kriterien entwickelt, um zwischen verschiedenen Instandsetzungsverfahren eine Vorzugsalternative auszuwählen. Zum anderen wurde eine Umfrage unter den WSÄ durchgeführt, die für den Betrieb von Einkammerschleusen verantwortlich sind. Da die Erfahrungen des Pilotprojekts nicht zwingend mit den Routinen übereinstimmen, wurde diese zusätzliche Befragung im Januar 2016 durchgeführt. Auf die genauen Umfrageergebnisse soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Diese können in [1] eingesehen werden. Stattdessen soll an dieser Stelle näher darauf eingegangen werden, welche Faktoren und Kriterien für das EUS ausgewählt worden sind, nachdem die Ergebnisse der beiden Ansätze vorlagen. Zunächst sollen die Muss-Kriterien betrachtet werden, die eingehalten werden sollen, damit eine Alternative überhaupt infrage kommt. Die genaue Festlegung der Muss-Kriterien sowie deren konkrete Auslegungen hängen unmittelbar von der Instandsetzungsaufgabe, von den Befindlichkeiten des Entscheiders sowie den vor Ort vorherrschenden Randbedingungen ab. Außer-dem kann je nach Planungs- und Informationsstand nicht immer klar gesagt werden, ob ein Muss-Kriterium eingehalten werden kann oder nicht. Um die Erstellung von Muss- Kriterien für die Instandsetzung unter Betrieb dennoch veranschaulichen zu können, wurden Muss-Kriterien für die Instandsetzungsaufgabe Reprofilierung entwickelt. Diese Muss-Kriterien müssen vom Entscheider selbst festgelegt werden. Dazu muss der Entscheider die folgenden 10 Leitfragen beantworten: I. Welche Sperrpausen sind realisierbar? II. Welche Bereiche des Bauteils sind betroffen? III. Kann Lichtraumprofil für Betriebsphasen in der Breite eingeschränkt werden? IV. Ist Bewehrung im betroffenen Bereich vorhanden? V. Ist Unversehrtheit der Bewehrung für die Statik entscheidend? VI. Kann die vorhandene Bewehrung weiter genutzt werden? VII. Welche Altbetonklasse ist vorhanden? VIII. Ist lokaler Betonabtrag statisch unbedenklich? IX. Bis zu welcher Tiefe ist ein flächiger Abtrag unbedenklich? X. Welchen Einfluss hat der Denkmalschutz auf die zu planende Instandsetzungsaufgabe? 386 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Durch die Antworten auf diese Fragen, kann überprüft werden, ob die Reprofilierungsverfahren für das Projekt prinzipiell geeignet sind oder nicht. Sofern mehrere Verfahren geeignet sind, müssen diese anhand Entscheidungskriterien miteinander verglichen werden. Hierzu wurden Entscheidungsfaktoren und -kriterien entwickelt, die in Tabelle 1 zusammengefasst sind. Tab. 1: Entscheidungsfaktoren und Entscheidungskriterien Entscheidungsfaktor Entscheidungskriterium Beeinträchtigung Umwelt Beeinträchtigungen/ Auswirkungen auf Personen Je geringfügiger die Beeinträchtigungen/ Auswirkungen, desto besser Beeinträchtigungen/ Auswirkungen auf die Umwelt Je geringfügiger die Beeinträchtigungen/ Auswirkungen, desto besser Beeinträchtigung und Auswirkungen auf die Schifffahrt Risiko arbeitstägliche Arbeitszeitüberschreitung Je geringer das Risiko der arbeitstäglichen Arbeitszeitüberschreitung, desto besser Einschränkungen Schleusenvorgang selbst Je geringfügiger die Einschränkungen des Schleusenvorgangs, desto besser Bauzeit Gesamtbauzeit Je kürzer die Gesamtbauzeit, desto besser Risiko Verlängerung Gesamtbauzeit Je geringer das Risiko einer Verlängerung der Gesamtbauzeit, desto besser Wirtschaftlichkeit Gesamtkosten Maßnahme Je geringer die Gesamtkosten des Projekts, desto besser Kosten-Nutzen-Relation Je besser die Kosten-Nutzen-Relation desto, besser Nachtragsrisiko Je geringer das Nachtragsrisiko, desto besser Lebensdauer nach Durchführung der Maßnahme Gesamte Lebensdauer Je höher die gesamte Lebensdauer, desto besser