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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
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2023
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Herausgegeben von Michael Raupach Bernd Schwamborn Lars Wolff 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Fachtagung zur Beurteilung, Instandsetzung und Denkmalpflege von Bauwerken Tagungshandbuch 2023 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 14. und 15. Februar 2023 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Hon.-Prof. Dr.-Ing. Bernd Schwamborn Dr.-Ing. Lars Wolff 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Beurteilung, Instandsetzung und Denkmalpflege von Bauwerken Tagungshandbuch 2023 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2023. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3556-8 (Print) ISBN 978-3-8169-8556-3 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Vorwort Die Erhaltung von Bauwerken hat bereits in vielen Bereichen eine größere Bedeutung als der Neubau. Die Individualität der Bauwerke hinsichtlich Tragkonstruktion, Bausubstanz, Bauablauf, bauliches Umfeld und Einwirkungen über die Bauteillebensdauer erlaubt hierbei keine Standardlösungen, sondern erfordert meist objektindividuelle Lösungen. Zudem sind die Aufgaben beim Bauen im Bestand vielfältig. Sie beinhalten die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung unter Berücksichtigung aktueller Regelwerke und Rechtsprechung, die Produktauswahl, die Ausführung und Qualitätssicherung sowie Aspekte des Bauwerksmanagements. Dies alles erfordert eine enge und frühzeitige Abstimmung zwischen Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Ziel der Fachtagung zum Bauen im Bestand ist der Austausch aktueller Erkenntnisse auf dem Gebiet der Erhaltung von Bauwerken. Dabei sollen sowohl die Erfahrungen bei der Planung und Umsetzung von Instandsetzungsmaßnahmen als auch der Kenntnisstand bei der Entwicklung neuer Verfahren, Materialien und Untersuchungsmethoden kommuniziert werden. Im Rahmen des 8. Kolloquiums „Erhaltung von Bauwerken“ werden etwa 60 Beiträge aus Forschung, Industrie und Praxis in parallelen Sessions zu folgenden Themenschwerpunkten präsentiert: • Abdichtung • Betoninstandsetzung • Bewehrungskorrosion • Denkmalpflege • Digitalisierung • Forschung und Entwicklung • Instandsetzung historischer Bauten • Instandsetzung historischer Mauerwerke • Kathodischer Korrosionsschutz (KKS) • Nachhaltigkeit • Prüfung am Bauwerk • Regelwerke • Schadstoffe • Verstärkung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick neue und innovative Verfahren, Methoden und Technologien für die Beurteilung, Instandsetzung und Denkmalpflege von Bauwerken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ 50009 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.1 Die Regeln der Technik und das Recht 17 Prof. Dr. jur. Gerd Motzke 1.0 Instandsetzung historischer Mauerwerke 1.1 Maßgeschneiderte Mörtel für die Instandsetzung des Aachener Doms 35 Dipl.-Ing. Bernd Winkels, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 1.2 Stadt- und Stützmauern interdisziplinär analysieren und bewerten 41 Dr.-Ing. Gabriele Patitz 1.3 Feuchteschutz und Kerzenwachs beim Bauen im Bestand 47 Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik, Thomas Emmerichs, B. Eng. 2.0 Betoninstandsetzung 2.1 Füllen von Rissen und Hohlräumen an porösen, hohlraumhaltigen (und auch wasserbelasteten) Betonen 51 Dipl.-Ing. (FH) Benjamin Reims 3.0 Forschung 3.1 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln 59 Konstantin Fache, M. Sc., Polina Voitenko, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Jörg Harnisch, Annika Kunz, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Jeanette Orlowsky, Dr.-Ing. Till Büttner, Dipl.-Ing. Armin Faulhaber 3.2 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen 69 Clarissa Glawe, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 3.3 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen 79 Dr. rer. nat. Kathrin A. Otten, M. Ed., Prof. Dr. rer. nat. Klaus Littmann 4.0 Instandsetzung historischer Bauten 4.1 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk 91 Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Jürgen H. R. Küenzlen LL. M., M. A., M. A., Dipl.-Ing. (FH) Eckehard Scheller, Dipl.-Ing. Rainer Becker, Dipl.-Ing. Thomas Kuhn 4.2 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk 105 Suzanne Schultz, M. Eng., Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik 4.3 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis 117 Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann, Dipl.-Ing. Werner Malgut 4.4 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz 127 Dr. Petra Egloffstein, Dr. Martin Kanig 8 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 4.5 Spannungsfeld Herstellerdeklarationen 133 Dipl.-Ing. Holger Tebbe 4.6 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden 137 Dr. rer. nat. Hans-Hermann Neumann 4.7 Hochwasserbelastung: Baustoffspezifische Beanspruchungsmechanismen infolge einer Feuchteaufnahme und Feuchteabgabe 157 Prof. Dr.-Ing. Rudolf Hoscheid, Pascale Dominik, M. Sc., Alisha Christina Lani Abram, Cand. B. Eng., Pascal Michaelis, Cand. B. Eng., Jakob Fahnenbruck, Cand. B. Eng. 4.8 Historische Fachwerkbauten 159 Dipl.-Ing. Kurt Christian Ehinger 4.9 Gerüstbau im Denkmalschutz 167 Dipl.-Ing. (FH) Dieter Gescher 4.10 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz 173 Dipl.-Ing. Holger Tebbe 5.0 Abdichtung 5.1 Instandsetzung von WHG-Bodenplatten mit bewehrten Dichtschichten aus Beton 185 Dr.-Ing. Marc Bücker 5.2 Die Bedeutung von wasserdichten Fugensystemen für die Erhaltung von Bauwerken 191 Dipl.-Ing. Stephan Sinz 5.3 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken 197 Kevin Kriescher, M. Sc., Dr.-Ing. Cynthia Morales Cruz, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 6.0 Bewehrungskorrosion 6.1 Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken 211 Dr.-Ing. Amir Rahimi, Dipl.-Ing. Andreas Westendarp 6.2 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen 217 Toni Pollner, M. Eng., Dr.-Ing. Amir Rahimi, Prof. Dr.-Ing. Christoph Dauberschmidt 6.3 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen 229 Dr.-Ing. Christian Helm, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 9 7.0 Prüfung am Bauwerk 7.1 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren 239 Dr.-Ing. Sarah Steiner, Philipp Grillich, M. A., Dr.-Ing. Turgay Öztürk, Dr. Michael Auras, Prof. Dr.-Ing. Christian Heese 7.2 Vor dem Bauen im Bestand - Konstruktion und Material interdisziplinär analysieren und bewerten 251 Dr.-Ing. Gabriele Patitz 7.3 Mittels LIPS wissen, was drin ist: Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) 257 Dr. Matthias Bernhard Lierenfeld, Dipl.-Bauing. (ETH) Philipp Truffer 7.4 Schadensbeispielkatalog zur Zustandsbewertung von Hochbauten 267 Dipl.-Ing. (FH) Birga Ziegler, M. Sc., Elisabeth Eder, B. Eng., Dipl.-Ing. Sabine Reim, Prof. Dr.-Ing. Jörg Jungwirth 7.5 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ 275 Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Physiker Christoph Geyer 7.6 30 Jahre Multiringelektrode 285 Rebecca Achenbach, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 8.0 Verstärkung 8.1 Nachhaltiger Oberflächenschutz und dauerhafte Abdichtung mittels UHFB - Anwendungen im Wasserbau und bei der Instandsetzung von Parkdecks 291 Dipl. Bauing. (ETH/ SIA) Philipp Truffer 8.2 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX 297 Dr.-Ing. Cynthia Morales Cruz, Kevin Kriescher, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 8.3 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton 309 Dipl.-Ing. Maximilian May, Dipl.-Ing. Sebastian May, Prof. Dr.-Ing. Alexander Schumann 8.4 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 317 Dipl.-Ing. Dr. Horst Peters, Dipl.-Ing. Thomas Lipinski 10 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 9.0 Schadstoffe 9.1 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin 341 Dr.-Ing. Till Büttner, Dipl.-Ing. Robert Unger 10.0 Forschung und Entwicklung 10.1 Nachhaltigkeit Technischer Mörtel für die Instandsetzung von Bauwerken 351 Dr.-Ing. Oliver Vogt, Dr. Thomas Müller 10.2 Untersuchungen zum Passivierungsverhalten von alkaliaktivierten Hüttensandbetonen 359 Marina Licht, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 10.3 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen 363 Annette Dahlhoff, M. Sc., Dipl.-Ing. Bernd Winkels, Dr.-Ing. Cynthia Morales Cruz, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 11.0 Nachhaltigkeit 11.1 Decarbonisation First 377 Dr. techn. Robert Veit-Egerer, Dipl.-Ing. Helga Barkow, Dr. techn. Emile Van Eygen, Mag. David Fritz, Assoc. Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Johann Fellner 11.2 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln 383 Dr.-Ing. Robert Schulte Holthausen, Dr. Patrick Pues, Dr. Jörg Sieksmeier, Dr. Hubert Motzet 12.0 Regelwerke 12.1 Denkmalgerechte Instandsetzung historischer Stahlbetonbauwerke 393 Prof. Dr.-Ing. Rolf P. Gieler 12.2 Grundsätzliche Gedanken zur Qualitätssicherung von Betoninstandsetzungsprodukten 409 Dipl.-Ing. Andreas Westendarp, Dr.-Ing. Thorsten Reschke, Dr.-Ing. Peter Haardt, Dipl.-Ing. Eckhard Kempkens 12.3 Aktuelle Entwicklungen im Regelungsbereich der ZTV-ING 413 Dipl.-Ing. Eckhard Kempkens, Dr.-Ing. Peter Haardt 12.4 TR-Instandhaltung von Betonbauwerken - Praxishilfe für die Anwendung 415 Prof. Dr.-Ing. Udo Wiens, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 12.5 Vorsicht Falle - Die TR-Instandhaltung und die Maßstabsfrage bei Mängeln in „Altfällen“ 417 Prof. Dr. Gerd Motzke 12.6 Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen: Die aktuelle Regelwerkssituation aus dem Blickwinkel der Bauausführung 427 Dipl.-Ing. Heinrich Bastert 12.7 Eigen- und Fremdüberwachung in der Betoninstandsetzung 431 Dipl.-Ing. (FH) Jan Müller 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 11 13.0 Digitalisierung 13.1 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertung nach aktuellen Regelwerken 13.2 und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros 437 Simon Menzler, M. Sc., Hendrik Morgenstern, M. Sc. 13.3 Modellbasierte digitale Bauwerksprüfung 445 Dipl.-Ing. (FH) Birga Ziegler, M. Sc., Dr. Johannes Kreutz, Johannes Flotzinger, Dipl.-Ing. Sabine Reim, Bishr Maradni 13.4 Digitaler Schatten des Pilotprojekts duraBASt-Brücke als Vorstufe des digitalen Zwillings 455 Dr. Iris Hindersmann, Jennifer Bednorz, M. Eng. 14.0 Kathodischer Korrosionsschutz (KKS) 14.1 KKS-Carbonbeton in der Praxis aus Sicht des Sachkundigen Planers - Praxisbeispiel Hofdienergarage Stuttgart 465 Dipl.-Ing. (FH) Jan Müller, Michael Hiller, B. Sc. 15.0 Anhang 15.1 Programmausschuss 471 15.2 Autorenverzeichnis 473 Plenarvorträge 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 17 Die Regeln der Technik und das Recht Prof. Dr. Gerd Motzke Rechtsanwaltskanzlei Prof. Dr. Motzke, Mering Die Regeln der Technik und das Recht Prof. Dr. jur. Gerd Motzke, Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am OLG München a.D. gerd.motzke@t-online.de 1 Inhaltsübersicht • Ordnungsgebot - Im Bereich der Technik - Im Bereich des Rechts • Das Regelungskonzept im Bereich der Technik - Schriftliche Regelwerke - Vielfalt - Anerkannte Regeln der Technik - Schriftliche Regelwerke als anerkannte Regeln der Technik • Das Regelungskonzept im Bereich des Rechts - Das BGB-Konzept - Das VOB/ B-Konzept • Die Regelungen dazwischen: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) -> ATV DIN • Folgerungen für den Sachverständigen - Als Privatgutachter - Als Gerichtsgutachter 2 18 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Ordnungsgebot Technikbereich + Rechtsbereich • Technikbereich - Es herrscht Vielfalt/ Vielheit - Es herrscht Buntheit - Es herrscht sprachliche Vielfalt • Rechtsbereich - Es herrscht grundsätzlich Einheit (BGB oder VOB/ B) - Es herrscht Vereinbarungsmöglichkeit -> Vereinbarung / Geltung der VOB/ C (Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen ATV DIN) 3 Grundsätzliche Erkenntnis • Das gesetzliche Werkvertragsrecht verweist nicht auf Technikregel - Vgl. § 633 BGB; § 4 Abs. 2 und § 13 Abs. 1 VOB/ B v - § 4 Abs. 2 und § 13 Abs. 1 VOB/ B verweisen auf die anerkannten Regeln der Technik • Die VOB/ C, z. B. die ATV DIN 18349 verweist als vereinbartes Vertragsrecht auf einzelne Techniknormen - Abschnitt 2 (Stoffe und Bauteile), dort Verweis u. a. auf die RiLi-SIB (also nicht auf die TR-Instandhaltung) • Selbstverständlich können die Vertragsparteien im Vertrag auf Techniknormen verweisen. 4 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 19 Die Regeln der Technik und das Recht Ordnungsgebot - Bereich der Technik • Schriftliche Regelwerke von Regelwerksetzern unterschiedlichster Art und wohl auch Zielsetzung • Anerkannte Regeln der Technik - Erwähnt z. B. in DIN 820-1: 2014-06 Abschnitt 8.1: „Die Normen des Deutschen Normenwerks sollen sich als anerkannte Regeln der Technik etablieren“. - Erwähnt z. B. in VDI 1000 2017, S. 2: „Der VDI erhebt den Anspruch, durch sein Richtlinienwerk allgemein anerkannte Regeln der Technik zu schaffen, die Fachleuten die Sicherheit geben, bei Anwendung einer VDI-Richtlinie richtig zu handeln. • Anerkannte Regeln der Technik ist nicht der Oberbegriff und schriftliche Regelwerke sind nicht Teil eines Unterbegriff • Vielmehr: Unterschiedliche Kategorien • Vielfältiges Erscheinungsbild von schriftlichen Technikregeln • Regelwerksetzer und ihre je eigenen Regeln 5 Ordnungsgebot: Qualifizierung schriftlicher Technikregeln durch Regelwerksetzer - Beispiele • DIN-> Normen, Vornormen (frühere Bezeichnung) = Entwürfe von Normen • VDI -> Richtlinien • DVGW (DVGW GW 100), 2016 -> Bestandteile des Regelwerks: Arbeitsblätter, DIN-Normen + gleichwertige Technische Regeln, Merkblätter, erläuternde Dokumente • BEB -> Arbeitsblätter, Arbeitsrichtlinien, Arbeitsanweisung, Hinweise, Merkblätter • ZDB -> Merkblätter, Hinweise • Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein -> Merkblätter • FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen) -> Regelwerke der Kategorie 1 = R1 (ZTV, TL (Technische Lieferbedingungen), TP (Technische Prüfvorschriften); Regelwerke der Kategorie 2 = R 2 (= Empfehlungen, Merkblätter) = Stand von Wissenschaft und Technik; Wissensdokumente (= W 1 = Hinweise + Arbeitsanleitungen) und W 2 = Arbeitspapier) 6 20 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Ordnungsgebot: Qualifizierung schriftlicher Technikregeln durch Regelwerksetzer - Beispiele • Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStB) -> Richtlinien (z. B.: RiLi-SIB 2011, TR- Instandhaltung 2021; WU-Richtlinie mit Erläuterung im Heft 555: Richtlinie fasst den Stand der Technik zusammen, in mehr als 30 Jahren Praxis entstanden und auf gesicherten Erfahrungen beruhend = anerkannte Regel der Technik), Gelddrucke als Vorstufe, Schriftenreihe -> grüne Hefte) • Bundesausschuss für Farbe und Sachwertschutz (BFS) -> Merkblätter • Verband der Fenster- und Fassadenhersteller e. V. (VFF) -> Merkblätter (z. B. Richtlinie zur visuellen Beurteilung einer fertigbehandelten Oberfläche, Merkblatt HO.05) • Bundesverband Farbe, Gestaltung, Bautenschutz -> Richtlinien (z. B. Strukturierte Putzoberflächen = Diese Richtlinie behandelt nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik neu aufgetragene strukturierte Oberputze …….“ • Internationaler Verband für den Metallleichtbau (IFBS) -> Richtlinien • Fachverband der Stuckateure für Ausbau und Fassade -> Richtlinien (z. B. Fassadensockelputz / Außenanlage = Stand der Technik) • Bund Deutscher Zimmermeister (Fachregeln des Zimmererhandwerks, z. B. Balkone u. Terrassen, Fachregeln 02 • Industrieverband Dichtstoffe e. V. -> IVD - Merkblätter; Arbeitskreis der Sachverständigen im bayerischen Maler- und Lackiererhandwerk -> Richtlinie zur visuellen Beurteilung beschichteter Oberflächen (Rili-Ofl) 7 Struktur der Regelwerksetzer • Neutrale (z. B. DIN, VDI), Vereine mit dem Ziel der Schaffung von Normen • Dem Regelungsgegenstand nahestehende Organisationen (z. B. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, Deutscher Beton- und Bautechnik- Verein, DVGW) Ziel: Setzung von Regeln • Industrieverbände (z. B. Metallbau, Abdichtung) • Berufsverbände (z. B. Maler, Stukkateure, Bund Deutscher Zimmermeister) • Sachverständigenarbeitskreise (z. B. Rili-Ofl) • Frage: Wer erzeugt welche Regelwerke mit welchem Anspruch? Was ist die Grundlage? 8 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 21 Die Regeln der Technik und das Recht Struktur der Regelwerke • Sprachliche Vielfalt - Normen - Richtlinien - Merkblätter - Hinweise - Arbeitsblätter - Empfehlungen • Aussagen zum Bedeutungsgehalt, z. B. des DIN in DIN 820 Beiblatt 3 Abschnitt 5: Eine Norm ist nicht die einzige, sondern nur eine Erkenntnisquelle für technisch ordnungsgemäßes Verhalten im Einzelfall. 9 Regelwerke verknüpft mit anerkannten Regeln der Technik • Teilweise wird der Anspruch erhoben - VDI; Deutscher Ausschuss für Stahlbeton • Teilweise bewusst offen gelassen - DIN 820-1 Abschnitt 8.1 (ausgenommen Sicherheitsbereich: „Bei sicherheitstechnischen Festlegungen in DIN-Normen besteht eine konkrete Vermutung dafür, dass sie fachgerecht, d.h., dass sie „anerkannte Regeln der Technik“ sind .“ • Teilweise verwirrend - Forschungsgesellschaft für Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau e. V. 10 22 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Adressat der Technikordnung • Planer und Ausführende • Sachverständige (SV) als Privatgutachter und Gerichtsgutachter - Feststellungsaufgabe nach Maßgabe der Technikordnung - Bewertungs-/ Beurteilungsaufgabe nach Maßgabe der Technikordnung - Gutachtensaufgabe nach Maßgabe der Technikordnung im Konflikt mit dem Beweisbeschluss • Worauf der Zugriff? Auf anerkannte Regeln der Technik oder auf - soweit vorhanden - schriftliche Technikregeln? 12 Definition der „anerkannten Regeln der Technik“ in technischen Regelwerken • Es gibt eine Beschreibung in der DIN EN 45020 - Allgemeine Fachausdrücke und deren Definitionen betreffend Normung und damit zusammenhängende Tätigkeiten, Fassung April 1994 - Abschnitt 1.5. Danach sind anerkannte Regeln der Technik technische Festlegungen, die von der Mehrheit repräsentativer Fachleute als Wiedergabe des Standes der Technik angesehen werden. 11 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 23 Die Regeln der Technik und das Recht Die Gesichter der Technikordnung • Schriftliche Technikregeln der verschiedensten Verfasser • Anerkannte Regeln der Technik (aRdT) Deshalb das Problem: - Unter welchen Voraussetzungen sind schriftliche Technikregeln anerkannte Regeln der Technik? • Warum diese Fragestellung? - Vor allem wegen der Rechtsordnung, die keinen Verweis auf schriftliche Technikregeln verschiedener Verfasser kennt. 13 Die Rechtsordnung • Zweigeteilt - Die gesetzliche Ordnung im BGB - Das Werkvertragsrecht - Das von den Parteien gewählte Vertragsrecht - Die Ordnung nach der VOB (Verdingungsordnung für Bauleistungen mit ihren drei Teilen A,B und C) • Gesetzliche Ordnung im BGB - § 633 - Nichts zu lesen von Technik, nichts zu lesen von technischen Regelwerken - Es geht um die Einhaltung des konkret Vereinbarten (vereinbarte Beschaffenheit, damit verbundener Zweck, verbundene Funktion)) - Es geht um die Einhaltung des vertraglich vorausgesetzten (vertraglich vorausgesetzte Verwendungseignung -> Zweck, Funktion) - Es geht um die Einhaltung des Gewöhnlichen, was gewöhnlich erwartet wird (gewöhnlicher Zweck, gewöhnliche Funktion). • Achtung auf den Funktionalen Herstellungsbegriff: das herzustellende Werk hat immer eine Funktion zu erfüllen. Die Frage ist nur: eine volle Funktionstauglichkeit, eine eingeschränkte Funktionstauglichkeit • Beispiel: Die Funktion einer Hydrophobierung? Die Funktion einer Beschichtung? Die Funktion der je verschiedenen Oberflächenschutzsysteme? 14 24 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Der Maßstab in § 633 BGB • Erste Priorität: vereinbarte Beschaffenheiten und damit verbundene Funktionalität, der besondere Zweck • Zweiter Rang: vertraglich vorausgesetzte Verwendungseignung = die vorausgesetzte Funktionalität, der besondere, aber im Vertrag nicht erwähnte Zweck • Dritter Rang: Das Gewöhnliche in dreierlei Gestalt: gewöhnliche Verwendungseignung, Beschaffenheiten, die bei artgleichen Werken üblich sind, und Beschaffenheiten, die der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann. Abzustellen auf den gewöhnlichen Zweck 16 § 633 BGB als Teil der Rechtsordnung • Dessen Absatz 1: Die Leistung muss frei von Sachmängeln sein. • Abs.2: „Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, (1) wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst (2) für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.“ • Also: § 633 BGB absolut fern jeglicher Technikordnung, absolut fern jeglichem schriftlichen Regelwerk. 15 § 633 BGB als Teil der Rechtsordnung • Dessen Absatz 1: Die Leistung muss frei von Sachmängeln sein. • Abs.2: „Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, (1) wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst (2) für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.“ • Also: § 633 BGB absolut fern jeglicher Technikordnung, absolut fern jeglichem schriftlichen Regelwerk. 15 § 633 BGB als Teil der Rechtsordnung • Dessen Absatz 1: Die Leistung muss frei von Sachmängeln sein. • Abs.2: „Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, (1) wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst (2) für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.“ • Also: § 633 BGB absolut fern jeglicher Technikordnung, absolut fern jeglichem schriftlichen Regelwerk. 15 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 25 Die Regeln der Technik und das Recht Die konkrete Normanwendung BGB § 633 • Knüpft also an: - (1)An vereinbarten Beschaffenheiten - (2)An vertraglich vorausgesetzter Verwendungseignung - (3)An der gewöhnlichen Verwendungseignung in dreierlei Gestalt. • Also dem Wortlaut nach: Absolut technikfern • Norminterpretation bei (3) führt zu: Das Gewöhnlich wird konkretisiert durch die Verkehrssitte und bestimmt damit die Verwendungseignung, gewerbliche/ gewerkliche Verkehrssitte diese konkretisiert in den anerkannten Regeln der Technik • Ergebnis: § 633 BGB - Mangelfreiheit nicht verknüpft mit einzelnen schriftlichen Technikregeln, sondern mit den anerkannten Regeln der Technik aber auch dies nur durch Auslegung, bei (3): gewöhnliche Verwendungseignung dem Wortlaut nach. • Also Einheit und nicht Vielheit: Einheit = anerkannte Regeln der Technik aber nur als Vehikel bei (3), primär Verwendungseignung • Warum: Die Mangelfreiheit kann nicht in der Hand von Regelwerksetzern liegen. Ein übergeordneter Maßstab ist geboten 17 § 633 BGB - Stellenwert der anerkannten Regeln der Technik • Anerkannte Regeln der Technik beinhalten Aussagen über - die gewöhnliche Verwendungseignung, - das, was artgleiche Werke an Qualitäten gewöhnlich aufweisen, - das, was der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann • Konsequenz in Mangelfragen bzgl. (3) gewöhnliche Verwendungseignung: Eignet sich das Werk zur gewöhnlichen Verwendungseignung, weist das Werk Beschaffenheiten auf, die bei artgleichen Werken vorliegen, weicht das Werk der Art nach von dem ab, was der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann? Genügt es den gewöhnlichen Funktionsanforderungen? Wird der gewöhnliche Zweck erreicht? • Der Zugriff erfolgt also auf anerkannte Regeln der Technik oder lediglich auf schriftliche Technikregeln von Regelwerksetzern? Oder völlig frei: wozu taugen z. B. die vorgehängten Fassadenplatten unter dem Gesichtspunkt der Optik als Teil der gewöhnlichen Verwendung und des Gebrauchs als Teil der gewöhnlichen Verwendung? 18 § 633 BGB - Stellenwert der anerkannten Regeln der Technik • Anerkannte Regeln der Technik beinhalten Aussagen über - die gewöhnliche Verwendungseignung, - das, was artgleiche Werke an Qualitäten gewöhnlich aufweisen, - das, was der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann • Konsequenz in Mangelfragen bzgl. (3) gewöhnliche Verwendungseignung: Eignet sich das Werk zur gewöhnlichen Verwendungseignung, weist das Werk Beschaffenheiten auf, die bei artgleichen Werken vorliegen, weicht das Werk der Art nach von dem ab, was der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann? Genügt es den gewöhnlichen Funktionsanforderungen? Wird der gewöhnliche Zweck erreicht? • Der Zugriff erfolgt also auf anerkannte Regeln der Technik oder lediglich auf schriftliche Technikregeln von Regelwerksetzern? Oder völlig frei: wozu taugen z. B. die vorgehängten Fassadenplatten unter dem Gesichtspunkt der Optik als Teil der gewöhnlichen Verwendung und des Gebrauchs als Teil der gewöhnlichen Verwendung? 18 26 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Das Modell des VOB/ B-Bauvertrags • Maßgeblichkeit auch der anerkannten Regeln der Technik - § 4 Abs. 2 Nr. 1 VOB/ B: „Der Auftragnehmer hat die Leistung unter eigener Verantwortung nach dem Vertrag auszuführen. Dabei hat er die anerkannten Regeln der Technik und die gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen zu beachten.“ - § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2: „Die Leistung ist zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarten Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht.“ Dann folgt das, was § 633 Abs. 2 Satz 2 BGB entspricht (also die vertraglich vorausgesetzte wie auch die gewöhnliche Verwendungseignung) - Feststellung: • Fazit: Auch hier Einheit, nämlich „anerkannte Regeln der Technik“ • Keine Vielheit ! ! • Kein Verweis auf schriftliche Regelwerke anerkannter Regelwerksetzer • Was ist ausschlaggebend? : Zugriff worauf, auf anerkannte Regeln der Technik oder auf die Vielzahl technischer Regelwerke? ? • Die VOB/ C verweist im Abschnitt 2 auf Techniknormen und Technikregeln 19 Problembenennung • Wer bestimmt, was „anerkannte Regeln der Technik“ sind? • Was ist das für ein Begriff, ein Rechtsbegriff oder ein technischer Begriff? • Es handelt sich nach allgemeiner Überzeugung um einen Rechtsbegriff und nicht um einen technischen Begriff, es liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff vor! • Bedarf der Konkretisierung durch wen? -> mit Hilfe des SV durch das Gericht. • Ob eine schriftliche Technikregel Ausdruck anerkannter Regel der Technik ist , ist eine Rechtsfrage und keine - alleinige - Sachverständigenfrage (vgl. nur BVerfG U.v.08.08.1978 - 2 BvL 8/ 77, NJW 1979, 359, 362; Kamphausen Jahrbuch Baurecht 2000, 218, 219; a.A. OLG Karlsruhe 20 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 27 Die Regeln der Technik und das Recht Problembenennung • OLG Karlsruhe B.v. 16.1.2017 - 15 W 170/ 16, IBR 2017, 174: „Die Frage, ob eine Leistung den anerkannten Regeln der Technik entspricht, ist eine Sachverständigenfrage.“ • OLG Düsseldorf U.v. 15.01.2016 - I - 22 U 92/ 15, BauR 2016, 1946, 1955): Das Gericht muss die Feststellungen des Sachverständigen selbständig nachvollziehen. • BGH U.v. 14.06.2007 - VII ZR 45/ 06, BauR 2007, 1570 Rn. 42: Was nach den anerkannten Regeln der Technik geschuldet wird, kann der Sachverständige nicht einfach auf der Basis seiner persönlichen Auffassung beurteilen, sondern er muss sich mit der Materie auseinandersetzen und das Votum anderer Sachverständiger und Gerichtsurteile berücksichtigen. 21 Eigene Auffassung • Anerkannte Regeln der Technik als unbestimmter Rechtsbegriff • Deshalb letztlich eine Rechtsfrage und nicht eine alleinige Sachverständigenfrage • Begründung: Weil Teil von § 4 Abs. 2 VOB/ B und § 13 Abs. 1 VOB/ B deshalb Vertragsrecht • Begründung bzgl. § 633 BGB: Weil die anerkannten Regeln der Technik letztlich das Gewöhnliche bestimmen und das Gewöhnliche als Teil der Norm ein Rechtsbegriff ist, sind auch die anerkannten Regeln der Technik ein - unbestimmter - Rechtsbegriff. 22 28 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Folgen dieser Einordnung • Das hat z. B. Folgen für die SV-Tätigkeit • Der SV wird der Technik wegen, also wegen Sachverständigenfragen eingeschaltet. • Der Sachverständige wird nicht zur Beantwortung von Rechtsfragen eingeschaltet • Folge: Der SV arbeitet mit der Technikordnung • Folge: Der SV „arbeitet nicht unmittelbar mit den anerkannten Regeln der Technik und deren Bestimmung“. Denn die anerkannten Regeln der Technik sind Teil der Rechtsordnung • Der SV arbeitet mit der Technikordnung und damit mit den schriftlichen Regelwerken von Regelwerksetzern • Die Rechtsprechung weist Regelwerken anerkannter Regelwerksetzer (für DIN-Normen) eine - jederzeit widerlegbare - Vermutungswirkung zu, Ausdruck aRdT zu sein. • Es gelten für die Beweisführung deshalb Anscheinsbeweisregeln. • Ist für den Beweisführer eine Beweiserleichterung. 23 Der Anscheinsbeweis - Funktionszusammenhang • Einhaltung von jüngeren DIN-Normen löst Anschein aus, dass dann auch aRdT eingehalten sind. • Für den Beweisführer eine Beweiserleichterung: Er muss in einem 1. Schritt die Einhaltung der aRdT beweisen, dann auch -widerlegbar - Einhaltung der aRdT bewiesen Aufgabe des SV (1. Teil) • Für den Gegner (2. Schritt): Er muss den Anschein erschüttern, also dass die fragliche DIN-Norm eben nicht aRdT ist. • Gegenwärtig die Frage für den Gegner: Wie kann die Erschütterung gelingen? Hier dann erneut: Aufgabe des SV (2. Teil) • Beweisführung jedoch: Aufgabe der Parteien! 24 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 29 Die Regeln der Technik und das Recht Konkrete Umsetzung dieses Ausgangspunktes • Beweisbeschluss lautet: • Entspricht die Leistung XY - z. B. Höhe, Ausgestaltung, Befestigung des Balkongeländers - den anerkannten Regeln der Technik? • Prüfungsgang des SV im Hinblick auf BGH U.v. 14.06.2007 - VII ZR 45/ 06, BauR 2007, 1570 Rn. 42: berücksichtige Gerichtsurteile! DIN-Normen haben die Vermutung für sich Ausdruck anerkannter Regeln der Technik zu sein (BGH, U.v. 24.05.2013 - V ZR 182/ 12, NJW 2013, 2271, 2272) • Folge: SV prüft einschlägige DIN-Normen oder Normen anerkannter Regelwerksetzer mit der DIN 820 vergleichbarer Grundnorm • Wenn der Norm entsprechend: Dann Verweis auf diese Vermutungswirkung, also Vermutung, dass aRdT eingehalten. • Wenn Norm verletzt, dann Vermutung, dass aRdT nicht eingehalten. • Dann liegt es an den Parteien, diese widerlegbare Vermutung durch Vortrag zu erschüttern und Beweis anzubieten. • Dann kann der 2. Durchgang im Beweisverfahren, das den Regeln des Anscheinsbeweises folgt, erfolgen. • Jedenfalls: Die Sache ist dann in den Händen der Parteien. • Hinweis auf Aufsatz Motzke in „Der Sachverständige“ (DS) Heft 7-8 von 2022, S. 175 ff. „Legitimation schriftlicher Regelwerke als anerkannte Regeln der Technik und ihre Anwendung“. 25 Empfehlung für den SV • Gleichgültig ob Privatgutachter oder Gerichtsgutachter: • Der Beurteilung werden vom SV ermitttelte schriftliche Technikregeln - soweit vorhanden - zugrunde gelegt. • Die Frage, ob diese Technikregeln Ausdruck anerkannter Regeln der Technik sind, ist Gegenstand eines 2. Durchgangs des Anscheinsbeweisverfahrens, nämlich, wenn die Frage zur Beantwortung ansteht, dass der bewiesene Anschein erschüttert werden soll. • Dabei geht es darum, ob die von der Rechtsprechung geschaffene Vermutungswirkung durch Vortrag der Parteien erschüttert wird. • Diese Grundregeln gilt auch bei einem VOB/ B-Bauvertrag - D.h.: Die Beweisfrage, ob ein Werk den anerkannten Regeln der Technik entspricht beinhaltet: Ich prüfe das Werk nach Maßgabe folgender Regelwerke. Ob diese Regelwerke Ausdruck anerkannter Regeln der Technik sind, ist eine Rechtsfrage. Beitrag des SV dazu: das Regelwerk stammt von einem Berufsverband, einem Industrieverband; das Regelwerk stammt von einem Verein, dessen Zweck die Schaffung von Technikregeln ist. Die Rechtsprechung legt eine Vermutungswirkung zugrunde. • Grundsätzlich: Die Einordnung des Regelwerks durch den Norm-Verfasser halte ich nicht für ausschlaggebend. Siehe die Zurückhaltung des DIN in DIN 820-1 Abschnitt 8.1 (muss sich erst noch etablieren) 26 30 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Die Mangelfrage und die Vorgehensweise - ein Vorschlag • Beweisfrage: Stellen die teilweise Unterschreitung der Betonüberdeckung an den Stahlbetonplatten , die unterschiedliche Breite der Fugen zwischen den Platten und die festgestellte Eindringtiefe des Hydrophobierungsmittels einen Mangel dar? • Hinweis: Zugrunde liegt ein BGB-Bauvertrag, also ist Beurteilungsbasis § 633 BGB. • Feststellung des Sachverständigen: Im Vertrag sind keine Beschaffenheiten vereinbart. Maßstab sind demnach: Vertraglich vorausgesetzte Verwendungseignung und die gewöhnliche Verwendungseignung. • Zur vertraglich vorausgesetzten Verwendungseignung: Feststellung des Sachverständigen: Diesbezüglich vorausgesetzte Verwendungseignungsqualitäten sind für mich nicht erkennbar. • Prüfung deshalb nur die gewöhnliche Verwendungseignung, also ob diese vorliegt. • Dann folgt die Darstellung der Feststellungen anhand der einschlägigen schriftlichen Regelwerke, von deren Maßgeblichkeit der Sachverständige zur Bestimmung des Gewöhnlichen ausgeht. 27 Die Mangelfrage und die Vorgehensweise - ein Vorschlag • Zur Einordnung der genannten Regelwerke: • 1.Empfehlung: Einordnung in (a) Regel eines Berufsverbands (b) Regel eines Industrieverbands (c) Regel eines Vereins, dessen Ziel die Schaffung von Regeln der Technik ist. • 2.Empfehlung: ob es sich bei der der Beurteilung zugrundeliegenden Technikregel um eine anerkannte Regel der Technik handelt, ist eine Rechtsfrage. Deren Beantwortung obliegt dem Gericht. Setzt jedoch die Mithilfe des Sachverständigen voraus. • 3. Antwort nach Ziff. 2 liegt besonders bei Regeln eines Industrieverbands oder eines Berufsverbands nahe. • 4. Bei Vereinsregeln (oben Ziff. 1c): Hinweis auf die Vermutungsregel: Bei Vereinsregeln könnte die bei DIN-Normen bejahte Vermutungsregel greifen, dass sie Ausdruck anerkannter Regeln der Technik sind. • 5. Dann beschäftigt sich der SV nur mit dem Anscheinstatbestand, nämlich ob die DIN-Norm eingehalten worden ist oder nicht. • 6. Dann verweist des SV abschließend auf die Vermutungswirkung nach der Rechtsprechung. • 7. Damit ist der 1. Schritt der Beweisführung abgeschlossen und die Parteien sind am Zug, nämlich ob der gelungene Anscheinsbeweis erschüttert werden kann. 28 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 31 Die Regeln der Technik und das Recht Bedenke zu schriftlichen Technikregeln • Am Beispiel sogar der DIN-Normen nach BGH U.v. 14.05.1998 - VII ZR 184/ 97, BauR 1998, 872: - DIN-Normen sind keine Rechtsnormen, sondern private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Sie können die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben oder hinter diesen zurückbleiben. • Und dagegen die anerkannten Regeln der Technik: Meines Erachtens Entscheidungscharakter und nicht Empfehlungscharakter 30 Bedenke zu den anerkannten Regeln der Technik • Was zeichnet sie aus? • Umschreibung nach Kamphausen: „Anerkannte Regeln der Technik bezeichnen allgemein solche qualifizierten Technikregeln, die von einer hinreichend großen Zahl kompetenter Fachleute des betreffenden Sachgebiets deshalb getragen und akzeptiert werden, weil ein Konsens darüber besteht, dass die Regeln richtig, zur Zweckerreichung geeignet und das mit der Regelbefolgung erzielbare Ergebnis brauchbar und praxisbewährt ist.“ (aus Jahrbuch Baurecht, 2000, S. 220). 29 32 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Die „Rechtslage dazwischen“ • Zwischen Technikordnung und Rechtsordnung • Das ist die VOB/ C • = Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen ATV DIN ab 18299, nach Gewerken gegliedert • Das ist klar Vertragsrecht • Das sind Vertragsbedingungen • Geltung grundsätzlich nur bei Einbeziehung • Die ATV DIN sind grundsätzlich keine Technikordnung, sondern Rechts- / Vertragsordnung • Also: ATV DIN sind nicht einfach und schnell Ausdruck anerkannter Regeln der Technik (wird oft falsch gesehen) 31 Ein weites Feld • Die Schnittstelle ist spannungsgeladen • Bedarf besteht: • Für eine Differenzierung zwischen Technik und Recht • Für eine Differenzierung zwischen Sachverständigenfrage und Rechtsfrage • Mit Auswirkungen auf die Art und Weise des Vorgehens des Sachverständigen haben. • Mein Vorschlag: im Schritt 1 nach Anscheinsbeweisregeln: Nur die Befassung mit vorhandenen schriftlichen Technikregeln, dann Hinweis auf die Vermutungswirkung. Schritt 2 verfolgt die Erschütterung eines erfolgreichen 1, Schritts: Vortrag des Gegners zwecks Erschütterung des Anscheins, also der Vermutungswirkung einer schriftlichen Norm eines Regelwerksetzers • Technisch besetzt: Wer ist der Regelwerksetzer, ist die Regelwerksetzung Zweck seiner Tätigkeit oder nur Beiwerk? Welches Ziel wird verfolgt? Wie ist die Regelwerksetzung geregelt -> transparentes Verfahren, Beteiligung der Fachöffentlichkeit. • Dahinter: Was legitimiert anerkannte Regeln der Technik? • Rechtlich besetzt: Die Vermutungswirkung die Widerlegbarkeit der Vermutungswirkung Hier der Zusammenhang mit der Legitimationsfrage. 32 Ein weites Feld • Die Schnittstelle ist spannungsgeladen • Bedarf besteht: • Für eine Differenzierung zwischen Technik und Recht • Für eine Differenzierung zwischen Sachverständigenfrage und Rechtsfrage • Mit Auswirkungen auf die Art und Weise des Vorgehens des Sachverständigen haben. • Mein Vorschlag: im Schritt 1 nach Anscheinsbeweisregeln: Nur die Befassung mit vorhandenen schriftlichen Technikregeln, dann Hinweis auf die Vermutungswirkung. Schritt 2 verfolgt die Erschütterung eines erfolgreichen 1, Schritts: Vortrag des Gegners zwecks Erschütterung des Anscheins, also der Vermutungswirkung einer schriftlichen Norm eines Regelwerksetzers • Technisch besetzt: Wer ist der Regelwerksetzer, ist die Regelwerksetzung Zweck seiner Tätigkeit oder nur Beiwerk? Welches Ziel wird verfolgt? Wie ist die Regelwerksetzung geregelt -> transparentes Verfahren, Beteiligung der Fachöffentlichkeit. • Dahinter: Was legitimiert anerkannte Regeln der Technik? • Rechtlich besetzt: Die Vermutungswirkung die Widerlegbarkeit der Vermutungswirkung Hier der Zusammenhang mit der Legitimationsfrage. 32 Instandsetzung historischer Mauerwerke 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 35 Maßgeschneiderte Mörtel für die Instandsetzung des Aachener Doms Dipl.-Ing. Bernd Winkels Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Im Rahmen der Instandsetzung des karolingischen Mauerwerks des Aachener Doms vor rd.-20-Jahren wurde ein Verfugmörtel nach denkmalpflegerischen sowie baustofftechnologischen Gesichtspunkten entwickelt und seine Eignung im Labor sowie am historischen Bauwerk nachgewiesen. Der Verfugmörtel wurde auf die mechanischen und physikalischen Eigenschaften des Natursteinmauerwerks abgestimmt und erfüllt Anforderungen an die Dauerhaftigkeit hinsichtlich des Sulfat-, Frost-Tauwechselsowie Carbonatisierungswiderstands. Für aktuelle Instandsetzungsmaßnahmen am Natursteinmauerwerk der Taufkapelle sowie der gotischen Chorhalle des Aachener Doms wurde der Mörtel modifiziert und an das jeweilige Bauwerk bzw. nach individuellen Anforderungen angepasst. Ausgewählte experimentelle Untersuchungen zu den mechanischen Eigenschaften der weiterentwickelten Verfugmörtel sowie zum Verbund der Mörtel mit dem Naturstein werden vorgestellt. Beispielhaft wird auch das Vorgehen bei der Instandsetzung der Fugen am Bauwerk gezeigt. 1. Einleitung Als Pfalzkapelle Kaiser Karl des Großen entstand zwischen 793 und 813 einer der bedeutendsten Kirchenbauten seiner Zeit nördlich der Alpen: Der Aachener Dom. Abb.-1 veranschaulicht die baugeschichtliche Entwicklung des Aachener Doms. An den zentralen Kuppelbau --das Oktogon-- mit zweigeschossigem, sechzehneckigem Umgang grenzen der neugotische Westturm über dem karolingischen Westbau (Abb.-1, links) sowie die gotische Chorhalle (Abb.-1, rechts) an. Das Oktogon wird gesäumt von insgesamt fünf mit unregelmäßigen Grundrissen gestalteten Kapellenbauten, darunter die Annasowie Matthiaskapelle auf der Südseite. Abb.-1: Südansicht des Aachener Doms: (Aufnahme während der Instandsetzung des Mauerwerks der gotischen Chorhalle 2021, Pfeiler 6a bis 3a) Seit den 1980er Jahren finden umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen am Aachener Dom statt. Zwischen der Dombauhütte Aachen und dem Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) besteht eine gute und vertrauensvolle Kooperation. Während der vergangenen rd.- 25- Jahre wurden für verschiedene Anwendungen maßgeschneiderte Mörtel für die Instandsetzung der verschiedenen historischen Natursteinmauerwerke des Aachener Doms entwickelt. So wurde beispielsweise für den Steinaustausch des Herzogenrather Sandsteins, welcher hauptsächlich beim Bau der Chorhalle eingesetzt wurde, ein Vergussmörtel [1- 5] sowie ein Steinergänzungsmörtel [6] entwickelt. Basierend auf den Untersuchungen in [7] wurde für das karolingische Mauerwerk des Oktogons bzw. Sechzehnecks sowie des Westbaus ein Sichtmörtel entwickelt, welcher das optische Erscheinungsbild des karolingischen Mörtels aufgreift, jedoch einen eigenständigen Charakter mit warmem Farbton ausbildet, siehe [8-11], vgl. Abb.-2 und 3. Abb.-2: Oktogon bzw. Sechzehneck (Südseite): Karolingischer Mörtel (oberhalb) und neuer Sichtmörtel (unterhalb des Natursteins) 36 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Maßgeschneiderte Mörtel für die Instandsetzung des Aachener Doms Abb.-3: Karolingisches Mauerwerk am Westbau mit neuem Sichtmörtel: Ansicht fern (oben) und nah (unten), (Instandsetzung 2003, Aufnahmen 2022) Der Sichtmörtel wurde nach denkmalpflegerischen sowie baustofftechnologischen Gesichtspunkten entwickelt und seine Eignung im Labor sowie am historischen Bauwerk nachgewiesen. Der Verfugmörtel wurde auf die mechanischen und physikalischen Eigenschaften des Natursteinmauerwerks abgestimmt und erfüllt Anforderungen an die Dauerhaftigkeit, vgl. Abschnitt 2. In modifizierter Form kam der Sichtmörtel bei der Instandsetzung der Annabzw. Matthiaskapelle zum Einsatz, vgl. [12]. Die vorgestellten Mörtel bilden die Basis für die kürzlich abgeschlossenen bzw. aktuell laufenden Instandsetzungsmaßnahmen an den Fugen der Natursteinmauerwerke der Taufkapelle bzw. der Chorhalle. 2. Anforderungen an Verfugmörtel für die Instandsetzung von historischem Natursteinmauerwerk Allgemein sind die Eigenschaften von Verfugmörteln weitestmöglich auf die Eigenschaften des historischen Natursteinmauerwerks abzustimmen. Dabei ist insbesondere auf die (mechanische) Verträglichkeit mit den im Bauwerk eingesetzten Natursteinen und Mörteln zu achten. Die Druckfestigkeit des Mörtels darf möglichst hoch sein, wenn der Mörtel gleichzeitig eine ausreichend Verformbarkeit aufweist und somit das Mauerwerk in der Lage ist, Bauwerksbewegungen unbeschadet bzw. rissfrei zu folgen. Darüber hinaus sollte zu dem angrenzenden (Alt-)Mörtel sowie zu den Steinflanken ein ausreichender Haftverbund sichergestellt sein. Neben den mechanischen Eigenschaften sollte der Mörtel ein auf den Naturstein bzw. (Alt-)Mörtel abgestimmtes Wasserrückhaltevermögen aufweisen, damit dem Mörtel während der Verarbeitung bzw. Erhärtung nicht in kritischem Maße Wasser entzogen wird. Idealerweise sollten ebenso die Wärmeausdehnungskoeffizienten des Mörtels kompatibel zu dem Bestandsmauerwerk sein. Der Mörtel sollte zudem eine ausreichende Dauerhaftigkeit aufweisen. Eine ausreichende und dauerhafte Widerstandsfähigkeit gegenüber baustoffschädlichen Stoffen wie z.-B. Sulfat sind erforderlich bei erhöhten Konzentrationen solcher Stoffe im historischen Mauerwerk. Zudem sollte der Mörtel einen ausreichenden Widerstand gegenüber Frost-Tauwechselbeanspruchung aufweisen. Ein niedriges Schwindmaß in Verbindung mit einer guten Flankenhaftung sind ebenso wichtig für ein rissfreies und witterungsbeständiges Mauerwerk. Zudem sollte der Mörtel nur geringe Eigenschaftsänderungen (Festigkeit und Schwinden) infolge Carbonatisierung aufweisen. 3. Ausgangsstoffe der entwickelten Verfugmörtel Das Bindemittelsystem des 2003 entwickelten karolingischen Sichtmörtels besteht aus Weißportlandzement sowie Kompositzement mit natürlichem Puzzolan, Calciumhydroxid und Silicastaub. Als Gesteinskörnung wurden neben Quarzsand bzw. -kies insbesondere Ziegelsowie Kalksteinsplitt mit einer Korngröße bis rd. 8-mm sowie Ziegelmehl eingesetzt. Dadurch sowie durch eine nachträgliche Oberflächenbehandlung mittels Sandstrahlen zum Entfernen des Bindemittelschleiers erhielt der Sichtmörtel sein charakteristisches Erscheinungsbild, vgl. Abb.-3. Für die Instandsetzung des Natursteinmauerwerks der Taufkapelle (VFM20) bzw. der Chorhalle (VFM21 und VFM22) wurde das Bindemittelsystem beibehalten. Dagegen wurden die Gesteinskörnung, Pigmentierung sowie Oberflächengestaltung (siehe Abschnitt 5) an das jeweilige Bauwerk bzw. nach individuellen Anforderungen angepasst. Die Ziegel- und Kalksteinfraktionen wurden durch Quarzmehl, -sand und -kies mit einer maximalen Korngröße von 5,6- mm ersetzt. Dem Mörtel wurden zudem verschiedene leichte Gesteinskörnungen wie Blähglasgranulat etc. zugegeben, um ein auf das Natursteinmauerwerk abgestimmtes Trag- und Verformungsverhalten zu erreichen. Darüber hinaus wurden dem Mörtel Cellulosefasern sowie in geringem Maße (<-1,0-M.-%) Zusatzstoffe und Zusatzmittel zugesetzt, um wesentliche Frisch- und Festmörteleigenschaften wie Verarbeitbarkeit oder Verbundverhalten anwendungsbezogen einzustellen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 37 Maßgeschneiderte Mörtel für die Instandsetzung des Aachener Doms Abb.-4: Abstimmen der Pigmente des Verfugmörtels VFM21 auf den eingesetzten Herzogenrather Sandstein Erst aufgrund des hellen Bindemittelsystems ist es möglich, das farbliche Erscheinungsbild individuell auf den jeweiligen Anwendungsfall abzustimmen. So wurden dem karolingischen Sichtmörtel Ziegelmehl für einen warmen, rötlichen Grundton beigemengt. Für die Farbgestaltung der auf den karolingischen Sichtmörtel basierenden Verfugmörtel kamen Pigmente (Eisenoxide) zum Einsatz. Im Fall der Taufkapelle wurde der Trockenmörtelmischung des Verfugmörtels lediglich Schwarzpigment zugegeben. Für die farbliche Anpassung des Verfugmörtels für die Chorhalle auf die Farbe des Herzogenrather Sandsteins - im frisch bearbeiteten Zustand - erfolgten zunächst zwei Abstufungen mit jeweils konstantem Gelbanteil sowie variierenden Schwarzanteilen, siehe Abb.- 4. Nach Auswahl einer vielversprechenden Gelb-Schwarz-Kombination (C3b) erfolgte die Zugabe von Rotpigment, wiederum in verschiedenen Intensitäten, siehe Abb.-4 und 5. Die Auswahl der gewünschten Pigmentkombination (C5k) erfolgte am historischen Mauerwerk der Chorhalle, siehe Abb.-6. Abb.-5: Pigmentierte Trockenmörtelmischung VFM21 (2021) Abb.-6: Auswahl der Farbe des Verfugmörtels VFM21 (2021) am historischen Mauerwerk 4. Eigenschaften, Eigenschaftswerte und experimentelle Untersuchungen 4.1 Materialeigenschaften Aufgrund der Druckfestigkeit können die Verfugmörtel VFM20 und VFM21 in die Festigkeitsklasse M5 nach [13] mit einer Druckfestigkeit von rd. 5-N/ mm², einer Biegezugfestigkeit von rd.-1,5-N/ mm², einer Zugfestigkeit von rd.-1,0-N/ mm² und einem statischen Elastizitätsmodul von ca. 3.500-N/ mm², jeweils im Alter von 14-Tagen, eingeordnet werden. Die korrespondierende Trockenrohdichte beträgt rd. 1,26-kg/ dm³. 38 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Maßgeschneiderte Mörtel für die Instandsetzung des Aachener Doms Abb.-7: Verbunduntersuchungen mit Herzogenrather Sandstein: (Haft-)Zugfestigkeitswerte der Serien C6 (Riemchen), C8 (Platte) und C9 (2-Stein-Prüfkörper) 4.2 Verbunduntersuchungen mit Herzogenrather Sandstein Neben den mechanischen Eigenschaften und dem optischen Erscheinungsbild ist ein guter Verbund zu dem Naturstein wichtig für ein dauerhaft beständiges Mauerwerk. Der Verbund zwischen Herzogenrather Sandstein und dem Verfugmörtel VFM21 jeweils in Kombination mit den Haftvermittlern HV-1 und HV-2 wurde in drei Serien an Verbundprüfkörpern verschiedener Geometrien (Riemchen-, Platten- und 2-Stein-Prüfkörper) mit Variation des Haftvermittlers untersucht. In Abb.-7 sind die Ergebnisse zusammengefasst. Die Ergebnisse aller drei Serien zeigen, dass bei Verwendung des Haftvermittlers HV-2 höhere Haftzugbzw. Mörtelzugfestigkeiten gegenüber HV-1 erreicht werden. Der HV-2 beinhaltet gegenüber dem HV-1 mehr Kunststoffdispersionspulver (KDP), was die Wasserretention zu begünstigen scheint. Bei einem höheren Anteil an KDP wird mehr Wasser zurückgehalten, welches dem Mörtel nachträglich zur Hydratation zur Verfügung steht. Es kann sich eine höhere Zugfestigkeit des Mörtels bzw. ein besserer Haftverbund zum Untergrund ausbilden. Zugversuche am unbeeinflussten Mörtel, d.-h. ohne Wasserabsaugen durch den Naturstein, an brikettförmigen Prüfkörpern nach ASTM-C30718 [14] haben gezeigt, dass die Zugfestigkeit im Alter von 14-Tagen bei 1,0 N/ mm² liegt. Ein Vergleich mit Serie C9 zeigt, dass der Mörtel in Kontakt zum Sandstein den Wert von 1,0-N/ mm² nicht erreicht (0,60-N/ mm² und 0,74 N/ mm²) und somit nicht die volle Zugfestigkeit ausbildet. Durch den Naturstein wird dem Mörtel Wasser entzogen, der für die vollständige Hydratation benötigt wird. Ein Vergleich der Serien C9-1 und C9-3‘ zeigt, dass der Verbund zwischen Sandstein und Verfugmörtel durch Vornässen deutlich verbessert werden kann. Es können rd. 20-% höhere (Haft-)Zugfestigkeitswerte erreicht werden. Zudem konnte in diesem Fall lediglich Mörtelversagen beobachtet werden, während es bei der Serie ohne Vornässen (C9-3‘) überwiegend zu Adhäsionsversagen kam. Ohne Haftvermittler werden lediglich maximal halb so hohe Werte erreicht im Vergleich zu den Werten mit Haftvermittler und vorgenässten Sandsteinen. 5. Ausführungsbeispiele Die Arbeitsgänge bei der Instandsetzung schadhafter Mauerwerkfugen ist schematisch in Abb. 8 dargestellt. Zunächst werden schadhafte Fugen mit Flankenabrissen, Fehlstellen etc. (a) ausgeräumt und gereinigt (b). Anschließend wird eine Unterfuge bis rd. 2 cm von der Vorderkante des Natursteins eingebracht (c). Mithilfe eines geeigneten Pinsels wird der Haftvermittler aufgetragen (d) und die Sichtfuge frisch in frisch mit dem neuen Verfugmörtel eingebracht (e). Bei Bedarf wird der Bindemittelschleier z. B. mittels Wurzelhaarbürste (Taufkapelle) oder Sandstrahlen (Karolingischer Sichtmörtel) entfernt bzw. mit einem feuchten Schwamm (Chorhalle) abgerieben werden. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 39 Maßgeschneiderte Mörtel für die Instandsetzung des Aachener Doms Abb.-8: Schematischer Ablauf bei der Instandsetzung schadhafter Mauerwerkfugen: (a) Mauerwerk mit schadhaften Fugen (Flankenabrisse, Fehlstellen etc.), (b) ausgeräumte und gereinigte Fugen, (c) Einbringen der Unterfuge bis rd. 2-cm an die Vorderkante, (d) Auftragen des Haftvermittlers, (e) Einbringen des Verfugmörtels der Sichtfuge mit neuem Verfugmörtel und bei Bedarf Entfernen des Bindemittelschleiers z.-B. mittels Wurzelhaarbürste, Sandstrahlen etc. Die in Abb.-8 schematisch dargestellten Arbeitsschritte bei der Instandsetzung von schadhaftem Mauerwerk werden im Rahmen des Kolloquiums am Beispiel der Taufkapelle und der Chorhalle näher erläutert. In Abb.-9 sind die in diesem Beitrag beschriebenen Verfugmörtel gegenübergestellt. Abb.-9: Vergleich der verschiedenen Sichtmauermörtel: (a) Karolingischer Sichtmörtel (2003), (b) Verfugmörtel VFM20 Taufkapelle (2020) und (c) VFM21 Chorhalle Süd (2021) Neben der unterschiedlichen Farbgestaltung wird ebenso die unterschiedliche Oberflächenbehandlung durch Sandstrahlen (a), Abreiben mittels Wurzelhaarbürste (b) bzw. Abreiben mit einem feuchten Schwamm (c) deutlich. Dabei richtet sich die gewählte Oberflächenbehandlung nach dem Bauwerk und den damit verbundenen Anforderungen. Das Karolingische Mauerwerk sowie das Mauerwerk der Taufkapelle sind teilweise frei zugänglich und somit von Nahem sichtbar. Diesen Mörteln wird durch die gewählte nachträgliche Oberflächengestaltung ein individuelles Erscheinungsbild verliehen. Dagegen ist das Fugenbild beim Mauerwerk der Chorhalle durch den vergleichsweise geringen Fugenanteil sowie die eingeschränkte Zugänglichkeit von untergeordneter Rolle, weshalb auf aufwändigere Verfahren verzichtet wird. 6. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurden verschiedene Mörtel für die Instandsetzung des Aachener Doms und wesentliche Merkmale vorgestellt. Bei der Instandsetzung von historischem Mauerwerk gelten spezielle Anforderungen an (Fugen-) Mörtel und Ausführung. Dem Vornässen und der Nachbehandlung sind eine besondere Bedeutung beizumessen. Bei guter Vor- und Nachbehandlung in Verbindung mit einem Haftvermittler werden gute Verbundeigenschaften zwischen bestehendem Natursteinmauerwerk und nachträglich eingebrachtem Verfugmörtel erzielt. Neben weiteren Entwicklungen an den vorgestellten Verfugmörteln soll die Bauwerkserhaltung am Aachener Dom zukünftig digitalisiert werden. Mithilfe einer eigenen Drohne des ibacs soll u.-a. der Istzustand des Natursteinmauerwerks regelmäßig erfasst und der Zustand der Mörtelfugen und der Natursteine mithilfe eines zu entwickelnden Algorithmus kontinuierlich miteinander verglichen bzw. Veränderungen bewertet und Handlungsbedarf abgeleitet werden. 7. Danksagung Dem scheidenden Dombaumeister, Herrn Dipl.-Ing. Helmut Maintz, gilt unser Dank für die langjährige vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit. Literatur [1] Engel,- J.: Eignungsversuche an Vergußmörtel für den Verbau von Naturstein. RWTH Aachen University, Institut für Baustoffforschung (ibac), Aachen, Studienarbeit, 1996 (unveröffentlicht) [2] Engel,- J.: Vergußmörtel für den Steinaustausch in Natursteinmauerwerk, Rezeptierung und Eignungsnachweis. RWTH Aachen University, Institut für Baustoffforschung (ibac), Aachen, Diplomarbeit, 1998 (unveröffentlicht) [3] Engel,-J.; Rößler,-G.: Entwicklung eines Fugenvergussmörtels für den Natursteinaustausch am Dom zu Aachen. In: Schriftenreihe Aachener Beiträge 40 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Maßgeschneiderte Mörtel für die Instandsetzung des Aachener Doms zur Bauforschung, Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac), 1999, Nr. 9, Bauwerkserhaltung Festschrift Sasse, S. 327-338 [4] Engel,- J.; Rößler,- G.: Entwicklung eines Mörtels zur nachträglichen Verfugung beim Natursteinaustausch am Dom zu Aachen. Freiburg: AEDI- FICATIO, 1999. - In: Werkstoffwissenschaft und Bauinstandsetzen. Berichtsband z. fünften Internationalen Kolloquium, Band II, Esslingen, Nov./ Dec. 1999, (Wittmann, F.H.; Gerdes, A. (Ed.)), S. 915-926 [5] Raupach,- M.; Rößler,- G.; Engel,- J.: Entwicklung eines Vergußmörtels für den Aachener Dom. Aachen: Institut für Bauforschung, 2001. - Forschungsbericht Nr. F 660 [6] Blume,- C.: Entwicklung eines Steinergänzungsmörtels für Nievelsteiner Sandstein - Instandsetzung des Natursteins an der Matthias- und Anna-Kapelle des Aachener Doms. RWTH Aachen University, Institut für Baustoffforschung (ibac), Aachen, Diplomarbeit, 2005 (unveröffentlicht) [7] Raupach, M; Rankers, R. Rößler, G Wolff, L.; Bruns, M.: Dom zu Aachen - Untersuchungen des karolingischen Mauerwerks, Teil 1+2. Aachen, Institut für Bauforschung, 2002; Zwischenbericht Nr. F 6040 [8] Gargoudi,- M.- E.: Überprüfung der Eignung von zwei Verfugmörteln für die Instandsetzung des karolingischen Mauerwerks des Aachener Doms, RWTH Aachen University, Institut für Baustoffforschung (ibac), Aachen Diplomarbeit, 2003 (unveröffentlicht) [9] Raupach,- M.; Rankers,- R.; Gargoudi,- M.- E.: Entwicklung eines Verfugmörtels für das karolingische Mauerwerk des Aachener Doms. Freiburg: AEDI- FICATIO, 2003. - In: Werkstoffwissenschaften und Bauinstandsetzen, Proceedings of the Sixth International Conference, Karlsruhe, September 16-18, 2003, (Wittmann, F.-H.; et al. (Ed.)), S. 613-622 [10] Raupach,- M.; Rankers,- R.; Wolff,- L.; Gargoudi,- M.- E.: Entwicklung eines Verfugmörtels für den Aachener Dom. Weimar: Bauhaus-Universität 2003. - In: 15. Internationale Baustofftagung, - 24.- 27. September 2003, Weimar, S. 1-1199-1-1211 [11] Raupach,- M.; Rankers,- R.; Wolff,- L.; Gargoudi,- M.- E.: Analysis of the Existing Mortars and Development of a New Mortar for the Historic Masonry of the Carls Cathedral in Aachen. Stockholm: ICOMOS, 2004. - In: 10th International Congress on Deterioration and Conservation of Stone, Stockholm, June 27 - July 2, 2004, (Kwiatkowski, D.; et al (Ed.)), Vol. II, S. 1089-1096 [12] Rankers,-R.; Raupach,-M.: Die Sanierung des karolingischen Mauerwerks - Entwicklung und Anwendung eines Fugenmörtels. Worms: Werner, 2012. In: Die karolingische Pfalzkapelle in Aachen: Material - Bautechnik - Restaurierung, S. 263-270 [13] DIN-EN-9982: 2017-02 Festlegungen für Mörtel im Mauerwerksbau - Teil 2: Mauermörtel; Deutsche Fassung EN 998-2: 2016 [14] ASTM- C307-18. Standard Test Method for Tensile Strength of Chemical-Resistant Mortar, Grouts, and Monolithic Surfacings. ASTM International. West Conshohocken PA USA. 2018. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 41 Stadt- und Stützmauern interdisziplinär analysieren und bewerten Dr.-Ing. Gabriele Patitz IGP Ingenieurbüro Bauwerksdiagnostik und Schadensgutachten, Karlsruhe Zusammenfassung Stadt- und Stützmauern aus Natursteinmauerwerk prägen das Bild unserer Städte und Gemeinden. Bedingt durch deren meistens sehr lange Nutzungs- und Lebensdauer sind die Konstruktion und Baumaterialien mehr oder weniger starken Veränderungen unterworfen. Fehlender oder falscher Mörtel, Risse, Ausbauchungen und Verschiebungen, zerstörte Steine oder Teileinstürze, starker Bewuchs oder Wurzelreste gehören zu den üblichen Zustands- und Schadenbildern. Im öffentlichen Raum muss diesen Prozessen Rechnung getragen werden. Nur temporär sind Absperrungen eine Lösung. Basis geplanter Instandhaltungs- und Ertüchtigungsarbeiten sind neben aktuellen Planunterlagen mit Verformungsangaben ausreichend Informationen zur vorhandenen Konstruktion, Bauausführung und dem Zustand der Baumaterialien. Mittels Bauradar können Hohlräume, Wandabmessungen, Wandauf bauten wie Mehrschaligkeiten und gelockerte Bereiche im Mauerinneren erkundet werden. Mit dieser Technik ist es möglich, schnell in wenigen Tagen vollflächig große Stützmauern, Burg- und Stadtmauern zu erkunden. Auf der Basis der gewonnenen Informationen könnten dann ganz gezielt einige wenige kalibrierende Kernbohrungen ausgeführt werden. Bei geplanten Vorher-Nachher Messungen ist es möglich, den Erfolg von Verpressarbeiten zur Qualitätskontrolle beim Hohlraumverschließen zu beurteilen. Diese interdisziplinären Bestandserfassungen und Bewertungen werden an Beispielen aus der Praxis vorgestellt. 1. Bauradar zur Bestandserkundung Der interdisziplinäre Einsatz von Bauradar zur Bestandserkundung gehört inzwischen zum Stand der Technik. Die heute vorliegenden Erfahrungen basieren auf einer jahrelangen Zusammenarbeit der Autorin als spezialisierte Bauingenieurin mit dem Geophysiker Markus Hübner der GGU mbH Karlsruhe. Aussagen zu den technischen Eigenschaften der vorhandenen Baustoffe sind mit dieser Technik nicht möglich. Allerdings können auf Basis der Radaruntersuchungen gezielte Öffnungs- und Beprobungsstellen wie Kernbohrungen angegeben werden. Dadurch reduziert sich zum einen die Anzahl der Öffnungen und zum anderen kann deren Position den örtlichen Gegebenheiten und der vorhandenen bzw. geplanten Nutzung gezielt angepasst werden. Mit den Radarsensoren wird zerstörungsfrei und rückstandslos direkt an den Oberflächen entlanggefahren. Als Hilfsmittel dienen Gerüste, Hebebühnen oder Abseilvorrichtungen. Dabei werden elektromagnetische Wellen in das Bauteil gesendet. Die an Schicht-, Konstruktions- und Materialwechseln auftretenden charakteristischen Reflexionen werden in sogenannten Radargrammen (Bild 10) aufgezeichnet und können ggf. vor Ort bereits ausgewertet werden. Auf Basis von Erfahrungswerten werden die erfassten Reflexionen interdisziplinär bewertet und interpretiert. Gelegentlich sind wenige kalibrierende kleinere Öffnungen erforderlich. Die vorhandene Gerätetechnik ist für Mauerwerksuntersuchungen ausreichend leistungsfähig. Es stehen Sensoren mit unterschiedlicher Eindringtiefe und Tiefenauflösung zur Verfügung. Die Bilder 1 bis 8 zeigen verschiedene Sensoren im praktischen Einsatz. Die Wahl der zu verwendenden Sensoren erfolgt final vor Ort nach einer ersten Sichtung und Beurteilung der Datenqualität und erzielbaren Reichweite. Daher ist es nicht unüblich, dass ergänzend verschiedene Sensoren eingesetzt werden. Die Eindringtiefe wird durch den Feuchte- und Versalzungsgrad und die Art der Natursteine beeinflusst. Daher können finale Entscheidungen hinsichtlich der einzusetzenden Technik nur vor Ort nach Sichtung und Bewertung der ersten Datensätze erfolgen. Bei ausreichender Erfahrung der Verfahrensanwender sind keine vorherigen Testmessungen nötig. Das Messraster an den Bauteilen richtet sich nach der Fragestellung und der gewünschten Aussagegenauigkeit. Hier muss gemeinsam mit dem Auftraggeber ein sinnvoller Mittelweg zwischen Messaufwand, Auswerteaufwand und Ergebnisgenauigkeit abgestimmt werden. Viele Radarprofile bedeuten nicht zwangsläufig eine höhere Ergebnissicherheit, aber auf jeden Fall erhöhte Kosten für den Auftraggeber. 42 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Stadt- und Stützmauern interdisziplinär analysieren und bewerten Bild 1: Ermittlung der Einbindetiefe der Steinquader zur Beurteilung der Mauerwerksverzahnung, Horizontalmessung mit einem 900 MHz Sensors Bild 2: Ermittlung der Homogenität innerhalb einer Stadtmauer, Ortung von Hohlräumen und Schalenablösungen, Vertikalmessung mit 900 MHz Sensors Bild 3: Abseilen eines 400 MHz Sensors zur Hohlraumortung hinter der vorderen Mauerschale, Ermittlung der Wanddicken Bild 4: Abseilen eines 400 MHz Sensors zur Bestimmung der Wanddicken und Ortung von Ausspülungen zwischen Wand und anstehendem Fels Bild 5: händisches Führen eines 400 MHz Sensors Bild 6: Abseilen eines 1500 MHz Sensors zur Ortung von Ablösungen der Mauerschale bzw. Hohlraumsuche hinterhalb der vorderen Mauerschale 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 43 Stadt- und Stützmauern interdisziplinär analysieren und bewerten Bild 7: 1500 MHz Antenne am Mauerwerk zur Ermittlung der Steineinbindetiefen Bild 8: 150 MHz Sensor zur Wanddickenbestimmung 2. typische Datenbeispiele Bei den aufgenommenen Radardaten handelt es sich zunächst um Radargramme. Diese Datensätze zeigen entlang der horizontalen oder vertikalen Profillinie typische und signifikante Reflexionen, welche bewertet und in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Bauingenieur und Geophysiker interpretiert werden. So verursachen beispielsweise Hohlräume und Ablösungen im Vergleich zu ungeschädigten Mauerbereichen unterschiedlich stark erhöhte Reflexionsstärken. Im Bild 9 ist eine abgelöste Mauerschale zu sehen und exemplarisch die Darstellung des Hohlraumes in einem Musterradargramm in Bild 10. Bild 9: bereits gesicherte Mauerschalenablösung bei einer Stützmauer Bild 10: typisches Radargramm in dem sich eine Mauerschalenablösung bzw. ein Hohlraum durch erhöhte Reflexionen darstellt Üblicherweise werden Stützmauern weitgehend vollflächig mit Radar untersucht. Dann ist es möglich, die Radardaten als Zeitscheiben zu berechnen und darzustellen. 44 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Stadt- und Stützmauern interdisziplinär analysieren und bewerten Das bedeutet, dass in den interessierenden Wandabschnitten und Wandtiefen alle Reflexionen farbcodiert dargestellt werden. Meistens handelt es sich um den Grenzbereich der vorderen Mauerschale zur Innenfüllung. Hier wird erfahrungsgemäß ein qualitativ schlechteres Mauerwerk erwartet und Bewuchs, eindringende Feuchtigkeit in Kombination mit fehlender Wartung und Pflege haben diese inneren Bereiche oft gelockert und/ oder drückt gegen die Mauerschale. Sinnvoll ist es, aktuelle Orthopläne mit Angabe der Verformungen als Höhenlinien ergänzend zu verwenden. In diese können die interpretierten Radarergebnisse eingetragen werden. Wichtig ist prinzipiell der Vergleich zwischen schadhaftem und nicht schadhaftem Mauerwerk. Sehr hilfreich können dafür auch bauhistorische Untersuchungen und Kartierungen sein. Bild 11 zeigt einen Mauerabschnitt einer ca. 8 m hohen Stützmauer im Orthofoto und Bild 12 die zugehörigen Radarergebnisse. Bild 11: Orthofoto einer ca. 8 m hohen Stützmauer Bild 12: Radarergebnisse als Zeitscheiben in dem Tiefenbereich oben ca. 0,2 m bis 0,5 m und unten ca. 1 m bis 2 m. Homogenes und kompaktes Mauerwerk wird blau und schwarz dargestellt. Bei den grünen / gelben / roten Bereichen handelt es sich um Verdachtsstellen für hohlraumreiches und gelockertes Mauerwerk. Diese Bereiche sind sowohl in der Tiefenlage als auch in deren Ausdehnung gut eingrenzbar. Die Lage von kalibrierenden Bohrungen wurde auf der Basis der Radardaten in diesen Abschnitten festgelegt. Bild 13: Interpretation der Radarergebnisse auf der Basis der Kernbohrungen 3. Interpretation der Radardaten Die interdisziplinäre Interpretation kann oftmals aufgrund der inzwischen vorhandenen Erfahrungen erfolgen und kann durchaus ausreichend sein. Diese Methode und Herangehensweise gehört seit mittlerweile ca. 25 Jahren zum Stand der Technik und des Wissens. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 45 Stadt- und Stützmauern interdisziplinär analysieren und bewerten Nicht auszuschließen sind aber einige wenige kalibrierende Kernbohrungen, dessen Bohrmaterial ergänzend zur Ermittlung der technischen Eigenschaften der Mörtel und der Mauersteine genutzt werden kann. Voraussetzung ist eine lagegenaue Zuordnung und sorgfältige Dokumentation und Auf bewahrung des Bohrmaterials. Es können dann Bereiche unterschiedlichen Mauerzustandes beurteilt, auskartiert und angesprochen werden (Bilder 13). Für die Entnahme von Bohrkernen bietet es sich oft eine ergänzende Videoendoskopie an. Damit wird das Mauerwerk zusätzlich über eine visuelle Betrachtung der Bohrwandung beurteilt (Bilder 14 bis 16). Kleinere Bohrungen mit Endoskop bieten auch bereits gut verwertbare Informationen, wenn Bohrungen größer 100 mm nicht möglich sind. Bild 14: Befahren eines Bohrloches mit einer Videokamera Bild 15: Aufnahmetechnik für die Bohrlochvideoendoskopie Bild 16: Bilder der Bohrlochwandung aus einer Videobefahrung eines Bohrloches 4. Fazit Zahlreiche Praxisbeispiele zeigen, dass das Bauradar ein effektiv einzusetzendes zerstörungsfreies Verfahren zur Erkundung von Stütz- und Stadtmauern ist. Lokal und ganz gezielt sind einige wenige Öffnungen oder Bohrungen zu kalibrierenden Zwecken nötig, die umgehend wieder verschlossen werden können. Diese Voruntersuchungen bieten eine gute Basis für die Planungen und Ausschreibungen von Sanierungsarbeiten. Bei langen Stadtmauern ist es möglich, in Abhängigkeit von dem Mauerzustand und der Dringlichkeit die aktuell zu sanierenden Bereiche abzugrenzen und somit fundiert abschnittsweise vorzugehen. Unliebsame Überraschungen beim späteren Bauen lassen sich nicht ganz vermeiden, aber sehr stark eingrenzen. Das erforderliche bestandsorientierte Untersuchungskonzept kann aus Zeit- und Kostengründen nie vollumfänglich sein. Im Zuge des Projektverlaufes und Zugewinns an Informationen sollte das erstellte Untersuchungskonzept mit den projektbeteiligten Fachleuten regelmäßig auf den Prüfstand gestellt und weiterentwickelt werden. Das betrifft sowohl die Erkenntnis, dass manche Untersuchungen nicht mehr benötigt werden und andere dafür evtl. erforderlich werden. 46 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Stadt- und Stützmauern interdisziplinär analysieren und bewerten Literatur [1] Patitz, Gabriele: Altes Mauerwerk zerstörungsarm mit Radar und Ultraschall erkunden und bewerten. Bauphysik-Kalender 2012, Verlag Ernst & Sohn Berlin, S. 203 [2] Patitz Gabriele, Grassegger Gabriele, Wölbert Otto (Hrsg.), Natursteinbauwerke Untersuchen - Bewerten - Instandsetzen. Arbeitsheft 29 des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg, Fraunhofer IRB Verlag und Theiss Verlag, 2014 [3] Sanierung historischer Stadtmauern, Planung, Ausführung - Wartung, 2015 Hrsg. Christine H. Bauer, Gabriele Patitz, Fraunhofer IRB Verlag ISBN 978-3-8167-9617-6 [4] Patitz, Gabriele; In unbekannte (Bauteil-)Tiefen schauen. B+B Bauen im Bestand Heft 7 / 2016 Seiten 24 - 29 [5] Patitz, Gabriele; Wellen in die Tiefe schicken. B+B Bauen im Bestand Heft 2 / 2021 Seiten 8 - 13 Bildquellen: Bild 9: Architekturbüro Bernd Säubert Karlsruhe Plan zur Bestandserfassung vom 19.12.2019, Schadenskartierung Stand Januar 2020 Bild 15: Geotechnisches Ingenieurbüro Prof. Fecker und Partner GmbH Ettlingen Alle anderen Bilder sind von der Autorin und Markus Hübner GGUmbH Karlsruhe. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 47 Feuchteschutz und Kerzenwachs beim Bauen im Bestand Ohne Verträglichkeits- und Eignungsversuche geht es nicht Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro/ Technische Hochschule Köln Thomas Emmerichs, B. Eng. Dominik Ingenieurbüro Im denkmalpflegerischen Bereich und beim Bauen im Bestand werden Produkte und Bauverfahren benötigt, die auf die speziellen Anforderungen der historischen Baukonstruktionen und Baustoffe abgestimmt werden müssen. Für die feuchtetechnische Instandsetzung von historischen Bauteilen gegen kapillar aufsteigende Feuchte z. B. im Wandbereich werden deshalb Baustoffe benötigt, die in Ihren Eigenschaften neben einer ausreichenden Wirksamkeit auch auf chemisch-mineralogischer Basis mit den historischen Baustoffen verträglich sein müssen. Verfahrens- und baustofftechnisch muss zudem beachtet werden, dass die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit eines Bauteils durch die speziellen Ausführungstechniken nicht beeinträchtigt werden. Ein Beispiel dafür sind die vor der Hochwasserkatastrophe in Teilbereichen brandgeschädigten Bauteile eines Bauwerks. Sie enthalten im Mauerwerk geschädigte Horizontalsperren. Die Wirksamkeit dieser geschädigten Horizontalsperren gegen aufsteigende Feuchtigkeit müssen durch spezielle Feuchteschutzmaßnahmen wieder hergestellt werden. Darüber hinaus sollte auch darüber nachgedacht werden, ob es möglich ist, die korrodierenden Stahlträgerauflager der Betonkappendecken im Mauerwerksbereich mittels eines Feuchteschutzverfahrens vor einem weiteren starken Feuchteangriff zu schützen und damit den Korrosionsprozess zu verlangsamen. Es wurden dazu erste Eignungsversuche zur Wirksamkeit des sogenannten Paraffinverfahrens durchgeführt. Das sogenannte „Paraffinverfahren“ wird seit vielen Jahren zum nachträglichen Einbau einer Dichtebene gegen kapillar aufsteigende Feuchtigkeit in Bauteilen wie z.-B. Mauerwerkswänden eingesetzt. Angaben zu diesem Verfahren finden sich u.-a. in dem WTA-Merkblatt 4-10 Ausgabe 03.2015/ D „Injektionsverfahren mit zertifizierten Injektionsstoffen gegen kapillaren Feuchtetransport“. Ziel der Forschungsaktivitäten war es, am Bauwerk unter Praxis- und Laborbedingungen zu untersuchen, wie die Wirksamkeit des Verfahrens in Hinblick auf den Feuchteschutz an Bestandsbauten und die Verträglichkeit mit den Baustoffen auch unter Dauerhaftigkeitsaspekten zu beurteilen ist. Die Untersuchungsergebnisse, die am Bauwerk und im Labor ermittelt wurden zeigen deutlich, dass der Einsatz dieses Verfahrens zum Feuchteschutz in Hinblick auf Wirksamkeit und Verträglichkeit sehr unterschiedlich sein kann. Wie die Untersuchungen zeigen, ist die Wirksamkeit dieses Verfahrens neben den objektspezifischen Verhältnissen sehr stark von der Art des Feuchteschutzstoffs und der verfahrenstechnischen Anwendung abhängig. Es muss, wie bei anderen Feuchteschutzmaßnahmen auch auf die Verträglichkeit mit den Baustoffen ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Hier spielt neben der Stoffverträglichkeit (Baustoffe im Kontakt mit einem Feuchteschutzstoff sowie baustoffschädlichen Stoffen) auch die Verfahrenstechnik, z.-B. bezogen auf den Durchfeuchtungsgrad und das Vortrocknungs- und Applikationsverfahren eine wesentliche Rolle. Ohne Verträglichkeitsuntersuchungen und Eignungsversuche sollte kein Verfahren zum nachträglichen Feuchteschutz mittels „Injektionsverfahren“ nach dem WTA-Merkblatt angewendet werden. Das oben genannte WTA-Merkblatt, das eine Hilfe für die Untersuchung und Planung bietet, sollte u.-a. im Zusammenhang mit den vorliegenden Untersuchungsergebnissen und auch in Bezug auf die in dem Merkblatt angegebene Prüfverfahren für diese Verfahren aktualisiert werden. Betoninstandsetzung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 51 Füllen von Rissen und Hohlräumen an porösen, hohlraumhaltigen (und auch wasserbelasteten) Betonen Dipl.-Ing. (FH) Benjamin Reims WEBAC Chemie GmbH, Barsbüttel bei Hamburg Zusammenfassung Beton und Betonbauteile sind optimal für eine Druckbeanspruchung ausgelegt. Sie nehmen jedoch nur geringe Zug- oder Biegespannungen auf, die neben dem Schwinden und mechanischen Belastungen (Verkehrslasten) die häufigsten Ursachen für Risserscheinungen und Undichtigkeiten darstellen. Dafür ist aber eine gute Zusammensetzung, Verarbeitung und Verdichtung für die Einhaltung der beschriebenen Eigenschaften erforderlich. Leider werden immer häufiger Fehler bei den einzelnen Arbeitsschritten eingebaut. Diese entstehen aber nicht immer nur im reinen Handwerk (Ausführung), sondern bereits viel früher in der Planungsphase. Um Lunker, Kiesnester, Fehlstellen in der Praxis behandeln zu können, ist eine Bauzustandsanalyse, in der sämtliche Merkmale und Ursachen der Riss- und Hohlraumbildung festgestellt und dokumentiert werden, erforderlich. Besonders Hohlräume sollten nicht erst durch das „Anbohren“ des Betons festgestellt werden. 1. Bauzustandsanalyse Vor Beginn sämtlicher Instandsetzungsbzw. Instandhaltungsmaßnahmen steht eine umfangreiche Bauzustandsanalyse. Ohne diese ersten Schritte können die durchzuführenden Maßnahmen und eingesetzten Produkte nur „abgeschätzt“ werden. Eine zielführende Instandsetzung ist so häufig nur dem Zufall überlassen. Die Instandsetzungsmaßnahmen sowie die hierfür einzusetzenden Füllgüter werden in Abstimmung mit der Analyse der Rissmerkmale wie Rissart, -ursache, -geometrie, -breite, -breitenänderung, Feuchtezustand und Verschmutzung/ Verunreinigungen ausgewählt. Zur Bestimmung der Rissbreite können z. B. Risslehren oder Risslupen verwendet werden. In die Tiefe eines Bauteils kann man entweder anhand eines Bohrkerns, Probebohrungen mit einem größeren Durchmesser oder mit Hilfe eines Endoskops schauen. (Bild 1). Eine weitere Methode, die man oberflächennah einsetzen kann, ist das Abklopfen der Oberflächen. Das Georadar und auch Ultraschall werden in den neueren Regelwerken zusätzlich benannt. 2. Rissarten Wichtig ist die Differenzierung der Rissarten. Unterschieden wird gewöhnlich in „Oberflächennahe Risse“ sowie in „Trennrisse“. Die Verfahren zur Rissfüllung weichen hier zum Teil erheblich voneinander ab. Häufig kann man so ohne weiteres gar nicht feststellen, ob die Risse durch das Bauteil durchgehen. Feuchtigkeit oder sogar fließendes Wasser könnten ein Indikator dafür sein, bei jedoch trockenen Rissen sieht das anders aus. Dann bleibt häufig nur noch die Möglichkeit Bohrkerne zu entnehmen, um diese Informationen zu bekommen. Bild 1: Bohrkernentnahme für Bauzustandsanalyse 3. Rissbreite/ Risstiefe Die Rissbreite ist der Abstand der Rissufer, gemessen auf der Bauteiloberfläche, senkrecht zum Rissverlauf. Da längere Risse unterschiedliche Breiten aufweisen sollten mehrere Messungen in wesentlichen Bereichen stattfinden. Es sind bei jeder Messung Datum, Uhrzeit, Wetterlage und Bauteiltemperatur zu dokumentieren. Die Genauigkeit der Messung liegt meist bei 0,1mm. 52 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Füllen von Rissen und Hohlräumen an porösen, hohlraumhaltigen (und auch wasserbelasteten) Betonen Bild 2: Messen der Rissbreite 4. Rissbreitenänderungen Für die Auswahl des geeigneten Füllmaterials und dem damit verbundenen Erfolg der Injektionsmaßnahme ist vor allem die Rissbreitenänderung von Bedeutung. Bauteilbewegungen während der Erhärtungsphase des Füllmaterials oder nach der Aushärtung können zu weiteren Schäden bzw. Undichtigkeiten führen. Dies ist wichtig bei kraftschlüssigen Injektionen besonders bei standsicherheitsrelevanten Bauteilen. Rissbreitenänderungen können kurzzeitig, täglich oder auch langfristig auftreten. Je nach Jahreszeit oder Belastung z. B. durch Verkehr treten die Bewegungen völlig unterschiedlich auf. Es kann sogar zu Überlagerungen kommen. Bild 3: Bauteilbewegungen Wie in Bild 3 dargestellt gehen Risse nicht nur „auf und zu“, sie erfahren z. B. durch Setzungen oder Belastungen auch Höhenunterschiede bzw. -versätze. Bei z. B. dynamisch belasteten Bauteilen auch häufig und ich sehr kurzen Zeitabständen. Dabei könnte eine vorhandene Verdämmung abplatzen und zum Austritt des Injektionsmaterials führen. Ein möglichst hoher Füllgrad wäre somit nicht mehr zu gewährleisten. Die Bestimmung der tatsächlichen Rissbewegungen ist für die Materialauswahl von hoher Wichtigkeit. Starr aushärtende Füllgüter werden nur dann verwendet, wenn die Rissursache (Entstehung) beseitigt und sichergestellt ist, dass die Füllung keiner zu starken Bauteilbewegung ausgesetzt ist. Bei sich weiterhin bewegenden Rissen müssen Füllgüter mit dehnbaren (elastischen) Eigenschaften eingesetzt werden. Bild 4: Wechselseitiges Anbohren, ggf. Verdämmung vorsehen 5. Hohlräume Hohlräume und/ oder auch Haufwerksporigkeiten können in verschiedenen Varianten in Betonbauteilen enthalten sein. Hierzu gehören z. B. Lunker, Kiesnester und Fehlstellen. Diese entstehen teilweise z. B. schon bei den Betonierarbeiten. Schlechte Verdichtung, falsches Mischungsverhältnis, Entmischungen, zu viel Bewehrung oder eben unzugängliche Bereiche sind nur ein kleiner Teil der Möglichkeiten. Bild 5: Große Fehlstellen in Stütze Im Zusammenhang mit abdichtenden, dehnbaren oder eben auch kraftschlüssigen Injektionen ist aber die Feststellung die wichtigste Information für das ausführende Unternehmen. Sollten die Hohlräume im Vorfeld übersehen worden sein, könnte es zu falschen Anwendungen, falscher Materialauswahl oder auch zu viel zu hohen Materialverbräuchen führen. Von den Fehlern und Folgen mal ganz abgesehen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 53 Füllen von Rissen und Hohlräumen an porösen, hohlraumhaltigen (und auch wasserbelasteten) Betonen Bild 6: Hohlraumverfüllung durch Injektion Eine besonders schwere Anwendung im Zusammenhang mit Hohlräumen und Fehlstellen ist die Abdichtung von Halbfertigteilwänden (Sandwichelementwände), die durch viele verschiedene Fehlerquellen auffallen. Hier zeigt das Bild 7 die kritischen Bereiche, die meist in den Fußpunkten und bis zu einer Höhe von 30-50 cm ab Bodenkante entstehen. Bild 7: Injektionen bei Halbfertigteilen Bei solchen Konstruktionen ist die Durchführung sehr schwer, da die verschiedenen - meist wassergefüllten - Fehlstellen miteinander zusammenhängen bzw. verbunden sind. Hier sollten lediglich Fachfirmen beauftragt werden, die Mischung aus Abdichtung und statischer Ertüchtigung sanieren zu dürfen. 6. Feuchtezustände Für die richtige Füllgutauswahl muss festgestellt werden, ob die Risse trocken, feucht oder wasserführend sind. Wasser und Feuchtigkeit können bei nicht speziell feuchtigkeitsverträglichen Produkten zu unkontrollierten Reaktionsergebnissen führen. Bild 8: Feuchte Risse an einer Betonstütze In den älteren Regelwerken haben wir es mit den Feuchtzuständen Trocken Feucht Drucklos wasserführend Drückendes Wasser zu tun, während in der DIN EN 1504-5 kleinere Änderungen/ Anpassungen beschrieben sind: Trocken Feucht Nass Fließendes Wasser 7. Instandsetzungsziele Nach der Feststellung des Ist-Zustandes werden die Instandsetzungsziele festgelegt. Die Ergebnisse der Bauzustandsanalyse liefern dem Planer wichtige Informationen zu den Instandsetzungsmöglichkeiten und der entsprechenden Materialauswahl. Aus der Erfahrung heraus werden die Instandsetzungsziele auf Grundlage der DAfStb-Richtlinie (Instandsetzungs-Richtlinie), die auf den Entwürfen zur ZTV-ING (Teil 3; Abschnitt 5) beruht, geplant und festgelegt. Dort sind die Anwendungsziele in Abhängigkeit von den Feuchtezuständen beschrieben. Aus der Tabelle (Nicht hier enthalten) heraus können die konkreten Füllgüter (Materialbasis) ausgewählt werden. Diese theoretischen Vorgaben lassen sich auf den Baustellen nicht immer so umsetzen, da immer wieder die örtlichen Randbedingungen in Verbindung mit dem Instandsetzungsziel einen Widerspruch ergeben. Zum Beispiel wären Druckwasserführende Bauteile im Winter kraftschlüssig/ Druckfest abzudichten - wenn überhaupt - nur bedingt und mit sehr hohem Zusatzaufwand möglich. Diese extremen Bauwerksbedingungen werden in den Regelwerken und Produktanforderungen in dieser Kombination nicht behandelt und können von Rissfüllgütern nach Instandsetzungs-Richtlinie nicht erfüllt werden. 54 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Füllen von Rissen und Hohlräumen an porösen, hohlraumhaltigen (und auch wasserbelasteten) Betonen Zusätzliche Möglichkeiten bietet hier die europaweit gültige DIN EN 1504. Diese Norm hebt die Leistungsmerkmale der einzelnen Produkte hervor - unabhängig von ihrer Materialbasis und liefert dem Planer ein breiteres Spektrum an Einsatzmöglichkeiten und Zieldefinitionen. Anwendungsziele nach DIN EN 1504-5: Kraftschlüssiges Verbinden (Kategorie F) Dehnbares Verbinden (Kategorie D) Quellfähiges Verbinden (Kategorie S) Bild 9: Prinzip Rissinjektion 8. Produkte (Dehnbare Polyurethane) Wenn keine relevanten statischen Anforderungen bestehen, sind die wasserreaktiven, dehnbaren Polyurethanharze die richtige Wahl. Durch ihr Aufschäumen nach Kontakt mit Wasser oder Feuchtigkeit bilden sie nicht nur eine dehnbare Schaumstruktur, sondern entwickeln eine hohe Klebkraft an den nassen Rissflanken. Diese schnelle Reaktion verhindert in der Praxis oft einen Materialaustritt über die Oberfläche und gewährleistet eine effektive Abdichtung der Konstruktion. Im Gegensatz zu den schnellschäumenden, wasserstoppenden Polyurethanschaumharzen ist die expandierte Schaumstruktur des Polyurethanharzes geschlossenzellig und ermöglicht so eine wasserdichte Konstruktion. Durch die entstandenen Bläschen im kompakten Material können eventuell entstehende Bewegungen des Bauteils aufgenommen werden, die abdichtende Wirkung bleibt dabei erhalten. 9. Produkte (Druckfeste Polyurethane) Zusätzlich kann bei der abdichtenden Risssanierung auch noch die Hohlraumfüllung sowie eine Stabilisierung erzielt werden. Übliche Polyurethanharze können zwar zum Füllen von Hohlräumen verwendet werden besitzen aber keine nennenswerten verfestigenden Eigenschaften für Beton. Hier kann erfolgreich auf die neue Generation hochfester Polyurethanharze zurückgegriffen werden, die hohe Druckfestigkeiten besitzen und so auch verfestigend wirken. Ihre Haftung auf trockenem Beton ist mit der von Epoxidharzen vergleichbar; auf feuchten Untergründen sind sie üblichen Epoxidharzen überlegen. Die Wasserreaktivität dieser druckfesten PUR-Harze kann es nicht nur gut mit der Feuchtebelastung des Bauwerkes aufnehmen, sondern-führt darüber hinaus zu beschleunigter Aushärtung auch bei tiefen Temperaturen (niedrige Mindestanwendungstemperatur von >1 °C), wenn oberhalb des Gefrierpunkts gerade noch injiziert werden kann.-Die Mikroschaumbildung in Kontakt mit Wasser bringt einen weiteren Vorteil: das Injektionsmaterial vernetzt schneller und macht so Verdämmarbeiten häufig überflüssig- Für die Verarbeitung dieser Produkte ist die gleiche Injektionstechnik wie bei der klassischen Rissinjektion erforderlich. Daher muss von dem zuvor gewähltem Injektionsverfahren nicht abgewichen werden. Zusätzliches Equipment wird nicht benötigt. 10. Produkte (Epoxidharze) Was bisher undenkbar für die Polyurethanharze (Druckfestigkeit) gewesen ist, kann man auf die Epoxidharze nahtlos übertragen. Bisher waren die am Markt befindlichen Produkte bei maximal restfeuchter Oberfläche/ Rissflanke einzusetzen. Hier gibt es Produkte, die nicht nur bei nassen, sondern auch bei kalten Temperaturen verwendet werden können. Somit sind die mineralischen Produkte nicht mehr die „Alleinherrscher“ bei Situationen, wo Kraftschluss unter feuchten/ nassen oder gar kühlen Bedingungen gefordert wird. 11. Mineralische Systeme (ZL/ ZS) Sind betonähnliche Injektionsmaterialien, die in erster Linie zur Hohlraumfüllung eingesetzt werden. Die deutlich preiswerteren Varianten sind Mischungen aus Zement und Wasser einschließlich eventuellen Zusatzmitteln und -stoffen. Die vom Mahlgrad her deutlich feiner eingestellten Suspensionen können bei kleineren Rissbereichen verwendet werden. 12. Zusammenfassung Extreme Bedingungen auf der Baustelle, wie z. B. tiefe Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, und extreme Feuchtezustände, besonders bei Wasserbauwerken, stellen hohe, oftmals kaum erfüllbare Anforderungen an Planung, Ausführung und Produkte von Instandsetzungsarbeiten. Mit den heute verfügbaren modernen Produkten sind Anwendungsziele über Stoffklassengrenzen hinweg möglich. So können mit unter extremen Witterungsverhältnissen aushärtenden Kunstharz-Injektionssystemen Risse nicht nur abgedichtet und geschlossen, sondern auch Hohlräume und mangelhaft verdichteter Beton zugleich verfestigt (kraftschlüssig verbunden) werden. Nach-einer-Bauzustandsanalyse können die Injektionsmaterialien-passend für die-Objektbedingungen ausgewählt werden. Dabei kann besonders die Druckfestigkeit 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 55 Füllen von Rissen und Hohlräumen an porösen, hohlraumhaltigen (und auch wasserbelasteten) Betonen auf die Bauteilfestigkeit abgestimmt werden. Solche Anforderungen können bereits in der Planungsphase festgelegt und mit den entsprechenden Injektionssystemen auch für so unterschiedliche mineralische Baumaterialien wie Beton oder Mauerwerke realisiert werden. Nicht alle Injektionsmaterialien können/ dürfen allerdings als Hohlraumfüller verwendet werden. Je nach echter Baustellensituation können durch eine falsche Materialauswahl größere Schäden provoziert werden. Zum Beispiel dürfen Epoxidharze wegen Ihrer starken Wärmeentwicklung in der Erhärtungsphase nur in sehr kleinen Fehlstellen von max. 100 ml eingesetzt werden. Speziell bei stärker wasserbelasteten Bauwerken spielen erweiterte Möglichkeiten der Rissfüllstoffe eine wichtige Rolle. Hier erfordern außergewöhnliche Sanierungen von allen Baubeteiligten außergewöhnliche Lösungen. Mit den passenden Produkten gelingt es, auch schwierige Sanierungslösungen tatkräftig anzugehen und unsere Wasserbauwerke auch unter kritischen Bedingungen langfristig und dauerhaft zu schützen. Nach DIN EN 1504-5 ist es also kein Problem, kraftschlüssig verbindende Injektion auch bei Extrembedingungen oder feuchten und sogar nassen Rissen an kritischen Rissflanken durchzuführen. Literaturverzeichnis [1] WEBAC Chemie GmbH; Broschüre Risssanierung [2] Instandsetzungs-Richtlinie des DAfStb [3] ZTV-ING [4] DIN EN 1504-5 [5] Objektdokumentation WEBAC Chemie GmbH Dipl.-Ing. Benjamin Reims reims@webac.de Forschung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 59 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln Ein System zum Schutz neuer und junger Stahlbetonbauwerke vor chloridinduzierter Korrosion Konstantin Fache, M. Sc. FH Münster, Labor für Baustoffe Polina Voitenko, M. Sc. FH Münster, Labor für Baustoffe Prof. Dr.-Ing. Jörg Harnisch FH Münster, Labor für Baustoffe Annika Kunz, M. Sc. TU Dortmund, Lehrstuhl Werkstoffe des Bauwesens Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Jeanette Orlowsky TU Dortmund, Lehrstuhl Werkstoffe des Bauwesens Dr.-Ing. Till Büttner Massenberg GmbH, Essen Dipl.-Ing. Armin Faulhaber instakorr GmbH, Darmstadt Zusammenfassung Korrosionsbedingte Schäden an der Bewehrung von Stahlbetonbauwerken verursachen jährlich hohe Kosten. Um neue und junge Bauwerke bereits vor dem Eindringen von Chloriden und damit vor einer chloridinduzierten Korrosion zu schützen, wird im Rahmen eines vom BMWK geförderten Verbund-Forschungsprojektes eine vollflächige Chloridbarriere entwickelt. Diese basiert auf der Applikation eines durch die Zugabe von rezyklierten Carbonfasern leitfähigen Mörtels auf der Oberfläche von Stahlbetonbauwerken. Anschließend wird ein elektrisches Feld zwischen dieser Mörtelelektrode und der Bewehrung im Beton aufgebaut, das dem Chlorideindringen entgegenwirken soll. In dieser Veröffentlichung werden erste Ergebnisse aus Laborversuchen zur Untersuchung der für die Barrierefunktion erforderlichen Systemparameter vorgestellt. Im Fokus stehen dabei die notwendige Treibspannung sowie die stromverteilenden Eigenschaften des Barrieremörtels. Zudem werden erste Schritte zur vergleichenden numerischen Simulation der durchgeführten Laborversuche gezeigt. 1. Einführung Die Korrosion der Bewehrung in Stahlbetonbauteilen führt häufig zu lebensdauerbegrenzenden Schäden an den betroffenen Bauwerken. Folglich entstehen jährlich hohe korrosionsbedingte Kosten für die Instandsetzung geschädigter Stahlbetonbauwerke - insbesondere von Infrastrukturbauwerken, deren Schädigung weitreichende volkswirtschaftliche Konsequenzen zur Folge hat [1]. Eine maßgebende Ursache für das Auftreten von Bewehrungskorrosion ist das Eindringen von Chloriden in den Beton, die in erster Linie in Form von Tausalzlösungen oder Meerwasser in Bauwerke eingetragen werden und beispielsweise bei Parkbauten zu massiven Schäden führen [2]. Um Stahlbetonbauwerke vor chloridinduzierter Korrosion präventiv zu schützen und damit ihre Lebensdauer signifikant zu verlängern, wird im Rahmen eines Verbund-Forschungsprojektes eine nachhaltige, elektrochemische Chloridbarriere für neue und junge Betonbauwerke entwickelt, die das Eindringen von Chloridionen in den Beton verhindern soll. Das Prinzip basiert auf der Applikation eines mit rezyklierten Carbonfasern versetzten und somit elektrisch leitfähigen Mörtels auf der Oberfläche von Stahlbetonbauteilen, der als flächige Anode wirkt. Durch den Auf bau eines elektrischen Feldes zwischen dieser Mörtelanode und der Bewehrung werden negativ geladene Chloridionen 60 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln daran gehindert, in das Bauteilinnere zu diffundieren und stattdessen in der Mörtelschicht gehalten. Der Transport von gelösten Chloriden im Beton kann vornehmlich durch die Mechanismen Diffusion, Konvektion und Migration erfolgen [3]. Ziel der Chloridbarriere ist es, dem konzentrationsbedingten Diffusionsprozess einen durch ein elektrisches Feld generierten Migrationsvorgang entgegenzusetzen, um das Chlorideindringen stark zu reduzieren und im besten Fall zu unterbinden. Der kathodische Korrosionsschutz zur Verhinderung chloridinduzierter Korrosion durch einen Schutzstrom zwischen der Bewehrung und einer Anode ist heutzutage bereits etabliert und wird weitläufig eingesetzt [4,- 5]. Dabei wird der Schutz der Bewehrung durch eine gezielte Verschiebung des elektrochemischen Potentials des Stahls in kathodische Richtung erreicht, die die Korrosionsaktivität auf vernachlässigbare Größenordnungen reduziert. Allerdings findet diese Art des Korrosionsschutzes nur im Falle bereits stattgefundener Depassivierung der Bewehrung bzw. beginnender Korrosion Anwendung [3]. Die dabei genutzten Stromdichten liegen im Bereich von etwa 4 bis 20- mA pro Quadratmeter zu schützender Stahloberfläche [5]. Demgegenüber bezieht sich der präventive kathodische Korrosionsschutz auf Bauwerke, bei denen mit einer chloridinduzierten Korrosion zu rechnen ist, ohne dass es bereits zur Korrosionsinitiierung gekommen ist. Bei diesem Verfahren wird durch die kathodische Polarisation der Bewehrung der kritische Chloridgehalt erhöht und so die chloridinduzierte Korrosion verhindert [3]. Um dies zu erreichen, sind deutlich geringere Stromstärken im Vergleich zum kathodischen Korrosionsschutz (˂-2-mA/ m 2 ) erforderlich [3]. Bei der hier vorgestellten Chloridbarriere handelt es sich ebenfalls um ein präventives System, das von Beginn an das Eindringen von Chloriden in ein Bauwerk verhindern soll, indem eine vollflächige Barrierefunktion aufgebaut wird. Es wird untersucht, ob durch die Nutzung einer hoch leitfähigen Mörtelanode die erforderlichen Stromdichten gegenüber den im präventiven Korrosionsschutz genutzten Stromdichten noch weiter reduziert und die Abstände der Stromeinspeisepunkte erhöht werden können. Neben der Verlängerung der Lebensdauer chloridexponierter Stahlbetonbauteile kann die Chloridbarriere zur effizienteren und nachhaltigeren Nutzung von Materialien beitragen, da durch den bereits zu Beginn vorhandenen Schutz vor chloridinduzierter Korrosion eine Reduzierung der Betondeckung oder der Betongüte denkbar sind und gleichzeitig rezyklierte Carbonfasern zur Erhöhung der Leitfähigkeit des Mörtels verwendet werden. Der Effekt einer Barrierefunktion für Brückenbauwerke aus Stahlbeton durch Erzeugung eines elektrischen Feldes zwischen zwei Elektroden ist bereits im Rahmen des Forschungsvorhabens „SMART- DECK“ untersucht worden [6,- 7]. Dabei wurde ein elektrisches Feld zwischen zwei Carbongelegen oder einem Gelege und der Bewehrung aufgebaut. Das hier gezeigte System der Chloridbarriere hingegen basiert auf einem elektrischen Feld zwischen einem carbonfasermodifizierten Mörtelanodensystem und der Bewehrung und beschränkt sich nicht auf bestimmte Bauwerkstypen. In dieser Veröffentlichung wird der Fokus auf die Charakterisierung der elektrischen und elektrochemischen Eigenschaften des Anodensystems gelegt. Dazu werden die in Laborversuchen untersuchte Abhängigkeit des Chlorideindringens von der verwendeten Treibspannung, die stromverteilenden Eigenschaften der Mörtelschicht sowie die Grundlagen zur numerischen Simulation der Chloridbarriere vorgestellt. 2. Durchgeführte Untersuchungen 2.1 Versuchskonzept Zur Erreichung der gesteckten Projektziele wurden zwei unterschiedliche Probekörperserien zur Untersuchung der Eigenschaften der Chloridbarriere entwickelt. Hierbei dient die Serie-1 der Untersuchung des Chlorideindringens in Beton in Abhängigkeit unterschiedlicher Treibspannungen. Die Serie-2 fokussiert die Stromverteilung innerhalb der Mörtelschicht des Anodensystems. Für die Serie-1 wurden Probekörper aus Stahlbeton hergestellt, auf deren Oberfläche eine Schicht aus mit Carbonfasern versetztem Mörtel mit eingebetteten Titanbändern als Stromeinspeisepunkte (im Folgenden als Einspeiseanoden bezeichnet) appliziert wurde. Die Oberfläche der Probekörper wurde anschließend dauerhaft oder intermittierend (einen Tag nass, sechs Tage trocken) einer Chloridexposition ausgesetzt. Durch die unterschiedlichen Chloridexpositionen werden einerseits dauerhaft mit chloridhaltigem Wasser beaufschlagte Bauwerke (z.- B. unter Meerwasser befindliche Teile von Betonbauwerken) und andererseits wechselhaft chloridhaltigem Wasser ausgesetzte Bauwerke (z.- B. Wasserwechselzonen oder jahreszeitlich beaufschlagte Infrastrukturbauwerke) simuliert. Hinsichtlich der untersuchten Treibspannungen für die Chloridbarriere ist zwischen den Versuchszeiträumen 1 (VZ- 1) und 2 (VZ- 2) zu differenzieren. Im ersten Zeitraum wurden zunächst extern angelegte Spannungen zwischen der Mörtelanode und der Bewehrung in Höhe von 0,5; 1,0 und 1,5 V genutzt. Nach sieben Monaten wurden die Spannungen aufgrund der Ergebnisse der ersten Chloridanalysen auf 1,2; 2,0 und 2,2-V erhöht [Tab.-1]. Eine maximale Spannung von 2,2- V wurde gewählt, um für den präventiven kathodischen Korrosionsschutz übliche Spannungen nicht zu überschreiten. Zudem haben Untersuchungen von Asgharzadeh [8] gezeigt, dass Carbonfasern bei einer Polarisation gegenüber einer Normalwasserstoffelektrode bis zu dieser Spannung nicht geschädigt werden. Diese Polarisation soll in den hier durchgeführten Untersuchungen in keinem Fall überschritten werden. Zum Prüfen der Wirksamkeit der unterschiedlichen Treibspannungen auf das Chlorideindringen in den Beton wurden stromlose Referenzproben ohne extern angelegtem elektrischem Feld hergestellt (P_0 und I_0), die ausschließlich ein natürliches, in erster Linie durch Diffusion bestimmtes Chlorideindringen erfahren. Da die Probekörper nahezu 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 61 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln wassergesättigt sind, kann davon ausgegangen werden, dass der Effekt des kapillaren Saugens vernachlässigbar gering ist [9]. Zur Untersuchung des Chlorideindringens in den Beton in Abhängigkeit der Treibspannung werden in Abständen von sechs Monaten Chloridprofile sowohl mittels tiefengestaffelter Bohrmehlentnahme und anschließender potentiometrischer Titration als auch mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (eng. Laser-Induced Breakdown Spectroscopy, kurz: LIBS) für jeweils einen Probekörper je Kombination aus Chloridbeaufschlagung und Treibspannung erstellt. Tab. 1: Probekörpermatrix für die Serie 1 Name Chloridexposition Treibspannung in V Anzahl VZ 1 VZ 2 P_0,5 permanent 0,5 1,2 3 I_0,5 intermittierend 0,5 1,2 3 P_1,0 permanent 1,0 2,0 3 I_1,0 intermittierend 1,0 2,0 3 P_1,5 permanent 1,5 2,2 3 I_1,5 intermittierend 1,5 2,2 3 P_0 permanent 0 0 3 I_0 intermittierend 0 0 3 Für die Serie-2 wurde auf die Oberfläche von Stahlbetonbalken eine Schicht des leitfähigen Mörtels appliziert und in die Mörtelschicht in regelmäßigen Abständen Einspeiseanoden in Band- und Drahtform eingebettet. Anschließend wurde analog zur Serie 1 ein elektrisches Feld zwischen der Bewehrung im Beton und der Mörtelanode aufgebaut und der Wirkungsbereich der so entstehenden Polarisation der Bewehrung und der Mörtelschicht mittels Differenzpotentialfeld- und Potentialfeldmessungen untersucht. Es wurden zwei unterschiedliche Probekörpervarianten hergestellt, die sich in Bezug auf die Betondeckung der Bewehrung und den w/ z-Wert der Betonrezeptur unterscheiden [Tab.-2]. Tab. 2: Probekörpermatrix für die Serie-2 Name Betondeckung in mm w/ z-Wert Anzahl 40_0,65 40 0,65 3 30_0,50 30 0,50 3 2.2 Materialien und Probekörperaufbau Die Probekörper der Serie-1 bestehen aus quaderförmigen Betonplatten mit den Maßen 40-x-40-x-10-cm 3 , in die mit einer Betondeckung von 40-mm eine rasterförmig angeordnete Bewehrung aus Betonstabstahl B500B mit einem Durchmesser von 12-mm eingelegt wurde [Abb.-1]. Dem oberen Bereich der Betonkörper wurden über eine Höhe von 1-cm während der Herstellung durch Einmischen von NaCl in das Zugabewasser Chloride mit einer Konzentration von c(Cl - )-=-0,58-M.-% bezogen auf die Betonmasse zugegeben. Auf die Oberfläche der Betonkörper wurde anschließend eine 2-cm dicke Schicht des faserhaltigen Mörtels, der mit Chloriden mit einer Konzentration von c(Cl)-=-0,58-M.% bezogen auf die Mörtelmasse versehen wurde, appliziert und an den Rändern mit einer Aufkantung versehen, um die Oberfläche der Probekörper mit einer NaCl-Lösung mit c(Cl)-=-3-mol/ l beaufschlagen zu können. Die Chloridkonzentration der chloridhaltigen Betonschicht entspricht bezogen auf den Zementgehalt 3,5-M.-%. Abb. 1: Probekörperauf bau und Chloridgehalte für die Serie 1 Die Probekörper der Serie 2 bestehen aus Betonbalken mit den Maßen 300 x 30 x 10 cm 3 , in die eine Bewehrung mit einem Durchmesser von 12 mm unter einer Betondeckung von 40 bzw. 30 mm eingebaut wurde [Abb. 2]. Der Mörtel wurde mit einer Schichtdicke von 2 cm auf der Oberfläche appliziert. 62 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln Für den Beton der Serie- 1 und den Beton der Serie- 2 für die Probekörper mit einer Betondeckung von 40-mm wurde ein w/ z-Wert von 0,65 gewählt, um Beton geringerer Güte mit hohem Kapillarporengehalt zu erzeugen. Durch diesen hohen Kapillarporenanteil und die direkte Zugabe von Chloriden zum Beton in der Randzone der Probekörper sowie der Mörtelschicht für die Serie-1 wird ein schnelles Chlorideindringen in den Beton provoziert, so dass die Funktion der Chloridbarriere in angemessener Zeit untersucht werden kann. Der Beton für diejenigen Probekörper der Serie 2 mit einer Betondeckung von 30-mm wurde mit einem w/ z-Wert von 0,50 ausgeführt, um zusätzlich einen Beton mit einem praxisüblichen Porenanteil untersuchen zu können. Die Betonzusammensetzungen sind in Tab.-3 angegeben. Der für die Serie-1 verwendete Mörtel („Pilotmörtel“) weist einen Gehalt an Carbonfasern von 0,6-Vol.-% und die für die Serie-2 verwendete weiterentwickelte Rezeptur von 1,5-Vol.-% auf [10]. Tab. 3: Betonzusammensetzungen Komponente Beton mit w/ z = 0,65 Beton mit w/ z = 0,50 Gesteinskörnung 0/ 8 in kg/ m 3 1613 1489 Zement in kg/ m 3 369 470 Wasser in kg/ m 3 240 235 2.3 Durchgeführte Messungen Serie 1 Unmittelbar nach Fertigstellung der Probekörper und Beaufschlagung der Oberflächen mit der NaCl-Lösung wurden die Treibspannungen gemäß Tab.-1 zwischen der Mörtelanode und der Bewehrung mittels einer externen Spannungsquelle angelegt. Der zwischen beiden Elektroden fließende Strom wird seitdem wöchentlich gemessen. Zusätzlich wird der Spannungsabfall innerhalb des Elektrolyten der Probekörper (IR-Drop) mittels Ausschaltmessungen bestimmt, da der Potentialabfall im Elektrolyten maßgebend für das elektrische Feld im Beton ist, das dem Eindringen von Chloriden entgegenwirkt. Im weiteren Verlauf wird aufgrund dessen auf den Potentialabfall im Beton statt auf die von außen angelegten Treibspannungen verwiesen. Nach einem Zeitraum von sechs Monaten wurde die Spannungsbeaufschlagung für jeweils einen Probekörper einer jeden Variation, vgl. [Tab.-1], gestoppt und Chloridprofile zur Untersuchung des Chlorideindringens erstellt. Dazu wurden mit einer Schrittweite von 5-mm Bohrmehlproben ausgehend von der Oberfläche der Probekörper bis in eine Tiefe von 80-mm entnommen und die Chloridgehalte der einzelnen Schichten nasschemisch mittels potentiometrischer Titration durch Kaltaufschluss mit Silbernitrat (c-=-0,02 mol/ l) bestimmt. Gleichzeitig wurde je Probekörper ein Bohrkern mit einem Durchmesser von 100-mm entnommen und an einer Bohrkernhälfte der Chloridgehalt mit Hilfe von LIBS über eine Breite von 50-mm und eine Tiefe von ebenfalls 80-mm ermittelt. Dabei wurde eine Rastereinteilung für die Abtastung von 0,50-mm-x-0,50-mm genutzt. Serie 2 Zur Untersuchung der Stromverteilungseigenschaften der leitfähigen Mörtelschicht wurden Differenzpotentialfeldmessungen mit einer stationären und einer beweglichen Aufsatzelektrode für die Mörtelanode durchgeführt, indem in Anlehnung an [11] die Potentialdifferenz zwischen zwei Bezugselektroden gemessen wurde. Gleichzeitig wurden Potentialfeldmessungen mit einer beweglichen Aufsatzelektrode und einem Bewehrungsanschluss für die Bewehrung vorgenommen. Dies erfolgte sowohl im unpolarisierten Zustand der Probekörper als auch während der Polarisation durch eine extern angelegte Spannung. Die dabei genutzte Treibspannung wurden auf Grundlage der Ergebnisse der Serie-1 gewählt. 3. Ergebnisse und Diskussion 3.1 Serie 1 In Abb.-3 ist der mittels potentiometrischer Titration ermittelte Chloridgehalt der nach sechs Monaten untersuchten Probekörper bezogen auf die Gesamtmasse dargestellt. Es ist erkennbar, dass alle Probekörper einen mit zunehmender Tiefe geringer werdenden Chloridgehalt aufweisen. Der Chloridgehalt im ursprünglich chloridfreien Beton (Bereich 4) fällt nur für einen Teil der mit einer Treibspannung beaufschlagten Probekörper geringer aus als bei den spannungslosen Referenzproben (P_0 und I_0). Dies deutet auf ein nicht ausreichend starkes elektrisches Feld, das der Chloriddiffusion entgegenwirkt, hin. Maßgebend für das elektrische Feld und die daraus resultierende Chloridmigration ist der Spannungsabfall im Elektrolyten, der durch den zwischen den Elek- Abb. 2: Probekörperauf bau für die Serie-2 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 63 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln troden fließenden Strom und die Summe der vorliegenden Widerstände bestimmt wird. Die Wahl eines Betons mit einem hohen Porenanteil führt bei hohen Wassergehalten zu einem geringen elektrischen Widerstand, was den Spannungsabfall und somit die Stärke des für die Chloridmigration nutzbaren elektrischen Feldes verringert. Weiterhin weist ein poriges System einen geringeren physikalischen Widerstand gegenüber dem Eindringen von Chloridionen auf. Unter den gegebenen Randbedingungen wirkt einer starken Diffusion eine aufgrund des geringen Spannungsabfalls im Elektrolyten nur schwache Migration entgegen. Zudem lässt sich keine eindeutige Abhängigkeit des Chlorideindringens von der Expositionsart (ständig bzw. intermittierend) erkennen. Da eine intermittierende Chloridbeaufschlagung zu zweitweise trockenen Poren im Beton führen sollte, die anschließend erneut mit einer chloridhaltigen Lösung in Kontakt kommen, wäre ein stärkeres Chlorideindringen bei den intermittierend beaufschlagten Probekörpern zu erwarten gewesen [12]. Der nicht zu erkennende Unterschied kann darauf hinweisen, dass die intermittierend beaufschlagten Probekörper auch in den trockenen Phasen nahezu wassergesättigt verbleiben und somit vergleichbare Randbedingungen wie die ständig beaufschlagten Probekörper darstellen. Abb. 3: Durch potentiometrische Titration bestimmter Chloridgehalt der Probekörper bezogen auf die Gesamtmasse in Abhängigkeit der Treibspannung und der Expositionsart nach sechs Monaten Abb. 4: Vergleich des mittels potentiometrischer Titration und LIBS ermittelten Chloridgehaltes bezogen auf die Gesamtmasse für den Probekörper P_1,5 nach sechs Monaten Die Ergebnisse der parallel zur potentiometrischen Titration durchgeführten Chloridanalyse mittels LIBS sind in Abb.-4 exemplarisch für den Probekörper P_1,5 dem Titrationsergebnis gegenübergestellt. Dabei ist zu beachten, dass die LIBS-Ergebnisse nicht mit Bezug zu der Zement- oder der Gesamtmasse der Probe, sondern auf den Zementstein bezogen ausgegeben werden [13]. Daher enthält die Bezugsgröße neben dem in der Probe enthaltenen Zement das chemisch und physikalisch gebundene Wasser sowie Anteile nicht detektierter Gesteinskörnung. Die LIBS-Ergebnisse wurden mittels eines Umrechnungsfaktors, der den Anteil des gebundenen und ungebundenen Wassers sowie des Zementes in der Probe berücksichtigt, zunächst auf den Zementgehalt und anschließend auf die Gesamtmasse bezogen [13]. Es ist beim Vergleich der beiden Analyseverfahren zu beachten, dass sich die Ergebnisse der Titration jeweils auf ein schichtintegrales Volumen der Probe mit einer Stärke von 5-mm beziehen und ein Messwert jeweils die mittlere Konzentration dieser Schicht ausdrückt. Mittels LIBS hingegen werden Messwerte an der Querschnittsfläche der Probe mit einer Schrittweite von 0,5-mm gewonnen. Aufgrund dessen wurde für die Ergebnisse der LIBS-Untersuchung jeweils das Integral über Schichten mit einer Stärke von 5-mm gebildet und für diese der mittlere Chloridgehalt berechnet. Der Vergleich der beiden Chloridprofile zeigt, dass mittels Titration im Bereich der Mörtelschicht bis zu etwa 2-M.%/ m ges höhere Chloridgehalte im Vergleich zur LIBS-Analyse gemessen werden. Diese Abweichung kann auf die lokale Ansammlung von Chloriden auf der Oberfläche der Probekörper und in oberflächennahen Poren zurückgeführt werden, wodurch es zu Konzentrationsspitzen im oberen Bereich der Mörtelschicht kommen kann. Da die Probenentnahmen für die Titration und die LIBS-Untersuchung an unterschiedlichen Positionen erfolgten, können sich insbesondere in den oberflächennahen Schichten örtlich starke Konzentrationsunterschiede ergeben. In den folgenden Tiefenschichten ist die Abweichung der Ergebnisse beider Verfahren deutlich geringer, wobei LIBS ab einer Tiefe von 17,5-mm für alle weiteren Messpunkte zu höheren Chloridgehalten im Vergleich zur potentiometrischen Titration führt. Grund hierfür kann die Höhe des Umrechnungsfaktors zum Bezug des Chloridgehaltes auf die Gesamtmasse sein. Da dieser Faktor durch den Anteil des gebundenen Wassers, der nicht analytisch bestimmt, sondern nur angenommen wurde, beeinflusst wird, können sich durch die Umrechnung systematische Abweichungen zwischen den nasschemisch und mittels LIBS ermittelten Chloridgehalten ergeben. Ein maßgebender Vorteil der mittels LIBS möglichen hochauflösenden Bestimmung des Chloridgehaltes ist die Erkennung starker Konzentrationsänderungen innerhalb geringer Tiefenabschnitte. Um dies zu verdeutlichen, zeigt Abb.-5 den nach sechs Monaten mittels LIBS gemessenen Chloridgehalt bezogen auf den Zementstein für den Probekörper P_1,5 als farbskalierte Darstellung für alle Messpunkte innerhalb des Messrasters. Auffällig ist hierbei, dass im Tiefenbereich zwischen etwa 13-mm bis 17 mm eine über die gesamte Scanbreite deutlich höhere Chloridkonzentration als in den angrenzenden Bereichen 64 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln erkennbar ist. Diese Akkumulation von Chloridionen kann auf die Wirkung der stark anodisch polarisierten Einspeisebereiche als Anziehungspunkte für negativ geladene Ionen zurückgeführt werden. Aufgrund dessen ergibt sich die angestrebte Anhäufung von Chloridionen im Bereich der Mörtelanode. Dieser Effekt ist anhand der mittels Titration erstellten Chloridprofile nicht erkennbar, was auf das feinere Messraster der LIBS-Messung zurückzuführen ist. Die für die Titration genutzten Bohrmehlproben beziehen sich jeweils auf eine Schichtdicke von 5-mm, wodurch die Ausprägung lokaler Maxima und Minima der Chloridkonzentration geringer wird. Abb. 5: Farbskalierte Darstellung des mittels LIBS ermittelten Chloridgehaltes des Probekörpers P_1,5 bezogen auf den Zementstein (zst) nach sechs Monaten Aufgrund des nach sechs Monaten nicht merklich erkennbaren Effekts der unterschiedlichen Treibspannungen auf das Chlorideindringen im ursprünglich chloridfreien Beton wurde ein zweiter Versuchszeitraum (VZ-2) initiiert. In diesem wurden die Treibspannungen erhöht, um die elektrische Feldstärke im Beton zu steigern. Die neue minimale Treibspannung von 1,2-V liegt knapp unterhalb der zuvor genutzten maximalen Spannung von 1,5-V, so dass hier ein Anknüpfungspunkt an Versuchszeitraum-1 gegeben ist. Den Effekt dieser Spannungserhöhung zeigt der Verlauf des elektrischen Stromes zwischen der Mörtelanode und der Bewehrung gemittelt über die Anzahl der Probekörper je Treibspannung [Abb.-6]. Es ist eine deutliche Abhängigkeit der Stromstärke von der Höhe der Treibspannung erkennbar, wobei im Versuchszeitraum-1 höhere Treibspannungen erwartungsgemäß zu höheren Strömen führen. Im Versuchszeitraum-2 fällt auf, dass eine Treibspannung von 2,0-V entgegen der Erwartung zu merklich höheren Strömen führt als die höchste Spannung von 2,2-V. Abb. 6: Mittlere Stromstärke der Probekörper je Treibspannung Die Ergebnisse der Ausschaltmessungen zur Bestimmung der Stärke des Spannungsabfalls im Elektrolyten sind für den Beginn des Versuchszeitraumes 2 nach Erhöhung der Treibspannungen in Tab.-4 als Mittelwert für die Probekörper je Treibspannung dargestellt. Tab. 4: Mittels Ausschaltmessungen ermittelter Spannungsabfall im Elektrolyten Treibspannung in V IR in V in V/ m 1,2 0,071 1,018 2,0 0,308 4,393 2,2 0,319 4,557 Es lässt sich erkennen, dass eine höhere Treibspannung zu einem höheren Spannungsabfall im Elektrolyten führt, was in einer größeren elektrischen Feldstärke (d.-h. Spannungsabfall bezogen auf den Elektrodenabstand von 7-cm) resultiert. Für die elektrochemische Barrierefunktion ist ein möglichst großer Spannungsabfall im Elektrolyten anzustreben. Weiterhin lässt sich feststellen, dass bei der niedrigsten Treibspannung etwa 6-% und bei der höchsten Treibspannung etwa 14,5-% der jeweils extern angelegten Spannung effektiv für die Chloridbarriere genutzt werden können. 3.2 Serie 2 In Abb.-7a) ist das Ergebnis der Differenzpotentialfeldmessung für die Mörtelanode eines Probekörpers mit einer Betondeckung von 40-mm im unpolarisierten Zustand dargestellt. Dazu wurde die Potentialdifferenz zwischen einer entlang eines Messrasters von 10-cm-x-10-cm über die Mörteloberfläche bewegten Cu/ CuSO 4 -Elektrode und einer am rechten Ende des Probekörpers auf die Oberfläche aufgesetzten Elektrode gleichen Typs gemessen. In Abb. 7b) wird das Ergebnis der Differenzmessung während einer Polarisation des Probekörpers durch eine von außen angelegte Treibspannung von 2-V gezeigt. Es wurde eine Spannung von 2-V gewählt, da die bisherigen Ergebnisse der Serie-1 darauf hindeuten, dass mindestens der aus einer Spannung von 1,5-V resultierende Potentialabfall im Elektrolyten für eine wirksame Barriere erforderlich ist. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 65 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln Abb. 7: Ergebnis der Differenzpotentialfeldmessung für die Mörtelanode im a) unpolarisierten Zustand und b) während der Polarisation mit einer Treibspannung von 2-V Es ist erkennbar, dass die Potentialdifferenzen im unpolarisierten Zustand annähernd konstant in einem Bereich von etwa -100 mV liegen. Im Falle eines ideal leitfähigen Mörtels würde die Differenz konstant 0-mV betragen. Bei eingeschalteter Stromeinspeisung am linken Ende des Probekörpers ist die anodische Polarisation der Mörtelelektrode gut zu erkennen, da im Bereich der Stromeinspeisung die Potentialdifferenz zur ortsfesten Elektrode um über 400-mV höher als die Potentialdifferenz im unpolarisierten Zustand liegt. Diese Veränderung der Potentialdifferenz gegenüber dem unpolarisierten Zustand wird mit steigender Entfernung von der Stromeinspeisung geringer und lässt sich bis zu einer Entfernung von etwa 1-m ausgehend von der Stelle der Stromeinspeisung in die Mörtelschicht feststellen. In Abb. 8a) ist das Ergebnis der Potentialfeldmessung für die Bewehrung im unpolarisierten Zustand des Probekörpers und in Abb. 8b) während der Polarisation mit einer Treibspannung von 2-V dargestellt. Die Messung erfolgte mittels einer über die Oberfläche bewegten Elektrode und einem Anschluss an die Bewehrung. Eine Verschiebung des Bewehrungspotentials in kathodische Richtung durch die zwischen der Mörtelanode und der Bewehrung angelegten Spannung im polarisierten Zustand ist eindeutig erkennbar. Das Potential wird um bis zu 600- mV in kathodische Richtung verschoben. Der Einflussbereich des Stromeinspeisepunktes lässt sich auch hier auf etwa 1 m eingrenzen. Leicht positivere Potentialwerte im Randbereich des Probekörpers lassen sich sowohl im unpolarisierten als auch im polarisierten Zustand auf eine stärkere Austrocknung des Betons in den Randzonen zurückführen. Abb. 8: Ergebnis der Potentialfeldmessung für die Bewehrung im a) unpolarisierten Zustand und b) während der Polarisation mit einer Treibspannung von 2-V Anhand der Messergebnisse der Serie- 2 kann auf die Stromverteilungseigenschaften des leitfähigen Mörtels geschlossen werden. Bei einer verwendeten Treibspannung von 2-V ergibt sich demnach ein Einflussbereich einer Einspeiseanode von etwa 1 m. Um den erforderlichen Abstand einzelner Einspeiseanoden für eine flächenhafte Wirkung der Chloridbarriere benennen zu können, ist jedoch im Vorfeld die notwendige Potentialdifferenz zwischen beiden Elektroden festzulegen, die einen ausreichenden Potentialabfall im Elektrolyten bewirkt. Dies kann mit Hilfe der Ergebnisse der Serie- 1 zum derzeitigen Stand nicht abschließend beurteilt werden, da der mindestens aufzubringende Spannungsabfall im Elektrolyten und die daraus resultierende Treibspannung für eine ausreichende Verminderung der Chloriddiffusion noch nicht ermittelt ist. Zudem ist zu beachten, dass sich die Leitfähigkeit des Mörtels mit fortschreitender Zeit aufgrund des geringer werdenden Feuchtegehaltes verringert. Die zuvor gezeigten Ergebnisse basieren auf Messungen, die rund einen Monat nach Applikation des Mörtels und Lagerung bei 20-°C durchgeführt wurden. Anhand der fortlaufenden Messungen wird festgestellt werden, in welchem Maße sich der Einflussbereich eines Stromeinspeisepunktes aufgrund der Austrocknung des Mörtels noch verändert. 3.3 Numerische Simulation des Chlorideindringens Um die Laborergebnisse zur Wirkungsweise der Chloridbarriere auf andere Bauteilgeometrien übertragen zu können, wurde eine numerische Simulation der Probekörperserie- 1 in der FEM-basierten Software 66 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln COMSOL Multiphysics vorgenommen. In einem ersten Schritt wurde der Fokus auf die Simulation des diffusionsgesteuerten Chlorideindringens in die unpolarisierten Referenzproben gelegt. Dazu wurde zunächst die Probekörpergeometrie dreidimensional unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Schichten und deren Chloridgehalt modelliert [Abb.-9]. Die Oberfläche des Modells wurde gemäß den Laborversuchen mit einer NaCl-Lösung mit einer Konzentration an Chloridionen von 3 mol/ l beaufschlagt. Abb. 9: Modell des Probekörpers Da die ständig beaufschlagten Referenzproben als wassergesättigt angenommen werden können und kein externes elektrisches Feld zwischen den Elektroden angelegt ist, wird ausschließlich Diffusion als Transportmechanismus betrachtet. Der dabei genutzte Chloriddiffusionskoeffizient für den Beton wurde anhand der mittels potentiometrischer Titration ermittelten Chloridprofile für den ursprünglich chloridfreien Beton der Referenzproben der Serie 1 unter Anwendung des zweiten Fick´schen Diffusionsgesetzes zu 6,45-·-10 11 -m/ s 2 ermittelt. Die Ergebnisse der Simulation des Chlorideindringens sind in Abb.-10 als Chloridverteilung über den Querschnitt des Probekörpers nach einem Zeitraum von sechs Monaten dargestellt. Es ist ein gleichmäßiges Eindringen der Chloridionen über die Querschnittsbreite mit einer geringer werdenden Konzentration über die Tiefe und einem Konzentrationsmaximum im Bereich der Oberfläche des Probekörpers erkennbar. Dies entspricht einem diffusionsgesteuerten Eindringen der Chloride. Die Ansammlung von Chloriden oberhalb der Anodenbänder ist damit zu begründen, dass keine Diffusion der Chloridionen durch die als undurchlässig simulierten Anodenbänder stattfinden kann. Zum Vergleich der mittels der Simulation und der nasschemisch in den Laborversuchen ermittelten Chloridgehalte für die Referenzprobe P_0 sind die Chloridprofile für beide Verfahren in Abb.-11 gegenübergestellt. Beide Chloridprofile weisen einen übereinstimmenden Verlauf in ähnlicher Größenordnung auf, was darauf hindeutet, dass das Modell mit den ermittelten Eingangsparametern in guter Übereinstimmung mit den Kennwerten der Laborproben liegt. Zudem bestätigen die Ergebnisse die für die Laborversuche getätigte Annahme, dass das Chlorideindringen bei den Referenzproben maßgebend durch Diffusion bestimmt wird. Abb. 10: Simulation der Chloridverteilung über den Querschnitt der Referenzprobe nach sechs Monaten Abb. 11: Vergleich des mittels numerischer Simulation und potentiometrischer Titration ermittelten Chloridgehaltes bezogen auf die Gesamtmasse für den Probekörper P_0 nach sechs Monaten In einem nächsten Schritt gilt es, die Probekörper in der Simulation mit den effektiven Potentialdifferenzen, resultierend aus den Ausschaltmessungen der Serie-1, zu beaufschlagen und so ein elektrisches Feld zwischen der Mörtelanode und der Bewehrung zu erzeugen. Anschließend können die simulierten Chloridprofile mit den im Labor ermittelten Chloridprofilen für die polarisierten Probekörper verglichen werden. 4. Schlussfolgerungen und Ausblick Zusammenfassend lassen sich die folgenden Schlussfolgerungen ziehen: • Mit den in ersten Laborversuchen genutzten Treibspannungen von bis zu 1,5-V ist noch kein ausreichender Migrationseffekt, der der Chloriddiffusion entgegenwirkt, erreichbar. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass unter den vorliegenden Randbedingungen Potentialdifferenzen im Elektrolyten von mehr als 70-mV erforderlich sein werden, um eine feststellbare Barrierewirkung gegen Chloriddiffusion zu erreichen. • Untersuchungen zu den Stromverteilungseigenschaften des Mörtels zeigen, dass sich bei einer Treibspannung von 2-V der Einwirkungsbereich eines Stromeinspeisepunktes auf eine Länge von etwa 1-m erstreckt. Die Leitfähigkeit des Mörtels und somit auch der Ein- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 67 Erprobung der Funktionsweise einer elektrochemischen Chloridbarriere auf Basis von Carbonfaser-Mörteln wirkungsbereich einer Einspeiseanode wird sich mit fortschreitender Austrocknung des Mörtels ändern. • Erste numerische Simulationen für die stromlosen Referenzproben zeigen eine gute Übereinstimmung zwischen dem in Laborversuchen ermittelten und dem simulierten Chloridprofil für einen Probekörper, dessen Chloridverteilung durch Diffusion bestimmt wird. Im weiteren Projektverlauf werden weitere Chloridprofile für die nächsten acht Probekörper der Serie-1 ermittelt, um den Einfluss der Erhöhung der Treibspannungen auf das Chlorideindringen zu untersuchen. Mit den daraus resultierenden Erkenntnissen zum erforderlichen Spannungsabfall im Elektrolyten wird der Einflussbereich eines Stromeinspeisepunktes mittels der Serie 2 genauer ermittelt. Mit Hilfe numerischer Simulationen für polarisierte Probekörper unter Verwendung der aus der Serie-1 resultierenden Spannungsabfälle im Elektrolyten wird die Übereinstimmung zwischen experimentell und simulativ ermittelten Chloridverteilungen geprüft sowie untersucht, welche Effekte bei der Übertragung der Chloridbarriere auf andere Bauteil-geometrien auftreten. Parallel wird die Mörtelrezeptur optimiert. 5. Danksagung Die Autor*innen bedanken sich beim BMWK für die Förderung des Projektes und bei der FILINA Innovation-+-Technik GmbH für die Unterstützung bei der Umsetzung. Folgende Partner sind an dem Projekt beteiligt: instakorr GmbH (Darmstadt), Massenberg GmbH (Essen), Mitsubishi Chemical Advanced Materials GmbH (Wischhafen), TU Dortmund, FH Münster. Literatur [1] Deniz Yilmaz, Ueli Angst: Korrosionsbedingte Kosten an Ingenieurbauwerken im Schweizer Straßennetz. In: Beton- und Stahlbetonbau- 6/ 2020, S.-448-458. [2] Christian Sodeikat, Till F. Mayer: Instandsetzung von Tiefgaragen und Parkhäusern. In: Konrad Bergmeister et al. (Hrsg.) Beton-Kalender 2015: Bauen im Bestand, Brücken. Berlin: Wilhelm Ernst & Sohn 2015, S.-115183. [3] Luca Bertolini et al.: Corrosion of Steel in Concrete: Prevention, Diagnosis, Repair. 2. - Aufl. Weinheim: Wiley-VCH Verlag 2013, S.-2148. [4] DIN (Deutsches Institut für Normung): EN ISO 12696 - Kathodischer Korrosionsschutz von Stahl in Beton (ISO 12696). Berlin: Beuth Verlag 2022. [5] Ulrich Bette, Markus Büchler: Taschenbuch für den kathodischen Korrosionsschutz. 8. Aufl. Essen: Vulkan Verlag 2012. [6] Carla Driessen-Ohlenforst, Michael Raupach: Application of electrical fields to reduce chloride ingress into concrete structures. In: Magazine of Concrete Research 12/ 2022, S.-623-632. [7] Till Büttner: SMART-DECK: Vom Konzept zum Demonstrator. In: Bautechnik - Zeitschrift für den gesamten Ingenieurbau 1/ 2020, S.-4756. [8] Amir Asgharzadeh: Durability of Polymer Impregnated Carbon Textiles as CP Anode for Reinforced Concrete. Dissertation, Aachen: RWTH Aachen, 2019. [9] Guillem de Vera et al.: Chloride Penetration Prediction in Concrete through an Empirical Model Based on Constant Flux Diffusion. In: Journal of Materials in Civil Engineering 8/ 2014, S.-139. [10] Jeanette Orlowsky et al.: Mortar with recycled carbon fibres as active chloride barrier for reinforced concrete structures. Gehalten auf dem fib International Congress, Oslo, 12. bis 16. Juni 2022. [11] Markus Stoppel: Differenzpotentialfeldmessung in der automatisierten Prüfung von Stahlbetonbauwerken. Dissertation, Saarbrücken: Universität des Saarlandes, 2011. [12] Heidi Ungricht: Wasserhaushalt und Chlorid-eintrag in Beton. Dissertation, Zürich: ETH Zürich, 2004. [13] DGZfP (Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung): Merkblatt B- 14 - Quantifizierung von Chlorid in Beton mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) (Entwurf). Berlin: DGZfP, 2022. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 69 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen Clarissa Glawe, M.-Sc. Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University Zusammenfassung Die Carbonatisierung von zementbasierten Baustoffen ist nicht nur ein häufiger Auslöser für die Korrosion der Bewehrung von Stahlbeton, sondern bewirkt auch verschiedene wesentliche Eigenschaftsänderungen im carbonatisierten Bereich. Die Korrosion resultiert aus der Abnahme der Alkalität der Porenlösung im Bereich der Stahlbewehrung im Beton, was zur Auflösung der korrosionsschützenden Passivschicht der Bewehrung führt. Die Carbonatisierung geht neben der Abnahme des pH-Werts der Porenlösung mit einer Änderung des Porengefüges einher, die auf einer Wechselwirkung von Lösungs- und Fällungsprozessen basiert. Zur Ermittlung des korrosionsrelevanten Carbonatisierungsfortschritts wird derzeit der Phenolphthaleintest angewendet, der die Reduktion der Alkalität der Porenlösung auf einen pH-Wert < 9 anzeigt. Dieser zerstörenden Prüfungsmethode unter Anwendung einer gesundheitsschädigenden Lösung gegenüber steht die einseitige Wasserstoffkernspinresonanz ( 1 H NMR). Am Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University konnte mithilfe dieser zerstörungsfreien Untersuchungsmethode der Carbonatisierungfortschritt von Mörteln ermittelt werden. Dabei wurde neben der Carbonatisierungstiefe ebenfalls die Änderung des Porengefüges ermittelt. Durch die Korrelation der 1 H NMR Ergebnisse mit bekannten Methoden zur Ermittlung des Carbonatisierungsfortschritts konnten die mithilfe der 1 H NMR ermittelten Carbonatisierungstiefen bestätigt und auf weitere Materialien übertragen werden. 1. Einleitung Die Carbonatisierung von Beton spielt sowohl im Bereich des CO 2 -armen Bauens als auch bei der Erhaltung von Bauwerken eine wichtige Rolle. Einerseits hat Beton die Fähigkeit das CO 2 aus der Atmosphäre zu binden und damit eine verringerte Porosität bei gleichzeitiger Erhöhung der Festigkeit zu erreichen. Zum anderen führt die Umwandlung der C-S-H Phasen im Beton durch die Reaktion mit dem Treibhausgas zu u. a. Calciumcarbonat (CaCO 3 ) zu einer Absenkung des pH-Wertes der Porenlösung im carbonatisierten Bereich. Die pHAbsenkung durch die Carbonatisierung wirkt sich negativ auf die Dauerhaftigkeit von Stahlbeton aus, indem es zu einer Depassivierung der Stahlbewehrung und im späteren Verlauf zu Rissen und Abplatzungen an der Bauteiloberfläche aufgrund der Volumenzunahme des Stahls im Rahmen der Korrosionsreaktion kommt. Im Gegensatz dazu bewirkt die Verringerung der Gesamtporosität bei der Betrachtung von Portlandzementen einen verringerten Feuchtigkeitstransport innerhalb des Bauteils und ermöglicht damit eine Verringerung des Eindringens korrosionsfördernder Stoffe wie Chloride. Unabhängig davon, welcher der beiden oben genannten Veränderungsprozesse betrachtet wird, spielt die Veränderung der Transporteigenschaften des carbonatisierten Bereichs eine grundlegende Rolle für die Dauerhaftigkeit der Konstruktion [1]. Um diesen Phänomenen eine Einheit zu geben, wurde die Carbonatisierungstiefe eingeführt, die auch heute noch den Stand der Technik für die Bestimmung des Ausmaßes der Carbonatisierung darstellt. Derzeit wird die Carbonatisierungstiefe in der Regel mit dem chemischen Indikator Phenolphthalein (C 20 H 14 O 4 ) als 1 %-ige Lösung bestimmt, die den Übergangspunkt eines pHWerts unter 9 der Oberflächen anzeigt, auf die sie aufgetragen wird [2]. Es ist jedoch zu beachten, dass die Carbonatisierung kein Prozess ist, der durch eine scharfe Grenze gekennzeichnet ist, sondern eher durch eine Übergangszone [3, 4]. Ausgehend von einer hohen Alkalität (pH > 12 [5]) zeigt eine Porenlösung mit einem pH-Wert von z. B. 11 bereits einen Carbonatisierungsfortschritt an, der mit Phenolphthalein nicht angezeigt würde. Dies führt möglicherweise bei bestimmten Bindemittelsystemen und klimatischen Einwirkungen zu flachen pH-Gradienten und damit zu einer Unterschätzung des Fortschreitens der Carbonatisierungsfront, so dass Reparaturmaßnahmen nicht rechtzeitig eingeleitet werden können. Gerade bei der Anwendung alternativer Bindemittel als neue Baustoffe scheint der Phenolphthaleintest nicht uneingeschränkt anwendbar zu sein, wenn es um die Bestimmung der Carbonatisierungstiefe geht. Alternative Bindemittel, wie z. B. Geopolymere auf Basis von alkalisch aktiviertem Metakaolin, scheinen nach derzeitigem Stand einen anderen Carbonatisierungsprozess hinsichtlich der Entwicklung der Alkalität ihrer Porenlösung zu durch- 70 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen laufen [6]. Daher wird es in Zukunft vermutlich einen zusätzlichen Bedarf an neuen Untersuchungsmethoden für die Carbonatisierung von Bindemitteln geben. Während viele Untersuchungen zur Instandsetzung carbonatisierter Bauwerke durch Oberflächenbehandlungen oder durch Wiederherstellung der Alkalität der Porenlösung des Betons durchgeführt wurden, z. B. [7-10], gibt es noch keinen Ansatz, der die Veränderung der Porosität, die daraus resultierenden Transporteigenschaften und die Entwicklung der Phasenzusammensetzung des Materials miteinander verbindet. Durch die Verknüpfung dieser Eigenschaften kann ein verbessertes Verständnis des Carbonatisierungsprozesses erreicht und damit neue Bedingungen für Reparaturmaßnahmen formuliert und die Einsatzmöglichkeiten neuer Bindemittel erweitert werden. Ergänzend zu der Bestimmung der Carbonatisierungstiefe durch den Phenolphthaleintest, gibt es verschiedene Methoden, um die Veränderung von zementbasierten Materialien während des Carbonatisierungsprozesses zu untersuchen, wie z. B. XRD, TGA und FTIR [11, 12]. Neben ihrem zerstörenden Charakter beruhen sie alle auf der Analyse von aufwändig präparierten Pulverproben, die in ihrer Ergebnisgenauigkeit durch die Genauigkeit des Entnahme- und Präparationsprozesses begrenzt sind. Dies führt dazu, dass in den bisherigen Forschungsarbeiten mit den oben genannten Methoden oft nur eine Annäherung an die betrachteten Prozesse erfolgt. Erste Versuche wurden unternommen, beschleunigt carbonatisierte Strukturen auf Zementbasis mittels der Wasserstoffkernspinresonanz ( 1 H NMR) zu charakterisieren [3, 13, 14]. Die zerstörungsfreie Untersuchungsmethode hat bei der Untersuchung poröser Materialien und Polymere sehr gute Ergebnisse erzielt, was sie zu einem vielversprechenden Werkzeug für die In-situ-Beobachtung von Baumaterialien macht [15-22]. Es wurde festgestellt, dass die 1 H-NMR die Möglichkeit bietet, die Carbonatisierungstiefe von Zementsteinproben zu bestimmen, die in guter Übereinstimmung mit der Carbonatisierungstiefe steht, die mit dem Phenolphthaleintest ermittelt wurde. Darüber hinaus ermöglicht die NMR eine genauere Charakterisierung der Strukturveränderungen während des Carbonatisierungsprozesses im Hinblick auf die Porengrößenverteilung bei wassergesättigten Proben. Infolgedessen wurde der carbonatisierte Bereich des untersuchten Systems in zwei Schichten unterteilt, die als carbonatisierte Zone und Übergangszone bezeichnet werden. Die Unterscheidung dieser Bereiche basiert auf unterschiedlichen Oberflächenrelaxivitäten, die auf eine Abnahme der Gesamtporosität in der carbonatisierten Schicht hinweisen, begleitet von einer Verschiebung zu größeren Porengrößen. Es ist zu beachten, dass eine Carbonatisierung unter beschleunigten Bedingungen (CO 2 -Konzentration-> 3 %) im Vergleich zur natürlichen Carbonatisierung andere Veränderungen im Gefüge und in den Reaktionsprodukten bewirkt [23, 24]. 2. Materialien und Methoden Im ersten Ansatz wurde mit der Wahl der Materialien beabsichtigt die negativen Einflüsse auf die Signalqualität der 1 H NMR möglichst gering zu halten. Da das Messprinzip der 1 H NMR auf dem Verhalten der Wasserstoffkerne im untersuchten Material infolge eines induzierten Magnetfeldes basiert, gilt es, sonstige magnetische Einflüsse, wie z. B. den Eisengehalt des zu messenden Materials, zu minimieren [25]. Entsprechend wurde ein auf Portlandzement basierender Weißzement (WPC) der Firma Dyckerhoff (FACE) der Zementart CEM I gewählt, der u. a.. durch einen geringen Eisenoxidgehalt charakterisiert wird. Es wurden Proben mit einem w/ z-Wert von 0,5 in Form von Normprismen mit den Abmessungen 40-x-40-x-160-mm³ und Platten mit den Abmessungen 300-x-300-x-40-mm³ hergestellt. Als Proof-of-Concept wurden weitere 1 H NMR Messungen an zwei Betonen in Anlehnung an die Altbetonklasse A4 nach [26] durchgeführt. Tab. 1 umfasst die Rezepturen und Festigkeiten der zwei Betone sowie des Weißzementmörtels nach 28 Tagen. Tab. 1: Rezeptur und Festigkeiten nach 28 Tagen der untersuchten Proben WPC MC040 MC040MK w/ z-Wert 0.5 0.4 Zementart CEM I Weißzement CEM I Grauzement Zement kg/ m 3 455 455 318.5 Metakaolin - - 136.5 Wasser 228 182 Gesteinskörnung 1593 1771.5 1771.5 f c,28d N/ mm 2 52.0 79.6 82.3 Die Proben des WPC wurden 24-Stunden nach der Herstellung im Anschluss an eine Lagerung unter feuchten Tüchern ausgeschalt und anschließend für 6 Tage in Wasser gelagert, um den Einfluss der Nachhydratation innerhalb der Versuche zu minimieren. Auf die Wasserlagerung folgte eine Lagerung für 21 Tage bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 100-%. Aus den Platten wurden Bohrkerne mit einem Durchmesser von 50-mm bzw. 100-mm und einer Höhe von 40-mm präpariert und bei einer Temperatur (21-± 2)-°C und einer relativen Luftfeuchtigkeit (65-±-5)-%-zur natürlichen Carbonatisierung für 10 Monate gelagert. Nach 10 Monaten natürlicher Carbonatisierung wurde ein Bohrkern mit 50-mm Durchmesser zur Messung mithilfe der einseitigen 1 H NMR für 14-Tage in Leitungswasser bis zur Massekonstanz gelagert. Zur Messung mittels der einseitigen 1 H NMR wurde eine CPMG-Messsequenz gewählt, welche die Gewinnung eines tiefengestaffelten Messsignals in festgelegten Schrittweiten erlaubt. Im Experiment entsprach die Schrittweite von 500-µm bis zu einer Messtiefe von 10-mm insgesamt 21-Messtiefen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 71 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen Abb. 1: Gegenüberstellung der Qualität des Messsignals einer einfachen Messung und einer Messung gemittelt aus 10 Experimenten. 1.0E-05 2.0E-01 4.0E-01 6.0E-01 8.0E-01 1.0E+00 0.00 2.00 4.00 6.00 8.00 10.00 12.00 14.00 16.00 Time in ms Amplitude in a.u. R² = 0.1899 R² = 0.9463 0.0E+00 1.0E-01 2.0E-01 3.0E-01 4.0E-01 1.00 2.00 3.00 4.00 5.00 1024 Scans 10 * 1024 Scans Abb. 2: Einseitige NMR MOUSE PM25 der Firma Magritek, maximale Messtiefe 25 mm.Abb. 3: Schematische Darstellung der Probenpräparation zur Gewinnung von tiefengestaffelten Pulverproben in 500 µm Schritten. Jededer 21 Messtiefen wurde mithilfe 1024 Scans und einer Anzahl von 200 Echoes mit einer Echozeit von 0.158- ms bei einem recycle delay von 500- ms gemessen. Diese Messsequenz wurde pro Tiefe 10 Mal wiederholt. Die Messungen wurden mithilfe einer einseitigen 1 H NMR MOUSE der Firma Magritek durchgeführt, die eine maximale Messtiefe von 25-mm erlaubt (vgl. Abb. 2) [27]. Gleiche Parameter wurden für die Messung der Betonproben in Form von Platten (100-x-100-x-50-mm³) verwendet, welche für 90 Tage bei 3-%iger-CO 2 Atmosphäre (T-=-(21-± 2)-°C; rel.-Luftf.-=-(65-±-5)-%) gelagert wurden.- Abb. 3: Schematische Darstellung der Probenpräparation zur Gewinnung von tiefengestaffelten Pulverproben in 500 µm Schritten. Die Wiederholung der Messsequenz ermöglicht eine Reduktion der Streuung des Messsignals und ein sich daraus ableitendes steigendes Signal-zu-Rausch Verhältnis. Abb. 1 zeigt dazu den Unterschied des Messsignals einer einzelnen Messsequenz verglichen zu einem Signal, welches aus 10 Messsequenzen gemittelt wurde. Zur Veranschaulichung wurden die unterschiedlichen Messsignale mit einer einfach exponentiellen Funktion unter Angabe des Bestimmungsmaßes R 2 gefittet. Im Hinblick auf die Auswertung des Messsignals hinsichtlich des Porengefüges, welche auf einem multiexponentiellen Fit des Messsignals basiert, bietet diese Methodik die Möglichkeit eines deutlich zuverlässigeren Ergebnisses. Die gemittelten Messsignale in Form von exponentiellen Zerfallskurven wurden unter Anwendung der Auswertungsroutine nach [28] ausgewertet, bei der das Signal anhand 4 einzelner Exponentialfunktionen gefittet wird. Jede der Funktionen entspricht einer der Bindungsformen des Wassers nach [29-32] im untersuchten Volumen und gibt Aufschluss über die Porenstruktur des Materials. Zur Korrelation wurden neben den 1 H NMR Untersuchungen weitere Untersuchungen zur Charakterisierung des Carbonatisierungsfortschritts und zur Ermittlung der Carbonatisierungstiefe an natürlich carbonatisiertem WPC durchgeführt. Dabei wurde neben dem Phenolphthaleintest, die Kohlenstoff-Schwefel-Analyse (CSA), Thermogravimetrie (TGA) sowie Lichtmikroskopie durchgeführt. Sowohl bei der CSA als auch bei den TGA Untersuchungen wurden Pulverproben aus einem Bohrkern mit einem Durchmesser von 100-mm in 500-µm Schritten ausgehend von der Bohrkernoberfläche bis zu einer Tiefe von 5-mm präpariert und analysiert. Abb. 3 zeigt dazu eine schematische Darstellung zur Probenpräparation der Proben zur Untersuchung mittels CSA und TGA. Um einen Einfluss der carbonatisierten Randbereiche auszuschließen, wurden die Bohrkerne (Ø-=-100-mm) mit einem Durchmesser von 80-mm überbohrt. Anschließend wurden die tiefengestaffelten Pulverproben mit einer Feinheit von 125-µm durch partielles Abschleifen der Probe in 500-µm Schritten erreicht. Ergänzend dazu wurden Dünnschliffe präpariert, welche den Querschnitt des Bohrkerns mit einem Durchmesser von 50-mm in 28-mm Breite und 48-mm Tiefe ausgehend von der Probenoberfläche umfassen. Die Dünnschliffe wurden in fluoreszierendem als auch nicht pigmentiertem Epoxidharz eingebettet und auf eine Dicke von 25-µm geschliffen und abgedeckt. Die Untersuchungen der Betonproben als Proof-of-Concept wurden auf 1 H NMR Messungen und Phenolphthaleintests zur Korrelation der ermittelten Carbonatisierungstiefen reduziert. 72 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen 3. Ergebnisse und Diskussion 3.1 Phenolphthaleintest Abb. 4: Ergebnis des Phenolphthaleintests an einer WPC-Probe nach zehnmonatiger, natürlicher Carbonatisierung. Die Ergebnisse des Phenolphthaleintests, der nach 10 Monaten natürlicher Carbonatisierung an der WPC-Probe durchgeführt wurde, ist in Abb. 4 dargestellt. Beide Proben weisen einen ungefärbten Rand auf, was auf eine Carbonatisierung der Proben in diesem Bereich hinweist, wie unter 1 erläutert. Die durch den Phenolphthaleintest ermittelte Carbonatisierungstiefe d c pH betrug im Falle des WPC 1,5 mm, ausgehend von der Luftseite. Die drei Schalseiten weisen eine scheinbar doppelt so hohe Carbonatisierungstiefe auf, die jedoch im weiteren Verlauf nicht berücksichtigt wird. 3.2 Einseitige 1 H NMR Die zylindrische Probe wurde mit den in 2.1 genannten Messparametern im trockenen und wassergesättigten Zustand mithilfe der einseitigen 1 H NMR gemessen. Das Signal wurde hinsichtlich der verschiedenen Arten von gebundenem Wasser gemäß [29, 30] unter Anwendung eines Multiexponentiellen Fits [28] ausgewertet. Abb. 5 bis Abb. 6 zeigen die sich ergebende Verteilung der Bindungsformen des gemessenen Wassers in Vol.% als Funktion der Messtiefe. Um den prozentualen Anteil der verschiedenen Arten von gebundenem Wasser zu erhalten, wurden die gemessenen Amplituden auf die maximal messbare Amplitude von reinem Leitungswasser normiert. Ausgehend von der Probenoberfläche ergeben die ersten 0,5 mm ein Mischsignal aus der Probe und der Luftschicht zwischen der Probenoberfläche und dem Messkopf der 1 H-NMR. Neben dem Mischsignal der ersten 500 µm zeigt das Gesamtsignal, das die Menge des im Messvolumen vorhandenen Wassers repräsentiert, einen charakteristischen Verlauf entsprechend dem Wert d c pH . Dabei zeichnet sich die carbonisierte Schicht durch einen geringeren Wassergehalt aus, verglichen zur nicht carbonatisierten Schicht (d > d c pH ). Beide Schichten sind durch eine Übergangszone verbunden, die einen mittleren Wassergehalt aufweist. Der nicht carbonatisierte Teil der Probe lässt sich neben dem höheren Signal durch eine konstante Steigung des Gesamtsignals definieren, was, wie im Folgenden beschrieben, als nicht veränderte Struktur des Mörtels interpretiert werden kann. Zusätzlich zum Wassergehalt kann das NMR-Signal ausgewertet werden, um die verschiedenen Arten des gebundenen Wassers zu ermitteln. Basierend auf den Ergebnissen von [27] können vier verschiedene Arten unterschieden werden. Es muss klargestellt werden, dass nur physikalisch (nicht- und teilkristallin) gebundenes Wasser mit 1 H-NMR gemessen werden kann, was darauf beruht, dass die Relaxationszeiten von kristallin gebundenem Wasser zu kurz sind, um nachgewiesen werden zu können. Aus diesem Grund werden in der bisherigen Forschung die verschiedenen Arten von gebundenem Wasser häufig als Porentypen mit zunehmender Größe bezeichnet [27, 28], entsprechend der Reihenfolge ihres Auftretens in Abb. 5. Wie aus Abb. 5 im nicht carbonatisierten Bereich zu entnehmen ist, ist das vorhandene Wasser hauptsächlich im Typ „Gel“ gebunden, gefolgt von dem Typ „Interlayer“, der sich auf den Raum zwischen den Schichten der Calciumsilikathydrate (C-S-H) bezieht. Die Typen „Interhydrat“ und „Kapillar“ wurden in dem nicht carbonatisierten Teil der Probe nicht nachgewiesen. Im Vergleich dazu wird der Bereich von der Luftseite der Probe bis zur Tiefe d c pH , von einer gröberen Struktur dominiert. Die gröbere Struktur ergibt sich aus den nachgewiesenen Formen, die als „Interhydrat“ und „Kapillar“ bezeichnet werden und größere Poren beschreiben. In Kombination mit dem geringeren Gesamtsignal im carbonatisierten Bereich lässt sich ableiten, dass die strukturelle Veränderung während der Carbonatisierung eine Verschiebung der Porengrößen hin zu größeren Poren bei gleichzeitiger Abnahme der Gesamtporosität ( ф NMR ) bewirkt. Diese Ergebnisse stimmen mit denen von [14] und [12] überein, bei denen eine Zunahme größerer Poren als Folge der Carbonatisierung von zementbasierten Materialien mittels 1 H-NMR und Quecksilberporosimetrie (MIP) festgestellt wurde. Es wird angenommen, dass die Zunahme größerer Poren in Kombination mit einer Verringerung des Porenraums insgesamt aus dem Abbau der CSH-Phasen (dargestellt durch „Interlayer“) entsteht. Dieser Abbau resultiert aus der Kristallisation des eingedrungenen CO 2 mit Calciumhydroxid (Ca(OH) 2 ) zu Calciumcarbonat (CaCO 3 ), wodurch es zu einer Verarmung an Calcium in der Porenlösung kommt. Dem aus der Verarmung entstandenem Konzentrationsgefälle zwischen Zementstein und Porenlösung wird durch die Lösung des Calciums aus den CSH-Phasen entgegengewirkt. Diese Reaktion geht mit der Freisetzung von Wasser und einer Volumenverringerung des Reaktionsprodukts einher, was zu einer Zunahme der größeren Porengrößen führt. Die Abnahme des Porenraums insgesamt ist eine Folge der Ausfällungsprozesse des CaCO 3 während der Carbonatisierungsreaktion, das sich im Raum zwischen den Hydratationsprodukten des Zements absetzt [12]. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 73 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen Abb. 5: Auswertung der tiefengestaffelten 1 H-NMR Messung mit der Verteilung der Bindungsformen des Wassers als Funktion der Tiefe einer wassergesättigten WPC-Probe, w/ z-=-0.5. Wie in den Abbildungen dargestellt und basierend auf den Ergebnissen der 1 H-NMR-Messung an wassergesättigten Proben, wurde der carbonatisierte Bereich in zwei Schichten unterteilt, die als „Carbonatisierter Bereich“ und „Übergangszone“ bezeichnet werden und insgesamt die Carbonatisierungstiefe in Bezug auf die 1 H-NMR ergeben. Diese Tiefe wird als d c NMR bezeichnet. Ein Vergleich von d c NMR und d c pH ergibt eine signifikante Differenz von 1-mm, was zu einer Unterschätzung der Carbonatisierungstiefe durch den Phenolphthaleintest von 75 % führt. Ausgehend von der Beobachtung, dass die carbonatisierte Schicht durch eine Vergröberung der Struktur aufgrund des Abbaus des C-S-H und damit einer Verschiebung des Anteils von chemisch gebundenem zu freiem und physikalisch gebundenem Wasser gekennzeichnet ist, kann die Grenzfläche zwischen der Übergangszone und der carbonatisierten Schicht als Trocknungsfront verstanden werden. Diese Trocknungsfront bei 1,5- mm entsteht durch die Hysterese des kapillar gebundenen Wassers, das so lange freigesetzt wird, bis der Wasserdampfdruck minimiert ist. Ein höherer Anteil größerer Poren führt daher zu einem geringeren Wasseranteil in einer Umgebung, die durch eine Luftfeuchtigkeit unterhalb der Wasserdampfkapazität der Luft gekennzeichnet ist [33, 34]. Diese Annahme wird durch die in Abb. 6 dargestellten Ergebnisse der Messungen an einer trockenen Probe bestätigt, die in gleicher Weise konditioniert wurden wie die im wassergesättigten Zustand gemessenen Proben. Die Messung zeigt, dass das Gesamtsignal hauptsächlich aus dem Signal des Wassers besteht, das teilkristallin im „Interlayer“-Raum gebunden ist. Die Änderung der Steigung des Gesamtsignals stimmt mit der des Gesamtsignals der wassergesättigten Proben überein. Diese Übereinstimmung lässt die Vermutung zu, dass die Carbonatisierungstiefe an trockenen Proben gemessen werden konnte, was für die Anwendung der 1 H-NMR vor Ort von Interesse ist. Auch wenn eine detaillierte Charakterisierung der Struktur anhand der verschiedenen Arten von gebundenem Wasser an trockenen Proben nicht möglich ist, könnte die Carbonatisierungstiefe auf zerstörungsfreie Weise bestimmt werden. Abb. 6: Auswertung der tiefengestaffelten 1H-NMR Messung mit der Verteilung der Bindungsformen des Wassers als Funktion der Tiefe einer trockenen WPC- Probe, w/ z-= 0.5. 3.3 Kohlenstoff-Schwefel-Analyse (CSA) Als Korrelationsmethode wurde die Kohlenstoff-Schwefel-Analyse (CSA) auf die gemäß 2.1 präparierten Pulverproben angewendet. Die Ergebnisse sind in Abb. 7 dargestellt. Zusätzlich zum CO 2 - und SO 3 -Gehalt ist im Diagramm der Bereich der Übergangszone gemäß den 1 H-NMRErgebnissen zwischen 1,5 und 2,5 mm Tiefe hervorgehoben. Abb. 7: Ergebnisse der tiefengestaffelten CSA, der graue Bereich markiert die Lage der Übergangszone nach den Ergebnissen der 1 H NMR. Die CSA-Ergebnisse zeigen eine Veränderung des Gehalts beider Spezies in Abhängigkeit der Tiefe, wobei der CO 2 -Gehalt mit zunehmender Tiefe abnimmt, während der SO 3 Gehalt steigt. Im Bereich der d c NMR zeigen die Anteile von CO 2 und SO 3 im Vergleich zum nicht-carbonatisierten Bereich der Probe in Tiefen von mehr als 2,5 mm umgekehrte Ergebnisse. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit [35], wo eine Entmischung von schwefel- und alkalienhaltigen Bestandteilen im Zementstein in Form einer Verarmung an Schwefel im carbonatisierten Bereich beobachtet wurde. 74 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen Abb. 8: Dünnschliffaufnahme im Durchlicht mit Markierung der verschiedenen Teilbereiche infolge der Carbonatisierung der WPC Probe nach natürlicher Carbonatisierung. Abb. 9: Mikroskopaufnahmen im linear polarisierten Licht mit den Teilbereichen B und C zum Vergleich der Zementmatrix im carbonatisierten und nicht carbonatisierten Bereich. 3.4 Lichtmikroskopie Für die Untersuchungen mittels Lichtmikroskopie im Durchlicht wurden die in 2 beschriebenen Dünnschliffe, welche in nicht pigmentiertem Epoxidharz eingebettet wurden, verwendet. zeigt einen Ausschnitt des Dünnschliffs, welcher die drei Teilbereiche basierend auf den 1 H NMR Ergebnissen, umfasst. Der nicht carbonatisierte Bereich unterscheidet sich vor allem durch eine heller erscheinende Matrix von den Bereichen „Übergangszone“ und „Carbonatisierte Schicht“. Zurückzuführen ist dies auf die Ausfällung von Carbonaten als Folge der Carbonatisierung, die mit einer Abnahme der Gesamtporosität einhergehen (vgl. 3.2). Die dunkler erscheinende Matrix resultiert entsprechend aus einem dichteren Gefüge im carbonatisierten Bereich und der Übergangszone, wodurch das Durchlicht reduziert wird. Zur genaueren Betrachtung der Gefügeänderungen durch die Carbonatisierung, wurden weitere Aufnahmen bei erhöhter Vergrößerung erstellt. Abb. 9 ist eine Zusammenstellung einer weiteren Übersichtsaufnahme der drei Teilbereiche bei linear polarisiertem Licht. Die Markierung B und C definieren die Bereiche, welche mit höherer Vergrößerung aufgenommen wurden. Die Zementsteinmatrix im carbonatisierten Bereich besteht zum Großteil aus feinkörnigem Material, das im linear polarisierten Licht in hellen, bunten Farben erscheint. Basierend auf diesem Erscheinungsbild kann von Carbonaten mikritischen Charakters gesprochen werden. Diese finden sich ebenfalls in der Grenzzone der Aggregate zur Zementmatrix (Interfacial Transition Zone - ITZ). Dem gegenüber steht eine deutlich dunklere Matrix im Bereich C, welcher dem nicht carbonatisierten Bereich entspricht. Aufgrund der in 3.2 ermittelten Komponentenverteilung, wurde das Erscheinungsbild der Matrix im nicht carbonatisierten Bereich den CSH-Phasen zugeordnet. 3.5 Thermogravimetrische Analyse (TGA) Zur abschließenden Bewertung der Möglichkeit zur Anwendung der 1 H NMR zur zerstörungsfreien Messung der Carbonatisierungstiefe und den daraus abgeleiteten Änderungen der strukturellen und mineralogischen Eigenschaften, wurde an den Pulverproben aus 3.3 thermogravimetrische Untersuchungen tiefengestaffelt durchgeführt. Die Analyse wurde mithilfe einer Thermowaage der Firma METTLER TOLEDO TGA/ DSC 1 Star e System in einem Temperaturbereich von 30 bis 890-°C und einer Auf heizrate von 10-K/ min durchgeführt. Abb. 10 zeigt den Masseverlust der Proben als Funktion der Temperatur. Auf Grundlage von [12] wurde der Kurvenverlauf in verschiedene Temperaturbereiche unterteilt. Mithilfe des kumulativen Masseverlusts in Abb. 11 konnten die Änderungen innerhalb verschiedener Temperaturbereiche den Bestandteilen der Probe zugeordnet und somit die prozentuale Phasenzusammensetzung ermittelt werden. Anhand der TGA Messungen kann die Abnahme der CSH-Phasen im carbonatisierten Bereich bestätigt werden. Dies kann durch einen erhöhten Masseverlust mit steigender Messtiefe im Bereich von 0 bis 300-°C im Vergleich zum oberflächennahen Bereich der Probe bis zu einer Tiefe von ca. 1,5-mm nachvollzogen werden. Der Abnahme der CSH- Phasen gegenüber steht die Zunahme der Carbonate, deren Zersetzung bei Temperaturen zwischen 500 und 800-°C stattfindet. Eine Unterscheidung der verschiedenen Carbonatmodifikationen wurde an dieser Stelle nicht vorgenommen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 75 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen Abb. 10: DTG Kurve der tiefengestaffelten TGA zur Darstellung der Masseänderung pro 1-°C. Abb. 11: Kumulativer Massenverlust als Ergebnis der tiefengestaffelten TGA. Die berechneten Anteile der verschiedenen Phasen auf Grundlage des Massenverlustes in den jeweiligen Temperaturbereichen, wurden als Funktion der Tiefe in Abb. 12 abgetragen. Anhand eines Vergleiches des Kurvenverlaufes in Abb. 12 mit den Ergebnissen der CSA in Abb. 7, kann eine Übereinstimmung der Massenanteile der Carbonate festgestellt werden. 0.00 0.50 1.00 1.50 2.00 2.50 3.00 3.50 4.00 0.00 2.00 4.00 6.00 8.00 10.00 12.00 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5 Carbonate C-S-H Portlandit Carbonatanteil [%] C-S-H-, Portlanditanteil [%] Messtiefe in mm Abb. 12: Berechnete Phasenanteile als Funktion der Tiefe auf Grundlage der TGA. Daraus ableitend kann mithilfe der TGA der absolute Anteil der verschiedenen Phasenbestandteile in den verschiedenen Tiefenlagen ermittelt werden. Ein Vergleich des Anteils der CSH-Phasen mit dem mittels 1 H NMR berechneten Anteil an CSH-Phasen in Form der „Interlayer“-Komponente, zeigt eine Abweichung der CSH- Phasen verglichen zur TGA. Dieser Abweichung liegt zugrunde, dass mithilfe der 1 H-NMR nicht die CSH-Phasen als Feststoff gemessen werden sondern lediglich das Wasser, welches in den CSH-Zwischenschichten gebunden wird [29]. Dabei kann es sich um eine mehrmolekulare Schicht handeln, wodurch sich ein von 1 abweichendes Verhältnis von CSH-Phasen zum gebundenen Wasser in dieser Struktur, ergibt. Die Betrachtung des tiefenabhängigen Anteils der Carbonate als Ergebnis der TGA zeigt, dass bis zu einer Messtiefe von 5-mm kein konstanter Carbonatanteil in der Probe erreicht wurde, was auf einen Carbonatisierungsfortschritt bis zu einer Tiefe größer 5-mm hinweist. 4. Proof of Concept Durch die Korrelation der Ergebnisse der 1 H-NMR mit weiteren Untersuchungsmethoden wie TGA, CSA und Mikroskopie, stellt die Carbo-natisierungstiefe d c NMR eine präzisere Bestimmung des Carbonatisierungsprozesses in Abhängigkeit von der Tiefe dar als d c pH , welche durch den Phenolphthaleintest bestimmt wird. Um die Anwendung der 1 H-NMR als Werkzeug zur Bestimmung der Carbonatisierungstiefe zu erweitern, wurden Messungen mit den gleichen Parametern wie in 2.1 an zwei verschiedenen Betonarten durchgeführt, deren Zusammensetzung und Konditionierung in Tabelle 2 angegeben bzw. in 2.1 beschrieben sind. 0 5 10 15 20 25 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5 5.5 6 6.5 7 7.5 8 8.5 9 9.5 Interlayer Gel Interhydrat Kapillar Gesamt Ф NMR in % Tiefe in mm Bindungsformen des Wassers (nach Jennings) MC040 wassergesättigt Signal durch Oberflächenanomalien beeinflusst 76 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen 0 5 10 15 20 25 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5 5.5 6 6.5 7 7.5 8 8.5 9 Interlayer Gel Interhydrat Kapillar Gesamt Tiefe in mm Ф NMR in % Bindungsformen des Wassers (nach Jennings) MC040MK wassergesättigt Signal durch Oberflächenanomalien beeinflusst Abb. 13: Ergebnisse der NMR Messungen an nicht und beschleunigt carbonatisiertem Beton gemäß (vgl. 2). Die abgeleitete Gesamtporosität als Funktion der Tiefe ist in Abb. 13 zu sehen. Die beiden Betone wurden vor und nach der beschleunigten Carbonatisierung gemessen. Damit können hydratationsbedingte strukturelle Oberflächenanomalien ausgeschlossen werden, die als Veränderungen infolge der Carbonatisierung interpretiert werden könnten. Die aus den Untersuchungen des Modellzementmörtels abgeleiteten Annahmen sind auf die beiden Betonsorten übertragbar. Obwohl die Gesteinskörnung eine Vergröberung des Gesamtgefüges bewirkt, ist die Abnahme der Porosität bei gleichzeitiger Zunahme der größeren Poren im Zementstein durch die 1 H-NMRErgebnisse nachvollziehbar. Die Korrelation der 1 H-NMRErgebnisse des WPC mit weiteren Untersuchungsmethoden (vgl. 3.3 und 3.4), die eine zerstörende Bestimmung der Carbonatisierungstiefe ermöglichen, geben Anlass, den charakteristischen Kurvenverlauf der verschiedenen Arten gebundenen Wassers, die mit der 1 H-NMR als Funktion der Tiefe beider Betone nachgewiesen wurden, als die durch die Carbonatisierung verursachten Alterierungsprozesse zu interpretieren. Die Überlagerung der Ergebnisse des Phenolphthaleintests mit den Ergebnissen der tiefengestaffelten 1 H-NMR-Messungen an den zwei Betonen vor und nach der beschleunigten Carbonatisierung zeigt den aus 3.2 abgeleiteten, charakteristischen Verlauf der Änderung der Gefügestruktur als Funktion der Tiefe. Dabei zeigen beide Betone im carbonatisierten Bereich eine Abnahme der Gesamtporosität, welche von einer Abnahme der den CSH-Phasen zugeordneten Komponente „Interlayer“ begleitet wird. Gleichzeitig wurde eine Zunahme der den größeren Poren zugeordneten Messsignalen „Interhydrat“ und „Kapillar“ festgestellt. Diese Ergebnisse stimmen mit den Ergebnissen der 1 H-NMR-Messungen am carbonatisierten WPC überein. Ebenfalls konnte bei beiden Betonen eine Übergangszone ermittelt werden, deren Grenze im Falle des MC040 Betons die maximale Messtiefe der einseitigen 1 H NMR übersteigt und eine Messung des nicht carbonatisierten Bereiches nicht möglich war. Verglichen dazu zeigt der Beton mit einer 30 %-igen Substitution des Zements mit Metakaolin (MC040MK) nach der beschleunigten Carbona-tisierung für 90 Tage den Kurvenverlauf, welcher durch zwei Plateaus verbunden durch einen Übergangsbereich charakterisiert wird. Die Plateaus repräsentieren den carbonatisierten Bereich im oberflächennahen Bereich bis zu einer Tiefe von 4-mm und zum anderen den nicht carbonatisierten Bereich ab einer Tiefe von 6,5-mm. Eine Gegenüberstellung der verschiedenen Signalkomponenten lässt auch bei diesem Beton eine Verschiebung zu einer gröberen Gefügestruktur im carbonatisierten Bereich ableiten, welcher vor allem durch die Zunahme der Messsignale der „Interhydrat“ und „Kapillar“ Komponente charakterisiert werden. Gleichzeitig kommt es zu einer Abnahme des in der „Interlayer“- Komponente gebundenen Wassers, das die CSH-Phasen im Gefüge repräsentiert. Die Korrelation der 1 H-NMR-Ergebnisse mit dem Phenolphthalientest resultiert auch hier in einer Abweichung der ermittelten Carbonatisierungstiefen mit d c pH < d c NMR . Berücksichtigt werden sollte hier jedoch die Schwierigkeit der Bestimmung von d c pH aufgrund der Gesteinskörnung, die zu einem unscharfen Grenzverlauf des Phenolphthaleintests führt. 5. Fazit Die beschriebenen Untersuchungen und die aufgeführten Ergebnisse zeigen, dass mithilfe der einseitigen 1 H NMR die Carbonatisierungstiefe zerstörungsfrei ermittelt werden kann. Darüber lassen sich folgende Ergebnisse zusammenfassen: • Die 1 H NMR bietet die Möglichkeit neben der Tiefe ebenfalls die strukturellen und z.T. auch mineralogischen Veränderungen zu erfassen. • Nicht nur anhand der Messung wassergesättigter Proben konnte die Carbonatisierungstiefe gemessen werden, sondern ebenfalls an Proben in einem bis zur Massekonstanz getrockneten Zustand. • Ein Vergleich der Ergebnisse mit der aktuell gängigen, zerstörenden Methode des Phenolphthaleintests zur Ermittlung der Carbonatisierungstiefe hat gezeigt, dass die strukturellen Veränderungen als Folge der Carbonatisierung keiner klaren Grenze folgen, wie es der Phenolphthaleintest vermuten lässt. Vielmehr kann der carbonatisierte Bereich in zwei Teilbereiche unterteilt werden, die in den vorliegenden Untersuchungen in Summe eine im Vergleich zum Phe- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 77 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen nolphthaleintest 75 % höhere Carbonatisierungstiefe zeigten. • Mithilfe der NMR wurde für die untersuchten Bindemittel die Abnahme der CSH-Phasen bei gleichzeitiger Zunahme der Carbonate und einer damit einhergehenden Reduzierung der Gesamtporosität und Vergröberung der Porenstruktur als Folge der Carbonatisierung gemessen. • Auch Materialien, die alternative Bindemittel wie z. B. Metakaolin enthalten, konnten mithilfe der NMR hinsichtlich ihre Gefügestruktur und den durch die Carbonatisierung hervorgerufenen Veränderungen untersucht werden. 6. Ausblick Im weiteren Verlauf der Untersuchungen der Carbonatisierung von mineralischen Baustoffen mithilfe der 1 H NMR gilt es die vorgestellte Methode auf weitere Materialien anzuwenden. Besonders interessant ist dabei die Untersuchung weiterer alternativer Bindemittel, um die dauerhaftigkeitsbezogene Charakterisierung dieser Materialien voranzutreiben. Quellen [1] Kropp J., Karbonatisierung und Transportvorgänge in Zementstein. (1983) Universität Karlruhe, [2] DIN EN 14630: 2007-01, Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken-Prüfverfahren-Bestimmung der Karbonatisierungstiefe im Festbeton mit der Phenolphthalein-Prüfung. (2007) [3] Díaz-Díaz F., F. de Cano-Barrita P., Leon-Martinez F. M.,Castellanos F., Unilateral low-field magnetic resonance measurements of carbonation depth in unsaturated and saturated Portland cement mortars. 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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Zerstörungsfreie Messung der Carbonatisierungstiefe mittels einseitiger Wasserstoffkernspinresonanz - Potenziale und Anwendungsgrenzen [24] Auroy M., Poyet S., Le Bescop P., Torrenti J.-M., Charpentier T., Moskura M., Bourbon X., Comparison between natural and accelerated carbonation (3 % CO 2 ): Impact on mineralogy, microstructure, water retention and cracking. (2018) Cement and Concrete Research, 109, 64-80 [25] Schulte-Holthausen R., Raupach M., A phenomenological approach on the influence of paramagnetic iron in cement stone on 2D T1-T2 relaxation in single-sided 1H nuclear magnetic resonance. (2019) Cement and Concrete Research, 120, 279- 293 [26] Bundesanstalt für Wasserbau, BAWEmpfehlung Instandsetzungsprodukte - Hinweise für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren. Ausgabe 2019. (2019) [27] Blümich B., Perlo J., Casanova F., Mobile single-sided NMR. 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Dabei wurden zwei Hauptziele verfolgt. Für eine annähernde ganzheitliche Betrachtung der Wassertransportmechanismen standen die des kapillaren, flüssigen Wassertransportes sowie des Wasserdampftransportes im Fokus. Integrativ dazu wurden die relevanten Einflussbzw. Bedingungsfaktoren genauer untersucht. Dies war zum einen die Porengröße - dabei gelang es zu klären, auf welche Weise sich in welchen Porenbereichen der Einfluss der Hydrophobierung auf die relevanten Wassertransportmechanismen niederschlägt. Daneben wurde der Wirkstoffgehalt einer hydrophobierenden Imprägnierung als Maß für den tiefenabhängigen Gehalt eben dieser und dessen Auswirkungen auf die Wassertransportmechanismen genauer betrachtet. Jeder untersuchte Wirkstoffgehalt entsprach dabei einer Zone im Saugprofil, sodass der Wassertransport getrennt nach jeweiliger Zone untersucht werden konnte. Neben der Beschreibung der Versuche werden ausgewählte zusammenfassende Ergebnisse der Studie präsentiert und ein Abgleich mit früheren Literaturstudien vorgenommen. 1. Einführung Eine Hauptursache von Schäden an Fassaden aus mineralischen Baustoffen bildet die Wechselwirkung zwischen Baustoff und Feuchtigkeit. Mineralische Baustoffe verfügen über die Fähigkeit, bedingt durch ihr kapillarporöses System, Wasser aufzunehmen, zu speichern und zu transportieren. Der Feuchtehaushalt poröser mineralischer Baustoffe wird durch die Feuchtespeichereigenschaften sowie die im Baustoff in flüssiger und gasförmiger Phase ablaufenden Feuchtetransportvorgänge bestimmt, welche im Porenraum der mineralischen Baustoffe stattfinden. Um den Eintritt von flüssigem Wasser und die daraus resultierenden Schäden zu vermeiden, hat sich seit einigen Jahrzehnten die Maßnahme des Hydrophobierens von mineralischen Baustoffen etabliert. Als Hydrophobierung wird nach DIN EN 1504-2: 2004 [1] eine Behandlung des mineralischen Baustoffes zur Herstellung einer wasserabweisenden Oberfläche definiert. Hierzu werden seit den 90er Jahren vor allem siliciumorganische Hydrophobierungsmittel verwendet [2][3]. Eine Übersicht derzeitiger am Markt befindlicher Produkte kategorisiert nach Wirkstoffen ist in Soulios et al. [4] gegeben. Die kapillare Wasseraufnahme wird durch eine Hydrophobierung maßgeblich unterbunden, wie zahlreiche Studien mittels kapillarer Saugversuche gezeigt haben. Die Werte der relativen Wasseraufnahme im Bezug zur unbehandelten Referenz zeigen in diesen Studien große Unterschiede in Abhängigkeit vom Baustoff. Häufig wird dies auf die baustoffspezifischen Porenstrukturen zurückgeführt, welche differierende Ergebnisse der Wirksamkeit einer Hydrophobierung hervorrufen [4][5][6][7], ein systematischer Nachweis steht jedoch bisher aus. Über den Einfluss einer Hydrophobierung auf das Diffusionsverhalten in mineralischen Baustoffen differieren die Aussagen in der einschlägigen Fachliteratur teilweise erheblich. Die Aussagen reichen von keiner Verminderung der Diffusionsfähigkeit (z. B. [4]) bis zu erheblicher Verminderung (z. B. [8]) mit ebenso differierenden Aussagen zur Abhängigkeit vom jeweiligen Baustoff. Für Feuchtetransportvorgänge in der hydrophobierten Betonrandzone schlägt Gerdes ein idealisiertes Saugprofil vor (Abbildung 1). Die Betonrandzone wird in drei Bereiche gegliedert, welche sich unterschiedlichen Feuchtetransportvorgängen zuordnen lassen. Im Bereich I der hydrophobierten Randzone erfolge der Wassertransport ausschließlich über Diffusion. In Bereich II sei der Beton nur partiell hydrophobiert, wodurch neben einer diffusiven Feuchteaufnahme eine kapillare Wasseraufnahme erfolge. Eine genaue Differenzierung der Wassertransportmechanismen unter Berücksichtigung des absteigenden Gehalts der Hydrophobierung bei steigendem Abstand von der Oberfläche nimmt Gerdes nicht vor. In Bereich III liege keine Hydrophobierung mehr in den Poren vor, sodass eine ungehinderte Kapillarleitung stattfinde. 80 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen Abb. 1: Wassertransport in einem idealisierten Saugprofil für einen hydrophobierten Beton nach Gerdes [3] Aus der vorangegangenen diskursiven Gegenüberstellung wird deutlich, dass die herangezogenen Studien keine Einheitlichkeit und Eindeutigkeit bezüglich der Veränderung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten Baustoffen aufweisen. Ziel der vorliegenden Arbeit war daher ein tieferes Verständnis des Einflusses einer Hydrophobierung auf die Wassertransportmechanismen in mineralischen Baustoffen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Porenstruktur zu erhalten. Für eine annähernd ganzheitliche Betrachtung der Wassertransportmechanismen stehen die des kapillaren, flüssigen Wassertransportes sowie des Wasserdampftransportes im Fokus. Dabei galt es zu klären, auf welche Weise sich in welchen Porenbereichen der Einfluss der Hydrophobierung auf die relevanten Wassertransportmechanismen niederschlägt. Um den abnehmenden Gehalt an Hydrophobierungsstoff in dem o. a. Bereich II studieren zu können, wurden daher Proben mit unterschiedlichen Wirkstoffgehalten getränkt. Jeder Wirkstoffgehalt entsprach dabei einer Zone im Bereich II des Saugprofils (Abb. 1), sodass der Wassertransport getrennt nach jeweiliger Zone untersucht werden konnte. 2. Versuchsprogramm 2.1 Übersicht Es wurden systematische Untersuchungen der relevanten Wassertransportmechanismen zum einen an realen Baustoffen und zum anderen an einem baustoffübergreifenden porösen Modellsubstrat durchgeführt. Die realen Baustoffe sollten ein unterschiedliches, differenzierbares Spektrum an Porenbereichen aufweisen und gleichzeitig repräsentativ für die Anwendung von Hydrophobierungen in der Baupraxis sein. Aus diesen Gründen wurden die Baustoffe Mörtel und Ziegel gewählt. Als geeignetes Modellsubstrat wurden Glaskugelschüttungen identifiziert. Für die systematische Untersuchung der relevanten Wassertransportmechanismen im Hinblick auf die Porenstruktur unter Einfluss des Wirkstoffgehaltes einer Hydrophobierung wurde das in Abbildung 2 dargestellte Testverfahren entwickelt. Hierbei wurden einige Versuche an aus dem in DIN EN 16581: 2015 [D13] aufgeführten Laborprüfverfahren für die Ermittlung der Wirksamkeit von wasserabweisenden Produkten übernommen. Dieses wurde an den Stellen, wo es möglich war, mit dem Modellsubstrat simultan zu den realen Baustoffen durchgeführt. In dieser Veröffentlichung wird aus Platzgründen lediglich auf ausgewählte Versuche und Ergebnisse mit den realen Baumaterialien Ziegel und Mörtel eingegangen. Abb. 2: Testprogramm für die systematische Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen [9] 2.2 Ziegel und Mörtel Im Rahmen des Realversuches wurden insgesamt 300 mit verschiedenen Wirkstoffgehalten hydrophobierte Prüfkörper aus Zementmörtel und Vollziegel verwendet. Hierzu wurden zunächst Mörtelplatten (Dimension: 7 cm x 23 cm x 30 cm) unter Verwendung eines chromatarmen Portlandhüttenzementes CEM II/ B-S 42,5 R (HeidelbergCement AG) nach DIN EN 480-13: 2015 [10] hergestellt. Nach DIN EN 13139: 2002 [11] wurde als Gesteinskörnung Sand der Korngruppe 0/ 4 verwendet, welcher zur Reduktion der Eigenfeuchte zuvor darrgetrocknet und anschließend auf Raumtemperatur abgekühlt wurde. Nach Herstellung der Platten in melaminharzbeschichteten Holzformen wurden diese 48 h mit PE-Folie abgedeckt, dann die Platten ausgeschalt und bis zum Alter von 28 Tagen im geschlossenen Behälter über Was- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 81 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen ser gelagert. Die eigentlichen Prüfkörper in den Dimensionen von 5 cm x 5 cm x 3 cm wurden zur Vermeidung von Randeffekten aus den Mörtelplatten unter Zuhilfenahme einer Tisch-Steinsäge (Norton Clipper CM401 Junior) zugeschnitten. Aus industriell gefertigten Vormauer-Vollziegeln (Wienerberger Pastorale, gedämpft) nach DIN EN 771-1 [12], mit einer Rohdichte von 1,8 kg/ dm³ und der Steinfestigkeitsklasse 8 N/ mm², wurden Prüfkörper analog zu denen aus Mörtel zugeschnitten. Laut Herstellerangabe handelt es sich um einen stark saugenden Handformziegel im Format NF mit einer Porosität von ≤ 15 %. 2.3 Hydrophobierung In den Hauptversuchen wurde das Hydrophobierungsmittel Isobutyltriethoxysilan mit Produktnamen Protectosil® BHN von Evonik Industries verwendet. Hierbei handelt es sich um eine lösemittelfreie hydrophobierende Imprägnierung mit einem Wirkstoffgehalt von >-98-%. Tastweise wurde mit anderen Hydrophobierungsstoffen verglichen. Isobutyltriethoxysilan gehört zu der Gruppe der Alkylalkoxysilane und weist als Alkylrest eine verzweigte Butylgruppe auf. Damit lässt es sich zu den mittleren Molekülgrößen der gängigsten Hydrophobierungsmittel auf Alkylalkoxysilanbasis zuordnen. In Vorversuchen wurde ermittelt, welche Wirkstoffkonzentrationen geeignet sind, damit vollständig durchgetränkte Probekörper aus 2.2 repräsentative Eigenschaften (Wasseraufnahme, Randwinkel) für unterschiedliche Positionen des Tiefenprofils (Abb. 1) aufweisen. Erwartungsgemäß unterschieden sich diese Konzentrationen für Mörtel und Ziegel. Als sich unter den gegebenen Bedingungen inert verhaltendes und damit geeignetes Verdünnungsmittel wurde Butan-2-on durch Vorversuche identifiziert. Ebenfalls in Vorversuchen wurde eine Tauchzeit der Probekörper im Hydrophobiermedium von 80 min ermittelt. Tabelle 1 zeigt den Faktorplan für die Hydrophobierungsversuche, Abb. 3 zeigt die Imprägnierung als Tauchversuch. Tab. 1: Faktorplan der Prüfkörper für die Wassertransportversuche an Mörtel und Ziegel Abb. 3: Imprägnieren der Prüfkörper mit Hydrophobierungsmittel. Links: Prüfkörper im Becherglas mit Zahnscheiben als Unterlage. Mitte: gestapelte Prüfkörper mit Zahnscheiben als Zwischenlage. Rechts: gestapelte Prüfkörper mit Hydrophobierungsmittel Nach 80 Minuten Tauchzeit wurden die Prüf körper der jeweiligen Hydrophobierungslösung entnommen und unter einem Abzug zunächst für zwei Stunden zur Ablüftung gelagert. Im Anschluss wurden die Prüf körper getrennt nach Wirkstoffgehalt für 7 Tage bei 85 % relativer Luftfeuchte über einer gesättigten Kaliumchloridlösung in Klimaboxen mit integrierter Luftumwälzung gelagert. 2.4 Kontaktwinkelmessung Die Kontaktwinkelmessung wurde nach dem statischen Verfahren nach DIN EN ISO 19403-2: 2020 [13] mithilfe eines Kontaktwinkelmessgerätes mit digitaler Bilderfassung und -analyse durchgeführt (OCA25, dataphysics). Der jeweilige Prüfkörper wurde mittig auf dem Probentisch positioniert. Über die automatische Dosiereinheit wurde ein Wassertropfen mit einem Volumen von 4 μl generiert, welcher sich an der Kanüle formte. Der Prüfkörper wurde durch Bewegung des Probentisches in z-Richtung an den Tropfen herangeführt. Der Tropfen wurde abgeholt, sodass dieser sich ohne Kontakt zur Kanüle auf der Prüfkörperoberfläche befand. Direkt im Anschluss wurde die Software zur Bilderfassung und -analyse des Tropfens gestartet. Die Kontaktwinkel wurden an je zehn Tropfen pro Prüfkörper über eine Zeitspanne von drei Minuten mit einem Messintervall von 10 s gemessen. Es wurde jeweils ein Prüfkörper je Baustoff und Profiltiefe im Vorhinein ausgewählt. 2.5 Porosität Daten zur Porosität der hydrophobierten und nicht hydrophobierten Materialien (nicht vollständige Faktoren) wurden unter anderem ermittelt durch • Bestimmung der Porenvolumenverteilung durch Quecksilberintrusion • Bestimmung der Sorptionsisothermen • Bestimmung der offenen Porosität durch Vakuum-Druck-Tränkung in Anlehnung an die DIN EN 1936: 2007 [14] • Bestimmung der kapillarwirksamen Porosität durch Eintauchen in Wasser bei atmosphärischem Druck in Anlehnung an DIN EN 13755: 2008 [15] • Bestimmung der Porenraumstruktur über den elektrischen Widerstand 82 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen 2.6 Kapillare Wasseraufnahme Die Bestimmung des Wasseraufnahmekoeffizienten bei teilweisem Eintauchen wurde nach DIN- EN- ISO- 15148: 2018- [16] durchgeführt. Vor Beginn der Prüfung wurden die vier umliegenden Seiten der Prüfkörper mit einer wasser- und dampfdichten Abdichtung (lösemittelfreies Epoxidharz, MC DUR 1200 VK mit Stellmittel, Müller Bauchemie) versehen, um eine eindimensionale Wasseraufnahme zu gewährleisten. Anschließend wurden die darrtrockenen Prüfkörper auf einem inerten Auflager in einem Behälter mit ebenem Untergrund platziert. Danach wurde demineralisiertes Wasser in zeitlichen Abständen nach DIN EN ISO 15148: 2018 bis zu einem Wasserstand von 5 ± 2 mm Überdeckung der Prüfkörper eingefüllt. Die gravimetrische Bestimmung der Masse wurde in zeitlichen Abständen von 5 min, 10 min, 20 min, 30 min, 1 h, 2 h, 4 h, 8 h und 24 h durchgeführt. Aus den ermittelten Werten wurden die flächenbezogene Massenzunahme und die Wasseraufnahmekoeffizienten berechnet. 2.7 Bestimmung der Wasserdampfdiffusion Die Prüfung der Wasserdampfdurchlässigkeit wurde mittels Cup-Versuch nach an DIN EN 15803: 2010 [17] durchgeführt. Hierzu wurden die zuvor seitlich abgedichteten Prüfkörper mit lösemittelfreiem Epoxidharz (MC DUR 1200 VK mit Stellmittel, Müller Bauchemie) in Schraubdeckel eingeklebt, in welchem zuvor eine quadratische Öffnung von 52 x 52 mm 2 gefräst wurde. Die in den Deckeln eingeklebten Prüfköper wurden bis zur Massekonstanz bei 23 °C und 50 % rel. LF in einer Klimakammer gelagert, in welcher alle Folgeschritte des Versuches stattfanden. Im Anschluss wurden die Schraubdeckel auf Twist-Off- Gläsern (Ø 106 mm, Höhe 80 mm, Volumen 540 ml, Etivera) aufgeschraubt, welche mit 441 ml einer gesättigten Ammoniumdihydrogenphosphatlösung befüllt wurden. Hierdurch wurde eine relative Luftfeuchte von 93 % in der darüber befindlichen Luftschicht erreicht. Der Abstand zwischen Prüfkörperunterseite und Wasseroberfläche betrug 20 ±2 mm. Die Prüfkörper wurden mit einem weiteren Bohrloch im Schraubdeckel versehen, um gegebenenfalls gesättigte Ammoniumdihydrogenphosphatlösung im Laufe des Versuches nachzufüllen. Die Bohrlöcher wurden mit Siliconstopfen luftdicht verschlossen. Abb. 4 zeigt den Auf bau. Abb. 4: Skizze (links) und Foto (rechts) des Versuchsauf baus zur Bestimmung der Wasserdampfdiffusionsstromdichte von Mörtel und Ziegel 3. Ergebnisse 3.1 Kontaktwinkel Die gemessenen Kontaktwinkel der mit unterschiedlichen Wirkstoffgehalten hydrophobierten Prüfkörper, welche die unterschiedlichen Positionen des Tiefenprofils (Abb. 1) repräsentieren, gaben die Benetzbarkeit der Oberfläche und somit deren Hydrophobizität wieder. Abbildung 5 zeigt die gemessenen Kontaktwinkel sowie die Tropfenausprägung auf der Prüfkörperoberfläche für Mörtel (links) und Ziegel (rechts) unterschiedlicher Wirkstoffgehalte (Positionen des Tiefenprofils) direkt nach Absetzen der Tropfen auf der Prüfkörperoberfläche zum Zeitpunkt t = 0 s der Messung. Die Messergebnisse wiesen vergleichsweise starke Streuungen auf. Gründe hierfür lagen in der Rauigkeit der Oberfläche sowie in lokalen Unterschieden in der Effektivität der Hydrophobierung, was Studien von Houvenaghel und Carmeliet [18], Wenzel [19] und Zielke [20] belegen. Abb. 5: Gemessene Kontaktwinkel und Tropfenausprägung auf der Oberfläche zum Zeitpunkt t = 0 s der mit unterschiedlichen Wirkstoffgehalten getränkten und damit unterschiedliche Orte im Tiefenprofil repräsentierenden hydrophobierten Mörtel- (oben) und Ziegelprüfkörper (unten) Die zeitliche Veränderung des Randwinkels zeigt insbesondere bei Ziegel (Abb. 6), dass niedrige Randwinkel im hydrophilen Bereich nach dem Zeitpunkt t = 0 s weiter absinken und zur vollständigen Benetzung führen, während hohe Randwinkel im hydrophoben Bereich stabil bleiben. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 83 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen Abb. 6: Arithmetische Mittel der Kontaktwinkel über einen Zeitraum von 180 s der mit unterschiedlichen Wirkstoffgehalten getränkten und damit unterschiedliche Orte im Tiefenprofil repräsentierenden hydrophobierten Ziegelprüfkörper unter Angabe der des hydrophilen und hydrophoben Bereichs 3.2 Porosität Die Ergebnisse der Quecksilberintrusion zeigten erwartungsgemäß unterschiedliche Porenradienverteilungen für Mörtel und Ziegel. Während für Mörtel ein breites Spektrum von Porenvolumina im feinen sowie groben Kapillarporenbereich (0,01 bis 100 μm) festgestellt wurde, war für die Porenradienverteilung des Ziegels ein relativ schmalbandiges Maximum im Porenbereich von 1 μm bis 10 μm kennzeichnend. Die aus den Quecksilberporosimetriedaten errechnete spezifische Oberfläche der unbehandelten und hydrophobierten Mörtel und Ziegel spiegelten erwartungsgemäß die oben beschriebenen Ergebnisse wider (Tabelle 18). Tab. 2: Spezifische Oberfläche errechnet aus den Quecksilberporosimetriedaten für unbehandelten und hydrophobierten Mörtel und Ziegel Aus den Versuchsergebnissen der Quecksilberintrusion, der Vakuum-Druck-Tränkung und der Lagerung unter Wasser bei atmosphärischem Druck wurden vergleichende Porositätswerte für die in unterschiedlichen Wirkstoffgehalten hydrophobierten Mörtel und Ziegel ermittelt, welche in Tabelle 3 und Tabelle 4 dargestellt sind. Tabelle 3: Porositätswerte (arithmetisches Mittel und Standardabweichung in Klammern) ermittelt durch Quecksilberintrusion ( ф Hg), Vakuum-Druck-Tränkung ( ф oP) und Lagerung unter Wasser bei atmosphärischem Druck ( ф eff) für Mörtel, hydrophobiert mit unterschiedlichen Wirkstoffgehalten Tabelle 4: Porositätswerte (arithmetisches Mittel und Standardabweichung in Klammern) ermittelt durch Quecksilberintrusion ( ф Hg), Vakuum-Druck-Tränkung ( ф oP) und Lagerung unter Wasser bei atmosphärischem Druck ( ф eff) für Ziegel, hydrophobiert mit unterschiedlichen Wirkstoffgehalten Da bei Quecksilberintrusion ( ф Hg) und Vakuum-Druck- Tränkung ( ф oP) die jeweilige Flüssigkeit unter Druck in das Porensystem gepresst wird, deuteten die verringerten Porositätswerte der hydrophobierten Baustoffe auf einen Verschluss von Poren hin. Wie die differentielle Porenradienverteilung verdeutlicht, betraf dies maßgeblich Poren, die kleiner als 1 μm sind. Diese Annahme wird durch Studien von Carmeliet [21] gestützt, in welcher ebenfalls von einer Verschließung des Porensystems in Abhängigkeit von der Polymerkettenlänge unterschiedlich langer Siloxane ausgegangen wird. Weitere Vergleiche mit Literaturstudien lassen den eindeutigen Schluss zu, dass ein Zusammenhang zwischen der Molekülgröße der verwendeten Hydrophobierungsstoffe und dem maximalen Radius der verschlossenen Poren besteht [24]. Über die Messung des elektrischen Widerstands ließ sich in dieser Arbeit solch ein Verschluss der Poren infolge der Hydrophobierung differenzierter bestätigen. Aus den Versuchen wurden für Mörtel und Ziegel Widerstandskennlinien berechnet, welche in Abbildung 7 dargestellt sind. 84 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen Abbildung 7: Widerstandskennlinien für 20 °C der unbehandelten sowie in unterschiedlichen Wirkstoffgehalten hydrophobierten Mörtel (oben) und Ziegel (unten) unter Angabe der Messpaare aus den Mittelwerten der gravimetrisch bestimmten Materialfeuchte und des elektrischen Widerstandes Die Ergebnisse der Widerstandsmessungen der Ziegel zeigten keinen Einfluss der Hydrophobierung auf die Leitfähigkeit, sodass die Widerstandskennlinien deckungsgleich für alle hydrophobierten sowie für den unbehandelten Ziegel waren. Zurückzuführen ist dies auf die konstanten Werte der offenen Porosität für Ziegel aller Wirkstoffgehalte (Tabelle 4), wodurch unabhängig des Wirkstoffgehaltes der Hydrophobierung stets das gesamte Porensystem für den Ladungstransport zur Verfügung stand. Mit den Überlegungen zur Veränderung der Porenraumstruktur infolge der Hydrophobierung wurde für Mörtel davon ausgegangen, dass, ausgehend von einem gleichen Sättigungsgrad bei allen Proben, eine Verschiebung des Wassers in größere Poren in Abhängigkeit vom Wirkstoffgehalt der Hydrophobierung stattgefunden hat (Abbildung 8). Bei unbehandelten Baustoffen geht Krus [22] bei einer Unterbrechung des kapillaren Saugens, wie es hier durch die sukzessive Einstellung der Sättigungsgrade erfolgt ist, von Nachsaugeffekten aus, bei denen kleinere noch nicht gefüllte Poren aufgrund ihrer höheren Saugkraft die größeren Poren entleeren. Dieser Vorgang wurde jedoch durch die Hydrophobierung unterbunden, indem kleinere Poren durch die Hydrophobierung verschlossen wurden oder für Wasser nicht mehr zugänglich waren, womit diese folglich nicht mehr zum Ladungstransport beitrugen. Das Wasser befand sich somit hauptsächlich in den größeren Poren, wodurch nach Reichling [23] mit der Erhöhung des für den Ladungstransport zur Verfügung stehenden effektiven Querschnitts in den großen Poren, der Widerstand abnimmt. Abbildung 8: Schematische Darstellung der Porenfüllgrade bei gleichem Wassersättigungsgrad von unbehandeltem Mörtel (links) und hydrophobiertem Mörtel (rechts), bei welchem die kleinen Poren durch die Hydrophobierung verschlossen bzw. nicht mehr zugänglich sind 3.3 Wasserdampfdiffusion Das dynamische Gleichgewicht des Wasserdampfstromes wurde nach 42 Tagen erreicht und die Wasserdampfdiffusionsstromdichten wurden aus den Mittelwerten der gravimetrisch bestimmten Massen der nachfolgenden 10-Tage berechnet. Die ermittelten Wasserdampfdiffusionsstromdichten unterschieden sich für die hydrophobierten und unbehandelten Mörtel- und Ziegelprüfkörper in Abhängigkeit vom Wirkstoffgehalt (Abbildung 9). Während für Mörtel eine deutliche Verringerung der Wasserdampfdiffusionsstromdichte durch die Hydrophobierung festgestellt wurde, war für Ziegel kein eindeutiger Einfluss der Hydrophobierung auf die Wasserstromdichte zu verzeichnen. Für beide Baustoffe wurden die berechneten Mittelwerte der Wasserdampfdiffusionsstromdichten durch akzeptable Streubereiche als aussagekräftig angenommen. Abbildung 9: Wasserdampfdiffusionsstromdichten von unbehandeltem und in verschiedenen Wirkstoffgehalten hydrophobiertem sowie mit Butanon (B) getränktem Mörtel (oben) und Ziegel (unten), welche in einem Cup- Versuch bei 23 °C und 50/ 93 rel. LF ermittelt wurden 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 85 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen Für hydrophobierten Mörtel mit einem Wirkstoffgehalt von 1 M.-% bis 2,5 M.-% wurden nicht trennscharfe, moderat verringerte Werte der Wasserdampfdiffusionsstromdichte verzeichnet. Ab einem Wirkstoffgehalt von 5 M.-% kam es zu einer sukzessiven Verringerung der Wasserdampfdiffusionsstromdichte, welche sich schließlich bei 100 M.-% Wirkstoffgehalt um nahezu eine Zehnerpotenz verringerte im Vergleich zum unbehandelten Mörtel. Dies spiegelte sich entsprechend in einem Anstieg der Wasserdampfdiffusionswiderstandszahl bei steigendem Wirkstoffgehalt wider. Hierbei war der Wert der berechneten Wasserdampfdiffusionswiderstandszahl für unbehandelten Mörtel mit dem in DIN-EN-ISO-10456: 2010-[26] vorgeschlagenen Wert für Mörtel aus Zement und Sand vergleichbar. Hingegen war bei den Ziegelprüfkörpern kein deutlicher Einfluss der Hydrophobierung auf die Wasserdampfdiffusionsstromdichte feststellbar (Abbildung 9). Es war lediglich ein geringfügiger Abstieg der Wasserdampfdiffusionsstromdichte bei steigendem Wirkstoffgehalt zu beobachten, jedoch wiesen die Werte der Wasserdampfdiffusionsstromdichten der unbehandelten und hydrophobierten Ziegelprüfkörper keine trennscharfen Streubereiche auf, sodass wirkstoffgehaltübergreifend von einer mittleren Wasserdampfdiffusionsstromdichte von ≈ 39,1-g/ (m²∙d) ausgegangen wurde. Diese Zusammenhänge spiegelten sich wie zu erwarten in den berechneten Wasserdampfdiffusionswiderstandszahlen für die unbehandelten und hydrophobierten Ziegelprüfkörper wider. Jedoch ist zu vermerken, dass die ermittelten Wasserdampfdiffusionswiderstandszahlen über den in DIN EN ISO 10456: 2010 [26] angegebenen Bemessungswerten lagen. 4 Folgerungen Bislang sind in der einschlägigen Fachliteratur lediglich baustoffspezifische sowie auf einzelne Wassertransportmechanismen beschränkte Studien zu finden, in denen der Einfluss einer Hydrophobierung auf die relevanten Wassertransportmechanismen untersucht wurde. Dieser fehlenden Einheitlich-, Eindeutig- und Ganzheitlichkeit in der Untersuchung von Wassertransportmechanismen in hydrophobierten Baustoffen wurde in der vorliegenden Arbeit mit dem hier entwickelten Testprogramm (Abbildung 2), von dem im vorliegenden Paper ausgewählte Ergebnisse präsentiert werden, begegnet. Sowohl im Realversuch als auch im hier nicht beschriebenen Modellversuch zeigte sich, dass silanbasierte Hydrophobierungen in Abhängigkeit vom eingesetzten Wirkstoffgehalt und damit auch in Abhängigkeit von der Eindringtiefe am realen Objekt differenzierbare Veränderungen in der Benetzbarkeit und Größe der Poren hervorrufen. Dabei wirken sich diese Veränderungen unterschiedlich auf die untersuchten Wassertransportmechanismen aus. Dieses Bedingungsgefüge aus Porengröße, Wirkstoffgehalt der Hydrophobierung und den daraus beeinflussten Wassertransportmechanismen wird im Folgenden durch die zwei zentralen Ergebnisse dieser Arbeit dargestellt. Unter der Voraussetzung, dass sich Porenwände optimal durch eine silanbasierte, hydrophobierende Imprägnierung belegen lassen, ist die Porengröße der entscheidende Faktor, inwieweit eine silanbasierte Hydrophobierung den Wassertransportmechanismus der Wasserdampfdiffusion beeinflusst. Neben dem vollständigen Porenverschluss wurden Porenquerschnittsänderungen infolge der silanbasierten Hydrophobierung nachgewiesen, die die Vermutungen aus der Fachliteratur (Carmeliet et al. [5][21] und Oehmichen [24]) messtechnisch bestätigen. Bei größeren Poren ist der Einfluss der Querschnittsveränderungen vernachlässigbar, wie die Diffusionsversuche an hydrophobierten Ziegeln gezeigt haben. In kleineren Poren, die unmittelbar oberhalb der Verschlussgrenze liegen, führt eine Hydrophobierung in höheren Wirkstoffgehalten zur Querschnittsänderung der Poren, die einen erheblichen Einfluss auf das Diffusionsverhalten ausübt. Für einen Vergleich der Ergebnisse aus den Diffusionsversuchen mit den zum Teil widersprüchlich erscheinenden Ergebnissen aus der Fachliteratur sind hierbei zwei Aspekte entscheidend. Erstens sind die Ergebnisse in dem Sinne baustoffspezifisch, als dass die dort untersuchten Materialen (Zementmörtel, Kalkmörtel, Beton, Ziegel) erhebliche Unterschiede in der Porosität und der Porenradienverteilung aufweisen. Zweitens müssen die Ergebnisse stets in Verbindung mit dem im jeweiligen Cup-Versuch verwendeten Luftfeuchteregime betrachtet werden, da die Wasserdampfdiffusionsstromdichte und entsprechend die Wasserdampfdiffusionswiderstandszahl abhängig von der relativen Luftfeuchte sind [25]. Die von der Tränkseite her abnehmende Belegung einer realen, hydrophobierten Baustoffpore mit Hydrophobierungsstoff lässt sich durch Herstellen mit unterschiedlichem Wirkstoffgehalt getränkter Probekörper simulieren, so dass für unterschiedliche Postitionen der Tränktiefe diskrete, vermessbare Probekörper zur Verfügung stehen. Der mit diesen Mitteln verbundene quantitative Ausprägung der Belegung der Porenwände beeinflusst maßgeblich die kapillare Wasseraufnahme und Oberflächendiffusion. Mit steigendem Wirkstoffgehalt einer silanbasierten Hydrophobierung werden immer größere Anteile der Porenwandungen mit Polysiloxanen belegt, die eine Benetzbarkeit mit Wasser verhindern. Im Falle der kapillaren Wasseraufnahme muss sich das Wasser um die hydrophoben Stellen herumwinden. Dies geht bei steigendem Wirkstoffgehalt mit einer Erniedrigung des Kapillardruckes einher, welcher schließlich bei vollständiger Belegung der Porenwände durch Polysiloxane den Wert Null annimmt, wodurch keine kapillare Wasseraufnahme mehr erfolgen kann - dies entspricht am realen Objekt der Situation nahe an der Tränkoberfläche. Im Falle der Oberflächendiffusion können an den mit Polysiloxanen belegten Stellen keine Sorbatfilme mehr ausgebildet werden, wodurch der Massestrom unterbunden wird und in den weniger effektiven Wassertransportmechanismus der Wasserdampfdiffusion übergeht. In dieser Arbeit erfolgte erstmalig eine Auseinandersetzung mit dem Mechanismus der Oberflächendiffusion in hydrophobierten Baustoffen, der bislang in der Fachliteratur nicht diskutiert worden ist. 86 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen Zusammenfassend sind im Folgenden die oben aufgeführten zentralen Ergebnisse als phänomenologisches Modell für zwei baupraktische Szenarien zusammengefügt. Im Falle einer Wasserbeaufschlagung eines hydrophobierten Baustoffes, wie zum Beispiel bei Schlagregenbelastung einer Fassade, unter Bezugnahme auf das von Gerdes [3] vorgeschlagenen Saugprofils, ließe sich die Betrachtung der Wassertransportmechanismen, wie in Abbildung 10 dargestellt, abbilden. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die silanbasierte Imprägnierung einseitig auf den Baustoff aufgetragen wurde und damit eine sinkende Wirkstoffverteilung in Richtung des Bauteilinneren erfolgte. Das beaufschlagte Wasser dringt in großen Poren zunächst aufgrund der vollständigen Belegung der Porenwände mit Polysiloxan nur durch Wasserdampfdiffusion in den Baustoff ein. Es folgt eine Weiterleitung der Feuchte auch durch Oberflächendiffusion und ungesättigte Kapillarleitung in den Bereichen der teilweisen Belegung der Porenwände durch Polysiloxan. Schließlich wird flüssiges Wasser in den unbehandelten Bereichen des Baustoffes durch gesättigte Kapillarleitung ins Bauteilinnere transportiert. Kleine Poren sind vollständig durch Polysiloxan verschlossen, wodurch kein Wassertransport erfolgt. Abbildung 10: Wassertransport in einer großen Pore (oben) und einer kleinen Pore (unten) eines hydrophobierten Baustoffes bei einseitiger Wasserbeaufschlagung. Der Wirkstoffgehalt der silanbasierten Hydrophobierung verringert sich von links nach rechts. Ein weiteres, baupraktisches Szenario ist die Trocknung eines hydrophobierten Betonwerkstoffes (z.-B. einer Betonsichtfassade). Unter der Annahme, dass dieser in relativ jungem Alter, wenn die Oberflächen in den ersten Millimetern bereits trocken sind, das Werkstoffinnere jedoch noch feucht aufgrund von überschüssigem Zugabewasser o.-Ä. ist, einseitig mit einer silanbasierten Imprägnierung behandelt wurde, ließe sich folgende Betrachtung der Wassertransportmechanismen darstellen (Abbildung 11). Das gleiche Szenario würde auf ein rückseitiges durchfeuchtetes Bauteil, welches von Innen mit einer hydrophobierenden Imprägnierung behandelt wurde, zutreffen. Im unbehandelten Bauteilinnern befindet sich flüssiges Wasser in den Poren, welches aufgrund des Kapillardrucks in Richtung Oberfläche transportiert wird. In den Bereichen der teilweisen Belegung der Porenwände durch Polysiloxan erfolgt zunächst eine ungesättigte Kapillarleitung, der sich ein Mischtransport aus Oberflächen- und Wasserdampfdiffusion anschließt. Abbildung 11: Wassertransport in einer großen Pore (oben) und einer kleinen Pore (unten) eines zementgebundenen Baustoffes im Trocknungsvorgang, bei welchem eine silanbasierte Imprägnierung in relativ jungem Alter aufgetragen wurde. Der Wirkstoffgehalt der silanbasierten Hydrophobierung verringert sich von links nach rechts. Wie die Fallbespiele zeigen, ermöglicht das phänomenologische Modell ein tieferes Verständnis des Einflusses des, gemäß des Saugprofils, tiefenabhängigen Wirkstoffgehalts einer Hydrophobierung auf die Wassertransportmechanismen in mineralischen Baustoffen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Porenstruktur. Literatur [1] DIN EN 1504-2: 2004. Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitäts-überwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 2: Oberflächenschutzsysteme für Beton; Deutsche Fassung EN 1504-2: 2004. Beuth Verlag, Berlin [2] [De Vries, J., & Polder, R. B. (1997). Hydrophobic treatment of concrete. Construction and Building Materials, 11(4), 259-265 [3] Gerdes, A. H. (2002). Transport und chemische Reaktion siliciumorganischer Verbindungen in der Betonrandzone. Buliding Materials Reports No. 15. ETH Zürich. Aedificatio Verlag, Freiburg [4] Soulios, V., de Place Hansen, E. 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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 87 Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen nated concrete: Moisture Diffusion Coefficient, Modelling, Measurements and Verification. Journal on Restoration of Buildings and Monuments, 12(1), 13-24 [9] Otten, K.: Untersuchung der Wassertransportmechanismen in hydrophobierten mineralischen Baustoffen. Dissertation, Leibniz Universität Hannover, 2022; DOI: https: / / doi.org/ 10.15488/ 12714 [10] DIN EN 480-13: 2015. Zusatzmittel für Beton, Mörtel und Einpressmörtel - Prüfverfahren - Teil 13: Referenz-Baumörtel für die Prüfung von Zusatzmitteln für Mauerwerksmörtel; Deutsche Fassung EN 480-13: 2015. Beuth Verlag, Berlin. [11] DIN EN 13139: 2002. Gesteinskörnungen für Mörtel; Deutsche Fassung EN 13139: 2002. Beuth Verlag, Berlin. [12] DIN EN 771-1. Festlegungen für Mauersteine - Teil 1: Mauerziegel; Deutsche Fassung EN 771- 1: 2011+A1: 2015. Beuth Verlag, Berlin. [13] DIN EN ISO 19403-2: 2020. Beschichtungsstoffe - Benetzbarkeit - Teil 2: Bestimmung der freien Oberflächenenergie fester Oberflächen durch Messung des Kontaktwinkels (ISO 19403-2: 2017); Deutsche Fassung EN ISO 19403-2: 2020. Beuth Verlag, Berlin. [14] DIN EN 1936: 2007. Prüfverfahren für Naturstein- Bestimmung der Reindichte, der Rohdichte, der offenen Porosität und der Gesamtporosität; Deutsche Fassung EN 1936: 2006. Beuth Verlag, Berlin [15] DIN EN 13755: 2008. Prüfverfahren für Naturstein- Bestimmung der Wasseraufnahme unter atmosphärischem Druck; Deutsche Fassung EN 13755: 2008. Beuth Verlag, Berlin [16] DIN EN ISO 15148: 2018. Wärme- und feuchtetechnisches Verhalten von Baustoffen und Bauprodukten - Bestimmung des Wasseraufnahmekoeffizienten bei teilweisem Eintauchen (ISO 15148: 2002 + A1: 2016); Deutsche Fassung EN ISO 15148: 2002 + A1: 2016. Beuth Verlag, Berlin [17] DIN EN 15803: 2010. 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Springer- Verlag, Berlin [26] DIN EN ISO 10456: 2010. Baustoffe und Bauprodukte - Wärme- und feuchtetechnische Eigenschaften - Tabellierte Bemessungswerte und Verfahren zur Bestimmung der wärmeschutztechnischen Nenn- und Bemessungswerte. Deutsche Fassung EN ISO 10456: 2007. Beuth Verlag, Berlin Instandsetzung historischer Bauten 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 91 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk Regelungen und Praxistipps Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Jürgen H. R. Küenzlen LL. M., M. A., M. A. Adolf Würth GmbH & Co. KG, Künzelsau Dipl.-Ing. (FH) Eckehard Scheller ISB Block und Becker - Beratende Ingenieure PartGmbB Dipl.-Ing. Rainer Becker OPUS GmbH Dipl.-Ing. Thomas Kuhn Adolf Würth GmbH & Co. KG, Künzelsau 1. Einleitung Im Verankerungsgrund Mauerwerk gibt es viele Befestigungsaufgaben zu lösen, sowohl für Planer, die die Dübel bemessen, als auch für Ausführende, die die Dübel montieren. Dazu gehört u.a. die Befestigung von: • Geländern • Markisen • Vordächern, Carports, Wintergärten, Balkonanlagen und Terrassenüberdachungen • Treppen • u. v. m. Diese Befestigungen erfordern • die Bemessung durch einen im Bereich der Befestigungstechnik erfahrenen (Bau-) Ingenieur und • die Montage durch geschultes Personal, da Einflüsse wie der Verankerungsgrund und bestimmte einzuhaltende Montageparameter die Tragfähigkeit von Dübeln wesentlich bestimmen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Metall-Injektionsankern zur Verankerung im Mauerwerk, die auch nur „Injektionsanker“ oder „Injektionssysteme“ genannt werden. Für den Verankerungsgrund Mauerwerk kann man auf Baustellen im Bestand auf eine große Vielzahl von unterschiedlichen Mauersteinen treffen. Durch stetig neue Entwicklungen (Stichwort „Energieeinsparung“) erhöht sich im Neubaubereich die Vielfalt der vorhandenen Steine in einem rasanten Tempo. Dabei unterscheiden sich die Mauersteine durch • den Baustoff (Mauerziegel, Kalksandstein, Leichtbeton, Porenbeton oder Normalbeton), • die Struktur (Vollsteine, Hohl- und Lochsteine mit oder ohne Dämmstoff-Füllung) • die Geometrie (Steinabmessungen, Loch- und Stegabmessungen) sowie vor allem durch • die Rohdichte und • die Druckfestigkeit. Diese Parameter haben in den meisten Fällen mehr oder weniger gravierende Einflüsse auf die Tragfähigkeit von zugelassenen Metall-Injektionsankern zur Verankerung in Mauerwerk. Im Rahmen der Zulassungsverfahren dieser Befestigungssysteme wird es für die Dübel-Hersteller aber immer nur möglich sein, einen kleinen Teil dieser Mauersteine als Verankerungsgrund in der jeweiligen Zulassung abzubilden. Häufig wird es daher vorkommen, dass das gewählte Dübel-System im Rahmen seines Zulassungsverfahrens nicht im tatsächlich vorhandenen „Baustellen-Verankerungsgrund“ geprüft wurde. Die hier beschriebenen „(Dübel-) Versuche am Bauwerk“ ermöglichen es dem Anwender dennoch zulassungskonform zu bemessen und zu montieren. Im Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) wurde dafür im Jahr 2015 ein Arbeitskreis „Versuche am Bau“ eingerichtet. Als Beratungsergebnis dieses Gremiums liegt nun - ergänzend zu den bis dahin vorliegenden europäischen Vorgaben - die überarbeitete Technische Regel „Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau für Injektionsankersysteme im Mauerwerk mit ETA nach ETAG 029 bzw. nach EAD 330076-00-0604“ [1] vor. In der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB), Ausgabe 2019/ 1, Anhang 3 [2] steht dazu Folgendes: „Für Mauerwerk aus anderen, vergleichbaren Steinen darf die charakteristische Tragfähigkeit von Injektionsankersystemen mit ETA durch Baustellenversuche nach der Technischen Regel „Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau […]“ ermittelt werden. Nachfolgend erfolgt eine kurze Einführung in dieses Regelwerk , sowie Tipps für die Anwendung in der Praxis. Die am Bau Beteiligten können sich an den hier gemachten Erläuterungen orientieren, müssen sich aber immer wieder 92 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk individuell zu ihrem jeweiligen Projekt „(Dübel-) Versuche am Bauwerk“ Gedanken machen und abstimmen. Dazu gehört es auch, sich im Detail mit den einzelnen Anforderungen der Technischen Regel [1] vertraut zu machen. 2. Grundlagen für Baustellenversuche im Verankerungsgrund Mauerwerk 2.1 Dübel-Systeme Bei den nachfolgend beschriebenen Metall-Injektionsankern zur Verankerung im Mauerwerk handelt es sich ausschließlich um „Dübel-Systeme“, die in Deutschland auf Grundlage einer „Zulassung“ eingebaut werden dürfen. Bei diesen Zulassungen wurde/ wird unterschieden in • Europäische Technische Zulassungen sowie • Europäische Technische Bewertungen, die jeweils mit „ETA“ abgekürzt werden. Die hier behandelten Injektionssysteme bestehen in den meisten Fällen aus den in Bild-1 dargestellten Komponenten, die in der Produktbeschreibung, in den Anhängen der jeweiligen europäischen Zulassung bzw. Bewertung, detailliert beschrieben werden. Gemäß [3], Abschnitt 4.1 gilt: „Einbau nur wie vom Hersteller geliefert, ohne Austausch der einzelnen Teile.“ Bild 1: Beispiel für zugelassenen Metall-Injektionsanker (Mörtelkartusche, Statikmischer, Ankerstange-Außengewinde/ Sechskantmutter/ Unterlegscheibe, Ankerstange-Innengewinde, Siebhülse), vgl. [4] 2.2 Europäische Zulassungen bzw. Bewertungen Europäische Technische Zulassungen für „Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk“ wurden bis ins Jahr 2017 auf Grundlage der Bauproduktenrichtlinie [17] und ETAG 029 [11] erteilt. Heute werden Europäische Technische Bewertungen auf der Basis der Bauproduktenverordnung [19] und dem Europäischen Bewertungsdokument EAD 330076-00- 0604 [10] erteilt. Auf europäischer Ebene ist das Verfahren „Versuche am Bauwerk“ in der europäischen Leitlinie ETAG 029, Anhang B [12] bzw. im europäischen Technical Report TR 053 [14] festgelegt. 3. Verantwortlichkeiten In der Technischen Regel des DIBt [1] werden sehr differenziert die Verantwortlichkeiten bzw. Zuständigkeiten und deren erforderliche Qualifikationen für Baustellenversuche für Metall-Injektionsanker zur Verankerung in Mauerwerk angegeben. Dafür werden der „Fachplaner“, der „Versuchsleiter“ und das „sachkundige Personal“ definiert. Hierzu gibt die Tabelle 3.1 einen kurzen Überblick. Tabelle 3.1: Kurzübersicht zu den Verantwortlichkeiten bei Baustellenversuchen für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk nach [1] Verantwortlichkeiten Fachplaner • plant die Versuche und legt die Versuchsart fest (z. B. Zugversuche / Querlastversuche / Bruchversuche / Probebelastung / Abnahmeversuche) • Übernahme der Verantwortung für die statistische Auswertung und Ermittlung der charakteristischen Tragfähigkeiten und deren nachvollziehbare Dokumentation Versuchsleiter • Durchführung von Probebohrungen • Bedienung des Prüfgeräts / Durchführung der Versuche • Dokumentation der Versuchsergebnisse. sachkundiges Personal • führt die Arbeiten auf der Baustelle aus • setzt die Dübel für die Versuche • erfüllt die Anforderungen an Monteure gemäß dem DIBt Papier „Hinweise für die Montage von Dübelverankerungen“ [3] 4. Technische Regel Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau 4.1 Gliederung/ Allgemeines Die Technische Regel [1] „Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau für Injektionsankersysteme im Mauerwerk mit ETA nach ETAG 029 bzw. nach EAD 330076-00-0604“ ist in die folgenden vier Abschnitte gegliedert: 1. Anwendungsbereich 2. Versuche 3. Auswertung der Versuche 4. Angaben für die Bemessung Die erteilte, aktuelle ETA für einen zu verwendenden Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk (vgl. Abschnitt 2.2) ist die Grundvoraussetzung für Baustellenversuche. Die Tragfähigkeit eines Injektionsankers kann dann durch Zugversuche (Bruchversuche, Probebelastungen oder Abnahmeversuche) und durch Querlastversuche am Rand (Bruchversuche oder Probebelastung) ermittelt werden (siehe Abschnitt 4.3). 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 93 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk Für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk gilt, dass bei Bruchversuchen und Probebelastungen die geprüfte Befestigungsstelle und der geprüfte Dübel später nicht mehr für die eigentliche Ausführung der Befestigung/ Verankerung verwendet werden dürfen. Eine „Öffnungsklausel“ gibt es bei der Durchführung von „Abnahmeversuchen“. Eine Übersicht gibt hierzu Tabelle 4.1 (vgl. in [1], Abschnitt 1.1 mit Tabelle 1). Tabelle 4.1: Übersicht über die Arten der Baustellenversuche Bruchversuche Probebelastungen Abnahmeversuche Siehe in diesem Beitrag Abschnitt … 4.3.2 4.3.3 4.3.4 Belastung der Injektionsanker beim Versuch N u und V u N pP und V p N u N pA Verwendung der geprüften Injektionsanker für die geplante Befestigung/ Verankerung nein nein nein ja mit: N u = Bruchlast bei Zugversuchen V u = Bruchlast bei Querlastversuchen N pP = Gewählte Last für Probebelastung für Zugversuche (Probelast) V p = Gewählte Last für Probebelastung für Querversuche (Probelast) N pA = Gewählte Last für Abnahmeversuche (Abnahmelast) Voraussetzung dafür, dass die geprüften Injektionsanker nach den Abnahmeversuchen für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden dürfen, ist allerdings, dass die Abnahmelast mindestens 1 Minute ohne sichtbare Verschiebung und ohne kritischen Lastabfall gehalten werden konnte. Für Einzelheiten siehe Abschnitt 4.3.4 (bzw. in [1], den Abschnitt 3.4). 4.2 Anwendungsbereiche für Injektionsanker 4.2.1 Mauerwerksgruppen Für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk werden die Mauerwerksgruppen b, c und d nach [10] unterschieden, die in Tabelle 4.2 zusammengefasst dargestellt werden. Tabelle 4.2: Mauerwerksgruppen nach EAD 330076- 00-0604, Abschnitt 1.2.1 in [10] Mauerwerksgruppe Verankerungsgrund b • Mauerwerk aus Vollsteinen nach DIN EN 771-1 [5], -2 [6], -3 [7] und -5 [9](senkrechte Lochung bis maximal 15 % des Querschnitts sind zulässig, z. B. Grifflöcher oder Vertiefungen bis 20 % bezogen auf das Volumen des Steins) c • Mauerwerk aus Hohl- oder Lochsteinen nach DIN EN 771-1 [5], -2 [6], -3 [7] und -5 [9] d • Mauerwerk aus Porenbetonsteinen nach DIN EN 771-4 [8] mit einer Druckfestigkeit zwischen 1,8 ≤ f c,m ≤ 8 [N/ mm²] Die in der Dübel-ETA für den Injektionsanker ausgewiesenen charakteristischen Tragfähigkeiten gelten nur, wenn auf der Baustelle der von seiner Beschaffenheit gleiche Verankerungsgrund vorliegt, wie der, der im Zulassungsverfahren mit dem Dübel geprüft wurde. In diesem Fall kann auf Versuche am Bauwerk verzichtet werden, vorausgesetzt, dass der Dübel entsprechend der ETA montiert wurde (vgl. Tabelle 4.5). Bei Lochsteinen ist zusätzlich die Setzrichtung des Dübelsystems zu beachten: Die in der ETA angegebenen Tragfähigkeiten gelten für rechtwinklig zur Wandebene gesetzte Injektionsanker (keine Setzposition in der Laibung), sofern nichts anderes in der ETA angegeben ist (vgl. in [1] den Abschnitt 1.3). Nur bei Vollsteinen können die charakteristischen Dübel-Tragfähigkeiten aus der ETA auf vergleichbare Vollsteine (aus demselben Baustoff) auf der Baustelle übertragen werden, wenn diese lediglich durch ein größeres Steinformat und/ oder durch eine höhere Druckfestigkeit sowie eine größere Rohdichte von den im Zulassungsverfahren geprüften Steinen abweichen (vgl. in [1] den Abschnitt 1.1). Ansonsten ist die charakteristische Tragfähigkeit eines Injektionsankers im bauaufsichtlich relevanten Bereich durch Versuche am Bauwerk zu ermitteln, wenn nur einer der folgenden Fälle vorhanden sein sollte (vgl. auch Tabelle 4.5 in Abschnitt 4.2.5): • Für den auf der Baustelle vorhandenen Verankerungsgrund sind keine charakteristischen Tragfähigkeiten in der Dübel-ETA angegeben; ein Stein vom gleichen 94 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk Baustoff, von gleicher Struktur und vergleichbarer Geometrie (vgl. in [1] die Abschnitte 1.1 und 1.3) befindet sich jedoch in der Zulassung. • Der auf der Baustelle verbaute Vollstein hat ein kleineres Steinformat und/ oder eine niedrigere Druckfestigkeit sowie eine kleinere Rohdichte als der in der Dübel-ETA ausgewiesene Vollstein aus dem gleichen Baustoff. • Die Dübel werden für die spätere Montage tiefer gesetzt als sie im Zulassungsverfahren geprüft wurden; auch dieser Einfluss ist zu untersuchen: „Größere Verankerungstiefen als im Referenzstein in der ETA sind möglich, wenn diese Verankerungstiefe für einen Stein des gleichen Typs (Baustoff und Struktur) in der ETA angegeben ist und damit die prinzipielle Eignung der Montagetechnik in der ETA nachgewiesen ist.“ Bei diesen Versuchen muss die Dübel-ETA allerdings immer die entsprechende Mauerwerksgruppe nach Tabelle 4.2 abdecken, d. h., Versuche am Bauwerk in einem Lochstein „Z“ sind nur dann „zulässig“, wenn im Rahmen der Zulassungsverfahren bereits für einen anderen Lochstein „Z“ - dem sogenannten „Referenzstein“ mit gleichem Baustoff (Ziegel, Porenbeton, Kalksandstein, Leichtbeton oder Normalbeton) und gleicher Struktur (Vollstein, Hohl- oder Lochstein mit oder ohne Dämmstoff-Füllung) - die grundsätzliche Eignung für die Verankerung des Injektionsankers geprüft wurde und für diesen Stein charakteristische Tragfähigkeiten des Dübels in der ETA ausgewiesen werden. Deckt die Dübel- ETA in der Mauerwerksgruppe „c“ nur Hochlochziegel ab, so können für Lochsteine aus einem anderen Baustoff (z. B. einen Kalksand-Lochstein) keine charakteristischen Tragfähigkeiten durch Versuche am Bauwerk im Rahmen dieser ETA abgeleitet werden. Zu beachten ist, dass die Technische Regel [1] für Injektionsanker bezüglich Hohl- und Lochsteinen sehr restriktiv ist. Hierzu werden im Abschnitt 1.3 in [1] folgende Bedingungen für den Baustellen-Verankerungsgrund gemacht: • „Vergleichbares Lochbild wie beim Referenzstein in der ETA, d. h. mindestens gleiche Anzahl und Dicke der Stege, die bei der Lasteinleitung aktiviert werden (siehe Anhang A).“ • „Eventuell vorhandene Füllung von Lochsteinen muss dem Füllmaterial des Referenzsteins in der ETA entsprechen.“ Das bedeutet zum Beispiel, dass keine charakteristischen Tragfähigkeiten durch Versuche am Bauwerk für einen Hochlochziegel mit Perlite-Füllung im Rahmen einer Dübel-ETA abgeleitet werden können, wenn in dieser Dübel- ETA in der Mauerwerksgruppe „c“ nur ein Hochlochziegel mit Mineralwolle-Füllung ausgewiesen ist. Für Injektionsanker wird im Anwendungsbereich in [1] nicht gesondert betont, dass der Einfluss eines Bohrverfahrens, das nicht in der Injektionsanker-ETA erfasst ist, zu untersuchen ist. In den ETAs wird das Bohrverfahren aber für die einzelnen geprüften Steinen ausgewiesen; dieses vorgegebene Bohrverfahren ist einzuhalten. Daher ist das bei den Baustellenversuchen angewandte Bohrverfahren auch im Versuchsbericht zu dokumentieren. 4.2.2 Temperaturbereiche Für Injektionsanker ist in Bezug auf den Temperatureinfluss Folgendes zu beachten: • Die Angaben für die Temperaturbereiche a, b und c zeigt Tabelle 4.3. • Auch wenn der Temperatureinfluss bei den Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern auf der Baustelle nicht untersucht werden kann, so sind gemäß [1], Abschnitt 2.3 • die Temperatur im Verankerungsgrund (Bauteiltemperatur) • die Lufttemperatur und • die Mörteltemperatur im Versuchsbericht zu dokumentieren. Für Injektionsanker wird der Temperatureinfluss bei der Auswertung bzw. Ermittlung der charakteristischen Tragfähigkeit aus den Versuchen am Bauwerk (N Rk,1 , N Rk,2 oder N Rk,3 sowie V Rk,1 oder V Rk,2 ) pauschal über den produktabhängigen Abminderungsfaktor „ß“ berücksichtigt. Dieser produktabhängige Abminderungsfaktor „ß “ wurde im Zulassungsverfahren auf Grundlage der Laborversuche ermittelt und ist für den jeweiligen Injektionsanker in den Anhängen der zugehörigen ETA ausgewiesen. Für den anschließenden Abgleich der ermittelten Tragfähigkeiten mit dem „Referenzstein muss dann die charakteristische Tragfähigkeit aus der ETA (N RK,ETA / V RK,ETA ) angesetzt werden, die dem späteren Nutzungstemperaturbereich entspricht. Tabelle 4.3: Temperaturbereiche für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk nach [10] Temperatur-Bereich a b c maximale Kurzzeit- Temperatur 1) +40 °C +80 °C Festlegung durch Hersteller maximale Langzeit- Temperatur 2) +24 °C +50 °C niedrigste Nutzungstemperatur -40 °C Montagetemperatur Siehe Zulassung bzw. Hersteller-Empfehlung! 1) Temperatur innerhalb des Nutzungstemperaturbereichs, die in kurzen Zeiträumen variieren kann, z. B. in Tag-/ Nacht-Zyklen und Frost-/ Tau-Wechseln. 2) Temperatur innerhalb des Nutzungstemperaturbereichs, die über einen längeren Zeitraum annähernd konstant bleibt. Zu den Langzeit-Temperaturen gehören konstante oder nahezu konstante Temperaturen, wie sie in Kühlhäusern oder in der Nähe von Heizungsanlagen auftreten. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 95 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk 4.2.3 Nutzungsbedingungen in Bezug auf Montage und Verwendung Das Bewertungsdokument EAD 330076-00-0604 [10], Abschnitt 1.2.1 unterscheidet zusätzlich zu Baustoff und Temperatur auch noch die Nutzungsbedingungen in Bezug auf Montage und Verwendung, die hier in Tabelle 4.4 dargestellt werden. Tabelle 4.4: Nutzungsbedingungen in Bezug auf Montage und Verwendung nach [10] Nutzungsbedingung Beschreibung d/ d 1) • Montage und Verwendung in Bauteilen in trockenen Innenräumen w/ d • Montage in trockenem oder nassem Mauerwerk und Verwendung in Bauteilen in trockenen Innenräumen w/ w 2) • Montage und Verwendung in Bauteilen unter trockenen oder nassen Umweltbedingungen 1) d = dry (Englisch) = trocken 2) w = wet (Englisch) = feucht/ nass Der Hintergrund für diese Differenzierung ist die (in vielen Fällen) reduzierte Tragfähigkeit, wenn ein Injektionsanker nicht in trockenes, sondern in nasses Mauerwerk eingebaut wird. Aufschluss darüber, ob das Mauerwerk trocken oder nass ist, gibt auch hier wieder die Probebohrung (vgl. Abschnitt 5.3.3 mit Tabelle 5.1), bzw. das Erstellen der Bohrlöcher für die Versuche am Bauwerk. Die Konsistenz des Bohrmehls sollte daher für Injektionsanker im Versuchsbericht unbedingt mit dokumentiert werden: • pulverförmiges Bohrmehl: Þ Das Mauerwerk ist trocken. • krümeliges Bohrmehl: Þ Das Mauerwerk ist feucht/ nass. Wie für die Berücksichtigung des Temperaturbereichs werden für Injektionsanker auch die „Nutzungsbedingungen in Bezug auf Montage und Verwendung“ pauschal über den Abminderungsfaktor „ß“ berücksichtigt. Siehe dafür sinngemäß die Ausführungen in Abschnitt 4.2.2. 4.2.4 Bedingungen für Achs- und Randabstände Neu gegenüber [12] und [14] ist in [1], dass für Zug- und Querbeanspruchung Randabstände zwischen dem Mindestwert c min,ETA und dem charakteristischen Wert c cr,ETA des Referenzsteines gemäß ETA durch Baustellenversuche beurteilt werden dürfen. Dabei ist • c min,ETA der Minimale Randabstand des Injektionsankers für den Referenzstein in der ETA und • c cr,ETA der charakteristische Randabstand des Injektionsankers für den Referenzstein in der ETA. Ansonsten beachte hier in [1], den Abschnitt 1.3. 4.2.5 Handeln „im Rahmen der Zulassung“ „Zulässig“ (vgl. Abschnitt 4.2.1) bedeutet im Zusammenhang mit Versuchen am Bauwerk das Handeln „im Rahmen der Zulassung“ des Dübels i. d. R. der Dübel-ETA: • Wenn die grundsätzliche Eignung des Dübels in einem Verankerungsgrund der entsprechenden Mauerwerksgruppe nach Abschnitt 4.2.1, Tabelle 4.2 im Zulassungsverfahren nachgewiesen wurde und in der entsprechenden Dübel-ETA ausgewiesen ist, so kann in jedem vergleichbaren Verankerungsgrund - im Rahmen der Zulassung - gedübelt werden, vorausgesetzt, dass regelkonform Versuche am Bauwerk durchgeführt und entsprechend bewertet werden, wobei auch die Temperaturbereiche, Nutzungsbedingungen sowie Achs- und Randabstände zu berücksichtigen sind (Abschnitte 4.2.2, 4.2.3 und 4.2.4). • Wurde die grundsätzliche Eignung des Dübels in einem Verankerungsgrund nach Tabelle 4.2 im Zulassungsverfahren nicht nachgewiesen, d. h. sind keine Angaben in der entsprechenden Dübel-ETA enthalten, so kann in einem solchen Verankerungsgrund auf der Baustelle nicht - im Rahmen der ETA - verankert werden; der Anwender befindet sich dann rein formal außerhalb des Anwendungsbereichs der ETA und benötigt im bauaufsichtlich relevanten Bereich eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung. Bei diesem Verfahren können Versuche am Bauwerk eine Beurteilungsgrundlage sein. Für diesen Fall empfiehlt es sich allerdings immer, einen geeigneten Planer bzw. Sachverständigen für die Beurteilung der Verankerung einzuschalten, der über ausreichende Erfahrungen auf dem Gebiet der Verankerungen und des Mauerwerkbaus verfügt. In Tabelle 4.5 wird noch einmal zusammenfassend dargestellt, wann Versuche am Bauwerk mit Metall-Injektionsankern im Mauerwerk erforderlich sind. 96 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk Tabelle 4.5: Erfordernis von Versuchen am Bauwerk mit Metall-Injektionsankern im Mauerwerk Versuche am Bauwerk mit Metall-Injektionsankern im Mauerwerk sind nach [1], [12] bzw. [14] … … nicht erforderlich, wenn … … erforderlich, wenn … • … der auf der Baustelle verwendete Mauerstein der gleiche ist wie einer der Verankerungsgründe, die in der ETA des verwendeten Dübels abgebildet sind. Bei der Montage wird die Setztiefe des Dübels (hef) gemäß den Vorgaben der Dübel- ETA eingehalten. Bei der Verankerung in Lochsteinen muss die Setzrichtung des Dübels der Setzrichtung im Referenzstein in der Dübel-ETA entsprechen. • … der auf der Baustelle verwendete Vollstein vom in der Dübel-ETA abgebildeten Vollstein lediglich abweicht durch • ein größeres Steinformat und/ oder • eine höhere Druckfestigkeit sowie eine höhere Rohdichte. • … der auf der Baustelle verwendete Mauerstein nicht in der ETA des verwendeten Dübels abgebildet ist. • In der Dübel-ETA ist aber ein Stein enthalten • us dem gleichen Baustoff (Ziegel, Porenbeton, Kalksandstein, Leichtbeton oder Normalbeton), • mit der gleichen Struktur (Vollstein, Lochstein mit oder ohne Dämmstoff-Füllung) • mit einer vergleichbaren Geometrie (Steinabmessungen, Loch- und Stegabmessungen) • … der auf der Baustelle verbaute Vollstein ein kleineres Steinformat und/ oder eine niedrigere Druckfestigkeit sowie eine niedrigere Rohdichte hat als der in der Dübel-ETA ausgewiesene, ansonsten gleiche Vollstein. • … der Dübel tiefer gesetzt wird als in der Dübel-ETA vorgegeben, diese Verankerungstiefe aber für einen Stein des gleichen Typs (Baustoff und Struktur) in der ETA angegeben ist und damit die prinzipielle Eignung der Montagetechnik in der ETA nachgewiesen ist. 4.3 Versuche 4.3.1 Allgemeines Die Tragfähigkeit eines Injektionsankers kann nach [1] bei Versuchen am Bauwerk durch • Zugversuche (Bruchversuche, Probebelastungen, Abnahmeversuche) und durch • Querlastversuche (Bruchversuche am Rand oder Probebelastung am Rand) ermittelt werden. In [12] und [14] waren bisher keine Versuche mit Querlasten vorgesehen. Eine weitere Neuerung in [1] gegenüber [12] und [14] ist die Einführung des Reduktionsfaktors α dist zur Berücksichtigung von Abstützweiten a dist < 3·h ef , wenn der empfohlene lichte Abstand zwischen der Abstützung und dem Injektionsanker von mindestens l a = 1,5·h ef nicht eingehalten werden kann (vgl. Bild-5). Für Zugversuche dürfen für Verankerungstiefen bis h ef = 150 mm kleinere Abstützdurchmesser gewählt werden, wobei der Mindestabstützdurchmesser a dist,min = 1,5·h ef beträgt. Der Einfluss der kleineren Abstützdurchmesser wird durch den Reduktionsfaktor α dist bei der Auswertung der Versuche berücksichtigt und wie folgt ermittelt: α dist = 0,4 + (a dist / 5·h ef ) Gl. (1) mit: • α dist Reduktionsfaktor für Abstützweiten 1,5·h ef ≤ a dist < 3·h ef (siehe auch Bild-2) • a dist vorhandene Abstützweite (Abstützdurchmesser; vgl. auch Bild-5) • h ef effektive Verankerungstiefe ≤ 150 mm Bild 2: Reduktionsfaktor α dist für Abstützdurchmesser nach [1] Für die Positionierung der Abstützung des mobilen Dübel-Prüfgeräts auf den Mauersteinen beachte Abschnitt 5.2 mit Bild-6. Bei unverputztem Mauerwerk und genauer Kenntnis der Steingeometrie von Hohl- und Lochsteinen kann eine angepasste Abstützweite gewählt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Abstützung mindestens auf den trag- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 97 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk fähigen Querstegen realisiert wird (siehe Bild- 3). Dies ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Verformung in den aktivierten Horizontalstegen ungehindert einstellen kann. Bild 3: Abstützung auf tragfähigen Querstegen Eine wesentliche Neuerung in [1] gegenüber [12] und [14] ist die Differenzierung der Material-Teilsicherheitsbeiwerte (γ M ) für das Mauerwerk in Abhängigkeit der Art der durchgeführten Versuche und des Verankerungsgrunds. Diese Differenzierung ist in Tabelle 4.6 dargestellt. Tabelle 4.6: Material-Teilsicherheitsbeiwerte γM (gemäß [1], Abschnitt 4.3, Tabelle 4) Verankerungsgrund Art der durchgeführten Versuche am Bauwerk • 15 Probebelastungen (vgl. Abschnitt 4.3.3) • ≥ 5 Bruchversuche (vgl. Abschnitt 4.3.2) oder • 15 Abnahmeversuche (vgl. Abschnitt 4.3.4) • Alle Befestigungen geprüft durch Abnahmeversuche (vgl. Abschnitt 4.3.4) Mauerziegel, Kalksandsteine, Steine aus Leichtbeton und Normalbeton 2,50 2,25 1,95 Porenbetonsteine 2,00 1,80 1,56 4.3.2 Bruchversuche Bei Bruchversuchen wird der Injektionsanker bis zum Versagen belastet. Das bedeutet, dass die Last mit dem Dübel-Auszugsgerät so lange langsam und stetig gesteigert wird, bis keine Laststeigerung mehr möglich ist und die Verankerung oder der Verankerungsgrund versagt. Dabei darf die Bruchlast frühestens nach einer Minute erreicht werden. Die Bruchlast wird aufgezeichnet und ist Grundlage für die Auswertung der Versuche und die Ableitung einer charakteristischen Tragfähigkeit des Dübels im Baustellen-Verankerungsgrund. Die minimale Anzahl von Auszugsversuchen ist n = 5, wobei in [1] (siehe dort Abschnitt 3.2) nicht zwischen Querlastversuchen am Rand und Zugversuchen unterschieden wird und es auch keine Rolle spielt ob die Wand verputzt ist oder nicht. Die Injektionsanker/ Befestigungsstellen dürfen nach den Bruchversuchen nicht mehr für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden. 4.3.3 Probebelastungen Anders als in [12] und [14] geregelt, dürfen nach der Technischen Regel des DIBt Probebelastungen nicht nur für Zugversuche sondern auch für Querlastversuche am Rand durchgeführt werden (vgl. Abschnitt 3.3 in [1]). Dabei sind in beiden Fällen jeweils mindestens 15 Versuche durchzuführen. Die Festlegung der Probelast für Probebelastungen kann nur durch den Fachplaner (Abschnitt 3) festgelegt werden, da nur dieser Kenntnisse über die Gesamtstatik des Bauvorhabens - mit den Einwirkungen auf die geplanten Dübel-Befestigungen - haben kann. Die Lasten für eine Probebelastung werden nach den folgenden Gleichungen bestimmt. Für Zugversuche: N pP ≥ N Ed · γ M · 1 / β Gl. (2) ≤ N Rk,ETA / β Gl. (3) Für Querlastversuche: V p ≥ V Ed · γ M · 1 / β Gl. (4) ≤ V Rk,ETA / β Gl. (5) mit: • N pP gewählte Last für die Probebelastung für die Zugversuche • V p gewählte Last für die Probebelastung für die Querlastversuche • N Ed Bemessungswert der Einwirkung (N Ek · γ F ) Zuglast • V Ed Bemessungswert der Einwirkung (V Ek · γ F ) Querlast 98 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk • γ M Teilsicherheitsbeiwert der Tragfähigkeit (vgl. Abschnitt 4.3.1) • β produktabhängiger Faktor zur Berücksichtigung verschiedener Einflüsse gemäß ETA für den verwendeten Injektionsanker (siehe hierfür auch die Ausführungen in den Abschnitten 4.2.2 und 4.2.3) • N Rk,ETA charakteristische Tragfähigkeit des Injektionsankers N Rk,b bzw. N Rk,p in der ETA für den Referenzstein • V Rk,ETA charakteristische Tragfähigkeit des Injektionsankers V Rk,c in der ETA für den Referenzstein Für die Probebelastungen mit Injektionsankern wird ein „kritischer Lastabfall“ definiert: Für eine erfolgreiche Probebelastung muss für jeden der mindestens 15 Versuche die gewählte Probelast N pP bzw. V P für mindestens eine Minute gehalten werden. Dabei dürfen keine sichtbaren Verschiebungen auftreten. In der Regel wird man bei den Prüfungen auch hier immer einen Lastabfall infolge Relaxation („Entspannung“) feststellen. Geht diese Relaxation über 10 % der Probelast hinaus, so spricht [1] von einem kritischen Lastabfall. Wenn der o. g. Lastabfall den Grenzwert von 10% für den „kritischen Lastabfall“ überschreitet, ist es zulässig, die Lasthöhe einmalig auf den Ausgangswert N pP bzw. V p nachzustellen und diese mindestens 10 Minuten zu halten. Wenn während dieser Zeit keine sichtbare Verschiebung auftritt und der weitere Lastabfall maximal 5% der Probelast beträgt, so können die charakteristischen Tragfähigkeiten N Rk,2 bzw. V Rk,2 für den Injektionsanker nach den beiden folgenden Gleichungen ermittelt werden: N Rk2 = α dist · N pP · β ≤ N Rk,ETA Gl. (6) V Rk2 = V p · β ≤ V Rk,ETA Gl. (7) mit: • α dist Reduktionsfaktor für Abstützweiten a dist < 3·h ef nach Gleichung (1) • N pP , β, N Rk,ETA siehe Gl. (2) und (3) • V p , β, V Rk,ETA siehe Gl. (4) und (5) Aus Gründen der Übersicht wird für weitere Details auf den Abschnitt 3.3 in [1] verwiesen. Die Injektionsanker/ Befestigungsstellen dürfen nach den Probebelastungen nicht mehr für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden. Dies wird damit begründet, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu Vorschädigungen der Verankerungen kam, auch wenn keine sichtbaren Bewegungen oder Verschiebungen bei sämtlichen geprüften Injektionsankern auftraten. 4.3.4 Abnahmeversuche Die Idee von Abnahmeversuchen (nur Zugversuchen) ist es, einen Teil oder alle der für die geplante Befestigung vorgesehenen Injektionsanker zu prüfen. Dabei ist die Abnahmelast (N pA ) für diese Versuche auf einem im Vergleich zur Tragfähigkeit niedrigeren Lastniveau. Vor der Durchführung der eigentlichen Abnahmeversuche muss auf der Baustelle zunächst • mindestens ein Bruchversuch bis zum Versagen oder • mindestens eine Probebelastung auf einem beliebigen Niveau durchgeführt werden. Sollte die Verankerung bei dieser „Probebelastung auf einem beliebigen Niveau“ versagen, dann kann dieser Versuch als Bruchversuch gewertet werden. Die Versagenslast aus einem Bruchversuch bzw. die Probelast der einen Probebelastung ist der Ausgangswert N u,1 für die Ermittlung der Abnahmelast (N pA ). Es können aber auch mehr Bruchversuche oder Probebelastungen durchgeführt werden, um ein Ergebnis mit einer besseren Aussagekraft zu erhalten: Werden • mindestens drei Bruchversuche oder • mindestens drei Probebelastungen auf einem beliebigen Niveau durchgeführt, so ergibt sich der Ausgangswert N u,m für die Ermittlung der Abnahmelast als Mittelwert der mindestens drei Bruchversuche oder Probebelastungen. Die so getesteten Injektionsanker/ Befestigungsstellen [Bruchversuch(e) oder Probebelastung(en)] dürfen nicht mehr für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden, da eine Vorschädigung des Steines durch diese Belastung(en) nicht ausgeschlossen werden kann. Für die Ermittlung der Abnahmelast N pA aus N u,1 oder N u,m ist - wie bei den Probebelastungen - der Fachplaner (Abschnitt 3) verantwortlich, da nur dieser Kenntnisse über die Gesamtstatik des Bauvorhabens - mit den Einwirkungen auf die geplanten Dübelverankerungen - haben kann. Wenn nicht alle der für die geplante Befestigung vorgesehenen Injektionsanker geprüft werden, sind mindestens 15 Abnahmeversuche mit der Abnahmelast N pA durchzuführen, die wie folgt zu ermitteln ist. Für nur einen Bruchversuch bzw. nur eine Probebelastung: N pA = α Probe · 0,5 · N u,1 ≤ α Probe · N Rk,ETA / β Gl. (8) N pA ≥ N Ed · γ M · 1/ β Gl. (9) Für mindestens drei Bruchversuche bzw. mindestens drei Probebelastung: 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 99 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk N pA = α Probe · 0,7 · N u,m ≤ α Probe · N Rk,ETA / β Gl. (10) N pA ≥ N Ed · γ M · 1/ β Gl. (11) mit: • N pA Last für die Abnahmeversuche (Abnahmelast) • N u,1 in einem Versuch ermittelte Versagenslast/ Probebelastung Anmerkung: Annahme der Versagenslast/ Probebelastung als 95%-Quantilwert. Mit dem Faktor 0,5 ergibt sich der 5%-Quantilwert. • N u,m Mittelwert der Versagenslast/ Probebelastung aus mindestens drei Versuchen Anmerkung: Mit dem Faktor 0,7 ergibt sich der 5%-Quantilwert. • N Rk,ETA charakteristische Tragfähigkeit N Rk,b bzw. N Rk,p in der ETA für den Referenzstein • N Ed Bemessungswert der Einwirkung (N Ek · γ F ) • γ M Teilsicherheitsbeiwert für das Material, siehe Abschnitt 4.3.1 • β produktabhängiger Faktor zur Berücksichtigung verschiedener Einflüsse gemäß ETA • α Probe Faktor zur Vermeidung einer Vorschädigung = 0,90 • Für erfolgreiche Abnahmeversuche muss für jeden der mindestens 15 Versuche die gewählte Abnahmelast N pA für mindestens eine Minute gehalten werden. Dabei dürfen keine sichtbaren Verschiebungen auftreten. Dies entspricht der Regelung für Probebelastungen in Abschnitt 4.3.3. So wird sinngemäß auch hier der „kritische Lastabfall“ definiert, wenn bei den Prüfungen der Lastabfall infolge Relaxation („Entspannung“) über 10 % der Abnahmelast hinausgeht (vgl. in [1] den Abschnitt 3.4). Wenn der Lastabfall den Grenzwert für den „kritischen Lastabfall“ von 10% überschreitet, ist es zulässig, die Lasthöhe einmalig auf den Ausgangswert N pA nachzustellen und diese mindestens 10 Minuten zu halten. Wenn während dieser Zeit keine sichtbare Verschiebung auftritt und der weitere Lastabfall maximal 5% der Abnahmelast beträgt, so kann die charakteristische Zugtragfähigkeit N Rk,3 des Injektionsankers nach der folgenden Gleichung ermittelt werden: N Rk3 = α dist · N pA · β ≤ N Rk,ETA Gl. (12) mit: α dist Reduktionsfaktor für Abstützweiten a dist < 3·h ef nach Gleichung (1) N pA , β, N Rk,ETA siehe Gl. (8), (9), (10) und (11) Aus Gründen der Übersicht wird für weitere Details auf den Abschnitt 3.4 in [1] verwiesen. Nur die Injektionsanker/ Befestigungsstellen, für die erfolgreiche Abnahmeversuche durchgeführt werden konnten (Auf bringen der Abnahmelast für mindestens eine Minute ohne sichtbare Verschiebungen und ohne kritischen Lastabfall), dürfen nach Abschluss der Abnahmeversuche für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.1 mit Tabelle 4.1). 4.4 Versuchsbericht Die Dokumentation der Versuche am Bauwerk für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk erfolgt durch den „Versuchsleiter“ in einem entsprechenden Versuchsbericht. Beachte hierzu in [1], Abschnitt 2.3 die Inhalte, die mindestens in einem solchen Versuchsbericht enthalten sein sollen. 5. Praxistipps 5.1 Ort der Prüfungen Der Ort, an dem die Prüfungen durchgeführt wurden, sollte möglichst präzise beschrieben werden, damit später nach Abschluss des eigentlichen Bauvorhabens immer noch genau nachvollzogen werden kann, wo tatsächlich die Versuche am Bauwerk durchgeführt wurden. Folgende Angaben können hilfreich sein: • Achskoordinaten aus vorliegenden Plänen (wenn vorhanden) • Innenraum oder Außenbereich • Geschoss/ Etage • Raum-Nummer • … • Bereits an diesem Punkt empfiehlt sich eine Dokumentation mit Hilfe von Fotos Mit Bezug auf die Technische Regel des DIBt (vgl. in [1]) sind die Setzstellen, an denen die Versuche am Bauwerk durchgeführt werden, durch den zuständigen Fachplaner festzulegen. Wenn eine Fassade bei einem Bauvorhaben im Bestand, an einem bereits vorhandenen, ggf. auch verputzten Mauerwerk verankert werden soll, gelten die z. B. nur an einer Außenwand des Bestandsgebäudes ermittelten Versuchsergebnisse nicht automatisch für alle Wände des gesamten Bauvorhabens. Für diesen Fall müsste sichergestellt werden, dass es sich bei allen Außenwänden um den gleichen Verankerungsgrund handelt, in den der Dübel später tatsächlich auch eingebaut wird. Der TR 053 [14] und ETAG 029, Anhang B [12] führen hierzu allgemein Folgendes aus: „Die Anzahl und Position der zu prüfenden Injektionsanker sind den jeweiligen speziellen Bedingungen des jeweiligen Bauwerks anzupassen und müssen z. B. im Fall von verdeckten und größeren Flächen erhöht werden, so dass zuverlässige Angaben über die charakteristische Tragfähigkeit der im jeweiligen Verankerungsgrund eingebetteten Injektionsankern abgeleitet werden können. Die Versuche sollten die ungünstigsten Bedingungen der praktischen Ausführung berücksichtigen.“ 100 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk Bild- 4 zeigt eine Baustelle, bei dem ein eingeschossiger Anbau nachträglich an einem bestehenden mehrgeschossigen Wohngebäude ergänzt wurde. Beim Einbau neuer Fenster und der Sanierung des Putzes werden hier im Bild mindestens drei verschiedene Mauersteinarten sichtbar: Ein Betonstein (Fensterbrüstung), ein Vollziegel (vorhandenes Hauptgebäude) und ein Hochlochziegel (Anbau bzw. Brüstung unter dem kleineren Fenster). Bild 4: Unterschiedliches Mauerwerk in zwei unterschiedlichen Bauabschnitten (Foto: Küenzlen) Sollten an diesem Objekt Versuche am Bauwerk durchgeführt werden, so könnten die Ergebnisse nicht automatisch von einem auf die beiden anderen Mauersteine übertagen werden. Es wäre vielmehr vorab vom Fachplaner zu entscheiden, WO und WELCHE Mauersteinart geprüft werden soll. In einer solchen Situation kann es sinnvoll oder sogar erforderlich sein, die Anzahl der Versuche zu erhöhen d. h. in mehreren Wandbereichen und Steinen zu prüfen. Nach [1], Abschnitt 2.1 sind bei unregelmäßigem Mauerwerk (Mauerwerk aus verschiedenen Steinen) für jede Art des angetroffenen Verankerungsgrunds separate Versuche durchzuführen und getrennt auszuwerten. Alternativ könnte man hier (Bild-4) zunächst jeweils nur eine kleine Anzahl von Tastversuchen in den drei verschiedenen Steinarten und eine vollständige Anzahl von Versuchen nur in der „ungünstigsten“ Mauersteinart (in der bei den Tastversuchen die geringsten Lasten eingeleitet werden konnten) durchführen. Die dabei ermittelte Dübeltragfähigkeit könnte dann auf der sicheren Seite auf die beiden „günstigeren“ Steine übertragen werden. Ein solches Vorgehen wäre ein ingenieurmäßiger Ansatz, der durch den zuständigen Fachplaner festzulegen und zu verantworten ist. Baustellenversuche sind nicht zwingend am Bauwerk durchzuführen. Sind z. B. bei einer Neubau-Baustelle noch eine ausreichend große Anzahl von einzelnen, nicht verbauten Mauersteinen des tatsächlich vorhandenen Baustellen-Verankerungsgrundes vorhanden, können die Versuche nach [1], Abschnitt 2.2 auch „an nicht verbauten Einzelsteinen“ durchgeführt werden. Damit müssen die Versuche nicht zwingend auf dem Gerüst bzw. direkt am Bauwerk durchgeführt werden, was die Prüfung i. d. R. deutlich vereinfacht. Diese Vorgehensweise ist sowohl durch die Technische Regel des DIBt [1] als auch den TR 053 [14] abgedeckt, da in Prüfstellen im Rahmen eines Zulassungsverfahrens häufig auch nur an Einzelsteinen geprüft wird. 5.2 Prüfvorrichtung Mit „Prüfvorrichtung“ sind mobile Dübel-Auszugsgeräte gemeint, mit denen Baustellenversuche durchgeführt werden können. Bei diesen Geräten ist allgemein immer darauf zu achten, dass sie regelmäßig (je nach Herstellervorgabe i. d. R. einmal jährlich) kalibriert werden, vgl. in [1] den Abschnitt 2.2: „Die Prüfvorrichtung für die Versuche soll eine kontinuierliche Anzeige der aktuellen Kraft einschließlich der Erfassung des Spitzenwertes ermöglichen. Dieser Spitzenwert ist aufzuzeichnen. Die Kraft ist über eine kalibrierte Kraftmessdose (Genauigkeit ±5% auf den Messbereich) zu messen.“ Da hier eine kalibrierte Kraftmessdose gefordert wird, sollten die Geräte i. d. R. bei den Prüfgeräte-Herstellern entsprechend regelmäßig kalibriert und dort auch gleichzeitig gewartet werden. Wird ein Dübel-Auszugsgerät unsachgemäß behandelt, z. B. fällt ein Prüfgerät bei einem Versuch an einer Fassade auf das Gerüst oder sogar vom Gerüst auf den Boden, so ist das Gerät selbstverständlich außerhalb des vorgegebenen Wartungszyklus zu überprüfen und darf zunächst nicht mehr für weitere Versuche verwendet werden. Als lichter Abstand (l a ) zwischen der Abstützung des Prüfgeräts und dem zu prüfenden Injektionsanker wird für Zugversuche in [1] mindestens die 1,5-fache effektive Verankerungstiefe (l a = 1,5⋅h ef ) empfohlen, woraus der Abstützdurchmesser (a dist = 3⋅h ef ) nach Bild- 5 resultiert. Dieser Abstand soll ein mögliches Ausbrechen des Mauerwerks während des Versuchs nicht behindern. Bild 5: Abstand zwischen Abstützung des Prüfgeräts und dem zu prüfenden Dübel 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 101 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk Nach der Technischen Regel des DIBt [1] kann durch die Berücksichtigung der Lage der Abstützung des Prüfgeräts bei kleinformatigen Steinen das Herausziehen der Steine bei der Prüfung am Bauwerk berücksichtigt werden [Bild-6a) zeigt die Lage der Abstützung außerhalb des Steins in dem der Dübel montiert ist]. Bei großformatigen Lochsteinen muss darauf geachtet werden, dass ein Aufspalten des Steins durch die Lage der Abstützung nicht behindert wird [Bild-6b)]. Bild 6: Lage der Abstützung a) bei kleinformatigen Steinen b) bei großformatigen Lochsteinen nach [1], Abschnitt 2.2 5.3 Verankerungsgrund 5.3.1 Allgemeines Die Bestimmung und Beschreibung des tatsächlich auf der Baustelle vorhandenen Verankerungsgrunds ist grundsätzlich einer der wichtigsten Punkte bei der Durchführung von Versuchen am Bauwerk, da der tatsächlich verbaute Mauerstein mit einem „äquivalenten Verankerungsgrund“ aus der ETA des verwendeten Dübelsystems verglichen werden muss. Die Dübel-Tragfähigkeit, die aus den Versuchen am Bauwerk ermittelt wird, muss mit der Tragfähigkeit des gleichen Dübels in einem vergleichbaren Verankerungsgrund bzw. Stein, der im Zulassungsverfahren geprüft und in der Dübel-ETA abgebildet ist, abgeglichen werden. Dieser vergleichbare Stein - bezüglich Baustoff, Struktur und Geometrie (vgl. Abschnitt 1) - wird in [1], Abschnitt 1.2 als „Referenzstein“ bezeichnet. Bei dem Abgleich mit dem Referenzstein ist der kleinere Wert, entweder das Ergebnis aus den Versuchen für den tatsächlich verbauten Stein (N Rk,1 , N Rk,2 oder N Rk,3 sowie V Rk,1 oder V Rk,2 ) oder der Wert aus der ETA für den Referenzstein (N RK,ETA oder V RK,ETA ), maßgebend. Dieser Abgleich wird i. d. R. umso verlässlicher, d. h. der Abgleich liegt zunehmend auf der sicheren Seite, je mehr unterschiedliche Steine einer Nutzungskategorie im Zulassungsverfahren eines Dübels geprüft wurden und in der der Dübel-ETA ausgewiesen sind. Wurde z. B. ein Dübel in mehreren unterschiedlichen Lochsteinen eines Baustoffs geprüft, so steigt mit jedem zusätzlich im Zulassungsverfahren geprüften Stein die Wahrscheinlichkeit, dass man in der Dübel-ETA tatsächlich einen vergleichbaren „Referenzstein“ für den auf der Baustelle verbauten Mauerstein findet. Unter „Zusätzliche Bedingungen bei Hohl- und Lochsteinen“ wird im Abschnitt 1.3 „Anwendungsbedingungen“ in der Technischen Regel des DIBt auf den Anhang A in [1] verwiesen, in dem Lochsteine in die Kategorien C1 bis C7 eingeteilt werden. Weiter heißt es, dass folgende Kriterien für die Auswahl des Referenzsteins herangezogen werden „können“: • Anzahl Stege und Stegdicken, • Abstand der Stege über die Setztiefe, • gefüllte oder ungefüllte Kammern, • Baustoff (Ziegel, Kalksandstein, Leichtbeton, Porenbeton, Normalbeton), • Druckfestigkeit, Rohdichte, • Lastniveau des vergleichbaren Steines der ETA. Prinzipiell sollten im Abschnitt „Verankerungsgrund“ des Versuchsberichts für (Dübel-) Versuche am Bauwerk so viele Informationen wie möglich zusammengetragen werden. 5.3.2 Bestimmung des Verankerungsgrunds bei einem Neubau Im Neubau kann der vorhandene Verankerungsrund mit wenig Aufwand häufig an auf der Baustelle noch vorhandenen, nicht verbauten Einzelsteinen bestimmt bzw. aus den Bauunterlagen wie z. B. Bauplänen, ggf. der Zulassung oder der Leistungserklärung des verbauten Mauersteins entnommen werden. 5.3.3 Bestimmung des Verankerungsgrunds bei einem Altbau Beim Bauen im Bestand ist es dagegen häufig sehr schwierig bis unmöglich den tatsächlich vorhandenen Verankerungsgrund zu definieren. Die Bauakten sind i. d. R. unvollständig und nicht so präzise wie bei heutigen Neubauten. Bei alten Mauerwerksbauten trifft man häufig auch auf verputztes Mauerwerk, was eine exakte Bestimmung des Verankerungsgrunds zusätzlich erschwert. Erste Hinweise auf den tatsächlich vorhandenen Verankerungsgrund gibt in diesen Fällen daher am besten eine Probebohrung direkt auf der Baustelle. Eine solche Probebohrung sowie generell Versuche am Bauwerk sollten vorzugsweise bereits in der Planungsphase einer Baumaßnahme durchgeführt werden, damit auf Grundlage einer Bemessung ein seriöses Angebot erstellt werden kann (Dübeltyp, Dübelabmessungen, Mengenermittlung) und die ausführende Firma am Tag der Montage bereits die richtigen Dübel in ausreichender Anzahl auf der Baustelle vorrätig hat. Erstellt man bei der Probebohrung im Drehgang ein Bohrloch (das Hammerbzw. Schlagwerk der Hammerbzw. Schlagbohrmaschine muss ausgeschaltet sein), so kann man auf Grundlage des vorhandenen Bohrmehls und des Bohrfortschritts bereits eine erste Abschätzung über den vorhandenen Verankerungsgrund bzw. den Baustoff treffen (vgl. Tabelle 5.1 und Bild-7). 102 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk Tabelle 5.1: Ermittlung des Verankerungsgrunds durch Probebohrungen (vgl. z. B. in [18]) Bohrfortschritt (Drehbohren) Untergrund Farbe des Bohrmehls Wahrscheinlicher Verankerungsgrund/ Baustoff fortlaufend langsam Vollmaterial grau Beton, Betonstein rot Ziegel, Klinker weiß Kalksandstein fortlaufend schnell weiß Porenbeton ruckartig Hohlmauerwerk grau Hohlblockstein aus (Leicht-) Beton rot Hochlochziegel weiß Kalksand-Lochstein Dabei ist es sogar möglich, zu mindestens näherungsweise die Steg-Geometrie eines ggf. vorhandenen Lochsteins zu ermitteln, indem man beispielsweise mit einem Bohrer d 0 ≥ 18 mm im Drehgang wie folgt eine Probebohrung vornimmt: • Sobald man den Außensteg durchbohrt, die Bohrmaschine abgeschaltet und den Bohrer wieder aus dem Bohrloch herausgezogen hat, kann man die Dicke des Außenstegs und den Abstand von der Steinoberfläche bis zum ersten Innensteg messen. • Anschließend wird die Probebohrung sinngemäß fortgesetzt, der erste Innensteg durchbohrt und der Abstand von der Steinoberfläche bis zum zweiten Innensteg gemessen [Bild-7b)], usw.. • Dieser Vorgang wird mindestens so lange wiederholt, bis bei der Messung die spätere Einbindetiefe des verwendeten Dübelsystems erreicht wird. Das so grob ermittelte Lochbild sollte als Baustellen- Skizze oder Zeichnung in den Versuchsbericht für die Baustellenversuche integriert werden [Bild-7a)]. Auf dieser Grundlage kann später der vergleichbare „Referenzstein“ aus der Dübel-Zulassung herausgesucht werden. Bild 7: Schematische Darstellung einer Probebohrung mit Ermittlung der Steg-Geometrie eines Lochsteins 5.4 Montage Die Montage der Injektionsanker für die Versuche wird durch das „sachkundige Personal“ gemäß Abschnitt 3 durchgeführt, das später auch die eigentliche Montage vornimmt. 5.5 Versuchsergebnisse Nach der Dokumentation der vorangegangenen Punkte (Abschnitt 5.1 bis 5.4) nach den Vorgaben in [1] können die vom Fachplaner geplanten Versuche durchgeführt und deren Ergebnisse entsprechend im Versuchsbericht dokumentiert werden. Gemäß der Technischen Regel des DIBt (vgl. in [1] den Abschnitt 2.2) gilt dabei Folgendes: „Die Versuche werden auf Basis der Vorgaben des Fachplaners unter Verantwortung des Versuchsleiters durchgeführt.“ Bei der Versuchsdurchführung nach [1] sind folgende Anforderung zu beachten: „Während der Bruchversuche ist die Last langsam und stetig zu steigern, so dass die erwartete Bruchlast nach nicht weniger als 1 Minute erreicht wird. Die Bruchlast ist aufzuzeichnen. Bei Probebelastungen und Abbruch der Versuche vor Erreichen der Bruchlast ist die Last so zu erhöhen, dass die Probelast bzw. die Last bei Abbruch des Versuches nach nicht weniger als 1 Minute erreicht wird und mindestens eine Minute gehalten wird. Diese Last ist aufzuzeichnen.“ Die Angabe der „Versuchsgeschwindigkeit“ mit „nach nicht weniger als ca. 1 Minute“ kann in der Baustellenpraxis nur ungefähr eingehalten werden, da insbesondere die Größe der Bruchlast für den jeweiligen Versuch ja vorher nicht bekannt ist. Vorausgesetzt, dass die Bruchlasten der einzelnen Versuche nicht zu stark voneinander abweichen, kann es auf der Baustelle im Prinzip immer nur ein „Herantasten“ an die „ca. 1 Minute“ geben, indem die Last auf der sicheren Seite nur sehr langsam gesteigert wird und parallel dazu die Zeit gemessen bzw. die Prüfdauer kontrolliert wird. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 103 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk 5.6 Aufgabentrennung Mit der Dokumentation der Versuchsergebnisse sind nach der Technischen Regel des DIBt [1] die Aufgaben des „Versuchsleiters“ gemäß Abschnitt 3 erfüllt: „Der Versuchsbericht und gegebenenfalls Anmerkungen zu den Randbedingungen sind vom Versuchsleiter an den Fachplaner zu übergeben.“ Für die Auswertung der Versuchsergebnisse ist dann der „Fachplaner“ nach Abschnitt 3 zuständig, da nach [1] Folgendes gilt: „Die statistische Auswertung und die Ermittlung der charakteristischen Tragfähigkeit … werden in Verantwortung des Fachplaners erstellt und sind von ihm nachvollziehbar zu dokumentieren.“ Insbesondere die Auswahl des Referenzsteins und das Herauslesen der entsprechenden charakteristischen Tragfähigkeit (N Rk,ETA und V Rk,ETA ) aus der Zulassung des verwendeten Dübels ist eine Entscheidung, die final nur durch den zuständigen Fachplaner erfolgen kann, da nur dieser mit dem gesamten Bauvorhaben vertraut ist. Sowohl Zulassungen als auch Versuche am Bauwerk für Dübel erbringen immer nur den Nachweis der unmittelbaren örtlichen Krafteinleitung in den Verankerungsgrund; die Weiterleitung der mit den Dübeln zu verankernden Lasten im Bauteil und im Bauwerk (im Prinzip von der Einwirkungsstelle bis zur Gründungsebene) kann ebenfalls nur durch den zuständigen Fachplaner nachgewiesen werden. 6. Zusammenfassung Die hier dargestellte Durchführung von Baustellenversuchen zeigt deutlich, dass diese Versuche am Bauwerk für zugelassene Metall-Injektionsanker im Verankerungsgrund Mauerwerk immer wichtiger werden. Sowohl der vielfältige Verankerungsgrund Mauerwerk als auch die Montage der Dübel haben wesentliche Einflüsse auf die Tragfähigkeit dieser Befestigungssysteme, die nicht alle in den Europäischen Technischen Zulassungen/ Bewertungen (ETAs) für diese Dübel-Produkte abgebildet werden können. Versuche am Bauwerk (Bruchversuche, Probebelastungen und Abnahmeversuche) können den Anwendungsbereich dieser ETAs unter bestimmten Randbedingungen erweitern, sie müssen dafür aber in der täglichen Praxis für jedes neue Projekt - rechtzeitig VOR der eigentlichen Montage und unter Berücksichtigung der Verantwortlichkeiten (Fachplaner, Versuchsleiter, sachkundiges Personal) - immer wieder individuell geplant, durchgeführt und ausgewertet werden. Literatur [1] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau für Injektionsankersysteme im Mauerwerk mit ETA nach ETAG 029 bzw. nach EAD 330076-00-0604, Stand: September 2019 (Entwurf), URL: https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ I2/ Versucheam- Bau_Injektionsankersysteme_Mauerwerk.pdf (abgerufen am 19.10.2020) [2] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Amtliche Mitteilungen vom 15.01.2020: Veröffentlichung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen Ausgabe 2019/ 1, URL: https: / / www. dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ P5/ Technische_Bestimmungen/ MVVTB_2019. pdf (abgerufen am 19.10.2020) [3] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Hinweise für die Montage von Dübelverankerungen, Oktober 2010, URL: https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ I2/ Duebel_Hinweise_Montage.pdf (abgerufen am 19.10.2020) [4] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Europäische Technische Bewertung ETA-13/ 1040 vom 13. Januar 2015 für Würth Injektionssystem WIT-VM 250 zur Verankerung im Mauerwerk, kostenlose Download-Möglichkeit z. B. unter www.dibt.de/ de/ service/ zulassungsdownload/ suche [5] DIN EN 771-1: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 1: Mauerziegel [6] DIN EN 771-2: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 2: Kalksandsteine [7] DIN EN 771-3: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 3: Mauersteine aus Beton (mit dichten und porigen Zuschlägen) [8] DIN EN 771-4: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 4: Porenbetonsteine [9] DIN EN 771-5: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 5: Betonwerksteine [10] EOTA: EAD 330076-00-0604, European Assessment Document Metal Injection Anchors for Use in Masonry, July 2014, © 2017, URL: https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ eads/ 56/ , (abgerufen am 19.10.2020) [11] EOTA: ETAG 029, Guideline for European Technical Approval of Metal Injection Anchors for Use in Masonry, April 2013, Brüssel, https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ etags/ 26/ , (abgerufen am 19.10.2020) [12] EOTA: ETAG 029, Annex B (informative), Recommendations for Tests to be carried out on Construction Works, April 2013, Brüssel, https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ etags/ 26/ , (abgerufen am 19.10.2020) [13] EOTA: ETAG 029, Annex C: Design Methods for Anchorages, April 2013, Brüssel, https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ etags/ 26/ , (abgerufen am 19.10.2020) [14] EOTA: Technical Report TR 053, Recommendations for Job Site Tests of Metal Injection Anchors for Use in Masonry, April 2016, URL: https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ technical-reports/ 28/ , (abgerufen am 19.10.2020) [15] EOTA: Technical Report TR 054, Design Methods for Anchorages with Metal Injection Anchors for Use in Masonry, April 2016, URL: https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ technical-reports/ 28/ , (abgerufen am 19.10.2020) 104 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Injektionsanker in Mauerwerk: kurze Einführung in Versuche am Bauwerk [16] Feistel, G.: Hinweise für die Montage von Dübelverankerungen, DIBt Mitteilungen, Heft 2, April 2011 [17] Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (89/ 106/ EWG), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/ 2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 [„Bauproduktenrichtlinie“ (BPR)] [18] Scheller, E., Küenzlen, J., Hrsg.: Handbuch der Dübeltechnik - Grundlagen, Anwendungen, Praxis, Swiridoff Verlag GmbH & Co. KG, Künzelsau 2013 [19] Verordnung (EU) Nr. 305/ 2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/ 106/ EWG des Rates [„Bauproduktenverordnung“], vgl. z. B. URL: https: / / www.dibt.de/ de/ service/ rechtsgrundlagen/ (abgerufen am 19.10.2020) 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 105 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Vergleich zwischen Laborversuchen und numerischen Berechnungen Suzanne Schultz, M. Eng. Finck Billen Ingenieurgesellschaft GmbH & Co. KG, Köln Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro/ Technische Hochschule Köln Zusammenfassung An einem um 1900 gebauten denkmalgeschützten Bauwerk aus Mauerziegelmauerwerk sollte das durchfeuchtete, stark geschädigte und in seiner Tragfähigkeit erheblich eingeschränkte Fassadenmauerwerk durch verschiedene Maßnahmen in seiner Tragfähigkeit, aber auch für die im Rahmen der Umbaumaßnahme verschiedenen Lastzustände gesichert werden. Bild 1: Laserscanaufnahme eines Wohnhauses, erbaut im 19. Jahrhundert mit den vorgesehenen Längsverspannungen (blau) in der Fassaden-Mauerwerkswand / 1, 2/ Dazu wurde u. a angedacht, das Mauerwerk in der Längsachse mittels eines Kernbohrverfahrens zu durchbohren, einen Spannanker in das Bohrloch zentrisch einzulegen und den Anker vorzuspannen. Anschließend sollte das Bohrloch mit dem eingelegten Spannanker mit einem Verbundmörtel kraftschlüssig zum Anker und zum Mauerwerk hohlraumfrei verfüllt werden. Um diese Maßnahme durchführen zu können, muss die Fassadenwand mit einer Abstützkonstruktion gesichert und das Mauerwerk durch Querverankerungen („Vernadelungen“), Neuverfugungen und Mörtelinjektionen gesichert werden. Das Fassadenmauerwerk erfährt im Zuge dieser Maßnahmen verschiedene Lastbzw. Spannungszustände. Ziel der tastweise durchgeführten Forschung war es, Spannungszustände im Rahmen der Längsverankerungsarbeiten während verschiedener Arbeitsschritte (Bauzustände) im Mauerwerksquerschnitt zu ermitteln. Dies erfolgte einerseits durch Tastuntersuchungen im Labor, an der realen Fassadenwand nachempfundenen Labor-Modell-Prüfwänden; andererseits wurden die Spannungszustände mittels einer numerischen Simulation mit dem Programm Ansys an FE-Modellen berechnet. Diese FE--Modelle wurden den entsprechenden Laborprüfwänden nachgestellt. Um die Berechnungen durchführen zu können, mussten die für die Berechnung notwendigen Baustoffkennwerte im Labor ermittelt und in das Programm eingegeben werden. Über diese zuvor beschriebenen ersten tastweise labormäßig und durch FE-Berechnungen ermittelten Ergebnisse hinaus wurden an artgleichen Mauerwerksprüfkörpern Versuche zu der Wirkung einer Neuverfugung durchgeführt. Darüber hinaus wurden im Labor Tastversuche durchgeführt, die die Wirkung einer Hohlraumverfüllung eines zweischaligen Mauerziegelmauerwerks mittels eines Injektionsmörtels sowie einer nachträglichen Vernadelung mit einer vertikalen 2 cm Luftschicht zwischen den Mauerwerksschalen aufzeigen sollten. Die mit diesen unterschiedlichen Verfahren ermittelten Ergebnisse wurden miteinander verglichen und beurteilt, um daraus erste Hinweise für eine solche Mauerwerkssicherungsart zu geben. Nachfolgend wurden die Untersuchungsergebnisse, ermittelt an jeweils einem Prüfkörper und die Berechnungsergebnisse an FE-Modell-Prüfkörpern dargestellt und miteinander verglichen. 