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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
0225
2025
91
Herausgegeben von Michael Raupach Bernd Schwamborn Lars Wolff 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Innovative Lösungen für die Bauwerkserhaltung von heute und morgen Tagungshandbuch 2025 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 25. und 26. Februar 2025 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach, Prof. Dr.-Ing. Bernd Schwamborn, Dr.-Ing. Lars Wolff 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Fachtagung über innovative Lösungen für die Bauwerkserhaltung von heute und morgen Tagungshandbuch 2025 Medienpartner Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2025. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-381-13841-8 (Print) eISBN 978-3-381-13842-5 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 5 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 5 Vorwort Die Erhaltung von Bauwerken hat in vielen Bereichen eine größere Bedeutung als der Neubau. Die Individualität der Bauwerke hinsichtlich Tragkonstruktion, Bausubstanz, Bauablauf, baulichem Umfeld und Einwirkungen über die Bauteillebensdauer erlaubt hierbei keine Standardlösung, sondern erfordert meist eine objektindividuelle Lösung. Zudem sind die Aufgaben beim Bauen im Bestand vielfältig. Sie beinhalten die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung unter Berücksichtigung aktueller Regelwerke und Rechtsprechung, die Produktauswahl, die Ausführung und Qualitätssicherung sowie Aspekte des Bauwerksmanagements. Dies alles erfordert eine enge und frühzeitige Abstimmung zwischen Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Ziel der bewährten Fachtagung ist der Austausch aktueller Erkenntnisse aus Wissenschaft, Industrie und Praxis auf dem Gebiet der Erhaltung von Bauwerken. Dabei werden sowohl Erfahrungen bei der Planung und Umsetzung von Instandsetzungsmaßnahmen als auch der Kenntnisstand bei der Entwicklung neuer Verfahren, Materialien und Untersuchungsmethoden kommuniziert. Basis hierfür sind die relevanten Baustoffe für Bauwerke (Stahlbeton, Mauerwerk, Holz). Angesichts der großen ökologischen und ökonomischen Bedeutung einer klima- und ressourceneffizienten Erhaltung von Bauwerken, wird auch dem Thema Nachhaltigkeit ein Schwerpunkt gewidmet. Im Rahmen des 9. Kolloquiums „Erhaltung von Bauwerken“ werden etwa 50 Beiträge aus Forschung, Industrie und Praxis in parallelen Sessions zu folgenden Themenschwerpunkten präsentiert: • Digitalisierung und BIM • Bauwerksdiagnostik und Monitoring • Nachhaltigkeit beim Bauen im Bestand • Bautenschutz • Kathodischer Korrosionsschutz (KKS) • Schadstoffe/ Gefahrstoffe • Instandsetzung von Ingenieurbauwerken • Instandsetzung von historischen Bauten, Denkmalpflege • Mauerwerksinstandsetzung • Wasserbauwerke • Normen und Richtlinien Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Verfahren, Methoden und Technologien für die Beurteilung, Instandsetzung und Denkmalpflege von Bauwerken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ 50009. 7 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenar 0.1 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff unter Beachtung alterungs- und einbaubedingter Einwirkungen auf die Tragfähigkeit 13 Tommy Börner, M. Eng., Dr.-Ing. Gunter Linke, Prof. Dr.-Ing. Jörg Röder, Prof. (i. R.) Dr.-Ing. Wolfgang Rug 0.2 Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steigerung der Nachhaltigkeit bei energetischen Sanierungen - NaiS! Die Zukunft der intelligenten Sanierung 21 Hanna Bonekämper, M. A. 1.0 Bauwerksdiagnostik und Monitoring 1.1 Lebenslanges und proaktives Feuchtemonitoring von Betonbauwerken 29 Christian Steffes, M. Sc. 1.2 Holzfeuchteermittlung an Flachdächern mit Mikrowellentechnologie 35 Diplom-Holzingenieur Reiner Klopfer 1.3 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes 41 Dipl.-Ing. Helena Eisenkrein-Kreksch, Philipp Gosemann, M. Sc. 1.4 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes 49 Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann, Dipl.-Ing. Tomas Peiser 2.0 Nachhaltigkeit beim Bauen im Bestand 2.2 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) 59 Dr. Joris Burger 3.0 Kathodischer Korrosionsschutz (KKS) 3.1 Kathodischer Korrosionsschutz bei hohem Sulfat- und Chloridgehalt 69 Dr.-Ing. Amir Asgharzadeh 3.2 Instandsetzung von Additivdecken in Parkhäusern 71 Dipl.-Chem. Detlef Koch, Heiner Stahl 3.3 Einfluss kathodischer Polarisation auf den kritischen Chloridgehalt für Bewehrungsstahl in Beton 77 Konstantin Fache, M. Sc., Prof.’in Dr.-Ing. Sylvia Keßler, Prof. Dr.-Ing. Jörg Harnisch 88 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 4.0 Bautenschutz 4.1 Geklebte Verstärkungen - Brandschutz und hohe Temperaturen 85 Dipl.-Ing. (FH) Florian Eberth 4.2 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile 91 Dr.-Ing. Roman Sedlmair 4.3 Flüssigabdichtung im Bestand 103 Mario Heinl 4.4 Künftige Herausforderungen bei Dachabdichtungen für Flachdächer im Bestand 109 Marc Niewöhner 4.5 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis 113 Prof. Dr.-Ing. Alexander Schumann, Dr.-Ing. Juliane Wagner, Dipl.-Wirt.-Ing. Miriam Melzer 5.0 Normen und Richtlinien 5.1 Die qualifizierte Führungskraft (QuF) 123 Prof. Dr. jur. Gerd Motzke 6.0 Digitalisierung und BIM 6.1 Vorzüge des digitalen Gebäudezwillings bei Objektuntersuchung und Instandsetzungsplanung 133 Philipp Gosemann, M. Sc. 6.2 Einsatz von Linked Data zur effizienten Verwaltung der Informationen in Bestandsgebäuden - Potenziale und Herausforderungen 137 Bin Wu, M. Sc. 6.3 Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung - aktueller Stand und zukünftige Entwicklung 143 Dr. Iris Hindersmann, Ralph Holst, Kay Degenhardt 6.4 Mit KI die Bauwelt neu denken - Digitalisierung im Bestand 149 Simon Stemmler, Bastian Stahl 7.0 Instandsetzung von Ingenieurbauwerken 7.1 Ermüdungsverhalten von Betonstählen nach Chloridbeanspruchung 157 Kevin Kriescher, M. Sc., Dr.-Ing. Christian Helm, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 7.2 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze 163 Dipl.-Ing. Andreas Möller, Johanna Höb, M. Sc. 7.3 Innovative Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken 173 Annette Dahlhoff, M. Sc., Dr.-Ing. Till Büttner, Conrad Pelka, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx 7.4 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis 181 Dipl.-Ing. Georg Schäfer 9 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 9 8.0 Mauerwerksinstandsetzung 8.1 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden 195 Dr.-Ing. Bernd Kister 8.2 Fugeninstandsetzung 215 Hans-Hermann Neumann 9.0 Schadstoffe/ Gefahrstoffe 9.1 Reaktionsharze - Maßnahmen zum sicheren Umgang bei der Sanierung von Bauwerken 229 Dr. Klaus Kersting 10.0 Instandsetzung von historischen Bauten, Denkmalpflege 10.1 Denkmalschutz trifft Technische Regel Instandhaltung 237 Dipl.-Ing. Architekt Christian Schießl, M. BP. 10.2 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns 245 Dipl.-Ing. Kurt Christian Ehinger 10.3 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk 255 Prof. Dr.-Ing Sylvia Stürmer, Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg 10.4 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz 263 Dr.-Ing. Andreas Hasenstab, Dipl.-Ing. Raphael Schreiber, Dipl.-Ing. Konrad Zorzi 10.5 Sanierung des Berufsschulzentrum „Prof. Dr. Zeigner“ in Dresden 273 Dipl.-Ing Frank Halm 11.0 Wasserbauwerke 11.0 Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbau - Mechanismen, Vorbeugung, Instandsetzung 281 Dr.-Ing. Amir Rahimi, Dipl.-Ing. Andreas Westendarp 11.0 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen 287 Dipl.-Ing. Marc Schmitz, Anna Fuhrmann, M. Sc. 11.0 Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen - Planen & Bauen 295 Dipl.-Ing. Harold Kötz, Dipl.-Ing. Christoph Begemann 12.0 Anhang 12.1 Programmausschuss 303 12.2 Autorenverzeichnis 305 Plenar 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 13 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff unter Beachtung alterungs- und einbaubedingter Einwirkungen auf die Tragfähigkeit Tommy Börner, M. Eng. Fachhochschule Potsdam Dr.-Ing. Gunter Linke Sachverständigenbüro, Eberswalde Prof. Dr.-Ing. Jörg Röder Fachhochschule Potsdam Prof. (i. R.) Dr.-Ing. Wolfgang Rug Sachverständigenbüro, Eberswalde Zusammenfassung Mit der Anmeldung des Patents DRP Nr. 197773 legte der Großherzogliche Zimmerermeister Otto Hetzer (1849 - 1911) im Jahr 1906 den Grundstein für die Entwicklung von Brettschichtholz wie es heute bekannt ist. Seine innovative Bauweise führte nicht nur zu einer Holzersparnis bei den Konstruktionen, sondern auch zu einer Entwicklung, ohne die der heutige Ingenieurholzbau nicht so leistungs- und konkurrenzfähig wäre. Mangelnde Erkenntnisse über historische Brettschichtholzkonstruktionen führen immer wieder zum Abriss dieser bedeutenden Bauwerke und Zeugnisse ingenieurtechnischer Schaffenskraft. Der vorliegende Beitrag dient zur Erweiterung des Wissenstands über historisches Brettschichtholz sowie naturbasierte Klebstoffe. Gleichfalls wird der Frage nachgegangen, wie historische Brettschichtholzkonstruktionen im Kontext der aktuellen Normung erhalten werden können und auf welche Besonderheiten im Zuge dessen geachtet werden muss. 1. Einleitung Mit der Energiewende und dem erklärten Ziel der Klimaneutralität müssen auch Umstellungen im Bauwesen einhergehen. Die Verwendung ressourcenschonender Baustoffe liegt dabei im Fokus. Holz als nachwachsender Rohstoff bietet eine Vielzahl an Verwendungsmöglichkeiten. Im Hinblick auf eine immer stärkere Nachfrage an naturbelassenen Materialien können z. B. Brettstapelelemente bereits einen Beitrag dazu leisten, emissionsarme Konstruktionen herzustellen. Auch zum Beginn der Brettschichtholzherstellung wurden natürliche Klebstoffe wie Kasein-Leim verwendet. Um deren Verwendungsmöglichkeiten in heutigen Konstruktionen zu überprüfen, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts hergestellte Brettschichtholzträger auf ihr Tragverhalten untersucht. Der Erhalt von historischen Dachtragwerken ist nicht nur aus denkmalpflegerischer und ökonomischer Sicht von Bedeutung, sie stellen auch - gemessen am heutigen Ingenieurholzbau - noch immer sehr leistungsfähige Bauwerke dar. Mit zunehmendem Alter einer Holzkonstruktion in Ingenieurbauweise erschwert sich - wie nachfolgend erläutert - deren Nachweis der Standsicherheit. Die erste Holzbaunorm in Deutschland wurde im Jahr 1919 als DIN 104 „Holzbalken für Kleinhäuser“ eingeführt [1]. Durch die zwingend vorgeschriebene Einhaltung der zum Zeitpunkt der Errichtung gültigen Normvorschriften ist es in Verbindung mit dem Herstellungsjahr der Konstruktion möglich, die angewandten statischen Bemessungsregeln nachzuvollziehen und aus heutiger Sicht zu bewerten. Für Ingenieurbauwerke aus der Zeit vor der Einführung verbindlicher Normungen ist die Betrachtung aus statischer Sicht erschwert. Es galten bereits vor der Normierung im Bauwesen regionale, baupolizeiliche Vorschriften, welche bereits bei neuen Konstruktionsweisen versuchstechnische Nachweise zum Tragverhalten verlangten. Das Auffinden dieser Unterlagen und die Zuordnung zu der zu bewertenden Konstruktion ist nur noch in den seltensten Fällen möglich. Um fundierte Aussagen zum Tragverhalten historischer Brettschichtholzträger treffen zu können, wurden aus einem zum Beginn des 20. Jahrhundert errichteten Dachstuhl entnommene Mittelpfetten in Brettschichtholzbauweise untersucht. 2. Wissensstand und Entwicklungsgeschichte 2.1 Wissensstand zum Beginn bis Mitte des 20. Jh. Zum Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich das Holzhandwerk in einer Zeit des Umbruchs, wobei sich das traditionelle Zimmererhandwerk durch innovative Erfindungen zum Ingenieurholzbau entwickelte. Statische Erkenntnisse aus anderen Bauweisen (Tragwerke aus Eisen/ Stahl und Stahlbeton) und der Übergang von zim- 14 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff mermannsmäßigen Holzverbindungen zu Verbindungsmittel wie Ringdübel, Stabdübel oder Bulldog-Zahnblechen ermöglichte es den Zimmerleuten und Ingenieuren nun holzsparende und leistungsfähige Tragwerke herzustellen. Im Jahr der Patentanmeldung für die ersten, zur Serienherstellung gedachten, verleimten Holzbauteile durch den Großherzoglichen Hofzimmermeister Otto Hetzer 1906 gab es noch keine einheitliche Normung in Deutschland. Vorgaben zur Art und Ausführung eines Bauwerkes wurden baupolizeilich geregelt. Neuartige Konstruktionsweisen mit verdübelten oder verleimten Hölzern wurden zur damaligen Zeit durch Materialprüfungsanstalten oder das Königliche Materialprüfungsamt auf ihre Verwendbarkeit geprüft. Durch die Vergabe von Lizenzen in Deutschland und Europa erweiterten sich auch die Versuche an Hetzer-Bindern. So erhielt bereits 1908 die Ingenieurfirma Terner & Chopard aus Zürich ihre Lizenz zur Herstellung von Tragwerken in Hetzer- Bauweise [2]. Auftraggeber für Bauwerke in Hetzer-Bauweise war unter anderem die Schweizerische Bundesbahn (S.B.B.), welche zum Nachweis der Tragfähigkeit eine Versuchsdurchführung an 2 Bindern im Maßstab 1: 3 finanzierte [3]. Diese Form der Binder sollte dann für die neue Lokomotiv-Remise der S.B.B. in der Aebimatt in Bern Verwendung finden. Weitere Versuche folgten dann im Jahr 1919/ 1920 an der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt in Zürich. Die Ergebnisse dieser Versuchsreihen in Deutschland und der Schweiz stehen durch Veröffentlichungen im Zentralblatt der Bauverwaltung und der Schweizerischen Bauzeitung heute noch zur Verfügung. Neben Versuchen wurden die Hetzer-Binder unter der Berücksichtigung von Eigen-, Schnee- und Windlasten auch statisch nachgewiesen. Jedoch waren die dabei getroffenen Annahmen nicht immer vollständig korrekt, wie das Beispiel der Reithalle in St. Moritz zeigt [4]. Dort mussten die vier Hauptbinder, welche als Dreigelenkbogen ausgeführt wurden, mittels nachträglich eingebauter Zugbänder verstärkt werden, da sich bereits erste Verformungen zeigten. Im Bereich des Klebens gab es Anfang des 20. Jh. [5] bereits erste Schritte zur Herstellung synthetischer Klebstoffe, jedoch wurden in der Regel Kasein- oder Glutin- Leim verwendet. Diese in Wasser gelösten Leime wurden schon im alten Ägypten und der Antike zum Verkleben von Holz und anderen Materialien verwendet. Für eine industrielle Verarbeitung ist der Kasein-Leim dem Glutin- Leim vorzuziehen, da dieser ohne eine vorherige Erwärmung des Leims und der zu verbindenden Holzlamellen verarbeitet werden kann. Gleichfalls ist der Kasein-Leim wasserbeständiger als der Glutin-Leim. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es viele verschiedene Ansätze zur Herstellung eines wasserfesten Leims [5]. Ohne eine nähere Beschreibung der Zusammensetzung des Leims, setzt Hetzer ein von ihm entwickeltes „in Feuchtigkeit nicht lösliches Bindemittel“ [2] zur Herstellung seiner Binder ein. Dieser beruht im Grunde auf Kaseinbasis [6]. Im Laufe der weiteren Entwicklung von Kunstharzklebstoffen in den dreißiger/ vierziger Jahren [7] wurden naturbasierte Leime zunehmend bei der Herstellung von Brettschichtholz verdrängt. Mit der Einführung der DIN 1052: 1969-10 wurde auch die DIN 68141: 1969-10 „Holzverbindungen; Prüfung von Leimen und Leimverbindungen für tragende Holzbauteile, Gütebedingungen“ veröffentlicht [1]. In diesem Zeitraum findet der Kasein-Leim auch seine letzte explizite Erwähnung in der Normung. 2.2 Heutiger Wissensstand Die aktuellen Erkenntnisse im Umgang mit historischem Brettschichtholz beruhen auf einigen wenigen Untersuchungen an Hetzer-Bindern. So wurden an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde im Jahr 2011/ 2012 Versuche zur Festigkeit der Klebefugen an Hetzer-Bindern durchgeführt [8]. Dabei wurden 258 Leimfugen zur Auswertung herangezogen. Die Versuche erfolgten in Anlehnung an die damals geltende Norm DIN EN 392: 1996 (heute DIN EN 14080: 2013-09 [9]). Die Auswertung ergab, dass der Mittelwert der Scherfestigkeit der Klebefugen bei 4,3- N/ mm² und 4,9 N/ mm² (je nach betrachtetem Bauteil) lag und somit den heutigen Anforderungen nicht genügen würde. Ebenfalls an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (zu der Zeit noch Fachhochschule Eberswalde) wurden im Jahr 1999 in einem Teilprojekt zum Forschungsvorhaben „Vergleichende Betrachtungen europäischer Bauproduktennormen mit nationalen Bedingungen“ vergleichende Untersuchungen an Brettschichtholzverleimungen mit Natur- und Kunstharzleimen durchgeführt [10]. Hier wurden Zug- und Druckscherproben, sowie Delaminierungsblöcke und -brettchen aus Fichten- und Kiefernholz unter der Verwendung verschiedener Klebstoffe geprüft. Darunter auch modifizierter Kasein-Leim (Zugabe von 3 % emulgierbarem MDI) mit und ohne Schutzmittelzugabe. Die Ergebnisse zeigen für Kasein-Leim, dass dieser im trockenen Zustand vergleichbare Festigkeiten wie eine Kunstharzverklebung aufweist. Jedoch verlieren die Kaseinleimverbindungen nach Feuchte- und Wärmeeinwirkungen (verschiedene Testverfahren) schnell an Festigkeit. Die ermittelten Zugscherfestigkeiten (trockener Zustand) lagen zwischen 4,3 bis 6,3 N/ mm². Ein sehr interessantes und bedeutendes Fallbeispiel ist in diesem Zusammenhang die Lokomotiv-Remise (Depot) Aebimatt in Bern. Bereits vor ihrem Bau wurden Versuche zur Tragfähigkeit der Binder (siehe oben) durchgeführt. Im Jahr 2007 wurde in einem Gutachten der Austausch aller Binder empfohlen und die Konstruktion unter Verwendung von Baumstämmen temporär gesichert [11]. Begleitend wurde durch die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) die Scherfestigkeit der Bestandsklebefugen und eine mögliche Risssanierung mit einem 2-Komponenten PUR System geprüft [12]. Die Festigkeit der augenscheinlich noch intakten Klebefugen wurde an zwölf Bohrkernen mit 8,9 N/ mm² und 9,3 N/ mm² (Teilung der Bohrkerne in eine innere und äußere Probe) festgestellt. Laborversuche zur Risssanierung an einem ausgebauten Trägerteil zeigten, dass bei alten Delaminationsfugen die schwer zu entfernenden Verunreinigungen zu geringeren Klebefugenfestig- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 15 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff keiten führen als es bei einer Risssanierung an neuem Brettschichtholz der Fall wäre. Die Verstärkung der Träger mit Vollgewindeschrauben und eingeklebten GSA- Ankern führte zwar zu einer Erhöhung der vorhandenen Schubfestigkeit; dennoch wurden die normativ vorgegebenen Mindestwerte nicht erreicht. Ein Zweitgutachten der Firma Indermühle Bauingenieure ergab, dass durch den Einbau von Zugbändern und einzelner Risssanierungen die Standsicherheit wiederhergestellt werden kann. Dazu wurde an einem der 50 Binder das geplante Konzept umgesetzt und ein Belastungsversuch durchgeführt. Im Sommer 2022 wurde die Sanierung abgeschlossen, womit sich zeigt, dass auch über 100 Jahre alte Hetzer- Konstruktionen mit geringem (Kosten-) Aufwand nach heutigen Anforderungen ertüchtigt werden können. Nach Sichtung des Bildmaterials auf dem Internetauftritt des beteiligten Unternehmens SSA Architekten AG BSA SIA aus Basel bestand die Sanierung weitestgehend aus dem Einbau stählerner Zugbänder zur Aufnahme der durch die Bogenform im Kämpferbereich auftretenden Horizontalkräfte. Ungenügende Kenntnisse über das Tragverhalten historischer Brettschichtholzkonstruktionen und die erhöhten Anforderungen durch geltende Normen führen immer wieder zum Abriss dieser. Die aktuell gültige Norm für Brettschichtholz und Balkenschichtholz ist die DIN EN 14080: 2013-09 [9] in Verbindung mit den darin aufgeführten Normativen Verweisungen. 2.3 Wissensstand zum verwendeten Probematerial Hetzer-Konstruktionen bestehen in der Regel aus zwei gegenüberliegenden Leimholzbindern, die zusammen ein Hauptgebinde bilden. Durch eine Aneinanderreihung mehrerer Gebinde in einem Abstand von mehreren Metern (je nach verfügbaren Pfetten-Querschnitten) entsteht so das Tragwerk für die eigentliche Dachkonstruktion, bestehend aus Pfetten und Sparren. Die untersuchten Probekörper bildeten die Mittelpfetten eines mehrfach stehenden Dachstuhls. Die Dachstuhlkonstruktion überspannte die Aula des 1912 fertiggestellten Kaiserin Auguste Viktoria-Lyzeums (heute Fichtenberg-Oberschule) im Berliner Stadtteil Steglitz-Zehlendorf. In weiteren Versuchsreihen wurden zudem die Bogenträger der Aula- Deckenkonstruktion näher betrachtet [13]. Im vorliegenden Beispiel haben die fünf Gebinde einen Achsabstand von bis zu 7 m. Typisch für diese Konstruktionsweise ist, dass die paarweise aufgestellten Binder als Dreigelenk-Rahmen oder -Bogen ausgeführt wurden, je nach Formgebung der Binder. Bei Hallentragwerken werden die Gebinde oftmals derart ausgestaltet, dass diese direkt auf den Fundamenten aufgelagert werden. Die Aula der Fichtenberg-Oberschule befindet sich im zweiten Obergeschoss, sodass die fünf Hauptgebinde auf den Außenwänden, hergestellt aus Ziegelmauerwerk, aufgelagert wurden. Abbildung 1: viertes Hauptgebinde [14] 16 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff Die zuvor beschriebene Ausführungsweise trifft im engeren Sinne nur auf das 5. Hauptgebinde über der Bühne der Aula zu, die weiteren vier Gebinde bilden eine Hängesprengwerk-Konstruktion, wobei die einzelnen Leimbinder als Streben fungieren [siehe Abbildung 1]. Über die Länge der Hauptbinder wurden zwischen Fuß- und Firstpfette drei weitere Pfettenstränge angeordnet. Jeder Pfettenstrang besteht aus vier einzelnen Leimholzträgern mit einer Auflagerweite von rund 6,3-m zwischen dem 1. und 2. Hauptgebinde und rund 7,0-m zwischen den restlichen Gebinden. Die Mittelpfetten sind als Kopf bandträger ausgeführt, wodurch sich ihre für den rechnerischen Nachweis anzusetzende Stützweite auf den Abstand zwischen den Kopf bändern einer Pfette reduziert. Die Leimholzpfetten weisen einen veränderlichen Querschnitt auf, dessen Höhe zur Balkenmitte größer wird und folglich im mittleren Bereich die Form eines Fischbauchträger annimmt. Die Pfetten sind nicht direkt auf den Hauptbindern aufgelagert, sondern auf seitlich an die Binder angebrachte Kanthölzer, die einen Querschnitt von 8/ 16 cm aufweisen. Bedingt durch die gewölbte Deckenkonstruktion der Aula sind die Kopf bänder der ersten Mittelpfettenlage weniger weit ausgestellt als die der zweiten und dritten Mittelpfettenlage. Einige dieser Pfetten wurden beim Rückbau des Dachtragwerks vor der Entsorgung gesichert, so dass die Tragfähigkeit dieser Hetzerbinder experimentell ermittelt werden konnte. Für die auszuführenden Biegeversuche sollen die Prüfkörper in der Mitte des vorhandenen Zapfenlochs aufgelagert werden, um so in den Versuchen die einbaubedingte Auflagerstützweite zu erhalten. Somit ergeben sich 2 Prüfkörperserien. Serie 1 (6 Prüfkörper) umfasst die 1. Mittelpfettenlage mit einer Auflagerstützweite von ca. 4,59 m und Serie 2 (7 Prüfkörper) die der 2./ 3. Mittelpfettenlage mit einer Auflagerstützweite von ca. 4,02 m [siehe Abbildung 2]. Abbildung 2: Momenten- und Biegespannungsverlauf Im Bereich der Binder weisen die Pfetten eine Querschnittshöhe von 20 cm auf, die bis zur Mitte auf 40 cm zunimmt. Der Querschnitt selbst hat die Form eines Doppel-T-Trägers mit rund 16 cm breiten Ober- und Untergurten und einem ca. 6 cm breiten Steg. Der gekrümmte Untergurt besteht aus drei einzelnen, miteinander verleimten 2,7 cm dicken Brettlamellen. Steg und Obergurt sind aus Vollholz ausgeführt und durch Klebung untereinander und mit dem Untergurt verbunden. Während der Zustandsbegutachtung wurden auch vereinzelt Nägel als Verbindung zwischen den Trägerbestandteilen vorgefunden. Aufgrund der geringen Anzahl und Größe ist aber zu vermuten, dass diese eher der vorrübergehenden Fixierung der einzelnen Lagen vor dem Einspannen in die Leimpressen dienten. Zudem ist das Vorhandensein von 2 unterschiedlichen, entgegengesetzten Krümmungsradien am Untergurt festzustellen. In den Wendepunkten der Radien sind die Träger durch zwischen Ober- und Untergurt eingelegte und verleimte Hölzer sowie Stahlspangen verstärkt. Aus der Bestandsaufnahme durch die FPK-Ingenieurgesellschaft [14] lässt sich erkennen, dass auch im Bereich der Auflager Querschnittsverstärkungen vorhanden waren. Durch den unsachgemäßen Ausbau der Pfetten waren die Trägerenden bereits bei in Empfangnahme abgetrennt. Kopf bandträger können unter bestimmten Voraussetzungen als gelenkig gelagerter Träger auf zwei Stützen betrachtet werden, wobei als Stützweite der Abstand zwischen Mitte Kopf bandanschluss bis Mitte Kopf bandanschluss herangezogen wird. Die Mittelpfetten werden durch die ständigen Belastungen aus der Dacheindeckung (Lattung und Dachsteine) und der Sparren sowie durch ihr Eigengewicht beansprucht. Hinzu kommen die veränderlichen Lasten der Einwirkungen aus Schnee und Wind. Die Lasten aus Dacheindeckung, Sparren, Schnee und Wind vertei- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 17 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff len sich als konstante Streckenlast über die Trägerlänge. Das Eigengewicht spiegelt sich als parabelförmige Last mit einem Maximum in Trägermitte aufgrund der Trägergeometrie wider. Die Bemessung erfolgt aktuell nach den Vorgaben der DIN EN 1995-1-1 [15] und DIN EN 1995-1-1/ NA [16]. Einhergehend mit der sich veränderten Querschnittsfläche, ändert sich auch das Widerstandsmoment gegen Biegung W (X) vom Auflager zur Trägermitte. In Trägermitte hat es mit der größten Querschnittsfläche sein Maximum. Die Formgebung der Mittelpfetten entspricht so auch dem Verlauf des Biegemoments M (X) welches gleichfalls in Trägermitte am größten ist. Um das Verhalten des Trägers unter den Einbaubedingungen zu simulieren, wurden mit einer angenommenen Gleichstreckenlast von 7 kN/ m das Biegemoment und die daraus resultierende Biegespannung σ m(x) in regelmäßigen Abständen über die Trägerlänge ermittelt. Dabei konnte festgestellt werden, dass die betragsmäßig größten Biegespannungen nicht in Feldmitte auftreten, sondern bereits vorher (Träger ohne Kopf bänder). Zur Mitte hin nehmen die Biegespannungen dann wieder ab. Nach dieser Vorgehensweise wurde zum einen der gesamte Träger ohne Kopf bänder und zum anderen der Bereich zwischen den Kopf bändern betrachtet. Die größten Biegespannungen treten bei der Simulation für die erste Mittelpfettenlage genau in dem Bereich auf, der durch hölzerne Einlagen und Stahlspangen verstärkt wurde. Die Verstärkungsmaßnahmen wurden bei der Berechnung der Biegespannung nicht mit zu Grunde gelegt. Die Spannungsspitzen bei der Betrachtung ohne Kopf bänder liegen genau im Bereich der Kopf bandanschlüsse. Die Träger der zweiten Mittelpfettenlage weisen das Maximum dagegen direkt in Feldmitte auf. Somit zeigt sich, dass die holzeinsparende Anpassung der Trägerform an den Biegemomentenverlauf zwar zu Spannungsspitzen außerhalb der Trägermitte führt, aber durch den Einsatz von Kopf bändern wieder kompensiert werden kann. Die dadurch veränderten Maxima in der Biegespannung wurden dann wiederum durch eine Verstärkung des Trägerquerschnitts in den betroffenen Bereichen berücksichtigt. 