Instandhaltungsaufwand nach Maßnahme Je geringer der Instandhaltungsaufwand nach der Maßnahme, desto besser Anfälligkeit Anlage für Folgeschäden Je geringer die Anfälligkeit der Anlage auf Folgeschäden, desto besser Bauausführung Komplexität der Maßnahme Je geringer die Komplexität der Maßnahme, desto besser Einhaltung Qualitätssicherheitsansprüche Je geringer der Aufwand zur Einhaltung der Qualitätssicherheitsansprüche, desto besser Positive Erfahrungen vergangene Maßnahmen Je mehr positive Erfahrungen beim Umgang mit einem Verfahren vorhanden sind, desto besser Einsatz von Standardmethoden Der Einsatz von Standardmethoden ist Sonderlösungen vorzuziehen Anfälligkeit für Baumängel Je geringer die Anfälligkeit für Baumängel, desto besser 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 387 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Anforderungen an die Maßhaltigkeit der Arbeitsabläufe Je geringer die Anforderungen an die Maßhaltigkeit, desto besser Randbedingungen im Amt selbst/ Aufwand Planung Aufwand Bauüberwachung Je geringer der Aufwand für die Bauüberwachung, desto besser Personalkapazität des Amts Je weniger Personalkapazität notwendig ist, desto besser Die in Tabelle 1 angegebenen Entscheidungsfaktoren wurden Kategorien zugeordnet. Diese Kategorien dienen dem Anwender als Orientierung, damit sich dieser schneller zurechtfindet. Die Kategorien orientieren sich an der Entscheidungsmatrix, die im Rahmen des Pilotprojekts Grundinstandsetzung und Verlängerung Schleuse Schwabenheim verwendet wurde. Diese Kategorien wurden in der Umfrage ebenfalls mit abgefragt. Die Kategorien und Faktoren wurden durch die Umfrageergebnisse bestätigt. 3. Grundzüge der Entscheidungstheorie 3.1 Verhaltensökonomische Phänomene in der Entscheidungstheorie Eine Entscheidung wird als Wahlproblem definiert, wobei das Ergebnis unmittelbare Folgen für den oder die Entscheidungsträger hat. Gemäß der Entscheidungs-theorie wird dieser Ansatz noch einmal präzisiert. Demnach stellt eine Entscheidung eine mehr oder minder bewusste Auswahl einer Handlungsalternative dar. [8] Zusätzlich kann noch ergänzt werden, dass die Wahl einer Handlungsalternative auf der Basis der Realisierung eines Ziels getroffen wird [9]. Somit hat der Entscheider eine Vorstellung davon, was durch die Entscheidung erreicht werden soll. Die Probleme der Entscheidungsfindung werden durch zwei unterschiedliche Forschungsansätze betrachtet. Die Fachliteratur unterscheidet in deskriptive und präskriptive Theorien. Das Ziel der deskriptiven Entscheidungstheorie ist es, empirisch gehaltvolle Hypothesen über das Entscheidungsverhalten von Individuen und Gruppen aufzustellen. Ausgehend von der Ausgangssituation sollen Ergebnisse des Entscheidungsprozesses prognostiziert werden können. Demnach wird untersucht, wie Entscheidungen tatsächlich getroffen werden. Dem gegenüber steht die präskriptive Entscheidungstheorie, in welcher Entschei-dungsregeln gebildet werden, die bei der rationalen Entscheidungsfindung unterstützen sollen. Somit können Verhaltensempfehlungen erarbeitet werden, die in Aussagesystemen dargestellt sind. Die präskriptive Theorie wird vereinzelt auch als normative Entscheidungstheorie bezeichnet. In dieser Veröffent-lichung wird ausschließlich die Bezeichnung präskriptive Theorie genutzt. [8] [9] Die Entwicklung eines EUS wird demnach der präskriptiven Entscheidungstheorie zugeordnet, da in einem EUS Entscheidungsregeln hinterlegt sind, welche den Anwender beim Entscheidungsprozess unterstützen. Jedoch wäre es fahrlässig Erkenntnisse der deskriptiven Entscheidungstheorie bei der Entwicklung zu vernachlässigen. Aus diesem Grund wurden die verhaltensökonomischen Phänomene der Entschei-dungstheorie