106 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk 1. Einführung Verwendung von Zugbzw. Spannankern Grundvoraussetzung für die konstruktive Instandsetzungsplanung eines Bauwerkes ist neben der Ursachenermittlung für die am Bauwerk vorhandenen Schäden und Veränderungen eine Bestands- und Zustandserfassung der zu ertüchtigen Bauteile zu erstellen. In diese Erfassung fließen die visuell und u.-a. durch haptische Prüfungen festgestellten Schäden wie z.-B. Rissschäden, Ausbauchungen und Schäden am Mauerwerksgefüge mit ein. Grundvoraussetzung sind darüber hinaus Untersuchungen zur Feuchtesituation und zum Gehalt von baustoffschädlichen Stoffen im Bauteil. Die Ergebnisse können neben den konstruktionsbedingten und ggf. denkmalpflegerischen Anforderungen einen wesentlichen Einfluss auf die Auswahl der Instandsetzungsstoffe, der Instandsetzungsverfahren sowie den entsprechenden Methoden haben. Spannanker (Zuganker) werden oft im Mauerwerksachsenverlauf eingebaut, um im Zusammenhang mit weiteren durchzuführenden Ertüchtigungsmaßnahmen wie z.-B. Austauschmaßnahmen von Mauersteinen und Verfugmörtel, Vernadelungen und Mörtelinjektionsarbeiten einen kraftschlüssigen Verbund und einen entsprechenden Lastabtrag im Mauerwerk zu ermöglichen. Durch den Einbau von vorgespannten oder nicht vorgespannten Zugankern wird der Kraftfluss in einem Mauerwerk verändert. Dies stellt aber immer auch einen entsprechenden Einfluss auf das bestehende Tragsystem da. Bei der Verwendung von Spannankern wird zwischen Ankern mit und ohne Verbund zum Mauerwerk unterschieden. Kleine Anker (z.- B. sogenannte Spiralanker / 3/ ) werden in der Regel ohne Kopfplatten und Vorspannung z.-B. in Fugen mit einem speziellen Fugenverbundmörtel eingebaut. Bei größeren Ankern ohne Verbund muss die Kraft über sogenannte Kopfplatten in das Mauerwerk eingetragen werden. Dies ist jedoch in der Regel mit einem sehr schellen Abbau der Spannungen im Anker und zu einem Nachgeben der Kopfplatten im Mauerwerk verbunden. Bei größeren Ankern mit Verbund zum Mauerwerk werden Lasten aus dem Mauerwerk dort in den Anker eingetragen, wo sie auftreten, z.-B. im Rissbereich. Als Verbundanker werden beispielsweise spezielle Wendelanker / 3, 4/ verwendet. Spannanker werden demnach verwendet, um große Zugspannungen im Mauerwerk aufzunehmen. Um die Tragsicherheit eines Bauteils während der einzelnen Einbauphasen eines Spannankers nicht zu gefährden, muss neben der Erstellung eines genauen Ablaufplans zum Einbau des Spannankers i. d.- R. eine Vorertüchtigung, also eine Art Grundinstandsetzung des Mauerwerks erfolgen. Die Spannanker als Zuganker müssen möglichst über die gesamte Ankerlänge im Verbund zum Umgebungsmauerwerk eingebaut werden. Dies geschieht durch die Verwendung von speziellen Ankern / 3, 4/ , die durch eine spezielle Rippung den Verbund zu einem, auf die Mauerwerkseigenschaften angepassten Verbundmörtel gewährleisten. Der Verbundmörtel steht im Verbund zum Umgebungsmauerwerk. Der Lasteintrag vom Verbundmörtel in das Mauerwerk kann in einem bestimmten Maß durch den Bohrlochdurchmesser und die Verbundmörteleigenschaften gesteuert werden. Wichtig für den Einbau ist es, den Zuganker (Spannanker) vorzuspannen und diese Spannung über einen längeren Zeitraum konstant zu halten, bevor der Bohrkanal mit einem Verbundmörtel verfüllt wird. Geschieht dies nicht, wird u.-a. durch Relaxation oder durch Temperaturdehnung des Ankers bzw. durch Kriechen des Umgebungsmauerwerkes die Spannung abgebaut. Die Vorspannkraft muss dazu i.-d.-R. über Kopfplatten an den Enden des Ankers mit speziellen Anspannvorrichtungen (z.-B. Spannkraftreglern) in den Anker eingebracht werden. Wichtig ist es, diese über einen längeren Zeitraum und auf einem gleichen Lastniveau unmittelbar nach der Verfüllung des Bohrkanals mit Verbundmörtel zu halten. Erst nach der ausreichenden Erhärtung des Verbundmörtels kann die Anspannlast an den Einleitungsstellen langsam abgebaut werden. Die Spannanker sollten spezielle Gewindeanschlüsse aufweisen, die es den Verarbeitern erleichtern, die Spannanker mit Muffen oder Schrauben zu versehen. Ansonsten ist auch nach Auftrag einer Gleitpaste auf die Gewinde mit einer Art „Kaltverschweißung“ zwischen den Gewinden der Zugstangen und Muttern bzw. Muffen miteinander zu rechnen. Ein Nachspannen der Anker, wie es von Tragwerksplanern oft vorgeben wird, ist bei dieser Art von Spannankern nicht mehr möglich / 5/ . 2. Praxisorientierte Forschung / 6/ Nachfolgend werden die Ergebnisse der Untersuchungen an Laborprüfwänden im Vergleich zu den Ergebnissen der numerischen Berechnungen (FE-Berechnungen) dargestellt, erläutert und beurteilt / 6/ . 2.1 Laborversuche: Untersuchung von Mauerwerksprüfkörpern Bei der Fülle an historischen Mauerwerksbauarten lag der Fokus dieser Forschungsarbeit auf einem Mauerwerk aus Mauerziegeln, vermauert mit einem Luftkalkmörtel. Für das Mauerwerk der Laborprüfwände wurde ein Mauerziegel verwendet, der oft für die Instandsetzung historischer Mauerwerke im Rheinland angewendet wurde und in Hinblick auf seine Eigenschaften auch den Mauerziegeln in dem o.-g. Bauwerk (siehe Bild 1) sehr nahekommt / 7/ . Der Kalkmörtel wurde als Mauermörtel gemäß WTA- Merkblatt / 8/ hergestellt. Darüber hinaus wurden im Rahmen einer Literaturrecherche die Eigenschaftskennwerte der, für die Laborversuche verwendeten Baustoffe mit den, aus der Literatur bekannten Eigenschaftskennwerten verglichen, um ggf. für die numerische Simulation (FE-Berechnungen) eine bestimmte Bandbreite an Eigenschaftskennwerten mit in die Berechnungen einbeziehen zu können. In entsprechenden Versuchen nach Norm bzw. z. T. in Anlehnung an die Normen wurden die Eigenschaftskennwerte der, für die Laborprüfwände benutzten Baustof- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 107 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk fe (Mauermörtel und Mauersteine) bestimmt. Die Eigenschaftskennwerte der Verbund- und Injektionsstoffe sowie der Vernadelungs- und Zugankerelemente waren aus früheren Untersuchungen bekannt bzw. lagen vor. Bild 2a: Bestimmung der Mauerziegeldruckfestigkeit Bild 2b: Bestimmung der Mörteldruckfestigkeit (erste Messung) Bild 2 c: Bestimmung der Mörtelbiegezugfestigkeit Bild 2: Bestimmung der Eigenschaftskennwerte des Mauerziegels und des Mauermörtels Die ermittelten und bekannten Eigenschaftskennwerte wurden in das numerische Modell eingepflegt. Mit den ausgewählten Mauerwerksbaustoffen wurden 8- unterschiedliche Mauerwerksprüfkörper im Labor in Anlehnung an die DIN 1052-01 / 9/ hergestellt, die den unterschiedlichen Bauzuständen im Rahmen einer Mauerwerkssicherungsmaßnahme, wie sie vorher beschrieben wurde entsprechen. Tabelle 1: Prüfkörperarten des Mauerwerks Prüfkörper Nr. Prüfkörperart Skizze FE- Berechnung 1 2 3 4 1 ohne + 2 mit Längskernbohrung; (Bauzustand) + 3 mit Spannanker und Verbundmörtel + 4 Fugen ausgeräumt; (Bauzustand) 5 Fugen neu verfugt mit angepasstem höherfestem Mörtel 6 Zweischaliges Mauerwerk 7 Zweischaliges Mauerwerk mit Injektionsmörtel im Zwischenraum 8 Zweischaliges Mauerwerk mit Injektionsmörtel, Vernadelung und Verbundmörtel Die Untersuchung von 3 Mauerwerksprüfkörpern (Prüfkörper 1 bis 3) diente dazu, die ermittelten Ergebnisse aus den Druckversuchen hinsichtlich der gemessenen Formänderungen und Druckfestigkeiten mit den ermittelten Berechnungsergebnissen (Spannungszuständen) aus entsprechenden FE--Modellen (FE-Prüfkörpermodellen) zu vergleichen. Um die Formänderungen der Mauerwerksprüfwände während der Druckversuche auch in Hinblick auf die 108 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk statische E-Modulbestimmung zu messen, wurden die Prüfkörper mit digitalen Wegaufnehmern versehen. Die Anzahl der Wegaufnehmer wurde gegenüber einem sogenannten RILEM-Prüfkörper (siehe DIN 1052 / 9/ ) deutlich erhöht, um die Formänderungszustände über den Prüfkörperquerschnitt besser erfassen zu können (siehe Bilder-3-und-4). Neben der Messung der vertikalen Formänderungen zur Bestimmung des E-Moduls wurden zusätzlich horizontale Formänderungen auf 3 verschiedenen Höhen gemessen. Alle Messwerte wurden zum Vergleich zu den Berechnungsergebnissen der numerischen Modelle herangezogen. Bild 3: Mauerwerksprüfkörper 1 bis 8: Anordnung und Bezeichnung der digitalen Wegaufnehmer (Solatron) zur Messung der Formänderungen während der Druckprüfung Tabelle 2: Mauerwerksprüfkörper: Bezeichnung der einzelnen digitalen Wegaufnehmer (Solatron) mit einer Angabe zur Lage am Prüfkörper Bezeichnung Beschreibung der Lage 1 2 LHO Längsansicht, horizontal, oben LHM Längsansicht, horizontal, mittig LHU Längsansicht, horizontal, unten LVLO Längsansicht, vertikal, links, oben LVRU Längsansicht, vertikal, rechts, unten BHO Breitenansicht, horizontal, oben BHM Breitenansicht, horizontal, mittig BHU Breitenansicht, horizontal, unten BVLO Breitenansicht, vertikal, links, oben BVLU Breitenansicht, vertikal, links, unten BVRO Breitenansicht, vertikal, rechts, oben BVRU Breitenansicht, vertikal, rechts, unten Bild 4: Mauerwerksprüfkörper 1 mit der gesamten Messtechnik Die Mauerwerksprüfkörper wurden im Labor der TH-Köln bzw. des Kölner Instituts für Bautechnik zuerst mit einer Last von 80 kN belastet. Dies entspricht einem Spannungszustand im Lasteinleitungsbereich von etwa 0,54 N/ mm². In einem weiteren Belastungszyklus wurde eine Last von 135 kN auf die Prüfkörper aufgebracht. Dies entspricht einer Spannung von 0,91 N/ mm². Die Bruchlasten, die im Rahmen der Tastversuche für die unterschiedlichen Mauerwerksprüfkörperarten im Labor erreicht wurden, werden in Tabelle 3 angegeben. Tabelle 3: Mauerwerksprüfkörper 1 bis 8 im Labor Tastversuche, Prüfkörperart, Skizze sowie Bruchlast F i,max und Druckfestigkeit f i Prüfkörper- Nr. Prüfkörperart Skizze Fi,max fi kN N/ mm² 1 2 3 4 5 1 ohne Instandsetzungsmaßnahme 389 2,6 2 mit Längskernbohrung (Bauzustand) 285 1,9 3 mit Verbundmörtel injizierter Längskernbohrung und Längsverspannung 343 2,3 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 109 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk 4 mit ausgeräumten Fugen (Bauzustand) 348 2,4 5 mit ausgeräumten Fugen, neu verfugt mit höherfestem Mörtel 496 3,4 6 Zweischaliges Mauerwerk 396 2,7 7 Zweischaliges Mauerwerk, mit Verbundmörtel injiziert 619 4,2 8 Zweischaliges Mauerwerk, mit Verbundmörtel injiziert und vernadelt 500 3,4 Im nachfolgenden Bild 5 ist die Kraftverformungskorrelation beispielhaft für den Prüf-körper-3 dargestellt. Bild 5: Mauerwerksprüfkörper 3: Formänderungen (Verformung) Δ in Abhängigkeit von der Kraft F Die Formänderungsgrafen der vertikalen Messstellen zeigten, dass eine sinnvolle Auswertung zur Bestimmung des statischen E-Moduls des Mauerwerksprüfkörpers 3 ohne weitere Untersuchungen noch nicht sinnvoll war, da die Werte sehr stark streuten. Weitere Untersuchungen sind dazu notwendig. Eine Rissanalyse der Prüfkörper 2 und 3 im Labor nach der Belastung bis zum Bruch ergab vor allem tiefe vertikale Risse oberhalb des Kernbohrlochs und war unabhängig davon, ob das Bohrloch mit der Zugstange (Spannanker) und dem Verbundmörtel verfüllt war oder nicht. 2.2 Numerische Simulation der FE-Prüfkörper- Modelle 1, 2 und 3 In der numerischen Simulation wird Mauerwerk in der Regel als homogener Körper dargestellt und der Lastabtrag stark vereinfacht. Aber gerade bei dem Einsatz diverser Instandsetzungsmaßnahmen ist es notwendig zu wissen, welche Spannungszustände und Formänderungen (Verformungen) im Bau- und Endzustand eines instandzusetzenden Mauerwerks entstehen, um die Wirksamkeit der Maßnahmen entsprechend beurteilen zu können. Im Rahmen dieser Forschung wurden die Ergebnisse von Druckversuchen an Mauerwerksprüfkörpern im Labor mit Spannankern als Längsverspannung in den einzelnen Bauzuständen (Prüfkörper 1, 2 und 3) mit Normalspannungszuständen und Formänderungen an entsprechenden numerischen Modellen verglichen. Hierfür wurden die Rechenmodelle mit dem Finite-Elemente-Programm ANSYS in diskret detaillierter Form simuliert. Es ist anzumerken, dass es sich bei den Laborversuchen und den FE-Berechnungen um Tastversuche handelt und viele Eigenschaftskenndaten trotz der Baustoffuntersuchungen im Labor aus der Literatur entnommen bzw. auch abgeschätzt werden mussten. Die FE-Berechnungen können daher, obwohl sie eine große Genauigkeit aufgrund Ihrer Ergebnisse suggerieren, nur als grobe Abschätzung zur Beurteilung angesehen werden. Dies gilt auch für viele andere FE-Berechnungen / siehe z.-B. auch 10/ . Es ergibt sich auch daher, dass bisher nur wenige FE--Berechnungen eines Mauerwerks, insbesondere eines verspannten Mauerwerks bekannt sind, die die Komplexität eines Mauerwerks erfassen, das aus unterschiedlichen Mauerwerksverbänden und Mörteln besteht. Auch die Bestimmung der Eigenschaftskenndaten, z.-B des Verbundverhaltens zwischen Mörtel und Stein, die unterschiedlichen Mörteleigenschaften im Verbund zu unterschiedlichen Mauersteinen und die Einflüsse der Mauerstein- und Mörtelprüfverfahren weisen in Bezug auf die FE-Berechnungen sehr große Unsicherheitsfaktoren auf. Bisher wurden die FE-Modelle überwiegend diskret vereinfacht simuliert, das heißt, die Fugen des Mauerwerks wurden nicht separat als Volumenkörper dargestellt. Stattdessen wurden die modellierten Steine um die Breite der Fugen vergrößert. Dies führte dazu, dass die FE-Berechnungen nicht die genauen tatsächlichen Belastungszustände im Mauerwerk darstellen und somit nur als Anhaltswerte für eine weitere Planung, demnach auch Instandsetzungsplanung herangezogen werden konnten. Im Rahmen dieser Forschung wurden diskret detaillierte Rechenmodelle erstellt. Mauerziegel und Fugen wurden als voneinander getrennte Volumenkörper modelliert, die durch zuvor definierte Kontaktbedingungen miteinander verbunden sind. Dadurch konnten Spannungszustände und Formänderungen unter Belastung genauer analysiert werden. Zu Beginn wurden die Lagerungsbedingungen, die Belastungssituation und die Kontaktbedingungen anhand von Ein-Stein-Körpern und darauffolgend an einer numerischen Nachbildung der Mauerwerksprüfkörper 1-3 evaluiert. 110 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk In Bild 6 werden die vereinfachten Verformungsfiguren, der Spannungszustand und das Bruchbild eines Prüfkörpers unter gleichmäßiger Druckbelastung dargestellt. Bei einer Druckprüfung wurde die Querdehnung des Mauersteins durch die Reibung zwischen dem zu prüfenden Mauerziegel und den Lasteinleitungsplatten oberhalb und unterhalb des Steins behindert. Somit entstand ein dreiaxialer Spannungszustand. Die Zugspannung trat nicht gleichmäßig über die Höhe verteilt auf, sondern bildete Spannungsdreiecke aus. Im inneren des Steins trat durch die behinderte Querdehnung eine Druckspannung auf. Nur außen am Stein konnte Zug entstehen, wo sich der Körper ausbeulte. Das Druckversagen war demnach ein Spaltzugversagen. Der Einfluss eines Mörtels auf die Druckfestigkeit des Mauerziegels wurde bei diesem Prüfverfahren nicht berücksichtigt. Ein weiteres Modell des Versagensmechanismus ohne Querdehnbehinderung ist ebenfalls in Bild 6 nach / 11/ dargestellt. Dazu wurden im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten entsprechende Versuche durchgeführt, die eine Querdehnbehinderung ausschließen sollten. Auch diese Untersuchungen berücksichtigen noch nicht die Wirkung eines Mörtels zwischen den Mauersteinen. Hier besteht noch weiterer Forschungsbedarf. Die in dem Bild-6 dargestellten Bruchbilder sind in Hinblick auf die Erklärungen der Bruchbilder an den, unter Laborbedingungen hergestellten und geprüften Mauerwerksprüfwänden von Bedeutung. Bild 6: Formänderungsverhalten (Verformung): Belastungszustände und Bruchbild eines Prüfkörpers unter gleichmäßigem Druck mit und ohne Querdehnbehinderung nach Hilsdorf / 11/ 2.2.1 FE-Berechnungsanalyse Für die numerische Simulation der FE-Modelle wurden somit eine fixierte Lagerung unten mit einer Festlagerung in X- und Z-Richtung oben und einer Druckbelastung auf die Oberseite herangezogen. Zwischen Stein und Fuge wurde ein reibungsbehafteter Kontakt mit einem angenommenen Reibbeiwert von 0,6 angenommen. Der tatsächliche Reibbeiwert ist nicht bekannt. Alle Modelle wurden mit einer gleichmäßigen Druckbelastung von 1.000.000-Pa (= 1 N/ mm²) simuliert. Die Materialparameter für Mauerziegel, Mauermörtel, Verbundmörtel und den Spannanker (Bewehrung) wurden entsprechend der zuvor im Labor ermittelten Eigenschaftskennwerte und so weit nicht prüftechnisch ermittelt aus der Literatur entnommen. Mit diesen gewählten Eingabedaten wurden die numerischen Modelle der Mauerwerksprüfkörper 1,-2 und 3 nachgebildet (siehe Bild 7). Bild 7a: FE-Modell-Prüfkörper 1: Grundmodell Bild 7b: FE-Modell-Prüfkörper 2 mit Bohrung Bild 7c: FE-Modell Prüfkörper 3 mit Bohrung, Spannanker und Verbundmörtel Bild 7: Numerische ANSYS Modelle der Mauerwerksprüfkörper 1, 2 und 3, FE-Prüfkörper-Modelle 1, 2 und 3 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 111 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Im nachfolgenden Bild 8a ist der Belastungszustand unter einer gleichmäßigen Druckbelastung von 1-N/ mm² und in Bild 8b die Formänderungswerte (Verformungsmaße) zu den Bildern 9 in mm dargestellt. Bild 9 zeigt die Gesamtverformung des FE-Modell- Prüfkörpers 3. Bild 8a: FE-Modell-Prüfkörper 3 Bild 8b: Formänderungswerte in mm infolge einer Belastung von 1 N/ mm² Bild 8: FE-Modell-Prüfkörper 3: Belastung des FE-Modell-Prüfkörpers mit 1 N/ mm² und Verformungskennwerte in mm Bild 9: FE-Modell-Prüfkörper 3 mit Bohrung, Spannanker und Verbundmörtel: Gesamtverformungsdarstellungen bei einer Belastung von 1 N/ mm² 112 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Die FE-Berechnungen ergaben, dass das Mauerwerk des FE-Modell-Prüfkörpers 3 symmetrisch in Y-Richtung gestaucht wird und in X-Richtung ausbeult. Im Bereich des mit Verbundmörtel injizierten Bohrlochs dehnte sich das Mauerwerk in Z-Richtung aus und drückte sich in das Bohrloch. Im Vergleich zum Mauerwerk behielt der Injektionskörper aufgrund der höheren Steifigkeit (großer E-Modul) seine Form. Die Normalspannungen in Y-Richtung am numerischen Modell des FE-Modell Prüfkörpers 2 werden in Bild 10 dargestellt. Die Zugspannungen sind unter und über dem Bohrloch (mit etwa 0,2 N/ mm²) am höchsten, da das Mauerwerk unter Druck in den Hohlraum gedrückt wird und der Mauerwerksbereich neben dem Bohrloch deutlich erhöhte Druckspannungen (etwa 3,5 N/ mm²) aufnehmen muss. Daher weist er eine größere Formänderung auf. Die Folge dieses Belastungszustandes ist der Bruchzustand. Dies ist an dem Laborprüfkörper, der bis zum Bruch u. a. infolge von Spaltzugversagen belastet wurde zu erkennen (siehe auch Bild 6). Diese Zugspannungen sind ebenfalls sichtbar in Form von Rissen an dem im Labor geprüften Mauerwerkskörper 2 nach dem Druckversuch. Bild 10: FE-Modell-Prüfkörper 2 mit Bohrloch: Normalspannungsverteilung in N/ mm², berechnet am numerischen Modell bei einem gleichmäßigen Druck von 1 N/ mm² im Vergleich zum Bruchbild des Mauerwerksprüfkörpers 2 nach dem Druckversuch bis zum Bruch bei einer Auflastspannung von etwa 1,9 N/ mm² Der Vergleich der Ergebnisse vom FE-Berechnungsmodell mit einer Auflastspannung von 1,0-N/ mm² und den Laborversuchen am Laborprüfkörper mit einer Bruchspannung von 1,9- N/ mm² (siehe Tabelle 3) gaben erste Hinweise darauf, ob die für das FE-Modell gewählten Eigenschaftsparameter für das Ansys-Modell dem realen Laborprüfkörper entsprechen, da sich das Bruchbild des Laborprüfkörpers aus den FE-Berechnungen nahezu vollständig herleiten lässt. Um weitere Erkenntnisse zu gewinnen wäre es in diesem Fall sinnvoll, noch weitere Studien u.-a. zu der Haftscherfestigkeit (Reibungsbeiwert) und den Eigenschaften z.-B. der Mauerziegel in Hinblick auf die aufnehmbare Zugkraft durchzuführen. Der für die Laborprüfwände verwendete Mörtel konnte so gut wie keine Zuglast aufnehmen. Die Haftscherfestigkeit, die an 3-Steinprüfkörpern bestimmt wurde, ging ebenfalls gegen Null. Allerdings wurde bei der Haftscherfestigkeitsprüfung nicht die Auflast des Mauerwerks berücksichtigt, welche im realen Zustand gegeben ist. 2.2.2 FE-Berechnung - Formänderungsvergleich Im Berechnungsvergleich der FE-Modelle der Prüfkörper 1 bis 3 wurden erwartungsgemäß die höchsten Formänderungen unter einer angesetzten Druckbelastung von 1 N/ mm² an dem Modell des Prüfkörpers 2 festgestellt (siehe Bilder 9 und 11). Dies ist plausibel aufgrund des nicht verfüllten Kernbohrlochs, das u.-a. durch die Querschnittsreduktion eine Schwachstelle im Lastabtrag darstellt. Bild 11: FE-Modelle Prüfkörper 1, 2 und 3: maximale Formänderungen, Gesamtverformungsvergleich: ∆H ermittelt mittels FE--Berechnung bei einer äußeren Auflastspannung von 1 N/ mm² Die Berechnung des FE-Prüfkörper-Modells 3 ergab, dass er sich unter dem gleichen Belastungszustand von 1-N/ mm² stärker verformte, als der FE-Modell-Probekörper 1, trotz des mit Verbundmörtel eingebauten Längsankers. Die Modellierung des Kernbohrvolumens im FE-Modell- Prüfkörper 3 mit dem im Verhältnis zum Umgebungsmauerwerk sehr festen Verbundmörtel, der auch einen entsprechend großen E-Modul aufweist, trug offenbar rechnerisch zu einer Schwächung der Mauerwerkstragstruktur bei. Hier wäre mittels der FE-Berechnung zu prüfen, wie sich die Tragwirkung bei einer Veränderung der Eigenschaftskennwerte des Verbundmörtels (z.-B. niedrigerer E-Modul) verändern würde. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 113 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Die Tastuntersuchungen an den Laborprüfwänden 1 bis 3 haben ergeben, dass der Laborprüfkörper-3 mit einer Bruchlast F von 346 KN (f = 2,3 N/ mm²) eine etwas geringere Druckfestigkeit aufweist als der Laborprüfkörper 1, bei dem eine Bruchlast von 389 KN (f = 2,6 N/ mm²) erreicht wurde (siehe Tabelle 3). Die Bruchlast beim Laborprüfkörper-2 mit dem Bohrloch lag mit 285 KN (f-=-1,9 N/ mm²) deutlich unter den Werten der Laborprüfwände-1 und 3. Für ein Gebäude, das in dieser Art gesichert werden soll, bedeutet die Bauphase, bei der das Bohrloch in der Mauerwerkswand angeordnet wird (Laborprüfwand 2) einen erheblichen Eingriff in die Tragstruktur und dürfte an dem dargestellten Wohnhaus nur dann erfolgen, wenn die Außenwand vorher entsprechend gesichert würde und eine Grundinstandsetzung erfahren hätte. 2.2.3 FE-Berechnung - Spannungsvergleich Im nachfolgenden Bild 12 werden die Normalspannungszustände der drei verschiedenen Rechenmodelle verglichen. Es wird deutlich, dass die Normalspannungen in Y-Richtung bei den FE-Modellen 2 und 3 aufgrund des nicht mit Verbundmörtel verfüllten Kernbohrlochs größer sind als beim FE-Modell-1. Die Normalspannungen in Z-Richtung sind wegen der Last- und damit größeren Formänderung des Mauerwerks im Bohrlochbereich ebenfalls gegenüber dem FE-Modell-Prüfkörper 1 erhöht. Bild 12: FE-Modell-Prüfkörper 1,2 und 3: Vergleich der maximal errechneten Normalspannungen (Zug- und Druckdruckspannung) im Bereich des Bohrlochs ermittelt mittels FE-Berechnung bei einer äußeren Auflastspannung von 1 N/ mm² 2.2.4 Ergänzende FE-Berechnungen (Zusatzuntersuchungen) Da der Vergleich der Formänderungen an den Prüfkörpern im Labor unter gleichmäßiger Druckbeanspruchung gemessen wurden und mit den ausgewerteten Formänderungen an den numerischen Modellen keine Übereinstimmung ergaben, wurde der numerische Parameter der Belastung in ANSYS angepasst (siehe Bild 13). Die FE-Modelle wurden, abweichend von den vorherigen Berechnungen mit exzentrischem Druck belastet. Diese ungleichmäßige Belastung stellte eine mögliche Imperfektion während der Druckprüfung des Prüfkörpers im Labor da, von der im Rahmen der Prüfung der Laborprüfkörper aus verschiedenen Gründen ausgegangen werden musste. Bild 13: Numerisches FE-Modell 1 Parameterstudie: Modell mit Exzenterdruck belastet Auch nach dieser Parameterstudie war es nicht möglich, übereinstimmende Formänderungsergebnisse im Labor und an den numerischen Modellen zu erzielen. Dies weist darauf hin, dass weitere FE-Berechnungsstudien auch mit veränderten Eingabeparametern notwendig sind. 3. Fazit und weitere Forschungsziele Generell ist es schwierig, ein historisches Mauerwerk realitätsgetreu in einem Rechenmodell mit der Finite-Elemente-Methode darzustellen. Die Materialien in einem FE-Modell werden immer als perfekt homogen angenommen, jedoch werden weder die Anisotropie der Steine noch das Korngefüge der Materialien abgebildet, die aber in der Praxis maßgebend den Lastabtrag des Mauerwerks bestimmen. Auch Imperfektionen jeglicher Art sowie bereits vorhandene Schädigungen im Mauerwerk müssten zuvor genau analysiert und separat im Modell dargestellt werden. Je älter das betrachtete Mauerwerk ist, desto häufiger treten Diskontinuitäten in der Herstellung des Mörtels und der Mauerziegel auf. Auch Schwächungen des Mauerwerks durch Alterung jeglicher Art, Witterung, Salze, Feuchtegehalt und dauerhafte dynamische Beanspruchung aus äußeren und inneren Beanspruchungen müssen mit in die Tragsicherheitsanalysen einbezogen werden. Die in dieser Forschungsarbeit erstellten FE-Modelle geben in der Berechnung eine Übersicht zum Lastabtrag und zu den Spannungsverteilungen in einem Mauerwerk mit geringfestem Mörtel. Des Weiteren geben sie Hinweise zu den kritischen Spannungsstellen im Mauerwerk bei einer Kernbohrung und einer mit Verbundmörtel injizierten und bewehrten Kernbohrung. Laut der Ergebnisse müsste eine Längsverspannung in einem historischen Mauerwerk größere Spannung her- 114 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk vorrufen als im unbehandelten Mauerwerk. Jedoch blieben viele Faktoren hier unbeachtet, wie zum Beispiel die Tatsache, dass es sich bei dem Prüfkörper 1 nicht um einen Mauerwerkskörper mit Instandsetzungsbedarf handelt. Es waren zu Beginn keine großen Zugspannungen im Mauerwerk vorhanden, die eine Längsverspannung rechtfertigten. Auch die realitätsgetreuen Abmessungen einer Mauerwerkswand konnten nicht berücksichtigt werden. Für eine vollumfängliche Analyse der Festigkeitsveränderung durch eine Längsverspannung im Mauerwerk und einer generellen Wirksamkeit der Instandsetzungsmaßnahme bedarf es weiterer Untersuchungen mit einer repräsentativen Anzahl an Prüfkörpern und angepassten Prüf bedingungen. 4. Zusammenfassung | Bedeutung für die Praxis Unter den Voraussetzungen der Annahmen, die für die Eigenschaftskennwerte für die FE-Berechnungen getroffen und der Materialien, die für die Labor-prüfwände verwendet wurden sowie den Maßvorgaben (Mauerwanddicke = 24 cm und Bohrlochdurchmesser 8 cm) führt der alleinige Einbau eines Längsspannankers nach den FE-Berechnungsergebnissen erwartungsgemäß zu einer höheren Spannungsbeanspruchung des Mauerwerks im Bohrlochbereich als bei einer Konstruktion ohne Bohrloch und ohne Spannanker. Der Einbau eines Längsspannankers wird insbesondere bei einem historischen Mauerwerk aus Tragsicherheitsbetrachtungen in der Regel nicht gewünscht, wenn es ausschließlich darum geht, das Mauerwerk zu ertüchtigen. Es müssen in dem Fall des notwendigen Einbaus eines solchen Spannankers demnach Möglichkeiten in der Konstruktion gewählt werden, die den Einbau so ermöglichen, dass der Zweck der Verankerung (Spannankereinbaus) und wie im vorliegenden Fall die Sicherung während des Umbaus eines Bauwerks dauerhaft gewährleitet werden kann. Argumente für den Einbau eines Spannankers sind: - Formänderungsverhinderung der Mauerwerkswand - Risssicherung bzw. Rissverteilung in einer Mauerwerkswand - scheibenartige Ausbildung einer Wand - Aufnahme von dynamischen Belastungen - Schubsicherung des Mauerwerks - Vorspannung des Mauerwerks Die FE-Berechnungen und Untersuchungen der Laborprüfwände haben ergeben, dass auch nach dem Einbau des Ankers mit dem Verbundmörtel die Spannungsverteilung in Teilbereichen erhöht ist. Um eine solche Aufgabe wie die Sicherung eines Bestandsmauerwerks während der Bauphase durchzuführen ist es notwendig: - die Baustoffeigenschaften z.-B. hinsichtlich der Festigkeits- und Verformungseigenschaften auf das Bestandsmauerwerk anzupassen. Für den vorliegende Fall bedeutet dies u. a. den E-Modul des Verbundmörtels zu reduzieren. - Vor dem Einbau einer solchen Verspannung das Mauerwerk hinsichtlich seiner wesentlichen Eigenschaftskennwerte, aber auch des vorhandenen Feuchtegehalts und baustoffschädlichen Salzgehaltes zu untersuchen. Der Feuchtegehalt hat z.-B. bei mineralischen Baustoffen einen wesentlichen festigkeitsmindernden Einfluss auf das Tragverhalten des Mauerwerks. - Vor dem Einbau eines solchen Ankersystems die zu sichernde Mauerwerkswand mit Abstützkonstruktionen versehen. - Ggfs. eine Querverspannung des Mauerwerkes im Bohrbereich vorzunehmen, die mit einer Quervernadelung verbunden werden kann (s.-u.). - Die Mauerwerkswand vor Ausführung der Bohrung Grund instand zu setzen. Dazu haben die vergleichenden Tastversuche z.-B. der Laborprüfkörper 3 und 4 bzw. 5 bis 8 (siehe Tabelle 3) deutliche Verbesserungen des Tragverhaltens durch eine Neuverfugung, Vernadelung und Mörtelinjektion gezeigt. Forschung zur Ertüchtigung von Bruchsteinmauerwerk zeigen dies ebenfalls (siehe dazu auch / 12/ ). - Oberhalb und unterhalb der Bohrung eine Spaltzugbewehrung einzubauen. Die Untersuchungen zeigten (siehe Bilder 8 bis 12), dass unmittelbar oberhalb und unterhalb der Bohrung mit und ohne Spannanker deutliche Spaltzugkräfte auftraten, die durch einen entsprechende Vernadelung (Bewehrungsanordnung) aufgenommen werden müssen. - Im Bohrlochbereich eine Mörtelvorinjektion mit einem eigenschaftsangepassten Injektionsmörtel vorzunehmen, um eine Vorstabilisierung des Mauerwerkes zu erreichen. - Im Zuge einer Nassbohrung zu beachten, dass wie oben beschrieben, eine Festigkeits- und E-Modulreduktion eintritt. Dies bedeutet, dass sich der Spannungszustand auf die Mauerwerksbereiche neben dem Bohrloch noch einmal erhöhen und größere Formänderungen eintreten. 5. Resumeé |Danksagung Als Tragwerkplaner*in muss einem bewusst sein, dass die FE-Berechnungen eine Genauigkeit darstellen, die in der Realität nicht gegeben ist. Sie sind ein Hilfsmittel zu einer Art „teilquantitativer“ Beurteilung von insbesondere historischen Tragsystemen. Neben den Schwierigkeiten, Ansätze für ein Berechnungsmodell zu finden stellt die Eingabe von den erforderlichen Berechnungsparametern, also von Eigenschaftskennwerten eine besondere Herausforderung insbesondere beim Mauerwerksbau aber auch z.-B. bei Verbundkonstruktionen wie einer Drahtputzdecke / 6, 12, 13, 14,15 und 16/ da. Die Eigenschaftskennwerte werden meist aus Tabellenwerken entnommen, die i.-d.-R. mit den tatsächlichen Baustoffeigenschaften, insbesondere an einem Bestandsbauwerk nicht verglichen werden können. Zudem hat die Art des Prüfverfahrens zur Bestimmung der Eigenschaftskennwerte einen sehr großen Einfluss auf die Kennwerte. Die FE-Berechnungsverfahren ersetzen demnach nicht den technischen Ingenieurverstand, es kann ihn nur in seiner Arbeit unterstützen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 115 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Danksagung an alle, die die erfolgreiche Umsetzung einer innovativen Idee finanziell und mit Rat und Tat unterstützt haben! Firma Desoi GmbH, Kalbach | Firma Schürholz- Schäfer Bauges. mbH, Reichshof-Wehnrath | Planungs- und Ingenieurbüro Wilms GmbH (PIB) | Herrn Prof. Dr.-Ing. R. Hoscheid | Ilka Hurling | Thomas Emmerichs | Frau Karoline Ochwat | Baustofflabor der Technischen Hochschule Köln | Kölner Institut für Baustoffprüfung und Technologie | Herr Dipl.-Ing. Christian Ihns | Prof. Dr.-Ing. (Arch.) Gerd Sedelies Die Untersuchungen sind im Baustofflabor der TH Köln unter Beteiligung von Frau Karoline Ochwat durchgeführt worden, das FE-Programm wurde von Frau Dr.-Ing. Kasper von der TH Köln zur Verfügung gestellt. Besonders bedanken möchten wir uns für die Unterstützung des Kölner Instituts für Baustoffprüfung und Technologie (KIBT) unter Leitung von Herrn Prof. Dr.- Ing. R. Hoscheid, Herrn Dipl.-Ing. C. Ihns und der Mitarbeiterin Ilka Hurling. Sie haben uns bei den Untersuchungen immer unterstützt und mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Die Forschungen wurden ohne Fremdfinanzierung durchgeführt. Aus diesem Grund haben wir uns gefreut, dass die Materialien für die Untersuchungen von der Firma Schürholz-Schäfer Baugesellschaft mbH und dem Dominik Ingenieurbüro zur Verfügung gestellt wurden. Die Nadelanker wurden von der HOWI-Fertigdecken GmbH und die Packer von der Firma Desoi GmbH zur Verfügung gestellt. Erbaut wurden die Laborprüfwände von Frau Suzanne Schultz, Herrn Thomas Emmerich, Herrn Sascha Müller und Herrn Dominik. Die Bohrungen wurden von Herrn Dominik Meyer ausgeführt. Literatur [1] Wohnhaus in Köln [2] Ossenberg; OE Planung + Beratung GmbH, Altena [3] Desoi GmbH, Kalbach/ Rhön [4] PIB - Planungs- und Ingenieurbüro Wilms, Kelberg [5] Dominik, A.; Dominik, P.: „Im Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Bauteilen - Der Spannkraftregler“, Vortrag zur Denkmalmesse in Leipzig 11-2022 [6] Schultz, S. | M. Eng. Aus Masterarbeit 2021: “Numerische Simulation von Spannungszuständen in Mauerwerkswänden“ Betreuer: Prof. Dr.-Ing. R. Kasper Dipl.-Ing. A. Dominik Prof. Dr.-Ing. R. Hoscheid Technische Hochschule Köln, Fak. 06 - Bauingenieurwesen [7] Klinkerwerke H. W. Muhr GmbH & Co. KG: „Leistungserklärung Nr. 5“ für Muhr- Verblendmauerziegel, 20.03.2015 [8] Wissenschaftlich Technischer Arbeitskreis: „WTA- Merkblatt 4-10; Injektionsstoffe mit zertifizierten Injektionsstoffen gegen kapillaren Feuchtetransport“, Ausgabe 03.2015/ D [9] DIN EN 1052-1: 1998 Prüfverfahren für Mauerwerk - Teil 1: „Bestimmung der Druckfestigkeit“ [10] Klinkner, J; Dominik, A: „Zum Tragverhalten von Drahtputzgewölben („Rabitzgewölben“) Untersuchungsergebnisse infolge von Belastungsversuchen ermittelt an Gewölbemodellen im Vergleich zu Berechnungen mittels Finite- Elemente-Methode sowie Lösungsansätze zur lastregulierten Aufhängung solcher Gewölbe“ (in Bearbeitung) [11] Hilsdorf, H. K.: „Untersuchungen über die Grundlagen der Mauerwerksfestigkeit“, Materialprüfungsamt für das Bauwesen der TU München, Bericht Nr. 40, 1965 [12] Koch, S.; Dominik, A.; Klinkner, J.; Nocker, C.-M.; Kruedener von, D.; Dominik, P.: „Messtechnische und teilweise fotooptische Erfassung von Formänderungen an ertüchtigtem und nicht ertüchtigtem Bruchsteinmauerwerk unter Labor- und Praxisbedingungen“, In: Technische Universität Dresden, Fak. Bauingenieurwesen, Schriftenreihe konstruktiver Ingenieurbau Dresden, Heft 43, Seite 75-92 [13] Koch, S.; Dominik, A.; Klinkner, J.; von Kruedener, D. Baronesse; Nocker, Clara-Maria: „Zum Tragverhalten von historischem Grauwacke-Bruchsteinmauerwerk im Bestand“, In Tagungsband, Seite 7-17, 23. Tagung Natursteinsanierung, IRB Verlag, Stuttgart, 17.03.2017 [14] Klinkner, J.: „Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode“, Masterarbeit 2020, TH Köln, unveröffentlicht Betreuer: Dipl.-Ing. Axel Dominik, Technische Hochschule, Köln, Fak. 06; Bauingenieurwesen Prof. Dr.-Ing. Michael Küchler, Hochschule Mainz [15] Klaus, C.; Große, Leslie-Anne: „Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken unter Berücksichtigung der erforderlichen Messtechnik und der zu ermittelnden Baustoffkennwerte“, (unveröffentlicht), Bachelorarbeit 2018 Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Rudolf Hoscheid Prof. Dr.-Ing. Markus Nöldgen Dipl.-Ing. Axel Dominik Dipl.-Ing. Sabine Koch Technische Hochschule, Köln, Fak. 06; Bauingenieurwesen [16] Schultz; S.: „Ein Beitrag zum Tragverhalten von Decken mit Drahtputzgewölbe; hier: Optimierung experimenteller Untersuchungen und numerischer Berechnungsansätze“, Bachlorarbeit 2019 Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Markus Nöldgen Dipl.-Ing. Axel Dominik Technische Hochschule, Köln, Fak. 06; Bauingenieurwesen 116 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Autoren Suzanne Schultz | M. Eng. Tätig bei: Finck & Billen Ingenieurgesellschaft GmbH & Co.KG; Elisenstraße 4-10, 50667 Köln Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik: Dominik Ingenieurbüro, Bornheim-Merten | TH Köln Restaurator im Maurerhandwerk, Beratender Ingenieur der IK-Bau NRW Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule Köln in den Fachbereichen: Bauen im Bestand, Baustofflehre, Schutz und Instandsetzung Bildbearbeitung: Eva Beyer Dominik Ingenieurbüro | Bornheim Redaktionelle Bearbeitung: Pascale Dominik (M. Sc.) Dominik Ingenieurbüro | Bornheim 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 117 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis Erfahrungen, Potenzial und Grenzen am Beispiel von Bauwerken im Bestand Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann Hochschule Bremen Dipl.-Ing. Werner Malgut Hochschule Bremen Voraussetzung für jede Planung im Bestand ist der Nachweis der Standsicherheit. Er setzt voraus, dass alle wesentlichen Parameter bekannt sind und die Ausführung den Bauvorschriften entspricht. Fehlen Angaben über die Konstruktion (Geometrie, Lagerung, Werkstoffeigenschaften) oder mindern Bauwerksmängel die Tragfähigkeit ab, führen rein rechnerische Beurteilungen meist zu schlechten Ergebnissen. Dieser Beitrag erläutert an ausgewählten Beispielen wie der Nachweis ausreichender Tragsicherheit alternativ durch den Einsatz experimentell gestützter Verfahren gelingen kann, und wie diese die Restnutzungsdauer auch bei gestiegenen Nutzungsansprüchen verlängern können. 1. Einführung Mehr als 60 % der Bauaufträge werden heute im Bestand umgesetzt [1]. Die Bandbreite reicht vom Umbau moderner Stahlbetonskelettbauten bis zu historischen Unikaten mit baugeschichtlich interessanten Tragkonstruktionen. Eine wesentliche Voraussetzung für Nutzungs- und Investitionsentscheidungen ist der Nachweis ausreichender Tragsicherheit für die gewünschten Lastansätze und das, obwohl über die Jahre viele Informationen über die Bauausführung verlorengegangen sind, und der Erhaltungszustand unbefriedigend ist. In solchen Fällen ist eine rechnerische Bewertung der Tragsicherheit oft unmöglich, insbesondere, wenn Teile des Bauwerks für Erkundungen unzugänglich sind. Als Konsequenz wird meist konventionell verstärkt oder abgerissen und neu gebaut (Abb. 1). Diese Varianten sind insbesondere bei denkmalgeschützten Bauten nicht akzeptabel und zudem keine sparsamen Entscheidungen, was C0 2 -Emission und Ressourcen betrifft. Eine alternative Vorgehensweise ist der experimentell gestützte Nachweis, bei dem entweder wesentliche Parameter für einen rechnerischen Nachweis durch Versuche ermittelt werden, oder Belastungstests direkt nach Beendigung Planungssicherheit für den Baufortschritt bringen. Dadurch werden nicht nur Ressourcen geschont, sondern auch die effektive Bauzeit verkürzt [2]. Experimente sind Teil unserer Ingenieurgeschichte. Sie dienen der Absicherung neuer Bauweisen und helfen, theoretische Ansätze zu verstehen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde erkannt, dass nur durch Versuche und Erfahrung die komplexen Zusammenhänge der Werkstoffgesetze und Mechanik verständlich werden und Konstruktionsempfehlungen abgesichert werden können. Die ersten deutschen Stahlbetonvorschriften DIN 1045 (1925) enthielten daher auch Hinweise über Probebelastungen im Stahlbetonbau [3]. Abb. 1: Lösungsstrategien zum Tragsicherheitsnachweis für Bestandsbauten 2. Experimentelle Tragsicherheitsbewertung Experimentelle Verfahren kommen dann zum Einsatz, wenn alle anderen Ansätze nicht möglich oder zuvor gescheitert sind (s. a. Abb. 1): 1. Abschätzung der Tragsicherheit, z. B. aufgrund vorhandener Unterlagen 2. Überschlägige Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit einfachen Berechnungsmodellen 3. Genaue Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit komplexen FE-Berechnungsansätzen und modellen 4. Messwertgestützte Ermittlung der Tragsicherheit Denn trotz immer besserer und umfangreicherer Rechenprogramme kann auch bei FE-Modellen (Punkt 3) die physikalische Wirklichkeit nur so gut beschrieben wie zutreffend seine Annahmen waren. Und letztere sollten selbstverständlich immer auf der sicheren Seite liegen. Experimentelle Methoden (Punkt 4) bewerten den aktuellen Tragwerkszustand inklusive aller realen Randbedingungen, sodass Unsicherheiten wegfallen und die Lasten deutlich über das rechnerisch nachgewiesene Lastniveau gesteigert werden können (Abb. 3 und Abb. 4). Je nach 118 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis Zielrichtung der Aufgabe kann in drei unterschiedliche Verfahren unterschieden werden [6]: a) Tragsicherheitsbewertung, vgl. Abb. 1-A sowie Kapitel 3 b) Systemmessungen, vgl. Abb. 1-B und Kapitel 4 c) Tragfähigkeitsmessungen (Bruchversuche) Bei Systemmessungen (Punkt B, Abb. 1) werden z. B. wesentliche Eingabeparameter in in-situ-Versuchen gewonnen, um zuverlässige Daten für die Berechnung zu erhalten (Kapitel-4). Bei einer Tragsicherheitsbewertung (Punkt A, Abb. 1) wird der Nachweis ausreichender Tragsicherheit direkt durch Belastungsversuche erbracht (Kapitel 3). Dies bedeutet, dass das Tragwerk oberhalb der Gebrauchslast belastet wird, also inkl. dem Ansatz von Teilsicherheitsbeiwerten. Weil das Tragverhalten bis zur Versuchsziellast analysiert werden kann (Abb. 2), deckt es ggf. auch nichtlineares Verformungsverhalten auf. Der Aufwand für Belastungs- und Messtechnik ist groß. Die Versuchslasten müssen regelbar und selbstsichernd die Beanspruchungen im Tragwerk simulieren, die es nach Normung widerstehen können muss, ohne die Gebrauchstauglichkeit oder Dauerhaftigkeit negativ zu beeinflussen. Dazu ist das Bauteil zuvor mit der dafür notwendigen Belastungs- und Messtechnik auszustatten. Das Potenzial von Probebelastungen zeigt Abb. 2: die gemessenen Reaktionen (Experiment) sind kleiner als die rechnerisch prognostizierten (Berechnung), und die Versuchsziellast wird ohne Überschreiten eines Grenzkriteriums erreicht. Als Konsequenz kann empfohlen werden, den nachgewiesenen Zuwachs ΔQ d zum Beispiel für eine Nutzlasterhöhung zu verwenden. Aus unseren langjährigen Erfahrungen betragen die Zuwächse bei Stahlbetontragwerken mindestens 30-50 % und können in Ausnahmefällen auch über 100 % liegen (Abschnitt 3.1). Abb. 2: Sicherheitskonzept (idealisiert! ); ΔQ d : nutzbarer Zuwachs der Verkehrslast Jedes Konzept hat seine prädestinierten Einsatzbereiche und ist gekennzeichnet durch unterschiedlich hohen Aufwand (C > A > B). Bei allen Verfahren müssen die charakteristischen Daten eines Versuchsablaufs, wie z. B. Lastgrößen, Verformungen, Dehnungen etc. durch elektrische Messsysteme aufgenommen und ggf. zeitgleich angezeigt werden. Gängige Sensoren zur Zustandsbewertung von Bauwerken sind: • Kraftmessdosen zur Anzeige der eingeleiteten Kraft • Wegaufnehmer zur Analyse von Durchbiegungen, Verschiebungen, Rissweiten oder Dehnungen, die integral über die Beziehung ε = Δl/ l bestimmt werden. • Dehnungsmessstreifen zur örtlichen Kontrolle von Beanspruchungen • Neigungssensoren zur örtlichen Analyse von Verdrehungen, z. B. um den Einspanngrad bei Auflagern oder Bauteilverbindungen zu bestimmen. • Schallsensoren zur Analyse besonderer Ereignisse, die Schall freisetzen, wie z. B. Rissbildung oder Rissuferreibung. Der aktuelle Bauteilzustand kann besser eingeschätzt werden, so dass Belastungen oberhalb des Gebrauchslastniveaus auch bei sprödem Materialverhalten möglich sind. • Bei jeder Messung, im Besonderen im Freien, sollten die Umweltbedingungen wie z. B. die Lufttemperatur [°C] oder Windgeschwindigkeit [m/ s] aufgezeichnet werden, um die äußeren Einflüsse auf die Messung zu dokumentieren. Dabei ist bei der Planung Vorsicht geboten. „Wer viel misst, misst Mist“ ist ein geflügeltes Sprichwort und umschreibt zutreffend den Umstand, dass die gewonnenen Daten oft parallel auf Plausibilität geprüft sowie analysiert werden müssen. Dies setzt eine gewisse Erfahrung voraus. Die historische Methode, Versuchslasten durch Ballast zu erzeugen ist der modernen und regelbaren Technik gewichen, Lasten hydraulisch im Kräftekreislauf zu erzeugen [3]. So werden selbstsichernd die Beanspruchungen im Tragwerk simuliert, denen es nach Normung widerstehen muss. Im Hochbau werden dazu mobile Belastungsvorrichtungen genutzt, die kleinteilig transportiert und individuell an jede Aufgabe anpasst werden können (z.-B. Abb. 5, Abb. 7 und Abb. 10). Für Brücken kommen unter anderem besondere Fahrzeuge zum Einsatz (Straßenbrücken: Belastungsfahrzeug BELFA [4]; Eisenbahnbrücken: Belastungswaggon BELFA-DB), die an der Hochschule Bremen in kooperativen Forschungsprojekten mit der TU Dresden, der HTWK Leipzig und der BU Weimar entwickelt wurden. Zuletzt wurde an der Hochschule Bremen ein neues Verfahren SYMOB entwickelt, um kleine Straßen- und Wegebrücken kostengünstig und risikoarm mit Mobilkranen als bewegliches Gegengewicht zu testen [5]. Die experimentelle Tragsicherheitsbewertung ergänzt den allgemeinen rechnerischen Nachweis der Standsicherheit und wird nach unserer Erfahrung sowohl von den Prüfingenieuren als auch der Bauaufsicht der Länder akzeptiert. Manchmal wurde eine Zulassung im Einzelfall verlangt, es ist daher sinnvoll, alle Beteiligten schon im Planungsprozess zu involvieren. Die grundsätzliche Eignung und Zulässigkeit des die Rechnung begleitenden experimentellen Tragfähigkeitsnachweises auf der Grundlage der Regelungen der DAfStb-Richtlinie [6] wurde auch von der Fachkommission „Bautechnik“ der ARGEBAU bestätigt [7]. Die versuchsgestützte Bemessung ist auch im aktuellen Normenwerk der Eurocodes 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 119 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis enthalten, z. B. in den Grundlagen der Tragwerksplanung [8] oder in der Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken [9]. Bei allen experimentellen Nachweisformaten gelten die gleichen Gültigkeitsbeschränkungen wie bei der Aufstellungsstatik eines Neubaus. Sie sind so lange gültig, bis sich die Nutzung verändert oder wiederkehrende Bauwerksprüfungen Anlass für weitere Untersuchungen geben. Für Bauwerke mit Korrosionsproblemen bietet es sich daher an, KKS oder andere geeignete Verfahren einzusetzen, um den getesteten Zustand für den Restnutzungszeitraum einzufrieren [10]. 3. Anwendungsbeispiele Tragsicherheitsbewertung 3.1 Allgemeine Erfahrungen Die Bandbreite der möglichen Einsatzgebiete experimenteller Methoden ist nahezu unbegrenzt (Tabelle 1). Einige Beispiele des Hochbaus werden in den nachfolgenden Kapiteln exemplarisch vorgestellt, auch um wiederkehrende Besonderheiten aufzuzeigen. Planungs- und Ausführungsdetails einiger Projekte können der jeweils zitierten Literatur entnommen werden ([2], [4], [5], [11] bis [13]). Tabelle 1: Anwendungsbreite und Beispiele erfolgreicher experimenteller Untersuchungen Belastungsversuche Hybride Statik Überwachung Hochbau Decken, Unterzüge, Stützen, Fassaden, Treppen, Balkone, Dächer, Glasscheiben mit / ohne Denkmalschutz Austausch eines Kämpfersteines Erschütterungen (aus Zugverkehr) Ingenieurbau Abwassersonderbauten, Gründungen, Spundwände, Durchlässe Faltwerke, Fundamente von Windenergieanlagen Hubbrücke, Karussell Wasserbau Haltekreuze in Schleusen Anker von Spundwänden Kragstützwand Segmentwehr, Tordichtung Brücken Gewölbe (Straße u. Schiene) Steinbogen, Stahlbeton Gewölbe (Schiene) Steinbogen, Stahlbeton Koppelfugen, Seilschwingungen, Freischneidetechnik Zu den in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnissen von experimentell gestützten Nachweisen im Hochbau liegen an unserem Institut im Zeitraum 2007 bis 2022 umfangreiche Erfahrungen von über 160 Belastungsversuchen an 47 Objekten vor (Abb. 3). Durchweg war das beobachtete Bauwerksverhalten deutlich besser als das vermutete, immer konnte eine höhere Nutzlast empfohlen werden (Ø ca. 1,5-fach). Dabei war unerheblich, welches Tragsystem vorhanden war (Platte, Trägerrost, Gewölbe) oder aus welcher Bauzeit das Objekt stammte (1875 bis 2019). Abb. 3: Statistische Auswertung der erreichten mittleren Nutzlasterhöhungen (100% = rechnerische Prognose) Die Nutzlasterhöhung erscheint sehr hoch, bezieht man die erreichte Steigerung jedoch auf die Gesamttragfähigkeit, inkl. Eigen- und Ausbaulasten (Abb. 4), ergibt sich ein Faktor von ca. 1,26, der sich schon realistischer anfühlt und sich durch effektive Tragreserven erklären lässt. Diese sind z. B. höhere Materialfestigkeiten, ein räumlicher Lastabtrag und mitwirkende (aber rechnerisch nicht ansetzbare) Auf bauschichten oder Lagerbedingungen. 120 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis Abb. 4: Steigerungspotenzial der Nutzlast durch Belastungsversuche (Torte = Gesamttragfähigkeit einerMassivdecke) 3.2 Stahlbetonskelettbau, Hamburg Das Geschäftshaus aus dem Jahr 1965 wurde 2014 umfangreich saniert. Während des Bauprozesses wurden innenliegende Deckenbereiche abgerissen (Abb. 5), wodurch sich die statischen Systeme und Beanspruchungen der durchlaufenden Rippendecken erheblich veränderten. Aus ehemaligen Innenfeldern wurden Endfelder mit deutlicher Erhöhung von Feld- und Stützmomenten (bis 37 %), die nur noch experimentell unter Ausnutzung vorhandener Tragreserven nachgewiesen werden konnten. Abb. 5: Belastungsversuche an Kaiserdecken 3.3 Berra-Hohlsteindecken Der Handelshof in Lübeck wurde 1924 als Kontorhaus geplant und errichtet. Er liegt mit seiner direkten Nachbarschaft zum Bahnhof und zur Innenstadt in einer bevorzugten Lage, sodass die Umnutzung und der Umbau zu einem Hotel Nahe lag. Der beteiligte Tragwerksplaner führte eine umfassende Analyse der Bausubstanz durch und berechnete mit unterschiedlichen Ansätzen die aktuelle Tragsicherheit der historischen Decken für die geforderten Nutzlasten (Zimmerbereich: p-=-1,50 kN/ m² / Flurbereich: p-=-3,0-kN/ m², jeweils zzgl. Ausbaulasten). Ohne Erfolg der kaum verbreitete Rippendeckentyp (Berrahohlsteine, Abb. 6) ließ sich nur mit wesentlichen Vereinfachungen als Modell abbilden, die notwendiger Weise stets auf der sicheren Seite liegen mussten. Zudem war unklar, wie der glatte Bewehrungsstahl (Stahl I) rückverankert war, und ob diese Verankerung noch intakt war. Abb. 6: Querschnitt der Rippendecke (Berrahohlsteine) nach Aufmaß des Tragwerkplaners Unser Einsatz begann mit der Sichtung der vorhandenen Unterlagen. Aus der Bestandsaufnahme des Tragwerksplaners (IDK) ergab sich eine offensichtlich gleichmäßige Deckenkonstruktion (Berrahohlsteindecke mit Stärken zwischen 17,0 ≤ d ≤ 18,5-cm, Abb. 6). Für die Versuche wurde ein Bereich im 1.OG ausgewählt, wo neben 3 Deckenfeldern auch zwei dazwischenliegende Unterzüge getestet werden konnten (Abb. 7). Abb. 7: Mobile Belastungsvorrichtung zum Test von Decke und Unterzug (l s = 4,60 m) Das Messkonzept wurde auf die Aufgabenstellung angepasst. Neben den Durchbiegungen der Decken und Unterzüge an 15 Stellen wurden die integralen Dehnungen an den auflagernahen Übergreifungsstößen gemessen. Weil die eingeleiteten Kräfte ebenfalls zeitgleich aufgenommen wurden, konnten am Monitor Last-Verformungskurven beobachtet (Abb. 8) und auf kritische Veränderungen oder Werte analysiert werden. Ein Abflachen der Kurve zeigt z.-B. den Übergang vom ungerissenen Zustand I zum gerissenen Zustand II an. Es wurden alle Versuchsziellasten erreicht, ohne ein Grenzwertkriterium zu verletzen. Die gewünschten Nutzlasten (Verkehrslast p-=-3,5 kN/ m² und Ausbaulast g 2 -=-1,47 kN/ m²) waren somit erfolgreich nachgewiesen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 121 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis Abb. 8: Last-Durchbiegungskurven (HL, l s = 4,60 m) unter Versuchsziellast F Ziel -=-355 kN Aus den Kraft-Reaktions-Kurven (Abb. 8) ließ sich zudem entnehmen, dass • die Durchlaufwirkung der Deckenplatte intakt, jedoch sehr gering war • die Durchbiegungen den linearen Bereich erst oberhalb der Gebrauchslast verlassen haben • die Verformungsbegrenzung eingehalten wird 3,55 ≤ f Q,Decke ≤ 4,60 mm < l s / 500 = 9,2 mm Da der Belastungsversuch zwar aus mehreren Belastungszyklen bestand, aber insgesamt einem statischen Kurzzeitversuch entspricht, wurde in einem abschließenden Zeitstandsversuch nachgewiesen, dass Verformungskonstanz auch unter einer längeren Standzeit der Gebrauchslast vorliegt. Das gleiche historische Deckensystem wurde in einem Verwaltungsgebäude der 1920er Jahre in Oldenburg vorgefunden und geprüft. Hier betrugen die Stützweiten bis l s = 5,20 m, und die Rohdeckenhöhe etwa h = 20 cm. Es konnte mit Versuchen an 4 Decken eine ausreichende Tragsicherheit für die gewünschte Nutzlast (Verkehrslast p-=-2,7 kN/ m² und Ausbaulast g 2 -=-1,7-kN/ m²) nachgewiesen werden. Auch hier existierte eine Durchlaufwirkung durch die auflagernah aufgebogene Bewehrung. Die Verformungen blieben mit f Q,Decke ≤ 8,20 mm unter dem Grenzwert f grenz = l s / 500 = 10,4 mm (Abb. 9) und zeigten bereits bei niedriger Belastung nichtlineares Verformungsverhalten. Die Decken erreichten größere Maximalverformungen als die in Lübeck, was nicht nur auf die größere Stützweite zurückzuführen war. Die vorgefundene Biegesteifigkeit der Oldenburger Decken war trotz größerer Ortbetonschicht nicht wesentlich besser als in Lübeck. Abb. 9: Last-Durchbiegungskurven (OL, l s = 5,20 m) unter Versuchsziellast F Ziel -=-320 kN 3.4 Baukunstarchiv Dortmund Das ehemalige Museum am Ostwall, 1947-1949 wiederaufgebaut, sollte 2016 zum Baukunstarchiv umgenutzt werden. Dadurch erhöhten sich die erforderlichen Nutzlasten der Kappendecken von zulässigen 200 kg/ m² auf bis zu 500 kg/ m². Sie banden auf der einen Seite in Mauerwerk ein und auf der anderen, in Raummitte, diente ein Stahlträger als Auflager (Abb. 10). Die Kappendicken und Bogenstiche variierten stark. Die Belastungsversuche in einem maßgebenden Bereich (kleinster Bogenstich, größte Auf bauhöhe = Gewicht) ergaben zulässige Belastungen für 500-kg/ m². Maßgeblich verantwortlich dafür war sicherlich ein räumlicher Lastabtrag, in den auch der Stahlträger über Verbund eingebunden war - rechnerisch zwar nachzuvollziehen aber ohne Versuch nicht zu quantifizieren. Abb. 10: Querschnitt Lasteinleitung Kappendecke 3.5 Spannbetonbinder Verbrauchermarkt Bei Spannbetonbindern muss zur Berechnung neben Anzahl und Lage der Spannglieder auch die Vorspannkraft bekannt sein. Bei einem Verbrauchermarkt in Bremerhaven waren dazu keine Unterlagen mehr vorhanden. Das Messkonzept umfasste neben der üblichen Messtechnik zusätzlich eine Schallemissionsanalyse. Diese zusätzli- 122 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis che Absicherung war auch deswegen geboten, weil durch Endoskopie von Installationsbohrungen festgestellt wurde, dass einige Spannglieder angebohrt und damit beschädigt worden waren. Rechnerisch als Totalausfall zu bewerten, wurde im Belastungsversuch eine ausreichende Resttragfähigkeit der geschädigten Spannbetonbinder nachgewiesen (Abb. 11). Abb. 11: Test geschädigter Spannbetonbinder 3.6 Neue Nationalgalerie, Berlin Die Neue Nationalgalerie, nach den Entwürfen von Ludwig Mies van der Rohe 1965-68 erbaut, wurde in den Jahren 2016 bis 2021 saniert [11]. Bei Sondierungen der Stahlbetonkassettendecken (StaKa-Decke) im Rahmen der Entwurfsplanung wurde festgestellt, dass die Bügelbewehrung nicht normgerecht eingebaut war. Die Betondeckung war teilweise nicht vorhanden und die oberen aufgebogenen Bügelenden schauten unten aus dem Plattenspiegel heraus. Wegen der zu tiefliegenden Bügel konnte der auflagernahe Schubnachweis weder modelliert noch geführt werden, weil der Lastabtrag rechnerisch nicht nachvollzogen werden konnte. Abb. 12: Versuchsfeld vor der Nationalgalerie Daher wurden 2015 in ausgewählten Feldern Probebelastungen nach der Richtlinie für Belastungsversuche des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStB) durchgeführt [6]. In und vor der weltbekannten Halle wurden mobile Stahlrahmen errichtet, die unter den Plattenrändern verankert waren (Abb. 12). Hydraulische Pressen übten auf der Platte an den Stellen Druck aus, die zuvor in Vergleichsberechnungen ermittelt wurden, um die maßgebenden Querkräfte in den Stegen zu erzeugen. Eine umfangreiche Messausstattung versetzte das Versuchsteam in die Lage, zeitgleich die Bauwerksreaktionen zu analysieren, um bei kritischen Ereignissen den Versuch sofort beenden zu können. Denn weder die Gebrauchstauglichkeit noch die Dauerhaftigkeit der Bauteile durfte negativ beeinflusst werden. Wegen des Risikos eines schlagartigen Versagens im Schubbereich wurde daher neben der obligatorischen Durchbiegungs- und Dehnungsmessung auch eine Schallemissionsanalyse installiert. Sie horchte während der Belastung in den Beton hinein und sollte frühzeitig besondere Ereignisse erkennen, beispielsweise Rissbildung oder Rissuferreibung. Die Lasten wurden zyklisch in Stufen bis zur Versuchsziellast gesteigert, um die maßgebenden Beanspruchungen inklusive aller Teilsicherheitsfaktoren im Tragwerk zu erzeugen. Weil kein Grenzwertkriterium verletzt wurde, war die gewünschte Nutzlast (5,0 kN/ m²) nachgewiesen und eine aufwändige konventionelle Ertüchtigung beziehungsweise Abriss und Neubau der Decken ließen sich vermeiden. 3.7 Balkone, Bremen Das Tragsystem der denkmalgeschützten Balkone, 1928 nach Plänen von Hans Ohnesorge erbaut, konnte zwar durch zerstörungsarme Voruntersuchungen identifiziert werden, eine Aussage über die Tragfähigkeit war jedoch ohne genaue Kenntnis der Bewehrung, einschließlich Festigkeiten, Lage und Verankerung, nicht möglich. Mit Belastungsversuchen konnte eine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden, so dass diese für die aktuellen Lastansätze aus Schnee- und Verkehrslast freigegeben werden konnte (Abb. 13). Dazu wurde Ballast am Boden platziert, gegen den der Balkon hydraulisch gezogen werden konnte. Interessanter Nebeneffekt war, dass bei einem Balkon der mittragende Effekt der massiven Balkongeländer bestimmt werden konnte - der Vergleich der beiden Messungen (mit und ohne Geländerbefestigung) zeigte jedoch keine großen Unterschiede in den Kraft-Reaktions-Kurven. Abb. 13: Denkmalgeschützter Balkon mit unbekanntem Lastabtrag (Bewehrung) 3.8 Rippendecke: Wayss’sche Rohrzellendecke Für die Rohzellendecke wurde dem Ingenieur G.-A.-Wayss 1908 das Patent erteilt. Die Rohrzellen ersetzten die Hohlsteine als verlorene Schalung und sparten deutlich Gewicht ein. Sie sollten erhöhten Schallschutz bieten und führten dabei zu einem sehr guten Verbund mit dem Putz, was heute noch jedem Sanierer Freude bereitet (Abb. 14). Das untersuchte Gebäude (Baujahr 1910/ 11) steht heute am Anfang der Fußgängerzone in Bremen an prominenter Stelle und war ursprünglich von den Architekten H.-W.-Behrens und F.-Neumark als Geschäfts- und Bürohaus geplant worden. Erd- und 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 123 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis Obergeschoss wurden bereits vom Einzelhandel genutzt, die oberen 4 Geschosse sollten zukünftig als Apartment-Hotel umgenutzt werden. Daraus ergaben sich nachzuweisende Verkehrslasten von 2,5 ≤ p ≤ 5,0 kN/ m² zzgl. Trennwandzuschlag (1,5 kN/ m²). An allen Decken wurde die verlorene Schalung aus Rohrzellenkästen entfernt, und die Oberfläche gestrahlt, so dass der Zustand begutachtet werden konnte (Abb. 14). Teilweise waren die Schalungskästen verrutscht, so dass die Rippenbreiten sehr ungleichmäßig ausgefallen waren. Bei vielen Rippen lag die Bewehrung frei und vereinzelt zeichneten sich bei schmalen Rippen (b ≤ 11 cm) auflagernah bereits Schubrisse ab (Abb. 14). Diese vorgeschädigten Rippen konnten nur für ein Lastniveau p-=-3,28-kN/ m² zzgl. Trennwandzuschlag nachgewiesen werden und mussten konventionell verstärkt werden. Alle anderen Bereiche waren ausreichend tragsicher. In gesonderten Versuchen wurde auch die konzentrierte Einzellast (Q k = 4,0 kN, A = 5 x 5 cm) auf den dünnen Plattenspiegeln (d ~ 10-cm) nachgewiesen. Des Weiteren wurde festgestellt, dass sich der Estrich nicht in allen 4 getesteten Geschossen am Lastabtrag beteiligte. Nur an der Decke über EG war der Verbund ausreichend, um die Biegeschubspannungen zu übertragen. Ein lauter Knall sorgte während eines Versuches für Aufregung: wie sich herausstellte, war die aufgebogene Rückverankerung des glatten Bewehrungsstahls nicht vollständig einbetoniert, so dass er durchrutschen konnte. Abb. 14: Wayss’sche Rohrzellendecke (links) mit auflagernahem Schubriss (rechts) 3.9 Fassade Gymnasium Horn, Bremen Die Fassade des Horner Gymnasiums sollte im Rahmen umfangreicher Sanierungsarbeiten energetisch ertüchtigt werden. Bei der Planung der neuen Fassadensituation kam die Frage auf, ob die Bestandsfassade, bestehend aus Waschbeton-Vorsatzbrüstungen und ungedämmten Aluminium-Fensterbändern, in das Sanierungskonzept integriert werden kann. Dazu musste nachgewiesen werden, dass die Brüstungselemente in der Lage sind, erhöhte Eigen- und Windlasten abzutragen. Aus einer Kombination von Belastungsgestellen und Gegengewichten konnten zeitgleich die Belastungen in horizontaler wie vertikaler Richtung am Fassadenelement eingeleitet, und die Bauteilreaktionen beobachtet werden ([12] und Abb. 15) . Abb. 15: Test von Brüstungselementen 3.10 Natursteingeländer In einem um die Jahrhundertwende errichteten Museumsbau sollte im Rahmen einer umfangreichen Sanierung das Natursteingeländer des Treppenhauses mit neuen Handläufen versehen werden, so dass die Holmhöhen den vorgeschriebenen Maßen entsprechen. Weil keine Konstruktionsunterlagen vorhanden waren, musste der Nachweis experimentell geführt werden (Abb. 16). Die Belastungsversuche wurden jedoch bereits bei geringen Lastniveaus wegen nichtlinearem und irreversiblen Kraft- Verformungsverhalten abgebrochen. Nur zwei Geländer erreichten annähernd die Tragfähigkeit historischer Berechnungsvorschriften. Ein eindrucksvoller Beleg, dass Schadensfreiheit während der Nutzung kein Garant für ausreichende Tragsicherheit ist. Zur Kompensation wurde ein vorgelagertes Stahlgeländer ergänzt. 124 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis Abb. 16: Holmdruckprüfung Natursteingeländer 4. Anwendungsbeispiel Systemmessung Systemmessungen überprüfen das aktuelle Tragverhalten eines Bauwerks etwa im Gebrauchslastniveau (Abb. 1-B und Abb. 2), um zum Beispiel bekannte Schäden zu überwachen oder Berechnungsannahmen zu verifizieren. Die Belastung muss dabei einerseits so hoch gewählt werden, dass das Tragverhalten der Konstruktion unter den planmäßig auftretenden Nutzlasten angemessen beurteilt werden kann und darf andererseits nicht so hoch sein, dass kritische Bauwerksreaktionen eintreten. Die Verformungen bleiben vorwiegend im linear-elastischen Bereich. Nichtlineare Untersuchungen bei höheren Beanspruchungszuständen können im Nachgang mit den entsprechenden Unsicherheiten an einem kalibrierten Berechnungsmodell durchgeführt werden. Wenn die Schwachstellen bekannt sind und konkrete Grenzwerte festgelegt werden können, sind Langzeitmessungen auch zum Monitoring geeignet, das bei zuvor definierten Veränderungen Aktionen auslösen kann (Alarm, Information, Sperrung, …). Abb. 17: Dehnungsmessung am freigelegten Bewehrungsstahl Ein Beispiel ist die messtechnische Überprüfung der Stahlbetondecke eines ehemaligen Flugzeughangars, die als Produktionsfläche mit Verkehrslasten SLW 30 bzw. einer Flächenlast 10-kN/ m² genutzt wurde. Für den Warentransport sollten mehrere Gabelstapler Fl4 (bis 9,0 t Gesamtgewicht) mit Begegnungsverkehr eingesetzt werden. Der Nachweis einer ausreichenden statischen Tragfähigkeit konnte für alle Bauteile geführt werden, nur der Ermüdungsnachweis für die Deckenplatte (l s = 2,20 m) misslang. Es bestand die Hoffnung, dass die tatsächlichen Schwingbreiten der Plattenbewehrung unter dem Grenzwert Δσ s nach DIN EN 1992-1-1 bleiben, so dass ein genauer Ermüdungsnachweis nicht geführt werden musste. Dazu wurde an den maßgebenden Stellen Bewehrungsstahl freigelegt und mit Dehnungsmesstreifen ausgestattet (Abb. 17). Anschließend wurden Kurzzeitmessungen mit kontrollierten Überfahrten (Abmessungen und Gewichte bekannt) durchgeführt, bevor die Messkette eine Woche lang dazu genutzt wurde, um die Schwingbreiten im regulären Betrieb aufzuzeichnen. Aus den Messwerten ließ sich entnehmen, dass • der Schwingbeiwert von F- =- 1,40 auch tatsächlich entsteht (Verhältnis der Messwerte dynamisch / ruhend), • die maximal gemessene Stahlspannungsdifferenz deutlich unter dem Grenzwert für geschweißte Bewehrungsstähle blieb (Δ σs.max = 25,9 N/ mm² ≤ k 1 = 70 N/ mm²) und • die Spannungsdifferenzen im Betrieb noch unter denen der Kurzzeitmessungen blieben. Die Ermüdungssicherheit für den gleichzeitigen Betrieb von 2 Gegengewichtsstaplern Fl4 (bis 9,0 t Gesamtgewicht) war erfolgreich nachgewiesen. Da die Belastungshistorie des über 80 Jahre alten Bauwerks nicht vollständig vorlag, wurde empfohlen, den Bauwerkszustand durch regelmäßige Untersuchungen im Restnutzungszeitraum zu überwachen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 125 Experimentell gestützter Tragsicherheitsnachweis 5. Ausblick Experimentell gestützte Nachweise loten die Tragwerksreserven bestehender Bauwerke aus und können selbst dann ein erfolgsversprechender Lösungsansatz sein, wenn umfangreiche rechnerische Analysen unbefriedigende Ergebnisse erzielt haben. Voranschreitender Computerhörigkeit trotzend bieten sie eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu Abriss und Neubau und leisten einen wichtigen Beitrag, um Baukultur zu bewahren. 6. Danksagung Ein herzlicher Dank gilt allen Projektbeteiligen, die mit ihrem Engagement und der konstruktiven Zusammenarbeit wesentlich zum Gelingen der komplexen Aufgaben beigetragen haben. Besonderer Dank gilt allen Auftraggebern, die unseren Prognosen und Erfahrungswerten vertraut und die Einsätze beauftragt haben. Wir hoffen, dass auch weiterhin die Restnutzungsdauer bei vielen Bauwerke durch experimentelle Untersuchungen verlängert werden kann. Literatur [1] Gorning, M.; Michelsen, C.; Pagenhardt, L.: DIW Wochenbericht 1+2. 89. Jahrgang. Berlin, Januar 2022. ISSN 1860-8787 (online: https: / / doi. org/ 10.18723/ diw_wb: 2022-1-1) [2] Gutermann,-M., Gersiek, M., Löschmann, F., Patrias, M.: Der Löwenhof in Dortmund: Experimentelle Statik zum Erhalt historischer Eisenbetondecken, Ernst & Sohn, Bautechnik Ausgabe 1/ 2018 [3] Bolle, G.; Schacht, G.; Marx, S.: Geschichtliche Entwicklung und aktuelle Praxis der Probebelastung, Teil 1 und 2. Bautechnik 87 (2010) 11|12, S. 700-707|784-789 [4] Gutermann, M.; Schröder, C.: 10 Jahre Belastungsfahrzeug BELFA. Bautechnik 88 (2011) 3, S. 199- 204 [5] Gutermann,-M., Schröder, C., Böhme, C.: Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweite am Beispiel von Wegebrücken in der Eilenriede, Hannover. In: Bautechnik 95 (2018), Heft 7. Berlin: Ernst & Sohn, 2018. S. 477 - 484. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.201800018 [6] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken. Berlin: Beuth, 07-2020 [7] Manleitner et al.: Belastungsversuche an Betonbauwerken. In: Beton- und Stahlbetonbau 96, 2011, Heft 7, S. 489 [8] DIN EN 1990 (2010-12): Eurocode 0 - Grundlagen der Tragwerksplanung, Anhang D (informativ) [9] DIN EN 1992-1-1 (01.2011): Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken, Kapitel 2.5 [10] Gutermann, M., Malgut, W.: Experimentelle Methoden - Ein alternativer Weg zum statischen Nachweis von Bestandsbauwerken. In: Gieler-Breßmer (Hrsg.): Tagungsband. 18. Symposium Kathodischer Korrosionsschutz von Stahlbetonbauwerken, 05. bis 06.11.2020. Ostfildern, TAE Verlag, 2020 [11] Gutermann, M.: Experimentell bewertet und tragsicher: Die Deckentests. In: „Neue Nationalgalerie. Das Museum von Mies van der Rohe“. Berlin, Deutscher Kunstverlag (DKV), August 2021. ISBN: 9783422986510 [12] Gutermann, M., Kahl, D.: Energetische Ertüchtigung einer Waschbetonfassade: Experimente ersetzen den rechnerischen Tragsicherheitsnachweis. In: Ernst & Sohn Special 2013, Innovative Fassadentechnik [13] Gutermann, M.: Wenn der Schein trügt - Belastungsversuche an einer gusseisernen Treppenkonstruktion. In: Tagungsband 5. Symposium „Experimentelle Untersuchungen von Baukonstruktionen“ an der Technischen Universität Dresden, 11.09.2009 Autoren: Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann und Dipl.-Ing. Werner Malgut Hochschule Bremen Institut für Experimentelle Statik Neustadtswall 30, 28199 Bremen +49 (0) 421 5905-2345 ifes@hs-bremen.de www.ifes.hs-bremen.de Das Institut für Experimentelle Statik (IFES) der Hochschule Bremen wurde 1977 gegründet, um Studierenden die Theorie der Statik praxisnah zu vermitteln. Wegen des wachsenden Interesses der Wirtschaft an neuen Bewertungsmethoden widmete sich das Institut zunehmend der anwendungsbezogenen Forschung auf diesem Gebiet. Die heutigen Schwerpunkte des IFES sind experimentelle Tragsicherheitsnachweise (Belastungsversuche), Bauwerksdiagnosen, sowie experimentell gestützte Berechnungen (Systemmessungen). 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 127 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz Dr. Petra Egloffstein Sievert SE & Co. KG., Osnabrück Dr. Martin Kanig Sievert SE & Co. KG., Osnabrück Zusammenfassung Die Mischung sehr kalkreicher Mörtel und Putze ist schon seit sehr früher Zeit bekannt. Bei einer Europäischen Normung der Baukalke sind neben den ungemischten, natürlich hydraulischen und gemischten, hydraulischen Kalken neue gemischte Baukalkarten formuliert, welche einen deutlich höheren frei verfügbaren Kalkgehalt (Ca(OH) 2 ) aufzeigen. Durch diese formulierten Kalke (FL) ist es möglich, Mörtel und Putze herzustellen, die in der Instandsetzung von historischen Bauwerken, neben einer sehr guten Verträglichkeit mit den bestehenden Mörteln, auch spezielle Eigenschaftswerte aufzeigen, welche sich dem historischen Bestand besser anpassen. In neuerer Zeit gibt es neben den klassischen baustellenseits gemischten Mörteln auch Werktrockenmörtel auf Basis dieser Bindemittel. 1. Das Bindemittel: Formulierter Kalk Die heutigen Baukalkarten sind genormte Bindemittel und werden nach [1] eingeteilt. Hierbei werden Baukalke mit reiner carbonatischer Erhärtung sowie Baukalke mit carbonatischer und hydraulischer Erhärtung unterschieden. Gemischte Produkte mit hohen Calciumhydroxidanteilen (FL 2, FL 3,5, FL 5) werden als formulierter Kalk bezeichnet und differieren nach neuer Norm deutlich von den gemischten hydraulischen Kalken (HL 2, HL 3, HL 5). Die Mischungen der FL-Kalke können vielfältiger Natur sein. So können Weißkalke, natürliche hydraulische Kalke mit puzzolanischen (z.-B. Trass, Ziegelmehl, Stoffe mit reaktiver Kieselsäure) oder latent hydraulischen Zusätzen (z.-B. Hochofenschlacken) und Zementen gemischt werden. Die Ausgangsstoffe und Mengenanteile müssen auf dem Bindemittelsack deutlich gekennzeichnet werden. Die Gehalte an verfügbarem Kalk (Ca(OH) 2 ) und die damit verbundenen carbonatischen sowie hydraulischen Erhärtungsmechanismen, abhängig von der Zusammensetzung der Kalke, sind ausschlaggebend für die Eigenschaften und somit den Einsatz der daraus hergestellten Mörtel. In Tabelle 1 sind aus [1] der verfügbare Kalk und die Druckfestigkeitsbereiche nach 28 Tagen dargestellt. Die Unterschiede zwischen NHL, HL und FL-Kalk Produkten sind bedeutsam. Während bei NHL-Produkten nach 28 Tagen eine eher geringe Festigkeit gemessen wird, die sich erst nach 90 Tagen deutlich steigert, erreichen gemischte hydraulische Kalke schon nach 28 Tagen eine deutlich höhere Festigkeit, die im Laufe der Zeit relativ unverändert bleibt. Tabelle 1: Calciumhydroxidgehalte und Druckfestigkeiten von Prüfmörteln, welche mit Normsand hergestellt wurden, nach [1] Die FL-Kalke nehmen also eine Mittelstellung ein. Die Endfestigkeit wird nicht zu hoch, so dass sie auch für weicheres Mauerwerk gut geeignet sind und gleichzeitig erreichen sie diese recht schnell und gleichmäßig. Während der Erhärtung entstehen kaum Spannungen zwischen Mörtel und Mauerwerk und FL-Kalke können noch verhältnismäßig später im Jahr verarbeitet werden. Bei Kalkprodukten ist hier immer ein genauer Blick auf die Jahreszeiten und Temperaturen erforderlich. Werden sie zu spät im Jahr eingesetzt kann die Karbonatisierung nicht vollständig ablaufen und der Mörtel erreicht nicht die erwartete Frostbeständigkeit. 1.1 „Die Mischung macht’s“ Ziel der Entwicklungsarbeiten war es, mit dem FL B 3,5 einen gemischten, hydraulischen aber zementfreien - Formulierten Kalk herzustellen. Hierfür wurden verschiedene puzzolanisch reagierende Stoffe und Kombinationen dieser Stoffe mit Trass und 20 M. % Kalkhydrat zur Reaktion gebracht, und die Druckfestigkeit gemäß 128 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz DIN 51043 geprüft. Als besonders geeignet erwies sich eine Kombination aus Trass mit Metakaolin. Mischungen von 20-60 M. % Trass und 40-80 % Metakaolin erreichen synergistisch eine 3bis 4-fach höhere Druckfestigkeit als die reinen Einzelkomponenten (Abb. 1). Mit dem erreichten Festigkeitsniveau des patentierten Kalkbindemittels (EP 404 885 B1) ist es möglich, auch Mörtel zu rezeptieren, deren Festigkeitsanforderungen bisher nur mit Zementanteilen erfüllt werden. Somit ergaben sich neue zementfreie Anwendungen für die Sanierung und Restaurierung historischer Bauwerke. Abb. 1: Druck- und Biegezugfestigkeit von Trass-/ Metakaolinabmischungen gemäß DIN 51043 2. Mörtel und Putze auf Basis von formulierten Kalken erlauben viele Varianten 2.1 Das Bindemittel: Formulierter Kalk So stellt tubag das patentierte, normgerechte Bindemittel FL B 3,5 bereit, eine Zusammensetzung von 60 % Weißkalk (CL 80), 25 % Trass und 15 % Metakaolin. Es ist ein zementfreies Bindemittel, das ein hohe Flexibilität für Baustellenmischungen erlaubt. Im technischen Merkblatt sind detaillierte Mengenanteile angegeben, um passende Mörtelmischungen für unterschiedliche Festigkeitsansprüche herzustellen. Dadurch wird es möglich, Mörtel mit regionalen Sanden anzumischen, welche sich gut auf die historisch verwendeten Rezepturen vor Ort abstimmen lassen. Manchmal ist es notwendig, mehrere Sande zu mischen, um die Sieblinie der Originalmörtel nachzustellen. Abb. 2: Baustellengemischter Mauer- und Fugenmörtel, hergestellt aus FL B 3,5 und örtlichen Sanden 2.2 Werktrockenmörtel 2.2.1 Mauer- und Fugenmörtel Auf Basis des formulierten Kalkes lassen sich auch Werktrockenmörtel als Mauer- und Fugenmörtel herstellen Der historische Werkstein- und Fugenmörtel der Festigkeitsstufe M 2,5 gemäß DIN EN 998-2 eignet sich besonders für historisches Mauerwerk und für Natursteine mit geringer bis mittlerer Festigkeit wie Tuffe, Ziegel und tonige Sandsteine. Durch Zusätze von puzzolanischen Anteilen kann das Calciumhydroxid während der Erhärtung des Mörtels optimal abbinden. Besonders in feuchtebelastetem Mauerwerk wird die Gefahr von Kalkfahnen oder Kalkausblühungen dadurch deutlich reduziert. Auch für Fugenmörtel ergibt sich ein weites Einsatzfeld. Der FL-F Historischer Fugenmörtel lässt sich für eine händische Verarbeitung in einer erdfeuchten Konsistenz genauso optimieren, wie für den Einsatz von Kartuschen oder vom Nassspritzverfahren mit Maschinentechnik, wo für die spritzfähigen Varianten eine eher pastöse Konsistenz gefragt ist. (Abb. 3: linkes Bild). Beim Verfugen im Trockenspritzverfahren (Abb. 3: rechtes Bild) wird mit einem herabgesetzten Bindemittelgehalt gearbeitet, der für eine moderate Endfestigkeit trotz der hohen Verdichtung sorgt. Zudem bietet sich die Möglichkeit, den Fugenmörtel auf Basis einer großen Aus- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 129 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz wahl an farbigen Sanden und Pigmenten in seiner Farbigkeit dem historischen Vorbild anzupassen (Abb. 4). Abb. 3: FL-Fugenmörtel mit angepasster Rezeptur zum Nass- und Trockenspritzenverfahren Abb. 4: Farbigkeiten der einsetzbaren Körnungen, aus Eigen- und Fremdsanden sowie anderer Körnungen, wie Basalt-Ziegelsplitt usw. zur exakten Nachstellung historischer Rezepturen. 2.2.2 Putzmörtel Im Putzbereich ergibt sich für die zementfreien FL-Kalk- Produkte ebenfalls ein sehr erweitertes Anwendungsfeld. Beispielsweise als FL-V Vorspritzmörtel, welcher die Haftung bei problematischen oder leicht saugenden Untergründen verbessert. Da er kapillar aktiv eingestellt ist und entsprechend Feuchtigkeit weiterleitet, kann er nicht nur netzförmig, sondern auch deckend verarbeitet werden. Genauso eignen sich formulierte Kalke für Unter- oder Oberputze, wie den bei der Villa Lindenhaus eingesetzten FL-P Historischer Kalkputz. Auch hier lassen sich zudem durch die Zugabe von Sanden und Pigmenten unterschiedliche Körnigkeiten und eine variable Farbigkeit erzielen, so dass der Oberputz sich auf Wunsch als Naturputz ohne zusätzlichen Farbauftrag verwenden lässt. Mit Hilfe der FL-Kalke lassen sich aus Putze mit Leichtzuschlägen mit ausreichender Frühfestigkeit ohne einen Zementzusatz herstellen. Der FLP-L Historischer Kalkputz mit Leichtzuschlägen kann für sehr weiche, stark geschädigte Untergründe, wie z. B. weich gebrannte Ziegel die Rettung bedeuten. Die Leichtzuschläge sind rein mineralisch und bestehen zum großen Teil aus Bims. Mit mehreren Spritzaufträgen lassen sich große Schichtstärken von 40 mm pro Lage realisieren. In Abbildung 5 ist auf der linken Seite der klassische FL-Putz mit Anstrich an der Villa Lindenhof, Wiesbaden dargestellt. Das Bild rechts zeigt die Fassade des Schlosses Herrnsheim in Worms mit Anstrich, hierbei wurde der FLP-L mit Leichtzuschlägen eingesetzt. 130 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz Abb. 5: FL-Kalkputz Villa Lindenhaus, Wiesbaden und FLP-L mit Leichtzuschlägen als Unterputz im Schloss Herrnsheim, Worms 2.2.3 Sondermörtel Auch spezielle Anwendungsfelder abseits von Mauer- und Fugenmörtel profitieren von den Eigenschaften der formulierten Kalke. Injektionsmörteln kommt eine wichtige Aufgabe zu, wenn es darum geht, in der Struktur geschädigtes historisches Mauerwerk zu ertüchtigen. Zementfreie Produkte sind dafür eine wichtige Voraussetzung. Der FLV-g Verfüllmörtel ist ein solches Produkt. Er lässt sich mittels Korngröße auf die Hohlräume im Mauerwerk abstimmen und ist in den Körnungen 0 mm bis 8 mm erhältlich. Der Verfüllmörtel ist leicht zu verarbeiten und zeichnet sich durch besonders gute Pumpfähigkeit aus. Das Schwindverhalten ist optimal eingestellt, um einen perfekten, kapillar offenen Verbund mit dem Mauerwerk zu gewährleisten. Durch die relativ hohe Festigkeit bei einem zementfreien Produkt ist der Spielraum des Einsatzes deutlich erhöht worden, zudem er gerade bei feuchtem Mauerwerk durch seine Zusammensetzung Kalkaustritte vermeidet. Als Ergänzung gibt es neuerdings auch einen Dachdeckermörtel auf Basis der FL-Kalk Bindemittel. Da dieses Produkt an der Spitze des Bauwerks einer besonderen Belastung standhalten muss, enthält es einen geringen Zementanteil. Zudem werden in den Mörtel Fasern zu Armierung eingebunden, um den thermischen und hygrischen Spannungen entgegenzutreten, die durch die verschärfte Feuchtigkeits-, Temperatur- und Windbelastung am Dach entstehen. Ein solcher Dachdeckermörtel zeichnet sich durch eine hohe Haftkraft und eine ebensolche Elastizität aus. Gleichzeitig ist er zugfest und diffusionsoffen. Da hier jedoch sehr spezielle Anforderungen an den Mörtel gestellt werden, konnte die Rezeptur nicht zementfrei realisiert werden. Es sind jedoch nur geringe Zementanteile vorhanden, welche die Dauerhaftigkeit auf dem Dach hinreichend erhöhen. Abb. 6: FL-Dachdeckermörtel bei einem mit Reet gedecktem Wohnhaus 3. L-Produkte haben eine hohe Nachhaltigkeit Die zementfreien formulierten Kalkprodukte leisten einen signifikanten Beitrag zur CO 2 -Reduktion bei der Bindemittelherstellung und sorgen somit für die klimaschonenden Nachhaltigkeitsziele Deutschlands. Für Trass wurde im Rahmen einer EPD (Umweltproduktdeklaration) ein CO 2 -Ausstoß von 104 kg/ t, und für den eingesetzten Metakaolin von 304 kg/ t berechnet. Der CO 2 -Ausstoß des FL B 3,5 beträgt 608 kg/ t und somit 32 % weniger als Kalkhydrat (894 kg/ t) bzw. 26 % weniger als Portlandzement CEM I (822 kg/ t). Setzt man die Druckfestigkeit mit dem zugehörigen CO 2 - Ausstoß in Bezug, wird ein optimales ßD / C0 2 -Verhältnis 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 131 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz mit ca. 40 M. % Trass und 60 M. % Metakaolin erreicht (Arbeitstitel: „Powertrass“) (Abb. 7). Abb. 7: Druckfestigkeit und CO 2 -Ausstoß von FL B 3,5 und „Powertrass“-Abmischungen Diese Verhältnisse sind bei den einzelnen Werktrockenmörteln noch nicht vollständig realisiert. Sie zeigen jedoch, dass hier eine Optimierung der puzzolanischen Zusätze ein deutliches Einsparpotential darstellen. So kann man durch die Mischung der Bindemittel bei den zementfreien Kalkmörteln die Nachhaltigkeitsziele sowohl für die Umwelt, als auch für die Ziele der Denkmalpflege sehr gut erreichen. Durch den Einsatz von Mörteln auf Basis von formulierten Kalken hat man deutlich mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Gebäude. Literatur [1] Baukalke, DIN EN 459-1 (2010), Beuth Verlag, Berlin 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 133 Spannungsfeld Herstellerdeklarationen Regelwerk versus sach- und fachgerechte handwerkliche Ausführung am Beispiel Außenputz Dipl.-Ing. Holger Tebbe Ingenieurbüro H. Tebbe GmbH, Neuwied Zusammenfassung Im Hinblick auf die veränderten Rahmenbedingugen vom traditionellen klassischen Putzauf baus zu heute üblichen Dünnschichtsytemen auf hochgedämmten Putzuntergrund Anforderungen und der andauernden dynamischen Weiterentwicklung und Veränderung der Putzsysteme und ihrer Verarbeitung besteht bei Bauplaner und Bauausführenden ein hoher Informationsbedarf bezüglich der zu verarbeitenden Materialien und ihrer sachgerechten Verarbeitungsweise. Im vorliegenden Aufsatz sollen der diesbezügliche Informationsgehalt, sowie Eindeutigkeit und Restrisiken der herstellerseits gemäß den rechtlichen Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellenden Informationen (Produktdatenblatt, Konformitätserklärung, Gefahrstoffblatt, etc.) und den zu beachtenden bindenenden und nichtbindenden Regelwerken und Richtlinien im Hinblick auf ihren Informationsgehalt für die verarbeitende Baubranche näher beleuchtet werden. 1. Einführung Im Zuge der zunehmenden Harmonisierung der Bauprodukte im europäischen Binnenmarkt haben sich die Bedingungen für das Inverkehrbringen von Bauprodukten vereinheitlicht und werden zunehmend standardisiert. So werden zunächst die zu erfüllenden Grundanforderungen an Bauwerke (BWR) in den betreffenden Regelwerken klar definiert. Neben den Grundanforderungen, die zur ordnungsgemäßen Erstellung eines Bauwerkes unmittelbar notwendig sind, werden hierbei auch übergeordnete allgemeingesellschaftliche Gesichtspunkte wie Umwelt- und Ressourcenschutz mitberücksichtigt. Weiterhin ist für die im Binnenmarkt in Verkehr gebrachten europäisch harmonisierten Bauprodukte eine vom Hersteller auszustellende Leistungserklärung dem Empfänger zwingend zusammen mit dem Bauprodukt schriftlich zur Verfügung zu stellen. Eine alleinige elektronische Bereitstellung, z. B. durch Hinweis auf eine digitale Fassung, die im Netz heruntergeladen werden kann, reicht allein nicht aus. In dieser Leistungserklärung sind alle wesentlichen Produktmerkmale anzugeben. Das jeweilige Leistungsmerkmal muss sich ohne die Zuhilfenahme weiterer Dokumente unmittelbar aus der Leistungserklärung ergeben. Die Leistungserklärung soll erklärtermaßen den Verarbeiter und Endverbraucher über die Frage informieren, was das Produkt leisten kann. Dies wird als ein wichtiger Schritt in Richtung transparenter und verbraucherfreundlicher Qualitäts- und Umweltinformation gesehen. So gesehen sind Leistungserklärung sicherlich auch für Planer und Bauausführende für ihre tägliche Arbeit eine unverzichtbare und wertvolle Arbeitsgrundlage, aber ist das wirklich so? 2. Übersicht der üblichen Informationsgrundlagen über ein Bauprodukt 2.1 Grundanforderungen an Bauwerke (BWR-=-Basic Works Requirements) Wie bereits in der Einführung erläutert, sind in den europäischen Regelwerken Grundanforderungen an Bauwerke (BWR-=-Basic Works Requirements) klar festgelegt und in folgende 7 Einzelanforderungen zusammengefasst: - Standsicherheit und mechanische Festigkeit (BWR 1) - Brandschutz (BWR 2) - Hygiene, Gesundheit- und Umweltschutz (BWR 3) - Sicherheit und Barrierefreiheit in der Nutzung (BWR 4) - Schallschutz (BWR 5) - Energieeinsparung und Wärmeschutz (BWR 6) - Nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressource (BWR 7) Insbesondere über die Grundanforderungen BWR 3 (Hygiene, Gesundheit- und Umweltschutz) und BW 7 (Nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressource) werden hierbei auch übergeordnete allgemeingesellschaftliche Gesichtspunkte Teilaspekte implementiert, die zuvor nicht im Zentrum der Bauplanung und Bauausführung standen. Diese müssen in das bisher schon komplexe, sich gegenseitig beeinflussende Anforderungsgeflecht, einer Bauplanung und Bauausführung neu integriert werden. Im Rahmen der Gesamtoptimierung ergeben sich damit zwangsläufig Verschiebungen in der Priorität der Altparameter mit entsprechenden Folgen für das Baugeschehen und, -im Falle der vermeidlichen oder tatsächlichen unzureichenden Optimierung-, auch entsprechende Haftungsrisiken. 134 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Spannungsfeld Herstellerdeklarationen 2.2 Rahmenbedingungen für das Inverkehrbringen von Bauprodukten Mit Ausnahme von Bauprodukten, Bauhilfsstoffen und Verbrauchsmittel untergeordneter Bedeutung, die keines speziellen Verwendbarkeitsnachweises bedürfen, bedarf ein in Verkehr gebrachtes Bauprodukt einen Verwendbarkeitsnachweis, der vor der Verarbeitung auch entsprechend zu kontrollieren und zu beachten ist. Im europäischen Gemeinschaftsmarkt sollen entsprechend harmonisierte Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten der Beseitigung von Handelshemmnissen dienen. Die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen wird von den jeweils zuständigen Marküberwachungsbehörden kontrolliert. Die im Geltungsbereich der EU („Gemeinschaftsmarkt“) in Verkehr gebrachten Produkte müssen hierzu den EG- Richtlinien entsprechen. Die Bedingungen für das Inverkehrbringen von Bauprodukten wird hierbei seit 01.07.2013 durch die Verordnung (EU) Nr. 305/ 2011, besser bekannt als Bauproduktenverordnung (BauPVO), geregelt. Betroffen sind alle Bauprodukte, für die eine im Amtsblatt der EU bekannt gemachte harmonisierte Norm vorliegt oder eine Europäische Technische Bewertung (ETA) ausgestellt wurde. Von den Nachweisen für harmonisierte Bauprodukte sind die nationalen Nachweise für (noch) nicht harmonisierten Bauprodukten zu unterscheiden: europäisch harmonisierter Markt: harmonisierten Norm (hEN) Europäische Technische Bewertung (ETA) nationaler Markt: nationale Norm/ Restnorm (z. B. DIN) allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis (abP) Zustimmung im Einzelfall (ZiE) Die Ausstellung des Verwendbarkeitsnachweis erfolgt auf Grundlage einer Konformitätsbewertung des jeweiligen Bauproduktes mit den jeweils zu erfüllenden Anforderungen, z. B. im einfachsten Falle der entsprechenden Produktnorm. Neben der Konformität der Produkteigenschaften muss zusätzlich auch die Konformität der werkseigenen Produktionskontrolle mit den jeweiligen Anforderungen nachgewiesen und dokumentiert werden. Diese Bewertung und Überprüfung der Leistungsbeständigkeit (AVCP, Assessment and Verifikation of Constancy of Performance) erfolgt nach Anhang V der Bauproduktenverordnung (BauPVO). Je nach Art und Relevanz des Bauproduktes sind 5 unterschiedliche Verfahrensabläufe (AVCP-Systeme) vorgegeben. Die jeweiligen Systeme können hierbei nicht frei gewählt werden, sondern sind je nach Zuordnung des Produktes zu einer Produktgruppe mit dem für diese Produktgruppe vorgesehenen Verfahren durchzuführen. Alle Verfahren beinhalten mindestens die Einrichtung und Anwendung einer werkseigenen Produktionskontrolle (WPK) durch den oder im Auftrage des Herstellers und die entsprechende Bewertung der Produktleistung. Im Übrigen unterscheiden sich die Systeme darin, in welchem Umfang notifizierte Stellen in die Überprüfung und Bewertung des Bauproduktes einzubeziehen sind. Es handelt sich hierbei um Materialprüfanstalten und/ oder Überwachungsstellen/ -vereine die vom DIBT für die Prüfung, Überwachung und Zertifizierung der jeweiligen Produktgruppe zugelassen und entsprechend gelistet sind. Stellen, die für alle drei Aufgabenbereiche zugelassen sind, werden PÜZ-Stellen genannt. Folgende AVCP-Systeme sind vorgesehen: - System 4 alle Aufgaben sind dem Hersteller zugewiesen, es ist keine Einschaltung einer notifizierenden Stelle erforderlich; - System 3 die Bewertung der Produktleistung erfolgt im Rahmen einer Eignungsprüfung durch ein notifiziertes Prüflabor (Prüfstelle); - System 2+ ist zusätzlich die Überwachung der werkseigenen Produktionskontrolle durch eine notifizierte Zertifizierungsstelle notwendig; - System 1 bewertet die notifizierte Produktzertifizierungsstelle und überwacht die werkseigene Produktionskontrolle; - System 1+ die notifizierte Produktzertifizierungsstelle führt zusätzlich eigene Stichprobenprüfungen an den hergestellten Produkten sowie ggf. von Halbprodukten und Rohstoffen, durch. Die Ergebnisse der Konformitätsnachweisverfahren sind der jeweils zuständigen nationalen Marktüberwachungsbehörde zugänglich zu machen. Sollten im Rahmen der laufenden Produktion (wesentliche) Abweichungen auftreten, ist die Marktüberwachungsbehörde zu informieren. 2.3 vom Hersteller zu erstellende und zugänglich zu machende Produktunterlagen 2.3.1 Allgemeines Wird ein harmonisiertes Bauprodukt im europäischen Markt in Verkehr gebracht, sind verschiedene Informationen dem Produkt beizulegen oder vorzuhalten und das Produkt entsprechend zu kennzeichnen: - CE-Kennzeichnung, soweit möglich direkt am Produkt. Diese muss eine eindeutige Rückverfolgung des Produktes oder der Produktcharge durch laufende Herstellnummer, Angabe des Produktnamens, der Grundlage (z. B. Normangabe) auf der das Produkt in Verkehr gebracht wird (Verwendbarkeitsnachweis), der Rechtsform der Herstellerbezeichnung einschließlich Adresse (sowie ggf. die wesentlichen Produktdaten) enthalten; - Leistungserklärung, ist zusammen mit Auslieferung des Produktes zu übergeben, vergl. Abschn.2.3.3; 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 135 Spannungsfeld Herstellerdeklarationen - Grundlage des Verwendbarkeitsnachweis (Angabe der zugrundeliegenden Norm, Zulassung etc. vergl. Abschn. 2.2); - Verarbeitungshinweise, sofern möglich direkt auf dem Produkt, mindestens jedoch auf Umverpackung oder die Beipackzettel (Technisches Merkblatt); - Sicherheitsdatenblatt, sofern entsprechende Gefahrstoffe enthalten sind, ist dem Produkt ebenfalls beizulegen. Darüber hinaus ist das Produkt mit dem entsprechenden Gefahrstoffhinweisen zu versehen; - Nachhaltigkeitserklärung; - Prüfbericht der Erstprüfung (auf Nachfrage, z. B. bei Transportbeton); - je nach vorgegebenem AVCP-System, vergl. Abschn. 2.2, Nachweis der Leistungsbeständigkeit durch Nachweis der Konformität der WPK, z. B. durch Fremdüberwachungsbericht (auf Nachfrage, z. B. bei Transportbeton). Für nicht harmonisierte Bauprodukte, die zunächst lediglich im nationalen Markt in Verkehr gebracht werden können, sind hiervon im Detail abweichende Vorgaben zu beachten. fremdüberwachungspflichtige Bauprodukte sind z. B. mit einem ÜZeichen zu versehen, welches zudem eine von der CE-Kennzeichnung abweichende rechtliche Bedeutung besitzt, vergl. Abschn.2.3.2. 2.3.2 Produktkennzeichnung Mit der CEKennzeichnung bestätigt der Hersteller die Übereinstimmung der Konformität des Bauproduktes mit den erklärten Leistungen gemäß Leistungsbeschreibung, Mit Ü-Zeichen bestätigt, der Hersteller, dass das Bauprodukt den Vorgaben der deutschen Norm entspricht bzw. mit dem allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnis. Auf nicht harmonisierte, nicht fremdüberwachungspflichtige, Bauprodukte ist die Produktnorm, auf der die Herstellung beruht zu benennen oder im Beipackzettel oder auf der Umverpackung beizulegen. 2.3.3 Leistungserklärung Die Leistungserklärung muss durch den Hersteller des Produktes erstellt werden. Sie soll den Verarbeiter und Endverbraucher über die Frage informieren, was das Produkt leisten kann. Dies gilt als „ein Schritt in Richtung transparenter und verbraucherfreundlicher Qualitäts- und Umweltinformation“. In der Leistungserklärung sind alle wesentlichen Merkmale anzugeben. Das jeweilige Leistungsmerkmal muss sich ohne die Zuhilfenahme weiterer Dokumente unmittelbar aus der Leistungserklärung ergeben. Im Widerspruchsfall haben hierbei rechtliche Vorgaben Vorrang vor Normvorgaben. 3. Normung, sonstige Regelwerke, mitgeltende bzw. zu berücksichtigende Richtlinien u. Merkblätter Grundlage für die Produkteigenschaften und deren Verarbeitung sind für einen Großteil der Bauprodukte die nationalen und internationalen Produkt- und Verarbeitungsnormen. Für Außenputze sind hier insbesondere die DIN EN 998-1 Planung Zubereitung und Ausführung von Innen- und Außenputzen Teil I: Außenputzen DIN V 18550 Putz und Putzsysteme DIN 18947 Lehmputzmörtel - Anforderungen; Prüfung und Kennzeichnung DIN EN 13 914 Planung, Zubereitung und Ausführung von Außen- und Innenputzen, Teil-1: Außenputze; 2016-09 Teil 2: Innenputze; 2016-09 DIN EN 13 914-2 Berichtigung 1; 2017-05 DIN EN 15 824 Festlegung f. Außenu. Innenputze mit organischen Bindemitteln, 2017- 09 52-S. / 73,64-€/ 8-J. zu nennen. Zu beachten sind jedoch auch die Verarbeitungs- und Bemessungsnormen für Mauerwerk, Betonbzw. Stahlbeton- und Leichtbetonbauwerke aus Ortbeton oder aus Betonfertigteilen, für Drahtputzdecken, sowie die jeweiligen Baustoffnormen (z. B. für die jeweiligen Mauersteinarten) und Rohstoffnormen (z. B. Bindemittel, Gesteinskörnung, Putzträger etc.). Zu den vertraglich zu vereinbarenden technischen Vorgaben sind ggf. in weiteren Normen (z. B. VOB, Teil-C) neben Normvorgaben zu den Bautoleranzen (z. B. DIN-18201) oder zur Abdichtung zu beachten. Mitwirkende Vorschriften und Richtlinien anderer potentieller Regelsetzer (z. B. der Verbände der Putzindustrie oder des Zentralverbandes des deutschen Handwerks) müssen zwingend ebenso beachtet werden. Je nach Ausführung sind zudem weitere Produkthinweise und Merkblätter z. B. zu Putzschienen, Ausführung von Bauteilfugen, Sockelanschlüssen etc. zu beachten. 4. Fazit Allein der in Abschn.-2 und-3 erfolgte Versuch der zusammenfassenden Darstellung der Grundlagen der Informationsweitergabe macht deutlich, wie komplex das Thema ist. Dies ist kaum mit der Behauptung einer zusammenfassenden und vereinfachten Informationsweitergabe zu vereinbaren, zumal diese derzeit noch nicht einmal für die an der Regelsetzung beteiligten Gremien derzeit als vollständig angesehen werden. So weist die Bauministerkonferenz mit Schreiben vom 10.06.21 an das Ministerium des Inneren darauf hin, dass aus Sicht der Bauministerkonferenz die Verankerung wesentliche Merkmale in harmonisierten Normen fehlen, die für die Erfüllung der Grundanforderungen an Bauwerke in Deutschland jedoch als erforderlich gehalten werden. Dies sind z. B. Angaben zu charakteristischen Biegezugfestigkeiten von Faserzementwellplatten oder Rohdichtekennwerte Gipsplatten. Der Autor hat selbst einen Fall betreut, in der die zur Horizontalsperre gehörende Leistungsbeschreibung eines namhaften Herstellers, als auch in den zugehörigen Produktblättern und sonstigen Produktinformationen, mit 136 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Spannungsfeld Herstellerdeklarationen keinem Wort erwähnt worden ist, dass die Bahn lediglich für Wände ohne Querkraftübertragung geprüft wurde. Die zugehörige Zulassung, die aus diesem nebensächlichen Tatbestand hervorging, war zudem auf der Seite des Herstellers nicht abruf bar. Die Schadensbeseitigung der nun aufgetretenen, erwartbaren Abrisse wird derzeit vorgenommen. Weiterhin ist zu bemängeln, dass in den Leistungserklärungen lediglich die Mindestanforderungen oder die Klassenbezeichnungen der jeweiligen Produkteigenschaft angegeben, werden, so dass ein Vergleich einzelner Leistungseigenschaften innerhalb einer Produktgruppe, die zur Auswahl eines letztlich zu verwendenden Produktes sicherlich benötigt wird, anhand der Leistungsbeschreibung nicht möglich. Zudem werden, sofern möglich, einzelne anzugebende wesentlichen Eigenschaften gern mit NPD (no performance determinded, keine Eigenschaft ermittelt) gekennzeichnet. Nach Auffassung des Autors, ist hier noch erheblicher Handlungsbedarf, damit Rahmenbedingen für die Herstellererklärung so gestaltet sind, dass sie für Planer und Ausführenden eine wirkliche Hilfe darstellen, um erfolgversprechend, gemäß den allgemein anerkannten Regeln der Technik handeln zu können. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 137 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Dr. rer. nat. Hans-Hermann Neumann Bausachverständigenbüro und Baustofflabor Dr. Neumann, Hamburg Zusammenfassung Wenig Beachtung fand in den Publikationen bisher die Bildung von sekundärem Ettringit in Ziegelmauerwerk mit zementhaltigen Mörteln sei es bei Denkmälern, modernen Verblendschalen oder gar Wärmedämm-Verbundsystemen mit keramischer Bekleidung. Letztgenannte spielen im Zuge der energetischen Instandsetzung von Bestandsgebäuden oder Neubauten eine immer größere Rolle, da mit ihnen in Regionen mit ziegeldominierten Fassaden das gewohnte Orts- oder Stadtbild erhalten bleiben soll. Das gilt insbesondere für Norddeutschland. Die Schäden an dem Spektrum von Fassaden in Ziegelbzw. Klinkeroptik mit zementären Mörteln resultieren aus einem starken Gefügeumbau. Treibende Kraft ist eindringendes Regenwasser, welches Bestandteile wie Calciumhydroxid entfernt und sukzessive zur sekundären Bildung von Ettringit führt. Im Extremfall sind die Schäden so stark, dass ein Rückbau erfolgen muss, sei es bei einem historischen Bauwerk nach 83 Jahren oder bei einem Wärmedämm-Verbundsystem mit herabgestürztem keramischem Belag bereits nach weniger als 5 Jahren. 1. Einführung Nach der seit langem bekannten Treibmineralbildung in Stahlbetonbauwerken (Ettringit und Thaumasit) und daraus resultierenden Schäden [1] ist in den letzten 20 Jahren sehr intensiv die Reaktion von zementgebundenen Injektionsmitteln mit Gipsmörteln historischer Bauwerke aus Ziegel- oder Naturwerksteinmauerwerk untersucht worden, da die zur Stabilisierung und Verbesserung der Tragfähigkeit injizierten Zemente durch Reaktion mit dem Hochbrandgips ebenfalls zu starken Schäden führten [2], [3], [4]. Im Einzelfall musste sogar ein Rückbau vorgenommen werden [5]. Bei der Suche nach einem Ersatz des Zementes erwiesen sich Gips- und Kalkhydrat-Injektionen als ungeeignet, da sie nicht erhärten oder dieser Prozess zu lange dauert. Bei. hydraulischem Kalk wären auch Schäden zu erwarten [6]. Letztendlich erfolgt heute eine Stabilisierung des geschädigten Mauerwerks z. b. durch Edelstahlbohranker [7]. Nach diesen Kenntnissen drängt sich die Frage auf, ob sich Ettringit sekundär auch in historischem Ziegelmauerwerk mit zementhaltigem Mörtel bilden kann, zumal Zement stets mit Gips als Erstarrungsverzögerer eingesetzt wird. Die Zementchemie und -mineralogie der Erhärtung ist sehr gut bekannt, seit es z. B. die hochauflösende Rasterelektronenmikroskopie im Niederdruckverfahren gibt. Der bei der Erstarrung gebildete primäre Ettringit wird mit zunehmender Dauer des Prozesses zu Monosulfat abgebaut, wobei diese Phase abhängig von den Umgebungsparametern schnell karbonatisiert. Dennoch sind viele Zwischenstufen möglich, so dass in Zusammenhang mit Bauwerksfeuchte theoretisch auch sekundärer Ettringit auftreten kann [8] [9]. Eher zufällig wurde sekundärer Ettringit in größerem Umfang in Ziegelmauerwerk mit zementgebundenen Mörteln eines historischen Gebäudes bei einer Schadensanalyse polarisationsmikroskopisch nachgewiesen. Dies bildete den Ausgangspunkt auch bei anderen Bauwerken darauf zu achten, ob und unter welchen Umständen dieses Treibmineral kristallisiert und welche Konsequenzen sich daraus beispielsweise für Instandsetzungen des Mauerwerks ergeben. Auf der anderen Seite wurden Schäden durch Ettringit bei einem Gebäude, welches mit einem Wärmedämm-Verbundsystem mit einer keramischen Bekleidung energetisch instand gesetzt wurde, bereits vor Ablauf der Gewährleistung nachgewiesen [10]. Inzwischen liegt der Nachweis für eine Reihe von Gebäuden vor, die vom historischen Mauerwerk bis hin zum WDVS mit keramischer Bekleidung reicht. Weniger scheinen Gebäude mit Verblendschalen aus Ziegeln oder Klinkern davon betroffen zu sein. In diesem Beitrag soll die Ettringitbildung und deren Schadenspotenzial für verschiedenen Gruppen von Ziegelmauerwerk bzw. Fassadentypen in Ziegel- und Klinkeroptik beschrieben und so weit wie möglich interpretiert werden, um darauf auf bauend Instandsetzungsmöglichkeiten darzustellen und Hinweise zu geben, worauf bei dem Neubau bzw. der energetischen Sanierung von Bestandsbauten in Klinkeroptik zu achten ist, um Schäden zu vermeiden, auch wenn der Schadensprozess in seiner Gesamtheit noch nicht vollständig aufgeklärt ist und es dazu sicherlich noch weiterer Untersuchungen bedarf. Wichtig ist an dieser Stelle die Sensibilisierung für diesen Schadensprozess. Der Praxisbezug führt gleichzeitig vor Augen, an welchen Stellen es bei der vorhandenen Produktpalette, der Bauüberwachung und Bauausführung Verbesserungsbedarf gibt, um zu nachhaltigen Maßnahmen bzw. zum nachhaltigen Bauen zu gelangen. In diesem Zusammenhang ist darunter zu verstehen, so zu bauen, dass die angestrebte Lebensdauer des Bauteils möglichst erreicht wird und nicht z. B. aufgrund von nicht fachgerechter Verarbeitung oder Verwendung des falschen Materials 138 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden vorzeitig eine erneute Sanierung stattfinden muss, im Extremfall bereits nach wenigen Jahren. Dies erfordert zusätzliche Kosten für den Rückbau, die erneute Baustoffproduktion, wer auch immer die zu tragen hat, sowie die Verarbeitung und verschlechtert unnötigerweise die CO 2 - Bilanz. 2. Sekundäre Ettringitbildung in Ziegelmauerwerk bis hin zu Fassaden in Ziegel-/ Klinkeroptik 2.1 Vorbemerkungen Bei den untersuchten Bauwerken aus Ziegelmauerwerk ließ sich nur an solchen eine Ettringitneubildung unterschiedlicher Intensität feststellen, die Mörtel mit hohen Zementgehalten aufwiesen. Bei Ziegelmauerwerk mit Kalkzementmörteln oder hydraulischen Kalken wurden keine Treibmineralbildungen identifiziert. Damit ist bereits die erste Eingrenzung getroffen. Bei Wärmedämm-Verbundsystemen mit keramischer Bekleidung werden grundsätzlich hoch zementhaltige Verlegemörtel für die Verklebung der Keramikriemchen verwendet. Der Fugenmörtel besitzt als Bindemittel ebenfalls Zement, auch der gewebearmierte Unterputz, häufig aber noch Kalkhydrat als weitere Bindemittelkomponente. Unter Anwendung des obigen Eingrenzungskriteriums können bei Wärmedämm-Verbundsystemen mit Riemchenbelag theoretisch sämtliche damit ausgerüsteten Gebäude davon betroffen sein. Die Mehrzahl weist aber keine sekundäre Ettringitbildung auf. Damit stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen sekundärer Ettringit in der keramischen Bekleidung entsteht. Für historische und/ oder denkmalgeschützte Gebäude kommt für die nachfolgend beschriebene Ettringitbildung erst der Zeitraum nach Erfindung und Einführung des Portlandzementes in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts an in Frage, obgleich die Patentierung des Portlandzements durch William Aspidin bereits auf das Jahr 1824 datiert [11]. Damit einhergehend erfolgten bahnbrechende Erneuerungen in der Ziegelproduktion wie z. B. die Einführung der Strangpresse und des Hoffmann’schen Ringofens. Dies hatte nicht nur eine Verbesserung und eine Angleichung der Qualität der einzelnen Ziegel in dem Produktionsprozess zur Folge, sondern auch die Herstellung von Steinen mit höherer Druckfestigkeit, die fortan vor allem für das Vormauerwerk verwendet wurden, während das Hintermauerwerk noch aus Ziegeln der örtlichen Ziegeleien in traditioneller Produktionstechnik entstand. In diesem Zusammenhang müssen auch konstruktive Veränderungen im Wandquerschnitt bei der Schadensanalyse berücksichtigt werden. Als Beispiel seien Sturzträger aus Eisen hinter dem Vormauerwerk genannt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Lochverblendziegel mit den neuen Verfahren hergestellt. Diese besaßen eine große Maßhaltigkeit und wurden als Vormauersteine zusammen mit verschiedenen Arten von Formsteinen, die zusammen einen Art Baukastensystem bildeten, zur Fassadengestaltung eingesetzt, wobei die nur 0,5 bis 0,8 cm breiten Fugen optisch in den Hintergrund traten. Für diese Art von Vormauerwerk kamen in der Regel Mörtel mit deutlich höherem Zementgehalt zum Einsatz, während das Hintermauerwerk weiterhin aus porösen Hintermauerziegeln mit geringer Druckfestigkeit und zumeist Kalkmörtel mit geringem Zementgehalt bestand. Mauerwerke mit diesem Ziegeltyp bilden die erste betrachtete Gruppe im Hinblick auf die sekundäre Ettringitbildung. Die zweite Gruppe stellen dunkelrote Hartbrandklinker dar, die in den 1920er Jahren verwendet wurden. In Hamburg gehören dazu viele Bauten von Fritz Schuhmacher und Fritz Höger, u. a, auch das Kontorhausviertel, welches zum UNESCO Welterbe gehört. Gebäude mit einem Vormauerwerk aus diesen Steinen sind in Norddeutschland sehr häufig. Zusätzlich zu der Vermauerung mit stark zementhaltigen Mörteln erfolgte häufig eine Kombination mit Stahlbeton, sei es als Tragwerk hinter dem Vormauerwerk oder zur optischen bzw. architektonischen Fassadengliederung mit Dekorputzauflage. Das heutige Baugeschehen prägen infolge der energetischen Anforderungen an die Neubauten und zu modernisierenden Altbauten Verblendmauerwerk mit Kerndämmung und Wärmedämm-Verbundsysteme mit keramischer Bekleidung. Im Mörtel zwischen den Verblendsteinen scheint die Bildung von Ettringit eine sehr untergeordnete Rolle zu spielen, während in der keramischen Bekleidung von Wärmedämm-Verbundsystemen häufiger Schäden infolge sekundärer Ettringitbildung und eines damit einhergehenden Gefügeumbaus auftreten. 2.2 Historisches Vormauerwerk aus Lochverblendziegeln Mit Vormauerwerk aus Lochverblendziegeln lassen sich Fassaden architektonisch außerordentlich facettenreich gestalten, insbesondere durch die Art der Steinauswahl, da die dünnen Fugen optisch in den Hintergrund treten. Sogenannte Viertel- und Halbsteine mit horizontaler Lochung, deren Sichtseite ca. 12 x 6,7 cm groß ist, prägen häufig die Flächen. Für die Verzahnung mit dem Hintermauerwerk sorgt der Wechsel aus Viertelsteinen und Halbsteinen. Ecksteine besitzen demgegenüber eine vertikale Lochung [12]. Abb. 1: Typisches Detail eines Vormauerwerks mit Lochverblendziegeln. Die Fuge ist als Schattenfuge ausgebildet. Beispiel Finanzamt Kiel, Feldstraße. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 139 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Aufgrund der hohen Festigkeit der Lochverblendziegel erfolgte zumeist ein Vermauern mit zementreichen Versetzmörteln, die vor Ort gemischt wurden. Entweder kann dieser Mörtel bis zur Fugenoberfläche reichen und bündig mit den Ziegeloberflächen abschließen oder als Schattenfuge ausgebildet sein. Abb. 1 gibt eine Detailaufnahme in der Ausführung mit Schattenfuge wieder und Abb. 2 einen petrographischen Dünnschliff senkrecht zu einer Lagerfuge in der Übersicht. Die Außenseite weist zur linken Bildseite. Abb. 2: Dünnschliffbild senkrecht zur Oberfläche. Der Mörtel ist zurückversetzt. Lange Bildkante: 35 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. An anderen Gebäuden wurde der Versetzmörtel bis in ca. 0,5 cm Tiefe herausgekratzt und nachträglich mit einem Fugenmörtel verschlossen. Dabei konnten an mehreren der untersuchten Gebäude Gipsmörtel festgestellt werden. Abb. 3 zeigt eine Makroaufnahme von der Maueroberfläche und Abb. 4 einen petrografischen Dünnschliff senkrecht zur Oberfläche. Der Gipsmörtel weist Quarzsand als Gesteinskörnung auf. Das aus Hochbrandgips bestehende Bindemittel besitzt eine sehr viel geringere Porosität auf als der mineralische Mörtel dahinter und sorgt für die Schlagregensicherheit. Außerdem konnte auf diese Weise eine weiße Fuge ausgebildet werden, zumal es noch keinen Weißzement gab. Abb. 3: Der Fugenmörtel besteht aus Gips, vermutlich um eine weiße Fugenfarbe zu erzeugen, zumal es noch keinen Weißzement gab. Beispiel Grundschule Hasselbrook, Hamburg. Abb. 4: Dünnschliffbild senkrecht zur Oberfläche. Der Fugenmörtel besitzt Gips als Bindemittel. Lange Bildkante: 23 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Der erste Nachweis der sekundären Ettringitbildung erfolgte eher zufällig. Die Kirche in Hamburg-Moorburg wies einige Risse im Vormauerwerk und Schäden im Bereich des Fugenmörtels auf. Zunächst ergab sich die Frage, ob der Fugenmörtel insgesamt erneuert werden müsste oder eine teilflächige Instandsetzung ausreichen würde. Dazu wurde zunächst zerstörungsfrei die Wasseraufnahme vor Ort überprüft (Abb. 5). Die Wasseraufnahmeprüfung des Verbundes erfolgte mit der Wasseraufnahme-Prüfplatte nach Franke und die der Ziegel mit dem Wassereindringprüfer nach Karsten. Abb. 5. Zerstörungsfreie Prüfung der Wasseraufnahme auf der Südseite der Kirche in Moorburg (Hamburg) mittels Franke-Platte auf dem Verbund und Karsten- Röhrchen auf den Steinen. Offensichtliche Fehlstellen, wie in Abb. 6 beispielhaft dargestellt, blieben bei der Messung unberücksichtigt, da der Fugenmörtel an solchen Stellen ohnehin hätte erneuert werden müssen. Auch im Bereich der augenscheinlich intakten Fugenmörteloberfläche war die Wasseraufnahme des Verbundes stellenweise so groß, dass sich eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung anschloss. 140 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 6: Offensichtliche Fehlstellen im Fugenmörtel. Kirche in Moorburg. Die Aufsicht auf den Fugenmörtel im Rasterelektronenmikroskop (Abb. 7) gibt einen völlig desolaten Fugenmörtel mit vielen feinen Rissen und Materialverlusten wieder. Die Zuschlagkörner ragen nicht nur aus der Oberfläche infolge der Rückwitterung des Bindemittels heraus, sondern sind großenteils nicht mehr vom Zement umgeben. Daraus resultiert das Absanden der Oberfläche bei dem Reiben mit dem Finger. Abb. 7: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von der Oberfläche des Fugenmörtels. RE-Bild. Nun war die Frage, ob der hohe Wassereintrag bereits zu Gefügeveränderungen oder gar -schäden geführt hatte. Abb. 8: Dünnschliffübersicht Beispiel: Kirche Moorburg. Lange Bildkante: 41 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Dafür wurde ein petrographischer Dünnschliff hergestellt, den Abb. 8 in der Übersicht wiedergibt. Die Außenseite zeigt zur linken Bildkante. Der Querschnitt durch eine Lagerfuge lässt erkennen, dass jeder Viertelstein an der Oberseite eine Vertiefung besitzt. Diese ermöglichte eine bessere Verarbeitung und sollte zusätzlich sicherlich einen besseren Verbund sorgen. Die hohe Wasseraufnahme bewirkte eine starke Karbonatisierung, insbesondere entlang der Fugenflanken, erkennbar anhand der hellbraunen Kristallrasen auf dem hinteren Teil der Vertiefung in der oberen Ziegelseite, dessen Ausschnitt Abb. 9 darstellt. Die Größe der Kristalle deutet auf einen bereits lang anhaltenden, sich zyklisch wiederholenden Prozess hin. Zu beachten ist die größere Porosität an der Grenzfläche zwischen Mörtel und Lochverblendziegel. Die Porendurchmesser übersteigen häufig den maximalen Durchmesser über den noch eine Kapillartransport des aufgenommenen Wassers möglich ist. Am effektivsten läuft die Wasseraufnahme bei starkem Regen mit Winddruck ab. Abb. 9: Detail aus Abb. 8. Der hellbraune Kristallrasen entlang der Ziegelflanke (unten) und dem Mörtel (oben) aus Calcitkristallen belegt eine starke Karbonatisierung. Lange Bildkante: 2,5 mm. Teilgekreuzte Polarisatoren. Außenseite: links. Abb. 10: In den großen Poren (blau eingefärbt) finden sich als Saum oder Füllung nadelige Kristalle. Lange Bildkante: 2,5 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 141 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Auch vom Fugenrand ausgehend hat sich Ettringit gebildet. Ein Beispiel stellt Abb. 10 dar. In großen runden Poren lässt sich zunächst ein sehr dunkler Saum feststellen, dessen Zusammensetzung mittels Polarisationsmikroskop nicht geklärt werden konnte. Ettringit liegt als weiterer Saum oder als Porenfüllung vor. Typische dünne lange Kristallnadeln sind erst bei stärkerer Vergrößerung sichtbar (Abb. 11). Die Nadeln scheinen auf einen Calcitsaum, der sich im Mörtel an der Grenzfläche zum Ziegel (obere Bildkante) gebildet hat, aufgewachsen zu sein. Abb. 11: Detailaufnahme von nadeligen Kristallen in einer Pore (blau). Die nadeligen Kristalle scheinen auf einen Calcitsaum (hellbraun) aufgewachsen zu sein. Lange Bildkante: 0,5 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Aufgrund des geringen Durchmessers der Nadeln zeigen sich die charakteristischen Interferenzfarben unter gekreuzten Polarisatoren erst bei zusammengewachsenen Kristallnadelbüscheln (Abb. 12), wobei diese durch die Imprägnierung mit blau eingefärbtem Kunstharz vom üblichen Erscheinungsbild leicht abweichen. Abb. 12: Gleicher Ausschnitt wie Abb. 11, aber mit gekreuzten Polarisatoren. Die Untersuchung mit dem Rasterelektronenmikroskop bestätigt die für Ettringit charakteristische Kristallmorphologie (Abb. 13) und das dazu gehörende EDX-Spektrum lässt die typischen Elemente Calcium (Ca), Schwefel (S) und Aluminium (Al) erkennen (Abb. 14). Der Siliciumpeak (Si) kann den Untergrund repräsentieren oder aber es handelt sich möglicherweise um Ettringit der sogenannten Woodfordit-Route (Mischkristall zur Thaumsitbildung). Abb. 13: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der nadeligen Kristalle in einem Querbruch des Vormauermörtels. RE-Bild. Abb. 14: EDX-Spektrum zur Elementzusammensetzung der nadeligen Kristalle aus Abb. 13. Abb. 15: Sturz mit hohem Zementanteil und Bildung von sekundärem Ettringit. Innerhalb des Vormauerwerks können auch verschiedene Vormauermörtel verwendet worden sein. Dies stellte sich an einer Bauzustandsanalyse eines anderen Bau- 142 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden werks (Grundschule Hasselbrook, Hamburg) heraus. Der Zementanteil des Vormauermörtels im Sturz ist sehr viel höher als im restlichen Vormauerwerk (Abb. 15). Nur im Sturz wurde Ettringit nachgewiesen. 2.3 Historisches Klinkermauerwerk Die im Ringofen in der 1920er Jahren hergestellten dunkelroten Klinker können ganze Stadtquartiere prägen. Sie umfassen ein breites Spektrum von Gebäuden, wie Wohnhäuser, Kirchen, Wassertürme, Handelshäuser, Schulen, Bahnhöfe und sogar Krematorien. Die Klinker bilden das Vormauerwerk, während das Hintermauerwerk aus normal bis stark saugenden Ziegeln besteht, wobei häufig auch nicht mehr für die Vormauerschale verwendbare Klinkerbruchstücke im Hintermauerwerk mit eingebaut wurden Die Klinker sind zumeist mit Zementmörteln verbaut worden. Das erste Beispiel repräsentiert den oberen Teil einer Schule in Hamburg-Veddel mit Blickrichtung auf die Westecke (Abb. 16), d. h. die Nordwest- und Südwestseite stellen die Wetterseiten dar und sind am stärksten dem Schlagregen ausgesetzt. Bei der Südwestseite kommt im Wechsel mit dem Schlagregen die stärkste Sonneneinstrahlung hinzu. Abb. 16: Ansicht des oberen Gebäudeteils der Schule von Westen. Schule Auf der Veddel. Der starke Regeneinfluss äußert anhand des Moosbewuchses im Fugenbereich. Die in den 1990er Jahren erneuerten Fugen weisen zugleich Fugenflankenabrisse auf (Abb. 17). Im oberen Teil der Westecke liegt sowohl auf der Nordwestseite als auch auf der Südwestseite eine massive Rissbildung vor (Abb. 18), resultierend aus der korrodierten Verankerung des weiß beschichteten, aus Eisen bestehenden und umlaufenden Fensterbandes unter dem Dach. Die Risse setzen sich aus dem Stahlbetonband unter dem Fensterband in das Mauerwerk hinein fort. Abb. 17: Moosbewuchs auf der Hauptwetterseite entlang von Fugenflankenabrissen. Abb. 18: Rissbildung auf der Südwestseite. Die Risse folgen treppenartig den Fugenflanken. Hinter dem Stahlbetonband mit scharrierter Dekorputzauflage befindet sich ein Ringanker, der sich hinter den oberen Klinkerlagen des Vormauerwerks nach unten fortsetzt. Aufgrund von Putzabplatzungen im Innenbereich sollte der Zustand des Vormauerschale und des Ringankers untersucht werden. Der Sandwichbohrkern stammt aus einer Lagerfuge, die mit bloßem Auge keine Fugenflankenabrisse erkennen ließ. Anders ist das bei der Übersichtsaufnahme von dem petrographischen Dünnschliff dieser Probe in Abb. 19. Darüber hinaus zeigt das Mörtelgefüge, dass der Fugenmörtel bereits zweimal erneuert wurde. Bei dem jüngsten Fugenmörtel lässt sich eine Zunahme der Porosität mit der Tiefe feststellen. Da keine Verdichtungszone etwa in der Mitte dieses Mörtels vorhanden ist, kann man davon ausgehen, dass der Fugenmörtel in nur einem Arbeitsgang eingebaut wurde. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 143 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 19: Übersichtsaufnahme von dem petrographischen Dünnschliff im Bereich einer Lagerfuge mit angrenzenden Klinkern. Lange Bildkante: 38 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Der nächste Dünnschliff (Abb. 20) stellt eine Übersicht von dem Mauerwerk im Übergangsbereich zum Ringbalken dar. In der linken Bildhälfte sind die Steine mit der Lagerfuge, in welcher kein Mörtel vorhanden ist, erkennbar. Bei dem unteren Stein handelt es sich um einen Klinker der als Kopfstein eingebaut wurde und bei dem oberen um einen gelben Hintermauerziegel, der sich hinter dem an der Außenseite als Läufer eingebauten Klinker befindet. Zur Bildmitte folgt der Versetzmörtel. Im linken Bilddrittel befindet sich der vergleichsweise poröse Beton des Ringbalkens, charakterisiert durch seine gröbere Gesteinskörnung. Abb. 20: Dünnschliffübersicht aus dem Übergangsbereich zwischen Mauerwerk und Ringbalken. Rechte Bildkante: 28 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Das Mörtelgefüge hinter den Steinen und das Betongefüge weisen einen sehr unregelmäßigen, aber stellenweise auch sehr starken Umbau auf. CSH-Phasen sind in deutlichem Umfang abgebaut. Das Bindemittelgefüge lässt eine starke Karbonatisierung erkennen, wobei die großen Calcitkristalle und deren Verteilung auf einen Umbau des primären karbonatisierten Gefüges hindeuten. Viele Bestandteile der ursprünglichen Phasen des hydratisierten Zementes sind gelöst und abtransportiert worden. Der hellblaue Schimmer infolge der Probentränkung mit blau eingefärbtem Kunstharz belegt die hohe Porosität. In großen Poren. Im Bereich des ehemaligen Bindemittels lässt sich sekundär gebildeter Ettringit nachweisen (Abb. 21). Abb. 21: Detail aus Abb. 20. Ettringitbildung in einer runden Luftpore. Das ehemalige Bindemittelgefüge ist durch Auflösung von bestimmten Phasen sehr porös geworden. Lange Bildkante: 0,5 mm. Parallele Polarisatoren. Der gleiche Ausschnitt in Abb. 22, nur mit teilgekreuzten Polarisatoren, zeigt sehr gut die großen sekundär gewachsenen Calcitkristalle mit ihren typischen Interferenzfarben. Abb. 22: Gleicher Ausschnitt wie Abb. 21, aber mit teilgekreuzten Polarisatoren. Der Prozess der Karbonatisierung hält anscheinend noch an, wenn die Ettringitbildung abgeschlossen zu sein scheint oder sich in einen anderen Bereich verlagert hat. Dies lässt sich aus Abb. 23 mit parallelen Polarisatoren und Abb. 24 mit teilgekreuzten Polarisatoren schließen. In diesem Fall bilden die Ettringitkristalle einen Saum auf der Porenwand der runden Luftpore und sind von Calcitkristallen überwachsen worden. Hierbei handelt es sich eindeutig um einen sehr späten Effekt einer sekundären Calcitbildung. Dieser stabilisiert zumindest in gewissem Umfang das Gefüge. 144 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 23: Das Wachstum von Ettringitkristallen auf der Porenwandung. Lange Bildkante: 1 mm. Parallele Polarisatoren. Abb. 24: Die Ettringitkristalle sind von Calcit überwachsen worden und breiten sich auch unregelmäßig in der stark porösen Matrix aus. Gleicher Ausschnitt wie Abb. 23, aber mit gekreuzten Polarisatoren. Während das zuvor beschriebene Beispiel stellvertretend für die Wetterseite eines Gebäudes mit sekundärer Ettringitbildung und dem Auf bau aus Vor- und Hintermauerwerk mit integrierten Betonbauteilen steht, befindet sich das nächste Bauwerk allseitig dem Wetter ausgesetzt. Es handelt sich dabei um ein unter Denkmalschutz stehendes Seezeichen auf der Insel Norderney. Da das Seezeichen extremen Witterungsbedingungen ausgesetzt ist, soll kurz die Baugeschichte wiedergegeben werden. Das erste Seezeichen bestand gänzlich aus Holz, hatte eine Höhe von 12 m mit einer quadratischen Basis von 5 m Seitenlänge und einem Dreieck als Topzeichen. Es wurde im Jahr 1848 errichtet. Eine vollständige Erneuerung erfolgte 1870. An gleicher Stelle wurde gemäß den Mitteilungen aus dem Stadtarchiv Norderney Nr. 5 aus dem Jahr 1998 ein ca. 15 m hoher Turm mit sechseckigem Grundriss aus Ziegeln und Kiefernholz erbaut. Die Kantenlänge betrug 3 m. Die Pfeiler waren in einer Höhe von ca. 4,3 m durch Rundbögen verbunden. Darüber war eine Balkenkonstruktion vorhanden, welche das auf den Kopf gestellte Dreieck aus Holz trug. 1930 wies das Kap wiederum starke Schäden auf, so dass zunächst die Vormauerschale gänzlich abgetragen und ersetzt werden sollte. Bei den Arbeiten stellte sich aber heraus, dass die Schäden so stark waren, dass erneut ein Abriss und völliger Neubau mit identischer Gestalt erfolgen musste. Für die äußere Hülle wurden 24000 Stück Bockhorner Klinker beschafft. Als Hintermauerziegel sollten Steine aus der alten Hafenstraße verwendet werden. Zement wurde ebenfalls vom Festland beschafft, während der Zuschlag vor Ort gewonnen wurde, d. h. es handelt sich dabei um Dünensand. 