3. Voruntersuchungen und Klebefugenfestigkeit 3.1 Voruntersuchungen Zum rechnerischen Nachweis der Mittelpfetten wird der Abstand zwischen den Kopfbändern als Stützweite herangezogen, wodurch auch die Auflagerpunkte für die durchzuführenden Vier-Punkt-Biegeversuch definiert sind. Die Träger wurden auf ein entsprechendes Maß gekürzt und die Abschnitte mit der Trägernummer versehen, sowie dem Vermerk „li“ für linker Abschnitt und „re“ für rechter Abschnitt. Diese Restlängen standen so für die geplanten Vorversuche zur Verfügung. Die Einzellängen variierten dabei von über einem Meter bis auf ca. 20 cm, was angesichts der teilweise erheblichen Vorschädigungen die Entnahme von geeignetem Probenmaterial zum Teil nicht zuließ. Zur Überprüfung der Druckfestigkeit in Faserrichtung, Rohdichte und Holzfeuchtegehalt konnten 390 Proben verwendet werden. Zur Ermittlung der Scherfestigkeit der Klebefugen in Anlehnung an DIN EN 14080/ Anhang D [9] konnten 95 Probekörper dem Versuch zugeführt werden. Für die mikroskopische Bestimmung der verwendeten Holzart wurden mit Hilfe eines Mikrotoms Dünnschnitte gewonnen, um die mikroskopischen Präparate herstellen zu können. Dazu wurden einzelne Holzstücke mehrere Stunden vorab gekocht. Anhand der makroskopischen und mikroskopischen Merkmale wurde die verwendete Holzart Fichte festgestellt. Bei einem Mittelwert der Holzfeuchte von ω m,0 -=-9,52 % beträgt der Mittelwert der Rohdichte ρ m, 9,52 -=-0,414 g/ cm³ und der Druckfestigkeit in Faserrichtung f c,m, 9,52 -=-48,48 N/ mm². Zu Beginn des 20.-Jahrhunderts wurden vor allem proteinbasierte Leime im holzverarbeitenden Gewerbe genutzt. Dazu gehören Glutin-Leim (auf Basis von Kollagen aus tierischen Nebenerzeugnissen) und Kasein-Leim (auf Basis von Caseinen aus Milch). Bei der Herstellung von Glutin-Leim aus tierischen Knochen wird das darin enthaltene Calciumphosphat je nach Verfahren herausgelöst, sodass im späteren Leim kein bis kaum Phosphor enthalten ist. Die Caseine enthalten alle Phosphor, welches auch beim Herstellungsprozess des Leims nicht abgespalten wird. Durch einen mikrochemischen Proteinnachweis kann im ersten Schritt die Verwendung künstlicher Klebstoffe ausgeschlossen werden. Im zweiten Schritt kann durch einen Phosphatnachweis zwischen Glutin- und Kasein-Leim unterschieden werden. Jedoch ist dieser Nachweis stark fehlerbehaftet, da gerade bei sehr alten Klebeverbindungen Verunreinigungen und/ oder Beimengungen (z. B. phosphathaltige Flammschutzmittel) zu einem positiven Phosphatnachweis auch bei Glutin-Leimen führen können. Um weiter zwischen Glutin- und Kasein-Leim differenzieren zu können, sind mikroskopische Untersuchungen, Infrarotspektroskopie und umfangreiche chemische Analysen notwendig. Der abschließend erstellte Laborbericht [17] zur Bestimmung der in den zu untersuchenden Träger verwendeten Leimart kommt bei der Unterscheidung zwischen Glutin- und Kasein-Leim zu keinem eindeutigen Ergebnis. Gesichert ist, dass der verwendete Leim auf Proteinbasis hergestellt wurde und Phosphat enthält. Der positive Phosphatnachweis sowie die höhere Übereinstimmung mit dem Kaseinreferenzspektrum deuten auf die Verwendung eines kaseinhaltigen Leims hin, sowie auch der Erhalt der Klebefuge nach mehrstündigem Kochen zur Herstellung von Dünnschnittpräparaten. 3.2 Klebefugenfestigkeit Zur Untersuchung der Klebefugenfestigkeit wurden aus dem Querschnitt der abgetrennten Trägerenden Probekörper mit einer Kantenlänge a- ≈- 50 mm geschnitten. Aufgrund der Vorschädigungen an den Trägerenden konnten nicht aus jedem Abschnitt sämtliche Klebefugen den Versuchen unterzogen werden. Der Mittelwert der Scherfestigkeit aller Proben ergab f v,m,ges = 7,52 N/ mm², mit einer Streuung von 1,74 N/ mm² bis 12,90 N/ mm². Bei einer Standardabweichung von 2,87 ergibt sich ein Variationskoeffizient von 38,19 %. Unter dem Abschnitt 5.5.5.2.3 „Scherfestigkeit von Klebefugen“ der DIN EN 14080 wird eine Mindest-Scherfestigkeit von 6 N/ mm² 18 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff bei mindestens 74 % Faserbruchanteil für Einzelwerte gefordert. Insgesamt erfüllen, ohne weitere Betrachtung des Faserbruchanteils, 62 Proben den Mindestwert der Norm von 6 N/ mm² mit einem Mittelwert von 9,31 N/ mm². Im Prüf bericht muss laut Abschnitt D.7 des Anhang D [DIN EN 14080, 2013] keine Angabe über den Faserbruchanteil gemacht werden. Bei Ergebnissen von 4 bis 6 N/ mm² muss der Faserbruchanteil bei 100 % liegen (siehe Tabelle 10 in [9]). Der reine Faserbruch (100 %) beschreibt das Versagen der Bindungskräfte (Kohäsionskräfte) benachbarter Holzzellen, er tritt somit nur außerhalb der Klebefuge und den anschließenden Grenzbereichen auf [siehe Abbildung 3]. Abbildung 3: Klebefuge Die Bindungskräfte von Molekülen untereinander und damit auch innerhalb des Holzes und innerhalb des Klebstoffs werden als Kohäsion bezeichnet [18]. Die formschlüssige Verbindung des Leims mit den angrenzenden Holzzellen wird als mechanische Adhäsion bezeichnet. Findet der Bruch ausschließlich in der Klebefuge statt (0 % Faserbruch), haben die Kohäsionskräfte im Leim versagt. Zwischen der Klebefuge und den zu fügenden Holzoberflächen existiert ein Grenzbereich, in dem, im Falle eines Versagens, zu definieren ist, ob es sich um ein Versagen der Klebefuge oder der Holzzellen handelt. In den häufigsten Versagensfällen der hier untersuchten Bruchflächen, verlief der Bruch mäandernd zwischen der Klebefuge und den Grenzbereichen. Das führt unter der Betrachtung mit UV-Licht zu einer landkartenähnlichen Verteilung von Leim- und Holzflächen. Auch nur eine Reihe mit Holzzellen würde so dem Faserbruchanteil zugeordnet werden, was aber im eigentlichen Sinn ein Versagen der mechanischen Adhäsionskräfte bedeuten würde und dem Versagen der Klebefuge zugeordnet werden müsste. 4. Ermittlung der Tragfähigkeit durch 4-Punkt-Biegeversuche Zur Ermittlung der Biegefestigkeit und des Biege-Elastizitätsmoduls standen insgesamt 13 Träger zur Verfügung. Wie bereits beschrieben, ergeben sich durch die unterschiedliche Anordnung der Kopf bänder in der 1.-und 2./ 3. Mittelpfettenlage zwei unterschiedliche Stützweiten für die Serien S 1 und S 2. Die Versuche wurden in Anlehnung an die DIN EN 408 [19] durchgeführt. Zur Messung der Durchbiegung des Trägers während der Versuchsdurchführung wurden jeweils am Untergurt im Bereich der Auflager, Lasteinleitungspunkte und in Trägermitte Wegaufnehmer angebracht. Zur Bestimmung des globalen Biege-Elastizitätsmoduls nach DIN EN 408 ist der Kurvenabschnitt des Kraft-Weg-Diagramms im Bereich zwischen 0,1*F max,est und 0,4*F max,est einer Regressionsanalyse zu unterziehen, wobei der Korrelationskoeffizient größer 0,99 betragen muss. Diese Bedingung wurde bei allen durchgeführten Biegeversuchen erfüllt. Somit erfolgte die Ermittlung des Elastizitätsmoduls für alle Träger zwischen einer aufgebrachten Last von F ≈ 7,8 kN bis F ≈ 18,2 kN, was bei einer angenommenen Höchstlast von F est -=-52,00 kN einem Faktor von 0,15*F est und 0,35*F est entspricht. Die angenommene Höchstlast F est wurde zuvor berechnet und anhand von Vorversuchen angepasst. Nach DIN EN 384 [20] ergibt sich für alle Träger ein Elastizitätsmodul von E m,0,mean = 6.201,97 N/ mm² und ein 5-%-Quantil von E m,0,k = 4.155,31 N/ mm². Die Bestimmung der Biegefestigkeit erfolgte in Anlehnung an Abschnitt 19 der DIN EN 408 [19]. Die zu berechnende Biegefestigkeit entspricht der maximalen Biegespannung im Träger zum Zeitpunkt des Versagens. Aufgrund der vorliegenden Trägergeometrie und Belastungssituation beim 4-Punkt-Biegeversuch tritt die maximale Biegespannung nicht in Trägermitte, sondern im Bereich der Lasteinleitungspunkte auf. Hier erreicht das Biegemoment seinen Maximalwert, wohingegen das Widerstandsmoment gegen Biegung geringer als in Trägermitte ist. Der charakteristische Wert der Biegefestigkeit beträgt nach DIN EN 14358 [21] f m,k -=-3,96 N/ mm². Die ermittelten Biegefestigkeiten sind als geringer anzusehen als die tatsächlichen Biegefestigkeiten der Träger, da alle im 4-Punkt- Biegeversuch durch ein Versagen auf Schub im Bereich der Auflager und nicht durch einen Biegebruch versagten. Das bedeutet, dass zum Zeitpunkt des Versagens nicht die Biegefestigkeit der Träger, sondern die Schubfestigkeit der verwendeten Hölzer bzw. die der Leimfugen überschritten wurde. Abbildung 4: 4-Punkt-Biegeversuch 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 19 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff Abbildung 5: links typischer Schubspannungsverlauf - rechts untypischer Verlauf Als Auflagerpunkte wurden die damaligen Einbindepunkte der Kopf bänder gewählt, bei denen bauzeitlich keine Querschnittsverstärkungen angebracht waren. Die Auswertung der Biegeversuche hat weiterhin gezeigt, dass der I-förmige Querschnitt mit abnehmender Steghöhe und demgegenüber stehenden großen Querschnitten von Ober- und Untergurt zu einer untypischen Schubspannungsverteilung führt [siehe Abbildung 5]. 5. Zusammenfassung und Ausblick Das eingangs betrachtete Beispiel der Lokomotiv-Remise (Depot) Aebimatt für ein noch bestehendes Hetzer-Bauwerk zeigt, dass es auch nach über 100-jähriger Standzeit möglich ist, diese Konstruktionen nach heutiger Maßgabe zu ertüchtigen und zu erhalten. Der oft aus Mangel an belastbaren Festigkeitswerten zu historischem Brettschichtholz durchgeführte Abriss ist aus ökonomischer und ökologischer Sicht nicht zu befürworten. Vielmehr muss die Anzahl von versuchstechnischen Untersuchungen an historischem Brettschichtholz erhöht werden, um die Tragfähigkeit fundiert beurteilen und damit zukünftig Rückbauten vermeiden zu können. Die vorgestellten Ergebnisse stellen einen Beitrag dazu dar. Im 4-Punkt- Biegeversuch versagten die Träger frühzeitig auf Schub im Bereich der Auflager. Für weitere Biegeversuche an Hetzer-Trägern sollten die Querschnitte im Auflagerbereich verstärkt werden, um reale Biegefestigkeiten ermitteln zu können. In der ursprünglichen Einbausituation waren hölzerne Einlagen am Trägerende über dem Auflager zwischen Ober- und Untergurt mit dem Steg verleimt. Die Auswertung der Biegeversuche hat weiterhin gezeigt, dass sich im I-förmigen Querschnitt mit abnehmender Steghöhe und demgegenüber stehenden großen Querschnitten von Ober- und Untergurt untypische Schubspannungsverteilungen einstellen. Die maximalen Spannungen treten dabei nicht wie üblich in Stegmitte, sondern in den Klebefugen zwischen Steg und Unterbzw. Obergurt auf. In weiteren Versuchen sollten daher Möglichkeiten zur Schubverstärkung in schubgefährdeten Bereichen untersucht werden, z. B. durch den Einsatz von Vollgewindeschrauben. Es wird weiterhin empfohlen, eine chemische Analyse der oberflächennahen Holzschichten vorzunehmen, um Rückschlüsse auf den Einsatz von Holz- und Flammschutzmitteln ziehen zu können, die eventuellen Einfluss auf die Klebefugenfestigkeit haben könnten. Zudem sollten die Scherflächen der Klebefugenprüfung auf bereits vor dem Versuch inaktive Verklebungen hin untersucht werden. So besteht die Möglichkeit anhand der Restfläche die Scherfestigkeit anzupassen (z. B. bei Ergebnissen von f v < 6 N/ mm²). Mit Hilfe von UV-Licht lassen sich die inaktiven Verklebungen als dunkel verfärbte Bereiche identifizieren. Die mikroskopischen und makroskopischen Analysen haben überwiegend die Verwendung von Fichtenholz zur Trägerherstellung ergeben, wobei der Einsatz von Tannenholz nicht ausgeschlossen werden konnte. Das entspricht der heutigen normativen Vorgabe, dass Brettschichtholz aus einer Holzart hergestellt werden muss. Hierbei werden Tanne und Fichte gemeinsam als eine Holzart betrachtet. Der nicht erfüllte Nachweis der Tragfähigkeit ist eher nicht auf eine ungenügende ursprüngliche Bemessung der Träger und unzureichende Festigkeit des naturbasierten Leims zurückzuführen, sondern zumindest anteilig oder gänzlich auf die die Tragfähigkeit beeinflussenden Vorschädigungen während des unzweckmäßigen Rückbaus und der ungünstigen Zwischenlagerung. Die Konstruktionsweise Hetzer ist heute wie früher eine wegweisende Erfindung. Die materialsparenden und auf den Einsatzzweck abgestimmten Querschnitte können auch heute, wenn nötig auch mit künstlichen Klebstoffen hergestellt, einen Beitrag zu einer ressourcenschonenden Bauweise liefern. Zudem ist der Einsatz von proteinbasierten Leimen, vor allem aus pflanzlichen Rohstoffen, in vordefinierten Umgebungsbedingungen nicht auszuschließen und sollte weiter untersucht werden. Durch intensive Forschung und Zusammenarbeit mit den Denkmalschutzbehörden sollte es in Zukunft möglich sein, den weiteren Abriss historischer Brettschichtholzkonstruktionen zu verhindern. 20 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Vergleichende Untersuchungen an historischem Brettschichtholz mit natürlich basiertem Klebstoff Literaturverzeichnis [1] Rug, Wolfgang. Ausgewählte historische Bemessungs- und Konstruktionsnormen von 1917 bis 2007. [Hrsg.] DIN Deutsches Institut für Normung e.V. Berlin- : Beuth Verlag GmbH Berlin Wien Zürich, 2016. Bd. Holzbau im Bestand. [2] Rug, Wolfgang. 100 Jahre Hetzer-Patent. Bautechnik 83. 2006, Heft 8, S. 533-540. [3] Chopard, Charles. Bruchversuche mit Hetzerbindern. Schweizeriche Bauzeitung. 1913, Bd. 61/ 62, Heft 22, S. 291-295. [4] Maissen, Manuel, Gramegna, Fabrizio und Holzer, Stefan M. Pioniergeist und Optimismus - Die Hetzer-Dachkonstruktion der Reithalle von St.- Moritz. Bündner Monatsblatt. 4 2019, S. 355-375. [5] Sutermeister, Edwin. Das Kasein - Chemie und technische Verwertung. Berlin: Springer Verlag Berlin Heidelberg GmbH, 1932. [6] Gesteschi, Th. Handbibliothek für Bauingenieure Der Holzbau. [Hrsg.] R. Otzen. Berlin: Springer- Verlag Berlin Heidelberg GmgH, 1926. [7] Kühne, Helmut. 70 Jahre geleimte Holz-Tragwerke in der Schweiz. Schweizer Ingenieur und Architekt. 1979, Bd. 97, 32-33. [8] Rug, Wolfgang, Linke, Gunter und Winter, Leonard. Untersuchungen zur Festigkeit der Klebefugen von historischem Brettschichtholz. Bautechnik 90. 2013, Heft 10, S. 651-659. [9] DIN EN 14080. DIN EN 14080 Holzbauwerke - Brettschichtholz und Balkenschichtholz - Anforderungen. September 2013. [10] Deppe, H.-J. Vergleichende Untersuchungen an Brettschichtholz(BSH)-Verleimungen mit Natur- und Kunstharzen im Kurzzeitversuch nach internationalen Standards ... und Ermittlung der Langzeitbestädigkeit. Fachhochschule Eberswalde. Stuttgart-: Fraunhofer IRB Verlag, 2000. [11] Indermüle Bauingenieure. www.i-b.ch. https: / / www.i-b.ch/ referenzen/ sanierungen/ depot-aebimatt-bern. [Online] 11.06.2022. [12] Richter, Dr. K., Risi, W. und Gehri, Prof. E. WHFF Projekt Nr. 2007.05 Klebstofftechnische Sanierung von Brettschichtholz: Ergänzende Untersuchungen zur Ermittlung der statischen Wirksamkeit von Klebefugensanierungen. Abteilung Holz. Dübendorf- : EMPA, 2011. [13] Linke, Gunter, et al. Bestand statt Austausch - Untersuchungen zum Trag- und Verformungsverhalten von historischen Brettschichtholzbauteilen. Bauingenieur. 2022, Bd. 97, 9. [14] FPK-Ingenieurgesellschaft mbH. Fichtenberg Oberschule, Berlin Steglitz - Bestandsaufnahme Dachstuhl. [Planzeichnung M 1: 50]. 2016. [15] DIN EN 1995-1-1. DIN EN 1995-1-1, Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten - Teil1-1: Allgemeines - Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau. Deutsche Fassung. 2010. [16] DIN EN 1995-1-1/ NA. DIN EN 1995-1-1/ Nationaler Anhang - Teil 1-1: Allgemeines - Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau. Deutsche Fassung. 2013. [17] Fuchs, Christine. Identifizierung eines Klebstoffs. Stadt/ Bau/ Kultur, Fachhochschule Potsdam. Potsdam-: s.n., 2022. Untersuchungsbericht. [18] Habenicht, Gerd. Kleben - Grundlagen, Technologien, Anwendungen. 5. Auflage. Wörthsee/ Steinebach-: Springer Berlin Heidelberg New York, 2006. [19] DIN EN 408. DIN EN 408: 2012-10 Holzbauwerke- Bauholz für tragende Zwecke und Brettschichtholz- Bestimmung einiger physikalischer und mechanischer Eigenschaften. 2012. [20] DIN EN 384. DIN EN 384: 2019-02 Bauholz für tragende Zwecke-Bestimmung charakteristischer Werte für mechanische Eigenschaften und Rohdichte. 2019. [21] DIN EN 14358. DIN EN 14358: 2016-11 Holzbauwerke-Berechnung und Kontrolle charakteristischer Werte. 2016. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 21 Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steigerung der Nachhaltigkeit bei energetischen Sanierungen - NaiS! Die Zukunft der intelligenten Sanierung Hanna Bonekämper, M. A. Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Zusammenfassung In Deutschland besteht ein erheblicher Bedarf an Sanierungsmaßnahmen für Bestandsgebäude, der durch die „Renovation Wave“ in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Immobilienbestandshalter suchen nach effektiven Strategien zur Umsetzung dieser Maßnahmen. Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) arbeiten daher mit der DGNB e.V., CAALA GmbH, Concular GmbH und Ed. Züblin AG an einer digitalen Austauschplattform, die quelloffene Standards nutzt, um nachhaltige und intelligente Ansätze für energetische Sanierungen zu entwickeln. Dieser Beitrag skizziert einen Einblick in die laufende Forschung und beleuchtet gegenwärtige Herausforderungen bei der energetischen Gebäudesanierung. Zudem werden erste Lösungen präsentiert, die darauf abzielen, Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zur Digitalisierung und Anreicherung von analogen Daten von Bestandsgebäuden anzuwenden. Dadurch soll eine datenbasierte Entscheidungsfindung gefördert werden, die die Effizienz und Nachhaltigkeit von Sanierungsprojekten verbessert. 1. Einführung Da rund 75 Prozent der Gebäude in Deutschland vor 1978 errichtet wurden [1], liegen zu den meisten Bestandsgebäuden nur analoge und oft unvollständige Daten vor. Um zielführend und nachhaltig sanieren zu können, ist eine zuverlässige Datengrundlage jedoch essenziell. Daher liegt die Motivation des Forschungsprojektes „NaiS“ (Nachhaltige intelligente Sanierungsmaßnahmen) darin, analoge Daten von Bestandsgebäuden zu digitalisieren und diese mit weiteren Informationen, wie zum Beispiel Nachhaltigkeitskennwerten anzureichern. Die NaiS-Plattform wird voraussichtlich zwei Anwendungsfälle anbieten - zum einen die Bewertung des energetischen Ist-Zustands des betrachteten Bestandsgebäudes, so genannte „Quick Checks“. Zum anderen die Bewertung des konkreten Sanierungspotenzials mithilfe digitaler Analysewerkzeuge. Die NaiS-Plattform wird somit zu einem entscheidenden Instrument für die datenbasierte Transformation von Bestandsgebäuden, insbesondere für Zielgruppen wie Softwareunternehmen, die mit den digitalisierten Daten weiterarbeiten oder Immobilienbestandshalter, die erste Einschätzungen zum Sanierungspotenzial erhalten können. 2. Hauptkapitel 2.1 Die Relevanz von Sanierungen bei Bestandsgebäuden Im Jahr 2022 war allein der Gebäudesektor in Deutschland für 111 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente verantwortlich. Um die Dekarbonisierungsziele zu erreichen, ist geplant, die CO₂-Emissionen aus dem Gebäudebereich bis 2030 auf etwa 66 Millionen Tonnen in Deutschland zu reduzieren [2]. Eine besondere Herausforderung ist dabei, dass etwa 75 Prozent der deutschen Gebäude vor 1978 also vor der ersten Wärmeschutzverordnung errichtet wurden [1]. Dies führt zu der Notwendigkeit energetischer Sanierungsmaßnahmen aufgrund unzureichender Energieeffizienz [4]. Es wurden bereits diverse Tools entwickelt, darunter TOBUS [5], MEDIC [6] und weitere Entscheidungsunterstützungssysteme [7]. Trotz der Existenz dieser Werkzeuge und der globalen Relevanz von Nachhaltigkeit konnte bisher keine umfassende Verbreitung erreicht werden. 2.2 Herausforderung: Daten von Bestandsgebäuden sind nicht digitalisiert Die Tatsache, dass der Großteil der Gebäude in Deutschland vor 1978 errichtet wurde, führt oft zu einer unzureichenden Datenlage bei Bestandsgebäuden. Erst im Jahr 1982 wurde die Computer Aided Design (CAD)-Technologie durch das US-Softwareunternehmen Autodesk flächendeckend auf den Markt gebracht [8]. Durch die CAD-Technologie wurde das analoge Zeichnen obsolet und das Erstellen von digitalen Zeichnungen möglich. Dadurch wird deutlich, dass aufgrund des Alters heute viele Bestandsgebäude ausschließlich über analoge Daten verfügen. Die Verwendung vorwiegend analoger Daten erschwert jedoch die präzise Analyse der Bestandsgebäude. Um Sanierungen an Gebäuden effizient und erfolgreich durchzuführen, ist es daher essenziell, sich mit der Digitalisierung bereits vorhandener Bestandsdaten auseinanderzusetzen und diese mit weiteren Informationen anzureichern. 22 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steigerung der Nachhaltigkeit bei energetischen Sanierungen - NaiS! Die Zukunft der intelligenten Sanierung 2.3 Perspektive der Praxis Um die Herausforderungen der Praxis bei der Sanierung von Bestandsgebäuden zu verstehen, wurden zu Beginn des Forschungsprojektes 27 Experteninterviews durchgeführt. Die Methodik folgte einem strukturierten, vierstufigen Prozess: 1. Hierfür wurden durch das Board of Innovation (www. ai.boardofinnovation.com) zunächst KI-gestützte Hypothesen generiert (Abb.1). 2. Diese Hypothesen wurden in einem Expertenworkshop weiter verfeinert. 3. Dann folgten 27 Experteninterviews mit verschiedenen Stakeholdern, darunter Projektentwickler, Architekten und Immobilienbestandshalter. 4. Auswertung der Interviews zu den erstellten Hypothesen. Abb. 1: KI-generiertes Problemverständnis zu Nachhaltigkeitsbewertungen im Gebäudebestand (www.ai.boardofinnovation.com) Die Ergebnisse der Experteninterviews bestätigten, dass die Datenbasis für die Bewertung von Bestandsgebäuden begrenzt ist und oft unvollständige oder veraltete Informationen aufweist. Obwohl Dokumente wie Bestandspläne, Energieausweise und Verbrauchsdaten vorhanden sind, fehlen häufig entscheidende Details zu Raumhöhen oder zu Materialitäten. Aufgrund der Unentbehrlichkeit dieser Details für die Ableitung von Sanierungsmaßnahmen sind in vielen Fällen Begehungen der Gebäude notwendig. Die Experten nannten eine KI-getriebene Extraktion relevanter Informationen aus Bestandsdokumenten, ihre Plausibilisierung und die Überführung in ein erstes digitales Gebäudemodell als möglichen Lösungsansatz, um möglichst schnell eine erste Datengrundlage für Analysen oder als Grundlage für Vor-Ort- Begehungen zu erstellen. Schließlich gaben die Experten an, dass sie sich vor allem mit der Datenerhebung und deren digitaler Auf bereitung auseinandersetzen. Ein Interviewpartner erwähnte, dass in seinem Team fünf bis sechs Personen mit der Bestandsaufnahme und Digitalisierung beschäftigt sind. Die digitalisierten Daten werden für die Erstellung und Bewertung von Sanierungsszenarien verwendet. Es wurde jedoch auch darauf hingewiesen, dass aufgrund getroffener Entscheidungen zu Umbauten oder Abriss das Gebäudemodell stark angepasst werden muss, was zu einem erheblichen Aufwand für die Informationsdigitalisierung und -auswertung führt. Diese digitalisierten Daten finden jedoch im weiteren Prozess nur begrenzte Anwendung. Angesichts dieser Herausforderungen nannten die befragten Experten verschiedene Lösungsansätze: 1. Die KI-getriebene Extraktion relevanter Informationen aus Bestandsdokumenten, deren Plausibilisierung und Überführung in ein erstes IFC-Modell. 2. Die Ermittlung statistischer Kennwerte über eine Vielzahl abgeschlossener Projekte und das Füllen von Lücken mit diesen Kennwerten. 3. Erstellung eines Suchgenerators für geeignete Zertifizierungs- und Fördermöglichkeiten. 4. Die Entwicklung von „Quick-Checks“ bzw. Ersteinschätzungen, mit denen auf Basis der vorhandenen Daten erste Einschätzungen zu Sanierungsszenarien getroffen werden können. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 23 Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steigerung der Nachhaltigkeit bei energetischen Sanierungen - NaiS! Die Zukunft der intelligenten Sanierung 2.4 Digitalisierung analoger Grundrisse Daten zu Bestandsgebäuden wie Bestandspläne sowie Verbrauchs- und Bedarfsausweise sind meist nicht digitalisiert. Hier setzt das Forschungsprojekt NaiS an, in dem in einem ersten Schritt Grundrisse durch Künstliche Intelligenz digitalisiert werden. Es wurde ein KI-Modell entwickelt, das als Grundlage für die Digitalisierung von analogen Grundrissen dient. Der Trainingsdatensatz von [9] umfasst zum aktuellen Zeitpunkt 4.200 Bilder. Abb. 2: Typischer Grundriss als Grundlage für die Digitalisierung mit KI, Bildquelle [9] In Abbildung 2 ist ein typischer Grundriss dargestellt, der für die Evaluierung des KI-Modells verwendet wurde. Dabei wurde bewusst auf praxisnahe Elemente wie gekrümmte Wände oder handschriftliche Planergänzungen geachtet, um eine Annäherung an realistische Daten zu erreichen. Gegenstand der Untersuchungen ist es, ob das KI-Modell diesen Grundriss korrekt erkennen und in Pixel übersetzen kann. Abb. 3: Annotation bei der Digitalisierung von Grundrissen mit KI, Bildquelle [9] In Abbildung 3 befindet sich die Klassifizierung von Bildelementen, durchgeführt von einem Experten. Diese Annotation wird als Referenz für das Training der KI genutzt. Die annotierten Elemente umfassen Wände, Fenster und Türen. Abb. 4: Ergebnis bei der Digitalisierung von Grundrissen mit KI, Bildquelle [9] In Abbildung 4 ist die Vorhersage des KI-Modells dargestellt, welche die Genauigkeit der Grundriss-Erkennung durch das Modell veranschaulicht. Obwohl das Modell insgesamt akzeptable Ergebnisse liefert, sind vereinzelte Fehler zu verzeichnen, wie beispielsweise die Erkennung einer halbhohen Wand in der Mitte des Raumes. Mit einer durchschnittlichen IoU-Rate von rund 74 Prozent (IoU-Rate bezeichnet den Prozentsatz der übereinstimmenden Pixel zwischen Annotation und Vorhersage) übertrifft dieses Modell andere Forschungsarbeiten, die auf dem gleichen Datensatz lediglich 65 Prozent erreichten [9]. Analoge Grundrisse weisen den Nachteil auf, dass sie häufig nicht aktualisiert werden, wenn Änderungen am Gebäude vorgenommen werden. Dies kann zu einer Diskrepanz zwischen den digitalisierten Bestandsplänen und dem tatsächlichen Zustand des Gebäudes führen. Je nach Anwendungsfall ist ein Abgleich mit dem aktuellen Zustand des Bestandsgebäudes erforderlich. Dies erfordert die menschliche Beteiligung, insbesondere bei der Datenerfassung vor Ort, beispielsweise durch den Einsatz von Scanning Technologien. Im Rahmen des NaiS-Projekts wurden zwei Scan-Apps (PolyCam und MagicPlan), ein Faro Laserscanner und ein Lumoscanner getestet und evaluiert. Dabei wurde MagicPlan als die beste Methode bewertet. Es überzeugt durch folgende Vorteile: Kostenersparnis, effiziente Arbeitsprozesse und eine benutzerfreundliche Bedienung [10]. Die verwendeten Daten basieren auf Plänen im Maßstab 1: 100, wie aus der geschwärzten Grundrissstruktur ersichtlich. Im nächsten Schritt wird untersucht, ob ein Wechsel zum Maßstab 1: 50 sinnvoll und technisch umsetzbar ist. Grundrisse im Maßstab 1: 50 bieten den Vorteil, dass die verwendeten Materialien in der Regel durch Schraffuren kenntlich gemacht werden. Diese Materialangaben sind relevant für die Ableitung energetischer Sanierungsmaßnahmen. 