näher untersucht. In Studien wurde nachgewiesen, dass beim intuitiven Entscheiden systematisch Fehler auftreten. Diese Fehler werden als verhaltensökonomische Phänomene bezeichnet. In der Forschung wird versucht diese Phänomene mithilfe von hypothetischen Problemstellungen nachzuweisen. Folgend ist eine Auswahl an verhaltensökonomischen Phänomenen der Entscheidungstheorie aufgelistet [10] [11]: • Sicherheitseffekt (certainty effect) • Verlustaversion (reflection effect) • Probabilistic Insurance • Isolation Effect • Framing • Verankerungseffekt (Anchoring) • Status-quo-Bias • Besitztumseffekt (endowment effect) In den folgenden Ausführungen werden exemplarisch die Phänomene Framing sowie der Verankerungseffekt aufgegriffen. Bei Framing handelt es sich um ein Phänomen, bei welchem unterschiedlich formulierte, aber inhaltsgleiche Alternativen die Entscheidung beeinflussen können. Framing kann in den drei folgenden Arten vorkommen [10]: • Attributives Framing • Handlungsframing • Framing bei riskanten Entscheidungen Da unterschiedliche Formulierungen keinen Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben sollten, sind Framingeffekte im Rahmen einer wichtigen Entscheidungs-findung unbedingt zu vermeiden. Dass Framingeffekte eine Wirkung auf Personen haben können, die im Bauwesen beschäftigt sind, konnte über in [12] beschriebene empirische Studien bereits gezeigt werden. Es wurden drei Szenarien entworfen, in denen die drei Framingarten über Fragen integriert wurden. Um Probanden zu errei- 388 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb chen wurden via E-Mail 257 Ingenieurbüros und Bauunternehmen angeschrieben. Der versendete Fragebogen wurde insgesamt 41 Mal vollständig ausgefüllt. Circa 51 % der Probanden waren in Bauunternehmen und ca. 32 % in Ingenieurbüros tätig. Die verbleibenden 17 % teilten sich u. a. auf Totalübernehmer und Bauträger auf. Die angegebenen Geschäftsfelder der Probanden erstreckten sich vom Management über die Bauleitung bis hin zur Tragwerksplanung. Der Beschäftigungsbereich Instandsetzung wurde ebenfalls angegeben. Die Probanden arbeiteten zu 46 % bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und zu 27 % bei Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern. Anhand der Auswertung konnte bestätigt werden, dass die erwarteten systematischen Fehler, die durch das Framing erzwungen werden sollten, teilweise aufgetreten sind. Vor allem beim attributiven Framing konnte eine eindeutige Abweichung im Entscheidungs-verhalten festgestellt werden. Demnach konnte nach-gewiesen werden, dass die Formulierung von Alternativen und Kriterien einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat. Es konnte z. B. aufgezeigt werden, dass die positive Beschreibung eines Attributs im Mittel positiver bewertet wird als die inhaltsgleiche negative Beschreibung dieses Attributs. Die Eigenschaft des Menschen die Attraktivität von Wetten ausgehend von einem Referenzpunkt zu bewerten wird als Verankerungseffekt bzw. Anchoring bezeichnet. Dieses Phänomen beschränkt sich nicht ausschließlich auf die Beurteilung von Wetten, sondern ist auch bei der Beurteilung von Alternativen zu beobachten. Sobald Gewichtungen zwischen Eigen-schaften, Kriterien oder anderen Informationen festgelegt werden sollen, ist eine Wirkung des Verankerungseffekts möglich. [10] Um die Wirksamkeit des Verankerungseffekts zu untersuchen, wurde eine weitere empirische Studie in Form eines schriftlichen Fragebogens durchgeführt [12]. Über den Anfangsbuchstaben des Nachnamens wurden die Probanden in zwei Personengruppen aufgeteilt. Zunächst wurden die Probanden darum gebeten, verschiedene Kriterien nach ihrer Wichtigkeit zu bewerten und in