1977 erfolgte eine Erneuerung des Fugennetzes. Risse wurden geschlossen und abbröckelnde Steine laut Badzeitung vom 01.07.1977 ersetzt. Abb. 25 zeigt das Kap im Zustand von 2013 in der Übersicht in seiner exponierten Position auf der Düne. Abb. 25: Das Kap von Norderney im Jahr 2013. Die Schäden am Kap sind im oberen Bereich massiv. Insbesondere in den Eckbereichen hatten sich die Ziegel entlang von Fugenmörtelabrissen aus dem Verbund gelöst und drohten herabzustürzen, wie der Abb. 26 zu entnehmen ist. Für die sehr starken Schäden im oberen Bereich spielt die besonders exponierte Position auf der Düne eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt bei der Konstruktion, dass dieses Seezeichen kein Dach besitzt, da es als reines Funktionsbauwerk der Schiffsorientierung dient. Deshalb besitzt die Mauerkrone zum Schutz vor Schlagregen lediglich eine Blechabdeckung. Aufgrund dessen kann Regenwasser nicht nur auf der Außenseite ablaufen, sondern auch innen. Je nach Windrichtung können im Wechsel sämtliche Außen- und Innenseiten des Hexagons davon betroffen sein. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 145 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 26: Schäden im Oberen Bereich des Kap. Abb. 27: Massive Kalkfahnen im unteren Bereich des Kap. Weiße Ablaufspuren aus Calciumkarbonat (Calcit) im unteren Bereich (Abb. 27) zeugen von sehr viel aus dem Mörtel gelöstem Calciumhydroxid, welches an der Oberfläche durch Zutritt von Kohlendioxid aus der Luft karbonatisierte und damit von einer etwas leichter löslichen in eine schwerlösliche Verbindung überging. Die Ablaufspuren befanden sich vornehmlich auf der Innenseite des Hexagons und den Seitenflächen der Pfeiler. Außen fehlen die Ablaufspuren, da sicherlich ein Großteil wieder durch Regen noch vor der Karbonatisierung entfernt wurde. Um die Schadensursache zu klären, wurden die Wasseraufnahme vor Ort, die Feuchteparameter (tiefenabhängiger Feuchtegehalt, maximale Wasseraufnahme unter Atmosphärendruck), die quantitative Salzbelastung, die röntgendiffraktometrische Phasenzusammensetzung (XRD), polarisationsmikroskopisch und rasterelektronenmikroskopisch der Gefügeauf bau und die Mineralzusammensetzung bestimmt. In diesem Zusammenhang wurde die sekundäre Ettringitbildung und die damit einhergehende Veränderung des Gefügeauf baus als Hauptschadensursache erkannt. Bereits bei der Probenahme fielen in dem völlig durchnässten Mauermörtel interne Risse und weiße Neubildungen parallel zu den Fugenflanken im Mörtel auf, wie es Abb. 28 beispielhaft wiedergibt. In diesem Fall wurde der gelöste Läufer entfernt und dahinter die starken Veränderungen entdeckt. Abb. 28: Blick in eine Probenahmestelle im oberen Bereich des Kaps nach Entfernung des Läufers. Dahinter finden sich fugenparallele Risse und weiße Einlagerungen. Proben aus diesem Bereich, die der Röntgendiffraktometrie unterzogen wurden, ließen neben den kristallisierten Hauptbestandteilen des Mörtels die Neubildung Ettringit erkennen. Abb. 29 zeigt einen Ausschnitt aus dem Diffraktogramm aus einem Bereich, in welchem sich überlagerungsfreie Röntgenreflexe von Ettringit befanden. 146 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 29: Röntgendiffraktometrischer Nachweis von Ettringit im Mörtel des Kaps auf Norderney. Die starke interne Mörtelschädigung kommt in der Übersichtsaufnahme eines Dünnschliffes mit blau eingefärbtem Kunstharz in Abb. 30 sehr gut zum Ausdruck. Es handelt sich dabei um einen Mörtel mit einer Gesteinskörnung aus Dünensand und Zement als Hauptbindemittel. Geringe Anteile von Kalkhydrat können beigemischt sein. Bei den runden braunen Einschlüssen handelt es sich um Zementklümpchen, die sich bei der Anmischung vor Ort nicht mit der Gesteinskörnung vermengt haben. Abb. 30: Dünnschliffübersicht von Probe 3.3, eines Mörtels aus einer Lagerfuge im oberen Bereich. Lange Bildkante: 37 mm. Parallele Polarisatoren. Bereits in der Übersicht lassen sich in den Rissen Neubildungen feststellen. Diese stellt Abb. 31 exemplarisch stärker vergrößert dar. Von der unteren Rissflanke aus sind nadelige Kristalle gewachsen, die wie eine Art Filz wirken und den Riss in seiner Breite zunächst ausfüllten. Nach weiterer Rissöffnung hatte sich anscheinend die Lösungszusammensetzung des penetrierenden Wassers geändert, so dass letztlich Karbonatkristalle die nadeligen Kristalle überwachsen haben. Ob es sich zunächst um andere Mineralphasen wie z. B. Calciumhydroxid handelte und diese sich später durch CO 2 -Zutritt aus der Luft in Karbonat umwandelten oder sofort Caliumcarbonat gewachsen ist, ließ sich nicht rekonstruieren. Auch andere Prozesse unter Einbeziehung eines Teils der Treibminerale sind denkbar. Abb. 31: Detailaufnahme von einem Riss. Im unteren Bereich findet sich ein Filz aus nadeligen Kristallen und oben (weiß) im Riss Calcitkristalle in denen die Kristallnadeln sichtbar sind. Lange Bildkante: 1 mm. Parallele Polarisatoren. Ein weiteres Beispiel von einer anderen Probe soll die Vielfalt der Gefügeveränderungen verdeutlichen. Abb. 32 zeigt im unteren Bereich ebenfalls einen Riss, der weitgehend mit Ettringit-Kristallen gefüllt ist und sich erneut öffnete (obere Rissflanke). Zudem lassen sich Veränderungen feststellen, die in die Mörtelmmatrix hineinreichen. Hier finden sich rundlichen Gebilde aus fast schwarzen, nicht identifizierten Bestandteilen am Rand oder diese Bereiche durchsetzend, im Wechsel mit Ettringitkristallen. Da hier die Gesteinskörnung fehlt, werden diese Areale als ehemalige Zementklümpchen interpretiert, die sich im Laufe der Zeit unter Wassereinfluss verändert haben. Abb. 32: Weiteres Beispiel für die Gefügeveränderung und Ettringitbildung im Mörtel. Lange Bildkante: 2,5 mm. Parallele Polarisatoren. Die Untersuchung mit dem Rasterelektronenmikroskop von einem Querbruch im Bereich eines Risses ergab eine Durchsetzung des Gefüges mit den Ettringitnadeln und im Zentrum des Risses ein Überwachsen mit Calcitkristallen, wie es Abb. 33 als prägnantes Beispiel darstellt. Der Riss verläuft im Bild von links oben nach rechts unten und zeigt keine rauen Bruchkanten mehr, sondern den Karbonatbelag. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 147 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 33: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Risses, der von links oben diagonal durch das Bild nach rechts unten verläuft. Nadelige Kristalle sind unter dem Belag im zentralen Rissbereich und in den Poren bzw. der verdrängten Matrix im rechten oberen Bilddrittel erkennbar. RE-Bild. Abb. 34: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer großflächigen Umwandlung des Mörtelbindemittels. Ettringitkristalle. RE-Aufnahme. Abb. 35: Die Elementzusammensetzung belegt Ettringit. In bestimmten Arealen herrscht die Ettringitbildung im Gefüge vor, wie Abb. 34 bestätigt. Die Hauptelemente im dazu gehörenden EDX-Spektrum sind Calium (Ca), Schwefel (S), Aluminium (Al) und Sauerstoff (O). Die drei erstgenannten Elemente lassen sich durch eine ansteigende Gerade verbinden, wie es für klassische Ettringite typisch ist. Der kleine Siliciumpeak (Si) kann dem Untergrund angehören oder ist in das Kristallgitter eingebaut. Der Goldpeak (Au) resultiert aus der Besputterung. 2.4 Moderne Verblendschalen Unter Berücksichtigung der geforderten Energieeinsparung besitzen heutige Gebäude eine Verblendschale aus Ziegeln oder Klinkern mit Kerndämmung oder ein Wärmedämm-Verbundsystem mit einer keramischen Bekleidung (Klinkerriemchen), um eine Fassade in Ziegel- oder Klinkeroptik zu erzielen. Für einen Neubau mit Verblendschale stellt Abb. 36 ein typisches Beispiel dar. Abb. 36: Mehrfamilienhaus in Hamburg. Häufig lassen sich Klinker oder Ziegel nicht ohne wieteres in der Optik zweifelsfrei unterscheiden. Erst unter Zuhilfenahme des Prüfzeugnisses oder einer Prüfung der maximalen Wasseraufnahme unter Atmosphärendruck ist dies möglich. Vollziegel sind bei modernen Verblendschalen tendenziell seltener als Hochlochziegel, die zum einen preisgünstiger sind und zum anderen eine bessere Maßhaltigkeit als die meisten Vollziegel besitzen. Für Verblendschalen existieren keine Grenzwerte im Hinblick auf die maximale Wasseraufnahme, wenn es um die Beurteilung der Schlagregensicherheit geht, da davon ausgegangen wird, dass eindringendes Wasser sicher über die Rückseite nach unten ablaufen und über die Z-Folie unter Fensterbänken oder im Sockel austreten kann. Die Vermauerung der Ziegel/ Klinker erfolgt mit einem Vormauermörtel mit Fugenglattstrich oder aber mit einem separaten Fugendeckmörtel nach dem Auskratzen der Fugen im noch nicht erhärteten Zustand bis in mindestens 1,5 cm Tiefe. Das Maximum wird unter Berücksichtigung der Steindicke angegeben. Bei dem gezeigten Gebäude wurden Hochlochziegel verwendet und nach Auskratzen der Fugen und Reinigung der Fassade separat mit einem Fugenmörtel im vom Bauherrn gewünschten Farbton mit dem Fugeisen verfugt. Abb. 37 gibt einen Ausschnitt der Wandoberfläche 148 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden wieder. Die Fugen wirken augenscheinlich gut verfugt. Aufgrund einer Durchfeuchtung in einer Wohnung sollte überprüft werden, wie groß die Wasseraufnahme des Verbendmauerwerks ist. Abb. 37: Ausschnitt aus der Verblendschale. Die Verfugung scheint augenscheinlich nicht in der handwerklichen Ausführung zu beanstanden zu sein. Da die Wasseraufnahme größer als erwartet war, wurden weitergehende Untersuchungen durchgeführt. Die gleiche Herangehensweise erfolgte bei anderen Objekten. In diesem Fall wurde auch sekundärer Ettringit in geringem Umfang nachgewiesen. Ansonsten lag bei anderen untersuchten Gebäuden mit Verblendschale und Kerndämmung keine sekundäre Ettringitbildung vor. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen historischen Fassaden und den nachfolgenden Wärmedämm-Verbundsystemen trat eine Ettringitbildung also sehr selten auf. Auch wenn die Anzahl der untersuchten Gebäude sicherlich nicht repräsentativ bzw. statistisch signifikant ist, so lassen sich doch Tendenzen erkennen, die möglicherweise auf Basis der Mörtelrezepturen und deren Adaption zu einer Vermeidungsstrategie der sekundären Ettringitbildung beitragen können. Von dem Gebäude wurden aus entnommenen Sandwichbohrkernen petrographische Dünnschliffe hergestellt und untersucht. Abb. 38 gibt eine Dünnschliffübersicht wieder, mit der zur linken Bildseite weisenden Außenseite der Verblendschale. Auch wenn der Dünnschliff nicht die gesamte Unter- und Oberkante über den gesamten Querschnitt der beiden Verblendziegel zeigt, so lässt sich doch an dem oberen Stein ablesen, dass es sich um Hochlochziegel handelt. Die Lochung beginnt in ca. 2 bis 2,2 cm Tiefe. Bei dem unteren Stein handelt es sich einen halben Kopfstein. Da die Lochung von den Seitenflächen aus betrachtet in größerer Tiefe beginnt, ist sie im Dünnschliff nicht sichtbar. Abb. 38: Übersichtsaufnahme von einem petrographischen Dünnschliff aus dem Bereich einer Lagerfuge. Sehr gut lässt sich der bindemittelreichere Fugenmörtel vom bindemittelärmeren Vormauermörtel unterscheiden. Lange Bildkante: 35 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Die gleiche Übersicht, nur mit teilgekreuzten Polarisatoren, gibt Abb. 39 wieder. Darin lässt sich etwa in der Bildmitte ein hellerer Streifen feststellen. Es handelt sich dabei um die Karbonatisierung der oberen Zone des Vormauermörtels, direkt hinter dem Fugenmörtel. Abb. 39: Gleiche Dünnschliffübersicht wie in Abb. 38, aber mit teilgekreuzten Polarisatoren. Schaut man sich nur die Fugenflanken an, so ist bei stärkerer Vergrößerung sichtbar, dass das Bindemittel des Fugenmörtels nur punktuell oder gar nicht die Ziegelflanke berührt (Abb. 40). Die Poren sind also am Rand viel größer als im Mörtelquerschnitt. Obgleich noch kein Fugenflankenabriss existiert, kann aufgrund der hohen Porosität sehr viel Wasser über die Fugenflanken des Fugenmörtels zumindest bis zum Vormauermörtel gelangen und infolge der besseren CO 2 -Aufnahme in den feuchten Partien die vordere Zone des Vormauermörtels karbonatisieren. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 149 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 40: Dünnschliffbild der unteren Fugenflanke. Lange Bildkante: 2,5 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Den Übergang von dem karbonatisierten zum nicht karbonatisierten Bindemittel verdeutlicht die Detailaufnahme in Abb. 41. Die karbonatisierte Zone weist die hellbraune Interferenzfarbe von Calcit auf, während der nicht karbonatisierte Bereich fast schwarz erscheint. Abb. 41: Dünnschliffdetail. Übergang des karbonatisierten Bindemittelanteils (links) zum nicht karbonatisierten (rechts). Lange Bildkante: 1 mm. Teilgekreuzte Polarisatoren. Außenseite: links. Abb. 42: Ausschnitt aus dem Vormauermörtel hinter der karbonatisierten Zone im Dünnschliff. Lange Bildkante: 0,5 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Abb. 43: Gleicher Ausschnitt wie in Abb. 38, aber mit teilgekreuzten Polarisatoren. Im Anschluss an die karbonatisierte Zone finden sich in den großen runden Poren des Vormauermörtels randlich Säume aus nadeligen Kristallen. Teilweise füllen diese Kristalle auch die Poren aus. Abb. 42 zeigt einen Ausschnitt mit diesen Kristallen mit parallelen Polarisatoren und Abb. 43 mit teilgekreuzten Polarisatoren. Die rasterelektronische Untersuchung eines Querbruches aus diesem Bereich kombiniert mit einem EDX-Spektrum der Kristalle bestätigte die Einstufung. Die Verbreitung ist aber sehr begrenzt, wie aus der polarisationsmikroskopischem Aufnahme zu schließen ist. 2.5 Moderne Riemchenfassaden (WDVS) Viele Neubauten von Mehrfamilienhäusern erhalten auf der Außenseite ein Wärmedämm-Verbundsystem mit keramischer Bekleidung. Diese Systeme werden auch zur Altbausanierung eingesetzt wenn die Ziegeloptik erhalten werden soll. Abb. 44: Wärmedämm-Verbundsystem mit keramischer Bekleidung. Auf diesem Fassadenbereich finden sich weiße Ablaufspuren. Manche Fassaden werden aufgrund von weißen Ablaufspuren, die bereits innerhalb der Gewährleistung auftreten können, vom Bauherrn beanstandet. Fast immer handelt es sich dabei um aus dem Unterputz und Verlegemörtel in wässriger Lösung ausgetragenes Calciumhy- 150 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden droxid, welches durch Zutritt von Kohlendioxid aus der Luft karbonatisiert. Tritt dieses Merkmal auf, so sollte das labortechnische Untersuchungen nach sich ziehen. Abb. 45 gibt den Auf bau der keramischen Bekleidung an der Außenseite des Wärmedämm-Verbundsystems im Querschnitt wieder. Auf dem Dämmstoff (Polystrol) folgt der gewebearmierte Unterputz, der Verlegemörtel, die Riemchen und zwischen den Riemchen der Fugenmörtel. Dieser Auf bau lässt sich auch in der Dünnschliffübersicht nachvollziehen. Abb. 45: Keramische Bekleidung auf Polystyrol als Dämmstoff. Links: Makroskopische Aufnahme des sägerauen Querschnittes mit nach links zeigender Außenseite. Rechts Dünnschliffübersicht dieser Probe. Vor der Präparation wurde der Dämmstoff entfernt. Lange Bildkante: 92 mm. Parallele Polarisatoren. Anforderungen an Schichtdicken und die Art der Verarbeitung legt die Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung des Systems fest. Danach soll das kunststoffummantelte Glasfasergewebe zumeist im oberen Drittel des Unterputzes eingebracht werden. Mit dem Verlegemörtel müssen die Riemchen im beidseitigen Verfahren (floating-buttering) vollflächig auf dem Unterputz verklebt werden. Im vorliegenden Fall traten bereits mehrere Fehler auf. Das Gewebe lag zu tief, der zu dünne Verlegemörtel wurde nur einseitig auf dem Unterputz aufgetragen und nicht auf der Riemchenrückseite. Darüber hinaus lag auch ein beidseitiger Fugenflankenabriss des Fugenmörtels vor, wie es das Detailfoto in Abb. 46 von der unteren Riemchenflanke der horizontalen Fuge verdeutlicht. Abb. 46: Dünnschlifffoto von der unteren Fugenflanke. Der mit dem Fugeisen eingebrachte Fugenmörtel besitzt keinen Kontakt zum Riemchen. Lange Bildkante: 8,7 mm. Parallele Polarisatoren. Außenseite: links. Abb. 47: Dünnschliffbild im Fugenbereich bei gekreuzten Polarisatoren. Unter der 2 - 3 mm dicken Oberflächenzone des Fugenmörtels ist der restliche Querschnitt vollständig karbonatisiert. Linke Bildkante: 11,5 mm. Der Fugenflankenabriss führte trotz eines Fugenmörtels mit hydrophober Ausrüstung zu einer hohen Wasseraufnahme. Dies lässt sich in der Regel durch zerstörungsfreie Wasseraufnahmeprüfungen vor Ort mittels Wasseraufnahme-Prüfplatte nach Franke oder an vorsichtig entnommenen Ausbauproben im Labor nachweisen. An diesem Beispiel gab die starke Karbonatisierung des unteren Teils des Fugenmörtels, des gesamten Verlegemörtel- und Unterputzquerschnittes indirekt Auskunft über die starke Wasseraufnahme (Abb. 47). 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 151 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 48: Detail aus dem Verlegemörtel mit Ettringitkristallisation in den Poren und Gefügeschädigung durch Rissbildung. Lange Bildkante: 0,5 mm. Parallele Polarisatoren. Im Verlegemörtel sind in den runden lichtmikroskopischen sichtbaren Poren nadelige Kristalle gewachsen, bei denen es sich um Ettringit handelt. Ein Bespiel stellt Abb. 48 dar. Zudem sind Risse in dem Gefüge des Riemchenklebers aufgrund der blauen Einfärbung des Kunstharzes sichtbar. Bei teilgekreuzten Polarisatoren lässt sich der hohe Grad der Karbonatisierung feststellen (Abb. 49). Abb. 49: Gleicher Ausschnitt wie Abb. 48, aber mit teilgekreuzten Polarisatoren. Kontrollen mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM/ EDX) an diesem und anderen Gebäuden mit im Dünnschliff nadeligen Kristallen bestätigten, dass sekundärer Ettringit in den Hohlräumen und Poren wuchs und schließlich zum Umbau des Gefüges führte, wie es Abb. 50 zeigt. Abb. 50: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des Gefügeumbaus des Mörtels infolge der Ettringitbildung bei einem massiven Schadensfall. RE-Modus. Ein typisches EDX-Spektrum aus dem oben dargestellten Areal gibt Abb. 51 wieder. Abb. 51: EDX-Spektrum der nadeligen Kristalle in Abb. 50. Mit der starken sekundären Ettringitbildung im keramischen Belag von Wärmedämm-Verbundsystemen geht zumeist eine Schädigung des Gewebes im Unterputz einher. Diese kann so stark sein, dass man das vorsichtig freigelegte Gewebe mit dem Fingern leicht zerreißen kann. Das stark geschädigte Gewebe in Abb. 52 wurde im Dünnschliff bei teilgekreuzten Polarisatoren aufgenommen. Es handelt sich dabei um einen Kreuzungspunkt von Kett- und Schussfaden. Etwas heller setzt sich die Kunststoffummantelung von den Glasfasern, die im Längs- und Querschnitt vorliegen, ab. Durch die Karbonatisierung des Calciumhydroxids (Portlandit) lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie tief ursprünglich alkalische Lösungen zwischen die Glasfasern penetrieren konnten und damit die stabilisierende Funktion des Gewebes zerstörten. 152 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 52: Schnittpunkt eines Gewebestranges im Unterputz mit Zerstörung der Appretur (Ummantelung aus Kunststoff) und der Glasfasern. Lange Bildkante: 2,5 mm. Teilgekreuzte Polarisatoren. Das Detail in Abb. 53 stammt aus obiger Aufnahme und lässt im einfach polarisierten Licht den Calcit zwischen den quergeschnittenen Glasfaserbüscheln erkennen (dunkelbraun) und oberhalb davon die parallel zum oberen Bildrand ausgerichteten Fasern des anderen Stranges, deren einzelne Fasern zerbrochen sind. Abb. 53. Zerbrochene Glasfasern in dem Faserbündel, welches parallel zur oberen Bildkante ausgerichtet ist. Lange Bildkante: 1 mm. Parallele Polarisatoren. Abb. 54: Blick auf einen Kreuzungspunkt des Gewebes (horizontal: Kettfaden; vertikal: Schussfaden). An vielen Stellen fehlt bereits die Appretur. RE-Bild. Auch im Rasterelektronenmikroskop lässt sich eine Schädigung des Gewebes sehr gut nachvollziehen. Abb. 54 gibt einen Kreuzungspunkt zwischen Kett- und Schussfaden in der Aufsicht wieder. An vielen Stellen fehlt bereits die Kunststoffummantelung (Appretur). Darüber hinaus lassen sich zerbrochene Glasfasern feststellen, insbesondere an der Unterkante des in der Abbildung horizontal verlaufenden Kettfadens. Abb. 55 zeigt in einem Ausschnitt aus der Übersichtsaufnahme die beginnende Schädigung der Kunststoffummantelung. Im oberen Bereich der Fehlstelle wirkt der Kunststoff leicht wulstartig zusammengeschoben, als wenn er bereits erweicht war. Abb. 55: Detail aus Abb. 54. Rechte Seite des Schussfadens ober halb des Kettfadens. RE-Bild. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 153 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden Abb. 56: Totalverlust des geschädigten keramischen Belages infolge von Erschütterungen bei der Tiefgaragensanierung. Die Kombination aus sehr starkem Gefügeumbau des Verlegemörtels und Unterputzes in Zusammenhang mit der Ettringitbildung und der Schädigung des Gewebes kann im Extremfall zum Totalverlust der keramischen Bekleidung führen, wie bei einem Mehrfamilienhaus aus den 1970er Jahren, welches mit einem WDVS mit einem Belag aus Kermikriemchen energetisch saniert wurde (Abb. 56). Aufgrund einer festgestellten Durchfeuchtung von einer Außenwand erfolgte eine Untersuchung des Wärmedämm-Verbundsystems mit dem Resultat, dass sich in dem völlig durchnässten Querschnitt das Gefüge durch Ettringit völlig verändert und das Gewebe seine Stabilität verloren hatte. Die Empfehlung möglichst schnell den Rückbau des noch nicht einmal 5 Jahre alten WDVS vorzunehmen und einen Neuauf bau durchzuführen, wurde zunächst nicht umgesetzt, bis schließlich ein halbes Jahr später Erschütterungen durch Bauarbeiten an der Tiefgarage zum Totalverlust der keramischen Bekleidung führten. 3. Schadensprozess Grundsätzlich haben sämtliche vorgestellten Wandaufbauten, in denen eine sekundäre Ettringitbildung festgestellt wurde, eines gemeinsam und zwar besitzen sie einen hoch zementhaltigen Mörtel, dessen Erhärtung vergleichbar der von Zement im Beton ist. Der Unterschied besteht in der Art der Gefügeveränderung. Während im Beton durch die Volumenzunahme bei der sekundären Ettringitbildung ein interner Druck auf das Gefüge wirkt und sich Risse bilden, lässt sich im Mörtel ein Sekundärgefüge feststellen, in welchem viele der bei Erhärtung des Zementes entstandenen primären Phasen fehlen. Dies leitet zu der Frage über wie es überhaupt zu der sekundären Ettringitkristallisation kommen kann. Die Fugen oder Fugengrenzflächen müssen sehr viel Wasser aufnehmen, welches im Porengefüge weiter transportiert wird. Dabei kommt es zur Lösung des Portlandits (Calciumhydroxid), welches eine Löslichkeit von ca. 1,7 g/ l besitzt, ähnlich wie Gips mit 2,0 g/ l, aber sehr viel schwerer löslich ist als die üblichen wasserlöslichen Salze. Das an Calciumhydroxid gesättigte Wasser wird in den Poren oder über Fehlstellen nach unten transportiert. Bei dem nächsten Regen aufgenommenes Wasser löst erneut Calciumhydroxid bis die Lösung gesättigt ist. Auf diesem Weg erfolgt sukzessive eine Auflösung zunächst dieser Mineralphase, andere folgen. Das für die Ettringitbildung erforderliche Sulfat stammt aus dem Monosulfat und das Aluminium aus den im erhärteten Zustand vorhandenen Aluminiumphasen des hydratisierten Zementes. Aufgrund des Nachweises von Ettringit in den modernen Wärmedämm-Verbundsystemen mit keramischem Belag kann ein äußerer Sulfatangriff ausgeschlossen werden. Das Sulfat muss aus dem Monosulfat des erhärteten Zementes kommen und mit Aluminium und Calcium rekombinieren, ebenfalls aus den hydratisierten Zementphasen. Ein Großteil des Portlandits hatte sich zuvor gelöst und ist abtransportiert worden und bildet häufig weiter unten auf der Oberfläche der keramischen Bekleidung weiße Ablaufspuren. Der Austritt erfolgt häufig an der Unterkante von Lagerfugen. Das Wasser hat sich in Hohlräumen hinter den Riemchen gesammelt und wenn der hydrostatische Druck der Wassersäule ausreicht, kann es entlang der unteren Fugenflanke austreten und die Ablauffahnen bilden, die durch Zutritt von Kohlendioxid aus der Luft karbonatisieren. Bei dem keramischen Belag geht die Ettringitbildung zumeist mit der Zerstörung des Gewebes einher. Ursächlich dafür ist die hohe Alkalität der an Calciumhydroxid gesättigten wässrigen Lösung. Insbesondere auf Südwestseiten mit starkem Regenfall im Wechsel mit der stärksten Sonneneinstrahlung, wird das Gewebe nach einer Auffeuchtung des Verlegemörtels und Unterputzes hinter den Riemchen im Sommer praktisch gekocht. Oberflächen mit dunkelroten Riemchen können Oberflächentemperaturen von ca,. 70 bis 80°C erreichen. Die hohe Wasseraufnahme resultiert zumeist aus einer mangelhaften Verarbeitung, wie z. B. der nur einseitigen Verklebung der Riemchen auf dem Unterputz, keiner vollflächigen Verklebung (zu viele verbundene Hohlstellen) und einer unzureichenden Verfugung (nur in einem Arbeitsgang, anstatt in zwei Arbeitsgängen eingebrachter Fugenmörtel, zu geringer Anpressdruck, Verarbeitung über die offene Zeit hinaus). Der Fugenmörtel muss nach [13] und [14] einen Wasseraufnahmekoeffizienten von w < 0,1 kg/ (m 2 h 0,5 ) aufweisen. In Einzelfällen konnte die fehlende wasserabweisende Wirkung auf einen Materialmangel zurückgeführt werden, in der Mehrzahl auf Verarbeitungsfehler. Nach [15] muss die Wasseraufnahme bei der zerstörungsfreien Messung mit der Franke-Plat- 154 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden te gegen „0“ gehen. Weitere Möglichkeiten von zu hoher Wasseraufnahme stellen Fehler bei den Anschlüssen dar. Als Beispiel seien Fensterbänke und Feldbegrenzungsfugen genannt. Bei den historischen unter Denkmalschutz stehenden Bauwerken lassen sich nur selten noch Verarbeitungsfehler nachweisen. Zumeist erfolgte der Nachweis von Ettringit eher zufällig, insbesondere wenn sich auf den Außenseiten keine weißen Ablauffahnen abzeichnen. Der Mechanismus ist aber identisch. Entscheidend sind die hohe Wasseraufnahme über das Fugennetz und der Abtransport des an Calciumhydroxid gesättigten Wassers, so dass stets ungesättigtes Regenwasser erneut Lösungsvorgänge erzeugt. Die Zeitdauer ist wesentlich größer als bei den Wärmedämm-Verbundsystemen mit diesen Merkmalen. Erst wenn deutliche Schäden auftreten, wie im Beispiel des Seezeichens (Kap), werden solche Prozesse entdeckt. Hier spielte die besonders exponierte Lage und die suksessive sich verstärkende Wasseraufnahme eine entscheidende Rolle für den Zerstörungsprozess. Die historischen Gebäude an der norddeutschen Küste kennzeichnen hohe Salzgehalte von Natriumchlorid (Halit), welches hauptsächlich durch „seaspray“ auf die Gebäudeoberflächen gelangt und sich dort gleichermaßen über die Höhe verteilt, abhängig von der Ausrichtung des Gebäudes im Hinblick auf die Hauptwetterseite, und nicht wie bei Streusalz auf den Sockel begrenzt ist. Die Ettringitbildung kann theoretisch über die Zwischenstufe von Friedelschem Salz erfolgen, bei dem Chlorid im Kristallgitter vorhanden ist. Die gemessenen Chloridgehalte waren für diese Zwischenstufe zu gering. Sulfat wurde in sehr viel höherer Konzentration im wässrigen Auszug bestimmt. Das Sulfat korrespondiert mit Calcium, so dass von Gips auszugehen war. Auch diese Gehalte reichten nicht aus, um als Sulfatquelle für Ettringit in Frage zu kommen. Bei diesem Bauwerk, wie auch bei den andern untersuchten Objekten werden hydratisierte Zementphasen als Quelle für die Ettringitbildung angesehen. Als Motor diente der hohe Wasserdurchgang durch das Baustoffgefüge. Bei Verblendmauerwerk trat nur im Einzelfall sehr wenig Ettringit auf. Konnte dieses Treibmineral nachgewiesen werden, so war auch hier die hohe Wasseraufnahme von Bedeutung. Umgekehrt ergibt sich die Frage, warum in Verblendmauerwerk die sekundäre Ettringitbildung anscheinend in sehr viel geringerem Umfang auftritt. Die heute verwendeten Vormauermörtel besitzen Zement als alleiniges oder Hauptbindemittel, dessen Anteil aber durch Zugabe von Puzzolanen wie Trass oder Flugasche reduziert wurde. Hinzu kommt in der Regel ein Luftporenbildner, der für eine bessere Verteilung des Zementes im Mörtelgefüge sorgt. Dadurch konnte der Zementgehalt deutlich verringert werden, denn sonst würde eine unerwünschte, sehr hohe Druckfestigkeit des Mörtels entstehen. Viele Vormauermörtel erhalten an der Fugenoberfläche nur noch einen Glattstrich. Auch bei den nachträglich verfugten Verblendschalen finden in der Regel die oben beschriebenen Vormauermörtel Anwendung. Ein Problem stellt häufig die notwendige Ausräumtiefe bei der Erstellung von Verblendschalen mit Hochlochziegeln dar. Wenn die Fugen zu tief ausgeräumt werden, kann eindringendes Regenwasser sich unkontrolliert über die Lochung nach unten verteilen. Durch gerichteten Wassertransport über einen langen Zeitraum, ist auch hier die sekundäre Ettringitbildung nicht völlig auszuschließen. 4. Mögliche Maßnahmen Angefangen bei den neusten Fassadenbaustoffen, den Wärmedämm-Verbundsystemen mit keramischer Bekleidung, kann bei starker Schädigung ein Totalabriss notwendig werden. Grundsätzlich muss die Ursache für die hohe Wasseraufnahme herausgefunden werden, die zu der Ettringitbildung führte. Entspricht die Verarbeitung nicht den Vorgaben und ist der Grund für die hohe Wasseraufnahme und Durchfeuchtung bleibt zumeist auch kein andere Möglichkeit als der Rückbau und Neuauf bau. In manchen Fällen kann es möglich sein, nur die keramische Bekleidung zu entfernen und diese zu erneuern. Wird diese Vorgehensweise in Betracht gezogen, müssen zwingend Musterflächen angelegt werden, an welchen die Entfernung des der keramischen Bekleidung geprobt und das Ergebnis beurteilt wird. Wird die Dämmstoffoberfläche dabei zerstört, bleibt nur noch ein Rückbau der gesamten Dämmung. Im Einzelfall wurde unter Beteiligung des Herstellers auch nur die Westseite, also die Hauptwetterseite rückgebaut und die anderen Gebäudeseiten hydrophobiert, um die Wasseraufnahme zu unterbinden. Dies setzt voraus, dass nur geringfügige technische Mängel vorhanden sind, so dass man nach Applikation eines Hydrophobierungsmittels von einer gleich langen Lebensdauer wie bei einem intakten System, ausgehen kann. In Zusammenhang mit einer solchen Maßnahme hat es sich bewährt, eine Wasseraufnahme vor Ort zerstörungsfrei oder an unbeschädigt ausgebauten Verbundproben im Labor zu prüfen. Ein Fugenmörtelersatz an einer keramischen Bekleidung lässt sich erfahrungsgemäß nicht schadenfrei durchführen. Da die zementgebundenen Fugenmörtel in der Regel sehr hart sind, auch wenn partiell Fugenflankenabrisse vorliegen, muss die Fuge an beiden Flanken mit der Flex eingeschnitten werden, um den Fugenmörtel zu entfernen. Diese Schnitte reichen immer weider bis in den Unterputz hinein und beschädigen stellenweise auch das Gewebe. Dies stellt keine Verbesserung dar. Deshalb sollte unbedingt bei der Verarbeitung sehr genau auf die fachgerechte Verarbeitung des WDVS mit keramischer Bekleidung geachtet werden. Dies stellt die beste Möglichkeit dar Schäden zu vermeiden und im Sinne der Kosten und CO 2 -Einsparung (keine Reparaturen oder vollständige Erneuerung innerhalb der Gewährleistung oder bis zum Ende der Lebensdauer) nachhaltig zu arbeiten. Für die Ausführung des keramischen Belages sollen einige Hinwiese gegeben werden, die sich teilweise bereits aus der allgemeine bauaufsichtlichen Zulassung für diese Systeme ergeben und teilweise noch darüber hinaus 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 155 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden gehen. Grundsätzlich sind die vorgegebenen Schichtdicken einschließlich der Höhenlage des Gewebes einzuhalten. Dies gilt insbesondere auch für die Verklebung der Riemchen. Der Verlegemörtel muss beidseitig aufgetragen werden, wobei der Auftrag auf den Unterputz mit einem Kammspachtel erfolgt. Dabei hat es sich bewährt den Kleber horizontal abzuziehen. Auf diese Weise kann über die Fugen oder Fugengrenzflächen eindringendes Regenwasser hinter den Riemchen nicht unkontrolliert nach unten transportiert werden und sich am unteren Ende von Hohlräumen aufstauen (drückendes Wasser) selbst wenn nicht sämtliche Vertiefungen zwischen den Stegen bei dem Einschwimmen und Anpressen der Riemchen geschlossen werden. Dies haben einige Hersteller übernommen, aber nicht alle. Wird der Verlegemörtel weiterhin auf dem Unterputz in senkrechter Richtung aufgetragen, muss der Verlegemörtel entlang der Oberkante und Unterkante des Riemchens im Fugengrund verstrichen werden, so dass sämtliche Hohlräume verschlossen sind. Auf der Rückseite des Riemchens wird der Verlegemörtel in der Regel glatt abgezogen. Dies darf aber keine hauchdünne Schicht sein, sondern muss dick genug sein, um der „Einschwimmen“ und „Anpressen“ der Riemchen problemlos zu ermöglichen. Dabei ist darauf zu achten, welche Art von Riemchen verwendet wird. Von verblendsteinen abgesägt Scheiben lassen sich einfacher verarbeiten als Riemchen aus Spaltklinkern. Letztgenannte besitzen auf der Rückseite ein Relief, welches das „Einschwimmen“ erschwert. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass der Kleberauftrag auf der Riemchenrückseite auch vollflächig erfolgt. Häufig ist zu beobachten, dass die Randbereiche, je nach Halten des Riemchens, bei dem Kleberauftrag keinen Kleber aufweisen. Die meisten Fugenmörtel müssen in erdfeuchter bis eher leicht plastischer Konsistenz verarbeitet werden. Da in der Vergangenheit die Konsistenz teilweise falsch eingestellt wurde, geben viele Hersteller im Technischen Merkblatt einfache Methoden zur Prüfung der richtigen Konsistenz an. Grundsätzlich sollen die Fugenmörtel mit dem Fugeisen heute auch in zwei Arbeitsgängen eingebracht werden und das in einer bestimmten Abfolge. Trotz dieser sehr genauen Vorgaben wird häufig nicht darauf geachtet. Einfacher gestaltet sich eine Schlämmverfugung. Diese Mörtel weisen einen geringere Körngröße auf und füllen aufgrund der Art der Einbringung und ihrer plastischen Konsistenz auch verbliebene Hohlräume aus. Als Folge des Zeitgeistes tritt die Schlämmverfugung inzwischen in den Hintergrund, da immer mehr Bauherren sich eine Fuge wünschen, die wie im Verblendmauerwerk aussieht, mit dem Fugeisenabdruck an der Oberfläche. Weitere Fehler und Eintragswege für Wasser kann die Ausführung von Anschlüssen sein. Das betrifft einmal Feldbegrenzungsfugen im keramischen Belag, die durch Einbau von Schlaufenprofilen und nachträglicher Füllung mit einem Kompriband und abschließender elastischer Verfugung sicherer gemacht werden können. Der andere Punkt sind die Fensterbänke. Zumeist werden aus Kostengründen pulverbeschichtete Metallfensterbänke, die vor Ort auf Länge geschnitten werden, mit einfachen Bordprofilen zum Aufstecken verwendet. Dabei bleibt die hintere Ecke offen, so dass die Abdichtung unter der Fensterbank absolut wasserdicht sein muss. Dies ist häufig aber nicht der Fall. Zusätzliche Sicherheit würde man durch sogenannte Rillengleiter erhalten, die in der hinteren Ecke verschweißt sind. Die Fensterbank liegt an den Rändern auf diesen Profilen auf. Hinten sowie seitlich eindringendes Wasser wird über die Rillen nach vorn abgeführt. Bei den historischen Bauwerken und insbesondere bei Denkmälern ist anders vorzugehen, wobei zunächst der „worst case“ angesprochen werden soll. Das Kap auf Norderney wurde zurückgebaut, da aufgrund der massiven Schäden keine Restaurierung in Form eines Teilaustausches und Erneuerung der Fugennetzes erfolgversprechend erschien, um eine ausreichende Dauerhaftigkeit zu prognostizieren. Deshalb wurde vorgeschlagen, dass Kap vollständig zurückzubauen, da dies auch nicht das erste Mal in der Geschichte des Seezeichens sein würde. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens auf Wunsch der zuständigen Denkmalpflege wurde dem zugestimmt. Dabei sollte zunächst ein völlig identischer Neuauf bau mit Bockhorner Klinker erfolgen. Mit dem Wechsel des Eigentümers - das Denkmal ging in das Eigentum der Stadt Norderney über - änderte sich das Konzept. Statt eines identischen Nachbaus erfolgte der Auf bau eines Stahlbetonkerns, der von einer Verblendschale mit Luftschicht umbaut wurde. In der Verblendschale erhielten die Klinker die gleiche Anordnung wie im ursprünglichen Baukörper. Es handelt sich nunmehr um eine Rekonstruktion. Vorgabe für den verwendeten Mörtel war Kompositzement, um den Zementanteil und damit den Gipsgehalt als Erstarrungsverzögerer reduzieren zu können. Bei den anderen historischen Bauwerken, in denen sekundär gebildeter Ettringit nachgewiesen wurde, erfolgte eine Fugenmörtelerneuerung. Für die Bauwerke mit einem Vormauerwerk aus Lochverblendziegeln eignet sich am besten eine Schlämmverfugung. Da der Bestandsmörtel am dargestellten Beispiel nicht nur Fehlstellen aufwies, sondern auch absandete, wurde der Fugenmörtel bis in eine Tiefe von wenigen mm (4 - 6 mm angestrebt) vorsichtig entfernt ohne die Ziegelflanken zu beschädigen. Dabei wurden weitere Fehlstellen, insbesondere im Bereich der Stoßfugen freigelegt. Diese wurden zunächst fachgerecht verschlossen (möglich mit Kartuschenmörtel). Anschließend erfolgte die Schlämmverfugung. Die vorherige und nachträgliche Hydrophobierung bei diesem System musste weggelassen werden, da es sich um ein Denkmal handelt. Die Ziegeloberfläche ist ausreichend glatt, um die auf den Ziegel noch vorhandenen Schlämmereste vollständig zu entfernen, ohne das ein Grauschleier zurückbleibt. Anders verhält es sich mit den dunkelroten Klinkern. Eine Fugenschlämme lässt sich in der Regel nicht rückstandslos von den relativ rauen Oberflächen abwaschen. Deshalb müssen die Fugen ausgeräumt und durch geeigneten Fugenmörtel in Kellenverfugung ersetzt wer- 156 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Sekundäre Ettringitbildung in historischem Ziegelmauerwerk bis hin zu modernen Riemchenfassaden den. Auch hier sind Fehlstellen im Fugengrund zunächst vorher zu verfüllen. Ggf. ist dabei eine Nachbehandlung nötig, um ein Auf brennen zu verhindern. Dieser Mörtel darf zwischen Altbestand und neuer Verfugung nicht als Trennlage dienen, sondern muss mit beiden einen festen Verbund eingehen. Der Fugenmörtel bildet zusammen mit den Klinkern den Schlagregenschutz. Dahinter befinden sich hochporöse, schlechter vermauerte Ziegel. Deshalb muss der Fugenmörtel von seiner Siebline so abgestimmt sein, dass ein möglichst dichtes, wenig poröses Gefüge entsteht. Da der Fugenmörtel, auch wenn es sich um eine hochzementhaltigen Mörtel handelt, nach bisherigem Kenntnisstand nicht durch Austrag und Verfrachtung gelöster Bestandteile zur Ettringitbildung beitrug, kann ein Kompositzement verwendet werden, muss aber nicht. Wichtig ist die Vergütung des Fugenmörtels, damit zusätzlich zur mechanischen Verkrallung an den Fugenflanken auch eine Verklebung erfolgt. Bei diesem Bauwerk ist die Instandsetzung noch nicht abgeschlossen. Im nächsten Schritt werden Musterflächen mit verschiedenen kommerziell erhältlichen Werktrockenmörteln angelegt. Obgleich in Norddeutschland sehr viele Bauwerke mit diesen Klinkern in den 1920er und 1930er Jahren ausgeführt wurden, existieren bisher keine optimal dafür geeigneten Instandsetzungsmörtel, die auf die geringe Wasseraufnahme der Steine und der Herstellung eines optimalen Verbundes zur Gewährleistung der Schlagregensicherheit ausgerichtet sind, ohne Zusatz eines Hydrophobierungsmittels. Literatur [1] Stark, J., Wicht, B.: Dauerhaftigkeit von Beton. Birkhäuser Verlag 2001, 340 S. [2] Eckart, A., Nehring, C., Romstedt, H.: Kurzer Abriss zu Schadensmechanismen im gipshaltigen Mauerwerk., WTA Schriftenreihe, H. 30, Gipsmörtel im historischen Mauerwerk und an Fassaden, 2008, S. 45 - 58. [3] Zier, H.-W.: Nachweis von Ursachen für Schäden im Mauerwerk mit gipshaltigen Mörteln nach Sanierungen mit hydraulischen Bindemitteln. WTA Schriftenreihe, H. 30, Gipsmörtel im historischen Mauerwerk und an Fassaden, 2008, S. 59 - 84. [4] Schlütter, F.: Materialunverträglichkeiten in gipshaltigem Mauerwerk - Schadensursachen, Nachweis von Treibmineralbildungen, Umgang mit treibmineralgeschädigtem Mauerwerk. Beiträge zur Denkmalpflege in Schleswig-Holstein 5, Kirchen aus Gips - Die Wiederentdeckung einer mittelalterlichen Bauweise in Holstein, 2017, S.268 - 289. [5] Sobott, R., Meinhardt-Degen, J.: Chemisch-Mineralogische Untersuchungen an Mörtelproben im Rahmen des Turmrückbaus der Kirche St. Nikolai in Eilenstedt. WTA Schriftenreihe, H. 30, Gipsmörtel im historischen Mauerwerk und an Fassaden, 2008, S. 85 - 98. [6] Dreuse, H., Zier, H.-W.: Sanierungsmöglichkeiten mit sulfathaltigem Material. IFS Bericht 35/ 2010, Instandhaltung gipshaltigen Mauerwerks, S. 57 - 62 [7] Gladigau, J.: Angepasste statische Sicherungssysteme für historische Gipsbauten - Trockenverankerungen. Beiträge zur Denkmalpflege in Schleswig-Holstein 5, Kirchen aus Gips - Die Wiederentdeckung einer mittelalterlichen Bauweise in Holstein, 2017, S. 349 - 356. [8] Stark, J., Wicht, B.: Zement und Kalk. Birkhäuser Verlag 2000, 376 S. [9] Locher, F. W.: Zement. Grundlagen der Herstellung und Verwendung. VBT Verlag, 2000, 522 S. [10] Neumann, H.-H.: Praxis-Handbuch Wärmedämm- Verbundsysteme - Baustoffkunde, Verarbeitng, Schäden, Sanierung, Rudolf Müller Verlag, 2009, 463 S. [11] Bender, W.: Lexikon der Ziegel. Bauverlag, 1995, 484 S. [12] Neumann, H.-H.: Schäden und Instandsetzungsmöglichkeiten an Bauwerken aus Lochverblendziegeln. Technische Akademie Esslingen, Tagungshandbuch 2015, S. 21 - 44 [13] Himburg, S. (2004): Keramische Beläge und Bekleidungen. - 48 - 82. Bauphysik-Kalender, Ernst & Sohn [14] Marx, H. G.; Himburg, S. (2011): Schäden an Belägen und Bekleidungen aus Keramik, Natur- und Betonwerkstein. - Schadenfreies Bauen 25, 380 S., Fraunhofer IRB-Verlag [15] Franke, L., Deckelmann, G., Stehr, H., Espinosa, R. M. (2000): Schlagregenschutz und hygrisches Verhalten von Wärmedämmverbundsystemen mit Deckschichten aus baukeramischen Platten. - Bauphysik der Außenwände, Schlußbericht, DFG-Forschungsschwerpunktprogramm, IRB-Verlag 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 157 Hochwasserbelastung: Baustoffspezifische Beanspruchungsmechanismen infolge einer Feuchteaufnahme und Feuchteabgabe Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro/ Technische Hochschule Köln- Prof. Dr.-Ing. Rudolf Hoscheid Pascale Dominik, M. Sc. Alisha Christina Lani Abram, Cand. B. Eng. Pascal Michaelis, Cand. B. Eng. Jakob Fahnenbruck, Cand. B. Eng. Technische Hochschule Köln- Im denkmalpflegerischen Bereich und allgemein beim Bauen im Bestand sowie insbesondere bei denkmalwürdigen bzw. denkmalgeschützten Gebäuden ist eine Hochwasserbelastung auf die historischen Baustoffe vielfach anders zu beurteilen als bei Neubauten. Oft wurden, anders als an Neubauten auch regionale Baustoffe verbaut. Zudem unterscheiden sich die Bautechniken von historischen Bauwerken meist deutlich von den neuzeitlichen Bauwerken und besitzen somit auch eine kulturhistorische Bedeutung. Darüber hinaus ist es bedeutsam, dass der Abriss und ein anschließender Neubau von Gebäuden kaum mit dem Nachhaltigkeitsgedanken vereinbar sind. Manchmal ist jedoch ein Abriss aus tragsicherheits- und umweltbedingten, finanziellen oder hygienischen Gründen unvermeidbar. Dabei besteht zunehmend der Eindruck, dass diese Gründe vorgeschoben werden. Unsere derzeitigen, oft nicht auf Bestandsbauten abgestimmten und komplizierten, sich teilweise widersprechenden Regelwerke mit den entsprechenden Verwaltungsvorschriften liefern dabei eine Hilfe zum Abriss von diesen kulturhistorisch bedeutenden Bauwerken. Ziel der Forschungsaktivitäten zu dieser Thematik ist es, am Bauwerk unter Praxissowie Laborbedingungen zu untersuchen, wie die Wirkung einer Hochwasserbelastung u.-a. auf historische Mauerwerksbaustoffe in Hinblick auf die Baustoffeigenschaften und eine Instandsetzungsplanung ist. Im Rahmen von forschungsbasierten und praxisorientierten Arbeiten u.-a. von verschiedenen Studierenden, die in einem Team zusammenarbeiten, wurden unter Betreuung von Herrn Prof.-Dipl.-Ing. A. Dominik und Herrn Prof. Dr.-Ing. R. Hoscheid Untersuchungen u.-a. zu folgenden Fragestellungen sowohl an Bauwerken im Ahrtal und der Eifel als auch unter Laborbedingungen an Mauerwerksbaustoffen durchgeführt: - Wie ist das Feuchteaufnahmeverhalten von verschiedenen Mauerwerksbaustoffen? - Welche Eigenschaftsveränderungen ergeben sich bei verschiedenen Baustoffen in Abhängigkeit vom Durchfeuchtungsgrad sowie einer Heizölbelastung (z.-B. bei Stein- und Mörtel im Verbund bei der Druckfestigkeit)? - Wie ist das Feuchteabgabeverhalten von verschiedenen Baustoffen zu beurteilen (u.-a. hinsichtlich Dauer von Mörteln und Steinen und ihren Formänderungen)? - Welche Veränderungen der Feuchte- und Temperaturverhältnisse stellen sich in einem Mauerwerksquerschnitt in Abhängigkeit von der Feuchteabgabe unter Berücksichtigung verschiedener Entfeuchtungsverfahren und unterschiedlicher Putzaufbauten auf den Wänden ein? - Wie ist das Feuchteaufnahme- und Feuchteabgabeverhalten aus einem Mauerziegelmauerwerk beim Vorhandensein bzw. der nachträglichen Applikation von verschiedenen Putzsystemen? Welche Wirkung haben dabei z.-B. sogenannte „Entfeuchtungsputze“? - Wie ist die Wirkung von Heizöl bzw. eines Heizölwassergemischs oder eines Öleintrags nach einem vorherigen Wassereintrag auf das Aufnahmeverhalten der Baustoffe? - Wie verändern sich die verschiedenen Baustoffeigenschaften evtl. auch in Abhängigkeit von verschiedenen Entfeuchtungsmaßnahmen in Abhängigkeit von der Zeit? - Wie wirken sich die zuvor beschriebenen Prozesse auf die Festigkeitseigenschaften der Mauerwerksbaustoffe aus? - Welche Instandsetzungs- und Vorsorgemaßnahmen sind unter Berücksichtigung eines erneuten Hochwasserereignisses sinnvoll? 158 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Hochwasserbelastung: Baustoffspezifische Beanspruchungsmechanismen infolge einer Feuchteaufnahme und Feuchteabgabe Die Untersuchungsergebnisse der ersten Untersuchungen, ermittelt am Bauwerk und im Labor zeigen deutlich, dass die Planung sowohl von Entfeuchtungsverfahren als auch von nachträglichen Instandsetzungsmaßnahmen mit Blick auf eine evtl. erneute Hochwasserbelastung nicht überstürzt stattfinden dürfen. Bei diesen Maßnahmen müssen darüber hinaus immer die Naturgesetze im Auge gehalten werden. Die Art der Entfeuchtungsmaßnahmen müssen in ihrer Wirkungsart individuell auf Belastungsintensität und -art sowie auf die vorhandenen Baustoffe und die Baukonstruktion abgestimmt werden. Werden sie nicht beachtet, können sie sowohl auf die Feuchtegehaltssituation hinsichtlich möglicher Spannungszustände als auch auf die Baustoffeigenschaften einen deutlichen Einfluss haben und somit die Tragfähigkeit eines Bauteils und die Hygieneverhältnisse beeinflussen. Die Voruntersuchungen zur Heizölbelastung zeigen neben den Einflüssen auf die Hygiene auch einen direkten Einfluss auf die Baustoffeigenschaften hinsichtlich der Verträglichkeit sowie in Hinblick auf die Tragsicherheit. Sie zeigen zudem einen indirekten Einfluss in Abhängigkeit von der Art der Entfeuchtungsmaßnahmen auf bestimmte Baustoffe. Eine ausführliche Darstellung der Voruntersuchungsergebnisse zu dem Thema konnte aus persönlichen Gründen nicht erfolgen. Dies wird im Rahmen einer entsprechenden Veröffentlichung nachgeholt. Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro | Bornheim-Merten, TH Köln Restaurator im Maurerhandwerk, Beratender Ingenieur der IK-Bau NRW Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule Köln in den Fachbereichen: Bauen im Bestand, Baustofflehre, Schutz und Instandsetzung Prof. Dr.-Ing. Rudolf Hoscheid TH Köln, KIBT-Köln Studierende der Bachelorarbeiten Alisha Christina Lani Abram Jakob Fahnenbruck Pascal Michaelis Betreuer: Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik Prof. Dr.-Ing. Rudolf Hoscheid Technische Hochschule Köln, Fak. 06 - Bauingenieurwesen Pascale Dominik (M. Sc.) Dominik Ingenieurbüro | Bornheim-Merten Bilder 1 und 2: Hochwassergeschädigte denkmalgeschützte Bauwerke im Ahrtal 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 159 Historische Fachwerkbauten Erhaltung, Nutzung und Gestaltung zur Revitalisierung von Stadt- und Ortskernen Dipl.-Ing. Kurt Christian Ehinger Fachwerkscheune Waiblingen Mittlere Sackgasse Nr.6 Fachwerkbau Gasthaus Schwanen Nehren Hauptstraße Zusammenfassung: Historische Fachwerkbauten: Erhaltung, Nutzung und Gestaltung zur Revitalisierung von Stadt- und Ortskernen Beispiele: 1. Fachwerkscheune Waiblingen Mittlere Sackgasse Nr.6 2. Fachwerkbau Gasthaus Schwanen Nehren Hauptstraße zu 1. Waiblingen Fachwerkscheune Mittlere Sackgasse Nr.6: Die Renovierung des Gebäudes Fachwerkscheune Mittlere Sackgasse Nr.6 in Waiblingen ist ein Beispiel der Stadtsanierung von Waiblingen, die seit den siebziger Jahren des 20.Jh. in Waiblingen zur Revitalisierung der historischen Altstadt durchgeführt wurde. Auf bauend auf einer Bestandsaufnahme der historischen Altstadt, einem städtebaulichen Wettbewerb 1974 und einem Maßnahmeplan zur Stadtsanierung in den folgenden Jahren, der als eine wesentliche Zielsetzung die Erhaltung der historischen Bausubstanz formulierte, wurde dann mit der Sanierung der historischen Bauten ab 1980 unter Erhaltung des historischen Bestandes begonnen. Die Zielsetzung war die Erhaltung der historischen Gesamtanlage der Altstadt von Waiblingen und die erhaltende Erneuerung der historischen Einzelgebäude. Dies betraf sowohl öffentliche als auch private Bauten, die als Kulturdenkmale von besonderer und allgemeiner Bedeutung ausgewiesen waren. Damit sollte die historische Identität der Altstadt von Waiblingen und deren Revitalisierung als Zentrum wieder hergestellt werden. Ausgangspunkt war der Kern der historischen Altstadt, der nach dem Stadtbrand von 1634, bei dem dieser Stadtkern vollständig zerstört wurde und dann ab ca.1650 in mehreren Bauepochen, zuerst als Fachwerkstadt und ca. 100 Jahre später als Stadt mit verputzten Gebäuden wiederaufgebaut wurde. 160 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historische Fachwerkbauten Waiblingen Lange Straße um 1980: Gebäudeensemble mit verputzten Fassaden und einer der ersten Freilegungen in der Lange Straße 14 (Gebäudezeile letztes Haus auf der rechten Seite) Sanierung Gebäude Mittlere Sackgasse Nr.6: Die Besonderheit dieser Sanierung liegt nun darin, dass sie in der Hauptsache von privater Hand geplant und durchgeführt wurde. Diese Sanierungsmaßnahme ist auch deswegen beispielhaft, da sie besonders durch das private Engagement der jetzigen Eigentümerin veranlasst und geprägt wurde. Die Gebäudeeigentümerin war bereits Ende der neunziger Jahre mit einer ersten Sanierungsmaßnahme eines Gebäudes in der benachbarten Lange Straße 20 befasst, das unmittelbar mit dem Gebäude Mittlere Sackgasse Nr.6 als Gesamtensemble bestanden hat (ehemalige Pferde-Metzgerei). Zeitliche Abfolge der Sanierungen: Teil 1: Das Gebäude Lange Straße 20 war das Hauptgebäude und bestand aus einem Erdgeschoss mit einer Ladennutzung und einem darüber liegenden Wohngeschoss. Genutzt wurde das Gesamtensemble bis zum Zeitpunkt der Sanierung als Pferde-Metzgerei mit dahinterliegender Pferdescheune. Bei einer ersten erfolgten Renovierung des Gebäudes, um 1986, wurde das Fachwerk der Gebäudefassade noch von dem früheren Eigentümer freigelegt. Der historische Befund auf der äußeren Fassade wies für dieses Gebäude einen ockerfarbenen Fachwerkbefund mit einer kassettenartigen Ausmalung der Fachwerkfelder vor, der dann auch Grundlage für die weitere Gestaltung der Fassade wurde. Bei den restauratorischen Untersuchungen der Innenräume konnten im Obergeschoss rot bemalte Fachwerkwände mit Bandelierungen entlang der Fachwerkbalken und Blumenmotive entdeckt werden, die dann gesichert und erhalten wurden. Diese Befunde zeigten in der Zeit bis 1987 die typischen Bemalungen für die Waiblinger Fachwerkbauten. Nach dem Eigentumswechsel Ende der neunziger Jahre und der Aufgabe der bestehenden Nutzung wurde das Gebäude Lange Straße 20 als Ladenfläche im Erdgeschoss weiter genutzt, in den oberen Geschossen erfolgte eine Wohnnutzung. Die Baugenehmigungen erfolgten im Jahr 2000. Lange Straße 20 Gestaltung nach historischem Befund mit kassettenartiger Ausmalung der Putzfelder und bereits neuer Nutzung der Ladenfläche 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 161 Historische Fachwerkbauten Zeitliche Abfolge der Sanierungen: Teil 2: Mittlere Sackgasse Nr.6 Der restliche Gebäudebestand des Gebäudeensembles mit der dahinter liegenden Scheune Mittlere Sackgasse Nr.6 einschl. des dazwischen liegenden Hof bereiches wurden nach Aufgabe der Pferde-Metzgerei zunächst durch die Stadt Waiblingen als Eigentum übernommen und dann erst einige Jahre später einer weiteren Nutzung unterzogen. Ein Waiblinger Ladenbesitzer investierte kurzfristig in ein Möbellager mit Möbelverkauf (Holzforum). Zwischenzeitlich wurden aufgrund der immer schlechter werdenden Gebäudesubstanz im Erdgeschoss neue Fenster und ein neues Eingangstor eingebaut. Die Stadt Waiblingen investierte in ein bauhistorisches Gutachten zum Gebäudebestand im Hinblick auf weitere Nutzungsüberlegungen. Beauftragt wurde das Bauforschungsbüro Lohrum und Partner in Ettenheimmünster. Gebäudezustand vor dem Umbau zum Hochzeitsladen mit Zwischennutzung als „Holzforum“ (Verkauf von Holzmöbeln) Nach 2000 wurde die Zwischennutzung als Möbelverkauf aufgegeben. Jahre später zwischen 2004-2006 erfolgte dann der Antrag auf Kauf der Pferdescheune verbunden mit neuen Nutzungsmöglichkeiten durch die heutige Eigentümerin. Geplant wurde ab 2006 ein neues Ladengeschäft mit einem Brautmodenverkauf, in den Obergeschossen eine Schneiderei und Näherei sowie verschiedene Lagerräume. Im vorhandenen Gewölbekeller wurde ein neuer nutzbarer Raum für besondere Zwecke, heute ein nutzbares Standesamt, geplant. Der Umbau und die erforderliche Sanierung der Scheune erfolgten nach 2006, die Baugenehmigung erfolgte 2006, 2007 und 2008 (nach aktueller Entwicklung). Außenwände blieben erhalten und erhielten zum Teil neue Ausfachungen. Fachwerk- und konstruktive Holzbauteile wurden überarbeitet, soweit möglich erhalten, schadhafte Teile ausgetauscht, fehlende konstruktive Elemente, wie Aussteifungen, Büge, Balkenverbindungen, etc., wurden ausgetauscht, oder punktuell ergänzt. Geschossebenen und Zwischengeschosse wurden in die Nutzungsflächen einbezogen und mit Zwischentreppen verbunden, so dass spannende Raumfolgen entstanden und die Hauptnutzflächen ergänzten. Auf der Südseite wurde eine neue Fluchttreppe, aus Gründen des Brandschutzes erforderlich, gebaut. Der Gewölbekeller wurde freigeräumt, die Kellertreppe saniert, und die weitere Nutzung des Gebäudes als Trauzimmer und als Raum für Sondernutzungen ausgebaut. Der historische Gewölbekeller mit neuem Trauzimmer steht seither auch für öffentliche Trauungen zur Verfügung. Gastronomische Nutzungen jedweder Form (Partykeller/ Vortragsveranstaltungen/ Fortbildungen) sind möglich, auch außerhalb der Ladennutzung im Erdgeschoss. 162 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historische Fachwerkbauten Fachwerkscheune nach Umnutzung und Umbau zum Hochzeitshaus mit verputzter Nordwestfassade und barocker Südfassade in Fachwerkbauweise mit Schmuckelementen. Der Fenstererker im Obergeschoss konnte nicht nachgewiesen werden. Ausgebautes Dachgeschoss mit neuer Dachgaube für besondere Nutzungen. Gebäudeecke im Südwestbereich in Höhe des Torsturzes mit historischem Neidkopf als Gebäudeschmuck Planung: Architekturbüro Günter Ostertag 73614 Schorndorf Silcherstraße 37 zu 2. Fachwerkgebäude Gasthaus Schwanen Nehren Hauptstraße Die Renovierung des Fachwerkgebäudes Gasthaus Schwanen in Nehren ist für die Ortschaft Nehren ein Beispiel der Sanierung, das man ohne zu übertreiben als ein Jahrhundertereignis bezeichnen kann und zugleich als eine Maßnahme für die dortige Bevölkerung, das die Gemeinschaft im ländlichen Ort zu ungeheuerlichen Leistungen, Anstrengungen, positive Ideen jedweder Art angeregt und letztendlich zu einem nicht mehr steigerungsfähigem Ergebnis, zur Rettung einer ehemaligen Gaststätte mit deren weiterer Nutzung geführt hat. Wer diese von mir getroffene Einschätzung in Frage stellen möchte, dem empfehle ich die Festschrift, oder einfacher gesagt, das Buch Das Gasthaus bleibt im Dorf Der Schwanen verleiht Flügel Zur Geschichte und Gegenwart des Schwanen in Nehren Gemeinde Nehren Geschichte der Gemeinde Nehren: Um 1100-15.Jh. Erstmalige namentliche Erwähnung der Ortsteile Hauchlingen ehemaliges Kirchdorf und des Ortes Nehren, kirchlich zu Ofterdingen, 15.Jh. Nehren entwickelt sich auf Hauchlingen zu 1504 Loslösung von Ofterdingen, zusammenwachsen der beiden Ortsteile Ursprünglich zwei Siedlungskerne Rathaus als neuer Mittelpunkt in der Hauptstraße Hauptstraße und Hauchlinger Straße als Hauptachse mit den alten Dorfkernen am Ende 17.-18.Jh. Gebäudebestand mit zweigeschossigen Bauten in Fachwerkbauweise mit Zier- und Sichtfachwerk Gebäudegruppen als Gehöfte, bestehend aus Wohnhaus, Scheune und Schuppen in Verbindung mit den Nachbargehöften entstehen dadurch dreiseitig geschlossene Höfe Fachwerkgebäude mit Steildächern als Satteldächer, teilweise mit Halb- und Viertelswalm Giebelbereiche mit Wetterdächern (Klebdächer? ), als Regenschutz, analog zu Mittelbaden Bebauung zum Ortsrand mit traufständigen Scheunen 14.05.2003Ausweisung als Gesamtanlage nach § 19 DSchG Baden-Württemberg Hauptstraße mit giebelständigen Fachwerkbauten Geschichte der Gaststätte Schwanen, Hauptstraße, Nehren: 1698 Neubau des Gebäudes Gaststätte Schwanen Hauptstraße, frühere Baubefunde von Vorgängerbauten wurden während der Sanierungsmaßnahmen entdeckt (Fachwerkbau auf Steinschwellen des 14.Jh.? ) (! 5.Jh. Fachwerkbau niedergelegt, Neubau als Fachwerk? ) Nutzung als Gaststätte? Renovierung, Umbau, Neuordnung der Grundrisse, Statische Verstärkung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 163 Historische Fachwerkbauten 1764 Nachbargebäude an der Hauptstraße, „Rotkreuzhäusle“ (heute Teil der Sanierungsmaßnahme) Abbruch und Wiederauf bau, weitestgehend nach historischem Vorbild 19.-21.Jh. Nutzung als Gaststätte, Zentraler Bereich des Dorfes Nehren für Feste, Hochzeiten, Versammlungen, Bürgeraktionen, Wahlveranstaltungen 1992 Sanierungsmaßnahmen zur Erhaltung der historischen Bausubstanz (ca. 400.000 DM) Wechselhafter Betrieb der Gaststätte 1992-2005 2005-2009 2009-2010, weitere Sanierungsmaßnahmen 2010-2012, danach Leerstand bis 2014, danach Aktionen zur Wiederbelebung und weiteren Nutzung 2014 Gründung eines Kultur- und Fördervereins Initiatorenkreis „Wir für Nehren“: Ausstellungen, Künstler, Handwerker, Kaffee- und Kuchen-Nachmittage, Cocktail-Abende, Wahlveranstaltungen 2012 Gemeinderat mit der Zielsetzung das „Kulturdenkmal Schwanen“ zu erhalten Pflichtaufgabe der Gemeinde, Wirtschaft als „Seele des Ortes“ Prüfung verschiedener Möglichkeiten: - nichts zu machen (wurde ausgeschieden) - Sanierung durch die Gemeinde mit Fördermitteln - Investoren zum Verkauf - Genossenschaft gründen, Kauf des Schwanens von der Gemeinde, Betreibung in eigener Regie (Gründung eines Initiatorenkreises) 2012-2014 Nach ca. zweijähriger Planungsphase mit Aktionen wie z.B. die „Schwanen-Abende“ wurde dann im Gemeinderat beschlossen, als Betreiber eine Genossenschaft zu gründen. Zwischenphase mit Machbarkeitsstudie durch ein Stuttgarter Planungsbüro mit dem Ergebnis, dass der Schwanen nach einem Umbau nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. 2014 Beschluss des Gemeinderats zur Gründung einer Genossenschaft Seit 2016 rechtskräftig eingetragen beim Registergericht/ Amtsgericht Stuttgart Drei Vorstände Anteile an der Genossenschaft zum Kauf durch die Bürger 2014 Bildung einer Baugruppe durch den Initiatorenkreis, mit zahlreichen Fachleuten der verschiedensten Disziplinen (Hotel- und Gaststättengewerbe, Gastronomen aus der Nachbarschaft, Hotelfachwirt, Kreisbrandmeister, u. a. Brandschutzkonzept) und mit dem Architektourbüro Architekten Andreas Hartmaier und Partner Freier Architekt Münzingen Baukostenschätzung ca. 2,5 Mio. Euro Finanzierung der Baukosten zum Teil über Landessanierungsprogramm, ca. 50 % 2014-2017 Sanierung und Umbau des Schwanen Neubau (Anbau) eines Gebäudes an den Schwanen Abbau und Rekonstruktion (Wiederauf bau) des „Rotkreuzhäusles“ Konzeption des Architekten zum Gasthaus Schwanen Nehren Erdgeschoss-Grundriss aus Buch Das Gasthaus bleibt im Dorf Der Schwanen verleiht Flügel, Seite 46 Hauptgebäude Umbau des Schwanens 2014-2017 mit Gaststube für ca. 100 Sitzplätze, Theke, Küche und Anrichte Obergeschoss mit vier Doppelzimmern und Bad Dachgeschoss mit Personalräumen Altgebäude mit statischer Umverteilung der Lasten durch Einbau von Stahlträgern, erdbebensicher abgestützt Gasthaus Schwanen und „Rotkreuzhäusle“ Ansicht von der Hauptstraße 164 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historische Fachwerkbauten Anbau an das Gasthaus Schwanen auf der Rückseite mit Freiflächen zum Rathaus, Biergarten Lager- und Kühlräume Toiletten-Anlage Dachgeschoss mit Personal- und Lagerräume und Platz zwischen Rathaus und Gasthaus mit separater Catering-Küche für Biergarten auf dem Rathausplatz Platz zwischen Rathaus und Gasthaus mit separater Catering-Küche für Biergarten auf dem Rathausplatz Nachbargebäude „Rotkreuzhäusle“ Durchgang zum Saal des Rotkreuzhäusles und der Gaststube, Absenkung des Bodens um 1,5 m Saal mit 90 qm für ca. 90 Sitzplätze Abbruch und Rekonstruktion mit Erneuerung des alten Fachwerkgebälks Untergeschoss mit Archiv Alter Zustand des „Rotkreuzhäusles“, vor dem Abbruch Foto aus dem Buch „Das Gasthaus bleibt im Dorf“, S.51 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 165 Historische Fachwerkbauten Bauablauf der Sanierungsmaßnahmen 2015-2017 Baugruppen von Helfern an den Wochenenden mit Werkzeugen und Eimern Nehrener Bürger und auch Auswärtige „Bauhelfer-Samstage“ mit sachkundiger Bauleitung durch Handwerksmeister 2015 Abbrucharbeiten beim „Rotkreuzhäusle“, Bauschutteimerketten, Abbruch mit Zustimmung des Landesdenkmalamtes Abschiedsfest (für das Rotkreuzhäusle) am 02.02.2015 durch die Nehrener Bürger Foto Seite 53 Möbel wurden zerlegt, Installations-Gegenstände abgebrochen und entsorgt, Böden entfernt, Dach abgedeckt, Zusammenfassend: ca. 50 große Baucontainer mit ca. 200 Tonnen Bauschutt, ca. 2.000 Arbeitsstunden plus Einsatz von Baufirmen unentgeltlich für Gerüstbauten, Bauzäune, Baugeräte-Einsatz wie z.B. Bagger Helfer mit Versorgungs- und Verpflegungsaufgaben 2016 Richtfest 14.10.2016 2017 Eröffnung Anfang Oktober 2017 Gasthaus Schwanen Nehren, neuer Gastraum Literaturverzeichnis und Dank: [1] Geiger, Edeltrud, Ortskernatlas Baden-Württemberg Stadt Waiblingen, 1.6 Landesamt Baden- Württemberg und Landesvermessungsamt Baden- Württemberg, S. 26, 1987 [2] Ingenieurbüro Lohrum, Burghard und Bleyer, Ettenheimmünster, Bauforschung und Bauaufnahme, Mittlere Sackgasse 6, 1995, Lange Straße 20 und Mittlere Sackgasse 6: [3] Frau Tabea Kaiser, Mittlere Sackgasse 4-6, Herzlichen Dank für die Zustimmung, das o.a. Projekt im Rahmen eines Vortrags bei der TAE Esslingen am 25.02.2023 vorstellen zu können. [4] Herrn Architekt i.R., Günter Ostertag, 73641 Schorndorf, Silcherstraße 37 und [5] Herrn Architekt i.R., Klaus Friederichsen, 70192 Stuttgart, Menzelstr. 62 Danke an die beiden Architekturbüros für die freundliche Zustimmung zur Vorstellung des Projekts im Rahmen eines Vortrages im Seminar der TAE Esslingen am 25.02.2023. Gasthof Schwanen in Nehren: [6] Architekturbüro Andreas Hartmaier und Partner Freier Architekt Münzingen Herzlichen Dank für die Informationen und die Bereitstellung von Planunterlagen und Fotos zum Bestand des Gebäudes, (u.a. auf Seite 46 des Buches Das Gasthaus bleibt im Dorf, Der Schwanen verleiht Flügel, der Gemeinde Nehren) Danke auch für Ihre Zustimmung zum Vortrag und zur inhaltlichen Verwertung Ihres Projektes Gasthaus Schwanen in Nehren im Rahmen eines Vortrags bei der Technischen Akademie Esslingen. [7] Herrn Bürgermeister Egon Betz Gemeinde Nehren Herzlichen Dank für die vielen Informationen zum Sanierungsprojekt Gasthaus Schwanen in Nehren. Danke auch für die zur Verfügungstellung und zur inhaltlichen Auswertung und Verwendung des Buches „Das Gasthaus bleibt im Dorf, Der Schwanen verleiht Flügel“ der Gemeinde Nehren, im Rahmen eines Vortrages im Seminar der TAE Esslingen am 25.02.2023 [8] Fotos aus dem Buch „Das Gasthaus bleibt im Dorf“, S. 46, S.51 und S.53 mit freundlicher Genehmigung von Herrn Bürgermeister Betz und Herrn Architekt Andreas Hartmaier [9] Ehinger, Kurt Christian Fachwerkbau im süddeutschen Raum in Schöne Fachwerkstädte in Baden-Württemberg, 2010 Staatsanzeiger Verlag [10] Abbildungen: (10.1) Betz, Egon, Abbildungen aus dem Buch „Das Gasthaus bleibt im Dorf“ (10.2) Hartmaier Andreas, Abbildungen aus dem Buch „Das Gasthaus bleibt im Dorf“ (10.3) Ehinger, Kurt Christian, Fotos 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 167 Gerüstbau im Denkmalschutz Vom Arbeitsgerüst über Einhausungen und Schutzdächer bis hin zu komplexen Fassadensicherungen Dipl.-Ing. (FH) Dieter Gescher Teupe & Söhne Gerüstbau GmbH, Stadtlohn Zusammenfassung Die Sanierung und der Erhalt von Denkmälern erfordert in der Regel Arbeits- und Schutzgerüste sowie Sonderkonstruktionen, um die Zugänglichkeit und den Schutz nach innen und außen zu gewährleisten. Seit mehr als 5 Jahrzehnten ist die Teupe Gerüstbau GmbH mit der Stellung von Gerüsten jeder Art an Denkmalen befasst. Dabei sind Denkmale durchaus vielfältig. In der Vergangenheit zählten dazu Sakralbauten, Industrieanlagen, Ingenieurbauwerke wie Brücken, Felsformationen, Bauwerke des täglichen Lebens vom Mittelalter bis heute und museale Bauten. Wie auch moderne Bauwerke benötigen „alte“ Denkmäler Instandhaltungsmaßnahmen zum Erhalt der Bauwerksstruktur, den zu schützenden Kunstwerken oder zum Erhalt der Nutzung. Diese Instandhaltungsmaßnahmen werden durch den Gerüstbau unterstützt. 1. Einführung: Beispiele aus der Praxis Wir versuchen die Gerüste im Folgenden zu gliedern, obschon sehr viele Aufgaben in den unterschiedlichen Gerüstkonstruktionen kombiniert vorgefunden werden. Aufgaben: • Erhalt der Fassade und der Struktur des Denkmals • Sanierung der Fassaden und Dachteile an Bauwerken • Sanierung der Struktur des Tragwerkes und dessen Korrosionsschutz • Schutz der Umwelt durch Einhausungen, Schutz vor Gefahrstoffen • Absturzsicherungen • Schaffung von Arbeitsplätzen in Höhen, die regulär nicht erreichbar sind • Abstützung von Bauwerksteilen während der Sanierung • Einhausung als Witterungsschutz während der Sanierung und der durchzuführenden Arbeiten • Sicherung von Arbeitsebenen zur Sanierung • Gerüste zur Erstellung von Hangsicherungen • Abstützung und Sicherung von denkmalgeschützten Fassaden • Und vieles mehr ist möglich Abbildung 1: Schacht Konrad 168 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Gerüstbau im Denkmalschutz Abbildung 2: Müngstener Brücke Aus der Auflistung lässt sich erahnen, welche komplexen und vielfältigen Aufgaben der Gerüstbau erfüllen kann. Seit mehreren hundert Jahren werden Gerüste erstellt, um Bauwerke zu errichten und zu unterhalten. Die heutigen Denkmäler wurden bereits mittels Arbeitsgerüsten gebaut und für viele Bauwerke sind Gerüste eine lebenslange Einheit, von der Erstellung über die Unterhaltung bis hin zum jeweiligen Rückbau. Dabei dominierten bis in die 60er Jahre Gerüste aus dem Werkstoff Holz. Dieser wird durch Stahl und Aluminium immer mehr zurückgedrängt. Holz hat heute eine untergeordnete Bedeutung im Gerüstbau. Die Bekleidung oder Einhausung der Gerüste erfolgt im Wesentlichen mit PVC Planen oder Netze. Dem Einsatzzweck folgend werden diese mehr oder weniger dicht eingesetzt. Zum Schutz der Umwelt und gegen herabfallende Teile werden Netze eingesetzt, für den Witterungsschutz oder bei Gefahrstoffen werden dichte Planen eingesetzt, diese werden teilweise mit Kunststoffschweißverfahren abgedichtet oder in Schienen eingezogen. Darüber hinaus werden feste Einhausungen mittels Systemmaterialien oder individuell aus Stahl / Holz hergestellt, um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Des Weiteren dient dies auch der optischen Aufwertung von Gerüsten. Für die Abstützung von Bauwerksteilen werden in der Regel Stahlbaukonstruktionen errichtet, die über eine hohe Tragfähigkeit verfügen. Die hohe Verformungsfähigkeit steht diesem nachteilig gegenüber und muss über höheren Materialeinsatz auf die zulässigen Maße der Verformungsfähigkeit der Fassade berechnet werden. So werden z.B. bei abzustützenden Mauerwerken die Verformungen auf bis zu 1/ 1000 der Höhe eingestellt, um Risse im Mauerwerk oder dessen Fugen zu verhindern. Abbildung 3: Stadthöfe Hamburg Parallel können Hydrauliksysteme zum Einsatz kommen. Diese steuern dann über Messsensoren auftretenden Verformungen und wirken dem durch Einsatz von Hydraulikpressen entgegen. Im Brückenbau wird dieses Verfahren bei Gewölbebrücken bereits angewendet. Der notwendige Witterungsschutz, insbesondere gegen Regen, wird durch Dachkonstruktionen hergestellt. Eintretendes Wasser ist für Baukonstruktionen, die während der Sanierung geöffnet werden in vielfältiger Weise schädlich. Daher werden diese durch temporäre Dächer geschützt, um die darunterliegenden Bauteile zu erhalten. Hierbei werden verschiedene Dächer eingesetzt, welche dem Einsatzzweck anzupassen sind. Dachkonstruktionen mit sogenannten Kassetten (ca. 2 x 2,5 m großes Dachelement) dienen der Öffnung während der Bauzeit, um mit einem Kran von oben Baustoffe einbringen zu können. Diese Kassettendächer wurden in den 80er Jahren entwickelt und vom Staat gefördert, um die Beschäftigung im Winter zu sichern. Darüber hinaus werden Kederplanendächer errichtet. In Schienen aus Aluminium werden Planen mit einem Keder eingezogen (wulstartige Randverstärkung in einer Schiene). Diese sehr leichten Konstruktionen sind geeignet, auch ohne Unterstützung von Mobilkränen errichtet zu werden. Abbildung 4: Poppelsdorfer Schloss 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 169 Gerüstbau im Denkmalschutz Beide zuvor genannten Dacharten können auch fahrbar errichtet werden. Dies hat den Vorteil, dass große Öffnungen im Dach realisiert werden können, durch die der Einhub von komplett vorgefertigten Modulen mittels Kran möglich ist. Durch Fahrschienen auf den Gerüsten an den Traufseiten werden die Lasten abgetragen und die Fahrstrecke erzeugt. 2. Standsicherheitsnachweis Temporär- / Dauerbauwerk Gerüste und Hilfseinrichtungen sind in den meisten Bundesländern als bauliche Anlage definiert. Für diese baulichen Anlagen müssen mindestens prüffähige statische Berechnungen und Ausführungszeichnungen erstellt werden. Die Anforderungen an diese Unterlagen regelt die Norm für Gerüste, DIN EN 12811, nicht umfänglich. In der Regel werden die Gerüstbauteile rückstandslos wieder entfernt und sind damit temporäre oder vorübergehende Bauzustände. Jedoch ist dies in den Landesbauordnungen nicht weiter ausgeführt und daher werden temporäre Bauwerke den Dauerbauwerken gleichgestellt. Verschiedene Normen sprechen von vorübergehenden Zuständen, von Wiederkehrperioden oder temporären Bauwerken. Eine exakte Definition ist nicht vollständig vorhanden. Art Hilfseinrichtung / Temporäres Bauwerk Dauerbauwerk Dauer der Last Wenige Stunden bis mehrere Jahre 5-500 Jahre Hauptnorm DIN EN 12811 und 12812 Technische Baubestimmungen Windlast Lasten für Wiederkehr- Periode 50 Jahre Lasten nach DIN EN 1991 (außer 1991-1-6) Somit werden diese unterschiedlich interpretiert und über die Standzeiten der Gerüste wird versucht die Eindeutigkeit herzuleiten. An einem größeren Objekt differieren die Zeiten erheblich aufgrund der Höhe und des erst mit der Inspektion vorgefundenen Erhaltungszustandes. Viele Bauzeitenpläne werden dann neu terminiert und würden dann eventuell zu anderen Faktoren in der Berechnung führen. Um dies zu verhindern, gibt die Gerüstnorm eindeutige Faktoren ohne Angabe der Standzeit ab. Hilfseinrichtung / Temporäres Bauwerk [Lastform] Normung Imperfektion DIN EN 12812/ DIN EN 1993-1 Ersatzlast Arbeitsbetrieb DIN EN 12811/ DIN EN 12812 Wasser, Anprall, Erdbeben, Temperatur, Setzung, Vorspannung Nach DIN EN 12811/ 12812 und Liste der technischen Baubestimmungen Im Bereich der Windlasten sind eindeutige Unterscheidungen zwar aus der Norm erkennbar, werden jedoch zum Teil falsch interpretiert. In der DIN EN 12811 werden die Windlasten mit dem Faktor 0,7 angesetzt. In der Windlast Norm sind vorübergehende Zustände von 0,5 -0,7 faktorisiert, jedoch im Absatz 5 des Normteils werden Gerüste explizit ausgeschlossen. Somit kann für die Windlasten nicht angenommen werden, dass die Gerüste nach 2 Jahren Standzeit demontiert werden müssen. Im Bereich von Traggerüsten zur Abstützung von Bauzuständen werden Bemessungsklassen unterschieden. So werden Traggerüste der Klasse B1 wie Dauerbauwerke statisch berechnet und konstruiert. Die Zeichnungen haben als Ausführungszeichnungen und Werkstattpläne exakt die gleichen Anforderungen wie für Dauerbauwerke. Die Widerstände in der Berechnung werden nicht reduziert. Für Traggerüste nach der Bemessungsklasse B2 werden die Widerstände um 15% reduziert. Die Anforderungen an die Bemessungen und Zeichnungen werden dann von der bauüberwachenden oder prüfenden Stelle jeweils unterschiedlich interpretiert. Abbildung 5: Bahrmühlen Viadukt Aus einem Praxisbeispiel können wir folgendes ableiten: Das Gerüst unter der denkmalgeschützten Brücke soll für eine Bauzeit von ca. 1 Jahr errichtet werden. Dementsprechend werden die Gerüste nach DIN EN 12811 berechnet. Die Windlasten werden mit dem Faktor 0,7 als Last eingepflegt. Im Prüf bericht wird dann die Standzeit von 2 Jahren als Grenze festgelegt. Nach 2 Jahren sollte durch Anweisung der Bauüberwachung das Gerüst neu berechnet werden mit Windlasten und dem Faktor 1,0. Die Berechnung kam zu dem Ergebnis, dass die Standsicherheit nicht gewährleistet ist. Dann wurde beschlossen, das Gerüst in Teilen zu demontieren und dann wieder zu montieren. Die Wiedermontage erfolgte auf Grundlage der alten Berechnung. Technisch ist das nicht nachvollziehbar und wirtschaftlich wird daraus ein Schaden abgeleitet. 3. Planung und Ausführung Hilfseinrichtungen Gerüste im Denkmalschutz sind gleichbedeutend mit Gerüsten an alten, nicht modernen Bauwerken. Daher sind die vorliegenden Bestandsunterlagen oft unzureichend. Sie sind aufgrund der frühen Bauzeit teilweise nicht vorhanden, aufgrund von Bränden zerstört, in schlechtem 170 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Gerüstbau im Denkmalschutz Zustand, unleserlich, oder/ und nicht maßstäblich. Die heutige Form der Digitalisierung ist bei Denkmälern ein Fremdwort, ebenso wie das Thema BIM. Abbildung 6: Laser Scanner Der Prozess der technischen Bearbeitung und das Verlangen seitens der Behörden und Institutionen nach einer umfänglichen Planung vor Baubeginn erfordert daher alternative Methoden. Ein einfaches Aufmaß vor Ort oder Erstellung der statischen Berechnung nach Fertigstellung führen aus unserer Sicht nicht zum Ziel. Wir setzen daher seit einigen Jahren verstärkt auf die 3D Laser Scan Technik und den Einsatz von Drohnen. Abbildung 7: Herz Jesu Kirche Münster Bei großen, komplexen Projekten ist eine 3D-Planung oftmals sinnvoller als eine 2D-Planung. Natürlich ist der Vorteil einer 2D-Planung, dass relativ zeitnah mit der Planung begonnen werden kann. Allerdings ermöglicht eine 3D-Planung die Vermeidung von Kollisionen mit dem Bauwerk und die optimale Planung des Materials durch automatisierte Stücklisten. Des Weiteren ist ein 3D-Modell sehr hilfreich, um dem Kunden und den Gerüstbauern auf der Baustelle mit einer visuellen Darstellung den Auf bau zu erläutern. Eine 3-dimensionale Planung bedeutet also mehr Arbeit in der Planungsphase, dafür aber weniger Arbeit in der weiteren Arbeitsvorbereitung und auf der Baustelle. Bei dem Bauvorhaben MiQua (Museum im Quartier) handelt es sich um ein Bauvorhaben in Köln am Rathausplatz. Parallel zu den dort erfolgenden Ausgrabungsarbeiten soll bereits das darüber liegende Museum errichtet werden. Hierzu ist ein vollflächiges Arbeitsplateau erforderlich. Der Tatsache geschuldet, dass es sich hier um eine Ausgrabungsstätte handelt, sind viele verwinkelte Ecken und nur begrenzte Abstützmöglichkeiten vorhanden. Um möglichen Kollisionen während der Montage vorzubeugen, wurde vorab im eigenen Hause ein 3D-Scan mit ca. 55 Standpunkten erstellt. Die Anzahl der Standpunkte ergibt sich aufgrund der vielen Wände und Ecken der Ausgrabungsstätte. Herkömmliche Bauwerke können oftmals mit deutlich weniger Standpunkten visualisiert werden. Abbildung 8: Punktwolke MiQua Aus den Punktwolken, Scan Rohdaten und den Bildern der Drohne wird dann ggf. ein Volumenkörpermodell erstellt. Die Verwendung der Punktwolke ist ohne Kollisionsprüfung ebenfalls möglich und bietet ausreichend gute Ergebnisse. Über diese Punktwolke werden dann Gerüst und Hilfskonstruktionen mit ihren Einzelbauteilen konstruiert und per Schnittstelle in ein Stabwerksprogramm überführt. Die durchgehende Planung in 3D erzeugt hohe Datenvolumen, bringt jedoch verschiedene Vorteile an anderer Stelle mit sich. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 171 Gerüstbau im Denkmalschutz Abbildung 9: Stabwerksmodell Abbildung 10: Gerüst Zeichnung Abbildung 11: Punktwolke Über die 3D-Zeichnung werden dann entsprechend Ausführungspläne , Werkstatt und Montagezeichnungen sowie Stücklisten erstellt. Darüber hinaus Detailpläne für die numerisch unterstützte Fertigung. 4. Zusammenfassung Im Gegensatz zu Dauerbauwerken werden Gerüste nur temporär für die Dauer der Sanierung errichtet, benötigt und berechnet. Dabei werden verschiedenste Abminderungen für die Lasten verwendet. Unterschiedlichste Interpretationen des Baurechts im föderalen System führen zu verschiedenen Arten der Ausführungszeichnungen. Gerüste an Denkmalen dienen der Erhaltung und Restaurierung historischer Bauten. Die Vorgaben sind vielfältig und je nach Grundsubstanz werden Konstruktionen unterschiedlichster Bauart notwendig. Der Schutz des Bauwerkes steht dabei im Vordergrund. Die Sanierung der Grundsubstanz von Baudenkmälern ist erforderlich, wenn die Erhaltung des Bauwerks gefährdet ist. Typische Sanierungsmaßnahmen bei denkmalgeschützten Bauten sind z.B. Dach- und Deckenbalkensanierungen, Fassadensanierungen bzw. Instandsetzen von Fassaden, Kellerhalssanierungen oder Erneuerung der vertikalen Bauwerksabdichtung unterhalb der Geländeoberkante, Mauerwerkssanierungen zur Ertüchtigung schadhafter oder in ihrer Tragfähigkeit beeinträchtigter Mauerwerksteile sowie Betonsanierungen zur Instandsetzung von Betonbauteilen. Im Bereich des Denkmalschutzes kommen temporäre Stahlbaulösungen zum Einsatz, um während der Sanierungs- oder Neubauphase des Kernbauwerks die denkmalgeschützten Fassaden abzustützen. Diese vielfältigen Aufgaben sind extrem interessant und spannend. In einem konstruktiven Arbeitsumfeld zwischen der Denkmalpflege, der Bauherrenschaft, der Tragwerksplanung des Bauwerkes, den am Bau beteiligten Firmen und dem Gerüstbau wird diese als partnerschaftliche Problemlösung zum Erfolg und Wohle des Denkmals ausgeführt. Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Schacht Konrad 1 Abbildung 2 Müngstener Brücke 1 Abbildung 3 Stadthöfe Hamburg 2 Abbildung 4 Poppelsdorfer Schloss 2 Abbildung 5 Bahrmühlen Viadukt 4 Abbildung 6 Laser Scanner 4 Abbildung 7 Herz Jesu Kirche Münster 4 Abbildung 8 Punktwolke MiQua 5 Abbildung 11 Punktwolke 5 Abbildung 9 Stabwerksmodell 5 Abbildung 10 Gerüst Zeichnung 5 Literatur [1] Teupe Gruppe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 173 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Dipl.-Ing. Holger Tebbe Ingenieurbüro H. Tebbe GmbH, Neuwied Zusammenfassung Der römische Getreidespeicher (Granarium) ist eine spezielle Bauform römischer Lagerhausarchitektur. Charakteristisch für diese Speicher, häufig verallgemeinernd als Horrea (Lager) bezeichnet, sind ihre enge Pfeilerstellungen im Inneren und ihre häufig verstärkten Außenwände. Beide Aspekte sind immer noch Gegenstand intensiverer archäologischer Forschung und darauf auf bauender, teilweise voneinander abweichender Interpretationsmodelle. Im vorliegenden Fall soll sich der Auf baufrage von Seiten der vom Lagerwesen zu stellenden Ansprüche durch das Lagergut genähert werden („Forms follow Funktion“). In der Folge soll ein Vergleich zum neuzeitlichen Lagerwesen gezogen werden, insbesondere unter den Aspekten Ressourcenschonung und Energieeinsatz. 1. Einführung Die Versorgung der römischen Bevölkerung (annona civica) und der Truppen (annona militaris) mit Getreide als Grundnahrungsmittel sind zentrale Pfeiler des römischen Staatswesens. Von den Anfängen in republikanischer Zeit über das Prinzipat (Kaiserzeit) und Spätantike lag dem eine eigene, an der Kaiserzeit strikt getrennte Verwaltung zugrunde, die Transport, Lagerung und Verteilung organisierte und überwachte aber auch, z. B.,--bei Getreideknappheit-, in die Marktpreisgestaltung eingriff. Die mindestens einjährige Lagerung des Getreides und damit hierfür vorzusehenden Lagereinrichtungen, spielen hierbei natürlich eine zentrale Rolle. Anordnung und Lage und Auf bau dieser Getreidelager sollen mit zeitgenössischem Lagerwesen, wie es bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinsichtlich der sog, Flachlagerung noch Standard war, verglichen werden. Dabei wird auch der zeitgenössische Maschinen- und Energieeinsatz mit den zur Römerzeit üblichen Verfahren verglichen. 2. Parameter zur Sicherstellung der langfristigen Lagerfähigkeit von Getreide 2.1 Getreidebeschaffenheit und -güte in Abhängigkeit der Erntebedingungen Getreide wird in der Regel in Form von Getreidekörnern gelagert. Hierzu wird das Getreidekorn zuvor mechanisch („Dreschen“) von abfallenden Spelzen, Hülsen, Grannen (fadenförmiger Fortsatz verschiedener Ähren, z. B. bei Gerste, vergl. Bild 1), Samenhülsen und Stängelanteilen getrennt. Spelzgetreide, das heißt Getreide, bei dem die Hüllspelze (die Frucht umgebendes Blatt des Teilblütenstandes) fest mit der Frucht verwachsen ist, z. B. Dinkel, kann durch einfaches Dreschen nicht von der Frucht gelöst werden. Es kann und wurde daher teilweise auch ungespelzt (ungeschält) gelagert, da durch das schützende Hüllblatt die Empfindlichkeit gegenüber Lagerschäden reduziert werden konnte. Bild 1: Weizen, Hafer, Gerste (v li. n. re.). Bildquelle: Wikipedia 174 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Bild 2: Dinkelähren sowie gespelzte u. ungespelzte Kornfrucht. Bildquelle: Wikipedia Während das Spelzgetreide ohne Halm (Stroh) gedroschen werden kann, sind während des Dreschvorgangs von reinen Kulturarten wie Nacktweizen, Strohlagen zum Schutz der Kornfrucht vor Beschädigung notwendig. Gemäß derzeitigen Erkenntnissen wird Getreide zur Römerzeit wohl teilweise durch Abschnitt der Ähre mit der Sichel geerntet. Allerdings sind auch Sensen zur Römerzeit bereits bekannt., vergl. Bild 3. Ob hier das Getreide samt Halm bodennah geerntet wurde, oder ob Sensen ggf. nur für die Heuernte und Freischnitt von Ackerflächen genutzt wurden, ist derzeit teilweise noch Gegenstand der archäologischen Forschung. Darüber sind in spätrömischer Zeit radgeführte Mähhilfen bekannt, siehe Bild 3, die in den gallischen und germanischen Provinzen verbreitet sind. Diese dürften u. a. aufgekommen sein, um in den zeitweise sehr unruhigen und kriegerischen Zeiten, zum einen die Erntezeiträume zu verkürzen und zum anderen dem zunehmenden Personaldefizit entgegenzuwirken. Mit der höheneinstellbaren, von Arbeitstieren geschobenen, Mähhilfe wurden mittels der gezackten Schneidkante die Ähren von den Halmen abgerissen, die dann in den schaufelartig ausgebildeten Auffangmulde gesammelt wurden. Eine vorauslaufende Hilfsperson half hierbei die Pflanzen höhengerecht der Mähhilfe zuzuführen, vergl. Bild 3. Bild 3: zur Römerzeit bei der Getreideernte zur Verfügung stehende Ernteverfahren und -werkzeuge (Sichel, ggf. Sense und radgeführte Mähhilfe) 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 175 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Wenn die Frucht mit Halm geerntet wird, werden die Halme nach dem Schnitt zur Trocknung in der Regel zu einem Bündel („Garbe“) zusammengestellt. Zum Schutz vor Niederschlägen werden die Ähren zum oberen Ende des Bündels ausgerichtet und durch die Art der Bündelung, vergl. Bild 4, oder ggf. auch durch zusätzliche Abdeckung mit einzelnen Halmen, geschützt. Nach ausreichender Trocknung können die Garben dann zum Gehöft (villa rustica“) zur Weiterverarbeitung gefahren werden. Soll das Spelzgetreide zur Weiterverarbeitung direkt entspelzt werden, erfolgt dies in der Regel in Darren, die in Ausgrabungen von römischen Gutshöfen immer wieder nachgewiesen werden konnten, vergl. Bild 5. Im Zuge der Darrung kann der gewünschte Feuchtegehalt der Frucht, vergl. Abschn.-2.2, dabei direkt mit eingestellt werden. Es soll jedoch betont werden, dass bei derartigen Einrichtungen, je nach Erhaltungssituation und Umgebungsbedingungen eine Unterscheidung zwischen Darre, Räucherofen und Röstofen (z. B. für Eisenerze, z. B. bei Gutshöfe mit gewerblichen Produktionszweigen) nicht immer zweifelsfrei möglich. Kulturarten wie Nacktweizen werden dagegen zunächst gedroschen, vergl. Bild 6, und danach die Körnung aus dem Drusch ausgelesen. Neben dem klassischen Dreschen mit Dreschpflegel, vergl. Bild 6 links, ist für das Altertum auch der Einsatz von Dreschschlitten, siehe Bild 7 links, nachgewiesen. Weiterentwickelte Dreschhilfen, wie z. B. die Dreschwalze, vergl. Bild 7 rechts, sind erst für die Neuzeit nachgewiesen. Dach dem Dreschen und der Kornauslese aus dem Drusch erfolgt eine Windsichtung der Körnung mittels Worfelkorb („Trennung von Spreu und Weizen“), sowie eine nachfolgende augenscheinliche Sichtung der gereinigten Körnung hinsichtlich Fremdbestandteilen und Anomalien wie Steine, Verfärbung, Kümmerkorn oder sonstigen Pilzbefall. Bei zu hohem Feuchtegehalt kann danach auch hier noch ein Trocknungsvorgang notwendig werden. Danach ist das gespelzte aber auch das ungespelzte Spelzgetreide grundsätzlich lagerungsfähig. Bild 4: Zeitgenössische Darstellung einer Getreideernte; Abel Grimmer; „Sommer“, 1607, Bildquelle: Wikipedia Bild 5: Grundriss einer römerzeitlichen Darre aus Seebrück (Bedaium) gemäß Ausgrabungsbefund Bild 6: Oben: Dreschen des Getreides mittels Dreschflegel. Bildquelle: Wikipedia Unten: Trennung der Getreidekörner von der Spreu per Windsichtung mittels Worfelkorb 176 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Bild 7: Oben: Unterseite eines neuzeitlichen Dreschschlittens aus dem Mittelmeerraum, Unten: Einsatz einer Dreschwalze (Neuzeitlich Einsatz ab ca. 1760 nachgewiesen) 2.2 Einlieferungsbedingungen zur Erzielung einer möglichst hohen Lagerstabilität Soll Getreide eingelagert werden, so sind eine gründliche Vorreinigung und Sichtung unerlässlich. Dies bedeutet, dass die Getreidekörnung - frei von Fremdstoffen wie z. B. Steinen sein muss - frei von (lebenden) Schädlingen und Milben sein muss; - weitgehend frei von Stäuben, sowie festen und flüssigen Anhaftungen sein sollte; - möglichst frei von Pilzbefall („Feldpilzen“) sein sollte; - eine gleichmäßige bestimmungsgemäße Farbgebung, vergl. Bild 8 links, aufweisen sollte, - möglichst wenig Kornbruch sowie sog. Kümmer- oder Schmachtkorn aufweisen sollte. Eine gute Vorreinigung verringert den Trocknungsbedarf des einzulagernden Gutes und gleichzeitiger Erhöhung der Trocknungseffizienz. Durch Windsichtung in Kombination mit Sichtprüfung kann auch bei historischen Reinigungsverfahren die Anhaftungen („Besatz“) und damit der potentielle Toxingehalt des „Schwarzbesatzes“ effektiv gesenkt werden. Weiterhin sollte der Kornwassergehalt des einzulagernden Getreides gering sein, da hierdurch die Gefahr von Schädlings- und Pilzbefall während der Lagerhaltung deutlich reduziert werden kann, vergl. Bilder 8 und 9 rechts. Bild 8: Gefahr des Schädlingsbefalls in Abhängigkeit der Kornfeuchte von Weizen 2.3 Temperatur und Feuchte als zentrale Aspekte zur Erzielung einer hohen Lagerstabilität Erfolg oder Misserfolg der Lagerung hängen bei sorgfältig vorgereinigtem Lagergut, vergl. Abschn.2.1, im Wesentlichen von den vier Parametern Feuchtigkeit und Temperatur im Schüttgut sowie Luftfeuchte und Temperatur der Umgebungsluft ab. Lagerfähige Getreidekörner nehmen im Rahmen ihres Erhaltungsstoffwechsels Sauerstoff auf und geben CO 2 sowie Wärme und Feuchte ab, siehe <C>. Bei hoher Aktivität des beschriebenen Stoffwechsels nehmen die als Atmungsverluste bezeichneten Trockensubstanzverluste zu. Ein kühles und trockenes Lagerungsklima ist unabdingbar, um den Verlust an Keimfähigkeit (Saatgetreide) und Vitalität der eingelagerten Getreidekörner zu erhalten. Wie bereits in Abschn. 2.2 dargelegt, sollte die Getreidefeuchte grundsätzlich bereits aus Gründen des Widerstandes gegen Schädlings- und Fungizidbefall niedrig gehalten werden, vergl. Bilder 8 und 9 rechts. Bei Feuchtegehalten von 14-% für Weizen, Roggen, Gerste bzw. 12 % für Hafer sind die Schuttgüter mit ihrer natürlichen Keimflora zudem dann auch bei sommerlichen Temperaturen lagerungsstabil. Bei der Weizenlagerung im Flachlager mit funktionierender Lagerungsbelüftungstrocknung stellt sich die gewünschte Gutfeuchte von 14 % bei 65 % rel. Luftfeuchte und 20°-C Lufttemperatur als Feuchtegleichgewicht selbständig ein. Hohe Strömungsgeschwindigkeiten sind hierbei zu vermeiden, da sie zu zusätzlichen Temperaturverlusten und somit auch zur Austrocknungsbeschleunigung führen können. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 177 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Bild 9: Oben: gesunde (li.) und mit Fusarien (Schlauchpilzen, re.) befallene Weizenkörner Unten: Entwicklungsbedingungen für Sekundärpilzbefall (Lagerpilze) in Abhängigkeit von Temperatur und Luftfeuchte Die Frischluftzufuhr sollte daher möglichst kontrolliert zugeführt werden. In modernen Flachlagern erfolgt dies hierdurch, dass die abgezogene Hallenluft im Teilumluftverfahren mit Frischluft gemischt wird, bevor sie mittels Radialgebläse wieder in die Lüftungskanäle gedrückt wird, vergl. schematische Darstellung gemäß Bild 10. Bild 10: Lagerhaltung (Flachlager) mit Lagerbelüftungstrocknung Bild 11: Oben: Erzielbarere Lagerzeitspannen in Abhängigkeit von Lagerguttemperatur und -feuchte Unten: Entwicklungspotential relevanter getreideschädlicher Insektenarten in Abhängigkeit der Umgebungstemperatur Bei einer funktionierenden Lagerbelüftungstrocknung kann auch Getreide mit leichte erhöhten Feuchtegehalten eingelagert werden, da die Überschussfeuchte, wie beschrieben im Umluftverfahren reduziert werden kann. Nach schichtweiser Durchtrocknung der Einlagerung, kann dann weiteres Lagerungsgut nach entsprechendem Trocknungserfolg der bereits eingelagerten Schicht sukzessive lagenweise eingebracht werden. Als durchtrocknungsfähige Schichthöhe wird für Weizen im beschriebenen Verfahren rund 70 cm angegeben, siehe <C>. Lagerbelüftungstrocknungen haben einen hohen Anspruch an die Luftführung in Abhängigkeit von Einlagerungshöhen, Feuchteentzugsbedarf und jeweiliger Schütthöhe. Bei modernen Lüftungssystemen, vergl. Bild 9, werden Kanalabstände von Unterflurbelüftungen von 1,25 bis 1,5-m empfohlen, siehe z. B.-<C>. Die endgültige Höhe der Einlagerung ist hierbei variabel, als Standard werden 3 bis maximal 6 m angegeben. 178 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Bei modernen Systemen wird die Schichtdickenerhöhung bei der Lagerbeschickung kontinuierlich über einen Bandförderer erreicht. Je nach Durchlüftungsbedingungen sind Verkrustungen der Stapeloberfläche nicht auszuschließen. Zur Auflösung der Verkrustungen muss diese, z. B. alle zwei Tage, durch eine rund 20 cm tief einwirkende Harke aufgebrochen werden. Um das Getreidelager auf längere Zeit stabil zu halten, sind zudem niedrige Lagerungstemperaturen sinnvoll bis notwendig. Dies soll im nachfolgend abgebildeten Diagramm („Lagerzeituhr“) beispielhaft dargelegt werden. Gemäß den in Diagramm dargelegten Parametern gelingt es durch Temperaturabsenkung des Lagergutes von 24°- C (A, rot) auf 10°- C (B, blau) bei gleichbleibenden Getreidefeuchtegehalt von 14,5-% die mögliche Lagerungszeit zu verfünffachen, siehe Bild 11 links. Bei derartigem Temperaturniveau ist zudem die Gefahr eines Befalls mit getreideschädigenden Insekten minimal, vergl. Bild 11 rechts. 2.4 Grundlegende Konstruktionsprinzipien für Flachlager Die Getreideflachlagerung erfolgt üblicherweise in Lagerhallen mit beschüttbaren Wänden, vergl. Bild 12. In neuzeitlichen Lagern ist die Lagerfläche durch seitliche Schottwände in einzelne Teillagerflächen unterteilt. Der Grundriss der abgeschotteten Teilflächen ist hierbei mit den Anforderungen an die Belüftung abzustimmen. Zum Schutz vor Vögeln ist die Halle als Dunkelhalle möglichst ohne natürliche Belichtung auszulegen. Da Vögel nicht gern in dunkle Räume einfliegen, kann so auch die Gefahr des Vogeleinflugs durch offene Tore minimiert werden. Zur Abwehr von Schadnagern und sonstigen Kleintieren, wie z. B. Katzen sind dichte Abschlüsse zwischen Mauerwerk und Dach, sowie entsprechende Türen unbedingt vorzusehen und Wandöffnungen möglichst zu vermeiden. Bild 12: neuzeitliches Getreideflachlager mit Unterflurlüftungskanälen (oben) im Vergleich zum rekonstruierten Grundriss eines römischen Getreidespeichers (St.-Irminen,-Trier, unten) Die zur Lagerung von Schüttgütern zwingend erforderlichen Wandverstärkungen sind ebenso wie die enge Pfeilerstellung im Inneren geradezu charakteristisch für massiv gebaute römische Getreidespeicher der Kaiserzeit und der Spätantike, vergl. Bild 12 rechts. Bei der Konzeption der jeweiligen Getreidelager ist für römerzeitliche Lager sicherlich von Bedeutung, ob es sich um - Zwischenlager für den Warenumschlag (z. B. im Hafenbereich); - zivile Auslieferungslager für zivile Endverbraucher oder gewerbliche Weiterverarbeiter (z. B. Getreidemühlen); - Lager im Bereich von festen Truppenlagern handelt, die ggf. sowohl die Aufgabe der täglichen Versorgung als auch der langfristigen Bevorratung gleichzeitig erfüllen müssen oder - um zivile oder militärische Vorratslager zur langfristigen Versorgungssicherung handelt. Insbesondere die letztgenannten Bevorratungslager haben naturgemäß eine geringe Umschlagsintensität, so dass hier längere Transportwege auch innerhalb der Speicheranlage in Kauf genommen werden können. Bei Lager mit geringerer Verweilzeit des Lagergutes und des Erfordernisses der Möglichkeit einer zügigen Räumung des Lagergutes, z. B. im militärischen Bereich, sind dagegen kurze Transportwege innerhalb des Getreidelagers von Vorteil. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 179 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Im militärischen Bereich ist daher eine ebenerdige Einlagerung von Vorteil. Dementsprechend wurden für derartige Lager auch entsprechend belüftete Doppelböden nachgewiesen und rekonstruiert, vergl. Bild 13. Bild 13: Strebepfeiler (außen) und Stützpfeiler (innen) des Horreum Kastell Housesteads (oben) sowie darauf auf bauende Rekonstruktion (unten) Bild 14: Rekonstruktion des römischen Getreidespeichers St.-Irminen,-Trier, Ansichten und Querschnitt, vergl. Bild 11 Eine enge Pfeilerstellung, vergl. Bild 11 rechts, deutet jedoch nicht zwingend darauf hin, dass in derartig gestalteten Lagern im EG Doppelböden zur Belüftung angeordnet worden sind. Vielmehr zeigen sie lediglich an, dass das Gebäude für den Abtrag hoher Lasten konzipiert wurde. So wurden für das spätantike Getreidelager in St.-Irminen,-Trier im EG auf einer Kalksteinpacklage von rund 10---15 cm ein rund 8 cm starker, geglätteter Estrich als Lauf boden festgestellt. Dementsprechend ist hier, gemäß Rekonstruktion, lediglich eine belüftete Lagerung von Schüttgut im OG anzunehmen, vergl. Bild-14. Aufgrund der engeren Pfeilerstellung im Mittelfeld von rund 5 m zu den Außenfeldern mit 6,15-m, lässt sich zudem mit höherer Sicherheit eine Holzbalkendecke vermuten, die quer zur Halle, ggf. Holzbalken, gespannt wurde, vergl. Bild 14. Aufgrund der Gesamtspannweite von rund 17-m, sind hier eine zweibis dreiteilige Deckenbalken je Balkenlage anzunehmen, da die wirtschaftlich gewinnbare Baumstammlänge, z. B. mit ausreichendem-Querschnitt auf maximal rund 10---12-m begrenzt sind. Die Teilbalken könnten hier, zwecks Durchbiegungsbegrenzung, nicht, wie in der Konstruktion dargestellt, 3teilig in den beiden Zwischenauflager, sondern zweiteilig den jeweils einem Momentennullpunkt des Mittelfeldes gestoßen worden sein. Die Querkraftübertragung würde hierbei durch zimmermannsmäßig gestaltete Verbindungen hergestellt, die je Auflagerreihe wechselseitig im Mittelfeld rechts oder links im Momentennullpunkt angeordnet worden sein könnten. Hierdurch könnte die Deckendurchbiegung konstruktiv deutlich reduziert worden sein. Holz als Material im Flachlager ist allerdings problematisch. Holz ist schlecht zu reinigen und die Porenstruktur fördert geradezu Staubeinlagerungen. Holz bietet zudem viele Unterschlupfmöglichkeiten (Ritze und Spalten) für Schadinsekten. Raten und Mäuse fressen sich durch die Holzkonstruktion. Daher ist es nicht verwunderlich, dass z. B. nach der Eroberung Germanien in den neu erstellten Truppenlagern, die in Holz-/ Erdbauweise errichtet wurden, neben der Kommandantur (Prinzipia) oder von Teilen der Kommandantur (Fahnenheiligtum und Truppenkasse), das oder die Getreidelager entweder direkt in Massivbauweise errichtet wurden oder, sofern in Holzbauweise errichtet, als erstes durch einen Neubau in Massivbauweise ersetzt wurden. Als zusätzliche Vorsorgemaßnahmen wird in einigen überlieferten Schriften die Behandlung der Baustoffe mit Oliventrester oder -tresteröl empfohlen, da die benannten Pressrückstände und die daraus gewonnenen Öle eine antibakterielle und fungizide Wirkung aufweisen. 180 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz 3. Aufbaubeispiele römischer Getreidespeicher 3.1 Bodenaufbauten Getreidespeicher in römischen Truppenlagern Wie in Bild 15 in einer Auswahl dargestellt, sind die Getreidelager hinsichtlich ihrer Größe und ihres konstruktiven Auf baus durchaus sehr unterschiedlich gestaltet. Von einer standardisierten Bauweise im Sinne eines Einheitstyps kann keine Rede sein. Hierbei ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich die Lager teilweise bereits hinsichtlich Bauzeitpunkt, zur Verfügung stehender Baustoffe, lokalen Boden- und Witterungsverhältnissen unterscheiden. Bezüglich der Effektivität der Durchlüftung wäre z. B. eine genordete Darstellung mit zusätzlicher Kennzeichnung der Hauptwindrichtungen vorteilhaft. Zudem sind hier Getreidelager von Grenztruppen und Lager von reinen Heeresversorgungsstützpunkten gemeinsam dargestellt. Auch dürften sich die angebauten Getreidearten und -unterarten als auch Anbau- und Erntemethoden im Bereich Britannien und in Germanien im Zweifel unterscheiden. In der Spätantike wurden die Getreidelager gesondert geschützt, teilweise in eigens zu diesem Zweck angelegten Festungsbauwerken, z. B. Lager Innsbruck -Wilten (Veldidena). In den zunehmend instabilen Zeiten erfolgte die Lagerung nicht mehr nur in größeren Lagerhallen, sondern in kleineren turmartigen Festungsbauten (burgi). Diese werden teilweise rein militärisch genutzt, z. B. Burgus Neuwied-Engers, liegen teilweise aber auch im eher zivilen Umfeld in oder der Nähe von zivilen Siedlungen, vergl. z. B. <F>. Bild 15: Auswahl von Grundrissen römischen Getreidespeichers in Massivbauweise (oben) und in Holzbauweise (unten) 3.2 Getreidespeicher als Teil von Hafenanlagen Bild 16: Ruinen kaiserzeitlichen Getreidespeicher in Patara (oben) und Andriake/ Myra (unten) im Bereich von römischen Hafenanlagen in der heutigen Türkei Spuren auch zivil genutzter Getreidespeicher lassen sich in vielen Stellen des römischen Reiches finden. Äußerlich gut erhalten sind beispielsweise die Speicher in Patara und Myra in der heutigen Türkei. Der Speicherbau von Andriake ist mittlerweile äußerlich rekonstruiert worden und wird als archäologisches Museum genutzt. Beide Gebäude können aufgrund ihres guten Erhaltungszustandes hinsichtlich weiterer Erkundungen und Erforschung bezüglich der Besonderheiten der römischen Speicher und Lagerwirtschaft je nach Untersuchungsaspekt gut zum Vergleich herangezogen werden. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 181 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz 4. Vergleich der Bauweise römischer Getreidespeicher mit neuzeitlichen Getreidelagern Bild 17: Oben: Getreidespeicher Münster Coerde, erbaut in den 30erJahren des vergangenen Jahrhunderts Unten: Einheitssilo in Skelettbauweise mit vorspringenden Betonpfeilern Bild 18: Schnitt durch einen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gebauten Getreidespeichers mit kombinierter Flach- und Silolagerung Obwohl die Mitte dreißiger Jahre vom Heeresbeschaffungsamt errichteten Getreidespeicher äußerlich gewisse Ähnlichkeiten mit dem Auf bau der Römischen Lager aufweisen, z. B hinsichtlich Anlieferungsrampe, Wandverstärkung etc., vergl. Bild 17, werden im Schnitt die Unterschiede deutlich sichtbar. So beinhalten die Lager eine umfangreiche Maschinentechnik, die zum einen durch die erleichterten maschinellen Transportmöglichkeiten mehrstöckige Auf bauweisen erlauben und weiterhin bereichsweise grundsätzlich abweichende Lagerungsweisen (Silostatt Flachlagerung), siehe Bild 18. 5. Zusammenfassung Im Artikel wird zum einen aufgezeigt, dass allein durch die genaue Erkundung der Nutzung zugrundeliegenden Rahmenparameter sich einige Konstruktionsparameter des zu untersuchenden Gebäudetypes hinsichtlich ihres Auf baus gut erschließen lassen („Forms follow Funktion“). Dies wird besonders deutlich, wenn man die jeweiligen konstruktiven Lösungsmöglichkeiten und ihre Kontinuität im Laufe der Entwicklungsgeschichte verfolgt. Hierbei ist es natürlich zielführend neben der Berücksichtigung von technischen Entwicklungen auch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, sowie die sich dadurch ergebenden Nutzungsänderungen im Blick zu halten. Durch die Kenntnis der Bedarfsanforderungen wird zudem das Augenmerk für scheinbare bauliche Nebensächlichkeiten geschärft, die dann eher als wichtige nutzungsbedingte Konstruktionsdetails erkannt werden können. So zeigen beispielsweise die in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den Heeresverpflegungsämtern als Flachsilo errichteten Einheitssilos noch deutliche bauliche Gemeinsamkeiten zum Auf bau römischer Getreidelager. Gleichzeitig wird aber auch deutlich wie die neuzeitliche Maschinentechnik durch Bereitstellung maschineller Antriebsenergie, die Funktion und damit letztendlich die Anforderungen an die Lagerbedingungen und den Lagerauf bau verändern. Dies wird auch deutlich durch den zweiten Speichertyp der Heeresverpflegungsämter, dem Hochsilo, dass in der Folge die Flachlagerung als Standardsilo ablöste. Andererseits zwang die römerzeitlich nur begrenzt verfügbare maschinelle Antriebsenergie (im Wesentlichen Wasserkraft und Windkraft), die zudem praktisch nicht ortsunabhängig eingesetzt werden konnte, zu aus heutiger Sicht durchaus ressourcenschonenden Lösungen hinsichtlich - der angestrebten auf Dauer angelegten Nutzungszeiten der Lager (teilweise über mehrere Jahrhunderte), - der Variabilität der Konstruktion bezogen auf ihre Nutzungsmöglichkeiten, - des Energieeinsatzes bei Bau und Betrieb der Anlagen und - der Wiederverwertungsmöglichkeiten der Baustoffe und - ihrer Platzwahl, die nach Möglichkeit in der Nähe von Wasserwegen gewählt wurden und so einen ökonomischen Massentransport mittels Schiff erlaubte. 182 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz 6. Bild- und Literaturnachweise Württembergisches Landesmuseum Stuttgart (Hrsg.); Kuhnen, H.-P.; Riemer, E.: Landwirtschaft der Römerzeit; Römischer Weinkeller Oberriexingen Württembergisches Landesmuseum Stuttgart, Stuttgart, 1994 www.antike-Tischkultur.de, Stand 19.12.22 DLG.e.V.; Fachzentrum Landwirtschaft (Hrsg.): DGL-Merkblatt 425: Getreide sicher lagern; Reinigen Trocknen und Kühlen Selbstverlag, Frankfurt a. M., 2018 Rheinisches Landesmuseum (Hrsg.): Mylius, H.: Zur Rekonstruktion der römischen Horrea in Trier In: Trierer Zeitschrift f. Geschichte u. Kunst des Trierer Landes u. seiner Nachbargebiete, Heft1, 1949, S. 98---106 Junkelmann, M.: Panis Militaris: Die Ernährung der römischen Soldaten oder der Grundstoff der Macht Verlag Philipp von Zabern, Mainz, 1997 Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte in Württemberg (Hrsg.) Garbsch, J.: Der spätrömische Donau-Iller Limes A.W. Gentner Verlag, Stuttgart 1970 Das Heeresverpflegungsamt - Beschreibung (uni-muenster.de), Stand 19.12.22 Abdichtung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 185 Instandsetzung von WHG-Bodenplatten mit bewehrten Dichtschichten aus Beton Dr.-Ing. Marc Bücker Quinting Zementol GmbH, Ascheberg Zusammenfassung Bewehrte nicht tragende Dichtschichten aus Beton stellen eine Möglichkeit dar, um Betonbodenplatten instand zu setzen, die entsprechend dem Besorgnisgrundsatz des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) austretende wassergefährdende Flüssigkeiten zurückhalten sollen. Bei der Planung und Ausführung von Beton-Dichtschichten sind die einschlägigen auf den Grundwasserschutz ausgerichtete technische Regelwerke zu beachten. Diese stellen insbesondere Anforderungen an die Eigenschaften von Beton-Dichtschichten im Hinblick auf deren Dichtheit und Dauerhaftigkeit. Wie diese Anforderungen erfüllt werden können und welche Vorteile sich aus dem Einsatz von Beton-Dichtschichten für die Instandsetzung von von WHG-Bodenplatten ergeben, wird am Beispiel des QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem deutlich. 1. Einführung Sanierungsbedürftige WHG-Bodenplatten aus Beton, die gemäß § 62 Wasserhauhaltsgesetz als Sekundärbarriere von AwSV-Anlagen das Eindringen wassergefährdender Flüssigkeiten in das Grundwasser verhindern sollen, können auf unterschiedliche Weise instandgesetzt werden. Ist eine herkömmliche Instandsetzung wie z. B. durch das Füllen von Rissen oder eine an der Oberfläche aufgebrachte dünnschichtige Abdichtung nicht mehr möglich oder zielführend, wird häufig entschieden, die WHG-Bodenplatte abzubrechen und neu herzustellen. Eine Alternative hierzu bietet der Einbau einer bewehrten nicht tragenden Beton-Dichtschicht mit geringer Aufbauhöhe auf der sanierungsbedürftigen WHG-Bodenplatte. Die bestehende Bodenplatte wird dabei weiterhin zur Lastabtragung genutzt. Dadurch sind der Ressourcenverbrauch wie auch die erforderliche Bauzeit deutlich geringer als bei einem Abbruch der Bestandsbodenplatten und dem Neubau einer WHG-Bodenplatte aus FDbzw. FDE-Beton nach den Vorgaben der DAfStb-Richtlinie „Betonbau im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen“ (DAfStb-Rili BUmwS) [1]. 2. Grundlagen der Planung und Ausführung von Beton-Dichtschichten Beton-Dichtschichten werden bereits seit vielen Jahren als Sekundärbarrieren in Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen eingesetzt. In der Regel haben diese eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung bzw. eine allgemeine Bauartgenehmigungen des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt), durch die ihre Eignung im Sinne § 62 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) zur Verwendung in Anlagen zum Lagern, Abfüllen und Umschlagen von wassergefährdenden Stoffen (LAU-Anlagen) festgestellt wurde. Allgemein gültige technische Regeln zur Planung und Ausführung von Beton-Dichtschichten beim Umgang mit wassergefährdenden Flüssigkeiten wurden zuerst in der DAfStb-Rili BUmwS festgelegt. Im Oktober 2020 wurden Beton-Dichtschichten dann auch in die Technischen Regel wassergefährdender Stoffe - Ausführung von Dichtflächen (TRwS 786) [2] als mögliche Bauart für Dichtflächen aufgenommen. 2.1 DAfStb-Richtlinie Betonbau im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen In der DAfStB-Rili BUmwS werden Beton-Dichtschichten als nichttragende zementgebundene flüssigkeitsdichte Dichtschichten beschrieben, die eine erhöhte Dehnfähigkeit aufweisen, ohne undicht zu werden. Die erhöhte Dehnfähigkeit kann sich dabei z. B. durch Zusätze von Kunststoffen oder Fasern ergeben. Die DAfStb-Rili BUmwS verlangt für solche Dichtschichten den Nachweis der Dichtheit auf der Grundlage von Eindringprüfungen, die im Rahmen der Erstprüfung als Zusatzprüfungen durchzuführen sind. Sie bezeichnet Beton-Dichtschichten daher auch als „Nichttragende FDE-Dichtschichten (flüssigkeitsdichte nichttragende Dichtschicht nach Eindringprüfung)“. Der Teil 3 der DAfStb-Rili BUmwS regelt die Instandsetzungsmaßnahmen, die für Betonbauwerke nach dieser Richtlinie (z. B. WHG-Bodenplatten aus FDbzw. FDE-Beton) umzusetzen sind, um eine ausreichende Dichtheit und Beständigkeit gegen wassergefährdende Stoffe wiederherzustellen. In Abschnitt 6.2 werden neue Dichtflächen aus Beton behandelt, die auf der undicht gewordenen Betonkonstruktion aufgebaut werden. Beträgt die Dicke dieser neu herzustellenden Dichtfläche weniger als 100 mm, ist sie als Beton-Dichtschicht gemäß DAfStb-Rili BUmwS, Teil 2, Abschnitt 3.1.3 auszuführen. Die Forderung zur Ausführung der Dichtfläche als Beton-Dichtschicht gilt außerdem auch dann, wenn die instand zu setzende Betonfläche Risse oder Fugenbereiche aufweist, die von der darauf aufzubringenden neuen Dichtfläche überbrückt werden müssen (vgl. DAfStb-Rili BUmwS, Teil 3, Abschnitte 6.2.2 und 6.2.3). Gemäß DAfStb-Rili BUmwS, Teil 2, Abschnitt 3.1.3 müssen Beton-Dichtschichten ein erhöhtes Dehnvermögen aufweisen, ohne undicht zu werden. Dichtschichten 186 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Instandsetzung von WHG-Bodenplatten mit bewehrten Dichtschichten aus Beton aus Faserbeton müssen zudem folgende Anforderungen erfüllen: • Volumenanteil der Fasern am Gesamtvolumen des Betons ≥ 10 Vol.-% • Wasserzementwert des Zementmörtels: w/ z ≤ 0,45 • Festigkeitsklasse des Zements ≥ CEM 42,5 • Größtkorndurchmesser ≤ 2 mm • Mindestdicke der Dichtschicht: h ≥ 50 mm 2.2 TRwS 786 - Ausführung von Dichtflächen Die TRwS 786 gilt für die Ausführung von Dichtflächen von Rückhalteeinrichtungen gemäß der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV). In Tabelle 1 der TRwS 786 ist eine Übersicht möglicher Bauausführungen bzw. Bauarten für derartige Dichtflächen aufgeführt, darunter die Lfd. Nr. 5 „Bewehrte nicht tragende Betonbzw. Estrich-Dichtschichten“. In Tabelle 3 der TRwS 786 sind zu diesen möglichen Bauausführungen die Bestimmungen festgelegt, die bei den unterschiedlichen Bauausführungen jeweils einzuhalten sind. Für bewehrte nicht tragende Beton- und Estrich-Dichtschichten müssen demnach die folgenden Eigenschaften gegeben sein: • rissüberbrückend • flüssigkeitsundurchlässig unter Berücksichtigung bestimmter Dehnungsbeanspruchungen • witterungsbeständig, unter anderem bei Frostangriff mit bzw. ohne Taumittel • begehbar bzw. befahrbar • hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Rissbildung und Abplatzungen Außerdem gibt die TRwS 786 an dieser Stelle vor, dass nicht tragende Betonbzw. Estrich-Dichtschichten auf tragfähige, lastableitende Unterlagen eingebaut werden müssen. Die TRwS 786 gibt somit für bewehrte nicht tragende Beton-Dichtschichten die für die Verwendung in AwSV-Anlagen wichtigsten Eigenschaften zwingend vor. Dies ist an erster Stelle die Undurchlässigkeit gegenüber Flüssigkeiten, da diese die grundlegende Funktion der Dichtfläche ausmacht. Dabei versteht die TRwS 786 Flüssigkeitsundurchlässigkeit entsprechend § 18 AwSV, das heißt so, dass die Dichtfunktion der Dichtfläche während der Beaufschlagung mit wassergefährdenden Stoffen nicht verloren geht. Für eine dauerhafte Flüssigkeitsundurchlässigkeit von Beton-Dichtschichten ist es wichtig, dass die Beton-Dichtschichten rissüberbrückend sind und somit in der Unterlage neu auftretende oder sich aufweitende Risse nicht dazu führen, dass die Beton-Dichtschicht undicht wird. Die weiteren in Tabelle 3, TRwS 786 geforderten Eigenschaften wie Witterungsbeständigkeit, Begehbzw. Befahrbarkeit und hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Rissbildung und Abplatzungen zielen ebenfalls auf eine dauerhafte Undurchlässigkeit der Dichtfläche ab. Die TRwS 786 beschreibt nicht nur die möglichen Bauausführungen für Dichtflächen und gibt deren zwingend einzuhaltenden Eigenschaften vor, sondern definiert auch unterschiedliche Funktionsbereiche und Beanspruchungen von Dichtflächen. Dichtflächen werden nach ihrer Funktion eingeteilt in: • Ablaufflächen: Einrichtungen zum Ableiten flüssiger wassergefährdender Stoffe über Gefälle • Stauflächen: Einrichtungen zum Aufnehmen flüssiger wassergefährdender Stoffe für einen begrenzten Zeitraum (z. B. Auffangwannen) • Tiefpunkte: Einrichtungen, in denen sich flüssige wassergefährdende Stoffe zuerst anstauen (z. B. Pumpensümpfe) Um den Grad der Beanspruchung von Dichtflächen durch eine Beaufschlagung mit wassergefährdenden Flüssigkeiten zu bewerten, definiert die TRwS 786 die drei Beanspruchungsstufen „gering“, „mittel“ und „hoch“. Beim Lagern, Herstellen, Behandeln, Verwenden und Befördern in Rohrleitungen innerhalb eines Werksgeländes liegen diesen Beanspruchungsgruppen folgende Beaufschlagungsdauern zugrunde: gering: Beanspruchung bis 8 Stunden mittel: Beanspruchung bis 72 Stunden hoch: Beanspruchung bis 3 Monate Innerhalb dieser Beaufschlagungsbzw. Beanspruchungsdauern müssen ausgelaufene Flüssigkeiten erkannt und von der Dichtfläche entfernt worden sein. Neben der Beanspruchungsdauer gibt die TRwS 786 für die vorgenannten Beanspruchungsgruppen auch infrastrukturelle Anforderungen zu Leckageüberwachungen vor. Die Beanspruchung von Dichtflächen beim Abfüllen oder Umschlagen von wassergefährdenden Flüssigkeiten teilt die TRwS 786 ebenfalls in Beanspruchungsstufen ein. Grundlage der Einteilung sind dabei statt der Beaufschlagungsdauer zum Teil andere Parameter wie z. B. die Häufigkeit der Abfüllvorgänge. Die in der TRwS 786 aufgeführten Bauausführungen von Dichtflächen sind für die unterschiedlichen Funktionsbereiche und in Abhängigkeit von der jeweiligen Beanspruchungsstufe mal mehr und mal weniger bzw. gar nicht geeignet. Dementsprechend empfiehlt die TRwS 786 in ihrer Tabelle 2 Bauausführungen von Dichtflächen, die in den jeweiligen Funktionsbereichen und in Abhängigkeit der zu berücksichtigenden Beanspruchungsstufe zur Anwendung kommen sollten. Beton-Dichtschichten werden danach für die in der folgenden Tabelle [Tab. 1] aufgeführten Bereiche empfohlen: Tab. 1: Verwendung von Beton-Dichtschichten in Abhängigkeit von Beanspruchungsstufe und Funktionsbereich Beanspruchungsstufe Funktionsbereich Ablauffläche Staufläche Tiefpunkt gering ja ja mittel ja ja ja hoch ja nein nein Die TRwS 786 empfiehlt somit (neben anderen Bauausführungen für Dichtflächen) den Einsatz von Beton-Dichtschichten im Bereich von Ablaufflächen für alle Beanspruchungsstufen und für Stauflächen für die Beanspruchungsstufen „gering“ und „mittel“. Für 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 187 Instandsetzung von WHG-Bodenplatten mit bewehrten Dichtschichten aus Beton Tiefpunkte wird der Einsatz von Beton-Dichtschichten nur für die Beanspruchungsstufe „mittel“ empfohlen. Eine Empfehlung wird für Bauausführungen von Dichtschichten bei Tiefpunkten und der Beanspruchungsstufe „gering“ grundsätzlich nicht gegeben, da diese gemäß Vorgabe in Tabelle 2 der TRwS 786 mindestens für die Beanspruchungsstufe „mittel“ auszuführen sind. 3. Instandsetzung von WHG-Bodenplatten WHG-Bodenflächen als Sekundärbarriere für die Rückhaltung von ausgetretenen wassergefährdenden Flüssigkeiten werden häufig aus Beton hergestellt. Diese Bauweise hat den Vorteil, dass sie äußerst robust und dauerhaft ist. Trotz dieser ausgeprägten Robustheit, insbesondere gegenüber mechanischen Einwirkungen, können WHG- Bodenplatten aus Beton unter bestimmten Voraussetzungen ihre abdichtende Funktion verlieren. Dies ist vor allen Dingen dann der Fall, wenn die Betonbodenplatte Verformungen erfährt, die zu inneren Zwängen und bei Überschreitung der Zugfestigkeiten zu Rissen im Beton führen. Sind diese Verformungen veränderlich, so führt dies dazu, dass die Risse sich bewegen, d. h. sich aufweiten. Die Entstehung von neuen Rissen sowie die Bewegung von bereits vorhandenen Rissen in WHG-Bodenplatten aus Beton stellen für deren Instandsetzung besondere Anforderungen dar. Unabhängig davon, ob die Risse zur Instandsetzung gefüllt oder überdeckt werden sollen, muss für eine dauerhafte Instandsetzung das eingesetzte Material bzw. Instandsetzungssystem in der Lage sein, die Rissbewegungen schadlos aufzunehmen oder die Risse mit ihren Bewegungen zu überbrücken. Die DAfStb-Rili BUmwS und die TRwS 786 fordern daher, dass Beton- Dichtschichten rissüberbrückend sind. Um diese Qualität zu erreichen, müssen die Beton-Dichtschichten eine erhöhte Dehnfähigkeit und damit eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber flüssigkeitsdurchlässigen Rissbildungen aufweisen. Auch dies sind Anforderungen, welche die DAfStb-Rili BUmwS und die TRwS 786 explizit an Beton-Dichtschichten stellen (siehe oben). 4. Beton-Dichtschichten im QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem Die DAfStb-Rili BUmwS gibt genaue Anforderungen bezüglich der Dichtheit vor, die von Beton-Dichtschichten eingehalten werden müssen, damit diese als Rückhalteeinrichtung im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen eingesetzt werden dürfen. Der entsprechende Nachweis der Dichtheit ist auf der Grundlage von Eindringprüfung mit den wassergefährdenden Flüssigkeiten durchzuführen, die in der jeweiligen Dichtfläche zur Beaufschlagung kommen können. Alternativ hierzu können Beton-Dichtschichtsysteme eingesetzt werden, die vom DIBt allgemein bauaufsichtlich zugelassen sind bzw. für die das DIBt eine allgemeine Bauartgenehmigung die Verwendung in LAU-Anlagen (Anlagen zum Lagern, Abfüllen und Umschlagen von wassergefährdenden Stoffen) ausgestellt hat. Für diese sind in der Regel keine neuen Eindringprüfungen durchzuführen, da die erforderlichen Prüfungen bereits im Zuge der Erteilung der Zulassung durchgeführt wurden. Ein Bespiel für ein allgemein bauaufsichtlich zugelassenes Beton-Dichtschichtsystem ist das in [Abb. 1] dargestellte QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem der Ingenieurgesellschaft Quinting. Es besteht aus einer mit Stahlfasern bewehrten Beton-Dichtschicht mit einer Mindestdicke von 45 mm und einer darauf aufgebrachten 5 - 10 mm dicken Verschleißschicht. Abb. 1: Auf bau QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem Die Dichtschicht wird direkt auf der instandsetzungsbedürftigen Betonbodenplatte eingebaut. Eine Vorbereitung der Oberfläche der Bodenplatte zur Erzielung einer bestimmten Haftzugfestigkeit ist beim QZ-Stahlfaser- Dichtschichtsystem nicht erforderlich, da die Dichtschicht ohne einen flächigen Verbund zur Unterlage eingebaut werden kann. Die Dichtschicht wird lediglich punktuell auf der Betonunterlage verankert, um ein Aufwölben oder Aufschüsseln der Dichtschicht zu verhindern. Um den vorgegebenen Bewehrungsgehalt von 10 Vol.-% zu erreichen, können die Stahlfasern nicht dem Frischbeton beigemischt werden. Stattdessen wird die Dichtschicht im sogenannten SIFCON-Verfahren hergestellt. Zur Herstellung des SIFCON (Slurry Infiltrated Fibre Concrete) werden zunächst die Stahlfasern zu einem Faserbett ausgestreut. Bei den Stahlfasern handelt es sich um unbeschichtete, ca. 30 mm lange und an den Enden gekröpfte Stahldrahtfasern mit einem Durchmesser von 0,5 mm. Beim Streuen der Stahlfasern ist darauf zu achten, dass die einzelnen Stahlfasern losgelöst voneinander zu Boden fallen, so dass sie im Wesentlichen horizontal zu liegen kommen. Ansonsten wird die erforderliche Lagerungsdichte der Stahlfasern und damit der geforderte Bewehrungsgehalt von 10 Vol.-% nicht erreicht. Im nächsten Arbeitsschritt wird der hochfließfähige Zementleim (Slurry) auf das Faserbett gegeben, der das Faserbett infiltriert und von unten nach oben auffüllt. In [Abb. 2] ist an der Schnittfläche eines Musterstückes des QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystems gut zu erkennen, wie im Bereich der Dichtschicht die ausgehärtete Slurry die Stahlfasern umschließt und das Faserbett vollständig gefüllt ist. 188 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Instandsetzung von WHG-Bodenplatten mit bewehrten Dichtschichten aus Beton Abb. 2: Schnittfläche QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem Der extrem hohe Stahlfasergehalt der Dichtschicht von 800 kg/ m³ und die ungerichtet gelagerten Stahlfasern führen zu einem duktilen Verformungsverhalten der Dichtschicht. Bei Verformungen der Dichtschicht bildet sich statt eines herkömmlichen Risses eine Vielzahl von Mikrorissen, die so fein sind, dass Flüssigkeiten gar nicht oder nur sehr langsam durch die Dichtschicht dringen können. Zudem weist die Betonmatrix der Dichtschicht ein äußerst dichtes Gefüge auf. Zum Schutz der stahlfaserbewehrten Dichtschicht wird auf dieser eine Verschleißschicht aus einem Hartstoffmörtel mit einer Druckfestigkeit von 60 N/ mm² eingebaut. Im Regelfall beträgt die Dicke dieser Verschleißschicht 5 - 7 mm. Ist davon auszugehen, dass austretende Flüssigkeiten auf das QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem gelangen, die einen pH-Wert kleiner/ gleich 6 aufweisen, ist die Verschleißschicht mindestens 10 mm dick auszuführen. Für den Verbund zwischen Dichtschicht und Verschleißschicht sorgt eine Haftbrücke aus einer Epoxidharzgrundierung mit Quarzsandeinstreuung. Wie in [Abb. 1] dargestellt können durch die Einbindung von Randaufkantungen aus Edelstahlblechen mit dem QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem auch Auffangwannen hergestellt werden. Der Fuß der Randaufkantungen wird dabei so ausgeführt, dass diese flüssigkeitsdicht und wartungsfrei an die Dichtschicht anschließen. In gleicher Weise können Rinnen und Pumpensümpfe an die Dichtschicht angeschlossen werden (vgl. [Abb. 3]). Zur Entwässerung der Dichtfläche in Richtung von Rinnen und Pumpensümpfen kann die Dichtschicht mit einem Gefälle von bis zu 2 % ausgebildet werden. Abb. 3: Anschluss Rinne/ Pumpensumpf an Dichtschicht Angrenzenden Dichtflächen können an das QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem auch mit allgemein bauaufsichtlich zugelassenen Fugendichtstoffen oder aufgeklebten Fugenbandsystemen angeschlossen werden. Erforderliche Bauabschnittsfugen bei der Herstellung des QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystems werden mit einem speziellen Bauabschnittsfugenprofil aus Edelstahl abgedichtet, wie in [Abb. 4] dargestellt. Abb. 4: Abdichtung Bauabschnittsfuge Dem Prinzip des Bauabschnittsfugenprofils folgend werden Höhenversprünge in der Dichtfläche mit einem Stufenprofil aus Edelstahlblech abgedichtet (vgl. [Abb. 5]). Abb. 5: Abdichtung Stufenprofil Der Dichtheitsnachweis wird beim QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem anhand eines in der allgemeinen Bauartgenehmigung aufgeführten Diagramms zum Eindringverhalten von Flüssigkeiten geführt, mit dem die für den Anwendungsfall maximal zulässige Beaufschlagungsdauer für das QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystem ermittelt wird. Eingangsparamater sind dabei die Oberflächenspannung und die dynamische Viskosität der betrachteten wassergefährdenden Flüssigkeiten sowie die zu erwartende Dehnungsverformung der Unterlage der Dichtschicht. Eine Einschränkung der Anwendbarkeit auf bestimmte Mediengruppen besteht nicht. Eindringprüfungen oder weitere Nachweise nach DAfStb-Rili BUmwS sind für den Dichtheitsnachweis nicht erforderlich. Die Anforderung der TRwS 786 an Beton-Dichtschichten werden vom QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystems erfüllt. Bestätigt wird dies durch die Beschreibung der Eigenschaften des QZ-Stahlfaser-Dichtschichtsystems in der 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 189 Instandsetzung von WHG-Bodenplatten mit bewehrten Dichtschichten aus Beton zugehörigen allgemeinen Bauartgenehmigung Nr. Z-74.1- 65, die mit den Anforderungen der TRwS 786 übereinstimmt. 