2.5 Zusammenarbeit menschlicher und künstlicher Intelligenz Im Forschungsprojekt hat die Mensch-Maschine Kollaboration eine zentrale Rolle. Die beiden Formen von Intelli- 24 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steigerung der Nachhaltigkeit bei energetischen Sanierungen - NaiS! Die Zukunft der intelligenten Sanierung genz - menschlich und künstlich können sich gegenseitig ergänzen. Bei Fehlern der KI übernimmt der Mensch die Korrekturrolle, insbesondere wenn Kenntnisse über das spezifische Gebäude erforderlich sind. In Abbildung 5 ist beispielhaft dargestellt, wie fehlerhafte Bauteile durch einen Menschen erkannt werden. Hier agiert der Mensch als Korrekturfaktor, der die endgültige Beurteilung vornimmt. Der Mensch kann auch einen Blick auf die Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen einbringen, der von KI nicht zwangsläufig berücksichtigt wird. Durch die enge Zusammenarbeit von Menschen und KI ist so eine effiziente und zielführende Datenerfassung möglich. Abb. 5: Grundrisserkennung ohne menschliche Interaktion, NaiS, Bildquelle [9] Abb. 6: Mensch-Maschine Kollaboration, NaiS, Bildquelle [9] 2.6 Interaktives Tool Eine häufige Fehlerquelle bei der Analyse von Bauplänen mittels KI liegt in der Heterogenität der Pläne hinsichtlich Alter, Stil, Detailgrad und Qualität. Obwohl das KI-Modell mit einer großen Menge an Dokumenten trainiert wurde, reicht diese Datenbasis oft nicht aus, um die Vielfalt realer Baupläne vollständig abzubilden. Dies äußert sich häufig in der Schwierigkeit, Bauteile wie Wände, Fenster und Türen von Störungen wie beispielsweise durch schlechte Dokumentenscans verursachtem „Rauschen“ zu unterscheiden. Während der semantischen Segmentierung ordnet das KI-Modell jedem Pixel eine Wahrscheinlichkeit für die Klassen „Wand“, „Fenster“ und „Tür“ zu und entscheidet sich für die Klasse mit dem höchsten Wert. Um fehlerhafte Klassifizierungen - etwa das Verwechseln von Rauschen mit Bauteilen - zu vermeiden, können Schwellenwerte für die Klassifikationswahrscheinlichkeiten definiert werden. Das präzise Festlegen dieser Schwellenwerte ist entscheidend für die Qualität der Ergebnisse. Zur Bewertung und Optimierung der Ergebnisse ist das kontextuelle und intuitive Denken eines Menschen von großem Vorteil. Nutzer haben die Möglichkeit, die Schwellenwerte für jede Klasse individuell anzupassen (Abb. 7). Auf diese Weise lassen sich die KI-Ergebnisse iterativ und interaktiv verbessern. Die Kombination aus menschlicher Expertise und KI führt dabei zu einer höheren Effizienz und Qualität. In diesem Prozess übernimmt der Mensch die Rolle der Supervision und Qualitätssicherung, wodurch ein synergetischer Ansatz zwischen Mensch und KI entsteht. Abb. 7: Interaktives Tool zur Digitalisierung von Grundrissen, NaiS 2.7 Weiterer KI Use-Case: Optical Character Recognition (OCR) Informationen zu Gebäuden werden nicht nur in Bildern oder Modellen, sondern auch in Texten gespeichert. Die Extraktion und Interpretation solcher Textelemente erweitert die Informationsbasis eines Gebäudes. So können beispielsweise Planköpfe, Legenden und Bemaßungen ausgelesen oder Energieausweise und Baubeschreibungen mithilfe von Optical Character Recognition (OCR) digitalisiert werden. Eine Herausforderung bei diesem KI-Use-Case ist die heterogene Auflösung der Texte sowie die oft begrenzte Datenqualität. Dadurch kann die Genauigkeit der Texterkennung beeinflusst werden. Nach der Digitalisierung werden Attribute des Textes extrahiert und in eine bestehende Datenstruktur integriert. Hierbei kommt Natural Language Processing (NLP) zum Einsatz, unterstützt von einem Large Language Model (LLM). Ein entscheidender Faktor in diesem Prozess ist die Überprüf barkeit der Daten: Ohne transparente Kontrollmöglichkeiten muss auf das System vertraut werden oder der Nutzer die Arbeit manuell wiederholen. Daher 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 25 Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steigerung der Nachhaltigkeit bei energetischen Sanierungen - NaiS! Die Zukunft der intelligenten Sanierung sollten Verarbeitungsschritte dokumentiert und sinnvolle Eingriffsmöglichkeiten für den Nutzer geschaffen werden. So kann der Mensch an entscheidenden Stellen korrigieren und den Prozess optimieren. 2.8 Digitale Analysewerkzeuge zur Erreichung der Sanierungsziele Der Detaillierungsgrad der durch KI digitalisierten Grundrisse genügt meist nicht, um den Ansprüchen einer konkreten Sanierungsplanung gerecht zu werden. Jedoch eignen sich diese Grundrisse für energetische Bewertungen und Variantenbetrachtungen im Rahmen einer Portfolioanalyse durch Immobilienbestandshalter. Ziel ist die Entwicklung von energetischen Sanierungsmaßnahmen mit anschließender Priorisierung. Um die Entwicklung von geeigneten energetischen Sanierungsmaßmaßnahmen zu vereinfachen, wird ein Sanierungsvariantenkatalog entwickelt. In diesem werden energetische Sanierungsmaßnahmen systematisch aufgelistet. In einem nächsten Schritt wird der Katalog um spezifische Kostendaten ergänzt. Diese Kostenaufstellung ermöglicht eine fundierte Entscheidung über die wirtschaftliche Machbarkeit der einzelnen Sanierungsmaßnahmen und trägt zur Optimierung der Budgetierungsprozesse bei. Schlussendlich sollen so vorkonfigurierte, intelligente Sanierungspakete entstehen. Diese werden die wesentlichen Einflussfaktoren Energie, CO 2 -Emissionen, Ressourcen und Kosten berücksichtigen. Damit wird das Ziel verfolgt, die Entscheidungsfindung von Immobilienbestandshaltern für eine energetische Sanierung zu unterstützen. 2.9 Plattform Bei der technischen Umsetzung der NaiS-Plattform erarbeitet ein interdisziplinäres Team aus Softwareexperten, Nachhaltigkeitsspezialisten und Wissenschaftlern eine Plattform mit quelloffenen Standards und Schnittstellen. Die Gewährleistung von Benutzerfreundlichkeit und Datenintegrität steht im Mittelpunkt der Plattform. Die Benutzerfreundlichkeit wurde durch die Design- Thinking Methode [11] gewährleistet, indem die Benutzer in jeder Entwicklungsstufe v on Userflow bis Mock-Up eingebunden wurden. Dabei wurden zunächst Interviews geführt, um die Nutzerbedürfnisse zu erfassen. Später wurde in mehreren Testing-Sessions Feedback zur Gestaltung der Nutzeroberfläche und dem Nutzererlebnis gesammelt. Die Datenintegrität wird durch verschiedene Kennzahlen, wie z. B. der Datenqualität bestimmt. Indem die Vollständigkeit der hochgeladenen Daten (Abb. 8) übersichtlich dargestellt wird, wird dem Benutzer die Entscheidungsfindung zu verschiedenen Sanierungsanalysen vereinfacht. Abb. 8: Gesamtdatenqualität für das Beispiel Ökobilanzierung 26 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Steigerung der Nachhaltigkeit bei energetischen Sanierungen - NaiS! Die Zukunft der intelligenten Sanierung Literatur [1] Umweltbundesamt. (2019). „Wohnen und Sanieren. Empirische Wohngebäudedaten seit 2002.“ Zuletzt aufgerufen am 12.03.24: https: / / www.umweltbun desamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 1410/ publika tionen/ 2019-05-23_cc_22-2019_wohnenundsanie ren_hintergrundbericht.pdf [2] Umweltbundesamt. (2023). „Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen des Gebäudesektors in Deutschland von 1990 bis 2022.“ Zuletzt aufgerufen am 12.03.24: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1411542/ umfrage/ treibhausgas-emissionen-von-gebaeuden-in-deutschland/ [3] EU, Rat der Europäischen Union. (2022). „Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄI- SCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung).“ [4] Metzger, S., Jahnke, K., Walikewitz, N., Otto, M., Grondey, A., & Fritz, S. (2019). Wohnen und Sanieren - empirische Wohngebäudedaten seit 2002. 131. [5] Caccavelli, D., & Gugerli, H. (2002). “TOBUS—a European diagnosis and decision-making tool for office building upgrading.” Energy and Buildings, 34(2), 113-119. [6] Flourentzou, F., Brandt, E., & Wetzel, C. (2000). “MEDIC - a method for predicting residual service life and refurbishment investment budgets.” Energy and Buildings, 31(2), 167-170. [7] Amorocho, J. A. P., & Hartmann, T. 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Die Technologie nutzt fortschrittliche Methoden, um kritische Parameter wie Feuchtigkeit, Korrosion und Temperatur im Beton zu messen. Durch den Einsatz von RFID-Technologie arbeiten die Sensoren kabellos und wartungsfrei. Mit einer Lebensdauer von über 80 -Jahren ermöglichen passive Sensoren eine umfassende und effiziente Bauwerksüberwachung. Erfahren Sie mehr über die Einbauverfahren, die Vorteile der cloudbasierten Datenplattform und wie diese Technologie zur Sicherheit, Langlebigkeit und dem Erhalt der Infrastruktur beiträgt. Abb. 1: Hochstraße Oberwerth, B327, in Koblenz 1. Einführung 1.1 Die Bedeutung präventiver Überwachung von Betonbauwerken In der modernen Bauwerksüberwachung spielt die Früherkennung von Schäden eine zentrale Rolle. Betonbauwerke wie Brücken sind täglich extremen Belastungen und Umwelteinflüssen ausgesetzt. Eine präventive Überwachung hilft, potenzielle Schäden frühzeitig zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, bevor es zu kostenintensiven Reparaturen kommt. In diesem Kontext bietet die passive Sensortechnologie CorroDec2G von Infrasolute innovative Lösungen. Seit 2018 werden diese Sensoren in verschiedenen Stahlbetonbauwerken eingesetzt und haben sich als zuverlässiges Frühwarnsystem für Feuchtigkeit, Korrosions- und Temperaturüberwachung im Beton etabliert. In dem vorliegenden Artikel soll anhand von zwei Praxisbeispielen erläutert werden, wie die Sensortechnologie von Infrasolute funktioniert, wie der Einbau abläuft und welche Daten erfasst werden. 1.2 Ursachen für Brückenschäden und Bedeutung der Feuchtigkeitsüberwachung Unter den Ursachen der dauerhaftigkeitsrelevanten Brückenschäden stellt die Durchfeuchtung die häufigste Ursache dar, die bei älteren Brücken zu korrosionsbedingten Schäden an Spannstählen führt (ZILCH and WEIHER, 2007). Daher sind sowohl die Bestimmung 30 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Lebenslanges und proaktives Feuchtemonitoring von Betonbauwerken der Feuchtigkeitsmenge als auch des Feuchtigkeitszustands von großer Bedeutung, um einerseits die langfristige Funktionsfähigkeit von Bauwerken zu kontrollieren und andererseits die Richtung des Feuchtigkeitsflusses zu quantifizieren. Dies ermöglicht, rechtzeitige und wirksame Entscheidungen über erforderliche Instandhaltungsmaßnahmen zu treffen. Die Feuchtigkeit kann direkt oder indirekt gemessen werden. Direkte Feuchtemessverfahren beruhen meist auf der Abtrennung der Wassermenge aus dem Material und deren direkter Ermittlung (Mouhasseb, 2007). Dieses Konzept ermöglicht eine sehr genaue Bestimmung, allerdings handelt es sich dabei um zerstörende Methoden, weswegen sie bei Brücken nur begrenzt einsetzbar sind (Hindersmann, 2021). Andererseits kann der Feuchtigkeitsgehalt durch Messung einiger Stoffeigenschaften des Wassers, die in einem entsprechenden funktionsbezogenen Zusammenhang stehen, indirekt ermittelt werden. Durch die Messung der Leitfähigkeit des Wassers kann beispielsweise anhand bestimmter Kalibrierkurven auf den tatsächlichen Feuchtigkeitsgehalt geschlossen werden (Hindersmann, 2021). Die indirekten Methoden sind für kontinuierliche Messungen geeignet, allerdings können die Messungen durch verschiedene Parameter wie z. B. Temperatur, Dichte, Zusammensetzung des Materials und Leitfähigkeit beeinflusst werden (Mouhasseb, 2007). 2. Funktionsweise und Messprinzip 2.1 Passiver Sensorbetrieb Die Sensoren von Infrasolute (CorroDec2G) basieren auf der indirekten Messmethode. Die CorroDec2G-Sensoren zeichnen sich durch ihre passive Betriebsweise aus. Im Gegensatz zu aktiven Sensoren benötigen sie keine Kabel oder Batterien, um Messwerte zu erfassen. Die notwendige Energie wird von außen mittels RFID-Technologie (Radio- Frequency Identification) induziert. RFID ist eine Technologie, die auch beim kontaktlosen Bezahlen mit Kreditkarten im Alltag zum Einsatz kommt. Diese Methode ermöglicht eine wartungsfreie Lebensdauer der Sensoren von mehr als 80 Jahren. Entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut, sind die Sensoren so konzipiert, dass sie über die gesamte Lebensdauer (80+ Jahre) eines Bauwerks hinweg vollständig im Beton eingeschlossen bleiben und Daten (Feuchtigkeit, Temperatur, Korrosion) aus dem Inneren des Bauwerks übertragen können. 2.2 RFID-Technologie RFID ermöglicht eine kontaktlose und kabellose Datenübertragung. Bei einer Reichweite von bis zu 30 cm im Beton können die Sensoren zuverlässig ausgelesen werden. Durch eine spezielle Antennenkonstruktion lässt sich die Reichweite auf bis zu 100 m erweitern. Hierbei wird die Messeinheit im Beton installiert, bspw. in der Mitte der Fahrbahn, während die Ausleseeinheit an einer strategisch günstigen Stelle außerhalb des Verkehrsflusses platziert wird, um die Daten abzurufen, ohne den Verkehr zu beeinträchtigen. Auch bei dieser Variante verlässt keine Systemkomponente das Medium Beton, was ansonsten eine potenzielle Schwachstelle für das Bauwerk darstellen könnte. 3. Einbaumethoden 3.1 Neubau und Instandsetzung Der Einbau der Sensoren kann sowohl im Neubau als auch bei der Instandsetzung erfolgen. Im Neubau werden die Sensoren direkt mittels Rödeldrähten an der Bewehrung befestigt. Bei der Instandsetzung, wenn beispielsweise ein HDW-Abtrag (Hochdruckwasser) erfolgt ist, können die Sensoren ebenfalls an der freigelegten Bewehrung angebracht werden. So wird sichergestellt, dass die Sensoren während des Betonierprozesses nicht aufschwimmen oder ihre Position verändern. Abb. 2: Feuchtesensor beim Einbau mittels Rödeldraht direkt an der Bewehrung 3.2 Nachträglicher Einbau Nachträglich ist der Einbau per Kernlochbohrung möglich. Mit einem Kernlochdurchmesser von 100-mm können die Sensoren in den Beton eingefügt werden. Ein spezieller, mineralisch und offenporiger Ankoppelmörtel umgibt den Sensor mit einer dünnen Schicht, sodass nach Erreichen der Ausgleichsfeuchte der Ankoppelprozess an den Altbeton beginnen kann. Dieses Verfahren hat sich in der Praxis bewährt und ermöglicht präzise Aussagen über das umgebende Milieu, ohne das bestehende Bauwerk zu schwächen. Abb. 3: Kernlochbohrung mit einem Durchmesser von 100-mm und Einbau des Sensors mittels Ankoppelmörtel 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 31 Lebenslanges und proaktives Feuchtemonitoring von Betonbauwerken 4. Sensoren und Datenübertragung im Detail 4.1 Korrosionssensor Der Korrosionssensor ist an seinem roten Gehäuse und den umlaufenden vier Drahtebenen zu erkennen. Die Messmethodik basiert auf dem Prinzip der Stellvertreterkorrosion. Die um den Sensor laufenden Drahtebenen wurden so gewählt, dass sie den Eigenschaften des Betonstahls entsprechen. Bei Korrosion der Drähte erhält man Informationen über das Vorhandensein und den Fortschritt der Korrosion. Über die Tiefenstaffelung der Drähte wird ermittelt, auf welcher Höhe die Passivierungsfront verläuft und wie schnell sie in Richtung der Bewehrung voranschreitet. Dabei handelt es sich um ein redundantes System, bei dem zwei umlaufende Drähte eine Messebene bilden. Zudem misst der Korrosionssensor die Temperatur im Beton. Abb. 4: Korrosionssensor 4.2 Feuchtesensor Der Feuchtesensor misst die Feuchtigkeit und die Temperatur im Beton. Diese Messwerte werden in der Cloud- Plattform von Infrasolute aufbereitet und referenziert. Der Feuchtigkeitszustand im Beton ist ein entscheidender Parameter für die Korrosionsbildung. Durch die Kombination der Feuchtigkeits- und Temperaturdaten können detaillierte Aussagen über die Feuchteentwicklung im Beton getroffen werden. Eine frühzeitige Erkennung von Feuchtigkeitsschwankungen ermöglicht es, Schäden zu minimieren und die Lebensdauer der Bauwerke zu verlängern. Nach der Übertragung der Daten an die Datenplattform von Infrasolute werden die Messwerte referenziert. Abb. 5: Feuchtesensor Durch den Einsatz eines Korrosionssensors und eines Feuchtesensors, die in einem Abstand von ca. 15-cm zueinander platziert werden, können frühzeitig Informationen zu korrosiven Prozessen und Anomalien bereitgestellt werden. Zudem ermöglicht die Überwachung verschiedener Parameter eine genaue Beobachtung des Korrosionsprozesses im Beton. 4.3 Datenerfassung und -übertragung Es gibt zwei Methoden, die Daten der Sensoren aus dem Beton zu ermitteln. Einerseits besteht die Möglichkeit, die Daten dauerhaft zu übertragen, sodass diese jederzeit remote abruf bar sind. Hierfür wird ein Gateway in der Nähe des Sensors installiert, das einerseits die Funktion hat, den Sensor mit Energie zu versorgen und andererseits die Daten direkt an die Cloud von Infrasolute via NB-IoT (Narrowband Internet of Things) überträgt. Das Gateway wird je nach Gegebenheit mit Feststrom, einer Langzeitbatterie oder per Solar mit Strom versorgt. Abb. 6: Solarbetriebenes NB-IoT Gateway Alternativ besteht die Möglichkeit mit einem Handlesegerät manuell die Auslesung vor Ort am Bauwerk durchzuführen. Der Vorgang, den Messwert eines Sensors zu erfassen, dauert wenige Sekunden und wird oftmals im Rahmen der Brückenprüfung durchgeführt. Die vom Handlesegerät erfassten Daten werden ebenfalls direkt per NB-IoT an die cloudbasierte Datenplattform übertragen. Damit sind eine Überprüfung und Visualisierung noch vor Ort am Bauwerk möglich. Abb. 7: IoT-Handlesegerät zur manuellen Auslesung von Sensoren Das Gateway sowie das Handlesegerät übertragen ihre Daten nach der Sensorauslesung kabellos mittels NB-IoT 32 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Lebenslanges und proaktives Feuchtemonitoring von Betonbauwerken an die Cloud-Plattform von Infrasolute. Diese Technologie ist für niedrige Datenübertragungsraten, geringen Stromverbrauch und hohe Gebäudedurchdringung optimiert. Die Sensordaten werden in der Cloud gespeichert, visualisiert und analysiert. Grenzwerte können definiert werden, bei deren Überschreitung automatische Alarmierungen ausgelöst werden. Die Daten können in bestehende Systeme integriert und Berichte proaktiv per E-Mail an Projektbeteiligte gesendet werden. Die auf der Plattform generierten Daten sind benutzerfreundlich auf bereitet, sodass sie leicht verständlich sind. Diese Klarheit ermöglicht es allen Beteiligten, unabhängig von ihrem technischen Hintergrund, die Daten zu interpretieren. 5. Praxisbeispiele 5.1 Südbrücke in Koblenz Die Südbrücke in Koblenz, erbaut zwischen 1972 und 1975, dient als wichtige Verkehrsverbindung über den Rhein und entlastet den Stadtverkehr. Mit einer täglichen Verkehrslast von etwa 45.500 Fahrzeugen, davon 3- % Schwerverkehr, ist sie Teil der kritischen Infrastruktur. Abb. 8: Südbrücke in Koblenz 5.1.1 Sanierung und Sensoreinsatz Seit dem Jahr 2020 wird die Südbrücke umfassend saniert. Im Rahmen dieser Maßnahmen wurden der Fahrbahnbelag, die Bauwerksabdichtung, die Schutzplanken, die Bauwerkskappen und die Entwässerungseinrichtungen erneuert. Zudem wurden alle Betonflächen instandgesetzt. Durch eine Potentialfeldmessung wurden Schadstellen lokalisiert, die als Basis für die Positionierung der Sensoren dienten. Abb. 9: Potentialfeldmessung und Positionierung der Sensoren 5.1.2 Sensorinstallation In den ersten beiden Bauabschnitten der Instandsetzung wurden insgesamt 84 Sensoren (22 Korrosions- und 62 Feuchtesensoren) installiert. Die Sensoren wurden an kritischen und repräsentativen Stellen platziert, darunter Tiefpunkte, Fahrbahnübergänge, Abdichtungen, statisch kritische Punkte, Referenzbereiche und an Korrosionshotspots, die mittels Potentialfeldmessung festgestellt und gemeinsam mit dem Planer definiert wurden. Die Sensoren wurden per Kernlochbohrungen in den Altbeton eingesetzt und die Sensoren mit einer abgesetzten Antenne ausgeführt, sodass die Ausleseeinheit im Bereich des Brückenholkastens installiert wurde. Die Datenübertragung erfolgt mittels Gateways. Die Gateways sind an die im Brückenhohlkasten existierende Stromversorgung angeschlossen und die abgesetzten Antennen von je 4 Sensoren werden von einem Gateway erfasst, das anschließend die Messwerte per NB- IoT überträgt. Diese strategische Platzierung ermöglicht eine präzise Überwachung der Sanierungsmaßnahmen und der langfristigen Zustandsentwicklung der Brücke. Abb. 10: Einbau der Sensoren mit einer abgesetzten Antenne 5.1.3 Messwerte und Analysen Die kontinuierliche Überwachung der Brücke, seit Ende 2020, als die ersten Sensoren im ersten Bauabschnitt eingesetzt wurden, hat bisher keine korrosiven Ereignisse gezeigt. Einzige Ausnahme stellte ein Messpunkt dar, welcher drei Monate nach Einbau Korrosion an der ersten Drahtebene aufgrund einer bauablaufbedingten Schwachstelle in der Abdichtung meldete. Nach einer Nachbearbeitung der Abdichtung wurde kein weiterer Korrosionsfortschritt festgestellt. Die im betreffenden Segment eingesetzten Feuchte- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 33 Lebenslanges und proaktives Feuchtemonitoring von Betonbauwerken sensoren zeigten, dass sich die Feuchtigkeitswerte nach der Nachbearbeitung ebenfalls normalisiert haben. Die Feuchtewerte an allen anderen Sensoren haben im Verlauf der ersten 6 Monate die Ausgleichsfeuchte erreicht und im weiteren Verlauf keine Auffälligkeiten aufgezeigt. Abb. 11: Auswertung Messergebnisse Korrosionssensor Bei Korrosion an der ersten Ebene wird K1 nicht mehr im grünen Kreis mit einer 0, sondern im roten Kreis mit einer 1, wie in vorstehender Grafik abgebildet, dargestellt. Dies liefert die eindeutige Information, dass Korrosion an der ersten Drahtebene vorliegt. K2 zeigt den Messwert der darunterliegenden Drahtebene an. Die Werte S1 und S2 dienen der internen Systemselbstreferenzierung und gewährleisten die Korrektheit des Messergebnisses. Die Temperatur am Sensor im Beton wird unter „Temp. Sensor“ angezeigt, während die Temperatur des Gateways, das sich an der Außenseite des Betons im Brückenhohlkasten befindet, als „Temp. Gateway“ dargestellt wird. 5.1.4 Nutzen und Vorteile Der Betreiber der Südbrücke hat durch den Einsatz der Sensortechnologie die Möglichkeit, den Erfolg der Instandsetzungsmaßnahme (kurzfristig) zu überwachen und auf langfristige Sicht Schädigungen im Inneren des Bauwerks mittels 24/ 7-Onlineüberwachung frühzeitig zu erkennen und proaktiv zu handeln. Die Daten sind jederzeit von überall abruf bar und ermöglichen eine effiziente Überwachung mehrerer Bauwerke gleichzeitig. Dies trägt zur Verlängerung der Nutzungsdauer, niedrigeren Instandsetzungsintervallen und langfristigen Kostenreduzierung bei. 5.2 Messkonzept Brücke in Dieblich Die Brücke der B411 bei Dieblich dient als Autobahnzubringer und ist im Vergleich zur stark frequentierten Südbrücke weniger stark befahren. Das zweispurige Brückenbauwerk erstreckt sich über eine Länge von 92 Metern. Aufgrund erhöhter Chloridwerte im Beton wurde im Jahr 2023 eine Betoninstandsetzung mit teilweiser Erneuerung der Bewehrung durchgeführt. Dieses Projekt veranschaulicht, wie eine effiziente Feuchteüberwachung mit einem sehr geringen Budget (unter 10.000 €) implementiert werden kann. 5.2.1 Sensorposition und -installation Im ersten Schritt wurden die kritischsten Stellen definiert. Hierbei wurde einerseits auf die im Vorfeld angefertigte Potentialfeldmessung zurückgegriffen und andererseits auf die Topologie des Bauwerks. Gemeinsam wurde die Entscheidung getroffen, dass die Feuchtesensoren im Bereich der Tiefpunkte, direkt an der Entwässerung gelegen, eingesetzt werden. Die Feuchtesensoren wurden als abgesetzte Antennen ausgeführt, sodass der Messpunkt im Bereich der Entwässerung liegt und die Ausleseeinheit an einer zentralen, verkehrsunabhängigen Position, hinter dem Schrammbord, im Bereich des Fahrbahnübergangs installiert werden konnte. Die Sensoren wurden direkt an der freigelegten Bewehrung befestigt. Abb. 12: Installation des Feuchtesensors an der Bewehrung Abb. 13: Potentialfeldmessung und Positionierung der Sensoren/ Auslesepunkt 34 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Lebenslanges und proaktives Feuchtemonitoring von Betonbauwerken Abb. 14: Installierter Sensor mit abgesetzter Antenne 5.2.2 Datenerfassung und -übertragung Die Datenerfassung erfolgt mittels Handlesegerät. Die Auslesung dauert weniger als fünf Sekunden und kann jederzeit vor Ort an einer zentralen Position durchgeführt werden. In diesem Projekt wurde die Position am Brückenanfang hinter dem Schrammbord auf der Höhe der Brückenkappe gewählt. Über eine Einmessung und Dokumentation der Einbaupositionen auf dem Plan sowie der Vor-Ort-Markierung mittels Markierungsmarken, können die Sensoren bzw. die Auslesepunkte sehr leicht wiedergefunden werden. Die Möglichkeit, ein Gateway für eine automatische und remote Datenauslesung an dieser Position nachzurüsten, besteht ebenfalls. Abb. 15: Markierung der Sensoreinbaupositionen hinter dem Schrammboard 5.2.3 Messwerte und Analysen Seit der Installation zeigen die Feuchtesensoren einen kontinuierlichen Austrocknungsverlauf ohne Auffälligkeiten. Die Feuchtigkeitswerte werden in der Datenplattform visualisiert und können mit den Niederschlagsdaten der nächstgelegenen Wetterstation korreliert werden. Diese Analyse ermöglicht es, Feuchteveränderungen im Bauwerk besser zu verstehen und zu beurteilen, ob sie auf Temperaturunterschiede oder externe Faktoren wie Starkregenereignisse zurückzuführen sind. 6. Ausblick Das Betonmonitoring mit den CorroDec2G-Sensoren von Infrasolute bietet eine zukunftsweisende Lösung für die Überwachung von Betonbauwerken. Die kabellose und batterielose Technologie, basierend auf RFID, ermöglicht eine langfristige und wartungsfreie Überwachung der Bauwerke. Die einfache Handhabung der Datenauslesung und Interpretation, die in wenigen Sekunden ohne spezielles Fachwissen durchgeführt werden kann, macht dieses System besonders benutzerfreundlich. Die klar und verständlich auf bereiteten Daten ermöglichen es, fundierte Entscheidungen zu treffen, die zur Verlängerung der Lebensdauer der Bauwerke und zur Kosteneffizienz beitragen. Insgesamt stellt das CorroDec2G-System eine kosteneffiziente und effektive Lösung dar, um die Sicherheit, die Langlebigkeit und den Erhalt von Betonbauwerken zu fördern. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 35 Holzfeuchteermittlung an Flachdächern mit Mikrowellentechnologie Anwendung, Grenzen, Aussagekraft am Beispiel der „Neuen Mensa Moltke“ in Karlsruhe Diplom-Holzingenieur Reiner Klopfer holz_ansicht, Gleiszellen Rheinland-Pfälzisch Technische Universität Kaiserslautern (RPTU) Zusammenfassung Flachdächer in Holzbauweise erfreuen sich vor allem im Gewerbebau über eine große Beliebtheit und bieten viele Vorteile. Aufgrund seiner Dachkonstruktion ist das Flachdach im Gegensatz zum Steildach jedoch anfälliger für Undichtigkeiten und infolgedessen möglichen Wasserschäden. Am Beispiel der Flächenvermessung des Flachdaches (Hohlkastenelemente aus Furnierschichtholzplatten [Laminated Veneer Lumber LVL]) an der „Neuen Mensa Moltke“ werden die Möglichkeiten des Messprinzips an Holzbauelementen aufgezeigt sowie Einflussfaktoren und Anwendungsgrenzen dargestellt. Hierdurch konnten flächendeckend die Feuchteverhältnisse am Dachwerk und den Holzbauwänden erfasst und der Schadensumfang dokumentiert werden. Auf dieser Grundlage wurde die anstehende, umfangreiche Instandsetzung am Holztragwerk geplant. 1. Die „Neue Mensa“ Molke in Karlsruhe Die sogenannte „Neue Mensa“ in der Moltkestraße in Karlsruhe (Abb. 1) wurde am 1. März 2007 in Betrieb genommen. Den Wettbewerb für das Gebäude konnte der Berliner Architekt Jürgen Hermann Mayer im Januar 2004 für sich entscheiden. Das Gebäude besteht aus einen Stahlbetonkern, Dach und Fassaden wurde als Holzbau konzipiert, die Wände sind größtenteils als Fachwerke mit großen „Stäben“ aus Hohlkästen konzipiert. Diese gedämmten Hohlkästen sind aus Brettschichtholzträgern mit Beplankungen aus Brettsperrholzplatten errichtet. Das in zwei Richtungen flach geneigte Pultdach ist aus weit gespannten und ausgedämmten Hohlkastenträgern aus Furnierschichtholz ausgeführt. Alle äußeren Holzoberflächen sind mit einer Polyurea Spritzbeschichtung als Abdichtung versehen [2], Teile der Dachfläche sind begrünt. Abb. 1: Außenansicht der Mensa Moltke Einige Zahlen: Hauptnutzfläche: 1583 m² Bruttogeschoßfläche: 3008 m² Dachfläche: ~ 1600 m² Sitzplätze: 460 Essensausgabe: ~ 1800 / Tag Gesamtbaukosten: ~ 7,2 Mio. € Das Gebäude erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde in der Fachliteratur lobend dargestellt [1]. Das Modell des Gebäudes steht als permanente Ausstellung im Museum Of Modern Art (MOMA) in New York. 2. Anlass der Feuchtemessungen Immer wieder kam es nach der Inbetriebnahme an einigen Stellen zum Eindringen von Wasser, insbesondere im Bereich der Küche und der technischen Einrichtungen. Bedingt durch die direkt beschichtete Konstruktion war eine Prüfung von außen und oben in der Regel nicht möglich. Es erfolgten kleinere, lokale Prüfungen an Teilöffnungen, bei denen Feuchte- und Pilzschäden festzustellen waren. 2017 - 10 Jahre nach der Eröffnung erfolgte die erste größere Untersuchung und Feuchteermittlung an einem Teilstück des Dachwerkes. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse, die nur lokale Aussagen zuließen, haben wir vorgeschlagen, eine systematische Ermittlung der Holzfeuchte am Dachwerk und an Teilen der Fassaden durchzuführen. Dafür erschien die zerstörungsfreie Mikrowellentechnik in einem festen Messraster als geeignet. 36 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Holzfeuchteermittlung an Flachdächern mit Mikrowellentechnologie 3. Mikrowellenfeuchtemessungen 3.1 Messprinzip Mikrowellen-Feuchtemessverfahren gehören zu den dielektrischen Messverfahren. Die dielektrische Funktion (Dielektrizitäts-Kennzahl DK) gibt die Durchlässigkeit für elektrische Felder an. Wasser besitzt eine relative DK von etwa 80, die relative DK der meisten Feststoffe ist wesentlich kleiner, bei vielen Baustoffen zwischen 3 und 6. Die DK ist frequenzabhängig, bei niedrigen Frequenzen können die Wasser Dipole dem wechselnden Feld folgen, bei höheren Frequenzen tritt eine Phasenverschiebung zwischen dem elektrischen Feld und der Polarisation der Wassermoleküle auf, es kommt zu dielektrischen Verlusten. Bei der Messung wird der Mikrowellenreflexionsfaktor bestimmt, bei dem die Unterschiede zwischen der ins Material hineinlaufenden elektromagnetischen Welle und der vom Material reflektierten Welle erfasst werden und sich aus der Dämpfung der Amplitude und der Phasenverschiebung ergeben. Der Reflexionsfaktor ist proportional zur Feuchte und weist eine hohe Stabilität gegen störende Einflüsse wie z. B. Temperatur oder leitfähige Salze auf [4] [5]. In erster Linie wird lediglich der Unterschied zwischen feucht und trocken gemessen, die Messwerte können baustoffabhängig kalibriert werden. In den meisten Fällen werden Relativmessungen durchgeführt bei denen die feuchteabhängige Mikrowellenreflexion gemessen und mit einer dimensionslosen Zahl angegeben wird. 3.2 Einflussfaktoren In homogenen Materialen bedeutet ein hoher Ablesewert auch eine hohe Feuchte. Handelt es sich um ein poröses Material (Hochlochziegel, Holz) und/ oder sind verschiedene Schichten miteinander verbunden, ergeben sich innerhalb des Messgutes Reflexionen. Um die Ergebnisse besser interpretieren zu können, sind daher immer Referenzmessungen in trockenen Materialien durchzuführen. Andere Materialien, wie Dämmstoffe (hier in den Hohlkastenelementen vorhanden), Kunststoffe (hier die Polyureabeschichtung) oder Metallteile (hier als Schrauben- Pressklebung) können die Messungen beeinflussen. Bei den Messungen ist es notwendig, dass der Messkopf möglichst plan auf dem Messgut aufliegt. Das war bei den beschichteten Holzplatten in der Regel möglich, bei bereits vorhandenen Reparaturstellen an der Beschichtung war dies nicht immer gegeben. Da die Einflussfaktoren auf Holz bekannt sind wurden im Vorfeld von holz_ansicht orientierende Versuche mit Furnierschichthölzern (LVL-Platten und -Stege) durchgeführt, die als Stege mit darüber liegenden Platten angeordnet und mit verschiedenen Kunststofffolien belegt wurden. Die so angeordneten Hölzer wurden normalklimatisiert (20 °C, 65 % rH) und wassergesättigt (ca. 1 Tag im Wasserbad gelagert) gemessen. Hier konnten eindeutige Messunterschiede zwischen den normalklimatisierten und den wassergelagerten Hölzern reproduzierbar gemessen werden. 3.3 Durchführung der Messungen Das Messsystem besteht aus den Komponenten Messköpfe, Handgerät und Auswertesoftware. Eingesetzt wurden zwei verschiedene Messköpfe, die eine Oberflächenmessung (~ 3 cm) und eine Tiefenmessung (~ 25 cm) ermöglichten (Abb. 2). Für die vielen Messungen auf der Dachfläche wurde eine Halterung gebaut, an der das Handgerät befestigt und an dem die Messköpfe flexibel gelagert angebracht waren (Abb. 3). Abb. 2: Skizze der Messpunkte mit Oberflächenmesskopf (O) und Tiefenmesskopf (T) an einem Ausschnitt der Hohlkastenelemente. Abb. 3: Messkopf mit individueller Winkelanpassung an die Halterung. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 37 Holzfeuchteermittlung an Flachdächern mit Mikrowellentechnologie Abb. 4: Dachaufsicht, grün: einzelnes Messfeld mit 4 Hohlkastenelementen, rot: angelegtes Messraster von 60 cm. Das gesamte Dach wurde in 14 Messfelder eingeteilt, in denen jeweils die Einzelmessungen durchgeführt wurden. Die Rasterpunkte wurden so eingemessen, dass die Messungen immer im Bereich der Stege stattfanden. In der Regel wurde das Generalraster von 60 cm gewählt (einige Bereiche wurden ergänzend mit einem 30 cm Raster vermessen), da somit auch alle Stege, die ebenfalls in einem 60 cm Abstand in den Deckenhohlkastenelementen angeordnet sind, in dem quadratischen Raster erfasst werden konnten (Abb. 4). Die im Handgerät erfassten Daten wurden vor Ort auf einen mobilen Rechner übertragen und über die Software auf Vollständigkeit und Plausibilität geprüft. Bei den einzelnen Messungen wurde darauf geachtet, dass die Messköpfe immer plan auf der Oberfläche aufliegen, bevor die Speicherung erfolgte. Eine erste Kontrolle der Messwerte erfolgte am Handgerät, bei nicht plausiblen Werten wurde die Einzelmessung sofort wiederholt. Auch wenn sich eine Vielzahl von Schrauben auf der Beschichtung abzeichnete, wurde bei der Messung darauf keine Rücksicht genommen. Es unterlag daher dem Zufall, ob eine Messung auf den Schrauben oder dazwischen stattfand. Daher kann es bei einzelnen Messpunkten durchaus zu Messwertveränderungen durch die Schrauben gekommen sein. Für die Interpretation der Ergebnisse spielen einzelne Abweichungen jedoch keine entscheidende Rolle. 4. Ergebnisse der Messungen 4.1 graphische Darstellung Die mit einem Handgerät in den einzelnen Messfeldern (60 x 60 cm Raster) erfassten Messdaten wurden mit der Software „Moist-Analyse“ tabellarisch und grafisch ausgewertet. Damit ergaben sich für die einzelnen Messfelder „Feuchtebilder“ die im Dachgrundrissplan zusammengesetzt wurden. Neben den Feuchtebildern wurden in den Plänen die einzelnen Hohlkastenelemente, Reparaturstücke der Beschichtungen und Dachauf bauten dargestellt. Damit konnten die relativen Feuchteverhältnisse für die gesamte Dachfläche ablesbar gemacht und Bereiche an den Messungen nicht möglich waren, dargestellt werden [7]. Dabei zeigten die Tiefenmessungen im Vergleich zu den Oberflächenmessungen die aussagekräftigeren Ergebnisse. Hohe Feuchtewerte wurden in der Regel nur an den Plattenstößen der 180 cm oder 240 cm breiten Hohlkastenelemente festgestellt (Abb. 5, 6). An den Rastermessungen der Stege innerhalb der einzelnen Hohlkastenelemente konnten in der Regel keine hohen Feuchtewerte festgestellt werden. 38 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Holzfeuchteermittlung an Flachdächern mit Mikrowellentechnologie Abb. 5: Auswertung der Rastermessungen der Tiefensonde. Die dunkelblauen Bereiche mit hohen Holzfeuchtewerten sind vor allem an Plattenstößen zu finden. Abb. 6: Detailausschnitt des Messfeldes 5 mit hohen Feuchtewerten an den Plattenstößen (dunkelblau). 4.2 Evaluierung Die nach den Rasterfeuchtemessungen durchgeführten Kontrollen mittels punktuellen Freilegungen, Probeentnahmen und Feuchtemessungen nach der Darrmethode (wiegen, trocknen, wiegen) [6] bestätigten an allen, über das gesamte Dachwerk durchgeführten, Stellen, dass hohe „Mikrowellenmesswerte“ immer auch hohe bis sehr hohe reale Holzfeuchtewerte (> Fasersättigung = 30 % bis deutlich über 100 %) darstellen. Abb. 7: Teil der Proben zur Evaluierung der Feuchte mittels Darrmethode 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 39 Holzfeuchteermittlung an Flachdächern mit Mikrowellentechnologie Aus den einzelnen „Mikrowellenmesswerten“ lassen sich keine direkten realen Holzfeuchtewerte für die LVL-Platten und die LVL-Stege ableiten, da die Rasterfeuchtemessung mit den Volumenmessköpfen einen relativen Feuchtewert im Messvolumen angibt. Das Messvolumen beinhaltet neben der Polyureabeschichtung die LVL- Deckplatte, den LVL-Steg und auch Teile der Mineralfaserdämmung. Obwohl die Messbedingungen (möglichst plane Oberflächen) an zahlreichen Reparaturstellen der Beschichtungen an den Plattenstößen nicht immer optimal waren, konnten hier dennoch plausible Messwerte erzeugt werden. Ein Einfluss von Schrauben der Schraubenpressklebungen der Hohlkastenelemente konnte nicht festgestellt werden. Die Übersicht der Messungen zeigte, dass nicht an allen Plattenstößen hohen Feuchtewerte ermittelt wurden, obwohl alle Elemente mit Schrauben-Pressklebungen gefertigt wurden. Daher hat der mögliche, punktuelle Einfluss der Schrauben auf die einzelne Messung zu keiner systematischen Beeinflussung der Messergebnisse geführt. Im Rahmen der nun angelaufenen Instandsetzung wurden die oberen, beschichteten LVL-Platten und die Mineralfaserdämmungen ausgebaut. Somit war eine nachträgliche visuelle Kontrolle der Hohlkastenelemente möglich. An nahezu allen Stößen mit hohen gemessenen Feuchtewerten konnten Pilzschäden, dunkle Verfärbungen, Schimmelpilze oder Wasserränder festgestellt werden. Nur an wenigen, einzelnen Stellen mit hohen gemessenen Feuchtewerten waren visuell keine Auffälligkeiten vorhanden. Das könnte darin begründet liegen, dass die Holzbauteile zwar durchfeuchtet waren, sich aber zeitlich bedingt noch keine weiteren Folgeschäden (Schimmelbildung, Holz zerstörende Pilze) eingestellt haben. 4.3 Konsequenzen und Maßnahmen Bereits vor den Messungen wurde auf Grund des unklaren Zustandes die Dachbegrünung beräumt (Dachlast), und ein Notdach vor dem Winter über das Gesamte Gebäude errichtet (Vermeidung von Schneelasten seit 2017/ 2018). Die über die flächendeckendeckenden Rasterfeuchtemessungen festgestellten hohen Feuchtewerte an den Plattenstößen der Hohlkastenelemente betrafen große Teile des Dachwerkes. Damit wurden auch die erwarteten Feuchtewerte der Bemessung für die Nutzungsklasse SC1 (max. SC2) überschritten. Durch punktuelle Freilegungen wurden zudem Bereiche mit Pilzschäden diagnostiziert, welche die Tragfähigkeit der Bauelemente reduzierte. Von den LVL-Hohlkasten Dachelementen waren davon knapp 70 % betroffen (Abb. 8). Daher wurde entschieden, alle Dachelemente auszutauschen. Auch einige große Teile an der westlichen und der nördlichen Fassade sind zu tauschen oder zu reparieren. Abb. 8: die rot markierten Dachelemente sind die mindestens auszutauschenden Bauteile. 40 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Holzfeuchteermittlung an Flachdächern mit Mikrowellentechnologie Die Instandsetzungsmaßnahme mit der seit 2017/ 2018 bestehenden Einhausung und dem Interimsbau für den Weiterbetrieb der Mensa wird auf ~ 6 Mio. € geschätzt. 5. Resümee und Ausblick Mit der Mikrowellen-Rastermessung konnten die vorhandenen Feuchteverhältnisse der Hohlkastenelemente aus Furnierschichthölzern zuverlässig festgestellt werden. Die Methode ist zerstörungsfrei und kann die relativen Feuchtewerte und Feuchteunterschiede reproduzierbar erfassen. Es empfiehlt sich über geeignete Vorversuche die „echten“ Feuchtwerte zu ermitteln, um die Interpretation der gemessenen Feuchtewerte zu erleichtern. Die Funktionsfähigkeit dieser Dachkonstruktion hängt entscheidend von einer funktionierenden Dachabdichtung der Polyureabeschichtung und einer funktionierenden Dampfsperre im Inneren ab. Daher ist diese Konstruktionsweise als sehr risikobehaftet zu bezeichnen. Daher wäre es bei einer solchen experimentellen Konstruktion sinnvoll gewesen, ein geeignetes Feuchtemonitoring zu etablieren. Bei der nun begonnenen Instandsetzung wird der Dachauf bau mit einer zusätzlichen, hinterlüfteten Dachhaut ausgeführt. Von einem „ansprechenden Ort der Begegnung“ und einem „architektonisch gelungenen Gebäude“ schrieb seinerzeit der zuständige Wissenschaftsminister Peter Frankenberg. Von „Verstoß gegen allgemein anerkannte Regeln der Technik“ berichtet dagegen im Jahr 2023 der Landesrechnungshof. (Zitat aus „Die Rheinpfalz“, 19.09.2023, Autor Stefan Jehle) Literatur [1] Ballhausen, N..: Struktur oder Stuck - Mensa in Karlsruhe Bauwelt Heft 8 2007, S. 19-27 [2] Schmid, V. et al.: Hybride Holzkonstruktionen mit Polyurethan, Abschlussbericht zum Forschungsprojekt Nr. 10033032, Zukunft Bau, Fraunhofer IRB Verlag, 2015 [3] Ruppert, C.: Mangelhafte Planungen - Beispiel Neubau der Mensa Moltkestraße in Karlsruhe, Denkschrift 2023 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes Baden-Württemberg, Rechnungshof, S 168 [4] Indefrey, A.: Mikrowellenverfahren zur Feuchtemessung, Lehrstuhl für Zerstörungsfreie Prüfung an der TUM, ZfP-WIKI, https: / / collab. dvb.bayern/ display/ TUMzfp/ Mikrowellenverfahren+zur+Feuchtemessung [5] Göllner, A. Mikrowellen-Feuchtemessung in Schichtaufbauten, Fachtagung Bauwerksdiagnose 2024, Berichtsband DGZfP-BB 181, Manuskript P14 [6] DIN EN 13183-1: 2002-07: Feuchtegehalt eines Stückes Schnittholz - Teil 1: Bestimmung durch Darrverfahren, Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin 2002 [7] Klopfer, R.: Bericht über die sachverständige großflächige Prüfung der Holzfeuchte an der „Mensa Moltke“, holz_ansicht 2018 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 41 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes Nutzen der Bauwerksuntersuchung für die Instandsetzungsplanung Dipl.-Ing. Helena Eisenkrein-Kreksch Kiwa GmbH, Engineering West, Mülheim a. d. R. Philipp Gosemann, M. Sc. Kiwa GmbH, Engineering West, Mülheim a. d. R. Zusammenfassung In Deutschland werden zurzeit viele Brückenbauwerke, ob in kommunalem Bereich oder Bundesstraßen und Autobahnen einer Instandsetzung oder Ertüchtigung unterzogen. Eine sorgfältige Untersuchung der Schäden sowie ein bauwerksbezogenes Instandsetzungskonzept sorgen für die wirtschaftliche und dauerhafte Ausführung der Instandsetzungsmaßnahmen. Die vorangestellte ausführliche Bauwerksuntersuchung muss als Grundlage für eine qualifizierte Planung der Maßnahme zugrunde gelegt werden. Auf der Grundlage der Untersuchungen kann dann ein bauwerksbezogenes Konzept der Instandsetzung, Ertüchtigung oder sogar Verstärkung oder Abbruch der Brücke erfolgen. In diesem Aufsatz werden anhand von zwei Bespielen die notwendigen Untersuchungsmethoden für die Bestimmung des Bauwerkszustandes, die Ergebnisaus- und Bewertung, sowie mögliche Instandsetzungen für Brücken sowohl im Spannbetonals auch in Stahlbetonbauweise, aufgezeigt. Diese Vorgehensweise wird zwar anhand von Brückenbauwerken dargestellt, jedoch ist sie für alle Bauwerke auch aus verschieden Materialien anwendbar. 1. Einführung Für eine wirtschaftliche, schnelle und qualitative Instandhaltung und -setzung der Brückenbauwerke, sei es als Präventivmaßnahme oder auch zur Schadensbehebung und Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit, müssen viele einzelne Tätigkeitsfelder zusammengefügt werden. Im Folgenden werden diese auf dem Weg zu einem standsicheren, dauerhaften und verkehrssicheren Bauwerk anhand einiger Beispiele aufgezeigt. Zu den einzelnen Tätigkeiten gehören neben den verpflichtenden Begehungen nach DIN 1076 [1] die • Auswertung der Ergebnisse des Bauwerksbuchs • Begehung des Bauwerkes vor der Erstellung eines Untersuchungskonzeptes • Erstellung eines Untersuchungskonzeptes • Untersuchung des Bauwerkes und Feststellung des Bauwerkszustandes • Auswertung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse • Erstellung eines Instandsetzungskonzeptes auf der Grundlage des Bauwerksbuches und der Untersuchungsergebnisse • Erstellung von Ausschreibungsunterlagen und Vergabe • Instandsetzungsmaßnahme mit qualitätssichernder Überwachung der einzelnen Schritte Diese einzelnen Schritte ergeben eine Gesamtmaßnahme, führen zu erfolgreicherer Instandsetzung des Bauwerks und werden im Folgenden einzeln beschrieben. 2. Vorgehen bei Untersuchung und Instandsetzungsplanung 2.1 Vorabbegehung Es hat sich bewährt, vor der Vorabbegehung das Bauwerk bei Google Maps [2] anzuschauen. Mittlerweile kann durch die Begehung in einem Umgebungsdarstellungsprogramm eine recht gute Vorstellung von der Örtlichkeit im Vorfeld gewonnen werden. Es empfiehlt sich trotzdem im Vorfeld der Bauwerksuntersuchung eine erste Ortsbegehung durchzuführen, um • die Begebenheiten vor Ort, wie die Zugänglichkeit der Brücke, • Einwirkungen aus der Umgebung und daraus resultierende Beanspruchungen und Belastungen • eingetretene Veränderungen zu der letzten Bauwerksbegehung (Prüf bericht nach DIN 1076) festzustellen und zu bewerten. Dabei können hilfreiche Fotografien erstellt werden, die eine Verortung der Untersuchungsstellen erleichtern. Bei der Erstbegehung können auch bereits Befunde zu möglichen schadstoffhaltigen Elementen, notwendigen Untersuchungsstellen und benötigten Untersuchungsmethoden pro Bauwerk digital (mit z. B. PlanRadar [3], Fieldwire [4], M2Ing. [5] etc.) oder analog eingetragen werden. In den Prüf berichten der Brücke stehen die Bewertungen der einzelnen Befunde. Jedoch wird die Untersu- 42 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes chung überwiegend auf visueller Basis erstellt und beinhaltet keine Bewertung der Kontamination des Betons mit Chloriden oder daraus resultierende Bewehrungskorrosion. Ferner können im Prüf bericht z. B. nur Risse und nicht deren Ursache bewertet werden. Aus diesem Grund muss bei der Planung der Untersuchung auch die Ursache einiger Schäden sowie der zu erwartender Schadensbildung betrachtet werden. 2.2 Konzept der Bauwerksuntersuchung 2.2.1 Allgemeines zum Beprobungskonzept Anhand der Vorabbegehung kann ein Beprobungskonzept erstellt werden. Dieser muss die notwendigen Untersuchungen und deren Verortung am Bauwerk in Bildern oder Zeichnungen beinhalten. Für die Ermittlung des Istzustandes von Verkehrsbauwerken liegend zwingend erforderliche sowie notwendige Prüfungen und welche, die bei Bedarf angewendet werden sollen, vor. Im Folgenden werden diese Bauwerksuntersuchungen in Kürze beschrieben. 2.2.2 zwingend erforderliche Untersuchungen Dabei handelt es sich um Untersuchungen, welche bei Betonbauwerken standardmäßig abgefragt werden müssen, um die Substands und den Zustand des Betons zu ermitteln. Dabei handelt es sich um die Erstidentifikation mittels zerstörungsfreier oder minimalinvasiver Prüfungen: • Bestimmung der Betondeckung nach Merkblatt B2 [6] • Bestimmung der Carbonatisierungstiefe nach DIN EN 14630: 2007-01 [7] • Entnahme des Bohrmehls zur Bestimmung der Chloridkontamination gemäß [8] 2.2.3 notwendige Untersuchungen Bei der Ermittlung des Istzustandes wird es häufig erforderlich, die einzelnen Bereiche des Betons oder der Bewehrung näher zu untersuchen. Das Ergebnis unterstütz die Erkenntnis zur tatsächlichen Schädigung des Bauwerks bei nicht sichtbaren Schäden, wie chloridinduzierte Bewehrungskorrosion oder Spanngliedbrüche, etc. • Anlegen von Sondierungsöffnungen gemäß Merkblatt SIA 2006-02 [9] • Entnahme von Bohrkernen zur Bestimmung der Betondruckfestigkeit gemäß DIN EN 12504-1 [10] • Bestimmung der Abreißfestigkeit nach DIN EN 1542 [11] • Bestimmung der Potentialfeldmessung in chloridkontaminierten Bereichen nach Merkblatt 03 [12] • Bestimmung des Gitterschnittes an vorhandener Beschichtung nach DIN EN ISO 2409 [13] 2.2.4 bei Bedarf anzuwendenden Bauwerksuntersuchungen (Sonderuntersuchungen) Diese Untersuchungen sind sehr speziell und können nur von wenigen Experten durchgeführt werden. An jeder Brücke sollte im Vorfeld überlegt werden, ob solche Untersuchungen zur Ermittlung des Zustandes zielführend sind. Es handelt sich dabei meist um Untersuchungen, welche zerstörungsfrei den Zustand des Spannstahls ermitteln, da die Spannstähle im besten Fall nicht freigelegt werden sollen. Ferner sollen, je nach Alter des Bauwerks, schadstoffkontaminierte Bauteile, wie beispielsweise Fugen oder alte, schadhafte Instandsetzungsstellen auf Schadstoffgehalt untersucht werden. • Ermittlung der Bewehrungsverläufe mittels Radar [14] • Feststellung der Spanngliedschädigung mittels Röntgen [15] und [16] • Untersuchung der Bewehrung mittels Spanngliedbruchortung [17] • Ermittlung von Schadsoffen an vermeintlich kontaminierten Bauteilen 2.3 Durchführung der Untersuchungen Es ist zu beachten, dass die meisten Untersuchungen während des Brückenbetriebes, also während der Befahrung ober- und unterhalb der Brücke stattfinden. Somit gehört eine Verkehrssicherung und Wahl des Untersuchungszeitpunktes als ein entscheidendes Kriterium zu der Planung der Bauwerksuntersuchung dazu. Die Untersuchungen sind durch fachkundiges Personal und die Laborprüfungen an zertifizierten und akkreditierten Labors durchzuführen, um die Fehlerquote zu minimieren. 2.4 Instandsetzungsplanung Zur Planung der Instandsetzungsmaßnahme muss der Prüf bericht der Brücke mit entsprechender Bewertung als erster Anhaltpunkt hinzugezogen werden. Daraus wird ersichtlich, welche Bereiche der Brücke eine schlechte Bewertung bekommen haben und somit einer Instandsetzung unterzogen werden müssen. Im Zusammenhang mit der ermittelten Schadensursache, kann der Zustand der Brücke verbessert werden. Zu Inhalten eines Instandsetzungskonzeptes stehen zahlreiche Literaturstellen zur Verfügung sowie das WTA Merkblatt [18]. Auf die Konzeption wird nicht näher eingegangen. 2.5 Ausschreibung und Vergabe Die Ausschreibung und Vergabe muss unteranderem nach ZTV ING [19] und gemäß den Bestimmungen der RI-ERH-ING [20] der BAST erfolgen. Hier wird dieser Vorgang nicht näher beschrieben. 2.6 Ausführung Für die qualitative Ausführung von Betoninstandsetzungsarbeiten muss das Unternehmen teilweise speziellen Kenntnisse wie SIVV-Schein, Nachweis über die Kenntnisse in Betonverstärkung oder Düsenführerschein etc. nachweisen. Diese Kenntnisse werden bei der ausführenden Firma vorausgesetzt, sowie die Einhaltung der Vorgaben der Instandsetzungsrichtlinie des DAfStb [21] in Verbindung mit der TR-Instandhaltung [22] in Bezug auf die Anforderungen an die qualifizierte Führungskraft, den Bauleiter und das Baustellenfachpersonal. Eine weitere Grundvoraussetzung ist die fortlaufende Weiter- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 43 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes bildung der qualifizierten Führungskraft, des Bauleiters sowie des Baustellenfachpersonals. Eine qualitätssichernde Überwachung der Maßnahme ist obligatorisch. 