eine Rangfolge zu bringen. Personengruppe A erhielt eine Auflistung mit möglichst spezifischen Kriterien, die eine verbale Wertung enthielten. Bei Personengruppe B wurde von einer Spezifizierung sowie einer verbalen Bewertung abgesehen. Anschließend sollte ausgehend vom wichtigsten Kriterium die Wichtigkeit der anderen Kriterien prozentual abgeschätzt werden. Personen-gruppe A erhielt zusätzlich die Information, dass ein Gebäude nach Passivhausstandard gebaut werden soll, weswegen das Kriterium nachhaltiger Materialeinsatz als wichtigstes Kriterium feststeht und deshalb mit der Wertung 100 belegt ist. Beispielhaft wurde ergänzt, dass ein gleichwertiges Kriterium, welches annähernd genauso wichtig ist, mit einem Wert von z. B. 97 belegt werden kann. Auf dem Fragebogen für Personengruppe B wurde kein Kriterium vorgegeben. Es wurde ausschließlich darauf hingewiesen, dass das wichtigste Kriterium mit 100 bewertet werden soll. Die spezifischere Aufgabenstellung sowie der vorgegebene Anker halfen Personengruppe A eine klarere Abstufung zwischen den einzelnen Kriterien vorzunehmen. Es wurde das gesamte Punktespektrum bei der Bewertung verwendet. Dem gegenüber stand Personengruppe B, dessen Probanden häufig alle Kriterien im Bereich zwischen 80 und 100 Punkten anordneten oder bei mehreren Kriterien die gleiche Wertung vergaben. 3.2 Grundmodell der Entscheidungstheorie In Modellen werden Tatbestände der Realität vereinfacht abgebildet. Innerhalb eines Modells werden Elemente sowie deren Eigenschaften zuzüglich der Relationen zwischen den Elementen dargestellt. Um ein Modell als wirksam bezeichnen zu können, besteht trotz aller Vereinfachungen die Forderung nach Struktur-gleichheit bzw. Strukturähnlichkeit zum Realsystem. Dadurch soll vom Modell auf die Realität geschlossen werden können. Da das Realsystem in der Regel sehr komplex ist, sind vereinfachte Darstellungen notwendig, um relevante Elemente und Relationen gedanklich zu durchdringen. [13] Bei der Erstellung von Modellen kann auf zwei Forschungsansätze zurückgegriffen werden. Bei induktiven Ansätzen wird versucht auf der Basis einer endlichen Anzahl an Beobachtungen vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen. Wohingegen bei deduktiven Ansätzen vom Allgemeinen auf das Besondere geschlossen wird. [14] Gemäß [8] wurden Entscheidungsmodelle durch Ansätze der deduktiven Forschung erarbeitet. In allgemeinen Entscheidungs-modellen werden ausgewählte Typen von Entschei-dungssituationen bzw. -problemen dargestellt und Lösungsverfahren zugeordnet, wohingegen konkrete Entscheidungsmodelle sich ausschließlich auf spezifische Entscheidungssituationen beziehen. Die jeweiligen Modellparameter sind an die konkrete Entscheidungssituation angepasst. Um ein konkretes Entscheidungsmodell entwickeln zu können, muss ein allgemeines Entscheidungsmodell ausgewählt und anschließend adaptiert werden. In Abbildung 1 ist eine Ausführung des Grundmodells der Entscheidungstheorie dargestellt. Dieses besteht aus den beiden Komponenten Entscheidungsfeld und Zielsystem. Das Entscheidungsfeld besteht wiederum aus den drei Elementen Handlungsalternativen, Ergebnisse und Umweltzustände. Das Zielsystem beinhaltet das Basiselement Entscheidungsregel und wird durch die Elemente Präferenzen und Zielgrößen ergänzt. Aus den Zielgrößen sowie den Informationen aus dem Entscheidungsfeld lässt sich die Ergebnis-matrix ableiten. Sobald die Präferenzen hinzugezogen werden, kann die Entscheidungsmatrix erstellt und auf deren Basis eine Entscheidung getroffen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 389 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Abb. 1: Grundmodell der Entscheidungstheorie [9] 3.3 Treffen von