5. Einsatzbereiche von Beton-Dichtschichten Beton-Dichtschichten nach DAfStb-Rili BUmwS und TRwS 786 sind als nichttragende Betonkonstruktionen zu planen und daher immer auf einer tragfähigen Unterlage herzustellen. Als Sekundärbarriere in Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen kommen sie daher dort zum Einsatz, wo entweder eine Dichtfläche aus Beton instandgesetzt werden muss oder eine Betonfläche, die nicht gemäß den Anforderungen des WHG geplant und hergestellt wurde, zu einer WHG-Dichtfläche ausgebaut werden soll. Aufgrund ihrer rissüberbrückenden Eigenschaften werden Beton-Dichtschichten insbesondere dann eingeplant, wenn bereits bewegliche Risse in der Betonunterlage vorhanden sind oder mit der Entstehung von neuen Rissen gerechnet wird. WHG-Auffangräume und -Ableitflächen werden zumeist dort als Betonkonstruktion errichtet, wo hohe Anforderungen an die Robustheit und Dauerhaftigkeit der Dichtfläche gestellt werden. Müssen diese Dichtflächen saniert werden, bieten Beton-Dichtschichten den Vorteil, dass bei ihrem Einsatz die Robustheit und die Dauerhaftigkeit der Dichtfläche nicht nur wiederhergestellt, sondern aufgrund der geforderten erhöhten Dehnfähigkeit der Beton- Dichtschicht in der Regel sogar verbessert wird. Da Beton-Dichtschichten auch ohne Verbund zur tragfähigen Unterlage hergestellt werden dürfen, können sie auch dort eingebaut werden, wo die Haftzugfestigkeit an der Oberfläche der Unterlage nur noch sehr gering oder gar nicht mehr vorhanden ist. Für die Rissüberbrückung der Beton-Dichtschicht ist ein nicht vorhandener oder sehr geringer flächiger Verbund zur Unterlage sogar förderlich, da sich so im Bereich beweglicher oder neu entstehender Risse die Betonunterlage unter der Beton-Dichtschicht bewegen kann. Die Bewegung der Betonunterlage im Rissbereich wird somit nicht direkt auf die Beton-Dichtschicht übertragen, sondern an den Stellen, wo die Beton-Dichtschicht z. B. an punktuellen Verankerungen mit der Unterlage kraftschlüssig verbunden ist. Hierdurch verteilt sich die Aufweitung des Risses auf die freie Dehnlänge zwischen zwei Verankerungspunkten, was zu einer erheblich geringeren Dehnung in der Beton-Dichtschicht und damit zu einem entsprechend geringen Einfluss auf die Dichtwirkung der Beton-Dichtschicht führt. Es ist daher von Vorteil, Beton- Dichtschichten ohne flächigen Haftverbund zur Unterlage einzubauen. Eine punktuelle Verankerung der Beton-Dichtschicht sollte allerdings vorgesehen werden, um Aufschüsselungen oder Aufwölbungen der Beton-Dichtschicht zu vermeiden, welche die Dauerhaftigkeit der Beton-Dichtschicht beeinträchtigen könnten. Literatur [1] DAfStb-Richtlinie - Betonbau im Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (BUmwS) (03/ 2011) [2] Arbeitsblatt DWA-A 786 (TRwS 786) (10/ 2005) 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 191 Die Bedeutung von wasserdichten Fugensystemen für die Erhaltung von Bauwerken Grundlagen der Planung, Bemessung und Auswahl von Fugenprofilen Dipl.-Ing. Stephan Sinz Migua Fugensysteme GmbH, Wülfrath Zusammenfassung Fugen sind Schwachstellen eines Bauwerks, in der Bauausführung aber unumgänglich. Fehler in der Planung oder Ausführung von Fugen führen jedoch zu beträchtlichen Schäden. Deshalb ist der Einsatz von wasserdichten Fugen-Profilsystemen in Bauwerken, wie z.B. Parkbauten, Schwimmbädern, Großküchen zwingend erforderlich. Bei wasserdichten Fugensystemen ist insbesondere darauf zu achten, dass das gesamte Fugensystem dauerhaft wasserdicht an die angrenzende Oberflächenabdichtung, sei es ein OS-System oder eine bituminöse Bauweise, angeschlossen wird. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei der richtigen Ausbildung von Formteilen entlang des Fugenverlaufs zu widmen. In diesem Beitrag werden neben Hinweisen zur Planung von Fugen wichtige Hinweise zur Ausführung, insbesondere dem Anschluss an die verschiedenen Abdichtungsarten, gegeben. 1. Planung Eine Bewegungsfuge ist eine geplante Unterbrechung einer Konstruktion zur Vermeidung von Rissen. Eine Fuge hat zahlreiche wesentliche Aufgaben im Bauwerk zu übernehmen, wird aber im laufenden Baubetrieb oft wenig beachtet. So kommt es teils zu verheerenden Fehlern, die mit der richtigen Vorgehensweise zu verhindern sind. Alle Bewegungsfugen des Rohbaus sind entlang des Fugenverlaufs bis in die Oberkante des Fußbodens mit Hilfe von Fugenprofilsystemen so zu übernehmen, dass die Gebrauchstauglichkeit dauerhaft gegeben ist. Basis ist die richtige Planung. Dazu gehört zu allererst die Aufnahme der wesentlichen Anforderungen für ein passendes Fugensystem. Das Bauordnungsrecht fordert bei wasserdichten Fugensystemen den Nachweis eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses (AbP). Nur mit diesem Nachweis, einer fachgerechten Planung und dem ordnungsgemäßen Einbau kann ein (erneuter) Chlorideintrag im Bereich einer Parkhausfuge dauerhaft ausgeschlossen werden. Chloride, die in unseren Breitengraden mit jedem Winter in befahrene Bauwerke eingetragen werden, zerstören nachweislich die Bausubstanz. Aber auch in anderen Baukörpern, wie Küchen, Schwimmbädern u.dgl. sind Wasser oder Chemikalien aus dem Bauwerk heraus zu halten. Bild 1: Wasserschaden durch nicht fachgerechte Fugenausbildung Deshalb ist es absolut wichtig, ein Fugenprofil wasserdicht an die jeweilige Oberflächenabdichtung anzuschließen, sei es ein OS-System oder eine bituminöse Bauweise. Eine sogenannte dauerelastische Verfüllung mit Fugenmassen ist für befahrene Flächen absolut ungeeignet. Die Abdichtungsnormen unterscheiden zwischen Fugentyp I und II hinsichtlich der Häufigkeit der Bewegungen. Fugentyp I gilt für Fugen mit kleinen Bewegungen, die einmalig ablaufen. Da diese einmaligen Bewegungen aber bereits bei Tag-Nacht-Wechsel und stärker noch bei Sommer-Winter-Wechsel tatsächlich wiederkehrende Bewegungen sind, sollte sinnvollerweise generell Fugentyp II als Grundlage für die verantwortungsbewusste Planung herangezogen werden. 192 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Bedeutung von wasserdichten Fugensystemen für die Erhaltung von Bauwerken Im Folgenden sind eine Reihe von Merkmalen für die Auslegung eines Fugensystems festzulegen. Dies ergibt sich aus der geplanten Nutzung sowie der Tragkonstruktion. Bild 2: Einflussfaktoren auf die Profilbemessung 2. Bemesssung Zu den festzulegenden Bemessungsdaten gehören zunächst die Fugenbreite sowie die Fugenbewegung in allen drei Dimensionen, also Öffnung, Scherung und Setzung. Für die Bewegungsaufnahme im Profil ist die vektorielle Addition der drei Bewegungsrichtungen entscheidend. Für diese Bewegungsdaten ist ein Profil passgenau zu dimensionieren. Dabei sind alle Lastzustände einzuplanen und zu berücksichtigen, dass die Bewegungen nicht immer symmetrisch ablaufen. Bild 3: Bemessungsdaten für Fugenprofilsysteme Achtung: auch wenn keine Scherung rechnerisch zu erwarten ist, kann durch die vorhandene Geometrie - z.B. bei einem Z-Versatz oder 90°Winkeldie Bewegung quer zur Fuge zu einer Scherung des Profils führen. Die Vielzahl der möglichen Fugenverläufe muss durch passgenaue Formteile des Fugensystems abgebildet werden können. Dabei ist die durch den Baukörper vorgegebene Fugengeometrie mit dem Fugenprofil zwingend zu übernehmen. Es müssen sowohl die Formteile untereinander, als auch das Profil mit der angrenzenden Abdichtung wasserdicht verbunden werden. Wenn dies nicht berücksichtigt wird, können die Bauteilbewegungen nicht im Profil aufgenommen werden. Schäden und Abrisse wären die Folge. Bild 4: Beispielhafte Formteile für Fugenprofilsysteme Gleiches gilt für Endstücke, Endaufkantungen. Da ein bewegliches stumpf an eine Wand geführtes Bewegungselement nicht dicht abschließen kann, sind Endstücke für die Dichtigkeit und Bewegungsaufnahme an den Profilenden zwingend notwendig. Die Höhe der Aufkantungen ist individuell festzulegen. Bild 5: Formteil/ Endaufkantung an Türdurchgang Fugenprofile, sollten in der Fugenbreite und Fugenbewegung anpassbar sein, um bei ungeplanten, großen Bewegungen, dennoch Lösungen zu bieten. Dies kann z.B. durch die Austauschmöglichkeit der mittleren Bewegungseinlage sichergestellt werden. Bild 6: verschiedene Bewegungseinlagen 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 193 Die Bedeutung von wasserdichten Fugensystemen für die Erhaltung von Bauwerken Bild 7: Bemessungsdaten für Fugenprofilsysteme Die Profilhöhe ist von dem Bodenauf bau abhängig und sollte in Abhängigkeit der Ebenheitstoleranzen festgelegt werden. Dabei wird das Profilsystem immer auf einen dünnen, ausgleichenden Fugenglattstrich gesetzt und benötigt einen lastabtragenden Untergrund, meist die Geschossdecke. Besondere Berücksichtigung bedarf die Festlegung der einwirkenden statischen oder dynamischen Lasten. Die Profilbemessung erfordert die Angabe von Linienlasten oder den direkten Bezug auf die DIN 1991. Bei Einsatz von Staplern und Hubwagen mit harten Rollen sind unbedingt Einzelfallbetrachtungen der Radlasten durchzuführen. Bild 8: Wasserdichte Formteilausbildung Ein maschinell gefertigtes Fugenprofil hat eine sehr viel höhere Genauigkeit und Geradheit, als ein handwerklich gefertigter, flächiger Boden mit den erlaubten Ebenheitstoleranzen. Deshalb sind Absprachen zu treffen, damit Höhenversätze zwischen Profil und Belag vermieden werden. Sofern ein Gefälle vorgesehen ist, sind Hoch- und Tiefpunkte beim Fugenprofil zwingend zu übernehmen. Bild 9: Fugenverlauf mit ausgeprägten Hoch- und Tiefpunkten Auch wenn Fugenprofile nicht zum konstruktiven Brandschutz eingesetzt werden, gibt es Profilsysteme, die nach Brandschutzrichtlinien zertifiziert wurden. So sollte eine Klassifizierung mit Bfl,s1 standardmäßig gefordert werden. 3. Anpassung an die Oberflächenabdichtung Wenn ein wasserdichtes Fugenprofil eingesetzt werden soll, muss zwingend ein geprüftes wasserdichtes Fugensystem mit der Möglichkeit des Anschlusses an Oberflächenschutzsysteme geplant und ausgeführt werden. Die sogenannten Anschlussfolien laufen beidseitig entlang des eigentlichen Profils und binden in die jeweilige Abdichtung ein. Ohne diese Folien kann zwar das Profil an sich dicht sein, nicht aber das Gesamtsystem, bestehend aus Profil und Flächenabdichtung. Bild 10: verschiedene Anschlussmöglichkeiten von Fugenprofilen an Abdichtungsarten Für Beschichtungen, bituminöse Abdichtungen, als auch für Anschlüsse an die verschiedenen Flüssigkunststoffabdichtungen müssen angepasste Anschlussfolien zum Fugenprofil existieren, um den Erfordernissen der Baustelle nachkommen zu können. Migua bietet dabei auch die Möglichkeit der Kombination, z.B. auf der einen Seite des Profils eine OS-Beschichtung anzudichten und auf der anderen Seite an einen Gussasphalt. Diese Kombination ist oft im Übergang von Rampen zum Freideck zu finden und bedarf einer fachgerechten Lösung. 194 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Bedeutung von wasserdichten Fugensystemen für die Erhaltung von Bauwerken Bild 11: Profilübergang zwischen OS-System und bituminöser Abdichtung Eng verbunden mit dem Wassermanagement ist auch die Frage der Ableitung des Wassers, also dem Einsatz von Rinnen. Bei der Planung von Rinnen sind, ergänzend zu den vorab genannten, weitere Aspekte zu beachten. So ist die anfallende Wassermenge festzulegen, Abläufe nach Größe und Lage festzulegen und ein gewünschtes Gefälle zu planen. Dieses ist aus statischen Gründen oft nicht umsetzbar, so dass eine vorgegebene Topologie übernommen werden muss. Bei der Wassermenge ist nach Lage der Rinne zu unterscheiden, ob mit einem Regenereignis oder z.B. mit Schleppwasser, das durch Fahrzeuge eingetragen wird, gerechnet werden muss. Bild 12: Bemessungsdaten für Rinnen Rinnen sind nach DIN EN 1433 in Lastklassen eingeteilt. Gitterroste müssen die vorgesehenen Lasten gefahrlos abtragen. Sofern optische Aspekte wichtig sind, stehen als Alternative zu Gitterrosten hochwertige Abdeckungen aus Edelstahl in unterschiedlichen Rutschhemmklassen zur Verfügung. Da Rinnensysteme planmäßig mit teils korrosivem Medien in Kontakt kommen, sind medienberührte Materialien in V2A- oder besser V4A-Qualität auszuwählen. Der Wasserlauf selber ist bei dieser einzigartigen Konstruktion aus einem nichtrostenden Kunststoff eingehängt, so dass auf der Baustelle sogar die Schweißarbeiten entfallen. Bild 13: Rinne mit Designabdeckung, Klasse R10 V10 Gleichzeitig muss eine Rinne an ein Oberflächenschutzsystem wasserdicht anschließbar sein. Dies erfolgt analog zu dem bewährten Verfahren, das bei Migua-Fugenprofilen seit 30 Jahren erfolgreich umgesetzt wird, mit sogenannten Anschlussfolien. Formteile sind bei Rinnen in gleicher Weise wie bei Fugenprofilen nach Bedarf vorzusehen. Bild 14: Rinne mit Anschluss an Gussasphalt auf dem Freideck eines Parkhauses Bild 15: Wasserdichter Anschluss einer Rinne an eine bituminöse Abdichtung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 195 Die Bedeutung von wasserdichten Fugensystemen für die Erhaltung von Bauwerken Eine fachgerechte Planung wird Baukörperfugen möglichst an Hochpunkten und Entwässerungsrinnen an Tiefpunkten der Baukonstruktion vorsehen. In der Praxis ist dies jedoch nicht immer umsetzbar, so dass die Entwässerung von Parkbauten manchmal neben einem Fugenprofil oder in Extremfällen über ein Fugenprofil erfolgt. Für diese parallellaufenden Rinnen und Fugen gibt es spezielle Kombinationen in verschiedenen Varianten. Bild 16: Beispiel einer Fugen-Rinnen-Kombination mit Formteil „Stützenumfahrung“ Bild 17: Beispiel einer Fugen-Rinnen-Kombination Sofern sich jedoch Fuge und Rinne kreuzen, entstand bisher das Problem, dass der Rinnenkörper vor der Fuge enden und ein eigenständiger, zusätzlicher Ablauf angeordnet werden musste. Teilweise ist sogar eine Umkehr der Fließrichtung mit allen seinen Folgen erforderlich. Mit der Entwicklung dieser einzigartigen Fugen-Rinnen- Kreuzung kann nun direkt der Rinnenkörper an das Fugenprofil angeschlossen und über dieses entwässert werden. Dieses zum Patent angemeldete System kann mit allen bekannten Abdichtungssystemen kombiniert werden. Bild 18: Neu entwickelte Fugen-Rinnen-Kreuzung 4. Sichtfläche gleich Dichtfläche Migua bietet mit dem System Sichtfläche = Dichtfläche die Besonderheit für Fugenprofile wie auch Rinnen an, dass direkt an der sichtbaren Oberfläche des Profils abgedichtet wird. Im Unterschied zu anderen Herstellern wird die Dichtebene nicht unter dem Fugenprofil durchgeführt. Somit entsteht kein Wasseraufstau im Profil mit den damit verbundenen Nachteilen. Durch die einzigartige Konstruktionsart kann auch bei bituminöser Abdichtung das Wasser komplett außerhalb des Profils gehalten werden und die Dichtigkeit des Profils schon an der Oberfläche erkannt werden. Der Einsatz fachgerecht geplanter und eingebauter wasserdichter Profilsysteme ist in Bauwerken zwingend. Ein auf diese Weise passgenaues, mit Formteilen versehenes Profilsystem, welches mit angepassten Anschlussfolien dauerhaft dicht mit der Oberflächenabdichtung verbunden ist, sichert eine lange Nutzungsdauer. Kontakt zum Autor: Stephan Sinz sinz@migua.de Mobil: +49 162-907 59 25 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 197 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken Kevin Kriescher, M. Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Dr.-Ing. Cynthia Morales Cruz Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Als Instandsetzungsmaßnahme bei gemauerten Gewölbebrücken kann eine ober- oder unterseitige Abdichtung zur Anwendung kommen. Bei Eisenbahnüberführungen hat eine oberseitige Gleisbettabdichtung jedoch einen erheblichen Eingriff in den betrieblichen Ablauf des Schienenverkehrs zur Folge. Deshalb werden Verfahren zur unterseitigen Abdichtung bevorzugt, die oftmals jedoch nicht die gewünschte Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit aufweisen. Im Rahmen eines ZIM-Projekts des Instituts für Baustoffforschung der RWTH Aachen University und der BAWAX GmbH wurde ein nachhaltiges mörtelbasiertes, textilbewehrtes Abdichtungssystem für die Gewölbeunterseite entwickelt, das bereits bei geringen Schichtdicken dauerhaft abdichtet. In diesem Beitrag werden neben dem Konzept der unterseitigen Gewölbeabdichtung die besonderen Herausforderungen bei der Entwicklung des Abdichtungssystems, die durchgeführten experimentellen Untersuchungen sowie die erfolgreiche Anwendung des Abdichtungssystems am Beispiel einer Demonstratorbrücke vorgestellt. 1. Einführung Viele der rd. 6200 gemauerten Eisenbahnbrücken in Deutschland sind heute instandsetzungsbedürftig. Die Standsicherheit ist auch unter Berücksichtigung des stetig steigenden Verkehrsaufkommens dabei häufig nicht das vorrangige Problem. Die in der Regel am Gewölberücken befindlichen Abdichtungssysteme sind über die Jahre funktionsuntüchtig geworden, wodurch Regenwasser in bzw. durch das Tragwerk sickert [1; 2]. Die Folgen sind Salzausblühungen, Eiszapfenbildung und im Zusammenspiel mit Frost-Tauwechselbeanspruchungen Ausbrüche in Fugen und Steinoberflächen (siehe Abbildung 1). Abb. 1: Ausbrüche in Fugen und Steinoberfläche (links) und Salzausblühungen (rechts) an der Gewölbeinnenseite Konventionelle Brückenabdichtungen sehen eine Instandsetzung der Gleisbettabdichtung auf der Oberseite der Brücke gemäß Richtlinie 804 - Eisenbahnbrücken (Modul 804.6101) [3] vor, die die gesamte Tragschale vor eindringendem Wasser schützen. Die mit dieser Instandsetzungsmaßnahme einhergehenden Sperrzeiten bedeuten neben dem erheblichen Eingriff in den betrieblichen Ablauf des Schienenverkehrs einen deutlichen planerischen Mehraufwand. Eine Möglichkeit diese Sperrzeiten und den damit verbundenen Mehraufwand zu vermeiden besteht in der unterseitigen Abdichtung des Gewölbes mittels Gelinjektion (Vergelung). Dabei wird zwischen einer Flächen- und einer Schleierinjektion unterschieden. Besondere Schwierigkeit bei der Anwendung dieses Instandsetzungsverfahrens für Gewölbebrücken ist das gleichmäßige und fehlerstellenfreie Einbringen des Injektionsstoffs. Des Weiteren wurden bei derart abgedichteten Bauwerken eine Beschleunigung des Verwitterungsprozesses beobachtet, was u. a. ein Grund dafür war, dass die Deutsche Bahn (DB) ihre Vergelungsrichtlinie zurückgezogen hat und diese Maßnahme nur noch mit einer Sonderfreigabe ermöglicht. Alternativ kann eine unterseitige Brückenabdichtung mittels stahlbewehrter Spritzbetonschicht erfolgen. Aufgrund der erforderlichen Betondeckung der Stahlbewehrung ist die resultierende Dicke der Spritzbetonschicht i. d. R. relativ groß (10 bis 20 cm). Die Folgen sind eine deutliche Reduktion der Durchfahrtshöhe und einer Mehrbelastung für das Bestandsbauwerk. Kommerziell erhältliche Abdichtungstechniken mittels zementärer Systeme basieren im Allgemeinen darauf, die kapillarwirksame Porosität soweit zu verringern, dass kein technisch relevanter Feuchtigkeitstransport mehr stattfindet [4]. Eine solche Dichtwirkung wird durch Verrin- 198 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken gerung des Wasser-zu-Zement-Verhältnisses (w/ z-Wert) unterhalb eines Wertes von 0,4 erreicht [5; 6]. Vergleichbare Techniken sind z.-B. für den Einsatz von Mörtelbeschichtungen in Trinkwasserbehältern gut erprobt. Ein wesentlicher Nachteil dieser Technik ist, dass mit verringertem w/ z-Wert die Festigkeit und Steifigkeit solcher Schichten massiv ansteigt. Die Verträglichkeit eines solch steifen Mörtels zum vergleichsweise weichen Bestandsmauerwerk ist oftmals nicht gegeben. Mögliche Folgen sind Hohllagen, klaffende Fugen und u. U. eine empfindliche Schädigung des Untergrunds. Ziel des Forschungsprojekts war die Entwicklung eines leichten, textilbewehrten, mörtelbasierten Abdichtungssystems, das schon bei geringen Applikationsdicken eine abdichtende Wirkung erzielt. Die textile Bewehrung sollte im Zusammenspiel mit einem Ankersystem für eine zusätzlichen Fixierung des Mörtelsystems am Gewölbe sorgen. In Abbildung 2 ist der schematische Auf bau des Abdichtungssystem dargestellt. Die wesentlichen Herausforderungen im Rahmen der Entwicklungsarbeiten waren: • Anpassung der Steifigkeit bzw. der Verformungseigenschaften des Mörtels an das Bestandsmauerwerk bei gleichzeitiger hoher Gefügedichtigkeit • Erreichen eines dauerhaften Haftverbundes zwischen Mörtel und Untergrund • Prüfung der Funktionalität des Abdichtungssystems unter Betriebsbedingungen Abb. 2: Schematische Darstellung des Auf baus des Abdichtungssystems 2. Untersuchungen 2.1 Materialeigenschaften Um den bestehenden Anforderungskonflikt zwischen hoher Dichtigkeit des Gefüges und geringer Steifigkeit zu bewältigen, entwickelte die BAWAX GmbH zu Beginn der Projektarbeiten einen neuen Mörtel. Die Steifigkeit eines Mörtels wird maßgeblich durch die verwendete Gesteinskörnung beeinflusst. Im Rahmen der Mörtelentwicklung wurden daher auf Basis eines erprobten Mörtels der BAWAX GmbH (XDM) verschiedene Mörtelrezepturen erarbeitet, die sich im Wesentlichen hinsichtlich ihrer Zuschlagsart und -zusammensetzung sowie ihres w/ z-Wertes voneinander unterschieden. Zur Beurteilung der Festigkeits- und Verformungseigenschaften wurden die Druck- und Biegezugfestigkeit nach EN 1015-11 [7] und der statische E-Modul nach EN 13412 [8] bestimmt und mit den Ergebnissen des XDM verglichen (siehe Tabelle 1). Der E-Modul und somit die Steifigkeit des entwickelten Mörtels (XLM) konnte um rd. 50-% reduziert werden. Darüber hinaus erfolgte durch die Reduktion der Trockenrohdichte um rd. 30-% eine deutliche Gewichtseinsparung gegenüber der Referenz. Tab. 1: Festmörtelkennwerte des Referenzmörtels (XDM) und des entwickelten Mörtels (XLM) Mörtel r l r d ß D,28d ß BZ,28d E D,28d kg/ dm³ N/ mm² XDM 2,052 1,941 39,0 7,63 21994 XLM 1,396 1,294 23,6 4,98 10497 r l : Rohdichte (lufttrocken) r d : Trockenrohdichte β D,28d : Druckfestigkeit nach 28 Tagen β BZ,28d : Biegezugfestigkeit nach 28 Tagen E D,28d : Statischer E-Modul nach 28 Tagen Die Reduktion der Steifigkeit und des Gewichts wurde zum einen durch die partielle Substitution von Gesteinskörnung durch Leichtzuschläge und zum anderen durch die Erhöhung des w/ z-Werts reduziert. Durch den erhöhten Wassereintrag entstanden beim Erhärten der Mörtel mehr Luftporen, die sich negativ auf die Gefügedichtigkeit des Mörtels auswirken können. Um dies zu überprüfen, wurden Wasserdruckprüfungen in Anlehnung an EN 123908 [9] durchgeführt. Dazu wurden zwei Probekörper (200 ∙ 200 ∙ 40 mm³) gemäß EN 196-1 [10] hergestellt, gelagert und nachbehandelt. Im Alter von 28 Tagen wurde die Einfüllseite der Probekörper abgeschliffen und die Mantelfläche vollflächig mit Epoxidharz abgedichtet. Die untere und obere Grundfläche der Probekörper wurde ebenfalls mit Epoxidharz abgedichtet, wobei jeweils ein kreisförmiger Bereich (Durchmesser 140-mm) ausgespart wurde, auf den später der Wasserdruck aufgebracht wurde. 39 bzw. 41 Tage nach der Herstellung wurden die Probekörper in die Prüfvorrichtung eingebaut. Als Referenz diente wieder der XDM, der nachweislich bei Wasserdrücken bis zu 5-bar dicht ist. Der Wasserdruck wurde stufenweise auf die aufgeraute, untere Grundfläche der Probekörper aufgebracht. Der aufgebrachte Sollwasserdruck betrug zu Beginn der Prüfung rund 0,6 bar und wurde in geregelten zeitlichen Abständen stufenweise auf einen maximalen Wasserdruck von rund 4,0 bar erhöht (vgl. Abb. 3). Die Oberseite der Probekörper wurden mit einer durchsichtigen Folie abgedeckt, um das potentielle Verdampfen geringer ausgetretener Wassermengen feststellen zu können. Einschließlich der Wasserdruckbeaufschlagung von 4,0 bar (40-m Wassersäule) konnte bei keinem der Probekörper ein Wasser- oder Feuchtigkeitsaustritt an der Oberfläche festgestellt werden. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 199 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken Abb. 3: Zeitlicher Verlauf der Wasserdruckprüfung Um die Wasserdichtigkeit des entwickelten Mörtels quantifizieren zu können, wurden die Probekörper einzeln aus dem Prüfstand ausgebaut und mittig aufgespalten. Die Messung der mittleren und maximalen Wassereindringtiefe erfolgte durch händisches Abzeichnen und Messen der Wassereindringverläufe unmittelbar nach dem Aufbrechen der Probekörper. In Abbildung 4 ist exemplarisch ein gespaltener Probekörper mit dem entsprechenden Verlauf des eingedrungenen Wassers dargestellt. Die Ergebnisse der Wassereindringprüfung sind in Tabelle 2 zusammengestellt. Gegenüber dem Referenzmörtel konnte der entwickelte Mörtel trotz des höheren Luftporengehalts eine Reduktion der mittleren (17 %) und maximalen (23 %) Wassereindringtiefen somit eine leichte Verbesserung der Dichtigkeit erreichen. Die zulässige größte Wassereindringtiefe für wasserundurchlässigen Beton (50 mm) wird somit deutlich unterschritten. Die maximalen Eindringtiefen sind vergleichbar mit einem Beton mit einem w/ z-Wert < 0,45 [11]. Abb. 4: Exemplarische Darstellung einer gespaltenen Probe; a) Draufsicht, b) Bruchfläche unmittelbar nach der Prüfung und c) Bruchfläche inkl. aufgezeichnetem Verlauf des eingedrungenen Wassers Tab. 2: Mittlere (t MW ) und maximale (t max ) Wassereindringtiefen des Referenzmörtels XDM und des entwickelten Mörtels XLM Mörtel Wassereindringtiefe t MW t max mm XDM 11,8 17,4 XLM 9,8 113,4 In der klassischen Betontechnologie kann ein erhöhter Wasser-Zement-Wert das Schwinden des Betons begünstigen. Um eventuelle Einflüsse auf das Schwindverhalten infolge der erhöhten Wasserzugabe des XLM zu identifizieren und zu quantifizieren, wurden daher Schwindversuche nach DIN EN 12617-4 [12] durchgeführt. Dabei wurde das Wasser-Feststoff-Verhältnis des Mörtels variiert, um die baustellenbedingten Abweichungen von der Soll-Wasserzugabe abzubilden. Erwartungsgemäß schwindet der XLM aufgrund der höheren Wasserzugabe stärker als der XDM B4 (siehe Abbildung 5). Das Schwindmaß des XLM ist in Kombination mit dem geringeren EModul für den vorgesehenen Anwendungsfall auf vergleichsweise weichem Mauerwerk (E-Modul Mauerziegel ≈ 12000 bis 22000 N/ mm²; E-Modul Normalmauermörtel ≈ 3500 bis 11000 N/ mm) jedoch als unkritisch zu bewerten [13]. Der Vergleich der Schwindverläufe des XLM veranschaulicht, dass eine leichte Erhöhung des Wasser-Feststoff-Verhältnisses (W/ F) keinen messbaren Einfluss auf das Schwindmaß zu haben scheint. Abb. 5: Schwindverläufe in Abhängigkeit des Wasser- Feststoff-Verhältnisses (W/ F) des entwickelten Mörtels XLM und des Referenzmörtels XDM über das Prüfalter 2.2 Verbundeigenschaften 2.2.1 Auswahl und Prüfung der textilen Bewehrung Die primären Aufgaben der textilen Bewehrung sind die zusätzliche Fixierung des Abdichtungssystem an der Gewölbeunterseite und die Rissbreitenbeschränkung. Basierend auf einem zuvor erstellten Anforderungsprofil wurde eine Polyacrylat-getränkte textile Carbonbewehrung ausgewählt. Die kleinsten Rissbreiten können i. d. R. bei Verwendung von Epoxidharz (EP) getränkten Textilien erzielt werden [14]. EP-Tränkungen erhöhen die Steifigkeit des Textils jedoch so stark, dass die Applikation am gekrümmten Gewölbe nicht bzw. schwer möglich gewesen wäre. Die Einbußen hinsichtlich der Rissbreitenbeschränkung gegenüber einer EP-getränkten Bewehrung wurden zugunsten eins besseren Handling in Kauf genommen. 200 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken Zur Untersuchung des Verbunds zwischen fünf ausgewählten, Polyacrylat-getränkten textilen Bewehrungen und dem entwickelten Mörtel wurden einaxiale Zugversuche an rechteckigen Streifenproben (Dehnkörper) aus textilbewehrtem Mörtel (TRM) hergestellt und geprüft. Dabei wurden in den Versuchen die Parameter Mörtel, Lagenanzahl, Bewehrungsgeometrie und Bewehrungsgehalt variiert (siehe Tabelle 3). Mit Ausnahme der Serien 10 und 11 betrug das Prüfalter 28 Tage. Pro Serie wurden mindestens drei textilbewehrte Dehnkörper untersucht. Als Referenzmörtel wurde ein zementgebundener, kunststoffmodifizierter Reparaturmörtel (RM-A4) mit einem Größtkorn von 2 mm verwendet. Die Besonderheit Textils 5 war, dass neben den Kettrovings ebenfalls die Schussrovings umwirkt wurden, wodurch eine annähernd gleiche geometrische Ausprägung der Kett- und Schussrovings und somit ein vergleichbares Verbundverhalten in beide Tragrichtungen des Textils erreicht werden sollte. Die Prüfung und Auswertung der einaxialen Zugversuche erfolgte gemäß [15]. Im Folgenden werden die Ergebnisse ausgewählter Serien beschrieben und miteinander verglichen. Abbildung 6 stellt die linearen Fits der textilbewehrten Mörteldehnkörper mit dem RM-A4 Instandsetzungsmörtel in Kombination mit den Textilien 1, 3 und 5 dar. Aufgrund der Bewehrungsgeometrie und der Prüfkörpergeometrie variiert der Bewehrungsgehalt ω t der drei Serien zwischen 0,24 und 0,49. Der Einfluss des Bewehrungsgehalts auf die Rissbreiten wurde im Rahmen dieses Forschungsprojektes nicht untersucht. Serie 3 zeigt die größten mittleren (w m ) und maximalen (w max ) Rissbreiten, obwohl sie den höchsten Bewehrungsgehalt aufweist. Abb. 6: Rissbreiten über der Textilspannung (lineare Fits); Vergleich Serien 1, 3 und 12 Abb. 7: Rissbreiten über der Textilspannung (lineare Fits); Vergleich Serien 5 und 7 Tab. 3: Prüfmatrix der durchgeführten Dehnkörperversuche Serie Mörtel Textile Bewehrung A R A t ω t . Prüfalter Bez. Druckfestigk. Bez. Filamente Rovings Lagen - - N/ mm2 k - mm2 mm2 % d S1 RM-A4 80,3 ± 2,3 Textil 1 24 4 2 0,91 7,28 0,24 28 S2 RM-A4 75,1 ± 2,6 Textil 2 24 4 2 0,91 7,28 0,24 28 S3 RM-A4 73,6 ± 2,5 Textil 3 48 4 2 1,82 14,56 0,49 28 S4 RM-A4 76,3 ± 3,7 Textil 4 12 5 2 0,47 4,70 0,16 28 S5 XLM 27,4 ± 1,0 Textil 1 24 4 2 0,91 7,28 0,24 28 S6 XLM Textil 2 24 4 2 0,91 7,28 0,24 28 S7 XLM Textil 5 24 5 2 0,91 9,10 0,30 28 S8 XLM Textil 1 24 3 1 0,91 2,73 0,14 28 S9 XLM Textil 5 24 4 1 0,91 3,64 0,18 28 S10 XLM Textil 5 24 4 1 0,91 3,64 0,18 90 S11 XLM Textil 5 24 4 1 0,91 3,64 0,18 90 S12 RM-A4 76,3 ± 3,7 Textil 5 24 5 2 0,91 9,10 0,30 28 A R : Rovingquerschnittsfläch, At: Textilquerschnittsfläche, ω t . : Bewehrungsgehalt 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 201 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken Der Vergleich der Steigungen der Rissbreite-Textilspannungskurve zeigt, dass die günstigste Rissverteilung mit Textil 5 erreicht wird. In Abbildung 7 werden die Textilien 1 und 5 in Kombination mit dem neuen, deutlich weicheren Mörtel verglichen. Verglichen mit der Serie 5 wurde eine ca. 20-% höhere mittlere Textilspannung mit dem Textil 6 erreicht. Auch hier spricht der Vergleich der Steigung der linearen Fits der Rissbreite-Textilspannungskurven für die Wahl des Textils 5 Bewehrung. 2.2.2 Haftverbund zum Untergrund Aufgrund der Vielfalt an Mauersteinen und -mörteln, die bundesweit bei der Herstellung von gemauerten Gewölbebrücken verwendet wurden, wurde im Forschungskonsortium die Entscheidung getroffen, die Untersuchungen der Verbundfuge zwischen dem entwickelten Mörtel und dem Mauerwerk mittels zweier verschiedener Untergründe durchzuführen, die insbesondere hinsichtlich ihres Saugverhaltens konträre Eigenschaften (stark saugend/ nicht saugend) aufwiesen. Somit konnte ein möglichst breites Spektrum der Materialvielfalt am effektivsten berücksichtigt werden. Als saugender Untergrund wurde ein Mauerziegel Mz-2,0 / 20 im Normalformat in Kombination mit einem Kalkzementmörtel verwendet. Das Saugverhalten des Kalkzementmörtels wurde mittels kapillarer Wasseraufnahme nach DIN EN 13057 [16] quantifiziert. Der ermittelte Sorptionskoeffizient ist mit 7,35 kg/ m 2 ·h 0,5 als hoch zu bewerten. Das Saugverhalten der verwendeten Mauerziegel wurde zudem qualitativ über die zeitabhängige Steighöhe bestimmt. Die Mauerwerk- Grundkörper wurden mit einer Lagerfugendicke von rd. 12 mm und einer Stoßfugendicke von rd. 10 mm hergestellt. Als Gegenstück zu dem saugenden Untergrund wurde ein dichter Referenzbeton Typ MC(0,40) nach DIN EN 1766 [17] verwendet, welcher der Festigkeitsklasse C 50/ 60 zuzuordnen ist. Die Maße der Beton-Grundkörper betrugen 200 ∙ 200 ∙ 60 mm³. Die Prüffläche der Beton- Grundkörper wurde nach 28-tägiger Aushärtung mittels Sandstrahlen auf eine Rauheit von 0,55 mm eingestellt. Vor der Applikation des entwickelten Mörtels wurden die Mauerwerk- und Beton-Grundkörper für 24 Stunden in Wasser gelagert. Der Mörtel wurde nach dem Auftrag auf die mattfeuchte Prüffläche mit einer Zahnkelle abgezogen. Die Schichtdicke betrug rd. 12 mm, Die so beschichteten Prüfkörper wurden anschließend für 7 Tage in einem Feuchtschrank und weitere 7 Tage im Normklima bei 20 °C und 65 % relativer Luftfeuchte gelagert, bevor die zweite Mörtellage in analoger Vorgehensweise aufgebracht wurde. Die zweite Mörtellage wurde im Gegensatz zur Ersten nicht mit einer Zahnung versehen, sondern glatt abgezogen und nach leichtem Antrocknen mit einem Reibbreit angeraut. Der Verbund zwischen dem entwickelten Mörtel und dem Untergrund wurde nach verschiedenen Beanspruchungen und Aushärtezeiten anhand der Haftzugfestigkeit und der Breite evtl. entstandener Risse beurteilt. Die Prüfung erfolgte in Anlehnung an DIN EN 1542 [18]. Die Haftzugfestigkeit wurde für die beide Untergrundextreme 14 und 28 Tage nach Auftrag der zweiten Mörtellage bestimmt. Die Ergebnisse sind in den Balken-Diagrammen in Abbildung 8 dargestellt. Die mittlere Haftzugfestigkeit lagen unabhängig vom Prüfalter für den Betonuntergrund bei 1,3 N/ mm² und für die Mauerwerkgrundkörper bei 0,5 N/ mm². Abb. 8: Haftzugfestigkeit in Abhängigkeit des Untergrunds und des Prüfalters (links); Prozentuale Verteilung der Versagensformen in Abhängigkeit des Untergrunds und des Prüfalters (rechts) Während bei den Betonprüfkörpern erwartungsgemäß überwiegend ein Adhäsionsversagen zwischen Untergrund und Mörtel zu beobachten war, versagten die Mauerwerkprüfkörper ausnahmslos kohäsiv im Untergrund, d. h. die Verbundfestigkeit zwischen Mörtel und Mauerwerk lag, über der Oberflächenzugfestigkeit der Mauerziegel. Die Untersuchung des Haftverbundes zwischen der ersten und der zweiten Mörtelschichten erfolgte 28 Tage nach Auftrag der zweiten Schicht. Die mittlere Haftzugfestigkeit betrug 1,5 N/ mm² und lag somit geringfügig über der mittleren Haftzugfestigkeit zwischen erster Mörtellage und Beton. Diese Festigkeitssteigerung könnte u. a. auf die bei der Applikation eingebrachte Zahnung zwischen den beiden Schichten zurückzuführen sein. Um eine Trennschichtbildung durch die textile Bewehrung ausschließen zu können, wurden zusätzliche Haftzug-Prüfkörper erstellt, in die eine textile Bewehrungslage eingebracht wurde. Die Bewehrungslage wurde analog zur späteren Vorgehensweise am Bauwerk in die erste Mörtelschicht eingebettet. 28 Tage nach Auftrag der zweiten Mörtellage wurde die mittlere Haftzugfestigkeit zwischen Mörtel und Bewehrung zu 1,4 N/ mm² bestimmt und ist somit unwesentlich geringer als bei der Referenz ohne textile Bewehrungslage. Das verwendete textile Carbonbewehrung führt dementsprechend nicht zu einer Trennschichtbildung. Das Abdichtungssystem ist am Bauwerk den verschiedensten Witterungsbedingungen ausgesetzt. Eine besondere Herausforderung für das System stellen dabei die Frost-Tauwechsel dar. Beim Phasenwechsel in den festen Aggregatzustand nimmt das Volumen des Wassers, was zu Sprengdrücken im Mörtel führen kann, sofern dessen Porensystem nicht genügend Expansionsraum bietet. Um eventuelle Einflüsse einer Frost-Tauwechselbeanspruchung auf den Mörtel und dessen Verbundeigenschaften zu untersuchen, wurden weitere drei Haftzugprüfkörper mit beiden Untergrundextremen hergestellt 202 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken und beschichtet. Die Rücken- und Mantelflächen der beschichteten Prüfkörper wurden 2-lagig mit Epoxidharz abgedichtet, um einen eindimensionalen Wassertransport bzw. Schädigungsmechanismus zu gewährleisten. 28 Tage nach Auftrag der zweiten Mörtelschicht wurden jeweils zwei der drei Prüfkörper in eine programmierbare Prüftruhe eingelagert und dem in DIN EN 13687-3 [19] beschriebenen Zyklus ausgesetzt. Der dritte Prüfkörper diente jeweils als Referenz und wurde zur Kontrollzwecken im Normklima bei 20 °C und 65 % relativer Luftfeuchte gelagert. Nach 24 durchlaufenen Zyklen wurden die Haftzugfestigkeiten nach DIN EN 1542 [18] der Prüfkörper bestimmt. Die Ergebnisse sind in den Balkendiagrammen in Abbildung 9 dargestellt. Für die Betonprüfkörper lag die mittlere Haftzugfestigkeit nach Frost- Tauwechselbeanspruchung deutlich über der mittleren Haftzugfestigkeit des Referenzprüfkörpers. Die Verbesserung des Haftverbundes ist vermutlich auf die zusätzliche Verfestigung durch das zyklische Fluten der Prüftruhe zurückzuführen. Diese Vermutung wird dadurch bekräftigt, dass die Betonprüfkörper nach der Frost-Tauwechselbeanspruchung durch die Stärkung des Verbundes ausschließlich kohäsives Versagen im Mörtel aufwiesen. Abb. 9: Haftzugfestigkeit nach Frost-Tauwechselbeanspruchung (links); Prozentuale Verteilung der Versagensformen in Abhängigkeit der Lagerung (rechts) Für die Mauerwerkprüfkörper konnte kein Einfluss auf die mittlere Haftzugfestigkeit infolge der Frost-Tauwechselbeanspruchung festgestellt werden. Auch die frostbeanspruchten Prüfkörper versagten mit einer Ausnahme im Untergrund. Eine Verschlechterung des Haftverbundes infolge potentieller Sprengdrücke konnte folglich bei beiden Untergründen nicht festgestellt werden. 2.3 Realitätsnaher Großversuch 2.3.1 Dynamische Belastungskollektive Abschluss der Laboruntersuchungen bildete ein am ibac gemauerter Gewölbeabschnitt, an dem die Applikation und Widerstandsfähigkeit des entwickelten Abdichtungssystems bestehend aus Mörtel, textiler Bewehrung und Ankersystem unter realitätsnahen Bedingungen getestet wurde. Allgemein nehmen die dynamischen Belastungen auf das Gewölbe, z.-B. durch Erschütterungen und Verformungen, mit zunehmender Überschüttungshöhe ab. Die tatsächlich am Gewölbe wirkenden Lasten und das Tragverhalten des Gewölbes lassen sich rechnerisch nur schwer allgemeingültig ermitteln, da die wesentlichen Einflussparameter (Stirn-, Quer- und Schrägrisse, Überschüttungsmaterial etc.) bauwerksabhängig stark variieren und oftmals nur schwer abgeschätzt werden können. Zur Ermittlung der tatsächlich wirkenden Lasten und des Tragverhaltens einer gemauerten Gewölbebrücke wird daher i. d. R. eine Einzelfallbetrachtung inkl. umfangreicher Begutachtung und Beprobung erforderlich. Um die Randbedingungen für die dynamische Prüfung im Labor möglichst realitätsnah festlegen zu können, wurden Verformungsdaten verwendet, die im Rahmen verschiedener Bauwerksmessungen unter fahrendem Eisenbahnverkehr aufgezeichnet wurden. In Abhängigkeit der vorliegenden Randbedingungen (Spannweite, Mauersteinart, Zugtyp etc.) wurden bei den verschiedenen Bauwerken maximale Durchbiegungen im Scheitelpunkt zwischen 0,34 und 0,67 mm gemessen [20; 21]. Die zugehörigen dynamischen Belastungsfrequenzen werden u. a. maßgeblich durch die Achsabstände der Züge und deren Geschwindigkeiten bei der Überfahrt beeinflusst. Im Rahmen dieses Projekts wurden sie vereinfachend über die Anzahl an Achs-Überfahrten pro Zeiteinheit ermittelt. So führt ein Güterzug mit einem Abstand von Doppelachsmitte zu Doppelachsmitte von 18,6 m bei einer Überfahrtsgeschwindigkeit von 100 km/ h zu einer approximierten Belastungsfrequenz von rd. 1,5 Hz, während sie bei einem ICE 4 mit einer Höchstgeschwindigkeit von 260 km/ h und einem Achsabstand von 19,5 m rd. 3,6 Hz betragen würde. 2.3.2 Konzeptionierung Die Idee bei der Konzeptionierung des Gewölbe-Prüfstandes war, die während der Prüfung wirkenden horizontalen Lastanteile auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, da diese gesondert abgefangen werden müssen. Hinsichtlich der Bogenform fiel darauf hin die Entscheidung auf einen gestelzten Halbkreis mit einem Innenradius von 95 cm. Die geringfügigen horizontalen Lasten aus Eigengewicht und infolge der späteren Belastung, die trotz der gewählten Bogenform auftraten, wurden durch zwei Stahlplatten abgefangen, die über Gewindestangen miteinander verbunden wurden. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 203 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken Abb. 10: Schematische Darstellung des Prüfkörperkonzepts zur Untersuchung der Mörtelschicht unter dynamischer Belastung. Das im Rahmen des Forschungsprojekts entwickelte Abdichtungssystem bestehend aus zwei Mörtellagen und einer verankerten textilen Bewehrung wurde auf der Innenseite des Gewölbes entsprechend der Vorgaben der BA- WAX GmbH appliziert. Das Konzept des Gewölbeprüfkörpers ist schematisch in Abbildung 10 dargestellt. Die Prüfung des Gewölbes erfolgte durch zyklisches Anfahren einer definierten Verformung ∆u (siehe Abbildung 10). Dazu wurde zunächst experimentell die Kraft F bestimmt, die erforderlich war, um die definierte Verformung ∆u im Scheitelpunkt des Gewölbes zu erzeugen. Diese Kraft wird im weiteren Verlauf als Oberlast F O bezeichnet. Die zugehörige Unterlast F U wurde in Abhängigkeit des Lastniveaus der Oberlast und der Belastungsfrequenz f, die einen maßgeblichen Einfluss auf die regelungstechnischen Leistungsgrenzen des Prüfkolbens hat, festgelegt. Dieser Vorgang wurde für 3 verschiedene maximale Verformungsstufen durchgeführt: ∆u 1 -=-0,3-mm; ∆u 2 -=-0,6-mm und ∆u 3 -=-0,9-mm. Während der Belastungsintervalle wurde zwischen den jeweiligen Ober- und Unterlasten mit einer definierten Belastungsfrequenz f von 3 Hz geschwungen und die Verformung des Gewölbes auf der Stirnseite mit dem optischen 3D-Messsystem ARAMIS ® aufgezeichnet, s. linke Gewölbehälfte in Abbildung 10. 2.3.3 Herstellung Die Herstellung des Gewölbes erfolgte auf einem Stahlträger, an dem zuvor die mit Gewindestangen verbundenen Stahlplatten zur Aufnahme der horizontalen Lasten befestigt wurden. Es wurden Mauerziegel Mz-2,0 / 20 im Normalformat in Kombination mit einem Mauermörtel der Klasse M5 aufgemauert. Die Herstellung erfolgte mittels einer auf den Innenradius abgestimmten Schalungskonstruktion, die darüber hinaus bis zu einem Prüfkörperalter von 7 Tagen als Stützkonstruktion für das Gewölbe genutzt wurde. Das Abdichtungssystem wurde durch einen Mitarbeiter der BAWAX GmbH appliziert. Dazu wurden im ersten Schritt Löcher für die Verankerung der textilen Bewehrung gebohrt und Dübelhülsen eingebracht. Die Bohrlochabstände in Bogenlängsrichtung (50 bis 60 cm) orientierten sich dabei an dem von BAWAX konzipierten Applikationsverfahren. Aufgrund der begrenzten Breite des Gewölbes (ca. 36,5 cm) mussten in Bogenquerrichtung kleinere Abstände (25 cm) gewählt werden. Im nächsten Schritt wurde die erste Mörtellage händisch bis auf Höhe der Abstandshalter der Dübel aufgetragen. Die zugeschnittene textile Carbonbewehrung wurde mit einer Überlappungslänge von rd. 10 cm aufgelegt, leicht in das Mörtelbett eingedrückt und durch das Ankersystem am Gewölbe fixiert. Die textile Carbonbewehrung wurde anschließend mittels Zahnkelle verputzt und der Mörtel für 7 Tage nachbehandelt. Nach 14 Tagen wurde die zweite Mörtellage in einer Stärke von rd. 15 mm aufgebracht, glatt abgezogen und ebenfalls für 7 Tage nachbehandelt. Die einzelnen Applikationsschritte des Abdichtungssystems sind exemplarisch in Abbildung 11 dargestellt. Für die optische Verformungsmessung auf der Stirnseite des Gewölbes wurde eine rd. 1 cm dicke Mörtellage (XLM) aufgetragen, um zunächst eine glatte Oberfläche zu schaffen. Nach 7-tägiger Aushärtung wurde der Mörtel 2-lagig mit weißer Farbe gestrichen und mithilfe einer Rolle mit Kunststoffborsten ein stochastisches Muster aufgebracht. Abb. 11: Exemplarische Darstellung einzelner Applikationsschritte: a) Setzen der Dübelhülsen; b)-Vorlegen des Mörtels; c)-Anbringen und Fixieren der textilen Bewehrung in einem definierten Abstand (7-mm) zur Oberfläche; d)-Verputzen der textilen Bewehrung mit der Zahnkelle; e)-Auftrag der zweiten Mörtellage nach 14-tägiger Aushärtungszeit; f) die Systemdicke beträgt rd. 3-cm 204 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken 2.3.4 Prüfung und Ergebnisse Die dynamische Lasteinleitung erfolgte 80 Tage nach der Applikation der zweiten Mörtellage in Form einer Linienlast mittig auf dem Gewölberücken. Vor jedem ca. 250.000 Zyklen umfassenden Belastungsintervall wurden zunächst die jeweiligen Ober- und Unterlasten mit Hilfe von zwei mittig unter dem Gewölbe platzierten induktiven Wegaufnehmern ermittelt bzw. festgelegt. Die entsprechenden Lasten sind in Tabelle 4 dargestellt. Tab. 4: Ober- und Unterlasten für die drei Belastungsintervalle Verformung ∆u Oberlast F O Unterlast F U mm kN 0,3 9 5 0,6 17,5 15 10 7 0,9 19,5 16 11 8 Die Ober- und Unterlasten des zweiten und dritten Belastungsintervalls mussten im Laufe der Prüfung mehrfach angepasst werden, da die Verformungen infolge von Rissbildungen zugenommen hatten und die zuvor definierten Verformungsstufen ∆u überschritten wurden. Um den möglichen Einfluss der dynamischen Belastung auf den Verbund zwischen Mauerwerk und dem applizierten Abdichtungssystem zu untersuchen, wurden vor und zwischen den einzelnen Belastungsintervallen punktuell Haftzugfestigkeitswerte ermittelt. Die Anordnung der Prüfstellen wurde dabei so gewählt, dass zu jedem Prüfzeitpunkt T verschieden belastete bzw. verformte Bereiche (Stelzen, Nähe des Scheitelpunkts etc.) untersucht wurden. Die Ergebnisse der Haftzugversuchen sind als Säulen-Diagramm in Abbildung 12 dargestellt. Die mittlere Haftzugfestigkeit lag abhängig vom Prüfzeitpunkt bei 0,6 bis 0,7 N/ mm². Hinsichtlich der Versagensform konnte für alle Prüfzeitpunkte nahezu ausnahmslos kohäsives Versagen im Untergrund festgestellt werden. Es ist also davon auszugehen, dass die gewählte dynamische Belastung keinen negativen Einfluss auf den Haftverbund hatte. Die mittels GOM Correlate Pro Software berechnete Hauptformänderung mit Angaben der Einzelrissbreiten des ersten Gewölbes sind für die verschiedenen Ober- und Unterlasten in Abbildung 13 dargestellt. Im Anschluss an die dynamische Belastung wurde der Gewölbeabschnitt durch kontinuierliche Laststeigerung bis zum Versagen belastet. Dabei konnte beobachtet werden, dass die im Untergrund entstehenden Risse in die Textilbetonschale durchschlagen und somit die Prüfbarkeit des Bauwerks weiterhin gegeben ist, s. Abbildung 14 (links). Selbst bei partiellem Verlust der Adhäsion zum Untergrund wurde die Schale durch die Kombination aus textiler Bewehrung und Ankersystem am Gewölbe fixiert. Erst bei einer Rissöffnung von rd. 2,5-cm und einer entsprechend starken Verformung des Gewölbes wurden Mörtelabplatzungen sichtbar, s. Abbildung 14 (rechts). Das Versagen der Schale kündigt sich dementsprechend an. Abb. 12: Haftzugfestigkeit nach dynamischer Belastung (links); Prozentuale Verteilung der Versagensformen in Abhängigkeit der Lagerung (rechts) Abb. 13: Exemplarische Darstellung der Hauptformänderung in den besonders stark verformten Viertelspunkten des Gewölbes zu den jeweiligen Ober- und Unterlasten 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 205 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken Abb. 14: Überlastung des Gewölbeabschnitts 3. Demonstratoranwendung Zum Abschluss des Forschungsprojekts wurde die Funktionalität des entwickelten Abdichtungssystems im Zuge einer Referenzanwendung validiert. In enger Absprache mit den Verantwortlichen der DB Netz wurde dazu eine aus sieben Rohrsegmenten à 3,7-m bestehende Eisenbahnüberführung in der Nähe von Großschwabhausen eruiert. Zwei Segmente wurden mittels des entwickelten Systems abgedichtet, während die restlichen fünf Segmente zeitgleich mittels Sanierputz durch die DB Netz instandgesetzt wurden. Dies ermöglichte den direkten Vergleich der Systeme. Analog zum realitätsnahen Großversuch handelte es sich um einen gestelzten Kreisbogen. Der Bogen aus Ziegelmauerwerk wurde auf einen 0,9-m hohem Sockel aus Natursteinmauerwerk aufgelagert. Die lichte Durchgangsbreite des Gewölbes betrug ca. 2,5-m. Als Vorbereitung auf die Demonstratoranwendung wurden in gemeinsamer Absprache mit dem Projektpartner die Voraussetzungen und Voruntersuchungen festgelegt, die vor der Applikation des Abdichtungssystems gegeben bzw. durchgeführt werden müssen. Die festgelegten Voraussetzungen waren: ein tragfähiger Untergrund; keine standsicherheitsrelevanten, beweglichen Risse und ein ebener Untergrund. Diese Voraussetzungen wurden im Rahmen einer Bauerwerksbegehung und -beprobung überprüft. Das Gewölbe war komplett durchfeuchtet und zeigte großflächig abschalende Ziegel, die aus einer Frostschädigung resultierten. Hilfsweise aufgetragene Putzschichten waren bereits hohllagig und teilweise abgängig. In einigen, besonders stark verwitterten Bereichen wurden partiell Steine ausgetauscht. Im ersten Segment löste sich der Stirnring vom Gewölbe ab. Dieser musste vor der unterseitigen Instandsetzung zunächst am Gewölbe verankert werden. Neben einer optischen Begutachtung wurde u. a. eine in situ Ankerauszugsprüfung mit einer am ibac entwickelten, speziell auf den verwendeten Anker abgestimmten Vorrichtung durchgeführt. Die mittlere Auszugskraft betrug 1,56 kN. Bei einer Rohdichte des XLM’s von rd. 1,5 kg/ dm³ könnten bei Verlust des Haftverbundes zwischen Mörtel und Untergrund mit einem Anker das Eigengewicht von ca. 3 m² des Abdichtungssystems gesichert werden. Die effektive Ankeranzahl wurde aus konstruktiven Gründen auf 4 Stück pro m 2 festgelegt. Vor der Applikation des Abdichtungssystems wurden lose bzw. hohllagige Teile entfernt und mittels partieller Reprofilierung ein ebener Untergrund geschaffen. Der Untergrund wurde anschließend mit Hilfe eines Hochdruckreinigers gereinigt und vorgenässt. Der Auftrag des Systems erfolgte in Analogie zum realitätsnahen Großprüfkörper, s. Kapitel 2.2.3. Die einzelnen Applikationsschritte sind exemplarisch in Abbildung 15 dargestellt. Abb. 15: Exemplarische Darstellung einzelner Applikationsschritte: a) Setzen der Dübelhülsen; b)-Reinigung und Vornässen des Untergrunds mittels Hochdruckreiniger; c)-Anker mit integriertem Abstandshalter für die textile Bewehrung ; d)-Vorlegen der ersten Mörtellage bis auf Höhe der Abstandshalter; e)-Verputzen der textilen Bewehrung mit der Zahnkelle; f) Auftrag der zweiten Mörtellage nach 14-tägiger Aushärtungszeit 206 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken Abb. 16: Optische Begutachtung des Demonstratorgewölbes fünf Monate nach der Applikation des Sanierputzes (oben) und der Textilbetonschale (unten). Quelle: Feller, BAWAX GmbH In regelmäßigen Abständen haben Kontrolltermine stattgefunden, um die Wirksamkeit des Abdichtungssystem zu überprüfen und potentielle Unterschiede zu den mit Sanierputz instandgesetzten Segmenten festzustellen. In Abbildung 16 sind Bilder der optischen Begutachtung fünf Monate nach Fertigstellung dargestellt. Während beim Sanierputz deutliche Durchfeuchtungen, insbesondere auch in den Übergangsbereichen zwischen den Segmenten, sichtbar waren, war die Textilbetonschale oberflächlich trocken. Zudem konnten in den mit Sanierputz instandgesetzten Bereichen Ausblühungen, Wasseraustritte in den Übergangsbereichen zum Natursteinsockel und leichte Abplatzungen festgestellt werden [22]. Eine Regelbegutachtung durch die DB Netz AG hat zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht stattgefunden. 4. Zusammenfassung Aus den Ergebnissen der Laboruntersuchungen und der ersten Praxisanwendung konnten folgende Erkenntnisse gewonnen werden: • Der entwickelte Mörtel dichtet ab einer Dicke von 3-cm gegen drückendes Wasser bis 4,0 bar ab. • Durch die deutliche Reduktion des statischen E-Moduls konnten die Verformungseigenschaften des Mörtels an die des Mauerwerks angenähert werden. • Die untersuchte dynamische Belastung hat keinen negativen Einfluss auf den Haftverbund zwischen Mauerwerk und Mörtel. • Risse im Untergrund schlagen durch, wodurch die Prüf barkeit des Bauwerks weiterhin gegeben ist. • Das Abdichtungssystem wurde im Rahmen einer Demonstratoranwendung erfolgreich angewendet. Schlussfolgernd stellt die entwickelte unterseitige Abdichtung eine sinnvolle Instandsetzungsmaßnahme für Gewölbe mit flächigen Durchfeuchtungen dar, bei denen eine oberseitige Fahrbahnabdichtung aus technischer und/ oder wirtschaftlicher Sicht nicht möglich ist. Die Beurteilung der Dauerhaftigkeit des Systems erfolgt im Rahmen einer Regelbegutachtung der Demonstratorbücke durch die DB Netz AG fünf Jahre nach der Instandsetzung. 5. Danksagung Die Autoren danken der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V (AiF) für die Förderung und die Unterstützung des Forschungsprojekts, der CHT Gruppe für die Beratung und das zur Verfügung stellen der textilen Bewehrung, den Beteiligten der DB Netz AG für die Unterstützung und das Vertrauen sowie unserem Projektpartner, der Bawax GmbH insb. Herr Schäfer und Herr Feller, für die angenehme und konstruktive Zusammenarbeit. Literatur [1] Proske D. et al.: Sicherheitsbeurteilung historischer Bogenbrücken, Dresden 2006, S. 165 [2] Mildner K.: Erkenntnisse bei Untersuchungen zur Tragfähigkeit von Gewölbebrücken. 11. Dresdner Brückenbausymposium, Dresden, 2001 [3] Richtlinie 804 - Eisenbahnbrücken, Modul 804.6101 (Deutsche Bahn AG) [4] Rucker-Gramm P.: Modellierung des Feuchte- und Salztransports unter Berücksichtigung der Selbstabdichtung in zementgebundenen Baustoffen, Lehrstuhl für Baustoffkunde und Werkstoffprüfung, Technische Universität München, München, 2008. [5] Powers T.C., Copeland L.E., Mann H.M.: Capillary continuity or discontinuity in cement pastes, Journal of the PCA Research and Development Laboratories, (1959) 38-48. [6] Powers T.C.: Structure and Physical Properties of Hardened Portland Cement Paste, Journal of the Americal Ceramic Society, 41 (1958). 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 207 Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken [7] DIN EN 1015-11: 2020-01: Prüfverfahren für Mörtel für Mauerwerk - Teil 11: Bestimmung der Biegezug- und Druckfestigkeit von Festmörtel [8] DIN EN 13412: 2006-11: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung des Elastizitätsmoduls im Druckversuch [9] DIN EN 12390-8: 2019-10: Prüfung von Festbeton - Teil 8: Wassereindringtiefe unter Druck [10] DIN EN 196-1: 2016-11: Prüfverfahren für Zement - Teil 1: Bestimmung der Festigkeit [11] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e. V. - Heft 555: Erläuterungen zur DAfStb-Richtlinie wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton, Beuth Verlag (2006) [12] DIN EN 12617-4: 2002-08: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Teil 4: Bestimmung des Schwindens und Quellens [13] Pech, A.; Gangoly, H.; Holzer, P.; Maydl, P.: Ziegel im Hochbau - Theorie und Praxis, 2. Auflage, Verlag Birkhäuser, Basel 2018. [14] Kulas C., Hegger J.: Investigations on the Cracking and Bending Behavior of Impregnated Textile Reinforcements for Concrete Members. 11th International Symposium on Fiber Reinforced Polymer for Reinforced; Guimar-es, Portugal, June 2013. [15] Morales Cruz, C.: Rissverteilende Textilbeton Schutzschichten mit textiler Carbonbewehrung, Dissertation, RWTH Aachen University, 2020 [16] DIN EN 13057: 2002-09: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung der kapillaren Wasseraufnahme [17] DIN EN 1766: 2017-05: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Referenzbetone für Prüfungen [18] DIN EN 1542: 1999-07: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Messung der Haftfestigkeit im Abreißversuch [19] DIN EN 13687-3: 2002-05: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren; Bestimmung der Temperaturwechselverträglichkeit - Teil 3: Temperaturwechselbeanspruchung ohne Tausalzangriff [20] Krawtschuk A.: Optimierung von Monitoring-konzepten für die Erhaltungsplanung von Bogenbrücken (Dissertation). Universität für Bodenkultur, Wien (April 2014) [21] Mildner K.: Erkenntnisse bei Untersuchungen zur Tragfähigkeit von Gewölbebrücken. Tagungsband des 11. Dresdner Brückenbausymposiums. TU Dresden 2001 [22] Schäfer G., Mölter T.: Abdichtung von Gewölbebrücken mit Textilbeton, Fachzeitschrift - der Eisenbahnigenieur, Verband Deutscher Eisenbahn- Ingenieure (VDEI), Frankfurt (2022) Bewehrungskorrosion 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 211 Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken Dr.-Ing. Amir Rahimi Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Dipl.-Ing. Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Aufgrund hoher Zwangsspannungen treten bei Verkehrswasserbauwerken aus Stahlbeton häufig Trennrisse auf. Eine Selbstheilung dieser Risse ist in den meisten Fällen, trotz einer geringen Rissbreite, nicht gegeben, da die weiteren notwendigen Voraussetzungen (u. a. sehr geringe Rissbreitenänderung) für eine Selbstheilung nicht bestehen. Offene oder geschädigte Arbeitsfugen stellen weitere, eher ausgeprägtere Trennflächen dar. Werden diese Risse oder geschädigte Arbeitsfugen intensiv mit (Süß-)Wasser durchströmt, kommt es durch ein Auslaugen des Betons an den Rissflanken zu einer Depassivierung der risskreuzenden Bewehrung. Durch eine Verbindung der depassivierten Bewehrung mit der Bewehrung (oder anderen Stahl-/ Metallelementen) von gut belüfteten Bauteilbereichen wird die Bewehrungskorrosion in Gang gesetzt. Zusätzliche ungünstige Randbedingungen, insbesondere hohe zyklische Belastung, können einen Bruch der Bewehrung im Rissbereich zur Folge haben. Entsprechende Vorgaben zum Umgang mit dieser Problematik fehlen derzeit in den Regelwerken gänzlich. Derartige Schäden wurden in mehreren Wasserbauwerken im Bereich geschädigter Arbeitsfugen festgestellt. 1. Problemstellung In den letzten Jahren wurden Korrosionsprozesse an gerissenen Stahlbetonbauteilen im Unterwasserbereich mit Süßwasserbeaufschlagung detektiert, die hier aufgrund der gegebenen Randbedingungen (Sauerstoffmangel und Abwesenheit von Chlorid) bisher für eher nicht möglich gehalten worden waren. Alle vorgefundenen Schadensfälle haben eine intensive Wasserdurchströmung durch ausgeprägte Risse oder geschädigte Arbeitsfugen gemeinsam. Eine sehr intensive Korrosionsentwicklung ist bei Betonstahlstäben mit einer zusätzlichen mechanischen Überbeanspruchung zu beobachten. Bei diesen ist ein lokal begrenzter Bruch im Rissbereich festzustellen, was auf eine kombinierte Einwirkung von mechanischer Beanspruchung und Bewehrungskorrosion zurückzuführen ist. In diesem Beitrag werden zwei Beispiele über Schäden an Verkehrswasserbauwerken infolge einer auslaugungsinduzierten Betonstahlkorrosion und die jeweiligen Randbedingungen aufgezeigt. 2. Auslaugungsinduzierte Depassivierung des Betonstahls Im hochalkalischen Milieu des intakten Betons mit einem pH-Wert von i. d. R. größer als 12,5 bildet sich auf der Oberfläche des Betonstahls eine mikroskopisch dünne Schicht bestehend aus Portlandit und Eisenoxid/ -hydroxid aus, welche eine Auflösung des Betonstahls verhindert (Passivschichtbildung). Ein Korrosionsrisiko für Betonstahl besteht erst, wenn diese Passivschicht auf der Betonstahloberfläche zerstört wird. In Rissbereichen mit intensiver Wasserdurchströmung kann die schützende Passivschicht der Bewehrung neben der Carbonatisierung und dem Chlorideindringen auch durch einen pH-Wert-Abfall des Betons an der Bewehrungsoberfläche infolge des Auslaugens des Betons (Calciumhydroxid) zerstört werden. Die i. d. R. hellverfärbte Rissflanke weist einen erhöhten Gehalt an Calciumhydroxid auf. Die Intensität der Auslaugung des Betons und somit die Wahrscheinlichkeit der Depassivierung der Bewehrung hängt vermutlich maßgeblich von der Wasseraustauschrate im Riss und ihrer Dauer ab. Die auslaugungsinduzierte Depassivierung der Bewehrung wurde bisher wenig betrachtet und untersucht. In [1] wurde diese Art der Betonstahlkorrosion in Laborversuchen nachgestellt und systematisch untersucht. Ein Einfluss der Wasseraustauschrate konnte sowohl auf die Depassivierung als auch auf die Korrosionsrate der Bewehrung festgestellt werden. Beispiele über Korrosion infolge einer auslaugungsinduzierten Depassivierung der Bewehrung in Verkehrswasserbauwerken sind im Abschnitt 4 dargestellt. Bei diesen erfolgt die Ausbildung des kathodischen Teilprozesses (Sauerstoffreduktion) an gut belüfteten Bauwerksstellen, die zum Teil weit entfernt von den anodisch aktiven Bewehrungsstäben in gerissenen Unterwasserbauteilbereichen liegen. In [2] wird über die auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion im Bereich wasserführender Trennrisse an mehreren Wasserbauwerken berichtet. 212 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken 3. Korrosionsgefährdung vom Betonstahl in Rissen und Arbeitsfugen Aufgrund hoher Zwangsspannungen treten bei Verkehrswasserbauwerken aus Stahlbeton häufig Trennrisse auf. Eine Selbstheilung dieser Risse ist in den meisten Fällen, trotz einer geringen Rissbreite (≤ 0,25 mm gemäß [3]), nicht gegeben, da die weiteren notwendigen Voraussetzungen für eine Selbstheilung nicht bestehen. Offene oder geschädigte Arbeitsfugen stellen weitere, eher ausgeprägtere, Trennflächen dar. Die Rissbildung im Bauteil beeinflusst sowohl die Initiierung der Bewehrungskorrosion, d. h. die Depassivierung der Bewehrungsoberfläche, als auch die anschließende Korrosionsrate. Während die Einleitungsphase zur Depassivierung der Bewehrung im nichtgerissenen Bauteil verhältnismäßig lang ist und bei der Dauerhaftigkeitsbemessung die Nutzungsdauer des Bauteils definiert, ist von einer i. d. R. raschen Depassivierung der Bewehrung im Bereich von Rissen auszugehen (Beschleunigung des Transports von Chloridionen und / oder CO 2 zur Bewehrung). An der depassivierten Bewehrung im Rissbereich erfolgt die anodische Eisenauflösung in der aktiven Korrosionsphase; an der Bewehrung außerhalb des Rissbereiches findet die kathodische Teilreaktion statt. Für die Einschätzung der Nutzungsdauer des Bauteils ist hier die Korrosionsgeschwindigkeit maßgebend. Zur Einschätzung der Korrosionsgefährdung gerissener Bauteilbereiche wurde in [4] eine Bewertungsmatrix erstellt (Bild 1). Die Einflussgrößen sind hierbei die Rissart (Biegeriss, Trennriss), die Möglichkeit einer Durchströmung des Risses, die Möglichkeit einer Selbstheilung des Risses sowie die Exposition des Bauteils im Rissbereich. Trennrisse (und geschädigte Arbeitsfugen) verlaufen über den gesamten Bauteilquerschnitt und sind hinsichtlich einer Depassivierung und Korrosion der Bewehrung grundsätzlich wesentlich kritischer als Biegerisse, die nur die Zugzone erfassen, zu bewerten. Werden Trennrisse durchströmt, erfolgt bei einer Chloridbeanspruchung eine rasche Depassivierung der den Riss kreuzenden Bewehrung. Sind die Wasseraustauschraten entsprechend hoch, kommt es auch ohne Einwirkung von Chloriden durch das Auslaugen des Betons im Bereich der Rissflanken zu einem pH-Wert-Abfall und damit zu einer Depassivierung der Bewehrung (s. Abschnitt 2). Bei hohen Wasseraustauschraten sind hohe Korrosionsraten zu erwarten, da dies zum einen die Depassivierung der Bewehrungsoberfläche an den Rissflanken begünstigt (durch Auslaugen des Betons oder durch Anreicherung von Chloridionen an der Bewehrungsoberfläche) und zum anderen eine Deckschichtbildung an der Bewehrungsoberfläche im Rissbereich durch die entstehenden Korrosionsprodukte verhindert, was sonst zum Schließen des Risses sowie zum Anstieg des anodischen Polarisationswiderstands des Korrosionselementes und somit zum Verlangsamen oder zur Stilllegung des Korrosionsprozesses führen würde [6]. Bei Biegerissen ist hingegen grundsätzlich von einem längeren Zeitraum bis zur Depassivierung der Bewehrung infolge Chloridbeanspruchung sowie von geringeren Korrosionsgeschwindigkeiten auszugehen. Das Auslaugen des Betons durch Biegerisse ist aufgrund des fehlenden Wasseraustausches vernachlässigbar gering. Unter Selbstheilung ist das Verschließen des Risses insbesondere infolge einer Calciumcarbonatbildung im Rissquerschnitt zu verstehen. Voraussetzungen für eine Selbstheilung des Risses sind gemäß [7]: geringe Rissbreite (i. d. R. ≤ 0,2 mm, abhängig vom Druckgefälle und Druckhöhe), ständige Wasserbeaufschlagung des Risses, geringes Druckgefälle (Quotient aus Wasser-Überstauhöhe und Bauteildicke), Beschaffenheit des Wassers (pH- Wert > 5,5, kalklösende Kohlensäure <-40 mg/ l) sowie keine oder sehr geringe (kleiner als 10% der Rissbreite) Änderungen der Rissbreite (z. B. infolge Temperaturänderung oder Änderung der Überstauhöhe). Diese Voraussetzungen sind nur in wenigen Bauteilbereichen tatsächlich und über längere Zeiträume gegeben. Bild 1: Entscheidungsmatrix zur Bewertung der Korrosionsgefährdung gerissener Bauteile [4] 4. Beispielhafte Schadensfälle infolge auslaugungsinduzierter Betonstahlkorrosion 4.1 Abtragende Korrosion im Wasserwechselbereich eines Schleusensparbeckens In der Trennwand zwischen zwei Sparbecken einer Schleuse am Main-Donau-Kanal wurden rotbraune Absonderungen in der horizontalen Arbeitsfuge oberhalb der Bodenplatte festgestellt, weshalb die äußeren Bewehrungslagen in mehreren kleinen Bereichen zur Inspektion freigelegt worden sind (Bild 2). Die freigelegte Bewehrungsstäbe wiesen eine deutliche flächige Korrosion mit Rotrostbildung und bis zu 10% Querschnittsverluste auf [4] [5]. Die Arbeitsfuge befindet sich in der Wasserwechselzone, liegt jedoch vorwiegend unter Wasser, und ist wasserführend. Aufgrund unterschiedlicher Wasserstände der beiden Sparbecken befindet sich in der Arbeitsfuge ein nahezu ständiges Wasserdruckgefälle mit wechselnden Druckgradienten. Die chemische Analyse des Betons im Bereich der geschädigten Arbeitsfuge zeigte einen erhöhten Gehalt an Calciumcarbonat, was auf eine starke Auslaugung des Betons hinweist [4]. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 213 Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken Im Wasserwechselbereich der Sparbeckenwand ist von ausreichend Sauerstoffzutritt für die Bildung der kathodischen Teilreaktion der Korrosion auszugehen. Die ausgeprägte Öffnungsbreite der Arbeitsfuge (>-0,5-mm), die Änderungen der Öffnungsbreite infolge der Wasserdruckgefällen und die intermittierende Wasserbeaufschlagung verhindern das Schließen der Arbeitsfuge infolge einer Selbstheilung. 4.2 Bewehrungsbruch im Umlaufkanal (Unterwasser) einer Schleuse Bei der Inspektion einer über 90 Jahre alten Schleuse am Mittellandkanal wurden an mehreren Stellen einer geschädigten Arbeitsfuge im Umlaufkanal freiliegende vertikale Bewehrungsstäbe gefunden, die eine leichte abtragende Korrosion an der Oberfläche aufwiesen und teilweise durchtrennt waren (Bild 3). Das Bruchbild der durchtrennten Stäbe wies ohne eine ausgedehnte Einschnürung des Querschnitts am Bruchufer auf ein eher sprödes Versagen hin. Auch hier ist die Korrosion der Bewehrung auf eine intensive Durchströmung (mit chloridfreiem Wasser) der Risse infolge der Schleusungsvorgänge und damit eine auslaugungsinduzierte Depassivierung der Bewehrung zurückzuführen. In Bild 3, links, sind Calciumcarbonataussinterungen infolge einer Durchströmung der Arbeitsfuge zu erkennen. Die Bewehrungskorrosion wird vermutlich durch die anschließende Ausbildung des kathodischen Teilprozesses an gut belüfteten Bauwerksstellen im Wasserwechselbereich oder oberhalb des Wasserstands in der Kammerwand ausgelöst (Bild 4). Das Durchtrennen der Bewehrungsstäbe ist möglicherweise die Folge einer kombinierten Einwirkung von mechanischer Beanspruchung und Bewehrungskorrosion. Mit dem Fortschreiten der Bewehrungskorrosion wird das Gefüge der Bewehrung durch Korrosionsmulden und -anrisse geschwächt (Risseinleitung). Gleichzeitig rufen die im jahreszeitlichen Wechsel auftretenden Zwangsbeanspruchungen Dehnungen in der Bewehrung hervor, die den numerischen Berechnungen zufolge über der Streckgrenze liegen können [8]) und mit der Zeit zu einer Ausbreitung dieser Korrosionsanrisse bis hin zum Abriss des Bewehrungsquerschnitts (Rissausbreitung) führen würden. Das Schadensbild ist dem infolge einer Schwingungsrisskorrosion sehr ähnlich. Die durch den Schleusenbetrieb hervorgerufenen ermüdungsrelevanten Spannungsschwingbreiten der Bewehrung sind jedoch verhältnismäßig gering [9]. Die sehr geringen Dehnungsraten aus relativ langsamen Lastwechseln während der Schleusungsvorgänge mit der sehr niedrig frequenten, vorwiegend nicht ruhenden Belastung sind die Charakteristika für den im Bauwesen eher unbekannten Schädigungsmechanismus Dehnungsinduzierte Risskorrosion (strain-induced corrosion cracking) [10]. Dieser Sachverhalt wird derzeit weiter untersucht. In derselben Arbeitsfuge wurden weitere, intensivere Korrosionsschäden an den Verankerungselementen zwischen der Betonvorsatzschale und dem darunter befindlichen Altbeton festgestellt (Bild 5). Die durchtrennten Verankerungselemente weisen starke abtragende Korrosion auf. Die Korrosionsprodukte sind aufgrund Sauerstoffarmut dunkelfarbig. Bild 2: Links: Übersicht über die offenen, terrassenförmig angeordneten mit der Lage der geschädigten Arbeitsfuge; rechts: freigelegte Bewehrungsstäbe mit Abtragskorrosion in der Arbeitsfuge 214 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken Bild 3: Links: geschädigt Arbeitsfuge zwischen einer Kammerwand und dem Umlaufkanal einer Schleuse; rechts: gerissene Bewehrungsstäbe im Bereich der Arbeitsfuge Bild 4: links: Wasserdurchtrömte Arbeitsfuge mit Calciumcarbonataussinterungen; rechts: Kammerwand mit der Lage des Unterwasserstandes Bild 5: links: korrodierte und gerissene Bewehrungsstäbe in der Arbeitsfuge zur Verankerung der Betonvorsatzschale in den darunter befindlichen Altbeton; rechts: Nahaufnahme eines gerissenen Verankerungselements mit dunkelfarbigen Rostprodukten 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 215 Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken Literatur [1] Pollner, T.; Dauberschmidt, C.; Rahimi, A. (2023) Untersuchungen zum Einfluss der Druckwasserhöhe und damit der Wasseraustauschrate im Trennriss auf die Depassivierung und Korrosionsentwicklung der Bewehrung. Technische Akademie Esslingen (TAE), 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken. [2] Raupach, M., Wolff, L.: Korrosion der Bewehrung durch Auslaugung des Betons im Bereich wasserführender Risse. Bautechnik 93 (2016), S. 278- 283. [3] DIN 19702: 2013-02 Massivbauwerke im Wasserbau - Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit. [4] Mayer, T.; Schießl, P. (2017) Korrosion im Rissbereich bei Wasserbauwerken, Gutachterliche Stellungnahme 15/ 112/ 1.1.1, 2017. Ingenieurbüro Schließl Gehlen Sodeikat, München. [5] Rahimi, A. (2018) Significance of Cracks in Durability Design and Assessment of Hydraulic Concrete Structures due to Reinforcement Corrosion. Proceedings of 5th International fib Congress- Melbourne, Australia. [6] Raupach, M. (1992) zur chloridinduzierten Makroelementkorrosion von Stahl in Beton. Beuth, Berlin. [7] DAfStb-Richtlinie Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton (2017). Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, Berlin. [8] Rahimi, A.; Lutz, M. (2020) Begutachtung des Schadensfalls im östlichen Umlaufkanal der Westkammer der Schleuse Anderten. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. [9] Lutz, M.; Rahimi, A. (2022) Schleuse Anderten: Schaden im Umlaufkanal. In BAW-Kolloquium: Erhaltung von Wasserbauwerken to go. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. [10] Takriti, A.; Keßler, S. (2021) Untersuchung des Einflusses von Rissen auf den Korrosionsschutz der Bewehrung von Wasserbauwerken - Einfluss der mechanischen Beanspruchung auf die Korrosionsrate der Bewehrung. Helmuth-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 217 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen Untersuchungen zum Einfluss der Wasserdruckhöhe auf die Depassivierung und die Korrosionsrate der Bewehrung Toni Pollner, M. Eng. Institut für Material- und Bauforschung (IMB), Hochschule München Dr.-Ing. Amir Rahimi Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Christoph Dauberschmidt Institut für Material- und Bauforschung (IMB), Hochschule München Zusammenfassung Bei der auslaugungsinduzierten Korrosion in wasserführenden Trennrissen wird der Beton in den Rissflanken durch das strömende Wasser so stark ausgelaugt, dass es zu einer Depassivierung des Betonstahls kommt. Ob die Auslaugung zu einer schädigenden Korrosion des Betonstahls führt, hängt vermutlich von der Dauer und der Intensität der Durchströmung ab. Systematische Untersuchungen hierzu liegen bisher jedoch nicht vor. Hier werden daher Untersuchungen zum Durchfluss- und Korrosionsverhalten kleinformatiger Prüfkörper aus Stahlbeton mit mittleren Rissbreiten von 0,20 bis 0,25 mm vorgestellt, die bei Wasserdruckhöhen von 0,04-bar, 0,20 bar und 1,00 bar mit demineralisiertem Wasser beaufschlagt wurden. Unmittelbar nach Beginn der Wasserbeaufschlagung zeigen sich elektrochemisch erste Anzeichen für Korrosion: Das freie Korrosionspotential fällt erheblich ab und der Elementstrom nimmt stark zu. Der anschließende zeitliche Verlauf der Korrosionskennwerte weist eine gewisse Abhängigkeit vom Durchfluss auf. Während die Potentialdifferenzen der annähernd drucklos beaufschlagten Prüfkörper über die Zeit wieder abnehmen und der Elementstrom entsprechend zurückgeht, bleiben die Werte der Versuchsreihen mit 0,20 und 1,00 bar kontinuierlich auf einem kritischen Niveau. 1. Einführung Als Hauptursachen für die Korrosion von Stahl im Beton werden generell die Carbonatisierung des Betons und das Überschreiten eines kritischen Chloridgehalts auf Höhe der Bewehrung angesehen. Neben diesen beiden Hauptursachen wird darüber hinaus auch von Schadensfällen berichtet, in denen es im Bereich von wasserführenden Trennrissen oder Fugen, trotz fehlendem Kohlendioxidzutritt und der Abwesenheit von Chloriden, zu Stahlkorrosion gekommen ist. Raupach und Wolff beispielsweise berichten in [1] über die durchgerostete Bewehrung im Bereich eines wasserführenden Trennrisses einer Stützwand, die lokale Bewehrungskorrosion im Rissbereich einer Hochwasserentlastungsanlage sowie die mutmaßliche Korrosion des Betonstahls in einem Grundablassstollen einer Talsperre. Anhand der beiden erstgenannten Beispiele wurde gezeigt, dass Korrosion in wasserführenden Rissen auch ohne Carbonatisierung oder Chlorideinwirkung stattfinden kann. Bei dem zuletzt genannten Beispiel wurde die Bewehrung nicht freigelegt, somit kann über deren Zustand nur spekuliert werden. Aufgrund der vorhandenen braunen Verfärbungen im Bereich der Risse, wird jedoch davon ausgegangen, dass die Bewehrung zumindest teilweise depassiviert ist und korrodiert. Im Falle der Stützwand wurde mithilfe von Phenolphtalein ein verringerter pH-Wert in den Rissflanken nachgewiesen. Das legt die Vermutung nahe, dass es infolge des durchströmenden Wassers zu einer Auslaugung des Betons gekommen ist. Das Wasser löst dabei Alkalien im Bereich der Rissflanken und transportiert sie aus dem Beton hinaus. Auf diese Weise sinkt der pH-Wert soweit ab, dass es zu einer Depassivierung des Betonstahls kommt. Dieser als Hydrolyse bezeichnete Mechanismus der Auslaugung des Betons durch den Kontakt mit weichen Wässern ist bekannt und wurde bisher vor allem in Zusammenhang mit dem Bau von Trinkwasserbehältern erforscht, vgl. [2-4]. Bei ausreichender Qualität und Dicke der Betondeckung kommt es dabei i. d. R. nicht zur Depassivierung innerhalb der planmäßigen Nutzungsdauer. Im Gegensatz dazu können die Rissflanken wasserführender Trennrisse durch den fortwährenden Wasseraustausch vergleichsweise rasch auslaugen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Passivschicht nur im Rissbereich geschädigt wird. Auf diese Weise bildet sich ein Makrokorrosionselement mit kleiner lokaler Anode und großer Kathode in gut belüfteten 218 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen Bereichen aus. Da die Korrosionsgeschwindigkeit durch das Flächenverhältnis von Kathode zu Anode bestimmt wird, kann die Eisenauflösung als anodische Reaktion mit großer Geschwindigkeit voranschreiten. Ähnlich wie bei chloridinduzierter Korrosion bilden sich Korrosionsmulden aus, in denen jedoch wegen der geringen Chloridkonzentration vermutlich keine Ansäuerung stattfindet [1]. Darüber hinaus berichten Raupach und Wolff, dass Korrosionsprodukte, die eine korrosionshemmende Wirkung hätten, durch das den Riss durchströmende Wasser abtransportiert werden. Infolgedessen sind sehr hohe Korrosionsgeschwindigkeiten möglich. Rahimi beschreibt in [5; 6] die Betonstahlkorrosion in Rissen oder Fugen von Unterwasserbauteilen an Binnenwasserstraßen, die im Rahmen der Inspektion trockengelegt wurden. Im Falle einer 40-Jahre alten Kammerwand waren ausgedehnte Rostflecken in der Arbeitsfuge über dem Boden der Schleuse zu sehen, worauf hin die Bewehrung partiell freigelegt wurde. Im Bereich der Fuge waren sechs vertikal verlaufende Betonstähle gerissen. Als wahrscheinlichste Ursache wird eine korrosionsbedingte Querschnittsminderung in Verbindung mit hohen zyklischen Zugspannungen durch Schleusungsvorgänge vermutet. Durch die Arbeitsfuge dringt Wasser als Folge der unterschiedlichen Wasserstände zwischen Schleusenkammer und Grundwasser auf der anderen Seite. Die Bewehrung außerhalb der Fuge zeigte keine Querschnittsminderung. Ein ähnlich gelagerter Fall bei einer anderen Schleuse wurde an einer Trennwand zwischen zwei Sparbecken festgestellt. Auch hier dringt Wasser infolge unterschiedlich hoher Pegelstände in den Becken durch eine horizontale Arbeitsfuge. Die senkrecht zur Fuge verlaufende Bewehrung zeigte an dieser Stelle ebenfalls erhebliche Korrosionsspuren und Materialverluste. Ziel der hier vorgestellten Untersuchungen ist es, festzustellen, ob ein Einfluss der Wasserdruckhöhe und damit auch der Wasseraustauschrate im Trennriss auf die Depassivierung und Korrosionsrate der Bewehrung nachweisbar ist. 2. Untersuchungen 2.1 Übersicht Die Untersuchungen erfolgten an 12 balkenförmigen Prüf körpern aus Stahlbeton, in denen zur Messung elektrochemischer Kenngrößen Elektroden installiert waren. Die Prüf körper wurden aus Portlandzement- und Hochofenzementbeton hergestellt und nach hinreichender Erhärtung wurde ein mittiger Trennriss mit einer mittleren Rissbreite von 0,20 bis 0,25-mm erzeugt. Durch die seitlich verdämmten Risse wurde über einen gesamten Zeitraum von 460 Tagen, mit einer zwischenzeitlichen Unterbrechung, über Klebepacker demineralisiertes Wasser mit einem hydrostatischen Druck von 0,04 bar, 0,20 bar oder 1,00 bar eingeleitet. Somit standen jeweils zwei Prüf körper pro Wasserdruckhöhe und Zementart zur Verfügung. Die Unterbrechung zwischen 259 und 361 Tagen diente der Untersuchung einer möglichen Repassivierung des Betonstahls. Die Prüfflüssigkeit wurde im Falle der nahezu drucklos beaufschlagten Proben mit Hilfe eines 40 cm über den Proben angeordneten Wasserbeckens realisiert. Für die Prüf körper mit einem Wasserdruck von 0,20 und 1,00-bar (entspricht 2 m bzw. 10 m Wassersäule) wurde die Prüfflüssigkeit aus einem Becken mit einer Wasserpumpe angesaugt und über, auf den jeweiligen Druck eingestellte, Druckminderer durch die Proben gepumpt. Die aus den Rissen strömende Flüssigkeit wurde in den darunterliegenden Becken aufgegangen und in das höher gelegene Becken (0,04 bar) gepumpt bzw. von der Pumpe angesaugt (0,20 und 1,00 bar). Um eine ungewünschte Anreicherung mit Alkalien (die die Selbstheilung der Risse unterstützen würden) in beiden Becken zu verhindern und damit näherungsweise gleichbleibende Bedingungen zu schaffen, wurde die Lösung regelmäßig mit einem Ionentaustauscher demineralisiert. Parallel zur Wasserbeaufschlagung erfolgte eine diskontinuierliche Messung der Durchflussmengen sowie der Wassereigenschaften (Leitfähigkeit, Temperatur und pH-Wert), eine quasi-kontinuierliche Aufzeichnung der Elektrodenpotentiale, der instationären Elementströme und der Elektrolytwiderstände im Intervall von 12-Stunden sowie die Ermittlung der Ruhepotentiale, Polarisationswiderstände, ohmscher Spannungsabfälle (IR-Drop) und Bezugselektrodenpotentiale gegen Kupfer-Kupfersulfat im Intervall von vier bis acht Wochen. Darüber hinaus wurden die stationären Elementströme ermittelt und Stromdichte-Potential-Kurven erstellt. Nach Ablauf der gesamten Versuchsdauer wurden die Prüfkörper getrennt und die Trennflächen mit LIBS (Laser Induced Breakdown Spectroscopy) analysiert, um die vermutete Auslaugung im Rissbereich durch Elementanalyse nachzuweisen. Die eingebauten Betonstähle wurden zudem visuell auf Korrosionsspuren untersucht. In diesem Beitrag wird über die Ergebnisse im Zusammenhang zwischen Durchfluss und den quasi-kontinuierlich aufgezeichneten elektrochemischen Kenngrößen berichtet. 2.2 Material und Herstellung Durch die Stahlbetonprüfkörper mit den (Beton) Abmessungen von 480-×-100-×-100-mm 3 (l×b×h) verläuft in Längsrichtung ein mittig angeordneter Betonstahl mit einem Durchmesser d S von 10 mm und einer Länge l S von 500 mm. Bei dem Stahl handelt es sich um einen im TEMPCORE TM -Verfahren hergestellten Betonstahl der Sorte B500B. Der Betonstahl wurde vor dem Einbau an den Randbereichen auf einer Länge von 210 mm sandgestrahlt, so dass die mittleren 80 mm des Stabs in ihrem ursprünglichen, gewalzten Zustand verblieben. Anschließend wurden die sandgestrahlten Bereiche bis 10 mm vor die Walzhaut mit einem zäh-elastischen Zweikomponentenkleber auf Polyurethanbasis abgedichtet. Der 10 mm breite Übergangsbereich wurde nicht beschichtet, um das Risiko einer zusätzlichen Spaltkorrosion zu verringern. Über der Abdichtung wurden mithilfe von Abstandhaltern mit einem Durchmesser von d A -=-50-mm sechs Streckmetallringe mit einer Breite von b R -=- 20-mm in regelmäßigen Abständen, symmetrisch zu der später er- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 219 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen zeugten Rissebene, befestigt. Die Streckmetallringe bestehen aus dem Trägermetall Titan und sind mit einem Metallmischoxid beschichtet (Ti/ MMO-Elektroden). Die beiden inneren Ringe dienen im Rahmen der elektrochemischen Messungen als Pseudo-Referenzelektrode (RE) und die vier äußeren Ringe als Gegenelektrode (GE). Der mittlere, unbeschichtete, 100-mm lange Bereich des Betonstahls kreuzt den erzeugten Riss und stellt die Arbeitselektrode (AE) dar. Abb. 1 zeigt eine schematische Darstellung eines Prüfkörpers. Für den Beton wurden zwei Rezepturen gewählt, die sich ausschließlich durch die Zementart unterscheiden. Für die Serie PZ wurde ein Portlandzement CEM-I-42,5-N (hoher Ca(OH) 2 -Gehalt des Betons) und für die Serie HZ ein Hochofenzement CEM-III/ A 32,5-N-LH (üblicher Beton für massige Bauwerke wie Schleusen) verwendet. In beiden Fällen wurde dem Zement eine calcitische Gesteinskörnung mit der Sieblinie AB16 sowie Münchner Leitungswasser hinzugefügt. In Tab.-1 sind die Betonzusammensetzungen sowie die ermittelten Frisch- und Festbetonkennwerte zusammengefasst. Bei der Herstellung wurden auf den drei Schalungsseiten in Mitte der Längsrichtung drei Dreikantleisten mit einer Höhe von h D = 7 mm befestigt, um den Betonquerschnitt an dieser Stelle zu schwächen und eine Sollrissstelle zu erzeugen. Die Prüfkörper wurden 24-Stunden nach der Herstellung ausgeschalt und anschließend einen Monat unter Wasser sowie sechs weitere Monate trocken bei einer Temperatur von T-=-20-±-2-°C gelagert. Anschließend wurden die Trennrisse mit einer Universalprüfmaschine und einer Biegezugvorrichtung erzeugt. Dabei wurden die Prüfkörper iterativ wechselseitig belastet, bis sich eine mittlere Rissbreite w m zwischen 0,20 und 0,25-mm eingestellt hatte. Damit sich die Risse infolge der Biegedruckbeanspruchung nicht wieder schließen, wurden zusätzlich zu den Sollrissstellen Kerben mit einer Tiefe ca. 20-mm in die Ecken der Prüfkörper hineingeschnitten. In die Kerben wurden Metallplättchen und -folien unterschiedlicher Stärken eingelegt, um die gewünschte Rissbreite auch nach Entlastung aufrechtzuerhalten. Nach Erzeugung der Trennrisse wurden die Prüfkörper nochmal für drei Monate trocken gelagert. Um das Wasser einzuleiten, wurden Klebepacker mit Hilfe eines zäh-elastischen Zweikomponentenkleber auf Polyurethanbasis auf den Proben appliziert und die Risse seitlich mit dem gleichen Material abgedichtet. Zu Beginn der Wasserbeaufschlagung waren die Proben 324-Tage alt. Die elektrische Leitfähigkeit des demineralisierten Wassers betrug vor der Beaufschlagung 4-mS/ cm. Abb. 1: Schematische Darstellung eines Prüfkörpers samt Einbauteilen: 1) Betonstahl B500B dS-=-10-mm mit unbehandelter Walzhaut, 2) gestrahlter Übergangsbereich des Betonstahls, 3) beschichteter Bereich des Betonstahls, 4) Ti/ MMO-Elektroden und 5) Kabel. Alle Maße in Millimeter. 220 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen Tab.-1: Betonzusammensetzung, Frisch- und Festbetonkennwerte Serie Zementart w/ z- Wert Zementgehalt Gesteinskörnung Ausbreitmaß Rohdichte f cm,cube,56d DIN-EN 197-1 - - 12620 12350-5 12350-6 12390-3 Einheit - kg/ m 3 kg/ m 3 cm kg/ m 3 N/ mm 2 PZ CEM I 42,5 N 0,5 350 1882 39,8 2,451 56,9 HZ CEM III/ A 32,5 N-LH 0,5 350 1882 38,2 2,429 53,2* * nach 50 Tagen ermittelt 2.3 Untersuchungsmethoden Die Messung der Durchflussmenge Q im Riss erfolgte diskontinuierlich in Abhängigkeit der Messwerte. Zu Beginn der Beaufschlagung wurde in der Regel täglich gemessen. Aufgrund des starken Rückgangs der Durchflussmenge nach wenigen Wochen erfolgten die Messungen nur noch ein bis zwei Mal pro Woche. Die Eigenschaften der jeweiligen Prüflösung wurden zusammen mit dem Durchfluss bestimmt. Gemessen wurden die elektrische Leitfähigkeit σ, die Temperatur-T und der pH- Wert in den Becken. Zur Messung der elektrischen Leitfähigkeit wurde eine 4-Pol-Graphit-Elektrode verwendet, deren Messbereich zwischen 1×10 -3 bis 20-S/ m bzw. 10-mS/ cm bis 200-mS/ cm liegt. Für die Kompensation der gemessenen Leitfähigkeit wurde die Temperatur über einen eingebauten NTC-Fühler automatisch miterfasst. Der pHWert des Prüfmediums wurde mit einer pHEinstabmesskette mit einem Keramik-Diaphragma und einer gesättigten Kaliumchloridlösung bestimmt. Zur Bestimmung des freien Korrosionspotentials E wurde die Potentialdifferenz zwischen der Arbeitselektrode und Referenzelektrode, bestehend aus den beiden inneren Ti/ MMO-Elektroden, gemessen. Im Gegensatz zu den sonst gebräuchlichen reversiblen Elektroden für Beton, wie Silber-Silberchlorid- oder Mangandioxid-Elektroden, weisen Ti/ MMO-Elektroden eine gewisse Empfindlichkeit gegenüber pHWert-Änderungen auf [7]. Untersuchungen von Castro et al. [8] zeigen jedoch, dass sich aktivierte Titanelektroden sehr gut für den kurzzeitigen Einsatz im Beton eignen. Diese haben sich zudem zur dauerhaften, internen Messung des elektrischen Widerstands von Beton bewährt [7]. Zum Abgleich der Bezugspotentiale wurden regelmäßige Messungen mit einer externen Kupfer-Kupfersulfat-Elektrode (CSE) durchgeführt. Für die Überwachung der Korrosionsaktivität wurde der Elementstrom I zwischen Arbeitselektrode und Gegenelektrode aufgezeichnet. Zu diesem Zweck müssen sich beide Elektroden im Kurzschluss miteinander befinden. Da bei den Untersuchungen der Fokus ursprünglich auf dem Korrosionsbeginn lag, wurden die beiden Elektroden nur temporär kurzgeschlossen (instationäre Korrosionsstrommessung) und der Elementstrom zehn Sekunden nach erfolgtem Kurzschluss gemessen. Auf diese Weise kann die Korrosionsaktivität nur näherungsweise wiedergegeben werden, da der Elementstrom nach dem Kurzschluss solange abfällt, bis stationäre Bedingungen erreicht sind. Um eine Aussage über den Korrosionszustand treffen zu können, kann jedoch auch der instationäre Elementstrom herangezogen werden. Die instationäre Messung hat zudem den Vorteil, in der Ruhephase zwischen den Korrosionsstrommessungen, ergänzend das freie Korrosionspotential sowie den Elektrolytwiderstand des Betons nach deutlich kürzerer Depolarisationszeit bestimmen zu können. Die Anodenfläche betrug, vereinfachend unter der Annahme einer vollständigen anodischen Wirkung des unbeschichteten Betonstahls, 31-cm 2 . Die vier äußeren, kathodisch wirkenden Ti/ MMO-Elektroden weisen dagegen, bei Berücksichtigung der inneren und äußeren Oberfläche, insgesamt eine Fläche von 250-cm 2 auf. Durch das Flächenverhältnis Kathode-/ -Anode von rund 8 wird sichergestellt, dass keine kathodische Hemmung der Korrosion stattfindet. Zudem ist anzunehmen, dass nur der Betonstahl unmittelbar in und um den Riss anodisch wirkt, wodurch sich das Verhältnis zusätzlich erhöht. Der Elektrolytwiderstand R wurde zwischen dem anodisch wirkenden Betonstahl und den kathodisch wirkenden vier äußeren Ti/ MMO-Elektroden bestimmt. Die Wechselstromwiderstandsmessungen erfolgten bei einer Frequenz von 1-kHz. Da sich der Geometriefaktor mit der zwangsläufigen Änderung der Wasserverteilung im Prüfkörper ebenfalls ändert, wird bei den Ergebnissen nur der absolute Widerstand angegeben. Zum Aufzeichnen der Potentiale, Ströme und Widerstände an den Korrosionsmesszellen wurde ein Messsystem des Instituts für Bauforschung (ibac) der RWTH Aachen verwendet. 3. Ergebnisse 3.1 Durchfluss Die zeitliche Entwicklung des Durchflusses für einen Wasserdruck von 0,04-bar ist in Abb. 2 dargestellt, die Entwicklung für 0,20-bar und 1,00-bar in Abb. 3. In beiden Fällen ist links der Zeitraum der ersten Beaufschlagung von 0 bis 259-Tagen und rechts der der zweiten von 361 bis 460- Tagen (nach einer Phase der Nicht-Beaufschlagung von 102 Tagen) abgebildet. Unter den Durchflussdiagrammen ist zudem die zeitliche Entwicklung der elektrischen Leitfähigkeit in den jeweiligen Wasserbecken dargestellt. Bei dem Wasserdruck von 0,04- bar ist im ersten Zeitraum vor allem der starke Rückgang um 5 bis 7 Zehnerpotenzen auffällig, siehe Abb. 2 links. Der exponentielle Rückgang des Durchflusses über die Zeit setzt sich dabei 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 221 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen über die ersten rd. 120 Tage fort. Ab einem Durchfluss von etwa 1×10 -4 -l/ h (0,1-ml/ h) kann dieser nur noch grob abgeschätzt werden, da viele Stunden, teils auch mehrere Tage notwendig werden, um eine messbare Wassermenge im Becherglas unter den Proben zu sammeln. Der Bereich ist daher grau hinterlegt. Im Zeitraum von 100 bis 200-Tagen können kaum noch verwertbare Durchflüsse bestimmt werden, da nur noch wenige Tropfen pro Tag aus den Rissen dringen. Nach 200- Tagen wurden die Messungen an den Proben vorübergehend eingestellt. Ein Einfluss der Zementsorte auf die Durchflussrate ist nicht ersichtlich. Die elektrische Leitfähigkeit, siehe Abb. 2 unten, beträgt bei der ersten Messung 40-mS/ cm und steigt binnen 14-Tagen auf 200-mS/ cm. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Prüfflüssigkeit das erste Mal entsalzt, wie auch nach 27 und 55 Tagen. Der anschließende Anstieg fällt nach jeder Entsalzung flacher aus, da immer weniger Ionen aus dem Rissbereich der Prüfkörper gelöst werden. Die Prüflösung wurde noch drei weitere Male demineralisiert, um die Leitfähigkeit auf maximal 60-mS/ cm zu begrenzen. Ein Zusammenhang zwischen der Entsalzung und dem Durchfluss ist nur bei der ersten Entsalzung erkennbar, da der Durchfluss kurz danach bei allen Prüfkörpern ansteigt. Abb. 3 links zeigt die zeitliche Entwicklung des Durchflusses bei den Versuchsreihen mit 0,2-bar und 1,0-bar während der ersten Beaufschlagungsperiode. Da beide Versuchsreihen mit derselben Prüfflüssigkeit beaufschlagt wurden, werden die Ergebnisse hier zusammen betrachtet. Zu Beginn nehmen die Durchflüsse stark ab und erreichen nach ca. 16- Tagen in beiden Fällen ein Minimum, welches bei 0,20- bar im Bereich von 5 bis 10-% und bei 1,0-bar im Bereich von 20-bis 30-% liegt (bezogen auf den jeweiligen Anfangsdurchfluss). Die elektrische Leitfähigkeit der Prüfflüssigkeit ist im gleichen Zeitraum von 10 auf 130-mS/ cm gestiegen. Darauf hin wurde die Prüfflüssigkeit erstmalig entsalzt, so dass die Leitfähigkeit anschließend nur noch 60-mS/ cm betrug. Bei der Versuchsreihe mit 0,2 bar wird nach ca. 90-Tagen ein zweites Minimum durchschritten, bevor die Durchflüsse der vier Prüf körper wieder ansteigen. Die Minima der Prüf körper PZ5, HZ5, PZ6 und HZ6 liegen bei 0,20-%, 0,10-%, 0,03-% bzw. 0,20-% gemessen am Anfangsdurchfluss. Die daran anknüpfenden Maxima von 0,5-%, 0,8-%, 0,4-% und 2,5-% können nicht anhand einer Entsalzung erklärt werden, da zeitgleich keine Entsalzung durchgeführt wurde. Der an das Maximum anschließende Bereich bei der Versuchsreihe mit 1,0 bar strebt im Gegensatz zur Versuchsreihe 0,2- bar asymptotisch gegen Null. Davon ausgenommen ist jedoch der Prüf körper PZ3, da hier der Klebepacker 61 Tage nach Beginn der Wasserbeaufschlagung undicht wurde. Ein neuer Klebepacker konnte 35-Tage später angeschlossen werden. Der Durchfluss nach Wiederanschluss Q(t=96d) liegt dabei 36-% über dem Anfangsdurchfluss. Abb. 2: Durchfluss Q bei 0,04 bar und elektrische Leitfähigkeit σ im Becken 1 während der ersten (links) und der zweiten Beaufschlagungsperiode (rechts) 222 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen Abb. 3: Durchfluss Q bei 0,2 und 1,0 bar und elektrische Leitfähigkeit σ im Becken 2 während der ersten (links) und der zweiten Beaufschlagungsperiode (rechts) Nach etwa 160-Tagen steigen die Durchflüsse bei beiden Versuchsreihen wieder etwas an. Am Ende der ersten Beaufschlagungsperiode liegen die Durchflüsse bei einem Wasserdruck von 0,20-bar zwischen 0,1 und 3,5-ml/ h (im Mittel 2,2-ml/ h) und damit bei 0,2-‰ vom Anfangsdurchfluss. Bei 1,0-bar Wasserdruck betragen die Durchflüsse gegen Ende 26 bis 29-ml/ h (ohne HZ4 mit Q-≈-0-l/ h). Das gemittelte Verhältnis zum Anfangsdurchfluss beträgt zu diesem Zeitpunkt 0,7-‰. Die temporäre Trockenlegung aller Proben erfolgte nach 259-Tagen, bevor sie 361-Tage nach dem ersten Wasserkontakt erneut beaufschlagt wurden. Der Durchfluss zu Beginn der zweiten Beaufschlagungsperiode ist, im Vergleich zum Ende der ersten, bei allen Proben deutlich gestiegen. Bei der Versuchsreihe mit 0,04-bar liegen die Werte zwischen 0,018 und 0,84-l/ h (im Mittel 0,31-l/ h) und damit durchschnittlich bei 8-% des Ausgangsniveaus. Hier erreichen die unterschiedlichen Durchflüsse nach kurzen Beaufschlagungsdauer ein kleines Plateau, bevor sie weiterhin exponentiell abnehmen. Nach etwa 30-Tagen dringt kaum noch Wasser durch die Proben, worauf hin die Messungen wiederum eingestellt wurden. Die Durchflusswerte der Reihe „0,2-bar“ beginnen bei 0,018 bis 5,22-l/ h. Der Durchschnitt in Höhe von 3,2-l/ h entspricht damit 30-% des Anfangsdurchflusses. Die Werte nehmen anschließend weiter ab und erreichen nach etwa 25-Tagen ein Niveau von 1 bis 10-ml/ h (entspricht etwa 0,1 bis 1,0-‰ des Ausgangswertes), bei dem sie sich in der darauffolgenden Zeit einpegeln. Davon ausgenommen ist der Prüfkörper PZ9, bei dem nach 378-Tagen kein Durchfluss mehr festgestellt werden kann. Die Durchflüsse der Reihe „1,0-bar“ liegen zu Beginn der zweiten Beaufschlagungsperiode zwischen 11 und 37-l/ h (Mittelwert gleich 27,6-l/ h), was im Mittel 98-% des Durchflusses zu Beginn der Untersuchungen entspricht. Die Durchflüsse der Proben nehmen darauf hin ab, bis sie nach 380-Tagen ein Niveau von 10 bis 100-ml/ h erreichen. Während der Durchfluss von HZ3 in der darauffolgenden Zeit weiter abnimmt und sich bei ca. 1 bis 10-ml/ h einstellt, steigen die Durchflüsse bei PZ3, HZ4 und PZ4 vorrübergehend bis auf 1-l/ h wieder an. Nach 450-Tagen gehen sie jedoch zurück auf 10 bis 25-ml/ h. Der Klebepacker bei HZ4 wurde nach 425 Tagen undicht, worauf hin die Probe abgeschlossen wurde. Am Ende beträgt der mittlere Durchfluss der übrigen Proben 0,4-‰ in Bezug zum Ausgangswert. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 223 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen Eine Auswirkung der Zementart auf die zeitliche Entwicklung der Durchflüsse konnte bei keiner der untersuchten Versuchsreihen festgestellt werden. Der pH- Wert der Prüflösung (nicht dargestellt) stieg in den ersten 24-Stunden von 7 auf 9,7. Bereits am zweiten Tag geht er zurück auf 8,5 und nimmt danach sukzessive bis 8,0 ab. Die Werte schwanken über die restliche Dauer, auch beeinflusst durch die Entsalzungen, zwischen 7,5 und 8,0. Die Wassertemperatur lag zwischen 18-und 22-°C. 3.2 Korrosion Abb. 4 zeigt die Entwicklung des freien Korrosionspotentials E, des Elementstroms I und des Elektrolytwiderstands-R für die drei verschiedenen Wasserdrücke in Abhängigkeit der Zeit. Unabhängig vom anstehenden Wasserdruck fallen unmittelbar nach Beaufschlagungsbeginn zuerst die Elektrolytwiderstände und innerhalb weniger Tage die freien Korrosionspotentiale ab. Letzteres führt wiederum zu einem Ansteigen der Elementströme. Der weitere Verlauf bei den verschiedenen Wasserdrücken unterscheidet sich teilweise erheblich. Bei den Prüfkörpern PZ1, HZ1 und PZ2 (0,04- bar) ist bereits nach ein bis drei Tagen ein erheblicher Potentialabfall und ein sich daraus erklärbarer abnehmender Elementstrom feststellbar, siehe Abb. 4a. Für HZ2 ist die Einleitungsphase etwas länger, doch nach sieben Tagen stellt sich auch bei diesem Prüfkörper ein deutlicher Potentialabfall und ein damit einhergehender Stromfluss ein. Die freien Korrosionspotentiale betragen zu Beginn der Schädigungsbzw. Korrosionsphase ca. 400-mV-CSE und nehmen in den darauffolgenden Tagen weiter ab (d.h. sie werden negativer). Nach etwa zehn bis zwölf Tagen erreichen die Potentiale der Portlandzementserie ein vorläufiges Minimum von 651 bzw. 551-mV-CSE. Mit 703 und 748- mV- CSE sind die Potentialminima der Hochofenzementserie nicht nur niedriger, sondern treten mit 15 bzw. 17 Tagen auch erst später auf. Aufgrund der deutlich höheren Elektrolytwiderstände fallen die maximalen Elementströme bei der Serie HZ mit 136 bzw. 131-mA zu diesem Zeitpunkt jedoch geringer aus, als mit 231 bzw. 168-mA bei der Serie PZ. Der Elektrolytwiderstand der Hochofenzementserie liegt bei Versuchsbeginn etwa um Faktor 3 bis 4 höher als der der Portlandzementserie. Die Potentiale stagnieren anschließend mehrere Tage auf einem relativ niedrigen Niveau von -500 bis -750-mV-CSE und steigen etwa 30-Tage nach Beaufschlagungsbeginn wieder an. Nach etwa 140-Tagen liegen die Potentiale wieder über 300-mV-CSE. Zum Ende der ersten Beaufschlagungsperiode (t=259-d) betragen die freien Korrosionspotentiale 191-mV-CSE-bei 33-mA und 122- mV- CSE bei 21- mA für PZ1 bzw. PZ2 sowie 278-mV-CSE bei 26-mA-und -280-mV-CSE bei 25-mA für HZ1 bzw. HZ2. Die mittleren Elektrolytwiderstände der Hochofenzementbetone steigen bis zu diesem Zeitpunkt um 102- % an, während die der Portlandzementbetone um 46-% steigen. Ähnlich wie bei der Versuchsreihe mit 0,04-bar können die ersten Potentialabfälle bei der Reihe „0,20-bar“ bereits ein- Tag nach Beaufschlagungsbeginn festgestellt werden (Abb. 4b). Fünf Tage nach Beginn der Wasserbeaufschlagung liegen die Potentiale bei allen Prüfkörpern unter 400-mV-CSE, teilweise sogar unterhalb von 500-mV-CSE. Die Potentiale der Portlandzementprüfkörper erreichen nach 18-Tagen ein lokales Minimum bei 658 bzw. 513-mV-CSE. In den darauffolgenden Tagen steigen die Potentiale wieder etwas an. Von einem kleinen Peak bei 27-Tagen abgesehen, setzt sich dieser Trend bis zum Zeitpunkt t-=-40-d fort. Bei den Hochofenzementbetonen ist ein erstes lokales Minimum zum Zeitpunkt t-=-13-d in Höhe von 566 bzw. 724-mV-CSE feststellbar. Letzteres beträgt jedoch 12-Stunden vorher nur 463 und 12-Stunden nachher nur 480-mV-CSE. Anschließend steigen auch die Potentiale der Serie HZ bis zum Zeitpunkt t- =- 45- d. 53- Tage nach Beginn der Wasserbeaufschlagung erreichen die Potentiale aller Prüfkörper ein weiteres Minimum, welches im Bereich zwischen 573 und 648-mV-CSE liegt. Anschließend ergibt sich ein differenziertes Bild der Potentialverläufe für PZ6 auf der einen und für PZ5, HZ5 sowie HZ6 auf der anderen Seite. Während die Potentialdifferenz bei PZ6 immer weiter zurückgeht und sich asymptotisch 270-mV-CSE annähert, findet bei den drei übrigen Prüfkörpern ein regelmäßiger, sprunghafter Abfall, gefolgt von einem ebenso regelmäßigen und sprunghaften Anstieg der Potentialdifferenz statt. Betragsmäßig fallen die Sprünge bei PZ5 mit ca. 100 bis 200-mV kleiner aus als die von HZ5 und HZ6. Deren Betrag liegt bei ca. 200 bis 300-mV-CSE. Nach 203 und 259 Tagen wurden stationäre Strommessungen über ein bzw. drei Tage durchgeführt, die in dem Diagramm nicht dargestellt sind. Das anschließend gemessene Potential ist jedoch deutlich höher und fällt danach wieder ab, was sich in den jeweiligen Peaks äußert. Der Elementstrom verhält sich analog zum Potential. Der qualitative Verlauf ist dabei, vom umgekehrten Vorzeichen abgesehen, quasi identisch. Allerdings sind die Elementströme der Prüfkörper aus Hochofenzementbeton deutlich geringer als die der Prüfkörper aus Portlandzementbeton. Der Faktor liegt dabei, je nach Zeitpunkt, zwischen etwa 0,4 und 0,7. Auch hier können die geringeren Elementströme mit dem höheren Elektrolytwiderstand der Serie HZ erklärt werden. 259 Tage nach Beaufschlagungsbeginn liegen die Potentiale und Elementströme von PZ5, PZ6, HZ5 und HZ6 bei 385, 190, 819 und 566-mV CSE bzw. 9, 8, 11 und 10 mA. 224 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen a) b) c) Abb. 4: Zeitliche Entwicklung des freien Korrosionspotentials E, des Elementstroms I und des Elektrolytwiderstands-R für drei verschiedene Wasserdruckhöhen: a) 0,04 bar, b) 0,20 bar und c) 1,00 bar 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 225 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen Abb. 4c zeigt unter anderem die freien Korrosionspoteniale der Versuchsreihe mit 1,00-bar. Bereits am ersten Tag nach Beginn der Wasserbeaufschlagung zeigen alle Versuchskörper deutlich negativere Potentiale als zuvor. Auch hier, ähnlich wie bei den beiden anderen Versuchsreihen, werden die ersten Minima nach 13 bis 16 Tagen erreicht. Daran schließen sich mehrere Rückgänge und Wiederanstiege an, wobei die Potentiale auf kontinuierlich niedrigem Niveau zwischen 400 und 600-mV-CSE bleiben. Einzig bei dem Prüfkörper PZ3 verringert sich die Potentialdifferenz nach 70 Tagen weiter bis auf 218-mV-CSE nach 96-Tagen. Hintergrund ist jedoch die bereits im Kapitel 3.1 erwähnte Undichtigkeit des Prüfkörpers. Sobald wieder Wasser durch den Riss fließt (t-=-96-d), fällt das Potential umgehend wieder auf 480-mV-CSE ab. Die Anstiege der Potentialdifferenzen (d.h. die Potentiale werden negativer) fallen teilweise mit den Zeitpunkten der Wasserentsalzung bzw. den Zunahmen des Durchflusses zusammen, insofern diese korrelieren, vgl. Abb. 3. Die Elementströme verhalten sich, wie bereits bei den anderen beiden Versuchsreihen berichtet, analog zu dem freien Korrosionspotential. Mit abnehmenden Potentialen nehmen die Elementströme zu. Auch hier sind die Elementströme der Serie HZ etwa um den Faktor 0,5 kleiner als die der Serie PZ. Die freien Korrosionspotentiale und die Elementströme betragen zum Ende der ersten Beaufschlagungsperiode 541, 671, 228 und -204 mV-CSE bzw. 15, 12, 13 und 8-mA für PZ3, PZ4, HZ3 und HZ4. Nach der Einstellung der Wasserbeaufschlagung steigen die Potentiale aller Proben wieder deutlich an und die instationären Elementströme sinken erheblich. 360-Tage nach Beaufschlagungsbeginn liegen die Potentiale alle über 200- mV- CSE und die Elementströme zwischen 6 und 15-mA. Die Korrosionsaktivität geht durch die Trockenlegung also stark zurück. Die Elektrolytwiderstände sind im Vergleich zum trockenen Zustand vor der Beaufschlagung um 32-% bei den Portlandzementbetonen gestiegen und um 501- % bei den Hochofenzementbetonen. Sobald die Proben wieder beaufschlagt werden, stellt sich das gleiche Bild ein wie zu Beginn der Untersuchungen: Die Elektrolytwiderstände gehen zurück, die freien Korrosionspotentiale fallen ab und die Elementströme steigen wieder an. Auch hier ist der Einfluss der Wasserdruckhöhe gut erkennbar: Während die Elementströme bei 0,04-bar bei 10 bis 20-mA liegen (Ausnahme PZ1), geht die Bandbreite bei 0,20-bar von 10 bis 250-mA und bei 1,00-bar von 80 bis 310- mA. Bis zum Ende der Versuchsdauer gehen die Elementströme weiter zurück, bleiben jedoch bei den Serien 0,20-bar und 1,00-bar auf einem hohen Niveau. 4. Diskussion Bekanntermaßen ist der Durchfluss in Trennrissen abhängig von der Wasserdruckhöhe und nimmt mit der Zeit stark ab [9-11]. Diese Abhängigkeiten zeigen sich auch bei den hier vorgestellten Untersuchungen. Bereits nach 20 Tagen liegt das Verhältnis von aktuellem zu Anfangsdurchfluss bei allen Prüfkörpern unter 10-% und nach 40-Tagen unter 1-%. Die Verringerung des Durchflusses ist bei der Versuchsreihe mit 0,04- bar besonders stark ausgeprägt und beträgt zum Ende der ersten Beaufschlagungsperiode zwischen 10 -5 und 10 -7 bezogen auf den Anfangsdurchfluss. Aufgrund der geringen Wassermengen unterhalb 0,1-ml/ h kann dabei jedoch von einer nahezu vollständigen Abdichtung gesprochen werden. Bei den Versuchsreihen mit 0,20 und 1,00-bar ist das Verhältnis größer und beträgt etwa 10 -3 bis 10 -4 . Bei der Versuchsreihe mit 0,04-bar nimmt der Durchfluss unabhängig von der verwendeten Zementart, mit Ausnahme eines Gegenanstiegs, exponentiell ab. Dahingegen weicht der Verlauf bei den Versuchsreihen mit 0,20-bar und 1,00-bar durch mehrere temporäre Wiederanstiege davon ab. Zeitgleich, mit dem Beginn der ersten Durchflusszunahme nach 14-Tagen, wurde erstmals die Prüfflüssigkeit entsalzt, um annähernd gleiche Bedingungen für die Versuchsdauer zu schaffen. Die elektrische Leitfähigkeit der Prüfflüssigkeit im betreffenden Wasserbecken stieg von Tag 0 bis Tag 14 von 10 auf 130-mS/ cm und betrug nach der Entsalzung noch 60-mS/ cm. Ob die Zunahme der Durchflüsse auf die Entsalzung zurückgeführt werden kann, ist nicht eindeutig. Dafür spricht, dass durch den geringeren Ionengehalt des Wassers das Lösungsvermögen der Prüfflüssigkeit wieder ansteigt und Stoffe, die den Riss im Laufe der Zeit langsam verschließen, beispielsweise Calciumcarbonat, herausgelöst werden. Andererseits müsste dieser Vorgang dann bei jeder Entsalzung stattfinden, was aber nicht der Fall ist. Auffällig war darüber hinaus, dass der Durchfluss von PZ3 in der ersten Beaufschlagungsperiode nach dem Wiederanschluss höher war als der Anfangsdurchfluss, vgl. Abb. 3. Als Ursachen für die Selbstheilung bzw. Selbstabdichtung von Rissen im Beton werden allgemeinhin Quellen und Nachhydratisieren des Zementsteins, Bildung von wasserunlöslichem Calciumcarbonat, Blockieren der Risse durch Feinstoffe im Wasser oder durch lose Betonpartikel angesehen [9]. Edvardsen zufolge liegt die Hauptursache in der Bildung von Calciumcarbonat [9]. Durch die Verwendung von demineralisiertem Wasser kann dieser Vorgang als Ursache für die Selbstabdichtung jedoch ausgeschlossen werden. Zudem sind alle Vorgänge, mit Ausnahme des Quellens des Zementsteins, irreversibel, so dass dieser Vorgang im Falle von PZ3 als einzige Ursache übrigbleibt. Die Proben wurden auch daher nach 259-Tagen trockengelegt, um dieser Fragestellung nachzugehen. Nach Wiederanschluss beträgt das Verhältnis von aktuellem zu Anfangsdurchfluss bei den Reihen 0,04-bar, 0,20-bar und 1,00-bar im Mittel 8-%, 30-% bzw. 98-% und liegt somit deutlich über den Werten vor der Trockenlegung. Die Hauptursache der Selbstabdichtung bei den durchgeführten Versuchen muss daher reversibel sein und ist darüber hinaus wahrscheinlich abhängig von der Wasserdruckhöhe. Unter den bekannten Ursachen (s.-o.) trifft das nur auf das Quellen des Zementsteins zu. Bereits kurz nach Beginn der Wasserbeaufschlagung zeigen die Ergebnisse der elektrochemischen Messungen erste Anzeichen für Korrosion: Die Potentiale fallen 226 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen erheblich ab und die Elementströme nehmen stark zu. Ohne den Zustand der Bewehrung zu diesem Zeitpunkt zu kennen, liegt die Vermutung jedoch nahe, dass die Zunahme der Elementströme das Ende der Einleitungsphase und somit den Beginn der Schädigungsbzw. Korrosionsphase kennzeichnet. Der Zeitpunkt ist dabei unabhängig von der Zementart. Lediglich die Wasserdruckhöhe scheint einen gewissen, wenn auch gering ausgeprägten, Einfluss zu haben. So liegt der durchschnittliche Korrosionsbeginn bei 0,04-bar wenige Tage später als der bei 0,20-bar oder 1,00-bar. Spätestens jedoch nach einer Woche sind in allen Prüfkörpern erhebliche Potentialabfälle und hohe Elementströme feststellbar. Die Elektrolytwiderstände fallen erwartungsgemäß unmittelbar nach Beginn der Wasserbeaufschlagung deutlich ab. Der Korrosionsverlauf zeigt eine gewisse Abhängigkeit vom Durchfluss: Während die Potentiale der annähernd drucklos beaufschlagten Prüfkörper mit andauernder Laufzeit der Versuche wieder zunehmen und die Elementströme dementsprechend zurückgehen, bleiben die Potentiale und Elementströme der Versuchsreihen 0,20-bar und 1,00-bar kontinuierlich auf einem kritischen Niveau. Die Werte der Elementströme werden darüber hinaus mit zunehmendem Druck höher. Veranschaulicht wird der Zusammenhang zwischen Elementstrom und Durchfluss bzw. Wasserdruckhöhe in Abb. 5. Darin ist das Integral des Elementstroms als Funktion des Integrals der Durchflussmenge dargestellt. Auch wenn die Bestimmtheitsmaße mit R 2 -=-0,566 und 0,312 für PZ bzw. HZ bei der linearen Regression sehr klein ausfallen, ist der Trend jedoch erkennbar: Mit zunehmendem Durchfluss steigt der Elementstrom an. Unabhängig von der Wasserdruckhöhe sind die gemessenen Elementströme der Portlandzementbetone etwa doppelt so hoch wie die der Hochofenzementbetone. Diese Tatsache kann auf die höheren Elektrolytwiderstände der Hochofenzementbetone zurückgeführt werden. Auch wenn die Elementströme im instationären Zustand bestimmt wurden, lässt sich aus den großen Unterschieden bei den Potentialen und Elementströmen (vor und nach dem Beginn der Wasserbeaufschlagung) schließen, dass eine aktive Korrosion stattfindet und dass die Verhältnisse im stationären Zustand weitestgehend denen im instationären entsprechen. Da nach der Trockenlegung alle freien Korrosionspotentiale über 200-mV-CSE ansteigen und die Elementströme stark zurückgehen, kann davon ausgegangen werden, dass die Proben zumindest teilweise repassivieren. Calciumhydroxid aus dem umliegenden Zementstein kann in der Zeit in den Riss diffundieren und das Austrocknen des Rissbereichs führt zu einem Anstieg des Elektrolytwiderstands. Auf letzteres deuten die geringfügig steileren Verläufe des Elektrolytwiderstands zu diesem Zeitpunkt hin. Der erneute Kontakt mit Wasser führt jedoch in allen Fällen zu einer umgehenden Reaktivierung der Korrosionsprozesse. Die Elektrolytwiderstände der Hochofenzementbetone zeigen darüber hinaus keine Abhängigkeit vom anstehenden Wasserdruck, aber eine beträchtliche Steigerung mit zunehmender Versuchsdauer. Im Gegensatz dazu ist die Steigerung der Elektrolytwiderstände der Portlandzementbetone deutlich geringer ausgeprägt. Abb. 5: Zusammenhang zwischen Elementstrom und Durchfluss (Integral des Elementstroms ∫I(t)dt als Funktion des Integrals der Durchflussmenge ∫Q(t)dt im Intervall von und 361) 5. Zusammenfassung Im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchungen wird der Einfluss der Wasserdruckhöhe sowie dem davon abhängigen Durchfluss auf die Initiierung und den Verlauf der auslaugungsinduzierten Bewehrungskorrosion in Stahlbetonprüfkörpern mit wasserführenden Trennrissen (Rissbreite 0,20 bis 0,25-mm) vorgestellt. Folgende Schlüsse können aus den Untersuchungen gezogen werden: 1. Der Durchfluss ist abhängig von der Wasserdruckhöhe und nimmt mit der Zeit stark ab, teilweise bis zur vollständigen Abdichtung der Risse. Bereits nach 20 Tagen liegt das Verhältnis von aktuellem zu Anfangsdurchfluss bei allen Prüfkörpern unter 10-% und nach 40-Tagen unter 1-%. 2. Die Selbstabdichtung bzw. -heilung findet auch bei der Beaufschlagung mit demineralisiertem Wasser statt. Die Bildung von wasserunlöslichem Calciumcarbonat kann daher als Ursache ausgeschlossen werden. 3. Der Durchfluss steigt nach temporärer Trockenlegung wieder stark an. Das Verhältnis zwischen aktuellem und Anfangsdurchfluss beträgt bei den Versuchsreihen 0,04-bar, 0,20 bar und 1,00 bar im Mittel 8 %, 30 % bzw. 98-% und liegt somit deutlich über den Werten vor der Trockenlegung. Die Hauptursache der Selbstabdichtung bei den durchgeführten Versuchen muss daher reversibel sein und ist darüber hinaus wahrscheinlich abhängig von der Wasserdruckhöhe. Unter den bekannten Ursachen trifft das nur auf das Quellen des Zementsteins zu. 4. Zwischenanstiege beim Durchfluss treten teilweise kurz nach Entsalzung der Prüfflüssigkeit auf. Vermutlich besteht hier ein Zusammenhang mit dem Lösungsvermögen der Prüfflüssigkeit. Die Durchflussänderung beeinflusst zudem das freie Korrosionspotential. 5. Unabhängig vom anstehenden Wasserdruck fällt unmittelbar nach Beaufschlagungsbeginn zuerst der Elektrolytwiderstand und innerhalb weniger Tage das freie Korrosionspotential ab. Letzteres führt zu einem 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 227 Auslaugungsinduzierte Bewehrungskorrosion in wasserführenden Trennrissen Anstieg des Elementstroms. Der weitere Korrosionsverlauf ist abhängig von der Wasserdruckhöhe bzw. vom Durchfluss. 6. Die Selbstabdichtung führt zu einer Zunahme der freien Korrosionspotentiale und einer Verringerung der Korrosionsrate. Bei fortwährendem Durchfluss bleiben die Werte auf einem kritischen Niveau. Mit zunehmendem Durchfluss steigt die Korrosionsrate an. 7. Nach Trockenlegung der Proben tritt eine teilweise Repassivierung des Betonstahls ein. Die Korrosionskennwerte erreichen dabei ein unkritisches Niveau. Die Wiederbeaufschlagung führt zu einer Reaktivierung des Korrosionsprozesses. 8. Die Zementart beeinflusst lediglich die Elektrolytwiderstände der Proben. Diese sind zu Beginn der Versuche bei dem Hochofenzementbeton ca. dreimal so hoch, wie bei dem Portlandzementbeton. Bis zum Ende der Trockenlegung steigt der Elektrolytwiderstand um 501-% beim Hochofenzement und um 32-% beim Portlandzement. 9. Der höhere Elektrolytwiderstand des Hochofenzementbetons hat zur Folge, dass der Elementstrom, trotz niedrigerem freien Korrosionspotential, um 40 bis 70- % geringer ausfällt, als bei dem Portlandzementbeton. Literatur [1] Raupach, M., Wolff, L.: Korrosion der Bewehrung durch Auslaugung des Betons im Bereich wasserführender Risse. Bautechnik 93 (2016), S. 278-283. [2] Boos, P.: Herstellung dauerhafter zementgebundener Oberflächen im Trinkwasserbereich. Korrosionsanalyse und technische Grundanforderungen. Dissertation 2002. [3] Schwotzer, M.: Zur Wechselwirkung zement-gebundener Werkstoffe mit Wässern unterschiedlicher Zusammensetzung am Beispiel von Trinkwasserbehälterbeschichtungen. Dissertation 2008. [4] Schulte Holthausen, R., Raupach, M., Merkel, M., Breit, W.: Auslaugungswiderstand von Betonoberflächen in Trinkwasserbehältern. Bautechnik 97 (2020), S. 368-376. [5] Rahimi, A.: Significance of Cracks in Durability Design and Assessment of Hydraulic Concrete Structures due to Reinforcement Corrosion. In: Foster, S., Gilbert, R. I., Mendis, P., Al-Mahaidi, R., Millar, D. (Hg.): Better, Smarter, Stronger. Proceedings for the 2018 fib Congress held in Melbourne, Australia. Lausanne: Fédération internationale du béton (fib). [6] Rahimi, A., Westendarp, A.: Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken. In: Technische Akademie Esslingen (Hg.): 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken. Esslingen. [7] Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e.V. (Hg.): Korrosionsmonitoring bei Stahl- und Spannbetonbauwerken. Merkblatt B 12. Berlin 2018. [8] Castro, P., Sagüés, A. A., Moreno, E. I., Maldonado, L., Genescá, J.: Characterization of Activated Titanium Solid Reference Electrodes for Corrosion Testing of Steel in Concrete. CORROSION 52 (1996), S. 609-617. [9] Edvardsen, C. K.: Wasserdurchlässigkeit und Selbstheilung von Trennrissen in Beton. Dissertation. Aachen: Beuth 1994. [10] Meichsner, H.: Über die Selbstdichtung von Trennrissen in Beton. Beton- und Stahlbetonbau 87 (1992), S. 95-99. [11] Ripphausen, B.: Untersuchungen zur Wasserdurchlässigkeit und Sanierung von Stahlbetonbauteilen mit Trennrissen. Dissertation. Aachen 1989. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 229 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen Dr.-Ing. Christian Helm Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Univ.- Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Innerhalb eines gemeinsamen Forschungsvorhabens der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und des Instituts für Baustoffforschung (ibac) wurde die Leistungsfähigkeit von galvanischen Anodensystemen systematisch untersucht. Dabei wurden numerische Methoden angewendet, um die Anwendbarkeit derartiger Anodensysteme zur Unterdrückung des so genannten Anodenring-Effektes zu untersuchen. Die Ergebnisse der numerischen Untersuchungen werden im Folgenden dargestellt. 1. Einführung Kommt im Zuge von Chlorid induzierte Makroelementkorrosion von Stahl in Beton zu Sprengdrücken im Beton, die zusätzlich zu den Schäden am Stahl auch zu einer Schädigung des Betons führen, wird der Beton normalerweise nur in diesen Bereichen mit einem Reparaturmörtel ersetzt. Dadurch liegen dann korrosionsaktive Bereiche mit vergleichsweise hohen Chloridgehalten, aber ohne sichtbare Schäden und Reparaturbereiche mit niedrigen Chloridgehalten direkt nebeneinander, was zu hohen Treibspannungen zwischen den Bewehrungsstählen der zwei Bereiche und damit zu einer Verstärkung des Korrosionsprozesses in Bereichen mit nicht ersetztem Beton führt. Diese Entwicklung wird als „Anodenring- Effekt“ bezeichnet. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, werden galvanische Anoden aus Zink im Umkreis der Reparaturstelle eingesetzt und mit dem Stahl elektrisch verbunden. Entsteht dadurch ein ausreichend hoher galvanischer Schutzstrom, kann der Stahl in der Umgebung der Reparaturstelle durch die kathodische Polarisation geschützt werden. Eine breitere Anwendung dieser Methode in der Praxis scheitert bislang daran, dass zum einen die Wirksamkeit und Reichweite des Schutzeffektes neben der Leistungsfähigkeit des gewählten Anodensystems von zahlreichen klimatischen und Bauwerksspezifischen Faktoren abhängen. Zum anderen liegt die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens im Gegensatz zu einem vollwertigen kathodischen Korrosionsschutz (KKS) mit Fremdstromanoden im Verzicht auf eine Mess- und Regeltechnik begründet, wodurch die Wirksamkeit auch im Nachgang der Installation kaum zu belegen ist. Im Folgenden werden Laborversuche zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit galvanischer Anoden sowie der expositionsabhängigen elektrolytischen Eigenschaften der verwendeten Reparaturmaterialien dargestellt. Diese Daten dienen im zweiten Schritt als Eingangsdaten für eine numerische Simulation, mittels derer die Wirksamkeit des Anodensystems zur Vermeidung des „Anodenring-Effekts“ ermittelt werden soll. 2. Laborversuche 2.1 Versuche zur Ermittlung der Polaristaionseigenschaften Innerhalb des AiF-geförderten Forschungsvorhabens „Leistungsfähigkeit von galvanischen und hybriden Anodensystemen für Stahlbetonbauwerke“ wurden am Institut für Baustoffforschung, Aachen, (ibac) wie auch der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, umfangreiche Untersuchungen an kommerziell verfügbaren galvanischen Anodensystemen für Stahlbeton durchgeführt. Die untersuchten Systeme unterschieden sich teilweise stark hinsichtlich ihrer elektrochemischen Eigenschaften und der daraus resultierenden Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen. Für die folgenden Betrachtungen wird daher nur ein ausgewähltes Anodensystem betrachtet, welches für den gewählten Einsatzzweck die besten Eigenschaften aufwies. Abb.1 zeigt das gewählte Anodensystem im Lieferzustand, wie auch nach dem entfernen des zementösen Einbettmörtels. Dies diente der Bestimmung der tatsächlich wirksamen Zinkoberfläche für die Nachfolgenden Untersuchungen. 230 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen Abb.1: Anodensystem im Lieferzustand und nach Entfernung des Einbettmörtels Zur Bestimmung der elektrochemischen Eigenschaften wurden die Anoden gemeinsam mit einer MnO2-Referenzelektrode in die Aussparung eines Betonwürfels mit integrierter Gegenelektrode aus aktiviertem Titanmischoxid (MMO) eingebaut und mittels eine kommerziell verfügbaren Reparaturmörtels angekoppelt. Bilder der Schalung des Grundprüfkörpers sowie des fertigen Probekörpers gibt Abb.2. Abb.2: Schalung des Grundprüfkörpers mit MMO- Netz (links), fertiger Prüfkörper (rechts) An den Prüfkörpern wurden dann potentiodynamische Polarisationsversuche zur Bestimmung der Stromdichtepotentialkurven (SPK) durchgeführt. Diese erfolgten im 3-Elektrodenauf bau. Eine schematische Darstellung gibt Abb.3. Abb.3: Schematischer Auf bau zur Bestimmung der Stromdichtepotentialkurven Die Versuche wurde ausgehend vom freien Korrosionspotential des Anodensystems mit einer Vorschubgeschwindigkeit von 2-mV/ min bis zu einem Wert von 0-V gegen die Einbaureferenz durchgeführt. Dadurch wurde der in der Praxis mögliche Bereich an Polarisation durch die im Beton enthaltene Bewehrung unabhängig von deren Korrosionszustand abgedeckt. Die SPK wurden linear um den Einfluss des ohmschen Spannungsabfalls kompensiert. 2.2 Versuche zur Ermittlung des Feuchte- Widerstandsverhaltens Für die nachfolgenden Simulationen wurden am Ankopplungsmörtel sowie dem gewählten Beton der Grundprüfkörper Feuchte-Widerstandsbeziehungen sowie Desorptionsisothermen erstellt. Abb.4 zeigt das prinzipielle Vorgehen bei der Erstellung schematisch. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 231 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen Abb.4: Methodik zur Bestimmung der für die numerischen Untersuchungen gewählten Feuchte-Widerstandsbeziehungen Zunächst werden aus Würfel oder plattenartigen Grundprüfkörpern Zylinderscheiben präpariert und bis zur Massebzw. Widerstandskonstanz wassergelagert. Der Gefahr einer Auslaugung wird durch ein geringes Flüssigkeitsvolumen um die Proben im Lagergefäß Rechnung getragen. Anschließend werden Masse und Elektrolytwiderstand der PK ermittelt und diese anschließend getrocknet. Nach der Trocknung werden erneut Masse und Widerstand bestimmt und gezielt abgestufte Wassergehalte eingestellt, die Prüfkörper in einer dampfdichten Spezialverpackung vakuumiert und ruhen gelassen. Nach Abschluss der Ruhephase werden letztmals Masse und Elektrolytwiderstand bestimmt, die PK dann bis zur Massekonstanz gedarrt. Die Widerstandsmessungen erfolgten im 2-Elektrodenauf bau mittels Wechselstrommessung bei 1-kHz. Die erhaltenen Absolutwiderstände wurden unter Berücksichtigung der Prüfkörpergeometrie in spezifische Widerstände umgerechnet. Die Ankopplung der Messelektroden erfolgte über so genannte Cardiopads, deren Widerstand über Blindmessungen ermittelt und aus der Auswertung eliminiert wurde. Abschließend wurden alle spezifischen Widerstandswerte auf die absolute Feuchte zum Messzeitpunkt im Verhältnis zur Trockenmasse der PK bezogen dargestellt Eine grafische Darstellung der Feuchte Widerstandsbeziehungen von Ankopplungsmörtel und Grundbeton gibt Abb.5. Abb.5: Für die numerischen Untersuchungen bestimmte Feuchte-Widerstandsbeziehungen Für die Bestimmung der Desorptionseigenschaften der Materialien wurden Proben zunächst wassergesättigt und anschließend in Exsikkatoren verschiedener Klimate bis zur Massekonstanz eingelagert. Anschließend wurden die zugehörigen Wassergehalte durch Darren bestimmt. Das Desorptionsverhalten der beiden Materialien zeigt Abb.6. Abb.6: Für die numerischen Untersuchungen bestimmte Desorptionseigenschaften 232 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen 3. Numerische Simulation Da sich durch die Laborversuche nur eine begrenzte Anzahl von Parameterkombinationen abdecken lassen, sollen, um die Ergebnisse der Polarisationsversuche auf eine größere Anzahl baupraktischer Bedingungen zu übertragen, numerische Berechnungen angestellt werden. Unter welchen Bedingungen eine ausreichende kathodische Polarisation der aktiv Korrodierenden Bewehrung mittels der hier zu untersuchenden galvanischen Anodensysteme erreicht werden kann, hängt neben deren eigenen Polarisationsverhalten von einer Vielzahl anderer Parameter ab. Dazu zählen insbesondere die Geometrie (Lage der KKS-Anode zur Bewehrung, Bewehrungsgrad, Anteil der depassivierten Bewehrungsoberflachen, mehrlagige Bewehrung, etc.) und der elektrolytische Widerstand des Betons, welcher wiederum durch die Betonfeuchte, aber eben auch durch Betonqualität und das gewählte Bindemittel beeinflusst wird. Die im Folgenden dargestellten numerischen Berechnungen wurden mittels der FEM Software COMSOL Multiphysics 5.3a durchgeführt. Auf eine detaillierte Darstellung der Grundlagen der numerischen Simulation von Korrosionsvorgängen in Stahlbeton im Allgemeinen sowie von KKS von galvanischen und Fremdstromsystemen im speziellen soll an dieser Stelle verzichtet werden. Diese sind z. B. in [1,2, 3] ausführlich beschrieben. Eine detailliertere Darstellung der im Rahmen dieses Forschungsprojektes durchgeführten numerischen Untersuchungen ist in [4] veröffentlicht. Generell lässt sich festhalten, dass neben den Polarisationseigenschaften der beteiligten Elektroden die spezifischen elektrolytischen Widerstände und die Geometrie bekannt sein müssen. Die Gewinnung, bzw. Wahl dieser Parameter wird im Folgenden beschrieben. 