3. Vorgehensweise der Instandsetzungsplanung anhand von Beispielen 3.1 Allgemeines In den Prüf berichten der unten exemplarisch beschriebenen Brücken wurden einige Schadstellen diagnostiziert, die eine schlechte Zustandsnote bescheinigten. In diesem Zusammenhang sollten Bauwerksuntersuchungen und Instandsetzungsplanung durchgeführt werden, welche die Zustandsnote anheben und das Bauwerk dauerhaft und verkehrssicher ausstatten. Zur Orientierung in den Angaben der Untersuchungsstellen und Untersuchungsart wurden Kürzel vereinbart und festgehalten. Diese sind in der Tabelle 1 und 2 zu finden. Tab. 1: Kürzel der einzelnen Bauteile Tab. 2: Abkürzungen zu Untersuchungsbeschriftung 3.2 Beispiel Stahlbetonbrücke 3.2.1 Konzeption der Untersuchung Bei der Begehung einer Stahlbetonbrücke, die im Abb. 1 exemplarisch dargestellt ist, wurden Betonabplatzungen, alte, defekte Instandsetzungsstellen und Verschleiß des Asphaltes vorgefunden. Ferner traten an einigen Stellen Risse auf, die näher zu untersuchen wären. Abb. 1: Beispiel einer Stahlbetonbrücke Somit mussten die zwingend erforderlichen, die notwendigen, jedoch keine Sonderuntersuchungen (siehe Kapitel 2.2.1 - 2.2.3) geplant werden und an die Erstbefunde angepasst und berücksichtigt werden. Die Messungen der Betondeckung und der Carbonatisierungstiefe sollten zeigen, wie weit die Bewehrung noch im alkalischen Bereich liegt und vor Korrosion geschützt ist. Die Bestimmung der Chloridkontamination, vor allem an dem Mittelpfeiler, zeigte die Wahrscheinlichkeit der Bewehrungskorrosion und in diesem Zusammenhang auch ein Auftreten eines Standsicherheitsproblems. Bei den bereits instandgesetzten Stellen (Abb. 2), die aus den 80-er Jahren kommen, mussten die Schadstoffe wie z. B. Asbest untersucht werden, da die Baumaterialien aus den Jahrzehnten häufig Schadstoffe enthalten. Abb. 2: in früheren Jahren instandgesetzte Bereiche Ähnlich verhält es sich bei Fugen oder Asphalt. Hier ist abhängig vom Einbaujahr mit Schadstoff zu rechnen. Durch die bereits vorhandene Betonabplatzungen und freiliegende Bewehrung, muss der Beton instandgesetzt werden. Für die Planung dieser Maßnahme müssen die Kennwerte des Betons für die Einstufung des vorhandenen Betons in die Altbetonklasse ermittelt werden. Dazu 44 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes gehört die Bestimmung der Druck- und der Abreißfestigkeit, die an den betroffenen Bauteilen zu ermitteln sind. Alle Überlegungen zu den Untersuchungsstellen wurden in den Plänen oder/ und Zeichnungen (Abb. 3 und 4) aufgenommen und nummeriert. Alle Untersuchungen konnten in eine Entnahmecheckliste (Tab 3) zusammengestellt werden. Abb. 3: Fuge defekt Diese Dokumente werden dann dem Untersuchungsteam ausgehändigt, damit alle Prüfungen durchgeführt werden können und die Auswertung zur Ermittlung des gesamten Ist-zustandes des Bauwerks führt. Abb. 4: Pfeiler unbeschichtet, Chlorideintrag möglich Tab. 3: Entnahmecheckliste 3.2.2 Durchführung der Untersuchung und deren Ergebnisse Die Untersuchung durch erfahrene Baustoffprüfer, begleitet durch sachkundige Ingenieure läuft mithilfe der Checkliste ab. Zusätzlich kann und soll der Ingenieur bei unvorhergesehenen Befunden in die Untersuchung eingreifen und den Untersuchungsumfang verändern und ergänzen können. Die Untersuchungsergebnisse aus dem Bauwerk und die Prüfungsergebnisse der Laboruntersuchungen werden in einem detaillierten Bericht zusammengestellt und dem Planer anschließend übergeben. In der folgenden Abbildung ist eine Sondierungsöffnung mit Beschreibung des Ergebnisses dargestellt. Erwartungsgemäß lag die Bewehrung teilweise im Carbonatisiertem Bereich. An dem Mittelpfeiler lagen hohe Chloridkonzentrationen vor. Abb. 5: Sondierungsöffnung zum Zustand der Bewehrung, leichte chloridinduzierte Korrosion an Stellen mit hohen Chloridwerten 3.2.3 Instandsetzungsplanung Mit den Ergebnissen der Untersuchung und den Erkenntnissen aus dem Prüf bericht kann dann ein Instandsetzungskonzept gemäß ZTV ING [19] und Ausschreibungsunterlagen erstellt werden. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 45 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes In diesem Fall lag keine Kontamination mit Schadstoffen vor, so dass die schadhaften Stellen und die Betonausbrüche standardmäßig reprofiliert werden konnten. Der stark carbonatisierte Beton konnte durch die Applikation eines Oberflächenschutzsystems geschützt werden. Der chloridkontaminierter Mittelpfeiler konnte, aufgrund hoher Chloridwerte jedoch geringer Korrosionswahrscheinlichkeit der Bewehrung mittels Prinzip 2 der TR Instandhaltung [22] und zusätzlichem Einsatz eines kathodischen galvanischen Systems geschützt werden. 3.3 Beispiel Spannbetonbrücke 3.3.1 Konzeption der Untersuchung Die Spannbetonbrücke, wie die Abb. 6 zeigt, wies sehr ähnliche Schädigungen, wie im zuvor genannten Beispiel, auf. Somit wird hier auf die Beschreibung der zwingend erforderlichen und notwendigen Untersuchungen verzichtet. An der Brücke traten im Bereich der Spannglieder Risse auf, welche senkrecht durch die Spannglieder verliefen. Somit musste eine Untersuchung des Zustandes der Spannbewehrung durchgeführt werden. Ferner lagen bereits einige Spanngliedhüllrohre (Abb. 7) frei. Es wurden also zusätzlich zu standardisierten Untersuchungen gemäß Kapitel 2.2.1 und 2.2.2 auch zerstörungsfreie Sonderuntersuchungen. Abb. 6: Beispiel einer Spannbetonbrücke Abb. 7: Spannglieder teilweise bereits freiliegend Auf der Grundlage der Auswertung des Prüf berichtes (DIN 1076 [1]) und der Erstbegehung konnte ein Untersuchungsplan erstellt werden. In mehreren Zeichnungen (exemplarisch in der Abb. 8) wurden die Untersuchungsstellen markiert und in einer Entnahmecheckliste zusammengefasst. Abb. 8: exemplarische Zusammenstellung der Untersuchungen 46 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes 3.3.2 Durchführung der Untersuchung Die Untersuchung der Spannglieder erfolgte mittels magnetischer Streufeldmessung [22] an Rissen im Beton, welche die Spannglieder kreuzten. Abb. 9 zeigt den Messvorgang, welcher durch Radarmessung zur Ermittlung der Bewehrungsverläufe unterstützt wird. Abb. 9: Spanngliedbruchortung am Riss, unten Darstellung des Gerätes Es wurden an einer Brücke zwei Stellen, welche weder durch Risse noch durch andere visuelle Auffälligkeiten gekennzeichnet waren, Spanngliedbrüche festgestellt. Eine exemplarische Darstellung des Bruches ist in der Abbildung 10 dargestellt. Abb. 10: Darstellung des Spanngliedbruchortes. An jeder Linie verlaufen zwei Spannglieder Da diese zerstörungsfreie Untersuchungsmethode verifiziert ist, kann zwar eine Spanngliedöffnung durchgeführt werden, um den Bruch visuell nachzuweisen, jedoch ist der Aufwand dazu sehr hoch. Eine Erkenntnis zur Ursache des Spanngliedbruchs ist nicht bekannt. Es liegen keine erhöhte Chloridwerte vor, jedoch kann eine Fehlstelle in der Verfüllung der Spannliedrohre (siehe Abb. 7) nicht ausgeschlossen werden. Der Bruch kann bereits vor Jahren oder sogar während der Bauphase entstanden sein. An den in der Abb. 7 festgestellten Bereichen konnte kein Spanngliedbruch nachgewiesen werden. Somit muss seitens eines Tragwerksplaners die Brückenkonstruktion nachgerechnet werden, ob eine Minimierung der Verkehrslasten, eine Verstärkung der Tragkonstruktion oder andere Maßnahmen durchzuführen sind. 3.3.3 Instandsetzungsplanung Die Untersuchungsergebnisse ergaben ein zu erwartendes Schädigungs- und Kontaminationszustand der Brücke. Durch die zwei Spanngliedbrüche muss die Brückensituation neu betrachtet werden. Neben den standarisierten Instandsetzungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Chloridkontamination und fortgeschrittener Carbonatisierungstiefe, muss eine Ertüchtigung der Tragwirkung berücksichtigt werden. zum Zeitpunkt der Aufsatzerstellung war diese Frage noch nicht geklärt gewesen. 4. Fazit Durch die detaillierte und vor allem objektbezogene Untersuchung der Bauwerke sowie fundierte Instandsetzung, konnte mit geringem Umfang und Kosten eine gezielte Instandsetzung der Bauteile der Brücke durchgeführt werden, um die Schäden zu beseitigen und somit die Zustandsnote des Bauwerks dauerhaft zu heben. Sowohl die Dauerhaftigkeit als auch die Verkehrssicherheit und nicht zuletzt die Standsicherheit der Brücke konnten größtenteils wiederhergestellt werden und sogar die Bauteile präventiv geschützt werden. Eine gut vorbereitete Konzeption der Ausführung sorgt für eine schnelle, erfolgreiche und wirtschaftliche Instandsetzung nicht nur von Brückensondern auch anderen Bauwerken. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 47 Von der Zustandsnote 3 zur erfolgreichen Instandsetzung des Bauwerkes Literatur [1] DIN 1076: 1999-11, DIN1076EErlÄndErl HE 2011: 2011-10-18: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Berlin: Beuth Verlag, 18.10.2011. [2] https: / / www.google.de/ maps oder ähnliche kartendarstellende Webseiten [3] https: / / www.planradar.com/ de/ ; Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik; 1010 Wien [4] https: / / www.fieldwire.com/ de/ ; Fieldwire by Hilti, Das All-in-one Tool für die Baustelle, San Francisco, CA 94105 [5] https: / / m2ing.com; Herstellung und Vertrieb von Anwendersoftware für den B2B und B2G Bereich; 81379 München [6] Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e.V. (DGZfP), „Merkblatt B2 für Bewehrungsnachweis und Überdeckungsmessung bei Stahl- und Spannbeton,“ Berlin, 1990. [7] DIN EN 14630: 2007-01 „Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung der Karbonatisierungstiefe im Festbeton mit der Phenolphthalein-Prüfung; Deutsche Fassung EN 14630: 2006. [8] DIN EN 14629: 2007-06 „Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung des Chloridgehaltes in Festbeton; Deutsche Fassung EN 14629: 2007“. [9] SIA-Merkblatt , „Planung, Durchführung und Interpretation der Potenzialmessung an Stahlbetonbauten - Anhang VIII: Korrosionsgrad der Bewehrung“,“ Fassung 2006. [10] DIN EN 12504-1: 2019-09 „Prüfung von Beton in Bauwerken - Teil 1: Bohrkernproben - Herstellung, Untersuchung und Prüfung der Druckfestigkeit; Deutsche Fassung EN 12504-1: 2019“. [11] DIN EN 1542: 1999-07 „Prüfverfahren - Messung der Haftfestigkeit im Abreißversuch“ Deutsche Fassung EN 1542 : 1999. [12] DGZfP Merkblatt B 03, „Elektrochemische Potentialmessung zur Detektion von Bewehrungskorrosion“. Veröffentlicht vom DGZfP-Fachausschuss für Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen - Unterausschuss Korrosionsnachweis für Stahlbeton, Berlin: DGZfP, April 2021. [13] DIN EN ISO 2409: 2020-12, Beschichtungsstoffe - Gitterschnittprüfung (ISO 2409: 2020), Berlin: Beuth, 2020-12. [14] ETSI EN 302 066-1 V1.2.1 (2008-02) Electromagnetic compatibility and Radio spectrum Matters (ERM); Groundand Wall- Probing Radar applications (GPR/ WPR) imaging systems; Part 1: Technical characteristics and test methods [15] DIN EN ISO 9712: 2022-09, „Zerstörungsfreie Prüfung - Qualifizierung und Zertifizierung von Personal der zerstörungsfreien Prüfung,“ Beuth Verlag, Berlin, Deutsche Fassung EN ISO 9712: 2022. [16] Redmer, B.; Likhatchev, A.; Weise, F.; Ewert, U. , „ Location of Reinforcement in Structures by Different Methods of Gamma-Radiography.,“ International Symposium Non-Destructive Testing in Civil Engineering (NDT-CE) 2003, Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e. V. (DGZfP) [Hrsg.], Berlin 2003 [17] Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung e. V., Fachausschuss ZfP im Bauwesen: UA Magnetische Verfahren zur Spannstahlbruchortung: Positionspapier - Magnetische Verfahren zur Spannstahlbruchortung, 2017 [18] WTA Merkblatt 5-17-21/ D: Schutz und Instandsetzung von Beton: Instandsetzungskonzepte; Deutsche Fassung. Stand April 2021, Fraunhofer IRB Verlag, ISBN 9783738806465 [19] Bundesministerium für Digitales und Verkehr; Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten [ZTV-ING], Dezember 2023 [20] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten [RI-ERH-ING] [21) Deutscher Ausschuss für Stahlbeton im DIN e.V. (Hrsg): DAfStb-Richtlinie Schutz- und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungsrichtlinie), Teil 3: Ausführung. Berlin: Oktober 2001. [22] DEUTSCHES INSTITUT FÜR BAUTECHNIK, „Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung): Teil 1 - Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung“, und Teil 2: “ Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung“ Berlin, 05.2020. [23] Andrei Walther et all; Der Bausachverständige; Zerstörungsfreies Untersuchen von Spannbetonbauteilen; Fraunhofer IRB Verlag, 6/ 2017 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 49 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Experimentelle Tragsicherheitsbewertung von Stahlbetonstützen und -decken aus drei Dekaden Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann Institut für Experimentelle Statik, Hochschule Bremen Dipl.-Ing. Tomas Peiser Sibet Betontechnologie GmbH, Stelle Zusammenfassung Bei dem untersuchten Gebäude handelt es sich um ein ehemaliges Karstadt-Gebäude in der Innenstadt von Neumünster (Schleswig-Holstein). Nach der Gebäudeentkernung, der Schadstoffsanierung und sowie der Durchführung von Teilabbrüchen wurde im Zuge der Bauzustandsermittlung eine schlechte Gebäudesubstanz im Sinne der Standsicherheit, der Gebrauchstauglichkeit sowie der Dauerhaftigkeit vorgefunden. Das Gebäude wurde in drei Bauabschnitten aus den 1950er, den 1960er und den 1970er Jahren errichtet. Insbesondere nach der Entnahme von Bohrkernen und Prüfung der Druckfestigkeit wurde in Teilen eine unzureichende Betonfestigkeit festgestellt. Für den 2. Bauabschnitt (1960er Jahre) lagen außer Schalplänen keine weiteren Unterlagen zur Bewehrung und der konstruktiven Durchbildung des Stahlbetonskeletttragwerks vor. Auf dieser Grundlage war ein rechnerischer Nachweis der Bestandstragwerke nur eingeschränkt möglich. Als Alternative zu Abriss und Neubau wurden stichprobenartig Belastungsversuche an ausgewählten Massivbauteilen durchgeführt, um die Bauphase zu verkürzen, Ressourcen zu schonen und die Baukosten zu reduzieren. Es bestand die Vermutung, dass die Stahlbetonkonstruktion erhebliche Tragreserven besitzt, die durch zerstörungsarme Belastungsversuche (Nutzlasten zzgl. Sicherheitsanteile) überprüft und nachgewiesen werden können. 1. Einführung Der Gebäudekomplex liegt in zentraler Lage von Neumünster und wurde als Karstadt-Warenhaus genutzt. Nach der Geschäftsaufgabe Ende Oktober 2020 erwarb die Sparkasse Südholstein die Immobilie, um die Flächen von insgesamt 9.000 m² zu einer neuen Zentrale für sich und für die Stadtbücherei umzubauen. Gastronomie wird ebenfalls einziehen. Die umfangreichen Sanierungsarbeiten dauern weiterhin an, im April 2024 wurde Richtfest gefeiert, bezogen werden die Flächen voraussichtlich im Jahr 2025. Die Umsetzung dieser Baumaßnahme startete mit einer Entkernung aller Flächen, so dass die Stahlbeton-Skelettbauweise aus drei Dekaden untersucht und bewertet werden konnte. Anschließend sollte unter Beachtung der neuen Nutzung entschieden werden, wie möglichst viel Bausubstanz erhalten werden kann. Ein Abriss und Neubau von Teilbereichen sollte nur als letzte Option gewählt werden. 2. Bauwerksbeschreibung 2.1 Planungsgrundlage Das ehemalige Kauf haus wurde in den 1950er bis 1970er Jahren in 3 Bauabschnitten errichtet. Insgesamt hat das Gebäude eine maximale seitliche Abmessung von ca. 80 x 80 m. Der erste Bauabschnitt (BA-1, Abb. 1) wurde 1951 zunächst mit einem Keller, Erdgeschoss, 1. und 2.-OG errichtet und wurde später um ein 3.-Obergeschoss (Vollgeschoss) und ein eingerücktes Staffelgeschoss in Stahlleichtbauweise (4.- Obergeschoss) aufgestockt. Es besteht aus massiven Stahlbetondecken, Stahlbetonunterzügen und Stahlbetonstützen. Die Aussteifung erfolgt über ein Rahmentragsystem welches aus den Stützen und Unterzügen gebildet wird. Abb. 1: Die 3 Bauabschnitte aus den 50er, 60er und 70er-Jahren 50 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Der zweite Bauabschnitt (BA-2, Abb. 1) grenzt an den 1. Bauabschnitt an und wurde 1962 als 3-geschossiges Gebäude errichtet. Dieser Gebäudeteil besteht aus einem Kellergeschoss sowie Erdbis 2.-Obergeschoss. Die Bauweise entspricht in etwa der Konstruktion des 1. Bauabschnittes. Im Jahr 1976 folgte der 3. Bauabschnitt (BA-3, Abb. 1), der auf 4 Geschossen ohne Keller ebenfalls aus massiven Stahlbetondecken auf Unterzügen und Stahlbetonstützen besteht. Die Aussteifung des 3.-Bauabschnittes erfolgte über zwei Treppenhauskerne, die aus Stahlbetonwänden bestehen. Alle Bauabschnitte sind durch Gebäudefugen voneinander getrennt. Somit ist jedes Gebäude für sich ausgesteift und tragfähig. Als Warenhaus waren alle Flächen für eine Verkehrslast von q = 5,0 kN/ m² geplant, so dass eine Umnutzung zu Büroflächen ohne Probleme möglich war. Lediglich auf der Dachebene musste wegen Zusatzlasten aus einer Begrünung die Umnutzung gesondert überprüft werden. 2.2 Beurteilung des Ist-Zustandes des Bauwerkes Die Ergebnisse der Ist-Zustandserfassung auf Grundlage der „TR Instandhaltung“ [4] zeigten (Tab. 1, Tab. 2 und Tab. 3), • starke Schwankungen und teilweise sehr geringe Betondruckfestigkeiten, insbesondere im BA 1 • eine ausreichende Betonüberdeckung der Bewehrung • eine fortgeschrittene Karbonatisierung bis über die Bewehrungslage hinaus • vernachlässigbare Chloridgehalte (< 0,5 M.-%) • geringe (karbonatisierungsinduzierte) Korrosion an glattem Stahl im BA 1 Während die Sicherstellung des Mindest-Sollzustandes über die angestrebte Restnutzungsdauer durch typische Instandsetzungsmaßnahmen umsetzbar erschienen und verdeckte Ausführungsmängel im Wesentlichen in Form von Kiesnestern, freiliegende Betonstählen an Deckenunterseiten und Einzelrissen im Bereich von Arbeitsfugen, zu beheben waren, bereiteten vor allem die geringen Betondruckfestigkeiten im Bauabschnitt 1 größere Probleme (Tab. 1). Das Sachverständigenbüro Sibet GmbH wurde im Rahmen der Erstellung des Instandsetzungskonzeptes und der Instandsetzungsplanung beauftragt, eine erweiterte Bauteilprüfungen zu den vergleichbaren Betondruckfestigkeitsklassen aller Bauabschnitte durchzuführen. Zur Ermittlung vergleichbaren Betondruckfestigkeiten nach DIN EN 13791/ 2017 bzw. DIN EN 13791/ 2022 einzelner Bauteilgruppen wurden bei den drei Bauabschnitten insgesamt ca. 300 Bohrkerne aus Fundamenten, Wänden, Stützen, Unterzügen sowie Decken im Nassbohrverfahren entnommen. Für den Bauabschnitt 1 aus den 50er-Jahren ergab sich aus den vorliegenden Bestandsunterlagen, dass alle Bauteile mit einem Beton der Güte B225 hergestellt werden sollten. Grundlage der damaligen Planung und Herstellung waren die Bestimmungen des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton sowie die DIN 1045 aus dem Jahr 1943. Diesbezüglich galt es im Sinne der Gebäudeumnutzung ohne Veränderung der Verkehrslasten, diese Betongüte nachzuweisen. Tab. 1: Ergebnisse der Bohrkernuntersuchungen (BA1) Bauteilgruppe Betongüte nach DIN EN 13791/ 2017 Betongüte nach DIN EN 13791/ 2022 Decke über 3. OG C16/ 20 C16/ 20 3. OG Stützen C8/ 10 C12/ 15 Decke über 2. OG C16/ 20 C16/ 20 2. OG Stützen -/ - C8/ 10 Decke über 1. OG C12/ 15 C16/ 20 1. OG Stützen C12/ 15 C16/ 20 Decke über EG C16/ 20 C16/ 20 EG Stützen -/ - C8/ 10 Decke über UG C16/ 20 C16/ 20 UG Stützen -/ - C8/ 10 UG Außenwände -/ - C20/ 25 Fundamente C16/ 20 C20/ 25 Für den Bauabschnitt 3 aus den 70er-Jahren musste die Betongüte BN250 beziehungsweise BN350 bestätigt werden. Grundlage der damaligen Planung und Herstellung waren die Bestimmungen der DIN 1045 aus dem Jahr 1972. Tab. 2: Ergebnisse der Bohrkernuntersuchungen (BA3) Bauteilgruppe Betongüte nach DIN EN 13791/ 2017 Betongüte nach DIN EN 13791/ 2022 Decke über 2. OG C30/ 37 C30/ 37 Unterzüge 2. OG C30/ 37 C25/ 30 2. OG Stützen C25/ 30 C25/ 30 Decke über 1. OG C30/ 37 C30/ 37 Unterzüge 1. OG C25/ 30 C30/ 37 1. OG Stützen C25/ 30 C16/ 20 Decke über EG C30/ 37 C25/ 30 Unterzüge EG C25/ 30 C25/ 30 EG Stützen C30/ 37 C25/ 30 Wände Treppenh. C25/ 30 C25/ 30 Stützenfundamente C50/ 60 C40/ 50 Für Bauabschnitt 2 aus den 60er Jahren lagen keine Bestandsunterlagen hinsichtlich einer nachzuweisenden Betongüte vor. Diesbezüglich galt es durch die Bildung und Beprobung von Bauteilgruppen einzelne Bauteile mit schwacher Betongüte zu identifizieren und diese hinsicht- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 51 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes lich Ihrer zukünftigen Belastung in weitere Untersuchungen zu überführen. Tab. 3: Ergebnisse der Bohrkernuntersuchungen (BA2) Bauteilgruppe Betongüte nach DIN EN 13791/ 2017 Betongüte nach DIN EN 13791/ 2022 Decke über 2. OG C25/ 30 C12/ 15 2. OG Stützen C16/ 20 C16/ 20 Decke über 1. OG C20/ 25 C16/ 20 1. OG Stützen C16/ 20 C16/ 20 Decke über EG C20/ 25 C16/ 20 EG Stützen C20/ 25 C20/ 25 Decke über UG C20/ 25 C20/ 25 UG Stützen C25/ 30 C20/ 25 UG Außenwände C25/ 30 C25/ 30 Fundamente C35/ 45 C30/ 37 Insbesondere aufgrund der Unterschreitungen der Mindestbetonfestigkeiten im Bauabschnitt 1 konnten die für die Umbaumaßnahme erforderlichen rechnerischen Tragsicherheitsnachweise nicht vollumfänglich geführt werden. Da in Teilen auch zusätzlich erhöhte Lasten aufgrund von Nutzungsänderungen zu erwarten waren, und statistische Ausreißer in der Grundgesamtheit der Werte im Bauabschnitt 3 vorhanden waren, wurden weitere Untersuchungen erforderlich. Selbiges galt für den Bauabschnitt 2. Da es sich bei allen Bauabschnitten um insgesamt mehr als 350 Stützen, 630 Unterzüge, 9.000 m² Deckenfelder und über 3.500 m² Wandflächen handelt, galt es, im Vorwege ein Modell zu erzeugen, jedes Bauteil mit einem alphanummerischen Code zu versehen und Bauteilgruppen zu bilden (Abb. 2). Abb. 2: Nordwestansichten der Bauabschnitte Um eine geeignete Datenbasis in Hinblick auf weiterführende Maßnahmen, wie z. B. Probebelastung einzelner Bauteile zu erhalten, erfolgte eine zusammenfassende Darstellung von Druckfestigkeiten und Probenentnahmestelle in Grundrissen der einzelnen Tragwerksebenen (beispielhaft Abb. 3) sowie eine Aufstellung von Druckfestigkeiten und Auslastungsgrad einzelner Bauteile (beispielhaft Tab. 4). Wenn der Nachweis der Bestandstragwerke durch weitere Untersuchungen rechnerisch erbracht werden konnte, wurden die Betontragwerke nach der „TR Instandhaltung“ [4] instandgesetzt (Abb. 4). Abb. 3: Ergebnisse der Betonfestigkeiten, hier: Stützen im EG 52 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Tab. 4: Vorauswahl der Stützen anhand Widerstand (Betonfestigkeit) und Ausnutzungsgrad Stütze Widerstand f ck [N/ mm²] Auslastung UG innen 12,1 0,35 EG innen (S2) 11,1 0,40 innen (S1) 13,6 0,23 innen (S3) 12,9 0,27 innen (BK27) 14,5 0,18 außen (S5) 8,6 0,32 außen (S6) 12,1 0,23 außen (S7) 13,2 0,21 1. OG außen (S4) 12,5 0,12 2. OG innen (S1) 15,3 0,14 Abb. 4: Vorbereitete Stützen zur Instandsetzung 3. Experimentelle Tragsicherheitsbewertung 3.1 Erfolgsaussichten Experimentelle Verfahren kommen dann zum Einsatz, wenn alle anderen Ansätze nicht möglich oder zuvor gescheitert sind [1]: 1. Abschätzung der Tragsicherheit, z. B. aufgrund vorhandener Unterlagen oder Untersuchungen 2. Überschlägige Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit einfachen Berechnungsmodellen 3. Genaue Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit komplexen FE-Berechnungsansätzen und modellen 4. Messwertgestützte Ermittlung der Tragsicherheit Experimentelle Methoden (Punkt 4) bewerten den aktuellen Tragwerkszustand inklusive aller realen Randbedingungen, sodass Unsicherheiten wegfallen und die Lasten deutlich über das rechnerisch nachgewiesene Lastniveau gesteigert werden können (Abb. 5). Bei einer Tragsicherheitsbewertung wird der Nachweis ausreichender Tragsicherheit direkt durch Belastungsversuche erbracht. Dies bedeutet, dass das Tragwerk oberhalb der Gebrauchslast belastet wird, also inkl. dem Ansatz von Teilsicherheitsbeiwerten. Weil das Tragverhalten bis zur Versuchsziellast analysiert werden kann, deckt es ggf. auch nichtlineares Verformungsverhalten auf. Der Aufwand für Belastungs- und Messtechnik ist groß. Die Versuchslasten müssen regelbar und selbstsichernd die Beanspruchungen im Tragwerk simulieren, die es nach Normung widerstehen können muss, ohne die Gebrauchstauglichkeit oder Dauerhaftigkeit negativ zu beeinflussen. Dazu ist das Bauteil zuvor mit der dafür notwendigen Belastungs- und Messtechnik auszustatten. Abb. 5: Statistische Auswertung der erreichten mittleren Nutzlasterhöhungen (100 % = rechnerische Prognose) Das Potenzial von Probebelastungen im Vergleich zur rechnerischen Bewertung ist jedoch groß: aus unseren langjährigen Erfahrungen betragen die Zuwächse der nachweisbaren Nutzlast bei Stahlbetontragwerken mindestens 30 - 50 % (Abb. 5) und können in Ausnahme-fällen auch über 100 % liegen. Die experimentelle Tragsicherheitsbewertung ergänzt den allgemeinen rechnerischen Nachweis der Standsicherheit und wird nach unserer Erfahrung sowohl von den Prüfingenieuren als auch der Bauaufsicht der Länder akzeptiert. Manchmal wurde eine Zulassung im Einzelfall verlangt, es ist daher sinnvoll, alle Beteiligten schon im Planungsprozess zu involvieren. Die grundsätzliche Eignung und Zulässigkeit des die Rechnung begleitenden experimentellen Tragfähigkeitsnachweises auf der Grundlage der Regelungen der DAfStb-Richtlinie [2] wurde auch von der Fachkommission „Bautechnik“ der ARGEBAU bestätigt [3]. Bei allen experimentellen Nachweisformaten gelten die gleichen Gültigkeitsbeschränkungen wie bei der Aufstellungsstatik eines Neubaus. Sie sind so lange gültig, bis sich die Nutzung verändert oder wiederkehrende Bauwerksprüfungen Anlass für weitere Untersuchungen geben. Für Bauwerke mit Korrosionsproblemen bietet es sich daher an, KKS oder andere geeignete Verfahren einzusetzen, um den getesteten Zustand für den Restnutzungszeitraum einzufrieren [5]. 