fundierten Entscheidungen mithilfe von CBA Anders als z. B. die Nutzwertanalyse (NWA) ist Choosing by Advantages (CBA) keine einzelne Methode, sondern ein ganzheitliches Entscheidungs-system. Dieses beschränkt sich nicht nur auf die Entscheidungsfindungsphase, sondern wird im gesamten Entscheidungsprozess angewendet. CBA beinhaltet eine Vielzahl an Methoden, die je nach Komplexität und Gestalt des Entscheidungsproblems zum Einsatz kommen können. Die Methoden richten sich an einheitlichen Definitionen, Prinzipien und Modellen aus. CBA besitzt ein eigenes Vokabular, welches aus den vier folgend definierten Begriffen besteht [6]: • Ein Faktor ist • ein Element/ Bestandteil einer Entscheidung. ein Behälter für Kriterien, Eigenschaften, Vorteile und andere Formen von Informationen. • Ein Kriterium ist eine Entscheidungsregel oder eine Richtlinie. ein Standard, auf dem eine Beurteilung basiert. eine Entscheidung, die den weiteren Entscheidungsprozess lenkt. • Eine Eigenschaft ist eine Charakteristik/ Konsequenz einer Alternative. • Ein Vorteil ist der Unterschied zwischen zwei Alternativen bezüglich einer Eigenschaft. Neben dem Vokabular ist die Einhaltung der Prinzipien der fundierten Entscheidungsfindung ein zentrales Element des CBA. Die sogenannten Grundprinzipien der fundierten Entscheidungsfindung sind in der Folge aufgeführt [6]: Das Grundprinzip Um beständig fundierte Entscheidungen treffen zu können, müssen Entscheidungsträger lernen, fundierte Methoden der Entscheidungsfindung einzusetzen. Die Grundregel für die fundierte Entscheidungsfindung Entscheidungen müssen auf der Bedeutung von Vorteilen beruhen. Das Anchoring-Prinzip Entscheidungen müssen mit relevanten Informationen verknüpft sein. Das Methodenprinzip Verschiedene Arten von Entscheidungsproblemen erfordern verschiedene fundierte Entscheidungs-methoden. Die Leistungsfähigkeit eines jeden Einzelnen kann zusätzlich durch die Einhaltung von drei Modellen gesteigert werden. Hierbei handelt es sich um ein Ursache-Wirkungs-Modell, ein Modell für Verallge-meinerung und Spezifizierung sowie das fundierte Entscheidungsfindungsmodell. Die beiden ersten Modelle zeigen auf, dass die Leistungsfähigkeit von Individuen und Organisationen direkt mit dem Entscheidungsfindungsprozess zusammenhängen. Das fundierte Entscheidungsfindungsmodell hat zum Ziel, den Entscheidungsfindungsprozess zu verbessern. Um diese Modelle umzusetzen und somit die Leistungs-fähigkeit steigern zu können, müssen fundierte Ent-scheidungsfindungsmethoden angewendet werden. [6] Grundsätzlich kann der CBA Entscheidungsprozess für komplexe Entscheidungen in vier wesentliche Aktivitäten zusammengefasst werden. Jedoch greifen nicht alle Methoden auf diese vier Aktivitäten zurück. In folgender Auflistung sind die vier wesentlichen Aktivitäten chronologisch aufgezählt [6]: • Eigenschaften aller Alternativen zusammenfassen • Vorteile einer jeden Alternative bestimmen • Bedeutung eines jeden Vorteils ermitteln • sofern die Kosten aller Alternativen gleich sind, wird die Alternative mit der größten Bedeutung der Vorteile ausgewählt Der ganzheitliche CBA Prozess ist in fünf Phasen gegliedert. Von den Standardmethoden ist die Tabellenmethode die einzige, bei der die vier wesentlichen Aktivitäten komplett schriftlich durchgeführt werden. Somit bildet die Tabellenmethode die Grundlage für die besonderen Methoden für komplexe und sehr komplexe Entscheidungen. Die Tabellenmethode ist besonders dafür geeignet, drei oder mehr Alternativen miteinander zu vergleichen. Der Vergleich von zwei Alternativen ist ebenfalls möglich. Je mehr Alternativen verglichen werden sollen, desto aufwendiger ist die Anwendung. Die eigentliche Anwendung der