3.1 Polaristaionseigenschaften Für alle Elektroden muss die Stromdichte auf der Elektrodenoberfläche als Funktion des Potentials definiert werden. Diese Eigenschaft wird prinzipiell durch die oben ermittelten SPK beschrieben. Um diese jedoch im numerischen Modell abbilden zu können, wird i. d. R. die so genannte Butler-Vollmer-Gleichung verwendet: Darin sind i 0 die Austauschstromdichte, b a und b c die anodische und kathodische Tafelsteigung, i lim red und i lim,ox die anodischen und kathodischen Grenzstromdichten. Diese Parameter werden durch einen Fit der tatsächlich gemessenen Werte bestimmt. Für die aktive- und passive Bewehrung wurden Polarisationseigenschaften gewählt, wie sie bereits zuvor innerhalb von Forschungsvorhaben an Portlandzementbetonprüfkörpern mit und ohne Chlorid Beaufschlagung gemessen wurden. Eine grafische Übersicht der gewählten Polarisationseigenschaften sowie der Fit-Funktionen gibt Abb.7. Die Potentialwerte sind bezogen auf die gesättigte Kalomelelektrode (SCE) angegeben. Eine tabellarische Übersicht über die Parameter der Butler-Vollmer-Gleichung gibt Tab. 1. Abb.7: Für die numerischen Untersuchungen gewählte Polarisationseigenschaften Tab. 1: Fit-Parameter Elektrode E 0 in V i 0 in A/ m² b a in V/ dec b c in V/ dec i lim,ox in A/ m² i lim,red in A/ m² Passive Bewehrung -0,06 0,0000858 0,15 0,1438 1 0,545 Aktive Bewehrung -0,3 0,002234 0,15 0,202 1 0,273 Galvanische Anode -0,936 0,018 0,22 0,18 0,165 1,2 Die dargestellten Werte wurden so gewählt, dass eine bestmögliche Anpassung der Fit-Funktion an die Messwerte erreicht werden konnte. Dabei wurde akzeptiert, dass einige der dargestellten Parameter außerhalb ihrer theoretischen Grenzen liegen. Dies kann z. B. durch nachgelagerte Reaktionen begründet sein, die durch die Butler-Vollmer-Gleichung nicht abgebildet werden können. 3.2 Elektrolytwiderstandsverteilung Mittels der Daten aus Abb. und Abb. wurden die zu erwartenden Elektrolytwiderstände unter einer dauerhaften Lagerung bei 65, 75, 85 und 95 % rF ermittelt. Die resultierenden Parameter sind in Tab. 2 dargestellt. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 233 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen Tab. 2: Klimaabhängige Elektrolytwiderstände für die numerische Simulation Relative Luftfeuchte in % Wassergehalt Einbettmörtel in M.-% Spez. Widerstand Einbettmörtel in Ωm Wassergehalt Grundbeton in M.-% Spez. Widerstand Grundbeton in Ωm Widerstandsverhältnis 65 7,94 1778 3,10 1585 1,12: 1 75 9,06 880 3,62 649 1,36: 1 85 10,22 512 4,18 305 1,68: 1 95 11,43 345 4,78 173 1,99: 1 3.3 Geometrie Für die Geometrie wurde eine typische Anordnung des so genannten Anodenring-Effektes nach lokalem Betonersatz eingesetzt. Eine Übersicht über die geometrischen Randbedingungen gibt Abb.8. Abb.8: Für die numerischen Untersuchungen gewählte Geometrie Die Reparaturstelle hat einen Durchmesser von 1- m, die galvanischen Anoden entsprechen hinsichtlich ihrer Oberfläche dem gewählten Typ, vgl. Abb.1. und sind innerhalb der Reparaturstelle unmittelbar an deren Rand angeordnet. Die komplette untere Bewehrungslage, sowie die vollständige Bewehrungsoberfläche der oberen Bewehrungslage im Reparaturmörtel, wurden als passiv angenommen. Die komplette obere Bewehrungslage außerhalb der Reparaturstelle wurde als aktiv korrodierend definiert. Daraus resultiert ein pessimales Anoden zu Kathodenverhältnis im Übergangsbereich. Aus Symmetriegründen wurde nur ein Viertel der Platte abgebildet, die Ausdehnung von 3∙3 m² ist erfahrungsgemäß ausreichend, um Makroelemente in Stahlbeton abbilden zu können. Die Anzahl der galvanischen Anoden im Übergangsbereich, bzw. deren Abstand zueinander kann innerhalb von Parameterstudien frei variiert werden. 4. Ergebnisse Im Folgenden werden die Ergebnisse der Simulation für das gewählte Anodensystem vorgestellt. Abb. 9 bis Abb. 12 stellen den Potentialverlauf entlang der Symmetrieachse dar. Abb.9: Potentialverlauf entlang der Symmetrieachse, 65 % rF Abb.10: Potentialverlauf entlang der Symmetrieachse, 75 % rF Abb.11: Potentialverlauf entlang der Symmetrieachse, 85 % rF 234 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen Abb.12: Potentialverlauf entlang der Symmetrieachse, 95 % rF In den vorstehenden Darstellungen entspricht die rote Linie dem Fall der freien Korrosion. Der Anstieg der Kurve vom rechten Rand des Prüfkörpers, L=1,5m, bis zum Übergang zur Reparaturstelle zeigt die anodische Polarisation durch die neue Kathode im Reparaturbereich und ist somit eine Visualisierung des so genannten Anoden- Ringeffektes. In den horizontalen Bereichen am rechten Rand, in größerer Entfernung zur Reparaturstelle, dominiert das Makroelement mit der unteren Bewehrungslage als Kathode. Die Welligkeit der Kurven ist den Flächenverhältnissen an den Kreuzungspunkten der Mattenbewehrung geschuldet. Die blaue Linie ist eine Verschiebung des Potentialverlaufs „freie Korrosion“ um 100-mV in kathodische Richtung. Ihr Unterschreiten kann als eine lokale Erfüllung des 100-mV-Kriteriums nach DIN EN ISO 12696 / N2/ interpretiert werden. Die schwarze Linie bei -0,30 mV visualisiert das freie Korrosionspotential der aktiven Bewehrung. Die weiteren Graphen zeigen den zu erwartenden Potentialverlauf bei schrittweiser Hinzunahme von galvanischen Anoden. Die Ergebnisse lassen sich hinsichtlich der Erreichung drei verschiedener Schutzniveaus interpretieren. Unterschreitet der Potentialverlauf die Linie E corr Anfang, so ist bereits ein „verdecken“ Der Reparaturstelle vor dem Restbauwerk erreicht. Die Korrosion wird dann nur durch das Makroelement zur rückseitigen Bewehrung gebildet. Ein Unterschreiten der Linie E 0 Aktive Bewehrung zeigt eine vollständige Unterdrückung der Makroelementkorrosion im Bauteil an, so dass lediglich noch von einer erhöhten Eigenkorrosion im betroffenen Bereich auszugehen ist. Unterschreitet der Potentialverlauf die blaue Line, so wird gar das 100-mV-Kriterium bereichsweise erfüllt. Es lässt sich erkennen, dass die Anzahl der benötigten Anoden zur Erreichung der unterschiedlichen Schutzniveaus stark variiert. Ebenso können diese unter feuchteren klimatischen Bedingungen leichter erreicht werden. Der Einfluss des Elektrolytwiderstandes in Abhängigkeit der Bauteilfeuchte hat einen signifikanten Einfluss auf die Ausbildung des Anodenrings und die damit einhergehende Polarisation der Bewehrung außerhalb der Reparaturstelle. Dies wird im besonderen Maße bei der Darstellung der Potentialverläufe bei 65-% rF deutlich. Eine Polarisation der Bestandsbewehrung ist nur bis ca. 25-cm um die Anoden herum möglich. Neben den Potentialverläufen können auch die Stromdichteverteilungen aus den Simulationsergebnissen extrahiert werden. Diese zeigen die Abb.13bis Abb.16. Abb.13: Stromdichteverlauf entlang der Symmetrieachse, 65 % rF Abb.14: Stromdichteverlauf entlang der Symmetrieachse, 75 % rF Abb.15: Stromdichteverlauf entlang der Symmetrieachse, 85 % rF Abb.16: Stromdichteverlauf entlang der Symmetrieachse, 95 % rF 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 235 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen Auch, wenn die Darstellungen der Makroelementstromdichten weniger Information in sich tragen als die Potentialverläufe, kann man daraus Erkenntnisse ziehen. Zum einen zeigt eine Überschreitung der 0-Linie, analog zur obigen Unterschreitung von E 0 Aktive Bewehrung, eine vollständige Makroelementunterdrückung im Randbereich der Anodenanordnung hin zum Altbeton an. Zum anderen kann man aus der Höhe der Stromdichten den jeweiligen Schutzstromanspruch ableiten. Dieser steigt erwartungsgemäß bei feuchterem Klima an. Bei geringen Bauteilfeuchten und daraus resultierenden hohen Elektrolytwiderständen sinkt der Schutzstromanspruch signifikant. Die Änderung des Schutzstromanspruchs zwischen einer Umgebungsfeuchte von 75-% vs. 65-% ist exponentiell und mehrere Dekaden geringer. Tab. 3 fasst die Ergebnisse der Simulation zusammen. Hier sind die drei identifizierten Schutzniveaus „Unterdrücken des Anodenringeffektes“, „Makroelementunterdrückung“ und „100-mV-Kriterium“ hinsichtlich ihrer Erreichbarkeit bei verschiedenen Anodenabständen und Klimaten, so wie ggf. die Reichweite des Effektes angegeben. Die ausgewiesene maximale Lebensdauer ist ein theoretischer Wert und geht von einer vollständigen Zinkauflösung der galvanischen Anode aus. Nicht zielführende Anodenanzahlen, also eine zu geringe Anzahl an Anoden werden in der nachfolgenden Tabelle nicht dargestellt. Tab. 3: Zusammenfassung der Simulationsergebnisse Relative Luftfeuchte in % „Verdecken“ der Reparaturstelle Reichweite in m für: Mittlere Anodenstromdichte in µA/ cm2 Theoretische Lebensdauer in ab Elementunterdrückung 100 mV-Kriterium 65 20 0,069 -a 0,045 353 24 0,081 -a 0,040 400 28 0,087 -a 0,031 510 32 0,089 0,006 0,029 549 36 0,091 0,011 0,036 447 75 12 -a -a 0,257 62 16 0,098 -a 0,232 69 20 0,112 0,004 0,222 72 24 0,125 0,024 0,227 70 28 0,136 0,034 0,210 76 32 0,140 0,041 0,204 78 36 0,145 0,044 0,188 85 85 8 - a - a 0,478 33 12 0,087 - a 0,444 36 16 0,129 0,004 0,399 40 20 0,149 0,034 0,379 42 24 0,162 0,047 0,382 42 28 0,171 0,058 0,353 45 32 0,179 0,062 0,340 47 36 0,184 0,065 0,313 51 95 8 - a - a 0,695 23 12 0,125 0,000 0643 25 16 0,166 0,030 0,579 28 20 0,184 0,047 0,548 29 24 0,197 0,065 0,545 29 28 0,210 0,072 0,503 32 32 0,214 0,078 0,481 33 36 0,221 0,081 0,444 36 [a] für angegebene Anodenanzahl nicht erfüllt [b] Annahme vollständiger Zinkauflösung 5. Schlussfolgerungen Die Ergebnisse zeigen, dass der primäre Zweck galvanischer Anoden, die Unterdrückung von Wechselwirkungen im Umfeld lokaler Instandsetzungen, wie der so genannte Anoden-Ringeffekt mit praxistauglichen Anodenanzahlen, bzw. -abständen erreicht werden kann. Für die Makroelementunterdrückung oder gar eine Erreichung der 100-mV- Kriteriums währen deutlich höhere Anzahlen erforderlich und selbst dann bliebe der Effekt auf einen relativ schmalen Bereich um die Reparaturstelle begrenzt. Man kann erkennen, dass die zu erwartenden Korrosionsstromdichten zumindest für die trockeneren Expositionen im Bereich der 0,25 µA/ cm² liegen. Die komplementären Versuche der BAM deuten für das gewählte Anodensystem in diesem Stromdichtebereich auf eine längerfristige Funktionstüchtigkeit hin. Hinsichtlich der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Praxis ist anzumerken, dass die Annahme einer vollständigen Depassivierung der Bewehrung im chloridbelasteten Bereich sehr konservativ ist. Dies ist vermutlich der Grund, warum bei Praxisinstallationen häufig zumindest zeitweise das 100-mV-Kriterium dennoch erfüllt werden kann. Die Annahme wird im Rahmen dieser Untersuchungen dennoch als gerechtfertigt angesehen, da kein verlässliches Baustellenverfahren zur Quantifizierung der aktiven Bewehrungsoberflächen bzw. der lokalen 236 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Unterstützender Einsatz von galvanischen Anoden bei der teilflächigen Instandsetzung von chloridbelasteten Stahlbetonoberflächen Korrosionsstromdichten existiert. Ebenso beinhalten die dargestellten Ergebnisse noch keine zeitabhängigen Effekte. Weder Veränderungen der Anodenkinetik, noch hinsichtlich sekundärer Schutzeffekte an der Bewehrungsoberfläche. 6. Danksagung Die Autoren danken der AiF Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. für die Förderung dieses Forschungsvorhabens. Wir danken weiterhin unseren Forschungspartnern bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) sowie allen Mitgliedern des Projektbegleitenden Ausschuss für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Literatur [1] M. Brem, Ph.D. Thesis, Numerische Modellierung der Korrosion in Stahlbetonbauten. Anwendung der Boundary Element Methode, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Switzerland, 2004. [2] C.Helm, Modelling of Cathodic Protection of Steel in Concrete Considering Time and Location-dependent Influencing Factors. Aachen, Technische Hochschule, Fachbereich 3, Dissertation, 2019. [3] J. Warkus, Einfluss der Bauteilgeometrie auf die Korrosionsgeschwindigkeit von Stahl in Beton bei ^ Markoelementbildung. Aachen, Technische Hochschule, Fachbereich 3, Dissertation, 2012. [4] Helm, C, Raupach, M. Numerical evaluation of the capacity of galvanic anode systems for patch repair of reinforced concrete structures. Materials and Corrosion. 2020; 71: 726- 737. https: / / doi. org/ 10.1002/ maco.202011578 Prüfung am Bauwerk 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 239 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren Dr.-Ing. Sarah Steiner Hochschule RheinMain, Wiesbaden Philipp Grillich, M. A. Institut für Steinkonservierung e.V. Dr.-Ing. Turgay Öztürk StoCretec GmbH, Kriftel Dr. Michael Auras Institut für Steinkonservierung e.V. Prof. Dr.-Ing. Christian Heese Hochschule RheinMain, Wiesbaden Zusammenfassung Die Grundlage einer bedarfsgerechten Instandsetzung ist eine zuverlässige Schadensaufnahme am Bauwerk. In den letzten Jahren hat sich die Kombination verschiedener zerstörungsfreier Prüfverfahren als sinnvoll erwiesen. Insbesondere bei Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne sind geeignete Untersuchungsmethoden entscheidend, da baulich bedingte Schwachstellen (z. B.: geringe Betondeckung, fehlende Entwässerungsvorrichtungen, unzureichend nachbehandelter Beton, etc.) diese in ihrer Dauerhaftigkeit einschränken können. Erschwerend kann hinzukommen, dass das Ausmaß einer Schädigung visuell von außen nicht immer zur Gänze ersichtlich ist. Die kontinuierliche Zustandsbewertung mit bildgebenden Prüfmethoden ist ein vielversprechender Weg, Schäden frühzeitig zu erkennen, sowie die Qualität bereits bestehender Instandsetzungen sicherzustellen. In diesem Beitrag werden die Möglichkeiten und Grenzen zur Detektion von oberflächennahen Schäden und Mängel mit bildgebenden Methoden wie Radar, Ultraschalltomographie und Thermographie aufgezeigt. Um die Interpretation der Ergebnisse aus bildgebenden Prüfmethoden an Sichtbetonbauwerken zu optimieren wurden daher Probekörper mit unterschiedlichen Fehlstellen (Lufteinschlüsse, Delaminationen parallel zur Oberfläche, Kiesnest) hergestellt und systematisch geprüft. Die Erkenntnisse aus den Laboruntersuchungen werden auf ein ausgewähltes denkmalgeschütztes Bauwerk übertragen. Als Praxisbeispiel werden im vorliegenden Beitrag die Untersuchungsergebnisse an der evangelischen Christuskirche in Bingen-Büdesheim vorgestellt. 1. Einführung Der Stahlbetonbau eröffnete den Architekten und Ingenieuren des frühen 20. Jahrhunderts hinsichtlich Bauästhetik und technischer Ausführung neue Möglichkeiten, welche beeindruckende Bauwerke hervorbrachte. Die seit inzwischen mehr als 100 Jahren praktizierte Bauweise erlebte insbesondere in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine rasante Entwicklung [1]. Immer mehr Betonbauwerke aus dieser Zeit erlangen den Status eines Denkmals. Die Erhaltung und Instandsetzung dieser historisch bedeutsamen Betonbauwerke erfordern Maßnahmen, die umgesetzt werden, ohne dass die ursprüngliche Konstruktion und Ausdruckskraft dabei verloren geht. Neben einer Instandsetzung nach den geltenden Regelwerken kam in den letzten Jahrzehnten an Baudenkmälern auch vermehrt eine lokal begrenzte, sogenannte behutsame Instandsetzung zum Einsatz [2-5]. Für einen denkmalgerechten Erhalt von, sei es nun konventionell oder behutsam instand gesetzten Bauwerken, ist eine kontinuierliche Überprüfung der Bausubstanz erforderlich, um im besten Fall Schäden zu beheben, bevor bauhistorisch bedeutsame Merkmale verloren gehen. Um ein derartiges Monitoring umzusetzen werden zerstörungsfreie Prüfmethoden benötigt, die es erlauben, die Qualität des Verbunds zwischen historischem Bestandsbeton und Instandsetzungsmaterial bewerten zu können. Bei der Zustandsbewertung von Bauwerken haben sich in den letzten Jahren die bildgebenden Methoden Radar [6; 7], Ultraschalltomographie [8-10] und Thermographie [11; 12] etabliert. In vielen Fällen hat sich die Kombination aus Radar, Ultraschalltomographie und Thermographie als sinnvoll erwiesen, da sich die Ergebnisse dieser Methoden zum Teil gegenseitig stützen oder ergänzen können [13-15]. Um Instandsetzungsmaßnahmen oder oberflächennahe Delaminationen detektieren zu können eignet sich die Thermographie wegen der guten Nachweisempfindlichkeit in Bauteiltiefen von bis zu 7-cm [16]. Die Thermographie ist allerdings auf eine möglichst gleichmäßige Erwärmung der Bauteiloberfläche angewiesen. In der Praxis kommt daher insbesonde- 240 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren re die Sonneneinstrahlung als bevorzugte Wärmequelle zum Einsatz. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren gehört hier allerdings eine geeignete Exposition der Fassade (kein Schattenwurf) und ein ausreichender Temperaturgradient. Die Thermographie kann daher nicht überall und zu jeder Zeit erfolgreich zum Einsatz gebracht werden. Ergänzend können hier Messungen mit dem Radarverfahren oder Ultraschalltomographie wertvolle Ergebnisse liefern. Diese Prüfmethoden können allerdings meist erst ab einer Bauteiltiefe von 3 bis 10-cm sinnvolle Messergebnisse erzielen [17]. In diesem Beitrag sollen daher die Möglichkeiten und Grenzen bei der Detektion von oberflächennahen Delaminationen unter dem kombinierten Einsatz von Thermographie, Radar und Ultraschalltomographie untersucht werden. 2. Methodik 2.1 Thermographie Die Thermografie ist ein bildgebendes Verfahren das es ermöglicht, die Wärmestrahlung von Oberflächen aufzunehmen und darzustellen. Unterschiedliche Temperaturfelder auf der Oberfläche können auf Schäden (Delaminationen, Abplatzungen etc.) oder Mängel (Kiesnest) im Bauwerk hinweisen. Derlei Fehlstellen bedingen einen gehemmten Wärmeabtrag in das Bauteilinnere. Es entsteht ein Wärmestau, und das Material, welches durch solche Fehlstellen vom übrigen Bauteil (teilweise) getrennt wird, erwärmt bzw. erkaltet früher als der umgebende Beton. Voraussetzung hierfür ist ein Wärmetransport im Material. Dieser kann von außen nach innen erfolgen und wird meist aktiv (IR-Strahler) oder natürlich (Sonneneinstrahlung-/ Lufttemperatur) angeregt. Im Zuge der Laboruntersuchungen wurden Wärmebilder sowohl bei aktiver, als auch natürlicher thermischer Anregung erstellt. Für die aktive Erwärmung der Probekörper wurden 3 leistungsstarke Heizstrahler in etwa 1,2-m Abstand über der Probe montiert. Während der Auf heizung der Platte wurden kontinuierlich Wärmebildaufnahmen gemacht. Für die natürliche Erwärmung wurde der Probekörper im Freien, in einem unverschatteten Bereich aufgestellt. Die Erwärmung erfolgte hier, wie auch bei dem untersuchten Bauwerk, ausschließlich durch Sonneneinstrahlung. Die Wärmebildaufnahmen der Probekörper wurden mit einer Testo 890 IR Kamera durchgeführt. Bei den Bauwerksuntersuchungen wurde die Wärmebildkamera TiX580 der Firma Fluke verwendet. 2.2 Radar Das Radarverfahren ist ein elektromagnetisches Prüfverfahren. Für Untersuchungen an Bauwerken werden kurze elektromagnetische Impulse im Hochfrequenzbereich (50 MH bis ca. 5 GHz) [7] in das zu untersuchende Bauteil eingeleitet. Die ausschlaggebende Größe bei der Erfassung der Bauteilgeometrie und Detektion von Störungen / Inhomogenitäten ist die materialspezifische Ausbreitungsgeschwindigkeit. Diese ist abhängig von der elektrischen Leitfähigkeit und vor allem von der Dielektrizität des untersuchten Stoffes. Materialgrenzen werden durch Reflexionen des Signals an der Trennfläche, bedingt durch den Unterschied der jeweiligen Dielektrizitätskonstante, detektiert. Je höher die Differenz der genannten Eigenschaften zweier angrenzender Stoffe, desto stärker erscheinen die Reflexionen der Schichtgrenze. An metallischen Einbauteilen kommt es zur Totalreflexion des Signals [18]. Anhand der Wellengeschwindigkeit und der Signallaufzeit lässt sich der Reflektorabstand (Materialwechsel) zur Oberfläche des Prüfkörpers ermitteln. Die Untersuchungen wurden mit dem Georadar GP8000 der Firma Proceq durchgeführt. 2.3 Ultraschall Die Ultraschalltomographie dient der zerstörungsfreien Erfassung eines Bauteilinneren mithilfe der Ausbreitungsgeschwindigkeiten und Laufzeiten von Scherwellen bei gegebener Frequenz. Das im Zuge der Untersuchungen verwendete Prüfgerät A1020 Mira lite der Firma ASC erfasst Impuls-Echo-Ultraschalldaten mittels eines Sensorsystems, welches aus einer Matrix-Antenne von 32 Niederfrequenz-Breitband-Transversalwellen-Trockenkontaktwandlern (DPC) besteht. Zwischen der Aussendung und dem Empfangen eines Signals, erfährt dieses im Bauteil Absorption, Reflexion und Refraktion, abhängig von den Gegebenheiten des untersuchten Körpers. Reflexionen entstehen aufgrund von Impedanzunterschieden beim Übergang verschiedener Materialien. Die sogenannte akustische Impedanz ist in der Ultraschalltomographie ein Maß für den Widerstand, welcher der Scherwelle entgegengesetzt wird. An einer Grenzfläche zweier Materialien mit unterschiedlichen Dichten kommt es zu einem Impedanzsprung. Daraus entsteht ein Echo, welches von dem Prüfgerät erfasst wird [19]. Trifft die Schallwelle auf Luft kommt es zur Totalreflexion. Dadurch lassen sich eingeschlossene Hohlräume, Betonabplatzungen (z. B. durch korrodierte Bewehrung), Ablösungen an Schichtgrenzen durch fehlenden Verbund oder Lufteinschlüsse aufgrund von Verdichtungsmängeln, verorten und deren Tiefe ermitteln. Da die Scherwelle mindestens eine Eindringtiefe von einer halben Wellenlänge benötigt, um sinnvolle Messdaten generieren zu können, kommt es zu einem so genannten „blinden Bereich“. Dieser reicht meist bis in wenige Zentimeter Tiefe. Das genaue Ausmaß des blinden Bereichs ist darüber hinaus abhängig von der Scherwellengeschwindigkeit und kann daher auch materialbedingt variieren. Die Analyse der Ultraschalldaten erfolgte mithilfe der Software INTRO- VIEW-CONCRETE, die eine zweisowie dreidimensionale Visualisierung der Betonsubstanz ermöglicht. 3. Ermitteln von Grenzen und Möglichkeiten der Prüfmethoden an Probekörpern 3.1 Material und Prüfaufbau der Laborversuche Um Delaminationen oder Kiesnester an der Schichtgrenze von Bestandsbeton zu Instandsetzungsmaterial zu simulieren, wurden zwei Probekörper mit unterschiedlichen Fehlstellen hergestellt. Als Basis dienten zwei im Oktober 2007 gefertigte Bodenplatten (200-x-150-x-27-cm3) 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 241 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren aus einem Beton der Festigkeitsklasse C 25/ 30. Die Lagerung der Bodenplatten erfolgte seitdem überwiegend im Freien, wodurch sie der Witterung voll ausgesetzt waren (nicht überdacht). Das im Zuge der Probenherstellung applizierte Instandsetzungssystem besteht aus der zementgebundenen und kunststoffmodifizierten Haftbrücke StoCrete TH 200 sowie dem zementgebundenen und kunststoffmodifizierten Estrichmörtel StoCrete TG 108 der Firma StoCretec. Die wesentlichen Kennwerte der Basisplatte sowie die der verwendeten Materialen des Instandsetzungssystems können den Tabellen Tab. 1 und Tab. 2 entnommen werden. Die Bestandsbetonplatten enthalten beide eine Bewehrungsmatte mit einer Maschenweite von 15-x-15-cm2 sowie je 2 horizontal verlaufende Bewehrungsstäbe im oberen bzw. unteren Viertel der Platte. Die Basisplatte der Probe Sto-1 hat eine Betonüberdeckung zur Bewehrungsmatte von etwa 5-cm. Die Oberfläche des Bestandsbetons wurde vor dem Aufbringen der Fehlstellen und der Instandsetzungsmaterialien lediglich gesäubert. Die Rautiefe belief sich im Mittel auf 0,4-mm. Die Basisplatte wurde in den 24-Stunden vor der Probenherstellung mehrfach gewässert. Bei der Probe Sto-2 wurde die Basisplatte gedreht, was eine Betonüberdeckung zur Bewehrungsmatte von 22-cm ergibt. Im Gegensatz zur Probe Sto-1 erfolgte eine Oberflächenbehandlung durch Feuchtstrahlen mit festem Strahlgut. Die Oberfläche wies danach Rautiefen von im Mittel 1,1-mm auf. Ein weiterer, wesentlicher Unterschied beider Proben ist die Schichtdicke des aufgebrachten Instandsetzungssystems: Auf die Probe Sto-1 wurde Material mit einer Schichtdicke von insgesamt 10-cm appliziert. Haftbrücke und Mörtel der Probe Sto-2 beläuft sich auf eine Schichtdicke von 5-cm. Die Fehlstellen des Probenkörpers Sto-1 bestehen aus einer Luftpolsterfolie (LFP), einem Kiesnest (KN), sowie 4-Styrodurplatten (Styr) mit einer Dicke von je 2-cm und unterschiedlichen Längen. Die Styrodurplatten wurden stufig aufeinandergestapelt und verklebt. Durch die Treppenform des eingebrachten Materials ergibt sich hier eine stufenweise Abnahme des applizierten Materials. Damit soll der Effekt unterschiedlicher Tiefenlagen der Fehlstelle auf die verschiedenen Messmethoden untersucht werden. Abb. 1 zeigt eine Skizze des Probekörpers Sto- 1 mit der Lage und den Maßen der eingebrachten Fehlstellen sowie ein Foto der Probe, vor dem Applizieren der Haftbrücke und des Mörtels. Die Probenkonfiguration der Platte Sto-2 ist in Abb. 2 dargestellt. Die Fehlstellen sind insgesamt kleiner ausgeführt. Zusätzlich wurde eine PE-Folie (2-lagig) eingebracht, um einen gelösten Verbund zwischen Bestandsbeton und Instandsetzungssystem zu simulieren. Abb. 1: A) Skizze des Probekörpers Sto-1. LPF: Luftpolsterfolie, Styr: Styrodurplatten, KN: Kiesnest. B) Foto der Probenherstellung Tab. 1: Kennwerte der Basisplatte (Beton C 25/ 30, hergestellt im Oktober 2007, E-Modul- und Druckfestigkeitsprüfung erfolgten im Dezember 2020, Rautiefe und Haftzugfestigkeit wurden im März 2022 ermittelt). Probe Maße LxBxT [cm] E-Modul [GPa] Druckfestigkeit [MPa] Rautiefe Ø [mm] Haftzug [MPa] Sto-1 200x150x27 34,2 60,9 0,4 - Sto-2 200x150x27 32,7 53,2 1,1 1,3 ± 1 Tab. 2: Frischmörtel- und Festmörteleigenschaften des applizierten Estrichmörtels (Stocrete TG 108) Probe Maße LxBxT [cm] Ausbreitmaß [mm] Luftporengehalt [%] Frischmörtelrohdichte [g/ cm3] Druckfestigkeit fc, 28d [MPa] Sto-1 200x135x10 148 ± 3 4,2 2.24 60,6 ± 1,7 Sto-2 200x135x5 153 ± 3 4,5 2.23 59,3 ± 0,6 242 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren Abb. 2: A) Skizze des Probekörpers Sto-2. LPF: Luftpolsterfolie, Styr: Styrodurplatten, KN: Kiesnest, PE: PE-Folie, wurde 2-lagig eingebracht B) Foto der Probenherstellung 3.2 Ergebnisse Laborversuche 3.2.1 Thermographie Die in Abb. 3 dargestellten Wärmebilder sind Messungen am Probekörper Sto-1 nach 20, 40, 80 und 180-min der aktiven Erwärmung der Platte. Die erste Stufe der Styrodur- Fehlstelle ist nach 20-min zu sehen; Lage und Ausmaß der ersten Stufe sind nach 40-min sehr gut zu auszumachen. Die Schicht des Instandsetzungsmörtels an dieser Stelle beträgt 2-cm. Die zweite Stufe mit einer Materialüberdeckung von 4-cm ist nach 80-min Aufwärmen vollständig am Wärmebild zu erkennen. Nach 80-min können außerdem erhöhte Temperaturen im Bereich der dritten Stufe (6-cm Überdeckung) gemessen werden. Nachfolgende Wärmebildaufnahmen zeigen allerdings bei fortschreitender Erwärmung eine eher diffuse Temperaturverteilung. Wie am Wärmebild nach 180-min zu sehen, können Luftpolsterfolie und Kiesnest nicht klar dargestellt werden. Die Messergebnisse deuten darauf hin, dass Delaminationen oder Inhomogenitäten ab einer Tiefe von ca. 8-cm mit aktiver Thermographie nicht mehr eindeutig detektiert werden können. Abb. 3: Oben: Bild des Probekörpers Sto-1 mit eingezeichneten Positionen der Fehlstellen. Unten: Wärmebilder bei aktiver Thermographie nach verschiedenen Zeitspannen der Auf heizung. Wärmebildaufnahmen des Probenkörpers Sto-2 entstanden nach Erwärmen durch natürliche Sonneneinstrahlung (siehe Abb. 4). Die Messungen weisen den Mörtel über der Styrodurplatte als wärmsten Bereich aus. Die Ergebnisse sind insofern stimmig da die Materialüberdeckung an dieser Stelle nur 3 cm beträgt, während der übrige Probenkörper eine applizierte Mörtelschicht von 5 cm hat. Die wärmedämmenden Eigenschaften des Styrodur könnten diesen Effekt noch verstärken. Luftpolsterfolie, PE-Folie und Kiesnest sind annähernd abbildbar. Dies könnte darauf hindeuten, dass hier unter den gegebenen Randbedingungen die Grenze der nachweisbaren Delamination bei etwa 5 cm Überdeckung liegt. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 243 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren Abb. 4: Oben: Bild des Probekörpers Sto-2 mit eingezeichneten Positionen der Fehlstellen. Unten: Wärmebild nach Auf heizung durch natürliche Sonneneinstrahlung. 3.2.2 Radar Die Lage und Tiefe der Bewehrungsmatte und Bewehrungsstäbe der Basisplatte waren gut darstellbar (siehe Abb. 5). In Abb. 6 sind die Reflexionen an der Styrodurplatte und dem Kiesnest der Probe Sto-2 dargestellt. Trotz der Abwesenheit von oberflächennaher Bewehrung, die möglicherweise die Messauflösung gestört hätte, waren die Luftpolsterfolie (LFP) und die PE-Folie (PE) bei den Radarmessungen jedoch nicht detektierbar (Ergebnisse nicht gezeigt). Abb. 5: Ergebnis der Flächenmessung des Probekörpers Sto-2 mit Radar. Die roten horizontal und vertikal verlaufenden Signale bilden die in 27-cm Tiefe detektierte Bewehrungsmatte ab. Abb. 6: Radaruntersuchungen der Fehlstellen. Styr: Styrodurplatte; KN: Kiesnest 3.2.3 Ultraschall Abb. 7 zeigt die Ergebnisse der Ultraschallmessungen an der Probe Sto-1. Der horizontale Schnitt (B-Bild) stellt einen Linienscan außerhalb der Fehlstellen dar. Der Übergang von Instandsetzungsmaterial zu Bestandsbeton liegt bei der Probe Sto-1 in 10-cm Tiefe, und wird durch deutliche Reflexionen direkt abgebildet. Die Horizontalbewehrung und das Rückwandecho ist ebenfalls durchgängig vorhanden, was auf einen guten Verbund zwischen appliziertem Material und Basisplatte hindeutet. Abb. 7 C zeigt einen vertikalen Schnitt (D-Bild) in Höhe der stufenweise eingebrachten Styrodurplatten. Zwischen Styrodur und Mörtel gibt es keinen direkten Materialverbund. An den damit einhergehenden Lufteinschlüssen erfolgt eine Totalreflektion der Scherwellen. Der Bereich hinter der Fehlstelle kann nicht mehr abgebildet werden, was zu einem fehlenden Rückwandecho führt. Befinden sich Delaminationen im blinden Bereich der Ultraschallmessung, kann ein plötzliches Fehlen des Rückwandechos als Interpretationshilfe herangezogen werden. Dargestellt ist ein solcher Fall in Abb. 7 C) im Bereich der obersten Styrodurplatte. An dieser Stelle liegt lediglich eine Mörtelüberdeckung von 2-cm vor. Die Delamination befindet sich im blinden Bereich und kann nicht direkt dargestellt werden. Da hier aber auch kein Rückwandecho vorliegt, muss es vorher zur Totalreflektion der Scherwellen gekommen sein. 244 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren Abb. 7A: 3D Skizze des Probenkörpers Sto-1. Zu sehen ist die Lage der in 7B (B-Bild) und 7C (D-Bild) dargestellten Ultraschallmessungen. Eine Möglichkeit, die Ergebnisse von Flächenscans auf die Bauteiloberfläche zu projizieren, ist das Ausweisen eines Rückwandechos. In Abb. 8 kennzeichnen die grün markierten Bereiche jene Teile der Probe, in denen das Rückwandecho klar darstellbar ist. Im Gegensatz zu den roten Bereichen (kein Rückwandecho) kann hier von einem intakten Verbund zwischen Instandsetzungsmaterial und Bestandsbeton ausgegangen werden. Zusätzlich deutet ein eindeutig gemessenes Rückwandecho darauf hin, dass sich weder Inhomogenitäten (z. B. Kiesnester) noch wesentliche Delaminationen im Bestandsbeton befinden. Abb. 8A und 8B: graphische Auswertung der Ultraschallergebnisse. Bereiche mit nachweisbarem (grün), diffusem (gelb) oder fehlendem (rot) Rückwandecho wurden auf einer Aufsichtsskizze der Probe ausgewiesen. In 8C sind Einzelmessungen (EM; Position in 8B markiert) als B-Bilder dargestellt. Ein „diffuses Rückwandecho“ (gelber Bereich in Abb. 8) stellt in diesem Zusammenhang Messungen dar, die nicht eindeutig interpretiert werden können. Bei beginnenden Entfestigungen des Verbunds ist das Rückwandecho teilweise unterbrochen oder die Signalstärke ist schwach. Hinzu kommt, dass es zu Überlagerungen der Signale mit Artefakten kommen kann. Die Einzelmessungen (EM) an der Probe Sto-2, zu sehen in Abb. 8C, zeigen neben einer Aufnahme im ungestörten Bereich (EM 1), die mittels Ultraschall detektierte Luftpolsterfolie (EM2) und PE-Folie (EM3). Beide (LPF und PE) befinden sich an der Grenze zum oder im blinden Bereich. Während die LPF, vermutlich wegen der vergleichsweise großen Lufteinschlüsse noch direkt abgebildet werden kann, ist von der PE-Folie kein direktes Signal darstellbar. Die Scherwellen werden oberflächennah reflektiert und vom Messgerät detektiert. Es erfolgt aber anschlie- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 245 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren ßen wieder eine Totalreflektion an der Bauteiloberfläche gefolgt von einer erneuten Reflexion an der oberflächennahen Delamination. Dies verursacht Mehrfachechos mit sich über die Tiefe wiederholenden Abständen. Die Streuung der Scherwellen an der Kante der treppenartig eingebrachten Styrodurplatten in Sto-1 verursachte ein Echo in Form einer lang gezogenen vertikalen Linie (siehe Abb. 7 C). Bei Untersuchungen von Instandsetzungen in der Praxis können Artefakte solcher oberflächennahen Risse und Delaminationen eine Interpretation erheblich erschweren. Zusätzlich können sehr raue Betonoberflächen ein hohes Hintergrundrauschen mit vielen möglicherweise nicht auf reale Strukturen zurückzuführenden Echos (Artefakte) erzeugen. 4. Praxisbeispiel 4.1 Christuskirche (Bingen-Büdesheim) Die evangelische Christuskirche in Bingen-Büdesheim wurde in den Jahren 1962/ 63 errichtet. Geplant wurde das Kirchengebäude mit Pfarrhaus, Campanile und Kindergarten von dem Architekten Gerhard Hauss und seinem Büro Hauss und Richter, aus Heidelberg. Die Kirche mit quadratischem Grundriss ist in Skelettbauweise aus Stahlbeton in Kombination mit Mauerwerk ausgeführt (siehe Abb. 9). Abb. 10 zeigt das um 45 Grad versetzt ausgeführte Kreuzdach in der Innenraumansicht. Die Dachkonstruktion offenbart im Inneren den mit weißem Anstrich versehenen Sichtbeton mit Brettschalstruktur im Bereich der Dachkehle. Die Wände zur Dachkonstruktion sind eine Kombination aus kunstvoll angeordneten Ziegelsteinelementen, unterbrochen von Buntglasfenstern, wodurch eine durchdachte Lichtführung mit Fokus auf den Altar entsteht. Nach Plänen des Architekten sollten die Fassaden des Kirchenbaus sowie die der Campanile als Sichtbeton ausgeführt werden. Aufgrund diverser Ausführungsfehler, wie beispielsweise einer unzureichenden Betondeckung oder nicht ordnungsgemäß angebrachter Rödeldrähte, was unmittelbar nach dem Einbau Korrosionsspuren an der Oberfläche zum Vorschein brachte, wurde beschlossen, die ursprünglich betonsichtig geplante Fassadenfläche zu beschichten. Im Bereich des Sockelgeschosses wurde die Fläche verputzt. Bereits 1980/ 81 wurde eine zweite Betonsanierung angesetzt, mit dem Ziel, die Ausführungsfehler und dadurch entstandene Schäden nochmals zu sanieren. Dabei wurden die unmittelbar nach der Rohbauphase ausgeführten Betoninstandsetzungsmaßnahmen rückstandslos beseitigt. Nach dem Behandeln der freiliegenden Bewehrung wurde eine 2-3-cm dicke Spritzbetonschicht aufgetragen, um die Betondeckung auf mindestens 2-cm zu erhöhen. Es folgte die Beschichtung eines mineralischen Flächendichtungsmaterials. Zuletzt wurde ein Farbanstrich auf Mineralfarbbzw. Acrylfarbbasis appliziert. Abb. 9: Westansicht der evangelischen Christuskirche (Bingen-Büdesheim) Abb. 10: Innenansicht der evangelischen Christuskirche (Bingen-Büdesheim) mit Blick auf den Altarraum In den Jahren 2013/ 14 erfolgte die bislang letzte Instandsetzung des Kirchengebäudes, sowie des Glockenturms. Nach Freilegen der korrodierten Bewehrung wurde die als Rostschutz dienende Eisenmennige, die bei der Instandsetzung in den 1980er Jahren aufgetragen wurde, abgestrahlt. Zur Reprofilierung der geöffneten Stellen wurde größtenteils ein polymervergüteter, zementgebundener Betonersatz und Feinspachtel der Firma Sto- Cretec eingesetzt. Gemäß der gültigen RiLi SIB (Richtline „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“) [20] des DAfStb (Deutscher Ausschusses für Stahlbeton) wurde die Instandsetzung mit einem Oberflächenschutzsystem OS5 inkl. Hydrophobierung ausgeführt. 4.2 Ergebnisse und Diskussion der Untersuchungen an der evangelischen Christuskirche in Bingen- Büdesheim Anhand des vorgestellten Praxisbeispiels wird nun gezeigt, wie die Erkenntnisse aus den Laboruntersuchungen die Interpretation von Messungen am Bauwerk stützen können. Der aktuelle Zustand der evangelischen Christuskirche in Bingen-Büdesheim ist insgesamt noch als sehr gut zu bezeichnen. Es gibt am Kirchenbau vereinzelt, vermutlich durch Materialschwinden verursachte oberflächennahe Risse. Die Sichtprüfung inkl. Klopf- 246 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren tests, Thermographie und Ultraschalltomographie deuten aber darauf hin, dass an diesen Stellen oberflächennah keine Delaminationen vorliegen (Ergebnisse nicht gezeigt). Im Rahmen unserer Untersuchungskampagne konnten wir zwei Bereiche ausmachen, die im Falle eines Monitorings beobachtet werden sollten. Abb. 11 zeigt das im Untersuchungsfeld an der Ostfassade aufgenommene Wärmebild. Abb. 11: Wärmebildaufnahme eines Stahlbetonelements der Ostfassade (Bildquelle links: Google Earth) Eine Besonderheit ist in diesem Fall, dass die Vertikalbewehrung augenscheinlich so oberflächennah liegt, dass sie Wärmeanomalien im IR-Bild verursacht. In Abb. 12 ist die Bewehrungsdetektion mit dem Radarverfahren dargestellt. Ein Projizieren der Messergebnisse auf das Bauteil bestätigt, dass die Vertikalbewehrung im Wärmebild zu sehen ist. Die Horizontalstäbe weisen einen Abstand von ca. 35 cm auf. Der vertikale Abstand der Bewehrung beträgt etwa 20 cm. Die Horizontalbewehrung tritt im IR-Bild nicht oder nur sehr schwach in Erscheinung, was darauf hindeutet, dass sie eine höhere Betondeckung und/ oder einen geringeren Durchmesser aufweist. Gestützt wird dies von Untersuchungen der Materialprüfanstalt (MPA) Wiesbaden im Vorfeld zur letzten Instandsetzung 2013/ 14. Die exemplarisch an einer Stemmstelle freigelegte Bewehrung ergab für die vertikal verlaufenden Eisen eine Betonüberdeckung von lediglich 3 mm. Die darunter befindliche Horizontalbewehrung oder Matte lag entsprechend tiefer eingebettet und hatte einen deutlich geringeren Durchmesser [21]. An der Untersuchungsfläche der Ostfassade wurden ergänzend Messungen mit dem Profometer durchgeführt. Die Ergebnisse bestätigen die höhere Betondeckung bei der Horizontalbewehrung. Während vertikal verlaufende Eisen in diesem Bereich eine Überdeckung von 16 ±4 mm haben, liegt die Horizontalbewehrung etwa in 26 ±7 mm Tiefe. Bei der in Abb. 12 dargestellten Radarmessung ist die Stärke der Reflexion der Bewehrungsstäbe Ì , Í und Î schwächer als die der Horizontalbewehrung. Grundsätzlich gilt, dass die Signalstärke abnimmt je tiefer sich die Bewehrung im Bauteil befindet [15]. Die Messungen mit dem Profometer haben jedoch ergeben, dass diese 3 Bewehrungsstäbe mit 13,5 ± 1,5 mm zu jenen mit der geringsten Betonüberdeckung gehören. Da die Amplitude im Radargramm bei korrodiertem Eisen weniger stark ausgeprägt ist [7], könnte das schwächere Signal auf eine beginnende Bewehrungskorrosion hinweisen. Abb. 12: Ergebnisse aus den Radarmessungen projiziert auf die Untersuchungsfläche an der Ostfassade (Tiefe: 2---5-cm, kumuliert). Ê bis Ð kennzeichnen die einzelnen Stäbe der Vertikalbewehrung. Die rot markierten Bereiche sind Flächen die bei der Sichtprüfung (inkl. Klopftest) Auffälligkeiten zeigten. Der Klopftest im Rahmen der Sichtprüfung ergab an zwei Stellen leichte Klangunterschiede, die auf mögliche Fehlstellen hindeuten können. Diese Bereiche sind in Abb. 12 und Abb. 13 rot umrandet. Zwischen dem Ì . und Í . vertikalen Bewehrungsstab (siehe Abb. 12) deuten die Ergebnisse der Ultraschalltomographie (siehe Abb. 13) ebenfalls auf zumindest eine beginnende, oberflächennahe Entfestigung hin. Das Rückwandecho ist in diesem Bereich nicht oder nur schwach zu sehen. Die Ergebnisse der Thermographie (siehe Abb. 11) lassen allerdings darauf schließen, dass noch nicht von einer ausgeprägten Delamination auszugehen ist. Es ist jedoch zu empfehlen, bei einem zukünftigen Monitoring diesen Fassadenabschnitt zu beobachten. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 247 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren Abb. 13: oben: Auswertung der Ultraschalluntersuchungen an der Ostfassade. Die rot markierten Bereiche sind Flächen, die bei der Sichtprüfung (inkl. Klopftest) Auffälligkeiten zeigten; unten: Linienscan (B-Bild) Während an den Stahlbetonelementen der Wände des Kirchenbaus durchwegs geringe Betonüberdeckungen vorliegen, stellt sich die Situation an dem Campanile anders dar. Dort befindet sich die Bewehrung in einer Tiefe von im Mittel 10 cm, mit einem horizontalen und vertikalen Abstand von etwa 20 cm. Am Wärmebild ist die Bewehrung daher nicht darstellbar. Das in Abb. 14 dargestellte IR-Bild zeigt jedoch eine ausgeprägte Wärmeanomalie an der Südseite des Glockenturms. Abb. 14: Wärmebildaufnahme an der Südseite des Glockenturms (Bildquelle links: Google Earth). Der Klopftest ergab Unregelmäßigkeiten im Bereich der Wärmeanomalie, eine klare Fläche konnte allerdings nicht abgegrenzt werden. Risse oder offensichtliche Abplatzungen waren nicht auszumachen. Abb. 15 zeigt die vergleichende Auswertung der Radar- und Ultraschallmessungen. Der im Wärmebild auffällige Bereich ist rot umrandet. Abb. 15: oben: Bewehrungsdetektion mittels Radarverfahren an der Südseite des Glockenturms; Der rot markierten Bereiche wies bei den IR-Messungen und der Sichtprüfung (inkl. Klopftest) Auffälligkeiten auf. Unten: Ultraschall-Linienscans (B-Bild) Die Messfläche (60 x 120 cm2) bildet den Übergang zwischen dem Erdgeschoss und dem 1. Stock des Turms ab. Die Bewehrungsmatte im Untersuchungsbereich unter dem Deckenanschuss konnte mit Radar deutlich verortet werden. Nennenswerte Reflexionen oberhalb der Bewehrung waren keine vorhanden. Mit Ultraschall konnte unterhalb des Deckenanschlusses annähernd durchgehend ein Rückwandecho (bei 26 cm Tiefe) dargestellt werden. Allerdings ist in den vertikalen Schnitten (B- Scans) auf Höhe der 2. und 3. Vertikalbewehrung durchgehend ein nur schwaches oder kein Rückwandecho auszumachen (bei x=200 mm und x=400 mm, siehe Abb. 15 unterer Linienscan). Obwohl die Messergebnisse auf einen überwiegend intakten Bauteilabschnitt hinweisen, könnten sich um oder an der Vertikalbewehrung Entfestigungen befinden. Von einer Bewehrungskorrosion ist wegen der hohen Betonüberdeckung nicht auszugehen. Der Ultraschallflächenscan unterhalb des Deckenanschlusses zeigt außerdem, trotz darstellbarem Rückwandecho, viele zum Teil diffuse Reflexionen. Diese könnten Artefakte vom Materialübergang Bestandsbeton zu Instandsetzungsmaterial sein oder könnten möglicherweise auf interne Schwindrisse zurückführen sein. Die Bewehrung konnte auf Grund dessen mit Ultraschall meist nicht ein- 248 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren deutig detektiert werden. Aussagekräftige Messungen und damit ein Urteil über die Qualität des Verbunds zwischen Bestandsbeton und applizierten Instandsetzungsmaterial war auf Höhe des Deckenanschlusses nicht möglich da keine Bauteilrückwand als Referenz vorhanden ist. Die Ultraschallmessungen oberhalb des Deckenanschlusses deuten hingegen auf vermehrte Materialinhomogenitäten hin. Die Bewehrung und das Rückwandecho konnten lediglich in den obersten 10 cm der Messfläche nachgewiesen werden (Ergebnisse nicht gezeigt). Der Bereich, auf dessen Höhe sich auch die mögliche Fehlstelle befindet, wies insgesamt nur ein vereinzeltes, schwaches oder kein Rückwandecho aus (siehe Abb. 15, oberer Linienscan). Die deutlich abgegrenzten Reflexionen bei 6 cm Tiefe können der Vertikalbewehrung zugeordnet werden. Die Radaruntersuchungen im Messbereich oberhalb des Deckenanschlusses zeigten außerdem stark variierende Betonüberdeckungen von bis zu 12 cm Tiefe (Ergebnisse nicht gezeigt). Die im IR-Bild dargestellte Wärmeanomalie konnte mit Ultraschall nicht klar abgegrenzt oder bestätigt werden. Da in dem Bereich aber überwiegend kein eindeutig nachweisbares Rückwandecho vorliegt, sollte dieser Fassadenabschnitt ebenfalls beobachtet und ggf. mit weiterer, ergänzender Messtechnik, wie beispielsweise dem Impact-Echo-Verfahren untersucht werden. 5. Schlussfolgerung Radar, Ultraschall und Thermographie haben sich in der baupraktischen Anwendung über viele Jahre etabliert und kommen insbesondere bei der zerstörungsfreien Bauwerksanalyse zum Einsatz. Um die Dauerhaftigkeit einer Instandsetzung beurteilen zu können, muss die Qualität des Verbunds zwischen Bestandsbeton und Instandsetzungsmaterial bewertet werden können. Bei Ultraschallmessungen ist jedoch eine ausreichende Betonüberdeckung notwendig, um eine mögliche Delamination direkt orten zu können. Entfestigungen des Verbunds oder korrosionsbedingte Abplatzungen können jedoch bereits in wenigen Zentimetern Tiefe entstehen und befinden sich somit häufig im „blinden Bereich“. Mit dem Radarverfahren sind Fehlstellen nur zweifelsfrei nachweisbar, sofern sie sich nicht unmittelbar bei oder hinter einer Bewehrung befinden. Um Fehlstellen mit Thermographie unter natürlicher thermischer Anregung (Sonneneinstrahlung) detektieren zu können, muss eine geeignete Exposition (keine Verschattungen) vorliegen. In diesem Beitrag wird gezeigt, wie anhand der Nachweisbarkeit eines Rückwandechos bei der Ultraschalltomographie in Kombination mit den Ergebnissen aus Radar und Thermographie eine Aussage zu möglichen oberflächennahen Fehlstellen gemacht werden kann. Danksagung Dieser Tagungsbeitrag enthält Auszüge des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) finanzierten Forschungsprojekts „Monitoring von Maßnahmen zur behutsamen Betoninstandsetzung von national bedeutsamen Baudenkmälern der Nachkriegsmoderne“, sowie Auszüge eines vom Verband der Materialprüfungsanstalten e. V. (VMPA) geförderten Forschungsprojekts zum Umgang mit Ultraschalltomographie in der Bauwerksdiagnostik. Literaturverzeichnis [1] Gieler, R. (2019) Denkmalgerechte Instandsetzung historischer Stahlbetonbauwerke - Regelwerke und technische Möglichkeiten in: Eßmann, F.; Klawun, R. [Hrsg.] Flugdach - Faltwerk - Fertigteile: Der bauliche Umgang mit Denkmalen der 1950erbis 1980er-Jahre. Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag, S. 6-18. [2] Alexandra Fink; Martin Günter (0105) Der Weg der behutsamen Betoninstandsetzung. Das Beispiel Stadthalle in Lahnstein in: Die Denkmalpflege, H. 1, S. 13-25. [3] Müller, H. S.; Günter, M.; Bohner, E.; Vogel, M. 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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 249 Monitoring von Sichtbetonbauwerken der Nachkriegsmoderne mit bildgebenden, zerstörungsfreien Prüfverfahren [11] Lai, W. W.-L.; Lee, K.-K.; Poon, C.-S. (2015) Validation of size estimation of debonds in external wall’s composite finishes via passive Infrared thermography and a gradient algorithm in: Construction and Building Materials 87, S. 113-124. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.conbuildmat.2015.03.032 [12] Mold, L.; Auer, M.; Strauss, A.; Hoffmann, M.; Täubling, B. (2020) Thermografie zur Erfassung von Schäden an Brückenbauwerken in: Bautechnik 97, H. 11, S. 789-801. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.201800057 [13] Maierhofer, C.; Röllig, M.; Hasenstab, A.; Schönitz, A. (2008) Praktische Anwendung der aktiven Thermografie zur Untersuchung von Stahlbetonbauteilen in: Fachtagung Bauwerksdiagnose, 21.- 22.02. 2008, Berlin. [14] Streicher, D.; Taffe, A.; Boller, C. 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Dieser Trend wird nicht nur anhalten, sondern sich verstärken. Das bedeutet, es sind Eingriffe und bauliche Veränderungen unter Berücksichtigung der heutigen und zukünftigen Nutzungsanforderungen und unter Beachtung der aktuell gültigen Normen und Richtlinien zu planen und auszuführen. Nicht selten liegen keinerlei Bestandspläne mehr vor oder Veränderungen sind nicht dokumentiert worden. Es ist daher wichtig, dass bereits bei noch bestehender Nutzung offene Fragen zur Konstruktion und zu den Materialien abgeklärt werden. Das schafft zeitlichen Vorlauf und Planungssicherheit. Idealerweise erfolgt dies mit zerstörungsfreien Verfahren, kombiniert mit gezielten und minimal invasiven zerstörenden lokalen Eingriffen. Durch einen zeitlichen Vorlauf der Bestandserkundung können die neuen Anforderungen aus Sicht der Eigentümer und/ oder Nutzer mit den bautechnischen Gegebenheiten optimiert und bestandsorientiert zur Deckung gebracht werden. Dabei handelt es sich immer um eine interdisziplinäre Herangehensweise, welche im Bearbeitungsprozess ständig Anpassungen und Optimierungen unterworfen ist. Für die Ausführungsplanung und letztendlich Umsetzung am Bauwerk ergeben sich Planungssicherheit, Kostensicherheit, ein fundiertes Zeitmanagement und nicht zuletzt viele Quellen der Ressourcenoptimierung und Einsparung. Das Vorgehen bei der Bestandserfassung wird an Praxisbeispielen für die Umnutzung von Fabriken, Verwaltungsgebäuden, Klinikbauten, Universitätsgebäuden und großen Hotelgebäuden aus den früheren Jahren des 20. Jahrhunderts vorgestellt. Meistens handelt es sich dabei um mehr oder weniger gut bewehrte Betonbauteile wie Decken, Wände, Unterzüge und Stütze. Ein weiterer Anwendungsschwerpunkt liegt beim Massivbau von Verkehrswasserbauwerken aus den 30iger Jahren, der eher gering bewehrt sind. 1. Bauradar als Hilfsmittel zur Bestandserkundung Der interdisziplinäre Einsatz von Bauradar zur Bestandserkundung gehört inzwischen zum Stand der Technik. Die heute vorliegenden Erfahrungen basieren auf einer etwa 25-jährigen Zusammenarbeit der Autorin als spezialisierte Bauingenieurin mit dem Geophysiker Markus Hübner der GGU mbH Karlsruhe. Folgende Fragestellungen ergeben sich i.d.R. im Zuge der Umnutzungsplanungen von Bestandsbauten. Das Bauradar ist dabei ein unterstützendes Verfahren, mit dem zerstörende Eingriffe minimiert werden und diese dann ganz gezielt erfolgen können. - Bestimmung des gesamten Deckenaufbaus - Erkundung der Geschossdeckenart und Spannrichtung - Ortung von Stahlträgern - Untersuchung und Bestimmung der vorhandenen Betongüte/ -festigkeit durch gezielte Bohrkernentnahme ohne Schädigung des Tragwerkes - Untersuchung und Bestimmung der Stahlgüte/ -festigkeit der vorhandenen Bewehrung durch gezielte Stahlentnahme ohne Schädigung des Tragwerkes - Exemplarische Auskartierung von Betondeckungen vor Ort (Brandschutzanforderungen) - Untersuchung / Kartierung zur Bewehrungsverlegung vor Ort für Abgleich mit historischen Angaben zur Bewehrungsverlegung - Auskartierung von Bewehrungseisen damit bei der Bohrkernentnahme keine Bewehrung zerstört wird - Ortung von verbauten Kanälen und Schächten, Auskartierung vor Ort an den Wänden - Erfassung von Wandkonstruktionen Aussagen zu den technischen Eigenschaften der vorhandenen Baustoffe sind mit Bauradar nicht möglich. Ergänzend sind Feststellungen wie z.B. der Materialeigenschaften von unterseitigen Putzen, Stahl und Beton mittels Labormethoden nötig. Auf Basis der Radaruntersuchungen werden gezielte Öffnungs- und Beprobungsstellen wie Kernbohrungen angegeben. Dadurch reduziert sich zum einen die Anzahl der Öffnungen und zum anderen kann deren Position den örtlichen Gegebenheiten und der vorhandenen bzw. geplanten Nutzung gezielt angepasst werden. Mit den Radarsensoren wird zerstörungsfrei und rückstandslos direkt an den Oberflächen entlanggefahren. Das ist auch an sehr wertvollen Oberflächen im musealen Bereich problemlos möglich (Bilder 1-6). Mit den Sensoren werden elektromagnetische Wellen in die Bauteile gesendet. Die an Schicht-, Konstruktions- und Materialwechseln auftretenden charakteristischen Reflexionen werden in sogenannten Radargrammen aufgezeichnet und meistens bereits vor Ort ausgewertet (Bild 7). 252 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Vor dem Bauen im Bestand - Konstruktion und Material interdisziplinär analysieren und bewerten Bewehrung wird exemplarisch an den Oberflächen angezeichnet und zur weiteren Vermittlung abfotografiert. Die vorhandene Gerätetechnik ist leistungsfähig und hinsichtlich der Eindringtiefe und Auflösung ausreichend. Bewehrungsstäbe in Tiefen größer als 10 cm lassen sich zuverlässig orten. Nur wenn die Eisen direkt hintereinander liegen verdeckt das vordere das hintere. Angaben zum Durchmesser und Korrosionszustand sind aus verfahrenstechnischen Gründen nicht möglich. Das Radarverfahren ist prinzipiell leistungsfähiger als die herkömmlichen Bewehrungssuchgeräte hinsichtlich Reichweite und Auflösung einzelner Eisen. Das Messraster an den Bauteilen richtet sich nach der Fragestellung und der gewünschten Aussagegenauigkeit. Hier muss gemeinsam mit dem Auftraggeber ein sinnvoller Mittelweg zwischen Messaufwand, Auswerteaufwand und Ergebnisgenauigkeit abgestimmt werden. Viele Radarprofile bedeuten nicht zwangsläufig eine höhere Ergebnissicherheit, aber auf jeden Fall erhöhte Kosten für den Auftraggeber. Für eine Dokumentation ist meistens das Anzeichnen vor Ort kombiniert mit einer fotografischen Erfassung und tabellarischen Strukturierung ausreichend (Bild 1). Auch müssen nicht alle Bauteile vollumfänglich bearbeitet werden. Es ist meistens ausreichend, typische Abschnitte sorgfältig und umfänglich zu erkunden und die weiteren dann nur noch stichprobenartig hinsichtlich Veränderungen. Hierfür ist aber eine gute Abstimmung mit dem Architekten und Tragwerksplaner sowie fachkundige Beratung bei der Auswahl der Messbereiche zwingend nötig. Bilder 1: Ermittlung des Bewehrungsverlaufes und der Auf biegungen mit einem 2000 MHz Sensors im Bereich der Voute eines Unterzuges. Die Eisen wurden vor Ort angezeichnet und später lokal geöffnet. Bild 2: Erkundung des Deckenauf baus und der Deckenspannrichtung im musealen Bereich. Hier kam der 1500 MHz Sensor auf dem Parkettboden zum Einsatz. Bild 3: Erkundung des Deckenauf baus und der Deckenspannrichtung mit einem 2000 MHz Sensor, Die Zugänglichkeit war nur von der Unterseite möglich. Bild 4: Suche nach Schlaudern bei einem kassettenartigen gemauerten Gewölbe einer Bahnhofshalle. Ergänzt wurden die Radarmessungen durch den Einsatz eines Metalldetektors. Die Lage der Schlaudern und Angabe der Überdeckung wurden vor Ort angezeichnet und lokal geöffnet. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 253 Vor dem Bauen im Bestand - Konstruktion und Material interdisziplinär analysieren und bewerten Bild 5: Erkundung des Decken- und Gewölbeauf baus und der Deckenspannrichtung sowie Ortung von Stahlträgern mit einem 1500 MHz Sensor und Schutz der hochwertigen Ausstattung mit einem Vlies. Bild 6: Decken- und Gewölbeerkundung mit einem 900 MHz Sensor, der eine erheblich höhere Eindringtiefe als die 2000 oder 1500 MHz Sensoren erzielt. Bild 7: Vor Ort Datenbeispiel für Stahlträger in einer Geschossdecke. Am Boden können die Stahlträger mit einer Genauigkeit von +/ - 2 cm auskartiert werden. Angaben zum Stahlträgerprofil sind aus verfahrenstechnischen Gründen nicht möglich, da helfen kleine lokale Öffnungen. 2. Beispiele aus der Praxis 2.1 Erkundung von Wandaufbauten Üblicherweise ist das Mauerwerk für eine Büro- oder Kliniknutzung in den vergangenen Jahren verändert und/ oder verkleidet worden. Es ist augenscheinlich nicht sofort erkennbar und auch durch Abklopfen nicht sicher hörbar, wie der Wandauf bau ist, wo Leitungen sind oder ob sich z.B. Holzständer hinter der Oberfläche verbergen (Bilder 8, 9). Unter laufender Nutzung können diese Fragen zuverlässig beantwortet und lokal mit kleinen Öffnungen kontrolliert werden. Das schafft für die Planungen einen erheblichen zeitlichen Vorteil und Aussagesicherheiten. Bild 8: Erkundung des Wandauf baus mittels einiger weniger Horizontalprofile bei laufender Nutzung des Gebäudes, Auswertung erfolgt vor Ort Bild 9: Im unmittelbaren Anschluss an die Radaruntersuchungen sind gezielte lokale Öffnung zur Bestimmung der Abmessungen und Zustandsbeurteilung von Holzständern möglich. 2.2 Ortung von Leitungskanälen und Schächten Insbesondere bei Krankenhäusern verbergen sich unter dem heutigen Putz oder Wandverkleidungen alte Schächte für ehemalige Öfen, Schornsteine und/ oder Leitungen. Diese lassen sich vor Ort auskartieren und an den Wandoberflächen mit der Überdeckung anzeichnen. Lokal sind ergänzend kleine Kalibrierungsöffnungen zu empfehlen (Bilder 10). 254 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Vor dem Bauen im Bestand - Konstruktion und Material interdisziplinär analysieren und bewerten 2000 MHz Sensor Bilder 10: Ortung von Kanälen und Schächten mit einer kalibrierenden größeren Öffnung und kleineren Bohrlöchern, Unten ist ein typischer Datensatz in dem die Wandrückseite, Leitungen an der Oberfläche und Schächte erkennbar sind. 2.3 Ortung von verschlossenen Wandöffnungen Bei gemauerten Wänden lassen sich ehemalige Öffnungen am Wechsel der Mauersteinart erkennen. Aufgrund deutlich unterschiedlicher Hohlkammern in den Mauersteinen zeigen sich in den Radardaten unterschiedliche Reflexionsmuster (Bilder 11). Bild 11: Erfassung einer verschlossenen alten Öffnung 2.4 Erkundung des Deckenaufbaus und Ortung von Stahlträgern Geschossdecken können unterschiedlicher Bauart wie z.B. Gewölbe, bewehrte Massivdecken als Einfeldträger oder in Durchlaufwirkung, Hohlkammerdecken, Holzbalkendecken usw. sein. Jeder Bauart kann ein typischer Radardatensatz zugeordnet werden. Inzwischen liegen zu den Deckenbauarten zahlreiche praktische Erfahrungen und Musterdatensätze vor. Die Radarmessungen erfolgen an der verkleidungsfreien Deckenunterseite und/ oder an der Oberseite. Die Bilder 1-6 zeigen typische Einsatzbedingungen vor Ort und in den Bildern 7 und 12 sind exemplarisch Datensätze für eine bewehrte Massivdecke und eine Stahlträgerdecke zu sehen. Die Auswertung kann bereits vor Ort erfolgen (Bild 13). Bilder 12: typische Radardatensätze für eine massive Decken oben mit Ansprache der einzelnen Bewehrungsstäbe, Unten ist ein Datensatz einer Stahlträgerdecke zu sehen. Bild 13: Die vor Ort erfasste Deckenspannrichtung und skizierte Lage der Stahlträger wird in vorhandene Unterlagen eingetragen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 255 Vor dem Bauen im Bestand - Konstruktion und Material interdisziplinär analysieren und bewerten 2.5 Bewehrungserkundung und Freilegungen Zur gezielten Probenahme z.B. mittels Bohrkernen oder Freilegen einzelner Stäbe wird die Lage der Eisen an den Oberflächen vor Ort auskartiert (Bilder 14). Bilder 14: Beton- und Bewehrungsproben zur Bestimmung der technischen Eigenschaften 2.6 Verkehrswasserbauwerken Insbesondere bei Verkehrswasserbauwerken wie Schleusen und Wehren sowie den zugehörigen Massivbauteilen aus den 30iger Jahren liegt die Bewehrung sehr tief und sollte bei Betonkernentnahmen nicht zerstört werden. Von den älteren und deutlich geringer bewehrten Bauteilen liegen oft keine zuverlässigen Informationen oder Planunterlagen mehr vor und daher muss die Lage der Eisen geortet und angezeichnet werden. Dann können diese Stellen gezielt beprobt oder davon ausgeschlossen werden. In den Bildern 15 und 16 sind typische Radargramme mit Bewehrung in Tiefen von ca. 13 - 21 cm dargestellt. Bilder 15: exemplarische Auskartierung der vertikalen Bewehrung in einer Tiefe von ca. 13 bis 21 cm. Die Lage der Horizontalprofile zeigt Bild 16. 256 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Vor dem Bauen im Bestand - Konstruktion und Material interdisziplinär analysieren und bewerten Bild 16: Profillage an einer Trogkammerwand zu den Bildern 15 3. Fazit Zahlreiche Praxisbeispiele zeigen, dass das Bauradar ein effektiv einzusetzendes zerstörungsfreies Verfahren zur Bestandserfassung beim Bauen im Bestand ist. Lokal und ganz gezielt sind einige wenige Öffnungen oder Bohrungen zu kalibrierenden Zwecken oder für die anschließenden Untersuchungen der technischen Baustoffeigenschaften nötig. Diese Herangehensweise ist interdisziplinär und beruht auf langjährigen praktischen Erfahrungen. Voruntersuchungen bieten prinzipiell eine gute Basis für die Planungen und Ausschreibungen von Sanierungs- oder Umbauarbeiten. Unliebsame Überraschungen beim späteren Bauen lassen sich nicht ganz vermeiden, aber sehr stark eingrenzen. Vorab ist immer ein bestandsorientiertes Untersuchungskonzept nötig. Im Zuge des Projektverlaufes und Zugewinns an Informationen muss dieses mit den projektbeteiligten Fachleuten regelmäßig auf den Prüfstand gestellt und weiterentwickelt werden. Das betrifft sowohl die Erkenntnis, dass manche Untersuchungen nicht mehr benötigt werden und andere dafür evtl. erforderlich werden. Literatur [1] Gabriele Patitz: In unbekannte (Bauteil-)Tiefen schauen. Geschossdecken mit Bauradar erkunden. In: B+B Heft 7/ 2016 Seite 24-29 [2] BAUSUBSTANZ Betoninstandsetzung, Instandsetzung des Laufenmühle-Viadukts, Sonderheft 1, 2017 [3] Patitz Gabriele, Kramer Maik: Bestandserfassung als Basis für Umnutzungs- und Sanierungsplanungen. In BAUSUBSTANZ 3/ 2017, Fraunhofer IRB Verlag, S. 28 [4] Der Bausachverständige, Baurechtliche und -technische Themensammlung, Arbeitshefte für Baujuristen und Sachverständige. Heft 7: Bauteiluntersuchungen Notwendigkeit und Grenzen. Seibel, Zöller (Hrsg.), Bundesanzeiger Verlag, Fraunhofer IRB Verlag 2016 Bildquellen: Alle Bilder sind von der Autorin und Markus Hübner GGUmbH Karlsruhe. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 257 Mittels LIPS wissen, was drin ist: Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) Dr. Matthias Bernhard Lierenfeld Valtest AG, Lalden, Schweiz Dipl. Bauing. (ETH/ SIA) Philipp Truffer Valtest AG, Lalden, Schweiz Zusammenfassung Die differenzierte Abschätzung der Bauteilwiderständen anhand von leistungsbezogenen d. h. performancebasierten Konzepten und Anwendungshilfen hat sich in den letzten Jahren immer mehr etabliert. Somit können u. a. mittels am bestehenden Bauwerk ermittelten Kennwerten, wie z. B. dem scheinbaren Diffusionskoeffizienten, fundierte Kennwerte für die Dauerhaftigkeitsbemessungen bestimmt werden können. Diese werden z. B. aufgrund von gemessenen Chlorideindringprofilen mittels Curve-Fittings bestimmt. Im vorliegenden Bericht werden die Ergebnisse der ermittelten Kennwerte aus einer engmaschigen Untersuchungskampagne mittels laserinduzierte Plasmaspektroskopie (LIBS) präsentiert. Mit einem Messraster von minimal 0.1 x 0.1 mm können sehr präzise Daten für die Chlorideindringprofile ermittelt werden. Bei den weitergehenden Analysen wurde zudem der kritische korrosionsauslösenden Chloridgehalts gemäß eines an der ETH Zürich entwickelten Verfahrens, objektbzw. bauteilspezifisch bestimmt und für die Berechnung der Restnutzungsdauer angesetzt. Im vorliegenden Beitrag wird hierauf unter Einbezug von Messdaten und -auswertungen aus LIBS -Untersuchungen eingegangen. 1. Einführung Bauwerke müssen tragsicher, gebrauchstauglich und im Normalfall auch dauerhaft sein. Unter der Voraussetzung, dass er fachgerecht hergestellt und verarbeitet sowie optimal nachbehandelt wurde, ist Stahlbeton eigentlich ein dauerhafter Baustoff. Stark und Wicht definieren in [1] die Dauerhaftigkeit von Beton dementsprechend, dass Bauteile aus Beton bei Beanspruchungen durch Einwirkungen aus Betrieb und Umwelt über die vorgesehene Nutzungsdauer bei ausreichender Wartung und Instandhaltung genügend beständig sind. Der Nachweis der Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit wird durch Bemessungs- und normenbasierte Nachweisverfahren gewährleistet. Die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit werden jedoch über erfahrungsbasierte, empirische Regeln abgehandelt. Je nach Exposition des Betonbauteils muss der Beton z. B. eine Mindestzementmenge, einen maximalen Wasser-Zementwert und eine minimale Bewehrungsüberdeckung aufweisen. Mit der Einhaltung dieser deskriptiven und rein empirischen Regelungen aus der Betonnorm SN EN 206 [2] wird davon ausgegangen, dass damit eine Nutzungsdauer von 50 bzw. 100 Jahren erreicht wird. Betonbauteile unterliegen vielfältigen und hohen Beanspruchungen aus nutzungs- und umweltbedingten Einwirkungen. Die dadurch ausgelösten Schäden nehmen über das Bauteilalter progressiv zu, wodurch erhebliche Kosten verursacht werden. Bei Fragen z. B. zur Restnutzungsdauer, geben die oben erwähnten deskriptiven Ansätze jedoch vielfach nur unzureichende Antworten. Bei Einwirkungen auf Betonbauteile infolge Chloridbeaufschlagung liefern leistungsbezogene d. h. performancebasierte Konzepte und Anwendungshilfen fundiertere Lösungsansätze. 2. Bemessung der Dauerhaftigkeit und Lebensdauerprognose Grundsätzlich bestehen bei semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessungen keine Unterschiede, ob diese bei einer Dauerhaftigkeitsbemessung (Neubau) oder Lebensdauerprognose (Bestandsbau) angewendet werden. Es finden die gleichen Schädigungs-Zeit-Gesetze, probabilistischen Methoden und Grenzzustandsdefinitionen Verwendung. Nachfolgend wird vermehrt auf die Lebensdauerprognose bei bestehenden Bauwerken eingegangen. Eine nachhaltige Instandsetzungsplanung erfordert gemäß der DAfStb-Instandsetzungsrichtlinie [3] eine detaillierte Zustandserfassung des betroffenen Betonbauwerks. Mit dem heutigen deskriptiven Ansatz sind verlässliche Aussagen jedoch nicht bzw. nur bedingt möglich. Trotzdem sehen sich Fachleute gezwungen, fundierte Aussagen zur weiteren Entwicklung der Schädigung am Bauwerk (Lebensdauerprognose) und über mögliche einzuleitende Maßnahmen zu machen, damit die angestrebte Nutzungsdauer erreicht wird. Aussagen und Einschätzungen zur Restnutzungsdauer oder zu Instandsetzungsmaßnahmen sollten nicht willkürlich getätigt 258 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) werden, sondern auf der Berechnung des fortschreitenden d. h. zeitabhängigen Dauerhaftigkeitsverlusts beruhen. 3. Dauerhaftigkeitsrelevante Schädigungen Im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbauteilen sind die karbonatisierungs- und chloridinduzierte Bewehrungskorrosion bei zahlreichen Bauwerken die wesentliche Schadensbeanspruchung. Für die Beurteilung dieser beiden Schädigungsmechanismen sind semiprobabilistische Nachweiskonzepte zur Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung bereits vorhanden. Im weiteren Verlauf wird vermehrt auf die chloridinduzierte Bewehrungskorrosion eingegangen. Der Stahl im Beton ist durch die Alkalität der Porenlösung (pH-Wert 12.5 bis 13.5) vor Korrosion geschützt. Die mikroskopisch dünne Passivschicht unterbindet dabei die anodische Eisenauflösung. Wenn der Chloridgehalt des Betons einen charakteristischen kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts (C crit ) überschreitet, wird die Passivschicht und damit auch der Korrosionsschutz der Bewehrung degradiert. Der Schädigungsablauf bei chloridinduzierter Bewehrungskorrosion läuft grundsätzlich gleich ab (Abb.3-1): (I) In der Einleitungsphase dringt die Chloride zur Oberfläche der Bewehrung vor, ohne, dass es zu einer eigentlichen Schädigung am Bauwerk kommt. Am Ende dieser Phase ist die Passivschicht nicht mehr stabil, d. h. die Bewehrung ist depassiviert. (II) In der Schädigungsphase beginnt die eigentliche Schädigung der Bewehrung aufgrund der einsetzenden Korrosion, welche sich je nach Grad der Schädigung zuerst in Form von auftretenden Rissen und anschliessend fortschreitend mit Betonabplatzungen zeigt. Am Ende dieser Phase ist der Grenzzustand der Tragfähigkeit erreicht. 4. Semiprobabilistisches Bemessungsmodell 4.1 Modellansatz Im Bereich der Tragsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit hat sich das semiprobabilistische Sicherheitskonzept basierend auf Grenzzuständen durchgesetzt. Zufallsverteilten Einwirkungen (E) werden zufallsverteilten Tragwiderstände (R) gegenübergestellt. Da für beide Zufallsgrössen vielfach unzureichende empirische Kenntnisse vorliegen, wird der Ansatz dementsprechend so gewählt, dass zwischen den Bemessungswerten der jeweiligen Verteilungsfunktionen ein genügend grosser Sicherheitsabstand vorliegt. Ein Versagen des Tragwerks, d. h. Überschreiten des Grenzzustands wird vermieden, solange folgende Bedingung gilt: R - E > 0 (1) Abb. 1: Zeitliche Entwicklung der Bauteilschädigung durch Bewehrungskorrosion [4] Für leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung wird das gleiche Grundprinzip herangezogen: Möglichen Beton- und Bauteilwiderständen werden die zu erwartenden umgebungsbedingten Beanspruchungen aus der jeweiligen Exposition gegenübergestellt. Als Grenzzustand gilt hierbei eine Depassivierung der Betonstahloberfläche durch eindringende Chloride. Es wird eine mögliche Depassivierung des Betonstahls durch das Erreichen eines kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts C crit auf Höhe der Betonstahloberfläche zugrunde gelegt [5]. Mit dem Erreichen dieses Werts ist der Grenzzustand für die chloridinduzierte Betonstahlkorrosion erreicht [6], sodass folgende Grenzzustandsgleichung gilt: g(X, t) = C crit - C(c, t SL ) (2) C crit kritischer korrosionsauslösender Chloridgehalt [M- %/ Z] C(c, t SL ) Chloridgehalt an der Betonstahloberfläche zum Zeitpunkt t SL [M-%/ Z] c Bewehrungsüberdeckung [m] t SL Nutzungsdauer (Service Life) [Jahr] Die Zustandsprognose erfolgt durch eine Zuverlässigkeitsanalyse mit Hilfe der Grenzzustandsgleichung (2) und durch Festlegung eines Zielwertes des Zielzuverlässigkeitsindex ß 0 , mit welchem die Anforderungen an die Sicherheit des Bauwerks für den betrachteten Zeitpunkt ausgedrückt wird. Bei der vorliegenden Modellbetrachtung gilt es zu beachten, dass sich die Aussagen ausschliesslich auf den Zeitpunkt der Korrosionsinitiierung d. h. den Beginn der Schädigungsphase (Abb. 1) beziehen. 4.2 Widerstand In der Grenzzustandsgleichung (2) stellt C crit den Widerstand dar. Es handelt es dabei sich um einen angenommenen Schwellenwert, der u. a. von Dicke und Qualität der Betondeckung abhängig ist. In der Wis- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 259 Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) senschaft ist man sich im Grundsatz einig, dass es nicht einen fixen gleichbleibenden C crit gibt, sondern er ist von einer Vielzahl von Parametern abhängig. [7]. Die Schweizer Norm SIA 269/ 2 besagt, dass bei Chloridgehalten < 0.4 M-%/ Z kaum Korrosion vorhanden und bei Chloridgehalten zwischen 0.4 und 1.0 M-%/ Z Korrosion möglich ist. Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass C crit bauteilbezogen sehr stark streuen kann. Laut Angst et al. [8] lagen die entsprechenden Werte bei einem konkreten Bauwerk zwischen 0.04 und 8.34 % M-%/ Z. Bei der vereinfachten Methode der semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessung wird für C crit eine statistische Betaverteilung mit einem Mittelwert von 0.6-M-%/ Z angenommen [5]. Es handelt sich daher um eine Zufallsgrösse mit einer entsprechenden Streuung, ohne die lokalen oder materialtechnologischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. In [8, 9] wird ein standardisiertes Verfahren zur bauteilspezifischen Bestimmung des C crit im Labor beschrieben. Dabei werden Probekörper aus einem chloridbelasteten Bauwerk entnommen und nach einer entsprechenden Präparation ausgelagert (Chloridexponierung). Durch einen gesteuerten Chlorideintrag durch den Überdeckungsbeton wird rein über Diffusion ein Chloridtransport bis zur Bewehrung ausgelöst. Die Detektion der Korrosionsinitiierung erfolgt mittels Potenzialmessung. Sobald das Potenzial ausgehend von einem ursprünglich definierten Passivlevel innerhalb von 24 Stunden um 150 mV abfällt und anschliessend das Potenzial während mehrerer Tage auf diesem Niveau verweilt, wird dies als der stabile Anfang der Korrosionsinitiierung angenommen. Die Untersuchungen von Angst et al. [8] zeigten, dass teilweise sehr hohe Chloridgehalte tolerierbar sind, ohne das Korrosion einsetzte. Auf der anderen Seite kann jedoch bereits bei Chloridgehalten unter den bekannten Grenzwerten Korrosion ausgelöst werden. Insgesamt steht folglich ein Instrument zur Verfügung, welches es ermöglicht bauteilbezogen C crit zu bestimmen. 4.3 Einwirkung Der vorhandene Chloridgehalt an der Betonstahloberfläche zum Zeitpunkt t repräsentiert die Einwirkung [6]. Die Grenzzustandsgleichung (2) kann somit auch wie folgt beschrieben werden: g(X,t) = c x crit (t SL ) (3) c Bewehrungsüberdeckung [m] x crit (t SL ) Tiefenlage des kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts zum Zeitpunkt t SL [m] Zur Abschätzung des Zeitraums vom Beginn der Chloridbeaufschlagung bis zur Depassivierung des Betonstahls (Initiierungsphase) wird der zeit- und tiefenabhängige Chlorideindringverlauf im Beton bestimmt. Es handelt sich dabei um einen Diffusionsprozess gemäss des zweiten Fick’schen Diffusionsgesetz [5]. (4) C(x,t) Chloridgehalt [M-%/ Z] in der Tiefe x von der Bauteilbzw. Probekörperoberfläche [mm] zum Zeitpunkt t C S,Δx Chloridgehalt an der Bauteiloberfläche (bei Δx=0) bzw. in der Tiefe Δx zum Beobachtungszeitpunkt in Abhängigkeit der anstehenden Chloridquelle, welche als konstante Einwirkung angenommen wird (Oberflächenchloridgehalt) [M-%/ Z] Δx Tiefenbereich, in dem ggf. das Chlorideindringverhalten durch intermittierende Chlorid einwirkung vom Fick’schen Diffusionsverhalten abweicht [mm] C 0 Eigenchloridgehalt des Betons [M-%/ Z] D app(t) scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient des Betons [mm 2 / Jahr] zum Zeitpunkt t t Zeitdauer vom Beginn der Beaufschlagung bis zur Inspektion bzw. die Lebensdauer [Jahr] erfc Komplementäre der Gauss’schen Fehlerfunktion (=1-erf) Abb. 2: Ermittlung von D test(t0) und C s,0 bzw. C s,Δx anhand von nasschemischen Chloridprofilen aus bestehenden Bauwerken oder Laborkurzzeitversuch [6]. 260 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) Abb. 3: a) Schematische Darstellung des verwendeten Messprinzips des LIBS-Messgeräts bei der Valtest AG. b) Foto eines erzeugten Plasmas auf einer Betonoberfläche. c) Typisches Messspektrum eines Betons im Wellenlängenbereich von 276 nm zu 322 nm. Für die Ermittlung der Restnutzungsdauer werden folgende Parameter mittels Curve-Fittings bestimmt: • scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient D app(t0) • der Altersexponent α app • der Oberflächenchloridgehalt bzw. der Chloridgehalt in der Tiefe Δx (Konvektionszone; Nasschemie Annahme von 10 mm) und C S, Δx (Abb.-2) • die Mindestdeckung c min (5 %-Quantil der am Bauteil gemessenen Betondeckung) Weitere Eingangsparameter werden aus dem Chloridprofil durch eine Regressionsanalyse unter Verwendung der Gleichung (4) berechnet [5]: Der scheinbare Chloriddiffusionskoeffizient zum Zeitpunkt der Inspektion D app(tinsp) sowie der Oberflächenchloridgehalt bzw. der Chloridgehalt in der Tiefe Δx (Konvektionszone) C S, Δx,insp . 5. Bestimmung des Chloridgehalts mittels Laserinduzierte Plasmaspektroskopie (LIBS) LIBS ist ein berührungsloses Analyseverfahren zur Untersuchung von Baustoffen. Das Resultat ist eine zweidimensionale Darstellung der Elementverteilung der untersuchten Baustoffoberfläche. Bei der Messung kann die Probenoberfläche mit einem minimalen Raster von 0.1 x 0.1 mm automatisiert abgescannt werden (schematischer Auf bau in Abb. 3). Mit einem hochenergetischen gepulsten Laserpuls werden kleinste Materialmengen an der Oberfläche der Probe verdampft und in ein Plasma (Temperaturen von > 10.000° K) überführt. Dabei werden die chemischen Bindungen aufgebrochen. Nach Beendigung der Energiezufuhr kühlt das Plasma ab und zerfällt wieder («breakdown»), wobei element-charakteristische Strahlung emittiert wird. Durch Spektralanalyse des vom Plasma emittierten Lichts können in Abhängigkeit der Wellenlänge Spektrallinien identifiziert werden, wodurch ein Nachweis von einzelnen Elementen ermöglicht wird. Durch dieses Messprinzip sind grundsätzlich alle Elemente des Periodensystems zeitgleich nachweisbar. Es können alle für die Zusammensetzung des Zements und der Gesteinskörnung sowie die für die Schädigungsprozesse im Beton relevanten Elemente (z. B. Chlor, Schwefel, Natrium, und Kohlenstoff) bestimmt werden. Durch die Verwendung von Standards kann eine Kalibrierung und somit auch eine Quantifizierung der Ergebnisse ermöglicht werden. Das LIPS-Verfahren bietet dabei folgende Vorteile: • Die Probe wird zweidimensional abgescannt und die Elementverteilung ortsaufgelöst dargestellt. Die Heterogenität des Betons wird bei der Ergebnisdarstellung berücksichtigt, da die Gesteinskörnung durch die Verwendung von bestimmten Algorithmen ausgeschlossen wird. • Die Elementgehalte werden quantifiziert. • Durch die simultane Detektion von unterschiedlichen Elementen werden mehrere für eine mögliche Schädigung in Frage kommende Einflussgrößen gleichzeitig analysiert (Multi-Element-Analyse). • Die Probenvorbereitung/ -präparation ist einfach und schnell. Durch das automatisierte Messverfahren liegen die Resultate innert kürzester Zeit vor. LIBS kann u. a. bei den folgenden Fragestellungen angewendet werden: • Nachweis der Chlorverteilung und des -gehalts in der Bindemittelmatrix sowie der Karbonatisierungsfront inkl. Visualisierung von Transport- und Umverteilungsvorgängen innerhalb des Betons • Kennwertermittlung (scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient) bei semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessungen (Ermittlung von Restnutzungsdauern oder Bemessung von Schichtdicken für Betonersatz bei Chloridbeaufschlagung) • u.v.m. 6. Anwendungen Nachfolgend sollen einige konkrete Anwendungen von LIBS-Analysen aufzeigen, wie sehr C crit a) innerhalb des gleichen Bauwerks schwanken kann und b) wie stark C crit Auswirkung auf die Restnutzungsdauerberechnung eines Bauwerks hat. In den Jahren 2020-2022 fand eine großflächige Zustandsuntersuchung eins 13-stöckigen Parkhauses, welches besonders in den Wintermonaten aufgrund seiner Lage in einem renommierten Walliser Skiort sehr hohen Chloridbelastungen ausgesetzt ist, statt. Im Rahmen dieser Zustandsuntersuchung wurde eine Vielzahl an Bohrkerne zur Bestimmung der Chloridbelastungen 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 261 Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) und -eindringtiefen mittels LIPS-Analysen entnommen und anschließend an der ETH Zürich mit der in Kapitel 4.2 beschriebenen Methode der C crit bestimmt. Zur Lokalisierung geeigneter Orte für die Bohrsondagen wurde eine vollflächige Potentialmessung eines jeden Parkdecks durchgeführt. Somit konnten vorgängig Bereiche mit hohem, mittlerem und niedrigen Korrosionsrisiko identifiziert werden, um gezielt Bohrkern zu entnehmen. Im weiteren Verlauf wurde die Bewehrungsüberdeckung mittels Ferroscan (Hilti PS 300) bestimmt und mittels Sondagen verifiziert. Mit Hilfe der Sondage konnte zusätzlich der Fortschritt der Bewehrungskorrosion aufgenommen werden. Anschließend folgte die eigentliche Probennahme mittels Bohrsondagen. Insgesamt wurden seitens der Valtest AG 83 Bohrkerne gezogen (Dachgeschoss, 2. - 9. Untergeschoss und die Rampenauffahrten), wobei bei den Parkdecks 7-8 und auf der Rampe 13 Bohrkern gezogen wurden. Anschliessend wurden die Bohrkerne parallel zur Längsachse halbiert (trocken geschnitten) und mittels LIPS die Chloridverteilung bestimmt. Hierbei gilt es zu beachten, dass sich die LIBS-Messwerte auf den Zementstein (CP) beziehen. Die LIBS-Messergebnisse wiesen teils sehr hohe (bis zu > 4 M-%/ CP; Abb. 4) und tiefreichende Chloridbelastungen auf (> 80 mm Tiefe). Weniger kritisch gestaltete sich das Bild auf dem Dachgeschoss sowie den Rampenauffahrten, welche größtenteils von tiefreichenden Chlorideinträgen verschont geblieben sind. Da es sich bei dem LIBS-Messverfahren um eine Multi-Element-Analyse handelt, kann gleichzeitig noch die Tiefe der Karbonatisierung ermittelt werden. Diese war in den meisten Fällen nicht signifikant und dort, wo sie auftrat, lag sie im Bereich < 10 mm und stellte somit das geringere Korrosionsrisiko im Vergleich zur chloridinduzierten Korrosion dar. Abb. 4: Flächige Darstellung der Chlorverteilung mit Ausschluss der Gesteinskörnung mit dazugehörigem Tiefenprofil Zur Ermittlung von C crit wurden anschließend zusätzlich 22 weitere Bohrkerne auf sechs Parkdecks gezogen. Pro Parkdeck wurden mindestens zwei Bohrkerne für die Bestimmung von C crit mit der an der ETH Zürich in Kapitel 4.2 beschriebenen Methode verwendet. Der Mittelwert pro Parkdeck schwankt zwischen 0.05 und 0.89 M-%/ Z, wobei der maximale Einzelwert für einen Bohrkern mit 2.05 M-%/ Z mehr als doppelt so groß ist. Zusätzlich weisen die Werte nicht nur zwischen den einzelnen Parkdecks massive Schwankungen auf, sondern auch innerhalb eines Parkdecks konnte Unterschiede von 0.1 zu 2.05 M-%/ Z pro Bohrkern festgestellt werden (siehe Abb. 5). Nach dem Erhalt der Ergebnisse wurden eine semiprobalistische Dauerhaftigkeitsbemessungen durchgeführt. Hierbei werden die Modellvariablen nicht als rein statistische Parameter berücksichtigt, sondern mit Teilsicherheitsbeiwerten definiert. Diese werden durch den Zuverlässigkeitsindex bestimmt. Ein höherer Zuverlässigkeitsindex bedeutet eine konservativere Abschätzung der Restnutzungsdauer des Bauteils (kleinere Restnutzungsdauer). Üblicherweise wird der Zuverlässigkeitsindex bei 1.5 festgelegt. Im konkreten Fall wurde pro Parkdeck die Berechnung der Restnutzungsdauer mit einem theoretischen C crit von jeweils 0.6 M-%/ Z durchgeführt. Anschliessend wurde der Mittelwert von C crit , beruhend auf den Daten von der ETH Zürich berechnet und die Restnutzungsdauer erneut ermittelt und miteinander verglichen. Beispielhaft werden nun einige Bohrkerne vorgestellt. Abb. 5: Auswertung der bauteilspezifisch ermittelten kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalte Ccrit Der Bohrkern 4.1 weist eine erhöhte Chloridkontamination auf (Abb. 6a). Mit dem theoretisch bestimmten C crit von 0.6 M-%/ Z (Abb. 5b und d) wird die Restnutzungsdauer schon bei Weitem überschritten bzw. erreicht. Der von der ETH Zürich bestimmte C crit ist mit 0.23 M-%/ Z sehr viel geringer als der theoretisch bestimmten C crit , sodass die Restnutzungsdauer weiterhin überschritten bzw. erreicht wird (Abb. 6c und e). Der Bohrkern 4.4 weist eine moderate Chloridkontamination auf (Abb. 7a). Mit dem theoretisch bestimmten C crit von 0.6 M-%/ Z (Abb. 7b und d) wird eine verbleibende Restnutzungsdauer von 26 Jahren errechnet. Da der von der ETH Zürich bestimmte C crit mit 0.23 M-%/ Z gerin- 262 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) ger ausfällt als der theoretisch bestimmten C crit wird die Restnutzungsdauer überschritten bzw. erreicht (Abb. 7c und e). Der Bohrkern 7.8 weist eine moderate Chloridkontamination auf (Abb. 8a). Mit dem theoretisch bestimmten C crit von 0.6 M-%/ Z (Abb. 8b und d) wird eine verbleibende Restnutzungsdauer von 31 Jahren errechnet. Da der von der ETH Zürich bestimmte C crit mit 0.89 M-%/ Z sehr viel höher ausfällt als der theoretisch bestimmten C crit wird die Restnutzungsdauer eine verbleibende Restnutzungsdauer von 31 Jahren errechnet, womit die geplante Nutzungsdauer von 100 Jahren erreicht werden würde (Abb. 8c und e). 7. Fazit Bei LIBS handelt es sich um ein hochpräzises Nachweisverfahren zur Untersuchung und anschließender zweidimensionalen Darstellung der Elementverteilung an Oberflächen von Baustoffen. Geeignet ist LIBS zur Visualisierung von Transport- und Umverteilungsvorgängen innerhalb des Betons und bei Zustandsuntersuchungen u. a. zum Nachweis des Chloridgehalts in der Bindemittelmatrix. Im Hinblick auf semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessungen erhält man, gegenüber nasschemisch ermittelten Chloridprofilen, präzisere Datengrundlagen. Wenn zusätzlich noch effektiv vorhandene kritische korrosionsauslösende Chloridgehälter am Bauwerk bestimmt werden, sind gute d. h. fundierte Aussagen hinsichtlich einer Restnutzungsdauer des Bauwerks möglich. Dabei gelten jedoch folgende Einschränkungen: • Die Auswertungen beruhen auf punktuell ermittelten Probenahmen am Bauwerk. Hierzu folgendes Zitat aus [6]: «Die Lage der Probestellen sowie der Ablauf der Probenahme sind vor großer Bedeutung. Die Chloridproben müssen expositionsgerecht und aus repräsentativen Stellen entnommen werden und keine Singularitäten z. B. Risse beinhalten. » • Die Aussagen beziehen sich auf ungestörte bzw. unbeschädigte Betonbauteile. So sind beispielsweise bei Rissen separate Betrachtungen erforderlich. • Die Ergebnisse beziehen sich auf das Ende der Einleitungsphase bzw. den Beginn der Schädigungsphase. Wie und in welcher Zeitspanne der anschließende Korrosionsprozess abläuft, kann mit dem vorliegenden semiprobabilistischen Bemessungsmodell nicht vorhergesagt werden. Literatur [1] Stark J., Wicht B.: Dauerhaftigkeit von Beton, Springer Vieweg, 2013 [2] SN EN 206: 2013+A2: 2021 Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität [3] DAfStb Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb-Richtlinie Instandhaltung von Betonbauteilen, Gelbdruckentwurf (Stand: 2016-06-04) [4] Tuutti, K.: Corrosion of Steel in Concrete. CBI Research No. Fo 4: 82, 1982 [5] BAW Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe: Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauwerken bei Carbonatisierung und Chlorideinwirkung (MDCC), BAW-Merkblatt Ausgabe 2017 [6] Rahimi A.: Semiprobalistisches Nachweiskonzept zur Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauteilen unter Chlorideinwirkung, DAfStb Deutscher Ausschus für Stahlbeton, 2017, Heft 626 [7] SIA 269/ 2: 2011 Erhaltung von Tragwerken - Betonbau [8] Angst U. et al: Methode zur Bestimmung des kritischen Chloridgehaltes an bestehenden Stahlbetonbauwerken, Forschungsauftrag AGB 2012/ 010 Bundesamt für Strassen, Bern [9] Boschmann Käthler C., Angst U.: Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkungen auf die Restlebensdauer, 4. Brückenkolloquium 2020, Technische Akademie Esslingen 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 263 Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) Abb. 6: a) Flächige Darstellung der Chlorverteilung mit Ausschluss der Gesteinskörnung mit dazugehörigem Tiefenprofil mit Fitting nach dem zweiten Fickschen Gesetz; b) und d) Prüfresultate der Berechnung der Restnutzungsdauer mit einem theoretisch bestimmten Ccrit von 0.6 M-%/ Z und dazugehöriger Modellierungen der quantitativen, zementsteinbezogenen Chlorverteilung; c und e) Prüfresultate der Berechnung der Restnutzungsdauer mit einem Ccrit von 0.23 M-%/ Z und dazugehöriger Modellierungen der quantitativen, zementsteinbezogenen Chlorverteilung 264 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) Abb. 7: a) Flächige Darstellung der Chlorverteilung mit Ausschluss der Gesteinskörnung mit dazugehörigem Tiefenprofil mit Fitting nach dem zweiten Fickschen Gesetz; b) und d) Prüfresultate der Berechnung der Restnutzungsdauer mit einem theoretisch bestimmten Ccrit von 0.6 M-%/ Z und dazugehöriger Modellierungen der quantitativen, zementsteinbezogenen Chlorverteilung; c und e) Prüfresultate der Berechnung der Restnutzungsdauer mit einem Ccrit von 0.23 M-%/ Z und dazugehöriger Modellierungen der quantitativen, zementsteinbezogenen Chlorverteilung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 265 Qualitativ hochwertige Ergebnisse bei der Zustandserfassung von Bauwerken und Schadensanalyse mittels laserinduzierter Plasmaspektroskopie (LIPS) Abb. 8: a) Flächige Darstellung der Chlorverteilung mit Ausschluss der Gesteinskörnung mit dazugehörigem Tiefenprofil mit Fitting nach dem zweiten Fickschen Gesetz; b) und d) Prüfresultate der Berechnung der Restnutzungsdauer mit einem theoretisch bestimmten Ccrit von 0.6 M-%/ Z und dazugehöriger Modellierungen der quantitativen, zementsteinbezogenen Chlorverteilung; c und e) Prüfresultate der Berechnung der Restnutzungsdauer mit einem Ccrit von 0.89 M-%/ Z und dazugehöriger Modellierungen der quantitativen, zementsteinbezogenen Chlorverteilung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 267 Schadensbeispielkatalog zur Zustandsbewertung von Hochbauten Auf Basis des Schadenskatalogs der RI-EBW-PRÜF, der Checkliste der VDI 6200 und weiterer Normen Dipl.-Ing. (FH) Birga Ziegler, M. Sc. ilp² Ingenieure GmbH & Co. KG/ m2ing GmbH, München Elisabeth Eder, B. Eng. ilp² Ingenieure GmbH & Co. KG, München Dipl.-Ing. Sabine Reim m2ing GmbH, München Prof. Dr.-Ing. Jörg Jungwirth Hochschule München Zusammenfassung Um Bauwerke verantwortungsvoll, sicher und langanhaltend zu betreiben, ist ein sorgfältiges und einheitliches Instandhaltungsmanagement inkl. regelmäßiger Zustandsbewertungen notwendig. Für Ingenieurbauwerke regelt dies die DIN 1076, welche die rechtliche, technische und wirtschaftliche Notwendigkeit der Bauwerksprüfung bestimmt. Weiterhin regelt die Richtlinie RI-EBW-PRÜF eine einheitliche Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung der Ergebnisse von Bauwerksprüfungen [1, 2]. Im Hochbau fehlt es im Gegensatz dazu an verpflichtenden normativen Vorgaben hinsichtlich einer einheitlichen Bewertungsstruktur und Handlungsvorschriften für Gebäudeeigentümer. In Kooperation mit der Hochschule München wurde hierfür ein Schadenskatalog zur Bewertung der Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit von Hochbaubauwerken erarbeitet und mithilfe von Pilotprojekten validiert [3]. Ein Katalog mit ca. 2.000 Schadensbeispiele inkl. Bewertungsempfehlungen unterstützen qualifiziertes Personal zukünftig, transparente und einheitliche Prüfungen auch im Hochbau durchzuführen. 1. Einführung In den letzten Jahrzenten häuften sich schwerwiegende Unglücke an Bauwerken, beispielsweise der Einsturz der Eishalle Bad Reichenhall im Jahr 2006, der mehrere Tote und Verletzte forderte [4]. Im Nachhinein lassen sich die Ursachen meist nur mutmaßen, nichtsdestotrotz sind oft unerkannte Bauschäden durch mangelnde Bauwerksprüfungen ursächlich. Um die gesetzliche Verkehrssicherungspflicht (§§ 823, 836 bis 838 BG B) einzuhalten, Gefahr für Mensch und Tier zu vermeiden und ferner eine möglichst lange Nutzung von Gebäuden zu ermöglichen, ist eine regelmäßige Kontrolle dieser unabdinglich. Im Hochbau fehlt es hier an klaren verpflichtenden Vorgaben hinsichtlich einer Sammlung von Schadensbeispielen, einer einheitlichen Bewertungsstruktur und einer Handlungsvorschrift für Gebäudeeigentümer. Durch Literaturrecherche und Sammlung der am häufigsten auftretenden Schäden an Gebäuden wurde ein Schadenskatalog inkl. Bewertungsempfehlungen aufgestellt. Dieser bildet eine erste Grundlage für eine transparente und kohärente Zustandsbewertung im Hochbau. Begonnen wurde mit einer leicht verständlichen Gliederungsstruktur sowie der Festlegung auf eine einheitliche Bewertungsregelung, nach den Merkmalen Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. Auf bauend darauf wurden konkrete Schadensbeispiele entwickelt. Der Schadenskatalog und die Bewertungsvorschläge wurden dann vergleichend an Pilotprojekten erprobt und bestätigt [3]. 2. Grundlagen der Bauwerksprüfung des Hochbaus Zwar gibt es im Hochbau keine starr festgelegte Bewertungsstruktur, doch existieren mit der VDI 6200 „Standsicherheit von Bauwerken - Regelmäßige Überprüfung“ und der RÜV „Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes“ je nach Gebäudeart und -nutzung bereits Handlungsempfehlungen zur Systematik von Bauwerksprüfungen. Die VDI 6200 gibt Beurteilungs- und Bewertungskriterien, Checklisten, Handlungsanleitungen und Empfehlungen zur Beurteilung der Standsicherheit baulicher Anlagen sowohl für Bestandsals auch für Neubauten vor. 268 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Schadensbeispielkatalog zur Zustandsbewertung von Hochbauten Sie formuliert Vorgaben für die Bestandsdokumentation und definiert Anforderungen an die Überprüfenden. [4] Die Richtlinie richtet sich an Gebäudeeigentümer, Verfügungsberechtigte und beteiligte Fachleute, wie planende und beratende Ingenieure, Architekten, Prüfingenieure für Baustatik, Facility-Manager, Verwalter von Immobilien, Bauabteilungen von Industrie- und Privatunternehmen, sowie die öffentliche Hand. [4] Die VDI 6200 teilt Hochbau-Bauwerke (alle Bauwerke, außer Ingenieurbauwerke im Bereich von Straßen und Wegen) in Schadensfolgeklassen und Robustheitsklassen ein, um nachfolgend die Untersuchungsintervalle, sowie Instandhaltungs- und Instandsetzungsempfehlungen festzulegen [4]. Gebäude werden in der VDI 6200 in drei Schadensfolgeklassen eingeteilt. Die Einteilung erfolgt hierbei nach Gebäudeart- und Nutzung bzw. den zu erwartenden Folgen bei einem Versagen des Tragwerks, besonders wenn „Schäden an Leben und Gesundheit“ entstehen können. [4] Die Robustheitsklasse eines Bauwerks wird individuell nach der statisch konstruktiven Durchbildung, der Konstruktionsart, der Baustoffe, sowie der Robustheit und der Duktilität der Konstruktion festgelegt. Bei der Erstprüfung eines Bauwerks legen die prüfenden fachkundigen Personen die Klassen des Bauwerks fest. [4] Die RÜV gibt Vorgaben zur Festlegung von Gebäuden und baulichen Anlagen, die mit einem außergewöhnlichen Risiko behaftet sind. Im Unterschied zur VDI 6200 sind keine Prüfungsintervalle und Einstufung der Gefahrenklassen angegeben, diese sind im Einzelfall festzulegen. Für die betroffenen Bauwerke sind detailliertere Vorgaben zur Handlung im Sinne der Instandhaltung vorgegeben. [5] Einen Schadensbeispielkatalog wie im Ingenieurbau (RI- EBW-PRÜF „Richtlinien zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076“) existiert in den vorhandenen Regelungen bislang nicht. Daher werden ähnliche Schäden oft unterschiedlich bewertet und dokumentiert. Dieses Problem soll der zu erstellende Schadensbeispielkatalog aufgreifen und Lösungsansätze bereithalten [4, 5, 6] 3. Entwicklung eines Schadensbeispielkatalogs mit Bewertungsempfehlung Die Zustandsbewertung von Brücken und Ingenieurbauwerken im Bereich von Straßen und Wegen wird gemäß DIN 1076 durchgeführt. Anhand von Schadensbeispielen erfolgt die Bewertung, geregelt durch die RI-EBW-PRÜF „Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076“. Dieses Verfahren beinhaltet somit eine detaillierte Erfassung und Bewertung von Einzelschäden getrennt nach den Kriterien Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit auf der Basis eines Schadensbeispielkatalogs. [1, 6] Auf Grundlage dieses Verfahrens wurde ein entsprechender Schadenskatalog für Hochbauten erstellt. Ergebnis ist eine nachvollziehbare Zustandsbewertung für einzelne Bauteilgruppen und das Gesamtbauwerk. [3] 3.1 Gliederung der Schadensbeispiele nach IFC- Objekttypen und DIN 276 Es wurden mehrere Strukturansätze verglichen, um ein Maximum an Benutzerfreundlichkeit und logischer Gliederung zu erreichen. In der Literatur werden Schäden nach Kostengruppen der DIN 276 „Kosten im Bauwesen“ unterteilt. Diese Norm dient der Kostenplanung und -strukturierung von Hoch- und Ingenieurbauten, sowie Infrastrukturbauwerken und Freiflächen. Die DIN 276 gliedert Kosten in der ersten Ebene in acht Kostengruppen [7]. Relevant für die Zustandsbewertung von Hochbauten werden daraus Folgende inkl. derer Untergruppen (Tab. 1): Tab. 1: DIN 276 - Relevante Kostengruppe der ersten Ebene - Auszug [7] Ordnungszahlen Kostengruppen 300 Bauwerk - Baukonstruktionen 320 Gründung, Unterbau 330 Außenwände/ Vertikale Baukonstruktionen, außen 340 Innenwände/ Vertikale Baukonstruktionen, innen 400 Bauwerk - Technische Anlagen 410 - 419 Abwasser-, Wasser-, Gasanlagen 420 - 429 Wärmeversorgungsanlagen 430 - 439 Raumlufttechnische Anlagen Fachpersonen im Bauwesen sind mit dem Umgang dieser Kostengruppen vertraut, Bauteile können so einfach zugeordnet werden. Sollte die Prüfung zu einer Instandsetzungsmaßnahme führen, können die Schäden bzw. die darauf auf bauenden Maßnahmen durch die schon vorhandene Gliederung in Kostengruppen einfach kalkuliert werden. [3] Ein einheitlicher Schadenskatalog trägt zudem insbesondere dazu bei, in der Arbeitsmethodik BIM für „As Built“ und „As Maintened“ - Modelle eine transparente nachvollziehbare und vergleichbare Bewertungsstruktur zu schaffen. Zur Kommunikation zwischen den Modellierungssoftwares wird das IFC-Austauschformat eingesetzt. Durch die einheitliche Verwendung dieses Datenformates wird die Datenbearbeitung maximal reibungsarm. Die semantische Information/ das Attribut „IFC-ObjectType“ bzw. „IFC-Objekttypen“, welche/ s jedem Standard-Bauteil im 3D-Modell zugeordnet wird, wird zur Einteilung in Bauteilgruppen verwendet. Werden die Schäden nach diesen Objekttypen untergliedert, kann die Verbindung direkt erstellt werden und unterstreicht so die Intention, die Bauwerksprüfung in den Prozess einzubinden. Im Allplan BIM-Kompendium [8] werden die Objekttypen in vier Obergruppen eingeteilt - folgende finden mit den zugehörigen Bauteilen Anwendung im Schadenskatalog (Tab. 2): 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 269 Schadensbeispielkatalog zur Zustandsbewertung von Hochbauten Tab. 2: Relevante IFC-ObjectType-Obergruppen - Auszug [8] Ifc-ObjectType-Obergruppe Bauteile und Objekte Rohbau Ausbauobjekte TGA (Technische Gebäudeausstattung) Universalelemente Die Kostengruppen der DIN 276 und die IFC-Objekttypen bieten in Kombination miteinander eine anwenderfreundliche Struktur, die die Implementierung der BIM-Arbeitsmethodik ermöglicht. Für den vorliegenden Schadenskatalog werden die IFC-Objekttypen als Hauptbauteile definiert, die Ordnungszahlen der Kostenuntergruppen nach DIN 276 dienen zur Sortierung im Schadenskatalog. [3] Diese Einteilung spiegelt sich als erste Position der Schadens-ID wider. Die Kostenuntergruppen der DIN 276 wurden zu den dafür passenden IFC-Objekttypen zugeordnet und eine Ordnungszahl ausgewählt (kursiv dargestellt) (Tab. 3): Tab. 3: Zuordnung IFC-ObjectTypes und Kostengruppen der DIN 276 - Auszug [3, 7, 8] Ifc-ObjectType Kostengruppe DIN 276 Bauteile und Objekte Rohbau Fundamente, Gründung 320 Gründung, Unterbau 322 Flachgründung und Bodenplatten 329 Sonstiges zur KG320 312 Umschließung Stützen, Pfeiler 333 Außenstützen 343 Innenstützen Ausbauobjekte Fenster, Türen 334 Außenwandöffnungen 344 Innenwandöffnungen 352 Deckenöffnungen 362 Dachöffnungen Fassade 335 Außenwandbekleidungen, außen Die Hauptbauteile werden im nächsten Schritt mit einem Konstruktionsteil bzw. Hauptbaustoff und/ oder Schadensart ergänzt. Dies bildet den zweiten Teil der Schadens-ID. Je nach Hauptbauteil, ergibt sich dies durch die dafür typischen Konstruktionsarten/ Tragsysteme der Baustoffe, sowie der Vorgaben des Schadenskatalogs des Ingenieurbaus [6]. Der zweite Teil der Schadens-ID wird durch eine fortlaufende Nummerierung gebildet (Tab. 4): Tab. 4: Auszug - Konstruktionsteil/ Bauteilergänzung oder Hauptbaustoff [3] Nr. Konstruktionsteil/ Bauteilergänzung oder Hauptbaustoff 01 Allgemein 02 Beton 03 Beton, Betondeckung 04 Beton, Karbonatisiert 05 Beton, Risse 06 Beton, Tausalzschaden 07 Stein/ Mauerwerk 08 Stein/ Mauerwerk, Risse 09 Holz 10 Holz, Risse 11 Holz, Verbindungen 12 Holz, Verbindungsmittel 13 Holz, Schädling/ Fäule/ Bewuchs 14 Stahl/ Metall 15 Stahl/ Metall, Oberflächenschaden 16 Stahl/ Metall, Schraube/ Niete 17 Stahl/ Metall, Schweißnaht 18 Glas 19 Kunststoff 20 Keramik/ Fliesen 21 Trockenbau 22 Spannglied 23 Abdichtung 24 Gelände 25 Beschilderung 26 Besichtigungseinrichtung 27 Entwässerung 28 Lager 29 Leitungen 30 Seil 31 Solarelemente 32 Belüftung Auf bauend auf die bereits erläuterten beiden Filterstufen „Bauteilgruppe“ und „Hauptbaustoff/ Schadensart“ wurden in einem dritten Schritt „Schadensbeispiele“ gesammelt. Derzeit besteht dieser aus ca. 2.000 Schadensbeispielen inkl. Bewertungsempfehlungen. Zur eindeutigen Zuordnung der Schäden zu einem Schadensbeispiel werden diese wieder innerhalb einer Ebene fortlaufend nummeriert. Schlussendlich ergibt sich dann beispielhaft folgende Schadens-ID [3]: 270 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Schadensbeispielkatalog zur Zustandsbewertung von Hochbauten Schaden: „Netzrisse“ Hauptbauteil: Wände Kostengruppe: 330 Bauteilergänzung/ Material: Beton, Risse Gruppe: 05 Schadens-Nr. in Liste fortlaufend: 05 Schadens-ID: 330-05-05 3.2 Bewertung der Schäden und Erstellung einer Zustandsnote Ziel der Bauwerksprüfung und Auswertung der vorliegenden Schäden soll eine vergleichbare und nachvollziehbare Zustandsnote des Bauwerks und zudem der einzelnen Bauteilgruppen sein. Die Bewertung der einzelnen Schäden und folglich die Zusammenfassung in einer Zustandsnote richtet sich im vorliegenden Fall nach der bewährten Methodik der RI- EBW-PRÜF. Demnach wird jede Auffälligkeit nach dem Einfluss auf die Kriterien „Standsicherheit“ (S), „Verkehrssicherheit“ (V) und „Dauerhaftigkeit“ (D) auf das betroffene Bauteil und auch das Bauwerk im Gesamten bewertet. Eine Benotung in den Kategorien erfolgt von 0 („kein Einfluss“) bis 4 („das bewertete Kriterium ist nicht mehr gegeben“). Die genauen Erläuterungen zur korrekten Wahl der Note im jeweiligen Kriterium sind der RI- EBW-PRÜF zu entnehmen. [2] Gleich der Vorgaben zur Bewertung von Ingenieurbauwerken in der RI-EBW-PRÜF, ist bei Bewertungen S = 4, V = 4 und/ oder D = 4 sofort zu handeln. Die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit sind in diesem Fall nicht mehr gegeben und die Nutzung des Bauwerks nicht mehr sicher. Der prüfende Sachverständige und der Bauwerkseigentümer sind aufgefordert, durch Sofortmaßnahmen eine gefahrlose Nutzung des Gebäudes wiederherzustellen und das Gebäude bis dahin zu sperren. [2] Zur Beurteilung des Gesamtzustands des Bauwerks erfolgt wiederum eine Orientierung an der Vorgehensweise im Ingenieurbau [3]. Hier wird eine Zustandsnote Z ges nach den „Algorithmen zur Zustandsbewertung von Ingenieurbauwerken“ von Haardt erstellt [1, 2, 9]. Nach Vergabe der Einzelnoten, in den drei Kategorien S, V, und D, ergibt sich für jeden Schaden eine Basiszustandszahl Z 1 . Diese sind als Matrizes des Algorithmus dargestellt. Folgend wird beispielhaft die Ermittlung einer Basiszustandszahl Z 1 gezeigt (Abb. 1): Standsicherheit S = 0 Verkehrssicherheit V = 0 Dauerhaftigkeit D = 1 Basiszustandszahl Z 1 = 1,1 D = 1 S 10 1,5 1,7 2,2 2,7 4,0 1,1 1,3 2,1 2,6 4,0 0 1 2 3 4 V Abb. 1: Bewertungsschlüssel Basiszustandszahl Z 1 (D = 1) [9] Bei der Erfassung eines Schadens wird das Schadensausmaß mit „klein“, „mittel“ oder „groß“ beurteilt. Dieses fließt als Zu- oder Abschlag ∆Z 1 zur Basiszustandszahl Z 1 ein und bildet somit die Zustandszahl Z eines Schadens: Zustandszahl Schaden Z = Z 1 + ∆Z 1 Gl. 1: Berechnung Zustandszahl Z Die Zustandszahl einer Bauteilgruppe Z BG basiert auf der schlechtesten, d.h. höchsten Zustandszahl Z max der aufgenommenen Schäden innerhalb dieser Gruppe. Die Schadensanzahl n je Bauteilgruppe wird durch Zu- und Abschläge ∆Z 2 berücksichtigt. Schlussendlich ergibt sich die Zustandszahl einer Bauteilgruppe wie folgt: Zustandszahl Bauteilgruppe Z BG = Z max + ∆Z 2 Gl. 2: Berechnung Zustandszahl Z BG Die Endzustandsnote des gesamten Bauwerks Z ges entspricht der maximalen Note unter allen untersuchten Bauteilgruppen Z BG,max : Endzustandsnote Bauwerk Z ges = Z BG, max Gl. 3: Ermittlung Zustandsnote Bauwerk Z ges Die korrekte Interpretation der Zustandsnote eines Bauwerkes und den daraus folgenden Maßnahmen zur Instandsetzung sind der RI-EBW-PRÜF zu entnehmen [2]. 4. Erprobung des Schadensbeispielkatalogs anhand eines Pilotprojekts Durch die entwickelte Einteilungsstruktur der Schäden in Konstruktionsteil bzw. Hauptbaustoff und/ oder Schadensart und der Sammlung der relevantesten Schadensbeispiele konnte ein umfangreicher Schadensbeispielkatalog erstellt werden. Um die erarbeitete Gliederungsstruktur, den Umfang und die Bewertungsvorgaben des Katalogs zu beurteilen, wurde als Projektstudie eine Bauwerksprüfung eines Hochbau-Bauwerks durchgeführt. Bewertet wurden die Schäden des Pilotbauwerks zum einen, anhand des Schadensbeispielkatalog und zum anderen, anhand von einer konventionell durchgeführten Eingehenden Untersuchung nach VDI 6200. Die Prüfung wurde mithilfe der Bauwerksprüfungssoftware „m2ing“ und dem darin implementierten Schadensbeispielkatalog durchgeführt. [3] 4.1 Einführung in die Software und App „m2ing“ Die Bauwerksprüfungssoftware „m2ing“ [10] bildet einen neuen Standard im Bereich der digitalen Bauwerksprüfung. Doppelarbeiten durch u.a. die händische Aufnahme von Schäden bei der Bauwerksprüfung vor Ort, dem nachträglichen Eintrag in digitale Programme und die manuelle Bewertung der Schäden im Büro fallen weg. Mit dem Tool wird der gesamte Prozess automatisiert und 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 271 Schadensbeispielkatalog zur Zustandsbewertung von Hochbauten nachvollziehbar gestaltet. Die Software ermöglicht einen hoch effizienten Workflow der Bauwerksprüfung beginnend mit der Prüfungsvorbereitung, über die Prüfung vor Ort bis zur Auswertung. [10] Ist die Bauwerksprüfung abgeschlossen, besteht die Möglichkeit neben der Zustandsnote des Gesamtbauwerks, die Beschaffenheit der einzelnen Hauptbauteile oder Bauteilgruppen einzusehen. Somit lässt sich nachvollziehen, wo die Schwachstellen des Bauwerks verortet sind. Alle Schäden werden in der gewünschten Sortierung angezeigt. Die negativsten Schäden werden dem Nutzer augenmerklich hervorgehoben. Komplementär können Sofortmaßnahmen nachvollziehbar hinterlegt werden. [10] Zu Beginn eines Prüfprojekts werden neben den grundsätzlichen Bauwerksdaten, u.a. der Standort, das Baujahr, die Konstruktionsarten und vorhandene Bestandsunterlagen im Webservice eingefügt. Durch die verfügbaren Informationen kann das Bauwerk nach VDI 6200 in eine Robustheitsklasse und eine Schadensfolgeklasse eingeteilt werden [4]. Darauf basierend, werden automatisch die erforderlichen Prüfzyklen für das Bauwerk erstellt und dem Nutzer im Webservice und Prüf bericht angezeigt. Durch Synchronisation mit der zugehörigen App für mobile Endgeräte werden alle eingegebenen Daten auf alle, mit dem Projekt verbundenen Nutzer, übermittelt. Bei der Bauwerksprüfung vor Ort, wählt der Anwender den passenden Bauwerksplan zur Verortung der Schäden aus. Bei Aufnahme eines Schadens wird dieser direkt im Bauwerksplan am Hauptbauteil lokalisiert und mit einem Foto dokumentiert. [10] Die Gliederungsstruktur der Schäden vom Hauptbauteil bis zu den einzelnen Schäden nach Konstruktionsteil/ Bauteilergänzung oder Hauptbaustoff führt den Benutzer direkt zu den Bewertungsvorgaben. Der Nutzer wählt den Schaden aus und bewertet diesen je nach Ausmaß. Durch die Freitextfunktion können weitere Beschreibungen zum Schaden unkompliziert hinzugefügt werden, um so einen individuellen Detailgrad zu erreichen. [10] Am Ende einer Bauwerksprüfung werden die Ergebnisse in der App mit dem Webservice synchronisiert. Schlussendlich besteht dort die Möglichkeit, den Prüf bericht automatisiert über die Exportfunktion als Word-Dokument zu generieren oder die Schäden über eine offene Schnittstelle an weiterführende Programme zu übergeben. [10] 4.2 Bauwerksbeschreibung Die Leimbinderhalle einer Supermarktkette wurde im Jahr 2017 errichtet und weist einen rechteckigen Grundriss (70,0 m x 34,0 m) auf. Ausgenommen der teilweise einstöckigen Inneneinbauten, ist es größtenteils ebenerdig. Mauerwerkswände bilden die Umgrenzung des Bauwerks. Das Gebäude misst in der Höhe 6,6 m bis 8,7 m, das Pultdach besteht konstruktiv aus Fischbauchbindern (BSH-Holz). Einseitig außen liegen diese auf BSH-Holz-Stützen auf um ein Vordach auszubilden. Fertigteil-Stahlbetonstützen bilden die innen liegenden Auflagerpunkte. Gegründet wird das Bauwerk mit Streifen- und Einzelfundamenten in Stahlbeton. CSV-Pfähle verbessern zusätzlich die Gründungsverhältnisse. [3] Der Gebäudetyp entspricht als Einkaufsmarkt der mittleren Schadensfolgeklasse CC 2. Nach Tabelle 1 der VDI 6200 bedeutet dies, dass bei einem Versagen mit Schäden an Leben und Gesundheit für viele Menschen zu rechnen ist. Das Bauwerk weist eine Stützweite von größer 12,0 m auf und ist somit ein weitgespanntes Tragwerk im Sinne der VDI 6200. [3, 4] Die Robustheitsklasse des Gebäudes ergibt sich aus der statisch konstruktiven Durchbildung sowie der Robustheit und der Duktilität des Gebäudes. Das Bauwerk ist in Massivbauweise mit Brettschichtholzbindern auf einem umlaufenden Ringbalken ausgeführt. Die Aussteifung erfolgt über die Stahlbetonstützen und die Außenwände, die biegesteif an die Bodenplatten angeschlossen sind. Tragwerke aus Einfeldträgern weisen keine Systemreserven auf, daher wird das Gebäude nach Tabelle 2 der VDI 6200 Richtlinie in die Robustheitsklasse RC 1 eingeordnet. [3, 4] 4.3 Prüfkonzept Das zu prüfende Bauwerk wurde im Rahmen einer eingehenden Erstüberprüfung begutachtet. Dies umfasst auch die Erstellung des Bauwerksbuchs Standsicherheit mit Festlegung der Tragwerksteile bzw. Bauteilgruppen. [3] Vor der Bauwerksprüfung vor Ort wurden die Bauwerksdaten und die erhaltenen Unterlagen des Auftraggebers im Webservice der Software „m2ing“ eingearbeitet. Die übermittelten Pläne des Grundrisses, der Schnitte und Ansichten dienen der Schadensaufnahme und Verortung der Schäden vor Ort in der App am Smartphone oder Tablet. 4.4 Untersuchungs- und Anwendungsergebnisse Bei der Bauwerksprüfung wurden rund 40 Schäden festgestellt, besonders an den Bauteilgruppen „Stützen, Pfeiler“ und „Dächer“, aber auch an „Fassade“, „Unter-, Überzüge, Balken, Träger“, „Bekleidung, Belag“, „Geländer, Handlauf, Brüstung, Umwehrung“, „Wände“ und „TGA-Komponenten“. Beim Schadensbild ließen sich insbesondere die BSH- Stützen an der Südwestfassade, sowie die frei bewitterten BSH Binder an den Giebelseiten hervorheben. Das Brettschichtholz wies allgemein starke Abwitterungsspuren mit grau verfärbtem Holz und Rissen auf (Abb. 2). Die Verfärbung des Holzes, sowie Harzaustritt, sind Alterungsreaktionen des natürlichen Baustoffes, aber im Sinne der Dauerhaftigkeit der Bauteile zu beobachten (Standsicherheit S = 0; Verkehrssicherheit V = 0; Dauerhaftigkeit D = 2). Die Tiefe der vorgefundenen Risse erstreckte sich nur einseitig an den Querschnitten und überstieg nicht das Drittel der Bauteilbreite. Somit ist die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit des betroffenen Bauteiles beeinträchtigt, jedoch nicht des gesamten Bauwerks (Standsicherheit S = 1; Verkehrssicherheit V = 0; Dauerhaftigkeit D = 2). 272 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Schadensbeispielkatalog zur Zustandsbewertung von Hochbauten Abb. 2: Ansicht Südwest Witterungsschaden [3] Zudem wurden Schäden an den Auflagerpunkten der Fischbauchbinder im Innenbereich festgestellt. Abb. 3: Ansicht Schaden Dachkonstruktion [3] Die Binder wurden seitlich ausgenommen um in die Kippsicherung zu passen (Abb. 3). Der Schaden, der die Dauerhaftigkeit geringfügig beeinträchtigt, wird ansonsten mit keiner Beeinträchtigung für die Standsicherheit und die Verkehrssicherheit bewertet (Standsicherheit S = 0; Verkehrssicherheit V = 0; Dauerhaftigkeit D = 1). Für Schäden am Stahlbeton, wie Risse mit Rissweiten >0,2mm, bietet der Schadenskatalog einige Auswahlmöglichkeiten. In Abhängigkeit der Exposition des Bauteils und der Rissrichtung kann hier das richtige Schadensbeispiel gewählt werden. Auch hier ergab sich eine geringfügige Einschränkung der Dauerhaftigkeit (Standsicherheit S = 0; Verkehrssicherheit V = 0; Dauerhaftigkeit D = 1). Nach der Inspektion des Bauwerks und Sammlung der vorliegenden Schäden an den Bauteilen ergab sich für das Einzelhandelsgeschäft eine Zustandsnote Z ges von 1,9, also ein insgesamt guter Zustand. Die Dauerhaftigkeit einzelner Konstruktionsteile ist beeinträchtigt. Die Zustandsnote des gesamten Bauwerks Z ges ergab sich aus der maßgebenden Bauteilzustandsnote, d.h. die Bauteilgruppe mit der schlechtesten Bewertung Z BG,max . Im vorliegenden Fall handelte es sich hierbei um die Dachkonstruktion („Dach“) Z BG, max = Z BG, Dach = 1,9 (guter Zustand). Fazit Der entwickelte Schadensbeispielkatalog bildet eine erste umfassende Grundlage zur Bewertung von Hochbauten. Durch die Gliederung in Hauptbauteile eines Tragwerkes und den dafür typischen Baustoffen oder Konstruktionsteilen und Sammlung der zugehörigen Schadensbeispiele, konnte ein praxisnahes Tool zur Überprüfung von Bauwerken erstellt werden. Bei der Bauwerksprüfung des Einzelhandelsgeschäfts im Zusammenhang mit dem Pilotprojekt, erwies sich die Gliederung und der Umfang des Kataloges als praxistauglich. Schäden konnten schnell den passenden Schadensbeispielen zugeordnet und bewertet werden, wodurch die komplette Bauwerksprüfung sehr zeiteffizient durchgeführt werden konnte. Bei der Erprobung des Schadensbeispielkatalogs unter Verwendung der digitalen Software „m2ing“, konnten zwei Schäden keinem vorhandenen Schadensbeispiel zugeordnet werden und wurden mithilfe der Freitext-Funktion aufgenommen. 5. Ausblick Die Anzahl möglicher Schäden an Bauwerken ist groß und unendlich und der entwickelte Schadenskatalog erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Beispielsweise fehlen Schäden im Bereich historischer, teilweise denkmalgeschützter Bausubstanz, z.B. Naturstein, sowie im Bereich des Brandschutzes im Sinne der Gebäudeausstattung. [3, 10] Um diese Lücken zu füllen, ist die Unterstützung der Branche gefragt. Neben der Möglichkeit einen Schaden ohne Beispiel aus dem hier entwickelten Katalog mithilfe der Freitext-Funktion in die Bewertung von Bauwerken einfließen zu lassen, soll den Anwendern in Zukunft die Möglichkeit angeboten werden, um neue Schadensbeispiele vorzuschlagen. Dies erfolgt ähnlich dem Formblatt „Erfahrungssammlung zu den Schadensbeispielen“ der Bundesanstalt für Straßenwesen [12]. Die Orientierung bei der Gliederung der Hauptbauteile an die der BIM-Methode durch die Verwendung von IFC-Objekttypen soll es in Zukunft ermöglichen, eine Verbindung zwischen der Bauwerksprüfung, dem damit analysierten Bauteil- und Bauwerkszustand und einem BIM-Bauwerksmodell herzustellen. Treten z.B. Kosten im Rahmen von Instandsetzungsmaßnahmen auf, ist die Zuordnung des dafür verantwortlichen Schadens und der Nummerierung durch die Kostengruppen der DIN 276 „Kosten im Bauwesen“ möglich. Zusammen mit der Bewertungsempfehlung, die auf der Handlungsweise der RI-EBW-PRÜF und auf Erfahrungswerten von Bauwerksprüfern basiert, hilft der Schadensbeispielkatalog Schäden und deren Einfluss in die Tragwerksstruktur einzuschätzen und ähnliche Schäden wiederkehrend einheitlich zu bewerten. Durch die Einzigartigkeit von Tragwerken und Umwelt- und Nutzungsbedingungen, ist jedoch jeder Schaden individuell in sei- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 273 Schadensbeispielkatalog zur Zustandsbewertung von Hochbauten ner Schwere einzuteilen. Die Bewertungsempfehlung ist somit nicht zwingend einzuhalten, sondern unterstützt die am Bau tätigen Gutachter bestmöglich. Die ermittelte Note (1,0 - 4,0) des Gesamtbauwerks zeigt auch Fachfremden plakativ den Zustand eines Bauwerks. Die Benotung der einzelnen Bauteilgruppen zeigt dabei noch detaillierter, wo Handlungsbedarf besteht. Die Vorgehensweise der Bewertung von Ingenieurbauwerken nach den Kriterien Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit der RI-EBW-PRÜF und dem Algorithmus nach Haardt hat sich hier auch für den Hochbau als zweckentsprechend dargestellt, und wird auch von Fachleuten des TÜV Süd [14] empfohlen. Bauwerksprüfern und in der Baubranche Tätigen ist die Bedeutung der Noten bereits bekannt. Mit dieser Norm nicht vertrauten Personen hilft die Kurzbeschreibung der Zustandsnote im Prüf bericht. Das Ziel des entwickelten Schadensbeispielkataloges ebnet einen weiteren Schritt in Richtung eines durchgängigen Standards in der Prüfung von Hochbau-Bauwerken. Positiv zu erwähnen ist auch das stetig wachsende Bewusstsein von Betreibern gegenüber Ihrer Verkehrssicherungspflicht, sowie das öffentliche Interesse einer wirtschaftlichen Instandhaltung von Gebäuden. Ein übergeordneter Baulastbetreiber (z.B. DB, Autobahn GmbH) und auch übergeordnete Strukturen fehlen im Hochbau. Zukünftig sollte sich die Hochbaubranche daher weiter ein Beispiel an der Vorgehensweise im Ingenieurbau nehmen und zertifizierte Lehrgänge für Bauwerksprüfer etablieren sowie auch die normativen Grundlagen weiter ausbauen. Literaturverzeichnis [1] DIN 1076 Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen: Überwachung und Prüfung, DIN 1076: 1999-11, DIN Deutsches Institut für Normung e. V. - DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau), Berlin, Nov. 1999. [2] RI-EBW-PRÜF - Richtlinien zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076: RI-ERH-ING - Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten, RI-EBW-PRÜF, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Jul. 2017. [3] Elisabeth Eder, B. Eng., Erstellung eines Schadenskataloges zur Zustandsbewertung von Hochbauten - Auf Basis des Schadenskatalogs der RI-EBW-PRÜF, der Checkliste der VDI 6200 und weiterer Normen, unveröffentlicht, Hochschule München, 2022 [4] VDI 6200 Standsicherheit von Bauwerken: Regelmäßige Überprüfung, VDI 6200, Verein Deutscher Ingenieure, Feb. 2010. [5] RÜV Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes, RÜV, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Sep. 2008. [6] RI-EBW-PRÜF - Richtlinien zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076: RI-ERH-ING - Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten, RI-EBW-PRÜF, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Jul. 2017. [7] DIN 276 Kosten im Bauwesen, DIN 276, DIN Deutsches Institut für Normung e. V. - DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau), Berlin, Dec. 2018. [8] R. B. Anke Niedermaier, ALLPLAN BIM-Kompendium Theorie und Praxis: basierend auf dem offiziellen Release IFC4, 4th ed. [9] P. Haardt, Algorithmen zur Zustandsbewertung von Ingenieurbauwerken: [Bericht zum Forschungsprojekt 97245]. Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW, Verl. für Neue Wiss, 1999. [10] m2ing - Digitale Bauwerksdaten, m2ing - Digitale Bauwerksdaten. [Online]. Available: https: / / m2ing. com/ (accessed: Sep. 21 2022). [11] Holz versus Beton. [Online]. Available: https: / / www.hs-augsburg.de/ Architektur-und-Bauwesen/ Holz-versus-Beton.html. [12] Miriam Stierle, Baubranche und Klimakrise: Wer trägt die Verantwortung? vom 21.03.2022. [Online]. Available: https: / / architekturbasel.ch/ baubranche-und-klimakrise-wer-traegt-die-verantwortung/ . [13] Bundesanstalt für Straßenwesen [Online]. Available: https: / / www.bast.de/ DE/ Ingenieurbau/ Fachthemen/ b4-Bauwerkspruefung-RI-EBW-PRUEF/ b4-Bauwerkspruefung-RI-EBW-PRUEF.html (accessed: Dez. 14 2022). [14] Dr.-Ing. Matthias Rudlof, TÜV Süd Industrie Service GmbH, Bauwerksprüfungen nach Richtlinie VDI 6200, im Sinne der Standsicherheit und der Werterhaltung (Bauunterhalt) [Online]. (accessed: Dez. 14 2022). Available: https: / / www. tuvsud.com/ de-de/ -/ media/ de/ industry-service/ pdf/ netinform/ bauwerksprfungen-nach-richtlinie-vdi-6200--dr-matthias-rudlof-14062021.pdf 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 275 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Physiker Christoph Geyer Berner Fachhochschule, Biel, Schweiz Zusammenfassung Für die energetische Sanierung von Gebäuden wird die Kenntnis des Wärmeschutzes von Bestandsbauteilen immer wichtiger. Daher wächst auch der Bedarf für die zerstörungsfreie Messung des Wärmeschutzes in situ. Von mehreren Herstellern werden daher Messgeräte für die Messung des U-Wertes vor Ort angeboten. Um die Messmethode zu untersuchen, wurden an zwei Testhäusern in Gais, Kanton Appenzell Ausserrhoden der Wärmedurchgangskoeffizient der jeweiligen Nordwand gemessen. Die Wände bestehen zum einen aus einer Massivholzwand aus Appenzeller Holz und zum anderen aus einer Mauerwerkswand mit einem Wärmedämmverbundsystem aus expandiertem Polystyrol. Die Wände sind so konstruiert, dass sie einen rechnerischen Wärmedurchgangskoeffizienten von U-=-0,2-W/ (m 2 K) aufweisen. Es wird ein Messsystem installiert, welches gegenüber marktüblichen Messsystemen mit zusätzlichen Sensoren ausgestattet wurde. Damit konnten neben dem Wärmedurchgangskoeffizienten auch zusätzliche Größen, wie der Wärmedurchlasswiderstand und die Wärmeübergangswiderstände innen und außen gemessen werden. Die Auswertung der Messwerte wurde weiterentwickelt, um die Messergebnisse besser einzuschätzen. Es werden die Messergebnisse des Wärmeschutzes in situ präsentiert, mit Rechenwerten, aber auch mit Messwerten der Wärmeleitfähigkeit im Plattenmessgerät im Labor der Berner Fachhochschule verglichen. 1. Beschreibung der Prüfhäuser In Gais, Appenzell Ausserrhoden wurden drei Messhäuser auf dem Gelände der Firma Nägeli AG zur Messung ihres Energieverbrauchs aufgebaut. An zwei Prüf häusern, dem Massivholzbau und dem Massivbau wurde zusätzlich ein Messsystem zur Messung des Wärmedurchgangskoeffizienten der Nordwand in situ installiert. Die folgende Abbildung zeigt die beiden Prüf häuser. Alle drei Prüf häuser weisen die gleiche Geometrie und Orientierung auf. Die Außenbauteile der Prüf häuser wurden so bemessen, dass alle Außenbauteile, Dach, Wände und Boden, einen Wärmedurchgangskoeffizienten von U = 0,2 W/ (m 2 K) erreichen. Abbildung 1: Photographien der beiden Prüf häuser, links das Testhaus aus Appenzeller Holz, rechts das Testhaus in Massivbauart. 276 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ 1.1 Wandaufbau Massivholzbau Alle Außenbauteile werden mit Massivholz aus Appenzellerholz hergestellt. Der Auf bau der Massivholzwand ist im Vertikalschnitt in der folgenden Abbildung dargestellt. Wandaufbau (von außen nach innen) 2 cm Fassadenschalung, hinterlüftet 4 cm Raum für Hinterlüftung 21 cm Massivholzwand aus Appenzellerholz, Windpapier Tyvek Solid 18 cm Massivholzwand aus Appenzellerholz Abbildung 2: Wandauf bau der Massivholzwand mit hinterlüfteter Wandverkleidung [1] Die runden Kreise kennzeichnen die Positionen der Messsensoren: À -Raumlufttemperatur und -feuchte, Á Oberflächentemperatur innen,  -Wärmestromdichte innen, à -Oberflächentemperatur außen, Ä Wärmestromdichte außen, Å Außenlufttemperatur und -feuchte 1.2 Rechenwerte Wärmeschutz Massivholzwand Mit einem Rechenwert der effektiven Wärmeleitfähigkeit von 0,084 W/ (m K) für die Massivholzwand ergibt sich ein Wärmedurchlasswiderstand der Wand, R von Formel 1 Der Wert der effektiven Wärmeleitfähigkeit wird nach Angabe von TWOODS GmbH angesetzt. Für die Genauigkeit der Rechenwerte nehme ich 10 % an. Mit den Standardwerten der Wärmeübergangswiderstände nach EN ISO 6946 [2] von 0,13 m 2 K/ W innen und außen folgt hieraus ein Wärmedurchgangskoeffizient der Wand von Formel 2 1.3 Rechenwert flächenbezogene Wärmekapazität Die flächenbezogene Wärmekapazität c’ berechnet sich aus der volumetrischen Wärmekapazität c V und der Dicke des Bauteils d wie folgt: Formel 3 Mit einer Rohdichte für Fichte von r = 420 kg/ m 3 , einer volumetrischen Wärmekapazität von c V = 0,672 MJ/ (m 3 K) und einer Dicke des Bauteils von d = 0,39 m ergibt sich Formel 4 Damit handelt es sich bei der Massivholzwand um ein schweres Bauteil im Sinne der Norm ISO-9869-1: 2014 [3]. 1.4 Wandaufbau Massivbau Der Massivbau wird mit Ziegelwänden und mit Ortbetondecken hergestellt. Der Auf bau der Mauerwerkswand ist im Vertikalschnitt in der folgenden Abbildung dargestellt. Wandaufbau (von außen nach innen) Spachtelputz 14 cm Wärmedämmung aus expandiertem Polystyrol (l = 0,031 W/ (m K)) 17,5 cm Mauerwerkswand als Standardmauerwerk mit Swissmodulsteinen 1 cm Zementputz Abbildung 3: Wandauf bau des Massivbaus mit Mauerwerkswand und Wärmedämmverbundsystem nach [1]. Die runden Kreise kennzeichnen die Positionen der Messsensoren: À -Raumlufttemperatur und -feuchte, Á -Oberflächentemperatur innen,  -Wärmestromdichte innen, à -Oberflächentemperatur außen, Ä Wärmestromdichte außen, Å Außenlufttemperatur und -feuchte 1.5 Rechenwerte Wärmeschutz Mauerwerkswand Mit einem Rechenwert der Wärmeleitfähigkeit von 0,44 W/ (m K) [4] für das Mauerwerk ergibt sich ein Rechenwert des Wärmedurchlasswiderstands der Wand, R von Formel 5 Mit den Wärmeübergangswiderständen nach EN ISO 6946: 2018 von 0,13 m 2 K/ W innen und von 0,04 m 2 K/ W außen folgt hieraus ein Wärmedurchgangskoeffizient der Wand von 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 277 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ Formel 6 1.6 Rechenwert flächenbezogene Wärmekapazität Mit einer Rohdichte des Mauerwerks von r MW -= (800 bis 1‘000) kg/ m 3 , einer volumetrischen Wärmekapazität von c V,MW -=-(0,749 bis 0,936)-MJ/ (m 3 K) und einer Dicke des Bauteils von d MW = 0,175 m ergibt sich unter Vernachlässigung der Putzschichten Formel 7 Damit handelt es sich bei der Mauerwerkswand um ein schweres Bauteil im Sinne der Norm ISO-9869-1: 2014. 