3.2 Untersuchungsumfang Belastungsversuche werden an einer Stichprobe geführt. Die „Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken“ [2] sieht hierfür das Konzept eines zusätzlichen Teilsicherheitsbeiwerts für die Übertragungsunsicherheit vor. Aufgrund der bekannten sehr unterschiedlichen Be- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 53 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes standsqualität wurde zusätzlich dazu eine Auswahl getroffen, unter Berücksichtigung von: • schlechter Betondruckfestigkeit • höchstem Ausnutzungsgrad • Zugänglichkeit der Stützen (z. B. Randstützen) • technischer Versuchsgrenzlast (1.250 kN) Nach dem gleichen Prinzip wurde auch die Stichprobe der Deckenfelder ausgewählt, wobei hier zudem darauf geachtet wurde, statisch ungünstige Systeme (Endfelder) und Bereiche mit geringen Auf bauhöhen (ohne Estrich) zu wählen. Insgesamt wurden in allen Bauabschnitten 5 Decken-felder, 3 Unterzüge und 9 Stützen getestet (Tab. 5). Tab. 5: Untersuchte Bauteile in den 3 Bauabschnitten Bauteil 50er Jahre (BA 1) 60er Jahre (BA 2) 70er Jahre (BA 3) Decke ü. EG ü. EG ü. EG ü. 1.OG ü. 2.OG keine Unterzüge keine ü. 2.OG ü. 1. OG ü. EG keine Stützen 1. OG [S4] EG [S2] EG [S5] EG [S6] EG [S1] EG [S7] 1. OG [S1] 1. OG [S7] 2. OG [S2] 3.3 Belastungsversuche an Stützen Die Versuchslasten für die Untersuchung der Stützenerfolgte wurde mit hydraulischen Pressen erzeugt, welche die Last auflagernah über die massiven Unterzüge oberhalb des Stützenkopfes einleiteten. Im Geschoss unterhalb der Stütze wurde die Last ebenfalls über die gevouteten Unterzüge auflagernah rückverankert (Abb. 6). So war der Kräftekreislauf geschlossen und nur die zu testende Stütze wurde belastet. Parallel waren alle vier Seiten der Stützen so mit Weg- und Schallemissionsmessung ausgestattet (Abb. 6, Abb. 7 und Abb. 8), dass der Zustand über die gesamte Bauteilhöhe in Echtzeit überwacht werden konnte. Aus der Schallemissionsmessung (Abb. 9) und den Kraft- Reaktions-Kurven (Abb. 10) ließ sich entnehmen, dass • ein vorwiegend linear-elastisches Last-Stauchungsverhalten vorlag (Abb. 10). Nichtlineares Verhalten zeigte sich erst oberhalb der Gebrauchslast und war hauptsächlich auf Gefügeveränderungen im Beton zurückzuführen. Anschließende Wiederholungsmessungen unter Gebrauchslast zeigten jedoch einen reproduzierbaren und reversiblen Kurvenverlauf. • unter Gebrauchslast (p = 1,0 + 3,0 = 4,0 kN/ m²) die Lasten auch unter längerer Standzeit (t > 15 min) verformungskonstant abgetragen wurden. • die gemessenen Stauchungen vorwiegend unter den prognostizierten Stauchungen gelegen haben. Nur bei einzelnen Stützen mit wesentlichen Fehlstellen (Stütze S4) wurden doppelt so große Werte erreicht. • der nachgewiesene Bauteilwiderstand ausreichte, um die gewünschte Nutzung (s. o.) der Stützen umzusetzen. • nur vereinzelt hochenergetische Signale mit kurzer Dauer auf eine beginnende Gefügeveränderung schließen ließen (Abb. 9). Abb. 6: Belastungs- und Messtechnik: Stützentest 54 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Abb. 7: Stützentest in der Außenfassade (BA 1) Abb. 8: Stützentest (BA 3) Abb. 9: Auszug aus den Protokollen der Schallemissionsanalyse Abb. 10: Last-Stauchungskurve einer Stütze (BA 1) 3.4 Belastungsversuche an Decken Die Erzeugung der Versuchslasten für die Decken erfolgte mit dem gleichen Prinzip wie bei den Stützen, bestehend aus hydraulischen Pressen und Belastungsrahmen zum Schließen des Kräftekreislaufes. Jetzt waren jedoch etwas aufwändigere Konstruktionen aus Stahlträgern notwendig, die beliebig zu Fachwerken auf die jeweilige Situation angepasst werden können (Abb. 11). Die Rahmen wurden im 1. Obergeschoss aufgebaut und an den Unterzügen rückverankert. Die Versuchslasten wurden mittels Lastverteilungsträgern durch Teilflächen auf den Decken eingeleitet, so dass im Bauteil die Beanspruchungen (Biegemomente / Querkräfte) erzeugt werden konnten, die für den Nachweis notwendig waren. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 55 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Abb. 11: Belastungsprinzip Deckentest im BA 2 Der Bauteilzustand wurde während der Belastung durch Messtechnik überwacht: Durchbiegungen, Biege-dehnungen und Schallemission. Aus den Kraft-Reaktions- Kurven (Abb. 13) ließ sich entnehmen, dass • die Deckenplatten vorwiegend linear-elastisches Last- Durchbiegungsverhalten aufwiesen (Abb. 13) und nur sehr geringe bleibende Verformungen auftraten. Anschließende Wiederholungsmessungen unter Gebrauchslast zeigten jedoch einen reproduzierbaren und reversiblen Kurvenverlauf • unter Gebrauchslast (p = 1,0 + 3,0 = 4,0 kN/ m²) die Durchbiegung der Deckenplatten (Decke über EG und 1.OG: f Q ≤ 2,0 mm; Dachdecke: f Q ≤ 1,6 mm) betragen hat und somit das Gebrauchstauglichkeits-kriterium der maximalen Verformung f Q < l / 250 eingehalten worden ist. • der nachgewiesene Bauteilwiderstand ausreicht, um die gewünschte Nutzung (s. o.) umzusetzen. Abb. 12: Deckentest im BA 2. Oben: Lasteinleitung; unten: rückverankerte Belastungsrahmen Abb. 13: Last-Verformungskurve einer Decke (BA 2) 4. Zusammenfassung Für den Nachweis der ausreichenden Tragsicherheit der Stahlbetonstützen- und -decken wurden an dem ehemaligen Karstadt in Neumünster umfangreiche Voranalysen der Bauteile (Zustand und Materialfestigkeiten) durchgeführt. Sofern der Tragfähigkeitsnacheis auf dieser Grundlage erbracht werden konnte, wurden die Betontragwerke konventionell instandgesetzt. Alle anderen Bauteile wurden zur Auswahl einer Stichprobe geclustert und durch Belastungsversuche an den Bauteilen mit den ungünstigsten Randbedingungen nachgewiesen. Mit diesem Gesamtkonzept konnte ein Großteil der Bestandstragwerke (Stahlbetonstützen, -decken und unterzüge) erhalten, und somit Ressourcen, graue Energie und CO 2 - Emissionen eingespart werden. 56 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes 5. Ausblick Experimentell gestützte Nachweise loten die Tragwerksreserven bestehender Bauwerke aus und können selbst dann ein erfolgsversprechender Lösungsansatz sein, wenn umfangreiche rechnerische Analysen unbefriedigende Ergebnisse erzielt haben. Voranschreitender Computerhörigkeit trotzend bieten sie eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu Abriss und Neubau und leisten einen wichtigen Beitrag, um Baukultur zu bewahren. Grundlage dazu ist eine umfassende Bestandsaufnahme und -bewertung, auf der die weiteren Maßnahmen zur Bestandserhaltung getroffen werden können. 6. Danksagung Ein herzlicher Dank gilt allen Projektbeteiligen, die mit ihrem Engagement und der konstruktiven Zusammenarbeit wesentlich zum Gelingen der komplexen Aufgaben beigetragen haben. Besonderer Dank gilt allen Auftraggebern, die unseren Prognosen und Erfahrungswerten vertraut und die Einsätze beauftragt haben. Wir hoffen, dass auch weiterhin die Restnutzungsdauer bei vielen Bauwerke durch experimentelle Untersuchungen verlängert werden kann. Literatur [1] Bolle, G.; Schacht, G.; Marx, S.: Geschichtliche Entwicklung und aktuelle Praxis der Probebelastung, Teil 1 und 2. Bautechnik 87 (2010) 11|12, S. 700-707|784-789 [2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken. Berlin: Beuth, Juli 2020 [3] Manleitner et al.: Belastungsversuche an Betonbauwerken. In: Beton- und Stahlbetonbau 96, 2011, Heft 7, S. 489 [4] Deutsches Institut für Bautechnik: Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung)“, Ausgabe: 05/ 2020 [5] Gutermann, M., Malgut, W.: Experimentelle Methoden - Ein alternativer Weg zum statischen Nachweis von Bestandsbauwerken. In: Gieler-Breßmer (Hrsg.): Tagungsband. 18. Symposium Kathodischer Korrosionsschutz von Stahlbetonbauwerken, 05. bis 06.11.2020. Ostfildern, TAE Verlag, 2020 Nachhaltigkeit beim Bauen im Bestand 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 59 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) Strategien für WDVS gemäß den 10-R-Stufen der Kreislauffähigkeit Dr. Joris Burger Sto SE & Co. KGaA, Stühlingen Zusammenfassung Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) sind wesentliche Bauprodukte, um den Energieverbrauch von Gebäuden durch Dämmung zu reduzieren. Neben der Senkung des Energiebedarfs ist dabei ebenso wichtig, Materialien effizient zu nutzen, um den Einsatz von Primärressourcen zu minimieren und Abfall zu vermeiden. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft und insbesondere die sogenannten 10-R-Stufen der Kreislauffähigkeit bieten wertvolle Ansätze, die zu einer effizienteren Nutzung von Materialien führen können. In diesem Artikel werden die 10 Strategien im Kontext von WDVS erörtert und Empfehlungen ausgesprochen, wie diese Konzepte effektiv genutzt werden können, um WDVS kreislauffähiger zu gestalten. Zudem wird ein innovatives Verfahren zur Entsorgung von rückgebauten WDVS mit EPS-Dämmung vorgestellt: die stofflich-energetische Verwertung in Zementwerken. Dabei wird das EPS energetisch als Sekundärbrennstoff genutzt, während die mineralischen Bestandteile als Rohstoffersatz für die Herstellung von Zementklinker dienen. 1. Einleitung Gebäude tragen erheblich zum Energieverbrauch bei und spielen daher eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft. In der EU entfallen etwa 40 % des gesamten Energieverbrauchs und rund 36 % der Treibhausgasemissionen auf Gebäude [1]. Um den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen von Gebäuden zu reduzieren, ist die Dämmung der Gebäudehülle ein wesentlicher Faktor. Allerdings entsprechen derzeit noch 75 % der Gebäude nicht den Standards für Energieeffizienz. Aus diesem Grund hat die Europäische Kommission im Rahmen ihres Green-Deal-Pakets eine Strategie zur Renovierungswelle formuliert, mit dem Ziel, 35 Millionen ineffiziente Gebäude zu renovieren [2]. 1.1 Wärmedämm-Verbundsysteme Seit den späten 1950er Jahren werden Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) als effektive Methode zur Dämmung von Gebäuden an Gebäudefassaden angebracht. WDVS bieten eine kostengünstige und effiziente Methode zur Reduzierung des Heizbedarfs, zur Verringerung bauphysikalischer Probleme (z. B. Schimmelbildung durch Oberflächenkondensation an Innenwänden) und zur Schaffung eines angenehmen Innenraumklimas. WDVS bestehen in der Regel aus einem Dämmmaterial, das mit Kleber und mechanisch an einer Außenwand befestigt wird. Das Dämmmaterial wird mit einem Armierungsmörtel, einer Gewebeeinlage sowie einer Schlussbeschichtung aus Putz oder Klinkerriemchen, Keramik, Naturstein usw. abgedeckt. Von 1960 bis 2022 wurden in Deutschland allein rund 1.350 Mio. m 2 WDVS-Fassaden realisiert [3]. Am häufigsten (ca. 80 %) wurde EPS als Dämmmaterial verwendet [4]. Ein weiteres wichtiges Dämmmaterial, das oft verwendet wird, wenn eine höhere Brandschutzklasse erforderlich ist, ist Mineralwolle. Andere Dämmmaterialien, die typischerweise verwendet werden, sind Holzfasern, Polyurethan (PU) und Phenolharz (PF). 1.2 Kreislaufwirtschaft Neben der Reduzierung des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen aus dem Gebäudebetrieb ist es auch notwendig, Materialien effizient zu nutzen, um den Verbrauch von Primärmaterial zu senken, Abfall zu reduzieren und graue Emissionen zu verringern. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft gewinnt zunehmend an Interesse und soll zu einer effizienteren Nutzung von Materialien in der Bauindustrie beitragen. Die Kreislaufwirtschaft ist das Gegenteil einer linearen Wirtschaft (Produktion > Nutzung > Entsorgung) und zielt darauf ab, den Wert eines Materials oder Produkts jederzeit auf dem höchstmöglichen Niveau zu halten. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft ist ein weiterer Eckpfeiler des Green Deals der EU im Rahmen des Circular Economy Action Plan (CEAP) [5]. In Deutschland ist die Kreislaufwirtschaft rechtlich im Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) verankert [6]. Das KrWG enthält eine 5-stufige Prioritätenliste für den Umgang mit Abfällen (Abb. 1): 60 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) Abb. 1: Abfallhierarchie gemäß Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG). Obwohl das KrWG einen starken Fokus auf die Abfallwirtschaft legt, ist das Konzept der Kreislaufwirtschaft umfassender zu verstehen und viele weitere Konzepte könnten unter der Kategorie „Vermeidung“ verstanden werden. Zusätzlich soll die Beseitigung weiter reduziert bzw. vermieden werden. Ein Konzept für eine Kreislaufwirtschaft, das von Jacqueline Cramer vorgeschlagen wurde, ist das der „10-R-Stufen der Kreislauffähigkeit“ (10-R Ladder of Circularity) [7]. Als Faustregel gilt, dass die Stufen weiter oben auf der Leiter (wie Refuse, Reduce, Redesign) insgesamt weniger Materialien erfordern, was die ressourcenbezogene Umweltbelastung verringert und eher dem Sinne der Kreislaufwirtschaft entspricht (Abb. 2). Daher kann man diese Stufen als Leitfaden für die Priorisierung von Konzepten der Kreislaufwirtschaft betrachten. Diese 10-R-Stufen werden als Grundlage für diesen Artikel verwendet. Abb. 2: 10-R-Stufen der Kreislauffähigkeit. Angepasst nach [7] und [8]. 1.3 Rückbau von WDVS Wenn eine WDVS-Fassade zurückgebaut wird, geschieht dies entweder nicht-selektiv oder selektiv. Der nicht-selektive Rückbau erfolgt in der Regel maschinell, wobei die einzelnen Schichten und Materialien nicht getrennt werden. Der selektive Rückbau erfolgt meist manuell, wobei die Schichten getrennt werden können [9]. Der manuelle, selektive Rückbau einer WDVS-Fassade erfolgt in folgenden Schritten (Abb. 3): 1. Die Putzschicht wird vertikal und/ oder horizontal aufgeschnitten. 2. Die Putzschale (Mischung aus Unterputz, Gewebe und Oberputz) kann durch Ziehen in einem schrägen Winkel entfernt werden. 3. Falls die Dämmung mit Dübeln befestigt ist, können die Dübel herausgeschraubt werden. 4. Die Dämmung kann dann entfernt werden. 5. Falls die Dämmung geklebt wurde, kann der Kleber von der Wand entfernt werden (nicht im Bild dargestellt). 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 61 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) Abb. 3: Rückbau WDVS mit EPS-Dämmung, geklebt und gedübelt 1.4 Zahlen und Fakten In Deutschland wurden im Jahr 2022 insgesamt 192.744 Gebäude errichtet [3] und 12.600 abgerissen [10]. Daraus ergibt sich eine Rückbauquote von rund 7 %. Darüber hinaus geht der Trend zum Abriss von Gebäuden zurück [10]. Das bedeutet, dass selbst wenn alle Ressourcen aus abgerissenen Gebäuden für den Bau neuer Gebäude verwendet werden (vollständige Kreislaufwirtschaft), nur 7 % des erforderlichen Ressourcenbedarfs gedeckt werden könnten. Die Gesamtabfallmenge in Deutschland betrug im Jahr 2022 399,1 Millionen Tonnen, wovon Bau- und Abbruchabfälle mit 216,2 Millionen Tonnen (54 %) den größten Teil ausmachen [11]. Davon werden fast 90 % verwertet. Darüber hinaus wurden aus dieser Menge 75,3 Millionen Tonnen Recycling-Baustoffe (Gesteinskörnungen) hergestellt, was 13 % des Bedarfs an Gesteinskörnungen abdeckt. Von der Gesamtmenge von 216 Millionen Tonnen entfielen rund 13 Millionen Tonnen auf Baustellenabfälle, zu denen auch Dämmmaterial unter der Abfallschlüssel „17 06 04 Dämmmaterial mit Ausnahme desjenigen, das unter 17 06 01 und 17 06 03 fällt“ gehört. Von den 13 Millionen Tonnen Baustellenabfällen wurden nur 0,3 Millionen Tonnen (2,3 %) recycelt und 12,5 Millionen Tonnen (96,9 %) wurden anderen Formen der Verwertung zugeführt, der Rest wurde auf Deponien entsorgt [12]. Schätzungen über die genaue Menge an WDVS-Abfällen in Deutschland sind schwer zu ermitteln, da die Daten nicht spezifisch erfasst werden. Niklas Heller [9] hat eine Schätzung der Menge an WDVS-Abfall mit EPS (das, wie in Abschnitt 1.1 erwähnt, am häufigsten verwendet wurde) vorgenommen, die zwischen 85.000 und 265.000 Tonnen pro Jahr liegt. Dies wird jedoch allgemein als eine eher hohe Schätzung angesehen, insbesondere wenn die Rückbauquote weiterhin so niedrig bleibt wie derzeit. Eine realistischere Schätzung des erwarteten WDVS-Abfalls würde wahrscheinlich zwischen 50.000 und 100.000 Tonnen pro Jahr liegen. 1.5 Ziel der Studie In diesem Artikel wird beschrieben, wie die 10-R-Stufen der Kreislauffähigkeit als Leitfaden für Kreislauffähige WDVS verwendet werden können. Jedes dieser Prinzipien wird detailliert erläutert, und es werden sowohl Forschungsbeispiele als auch praxisorientierte Ansätze vorgestellt, die zeigen, wie diese Prinzipien umgesetzt werden können, um eine kreislauffähige Zukunft für WDVS zu realisieren. 2. 10-R-Stufen der Kreislauffähigkeit 2.1 Refuse & Reduce Die ersten beiden Stufen der Kreislauffähigkeit zielen darauf ab, die Materialnutzung zu verhindern (Refuse) und zu verringern (Reduce). Ein Potenzial zur Reduzierung des Materialverbrauchs bei WDVS liegt in der Vermeidung unnötig dicker Dämmschichten. Historische Trends zeigen, dass Dämmmaterialien zunehmend dicker werden, um die Mindestanforderungen an den U-Wert zu erfüllen. Da die Beziehung zwischen U-Wert und Dämmstärke jedoch nicht linear ist, haben sehr hohe Dämmstärken nur noch einen geringeren Einfluss auf den U-Wert. Aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht ist es daher meist nicht sinnvoll, Dämmstärken von mehr als 20 cm zu verwenden, insbesondere bei Hochleistungsdämmstoffen. Zudem ist bei Renovierungen die maximale Dämmstärke oft durch den bestehenden Dachüberstand begrenzt. So kann es vorkommen, dass das Gebäudeenergiegesetz (GEG) eine Dämmstärke von 14 cm vorschreibt, der Dachüberstand jedoch nur eine Erhöhung um 10 cm zulässt. In einem solchen Fall hat der Bauherr zwei Optionen: Entweder er saniert sowohl die Wand als auch das Dach, was die Kosten erhöht, oder er verzichtet aufgrund der hohen Investitionskosten ganz auf eine Sanierung. Um mehr Renovierungen zu fördern und den Energiebedarf zu senken, wäre es daher sinnvoll, Ausnahmen von den U-Wert-Vorschriften zu ermöglichen - vorausgesetzt, dass ein Mindestmaß an Dämmung gewährleistet bleibt. Die Vorschriften für den Gebäudetyp E, die in bestimmten Fällen Abweichungen von der Norm zulassen, könnte eventuell einen Schritt in diese Richtung darstellen [13]. 2.2 Redesign Das Konzept des Redesign (Neugestalten) steht für das Überdenken eines Produkts nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Ein Beispiel für die Neugestaltung von WDVS, um ihre Kreislauffähigkeit zu erhöhen, ist, sie leichter rückbaubar zu machen. Üblicherweise werden WDVS mit Klebstoff an der Außenwand befestigt, manchmal ergänzt durch eine mechanische Befestigung. Es gibt jedoch mehrere Ansätze zur Befestigung von WDVS mit rein mechanischen Verbindungen, wie z. B. das StoFix Circonic-System oder weber.therm circle. Bei diesen Systemen wird das Dämmmaterial ausschließlich mit Dübeln an der Wand befestigt. Wenn das WDVS schließlich das Ende seiner Lebensdauer erreicht 62 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) hat, können der Außenputz und das Gewebe entfernt, die Dübel herausgeschraubt und das Dämmmaterial sauber getrennt und recycelt werden. Ein weiterer radikaler Ansatz zur Schaffung rückbaubarer WDVS wurde im Projekt WDVS-Deaktiv untersucht [14]. In diesem Projekt wurde ein mikrowellenaktiver Klebstoff entwickelt, der sich nach dem Nutzungsende des WDVS wieder ablösen lässt. Obwohl die Forschung gezeigt hat, dass ein solcher Klebstoff grundsätzlich möglich ist, stehen für den praktischen Einsatz auf Baustellen noch zahlreiche Herausforderungen im Raum, wie etwa Kosten, Zeiteffizienz, Sicherheit und die praktische Anwendbarkeit. 2.3 Reuse Das Prinzip der Reuse (Wiederverwendung) kann auf WDVS durch Nachdämmung alter WDVS, auch „Aufdopplung“ genannt, angewendet werden [15]. Dieser Ansatz eignet sich, wenn eine bestehende Wand nur mit einer minimalen Dämmung (z. B. 6 cm) versehen wurde und die Energieeffizienz der Fassade verbessert werden muss. Anstatt das bestehende WDVS abzureißen und ein komplett Neues anzubringen, kann das alte WDVS vor Ort belassen und ein neues System darauf installiert werden (Abb. 4). Dies spart sowohl Ressourcen, da weniger Material für die zusätzliche Dämmung benötigt wird, als auch Zeit, da ein Rückbau entfällt. Auf diese Weise lässt sich die Nutzungsdauer von WDVS von 40 bis 120 Jahre verlängern [4]. Zusätzlich haben jüngste Studien des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP gezeigt, dass die Lebensdauer von WDVS (ohne Berücksichtigung der Aufdopplung) möglicherweise von 40 auf 50 Jahre verlängert werden kann [16]. Abb. 4: Nachdämmung alter WDVS: Aufdopplung Bei WDVS-Aufdopplung sind einige Aspekte zu berücksichtigen. Diese sind in der entsprechenden allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) Z-33.49-1505 zu finden. So muss beispielsweise die Altbeschichtung klebegeeignet und tragfähig sein, und das neu hinzugefügte WDVS muss sowohl geklebt als auch gedübelt werden. Das System hat viele weitere Vorteile, z. B. kann es sogar auf bestehenden HBCD-haltigen (siehe Abschnitt 2.5) EPS-WDVS aufgebracht werden. In diesem Zuge sollte dokumentiert werden, dass sich ein HBCD-haltiges WDVS unter dem aufgedoppelten WDVS befindet. Das bietet sich auch für Aufdopplungen ohne zugrundeliegende WDVS mit HBCD an, da es am endgültigen Nutzungsende eine Wiederverwendung oder ein Recycling ermöglichen kann. Auch bei bestehenden Gebäuden, bei denen eine Aufdopplung des WDVS nicht möglich ist oder bisher keine Dämmung angebracht wurde, stellt eine Renovierung mit WDVS eine ideale Lösung dar. Durch die Anbringung von WDVS auf bestehenden Gebäuden wird die bestehende Struktur und Bausubstanz weiterbzw. wiederverwendet, was Ressourcen schont und die Lebensdauer der Hauptstruktur des Gebäudes verlängert. Aufgrund ihres geringen Gewichts können WDVS auf nahezu jeder bestehenden Wandstruktur montiert werden. Dadurch tragen WDVS aktiv dazu bei, den Abriss bestehender Gebäude zu vermeiden. 2.4 Repair & Refurbish Es ist immer möglich, dass ein WDVS im Laufe seiner Lebensdauer beschädigt wird und nicht mehr alle Anforderungen erfüllt. Die Schäden können von oberflächlichen, rein ästhetischen Mängeln bis hin zu tiefer gehenden Schäden in den Schichten des WDVS reichen, die für die Wetterbeständigkeit der Fassade entscheidend sind. In solchen Fällen sollte stets höchste Priorität darauf liegen, Möglichkeiten zur Reparatur (Repair) und Auffrischung (Refurbish) zu prüfen. Ein einfacher neuer Anstrich könnte etwa das ästhetische Problem beheben und so die Lebensdauer der Fassade auf eine kostengünstige und ressourcenschonende Weise verlängern. In anderen Fällen sind umfangreichere Reparaturen erforderlich, wie beispielsweise eine neue Putzschicht oder ein speziell für die Renovierung entwickeltes System [17]. 2.5 Remanufacture & Repurpose Die Begriffe „Remanufacture“ und „Repurpose“ bedeuten, dass aus alten Produktteilen neue Produkte mit derselben Funktion (Remanufacture) oder aus alten Produktteilen neue Produkte mit anderer Funktion (Repurpose) hergestellt werden. Remanufacture im Rahmen von WDVS könnte beispielsweise bedeuten: eine Dämmplatte von einer Fassade, die das Ende ihrer Lebensdauer erreicht hat, zu entfernen und diese Platte an einer anderen Fassade wiederzuverwenden. Diese Praxis stellt aus verschiedenen Gründen eine Herausforderung dar. Zum einen ist es schwierig, eine Fassadenplatte von der Wand zu lösen, ohne sie zu beschädigen - selbst wenn die Verbindung reversibel ist (wie in Abschnitt 2.2 Redesign beschrieben). Da Dämmmaterialien in der Regel eine geringe 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 63 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) Dichte aufweisen, um die Wärmeleitung zu minimieren, sind sie oft nicht robust genug für eine mehrfache Verwendung. Die Verwendung einer beschädigten Platte innerhalb eines WDVS könnte daher zu erheblichen Schäden führen. Darüber hinaus entsprechen Dämmplatten, die heute rückgebaut werden, häufig nicht den aktuellen Bauvorschriften [18], weder in Bezug auf mechanische oder bauphysikalische Eigenschaften noch hinsichtlich schädlicher oder mittlerweile verbotener Substanzen. So könnte EPS aus der Zeit vor 2016 das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) enthalten, und Mineralwolle vor 1996 könnte lungengängige und damit krebserregende Fasern aufweisen. Schließlich wäre die Sammlung, Logistik und Qualitätskontrolle, die notwendig wären, um sicherzustellen, dass die Dämmplatten den technischen Anforderungen entsprechen, äußerst zeitaufwendig bzw. kostenintensiv und daher schwer umsetzbar. Repurpose würde z. B. bedeuten, eine WDVS-Dämmplatte zu entfernen und ihr einen neuen Zweck zu geben, etwa die Nutzung von altem WDVS-EPS als Verpackungsmaterial. Obwohl die mechanischen Anforderungen in diesem Fall möglicherweise geringer sind, müssen schädliche oder verbotene Substanzen wie HBCD-haltiges EPS weiterhin aus dem Prozess entfernt werden. Darüber hinaus bestehen die gleichen Herausforderungen in Bezug auf Sammlung, Logistik und Qualitätskontrolle. Da Verpackungsmaterial keine hochwertige Anwendung darstellt, wird es voraussichtlich sehr schwierig sein, einen überzeugenden Business Case für diesen Ansatz zu entwickeln. Aus diesen Gründen sind wir der Ansicht, dass die Remanufacture und Repurpose bei Kreislaufführung von WDVS nicht im Vordergrund stehen sollten. Diese Konzepte eignen sich besser für andere Fassadensysteme, wie beispielsweise Vorgehängte hinterlüftete Fassadensysteme (VHF), bei denen es theoretisch möglich ist, Fassadenpaneele zu entfernen und an anderer Stelle wiederzuverwenden. 