Tabellenmethode findet in der Entscheidungsphase statt. [6] 390 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb 4. Entwicklung Entscheidungsunterstützungssystem 4.1 Auswahl geeignetes Entscheidungsverfahren Aufgrund des zu betrachtenden Entscheidungsproblems kommt nur ein multikriterielles Bewertungsverfahren für das Entscheidungsunterstützungssystem (EUS) infrage. Bei diesen Verfahren erfolgt eine vollständige und problembezogene Modellierung der Präferenz-struktur des Entscheiders. Darin werden die unter-schiedlichen Ziele des Entscheiders abgebildet. Hier werden die in Deutschland gängigsten Modelle wie die Nutzwertanalyse (NWA), der Analytische Hierarchie Prozess (AHP) sowie das Formalisierte Abwägungs- und Rangordnungsverfahren (FAR) einander gegen-übergestellt. Außerdem wurde die Tabellenmethode von CBA aufgegriffen, da es im Bereich des Lean Construction in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Damit die Verfahren miteinander verglichen werden können, müssen die Anforderungen definiert werden, die für die geplante Anwendung notwendig sind. Wie bereits beschrieben, muss für die Gestaltung eines geeigneten EUS der Entscheidungsprozess der WSV berücksichtigt werden. Außerdem muss bei der Gestaltung des EUS berücksichtigt werden, dass der Modulbaukasten integriert werden soll. Die Anwender-freundlichkeit soll durch einen zweistufigen Aufbau verbessert werden. Um bewerten zu können, ob die Entscheidungsverfahren diesen Anforderungen gerecht werden, müssen diese anhand von geeigneten Faktoren und Kriterien bewertet werden. Dazu müssen die Eigenschaften der Entscheidungsverfahren bestimmt werden. Neben den anwendungsspezifischen Faktoren sind außerdem Faktoren aus bereits durchgeführten Vergleichen berücksichtigt worden. Bereits durch-geführte Vergleiche sind z. B. in [15], [16], [17] und [18] zu finden. Auf die genaue Definition der einzelnen Faktoren wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Die für den Vergleich tatsächlich ausgewählten Faktoren sind in der folgenden Auflistung alphabetisch aufgeführt: • Arbeitsaufwand/ Zeitbedarf für die Anwendung des Verfahrens • Berücksichtigung verhaltensökonomischer Phänomene • Berücksichtigung von Kosten • Erfahrung mit Verfahren • Genauigkeit • Kompatibilität für Gruppenentscheidungen • Konsistenz • Möglichkeit der Integration von KO-Kriterien für Eliminationsverfahren • Qualität der Ergebnisse • Transparenz/ Nachvollziehbarkeit • Überführung in ein digitales System Um den Vergleich zwischen den Entscheidungs-verfahren bezüglich der betrachteten Faktoren kompakt darstellen zu können, sind in Tabelle 2 die Ergebnisse qualitativ zusammengefasst. Der Faktor Möglichkeit der Integration von KO-Kriterien ist in der Tabelle nicht mehr enthalten, da alle betrachteten Verfahren dieser Anforderung genügen. Die Entscheidungsverfahren sind mit +, 0 oder - bewertet worden. Die Bewertung + wurde vorgenommen, wenn ein Verfahren in einem Faktor ausschließlich Vorteile besitzt. Die Bewertung 0 wird dann vergeben, wenn die Vorteile eingeschränkt sind oder wenn neben den Vorteilen auch nachteilige Eigenschaften identifiziert wurden. Mit einem - werden die Verfahren gekennzeichnet, wenn diese keinerlei Vorteile gegenüber den anderen Verfahren besitzen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle Verfahren in maximal zwei Faktoren keine Vorteile gegenüber anderen Verfahren aufweisen. Es ist jedoch auffällig, dass CBA in fast allen Faktoren mit einem + bewertet wurde. Nachteilig ist nur, dass in Deutschland bisher keine Erfahrungen mit dem Modell gesammelt wurden. International wurden jedoch schon einige Fallstudien und Projekte durchgeführt, in welchen wichtige Entscheidungen mithilfe