2. Messverfahren Bei dem Messverfahren werden während der Messperiode folgende Messgrößen der Außenwand zu bestimmten Zeitpunkten tk erfasst. • die Wärmestromdichte innen und außen, j i (t k ) und je(tk), • die Raumluft- und die Außenlufttemperatur Q i (t k ) bzw. Q e (t k ), • die Temperaturen der inneren und der äußeren Oberfläche des Bauteils Q si (t k ) bzw. Q se (t k ). Aus diesen Messwerten wird dann der Momentanwert des Wärmedurchgangskoeffizienten U(t k ) berechnet: Formel 8 Allerdings ist der Wärmedurchgangskoeffizient nur für konstante Temperaturrandbedingungen der Außen- und der Innenlufttemperatur definiert. Nur dann ergibt sich ein konstanter Wärmestrom durch das Bauteil und somit ein konstanter Wert für den Wärmedurchgangskoeffizienten. Im Gegensatz zu Labormessungen sind aber die Randbedingungen bei Vor-Ort-Messungen nur sehr eingeschränkt kontrollierbar. Daher muss durch die Auswahl der Messperiode, eine geeignete Mittelung der Ergebnisse und der Kontrolle verschiedener Kriterien sichergestellt werden, dass eine möglichst hohe Messgenauigkeit des Wärmedurchgangskoeffizienten erreicht wird. Die Messung und die Messauswertung lehnt sich an das Verfahren der Norm ISO 9869-1: 2014 an, in der die Anforderungen an das Messverfahren formuliert werden. Der Wärmedurchlasswiderstand des Bauteils zum Zeitpunkt tk berechnet sich aus den Oberflächentemperaturen auf der Raumseite und auf der Außenseite, und , wie folgt: Formel 9 2.1 Mittelung der Messwerte Um aus den zeitlich stark variierenden Messwerten einen konstanten Mittelwert des Wärmedurchgangskoeffizienten der Prüfwand zu erhalten, wird eine Mittelung der Messwerte durchgeführt. 2.1.1 Mittelungsverfahren nach ISO 9869-1 Der Schätzwert des Wärmedurchgangskoeffizienten wird nach dem Verfahren der Norm ISO 9869-1 gebildet. 2.1.1.1 Wärmedurchgangskoeffizient Zunächst wird der arithmetische Mittelwert der Wärmeströme innen für die n Messungen der Messperiode gebildet: Formel 10 In einem zweiten Schritt wird der arithmetische Mittelwert der Temperaturdifferenzen zwischen Raum- und Außenlufttemperatur Δθ(t k ) = (θ i (t k ) - θ e (t k )) berechnet: Formel 11 Hieraus ergibt sich der Schätzwert des Wärmedurchgangskoeffizienten über die Messzeit Formel 12 2.1.1.2 Wärmedurchlasswiderstand Auch der Mittelwert des Wärmedurchlasswiderstands wird aus dem Mittelwert der Temperaturdifferenzen der Oberflächentemperaturen, Δθ s (t k ) = (θ s,i (t k ) - θ s,e (t k )), Formel 13 und dem Mittelwert der Wärmestromdichte φ i berechnet. Der Schätzwert des Mittelwerts des Wärmedurchlasswiderstands des Bauteils über die Messzeit lautet Formel 14 2.2 Auswahlkriterien für die Messwerte nach ISO 9869-1 Die Norm ISO 9869-1 formuliert für die Auswahl der Messwerte eine Reihe von Kriterien, welche vor dem Abbruch der Messung erfüllt sein müssen. Dabei unterscheidet die Norm zwischen leichten und schweren Elementen. Als leichtes Element gelten Bau- 278 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ teile mit einer spezifischen Wärmekapazität von weniger als 20 kJ/ (m 2 K). Wie bereits in Kapitel 1 gezeigt, handelt es sich sowohl bei der Massivholzwand, als auch bei der Mauerwerkswand um schwere Bauteile im Sinne der ISO 9869-1. 2.2.1 Schwere Bauteile Für schwere Bauteile gelten folgende Kriterien für die Auswahl eines Messwerts zum Zeitpunkt t k : • C1: Die Messzeit muss mindestens 72 Stunden oder drei Tage dauern. • C2: Der Unterschied zwischen dem Messwert 24 h vor dem Ende der Messung und dem Wert am Ende der Messperiode darf 5-% nicht übersteigen • C3: Der Unterschied zwischen dem Messwert am Tag nach zwei Dritteln der Messperiode und dem Wert am letzten Tag der Messperiode darf nicht mehr als 5-% betragen • C4: Die Messzeit soll ein ganzzahliges Vielfaches von 24 Stunden sein • C5: falls sich die in der Wand gespeicherte Wärme während der Messperiode um mehr als 5-% des Wärmestroms, welcher durch die Wand fliesst, ändert, sind spezielle Analysemethoden anzuwenden. Dabei werden die ersten drei Auswahlkriterien nacheinander angewandt. D. h. das jeweils folgende Kriterium greift auf die Messwerte der Wärmedurchgangskoeffizienten zurück, die bereits alle vorherigen Auswahlkriterien berücksichtigen. Das vierte und fünfte Kriterium haben sich in der Anwendung als nicht praktikabel erwiesen. Sie werden daher nicht angewandt. 2.2.1.1 C1: Messzeit grösser als 3 Tage Dieses Kriterium wird in der Auswertung so berücksichtigt, dass nur die Messwerte für Zeitpunkte, welche mehr als 72-h nach dem Start der Messung auftreten, berücksichtigt werden. Bei Unterbrechungen der Messzeit wird die Messdauer nicht wieder auf null gesetzt. 2.2.1.2 C2: Differenz zwischen Mittelwert(t) und Mittelwert(t---24-h)-£-5 % Dieses Kriterium wird wie folgt überprüft: zunächst wird für jeden Messwert des Wärmedurchgangskoeffizienten zum Zeitpunkt t k der zugehörige Messwert des Wärmedurchgangskoeffizienten gesucht, der bei t k - 24 Stunden liegt. Der Messwert des Wärmedurchgangskoeffizienten zum Zeitpunkt t k wird dann verworfen, wenn die Differenz zwischen den beiden Messwerten grösser als 5-% ist. 2.2.1.3 C3: Differenz zwischen Mittelwert(t) und Mittelwert(2/ 3t)-£-5-% Dieses Kriterium wird sinngemäss wie das vorherige Kriterium überprüft: zunächst wird für jeden Messwert des Wärmedurchgangskoeffizienten zum Zeitpunkt t k der zugehörige Messwert des Wärmedurchgangskoeffizienten gesucht, der beim Zeitpunkt 2/ 3 ∙ t k liegt. Der Messwert des Wärmedurchgangskoeffizienten zum Zeitpunkt t k wird dann verworfen, wenn die Differenz zwischen den beiden Messwerten grösser als 5-% ist. 3. Messaufbau Die Messung des Wärmeschutzes der Wände erfolgt jeweils an der Nordwand jedes Prüf hauses. Die Messsensoren für die Messung des Wärmedurchgangskoeffizienten werden an den Nordwänden von zwei der drei Messhäuser befestigt. Es wird jeweils ein Almemo ® -Datenlogger mit folgenden Sensoren eingesetzt: • für Lufttemperatur und -feuchte innen • für Oberflächentemperatur innen • für Oberflächentemperatur der Innenseite Hinterlüftungsspalt oder der Außenseite Spachtelputz • für Wärmestromdichte durch innenseitige Bauteiloberfläche • für Wärmestromdichte durch außenseitige Bauteiloberfläche (Innenseite Lüftungsspalt oder Außenseite Spachtelputz) Die Sensoren wurden von der Berner Fachhochschule in Biel kalibriert. Der Messsensor zur Messung der Außenlufttemperatur wird in einem Wetterschutzgehäuse für Außensensoren Typ EMF 8100 der Firma Electro-Mation GmbH untergebracht. Die Messgenauigkeit der Temperatursensoren als Thermodrähte wird mit Formel 15 angesetzt. Die Genauigkeit der digitalen Wärmeflussplatte wird vom Hersteller mit einem relativen Fehler von 5 % des Wärmestroms bei einer Temperatur von 23 °C angegeben. Hierbei handelt es sich um maximal zulässige Abweichungen des Messwerts. 4. Messergebnisse Die Messung startet am 21.12.2019 und endet am 17.01.2020. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 279 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ 4.1 Temperaturen Die Raumlufttemperaturen werden mit einer elektrischen Heizung mit Thermostat-Regelung eingestellt. Die Mittelwerte der Temperaturen am Ende der Messperiode sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Massivholzwand Mauerwerkswand Raumluft (21,1± 0,4) °C (21 ± 0,4) °C Raumseitige Oberfläche (19,6 ± 0,4) °C (19,4 ± 0,4) °C Außenseitige Oberfläche (Innenseite Hinterlüftungsspalt oder Außenseite Spachtelputz) (2,6 ± 0,4) °C (0,7 ± 0,4) °C Außenluft (0,6 ± 0,4) °C Temperaturdifferenz zwischen Raum- und Außenluft (20,7 ± 0,57) K (20,4 ± 0,57) K Tabelle 1: Zusammenstellung der Mittelwerte der Luft- und Oberflächentemperaturen Innen und Außen am Ende der Messung. Die Fehler sind als 95 %-Vertrauensintervall angegeben. Durch die Regelung der elektrischen Heizung kommt es in beiden Prüf häusern zu einer Schwankung der Raumlufttemperatur von 2 K. Hierdurch kommt es zu einem Anwachsen des raumseitigen Wärmeübergangswiderstands. Differenz zwischen Raum- und Außenlufttemperatur Für die Berechnung des Wärmedurchgangskoeffizienten wird die Temperaturdifferenz zwischen der Raumluft- und der Außenlufttemperatur benötigt. Die Mittelwerte der Temperaturdifferenz zwischen der Raum- und der Außenluft am Ende der Messung sind für beide Prüf häuser in Tabelle 1 aufgeführt. Wärmestromdichten Die Wärmestromdichten werden bei beiden Wänden auf der Raum- und auf der Außenseite gemessen. Die Mittelwerte der Wärmestromdichten über die Messperiode sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Massivholzwand Mauerwerkswand Wärmestromdichte innen Wärmestromdichte außen Tabelle 2: Mittelwerte der Messwerte der Wärmestromdichten innen und außen am Ende der Messung. Die Fehler sind als 95 %-Vertrauensintervall angegeben. 4.2 Wärmedurchgangskoeffizienten Bildet man aus den gemessenen Werten der Wärmestromdichte und der Temperaturdifferenz zwischen der Raum- und der Außenluft für jeden Messzeitpunkt den Wärmedurchgangskoeffizienten, so erhält man stark streuende Werte. In der folgenden Abbildung 4 sind diese Momentanwerte mit dem Zeitverlauf des Wärmedurchgangskoeffizienten nach ISO-9869-1 zusammen dargestellt. Abbildung 4: Momentanwerte (rote Punkte) und zeitlicher Verlauf des Messwerts des Wärmedurchgangskoeffizienten nach ISO 9869-1 (schwarze Linie) für die Massivholzwand 280 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ In der Abbildung 4 ist zu erkennen, dass die Mittelwertbildung nach ISO 9869-1 zu einer starken Reduktion der Streuung führt. Auf den Mittelwert nach ISO 9869-1 sind nun die Auswahlkriterien nach ISO 9869-1, welche in Kapitel-2.2 beschrieben wurden, anzuwenden. Durch diese Kriterien kann die minimal notwendige Messzeit ermittelt werden, welche erforderlich ist, um einen stabilen Messwert zu erreichen. In der nachfolgenden Tabelle 3 sind die Messwerte der Wärmedurchgangkoeffizienten nach ISO 9869-1 zusammengestellt. Zunächst der Messwert am Ende der Messung. Außerdem die Messwerte unter Einhaltung des 1. Kriteriums, des 1. und 2. Kriteriums, sowie aller drei Kriterien. Die Zeit in der Klammer gibt die Zeitdauer vom Start der Messung an, bei der die jeweiligen Kriterien das erste Mal eingehalten werden. Die Messung des Wärmedurchgangskoeffizienten der Massivholzwand benötigt mehr als 7 Tage, bis alle drei Kriterien der ISO 9869-1 eingehalten sind. Allerdings unterscheidet sich der Messwert zu diesem Zeitpunkt noch signifikant vom Messwert am Ende der Messung nach 26 Tagen. Die Messung des Wärmedurchgangskoeffizienten der Mauerwerkswand hält bereits nach knapp 6 Tagen alle drei Kriterien der ISO 9869-1 ein. Bei diesem Messwert kann kein signifikanter Unterschied zum Messwert am Ende der Messung, also nach 26 Tagen festgestellt werden. In den Wärmedurchgangskoeffizienten fließen auch die Wärmeübergangswiderstände ein. Es konnte während der Messung festgestellt werden, dass diese sich signifikant von den standardisierten Werten der EN ISO 6946 mit 0,13-m 2 K/ W innen und 0,04 m 2 K/ W bzw. 0,13 m 2 K/ W außen unterscheiden. Durch diesen Umstand wird der Vergleich der gemessenen Wärmedurchgangskoeffizienten mit nach EN ISO 6946 berechneten Wärmedurchgangskoeffizienten schwierig. Um diese Unsicherheiten auszuschließen, bietet sich die Messung des Wärmedurchlasswiderstands des Bauteils an. Hierzu werden aber noch zwei zusätzliche Temperatursensoren benötigt, um die Temperaturen der inneren und der äußeren Oberfläche zu messen. Massivholzwand Mauerwerkswand Wärmedurchgangskoeffizient nach ISO 9869-1 Wärmedurchgangskoeffizient nach ISO 9869-1 & C1 Messzeit ≥ 3 d Wärmedurchgangskoeffizient nach ISO 9869-1 & C1 Messzeit ≥ 3 d & C2 U(t)-U(t-24 h) £ 5 % Wärmedurchgangskoeffizient nach ISO 9869-1 & C1 Messzeit ≥ 3 d & C2 U(t)-U(t-24 h) £ 5 % & C3 Tabelle 3: Mittelwerte der Wärmedurchgangskoeffizienten nach Einhaltung der Auswahlkriterien gemäß ISO 9869-1. Die Zahlen in der Klammer geben die Messdauer bis zum Ende der Messung bzw. bis zu dem Zeitpunkt, ab dem das jeweilige Kriterium zum ersten Mal eingehalten wird, an. Die Fehler sind als 95 %-Vertrauensintervall angegeben. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 281 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ 4.3 Wärmedurchlasswiderstände Bildet man aus den gemessenen Werten der Wärmestromdichte und der Temperaturdifferenz zwischen der raum- und der außenseitigen Oberfläche für jeden Messzeitpunkt den Wärmedurchlasswiderstand, so erhält man wieder stark streuende Werte. In der folgenden Abbildung sind diese Momentanwerte mit dem Zeitverlauf des Wärmedurchlasswiderstands nach ISO 9869-1 nach Formel 14 zusammen dargestellt. In der Abbildung 5 ist zu erkennen, dass die Mittelwertbildung nach ISO 9869-1 zu einer starken Reduktion der Streuung führt. Auf den Mittelwert nach ISO 9869- 1 werden nun ebenfalls die Auswahlkriterien nach ISO 9869-1, welche in Kapitel 2.2 beschrieben wurden, angewandt. Durch diese Kriterien kann die minimal notwendige Messzeit ermittelt werden, welche erforderlich ist, einen stabilen Messwert des Wärmedurchlasswiderstands zu erreichen. In der nachfolgenden Tabelle 4 sind die Messwerte der Wärmedurchlasswiderstände nach ISO 9869-1 zusammengestellt. Zunächst der Messwert am Ende der Messung. Außerdem die Messwerte unter Einhaltung des 1. Kriteriums, des 1. und 2. Kriteriums, sowie aller drei Kriterien. Die Zeit in der Klammer gibt die Zeitdauer vom Start der Messung an, bei der die jeweiligen Kriterien das erste Mal eingehalten werden. Die Messung der Massivholzwand benötigt mehr als 6 Tage, bis alle drei Kriterien der ISO 9869-1 eingehalten sind. Der Messwert unterscheidet sich zu diesem Zeitpunkt signifikant vom Messwert am Ende der Messung nach 26 Tagen. Die Messung der Mauerwerkswand hält auch nach 6 d alle drei Kriterien der der ISO 9869-1 ein. Bei dieser Messung kann kein signifikanter Unterschied zum Messwert am Ende der Messung, also nach 26 Tagen festgestellt werden. Abbildung 5: Momentanwerte (blaue Punkte) und zeitlicher Verlauf des Mittelwerts des Wärmedurchlasswiderstands des Bauteils nach ISO 9869-1 (rote Linie) für die Massivholzwand 282 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ Massivholzwand Mauerwerkswand Wärmedurchlasswiderstand nach ISO 9869-1 Wärmedurchlasswiderstand nach ISO 9869-1 & C1 Messzeit ≥ 3 d Wärmedurchlasswiderstand nach ISO 9869-1 & C1 Messzeit ≥ 3 d & C2 U(t)-U(t-24 h) £ 5 % Wärmedurchlasswiderstand nach ISO 9869-1 & C1 Messzeit ≥ 3 d & C2 U(t)-U(t-24 h) £ 5 % & C3 Tabelle 4: Mittelwerte der Wärmedurchlasswiderstände nach Einhaltung der Auswahlkriterien der ISO 9869-1. Die Zahlen in der Klammer geben die Messdauer bis zum Ende der Messung bzw. bis zu dem Zeitpunkt, ab dem das jeweilige Kriterium zum ersten Mal eingehalten wird, an. Die Fehler sind als 95-%-Vertrauensintervall angegeben. 5. Diskussion der Messergebnisse und Ausblick Aus dem Messergebnis des Wärmedurchlasswiderstands der Massivholzwand mit kann eine effektive Wärmeleitfähigkeit der Massivholzwand von abgeleitet werden. Im Labor der Berner Fachhochschule in Biel konnte für eine 18 cm dicke Massivholzwand eine Wärmeleitfähigkeit von bestimmt werden. Diese beiden Messwerte stimmen innerhalb der Fehlergrenzen überein. Allerdings muss hier noch die Ursache des Unterschieds zwischen dem Messwert nach 6 Tagen und dem Messwert am Ende der Messung, also nach 26 Tagen, geklärt werden. Aus diesem Messwert des Wärmedurchlasswiderstands folgt nämlich eine geringfügig schlechtere effektive Wärmeleitfähigkeit von . Die minimale Messzeit wird so definiert, dass alle drei Auswahlkriterien nach ISO 9869-1 eingehalten werden. Damit ergibt sich für die Massivholzwand und für die Mauerwerkswand für die Messung des Wärmedurchlasswiderstands eine minimale Messzeit von 6 Tagen. Aus dem Messergebnis des Wärmedurchgangskoeffizient der Massivholzwand mit kann eine effektive Wärmeleitfähigkeit von der Massivholzwand abgeleitet werden. Dieser Messwert für die Wärmeleitfähigkeit unterscheidet sich signifikant vom Messwert im Labor. Auch mit dem Messwert des Wärmedurchgangskoeffizienten am Ende der Messung ergibt sich eine effektive Wärmeleitfähigkeit der Massivholzwand von Diese in situ bestimmte Wärmeleitfähigkeit unterscheidet sich immer noch signifikant vom Laborwert. Diese Messergebnisse demonstrieren den Nachteil der Messung des Wärmeschutzes eines Bauteils mit dem Wärmedurchgangskoeffizienten in situ, da in diesen die beiden in situ Wärmeübergangswiderstände eingehen. Diese Wärmeübergangswiderstände unterscheiden sich in situ aber deutlich von den Standardwerten der Norm EN- ISO- 6946, welche bei der Berechnung angesetzt werden. In der vorliegenden Messung konnten diese Wärmeübergangswiderstände in situ gemessen werden. Sie ergeben sich am Ende der Messperiode zu innen bzw. außen. Die Messung des Wärmedurchgangskoeffizienten in situ wird also von den Wärmeübergangswiderständen verfälscht, nicht aber der Messwert des Wärmedurchlasswiderstands in situ. Daher sollte der Wärmeschutz in situ mittels des Wärmedurchlasswiderstands bestimmt werden. Die minimale Messzeit wird wieder so definiert, dass alle drei Auswahlkriterien nach ISO 9869-1 für den Wärmedurchgangskoeffizienten eingehalten werden. Damit ergibt sich für die Messung des Wärmedurchgangskoeffizienten eine minimale Messzeit von mehr als 7 Tagen für die Massivholzwand und von knapp 6-Tagen für die Mauerwerkswand. Die Messung des Wärmeschutzes der Mauerwerkswand ergibt mit beiden Methoden wesentlich bessere Werte als die Rechenwerte. Die Ursache hierfür konnte noch nicht ermittelt werden. Es sind also weitere Untersuchungen, insbesondere Materialuntersuchungen, beim Massivbau erforderlich. 6. Praktische Hinweise für die Messung Um systematische Messfehler zu vermeiden, muss der Temperatursensor für die Außenluft in einem strahlungsgeschützten Wetterschutzgehäuse untergebracht werden. Zur Vermeidung von Wärmebrückeneffekten darf nicht im Bereich von Laibungen, Ecken etc. gemessen werden. D. h., die Sensoren müssen in einem Abstand von mindestens 1 m von diesen Wärmebrücken befestigt werden. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 283 Neue Ergebnisse zu U-Wert Messungen in situ 7. Danksagung Wir bedanken uns bei den Firmen Nägeli AG und TWOODs GmbH für die Herstellung der Prüf häuser und für die unermüdliche Unterstützung unserer Messungen. Literatur [1] TWOODs GmbH, Zwislenstraße 27, 9056 Gais, Schweiz [2] EN ISO 6946 Bauteile - Wärmedurchlasswiderstand und Wärmedurchgangskoeffizient- Berechnungsverfahren, Ausgabe März 2018 [3] ISO 9869-1: Thermal insulation - Building elements - In-situ measurements of thermal resistance and thermal transmittance - Part-1: Heat flow meter method, Edition 2014-08-01 [4] Technisches Datenblatt ZZWancor 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 285 30 Jahre Multiringelektrode Messtechnische Überlegungen beim Einsatz in Bauwerk und Laborversuchen Rebecca Achenbach, M. Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Die tiefengestaffelte Überwachung des Elektrolytwiderstandes in der Betondeckung ist in vielen Anwendungsbereichen hilfreich, um Rückschlüsse auf die Feuchteveränderung oder andere Materialparameter zu erhalten. Die Multiring- Elektroden (MRE) werden dabei im Neubau oder nachträglich eingebaut oder kommen in Laborversuchen im kleineren Maßstab zur Anwendung. Es wird zum einen beleuchtet, welche messtechnischen Überlegungen bezüglich der Messparameter relevant sind und welche Einflüsse sich daraus auf die Messergebnisse ergeben. Zum anderen wird vorgestellt, welche Rahmenbedingungen beim Einbau der Sensoren oder bei der Konzeption von Prüfkörpern z. B. in Bezug auf die Größe der Prüfkörper oder die Kabellängen bedacht werden sollten. Die kombinierte Betrachtung von Literaturangaben und eigenen Untersuchungen erlauben dabei, den Einfluss der verschiedenen Parameter auf die Messwerte und spezifischen Widerstände zu quantifizieren. 1. Einführung Multiring-Elektroden (MRE) werden in die Betondeckung integriert, um eine tiefenabhängige Information über den elektrischen Betonwiderstand zu erhalten. Die zylindrischen Sensoren bestehen aus Ringen aus nichtrostendem Stahl (2,5 mm Dicke), die durch Kunststoffringe elektrisch voneinander isoliert sind (vgl. Abb. 1). Zusätzlich kann ein Platinwiderstand (Pt1000) enthalten sein, um Temperaturmessungen durchzuführen. Die Ringpaare werden nacheinander gemessen, dabei kann die erste Messung am unteren oder oberen Ringpaar erfolgen, je nach Bauform der MRE. Abb. 1: Schematische Darstellung der MRE, in Anlehnung an [1] Das zugrundeliegende Messprinzip ist eine Wechselstromimpedanzmessung zwischen zwei benachbarten Ringpaaren, also im Zwei-Elektroden-Auf bau. Daraus ergeben sich verschiedene Messparameter, die vom verwendeten Messsystem abhängen: Variiert werden können die Messfrequenz und die Spannungsamplitude. Die elektrische Leitfähigkeit des Betons beruht hauptsächlich auf der Ionenleitung der in der Betonporenlösung gelösten Ionen [2]. Das elektrische Feld breitet sich vom Sensor in den Beton aus. Daher ist ein Einfluss der Prüfkörpergeometrie auf das Messergebnis ebenfalls vorhanden. Außerdem ist die Leitfähigkeit der Betonporenlösung temperaturabhängig: Da die Ionen bei höherer Temperatur beweglicher sind, fällt der Widerstand bei steigender Temperatur. Die Umrechnung der Widerstandsmesswerte auf eine Referenztemperatur kann nach der Arrhenius-Gleichung erfolgen: Dabei sind R 0 und R T die Widerstände [Ω] bei den Temperaturen T 0 und T [K]. Für die Konstante b A werden in der Literatur Werte zwischen 3000 und 5000 angegeben. [3] Die mittels MRE gemessenen Widerstände können anhand einer sensorabhängigen Geometriekonstante (k) in spezifische Widerstände umgerechnet werden, um den Geometrieeinfluss der Feldausbreitung um den Sensor zu berücksichtigen und die Messwerte mit anderen Verfahren vergleichbarer zu machen [4]: 286 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 30 Jahre Multiringelektrode Dabei ist ρ der spezifische Widerstand in Ωm, R der gemessene, ggf. temperaturbereinigte Widerstand in Ω und k die Geometriekonstante in m. Die Geometriekonstante für MRE wird mit k = 0,1-m angegeben [5] und wurde experimentell und durch numerische Simulation bestimmt. Dabei ist zu unterscheiden, ob die MRE direkt eingebaut wurde, oder im nachträglichen Einbau mittels Ankopplungsmörtel an den Altbeton angekoppelt wurde. Beim direkten Einbau wurde k in Simulationen zu 0,07-m bestimmt, was in der Größenordnung der oben angegeben 0,1-m liegt. Beim nachträglichen Einbau ist das Verhältnis des spezifischen Widerstandes des Ankopplungsmörtels (Stärke ca. 2-mm umlaufend um die MRE) und des Altbetons entscheidend. Mit steigendem Verhältnis von ρ Mörtel / ρ Altbeton steigt die Geometriekonstante k [6]: Tab. 2: k in Abhängigkeit vom Verhältnis der Elektrolytwiderstände [6]: ρ Mörtel / ρ Altbeton k 0,1 0,46 1,0 0,07 10 0,01 10000 0 2. Mögliche Einflüsse auf den gemessenen Widerstand Die zuvor genannten Einflüsse auf die mit der MRE erfassten Messwerte werden im Folgenden hinsichtlich ihrer quantitativen Auswirkung diskutiert. Dazu wurden Versuche in Lösung durchgeführt. Es wurden verschieden große Behälter mit quadratischer Grundfläche aus Acrylglas gefertigt und je eine MRE, wie in Abb. 2 dargestellt, mittig auf dem Boden installiert. Es wurden drei verschiedene Kantenlängen des Behälters untersucht: 150-mm, 300-mm und 400-mm. Die Behälter wurden mit KCl-Lösung (0,1 Mol/ l) in jeweils drei verschiedenen Füllständen gefüllt. Messungen wurden bei zwei verschiedenen Spannungsamplituden (1-V und-2-V) und bei verschiedenen Frequenzen zwischen 1-Hz und 100-kHz durchgeführt. Abb. 2: Schematische Darstellung des Versuchsauf baus 2.1 Messfrequenz Bei der Impedanzmessung mit zwei Elektroden werden neben dem realen Ohm’schen Betonwiderstand auch imaginäre Widerstandsanteile aus Doppelschicht-kapazitäten, Polarisationswiderständen und ggf. Kabelinduktivitäten gemessen. Der Einfluss der imaginären Widerstandsanteile ist frequenzabhängig und kann durch die Phasenverschiebung quantifiziert werden. Daher beeinflusst die gewählte Messfrequenz den gemessenen Widerstand. [1] Abb. 3 zeigt die EIS-Messung an Ringpaar 3-4 in dem 400-mm großen Behälter (FS = 10-cm) bei einer Spannungsamplitude von 1-V und 2-V. Abb. 3: Einfluss der Messfrequenz auf Widerstand und Phasenwinkel Die Abbildung zeigt, dass der Phasenwinkel mit steigender Frequenz geringer wird. Bei einem Phasenwinkel von 0 ° würde man rein Ohm’sche Widerstände messen. Im Bereich zwischen 100 und 1000 Hz liegt der Phasenwinkel für 2 V zwischen - 11,8 ° und - 5,1 °. Beim gemes- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 287 30 Jahre Multiringelektrode senen Widerstand führt das zu einem Unterschied von 15 Ω bzw. Das heißt, man überschätzt den gemessenen Widerstand hier durch die Wahl der kleineren Messfrequenz um 12 %. 2.2 Spannungsamplitude In Abb. 3 ist außerdem die gleiche Messung mit einer Spannungsamplitude von 1-V dargestellt. Die Phasenverschiebung ist bei kleinerer Spannungsamplitude größer, sodass höhere Impedanzen gemessen werden, weil der Einfluss von Polarisationseffekten größer ist. Die Ergebnisse der Messungen bei beiden Spannungsamplituden bei einer Frequenz von 1000-Hz sind in Abb. 4 dargestellt, als Mittelwert über alle Ringpaare in den 400-mm und 300-mm großen Prüfkörpern, jeweils bei den Füllständen 1-cm und 10-cm. Abb. 4: Einfluss der Spannungsamplitude auf die Messergebnisse Die bei 1 V ermittelten Messwerte liegen im Mittel etwa 5 Ω über den bei 2 V ermittelten Werten. Damit ist der Einfluss zwar bei allen Messungen vorhanden, aber mit 3,8 % eher gering. Bei kleinerer Messfrequenz nimmt die Abweichung zu (vgl. Abb. 3). 2.3 Prüfkörperabmessungen Die Messergebnisse bei einer Frequenz von 1-kHz und einer Spannungsamplitude von 1-V sind in Abb. 5 dargestellt. Die Prüfkörpergröße mit einer Kantenlänge von 150-mm (blaue Kurven) zeigt bei allen drei Füllständen Abweichungen im Randbereich von maximal 75 Ω von den Messwerten in größeren Prüfkörpern. Zwischen den Prüfkörpergrößen 300-mm und 400-mm ist der Unterschied kaum vorhanden. Die Füllhöhe bzw. Prüfkörperhöhe hat einen vernachlässigbar geringen Einfluss auf die Messwerte. Abb. 5: Gemessene Widerstandswerte bei verschiedenen Gefäßgrößen und Füllständen 288 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 30 Jahre Multiringelektrode Die KCl-Lösung hatte eine Leitfähigkeit von 1315 µS*cm -1 , die vor jeder Messung mit der MRE bestimmt wurde um eine Leitfähigkeitsänderung der Referenzlösung auszuschließen. Das entspricht einem spezifischen Widerstand von 7,6 Ωm. Auf Grundlage der Messwerte in dem 400 mm Prüfkörper und 10 cm Füllstand ergibt sich daraus eine Geometriekonstante von k = 0,06 m, was den oben genannten Werten etwa entspricht. Der spezifische Widerstand der Referenzlösung ist im Vergleich zu Beton eher gering, aber auch im Beton sollte bei Prüfkörpern mit weniger als 300 mm Kantenlänge ein Einfluss der Prüfkörperabmessungen in Betracht gezogen werden. 2.4 Kabelinduktivitäten Der Einfluss von Kabelinduktivitäten lässt sich rechnerisch ermitteln. Dazu wird der Leitungs-durchmesser und die Stärke der Isolierung, sowie die Kabellänge benötigt. Mithilfe der Messfrequenz kann die Kabelinduktivität in einen induktiven Blindwiderstand umgerechnet werden. Unter der Annahme eines Leitungsdurchmessers von 0,53 mm und einer Messfrequenz von 1-kHz ergeben sich die folgenden induktiven Blindwiderstände in Abhängigkeit der Kabellänge: Tab. 1: Einfluss der Kabellänge: Kabellänge Induktiver Blindwiderstand 1 m 0,019 Ω 10 m 0,191 Ω 100 m 1,915 Ω Es zeigt sich, dass selbst bei großen Kabellängen der Einfluss der Kabelinduktivität auf den Widerstands-messwert bei 1-kHz vernachlässigbar klein ist. Bei kleinerer Messfrequenz ist der Einfluss noch geringer. 3. Zusammenfassung Die verschiedenen Einflüsse auf die Messung konnten anhand der Versuche für den untersuchten Anwendungsfall und anhand von Berechnungen dargestellt werden. Dabei zeigte sich, dass Kabelinduktivitäten bei geeigneten Messfrequenzen von z. B. 1-kHz einen vernachlässigbar geringen Einfluss haben. Einen minimal größeren Einfluss, von 3,8-% hatte die angelegte Spannungsamplitude von 1 oder 2 V. Die Verringerung der Messfrequenz von 1000-Hz auf 100-Hz führte zu einer Erhöhung des Messwertes um etwa 12- %. Die Wahl eines kleineren Prüfkörpers mit einer Kantenlänge von 150-mm führte zu einem Abweichen des Messwertes in den Randbereichen um etwa 75-Ω im Vergleich zu den größeren Prüfkörpern, was bei einem hier vorliegenden Messwert von nur etwa 110 Ω immerhin 68-% entspricht. Die Prüfkörperhöhe hatte dagegen keinen Einfluss. Literatur [1] B 12: Korrosionsmonitoring bei Stahl und Spannbetonbauwerken. techn. Merkblatt, Ausgabe April 2018. [2] Catharin, P.; Federspiel, H.: Der elektrische Widerstand des Betons. In: Elektrotechnik und Maschinenbau 89, 1972, 89, 399-407. [3] Raupach, M.: Zur chloridinduzierten Makroelementkorrosion von Stahl in Beton. Zugl.: Aachen, Techn. Hochsch., Diss, Deutscher Ausschuß für Stahlbeton Heft 433, Beuth, Berlin, 1992. [4] Mayer, T.F.; Gehlen, C.; Dauberschmidt, C.: Corrosion monitoring in concrete. In: : Techniques for Corrosion Monitoring. Elsevier, 2021, S. 379-405. [5] Sodeikat, C.: Feuchtesensoren in der Bauwerksüberwachung. In: Beton- und Stahlbetonbau 105 (2010), Heft 12, S. 770-777. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.201000058. [6] Raupach, M.; Dauberschmidt, C.; Warkus, J.: Indirekte Bestimmung der Feuchteverteilung in zementösen Baustoffen durch Elektrolytwiderstandsmessungen. In: Soil Moisture Group der Universität Karlsruhe und des Forschungszentrums Karlsruhe (Hrsg.): Kolloquium mit Workshop Innovative Feuchtemessung in Forschung und Praxis, Karlsruhe, 2003. Verstärkung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 291 Nachhaltiger Oberflächenschutz und dauerhafte Abdichtung mittels UHFB - Anwendungen im Wasserbau und bei der Instandsetzung von Parkdecks Dipl. Bauing. (ETH/ SIA) Philipp Truffer Truffer Ingenieurberatung AG, Lalden, Schweiz Zusammenfassung Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) ist ein moderner Baustoff mit vielfältigen Anwendungen. Im Bereich der Bauwerkserhaltung kann UHFB als Oberflächenschutz und/ oder Abdichtung eingesetzt werden. Mittels UHFB sind statische Verstärkungsmaßnahmen und eine Erhöhung der Steifigkeiten möglich. Der Vortrag zeigt neuste Erkenntnisse bei der Anwendung von UHFB im Wasserbau als Maßnahme zum Schutz bei Abrasionseinwirkungen. Weiter werden Praxisanwendungen von UHFB als direkt befahrbarer Nutzbelag bei der Instandsetzung von Parkdecks vorgestellt. Das in Überarbeitung befindende schweizerische Merkblatt SIA 2052 bietet die Möglichkeit den Gehalt und die Orientierung von Mikrostahlfasern zerstörungsfrei am Bauobjekt nachzuweisen. Die Ergebnisse liefern Informationen zur Qualität des UHFB-Einbaus (Faserorientierung) und der mechanischen Eigenschaften (z. B. Zugfestigkeit) des verbauten UHFB. Es werden Resultate und Erfahrungen bei der Anwendung der Magnetoskopie-Prüfung an UHFB-Bauteilen vorgestellt. 1. Einführung Beim Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) handelt es sich um einen modernen Werkstoff. UHFB wurde in den letzten Jahren international in verschiedenen Bereichen des Bauwesens bei Instandsetzungen oder Ersatzneubauten erfolgreich eingesetzt (siehe hierzu u. a. [1] bis [7]). Im vorliegenden Beitrag sollen anhand von konkreten Beispielen eigene Erfahrungen des Verfassers bei der Anwendung und Qualitätskontrolle von UHFB vorgestellt werden. Die konkreten Beispiele aus der Praxis sollen die spezifischen Eigenschaften und die Fülle von möglichen Anwendungsmöglichkeiten von UHFB darlegen. 2. Was ist Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) ist ein Hochleistungswerkstoff mit sehr hohen Festigkeiten, einem extrem dichten Gefüge und ausgezeichneten Dauerhaftigkeitseigenschaften (siehe nachfolgende exemplarische Auslistung): charakteristische Materialkennwerte von UHFB: • Druckfestigkeiten mind. 120 N/ mm 2 in der Praxis werden durchaus Festigkeit bis gegen 200 N/ mm 2 erreicht • elastische Grenzzugfestigkeiten 7-12 N/ mm 2 • Elastizitätsmodul 40-60 kN/ mm 2 Diese Eigenschaften werden durch sehr hohe Zement-, Zusatzstoff- und Fliessmittelgehalte und gleichzeitig extrem niedrige Wasser-Bindemittelgehalte (ca. 0.20) erreicht. Die Bindemittelgehalte betragen z.T. bis gegen 1‘100 kg/ m 3 . UHFB-Anwendungen stellen insgesamt hohe Anforderungen an den Mischungsentwurf/ Konzeption, die Herstellung und die Verarbeitung des Baustoffs. Der UHFB wird im Normalfall direkt auf Platz in speziellen Hochleistungsmischern hergestellt. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen die wichtigsten Arbeitsschritte: • In einen ersten Schritt wird der sogenannte Premix in den Mischer gegeben (siehe Abb. 2-1 und 2-2). Es handelt sich dabei um eine vorkonfektionierte Trockenmischung bestehend aus Zement, feiner Gesteinskörnung (Größtkörn im Normalfall kleiner 1 mm), Quarz- oder Kalksteinmehl sowie Zusatzstoffen wie z. B. Silikastaub. • Anschliessend erfolgt die Zugabe des Wassers und der Zusatzmittel (Hochleistungsverflüssiger). • Erst am Schluss werden die Mikrostahlfasern (Fasergehalt z.T. über 3 Vol-%) hinzugegeben (siehe Abb. 2-3). Die Zudosierung erfolgt dabei von Hand oder über Zudosiermaschinen. Bei der Zudosierung von Hand ist auf eine gleichmässige Faserverteilung zu achten (Vermeidung von sogenannter Igelbildung). In einigen Fällen sind die Mikrostahlfasern bereits dem Premix dazu gemischt. • Die gesamte Mischdauer beträgt dabei insgesamt zwischen 15 und 20 Minuten. 3. Anwendung von UHFB als Abrasionsmaßnahmen im Wasserbau Aufgrund seiner hohen Festigkeitswerte eignet sich UHFB auch beim Einsatz bei abrasionsgefährdeten Bauwerken, z. B. bei Hydroabrasionsbeanspruchungen von Verkehrswasserbauwerken. Um die entsprechende Wirkung von UHFB bei Abrasionsbeanspruchungen zu untersuchen wurden an der IMB MPA in Karlsruhe verschiedene Hydroabrasionsverschleißversuche an Betonproben durchgeführt. Zur Ermittlung der Verschleisswiderstandsfähigkeit der Betonprüfkörper wurde eine Prüfvorrichtung verwendet, 292 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Nachhaltiger Oberflächenschutz und dauerhafte Abdichtung mittels UHFB - Anwendungen im Wasserbau und bei der Instandsetzung von Parkdecks welche die den im Wasserbau vorzufindenden Hydroabrasionsverschleiß von Betonoberflächen wirklichkeitsnah abbildet. Die entsprechende Vorrichtung besteht aus einem horizontalen Stahlzylinder. Im Inneren des Zylinders befindet sich eine Welle, an der sich 18 Haltevorrichtungen für Prüfkörper sowie 24 Stahlpaddel zur Durchmischung des Verschleissstoff-Wassergemisches befinden (siehe Abb. 1). Abb. 1: Verschleissprüfvorrichtung mit eingebauten Probekörpern und eingefülltem Verschleissstoff-Wassergemisch (Bild Karlsruher Institut für Technologie KIT) Anhand eines Elektromotors mit Frequenzumrichter wird über eine Kette die Welle angetrieben. Die Drehzahl der Welle kann mittels Steuereinheit bis etwa 70 Umdrehungen pro Minute stufenlos eingestellt werden. In der Trommel befindet sich ein Wasser-/ Feststoff-Gemisch mit einem Massenverhältnis von Feststoff zu Wasser von 1: 1. Das Feststoff-Gemisch besteht aus Quarzsand bzw. -kies der Fraktionen 2 bis 4 mm, 4 bis 8 mm, 8 bis 16 mm. Die Standard-Prüfdauer für die durchzuführenden Verschleissversuche beträgt 22 Stunden. Die Umdrehungsgeschwindigkeit beträgt bis zu 50 Umdrehungen pro Minute. Dies entspricht einer Beanspruchungsenergie von ca. 3‘600 J/ m 3 . Im Rahmen der durchgeführten Verschleissprüfungen wurde der Materialabtrag an de Probekörpern als Massenverlust in Gramm durch Differenzbildung zwischen Anfangsmasse des Probekörpers von Prüf beginn sowie der Masse des Körpers nach der 22-stündigen Verschleissbeanspruchung ermittelt. Die Ermittlung der Masse erfolgte dabei mit einer Genauigkeit von 1 g. In der nachfolgenden Darstellung sind die Ergebnisse der Verschleissprüfung an entnommenen Probekörpern (Bohrkerne) aus einem Druckwasserstollen zusammengefasst. Abb. 2: Prüfkörper (Betonzylinder) vor und nach einer 22-stündigen Verschleissbeanspruchung Nachfolgend sind zum Vergleich die entsprechenden Ergebnisse bei den UHFB-Prüfkörpern mit Stahlfasern dargestellt. Abb. 3: UHFB-Prüfkörper (Würfel) vor und nach einer 22-stündigen Verschleissbeanspruchung In der Abbildung 4 ist die zusammenfassende Darstellung der verschiedenen untersuchten Prüfkörper dargestellt. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 293 Nachhaltiger Oberflächenschutz und dauerhafte Abdichtung mittels UHFB - Anwendungen im Wasserbau und bei der Instandsetzung von Parkdecks Abb. 4: Darstellung der Mittelwerte des Materialabtrags und der Standardabweichungen der verschiedenen Prüfserien 4. Prüfverfahren Magnetoskopie Die Magnetoskopie ist ein zerstörungsfreies Messverfahren, mit welchem der Gehalt und die Orientierung von Mikrostahlfasern am Bauwerk detektiert werden kann. Das Verfahren ist im Entwurf des Merkblatts SIA 2052 [8] im Anhang F erläutert. Das Messverfahren nutzt dabei die elektromagnetische Leitfähigkeit der eingebauten Stahlfasern. Die Messtiefe kann gegenwärtig bei rund 30 bis 40 mm angegeben werden. Die Ergebnisse der Magnetoskopie werden im Wesentlichen durch die elektromagnetische Leitfähigkeit der Mikrostahlfasern bestimmt. Im vorliegenden Fall wurden gemäß Aussagen des Produzenten des UHFB folgende Mikrostahlfaser eingesetzt: • Steel fiber - Länge (L) 13 mm +/ -10 % - Durchmesser (D) 0.20 mm +/ -0.03 mm - Faserschlankheit (L/ D) 65 - Querschnittsfläche 0.0314 mm2 • nominelle Faserdosierung 280 kg/ m 3 bzw. 3.57 Vol.-% Abb. 5: Anwendung der Magnetoskopie auf einem UHFB-Trägerelement Abb. 6: elektromagnetische Sonde auf dem Prüfkörper Die elektromagnetische Sonde ist eine Induktionsspule mit welcher im Raster auf der Oberfläche der zu untersuchenden Fläche punktförmig abgemessen wird (siehe Abb. 5). Dabei wird die Induktivität in Henry als Verhältnis der elektrischen Spannung zur Änderungsrate des Stroms mit einem hochpräzisen LCR-Messgerät gemessen. Es besteht eine lineare Beziehung zwischen dem Fasergehalt im UHFB und dem Mittelwert der elektromagnetischen Leitfähigkeit. Die Resultate zeigen bereits die ausgewerteten Fasergehalte in Vol.-%. Die Beurteilung der Faserorientierung beruht auf dem Differenzwert des Fasergehalts in x- und y-Richtung ( r x r y ): Beurteilung: • Differenzwert r x r y nahe Null homogene isotrope Faserausrichtung • Differenzwert r x r y = 10 ca. 2/ 3 der Fasern sind in x-Richtung ausgerichtet • Differenzwert r x r y = 20 unidirektionale Faserausrichtung in x-Richtung • Differenzwert r x r y = -10 ca. 2/ 3 der Fasern sind in y-Richtung ausgerichtet • Differenzwert r x r y = -20 unidirektionale Faserausrichtung in y-Richtung Mittels der Magnetoskopie wird vor allem die oberflächennahe flächige Verteilung sowie der Fasergehalt im Oberflächenbereich bestimmt. Die bisher vorliegenden Erkenntnisse zeigen eine mögliche Detektionstiefe des Messverfahrens bis etwa 30-40 mm. Diese Einschränkung gilt es bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen. 294 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Nachhaltiger Oberflächenschutz und dauerhafte Abdichtung mittels UHFB - Anwendungen im Wasserbau und bei der Instandsetzung von Parkdecks Abb. 7: Messfeld (rot markiert) auf der Seitenfläche es UHFB-Prüfkörpers. Die grünen Linien markieren die visuell erkennbaren Betonierlagengrenzen. Messparameter: • Mess-Frequenz: 250 Hz • Spannung: 2.0 V • Messfeld: 40 x 70 cm • Messraster: 50 x 50 mm Abb. 8: Fasergehalt und Faserverteilung auf dem Messfeld gemäss Abb. 7 Abb. 9: Fasergehalt und Faserverteilung auf dem Messfeld gemäss Abb. 7 Abb. 10: Faserorientierung auf dem Messfeld gemäss Abb. 7 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 295 Nachhaltiger Oberflächenschutz und dauerhafte Abdichtung mittels UHFB - Anwendungen im Wasserbau und bei der Instandsetzung von Parkdecks Abb. 11: Faserorientierung auf dem Messfeld gemäß Abb. 7 Literatur [1] Brühwiler E., Oesterle C., Redaelli D.: 3. Fachtagung Ultra-Hochleistungs-Faserbeton 2019, Freiburg/ Schweiz ISBN 978-3-906878-07-2 [2] Brühwiler E. et al: Bau einer Bahnbrücke aus bewehrtem UHFB - Weltweit erste Bahnbrücke aus UHFB auf einer Hauptlinie Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [3] Methner R., Müller R.: Brückeninstandsetzung, Ertüchtigung und Abdichtung mit Ultrahochfestem- Faserbeton (UHFB) Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [4] Cuennet St.: Nutzung des Ultra-Hochleistungs- Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven 4. Kolloquium Brückenbauten, September 2020, Technische Akademie Esslingen [5] Hadl P. et al: Anwendung von UHPC als direkt befahrener Aufbeton bei der Integralisierung eines bestehenden Brückenbauwerks in Österreich Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015) [6] Orgass M. et al: Überführungsbauwerk der L 3378 bei Fulda-Lehnerz, Erster Einsatz von UHPC in Deutschland im Strassenbrückenbau, Teil 2: Betontechnologie und Qualitätssicherung Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018) [7] Fischer O. et al: Deutschlandweit erstmalige Anwendung von UHPFRC im Eisenbahnbrückenbau, Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [8] SIA 2052 Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) - Baustoffe, Bemessung und Ausführung Vernehmlassung [9] Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekt mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Philipp Truffer, 7. Kolloquium «Erhaltung von Bauwerken», 2021, Technische Akademie Esslingen 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 297 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX Konzept und Laborversuche Dr.-Ing. Cynthia Morales Cruz Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Kevin Kriescher, M.-Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Im Zuge der Bauwerksinspektionen des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts (WSA), zuletzt im Jahr 2019, wurde eine instandsetzungsbedürftigte Arbeitsfuge im östlichen Umlaufkanal der Westkammer der Schleuse Anderten festgestellt. Im folgenden Beitrag werden die vier geplanten Einzelmaßnahmen zur Wiedergewinnung und dauerhaften Erhaltung der Gebrauchstauglichkeit der Kammerwand und des Umlaufkanals nach einem Konzept der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) [1] erläutert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Maßnahme 4, die Instandsetzung des Umlaufkanals mittels textilbewehrtem Spritzbeton in Anlehnung an das BAWMerkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“, Ausgabe 2019. Die ausgewählten Materialien und der Nachweis ihrer Verwendung werden ebenfalls erläutert. Neben den wesentlichen Abläufen des Instandsetzungskonzepts werden die wichtigsten Ergebnisse von Laborversuchen an Bohrkernen aus dem Umlaufkanal sowie an eigens hergestellten Verbundkörpern aus der Konzeptphase vorgestellt. 1. Einführung Die Schleusenanlage Anderten liegt bei Kanal-km 174,24 östlich von Hannover-Anderten und ist die größte Schleuse am Mittellandkanal [2]. Dabei handelt es sich aus technischer, konstruktiver und hydraulischer Sicht um ein herausragendes Bauwerk der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) [1]. Die Schleuse wurde 1928 mit zwei Kammern mit je einer Nutzlänge von 214-m und einer nutzbaren Breite von 11,6-m in Betrieb genommen (z.-B. [1, 2]) und entspricht damit immer noch den Anforderungen des modernen Schiffsverkehrs [2]. Die Hubhöhe der Schleuse zwischen der Westhaltung (UW+- 50,30- m ü. NN) und der Scheitelhaltung (OW +-65-m ü. NN) beträgt 14,70-m [2]. Natürliche Wasserzuflüsse sind in der Scheitelhaltung nicht vorhanden [2]. Um den Wasserverbrauch der Schleuse gering zu halten, wurde die Schleuse als Doppelsparschleuse konzipiert [2]. Die Doppelsparschleuse hat fünf übereinanderliegende Sparbeckenebenen, welche seitlich an den Kammern angeordnet sind [z.-B.-1]. Die Sparbecken sind in Längsrichtung zusätzlich in fünf je 42,3- m lange Blöcke, sogenannte Speicher, unterteilt [z.-B.-1]. Während die außenliegenden Sparbecken erdhinterfüllt sind, sind die Inneren im Bereich der Gründung monolithisch verbunden und oberhalb der ersten Sparbeckensohle durch eine entwässernde Fuge voneinander getrennt [z.-B.-1]. Die Speicher sind mit Erdreich überschüttet [z.-B.-1]. Im Gründungsbereich unterhalb der Speicher befinden sich die Überlaufkanäle für die Sparbecken sowie die Umlaufkanäle [z.-B.-1]. Der Wasseraustausch von den Sparbecken zur Kammer erfolgt über Zylinderschütze in den Zentralschächten [3]. Von dort fließt das Wasser durch den Umlaufkanal (Durchmesser 2,60-m) über kleinere Stichkanäle (Durchmesser 0,90-m) in die Kammer [3]. Mit Hilfe der 50 Sparbecken je Kammer, werden bis zu 75-% des Schleusenwassers eingespart [2]. Über das Pumpwerk wird die Bewirtschaftung der Scheitelhaltung oberhalb der Schleuse ermöglicht [2]. Bei den Bauwerksinspektionen von 2006, 2012 und 2019 des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Braunschweig zeigte sich eine Schadenszunahme an einem kammerseitigen, horizontalen Riss (Arbeitsfuge) im östliche Umlaufkanal der Westkammer sowie in der Schleusenwand. Der Längsriss befindet sich auf einer Höhe von 2-m und durchläuft mit einer Rissbreite von bis zu 2,5-mm die gesamte Länge des Umlaufkanals. Der Riss setzt sich mit geringerer Ausprägung auch auf der von der Kammerwand abgewandten Seite des Umlaufkanals, auf Seiten des Überlaufkanals, in vergleichbarer Höhe 298 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX weiter über den Querschnitt fort. Stellenweise sind Ausblühungen und Aussinterungen im Rissbereich erkennbar. Durch zusätzliche Betonabplatzungen und -ausbrüche sind an mehreren Stellen die Bewehrungseisen freigelegt. Die sichtbaren, vertikalen Bewehrungsstäbe weisen eine leichte abtragende Korrosion an der Oberfläche auf und sind stellenweise durchtrennt. [1] Nach statischen Untersuchungen der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) in [1] ist der vorhandene Bewehrungsgehalt für den Grenzzustand der Tragfähigkeit ausreichend. Ferner zeigten FEM-Berechnungen, dass große Zwangsbeanspruchungen infolge jahreszeitlicher Temperaturschwankungen für die auffälligen Risse in der Arbeitsfuge verantwortlich sind, welche über der Streckgrenze des Bewehrungsstahls liegen können. Darüber hinaus befinden sich Schäden im Bereich der gemauerten Blockfugen, die alle 42,3-m angeordnet wurden. Die ausgeprägten, vertikal verlaufenden Risse entlang der Mauerziegel deuten auf eine bewegliche Fuge hin. [1] Im Laufe der Jahre wurden verschiedene Instandsetzungsmaßnahmen am Bauwerk durchgeführt. Beispielsweise wurde im Jahr 1976 der Großteil der Kammerwände durch eine Vorsatzschale ergänzt [3]. Weitere Maßnahmen waren die Anordnung von lokal bzw. streifenförmig bewehrten Mörtelschichten und die flächige Mörtelauskleidung der gesamten Umlaufkanalinnenflächen. Um die weitere, langfristige Nutzung des Bauwerks zu gewährleisten, wird derzeit ein ca. 23-m langes Teilstück zwischen Speicher 2 und 3 des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten probeinstandgesetzt [3]. Dieser Bereich wurde aufgrund der unterschiedlichen Querschnitte in den Speichern 1 und 2 bzw. 3 bis 5 gewählt. Ziel dieser Probeinstandsetzung ist es, technische und fiskalische Planungssicherheit für die Gesamtmaßnahme zu erlangen [1]. Um die Wirksamkeit der Maßnahmen später bewerten zu können, wird ein Riss- und Korrosionsmonitoring seitens des Instituts für Baustoffforschung der RWTH Aachen Universtiy (ibac) installiert. Im Folgenden werden die geplanten Maßnahmen 1-4 sowie deren Zweckmäßigkeit zur Instandsetzung der Kammerwand und des Umlaufkanals der Westkammer zusammengefasst, wobei der Schwerpunkt auf Maßnahme 4, der Instandsetzung des Umlaufkanals mittels textilbewehrtem Spritzbeton in Anlehnung an das BAWMerkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“, Ausgabe 2019 [4], liegt. Das Institut für Baustoffforschung (ibac) wurde gemeinsam mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) mit der Ausarbeitung eines Instandsetzungskonzepts sowie der Durchführung von Laborversuchen für Maßnahme 4 beauftragt. Dieser Beitrag zeigt hierzu die wesentlichen Schritte sowie die Überlegungen zu den Anforderungen an die Materialien des Instandsetzungskonzepts auf. Darüber hinaus werden die wichtigsten Ergebnisse von Laborversuchen an Bohrkernen aus dem Umlaufkanal und an im Labor hergestellten Verbundkörpern aus der Konzeptphase vorgestellt. 2. Beschreibung der Instandsetzungsmaßnahme 2.1 Instandsetzungsziele Auf Basis der Beurteilung des Ist-Zustands sowie der Ursachenklärung im BAW-Gutachten „Begutachtung des Schadensfalls im östlichen Umlaufkanal der Westkammer der Schleuse Anderten“ [1] wurden Empfehlungen zur Instandsetzung der Kammerwand und des Umlaufkanals formuliert. Die Instandsetzungsziele lauten wie folgt: I. „Unterbinden der Wasserdurchströmung in der geschädigten Arbeitsfuge zwischen Kammer und Umlaufkanal zur Verhinderung bzw. Minimierung weiterer Korrosion der Bewehrung II. Ertüchtigung der Randzone der Kammerwand zur Wiederherstellung bzw. Erhöhung der Gebrauchstauglichkeit, zur Verbesserung des Bauteilwiderstands hinsichtlich Wasserundurchlässigkeit und Verschleiß sowie zur Sicherstellung des Korrosionsschutzes der Bewehrung III. Ertüchtigung der Randzone des Umlaufkanals insbesondere im Bereich der Längsrisse (Arbeitsfuge) zur Wiederherstellung bzw. Erhöhung der Gebrauchstauglichkeit, zur Verbesserung des Bauteilwiderstands hinsichtlich Wasserundurchlässigkeit und Verschleiß infolge hydraulischer Beanspruchung sowie zur Sicherstellung des Korrosionsschutzes der Bewehrung.“ 2.2 Instandsetzungsmaßnahmen Zur Erreichung der Instandsetzungsziele I und II wurden auf Empfehlung der BAW die folgenden in [3] beschriebenen Maßnahmen gewählt: 1. Ersatz des unteren Kammerwandabschnitts durch Installation einer bewehrten und verankerten Vorsatzschale aus Beton (Dicke ≈65- cm, Höhe =- 4,50- m). Dadurch wird nicht nur eine dichte Betonoberfläche mit begrenzten Rissbreiten erreicht, sondern auch ein neuer wirksamer Korrosionsschutz für die vorhandene Bewehrung geschaffen. Unsicherheiten hinsichtlich der vorhandenen Bewehrung (z.-B. Menge, Verlegegeometrie und Zustand) können ebenfalls kompensiert werden. 2. Einbohren zusätzlicher Bewehrungsstäbe seitlich des Umlaufkanals, um die Arbeitsfuge zu vernadeln und somit den betriebsbedingten zyklisch auftretenden Risswasserdruck sowie die temperaturbedingten, jahreszeitlichen Dehnungen zu begrenzen. 3. Injektion der Risse und Hohlräume des Umlaufkanals mit zementgebundenen Materialien, um die Passivität der Bewehrungsoberfläche im Rissbereich wiederherzustellen. Zur Erreichung des Ziels III sowie zur Unterstützung hinsichtlich Instandsetzungsziel I soll ein Instandsetzungssystem in Anlehnung an [4], in einer Schichtdicke von mindestens 30 bis maximal 40 mm aufgebracht werden. Dabei handelt es sich um ein weiteres Verfahren zu den in Abschnitt 0.5 der ZTV-W LB 219, Ausgabe 2017, aufgelisteten Instandsetzungsverfahren für die 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 299 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken, welches Rissbreitenänderungen im Untergrund berücksichtigt. Nachfolgend wird die Maßnahme beschrieben: 4. Ersatz der vorhandenen Mörtelschichtauskleidung im Umlaufkanal (s. Abschnitt 3.1) durch die flächige Applikation eines textilbewehrten Spritzbetons in Anlehnung an [4]. Dadurch wird eine Beeinträchtigung der hydraulischen Leistung der Schleuse ausgeschlossen. Die Maßnahme 4 wird nach Abschluss der Maßnahmen 3 (Rissinjektion) und 2 (Einbohren zusätzlicher Bewehrungsstäbe), ausgeführt. Das Monitoringsystem wird während Maßnahme 4, nach der Untergrundvorbereitung und vor der Applikation des Enthaftungsmaterials, durch das ibac installiert. In Abbildung-1 ist eine Skizze der Maßnahmen 1-4 gemäß [1] dargestellt. Zusätzlich sind Einzelmaßnahmen geplant, die parallel zu den Maßnahmen 1-4 durchgeführt werden: 5. Ausbesserung von Betonausbrüchen an zwei Betonierfugen der Vorsatzschale. 6. Instandsetzung der Sohle der Schleusenkammer auf einer Fläche von ca. 250-m². Abb. 1: Skizze der geplanten Maßnahmen 1-4 gemäß [1] 3. Baustoffe 3.1 Bestandskonstruktion Am ibac wurden Laboruntersuchungen an vier Bohrkernen mit einem Durchmesser von 100-mm und einer Länge von mindestens 275-mm zur Ermittlung von Baustoffkennwerten durchgeführt. Die Bohrungen erfolgten von der Umlaufkanalseite aus zwischen Speicher 2 und 3. Alle Bohrkerne wiesen auf der Stirnseite eine ca. 1,6-cm dicke Mörtelschicht auf. Gemäß bauzeitlicher Veröffentlichungen zum Schleusenbau wurde dieser als „Torkretbeton“ auf den Bauteiloberflächen aufgetragen [1]. Abb. 2: Mantelfläche des Bohrkerns (K4) mit Darstellung der Untersuchungsmethodik Die Bestimmung der Mörtelschichtdicke erfolgte an jeweils 10 Stellen je Bohrkern. Aus den Bohrkernen wurden anschließend Prüfkörper zur Ermittlung der Druckfestigkeit, des statischen sowie dynamischen E-Moduls, der tiefengestaffelten Oberflächenzugfestigkeit und der Verschleißfestigkeit vorbereitet. An der Mörtelschicht wurde lediglich die Verschleißfestigkeit, die Druckfestigkeit an Würfeln mit einer Kantenlänge von 25 mm und zum Vergleich die Fugendruckfestigkeit an Quadern mit den Abmessungen 50 x 50 x 10 (L x B x H) in mm geprüft. Abbildung 2 veranschaulicht die Lage der Prüfstellen an den Bohrkernen. Tab. 1: Zusammenfassung der Laborergebnisse an Bohrkernen aus dem Umlaufkanal Prüfung Einheit Norm Material Mörtel Beton Mörtelschichtdicke (MW ± s/ gEW) mm - 16,3 ± 6,9/ 30 n. b. Druckfestigkeit (MW ± s) N/ mm² DIN EN 12390-3: 2019 25,3 ± 11,4 20,6 ± 4,0 Fugendruckfestigkeit (MW-±-s) DIN 18555-9 57,1 ± 18,6 n. b. Stat. E-Modul (MW ± s) DIN EN 12390-13: 2014 n. b. 19000 ± 6500 Oberflächenzugfestigkeit (Gesamttiefe 30-40 mm MW ± s/ Gesamttiefe 45-120 mm MW ± s) DIN EN 1542: 1999 n. b. 0,8 ± 0,7 / 1,6 ± 0,9 Verschleißwiderstand (MW ± s) bzw. (kEW - gEW) cm³ DIN EN 13892-3: 2015 10 ± 1,6 5,2 - 11,1 MW: Mittelwert s: Standardabweichung gEW: größter Einzelwert kEW: kleinster Einzelwert 300 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX Eine Übersicht der durchgeführten Prüfungen und deren Ergebnisse sind in Tabelle 1 zu finden. Die ermittelten Druckfestigkeiten variieren zwischen 18,2 und 26,6 N/ mm². Die mittlere Oberflächenzugfestigkeit im oberflächennahen Bereich (30-40 mm ab Bohrkern Oberkante) beträgt 0,8 N/ mm² und der kleinste Einzelwert 0,3 N/ mm². Die Streuung der Ergebnisse ist unter Berücksichtigung des 90 mm Größtkorns und den Abmessungen der Bohrkerne (50 mm) als angemessen zu bewerten. In den tiefer liegenden Bereichen liegt die mittlere Oberflächenzugfestigkeit bei 1,6 N/ mm² und der kleinste Einzelwert bei 0,7 N/ mm². Die Werte deuten auf eine Variation des Betons in Abhängigkeit der Tiefenlage hin. Aufgrund der Ergebnisse der Oberflächenzugfestigkeit und der Druckfestigkeit lässt sich der Beton in die Altbetonklasse A2 nach ZTV-W LB 219 einordnen. 3.2 Materialien des Instandsetzungssystems Auf Basis des Ist-Zustands des Umlaufkanals (s. Abschnitt 3.1) und der Erkenntnisse aus [5] wurde ein Instandsetzungssystem bestehend aus einem an den Betonuntergrund (hier Altbetonklasse A2) angepassten Spritzbeton (SRC-A2) gemäß ZTV-W-LB-219, Abschnitt 5 und einer oberflächenmodifizierten textilen Carbonbewehrung gewählt (solidian ANTICRACK Q85-CCE-21). Die in den Spritzbeton eingebettete textile Carbonbewehrung ermöglicht die Realisierung von dünnen, bewehrten Schichten. Bei Rissen mit einer Rissbreitenänderung 0,2-mm-<-Dw op -≤-0,4-mm (vgl. [4], Rissüberbrückungsklasse (RÜK) 3), kommt zudem ein Enthaftungsmaterial zur Anwendung [4]. Das Enthaftungsmaterial (mineralische Dichtungsschicht) soll im Bereich der Arbeitsfuge den Verbund zwischen Untergrundbeton und textilbewehrtem Spritzbeton verhindern und so zu einer Erhöhung der freien Dehnlänge des textilbewehrten Spritzbetons führen. Infolge der maximalen jahreszeitlichen Rissbreitenänderung Dw verteilt sich so die Rissöffnung aus dem Betonuntergrund in der gespritzten Textilbetonschicht im Bereich des Enthaftungsmaterials auf mehrere Risse mit Einzelrissbreiten w i -<-0,1-mm. Diese sind aus technischer Sicht wasserundurchlässig (s. Abbildung-3). Mit dem gewählten Instandsetzungssystem soll zum einen die Restlebensdauer des Umlaufkanals um 30 bis 50 Jahre bei geringerem Instandhaltungsaufwand verlängert werden. Zum anderen werden erhebliche Mengen an Beton/ Mörtel sowie Stahl eingespart [4]. Der Nachweis der Verwendbarkeit der Einzelkomponenten (Spritzbeton, textile Carbonbewehrung und Enthaftungsmaterial) sowie der Nachweis der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung) für das Belastungsszenario 1a nach [4] für die RÜK-3 liegt bereits vor. Abb.-3: Rissverteilungsanalyse mittels DIC. Links: Einzelrissbreiten-Rissöffnungskurven bzw. Kraft-Rissöffnungskurve, rechts: Darstellung der Hauptformänderung im Messbereich bei einer Rissöffnung von ca. 0,7-mm [5] 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 301 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX 3.3 Konzept zur Ausführung Auf Grundlage von [1] läuft die Probeinstandsetzung eines Umlaufkanals zwischen Speicher 2 und 3 von ca. 23-m Länge seit Oktober-2022. Die Applikation der 30-mm (max. 40-mm) dicken Instandsetzungsschicht ist ausschließlich im Bereich des Umlaufkanals mit einem Neigungswinkel von mind. 45° zur Bodenfläche geplant, um Spritzschatten bzw. Fehlstellenbildung zu vermeiden. Die instandzusetzende Innenfläche des Umlaufkanals wird nach ZTV-W LB 219, Abschnitt 2.2.2 vorbehandelt. Die erforderliche Rauheit liegt zwischen 1,5 und 3,0-mm. Die angestrebte Abtragtiefe beträgt 30-mm. Durch letztere soll erreicht werden, dass die Kanten der Instandsetzungsschicht bündig an die alte, nicht zu entfernende Mörtelschicht anschließt (s. Abbildung-4). Die abzutragende Fläche besteht aus einer ca. 16-mm dicken Mörtelschicht mit anschließendem A2-Beton (s.-Tabelle-1). Um den Verlegeplan der textilen Carbonbewehrung und die Lage der planmäßigen Enthaftungsbereiche sowie der Risssensoren festlegen zu können, ist eine sorgfältige Erfassung aller in der Innenfläche des Umlaufkanals befindlichen Risse inkl. Rissbreite, Rissverlauf sowie Rissart erforderlich. Die Gesamtfläche wird in 4 Teilbereiche (TB) gemäß Abbildung-5 aufgeteilt. Davon werden ca. 6-m als Referenzfläche (TB4) unbewehrt und unverankert, nach ZTV- W-LB-219, Abschnitt-5, ausgeführt. Die Randbereiche der einzelnen TBs sowie der Blockfuge werden ausnahmslos verankert. Hierzu wird 1 Anker je m² gesetzt. Dabei handelt es sich um Verbundanker aus nicht rostendem Stahl-A4 (im Folgenden Ankertyp-1 genannt) bestehend aus je einer M10- x- 260 Ankerstange mit oberflächenmodifizierter Sechskantmutter nach DIN-439: 1972 M10 Form-B aus nichtrostendem Stahl-A4 und oberflächenmodifizierter Unterlegscheibe nach DIN-9021: 1990---10.5 ebenfalls aus nichtrostendem Stahl-A4. Abb.-4: Geplanter Einsatzbereich des Instandsetzungssystems Abb.-5: Teilwandansicht, Teilbereiche der Maßnahme-4 302 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX Bei TB2, TB3 und TB4 wird in den Bereichen, in denen bewegliche Risse und Arbeitsfugen vorhanden sind, die zu Undichtigkeiten führen können, eine flexible mineralische Dichtungsschlämme beidseitig des Risses/ der Arbeitsfuge in Form eines min. 10 cm breiten Streifens aufgetragen, was zu einer Gesamtbreite von min. 20 cm führt. Die Sollschichtdicke nach zweilagigem Auftrag beträgt 3 mm. Nach Aushärtung des Enthaftungsmaterials wird der textilbewehrte Spritzbeton lagenweise aufgetragen. Abb.-6: Variation des Enthaftungsmaterials. Oben: mit mineralischem Dichtungsschlamm (Breite-=-20-cm), unten: ohne Enthaftungsmaterial. Links: Einzelrissbreitenauswertung in 8 Ebenen über die Dicke der Instandsetzungschicht, rechts: Darstellung der Hauptformänderung bei einer Rissöffnung von 0,6-mm. Abbildung 6 veranschaulicht den Einfluss der Rissentkopplung mittels Enthaftungsmaterial. Bei sonst identischer Materialzusammensetzung ist das Rissbild mit Enthaftungsbereich vorhersehbar, da die Risse, wie in [5] gezeigt, in einem regelmäßigen Abstand, hier ca. 21-mm, entsprechend der Maschenweite der Carbonbewehrung, verlaufen. Abbildung-6 zeigt die Einzelrissbreiten entlang des Messbereichs von 240-mm sowie die Rissverteilung in der Textilbetonschicht ausgehend von einer Rissöffnung von 0,6- mm. Bei dem Probekörper ohne Enthaftungsmaterial (Abbildung 6 unten rechts) schlägt der Riss aus dem Untergrundbeton erwartungsgemäß durch. Es entstehen jedoch mehrere Risse, was auf den guten Verbund zwischen Bewehrung und Mörtel zurückgeführt werden kann. Die maximale Rissbreite mit Enthaftungsmaterial beträgt 0,094-mm, ohne dagegen 0,258-mm. Für die Bemessung der Tragfähigkeit der Anker und der Vorsatzschale ist der Riss- und Porenwasserdruck mit einem Wert von 5-mWS maßgebend. Die Verankerung der textilbewehrten Spritzbetonschicht erfolgt anhand zwei verschiedener Ankertypen (s. Abbildung-7), die Bereichsweise (TB2 und TB3) eingesetzt werden. In beiden TB werden aus konstruktiven Gründen 2-Anker pro m² und zusätzlich am Rand des Enthaftungsbereich alle 30-m ein Anker gesetzt. Der TB1 wird zum Vergleich nicht verankert (Ausnahme: Randbereich). Folgende zwei Ankertypen werden eingesetzt: • Ankertyp 1 (Verbundanker aus nichtrostendem Stahl A4) für TB2 • Ankertyp 2 (nichtmetallischer Anker, solidian L-Shape 300 der Fa. solidian) für TB3 Bei dem Ankertyp 1 handelt sich um den bereits oben beschriebenen Anker, welcher für die Verankerung des gesamten Randbereichs (s. Abbildung 5) von Maßnahme 4 verwendet wird. Der Einbau erfolgt vor der Applikation des Instandsetzungsmörtels. Der Einbau von Ankertyp 2 erfolgt mit Ausnahme der Variation des Bohrlochdurchmessers (hier 10 mm) im Untergrundbeton analog zum Ankertyp 1. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 303 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX Abb.-7: Skizze zum Einbau der Verankerung. Oben: Ankertyp-1 für TB2 sowie Randverankerung, unten: Ankertyp-2 für TB3 4. Laboruntersuchungen an Verbundkörpern 4.1 Materialien und Proben Die Erweiterung dieses Instandsetzungsverfahrens wird mit Laborversuchen des ibac parallel zur Probeinstandsetzung begleitet. Die Ergebnisse der bislang durchgeführten Tests in [5] bestätigen die Eignung des Verbundwerkstoffs für diesen Zweck. Unter anderem haben die Laboruntersuchungen bereits gezeigt, dass die Bewegungen der Risse/ Arbeitsfugen in der textilbewehrten Spritzbetonschicht durch die Bildung vieler, sehr feiner Risse (Einzelrissbreite w i <-0,1-mm) aufgenommen werden, wodurch das Eindringen von Wasser in ausreichendem Maße behindert wird. In zyklischen Zugschwellversuchen mit rückseitigem Wasserdruck sowie unter Bewitterung (Gewitterregen und Frost-Tau-Wechselbeanspruchung) wurde nachgewiesen, dass diese feinen Risse auch langfristig zu keiner Beeinträchtigung der Dichtigkeit der Schicht führen [5]. Durch Haftzugversuche konnte ein dauerhafter Haftverbund der textilbewehrten Spritzbetonschicht auf dem vorbereiteten Betonuntergrund belegt werden [5]. Ergänzend zu den bisherigen Laboruntersuchungen wurden drei Rissüberbrückungskörper mit den Abmessungen 700-x-100-x-90-(L-x-B-x-D) in mm nach [5] untersucht, um den Einfluss des Poren- und Risswasserdrucks bei zyklischer Zugschwellbelastung von Instandsetzungsschichten in Anlehnung an [4] mit ausreichender Sicherheit zu untersuchen. Die Herstellung der textilbewehrten Carbonbetonschicht erfolgte mit einem steiferen Mörtel, um größere Rissbreiten zu erhalten, als sie im Umlaufkanal zu erwarten sind. Der Prüfkörper Nr.-1 wurde bis zum Versagen statisch aufgeweitet. Die beiden anderen wurden einer kombinierten zyklischen Belastung mit rückseitigem Wasserdruck (0,5-bar) unterzogen. Bei allen drei Proben wurden die Rissverteilung und einzelnen Rissbreiten mittels DIC analysiert. Die Probekörper bestanden aus einem normalfesten Instandsetzungsmörtel (im Folgenden RM-A4 genannt) in Kombination mit einer heißhärtenden Epoxidharz (EP)getränkten textilen Carbonbewehrung, die anschließend mit einer EP-Beschichtung oberflächenmodifiziert und mit Quarzsand besandet wurde (im Folgenden Q85b genannt) und einem 20-cm breiten Poly(butylmethacrylat)- Klebeband (im Folgenden DT-1 genannt) als Enthaftungsmaterial. Als Betonuntergrund wurde die entsprechende Altbetonklasse A4 nach [6] gewählt. Die Herstellung der Rissüberbrückungskörper erfolgte wie in [5] beschrieben. Ein 20-cm breiter Enthaftungsstreifen wurde symmetrisch über den Riss des gerissenen Betonuntergrunds aufgebracht. Vor dem Auf bringen der textilbewehrten Carbonbetonschicht wurde die Oberfläche des Altbetons 24 Stunden lang vorgenässt. Die Applikation der textilbewehrten Carbonbetonschicht erfolgte manuell mittels Handlaminiertechnik. Sie wurde in fünf Schichten mit zwei symmetrisch eingebetteten Lagen der Q85b Bewehrung (Bewehrungsgrad ω t von 0,60-%) hergestellt und war insgesamt 30-mm dick. Die Mörteldeckung betrug ca. 8-mm. Vor dem Verkleben der starren Rissüberbrückungskörper auf die Trägerplatten, wurden die Proben Nr. 2 und 3 zusätzlich präpariert, um einen Poren- und Risswasserdruck zu ermöglichen [5]. Nach 56 Tagen wurden die Rückseiten der Rissüberbrückungskörper auf Edelstahlträgerplatten geklebt. Diese Trägerplatten sind zur Befestigung an Untergestell und Kopfrahmen mit Bohrungen versehen. Die für die Proben Nr. 2 und 3 verwendeten Stahlplatten besitzen eingefräste Taschen sowie zusätzliche Bohrungen zur Wasserableitung. Anschließend wurden zwei induktive Wegaufnehmer mit einem Messbe- 304 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX reich von +/ --1-mm im Rissbereich des Betonuntergrunds positioniert. Der in [5] entwickelte Versuchsaufbau lässt den Wasserdruck auf die Rückseite der Instandsetzungsschicht wirken, d.-h. in der Verbundebene zwischen dem gerissenen Betonuntergrund und dem Enthaftungssmaterial. Ausgehend von den wassergefüllten Taschen in den Trägerplatten dringt das Wasser durch Kapillarsog bis zur Sättigung in den Untergrund ein. Gleichzeitig wird das Wasser durch den gerissenen Untergrund zum Enthaftungsmaterial gedrückt. In diesem Fall wurde das Material DT-1 verwendet, welches ungerissen blieb. Dies führt dazu, dass das Wasser unter das Enthaftungsmaterial fließt. Zur Beurteilung der Rissbildung und -entwicklung in der Instandsetzungsschicht mit dem optischen 3D-Messsystem ARAMIS ® der Fa. Carl Zeiss GOM Metrology GmbH wurde ein 250-mm langes stochastisches Muster im Bereich des Enthaftungsmaterials innerhalb der textilbewehrte Carbonbetonschicht wie in [5] aufgebracht. Mit Ausnahme des Ausschnitts für die digitale Bildkorrelationsanalyse (DIC) wurden die Proben Nr.-2 und 3 zusätzlich mit der in [5] entwickelten Versiegelungsmethode versiegelt, um ein seitliches Austreten von Wasser zu verhindern und einen konstanten Wasserdruck zu gewährleisten. Im Anschluss an die DIC-Messung wurde der restliche Bereich versiegelt. 4.2 Rissverteilungsprüfung Für die Versuche wurde der in [5] beschriebene einachsige Rissüberbrückungsversuch mit der Kriechprüfmaschine und dem Führungsauf bau verwendet. Der Versuchsauf bau ermöglicht sowohl statische (d.-h. Kurzzeit-) als auch Langzeitversuche (bis zu 10000 Stunden) und verfügt über eine eingebaute Spritzwasserschutzvorrichtung zum Schutz der Maschinenausrüstung. Während der Prüfung wurde die Kraft, der Traversenweg und die Dehnung der RÜKs mit einer Rate von 10-Hz aufgezeichnet. Der Probekörper Nr.-1 wurde, wie bereits beschrieben, nur einmal aufgeweitet. Dazu wurde der Betonuntergrund mit einer konstanten Prüfgeschwindigkeit von 0,05-mm/ min auf ca. 1,5-mm aufgeweitet. Das Versagen erfolgte im Betonuntergrund. Die Bewehrung erreichte eine Textilspannung von 1300-N/ mm². Dies entspricht ca. 33-% der maximalen Zugbelastung der textilbewehrten Carbonbetonschicht. In Abbildung- 8 links ist die Entwicklung der einzelnen Risse in der textilbewehrten Carbonbetonschicht während des Rissbildungsversuchs in der Kraft-Rissöffnungs-Kurve (d.-h. WA,m) der Probe Nr.-1 dargestellt. Die Spannungsabfälle in der Textilspannungs-Rissöffnungskurve entsprechen der Rissbildung. Zeitgleich zur Zugbelastung nahm das 3D-Messsystem mit 0,2-Hz Bilder der Probe Nr.-1 auf. Die Deformationsanalyse wurde seitlich am Probekörper durchgeführt, so dass die Rissverteilung entlang der Schichtdicke untersucht werden konnte. Die Auswertung erfolgte mit der Software GOM Correlate Professional. Die einzelnen Rissbreiten innerhalb des Enthaftungsmaterials wurden über die gesamte Dicke der textilbewehrte Carbonbetonschicht an den Schnittpunkten mit 3 Hilfslinien gemessen, die jeweils in der Mitte der RM-A4-Schicht nach [5] lagen. Dies reichte aus, um die mittlere Rissbreite w m , die maximale Rissbreite w max und das 95-%-Quantil w 0,95 statistisch zu validieren. Ausführlichere Informationen zur Deformationsanalyse finden sich in [5]. Abbildung- 8 rechts zeigt die Rissverteilung mit einer Hauptformveränderung ε max in % bei WA, m = 0,6-mm. Die Berechnungsmaske wurde hierbei über den Betonuntergrund gelegt. Die grün dargestellte Berechnungsmaske mit ca. 205- mm Länge (x-Richtung) umfasst das komplette Enthaftungsmaterial. Die Hauptformveränderung ε max des Probekörpers gegenüber der Referenz ist zwischen 0 und 1,5-% skaliert. Auf diese Weise können Risse und mögliche Enthaftungen innerhalb der textilbewehrten Carbonbetonschicht sichtbar gemacht werden. In Abbildung-8 rechts sind insgesamt 11 durchgehende Risse zu sehen, die innerhalb des DIC-Messbereichs durch die Instandsetzungsschicht verlaufen. Der Riss am rechten Rand des Messbereiches kann nicht vollständig gemessen werden und wird daher nicht in die Rissanalyse mit einbezogen. Abb.-8: Analyse der Rissüberbrückungsfähigkeit der Probe Nr.-1. Links: Textilspannungs-Rissöffnungskurve, rechts: Visualisierung der einzelnen Risse innerhalb des Messbereichs (Seitenansicht) 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 305 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX Die Risse entwickeln sich analog zu den Befunden in [5] mit Rissabständen in Höhe der einzelnen Rovingachsabständen (sog. Maschenweite) von 21 mm. Bis zu einer Rissöffnung von 0,6 mm ist die Rissbildung innerhalb des Enthaftungsmaterials nicht vollständig. Die Rissbreiten w m , w max und w 0,95 betrugen entsprechend 0,059; 0,084 und 0,077 mm. Über die dargestellte Rissöffnung hinaus bildeten sich drei weitere Risse mit einer Rissöffnung von 0,98 mm. Bei dieser Rissöffnung betrugen die Rissbreiten w m , w max und w 0,95 0,068; 0,100 und 0,089 mm. Außerdem ist zu erkennen, dass die einzelnen Rissbreiten über die gesamte textilbewehrte Carbonbetonschicht variieren, was auf die Position der Bewehrung zurückzuführen ist [5]. Darüber hinaus ist in Analogie zu [5] eine Rissverzweigung in Form von v-förmigen Rissen durch die gesamte textilbewehrte Carbonbetonschicht zu beobachten. Dieses Verhalten wird auf den Versatz der Rovings im Schussfaden senkrecht zur Belastungsrichtung zurückgeführt. Wie in [5] gezeigt, entstehen Primärrisse entlang der Rovings senkrecht zur Belastungsrichtung. Entscheidend für den Wassertransport sind Trennrisse oder durchgehende Risse in der textilbewehrten Carbonbetonschicht. Die Teilung der Risse erfolgt in der Ebene der Bewehrung. In diesem Beispiel geschieht dies in der ersten Bewehrungslage bei mindestens 2 Rissen. 4.3 Zyklische Rissöffnung Die Probekörper Nr.-2 und 3 wurden einer Zugschwellbelastung unterzogen, um eine Rissöffnung und Rissverteilung in der Instandsetzungsschicht z.-B. durch Temperaturschwankungen zu simulieren. Analog zu [5] wurden die Proben auf den Mittelwert der induktiven Wegaufnehmer WA, m von 0,6-mm aufgeweitet und mit einer Kraft von 70-N entlastet. Die Probe Nr.-2 wurde zunächst 1000 Trockenzyklen unterzogen. Dies entspricht einer Dauer von ca. 2 Wochen. Die aus dem Mittelwert der Wegaufnehmer des zyklischen Zugversuchs des Rissüberbrückungskörpers Nr.-2 berechnete Textilspannungs-Rissöffnungskurve ist beispielhaft in Abbildung-9 links dargestellt. Beide Proben weisen im ersten Zyklus 10 Risse auf. Die folgenden 999 Zyklen verlaufen ohne Spannungsabfall entsprechend der oben genannten Kurve und damit ohne weitere Rissbildung. In Abbildung-9 links ist zu erkennen, dass der Mittelwert der Wegaufnehmer am Belastungsmaximum jedes Zyklus einen konstanten Wert anzeigt, während die maximale Textilspannung pro Zyklus in den ersten 10 Zyklen schnell abnimmt und sich dann einem konstanten Wert nähert. Dieses Verhalten wurde auch bei Probe Nr.-3 beobachtet. Abb.-9: Links: Textilspannungs-Rissöffnungskurve der Probe Nr.-2 unter zyklischer Zugschwellbelastung ohne (schwarze Linien) und mit rückseitigem Wasserdruck (blaue Linien), rechts: Einfluss der zyklischen Zugschwellbelastung auf die Rissbreiten 306 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX Die Rissanalyse wurde an 8 verschiedenen Trockenzyklen der Proben Nr. 2 und 3 mittels DIC durchgeführt. Ähnlich wie bei den Untersuchungen in [5] wurde eine Verringerung der Rissbreiten während der Zugschwellbelastung beobachtet (s. Abbildung 9 rechts). Dies entspricht der reduzierten Textilspannung zwischen dem ersten und den folgenden Zyklen, die nach einigen Zyklen stagniert. 4.4 Zyklische Rissöffnung mit Poren- und Risswasserdruck Unmittelbar nach dem Start des 1001. Zyklus (d.-h. bei geringer Belastung) wurde ein Wasserdruck von 0,5-bar eingestellt. Der gewählte Wasserdruck entspricht einem mittleren Rückstaupegeln von Wehren in Deutschland [5]. Es wurde Leitungswasser mit einer Wasserhärte von 4,9°dH verwendet. Detaillierte Angaben zu den Randbedingungen finden sich in [5]. Die Probe Nr.-2 wurde mit einem konstanten rückseitigen Wasserdruck von 0,5-bar über 752 Zyklen belastet. Bereits nach der ersten Dehnung (Zyklus Nr.-1001) werden auf der Oberfläche der textilbewehrten Carbonbetonschicht, wie erwartet, im unteren Teil des DT-1-Materials feuchte Stellen sichtbar. Der untere Riss entspricht der unteren Begrenzung des DT-1-Materials. Bei der gewählten Grundkörperdicke wird zuerst der Risswasserdruck und dann, mit zeitlicher Verzögerung, der Porenwasserdruck wirksam. Diese Flecken nehmen zu Beginn des Versuchs an Größe zu (s. Abbildung-10, 1.-Tag), und die Anzahl der nassen Flecken entspricht der Anzahl der Risse in der textilbewehrten Carbonbetonschicht am 4. Tag. Diese bleiben jedoch zwischen dem 5. und dem 9. Tag konstant. Nach dem 9. Tag sind die ersten Zeichen der Selbstheilung (Verfärbung) zu beobachten. Während dieser Zeit heilt die Probe von selbst aus (s.-Abbildung-10, 13.-Tag). Unmittelbar danach wurde die Probe für weitere 106 Zyklen belastet, um zu zeigen, dass die Funktionalität des Reparatursystems nicht beeinträchtigt wurde. Nach einer weiteren Dehnung der Probe um 0,6-mm treten neue Risse außerhalb des Enthaftungsmaterials auf. Nach weiteren 10 Tagen wird die Probenoberfläche an mehreren Stellen trocken, was auch am Farbwechsel zu erkennen ist. Die Prüfung wurde nach insgesamt 23 Tagen beendet. An jedem Riss ist eine weiße Verfärbung zu erkennen. Abb.-10: Rissverteilung der Probe Nr.-2 bei zyklischer Belastung mit Poren- und Risswasserdruck zu verschiedenen Prüfzeiten Obwohl an der Oberfläche der textilbewehrten Betonschicht kein messbarer Wasseraustritt zu verzeichnen ist, kann dies nicht als Beweis für die Selbstheilung herangezogen werden. Daher wurde eine chemisch-mineralogische Untersuchung mit einem Rasterelektronenmikroskop (REM) einschließlich energiedispersiver Röntgenanalyse (EDX) durchgeführt, um die Ablagerungen auf den Rissen der Probe Nr. 2 zu charakterisieren. Die Durchführung erfolgte im Großkammer-REM der Zentraleinrichtung für Elektronenmikroskopie (GFE) der RWTH Aachen University. Abb.-11: Nahaufnahme eines Risses mit weißer Verfärbung (Maßstab in mm) Im Untersuchungsgebiet befinden sich Verfärbungen, die weißlich aussehen (s. Abbildung 11). Neben Sauerstoff, Natrium und Silizium wurden auch vergleichsweise große Mengen an Calcium gemessen. Probekörper Nr. 3 wurde insgesamt 7500 Zyklen unterzogen, davon 6900 mit rückseitigem Wasserdruck. Der Probekörper wurde 3420 Zyklen bis zu einer durchschnittlichen WA, m -Verschiebung von 0,6 mm ausgesetzt, gefolgt von weiteren 3561 Zyklen bis zu einer WA,m von ca. 0,7 mm (s. Abbildung 12 links). Anschließend wurden Haftzugversuche an dem Rissüberbrückungskörper senkrecht zur Bewehrungslage durchgeführt. Im Mittel beträgt die Haftzugfestigkeit der textilbewehrten Carbonbetonschicht 4,1 ± 0,6 N/ mm² und der kleinste Einzelwert 3,2 N/ mm². Es gibt messbare Unterschiede zwischen den Prüfstellen innerhalb und außerhalb des Enthaftungsmaterials. Außerhalb des Enthaftungsmaterials werden Werte von 4,5 ± 0,2 N/ mm² erreicht. Innerhalb des Enthaftungsmaterials erreicht die Haftzugfestigkeit nur einen Wert von 3,4 ± 0,3 N/ mm², was einem um 25 % niedrigeren Wert entspricht. Abbildung 12 rechts vergleicht die Haftzugfestigkeit nach statischer und zyklischer Beanspruchung. Die Ergebnisse zeigen, dass die Haftzugfestigkeit der zyklisch belasteten Probe (Nr. 3) um bis zu 7 % geringer ist als die der statisch belasteten Probe (Nr. 1). Verglichen mit der Zugfestigkeit des Betonuntergrundes (2,3 ± 0,2 N/ mm²) und den Anforderungen nach [4] liegen die ermittelten Wer- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 307 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX te auch nach statischer oder zyklischer Belastung auf der sicheren Seite. 5. Zusammenfassung Mit der Probeinstandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten wird erstmalig eine textilbewehrte Carbonbetonschicht, welche beidseitig mit Wasserdruck beansprucht wird, in einer realen Anwendung erprobt. Die in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX ausgelegte Instandsetzungsmaßnahme weist vielversprechende Eigenschaften auf, die dauerhafte Erhaltung der Gebrauchstauglichkeit der Kammerwand und des Umlaufkanals zu gewährleisten. Die durchgeführten Laboruntersuchungen unterstreichen die Eignung der Maßnahme. Abb. 12: Links: Textilspannungs-Rissöffnungskurve des Rissüberbrückungskörpers Nr.-3 unter Zugschwellbelastung, rechts: Vergleich der Haftzugfestigkeit der textilbewehrten Carbonbetonschicht nach statischer oder zyklischer Belastung In Anlehnung an den Versuchsauf bau in [5] wurde eine weitere Materialkombination, bestehend aus einem normalfesten Reparaturmörtel RM-A4, der Q85b Bewehrung mit einer Maschenweite von 21 mm und dem 20 cm breiten Enthaftungsmaterial DT-1, einer zyklischen Belastung mit rückseitigem Wasserdruck unterzogen. Am Probekörper Nr. 2 wurden insgesamt 1850 Zyklen durchgeführt, am Probekörper Nr. 3 7560. Davon wurden 1000 bzw. 580 ohne Wasserdruck im Voraus durchgeführt. Dies entspricht einem Vielfachen der zu erwartenden Rissbewegung aufgrund jahreszeitlicher Temperaturschwankungen von Wasserbauwerken in Deutschland. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie sind im Folgenden zusammengefasst: • Die gewählte Materialkombination ermöglicht die gewünschten Rissbreiten (w max- <-0,1-mm) und ist sowohl für statische als auch für zyklische Rissöffnungen bis zu 0,6-mm geeignet • Weder die Haftzugfestigkeit noch das Zugtragverhalten der textilbewehrten Carbonbetonschicht werden durch die Zugschwellbelastung mit Poren- und Risswasserdruck beeinträchtigt. • Darüber hinaus wurde die Selbstheilungsfähigkeit der gewählten Materialkombination trotz zyklischer Belastung nachgewiesen. Es wurde beobachtet, dass gerissene Instandsetzungsschichten mit w max -=-0,084-mm unter Zugschwellbelastung bei einer konstanten Prüfgeschwindigkeit von 0,05- mm/ min (kolbengesteuert) mit einem Poren- und Risswasserdruck von 0,5-bar nach ca. 2-Wochen selbst heilen und wieder dicht werden können. Derzeit werden Studien zur Untersuchung der Dauerhaftigkeit von textilbewehrten Carbonbetonschichten ohne Enthaftungsmaterial und somit ohne zusätzliche Abdichtungswirkung durchgeführt. Bisherige Untersuchungsergebnisse sind auf 5 m Wassersäule (d. h. 0,5 bar) beschränkt. Für zukünftige Anwendungen ist es notwendig, die Grenzen des rückseitigen Wasserdrucks bzw. des hydraulischen Gefälles zu definieren, bei denen eine Selbstheilung trotz zyklischer Belastung möglich ist. Darüber hinaus werden die Grenzen einer wiederholten Selbstheilung zur Nachbildung des Jahreszyklus erforscht. 6. Danksagung Die Autoren bedanken sich bei der BAW und die WSA Braunschweig für die konstruktive Zusammenarbeit bei der Konzepterstellung. 308 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Instandsetzung des östlichen Umlaufkanals der Westkammer der Schleuse Anderten in Anlehnung an das BAW-Merkblatt MITEX Literatur [1] Rahimi, A.; M. Lutz: Begutachtung des Schadensfalls im östlichen Umlaufkanal der Westkammer der Schleuse Anderten, BAW-Nr. B3951.03.12.10470, Karlsruhe, 03.07.2020 [2] http: / / www.schiffundtechnik.com/ lexikon/ s/ schleu se-anderten.html, zuletzt Besucht am 14.12.2022 [3] Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Mittellandkanal, Elbe-Seitenkanal: Schleuse Anderten (Westkammer) - Probeinstandsetzung, Allgemeine Baubeschreibung der Bauleistung, Braunschweig, 2022 [4] Bundesanstalt für Wasserbau (BAW): BAWMerkblatt für Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX), 2019 [5] Morales Cruz, C.; Crack-distributing Carbon Textile Reinforced Concrete Protection Layers, Ph.D. Thesis, RWTH Aachen University, 2020 https: / / publications.rwth-aachen.de/ record/ 811247/ files/ 811247.pdf [6] Bundesanstalt für Wasserbau (BAW): Instandsetzungsprodukte - Hinweise für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren, 2019 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 309 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton Bemessung, Ausführung und Einsparungspotentiale anhand von Praxisbeispielen Dipl.-Ing. Maximilian May CARBOCON GMBH, Dresden Dipl.-Ing. Sebastian May CARBOCON GMBH, Dresden Prof. Dr.-Ing. Alexander Schumann CARBOCON GMBH, Dresden Zusammenfassung Für die Etablierung neuer Technologien - wie dem Verstärken mit Carbonbeton - am Markt bedarf es der breiten Anwendung. Mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung/ allgemeinen Bauartgenehmigung Z-31.10-182 ist das CAR- BOrefit ® -Verfahren für eben diese Technologie in Deutschland geregelt und anerkannt. Auf Basis der Zulassung und der Vertrautheit einzelner Planenden im Umgang mit diesem Werkstoff konnten in der Vergangenheit eine Vielzahl an Praxisprojekten realisiert und die Potentiale nachgewiesen werden. Der Erhalt von Bauwerken und deren Weiternutzung hat oft nicht nur einen historischen Mehrwert, auch ökonomische und ökologische Vorteile gehen damit einher. Im Bereich der Sanierung und Verstärkung zeigt der Werkstoff Carbonbeton folglich sein größtes Potential auf. An einer breiten Durchdringung der Baubranche scheiterte es bisher aufgrund einer fehlenden Statik-Software zur vereinfachten Bemessung. Mit Erweiterung der FRILO Software um die CARBOrefit ® -Zulassung steht den Planenden nun ein anerkanntes und etabliertes Bemessungsprogramm zur Verfügung, um Bauwerke effizient und nachhaltig zu Sanieren und vor dem Abriss zu bewahren. Mit der neuen Bemessungsmöglichkeit wurde ein Meilenstein bei der Etablierung und Durchdringung der Baubranche erreicht. 1. Einleitung Die globalen Ereignisse in den vergangenen Jahren und der Klimawandel haben dazu geführt, dass Themen wie Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit auf nationaler und europäischer Ebene in den Fokus der politischen Ausrichtung gerückt sind. Die geplante Klimaneutralität sowie die mit dem Green Deal der europäischen Union verankerte Reduktion jeglicher CO 2 -Emissionen auf Null bis 2050 bei gleichzeitigem Wachstum der Weltbevölkerung stellt das Bauwesen vor enorme Herausforderungen. Für die Beteiligten der Baubranche bietet dies gleichzeitig die Möglichkeit einen positiven Beitrag zu leisten, denn mit einem Anteil von ca. 40- % an den globalen CO 2 -Emissionen ist der Hebel des Bausektors sehr groß [1]. Dazu kommt, dass in Deutschland jährlich ca. 90-% der mineralischen Rohstoffe im Bausektor verwertet werden, während Bau- und Abbruchabfälle zugleich 55-% des gesamten Abfallaufkommens ausmachen. In absoluten Zahlen ausgedrückt entspricht dies ca. 75 Mio. Tonnen an Bauabfall; bezieht man dies auf den Bauabfall von 176-t, der beim Abriss einer durchschnittlichen Wohnung von 60,9-m² entsteht, werden jährlich in Deutschland ca. 423.000 Wohneinheiten abgerissen [2]. Die Bundesregierung plant in den kommenden Jahren genauso viele Wohnungen jährlich neu zu bauen, um ausreichend bezahlbare und klimagerechte Wohnungen zu schaffen. Im Zuge des klimaneutralen Umbaus der Energieversorgung wird der Anteil an grauer Energie (Energie, welche für die Errichtung eines Bauwerkes benötigt wird) sowie grauer Emission zukünftig bestimmend bei der Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit von Bauwerken werden. Der Einsatz von nachhaltigen Baustoffen sowie der Erhalt von Bauwerken müssen folglich in den Vordergrund treten, damit der Wandel im Bauwesen gelingt. In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl an innovativen Technologien entwickelt worden. Mit dem Werkstoff Carbonbeton hat sich ein effizientes und dauerhaftes Material auf dem Markt etabliert, dass insbesondere beim Bauen im Bestand zur Anwendung kommt [3], [4]. Zahlreiche Bauwerke konnten in den vergangenen Jahren vor dem Abriss bewahrt und mithilfe von Carbonbeton für die zukünftige Nutzung ertüchtigt werden. 2. Das CARBOrefit ® -Verfahren Mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung/ allgemeinen Bauartgenehmigung (abZ/ aBG) Z-31.10-182 [5] ist das CARBOrefit ® -Verfahren zur Biegeverstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton durch die oberste Bau- 310 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton behörde, das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt), regelungstechnisch beschrieben und für die Anwendung freigegeben. Verschiedenste Stahlbetonkonstruktionen, sei es im Hochbau oder Ingenieurbau, wurden bereits mit diesem Verfahren saniert und das Potential konnte nachgewiesen werden. Statische Defizite des Bestandes, beispielsweise hervorgerufen durch Korrosion der Stahlbewehrung oder mangelhafte Ausführung, oder auch verursacht durch eine Erhöhung der Lasten infolge einer Umnutzung, können mit einer millimeterdünnen Schicht aus Carbonbeton behoben werden. Die Verstärkungsschicht besteht aus einem Feinbeton und einer Bewehrung aus Carbongittern. In den lagenweise im Nassspritzverfahren aufgebrachten Feinbeton - die Stärke der einzelnen Schichten beträgt nur 3 bis 5 mm - wird die erforderliche Lagenanzahl der leistungsfähigen Carbongitter eingearbeitet und abschließend wird eine letzte Feinbetonschicht aufgetragen. Aufgrund der Korrosionsbeständigkeit der Carbongitter können im Gegensatz zur Stahlbewehrung sehr geringe Feinbetonschichtenstärken realisiert werden, hohe Betondeckungen zum Schutz der Bewehrung sind nicht notwendig. In Abbildung 1 ist der Auf bau der Verstärkung mit Carbonbeton schematisch dargestellt. Die Carbonbewehrung nimmt die Zugkräfte infolge der Bauteilbeanspruchung auf, der Feinbeton gewährleistet den Verbund zum Bestand und kann Druckkräfte aufnehmen. Infolge der feinmaschigen Gitterstruktur, der großflächigen Anordnung und des geringen Eigengewichts muss die Carbonbetonschicht nicht mit dem Bestand verdübelt werden. Mit diesen Vorteilen hebt sich das CARBOrefit ® -Verfahren von konventionellen Verf hren, wie dem Spritzbeton, ab und konnte sich, auch unter ökonomischen Gesichtspunkten sowie Anforderungen des Denkmalschutzes, bei einer Vielzahl an Praxisprojekten durchsetzen und beweisen. Abb. 1: Auf bau einer Verstärkungsschicht mit Carbonbeton (Foto: C. Gärtner, TU Dresden) Mit der Auszeichnung zum Deutschen Rohstoffeffizienz- Preis 2022 wurde das Konsortium, bestehend aus 11 Industriepartnern, für ihre Tätigkeiten und die Etablierung des CARBOrefit ® -Verfahrens geehrt. Der Preis, welcher durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz verliehen wird, belobigt den ganzheitlichen Ansatz zur materialeffizienten und ressourcensparenden Bauwerksertüchtigung mit Carbonbeton. Denn die Vermeidung des Abrisses und die Weiternutzung des Bestandes stellt die höchste Form der Nachhaltigkeit im Bauwesen dar. Abb. 2: Das CARBOrefit ® -Konsortium erhält den Deutschen Rohstoffeffizienz-Preis 2022(Foto: BGRPhotohek) Die Konsortialpartner haben sich zusammengetan, um das Verstärken mit Carbonbeton in der breiten Anwendung zu etablieren und die abZ/ aBG kontinuierlich weiterzuentwickeln. Das CARBOrefit ® -Verfahren soll sich zur Standardlösung für die Bauwerksertüchtigung entwickeln und mit den nachgewiesenen Potentialen den Wandel im Bauwesen vorantreiben. Diese Ziele können nur mit einer breiten Akzeptanz bei den Behörden, Planern und ausführenden Unternehmen erreicht werden. Mithilfe einer Informationskampagne wurden von kommunaler Ebene aufwärts die Denkmal- und Baubehörden über die Möglichkeiten in Kenntnis gesetzt und bereits erste abrissgefährdete Bauwerke mit CARBOrefit ® saniert. Im Kapitel 6 werden ausgewählte Praxisbeispiele vorgestellt und Einsparpotentiale bei der Anwendung von Carbonbeton im Bereich der Bauwerkserhaltung aufgezeigt. Für die Skalierung der Potentiale ist es unabdingbar, regionale Planer und ausführende Firmen ebenfalls mit dem Werkstoff Carbonbeton vertraut zu machen und diesen die Möglichkeiten bei der Anwendung aufzuzeigen. In den Kapiteln 3 bis 5 werden neben dem Weg zur zertifizierten Anwendung auch die Bemessungsgrundlagen der Zulassung und die neuen, planerfreundlichen Möglichkeiten der Bemessung mit FRILO vorgestellt. 3. Der Weg von der Zertifizierung zur Ausführung Für die Ausführung von Verstärkungsarbeiten muss gemäß der abZ/ aBG eine entsprechende Eignung zur Durchführung dieser Arbeiten vorgewiesen werden. Das DIBt hat hierfür ergänzend zur abZ/ aBG die Voraussetzungen für ausführende Unternehmen durch die „Grundsätze für den Eignungsnachweis zur Ausführung von Arbeiten zur Verstärkung mit Carbonbeton mit Bausätzen nach den gültigen allgemeinen Bauartgenehmigungen“ [6] veröffentlicht. Die unternehmensgebundene Bescheinigung der Eignung wird durch die für die abZ/ aBG anerkannte Überwachungsstelle GÜB (Gemeinschaft für Überwachung im Bauwesen e.V.) [7] erteilt und führt die zertifizierten Mitarbeiter auf. Folgende Voraussetzungen gelten für die Erlangung der Eignungsbescheinigung: 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 311 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton • das Baustellenpersonal verfügt gemäß der DAfStb- Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“, Teil 3 [8] über spezielle Kenntnisse im Bereich der Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbetonbauteilen • das Baustellenpersonal muss einen SIVV-Schein vorweisen können. Die Zertifizierung für den Eignungsnachweis umfasst nach [6] eine obligatorische Theorieschulung mit anschließender Prüfung sowie eine Demonstrationsprüfung. In Vorbereitung auf die Demonstrationsprüfung kann an einer fakultativen Praxisschulung teilgenommen werden. Der Ablauf der Zertifizierung ist wie folgt strukturiert: 1. Obligatorische Theorieschulung und -prüfung 2. Fakultative Praxisschulung 3. Obligatorische Demonstrationsprüfung Der Antragsteller der CARBOrefit ® -Zulassung steht in der Verantwortung die Theorieschulung und -prüfung durchzuführen. Stellvertretend für das Konsortium übernimmt dies die CARBOCON GMBH. In einem Tageskurs mit einer abschließenden Multiple-Choice-Prüfung werden die Grundlagen zum Werkstoff Carbonbeton, das Verstärken mit Carbonbeton sowie die Inhalte und der Regelungsgegenstand der abZ/ aBG vorgestellt. Die fakultative Praxisschulung wird ebenfalls von der CARBOCON GMBH gemeinsam mit den Konsortialpartnern angeboten und dient der Vorbereitung auf die zertifizierende Demonstrationsprüfung. Neben der praktischen Anwendung des Verstärkungsverfahrens werden materialspezifische Kenntnisse und die bauausführungsbegleitenden Überwachungstätigkeiten im Rahmen eines Tageskurses vermittelt. Nach erfolgreicher Teilnahme an der Theorieschulung zertifiziert die GÜB als anerkannte Prüfstelle die ausführenden Unternehmen anhand einer obligatorischen Demonstrationsprüfung. Neben der Beurteilung der praktischen Ausführung der Verstärkungsarbeiten und der erforderlichen Vorrichtungen erfolgt eine qualitative Beurteilung der Ausführung anhand mechanischer Prüfungen am Demonstrationsbauteil und bauteilbegleitender Probekörper. Dabei handelt es sich u. a. um die Ermittlung der Verbundeigenschaften begleitender Probekörper aus Carbonbeton, der Biegezug- und der Druckfestigkeitsprüfung von Feinbetonprismen, des Ausbreitmaßes und der Rohdichte des Feinbetons sowie der Haftzugfestigkeit. Diese Kennwerte sind bei der späteren Baustellentätigkeit ebenfalls zu ermitteln und dienen der Eigenüberwachung. Im Folgenden sind die Inhalte der obligatorischen Demonstrationsprüfung zusammengefasst: • Vorführung der erforderlichen Vorrichtungen zum Ausführen der Verstärkungsmaßnamen und Abnahme durch die GÜB • Vorbereitung der Verstärkungsmaßnahme nach abZ/ aBG [5] • Verstärkung der Demonstrationsplatten mittels MA- WO-Düse im Dichtstromverfahren • Herstellung kleinteiliger Prüfkörper zur Überprüfung der Ausführungsqualität • Ermittlung der mechanischen Kennwerte im Rahmen der Eigenüberwachung der Verstärkungsmaßnahme • Überprüfung der Lagengenauigkeit der Carbongitter durch nachträgliches kreuzweises Schlitzen der Verstärkungsschicht • Dokumentation der Verstärkungsarbeiten Die über diesen Zertifizierungsprozess erlangte Bescheinigung der Eignung gilt drei Jahre. Durch eine Nachschulung wird der theoretische Teil aufgefrischt. Der Praxisteil wird mit Vorlage sachgemäß durchgeführter Verstärkungsprojekte und der zugehörigen Baustellendokumentation nachgewiesen und durch die GÜB verlängert. Der Antrag auf Erteilung des Eignungsnachweises muss durch die ausführenden Firmen eigenständig bei der GÜB gestellt werden. Neben der organisatorischen Unterstützung der Zertifizierung durch die CARBOCON GMBH kann die praktische Vorführung in Eigenleistung organisiert werden oder findet nach Absprache mit der GÜB im Rahmen einer Baumaßnahme statt, bei welcher nach abZ/ aBG [5] mit Carbonbeton verstärkt wird. 4. Bemessungsgrundlagen der Zulassung Für die Berechnung und Bemessung von Stahlbetonbauteilen mit Carbonbetonverstärkungsschichten müssen, in Anlehnung an die Nachweisführung von Spritzbetonverstärkungen, unter anderem folgende Nachweise geführt werden: • Biegung, • Querkraft, • Schubfuge, • Versatzbruch, • Endverankerung, • Brand, • Nachweise im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit. Für die Ermittlung der Gesamtverstärkungsdicke und der erforderlichen Lagenzahl der Carbonbetonverstärkung stellt der Biegenachweis i. d. R. den maßgebenden Nachweis dar. Hierbei beruht das Ingenieurmodell und die Nachweisführung bei Biegung auf den bekannten und etablierten Verfahren aus dem Stahlbetonbau. Die Bemessung erfolgt analog zum Stahlbeton unter folgenden Annahmen: • Der Querschnitt bleibt eben bzw. besitzt eine lineare Dehnungsverteilung (Hypothese von Bernoulli). • Vollständiger Verbund zwischen den Materialien; die jeweiligen Bewehrungsdehnungen folgen der BER- NOULLI-Hypothese. • Die Betonzugfestigkeit wird nicht berücksichtigt, sodass nur die Bewehrungskomponenten Zugkräfte aufnehmen. 312 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton • Die normativ festgelegten Spannungs-Dehnungs-Linien (Beton und Stahl) und die Spannungs-Dehnungs- Linie für die Carbongitter nach abZ/ aBG [5], siehe Abbildung 4 sind anzuwenden. Abb. 3: Idealisierte Spannungs-Dehnungs-Linie für die Bemessung mit Carbonbeton (Quelle: CARBOrefit ® -Zulassung, CARBOCON GMBH) Der Bauteilwiderstand für biegebeanspruchte Stahlbetonquerschnitte mit einer Carbonbetonverstärkung wird analog zum Stahlbeton mittels des iterativen Berechnungsverfahrens zur Findung eines Gleichgewichts zwischen inneren und äußeren Schnittgrößen bestimmt. Im Modell wird dabei eine zusätzliche Zugkomponente für die Carbonbewehrung in den Gleichgewichtsbedingungen berücksichtigt. Abb. 4: Querschnitt mit Dehnungs- und Spannungsverhältnissen sowie inneren und äußeren Kräften eines verstärkten Biegebalkens mit Carbonbeton nach [4] (Quelle: [3]) Die Spannungs- und Dehnungsverteilung über den Bauteilquerschnitt sowie die Ersatzkräfte, die für das Kräfte- und Momentengleichgewicht berücksichtigt werden, können entsprechend Abbildung 3 bestimmt werden. Im Gebrauchszustand der Tragfähigkeit (GZT) entsprechen die äußeren Schnittgrößen den inneren Kräften (Widerständen). Im Allgemeinen wird hierbei die Schwerachse der Carbonbetonverstärkung als Wirklinie verwendet, um das Momentengleichgewicht aufzustellen. Im Anschluss wird die iterative Berechnung durchgeführt, indem die Betonstauchung, die Betonstahldehnung und die Dehnung der Carbonbewehrung festgelegt werden. Hierbei muss mindestens eine der Komponenten im GZT die Grenzdehnung erreichen. Aus Wirtschaftlichkeitsgründen wird hierbei angestrebt, dass die Carbonbewehrung maximal ausgelastet ist. Im Anschluss daran können mit den aus dem Stahlbeton etablierten Gleichungen u. a. die Druckzonenhöhe, die Betondruckkraft, die Resultierende der Druckkraft und die Hebelarme der Stahl- und Carbonbewehrungskraft bestimmt werden. Abschließend erfolgt dann die Berechnung der resultierenden Kräfte der Stahl- und Carbonbewehrung mit den definierten Materialgesetzen. Stellt sich ein Kräftegleichgewicht ein, so kann die Nachweisführung erfolgen. Sofern kein Kräftegleichgewicht mit den gewählten Dehnungsebenen vorliegt, muss der Vorgang mit variierenden Dehnungen wiederholt werden. In [3] und [4] ist das iterative Vorgehen zur Ermittlung der Biegetragfähigkeit von carbonbetonverstärkten Stahlbetonquerschnitten ausführlich beschrieben. Zusätzlich muss bei Verstärkungen mit Carbonbeton die Vordehnung der Carbonbewehrung bzw. die vorherige Belastungssituation bei der nachträglichen Verstärkung mit Carbonbeton berücksichtigt werden. Mit Hilfe des Vordehnungszustandes wird der Ausnutzungszustand des Altquerschnittes bzw. die reale Belastungshistorie mit abgebildet. Der Grad der Vordehnung wirkt sich auf die Versagensart, die Dehnungsverteilung innerhalb des Querschnitts und die benötigte Carbonbewehrungsfläche aus. In [3] und [4] sind weiterführende Informationen zum Einfluss der Vordehnung auf die Bemessung gegeben. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 313 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton 5. Einfache Bemessung mit FRILO In der jüngeren Vergangenheit konnte die Bemessung, insbesondere die Bestimmung der Biegetragfähigkeit, bedingt durch die iterative Nachweisführung lediglich men erfolgen. Dieses Vorgehen ist für eine praxistaugliche Anwendung nicht zielführend. Aus diesem Grund wurde in Kooperation mit der FRI- LO Software GmbH die Erweiterung des Bemessungsprogramms vorangetrieben und Verstärkungen mit Carbonbeton auf bauend auf der CARBOrefit ® -Zulassung Nr. Z-31.10-182 hinzugefügt. In Q4/ 2022 wurde das neue Release veröffentlicht und den Planern/ innen steht ein praxistaugliches Programm für die Querschnittsbemessung zur Verfügung. Infolgedessen können Verstärkungen schnell und effizient geplant und später umgesetzt werden. Abb. 5: Auszug aus der FRILO Bemessungssoftware mit der Erweiterung um CARBOrefit ® (Foto: FRILO/ CARBOCON GMBH) Die CARBOrefit ® -Erweiterung für FRILO ist ein entscheidender Schritt zur Etablierung der Carbonbeton-Verstärkung in der Baubranche. Durch die Bemessungssoftware steht Planern/ innen ein effizientes und wirtschaftliches Tool zur Verfügung. 6. Aktuelle Praxisprojekte Im Bereich der Verstärkung und Instandsetzung von bestehenden Stahlbetonbauteilen mit Carbonbeton konnten in den letzten Jahren zahlreiche Praxisprojekte ausgeführt werden. Aktuell befinden sich viele weitere Projekte auf Grundlage der Zulassung Z-31.10-182 in Planung. Neben Unikaten der deutschen Baugeschichte, wie der Hyparschale in Magdeburg, welche mit Hilfe von 10-mm Carbonbeton auf der Ober- und Unterseite vor dem Abriss gerettet werden konnte [9], wurden auch viele weitere Projekte bereits ausgeführt. So stellt der Bereich der Brückensanierung ein großes Anwendungsfeld für den Carbonbeton dar. Neben Fußgängerbrücken, wie der Brücke über den Stadtgraben zur Thainburg in Naumburg (Saale) [10], konnten auch Straßen- und Autobahnbrücken mit Carbonbeton bereits mit für den Brückenbau minimalen Schichtdicken von 20- 35-mm verstärkt und somit die Restnutzungsdauer verlängert werden, siehe z.-B. [11]-[14]. Abb. 6: Hyparschale Magdeburg (Foto: Marcus Bredt) Abb. 7: historsche Fußgängerbrücke zur Thainburg in Naumburg, Saale (Foto: CARBOCON GMBH) Abb. 8: Autobahnbrücke über die Nidda bei Frankfurt/ Main (Foto: Oliver Steinbock) Auch im Bereich des Hochbaus zeigen die bereits ausgeführten und in Planung befindlichen Projekte das Poten- 314 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton tial auf. So können bestehende Hochbaukonstruktionen i. d. R. mit Schichtdicken von 10-15 mm verstärkt werden - dies sogar bei schlechten Altbetonuntergründen, die im Normalfall einfach abgerissen werden würden. Als anschauliches Beispiel kann hier der Beyer-Bau in Dresden dienen [3]. Abb. 9: Beyer-Bau der TU Dresden (Foto: CARBOCON GMBH) Abb. 10: Ressourcen- und CO 2 -Einsparungspotentiale von Carbonbetonverstärkungen (Fotos: CARBOCON GMBH, TU Dresden, Berliner Zeitung) Aber auch gewöhnliche Umbaumaßnahmen an Bestands- und Wohngebäuden bedürfen oftmals aufgrund höherer Nutzungsanforderungen einer statischen Ertüchtigung. Aktuell wird z. B. in Dresden ein solches Vorhaben umgesetzt, bei dem sich Carbonbeton im Vergleich zum konventionellen Spritzbeton einzig aufgrund der Wirtschaftlichkeit durchgesetzt hat. Dies zeigt, dass das innovative Verfahren neben den vielen Vorteilen hinsichtlich der Filigranität und der Ressourceneinsparung auch wirtschaftlich mehr als konkurrenzfähig ist. Das Thema der Ressourcenverfügbarkeit und des -verbrauchs spielt in der Baubranche eine immer größere Rolle. Auch hier kann Carbonbeton im Bereich der Verstärkung aufgrund der geringen Betonüberdeckung und der damit einhergehenden geringen Verstärkungsdicke punkten. Anhand der Hyparschale in Magdeburg konnten zusätzlich mit Hilfe von Vergleichsberechnungen verschiedene Ressourcen- und CO 2 -Vergleiche zwischen einer Carbonbetonverstärkung und einer konventionellen Spritzbetonverstärkung durchgeführt werden. Hierbei wurde z. B. gezeigt, dass 85 % an Ressourcen sowie 52 % an CO 2 - Emissionen eingespart werden konnte [15]. Des Weiteren wurde untersucht, wie der Vergleich zwischen dem Abriss der Hyparschale in Magdeburg (dies Stand lange zur Diskussion aufgrund fehlender geeigneter Instandsetzungsmaßnahmen - die konventionelle Verstärkung mit Spritzbeton hätte aufgrund des hohen 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 315 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton Zusatzgewichtes nicht funktioniert) und dem Erhalt des Bauwerks mit Carbonbeton aussieht. Im Vergleich mit dem Abriss und dem Ersatzneubau des Bauwerks konnten bei der Verstärkung mit Carbonbeton sogar 93 % an Ressourcen und 62 % an CO 2 -Emissionen eingespart werden. Für ausführlichere Informationen zu bereits ausgeführten Praxisprojekten wird auf www.carborefit.de verwiesen. 7. Fazit Mit dem CARBOrefit ® -Verfahren zum Verstärken mit Carbonbeton hat sich in der konservativen Baubranche eine innovative Technologie etabliert. Die Potentiale konnten bei einer Vielzahl an Praxisprojekten erfolgreich unter Beweis gestellt werden. Mit den neuen Möglichkeiten der softwaregestützten Bemessung erhalten nun noch mehr Planende Zugang zu diesem Verfahren und können Bauwerke effizient, wirtschaftlich und nachhaltig sanieren und vor dem Abriss bewahren. Ausführende Unternehmen bekommen über die Schulung und Zertifizierung ebenfalls die Möglichkeit Projekte mit Carbonbeton umzusetzen und dabei die baubehördlichen Vorgaben zur Eignung nachzuweisen. Mit dieser breiten Basis an Anwendern kann der Wandel im Bauwesen vorangetrieben und ein Beitrag zur Klimaneutralität geleistet werden. Das Konsortium treibt aktuell eine Vielzahl an Entwicklungen voran, um das Regelwerk der Zulassung stetig zu erweitern. So z. B. sollen in einem der nächsten Schritte der Umgang unter Chlorid- und Meersalzeinwirkung geregelt und entsprechende Expositionsklassen in die Zulassung mit aufgenommen werden. Literatur [1] Vereinte Nationen: 2022 Global Status Report for Buildings and Construction. [2] Bundesstiftung Baukultur: Baukultur Bericht „Neue Umbaukultur“ 2022/ 23. [3] Curbach, M.; Müller, E.; Schumann, A.; May, S.; Wagner, J.; Schütze, E.: Verstärken mit Carbonbeton. In: Bergmeister, K.; Fingerloss, F.; Wörner, J.- D. (Hrsg.): Beton-Kalender 2022 - Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Instandhaltung. Berlin: Ernst und Sohn, Veröffentlichung: Dezember 2021. [4] Curbach, M., Schladitz, F., Weselek, J., Zobel, R.: Eine Vision wird Realität: Der Betonbau der Zukunft ist nachhaltig, leicht, flexibel und formbar dank Carbon. In: Prüfingenieur 51, 2017, S. 20-35. [5] Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung/ Allgemeine Bauartgenehmigung Z-31.10-182 CARBOrefit - Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton, Stand: 27.05.2021. [6] Grundsätze für den Eignungsnachweis zur Ausführung von Arbeiten zur Verstärkung von Betonbauteilen mit Carbonbeton mit Bausätzen nach den gültigen allgemeinen Bauartgenehmigungen. Deutsches Institut für Bautechnik. Mai2022. https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ I4/ Grundsaetze_Eignungsnachweis_Car bonbeton.pdf [7] Verzeichnis der Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen nach den Landesbauordnungen (PÜZ-Verzeichnis) (Fassung März 2022). 2022. Deutsches Institut für Bautechnik. [8] DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie), Teil 3. Berlin: Beuth Verlag, 2001. [9] Hentschel, M.; Schumann, A.; Ulrich, H.; Jentzsch, S.: Sanierung der Hyparschale Magdeburg. In: Bautechnik 96 (2019), Heft 1, S. 25-30. DOI: 10.1002/ bate.201800087 [10] Schumann, A.; May, S.; Geißler, J.; Thorwarth, F.: Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! 5. 5. Brückenkolloquium, Technische Akademie Esslingen, 2022. [11] Steinbock, O., Pelke, E., Ost, O.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungsmethode für Massivbrücken - Teil 1: Grundlagen und Hintergründe zum Pilotprojekt „Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648“. In: Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft 2, S. 101-108. DOI: 10.1002/ best.202000094. [12] Steinbock, O.; Bösche, T.; Schumann, A.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungsmethode für Massivbrücken - Teil 2: Carbonbeton im Brückenbau und Informationen zur Zustimmung im Einzelfall für das Pilotprojekt Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648. Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft- 2, S.- 109-117. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.202000106 [13] Steinbock, O., Teworte, F., Neis, B.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungsmethode für Massivbrücken - Teil 3: Planung und Umsetzung der Verstärkungsmaßnahme mit Carbonbeton am Pilotprojekt „Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648“. In: Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft 2, S. 118-126. DOI: 10.1002/ best.202000107. [14] Riegelmann, P.; May, S.; Schumann, A.: Das Potential von Carbonbeton für den Brückenbestand - das ist heute schon möglich. In: Curbach, M. (Hrsg.): Tagungsband zum 30. Dresdner Brückenbausymposium am 8. und 9.3.2021 in Dresden. Institut für Massivbau der TU Dresden, 2017, S. 79-90. [15] Schumann, A.; Schöffel, J.; May, S.; Schladitz, F.: Ressourceneinsparung mit Carbonbeton am Beispiel der Verstärkung der Hyparschale in Magdeburg In: Hauke, B. (Hrsg.): Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Klimaschutz. Konstruktive Lösungen für das Planen und Bauen - Aktueller Stand der Technik. Institut Bauen und Umwelt e.V./ DGNB e.V., 2021, S. 282-286 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 317 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe Dipl.-Ing. Dr. Horst Peters HPTL Carbon GmbH, Ditzingen Dipl.-Ing. Thomas Lipinski HPTL Carbon GmbH, Wittstock Zusammenfassung Basierend auf den frühen Forschungen der EMPA (Schweiz) in den 80ern und Arbeiten div. Universitäten in Deutschland (z.B. TU-Braunschweig) erschien im November 1997 die erste allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) für das Verstärken von Stahlbetonbauteilen mit CFK-Lamellen (Z-36.12-29). Zwischenzeitlich wurden viele Erfahrungen mit dieser „leichten“ Verstärkungsmethode (flach = ERB, external reinforced bonding) gemacht und sie gehört zum Stand der Technik. Es folgten Untersuchungen, Praxiserprobungen und Zulassungen mit weiteren Carbon-Anwendungen wie: CFK in Schlitzen (NSM, near surface mounted), CF- Gewebe zur Biege-Umschnürungs- und Schubverstärkung oder CF-Grids, die in Spritzbeton eingebettet werden (TRC, textile reinforced concrete). Alle Varianten nutzen die hervorragenden Eigenschaften der CF-Fasern bei minimalem Gewicht und wettbewerbsfähigen Preisen. Ab 2015 gilt die DAfStb-RiLi mit der ebenfalls neuen abZ (Zulassung) die Bemessung, Anwendung und Materialprüfungen neu regeln (nach Eurocode 2). Seit den späten 1990ern wurden auch Entwicklungen mit CFK-Lamellen für die nachträgliche Vorspannung gemacht und umgesetzt. Sie werden vorerst aber noch eine ZiE (Zustimmung im Einzelfall) erforderlich machen. Für die Brückenverstärkungen ist hier die “ETAG 013”, in Anlehnung an die Stahlvorspannung, maßgeblich. Entwicklungen und viele Anwendungen nach abZ und ZiE mit CFK mit den aktuellen abZ´s sollen in diesem Referat gezeigt werden. 318 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 319 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 320 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 321 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 322 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 323 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 324 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 325 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 326 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 327 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 328 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 329 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 330 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 331 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 332 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 333 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 334 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 335 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 336 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 337 Bauwerksverstärkungen mit CFK-Lamellen und CF-Gewebe Schadstoffe 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 341 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin Dr.-Ing. Till Büttner Massenberg GmbH, Essen Dipl.-Ing. Robert Unger Massenberg GmbH, Moritzburg Zusammenfassung Die Knappheit von Wohnraum wird ein immer präsenteres Thema in Politik, Medien und Bauwirtschaft. Im Großraum Berlin ist dieses Thema allzeit sichtbar. Wohnraumneubau in ausreichendem Maß ist nur schwer realisierbar. Die Entwicklung und Umnutzung von ehemaligen Produktions- und Gewerbeimmobilien zu verfügbarem Wohnraum sind bereits seit langem ein praktikabler Umgang mit der Situation. Bereits seit vielen Jahren ist Massenberg neben der Instandsetzung von Infrastruktur und Ingenieurbauwerken, Tiefgaragen und Parkdecks auch ein starker Marktteilnehmer in der Sanierung von Gewerbe- und Wohnimmobilen. PATRIZIA und KAURI CAB entwickeln auf dem insgesamt rund 107.000 Quadratmeter umfassenden historischen Hertlein-Areal, auch als Carossa-Quartier bekannt, im Berliner Bezirk Spandau Hakenfelde ein ganzheitliches Quartier. Ziel dieser Entwicklung ist, einen campusartigen Mix aus Leben, Wohnen und Arbeiten mit überörtlicher Attraktivität zu entwickeln. Eine wichtige Richtschnur ist dabei der Life-Circle-Gedanke: die Quartiersentwicklung berücksichtigt aktuelle Lebensmodelle, indem sie integrative neue Wohnformen schafft und einen generationsübergreifenden Ansatz verfolgt. Erbaut wurde das Quartier „Carossa“ während des Zweiten Weltkriegs als Luftfahrtgerätewerk für Siemens & Halske, benannt nach dem bayerischen Arzt, Lyriker und Autor Hans Carossa. Heute steht der Komplex unter Denkmalschutz. Auf dieser in großen Teilen brachliegenden ehemaligen Industriefläche sollen nach der Ansiedlung von Handelseinrichtungen, gemischte Nutzungsstrukturen aus Wohnen und wohnverträglichem Gewerbe entstehen. Die Mischung aus Industrie- und Fertigungsanlage aus den 1930iger Jahren und heutigen Denkmalschutzanforderungen stellt die Sanierung vor anspruchsvolle Aufgaben. Neben verschiedenen Schadstoffbelastungen (EOX, Blei, Zink und Sulfat) im 4-geschossigen und ca. 200 m langen Betonskelettbauwerk „Hammerstiel“, dem mit einer bleimennighaltigen Beschichtung korrosionsgeschütztem Stahltragwerk der „Sheddachhalle“, sind auch denkmalspezifische Aufgaben bei der Instandsetzung zu realisieren. Alle Leistungen werden unter dem Gesichtspunkt der Qualitäts- und Termintreue mit entsprechenden Schutzkonzepten und einem hohen Anteil an modernem Equipment und ausgebildetem Personal ausgeführt. 1. Einleitung Erbaut wurde das Quartier „Carossa“ in Berlin Hakenfelde während des Zweiten Weltkriegs als Luftfahrtgerätewerk für Siemens & Halske, benannt nach dem bayerischen Arzt, Lyriker und Autor Hans Carossa. Heute steht der Komplex unter Denkmalschutz. Auf dieser in großen Teilen brachliegenden ehemaligen Industriefläche sollen nach der Ansiedlung von Handelseinrichtungen gemischte Nutzungsstrukturen aus Wohnen und wohnverträglichem Gewerbe entstehen. Auf dem Gelände befinden sich unter anderem die Teilbauwerke „Sheddach Halle“, „Hammerstiel“ und „Kasino“. Der Schwerpunkt der Vorstellung der Arbeiten in der vorliegenden Veröffentlichung liegt bei den am Bauwerk „Sheddach Halle“ ausgeführten Korrosionsschutzarbeiten. Das Bauwerk „Sheddach Halle“ stammt wie der Gesamtkomplex aus den 1930iger Jahren und diente während des zweiten Weltkriegs als Rüstungsproduktionsstätte in der Siemensstadt. Die Halle wurde in Massivbauweise als Stahltragwerk mit Mauerwerksausfachungen errichtet. Zusätzlich ist die Halle zu ca. 1/ 3 unterkellert. Das Tragwerk gründet auf Fundamente sowie Stahlbetonstützen in Kellerbereich. Die Hauptabmessungen der Halle betragen in der Länge 160-m, in der Breite 55-m und in der Höhe ca. 8,0-m. 2. Instandsetzung der Sheddach Halle 2.1 Allgemeines Im Zuge der Quartiererrichtung finden umfangreiche Abbrucharbeiten der Ein- und Ausbauten des Bauwerks Sheddach Halle statt, sodass lediglich das Dachtragwerk, auf den Stahlstützen ruhend, erhalten bleibt. Bei den verbleibenden Bauteilen ist bei den Fundamentstützen der Beton instand zu setzen, das Stahltragwerk ist mit einem neuen Korrosionsschutz zu versehen. Dabei ist eine der Herausforderungen der bleimennighaltige Altanstrich, welcher vor der Applikation des neuen Korrosionsschutzes zu entfernen ist. Im Anschluss an die Instandsetzung der Sheddach Halle sollen im Inneren der Halle zweibis dreigeschossige Neubauten mit Wohn- und Gewerbeeinheiten entstehen. 342 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin Die nachfolgenden Bilder zeigt die Sheddach Halle während der Instandsetzungsarbeiten durch die Fa. Massenberg sowie den geplanten Endzustand. Bild 1: Ansicht der Sheddach Halle von außen während der Instandsetzungsarbeiten Bild 2: Ansicht der Sheddach Halle von innen während der Instandsetzungsarbeiten Bild 3: Längsschnitt durch die Sheddach Halle. Bild 4: Rendering der geplanten Sheddach Halle - Außenansicht/ Bollinger + Fehling Architekten BDA/ Bild 5: Rendering der geplanten Sheddach Halle - Außenansicht/ Bollinger + Fehling Architekten BDA/ Die Instandsetzung des Stahltragwerks umfasst die komplette Einrüstung und Einhausung des Bauwerks, inkl. Witterungsschutz, die Strahlarbeiten zum Entfernen der Altbeschichtung sowie die Applikation des neuen Korrosionsschutzes in den Teilbereichen „Innenanstrich“, „Außenanstrich“ und „Brandschutzbeschichtung“. Die Ausführungsplanung wurde durch das Architekturbüro BOLLINGER + FEHLING Architekten für alle Bereiche erstellt und ist Grundlage für die Ausführung der Arbeiten. Das nachfolgende Bild zeigt einen Auszug aus den unterschiedlichen Bereichen für den Korrosionsschutz. Dabei sind - rote Flächen - Bereiche in denen ein F30-Brandschutzanstrich mit dem Korrosionsschutz appliziert werden muss. - blaue Flächen - Bereiche die später Innenräume sind, d. h. hier handelt es sich um Stahlträger, die nach Fertigstellung in Wohnungen eingebaut sind. - grüne Fläche - Bereiche die später Außenbereiche darstellen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 343 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin Bild 6: Darstellung der unterschiedlichen Korrosionsschutzbereiche/ Bollinger + Fehling Architekten BDA/ Die Arbeiten zur Erneuerung des Korrosionsschutzes umfassen die folgenden wesentlichen Leistungen: - Errichtung von ca. 3.000-m² Fassadengerüst inkl. vier Treppentürmen als Zugang zu den unterschiedlichen Gerüstebenen. - Errichtung eines Raumgerüstes auf der Gesamtfläche der Sheddach Halle von 6.750-m² der Dachneigung in Längsrichtung folgend unter Berücksichtigung der abwechselnden Hoch- und Tiefpunkte der Dachkonstruktion. Von den in Summe ca. 50.000-m³ Raumgerüst wurden 2/ 5 und 3/ 5 nacheinander in zwei Bauabschnitten gestellt. - Wetterschutzdach für die Arbeitsbereiche. - Einbau von ca. 3.800-m² Folieneinhausung entlang des Fassadengerüstes, - Einbau einer dichten Folienabdichtung des Hallenbodens mit Randaufkantung auf einer Fläche von 6.750-m², - Strahlen der Bestandskonstruktion und Applikation des ausgeschriebenen Korrosionsschutzes auf ca. 9.000-m² mit Dämmschichtbildner in Teilflächen, in Summe ca. 1.400-m². Bild 7: Darstellung der unterschiedlichen Arbeitsbereiche in der Aufsicht/ Bollinger + Fehling Architekten BDA/ Bild 8: Ausschnitt des Längsschnitts mit Darstellung des für die Arbeiten erforderlichen Gerüste - Fassadengerüst, Raumgerüst und Witterungsschutzdach/ Bollinger + Fehling Architekten BDA/ Eine weitere Herausforderung bei der Baumaßnahme war der vergleichsweise enge Zeitplan, der eine Fertigstellung des 1. Bauabschnitts vor Weihnachten 2022 vorsieht. Um die für die Arbeiten erforderlichen klimatischen Randbedingungen vorliegen zu haben, wurde die gesamte Einhausung bauseits beheizt. 2.2 Arbeits- und Umweltschutz Infolge des bleibelasteten Altanstrichs der Stahlkonstruktion ist für den Arbeits- und Umweltschutz die TRGS 505 maßgebend / TRGS505/ . Basierend auf den Anforderungen der TRGS 505 wurde von der Wesseling-GmbH (Berlin) ein Konzept für die Durchführung der Instandsetzungsarbeiten am Korrosionsschutz erstellt. Dieses Konzept dient zum einen dem Schutz des eingesetzten Personals als auch der Umgebung vor einer Schadstoffbelastung. Das Schutzkonzept sieht als Einhausung der Arbeitsbereiche eine doppelte Folienverkleidung sowie ein zusätzliches Schutznetz gegen Beschädigungen durch direkte Strahlmitteleinwirkung vor. Des Weiteren muss, um zu vermeiden das Schadstoffe, Strahlmittel und Staub in die Umgebung gelangen, die komplette Einhausung mit einer sogenannten Unterdruckhaltung versehen werden. Um einen einwandfreien Betrieb der Unterdruckhaltung auch im Zuge der Stahlarbeiten (Druckluftstrahlen mit festem Strahlmittel) sicherstellen zu können, muss für die 344 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin Bemessung der Unterdruckanlage die in die Einhausung eingebrachte Luftmenge ermittelt werden. Die Stahlarbeiten werden mit 3 Kolonnen mit je einem Kompressor mit einer Luftleistung von 11,4-m³/ min mit angeschlossenem Stahlkessel und einem Silo für das Strahlmittel parallel durchgeführt. Infolge der eingesetzten Kompressoren kommt es zu einem Gesamtvolumenstrom von 11,4 m³/ min x 3 = 684,00 m³/ h x 3 = 2.052,00 m³/ h. Eine Minderung des Volumenstroms durch Strahldüsen wird aus Sicherheitsgründen nicht betrachtet. Zur Unterdruckhaltung werden 2 Absauganlagen mit H3-Filtereinheit Typ KLEFFLER KLP 7000 mit einem maximalen Volumenstrom von 7.000 m³/ h (mit Filter 5.000 m³/ h) sowie vier Unterdruckhalteanlagen DECONTA UHG D 910 mit einem maximalen Volumenstrom von 6.000 m³/ h (mit Filter 4.800 m³/ h) eingesetzt. Bild 9: Unterdruckhalteanlagen eingebaut in die Einhausung Damit kann ein Gesamtvolumenstrom von ~ 30.000 m³/ h erreicht werden. Für eventuelle Fehlstellen in der Einhausung (Schleussen, Rüstungsdurchbrüchen, Bauteildurchbrüchen, etc.) wird ein Sicherheitsfaktor von FS = 0,5 integriert. Dieser Sicherheitsfaktor wurde zusammen mit der internen Fachkraft für Arbeitssicherheit der Fa. Massenberg definiert und trägt dem Umstand Rechnung, dass eine Einhausung unter Baustellenbedingungen nie vollständig dicht sein kann und somit das Risiko einer zu geringen Dimensionierung vermieden werden soll. V aus = 30.000 m³/ h x 0,5 = 15.000 m³/ h >> 2.052 m³/ h = V ein Die Unterdruckhaltung kann somit sicher gewährleistet werden. Neben der rechnerischen Betrachtung wird immer zu Beginn der Arbeiten ein sogenannter Rauchtest durchgeführt, der die Wirksamkeit der Maschinentechnik in Bezug auf den Unterdruck innerhalb der Einhausung belegt. Dieser Rauchtest ist eine eigene Entwicklung von Massenberg. Für den Rauchtest werden alle Lufterzeuger in Betrieb genommen und die Unterdruckerzeugung aktiviert. Die Einplanung muss sich sichtbar an die Gerüste anlegen und in kritischen Bereichen (Schleusen, Rüstungsdurchbrüchen, Bauteildurchbrüchen, etc.) wird zusätzlich mit Rauchbomben geprüft, ob die Zugluft in den eingehausten Bereich erzeugt werden kann. Bild 10: Einhausung von außen Bild 11: Einhausung mit Wetterschutzdach von Innen Zu den Schutzmaßnahmen zählen als weiterer wesentlicher Bestandsteil des Schutzkonzeptes (neben den aufgeführten Unterdruckhaltemaßnahmen) der persönliche Schutz der Mitarbeiter. Begonnen wurde hier vor den Arbeiten mit einem entsprechenden Biomonitoring mit Feststellung der Nullbelastung und einer regelmäßigen Kontrolluntersuchung zur Überwachung der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen nach TRGS 505 / TRGS505/ . Die Schutzmaßnahmen während der Strahlarbeiten umfassen das Arbeiten unter Vollschutz mit Strahleranzug, Schutzoverall, Handschuhen sowie Vollgesichtsmasken mit Atemschutzfiltern. Der Zugang zum Arbeitsbereich erfolgt ferner durch eine entsprechende 3-Kammer-Schleuse in einem abgeschotteten Vorraum mit angeschlossener Unterdruckhaltung. Das im Rahmen der Ausführung durchgeführte Biomonitoring hat gezeigt, dass die realisierten Arbeitsschutzmaßnahmen alle wirksam waren und kein Mitarbeiter infolge der Arbeiten im Schwarzbereich erhöhte Belastungswerte aufwies. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 345 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin Nach Abschluss der Stahlarbeiten wurde der gesamte Arbeitsbereich mit einer entsprechenden Absauganlage gereinigt und die Stahlmittelrückstände in BigPacks verpackt und auf der Baustelle bis zur fachgerechten Entsorgung sicher gelagert. Zur Reinigung sowie Feinreinigung aller Bauteile - in Summe rd. 7.500-m² Oberfläche - im Schwarz-Bereich wurden u.a. Industriesauger der Klasse H verwendet. 