2.6 Recycle & Recovery Der Begriff Recycling bezieht sich auf Rückgewinnungsprozesse, bei denen Abfälle zu Produkten und Materialien auf bereitet werden, die entweder für ihren ursprünglichen Zweck oder für neue Anwendungen genutzt werden [6]. Im Gegensatz dazu bezeichnet Recovery die Verbrennung von Abfällen zur Energierückgewinnung. Die Verwendung recycelter Materialien in der Bauindustrie gewinnt zunehmend an Bedeutung, etwa durch den Einsatz von recycelten Zuschlagstoffen in Beton, wie in Abschnitt 1.4 beschrieben [12]. Status Quo Beim Rückbau eines WDVS gibt es grundsätzlich zwei Methoden: den nicht-selektiven und den selektiven Rückbau (Abschnitt 1.3). Nach dem Rückbau der Fassade kann das gesamte WDVS entweder unter der Abfallschlüsseln 17 09 04 als gemischte Bau- und Abbruchabfälle entsorgt werden, oder die Dämmmaterialien können separat entsorgt werden - unter 17 06 03 für „alte“ krebserregende Mineralwolle und unter 17 06 04 für EPS, neue Mineralwolle und andere Dämmmaterialien. Nach der Entsorgung werden Putzreste in der Regel auf Deponien abgelagert, während synthetische und organische Dämmmaterialien thermisch verwertet und mineralische Dämmmaterialien deponiert werden [19]. Was WDVS-Dämmstoffe betrifft, so ist das Recycling von Baustellen-Verschnitt der häufigsten Dämmmaterialien wie EPS und Mineralwolle weit verbreitet [20]. Bei der Fassadenerrichtung fallen etwa 5 % Verschnittreste an. Diese Reste können in speziellen Foliensäcken oder Big Bags gesammelt und anschließend an die Hersteller von Dämmstoffen zurückgegeben werden, wo sie entweder in neue Dämmmaterialien oder, im Falle von EPS, als Leichtzuschlag für Baustoffe recycelt werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, dass 1. die Abschnitte in der Regel sauber und sortenrein sind, da sie noch nicht an einer Fassade angebracht wurden, und 2. ein Logistiksystem eingerichtet wurde, um diese an den Standort zu bringen. Auch das Recycling von Dämmmaterialien aus zurückgebauten Fassaden ist technisch möglich, doch gibt es eine Reihe von Herausforderungen, die einer breiten Anwendung im Weg stehen. HBCD-haltiges EPS darf nicht mechanisch recycelt bzw. nicht wieder in Verkehr gebracht werden. Um dieses Problem zu lösen, wurde die Crea- Solv®-Technologie vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Zusammenarbeit mit der CreaCycle GmbH entwickelt. Diese Technologie ermöglicht die Extraktion von HBCD aus EPS und somit dessen Recycling. Kommerzialisiert wurde die Technologie von der Firma PolyStyreneLoop (PS Loop) in Terneuzen, Niederlande [21]. Bisher war es jedoch schwierig, einen kommerziellen Erfolg zu erzielen, wobei berücksichtigt werden muss, dass es sich um eine Pilotanlage handelt und die Kostenabdeckung aufgrund der Frachten sowie des geringen Anfalls an EPS-Material schwierig ist. Das mechanische Recycling von sauberem EPS ohne HBCD wäre technisch direkt durch EPS-Hersteller möglich, ist jedoch baurechtlich (noch) nicht zulässig. Handelt es sich nicht um die direkte Sammlung von sortenreinen, sauberen Schnittresten, setzt dies eine manuelle Sortierung des zurückgenommenen Materials voraus, was sehr arbeitsintensiv ist. Daher wird rückgebautes und verschmutztes EPS, wie bereits erwähnt, in der Regel thermisch verwertet. Dies bringt jedoch ebenfalls Herausforderungen mit sich, da EPS aufgrund seines hohen Heizwerts nur in geringen Mengen (ca. 2 %) in die Müllverbrennungsanlagen (MVA) zugeführt werden kann, um eine Überhitzung der Öfen zu vermeiden. Aus diesem Grund verlangen MVA in der Regel höhere Entsorgungskosten für reinen EPS-Abfall als für gemischte Bauabfälle [9]. Das Recycling von Mineralwolle gestaltet sich technisch etwas einfacher als das von EPS, da die hohen Temperaturen im Produktionsprozess helfen, potenzielle Verunreinigungen zu entfernen. Dennoch sollte das Material idealerweise sauber und werkseigen sein, um die Qualität zu gewährleisten, und es muss vor der Wiedereinführung 64 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) in den Produktionsprozess überprüft werden. Obwohl es technisch möglich ist, recycelte Mineralwolle in den Produktionsprozess zu integrieren, wird der Großteil des Mineralwolle-Abfalls in der Praxis weiterhin deponiert [22]. Der Hauptgrund dafür liegt in den oft zu langen Transportwegen zu den Produktionsstätten für Mineralwolle, die aus wirtschaftlicher Sicht nicht rentabel sind. Darüber hinaus ist die Verwendung von recycelter Mineralwolle aus CO 2 -Bilanzperspektive nicht vorteilhaft im Vergleich zur Herstellung von Mineralwolle aus neuen Rohstoffen [23]. Daraus lässt sich schließen, dass es technisch grundsätzlich Möglichkeiten für das Recycling von Dämmmaterialien gibt. Die größten Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung der Kreislaufwirtschaft liegen jedoch eher im logistischen Bereich als im technischen. Daher sind praxisorientierte Ansätze zur Umsetzung der Kreislaufführung von WDVS erforderlich. Stofflich-Thermische Verwertung von WDVS- Abfällen im Zementwerk In den letzten Jahren wurde von einem Konsortium aus Wissenschaftlern und Industriepartnern eine alternative Methode zur Entsorgung alter EPS-WDVS untersucht: die stofflich-energetische Verwertung in Zementwerken (Abb. 5). Dabei wird das EPS energetisch als Sekundärbrennstoff genutzt, während die mineralischen Bestandteile stofflich als Rohstoffersatz für die Herstellung von Zementklinker verwendet werden können. Dieser Ansatz wurde im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekts „RESSOURCE.WDVS - Ressourceneffiziente Nutzung von qualitätsgesichertem Sekundär-EPS sowie der mineralischen Fraktionen aus WDVS“ erforscht und soll einen praxisorientierten und wirtschaftlich umsetzbaren Verwertungsweg aufzeigen. Abb. 5: Rückbau, Auf bereitung und Verwertung von WDVS-Abfällen im Zementwerk. Quelle: FH Münster IWARU Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden zwei Versuche durchgeführt, um das Konzept in der praktischen Anwendung zu erproben. Für den ersten Test wurden 14 Tonnen (90 m³) EPS-WDVS-Rückbaumaterial ohne HBCD von Baustellen im Rhein-Main-Gebiet gesammelt. Im Zementwerk Phoenix Krogbeumker in Beckum wurde das Abfallgemisch innerhalb von 16 Stunden über die Sekundär- oder Calcinatorfeuerung dem Drehrohrofen zugeführt und sowohl stofflich als auch energetisch verwertet. Der Massenanteil des WDVS bezogen auf die Gesamtaufgabe des Ofens betrug in diesem Zeitraum ein Prozent. Nach dem erfolgreichen ersten Test wurde ein zweiter Großversuch mit 70 Tonnen (500 m³) Rückbaumaterial durchgeführt, das diesmal auch HBCD enthielt. Das Material stammte von zwei Hochhäusern in Hannover, die aufgrund von Brandschutzvorschriften saniert werden mussten. Auch in diesem Fall betrug der Massenanteil des WDVS im Verhältnis zur Gesamtaufgabe des Ofens ein Prozent. Abschließend kann festgehalten werden, dass diese beiden ersten Versuche mit WDVS-Abfällen mit EPS erfolgreich durchgeführt wurden. Der mineralische Anteil (90 %) wird stofflich (Recycling) und der organische Anteil (10 %) thermisch (Recovery) verwertet. Die Umsetzung hat keine signifikant negativen Auswirkungen auf die Emissionen der Werke oder auf die Qualität des produzierten Klinkers. Während der Tests wurden regelmäßige Messungen durchgeführt, die das bestätigten. Für HBCD und Gesamtbrom konnten keine Werte über der Nachweisgrenze beobachtet werden. Niklas Heller hat in Rahmen seiner Doktorarbeit [9] einen CO 2 - und Kostenvergleich durchgeführt, bei dem die Verwendung von WDVS mit EPS in einem Zementwerk mit dem Status quo - der Verbrennung in einer MVA - verglichen wurde. Der Vergleich zeigte, dass die Verwen- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 65 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) dung von EPS-WDVS im Zementwerk sowohl aus CO 2 als auch aus Kostensicht vorteilhaft war. Nachdem die technische Machbarkeit sowie die Kosten- und Nachhaltigkeitsvorteile nachgewiesen wurden, besteht der nächste Schritt darin, die administrativen Rahmenbedingungen für die regelmäßige Nutzung von EPS-basierten WDVS-Abfällen in Zementwerken zu etablieren. Langfristig ist das Ziel, WDVS-Abfälle mit EPS in den “Leitfaden zur energetischen Verwertung von Abfällen in Zement-, Kalk- und Kraftwerken in Nordrhein- Westfalen” aufzunehmen, einem auch über die Landesgrenzen hinaus anerkannten Leitfaden. Kurzfristig muss sich jedes Zementwerk den Einsatz von WDVS-Abfällen über ein Prüfverfahren bei der jeweiligen Bezirksbehörde genehmigen lassen. 3. Fazit und Ausblick Die 10-R-Stufen der Kreislauffähigkeit bieten wertvolle Ansätze für die Umsetzung von Kreislaufwirtschaftskonzepten bei WDVS. Grundsätzlich sollten wir Materialien effizient nutzen und zukunftsorientierte Produkte gezielt einsetzen. Das bedeutet, dass wir nur so viel Dämmung verwenden sollten, wie unbedingt notwendig (Refuse und Reduce). Zudem sollten flexible Vorschriften berücksichtigt und Systeme eingesetzt werden, die sich leicht zurückbauen und wiederverwenden lassen (Redesign). Ein weiterer Fokus sollte auf der Erhaltung des Bestehenden liegen (Reuse): Wann immer möglich, sollte eine Aufdopplung des WDVS durchgeführt werden, um den Materialwert zu erhalten. Alternativ sollten Reparaturen (Repair) und Auffrischungen (Refurbish) vorgenommen werden, um die Fassade an aktuelle Standards anzupassen. Sollte dies nicht möglich sein und die Fassade vollständig erneuert werden müssen, sollten zumindest die bestehenden Außenwände erhalten bleiben. Wenn eine Fassade zurückgebaut werden muss, sollten die entfernten Bauteile sinnvoll und effizient verwertet werden. Eine direkte Wiederverwendung von Bauteilen (Remanufacture und Repurpose) ist bei rückgebauten WDVS-Fassaden bisher nicht umsetzbar und steht daher nicht im Vordergrund. Stattdessen können Recycling- und Verwertungsstrategien für WDVS zum Einsatz kommen. Besonders bei Mineralwolle-Systemen könnte das Recyclingpotenzial durch eine optimierte Logistik gesteigert werden. Für WDVS auf EPS-Basis hat sich die stofflich-energetische Verwertung in Zementwerken als vielversprechende Lösung herausgestellt (Recycle und Recovery). Der Übergang zu einer nachhaltigen und kreislauffähigen Bauwirtschaft kann nicht durch die alleinige Verfolgung eines einzigen Ansatzes oder einer Technologie erfolgen. Vielmehr ist es erforderlich, auf mehreren Ebenen anzusetzen, wobei die 10-R-Stufen uns helfen können, Maßnahmen gezielt zu priorisieren. 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RWTH Aachen [10] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2023) Weniger Abriss: 2022 fielen so wenige Wohnungen aus dem Bestand wie noch nie seit 1992. https: / / www. destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2023/ 09/ PD23_N050_311.html. Accessed 15 Dec 2024 [11] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2024) Abfallaufkommen im Jahr 2022 um 3,0 % geringer als im Vorjahr. https: / / www.destatis.de/ DE/ Presse/ Presse mitteilungen/ 2024/ 06/ PD24_216_321.html. Acces sed 15 Dec 2024 [12] Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e.V. (bbs) (2022) Mineralische Bauabfälle Monitoring 2022 [13] Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (2024) Gebäudetyp E - Leitlinie und Prozessempfehlung 66 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Kreislaufführung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) [14] Sims S, Urban H, Stier C (2019) Deaktivierbare Klebstoffe zur Wiederverwertung von Wärmedämmverbundsystemen - WDVS-Deaktiv. 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Amir Asgharzadeh Koch Carbon Consulting GmbH, Kreuztal Zusammenfassung Der Kathodische Korrosionsschutz (KKS) ist ein etabliertes Verfahren zum Schutz von Stahl in Beton, insbesondere bei chloridbelasteten Strukturen [1]. Die gleichzeitige Präsenz von hohen Konzentrationen an Sulfaten und Chloriden in Altbeton stellt jedoch eine besondere Herausforderung dar, weil beide Ionen die Integrität des Betons und die Wirksamkeit des KKS beeinflussen können. Sulfate können zu einer Schädigung der Betonmatrix führen, während Chloride die Passivschicht des Bewehrungsstahls zerstören und Korrosion initiieren. Das Verständnis des kombinierten Effekts dieser Ionen auf die Effektivität des KKS ist daher von großer Bedeutung. Ziel unserer Forschung ist es, die Wechselwirkungen zwischen hohen Sulfat- und Chloridgehalten im Beton und der Wirksamkeit des KKS zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Studie sollen dazu beitragen, optimierte Schutzstrategien für bestehende Betonbauwerke unter solchen extremen Bedingungen zu entwickeln. Wir planen, die Resultate rechtzeitig vor der anstehenden Präsentation abzuschließen und vorzustellen. Dieser Beitrag beschreibt experimentelle Untersuchungen an Proben mit 8 Massenprozent (M%) Sulfat und Chlorid, die beidseitig mit Carbon- und Titananoden sowie mit Carbon-Carbon-Anoden polarisiert wurden. Die LIBS-Messungen (Laser-Induced Breakdown Spectroscopy) zur Analyse der Ionenwanderung zeigen vielversprechende Ergebnisse zur Wirksamkeit des KKS unter diesen extremen chemischen Bedingungen. Die abschließende Auswertung der LIBS-Daten erfolgt derzeit und soll weitere Erkenntnisse zur Langzeitwirkung liefern. 1. Einleitung Betonbauwerke in Umgebungen mit hohem Sulfat- und Chloridgehalt, wie sie in Küstenregionen oder industriellen Anlagen vorkommen, sind besonderen Korrosionsrisiken ausgesetzt. Sulfate können den Beton angreifen und zu strukturellem Schaden führen, während Chloride die Korrosion der Bewehrung begünstigen [1, 2]. Der Einsatz von KKS in solchen Fällen erfordert ein tiefgehendes Verständnis der Materialinteraktionen und elektrochemischen Prozesse. 2. Experimentelle Methoden 2.1 Probenherstellung Zur Simulation von hochbelastetem Altbeton wurden Proben mit einer Zielkonzentration von 8 Massenprozent Sulfat und Chlorid (bezogen auf die Zementmasse) hergestellt. Diese Zusammensetzung simuliert Bedingungen in hochbelasteten Betonbauteilen. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der elektrochemischen Prozesse wurden die Proben sowohl mechanisch als auch chemisch charakterisiert (Abbildung 1). Abbildung 1: Probenherstellung mit hohem Sulfat- und Chloridgehalt sowie Elektroden 2.2 Polarisation Die Proben wurden beidseitig mit zwei verschiedenen Anodensystemen polarisiert: • Carbon-Titan-Anoden • Carbon-Carbon-Anoden Die Untersuchungsmatrix ist in der Tabelle 1 dargestellt. 70 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Kathodischer Korrosionsschutz bei hohem Sulfat- und Chloridgehalt Tabelle 1: Untersuchungsmatrix zur Simulation des KKS an hoch Sulfat/ Chlorid haltigen Altbeton. Probekörper Ionen (Chlorid &Sulfat) KKS Arbeitselektrode Gegenelektrode A1 Ja Ja Titan Titan A2 Ja Ja Titan Titan A3 Ja Ja Titan Titan B1 Ja Ja Carbon Titan B2 Ja Ja Carbon Titan B3 Ja Ja Carbon Titan C1 Nein Ja Titan Titan D1 Nein Ja Carbon Titan E1 Ja Nein - - E2 Ja Nein - - F1 Nein Nein - - F2 Nein Nein - - Die Polarisation erfolgte mit einer Stromdichte von 80 mA/ m². Die Dauer der Polarisation wurde auf 60-90 Tage festgelegt, wobei regelmäßige Messungen des Elektrodenpotentials und des Stromflusses durchgeführt wurden, um die Stabilität und Effektivität der Anodensysteme zu überwachen. 2.3 LIBS-Messungen Die Ionenwanderung innerhalb des Betons wurde mit der Laser-Induced Breakdown Spectroscopy (LIBS) untersucht. Diese Methode ermöglicht eine ortsaufgelöste Analyse der chemischen Zusammensetzung und zeigt die Verteilung von Chlorid- und Sulfationen im Probenquerschnitt nach der Polarisation. Die Auswertung der LIBS-Daten umfasst die Bestimmung der Ionenkonzentrationen in unterschiedlichen Tiefen des Betons, um die Effektivität des KKS bei der Reduktion aggressiver Ionen zu bewerten. 3. Ergebnisse und Diskussion 3.1 Ionenwanderung Die LIBS-Analysen des Sulfat-Gehaltes ergaben eine geringere Mobilität, was auf die größere Ionengröße und Wechselwirkungen mit dem Zementmatrix hinweist. Die Auswertung der vollständigen LIBS-Daten wird weitere Einblicke in die langfristigen Effekte der Ionentransporte liefern. Abb. 2 illustriert die bisher ermittelten Verteilungen der Ionen nach der Polarisation. Abbildung 2: LIBS Auswertung - Schwefel und Sulfidgehalt in Altbeton 4. Ausblick Die Polarisationsexperimente und die anschließenden LIBS-Messungen werden derzeit durchgeführt. Ziel ist es, die Migration von Sulfat- und Chloridionen unter KKS-Bedingungen zu analysieren und mögliche nachteilige Effekte durch die kombinierte Präsenz beider Ionen zu identifizieren. Die Ergebnisse werden rechtzeitig zur Präsentation vorliegen und sollen zur Optimierung des KKS-Verfahrens in Altbeton beitragen. Literatur [1] Dauberschmidt, C., Vestner, S., „Grundlagen des Kathodischen Korrosionsschutzes von Stahl in Beton“, id+v Ingenieurgesellschaft Prof. Dauberschmidt und Vestner mbH. [2] Raupach, M., „Auswirkung von Chloriden im Beton, Abhängigkeit von Betoneigenschaften“. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 71 Instandsetzung von Additivdecken in Parkhäusern Dipl.-Chem. Detlef Koch Koch Carbon Consulting GmbH, Kreuztal Heiner Stahl Koch Carbon Consulting GmbH, Kreuztal Zusammenfassung Seit langem werden in Deutschland Parkhäuser mit einem Stahl-Tragwerk und Additivdecken aus Trapezblech und Aufbeton errichtet. Diese sehr wirtschaftliche und geometrische vorteilhafte Bauweise hat jedoch auch einige Schwachstellen. Bisher resultieren konstruktionsbedingt sehr aufwändige Instandsetzungen, wenn das Eindringen von Schadstoffen nicht nachhaltig verhindert wurde, was auf Grund der recht „beweglichen“ Konstruktion nicht ganz trivial ist. In diesem Beitrag werden die Schadensmechanismen beschrieben und alternative Lösungswege für eine Instandsetzung aufgezeigt, bei der nur kleine Eingriffe in die Bausubstanz erfolgen und so Kosten und Bauzeit deutlich reduziert werden. Mit Hilfe von Kontaktgel, kathodischem Korrosionsschutz und geklebten Reparaturfromteilen können die Trapezbleche instandgesetzt und vor weiterer Querschnittsschwächung geschützt werden. Die gerissenen Betonflächen werden mittels Carbonbeton zusätzlich verstärkt und ebenfalls kathodisch geschützt. 1. Schadenursache / Schadenmechanismus Moderne Parkhäuser, die als Stahlverbund-konstruktionen errichtet werden, haben großes Potenzial in der Flexibilität der Konstruktion und in der wirtschaftlichen Montage sowie bei der Gestaltung der Parkflächen, um nur einige Vorteile zu nennen. Auch bei Brücken kombiniert man immer häufiger die Vorteile einer Konstruktion aus Stahlbauteilen mit Baukörpern aus Beton. Anders als bei Brücken, ist eine Variante im modernen Parkhausbau die Verwendung von stark profilierten Trapezblechen als sogenannte Additivdecken. Die Bleche werden dabei in der Stahlkonstruktion auf Knaggen aufgelegt, Ränder und Übergänge abgedichtet und nach dem Bewehrungseinbau wird direkt auf die Bleche betoniert. Der Aufwand für Schalarbeiten und Unterstützungen wird nahezu auf null minimiert. Im Detail kommt es jedoch darauf an, dauerhafte Lösungen zu konstruieren und auch im Bau umzusetzen. Konstruktionen, bei denen sich Feuchtigkeit sammeln kann, z. B. wegen fehlendem oder zu geringem Gefälle, sind ebenso gefährdet wie Bereiche, in denen sich Risse oder Spalte bilden können. Flächen, in denen mit Rissbildung und Bewegung zu rechnen ist, sollten entsprechend abgedichtet sein oder als Fugenlösung ausgebildet werden. Durch Undichtigkeiten können Schadstoffe und Salze direkt in den Baukörper eindringen und die Bewehrung punktuell schädigen. Durch die „Verkleidung“ der Decken-unterseiten sind Trennrisse nicht unmittelbar zu erkennen. Auch ist kein direkter Feuchtigkeitsaustritt an der Deckenunterseite feststellbar. Stattdessen sammelt sich eindringende Feuchtigkeit auf der Oberseite der Bleche. Abbildung 1: Schematische Darstellung der Bauweise und der unterschiedlichen Schadensbilder (Quelle Hochschule München) Abbildung 2: Korrosion an der Deckenuntersicht folgt einem Rissverlauf auf der Fahrbahn Die Materialstärke dieser Bleche ist vergleichbar mit dem Blech einer Motorhaube oder eines Kotflügels an mo- 72 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Instandsetzung von Additivdecken in Parkhäusern dernen PKWs. Aus diesem Grund sind auch die Folgen von Korrosion vergleichbar. Ist an der Außenseite des Bleches eine Roststelle zu erkennen, ist diese Stelle von innen schon durchgerostet und eine einfache Reparatur nicht mehr möglich. Da das Additiv-Blech in Parkhäusern aber nicht nur als verlorene Schalung dient, sondern der flächige Querschnitt das Eigengewicht der Decke trägt, beeinträchtigt ein Korrosionsschaden an den Blechen genau so die Standsicherheit, wie Korrosion an der einbetonierten Bewehrung. Korrosion an den Blechen ist mehr als ein optischer Mangel! Abbildung 3: Deckenuntersicht nach dem Rückbau des Additivbleches Es ist festzustellen, dass Schäden erst dann visuell erkannt werden, wenn die Bleche durchgerostet sind. In diesem Fall muss allerdings auch davon ausgegangen werden, dass die darüber liegende Bewehrung ebenfalls massiv geschädigt ist. In solchen Fällen sind aufwändige Bauarbeiten notwendig, um die Deckenbleche und die Bewehrung wieder instand zu setzen. Der Beton in den betroffenen Feldern muss vollständig zurückgebaut werden. Um die Profilbleche tauschen zu können, müssen entweder die Knaggen abgetrennt und später stahlbautechnisch wieder angebracht werden, oder von oben muss die Bewehrung getrennt, aufgebogen und später gerichtet und ergänzt werden, bevor diese Felder neu betoniert werden können. Abbildung 4: Bauzustand ohne Blech und Beton In jeder Variante eine aufwändige, zeit- und kostenintensive Sanierungsmaßnahme. Da die Betondecken relativ schlank gehalten sind, bleibt zudem kaum eine Möglichkeit, die stark rissgefährdeten Bereiche im Zuge einer Instandsetzung zusätzlich zu armieren, so dass eine Verbesserung der Bausubstanz kaum möglich ist. 2. Alternative Instandsetzung Nicht immer rechtfertigt der Schädigungsgrad einen Teilabbruch und entsprechende Neubetonage. Jedoch war diese Form der Instandsetzung bisher alternativlos. Dies hat die Koch Carbon Consulting GmbH gemeinsam mit der Hochschule München zum Anlass genommen, in einem Forschungsprojekt nach einer alternativen Lösung zu suchen. Dabei haben sich mehrere Institute zusammengeschlossen, um eine ressourcenschonende und nachhaltige Lösung zu finden. Abbildung 5: Schematische Darstellung des nachhaltigen Lösungsansatzes für die Instandsetzung von Additivdecken Was liegt dabei näher als innovative Verfahren, wie den kathodischen Korrosionsschutz und moderne Produkte, wie Carbonbeton in die Lösung der Herausforderung einzubeziehen. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 73 Instandsetzung von Additivdecken in Parkhäusern 2.1 Schadenfeststellung Zur Detektion der Korrosionswahrscheinlichkeit von Bewehrung in Beton hat sich die Potenzialfeldmessung im Markt bestens etabliert. Jedoch eignet sich diese Methode nicht um die Aktivität des flächigen Blechs an der Deckenunterseite zu bestimmen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bleche durch eine Bandverzinkung eine gewisse anodische Wirkung gegenüber der Bewehrung entwickeln. Mit Hilfe eines Impulsverfahrens ist es der Uni München gelungen, hier eine verlässliche Methode zu entwickeln. Durch Ultraschallmessungen kann zudem zerstörungsfrei von außen der verbliebene Restquerschnitt des Bleches beurteilt werden. Dies ist wesentlich um eine spätere Reparatur der Bleche durchzuführen, ohne diese komplett tauschen zu müssen. Restquerschnitt min. min. PK1 0,97 1,03 0,896 1,056 PK2 0,98 1,01 0,823 1,014 PK3 0,7 0,8 0,513 0,805 PK4 0,38 0,55 0,341 0,551 PK5 - - 0 (loch) 0,291 PK6 - - 0 (loch) 0,267 Ultraschall 3D-Microskopie Abbildung 6: Gegenüberstellung der Ultraschallmessungen und einer 3D-Microskopie (Quelle Hochschule München, F. Ilg) Die Bestimmung der Schäden am Beton bzw. an der Bewehrung erfolgt klassisch durch die Bestimmung von Chlorid-Profilen mittels Bohrmehlentnahme, Potenzialfeldmessung sowie Sondierungsöffnungen. 2.2 Wiederherstellung der Tragfestigkeit Das Ziel dieser Innovativen Instandsetzung ist es, ohne den Rückbau des Betondeckenspiegels auszukommen. Dafür ist es notwendig, eine Reparaturmethode für die Trapezbleche zu finden, ohne diese ausbauen zu müssen. Zu bedenken ist, dass ein Aufschweißen von Reparaturblechen nicht möglich ist. Die vorhandenen Bleche haben im Idealfall auf der Rückseite vollflächigen Betonkontakt. Zudem sind diese Bleche nur 1,00 bis 1,25 mm stark. In dieser Einbausituation ist Schweißen nicht möglich, auch entsprechende Schraubverbindungen lassen sich nicht realisieren. Zudem muss sichergestellt werden, dass im Bereich der Durchrostungen keine korrosionsauslösenden Medien an die neuen Bleche gelangen. Die Lösung für diese Herausforderung ist es, die geschädigten Bereiche mit entsprechend angepassten Reparaturblechen zu überdecken. Die Kraftübertragung erfolgt dabei mittels eines statisch anrechenbaren, ionendichten Klebstoffes, der die Verbindung zwischen Bestandsblech (nach entsprechender Vorbereitung) und dem Reparaturblech herstellt. Abbildung 7: Darstellung der Verstärkung mittels geklebter Blechergänzung Die Haltbarkeit der entsprechenden Verklebungen wurde im Zuge des Forschungsprojektes umfangreich untersucht und nachgewiesen. Abbildung 8: zeigt exemplarisch Versuchskörper nach 4-Punkt Biegeversuchen Abbildung 9: beispielhafte Versuchsauswertung 74 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Instandsetzung von Additivdecken in Parkhäusern 2.3 Deckenoberseite Oft ist der eigentliche Schadenauslöser ein Riss an der Deckenoberseite. Konstruktionsbedingt sind die Bereiche über den Unterzügen besonders rissanfällig. Wenn in diesen Bereichen tausalzhaltiges Wasser eindringt, führt dies zur Korrosion an besonders neuralgischen Flächen. Zudem kann sich diese Feuchtigkeit auf den Blechen weiter verteilen und unkontrolliert weitere Korrosionsherde entfachen. Abbildung 10: Schnitt durch einen Unterzugbereich Abbildung 11: zeigt beispielhaft eine entsprechende Schadstelle nach dem Betonabtrag Auf Grund der geringen Einbaudicke des Betons ist es in diesem Bereich kaum möglich den rissgefährdeten Bereich zusätzlich zu verstärken. Ein Verkleben von CFK- Laschen auf der befahrenen, mechanisch belasteten Fläche scheint nicht angeraten. Um geschlitzte Lamellen einzubauen ist die Überdeckung oftmals nicht ausreichend und ein zusätzlicher bewährter Auf beton erhöht die Eigenlast in diesem Bereich um rund 50 % und verändert die Gefällesituation vollständig. Die Ziele des Forschungsvorhabens eine zusätzliche Rissarmierung und Aussteifung dieses Bereichs zu erzeugen, kann mittels Carbonbeton einfach realisiert werden. Auf Grund der geringen Einbaudicke ist es ausreichend, etwa einen Zentimeter der Überdeckung abzufräsen. Nach entsprechender Vorbereitung des Untergrundes wird dann eine Carbonbewehrung in einen geeigneten Mörtel eingebettet. Abbildung 12: streifenförmige Carbonbewehrung über den Unterzügen Wendet man dieses Verfahren flächig mit einem entsprechenden Gelege an, kann das Carbon nicht nur als zusätzliche Bewehrung, sondern auch als Anode für ein KKS-System genutzt werden. So kann die Bewehrung dauerhaft vor dem Fortschreiten der Korrosion geschützt werden. Abbildung 13: zeigt den Carboneinbau an einem Demonstrator an der Hochschule München In der nachfolgenden Grafik ist vergleichend die Wirkung unterschiedlicher Verstärkungsmethoden dargestellt. Abbildung 14: zeigt die Verstärkungswirkung verschiedener Carbon-Systeme und vergleicht Lamellen mit Carbongittern in Mörtel 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 75 Instandsetzung von Additivdecken in Parkhäusern Es wird deutlich, dass mit einer Schicht aus Carbonbeton sehr gute Resultate erreicht werden, Die Traglastverstärkung von 60 % ist realisierbar. Nachdem das Carbon und die Bewehrung ordnungsgemäß angeschlossen sind, wird diese entsprechend kathodisch geschützt. Um auch die tief in den Sicken liegende Bewehrung schützen zu können, werden bei Bedarf Stabanoden eingebaut. Auch die Trapezbleche sollen vor weiterer Korrosion geschützt werden. Hierzu ist ein sicherer und flächiger Kontakt zur Oberseite der Bleche notwendig. Da dieser Bereich dem Beton zugewandt ist, kann diese Zone nicht verlässlich kontrolliert werden. Aus Erfahrungen ist jedoch bekannt, dass es zu Betonierschatten und Verdichtungsprobleme kommen kann, so dass kein vollflächiger Kontakt zwischen Beton und Blechoberfläche sichergestellt ist. Um diese Herausforderung zu lösen, wurde ein nicht korrosives Kontaktgel entwickelt, welches in die Kontaktzone zwischen Beton und Blech injiziert wird. Abbildung 15: vergleichende Darstellung der Widerstände unterschiedlicher Injektionsprodukte Auf diese Weise wird eine vollflächige leitende Verbindung zwischen Beton und Blechoberseite sichergestellt. Durch das KKS-System wird so auch das Trapezblech konserviert. 