von CBA getroffen wurden. Als einziges Verfahren werden in CBA die verhaltensökonomischen Phänomene der Entschei-dungstheorie aktiv berücksichtigt. Dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber den anderen Verfahren. Dadurch dass die Alternativen ausschließlich anhand derer Vorteile bewertet werden, wird eine sehr große Genauigkeit erreicht. Für die Entscheidung werden demnach ausschließlich spezifische Informationen herangezogen, weswegen es zu keinen Ungenauigkeiten kommt. Genau der gleiche Umstand ist auch dafür verantwortlich, dass die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit bei CBA höher einzustufen ist als bei den anderen Verfahren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 391 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Tab. 2: Qualitative Gegenüberstellung Entscheidungsverfahren Eigenschaft NWA AHP FAR CBA Arbeitsaufwand/ Zeitbedarf + 0 0 + Berücksichtigung verhaltensöko. Phänomene - - 0 + Berücksichtigung von Kosten 0 0 0 + Erfahrung mit Verfahren + + 0 - Genauigkeit 0 0 0 + Kompatibilität für Gruppenentscheidungen 0 0 + + Konsistenz - 0 + + Qualität der Ergebnisse + + - + Transparenz/ Nachvollziehbarkeit 0 - 0 + Überführung in ein digitales System + + 0 + 4.2 Entscheidungsprozess für das EUS Damit ein EUS aufgebaut werden kann, musste ein allgemein gültiger Entscheidungsprozess definiert werden. Dieser ist so aufgebaut, dass dieser mit möglichst geringem Aufwand an eine konkrete Anwendung angepasst werden kann. Der entwickelte Entscheidungsprozess orientiert sich am ganzheitlichen CBA Prozess nach Suhr [6] und dem Grundmodell der Entscheidungstheorie [9]. Da das EUS zweistufig ist, kann dieses Grundmodell nicht ohne Anpassungen auf den entwickelten Entscheidungsprozess übertragen werden. Das angepasste Modell ist in Abbildung 2 dargestellt. Ausgehend von dem modifizierten Grund-modell sowie dem ganzheitlichen CBA Prozess wurde ein Entscheidungsprozess aus 10 übergeordneten Arbeitsschritten entwickelt. Falls erforderlich, sind den Arbeitsschritten Teilschritte untergeordnet, um die Anwendung des Prozesses zu vereinfachen. Die Arbeitsschritte sind mit Nummern und die Teilschritte mit Buchstaben gekennzeichnet. Die Arbeitssowie Teilschritte sind in der folgenden Auflistung zusammengefasst: 1. Untersuchungsgegenstand auswählen 2. Informationen zum Untersuchungsgegenstand auf Vollständigkeit prüfen a) Prüfen, ob vorhandene Informationen korrekt sind b) Fehlende Informationen ergänzen 3. Definition und Eingrenzung des Entscheidungsproblems a) Entscheidungsproblem definieren b) Untersuchungsgegenstand spezifizieren c) Umfang Entscheidungsproblem festlegen d) Mögliche Handlungsalternativen ermitteln 4. Randbedingungen für Entscheidungsproblem festlegen a) Technische und organisatorische Randbedingungen b) Behördliche Randbedingungen (andere nicht beeinflussbare Randbedingungen) 5. Alternativen anhand von Muss-Kriterien eingrenzen 6. Entscheidungsfaktoren auswählen 7. Tabellenmethode anwenden a) Vorteile bestimmen und prüfen, ob alle Vorteile wirklich Vorteile sind b) Wichtigstem Vorteil den Wert 100 zuweisen c) Restliche Vorteile bewerten und bepunkten d) Zugeteilte Werte überprüfen 8. Gesamtbedeutung-Kosten-Diagramm erstellen 9. Rangfolge festlegen 10. Entscheidung überprüfen Abb. 2: Modifiziertes Grundmodell der Entscheidungstheorie [angelehnt an 9] 392 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb In der ersten Stufe des Entscheidungsprozesses werden mögliche Handlungsalternativen zur Lösung des Entscheidungsproblems ermittelt. Außerdem werden die Alternativen, die für das vorliegende Entscheidungs-problem ungeeignet sind, ausgeschlossen. Die verblei-benden Alternativen werden in