2.3 Ausführung der Korrosionsschutzmaßnahmen Die Korrosionsschutzmaßnahmen umfassen, neben der Untergrundvorbereitung, in die folgenden Teilschritte: - Entfernen von alten Ausfachungen aus Mauerwerk und Eisenbeton im Bereich der Trägereinbindung, - Strahlen des Untergrundes bis zu einem Reinheitsgrad SA 2 1/ 2, - Applikation des Korrosionsschutzes in Schichtdicken von 2- x- 80- µm (alle Bereiche) sowie in den Brandschutzbereichen ergänzt um eine Schicht Dämmschichtbildner mit einer Sollschichtdicke von 650-µm zwischen Grund- und Deckbeschichtung. Das nachfolgende Foto zeigt exemplarisch das Entfernen der vorhandenen Mauerwerkausfachungen im Sockelbereich der aufgehenden Stahlträger. Im Zuge der Arbeiten war eine Beschädigung der Träger unter allen Umständen zu vermeiden. Da bei dieser Arbeit der bleihaltige Altanstrich zwar freigelegt aber nicht bearbeitet wurde, konnten diese Arbeiten außerhalb des Schwarzbereiches durchgeführt werden. Bild 12: Entfernen von Ausfachungen des I-Trägers im Sockelbereich Nach Auf bau der Einhausung wurden die Stahlarbeiten unter den in Kapitel 2.2. beschriebenen Schutzmaßnahmen durchgeführt und die Altbeschichtung restlos entfernt. Nach dem Entfernen der Altbeschichtung wurden infolge des Alters und der Exposition der Konstruktion unterschiedliche Herausforderungen für die nachfolgende Applikation des Korrosionsschutzes festgestellt. Ausgewählte Herausforderungen werden im Folgenden näher erläutert. Da es sich bei den Stahlprofilen um Profile aus dem 1930iger Jahren handelt, waren alle Kanten nicht gerundet und der auszuführende Kantenschutz musste nicht nur mit großer Sorgfalt, sondern auch in deutlich größerem Umfang als ursprünglich geplant ausgeführt werden. Im Bereich von Knotenpunkten musste teilweise massive Blattrostbildung instandgesetzt werden. Vor dem Strahlen wurden diese Bereiche mittels Nadelpistole freigelegt, der Restquerschnitt durch den zuständigen Tragwerksplaner begutachtet und sofern keine statische Ertüchtigung erforderlich war, der Untergrund gestrahlt, grundiert und die Kanten vor Applikation der Endbeschichtung dauerelastisch verschlossen. Bild 13: Massive Blattrostbildung im Bereich eines Knotenbereichs Bild 14: Unvollständige Heftschweißungen zwischen zwei Bauteilen Ebenfalls wurden in Teilbereichen fehlerhafte oder unvollständige Heftschweißungen zwischen Stahlbauteilen 346 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin nach dem Entfernen der Altbeschichtung sichtbar. Diese Stellen wurden nach einer statischen Begutachtung (sofern keine Ertüchtigung erforderlich war) vollumfänglich gestrahlt, grundiert und vor der Applikation der Deckbeschichtung die Fugen dauerelastisch verschlossen. Sofern eine statische Ertüchtigung erforderlich wurde, erfolgte diese zwischen der Applikation der Grundierung und der Deckbeschichtung durch ein (weiteres) qualifiziertes Fachunternehmen. Diese Arbeiten erfolgten in enger Abstimmung mit Massenberg, so dass sich die statische Ertüchtigung und die Korrosionsschutzarbeiten nicht gegenseitig behinderten. Bild 15: Kriegsschäden an den Sheddachträgern, die in den Denkmalschutz aufgenommen wurden Bei einigen Trägern wurden Einschusslöcher aus dem zweiten Weltkrieg festgestellt. Sofern auch hier der Restquerschnitt der Träger ausreichend für die Tragfähigkeit war, wurden diese für den Denkmalschutz des Gebäudes erhalten. Neben den hier gezeigten Ertüchtigungsmaßnahmen mussten teilweise auch Bestandsträger verstärkt oder ersetzt sowie zusätzliche Windverbände in das Stabtragwerk eingebaut werden. Bild 16: Gelöste, bzw. unvollständige Schraubverbindungen Alle Schraubverbindungen wurden im Rahmen der Arbeiten überprüft und sofern notwendig wurden die Verbindungen nachgezogen, so dass die jeweilige Schraubverbindung auch die erforderliche Tragfähigkeit aufweist. Ein Auswechseln von Schraubverbindungen war nicht erforderlich und es konnten die vorhandenen Schraubverbindungen weiterverwendet werden. Um eine Bewertung des optischen Erscheinungsbildes des fertigen Korrosionsschutzes in Bezug auf die farbliche Wirkung vornehmen zu können, wurden Musterflächen in sechs unterschiedlichen NCS-Farbtönen angelegt. NCS-Farben bzw. das NCS-Natural Color System zeichnen sich dadurch aus, dass die Farben auf den sechs Elementarfarben basieren. Diese Elementarfarben werden vom menschlichen Auge als „rein“ empfunden, so dass z. B. ein reines Grün weder als bläulich noch als gelblich wahrgenommen wird / NCS/ . Dabei wurden die folgenden Farbtöne als Muster angelegt: - NCS S 3005-B20G (mittleres blaugrau) - NCS S 4005-B20G (dunkleres blaugrau) - NCS S 1002-Y (helles beige) - NCS S 2002-Y (mittleres beige) - NCS S 2502-Y (mitteldunkles beige) - NCS S 3005-G80Y (beige uni) Die Musterflächen wurden durch das Denkmalschutzamt der Stadt Berlin begutachtet. Hierbei wurde der Glanzgrad, die Farbintensität, die Reflexion des Tages- und Sonnenlichts sowie der Grad der „Lebendigkeit“ der Farben bewertet und für die unterschiedlichen Bereiche (Innen- und Außenbereich) festgelegt und es wurde sich auf den folgenden Farbton geeinigt: NCS S 3005-G80Y (beige uni). 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 347 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin Bild 17: Herstellung einer Musterfläche zur optischen Begutachtung an einer ausgewählten Stütze Bild 18: Unterschiedliche Musterfarbtöne auf Musterplatten Ein Bild der fertiggestellten Flächen für den ersten Bauabschnitt kann im Rahmen der vorliegenden Veröffentlichung noch nicht gezeigt werden, da die Arbeiten zur Fertigstellung noch laufen und der Abschluss für Ende 2022 geplant ist. Das nachfolgende Bild zeigt den aktuellen Stand der Arbeiten am Korrosionsschutz der Dachkonstruktion, dabei ist die Grundierung dunkelrot und die Brandschutzbeschichtung weiß. Die Applikation der Brandschutzbeschichtung erfolgte händisch mittels Pinsel und Rolle. Bild 19: Ansicht der teilfertiggestellten Fläche Neben den anspruchsvollen Korrosionsschutzarbeiten war bei dieser Baustelle eine weitere Herausforderung die Einbindung der Arbeiten in die Gesamtbaumaßnahme „Carossa Quartier“. Parallel zu den Arbeiten an der Sheddach Halle wurden auf dem gesamten Gelände des Carossa Quartiers Arbeiten an allen umliegenden Gebäuden durchgeführt, so dass seitens des Auftraggebers ein umfangreiches Baulogistikkonzept erarbeitet wurde. Dieses Konzept wurde im Rahmen eines Handbuchs mit den Ausschreibungsunterlagen allen Bietern zur Verfügung gestellt und enthält u. a. verbindliche Angaben zu den einzuhaltenden Verkehrswegen auf dem Gelände. Das nachfolgende Bild zeigt die Verkehrswege exemplarisch für das Bauwerk Sheddach Halle. Bild 20: Auszug aus dem Baulogistikhandbuch mit Darstellung der Zufahrts- und Abfahrtswege für das Bauwerk Sheddach Halle/ SiteLog GmbH/ 3. Zusammenfassung Im Rahmen der vorliegenden Veröffentlichung haben die Autoren die Instandsetzungsarbeiten am schadstoffbelasteten Korrosionsschutz des Bauwerks „Sheddach Halle“, die im Gesamtkontext der Entwicklung des Carossa- 348 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Denkmalgerechte Schadstoffsanierung: Quartier am Havelufer Berlin Quartiers in Berlin durchgeführt wurden, vorgestellt. Die Erneuerung des Korrosionsschutzes der Sheddach-Halle des Carossa-Quartiers war aufgrund der Schadstoffbelastung des Altanstrichs, der Bauwerkshistorie und der Einbindung in eine große städtebauliche Gesamtmaßnahme eine anspruchsvolle Baustelle. Die fachgerechte Ausführung war nur im Zusammenspiel mit allen am Bau Beteiligten möglich. Nur so konnten und können die ausgeführten Leistungen unter dem Gesichtspunkt der Qualitäts- und Termintreue mit den vorgestellten Schutzkonzepten und modernen Equipment sowie hochqualifiziertem Personal zur vollsten Zufriedenheit aller ausgeführt werden. 4. Danksagung Die Firma Massenberg, NL Moritzburg, bedankt sich bei allen Projektbeteiligten - Mitarbeitenden, Auftraggebern, Nachunternehmern und Lieferanten - für die partnerschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen des hier vorgestellten Projektes. Literaturverzeichnis [1] https: / / ncscolour.com/ de [2] Technische Regeln für Gefahrstoffe „Blei“ - https: / / www.baua.de/ DE/ Angebote/ Rechtstexte-und- Technische-Regeln/ Regelwerk/ TRGS/ TRGS-505. html Forschung und Entwicklung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 351 Nachhaltigkeit Technischer Mörtel für die Instandsetzung von Bauwerken Normative Vorgaben, Herausforderungen und Lösungsansätze Dr.-Ing. Oliver Vogt Sika Deutschland GmbH, Leimen Dr. Thomas Müller Sika Deutschland GmbH, Leimen Zusammenfassung Die Instandsetzung eines Bauwerkes leistet im Vergleich zu dessen Neubau bereits einen signifikanten Beitrag zur Nachhaltigkeit im Bauwesen. Für die Instandsetzung mit zementären Systemen kommen unter anderem polymermodifizierte Technische Mörtel als Trockenmörtel zum Einsatz, die jedoch aufgrund des großen Anteils an Portlandzement ein hohes CO 2 -Äquivalent besitzen. Aus diesem Grund muss bei der zukünftigen Entwicklung von Technischen Mörteln verstärkt auf Zementersatzstoffe wie beispielsweise Flugasche, Hüttensandmehl und natürliche Puzzolane als Ersatz für Portlandzement zurückgegriffen werden. Die Herausforderungen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, sind die generell höheren Anforderungen, welche an Technische Mörtel gestellt werden, die Vorgaben der Normen und Regelwerke, die charakteristischen Eigenschaften der Zementersatzstoffe sowie deren zukünftige Verfügbarkeit. Für Technische Mörtel muss daher für jedes Instandsetzungsprodukt im Einzelfall geprüft werden, mit welchen Zementersatzstoffen das CO 2 - Äquivalent des Trockenmörtels reduziert werden kann. 1. Einführung Technische Mörtel für die Instandsetzung von Betonbauwerken sind Trockenmörtel, die auf der Baustelle mit Wasser angemischt werden. An die Spezialbaustoffe, die zusätzlich zum komplexen Bindemittelgemisch und der Gesteinskörnung noch eine Vielzahl pulverförmiger Additive enthalten, werden verschiedenste Anforderungen gestellt, die je nach Typ des Instandsetzungsproduktes in unterschiedlichen Normen und Regelwerken verankert sind. Um den Haftverbund zwischen dem Altbeton und dem Instandsetzungsmörtel/ -beton zu verbessern sowie aus Gründen der höheren Dichtigkeit, kommen für Instandsetzungsarbeiten kunststoffmodifizierte zementgebundene Mörtel und Betone (PCC) zum Einsatz, wobei die Polymere im Trockenmörtel nach DIN EN 1504-1 [1] unter anderem Acrylat, Vinyl und Epoxide enthalten können. PCC lassen sich in die Typen PCC I (kunststoffmodifizierter zementgebundener Instandsetzungsmörtel für waagerechte und schwach geneigte Flächen) und PCC II (kunststoffmodifizierter zementgebundener Instandsetzungsmörtel für beliebigen Einbau, auch über Kopf) unterscheiden. Je nach Anwendungsfall können PCC I und PCC II im System mit Korrosionsschutzmörtel, Haftbrücke und nachträglich aufgebrachtem Oberflächenschutz ausgeführt werden, beispielhaft dargestellt in Abbildung 1 für einen PCC II. Sofern der Instandsetzungsmörtel dafür ausgelegt ist, kann dieser auch ohne Haftbrücke auf den Altbeton appliziert werden (siehe Abbildung 2, am Beispiel eines PCC I). Abbildung 1: Gesamtsystem für die Instandsetzung einer Stahlbetonwand mit einem PCC II Mörtel. Abbildung 2: Einbau eines PCC I Mörtels im Rahmen der Instandsetzung einer Betonfahrbahn. Normen und Richtlinien wie bspw. die DIN EN 1504- 3 [2], die DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung 352 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Nachhaltigkeit Technischer Mörtel für die Instandsetzung von Bauwerken Tabelle 1: Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit für statisch und nicht statisch relevante Instandsetzungsprodukte (Auszug aus DIN EN 1504-3 [2], Tabelle 3). Nr Anforderung an die Gebrauchstauglichkeit Referenzbeton (EN 1766) Prüfverfahren Anforderung Statisch relevant Statisch nicht relevant Klasse R4 Klasse R3 Klasse R2 Klasse R1 1 Druckfestigkeit Keine EN 12190 ≥ 45 MPa ≥ 25 MPa ≥ 15 MPa ≥ 10 MPa 3 Haftvermögen MC(0,45) EN 1542 ≥ 2,0 MPa ≥ 1,5 MPa ≥ 0,8 MPa a 5 Karbonatisierungswiderstand Keine EN 13295 d k ≤ Bezugsbeton (MC(0,45)) Keine Anforderung g 6 Elastizitätsmodul Keine EN 13412 ≥ 20 GPa ≥ 15 GPa Keine Anforderung a Der Wert 0,8 MPa ist nicht erforderlich, wenn Kohäsionsversagen im Instandsetzungsmaterial auftritt. Wenn ein Kohäsionsversagen eintritt, ist eine Mindestzugfestigkeit von 0,5 MPa erforderlich. g Nicht geeignet für Schutz gegen Karbonatisierung, sofern das Instandsetzungssystem kein Oberflächenschutzsystem einschließlich eines bewährten Schutzes gegen Karbonatisierung umfasst (siehe EN 1504-2). von Betonbauteilen [3] sowie die vom DIBt veröffentlichte TR-IH (Technische Regel Instandhaltung von Betonbauwerken) [4], welche mit Beginn der Einführung im Jahr 2021 weite Teile der zuvor genannten DAfStb-Richtlinie ersetzen wird, klassifizieren Technische Mörtel in verschiedene Kategorien und legen Vorgaben für deren Zusammensetzung, Herstellung, Verwendung und Verarbeitung fest. Darüber hinaus existieren im Bereich der Instandsetzung von Betonbauteilen Vergussmörtel und Vergussbetone, welche den Anforderungen der DAfStb- Richtlinie Herstellung und Verwendung von zementgebundenem Vergussbeton und Vergussmörtel [5] gerecht werden müssen. Auch wenn die Instandsetzung von Beton durch Technische Mörtel bereits einen wertvollen Beitrag zur Nachhaltigkeit im Bauwesen leistet, da kosten- und ressourcenintensive Neubauprojekte in vielen Fällen vermieden werden können, muss ungeachtet dessen ebenfalls die Nachhaltigkeit der Technischen Mörtel in den Fokus zukünftiger Forschungs- und Entwicklungsarbeiten rücken. Die sogenannte Dekarbonisierung von Zement und Beton als erklärtes Ziel der Zement- und Betonhersteller ist ebenfalls im Bereich der Technischen Mörtel ein wichtiger Schritt, hin zu einer nachhaltigeren Baubranche. In den nachfolgenden Kapiteln soll am Beispiel ausgewählter Normen und Richtlinien sowie potenzieller Zementersatzstoffe aufgezeigt werden, welche Herausforderungen, Chancen und mögliche Lösungsansätze im Rahmen der Dekarbonisierung von Technischen Mörteln bestehen. 2. Normative Vorgaben für Technische Mörtel als Instandsetzungsprodukte Für die Hersteller und Verwender von Trockenmörteln zur Instandsetzung von Betonbauteilen existieren diverse Normen und Richtlinien, die es zu beachten gilt. Hierzu zählen insbesondere die DIN EN 1504-03 [2], die DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen [3] sowie die TR-IH des DIBt [4]. Tabelle 1 zeigt einen Ausschnitt von Tabelle 3 der DIN EN 1504-3 [2], welche die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit für statisch und nicht statisch relevante Instandsetzungsprodukte festlegt. Zusätzlich zu den in Tabelle 1 aufgeführten Anforderungen werden je nach Klasse des Instandsetzungsproduktes (R1, R2, R3, R4) gemäß Tabelle 3 der DIN 1504-3 [2] noch Anforderungen an den Chloridionengehalt, das behinderte Schwinden und Quellen, die Temperaturwechselverträglichkeit, die Griffigkeit, den Wärmeausdehnungskoeffizienten und die kapillare Wasseraufnahme des Instandsetzungsproduktes gestellt. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 353 Nachhaltigkeit Technischer Mörtel für die Instandsetzung von Bauwerken Die Mindestanforderungen an die Druckfestigkeit, das Haftvermögen, den Karbonatisierungswiderstand und das Elastizitätsmodul beziehen sich dabei auf Prüfkörper im Alter von 28 Tagen. Die grundlegende Unterteilung der Systeme erfolgt in die Kategorien „statisch relevant“ und „statisch nicht relevant“. Ausgehend von der Klasse mit den höchsten Anforderungen (R4), reduzieren sich die Anforderungen an die Druckfestigkeit, das Haftvermögen und das Elastizitätsmodul bereits beim Übergang zur nachfolgenden Klasse R3. Gegenüber den statisch relevanten Klassen R4 und R3 werden an die statisch nicht relevanten Klassen R2 und R1 deutlich niedrigere bzw. gar keine Anforderungen gestellt. Die geringen bzw. nicht vorhandenen Anforderungen der unteren Klassen lassen bereits erahnen, dass in diesen Fällen Bindemittelkompositionen mit niedriger Reaktivität eingesetzt werden können. Daher besteht hier die Möglichkeit, den Anteil des Bindemittels im Trockenmörtel zu reduzieren, bzw. den Anteil an Portlandzement im Bindemittelgemisch zu verringern. Beides führt dazu, dass das CO 2 -Äquivalent des Trockenmörtels sinkt, da der stark CO 2 -belastete Portlandzement anteilig kleiner wird. Insbesondere für die Klasse R4 mit den schärfsten Anforderungen wird jedoch ebenfalls deutlich, dass der Reduktion des Portlandzements zur Verringerung des CO 2 -Äquivalent Grenzen gesetzt sind. Die DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen [3], regelt die Planung, Durchführung und Überwachung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen für Bauwerke und Bauteile aus Beton und Stahlbeton, wobei die in der DAfStb-Richtlinie genannten Anforderungen umfangreicher sind als jene der DIN EN 1504-3 [2]. Hierzu zählen neben den in Tabelle 1 aufgeführten Anforderungen der DIN 1504-3 [2] unter anderem Grenzwerte für das Quellen und Schwinden, Mindestfestigkeiten nach 90 Tagen, Mindestwerte des dynamischen E-Moduls, die Beständigkeitsprüfung eines Technischen Mörtels in Calciumhydroxidlösung sowie bestimmte Grenzwerte der Wasserdampfdurchlässigkeit und der Haftzugfestigkeit. Der gegenüber der DIN EN 1504-3 [2] erweiterte Umfang der erforderlichen Prüfungen sowie die für die Prüfergebnisse festgelegten Grenzwerte sind Herausforderungen, die es bei der Entwicklung Technischer Mörtel mit reduziertem CO 2 -Äquivalent zu beachten gilt, da die Substitution von Portlandzement durch Zementersatzstoffe mitunter einen negativen Einfluss auf die Feststoffeigenschaften des jungen Mörtels oder Betons haben kann. Vergussmörtel und Vergussbetone werden werkmäßig als Trockenmörtel hergestellt und unterscheiden sich nach DAfStb-Richtlinie Herstellung und Verwendung von Vergussbeton und Vergussmörtel [5] von konventionellen Mörteln und Betonen nach DIN EN-206-1 [6] und DIN 1045-2 [7] durch eine deutlich fließfähigere Konsistenz und einen erhöhten Mehlkorngehalt. Auch wenn durch die zuvor genannte DAfStb-Richtlinie kein direkter Bezug zu Instandsetzungsprodukten besteht, können Vergussmörtel und Vergussbetone ebenfalls für diesen Anwendungsfall eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind der Verguss einer Stahlbetonstütze oder eines bewehrten Wandabschnitts (siehe Abbildung 3), nachdem der carbonatisierte Beton im Zuge der Instandsetzungsmaßnahme entfernt wurde. Die Wiederherstellung der Betondeckung erfolgt dann durch den nachträglichen Verguss der randnahen Zonen des Bauteils. Abbildung 3: Instandsetzung einer Betonstütze (links) und eines Betonwandabschnitts (rechts) mit Vergussmörtel bzw. Vergussbeton. Vergussmörtel- und Vergussbetone nach DAfStb-Richtlinie [5] werden in unterschiedliche Fließmaßklassen (Vergussmörtel) bzw. Ausfließmaßklassen (Vergussbeton) eingestuft werden. Wenn die Nachhaltigkeit des Vergussmörtels oder -betons durch eine Reduktion des Zementgehaltes angestrebt wird, sind die in der DAfStb- Richtlinie festgelegten Frühfestigkeitsklassen jedoch von größerer Bedeutung (siehe Tabelle 2). Tabelle 2: Frühfestigkeitsklassen für Vergussmörtel und Vergussbetone [5]. Frühfestigkeitsklasse Druckfestigkeit in N/ mm² A ≥ 40,0 B ≥ 25,0 N/ mm² bis < 40,0 N/ mm² C ≥ 10,0 N/ mm² bis < 25,0 N/ mm² Vergussmörtel und -beton nach der DAfStb-Richtlinie muss mindestens der Betondruckfestigkeitsklasse C50/ 60 entsprechen. Zusätzlich zu dieser Anforderung existiert mit den Frühfestigkeitsklassen eine Vorgabe, welche die Druckfestigkeit nach 24 Stunden in 3 Klassen unterteilt. Die hohen Anforderungen der Frühfestigkeitsklasse A (Druckfestigkeit > 40,0 MPa) und B (25 MPa ≤ Druckfestigkeit < 40,0 MPa) lassen erkennen, dass der partielle Ersatz von Portlandzement durch Zementersatzstoffe mit niedrigerem CO 2 -Äquivalent mit Schwierigkeiten verbunden sein kann. Sowohl Puzzolane als auch latenthydraulische Stoffe entfalten ihren festigkeitsbildenden Beitrag meist im höheren Alter des Mörtels bzw. des Betons. Wenn an Frühfestigkeiten hohe Anforderungen gestellt werden, wird die Reduktion des Portlandzements nur bis zu einem bestimmten prozentualen Anteil möglich sein, da die verzögerte Reaktion der meisten Puzzolane und latent-hydraulischen Stoffe in der Regel keinen wesentlichen Beitrag zur Frühfestigkeit leisten. Auch ohne im Detail auf die zusätzlichen Anforderungen der DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Be- 354 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Nachhaltigkeit Technischer Mörtel für die Instandsetzung von Bauwerken tonbauteilen oder die TR-IH einzugehen, wird am Beispiel der DIN EN 1504-3 [2] und der DAfStb-Richtlinie für Vergussmörtel und -betone [5] bereits deutlich, dass im Vergleich zum Massenprodukt „Standardbeton“ höhere Anforderungen an Technische Mörtel gestellt werden. Dies, sowie die jeweiligen stoffspezifischen Besonderheiten der Zementersatzstoffe und deren zukünftige Verfügbarkeit, werden große Herausforderungen bei der zukünftigen Entwicklung von Instandsetzungsprodukten mit niedrigem CO 2 -Äquivalent sein. 3. Reduktion des CO 2 -Äquivalents Technischer Mörtel - Herausforderungen, Chancen und Lösungsansätze Technische Mörtel enthalten neben Portlandzement, Füllstoffen, Puzzolanen, latent-hydraulischen Stoffen und Gesteinskörnung ein großes Spektrum an pulverförmigen Additiven. Hierzu zählen unter anderem Fließmittel, Stabilisiere, Entschäumer, Fasern, Polymere, Beschleuniger und Verzögerer. Auch wenn jeder der zuvor genannten Additivtypen ein mehr oder weniger großes CO 2 -Äquivalent besitzt, so tritt dieses aufgrund der meist sehr geringen Mengen der Additive im Trockenmörtelgemisch in den Hintergrund. Den größten Einfluss auf das CO 2 - Äquivalent des Instandsetzungsmörtels hat der Portlandzement (CEM I), da dieser ein globales Erwärmungspotenzial von ca. 696 kg CO 2 -Äquivalent/ t besitzt [8]. Zur Reduktion des CO 2 -Äquivalents können Puzzolane, latent-hydraulische und inerte Füllstoffe eingesetzt werden, welche Teile des Portlandzements ersetzen und dadurch das CO 2 -Äquivalent des Trockenmörtels reduzieren. Eine Verringerung des CO 2 -Äquivalents kann theoretisch auch durch den Einsatz von CEM II oder CEM III erfolgen, da diese im Vergleich zu einem CEM I ein niedrigeres CO 2 -Äauivalent besitzen. Für die Trockenmörtelindustrie ergibt sich jedoch bei einer breit gefächerten Produktpalette an Instandsetzungsmörteln eine größere Flexibilität, wenn verschiedene CEM I mit diversen Zementersatzstoffen kombiniert werden, um individuelle Bindemittelkompositionen zu erzeugen. Die in der Vergangenheit am häufigsten eingesetzten Zementersatzstoffe sind kieselsäurereiche Flugasche als industrielles Nebenprodukt der Steinkohleverfeuerung und Hüttensandmehl als industrielles Nebenprodukt der Roheisenherstellung. Infolge von Verfahrensumstellungen und Anlagenstilllegungen werden diese zukünftig jedoch nur noch begrenzt oder gar nicht mehr zur Verfügung stehen [9]. Daher stellt sich seit geraumer Zeit die Frage, welche alternativen Zementersatzstoffe in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Auch wenn langfristig nicht mit Flugasche und Hüttensandmehl geplant werden kann, muss die Trockenmörtelindustrie aufgrund der derzeit noch geringen Anzahl bzw. generell am Markt verfügbarer Mengen an Alternativrohstoffen auf eben diese klassischen Zementersatzstoffe zurückgreifen. Unter Vernachlässigung der Problematik der Verfügbarkeit wird in den nachfolgenden Abschnitten aufgezeigt, welche Herausforderungen, Chancen und Lösungsansätze bei der zukünftigen Entwicklung von Instandsetzungsprodukten mit verschiedensten Puzzolanen, latent-hydraulischen Stoffen und inerten Füllern bestehen, um das CO 2 -Äquivalent von Technischen Mörteln durch die Reduktion von Portlandzement zu verringern und damit einen Beitrag zur Nachhaltigkeit im Bauwesen zu generieren. Abbildung 4 zeigt die Druckfestigkeiten von Vergussbetonen mit unterschiedlichen Anteilen an Hüttensandmehl im Alter von 24 Stunden und 28 Tagen. Mit zunehmendem Anteil des latent-hydraulischen Zusatzstoffes (gleichzusetzen mit geringeren Anteilen an Portlandzement im Bindemittel) sinkt die Druckfestigkeit nach 24 Stunden, die Druckfestigkeit nach 28 Tagen hingegen steigt bis zu einem Anteil von 30 % Hüttensandmehl und besitzt bei 40 % und 50 % Hüttensandmehl immer noch höhere Werte als die Vergussbetone mit 10 % und 20 % Hüttensandmehl. Unter Berücksichtigung der 28-Tage- Druckfestigkeit erfüllt jeder der fünf Vergussbetone in Abbildung 4 die Mindestanforderung der Betondruckfestigkeitsklasse (C50/ 60) nach der DAfStb-Richtlinie [5]. Die Druckfestigkeiten nach einem Tag und die in Tabelle 2 aufgezeigten Frühfestigkeitsklassen lassen jedoch erkennen, dass die für die meisten Vergussbetone übliche Frühfestigkeitsklasse A (Druckfestigkeit nach 24 Stunden > 40,0 MPa) nicht erfüllt wird. Soll trotz höherer Anteile an Hüttensandmehl eine Mindestdruckfestigkeit von 40 MPa nach einem Tag erreicht werden, so wird an dieser Stelle durch den Austausch des Portlandzementes durch Hüttensandmehl der Konflikt zwischen hohen technischen Anforderungen der Instandsetzungsprodukte mit der im Vergleich zu einem Portlandzement deutlich schlechteren Performance der Zementersatzstoffe deutlich. Eine Zunahme der Frühfestigkeit trotz hoher Mengen an Hüttensandmehl kann an dieser Stelle durch die Hydratation beschleunigende Additive, eine Erweiterung des Bindemittelgemischs oder die Reduktion des Wassergehaltes erreicht werden. Zuletzt genannte Maßnahme hängt unter anderem davon ab, ob der Wasseranspruch des Hüttensandmehls geringer ist als jener des Portlandzementes. Bei einem vergleichbaren Wasseranspruch kann der Versuch, den Wassergehalt gegenüber der Referenzmischung ohne Hüttensandmehl zu reduzieren, dazu führen, dass dem Fließmittel zu wenig Wasser zur Verfügung steht und dadurch entweder die Fließmaßbzw. Ausfließmaßklasse nach DAfStb-Richtlinie nicht erreicht wird, oder die Viskosität des Vergussbetons so groß wird, dass dieser nur noch schwer zu applizieren ist. Bei konstantem Wassergehalt zeigen die Ergebnisse in Abbildung 5, dass bei steigendem Anteil an Hüttensandmehl ebenfalls das Schwindmaß zunimmt. Kann das Trocknungsschwinden als Teil der Gesamtschwindverformung nicht durch eine Reduktion des Wassergehaltes kompensiert werden, so besteht durch den Einsatz von organischen und anorganischen schwindreduzierenden Additiven die Möglichkeit, auch bei höheren Anteilen an Hüttensandmehl ein niedriges Schwindmaß zu erreichen. Im direkten Vergleich zum Hüttensandmehl ergeben sich für Flugasche einige Vorteile, was anhand der Ergebnisse in Abbildung 6 und Abbildung 7 näher erläutert wird. Die Druckfestigkeiten nach einem, sieben und 28 Tagen Er- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 355 Nachhaltigkeit Technischer Mörtel für die Instandsetzung von Bauwerken härtung eines PCC I Reparaturmörtels mit unterschiedlichen Flugaschenanteilen (Abbildung 6) zeigen den gleichen Trend der Festigkeitsentwicklung wie im Fall der Vergussbetone mit Hüttensandmehl. Der entscheidende Unterschied ergibt sich jedoch durch die geringere spezifische Oberfläche der Flugasche im Vergleich zum Portlandzement sowie durch die sphärischen Partikel der Flugasche und des dadurch bedingten Vorteils hinsichtlich der Rheologie des frischen Mörtels. Dadurch kann die Menge des Anmachwassers des Mörtels bei gleichbleibender Konsistenz reduziert werden. Der Reparaturmörtel mit 42 % Flugasche besitzt zu allen Prüfzeitpunkten geringere Festigkeiten als die Reparaturmörtel mit 10 %, 30 % und 37 % Flugasche. Durch die Reduktion des Wasserbindemittelwertes (siehe 42*, Abbildung 6) und der dadurch bedingten Reduktion der Gesamtporosität im Festmörtel erhöht sich die Festigkeit zu allen Prüfzeitpunkten und erreicht vergleichbare Werte wie der Reparaturmörtel mit 30 % Flugasche. Der Vorteil des geringeren Wasseranspruchs der Flugasche zeigt sich auch bei den Schwindwerten in Abbildung 7. Bei konstantem Wassergehalt schwindet der Reparaturmörtel mit 42 % Flugasche stärker als jener mit 30 % Flugasche. Wir der Wassergehalt des Reparaturmörtels mit einem Flugaschegehalt von 42 % jedoch verringert, so führt dies zu geringeren Schwindverformungen als dies beim Reparaturmörtel mit 30 % Flugasche der Fall ist. Abbildung 4: Druckfestigkeiten (24 Stunden, 28 Tage) eines Vergussbetons mit unterschiedlichen Anteilen an Hüttensandmehl im Bindemittel. Abbildung 5: Schwindwerte von Vergussbetonen mit unterschiedlichen Anteilen an Hüttensandmehl, über einen Zeitraum von 91 Tagen. Abbildung 6: Druckfestigkeitsentwicklung (1d, 7d, 28d) eines Reparaturmörtels mit unterschiedlichen Anteilen an Flugasche im Bindemittel (*: Reduktion des w/ b-Wertes). Abbildung 7: Schwindwerte eines Reparaturmörtels mit unterschiedlichen Anteilen an Flugasche im Bindemittel und Reduktion des w/ b-Wertes. 356 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Nachhaltigkeit Technischer Mörtel für die Instandsetzung von Bauwerken Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, müssen Instandsetzungsmörtel umfangreiche Anforderungen erfüllen. Die zuvor beschriebenen Ergebnisse mit dem Fokus auf der Festigkeit und dem Schwinden der Mörtel stellen daher nur einen Bruchteil der Herausforderungen dar, die es im Zusammenhang mit dem Einsatz größerer Mengen an Zementersatzstoffen zu meistern gilt. Die Dauerhaftigkeit der Instandsetzungsprodukte wird im Rahmen der normativen Vorgaben unter anderem mit dem Karbonatisierungswiderstand, der Frost-Tau-Wechselbeständigkeit und der Temperaturwechselverträglichkeit geprüft und bewertet. Je nach Anforderungsprofil des Technischen Mörtels können hier weitere Prüfungen wie beispielsweise die Sulfat- und Säurebeständigkeit anfallen. In diesem Zusammenhang werden die nachhaltigen Technischen Mörtel der Zukunft nicht nur durch die Substitution des Portlandzementes mit einem Zementersatzstoff allein entwickelt werden können. Die Herausforderung wird darin bestehen, möglichst große Mengen des Portlandzements durch geschickte Kombination verschiedenster Zementersatzstoffe zu erzielen. Eine vielversprechende mögliche Alternative zu konventionellen Zementersatzstoffen (Flugasche, Hüttensandmehl) sind Calcinierte Tone, die derzeit jedoch nicht in ausreichenden Mengen am Markt zur Verfügung stehen und darüber hinaus in keiner deutschen Norm berücksichtigt werden. Ob die gebrannten Tone in vergleichbar hohen Anteilen wie Flugasche und Hüttensandmehl den Portlandzement in Technischen Mörteln ersetzen können, muss sich noch herausstellen. Calcinierte Tone besitzen aufgrund der Morphologie der Tonpartikel einen hohen Wasseranspruch und führen im frischen Mörtel und Beton meist zu einer Zunahme der Viskosität. Nachgewiesen wurde, dass trotz höherem Wasseranspruch des calcinierten Tons gegenüber Flugasche auch bei höheren Wasserbindemittelwerten ein dichteres Gefüge erzielt werden kann [10]. Der viskositätssteigernde Effekt kann bei einem Vergussbeton oder -mörtel einen Vorteil darstellen, da stabilisierende Additive unter Umständen nicht mehr oder nur noch in geringeren Mengen benötigt werden. Im Fall eines manuell oder maschinell zu applizierenden PCC I oder PCC II Reparaturmörtels kann dies jedoch zum Versagen des Systems führen, da der Mörtel bei zu hoher Viskosität nicht mehr applizierbar ist. Die chemische und mineralogische Zusammensetzung des calcinierten Tons wird darüber hinaus die Reaktivität des natürlich getemperten Puzzolans beeinflussen [11]. Aus diesem Grund muss für jeden Rohstoff und jeden Typ eines Instandsetzungsmörtels individuelle geprüft werden, in welchen Mengen Portlandzement im Bindemittelgemisch durch calcinierten Ton ersetzt werden kann, ohne die Leistung des Technischen Mörtels herabzusetzen. An dieser Stelle bisher nicht erwähnte Puzzolane wie beispielsweise Trass, Microsilica und natürlich getemperte Puzzolane unterschiedlicher chemisch-mineralogischer Zusammensetzung können in technischen Mörteln ebenfalls zur Anwendung kommen. Um das CO 2 -Äquivalent der Instandsetzungsmörtel signifikant zu reduzieren, werden diese jedoch nur begrenzt geeignet sein. Beim Trass können durch dessen erhöhten Wasseranspruch im Vergleich zu Portlandzement ähnliche Nachteile im Technischen Mörtel eintreten, wie dies bereits im Zusammenhang mit calcinierten Tonen beschrieben wurde [12]. Darüber hinaus muss unter Berücksichtigung der negativen Einflüsse auf die Frischmörteleigenschaften abgewogen werden, ob dies durch die teils geringe Reaktivität des natürlichen Puzzolans zu vertreten ist. Microsilica wird, wie dies bereits seit Jahren in Mörteln und Betonen praktisch umgesetzt wird, auch zukünftig Bestandteil von Spezialmörteln sein. Dies jedoch nur in geringen Mengen, was das CO 2 -Äquivalent der Instandsetzungsmörtel nicht wesentlich reduzieren wird. 4. Schlussfolgerung und Ausblick Um der Nachhaltigkeit technischer Mörtel mittels Reduktion des CO 2 -Äquivalents langfristig einen größeren Stellenwert einräumen zu können, ergeben sich für die Hersteller von Instandsetzungsmörteln zukünftig Herausforderungen unterschiedlichster Art. Der generellen Verfügbarkeit klassischer Zementersatzstoffen, wie beispielsweise Flugasche und Hüttensandmehl, stehen dabei die technischen Aspekte zukünftiger Ausgangsstoffe der Trockenmörtel gegenüber, wie dies am Beispiel des calcinierten Tons aufgezeigt wurde. Um das CO 2 -Äquivalten der Mörtel deutlich zu reduzieren, müssen größtmögliche Mengen des Portlandzementes durch Alternativen ersetzt werden, die wiederum aufgrund ihrer verzögernden festigkeitsbildenden Eigenschaften die Leistung der Instandsetzungsprodukte beeinträchtigen werden. Hierzu zählen unter anderem viskositätsmodifizierende Eigenschaften der Alternativrohstoffe sowie die durch eine geringe Reaktivität hervorgerufene Reduktion der Frühfestigkeit der technischen Mörtel. Die Kompensation des zuletzt genannten Effekts kann unter Umständen durch den Einsatz hochreaktiver CEM I erfolgen. Da CEM I aus Gründen der Nachhaltigkeit in naher Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch ebenfalls in geringeren Mengen verfügbar sein wird, ergibt sich durch kleinere Produktionsmengen von CEM I eine zusätzliche Einflussgröße, die es bei der Entwicklung nachhaltiger Instandsetzungsprodukte zu beachten gilt. Alle zuvor genannten Parameter werden schlussendlich dazu führen, dass Hersteller von Technischen Mörteln auf den jeweiligen Anwendungsfall des Instandsetzungsproduktes individuell abgestimmte Bindemittelkompositionen mit möglichst geringen Anteilen an Portlandzement entwickeln müssen. Inwiefern dies unter Beibehaltung der Funktionalität der Instandsetzungsmörtel und -betone möglich ist, bzw. ob dabei signifikante Reduktion des CO 2 -Äquivalents realisierbar sind, hängt von allen zuvor genannten Faktoren ab und wird sich anhand der Ergebnisse zukünftiger Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten zeigen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 357 Nachhaltigkeit Technischer Mörtel für die Instandsetzung von Bauwerken Literatur [1] DIN EN 1504-1: 2005-10 Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Güteüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 1: Definitionen; Deutsche Fassung EN 1504-1: 2005. [2] DIN EN 1504-3: 2006-03 Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 3: Statisch und nicht statisch relevante Instandsetzung; Deutsche Fassung EN 1504-3: 2005. [3] DAfStb-Richtlinie - Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie) - Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze; Teil 2: Bauprodukte und Anwendung; Teil 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung; Teil 4: Prüfverfahren. Ausgabe 2001-10. [4] Technischen Regel (DIBt) „Instandhaltung von Betonbauwerken (Mai 2020). [5] DAfStb-Richtlinie - Herstellung und Verwendung von zementgebundenem Vergussbeton und Vergussmörtel. Ausgabe 2019-07. [6] DIN EN 206-1: 2001-07 Beton - Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität; Deutsche Fassung EN 206-1: 2000. [7] DIN 1045-2: 2008-08: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1. [8] Verein Deutscher Zementwerke e.V.: Umweltproduktdeklarationen für verschiedene Zemente; verifiziert und freigegeben durch das Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU). [9] Umwelt Bundesamt: Dekarbonisierung der Zementindustrie (Stand: 10.02.2020; https: / / www.umweltbundesamt.de/ sites / default/ files/ medien/ 376/ dokumente/ factsheet_zementindustrie.pdf). [10] N. Beuntner, S. Lange, C. Thienel: Optimierung von Spritzbeton durch calcinierten Ton. Januar 2014. [11] A. Tironi, et al.: Assessment of pozzolanic activity of different calcined clays. Cement & Concrete Composites 37 (2013), S. 319-327. [12] M. Cherrak, A. Bali, K. Silhadi: Concrete mix design containing calcareous tuffs as apartial sand substitution. Construction and Building Materials 47 (2013), S.318-323. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 359 Untersuchungen zum Passivierungsverhalten von alkaliaktivierten Hüttensandbetonen Marina Licht, M. Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Durch den Austausch von Portlandzement können alkaliaktivierte Bindemittel und aus ihnen hergestellte Betone einen wesentlichen Beitrag zur Senkung der durch die Zementklinkerherstellung verursachten CO 2 -Emissionen leisten. Vor dem Aspekt der Dauerhaftigkeit weisen alkaliaktivierte Bindemittel ein hohes Potential auf, die Bauindustrie nachhaltiger zu gestalten. Zudem überzeugen sie mit insbesondere in der Bauwerkserhaltung relevanten technischen Vorteilen, wie einer erhöhten chemischen Beständigkeit sowie einem verbesserten Schutz im Brandfall. Bisher fehlen jedoch grundlegende Kenntnisse bzgl. der schützenden Wirkung von alkaliaktivierten Bindemitteln bei korrosiven Angriffen. Eine Voraussetzung für den Einsatz von alkaliaktivierten Bindemitteln in korrosionsexponierten Stahlbetonbauwerken ist die Möglichkeit des Stahls, den passiven Zustand zu erreichen. Die Prozesse der Deckschichtbildung von Stahl in alkaliaktivierten Materialien unterscheiden sich zum Teil jedoch grundlegend von denen in Portlandzementen. Vorgestellt werden die ersten Ergebnisse eines DFG-Forschungsprojektes, in dem gemeinsam mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) das Passivierungsverhalten von alkaliaktivierten Hüttensandbetonen näher untersucht wird. Begleitend zur Untersuchung des Potentialverlaufs von Stahl in Betonprobekörpern wird zu relevanten Zeitpunkten die Betonporenlösung analysiert. Die Untersuchung der Betonporenlösung stellt ein effektives Mittel dar, um das den Stahl umgebende Milieu charakterisieren zu können. Hierbei wird neben der Alkalität auch die stoffliche Zusammensetzung der Lösungen untersucht, welche wiederum Aufschlüsse über die ablaufenden Prozesse auf der Stahloberfläche liefern und zur Bewertung herangezogen werden kann. 1. Einführung Die Herstellung von Portlandzement ist durch die benötigte Brennenergie von >-1400-°C ein energieintensiver Prozess. Trotz der verbreiteten Verwendung von Kompositzementen, bei denen sukzessive der Zementklinkeranteil verringert wird, macht die Zementherstellung einen Anteil von ca. 8 % der globalen CO 2 -Emissionen aus [1,2]. Ein häufig verwendetes Kompositmaterial ist Hüttensand, ein Nebenprodukt der Stahlherstellung. Eine vollständige Substitution von Portlandzement ist aufgrund seiner latent-hydraulischen Eigenschaften nicht ohne weiteres möglich, da die Festigkeitsbildung von der Hydratation des Zementklinkers abhängt [3]. Die festigkeitsbildenden Prozesse können durch den Einsatz von alkalischen Aktivatoren jedoch gezielt angeregt werden. wodurch ein Bindemittel ohne Portlandzement realisiert werden kann [4]. Durch den Austausch von Portlandzement können alkalisch aktivierte Bindemittel (AAB) auf diese Weise wesentlich zur Senkung der globalen CO 2 - Emissionen beitragen. Trotz der vergleichbar geringen Materialmengen im Instandsetzungssektor bringen AAB hier neben ihrem geringeren CO 2 -Ausstoß auch technische Vorteile mit sich. Betone auf Basis von AAB weisen eine veränderte Porenstruktur auf und zeigten in Untersuchungen unter anderem ein besseres Brandverhalten und einen erhöhten Eindringwiderstand gegenüber Schadstoffen [5,6]. Voraussetzung für den verbreiteten Einsatz von AAB im Stahlbetonbau ist die Eigenschaft des Betons, den Stahl vor korrosiven Angriffen zu schützen. Eine grundlegende Anforderung ist die Möglichkeit des Stahls, den passiven Zustand zu erreichen. Die Eigenschaften und die Zusammensetzung der Betonporenlösung haben einen großen Einfluss auf das Verhalten des eingebetteten Bewehrungsstahls. Ein bedeutender Unterschied in den Betonporenlösungen basierend auf Portlandim Gegensatz zu Hüttensandzementen ist die dominierende Schwefelspezies. In Portlandzementen liegt größtenteils Sulfat (SO 4 2− ) vor, während Sulfide (S 2 ) lediglich in marginalen Anteilen nachgewiesen wurden [7,8]. In alkaliaktivierten Hüttensandmehlen wurden hingegen S 2- -Konzentrationen nachgewiesen, welche die SO 4 2− -Konzentrationen um ein 10-Faches übertrafen [4]. In Korrosionsversuchen mit alkaliaktivierten Hüttensandmörteln wurden freie Korrosionspotentiale von bis zu --700-mV vs. Ag/ AgCl gemessen. Trotz dieser sehr niedrigen Korrosionspotentiale wurden an den untersuchten Bewehrungsstählen keine Korrosionserscheinungen festgestellt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der hohe Anteil sich in der Porenlösung befindlichen Sulfids den vorhandenen Sauerstoff reduziert und auf diese Weise die Kathodenreaktion des Korrosionsprozesses hemmt. In näheren Untersuchungen zur Deckschichtbildung von Stahl in sulfidischem Milieu konnte beobachtet 360 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchungen zum Passivierungsverhalten von alkaliaktivierten Hüttensandbetonen werden, dass diese sich - im Gegensatz zur oxidischen Passischicht in Portlandzementen - aus Fe-S- Verbindungen bildet. [9,10,11] Um eine breite Anwendung alkaliaktivierter Hüttensandbetone zu ermöglichen, werden die Vorgänge der Deckschichtbildung und des Passivierungsverhaltens dieser vergleichsweise jungen Materialklasse näher untersucht. 2. Materialien und Methoden 2.1 Materialien Es wurden insgesamt acht verschiedene Bindemittelzusammensetzungen untersucht. Vier Mischungen sind hüttensand- und flugaschebasierte alkaliaktivierte Mörtel mit unterschiedlichen Bindemittelsowie Aktivatoranteilen. Die Bindemittelsowie Aktivatorzusammensetzungen wurden von den Forschungsprojektpartnern der BAM entwickelt. Als Referenz wurden drei Normzemente, ein CEM-I, ein CEM-III/ B sowie ein CEM-III/ C untersucht. Zusätzlich wurde ein mit Natriumsulfat (Na 2 SO 4 ) versetzter CEM-III/ C in die Versuchsmatrix aufgenommen, wodurch neben der alkalischen Anregung durch den vorhandenen, hydratisierenden Portlandzement, auch eine sulfatische Anregung erzielt wird. Die Bindemittelzusammensetzungen sind in Tab. 1 dargestellt. Die hergestellten Mörtelrezepturen wurden alle mit einem Bindemittelgehalt von 450 kg/ m³ und einem w/ b-Wert von 0,4 hergestellt. Es wurde ein Größtkorn von 4 mm gewählt. Tab. 1: Bindemittelzusammensetzungen Bezeichnung Anteile der Bindemittelzusammensetzungen Normzement Hüttensand Flugasche Na 2 SO 4 [-] [-] [-] [-] AAS 100 % 0 1 0 0 AAS 90 % 0 0,9 0,1 0 AAS 75 % 0 0,75 0,25 0 AAS 50 % 0 0,5 0,5 0 CEM I 1 0 0 0 CEM III/ B 1 0 0 0 CEM III/ C 1 0 0 0 CEM III/ C + Na 2 SO 4 0,96 0 0 0,04 2.2 Elektrochemische Untersuchungen Die Probekörper zur Untersuchung des Passivierungsverhaltens wurden im Drei-Elektroden-Auf bau hergestellt, vgl. Abb.1. Die Arbeitselektrode, ein S235- Stabstahl mit Durchmesser 8 mm ist mittig im Prüfkörper angeordnet. Der Stab wurde zuvor gesandstrahlt, um eine gleiche Ausgangsoberfläche für alle Probekörper zu erreichen. MMO-beschichtetes Titangitter ist rundherum angeordnet und fungiert als Gegenelektrode. Die Referenzelektrode sitzt in einem Abstand von 4 mm zum Stabstahl. Nach Herstellung der Probekörper wurden diese für 36 Stunden mittels feuchter Tücher und Kunststoffbeutel nachbehandelt, um ein frühzeitiges Austrocknen und Rissbildung zu verhindern. Nach 36 Stunden wurden die Kunststoffbeutel entfernt und die Probekörper ausgeschalt. Um eine gleichmäßige Sauerstoffdiffusion zur Arbeitselektrode sicherzustellen, wurden die Ober- und Unterseite des Zylinderprüfkörpers nach dem Ausschalen mit Epoxidharz versiegelt. Die Mörtelüberdeckung des Stahls beträgt somit über die abgerundete Außenfläche 31 mm. Die Prüfkörper wurden im weiteren Verlauf in Laborklima mit 20°C und ca. 40 % relative Luftfeuchte gelagert. Abb. 1: Schematische Darstellung der Probekörper im Drei-Elektroden-Auf bau Die elektrochemischen Messungen wurden mit einem Potentiostaten der Firma „Gamry Instruments“ unmittelbar nach Herstellung der Prüfkörper gestartet. Das Messregime sieht mehrmalige Messung des Ruhepotentials, die Ermittlung des Polarisationswiderstandes sowie elektrochemische Impedanzspektroskopie in täglichen Abständen vor. 2.3 Untersuchung der Porenlösung Als Ergänzung zu den elektrochemischen Versuchen wurde die Porenlösung untersucht. Basierend auf den o.g. Mörtelrezepturen wurden entsprechende Zement- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 361 Untersuchungen zum Passivierungsverhalten von alkaliaktivierten Hüttensandbetonen leimproben hergestellt. Die Proben wurden luftdicht bei Laborklima in PET-Flaschen zu je 250-ml gelagert und zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgepresst. Die Zementleimprobe wurde unmittelbar vor dem Auspressvorgang aus der PET-Flasche entfernt und in einen Hohlzylinder aus Stahl eingesetzt. Ein passgenauer Stahlstempel wurde in den Hohlkörper gelassen und mithilfe einer hydraulischen Prüfmaschine mit einer Prüfkraft von bis zu 2-MN wurde der Probekörper zusammen- und auf diese Weise die Porenlösung ausgepresst. Die entweichende Porenlösung wurde durch eine Ringnut im Hohlkörper gesammelt und durch einen Schlauch in einen Auffangbehälter geleitet. Der Behälter wurde vor der Prüfung mit Argon befüllt, um ein Eindringen von Sauerstoff zu verhindern. Abhängig von der Mischung und dem Probekörperalter konnten 10-ml - 25-ml Porenlösung aus einer Zementleimprobe gewonnen werden. Unmittelbar nach dem Auspressvorgang wurden mit entsprechenden Messelektroden der pH-Wert, die elektrische Leitfähigkeit sowie das Redoxpotential der Probe gemessen. Des Weiteren wurde die Zusammensetzung der Porenlösung, mit besonderem Fokus auf schwefelhaltige Ionen, untersucht. 3. Untersuchungsergebnisse Die Untersuchungsergebnisse lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht vor. Danksagung Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die finanzielle Förderung im Rahmen des Forschungsprojekts „Einfluss von Sulfiden und Sauerstoff auf die Bildung und Stabilität von Korrosionsschutzschichten auf Bewehrungsstahl in alkaliaktivierten Betonen“. Literatur [1] VDZ (2017): Zementindustrie im Überblick 2017/ 2018 [2] PBL Netherlands Environmental Assessment Agency: Trends in global CO 2 emissions - 2016 report [3] Tigges, V. (2009): Die Hydratation von Hüttensanden und Möglichkeiten ihrer Beeinflussung, Dissertation, TU Clausthal [4] Gruskovnjak A. (2006): Hydration of alkali-activated slag: comparison with ordinary Portland cement, Advances in Cement Research, 2006, 18, No.3, 119-128 [5] Achenbach, R.; Kraft, B.; Ludwig, H.-M.; Raupach, M. (2021) Dauerhaftigkeitseigenschaften von alternativen Bindemitteln. Beton- und Stahlbetonbau. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202100056 [6] Provis, J. L.; van Deventer, J. S. J. 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(2018): Influence of slag composition on the stability of steel in alkali-activated cementitious materials Mater. Sci. 53, 5016-5035. doi: 10.1007/ s10853-017-1919-3 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 363 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen Annette Dahlhoff, M. Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Dipl.-Ing. Bernd Winkels Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Dr.-Ing. Cynthia Morales Cruz Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Zentrische Zugversuche weisen aufgrund verschiedener Faktoren häufig hohe Standardabweichungen auf, sodass in der Vergangenheit verschiedene Versuchsauf bauten entwickelt wurden. Basierend auf den Anforderungen der ASTM C307- 18 wurde der Versuchsauf bau weiterentwickelt, um durch den Versuchsauf bau selbst bedingte Streuungen zu reduzieren und somit zuverlässige, reproduzierbare Prüfergebnisse zu erhalten. Zur Validierung des weiterentwickelten Versuchsauf baus und zur Verifizierung wurde ein optisches 3D-Messsystem eingesetzt, sowie ein auf die Prüfkörpergeometrie abgestimmter Positionieradapter zur konsistenten Positionierung der Prüfkörper entwickelt. Zudem wurde untersucht, ob der Versuchsauf bau für Materialien mit geringen Festigkeiten geeignet ist. Im weiterentwickelten Versuchsauf bau wurden drei mineralische Baustoffe mit Zugfestigkeiten im Bereich von 0,4 bis 5,9-N/ mm² untersucht. Für die niedrigfesten mineralischen Baustoffe konnten Zugfestigkeitsprüfungen durchgeführt und Empfehlungen für die Prüfparameter Prüfgeschwindigkeit, Vorspannung und erforderliche Prüfkörperanzahl entwickelt werden. 1. Einführung Das Zugtrag- und Verformungsverhalten von mineralischen Baustoffen kann z. B. für die Bewertung von Rissen bei Bauwerksbewegungen infolge thermischer Ausdehnung entscheidend sein. Es gibt direkte und indirekte Prüfungen zur Ermittlung der Zugfestigkeit von Baustoffen, vgl. [1, 2]. Die Versuchsauf bauten unterscheiden sich dabei in der Art der Lasteinleitung. Nach [3] lassen sich die in [4] vorgestellten Prüfverfahren zur Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit in vier Untergruppen einteilen: • Lasteinleitung durch Formschluss mit Prüfkörpern angepasster Geometrie; • Lasteinleitung über in den Prüfkörper eingebettete Stahlstäbe; • Seitliche Lasteinleitung mit konstantem oder variablem Anpressdruck; • Lasteinleitung über aufgeklebte Stahlstempel. Die genannten Gruppen möglicher Lasteinleitungen und die Prüfkörpergeometrie für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit sind beispielhaft in Abb. 1 in Anlehnung an [4] dargestellt. Je nach Versuchsauf bau können z.- B. Axialversuche durch entstehende Exzentrizitäten bei der Prüfung beeinflusst werden, wodurch es zu einer inhomogenen Spannungsverteilung über den Querschnitt und damit zu großen Streuungen kommen kann. Exzentrizitäten können beispielsweise aus einer Schiefstellung der Stahlstempel durch unsachgemäßes Schleifen oder Kleben entstehen, vgl. [1]. Zudem sind Prüfungen bei hohen Temperaturen nur mit speziellen Klebstoffen durchführbar. Abb. 1: Experimentelle Versuchsauf bauten der zentrischen Zugprüfung in Anlehnung an [4]. 364 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen (a) (b) Abb. 2: Zentrische Zugfestigkeit nach ASTM C307-18 [5]. (a) Brikettprüfkörper (technische Zeichnung); (b) C-Typ Klemme beidseitig gelenkig in die Prüfmaschine mit Prüfkörper eingebaut. Ein großer Nachteil der mechanischen Lasteinleitung mittels konstantem oder variablem Anpressdruck ist die Spannungsverteilung an den Übergangszonen, die zu einem vorzeitigen Versagen in diesen Zonen und damit zu hohen Standardabweichungen der Zugfestigkeit führen kann [2, 4]. Der vergleichsweise hohe Prüfaufwand bei den aus der Literatur bekannten Prüfverfahren [1-4, 6] und die fehleranfällige zentrische Lasteinbringung kann zu ungenauen und nicht repräsentativen Zugfestigkeitswerten einhergehend mit hohen Standardabweichungen und einer geringen Reproduzierbarkeit führen. Zusätzlich zu dem in [3, 4] erwähnten Versuchsaufbauten werden brikettförmige Prüfkörper nach ASTM C307-18 [5] zur Bestimmung der zentrischen Zugfestigkeit verwendet, vgl. Abb. 2a. In ASTM C307-18 [5] werden die Prüfkörper mit Hilfe von Klemmen zentrisch gezogen. Der Versuchsaufbau, insbesondere die in Abb. 2b gezeigte Klemme, im Folgenden als C-Typ bezeichnet, wurde u.-a. von [1, 2, 7] verwendet. Das Prüfverfahren wurde in Ringversuchen verifiziert, die von sechs verschiedenen Prüflaboren durchgeführt wurden [8]. Die Labore führten 3 Versuchsreihen mit jeweils 6 Einzelversuchen an einem chemikalienbeständigen Mörtel mit einer Zugfestigkeit von etwa 14,6-N/ mm² mit einem Variationskoeffizient von rd. 7-% [8] durch. Das Prüfverfahren wurde durch die Auswertung der Wiederholbarkeit und Reproduzierbarkeit validiert. Nach ASTM C307-18 [5] müssen mindestens 6 Brikettprüfkörper für jedes Material lagegeregelt mit einer Belastungsgeschwindigkeit von 5 bis 6,4-mm/ min bei einer Temperatur von 23-±-2-°C geprüft werden. Die Zugfestigkeit S wird nach Gleichung (1) durch Division der Last P zum Zeitpunkt des Risses oder Bruches durch die Querschnittsfläche berechnet: S = P/ (b∙d) (1) mit: S = Zugfestigkeit in der Mitte des Brikettprüfkörpers [N/ mm²], P = Kraft zum Zeitpunkt des Versagens [N], b = Breite in der Mitte des Brikettprüfkörpers [mm], d = Tiefe des Brikettprüfkörpers [mm]. Der Versuchsaufbau wurde bereits in vielen Anwendungsbereichen verwendet und weiterentwickelt. So nutzten [7, 9] den Versuchsaufbau, um den Einfluss des Sulfatangriffs auf verschiedene Bindemittel in Abhängigkeit unterschiedlicher Lagerungsbedingungen zu untersuchen. Der Versuchsaufbau nach ASTM C307-18 [5] wurde ebenso von [10] verwendet, um das temperaturabhängige Verhalten von Polymerklebstoffen bei Temperaturen bis zu 200°C zu charakterisieren. In weiteren Untersuchungen verwendete [11] den Versuchsaufbau , um die Zugfestigkeit einer mit anorganischen Mikrofasern verstärkten Zementschlämme zu bestimmen. Um den Einfluss der Prüfkörpergeometrie zu bestimmen, wurden in [1] brikettförmige Prüfkörper, Zylinder und eine auf Stahlstempel geklebte Freiform untersucht. In [1, 6] wurden die Abmessungen der brikettförmigen Prüfkörper sowie die für die Prüfung verwendeten Klemmen um den Faktor drei vergrößert. Darüber hinaus wurde die äußere Form der Klemmen rechteckig gestaltet. Mit den hochskalierten brikettförmigen Prüfkörpern und dem modifizierten Versuchsaufbau wurden Zugfestigkeitswerte mit Variationskoeffizienten von maximal 10--% erreicht [1]. Zusammenfassend wurden am Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University verschiedene Versuche mit dem C-Typ nach ASTM C307-18 [5] von [1, 3, 4, 6, 7, 9] durchgeführt. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 365 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen In eigenen Vorversuchen an einem Instandsetzungsmörtel (RM-A4) mit dem C-Typ-Versuchsaufbau wurde eine vergleichsweise hohe Standardabweichung mit einem Variationskoeffizienten von 16,4-% ermittelt. Die Verformungen wurden mit dem optischen 3D-Messsystem ARAMIS ® der Carl Zeiss GOM Metrology GmbH erfasst und die Verformungsanalyse mit der GOM Correlate Pro Software durchgeführt. Die Auswertung der Verformungen während des Versuchs ergaben Verschiebungen und Verdrehungen der Prüfkörper in den drei Dimensionen. Grundsätzlich ist eine Torsion der Prüfkörper zulässig, sollte aber ab einem bestimmten Belastungsniveau vor Erreichen der Maximallast beendet sein, damit die Zugspannungen in der Mitte der Brikettprüfkörper gleichmäßig senkrecht zur Ebene ausgerichtet sind. Setzt sich die Torsionsbewegung bis zum Bruch fort, muss von einer ungleichmäßigen Spannungsverteilung ausgegangen werden. Die Vorversuche zeigten, dass eine minimale Positionsänderung von 0,1-mm zu einer Verringerung der Verformungsdifferenzen um etwa 39-% führt. Darauf basierend wurden Zugversuche durchgeführt, um die nicht werkstoffspezifischen Abweichungen der Prüfergebnisse zu reduzieren. Im Rahmen der Untersuchungen wurde z.-B. die Positionierung der Prüfkörper sowie die Befestigung der Klemmen variiert. Basierend auf dem Versuchsaufbau der ASTM C307-18 [5] wurde dieser weiterentwickelt, um zuverlässige, reproduzierbare Prüfergebnisse mit geringerer Standardabweichung zu erhalten. Darüber hinaus wurde durch die Anwendung des „Setup Testing Tool“ in der optischen 3D-Messsoftware eine gleiche Ausgangsposition für jeden Test erreicht. Dieses Tool erlaubt es, die Position der Prüfkörper manuell über Live-Messungen auf der Oberfläche eines eigens entwickelten Positionieradapters zu variieren und einzustellen. In dem weiterentwickelten Versuchsaufbau wurden Zugfestigkeitsprüfungen nach ASTM C307-18 [5] an drei verschiedenen mineralischen Werkstoffen mit unterschiedlichen Zugfestigkeitseigenschaften im Bereich von 0,4 bis 5,9-N/ mm² durchgeführt und Werte für die Prüfparameter wie Prüfgeschwindigkeit, Vorspannung und die empfohlene Prüfkörperanzahl einer Prüfserie abgeleitet. Die Anzahl der Prüfkörper wurde so festgelegt, dass mit einer möglichst geringen Anzahl von Prüfkörper repräsentative Ergebnisse erzielt werden. 2. Methoden und Materialien 2.1 Experimenteller Versuchsaufbau und Vorversuche In Vorversuchen wurde der C-Typ-Versuchsaufbau nach ASTM C307-18 [5] zur Bestimmung der zentrischen Zugfestigkeit eines Reparaturmörtels RM-A4 nach [12] verwendet. Die Versuche wurden in einer Universalprüfmaschine Zwick ZMART.Pro mit einer 10-kN Kraftmessdose durchgeführt. Zur Optimierung des Versuchsaufbaus wurden Versuche an einem brikettförmigen Stahlprüfkörper, welcher aus 42CrMo4-Stahl entsprechend der Geometrie in Abb. 2a gefräst wurde, durchgeführt. Der Stahlprüfkörper wurde wiederholend mit einer konstanten Laststeigerungsrate von 5-mm/ min bis zu einer Last von rd. 8-kN belastet und wieder entlastet. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Vorversuche wurde die Geometrie der Klemmen in [5] in Anlehnung an [1] modifiziert. Der modifizierte Versuchsaufbau wird im Folgenden als U-Typ bezeichnet. Um die Verformung in x- und y- Richtung weiter zu verhindern, wurden seitliche Schienen in die Klemme integriert. Anschließend wurde die Montage des Prüfkörpers mit dem entwickelten Positionieradapter (PA) unter Variation der Positionen des Prüfkörpers optimiert. Die gewählte Position wurde in weiteren Versuchen verifiziert. Tab. 1: Überblick der Versuche zur Optimierung des Versuchsaufbaus Versuchsaufbau Parameter Material Versuchsanzahl C-Typ Referenzversuche Mörtel RM-A4 6 Obere Klemme fest & gelenkig Stahl 5 U-Typ Obere Klemme fest & untere gelenkig Stahl 15 Untere & obere Klemme fest + seitliche Schienen 17 Untersuchung der Reibung: Drehmoment der Schrauben an seitlichen Führungsschienen von 1-bis 10-Nm (obere und untere Befestigung) Stahl 20 U-Typ mit PA Variation der Prüfkörperposition Stahl 22 Validierung finaler Versuchsauf bau & Position Stahl 10 2.2 Auswertungsmethodik Die Auswertung der experimentellen Versuche wurde mit dem optischen 3D-Messsystem ARAMIS ® durchgeführt. Weitere Angaben zur optischen Verformungsanalyse und Kalibrierung sind [13] zu entnehmen. Für die Auswertung wurde auf der Messfläche jedes Prüfkörpers eine Oberflächenkomponente definiert und darin vier Oberflächenpunkte gesetzt, vgl. Abb. 3. Mithilfe der Oberflächenpunkte wurde die Verschiebung und Verdrehung jedes Prüfkörpers aufgezeichnet sowie die Differenz der Verschiebungen der Punkte in x-, y- und z-Richtung bei 1/ 3 der maximalen Zugkraft berechnet. Für die Verschiebung in x-Richtung wurden die Punkte 1 und 2 und für die Verschiebung in y-Richtung die Punkte 3 und 4 verwendet. Die Differenz zwischen der minimalen und maximalen Verschiebung der Punkte 1-4 wurde zur Berechnung der Verschiebung auf der z-Achse verwendet. Angestrebt wurde das Ziel, dass alle Prüfkörper vor der Prüfung mit Hilfe eines Adapters in die gleiche Ausgangsposition ge- 366 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen bracht werden. Zu diesem Zweck wurde ein Positionieradapter (PA) entwickelt und gedruckt, vgl. Abb. 3b. Die Tiefe und die Oberflächenform des PA wurden so angepasst, dass der Adapter entfernt werden kann, ohne die Position der Prüfkörper zu verändern. Auf den Adapter wurden insgesamt 8 Punktmarkierungen geklebt, die eine Live- Messung in der optischen 3D-Messsoftware ermöglichten. (a) (b) (c) Abb. 3: Positionieradapter (PA): (a) Koordinatensystem und Position der Oberflächenpunkte der optischen 3D- Verformungsanalyse; (b) schematische 3D-Zeichnung des PA; (c) Prüfkörper und PA im Versuchsauf bau mit exemplarischen Werten der Verschiebungen des Prüfkörpers bezogen auf das Koordinatensystem. Mithilfe der Live-Messung kann die Verschiebung der Prüfkörperposition visualisiert werden, vgl. Abb. 3c. Dies ist möglich durch die Erstellung eines optomechanischen, selbst definierten Adapters in der optischen 3D- Messsoftware [14] anhand der 8 Punktmarker. Für die obere und die feste untere Klemme wurde ein lokales Koordinatensystem auf der Grundlage von Punktmarkierungen an den Klemmen definiert. 2.3 Materialien Für die experimentellen Untersuchungen wurden die folgenden drei Baustoffe mit unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften ausgewählt: Instandsetzungsmörtel (RM-A4), Verfugmörtel (PM21) sowie Porenbeton (AAC2-350). Die Zugfestigkeitswerte der verwendeten Baustoffe liegen im Bereich von 0,4 bis 5,9-N/ mm², was einer Ausnutzung von 2,6-% bis 39-% der 10-kN-Kraftmessdose der verwendeten Prüfmaschine entspricht. Abb.-4 zeigt exemplarisch jeweils einen brikettförmigen Prüfkörper der verwendeten Materialien. Materialeigenschaften sowie weitere Angaben zur Herstellung sind in [13] näher beschrieben. Die Prüfparameter der untersuchten Materialien sind in Tab. 2 zusammengefasst. Abb. 4: Brikettprüfkörper der drei untersuchten Materialien: (1) RM-A4, (2) PM21, (3) ACC2-350 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 367 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen Tab. 2: Prüfparameter der Zugversuche der drei untersuchten Materialien Material Prüfserie Prüfparameter Anzahl an Prüfungen Vorlast Prüfgeschwindigkeit [N] [mm/ min] RM-A4 Vorlast 0/ 100/ 200 5 9 Prüfgeschwindigkeit 200 0,1/ 0,6/ 2 Prüf-körper-anzahl 200 0,6 18 PM21 Vorlast 40/ 80/ 100 0,6 9 Prüfgeschwindigkeit 80 0,3/ 1/ 2 Prüfkörperanzahl 80 0,6 15 AAC2- 350 Vorlast 0/ 15/ 25 0,4 9 Prüfgeschwindigkeit 25 0,7/ 1/ 3 Prüf-körper-anzahl 25 0,6 18 Für die Zugversuche wurde der U-Typ-Versuchsaufbau verwendet und die brikettförmigen Prüfkörper mit Hilfe des PA und des Software Tools in der optischen 3D- Messsoftware in der definierten Position installiert, wie in Abschnitt 2.2 beschrieben. Zur Auswertung der Zugversuche wurden die Verformungen der Prüfkörper in x-, y- und z-Achse ebenfalls mittels optischer 3D-Messung erfasst. Nach der Prüfung wurden die Verformungen definierter Oberflächenpunkte bei einer Last von 1/ 3 der Zugfestigkeit ausgewertet und mit den Verformungen im Ausgangszustand bei Beginn der Lasteinleitung verglichen. Die Versuchsergebnisse wurden hinsichtlich der berechneten Mittelwerte und Standardabweichungen der Verformungsdifferenzen in x-, y- und z-Achse ausgewertet. Anschließend wurden die empfohlene Vorlast und Prüfgeschwindigkeit festgelegt. Um die erforderliche Anzahl von Prüfkörper der verwendeten Materialien abzuleiten, wurden die Prüfergebnisse statistisch ausgewertet. Zunächst wurde überprüft, ob die Zugfestigkeitswerte für jede Versuchsreihe normalverteilt sind. Dazu wurden die parametrischen Tests nach Kolmogorov-Smirnov und Shapiro-Wilk, wie sie z.-B. in [15] angegeben sind, angewendet. Die Erwartungswerte der Zugfestigkeit wurden für jede Versuchsreihe ermittelt. Für ein Konfidenzintervall von 95-% wurde die erforderliche Anzahl von Prüfkörper n einer Versuchsreihe gemäß [16] unter Verwendung von Gleichung (2) mit der Gesamtzahl der Prüfkörper N, dem in [16] für die Normalverteilung angegebenen konstanten Faktor z = 1,96 und der Standardabweichung s berechnet. (2) mit: n = erforderliche Prüfkörperanzahl, N = Gesamtanzahl der durchgeführten Prüfungen, s = Standardabweichung der Zugversuche, x mean = Mittelwert der Zugversuche. 3. Ergebnisse 3.1 Weiterentwickelte Versuchseinrichtung In den Vorversuchen mit RM-A4 und einer zwischen 0 und 100- N variierenden Vorspannung konnte für diese Versuchsreihe eine mittlere Zugfestigkeit von 5,2-N/ mm² mit einer Standardabweichung von 0,86-N/ mm² und einem Variationskoeffizienten von 16,4-% ermittelt werden. Die weiteren Versuche wurden mit dem brikettförmigen Stahlprüfkörper durchgeführt. Mit dem C-Typ-Versuchsauf bau wurde in y-Richtung eine durchschnittliche Verschiebungsdifferenz von rd. 0,13-mm festgestellt. In der z-Achse wurde eine durchschnittliche Kippbewegung von 0,07-mm mit Einzelwerten von bis zu 0,24-mm ermittelt. Die Verformungsdifferenzen der Vorversuche am RM-A4 sind zusammenfassend in Tab. 3 dargestellt. Zur Weiterentwicklung des Versuchsauf baus wurde der C-Typ-Versuchsauf bau in Anlehnung an [1, 2, 5] modifiziert. In Anlehnung an [2] wurde eine rechteckige äußere Klemmengeometrie gewählt, vgl. Abb. 5a. Die inneren Abmessungen wurden nicht angepasst und entsprechen der ASTM C307-18 [5]. Diese neue Klemme wurde aus 42CrMo4-Stahl auf einer CNC-Fräsmaschine hergestellt. Zusätzlich wurden seitliche Führungsschlitze eingefräst und Schienen aus 42CrMo4-Stahl angebracht, vgl. Abb. 5b, die entweder an der oberen oder an der unteren Klemme befestigt werden können. Ziel war es, durch die seitlichen Führungen eine Verschiebung der Klemmen in y- und z-Achse zu verhindern und einen zentrischen Zug in x-Achse zu ermöglichen. Die untere Klemme ist dagegen fest gelagert. Der weiterentwickelte Versuchsauf bau ist in Abb. 5c dargestellt. Zusammenfassend sind in Tab. 3 die Verformungsdifferenzen der Versuche zur Weiterentwicklung der Klemmen, d.-h. mit Stahlprüfkörper, dargestellt. Mit den durchgeführten Modifikationen konnte. 368 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen (a) (b) (c) Abb. 5: U-Typ: (a) schematische 3D-Zeichnung der oberen Klemme; (b) Seitliche Führungsschienen; (c) weiterentwickelter C-Typ-Versuchsauf bau Tab. 3: Verformungen des Stahlprüfkörpers bei einer Zugfestigkeit von 6-N/ mm² Typ Beschreibung ∆ x Δy Δz MW SD MW SD MW SD C Basis System [5] Wert [mm] 0,127 0,074 0,131 0,069 0,071 0,083 U Seitliche Führung unten fixiert Wert [mm] 0,009 0,007 0,009 0,007 0,029 0,013 Seitliche Führung oben fixiert Wert [mm] 0,023 0,016 0,023 0,016 0,020 0,008 Gelenkige obere Klemme Wert [mm] 0,044 0,042 0,044 0,042 0,020 0,015 Finaler Versuchsaufbau Wert [mm] 0,009 0,008 0,009 0,007 0,022 0,007 Verbesserung [%] 1) 92,9 91,7 85,7 92,5 94,5 95,3 MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung 1) Prozentuale Verringerung der Verformungsdifferenzen im Vergleich zum C-Typ. (a) (b) 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 369 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen (c) Abb. 6: Optische 3D-Verformungsanalyse des C-& U-Typs bei 6-kN: (a) x-Achse Verformung; (b) y-Achse Verformung; (c) z-Achse Verformung. Zur Veranschaulichung der Verformungsdifferenzen zwischen den Typen C und U ist in Abb. 6 die mit der digitalen Bildkorrelation ermittelte Verformungsauswertung der Stahlprüfkörper dargestellt. Mit dem U-Typ-Versuchsauf bau wurde eine optimale Position des Prüfkörpers für die Prüfung untersucht. Dazu wurde das in Abschnitt 2.1 vorgestellte PA verwendet und die Position der brikettförmigen Stahlprüfkörper variiert. Die Positionsänderung in Bezug auf das Soll-Koordinatensystem wurde über die Exporte im Setup Testing Tool untersucht und die Auswirkung der Positionsänderung über die Verformung der Sollpunkte in der Messsoftware bewertet. Die erfolgten Modifikationen an dem Versuchsauf bau in Kombination mit der optimalen Positionierung der Prüfkörper führten zu einer Verringerung der Verformungsdifferenzen und der entsprechenden Standardabweichungen um bis zu rd. 95-%, was zu einer gleichmäßigeren Spannungsverteilung im Querschnitt führt, vgl. Tab. 3. 3.2 Zentrische Zugversuche An den drei untersuchten Materialien wurden Zugversuche im neuen U-Typ-Versuchsauf bau durchgeführt und mithilfe der optischen 3D-Messsoftware ausgewertet. Es wurde eine Empfehlung für vergleichbare Materialien hinsichtlich Vorlast, Prüfgeschwindigkeit und der statistisch erforderlichen Anzahl der Prüfkörper in einer Prüfserie entwickelt. Instandsetzungsmörtel RM-A4 Für den Instandsetzungsmörtel wurden bei der Versuchsserie mit variierenden Vorlasten die konstantesten Ergebnisse für eine Vorlast von 200-N mit einer Prüfgeschwindigkeit von 5-mm/ min erzielt. Dabei wurde erwartungsgemäß die größte Verformung im Traversenweg bei den Versuchen ohne Vorlast beobachtet. Dies lässt sich dadurch erklären, dass erst eine Vorlast zum Setzen der Prüfkörper führt. Bei der Auswertung der Prüfkörperverformung ist nur eine geringe Abweichung in x- und y-Richtung bei allen Vorlaststufen zu erkennen. Die geringste Verdrehung der Prüfkörper um die z-Achse wurde bei einer Vorlast von 200-N beobachtet, siehe Tab. 4. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Verformung wurde für die Versuchsserie mit variierenden Prüfgeschwindigkeiten eine Vorlast von 200-N gewählt. Tab. 4: Ergebnisse der Versuchsreihe RM-A4 mit Spezifikation der Vorlast, der Prüfgeschwindigkeit und der Prüfkörperanzahl Serie Variierter Parameter Anzahl der Prüfungen Zugfestigkeit Traversenweg Verformungsdifferenz Δx Δy Δz MW SD MW SD MW SD MW SD MW SD [N/ mm²] [mm] [mm] [mm] [mm] Vorlast 1) 0 N 3 5,47 0,45 0,79 0,10 0,007 0,008 0,008 0,009 0,041 0,004 100 N 3 6,15 0,17 0,68 0,02 0,008 0,006 0,007 0,007 0,008 0,004 200 N 3 5,91 0,23 0,61 0,02 0,007 0,003 0,008 0,002 0,005 0,003 Prüfgeschwindigkeit 2) 0,1 mm/ min 3 5,14 0,15 0,55 0,01 0,011 0,000 0,010 0,000 0,002 0,002 0,6 mm/ min 3 5,45 0,13 0,58 0,03 0,003 0,001 0,003 0,001 0,008 0,011 2 mm/ min 3 5,41 0,24 0,59 0,02 0,004 0,003 0,005 0,002 0,021 0,009 Finale Parameter, Prüfanzahl 200-N, 0,6 mm/ min 18 5,89 0,32 0,63 0,03 - - - - - - MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung 1) Prüfgeschwindigkeit 5 mm/ min 2) Vorlast 200 N 370 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen Je niedriger die Prüfgeschwindigkeit ist, desto geringer ist die Standardabweichung der Zugspannung. Zudem ist die Verformung der Prüfkörper bei einer Prüfgeschwindigkeit von 0,1-mm/ min am höchsten, und führt aufgrund der niedrigen Geschwindigkeit im Mörtel zu Kriecheffekten. Um dies zu verhindern, wurde die angestrebte Prüfzeit, wie in [17] empfohlen, auf ca. 1-min festgelegt. Daraus resultiert die Wahl einer Prüfgeschwindigkeit von 0,6-mm/ min, basierend auf den Ergebnissen der Traversenverschiebung. Die mittlere Zugfestigkeit dieser Versuchsreihe betrug 5,89-N/ mm² mit einer Standardabweichung von 0,32-N/ mm² und einem Variationskoeffizienten von 5,4-%. Aus Gleichung (2) ergibt sich eine empfohlene Anzahl von 4 Prüfkörpern pro Versuchsreihe. Für den RM-A4 wurde ein Verhältnis zwischen Zug- und Druckfestigkeit von 9-% ermittelt. Das Verhältnis wurde durch die Bestimmung der Druckfestigkeit an Standardprismen nach [18] und dem Mittelwert der Zugversuche berechnet. Verfugmörtel PM21 Beim Verfugmörtel PM21 wurden in der ersten Versuchsserie mit Variation der Vorlast bei einer konstanten Prüfgeschwindigkeit von 0,6-mm/ min unabhängig von der aufgebrachten Vorspannung mittlere Zugfestigkeitswerte von 1,47 bis 1,49-N/ mm² erreicht, vgl. Tab. 5. Der während der Zugversuche aufgezeichnete maximale Traversenweg nimmt erwartungsgemäß mit zunehmender Vorspannung leicht ab. Die geringsten Verformungsdifferenzen wurden bei einer Vorlast von 80-N ermittelt, sodass diese Vorlast für die Versuchsreihe mit konstanter Geschwindigkeit festgelegt wurde, vgl. Tab. 5. Die vergleichsweise langsame Prüfgeschwindigkeit von 0,1-mm/ min, die zunächst für den RM-A4 gewählt wurde und die zu Kriecheffekten während des Zugversuchs führen kann, wurde für den PM21 nicht untersucht. Stattdessen wurde die Prüfgeschwindigkeit gegenüber dem RM- A4 auf 0,3 bzw. 1-mm/ min erhöht. Die mit diesen Prüfgeschwindigkeiten erzielten Zugfestigkeitswerte sind mit 1,47 und 1,48-N/ mm² als identisch anzusehen. Der aufgezeichnete maximale mittlere Traversenweg ist mit 0,53-mm ebenfalls identisch. Eine Prüfgeschwindigkeit von 2-mm/ min, die als obere Grenze der Prüfgeschwindigkeit gewählt wurde, führte zu einer höheren maximalen Zugfestigkeit von 1,54-N/ mm² bei einem geringeren maximalen Traversenweg von 0,50-mm, vgl. RM-A4. Da die berechneten Verformungswerte für die gewählten Prüfgeschwindigkeiten von 0,3-mm/ min und 2-mm/ min nahezu identisch sind, scheint die Verformung kein zuverlässiges Kriterium für die Wahl einer geeigneten Prüfgeschwindigkeit für den PM21 zu sein. Wichtiger für die Durchführung der Zugversuche war eine geeignete Prüfdauer, vgl. RM-A4. Zu diesem Zweck wurde die angestrebte Prüfdauer für den PM21 ebenfalls auf ca. 1-min festgelegt. Im Hinblick auf den beobachteten Traversenweg wurde die Prüfgeschwindigkeit für die Versuchsserie „Anzahl der Prüfkörper“ zunächst auf 0,55-mm/ min festgelegt. Die für diese Versuchsserie verwendeten Prüfkörper stammten aus einer anderen Mörtelcharge als die in den ersten beiden Serien geprüften Prüfkörper und wiesen eine geringere Festigkeit einhergehend mit höheren Verformungen auf. Aus diesem Grund wurden die Prüfparameter zunächst auf 80-N und 0,6-mm/ min angepasst. Die mittlere Zugfestigkeit dieser Versuchsreihe betrug 1,40-N/ mm² mit einer Standardabweichung von 0,14-N/ mm² und einem Variationskoeffizienten von 9,6-%. Bei einem Signifikanzniveau von 5-% ( α = 0,05) ergibt sich aus Gleichung (2) eine empfohlene Prüfkörperanzahl von 8. Tab. 5: Ergebnisse der Versuchsreihe PM21 mit Spezifikation der Vorlast, der Prüfgeschwindigkeit und der Prüfkörperanzahl Serie Variierter Parameter Anzahl der Prüfungen Zugfestigkeit Traversenweg Verformungsdifferenz ∆ x ∆ y ∆ z MW SD MW SD MW SD MW SD MW SD [N/ mm²] [mm] [mm] [mm] [mm] Vorlast 1) 40 N 3 1,49 0,10 0,57 0,05 0,003 0,002 0,003 0,002 0,010 0,003 80 N 3 1,48 0,07 0,55 0,05 0,003 0,001 0,003 0,001 0,006 0,004 100 N 3 1,47 0,13 0,48 0,08 0,005 0,002 0,004 0,002 0,009 0,004 Prüfgeschwindigkeit 2) 0,3 mm/ min 3 1,47 0,03 0,53 0,03 0,005 0,003 0,005 0,003 0,005 0,002 1 mm/ min 3 1,48 0,07 0,53 0,10 0,007 0,001 0,007 0,001 0,010 0,001 2 mm/ min 3 1,54 0,02 0,50 0,02 0,004 0,003 0,005 0,002 0,006 0,003 Finale Parameter, Prüfanzahl 80-N, 0,6 mm/ min 15 1,40 0,14 0,66 0,13 - - - - - - MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung 1) Prüfgeschwindigkeit 0,6-mm/ min 2) Vorlast 80-N 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 371 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen Porenbeton AAC2-350 Die Zugfestigkeit des AAC2-350 liegt insgesamt zwischen 0,37 und 0,43-N/ mm² mit einer Standardabweichung von 0,00 bis 0,04-N/ mm², siehe Tab. 6. Zur Bestimmung der optimalen Vorlast wurde diese zwischen 0 und 25-N, was max. rd. 9-% der erzielten Zugfestigkeit entspricht, variiert. Erwartungsgemäß führten die Versuche ohne Vorlast zum größten Traversenweg, aber im Gegenteil auch zur höchsten Zugfestigkeit und zur geringsten Standardabweichung aller Vorlaststufen. Die Vorlast von 15-N führte zu einem sehr kleinen Mittelwert und einer sehr kleinen Standardabweichung der erhaltenen Verformungsdifferenzen, was bedeutet, dass bei diesen Versuchen fast keine Torsion der Prüf körper zu beobachten war. Die dritte Vorlaststufe mit 25-N zeigte im Gegensatz zu den anderen Vorlaststufen eine konstante Anfangssteigung aller drei Kraft-Weg-Kurven, weshalb diese Last für die Versuchsreihe gewählt wurde, obwohl die Verdrehung der Prüf körper höher war als bei der Vorlast von 15-N. Die Prüfgeschwindigkeit wurde zwischen 0,7 und 3- mm/ min variiert. Die geringsten Verformungsdifferenzen in x- und y-Richtung wurden bei einer Prüfgeschwindigkeit von 0,7-mm/ min ermittelt, während die Prüf körper in z-Richtung kippten, vgl. Tab. 6. Die kleinsten Verformungsdifferenzen in z-Richtung wurden bei einer Prüfgeschwindigkeit von 3-mm/ min erzielt. Wie bereits für RM-A4 und PM21 beschrieben, scheint jedoch die Prüfdauer ein zuverlässigeres Kriterium für die Wahl einer geeigneten Prüfgeschwindigkeit zu sein als die erzielten Verformungsdifferenzen. Deshalb wurde auf der Grundlage des Traversenwegs eine Prüfgeschwindigkeit von 0,6-mm/ min mit einer Vorlast von 25-N gewählt, um die Anzahl der für den AAC2-350 erforderlichen Prüf körper zu untersuchen. Die mittlere Zugfestigkeit dieser Versuchsreihe betrug 0,43-N/ mm² mit einer Standardabweichung von 0,04-N/ mm² und einem Variationskoeffizienten von 8,9- %. Nach Gleichung (2) kann eine empfohlene Prüf körperanzahl von 8 festgelegt werden. Vergleich der Materialien Die Zugversuche am RM-A4, PM21 und AAC2-350 wurden mit dem weiterentwickelten U-Typ-Versuchsauf bau mit der Positionierung durchgeführt. Für die untersuchten Materialien konnten Referenzwerte für die optimale Vorlast bzw. Vorlastspannung, Prüfgeschwindigkeit sowie empfohlene Prüfkörperanzahl ermittelt werden, siehe Tab. 7. Die Vorlastspannung wurde zudem in Abhängigkeit von der erreichten Zugfestigkeit angegeben. Je geringer die Festigkeit, desto geringer die aufgebrachte bezogene Vorlastspannung. Die Prüfgeschwindigkeit wurde für alle Materialien gleich gewählt. Die Auswahl der Prüfgeschwindigkeit erfolgte in Abhängigkeit von der Prüfzeit und dem Traversenweg. Im Vergleich lässt sich feststellen, dass der Traversenweg der Materialien trotz unterschiedlicher Zugfestigkeitswerte nahezu identisch ist. Für die Materialien konnten die Zugfestigkeiten mit einer geringen Standardabweichung und einem geringen Variationskoeffizienten bestimmt werden. Der höchste Variationskoeffizient im Vergleich zeigt sich bei der Versuchsreihe von PM21. Dies ist auf das unterschiedliche Korngefüge im Mörtel zurückzuführen. Die Verteilung der Gesteinskörnung ist bei jedem Prüfkörper unterschiedlich und kann die Zugfestigkeit beeinflussen. Im Vergleich zur Druckfestigkeit kann für den RM-A4 ein Druckzu Zugfestigkeitsverhältnis von 9-% ermittelt werden, während der ACC2-350 ein Verhältnis von 15-% und der PM21 ein Verhältnis von 21-% aufweisen. Bei dem RM-A4 mit einem Variationskoeffizienten von etwa 5 % konnte die Anzahl der Prüfkörper im Vergleich zur ASTM C307-18 [5] auf 4 Prüfkörper pro Serie reduziert werden. Tab. 6: Ergebnisse der Versuchsreihe AAC2-350 mit Spezifikation der Vorlast, der Prüfgeschwindigkeit und der Prüfkörperanzahl Serie Variierter Parameter Anzahl der Prüfungen Zugfestigkeit Traversenweg Verformungsdifferenz ∆ x ∆y ∆z MW SD MW SD MW SD MW SD MW SD [N/ mm²] [mm] [mm] [mm] [mm] Vorlast 1) 0 N 3 0,42 0,01 0,90 0,03 0,159 0,244 0,026 0,020 0,063 0,027 15 N 3 0,39 0,04 0,43 0,18 0,000 0,001 0,000 0,001 0,004 0,002 25 N 3 0,39 0,04 0,72 0,15 0,009 0,004 0,009 0,003 0,016 0,011 Prüfgeschwindigkeit 2) 0,7 mm/ min 3 0,40 0,01 0,66 0,07 0,005 0,005 0,004 0,003 0,035 0,015 1 mm/ min 2 0,41 0,03 0,69 0,10 0,007 0,006 0,008 0,006 0,034 0,024 3 mm/ min 3 0,37 0,00 0,62 0,06 0,007 0,003 0,008 0,003 0,017 0,006 Finale Parameter, Prüfanzahl 25-N, 0,6 mm/ min 18 0,43 0,04 0,68 0,15 - - - - - - MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung 1) Prüfgeschwindigkeit 0,4-mm/ min 2) Vorlast 25-N 372 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen Bei einem Variationskoeffizienten von bis zu 10 % sollte jedoch eine Anzahl von 8 Prüfkörper für mineralische Baustoffe gewählt werden. Tab. 7: Vergleich der Prüfparameter der untersuchten Materialien Material Vorlast ß P Prüfgeschwindigkeit Prüfkörperanzahl Mittlerer Traversenweg [N/ mm²] [mm/ min] [-] [mm] RM-A4 0,31 0,6 4 0,63 PM21 0,12 0,6 8 0,66 ACC2-350 0,04 0,6 8 0,68 Tab. 8: Vergleich der Zug- und Druckfestigkeit der untersuchten Materialien Material Zugfestigkeit ß Z ß P / ß Z 1) Druckfestigkeit ß D ß Z / ß D 2) MW SD VK MW MW [N/ mm²] [-%] [N/ mm²] [-%] RM-A4 5,89 0,32 5,4 5,3 67,8 9 PM21 1,40 0,14 9,6 8,5 6,5 21 ACC2-350 0,43 0,04 8,9 9,3 2,9 15 MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung; VK = Variationskoeffizient 1) β P / β D = Verhältnis zwischen Vorlast und Zugfestigkeit 2) β Z / β D = Verhältnis zwischen Zug- und Druckfestigkeit 4. Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen der Untersuchungen wurden Einflussfaktoren auf die Zentrizität der Zugversuche, wie z.- B. die Prüfkörperlage beim Einbau oder die gelenkige Lagerung des Versuchsauf baus wie auch seitliche Verschiebungen der Klemmen, identifiziert und durch digitale Bildkorrelation in einer optischen 3D-Messsoftware quantifiziert. Basierend auf den Ergebnissen wurde der C-Typ nach ASTM C307-18 [5] zum U-Typ weiterentwickelt. Die Klemmen waren unten fest und oben gelenkig gelagert. Die Geometrie der Klemmen wurde nach [2] modifiziert und mit seitlichen Führungsschienen ergänzt, die die Klemmen in axialer Richtung fixieren. Um die gleiche Ausgangsposition jeder Prüfkörper zu erhalten, wurde ein Adapter für Prüfkörper nach ASTM C307-18 [5] entwickelt und konfiguriert. Das Positionieradapter und eine brikettförmige Stahlprüfkörper wurden verwendet, um die optimale Startposition im neuen Versuchsauf bau zu identifizieren. Die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Insgesamt führten die Modifikationen des U-Typ-Versuchsauf baus in Kombination mit der optimalen Positionierung der Prüfkörper zu einer Verringerung der Verformungsdifferenz und der entsprechenden Standardabweichungen um bis zu rd. 95- %, was zu einer gleichmäßigeren Spannungsverteilung im Querschnitt führt. • Unabhängig von der Materialfestigkeit ist die lagegeregelte Prüfgeschwindigkeit von 0,6-mm/ min angemessen, um Prüfzeiten von etwa 1-min zu erreichen. • Mit dem weiterentwickelten U-Typ-Versuchsauf bau können mineralische Baustoffe mit Zugfestigkeitswerten zwischen 0,4 und 5,9-N/ mm² reproduzierbar mit einem Variationskoeffizienten kleiner als 10-% geprüft werden. Die Zugfestigkeit des RM-A4 wurde dabei im Mittel von rd. 5,2-N/ mm² auf 5,9-N/ mm² erhöht und der Variationskoeffizient von 16,4 auf 5,4-% reduziert. • Der Ringversuch nach ASTM C307 bestand aus 3 Testreihen mit jeweils 6 Einzelprüfungen. Im Vergleich dazu ergaben die in diesem Beitrag vorgestellten Untersuchungen, dass bei einem Variationskoeffizienten von etwa 5-% die Anzahl der Prüfkörper auf 4 Prüfkörper pro Serie reduziert werden kann. Bei einem Variationskoeffizienten von bis zu 10-% sollte jedoch eine Anzahl von 8 Prüfkörper für mineralische Baustoffe gewählt werden. • Das in der Literatur angegebene Verhältnis von Zugzu Druckfestigkeit von etwa 10- % konnte für den RM-A4-Mörtel mit 9-% bestätigt werden, während Materialien mit geringer Zugfestigkeit (PM21 und AAC2-350) mit einem Verhältnis von bis zu 21- % deutlich höhere Verhältniswerte erreichten In zukünftigen Untersuchungen soll mit der modifizierten Prüfeinrichtung der Einfluss unterschiedlicher Umgebungsbedingungen sowie unterschiedlicher Temperaturen während der Prüfung auf das Zugtragverhalten der hier verwendeten sowie weiterer Materialien untersucht werden. Darüber hinaus werden weitere Analysen in ARAMIS ® durchgeführt, wie zum Beispiel die Bestimmung der Dehnungen zur Analyse des Verformungsverhaltens unter Zugbelastung. 5. Danksagung Ein besonderer Dank geht an Christian Niejahr vom Lehrstuhl für Thermodynamik mobiler Energiewandlungssysteme und Institut für Thermodynamik, RWTH Aachen University, für die Herstellung der Klemmen mittels CNC-Fräse. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 373 Untersuchungen zum Versuchsaufbau für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit nach ASTM C307 an mineralischen Baustoffen Literatur [1] M. Kalthoff, F. Gilleßen, M. Raupach, S. Schmidt, C. Kiesewetter-Marko und C. Brecher, Einfluss der Prüfkörpergeometrie auf das Zugtragverhalten von zementgebundenen Betonen, Ludwig H.-M., Fischer H.-B., editors (2018) [2] C. Neunzig, T. Heiermann und M. Raupach, Determination of the uniaxial tensile strength of concrete with a modified test setup, International Conference on Strain-Hardening Cement-Based Composites (2017) [3] P. Schubert und A. Caballero González, Zugfestigkeit von Porenbeton und Haftscherfestigkeit von Dünnbettmörtel auf Porenbeton, Mauerwerk-Kalender (1997) [4] A. Helbling und E. Brühwiler, Eine neue Halterung für Zugversuche mit Beton-Probekörper, Material und Technik (1987) [5] ASTM C307-18: Standard Test Method for Tensile Strength of Chemical-Resistant Mortar, Grouts, and Monolithic Surfacings (2018) [6] M. Kalthoff, M. Raupach und T. Matschei, Influence of High Temperature Curing and Surface Humidity on the Tensile Strength of UHPC, Materials 14 (2021) [7] J. Haufe und A. Vollpracht, Tensile strength of concrete exposed to sulfate attack, Cement and Concrete Research (2019) [8] Research Report: D01-1185 Interlaboratory Study to Establish Precision Statements for ASTM C307, Test Method for Tensile Strength of Chemical-Resistant Mortar, Grouts, and Monolithic Surfacings (2018) [9] J. Haufe, A. Vollpracht und T. Matschei, Development of a Sulfate Resistance Performance Test for Concrete by Tensile Strength Measurements: Determination of Test Conditions, Crystals (2021) [10] S. H. Okba, E.-S. A. Nasr, A. I. Helmy und I. A.-l. Yousef, Effect of thermal exposure on the mechanical properties of polymer adhesives, Construction and Building Materials (2017) [11] G. Quercia, D. Chan und K. Luke, Weibull statistics applied to tensile testing for oil well cement compositions, Journal of Petroleum Science and Engineering (2016) [12] TR IH: Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) - Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung, Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) (2020) [13] A. Dahlhoff, B. Winkels, C. Morales Cruz und M. Raupach, Investigations on the Experimental Setup for Testing the Centric Tensile Strength According to ASTM C307 of Mineral-based Materials, Journal of Civil Engineering and Construction (2022) [14] Gom, User Guide Setup Testing - ARAMIS Setup Testing for Correlate Pro 2021, (2022) [15] N. M. Razali und Y. B. Wah, Power comparisons of shapiro-wilk, kolmogorov-smirnov, lilliefors and anderson-darling tests, Journal of statistical modeling and analytics (2011) [16] W. Benning, Statistik in Geodäsie, Geoinformation und Bauwesen, Wichmann (2011) [17] DIN EN 1015-11: Prüfverfahren für Mörtel für Mauerwerk - Teil 11: Bestimmung der Biegezug- und Druckfestigkeit von Festmörtel; Deutsche Fassung EN 1015-11: 2019 (2020-01) [18] DIN EN 196-1: Prüfverfahren für Zement - Teil 1: Bestimmung der Festigkeit; Deutsche Fassung EN 196-1: 2016 (2016-11) Nachhaltigkeit 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 377 Decarbonisation First Methoden zur CO 2 -Bilanzierung im Lebenszyklus von Infrastrukturbauwerken Dr. techn. Robert Veit-Egerer VCE Vienna Consulting Engineers ZT GmbH, Wien, Österreich Dipl.-Ing. Helga Barkow VCE Vienna Consulting Engineers ZT GmbH, Wien, Österreich Dr. techn. Emile Van Eygen Umweltbundesamt, Wien, Österreich Mag. David Fritz Umweltbundesamt, Wien, Österreich Assoc. Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Johann Fellner Technische Universität Wien, Österreich Zusammenfassung Im vorgestellten Forschungsprojekt DECARBONISATION FIRST wird zunächst eine Datenbank mit für Österreich repräsentativen CO 2 -Äquivalenten (“Cradle to Grave”) für die relevanten Baustoffe von Infrastrukturbauwerken (Brücken, Oberbau, Dämme, Stützmauern, Wannen) erstellt. Dazu wird eine Methodik für die Verknüpfung einer Lebenszykluskostenberechnung mit einer CO 2 -Bilanzierung unter Berücksichtigung der Streuungen der Eingangsparameter entwickelt. Für die Durchführung von Variantenuntersuchungen von Infrastrukturbauwerken wird ein praktisches Berechnungstool erstellt, das Kosten und CO 2 über den gesamten Lebenszyklus ermittelt. DECARBONISATION FIRST verfolgt den Gedanken, dass zukünftige Entscheidungsfindungen für Baumaßnahmen auf einer deutlich stärkeren Gewichtung der Kosten infolge CO 2 -Fußabdrucks erfolgen und gleichzeitig die Akzeptanz der damit einhergehenden Primärkosten gehoben wird. 1. Ausgangslage Der Baubranche lassen sich direkt und indirekt bis zu 50 % der weltweiten CO 2 Emissionen zuordnenwodurch für deren CO 2 -Fußabdruck ein enormes Einsparungspotential vorliegt. Im Tief bausektor werden Entscheidungen z.B. im Zuge von Ausschreibungen und Wettbewerben in erster Linie auf Grundlage der zu erwartenden baulichen Lebenszykluskosten (= Primärkosten) getroffen. Ein für die Branche allgemein anwendbares Tool zur Berechnung der damit einhergehenden Umweltfolgekosten gibt es derzeit nicht. 2. Methodische Vorgehensweise Ziel des Forschungsvorhabens war eine Methodik für die Verknüpfung einer Lebenszykluskostenberechnung mit einer CO 2 -Bilanzierung unter Berücksichtigung der Streuungen der Eingangsparameter zu entwickeln. Für die Durchführung von Variantenuntersuchungen von Infrastrukturbauwerken wurde ein praktisches Berechnungstool erstellt, das Kosten und CO 2 über den gesamten Lebenszyklus (Herstellung, Bau, Betrieb, Abbruch, Entsorgung/ Wiederverwertung) ermittelt. Abb. 1: Flussdiagramm zum technischen Lösungsansatz und zur Vorgehensweise zur Zielerreichung 378 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Decarbonisation First 3. Systemabgrenzung und Framework Konstruktionseinheiten (Bauteile) Als erster Schritt wurden die zu untersuchenden Infrastrukturbauwerke in definierte Anlagenkategorien festgelegt. Dabei handelt es sich um: • Brücken • Oberbau • Dämme • Stützmauern • Wannen Jede dieser Anlagenkategorien ist aus unterschiedlichen Materialien (wie z.B. Beton in unterschiedlichen Qualitäten oder Baustahl) bzw. Bauwerksteilen (Ausrüstung wie Brückenlager oder Fahrbahnübergänge) zusammengesetzt. Eine umfassende Liste dieser Materialien und Bauwerksteile aller Bauwerke wurde erstellt, für die in weiterer Folge GWP-Daten zu sammeln waren. In Anlehnung an [2] bzw. die dort vorgesehene Inventarisierung von Brückenelementen bzw. die lt. [3] für die anderen Anlagenkategorien derselben RVS 13.03er Reihe vorkommenden Bauteile wurde ein Framework für mögliche Konstruktionselemente ausgearbeitet. Dazu wurde eine detaillierte Systemidentifikation und -abgrenzung erstellt und für die weitere Bearbeitung modifiziert. Auch die Ansätze in der Nutzungsphase wurden in Übereinstimmung mit [2] angesetzt. Teile der vorgegebenen Inventarisierung konnten später direkt durch entsprechende EPDs abgedeckt werden (Massenbezug in Form von Laufmetern, Flächen, Volumina, Stückzahlen, etc.). Andere Konstruktionselemente wurden für eine modulare Zusammenstellung anhand von EPDs entsprechend ausgestaltet, bevor sie für die darauffolgenden Berechnungsschritte wieder in RVS-konforme Masseneinheiten konvertiert werden konnten. Das Ergebnis dieses Arbeitspaketes war eine Zusammenstellung der für eine Carbon Footprint Bilanzierung vorzunehmenden SOLL-Inventarisierung aller maßgebenden Konstruktionselemente in katalogisierter Form als Grundlage für die weiteren Bearbeitungsschritte. 4. GWP-Katalog Methodisches Herzstück des Forschungsprojektes war die Zusammenstellung der für die Konstruktionselemente relevanten THG-Emissionsfaktoren in Form eines Excel- Datenpools. Dabei wurde für jedes definierte Konstruktionselement die Emissionsfaktoren für die maßgeblichen Lebenszyklusphasen Herstellung, Bau, Betrieb, Abbruch, Entsorgung/ Wiederverwertung recherchiert. Ziel war eine Katalogisierung im Sinne Österreich-spezifischer Mittelwerte. Abb. 2: Grobkonzept zur Inventarisierung der Konstruktionseinheiten (links) und der Bestimmung der THG-Emissionsfaktoren (rechts) Der Auf bau der GWP-Emissionsfaktoren erfolgte in Anlehnung an [5] und [6]. Die Struktur einer EPD ist der Abb. 2 (rechts) zu entnehmen. Da nicht alle Quellen für Emissionsfaktoren der Materialien direkt aus EPDs entnommen werden konnten (insbesondere sind nicht alle Lebenszyklusphasen innerhalb der EPDs vollständig mit Daten hinterlegt) wurde der GWP- Katalog mit Hilfe unterschiedlicher Datenquellen und daraus resultierenden Ableitungen bzw. eigenen Abschätzungen erstellt, wie in Abb. 3 ersichtlich. Für die Module A1 (Rohstoffgewinnung), A2 (Transport zum Hersteller) und A3 (Herstellung), die die Herstellungsphase der Baumaterialien oder -produkte abbilden, werden hauptsächlich Daten aus EPDs eingesetzt. Diese Module werden von jeder EPD deklariert, häufig als aggregiertes Modul A1-3. Bei einzelnen Baumaterialien wurde - wenn keine passende EPD verfügbar war - auf weitere Quellen zurückgegriffen (siehe Abb. 3). Darüber hinaus wurden für einige Ausrüstungselemente die GWP-Daten über EPD-Daten der jeweiligen (Haupt)Materialien abgeschätzt. Für das Modul A4 (Transport zur Baustelle) sind weniger häufig Daten in den EPDs verfügbar. Für die Baumaterialien, für die keine Informationen vorliegen, wurde die mittlere Transportdistanz entweder aus EPD-Daten von vergleichbaren Produkten übernommen oder über Daten der Statistik Austria zu Transportaufkommen, Anteil von Verkehrsträgern und Güterklassen sowie Emissionsfaktoren von Verkehrsträgern abgeschätzt. Auch für das Modul A5 (Einbau in das Gebäude) werden häufig keine Informationen publiziert. In diesem Fall wurden die nicht verfügbaren A5-Werte anhand der Daten für die deklarierten Hauptmaterialien rechnerisch abgeschätzt. Für die Nutzungsphase sind nur teilweise Daten in den EPDs für B1 (Nutzung) vorhanden. Daher wurden für alle Einträge in Anlehnung an die Ansätze zur Erhaltungsplanung (Umfang und Zeitpunkte lt. RVS 13.05.11 [2]) die Module B2 (Instandhaltung) und B4 (Ersatz) aus den Phasen A, C und D sinngemäß abgeleitet. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 379 Decarbonisation First Daten für die Module C und D sind häufig nicht verfügbar. Darüber hinaus spielt die spezifische Situation des österreichischen Abfallwirtschaftssystems eine bedeutende Rolle, die berücksichtigt werden muss. Aus diesem Grund werden für diese Module keine deklarierten EPD- Daten herangezogen, sondern wird eine eigene Modellierung der GWPs durchgeführt. Dazu werden die unterschiedlichen Baumaterialien in 12 Materialgruppen eingeteilt, für die anschließend die Modellierung durchgeführt wurde: • Beton • Betonstahl • Baustahl • Beschichtungen • Holz • Kautschuk • Bitumen Abdichtung • Asphalt • Glasfaserverstärkte Kunststoffe • Kunststoffe • Aluminium • Gesteinskörnung Für jede dieser Materialgruppen wurde Sammelraten und Anteile für die verschiedenen Behandlungs- und Verwertungsprozesse, auf Basis der in Österreich derzeit gängigen Praxis, festgesetzt. Diese Optionen beinhalten: • Stoffliche Verwertung (Recycling), • Thermische Verwertung, und • Deponierung. Die THG-Emissionen aller Verwertungsoptionen, sowie der Vorbehandlungsprozesse wie Abbruch und Zerkleinerung inkl. Transport, wurden mittels der ecoinvent- Datenbank modelliert. Für weitere Details zum vorliegenden Kapitel siehe [1]. Abb. 3: Datenquellen für Emissionsfaktoren für die einzelnen Phasen Abb. 4: Übersicht über den GWP-Katalog Der ausgearbeitete GWP-Katalog sieht für seine weitere Verwertung im Zuge der Verknüpfung mit dem Berechnungstool eine Unterteilung in 3 Hauptgruppen vor (Hauptmaterialien/ Ausrüstung/ Sonstige Materialien). Alle für die Modellierung von Infrastrukturbauwerken (Brücken, Oberbau, Dämme, Stützmauern, Wannen) maßgeblichen Elemente wurden hier aufgelistet und mit THG-Emissionsfaktoren für alle Lebenszyklusphasen wie oben beschrieben hinterlegt. In Abb. 4 gibt eine Übersicht über den fertiggestellten GWP-Katalog, wobei anhand der Farbverteilung im Sinne der unterschiedlichen Quellen eine Gewichtung der Herkunft der Datenquellen (Legende siehe Abb. 3) ersichtlich ist. 5. Berechnungstool 5.1 Aufbau Das Berechnungs-Tool ist aufgeteilt in • 6 Anlagen-Tabs (Brücken, Oberbau, Dämme, Stützmauern, Wannen und Lärmschutzwände) • 1 Material-Tab (GWP-Benchmarks wie in Kapitel 4 beschrieben) • 1 Alterungsmodell (Spezifikation der Instandhaltungs-Interventionen) • 6 Ergebnis-Tabs (tabellierte & grafische Ergebnisse je Anlagenkategorie) 5.2 Eingabe Das Tool sieht im Wesentlichen 3 Eingabe-Etappen vor, wobei die Eingabe auf möglichst wenige, gelb markierte Felder reduziert wurde: 380 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Decarbonisation First • Die Inventarisierung der baulichen Elemente im maßgeblichen Anlagenreiter (rote Markierung in Abb. 5) wird anhand der farblich hervorgehobene Felder in ausgewählten Spalten befüllt, sofern ein bauliches Element vorhanden ist wobei zwischen Inventar- Massen für die Errichtung und den Betrieb der baulichen Anlage unterschieden wird. • Die Materialspezifikation für jedes bauliche Element (grüne Markierung in Abb. 5) wurde durch eine umfassende Pull down Funktion gelöst, in denen jeweils eine vorgruppierte Auswahl aus dem GWP-Katalog vorgenommen werden kann. Gleichzeitig wurde bei fast jeder Materialspezifikation die Möglichkeit vorgesehen, ein „eigenes“ Material via eingebauter Pop-up-Funktion auszuwählen und mit Eingaben zu versehen - sofern es Teile der modellierten Infrastruktur gibt, für die keine bereits im GWP-Katalog hinterlegten Werte vorliegen und die im Pop-up-Fenster mit der maßgeblichen Materialgruppe des GWP Katalogs verglichen werden können (siehe Abb. 6) • Ebenso ist es möglich, Spezifikationen hinsichtlich der Instandhaltungsdetails (blaue Kennzeichnung in Abb. 5) vorzunehmen. Hier sind wiederum in farblich hervorgehobenen Feldern in ausgewählten Spalten und in Anlehnung an [3] Richtwerte zum Zeitpunkt und Umfang der tiefgreifenden Maßnahmen (Tausch oder Instandhaltung und Ausmaß in %) in der Betriebsphase eingetragen, wobei diese bei Bedarf auch verändert werden können . Abb. 5: Auf bau des Tools und Ablauf der Eingabe Abb. 6: Pop-up zur Eingabe eigener GWP-Werte am Beispiel für Rohrmaterialien 5.3 Darstellung der Ergebnisse Um die einzelnen Einflüsse innerhalb der CO 2 Gesamtbilanz besser sichtbar zu machen, werden einerseits die Bilanz-Beiträge von jedem definierten baulichen Element zeilenweise andererseits die Beiträge jeder Lebenszyklusphase spaltenweise im maßgeblichen Anlagenreiter summiert und dargestellt - siehe Abb. 7 Abb. 7: Ergebnisdarstellung für einzelne bauliche Elemente (zeilenweise) und einzelne Lebenszyklusphasen (spaltenweise) Eine Gesamtübersicht über die CO 2 Berechnungsergebnisse ist im sog. Ergebnis-Tab jeder Anlagenkategorie konfiguriert worden, der die Summen-Ergebnisse tabellarisch, aber auch graphisch auf bereitet, wobei auch hier Ergebnisgruppen je Lebenszyklusphase oder je Elementcluster (z.B. Überbau/ Unterbau/ Ausrüstung im Fall von Brücken) vorgesehen wurden (siehe Abb. 8). Weitere Details dazu werden im Vortrag zum vorliegenden Aufsatz gezeigt. Abb. 8: Gesamtergebnisdarstellung am Beispiel der Anlagenkategorie Brücken 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 381 Decarbonisation First 6. Simulationsrechnung Simulationsrechnungen sind im Forschungsprojekt Decarbonisation First Teil der Validierungs- und Optimierungsprozesses im Rahmen der Erstellung des Berechnungstools, wobei der Fokus des Berechnungstools auf Variantenuntersuchungen von Straßeninfrastruktur in der Vorprojektphase unter Verwendung unterschiedlicher Materialien, Bauweisen etc. liegt. Nachfolgend wird eine Übersicht über die untersuchten Objekte und Fragestellungen gegeben, es werden aber keine inhaltlichen Details dargelegt. Die konkreten Ergebnisse und Schlüsse daraus werden im Zuge des Vortrages präsentiert werden. 6.1 Portfoliosimulation Lärmschutzwände Auf Basis einer vorab ausgearbeiteten Reinvest Prognose für das gesamte Lärmschutzwand-Portfolio der ASFI- NAG über einen Prognosezeitraum von 15 Jahren wurden die ermittelten, sog. Realisierungsmengen, d.h. m2 LSW-Paneele ermittelt und die zu erwartenden Reinvestkosten sowie die damit einhergehenden CO 2 Emissionen berechnet. Ebenso wurden auf Basis von materialspezifischen Einheits-Elementpreisen und Standard-Nutzungsdauern Variantenstudien für verschiedene Ausführungen je m2 LSW durchgeführt und Überlegungen zur Größenordnung der notwendigen Gewichtung der Kosten infolge CO 2 Fußabdruck im Zuge einer Verknüpfung mit den aktuellen CO 2 Zertifikatepreisen je Tonne CO 2 vorgenommen. Abb. 9: CO 2 Simulation auf Basis einer 15-Jahres Reinvest-Prognose eines vorgegebenen Bestandes 6.2 Variantenuntersuchung Spannbetonvs. Verbundbrücke In einer weiteren Variantenuntersuchung wurde eine Wirkungsabschätzung in Form einer CO 2 Bilanz in den unterschiedlichen Lebenszyklusphasen für eine Spannbeton- und eine Verbundbrücke am gleichen Standort unter Verwendung unterschiedlicher Materialien erstellt und die maßgeblichen Einfluss-Parameter aufgezeigt (siehe auch Abb. 10). Abb. 10: Ergebnisse der Wirkungsabschätzung der Variantenuntersuchung einer Spannbetonvs. einer Verbundbrücke 6.3 Variantenvergleich Holzvs. Betonbrücke Im Zuge des Projektabschlusses wird noch eine sog. Wildquerungshilfe aus dem ASFINAG-Brückennetz untersucht werden, wobei einander hier zwei Planungs- Varianten für die Hauptmaterialien dieses Tragwerkes aus Holz bzw. Beton gegenübergestellt werden. Abb. 11: Wildquerungshilfe A2 Blumau 7. Fazit DECARBONISATION FIRST liefert ein wesentliches Instrument, die im Zuge von Baumaßnahmen eingesetzten Ressourcen entlang der betroffenen Wertschöpfungsketten umweltgerechter auszugestalten, um die nationalen Klimaschutzziele zu erreichen. Das Projekt adressiert die der Republik Österreich drohenden Kompensationszahlungen für den Ankauf von CO 2 -Zertifikaten in Milliardenhöhe und verfolgt das Ziel, den dem Tief bausektor zuzuschreibenden Anteil binnen möglichst kurzer Zeit in möglichst hohem Umfang zu reduzieren. Damit trägt DECARBONISATION FIRST dem in den letzten Jahren enorm gestiegenen gesellschaftlichen Bekenntnis zum Klimaschutz unmittelbar Rechnung und stellt sicher, dass der Tief bausektor seinen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele in messbarer Form leisten kann. Der vorliegende Beitrag versucht einen guten Ein- und Überblick über das Forschungsprojekt zu geben. Für weitere Details wird auf [1] bzw. den zugehörigen Vortrag verwiesen. 382 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Decarbonisation First 8. Danksagung Die Autoren möchten an dieser Stelle der Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG, dem Österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) und der Österreichischen Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) für die im Zuge dieses Projektes ermöglichte Forschungsfinanzierung bedanken. Weiters gilt unser Dank unseren 2 Hauptansprechpersonen im Projekt - namentlich Herrn Dr. Kleiser (ASFINAG) und Herrn DI Ablinger (Stadt Wien). Literatur [1] Decarbonisation First (VERKEHRSINFRA- STRUKTURFORSCHUNG 2020 - FFG PRO- JEKT-NR. 886154): Technischer Zwischenbericht, Mai 2022 [2] RVS 13.05.11 Lebenszykluskostenermittlung für Brücken: Österreichische Forschungsgesellschaft Straße/ Schiene/ Verkehr; März 2017 [3] RVS 13.03.11: Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Straßenbrücken. Forschungsgesellschaft Straße, Schiene, Verkehr, Wien, Juni 2021 [4] ISO 14040: 2006: 2009, Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen. [5] ÖNORM EN ISO 14025: 2006 - Umweltkennzeichnungen und -deklarationen - Typ III Umweltdeklarationen - Grundsätze und Verfahren (ISO 14025: 2006) [6] EN 15804: 2012+A2: 2019, Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 383 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Dr. Robert Schulte Holthausen ARDEX GmbH, Witten Dr. Patrick Pues ARDEX GmbH, Witten Dr. Jörg Sieksmeier ARDEX GmbH, Witten Dr. Hubert Motzet ARDEX GmbH, Witten Zusammenfassung Der Nachhaltigkeit von Bauprodukten kommt in den vergangenen Jahren steigende Bedeutung zu. Hierbei nimmt der Druck auf Bauherren, Planer, Ausführende und infolge auch die Hersteller von Bauprodukten zu, nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Die Instandsetzung von Bauwerken erscheint dabei zunächst einmal per se als eine besonders nachhaltige Alternative zum Neubau. Dennoch tragen die dabei eingesetzten Bauprodukte auch zur Umweltbelastung bei. Im Rahmen dieses Beitrags wird auf einige aktuelle Entwicklungen zur Messung und Verbesserung der Nachhaltigkeit von Trockenmörteln eingegangen. Es werden Grundlagen der Nachhaltigkeitsbemessung sowie regulatorische Rahmenbedingungen erläutert hin zur individuellen Umweltproduktdeklaration. Anhand der Zusammensetzung eines typischen Instandsetzungsmörtels werden Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit und auch aktuelle Grenzen diskutiert. 1. Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln „Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden.“ Dieser bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts formulierte Grundgedanke der Nachhaltigkeit nimmt in den vergangenen Jahren verstärkt Einzug in die Bauindustrie und beeinflusst zunehmend die Entwicklung von Bauprodukten und -prozessen. Dabei ist unter dem Begriff Nachhaltigkeit mehr als einfach eine umweltfreundliche Verwendung von Ressourcen zu verstehen. Der „Drei-Säulen-Ansatzes“ (engl. „Triple-bottom-line“) berücksichtigt explizit ökologische, ökonomische und soziale Einflüsse gleichermaßen. Hier stehen die Bedürfnisse des Menschen wie auch der (kommerzielle) Erfolg von Produkten und Unternehmen gleichberechtigt neben der Umwelt. / Roh21/ Das noch junge Jahrzehnt begann mit einer weltweiten Pandemie, gestörten Lieferketten und Krieg. Mit dem strukturellen Wandel hin zu einer nachhaltigen Industrie steht jedoch die vermutlich größte Herausforderung noch bevor. Ein Veränderungsprozess, der an Geschwindigkeit zunimmt. Mit dem Europäischen Green Deal hat sich die Europäische Kommission im Jahr 2019 das Ziel gesetzt bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen der Europäischen Union auf null zu senken. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, sind weitreichenden Veränderungen, sowohl in unserem technologischen als auch dem regulatorischen Umfeld erforderlich. Bereits jetzt erfolgen umfassende Anpassungen und Überarbeitungen der bisherigen europäischen Klima- und Energiepolitik. Unter dem Programmnamen „Fit for 55“ werden diverse Richtlinien und Verordnungen überarbeitet sowie neue verabschiedet, um bis 2030 das Zwischenziel einer Absenkung der Treibhausgasemissionen um 55 % gegenüber den Werten von 1990 zu erreichen. Eine Übersicht von Gesetzen, Strategien und Leitfäden, welche im Rahmen dieser Transformation erarbeitet werden, ist in Abbildung 1gezeigt. 384 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln 2. Messung und Kommunikation der Nachhaltigkeit von Bauprodukten Für die transparente Kommunikation und Darstellung der Umweltauswirkungen eines Bauproduktes ist die Umweltproduktdeklaration, kurz EPD (Environmental Product Declaration) das maßgebliche Werkzeug. Eine EPD basiert auf der EN 15804+A2 und liefert einheitliche Informationen zur Ökobilanz eines Bauproduktes in einem standardisierten Format. Kernelement einer EPD ist die vierstufige Lebenszyklusanalyse (LCA) gemäß ISO 14040 und ISO 14044 / Rot21/ : • In Schritt 1 werden zunächst das Ziel der Analyse, die Systemgrenzen, die zu betrachtenden Lebenszyklusabschnitte, die funktionale Einheit und weitere wichtige Kenngrößen definiert. Mögliche Lebenszyklusabschnitte umfassen heute häufig zunächst nur die Herstellungsphase (A), auch als Wiege-zu-Werkstor bezeichnet (Cradle-to-gate). Diese Einschränkung ergibt sich häufig allein daraus, dass nicht bekannt ist, wie und wo das Bauprodukt eingesetzt wird. Werden bei der Betrachtung die Verwendungsphase (B) sowie Lebensendphase (C) berücksichtigt, spricht man von einem Wiege-zum-Grab-Ansatz (Gradle-to-grave). Erst bei Mitberücksichtigung einer Wiederverwendung/ Recycling (D) wird von einem Wiege-zu-Wiege-Ansatz gesprochen und damit einer Schließung des Stoffkreislaufes, wie dargestellt in Abbildung 2. Die funktionale oder in der EPD deklarierte Einheit ist typischerweise eine Gewichtseinheit (z.-B. ein Kilogramm) des Produktes, auf die sich alle folgenden Kennwerte beziehen. Abbildung 2: Darstellung der in einer Lebenszyklusanalyse betrachteten Abschnitte • In Schritt 2 werden alle in das Produkt ein- und abgehenden Stoffströme (Ein: Rohstoffe, Energie, Wasser, etc.; Ab: Produkt, Nebenprodukte, Abfall, Emission etc.), gemäß der definierten Systemgrenzen bilanziert. • In Schritt 3 wird die Wirkung auf die wesentlichen Umweltgrößen abgeschätzt. Heute und voraussichtlich auch in den kommenden Jahren stellt hierbei das Treibhausgaspotenzial, ausgedrückt als 100-jähriges CO 2 -Equivalent, die bestimmende Größe dar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass mit sinkenden CO 2 - Abbildung 1: Veränderungen in der europäischen Gesetzgebung, Verordnungen etc. im Kontext der Nachhaltigkeit / BPI22/ 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 385 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Emissionen andere Parameter wie der Abbau der Ozonschicht oder die Versäuerung von Böden im Verhältnis weiter an Bedeutung gewinnen. • In Schritt 4 erfolgt die Interpretation und Bewertung der Ergebnisse mit besonderem Fokus auf die Validität der Daten und Ergebnisse. Die EPD selbst wird von einer unabhängigen Stelle, dem EPD-Programmhalter, nach Verifizierung und Prüfung der durch den Hersteller eingereichten Daten erstellt und vergeben. Aktuell liegt die größte Herausforderung in der fehlenden Harmonisierung bei der Anwendung des Standards EN15804 sowie den vielen Annahmen und Näherungen, welche im Rahmend er LCA erfolgen: • Viele Hersteller lassen die komplexen Lebenszyklusanalysen und Berechnungen durch unterschiedliche Dienstleister durchführen. • Es existieren unterschiedliche LCA-Datenbanken und Primärdaten, was zu Diskrepanzen in der Bilanzierung führen kann. • Für die Bilanzierung müssen sinnvolle Systemgrenzen definiert werden und, besonders im Rahmen der Bilanzierung paralleler Prozesse, stringent eingehalten werden, um Emissionen oder auch Einsparpotenziale nicht mehrfach einzurechnen. • Für die Betrachtung der Emission von Treibhausgasen wurde ein Zeitraum von 100 Jahren definiert. Die erwartete Lebensdauer mancher Infrastrukturbauwerke übersteigt diesen Zeitraum. Auch werden für das Recycling von Baustoffen noch in Jahrzehnten Material betrachtet werden, deren ursprüngliche Emission bei Herstellung nie bzgl. Ihrer Emissionen betrachtet worden sind. • Die Allokation von Umweltauswirkungen wie CO 2 - Emissionen erfolgt typischerweise nur auf das aus dem Prozess gewonnene Produkt, nicht auf Nebenprodukte. Unter Betrachtung der Nachhaltigkeit stellen diese „emissionsfreien“ Nebenprodukte jedoch interessante Rohstoffe dar, deren Nutzung jedoch eine veränderte Zuordnung von Emissionen notwendig machen würde. An dieser Stelle ist es dringend erforderlich, dass man sich auf der europäischen Ebene auf konkrete Orientierungshilfen und Leitlinien einigt, um der unterschiedlichen Interpretation des Standards EN 15804 entgegenzuwirken. Nur so werden die Ergebnisse, welche in einer EPD dargestellt werden, langfristig wirklich vergleichbar. Aktuell nutzen viele Hersteller von Bauprodukten sogenannte Modell-EPDs, welche für Produktgruppen gelten und einen „Worst-Case“-Ansatz verfolgen. Hierbei werden alle Produkte z.-B. mittels eines vereinfachten Single-Scoring-Wertes einer Produktgruppe zugeordnet für die eine Modell-EPD mit den gleichen Werten im Hinblick auf deren Umweltauswirkung gilt. Modell EPDs geben somit lediglich eine sehr grobe Orientierung. Neben der Modell-EPD sind weitere Formen von EPDs wie Produkt-, Hersteller- oder Standortspezifische EPDs möglich (Abbildung 3). Langfristig wird jedoch, insbesondere im Europäischen Raum, die produktspezifische EPD an Relevanz gewinnen und maßgeblich werden. Insbesondere die Aspekte der Kreislaufwirtschaft (Reparatur, Rückbau und Recycling) erfordern umfangreiche und genaue Informationen der verwendete Bauprodukte. Abbildung 3: Übersicht über Arten von Umweltproduktdeklarationen (EPDs) von Baustoffen Die Erstellung von belastbaren Nachhaltigkeitskenndaten, wie sie für Produkt-EPDs benötigt werden, ist zeit- und kostenaufwendig. Der Wunsch von Bauherren und Verbrauchern, mehr über die Umweltauswirkung der eingesetzten Produkte zu erfahren, ist hierbei häufig der Startpunkt eines längerfristigen Datenerhebungsprozesses. Bauprodukte-Hersteller müssen bei ihren Rohstofflieferanten belastbare Daten für die in ihren Prozessen eingesetzten Stoffe einholen, Rohstoffhersteller nach Daten für die bei sich eingesetzten Vorprodukte. Diese Kaskade vollzieht sich schrittweise, wie dargestellt in Abbildung 4. Vorprodukthersteller, die nicht ausschließlich im Bereich der Baustoffe tätig sind, müssen sich dabei auf die Vielzahl verschiedener Industriezweige (Energie, Automotive etc.) und die darin geforderten Nachhaltigkeitskenndaten und -formate einstellen. In vielen Unternehmen sind gesonderte Abteilungen, die sich mit der komplexen Modellierung von Lebenszyklen auseinandersetzen, heute häufig noch im Aufbau, belastbare Daten nur auf Nachfrage verfügbar und deren Belastbarkeit teils noch kritisch zu hinterfragen. Abbildung 4: Schrittweise Abfrage von Nachhaltigkeitskenndaten vom Verbraucher/ Bauherr über den Hersteller von Bauprodukten hin zum Vorproduktehersteller 386 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln 3. Wege zu Verbesserung der Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Die Instandsetzung von Bauwerken aus Beton gilt zunächst einmal als deutlich nachhaltigere Alternative zum Neubau. Dennoch tragen die dabei eingesetzten Bauprodukte, insbesondere durch die darin eingesetzten Rohstoffe, einen relevanten CO 2 -Fußabdruck und sollten im Kontext einer Verbesserung der Nachhaltigkeit betrachtet werden. Im Folgenden wird ein stark vereinfachter Instandsetzungsmörtel angenommen, um einige Aspekte der Produktformulierung zur Verbesserung der Nachhaltigkeit zu diskutieren. Die Zusammensetzung dieses Trockenmörtels ist in Tabelle 1 gezeigt. Der Mörtel basiert zunächst auf einem hochfesten Portlandzement und getrocknetem feinen Sand. Geringe Mengen eines Kunststoffdispersionspulver erzeugen eine gewisse Flexibilität und verbessern insbesondere die Haftung am Untergrund. Rheologische Additive wie Zelluloseether erhöhen Standfestigkeit und Wasserrückhaltevermögen und erzeugen eine applikationsangepasste Konsistenz. Der hier angenommene Instandsetzungsmörtel würde bei einem Anmachwassergehalt von rund 17-% erwartungsgemäß eine für die statische Ertüchtigung von Bauwerken notwendige Festigkeit (R4) sowie aufgrund seiner hohen Alkalität korrosionsschützende und unter bestimmten Rahmenbedingungen realkalisierende Eigenschaften aufweisen. Die gewichtete Auflistung des CO 2 -Fußabdrucks der einzelnen Rohstoffe zeigt deutlich, dass der größte Anteil am CO 2 -Fußabdruck mit rund 300 kgCO 2 / tPulver durch die Herstellung des Bindemittels Portlandzement entsteht. Bei der Herstellung von Portlandzement werden durch Entsäuerung des Kalksteins wie auch für die Hochtemperatur-Brennprozesse große Mengen CO 2 freigesetzt. Gleichzeitig benötigt ein zementgebundener Instandsetzungsmörtel größere Mengen des Bindemittels, um die benötigte Festigkeit zu entwickeln. Tabelle 1: Zusammensetzung eines stark vereinfachten Instandsetzungsmörtels und CO 2 -Fußabdruck gemäß Rohstoff bzw. Produkt EPDs. Rohstoff Menge in M.-% CO 2 -Fußabdruck in kg CO 2 / t Pulver Transportentfernung in km CO 2 -Emission durch Transport 1 -in kg CO 2 / t Pulver - - Abs. Gew. - Abs. Gew. CEM I 52,5 R 35 789 2 276 100 11 3,9 Sand 0,1 - 4 mm, getrocknet 50 43 2 21,5 50 5,5 2,8 1 110 kg CO 2 / t/ km : https: / / www.umweltbundesamt.de 2 https: / / www.bafa.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Energie/ eew_infoblatt_co2_faktoren_2021.pdf 3 Angenommener Wert 4 Baumineral GmbH - Umwelt-Produktdeklaration Microsit®10 Füller <-0,1 mm 14 63 2 8,8 100 11 1,5 Kunststoffdispersionspulver 0,9 1800 3 16,2 2000 220 2,0 Rheologische Additive 0,1 2000 3 2 2000 220 0,2 Summe 100 - 325 - - 10,3 Ein naheliegender erster Schritt zur Verbesserung der Nachhaltigkeit wäre die Beimischung eines latent-hydraulisch oder puzzolanisch-reagierenden Zementersatzstoffes, wie Hüttensand (~0,1 kg CO 2 / kg Pulver ) 2 oder Flugasche (~0,1 kg CO 2 / kg Pulver ) 4 . Im Bereich der Trockenmörtel könnten diese direkt dem Mischprozess unter Verringerung der Menge Portlandzement zugegeben werden oder durch Verwendung von Hochofen- oder Portlandkompositzementen anstelle eines Portlandzementes. Durch Ersatz des Portlandzementes (CEM-I) von z.B. 50 % durch Hüttensand (vergleichbar zu eine CEM III/ A oder 25 % einer Flugasche (vergleichbar zu einem CEM II/ B-V) könnte der CO 2 -Fußabdruck rechnerisch um 140 bzw. 70 kg CO 2 / t Pulver gesengt werden. Unter technischen Gesichtspunkten wäre eine verringerte Frühfestigkeit des Mörtels zu erwarten. Darüber hinaus basiert die primäre Wirkungsweise derartiger Zementersatzstoffe auf der besseren Umsetzung von Calciumoxid zu festigkeitsbildenden Zementphasen wie Calcium-Silikat-Hydraten anstelle leicht löslichen Calciums im Portlandit. Letzteres stellt jedoch eine wesentliche Einflussgröße für die korrosionsschützende Wirkung von Zement dar. Folge der Reduktion können ein verringertes Realkalisierungsvermögen / Mer19/ wie teils auch ein verringerter Karbonatisierungswiderstand / Kra22/ sein. Eine weitere Reduktion des CO 2 -Fußabdrucks des Bindemittels kann durch Einsatz neuartiger Zementersatzstoffe wie calcinierte Tone erreicht werden / Daw22/ , wobei auch hier grundsätzlich der in der Bindemittelmischung vorhandene Calciumgehalt eine limitierende Größe darstellt. Neuartige Bindemittel z.B. auf Basis alkalisch aktivierter Schlacken weisen zwar großes Potenzial für eine weitere CO 2 -Reduktion auf, zeigen jedoch auch von klassischem Portlandzement weiter abweichende technische Eigenschaften / Kra22/ . Der Einsatz derartiger Bindemittel in der Instandsetzung von Betonbauwerken wird eingeschränkt bleiben, solange an damit hergestellte Produkte die althergebrachten Anforderungen gestellt werden, die klassische Portlandzementmörtel mit sich brachten. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 387 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Ein zweiter für die Nachhaltigkeit des Mörtels wichtiger Bestandteil ist der eingesetzte Füllstoff, hier Quarzsand und Kalksteinmehl. Hierbei gehen die herstellungsbedingten Emissionen für Abbau Fraktionierung und Trocknung nur mit etwa 21,5 kg CO 2 / t Pulver und 8,8 kg CO 2 / t Pulver in die Bilanz des Produktes ein. Aufgrund des großen Anteils in Trockenmörteln spielen für Füllstoffe ein produktionsnaher Abbau und kurze Transportwege eine im Verhältnis zur Herstellung wichtigere Rolle. Darüber hinaus wird in den vergangenen Jahren vermehrt auf die Endlichkeit der Ressource Sand, zumindest in globalen Maßstäben, hingewiesen. Obwohl die Verfügbarkeit von Sand in Deutschland als gesichert gilt sollte die zwingende Notwendigkeit des Sandabbaus und dessen Einfluss auf die Umwelt auch hier kritisch hinterfragt werden, insbesondere, da zunehmend Stoffströme industrieller Nebenprodukte bestehen, die das Potential haben, in relevanter Weise als Sandersatz zu fingieren / Kna12/ / Sch16/ . Künstliche Leicht-Gesteinskörnungen aus Recyclingprozessen werden teils als besonders nachhaltige Füllstoffe beworben. Zunächst kann allein auf Basis der vom Hersteller angegebenen Nachhaltigkeits-Kenndaten (464 kg CO 2 / t Pulver ) 5 festgestellt werden, dass, losgelöst von den u.U. bestehenden technischen Vorteilen wie einer verbesserten Wärmedämmwirkung, der CO 2 -Fußabdruck deutlich höher ist als für natürliche Gesteinskörnung, vgl. Tabelle 1. Anhand des Beispiels des Einsatzes einer Leichtgesteinskörnung soll darüber hinaus hier ein kritisch zu bewertender Umstand der EPD-basierten CO 2 - Bilanzierung und Produktauswahl dargestellt werden. In Abbildung 5 ist im ersten und zweiten Säulenturm noch einmal der Mörtel gemäß Tabelle 1 als 100 M.-%-Rezeptur zuzüglich Anmachwasser dargestellt sowie die volumetrische Zusammensetzung, umgerechnet über die bekannten Einzelstoffdichten. In dem hier dargestellten Beispiel wird nun der Sand unter Beibehaltung der volumetrischen Zusammensetzung durch eine künstliche Leicht-Gesteinskörnung ersetzt, sowie die erneute Rückrechnung zu einer gravimetrischen 100%-Rezeptur zzgl. der ursprünglichen Anmachwassermenge gezeigt in Säulenturm 3 und 4. Zusätzlich sind unterhalb die zugehörigen CO 2 -Fußabdrücke, bezogen auf die gravimetrische oder volumetrische Zusammensetzung der zwei Mörtel dargestellt. Beim Vergleich der Werte fällt auf, dass zwar ein vergleichbarer volumetrischer CO 2 -Fußabdruck für die beiden Mörtel vorliegt, dieser sich jedoch für den Leichtmörtel aufgrund der geringeren Materialdichte deutlich stärker im gravimetrischen CO 2 -Fußabdruck niederschlägt. Da in Produkt-EPDs die relevanten Kennwerte im Allgemeinen nur auf eine gravimetrische Einheit deklariert wird, erscheint ein mit Leichtfüllstoff hergestellter Mörtel deutlich weniger nachhaltig zu sein. Bauwerksbezogen, unter Berücksichtigung der Materialdichte, gleicht sich dieser Effekt wieder aus. 5 Dennert Poraver GmbH - Ökobilanz Zusammenfassung - Stand 02/ 2022 Abbildung 5: Beispiel-Mischungsberechnungen des Mörtels gemäß Tabelle 1 in gravimetrischer und volumetrischer Zusammensetzung, der volumengleiche Austausch der Gesteinskörnung und die Rückrechnung in die gravimetrische Zusammensatzung inkl. Angabe der CO 2 -Fußabdrücke Neben der Einsparung von CO 2 -Emissionen spielt ebenfalls der Einsatz von biobasierten Rohstoffen eine zunehmend größer werdende Rolle. Biobasiert meint dabei, dass beispielsweise für Produktion eines Kunststoffdispersionspulvers anstelle eines rohöl-basierten, fossilen Rohstoffes ganz oder teilweise ein biobasierter, nachwachsender Rohstoff innerhalb der entsprechende Produktionskette eingesetzt wird. Hier gilt es insbesondere darauf zu achten, dass nachwachsende Rohstoffe in erster Linie den Verbrauch endlicher Ressourcen verringern und, dass ein nachwachsender Rohstoff nicht automatisch eine gute Ökobilanz aufweist. Wird beispielsweise Stärke aus einer Kartoffel gewonnen, so handelt es sich dabei um einen nachwachsenden Rohstoff. Die Kartoffel wird auf Feldern angebaut, benötigt Dünger, ggf. Pflanzenschutzmittel, die Ernte erfolgt mit Traktoren, welche mit fossilem Treibstoff betrieben werden, und muss industriell verarbeitet werden. All diese Prozessschritte verursachen ihrerseits Emissionen und müssen im Hinblick auf die Ökobilanz eines nachwachsenden Rohstoffes beachtet werden. Die vermehrte Nachfrage nach nachwachsenden Rohsoffen kann an anderer Stelle zu weiteren Umweltschäden und ökonomischen Problemen führen, z.B. durch stärkere Landnutzung, Landumnutzung, Prozessemissionen, zunehmendem Wasserverbrauch oder direkter Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion. Dort, wo ein nachwachsender Rohstoff jedoch (ganzheitlich betrachtet) sinnvoll produziert und eingesetzt werden kann, ist dieser einem fossilem Rohstoff vorzuziehen. Gegenwärtig ist die mengenmäßige Verfügbarkeit nachwachsender 388 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Rohstoffe noch sehr begrenzt sowie deren Preis gegenüber einem konventionellen Rohstoff deutlich erhöht. Die Verwendung eines nachwachsenden Rohstoffes, rein um eine aus Marketingaspekten vorteilhafte Aussage treffen zu können, sollte kritisch hinterfragt werden. Insbesondere im Zusammenhang mit nachwachsenden Rohstoffen in der petrochemischen Industrie ist der Begriff des Massebilanz-Ansatz geprägt worden. Dort, wo in Großindustriellen chemischen Anlagen die Massenströme biobasierter und fossiler Ausgangstoffe nicht zweifelsfrei getrennt werden können, wurden rechnerische Ansätze entwickelt, dennoch primär biobasierte Produkte an den nachhaltigkeitsbewussten Kunden vermarkten zu können, siehe Abbildung 6. In vielerlei Hinsicht ist der Massebilanzansatz mit „Ökostrom“ vergleichbar, der sich zwar das Netz mit Strom aus fossilen Energieträgern teilt, dennoch sich dem Endkunden als Energie aus erneuerbaren Quellen zu einem häufig höheren Preis anbietet. Aus Sicht der chemischen Industrie ist der Massebilanzansatz als eine notwendige, aber auch zielführende Übergangstechnologie zu verstehen. Der Massebilanzansatz ermöglich, trotz der gegenwärtig begrenzten Mengen an nachwachsten Rohstoffen sowie mit der bestehenden auf fossile Rohstoffe ausgelegten Prozesstechnik, Produkte anzubieten, welche zumindest bilanziell einen hohen Anteil an nachwachsendem Rohstoff enthalten. Da faktisch das klassische, fossil-basierte Produkt aus demselben Produktionsprozess wie das biobasierte stammt, stellen per Massebilanz zertifizierte Produkte technisch gleichwertige und einfach auszutauschende Alternativen dar. Teils kritisch zu hinterfragen sind die z.-B. gemäß redCert und ISCC möglichen örtlichen Trennungen von in den Prozess eingehenden, biobasiertem Rohstoff und dem an anderer Stelle entstehenden, biobasiertem Produkt. Genauso können biobasierte Energieträger rechnerisch als Bio-Anteil dem Produkt angerechnet werden. Alles in allem ist mit einem Massenbilanz-Ansatz also nicht zwingend gegeben, dass tatsächlich Moleküle aus biologischer Herkunft im Produkt vorhanden sind, ein positiver Effekt auf die Umwelt wird jedoch per Zertifikat bestätigt. Abbildung 6: Schematische Darstellung des Massebilanz-Ansatzes 4. Ausblick Eine aus Sicht eines Bauprodukteherstellers wesentliche Fragestellung ergibt sich aus der zukünftigen Vermarktung nachhaltiger Produkte. Auf bauend auf dem Drei- Säulen-Ansatz („Triple-bottom-line“) müssen hier neben Mensch und Natur auch die Kommerzialisierbarkeit eines Produktes berücksichtigt werden. Denn verbleiben nachhaltige Produkte in Marktnischen, ist ihre nachhaltige Wirkung stark begrenzt. In Abbildung 7 wird eine klassische Marktpositionierung eines Produktes vereinfacht als Abwägung zwischen Preis und Performance dargestellt. In diesem Spektrum befinden sich verschiedene Produkte nebeneinander mit unterschiedlichen Marktpositionierungen und ihrem damit erreichbaren Marktanteil. Zukünftig werden ökologische Aspekte eines Produktes eine zunehmend größere Rolle spielen. In Folge wird die Nachhaltigkeit, neben Preis und Performance, als dritte wesentliche Produkteigenschaft bestehen. Die Positionierung von Produkten wird in diesem sich aufspannenden Dreieck deutlich komplexer. Abbildung 7: Positionierung nachhaltiger Bauprodukte bisher im Spektrum Preis und Performance, das zukünftig ergänzt wird durch die wesentliche Eigenschaft der Nachhaltigkeit. Die Regulatorik im Bereich der Nachhaltigkeit wird zunehmend restriktiver. Während dieser grundsätzliche Trend bekannt ist, überraschte zuletzt doch die zunehmende Geschwindigkeit der Entwicklung. Gemäß aktueller Europäischer Ziele im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets sollen ab dem Jahr 2030 alle Neubauten als