die zweite Stufe des Entscheidungsprozesses überführt. Das Ziel der zweiten Stufe ist es, die Alternativen in eine Rangordnung zu bringen, damit eine Vorzugsalternative bestimmt werden kann. Das entwickelte EUS richtet sich inhaltlich an den Vorgaben und Ansprüchen der WSV aus. Die Arbeitssowie Teilschritte des allgemeinen Entscheidungs-prozesses sind möglichst allgemein gehalten, sodass diese ohne größere Probleme an möglichst viele Entscheidungsprobleme im Bauwesen angepasst werden können. Für das Projekt IuB wurde eine Anpassung vorgenommen, indem im Zuge des Anpassungs-prozesses die Arbeits- und Teilschritte präzisiert wurden, ohne deren Zweck und Ziel zu verändern. Die angepassten Arbeits- und Teilschritte können wie folgt zusammengefasst werden: 1. Schleusenanlage auswählen 2. Informationen auf Vollständigkeit prüfen a) Prüfen, ob Informationen korrekt sind b) Fehlende Informationen ergänzen 3. Auswahl Instandsetzungsaufgabe a) Zu bewältigende Instandsetzungsaufgabe wählen b) Betroffenes Bauteil wählen c) Ausmaß Schaden festlegen d) Mögliche Instandsetzungsverfahren ermitteln 4. Randbedingungen für Instandsetzungsmaßnahme festlegen a) Technische und organisatorische Randbedingungen b) Einfluss Denkmalschutz 5. Instandsetzungsverfahren eingrenzen 6. Entscheidungsfaktoren auswählen 7. Tabellenmethode anwenden a) Vorteile bestimmen und prüfen, ob alle Vorteile wirklich Vorteile sind b) Wichtigstem Vorteil den Wert 100 zuweisen c) Restliche Vorteile bewerten und bepunkten d) Zugeteilte Werte überprüfen 8. Gesamtbedeutung-Kosten-Diagramm erstellen 9. Rangfolge festlegen 10. Entscheidung überprüfen In den Arbeitsschritten 1. bis 5. wird gezielt auf das Bestandsbauwerk sowie die zu erledigende Instandsetzungsaufgabe eingegangen. Für diese Anwendung werden explizit Einkammerschleusen benannt, doch grundsätzlich könnten diese durch jedes beliebige Bauwerk ersetzt werden. Sollte der Entscheidungsprozess zur Auswahl eines Bauverfahrens eingesetzt werden, muss in Arbeitsschritt 1 die geplante Bauaufgabe näher beschrieben werden. In Arbeitsschritt 2 sollen die gesammelten Informationen auf deren Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft werden, bevor in Arbeits-schritt 3 näher auf die Instandsetzungsaufgabe ein-gegangen wird. Nachdem die Randbedingungen für die Instandsetzung festgelegt sind, werden die Instand-setzungserfahren zum Ende der ersten Phase einge-grenzt. Die zweite Phase des Entscheidungsprozesses kann unverändert übernommen werden, da diese dem allgemeinen CBA Prozess zur Anwendung der Tabellenmethode entspricht. Bevor das EUS erstellt werden kann ist eine sorgfältige Grundlagenermittlung erforderlich, um die Ansichten des Entscheidungsträgers nicht zu verfälschen. Der Entscheidungsträger muss die Möglichkeit besitzen eigene Impulse und Meinungen in den Entscheidungs-prozess einbringen zu können. Der Entscheidungsträger soll möglichst intuitiv zu einer fundierten Entscheidung gelangen. Jedoch gilt zu bedenken, dass je mehr Freiheitsgrade im EUS enthalten sind, desto komplexer ist dessen Anwendung. Es muss ein Weg gefunden werden, wie die Individualität des Entscheidungsträgers gewährleistet und zeitgleich eine geführte Entschei-dungsfindung vollzogen werden kann. Zeitgleich soll die Anwendung des Entscheidungsprozesses noch so intuitiv sein, dass es in der Praxis angewendet wird. 4.3 Entwicklung eines EUS-Tools Um die Einführung des EUS trotz der vielseitigen Anforderungen zu ermöglichen, wurden zwei Hilfs-mittel entwickelt. Zum einen wurde ein EUS-Tool entworfen, welches den Entscheidungsträger bei der fundierten Entscheidungsfindung unterstützt. Der Erstentwurf ist speziell auf die Auswahl eines Reprofilierungsverfahrens