3. Zusammenfassung Es gibt große Parkhausflächen, die als Additivkonstruktion gebaut wurden und werden. Diese Bauart ist wirtschaftlich und flexibel. Jedoch ergibt sich durch diese Konstruktionsweise ein regelmäßiger Instandhaltungsbedarf. Wird der richtige Zeitpunkt verpasst, führte dies bei einer Instandsetzung bisher zu massiven Eingriffen in die Bausubstanz. Mit Hilfe des erfolgreich umgesetzten Entwicklungs-projektes ist es gelungen eine ganzheitliche, minimalinvasive Lösung für die Instandsetzung von Additiv-Deckensystemen zu entwickeln. Rissgefährdete Bereiche in der Fahrbahnfläche erhalten eine dünne Carbonbetonschicht. So werden Risse zusätzlich armiert und die Decken insgesamt ausgesteift. Aufgrund der engen Maschenweite des Carbongeleges ist es möglich das Rissbild sehr positiv zu beeinflussen, bzw. Risse sogar abzudichten, auch wenn diese sich weiterhin bewegen. Die flächige Bewehrung wird kathodisch konserviert. Als Anode dient dabei das Carbon aus der Verstärkungsschicht. Auch wenn keine zusätzliche Aussteifung erforderlich ist, entsteht diese Eigenschaft als positive Nebenwirkung. Die Carbonbewehrung ist chlorid- und korrosionsbeständig, daher wird keine hohe Betonüberdeckung benötigt. Durch Abfräsen eines Teiles der ursprünglichen Überdeckung kann die Carbonbetonschicht eingebaut werden, ohne das Eigengewicht und die Gesamtbetonstärke zu erhöhen. Die Bestandsbewehrung wird dauerhaft kathodisch konserviert. Durch den Einbau von Stabanoden ist dies auch für die tiefliegende Bewehrung in den Sicken sichergestellt. Die dem Beton zugewandte Seite der Additiv-Bleche wird mittels Kontaktgel zuverlässig kontaktiert und ebenfalls in das KKS-System eingebunden. Korrodierte Bereiche innerhalb der Bleche werden mittels Klebe-Patches überarbeitet. Durch die Verwendung eines kraftübertragenden Klebers übernehmen die Reparaturbleche die tragende Funktion in den korrodierten Bereichen. Ein Rückbau des Betons und der Austausch ganzer Blechfelder ist Dank des neuen Verfahrens nicht mehr notwendig. So wird ein Beitrag zur Nachhaltigkeit bei der Instandsetzung von Parkhausflächen mit Additivdecken geleistet. Literatur [1] DIBt Deutsches Institut für Bautechnik: Hoesch Additiv Decke®. Allgemeine Bauartgenehmigung Nr. Z-26.1-44 vom 23. Oktober 2020. [2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e. V.: DAfStb- Richtlinie - Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (RL SIB) (Oktober 2001). [3] Deutsches Institut für Bautechnik: Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung). Teil 1 - Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung (Mai 2020). [4] Abschlussbericht für MBBF GlueCS-Park (Prof. Dr. Dauberschmidt, Prof. Dr. Schuler, M. Eng. Glompb, M. Eng. Ilg) [5] Metallbau Ausgabe 9/ 24, Heiner Stahl, Bauverlag BV GmbH 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 77 Einfluss kathodischer Polarisation auf den kritischen Chloridgehalt für Bewehrungsstahl in Beton Konstantin Fache, M. Sc. FH Münster Prof.’in Dr.-Ing. Sylvia Keßler Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg Prof. Dr.-Ing. Jörg Harnisch FH Münster Zusammenfassung Die hier vorgestellte Arbeit untersucht den Einfluss kathodischer Polarisation auf den kritischen Chloridgehalt (C T ) für Bewehrungsstahl in alkalischen Lösungen, die als Idealisierung des Systems Stahl in Beton dienen. Dabei wird der Fokus auf das elektrochemische Potential des Stahls als ein maßgebender Einflussfaktor für die Initiierung von Korrosion gelegt. Die Ergebnisse potentiostatischer Halteversuche zeigen eine Potentialunabhängigkeit von C T , wenn der Stahl positiver als -200-mV SCE polarisiert wird, während C T für Polarisationen, die negativer als -200-mV SCE sind, zunimmt. Die Zunahme von C T infolge kathodischer Polarisation wird hauptsächlich auf Änderungen in der Zusammensetzung des Passivfilms zurückgeführt. 1. Einführung Die chloridinduzierte Korrosion der Bewehrung in Stahlbetonbauteilen stellt eine der maßgebenden Ursachen für die begrenzte Lebensdauer von Bauwerken dar und führt jährlich zu erheblichen Kosten infolge aufwändiger Instandsetzungsmaßnahmen [1]. Eine durch Chloride bedingte Depassivierung des Bewehrungsstahls und die damit verbundene Initiierung von Korrosionsprozessen setzt die Überschreitung des kritischen Chloridgehaltes (C T ) voraus, dessen Wert von einer Vielzahl an Parametern beeinflusst wird [2]. C T kann als eine Widerstandsgröße von Stahlbetonbauteilen gegen chloridinduzierte Depassivierung angesehen werden. Die Einwirkungsgrößen von Bauwerken (z.-B. Chloridexpositionen) sowie die zugehörigen Widerstandsgrößen (in diesem Fall C T ) sind nicht deterministisch, sondern weisen sowohl systematische als auch zufällige Streuungen auf. Infolgedessen unterliegen chloridinduzierte Schäden an der Bewehrung einer räumlichen Variabilität [3-4]. Wird diese Variabilität bei der Modellierung von Korrosionsprozessen nicht berücksichtigt, können signifikante Abweichungen zwischen prognostizierten und tatsächlichen Schadensentwicklungen auftreten [5]. Ein zentraler Einflussfaktor für die Variabilität von C T ist das elektrochemische Potential des Stahls [6]. Im Falle der Ausbildung einer lokalen Korrosionsstelle verschiebt sich dieses in der Umgebung der Anode in kathodische Richtung. Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Potentialveränderung zu einer Erhöhung von C T in den noch passiven Bereichen der Bewehrung führen kann [7-10]. Dieser Effekt könnte die Korrosionswahrscheinlichkeit in der Umgebung einer lokalen Anode reduzieren und damit Auswirkungen auf die Ausbildung neuer Korrosionsstellen haben. Um die gegenseitige Beeinflussung von Anoden aufgrund einer potentialabhängigen Änderung von C T und die Auswirkungen auf die Ausbildung neuer Anoden in Prognosemodellen zu berücksichtigen, ist ein detailliertes Verständnis der Änderung von C T infolge kathodischer Polarisation erforderlich. Bisher liegen jedoch nur wenige systematische Untersuchungen zu diesem Zusammenhang vor. In der vorliegenden Arbeit werden experimentelle Ergebnisse zum Einfluss kathodischer Polarisation auf C T von Bewehrungsstahl in alkalischer Lösung vorgestellt. Die Untersuchungen von Bewehrungsstahl in Lösung sind die grundlegenden Voruntersuchungen für darauf auf bauende Untersuchungen in Beton. 2. Ursachen und Potentialbereiche kathodischer Polarisation von Bewehrungsstahl Im Vorfeld der Untersuchung des Einflusses kathodischer Polarisation auf C T sind die Ursachen und das Ausmaß kathodischer Polarisation der Bewehrung in Stahlbetonbauteilen zu erörtern. Die maßgebenden Gründe hierfür sind die Bildung eines Makroelements zwischen Bereichen der Bewehrung mit unterschiedlichen elektrochemischen Potentialen [11] sowie die durch externe Maßnahmen erzwungene kathodische Polarisation im Rahmen des (präventiven) kathodischen Korrosionsschutzes [12]. Der Fokus der nachfolgenden Betrachtungen liegt auf der kathodischen Polarisation passiver Bewehrungsbereiche infolge der Bildung eines Makroelements, das durch lokale chloridinduzierte Depassivierungen des Stahls entstanden ist. Eine Potentialdifferenz ΔE zwischen elek- 78 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Einfluss kathodischer Polarisation auf den kritischen Chloridgehalt für Bewehrungsstahl in Beton trisch und elektrolytisch verbundenen aktiven und passiven Bereichen innerhalb einer Bewehrungsstruktur führt zur Generierung eines Makroelementstroms. Dieser bewirkt eine Polarisation des aktiven Bereichs in anodische Richtung, während die angrenzenden passiven Bereiche der Bewehrung kathodisch polarisiert werden. ΔE entfällt anteilig auf die Polarisation der Anode, die der Kathode und auf einen Spannungsabfall im Elektrolyten (Beton). In der Literatur werden für die Potentialverschiebung der passiven, kathodisch polarisierten Bewehrungsbereiche eines Makroelements Werte im Bereich von etwa -150 bis -600-mV angegeben [11, 13-16]. Diese große Spannweite ist auf Unterschiede bei den Versuchsparametern zurückzuführen. So lagen bei den genannten Untersuchungen z.-B. unterschiedliche Elektrolytwiderstände und Flächenverhältnisse von Anode zu Kathode vor. 3. Versuche in alkalischer Lösung 3.1 Probenvorbereitung und Vorlagerung Zur Untersuchung des Einflusses kathodischer Polarisation auf C T wurden potentiostatische Halteversuche in alkalischer Lösung durchgeführt, die als eine Idealisierung des Systems Stahl in Beton dienen. Stahlproben mit einer Länge von 30- mm und einem Durchmesser von 12- mm wurden aus warmgewalztem Bewehrungsstahl der Güte B500B geschnitten. Um Walzhaut und Korrosionsprodukte zu entfernen, wurden die Proben sandgestrahlt und anschließend mit Isopropylalkohol entfettet. Zur Herstellung eines elektrischen Anschlusses wurde an einem Ende der Proben ein Edelstahldraht mit einem Durchmesser von 1-mm durch Löten befestigt. Der Draht wurde anschließend mit einem Epoxidlack beschichtet, um eine elektrolytische Entkopplung zu gewährleisten. Die Proben wurden bis zur Prüfung in einem Exsikkator gelagert. Alle Prüfungen fanden bei 20-°C und 65-% relativer Luftfeuchtigkeit statt. Zehn Tage vor Beginn der Versuche wurden die Proben in einer künstlichen Betonporenlösung in zylindrischen Kunststoffbehältern eingelagert. Die Lösung wies einen pH-Wert von 13,0 auf und bestand aus einer gesättigten Ca(OH) 2 -Lösung, der 0,01- mol/ l- NaOH und 0,03-mol/ l-KOH zugesetzt wurden. Die Zusammensetzung orientierte sich an den Eigenschaften echter Betonporenlösungen [17-18]. Zur Beobachtung des Passvierungsverhaltens wurde während der Vorlagerung das Freie Korrosionspotential E OC ausgewählter Proben regelmäßig gemessen. Im Folgenden beziehen sich alle angegebenen Potentiale auf die gesättigte Kalomelelektrode (SCE). 3.2 Potentiostatische Halteversuche Der Versuchsauf bau basierte auf einer Drei-Elektroden- Anordnung, wobei die Stahlproben als Arbeitselektrode, ein Gitter aus Titan-Mischoxid als Gegenelektrode und eine Ag/ AgCl-Elektrode als Bezugselektrode dienten [Abb.-1]. Die Bezugselektrode wurde in einer Haber- Luggin-Kapillare eingebaut. Aufgrund der hohen Leitfähigkeit des Elektrolyten von etwa 1,5- S/ m blieb der IR-Drop zwischen Arbeits- und Bezugselektrode unberücksichtigt. Abb. 1: Versuchsauf bau für potentiostatische Halteversuche Nach der Vorlagerungsdauer von zehn Tagen wurde das E OC jeder Probe gemessen. Anschließend wurde eine konstante negative Überspannung η (0 bis -250-mV vs. E OC in Abstufungen von 50-mV) aufgebracht, um die Proben kathodisch auf das Polarisationspotential E pol auszulenken. Insgesamt wurden sechs Versuchsreihen durchgeführt, wobei jede Reihe einer spezifischen Überspannung zugeordnet war. Innerhalb jeder Reihe wurden drei Proben durch eine identische Überspannung polarisiert. Während der Polarisation wurde der Strom I zwischen der Arbeits- und Gegenelektrode gemessen und in die auf die Stahloberfläche bezogene Stromdichte i umgerechnet. Zehn Minuten nach Polarisationsbeginn wurde NaCl unter Rühreinwirkung zum Elektrolyten zugegeben. Die Chloridkonzentration [Cl - ] wurde in Schritten von 0,050- mol/ l in Intervallen von 45- Minuten erhöht, bis eine Korrosionsinitiierung detektiert wurde. Eine Probe wurde als aktiv eingestuft, sobald i einen Wert von 0,1-μA/ cm 2 überschritt. Dieser Schwellenwert hat sich als zuverlässiges Kriterium zur Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Stahl etabliert [19]. 4. Ergebnisse Alle untersuchten Proben wiesen bei Versuchsende optisch erkennbare Korrosionserscheinungen in Form einer lokal begrenzten Korrosionsstelle auf [Abb.-2]. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 79 Einfluss kathodischer Polarisation auf den kritischen Chloridgehalt für Bewehrungsstahl in Beton Abb. 2: Beispiel einer korrodierten Probe In Abb.-3 sind die Ergebnisse für C T sämtlicher Proben als molare Konzentration in Abhängigkeit der Überspannung η dargestellt. Da [Cl - ] in Schritten von 0,050-mol/ l erhöht wurde, liegt der tatsächliche Wert für C T im Bereich [Cl - ] n-1- <-C T -≤-[Cl - ] n , wobei n die Anzahl an Chloridzugaben darstellt. Für die weitere Auswertung wurde konservativ die untere Grenze [Cl - ] n-1- als Wert für C T genutzt. Abb.-4 zeigt den Mittelwert sowie das Maximum und Minimum von C T für jede Gruppe von Proben mit identischer Überspannung η. Abb. 3: Kritischer Chloridgehalt C T in Abhängigkeit der Überspannung η C T nimmt mit zunehmender negativer Überspannung zu. Für die größte Überspannung von η-=--250-mV beträgt der Mittelwert von C T -5,58-mol/ l, während sich für die unpolarisierten Proben (η-=- 0-mV) ein Mittelwert von 0,317-mol/ l ergibt. Die Erhöhung von C T mit zunehmender kathodischer Polarisation verläuft nicht linear, sondern überproportional. Bei η-=--50-mV und η-=-0-mV konnte kein eindeutiger Unterschied im resultierenden C T festgestellt werden. Abb. 4: Mittelwert, Maximum und Minimum vom kritischen Chloridgehalt C T in Abhängigkeit der Überspannung η Abb.-5 stellt C T in Abhängigkeit des Polarisationspotentials E pol dar, das sich aus dem Freien Korrosionspotential E OC und der aufgebrachten Überspannung η ergibt. Aufgrund individueller Unterschiede im E OC der Proben treten innerhalb einer Gruppe mit identischer Überspannung η geringe Streuungen von E pol auf. Der zuvor beschriebene Einfluss der kathodischen Polarisation auf C T ist auch in dieser Darstellung erkennbar. Dabei zeigt sich, dass C T bei Potentialen, die positiver als etwa -200-mV SCE sind, nahezu unabhängig von der Polarisation ist. Eine Zunahme von C T wird ab einem Potential von etwa -200-mV SCE und bei negativeren Potentialen deutlich. Abb. 5: Kritischer Chloridgehalt C T in Abhängigkeit des Polarisationspotentials E pol 5. Diskussion 5.1 Einfluss kathodischer Polarisation auf den Passivfilm Eine kathodische Polarisation beeinflusst die Zusammensetzung des Passivfilms, der sich auf der Stahloberfläche bildet [7, 20]. Die Eigenschaften des Passivfilms hängen vom pH-Wert des Elektrolyten und vom Stahlpotential ab, das wiederum vom Sauerstoffgehalt der Umgebung beeinflusst wird [21-22]. In einer alkalischen Umgebung setzt sich der Passivfilm im äußeren Bereich aus Eisen(III)-Oxiden (Fe 2 O 3 ) zusammen [23], während im inneren Bereich Eisen(II)-Oxide (FeO) vorherrschen [20, 24]. Ein entscheidender Einflussfaktor für die Dicke und Zusammensetzung des Passivfilms ist das Stahlpotential [20, 23]. Die Verfügbarkeit von Sauerstoff während der Bildung des Passivfilms hat maßgeblich Einfluss auf die Ausbildung unterschiedlicher Oxide, deren Stabilität je nach Beschaffenheit variiert [23]. Nach Alonso et al. [7] führt die externe Polarisation eines Stahls, etwa infolge der Bildung eines Makroelements, dazu, dass der Einfluss des Sauerstoffgehaltes und des Alterungsprozesses des Passivfilms vernachlässigbar wird. Stattdessen wird die Zusammensetzung des Passivfilms und die Struktur der sich bildenden Oxide durch das aufgeprägte Potential bestimmt. Infolgedessen können unterschiedliche Polarisationen zu unterschiedlichen Werten von C T führen. Die im Rahmen dieser Untersuchung festgestellte Änderung von C T mit variierendem Stahlpotential könnte daher auf den Einfluss des Stahlpotentials auf die Zusammensetzung des Passivfilms zurückgeführt werden. 80 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Einfluss kathodischer Polarisation auf den kritischen Chloridgehalt für Bewehrungsstahl in Beton Die Ergebnisse der Korrelation zwischen E pol und C T aus den potentiostatischen Halteversuchen weisen auf das Vorliegen eines Schwellenwertes für das Stahlpotential hin, ab dessen Überschreitung der zuvor beschriebene Effekt einer Erhöhung von C T auftritt: 1. Für Stahlpotentiale, die positiver als -200-mV SCE polarisiert sind, ergibt sich aus den sechs in diesem Potentialbereich untersuchten Proben ein von Epol unabhängiger Mittelwert für C T von 0,308-mol/ l. 2. Die Zunahme von C T für Stahlpotentiale, die negativer als -200-mV SCE polarisiert sind, lässt sich durch einen linearen Zusammenhang zwischen E pol und lg(C T ) beschreiben [Abb.-6]. Abb. 6: Logarithmischer Zusammenhang zwischen kritischem Chloridgehalt C T und Elektrodenpotential E pol für E pol -≤--200-mV SCE Der Nachweis eines Schwellenwertes für den Einfluss des Stahlpotentials auf C T ist mit den Ergebnissen in [7, 9] vereinbar und weicht nur geringfügig von den Ergebnissen in [10, 16] ab, bei denen ein Übergang bei etwa -100-mV SCE festgestellt wurde. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die genannten Untersuchungen an Stahlproben durchgeführt wurden, die in Mörtel bzw. Beton eingebettet waren. Die Identifizierung zweier Bereiche für den Einfluss von E pol auf C T könnte auf Unterschiede in der Zusammensetzung des Passivfilms bei unterschiedlichen Stahlpotentialen zurückgeführt werden. Für Stahlpotentiale, die positiver als etwa -200 bis -300-mV SCE sind, reichert sich Hämatit (Fe 2 O 3 ) im äußeren Bereich des Passivfilms an [20, 25-26]. Bei kathodischeren Potentialen hingegen erfolgt vornehmlich die Bildung von Magnetit (Fe 3 O 4 ) im Passivfilm. Des Weiteren haben Delorme et al. [20] die Bildung von passivierend wirkendem Goethit auf der Oberfläche von in Beton eingebettetem Bewehrungsstahl nach vierjähriger kathodischer Polarisation beobachtet, wodurch sich die Widerstandsfähigkeit des Passivfilms gegenüber lokalen Depassivierungen durch Chloridionen erhöhen könnte. Diese potentialabhängigen Änderungen in der Zusammensetzung des Passivfilms können ursächlich für den unterschiedlichen Einfluss von E pol auf C T ober- und unterhalb eines Stahlpotentials von etwa -200-mV SCE sowie den Anstieg von C T unterhalb dieses Schwellenwertes sein. 5.2 Korrelation von Stahlpotential und kritischem Chloridgehalt Zum Zeitpunkt der Korrosionsinitiierung während der potentiostatischen Halteversuche war das Stahlpotential positiver als das Lochfraßpotential E pit , dessen Überschreitung eine notwendige Bedingung für das Auftreten einer Depassivierung darstellt. Die Einwirkung von Chloriden reduziert den Bereich, in dem sich Stahl passiv verhält, und verschiebt E pit mit zunehmender Chloridkonzentration [Cl - ] in negativere Bereiche [23, 27-28]. Die in dieser Arbeit beobachtete Abhängigkeit von C T vom Stahlpotential E zeigt deutliche Parallelen zu dem in der Literatur umfassend untersuchten Zusammenhang zwischen [Cl - ] und E pit [29-30]. Nach Galvele [27] besteht folgender allgemeiner Zusammenhang zwischen E pit und der Konzentration [A] aggressiv wirkender Anionen (i.-d.-R. Chloride): E pit -=-a---b-·-lg([A]) in mV SCE [1] [Gl.- 1] verdeutlicht, dass E pit mit zunehmendem Logarithmus von [Cl - ] abnimmt. Strehblow und Titze [28] haben diese Korrelation mit der Adsorption der aggressiven Anionen auf der Stahloberfläche erklärt, die sowohl von der Konzentration der Anionen (hier [Cl - ]) als auch vom Stahlpotential abhängt. Für die Konstanten a und b existieren in der Literatur verschiedene Ergebnisse aus Versuchen mit Stahlproben in Lösung [z.-B. 28, 31-32]. Die Korrelation von E pit und lg([Cl - ]) zeigt eine Analogie zur Korrelation von E pol und lg(C T ), die im Rahmen dieser Untersuchung ermittelt wurde. Zum Zeitpunkt der Korrosionsinitiierung entspricht das Polarisationspotential E pol dem Lochfraßpotential E pit . 5.3 Bildung von Hydroxidionen Ein möglicher zusätzlicher Grund für die Erhöhung von C T mit zunehmender kathodischer Polarisation ist die Bildung von Hydroxidionen. Die verstärkte kathodische Teilreaktion und die damit verbundene Bildung von Hydroxidionen kann zu einer lokalen Erhöhung des pH- Wertes an der Stahloberfläche führen [12]. Mit steigendem pH-Wert wird E pit positiver [33, 34], wodurch auch C T erhöht wird [35-36]. Daher könnte die Bildung von Hydroxidionen zu dem beobachteten Anstieg von C T mit stärker werdender kathodischer Polarisation beitragen. 6. Zusammenfassung Die folgenden Schlussfolgerungen können hinsichtlich des Einflusses kathodischer Polarisation auf den kritischen Chloridgehalt C T für Bewehrungsstahl in alkalischer Lösung gezogen werden: 1. Die Ergebnisse der potentiostatischen Halteversuche unterstützen die Hypothese, dass zwei voneinander getrennte Potentialbereiche bezüglich des Einflusses des Polarisationspotentials E pol auf C T existieren: a. Wenn E pol positiver als -200-mV SCE ist, lässt sich kein eindeutiger Einfluss von E pol auf C T feststellen. Es ergibt sich ein Basiswert für C T von 0,308-mol/ l. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 81 Einfluss kathodischer Polarisation auf den kritischen Chloridgehalt für Bewehrungsstahl in Beton b. Wenn E pol negativer als -200-mV SCE ist, zeigt der Logarithmus von C T eine Zunahme mit zunehmendem negativen Potential gemäß folgendem Zusammenhang: lg(C T )-=--0,005-·-E pol ---1,195 (mit: C T in mol/ l und E pol in mV SCE ) 2. Das Vorliegen zweier Potentialbereiche wird hauptsächlich auf Änderungen in der Zusammensetzung des Passivfilms aufgrund der kathodischen Polarisation zurückgeführt. Darüber hinaus könnte die vermehrte Bildung von Hydroxidionen einen zusätzlichen Beitrag zum Anstieg von C T bei stärker werdender kathodischer Polarisation leisten. Die vorgestellten Untersuchungen stellen eine Idealisierung des Systems Stahl in Beton dar und dienen somit als Annäherung an die Randbedingungen realer Stahlbetonbauteile. Aufgrund dessen sind weitergehende Untersuchungen erforderlich, um den Einfluss kathodischer Polarisation auf C T für Bewehrungsstahl in Beton zu untersuchen. In diesem Zusammenhang müssen zusätzliche Einflussfaktoren wie z.-B. die Kontaktzone zwischen Stahl und Beton und der Elektrolytwiderstand berücksichtigt werden, da diese wesentliche Auswirkungen auf die Ausbildung möglicher neuer Korrosionsstellen haben können. Literatur [1] D. Yilmaz, U. Angst: Korrosionsbedingte Kosten an Ingenieurbauwerken im Schweizer Straßennetz. In: Beton- und Stahlbetonbau 6/ 2020, S. 448-458. [2] U. Angst, B. Elsener, C. K. Larsen, Ø. 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Ab dieser Temperatur beginnt der Festigkeitsverlust der Klebstoffe und die CFK Verstärkung verliert ihre statische Wirkung. Diese Temperaturen werden im Brandfall und beim Überbau mit Asphalt deutlich überschritten und auch die direkte Sonneneinstrahlung auf die Asphaltdecke kann eine erhöhte Temperatur verursachen. Über eine Heißbemessung lässt sich in den allermeisten Fällen eine ausreichende Tragfähigkeit der Bauteile ohne Verstärkung im Brandfall nachweisen. Je nach Gegebenheit kann das Bauteil durch einen dünnen baulichen Brandschutz zusätzlich geschützt werden. Dicke Beplankungen, um die CFK Lamellen zu schützen, sind meist nicht erforderlich. Forschungsvorhaben [1], [2], [3] der Eidgenössischen Materialprüfanstalt (Empa) in der Schweiz zeigen, dass der Überbau mit Asphalt, das Auf bringen einer Bitumendichtbahn und auch die erhöhte Temperatur durch Sonneneinstrahlung bedenkenlos möglich sind. 1. Einführung Das Verstärken von Betonbauteilen mit geklebter Bewehrung wie CFK Lamellen ist Stand der Technik. Mit der Richtlinie des DAfStb ergeben sich viele Möglichkeiten der Bemessung und Nachweisverfahren. Auch die Verbundfestigkeit (Verbundkrafterhöhung durch Bügelumschließung) von aufgeklebten CFK Lamellen lässt sich durch geeignete Mittel z. T. deutlich erhöhen. Im Brandfall bzw. bei höheren Temperaturen (direkte Sonneneinstrahlung) ist die Glasübergangstemperatur des Klebstoffes der CFK Lamellen maßgebend, welche bei ca. 50- °C - 60 - °C liegt. Ab dieser Temperatur beginnt der Klebstoff seine Festigkeit zu verlieren und die CFK Lamellen fallen rechnerisch aus. Im Idealfall werden die CFK Lamellen im Brandfall aber gar nicht benötigt. Im Brückenbau ist eine häufig angewendete Methode die oberseitige Verstärkung der Kragarme. Hier werden die CFK Lamellen i. d. R. anschließend mit Asphalt überbaut. Zu den statischen Nachweisen gesellen sich somit zwei Fragestellungen: • Wie verhält sich der Verbund im Zusammenspiel von Klebestoff und dem heißen Gussasphalt? • Und wie verhält sich das Verbundsystem im Hinblick auf die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen? 2. Brandschutzanforderungen bei CFK Verstärkungen Eine immer wiederkehrende Angelegenheit sind die Anforderungen an die geklebten CFK Lamellen im Brandfall. Sind CFK Lamellen im Brandfall überhaupt einsetzbar bzw. müssen oder können die Lamellen brandschutztechnisch verkleidet werden? Brandschutzsysteme für CFK Verstärkungen existieren und haben entsprechende gutachterliche Stellungnahmen. Diese Systeme tragen jedoch ca. 90-mm stark auf (R90) und allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen wurden bisher noch nicht erteilt. Dies liegt auch daran, dass Brandschutzsysteme für CFK Lamellen in den meisten Fällen nicht erforderlich sind und sich eine bauaufsichtliche Zulassung nicht lohnt. Durch eine Heiß- oder auch Brandbemessung kann die Tragfähigkeit im Brandfall nachgewiesen werden. In ca. 80-% - 90-% der Bauvorhaben kann somit auf die Wirkung der Verstärkung im Brandfall verzichtet werden. Somit ist auch eine Beplankung der CFK Lamellen nicht erforderlich. In vielen Bemessungsprogrammen wird eine solche Heißbemessung angeboten. Bemessen wird mit charakteristischen Lasten, wobei die Nutzlasten zusätzlich mehr oder weniger über die ψ 2,1 -Faktoren abgemindert werden dürfen. Im Gegenzug muss jedoch die Zugfestigkeit des Stahls in Abhängigkeit von der Temperatur abgemindert werden. Die Temperatur im Stahl wird wiederum beeinflusst durch den Stahlrandabstand (neutrale Achse der Bewehrung bis beflammte Oberfläche) und somit durch die Betondeckung und die Beflammungsdauer. Der Stahlrandabstand spielt daher eine entscheidende Rolle. Ist dieser zu gering, steigt die Temperatur im Stahl unter hohem Festigkeitsverslust. Gerade bei alten Bauteilen mit geringer Betondeckung kann das zu Problemen beim Brandschutz bzw. der Brandbemessung führen. Der Stahlrandabstand kann jedoch durch eine Brandschutzbeplankung nach Verkleben der CFK Lamellen erhöht werden. Die Brandschutzeigenschaften einer solchen Brandschutzbeplankung sind bei gleicher Dicke zweibis dreifach höher als die des Betons und das Eigengewicht ist zudem noch ca. 3 - 4-mal geringer [4]. Rein wärmebzw. brandschutztechnisch ersetzt eine 15-mm dicke Brandschutzbeplankung somit 45-mm Betondeckung bzw. Stahlrandabstand bei R90 Brandschutzanforderung (siehe [4] Anhang D2). Eine solche Erhöhung hat bereits einen deutlichen Einfluss auf die 86 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Geklebte Verstärkungen - Brandschutz und hohe Temperaturen Tragfähigkeit im Brandfall. Um dies zu verdeutlichen, wird das folgende Beispiel dargestellt: Eine 20-cm starke Bestandsdecke mit 6-m Spannweite (B35) mit 1-kN/ m 2 Ausbaulast und 1-kN/ m 2 Nutzlast erfordert eine Bewehrung von 6,9-cm 2 / m (BSt-420). Durch Umnutzung und Aufstockung wird die Nutzlast auf 4-kN/ m 2 erhöht, was eine erforderliche Bewehrung von nun 10,5-cm 2 / m zur Folge hat (s.u.). Ein Verstärkungsgrad von 1,52-kann in diesem Fall mit 120- mm- ×- 1,4- mm CFK Lamellen im Achsabstand von 100- cm erreicht werden (bemessen mit S&P FRP Lamella [6]). Das einwirkende Moment im Brandfall beträgt bei Nutzlast für Versammlungsräume 37,8-kNm (s.u.). Bei planmäßig vorhanden 10-mm Betondeckung besteht ein Stahlrandabstand von ca. 15-mm (Ø-12-mm Eisen). Die erforderliche Bewehrung im Brandfall liegt in diesem Fall bei 22-cm 2 / m, bei einer Stahltemperatur von ca. 700-°C. (siehe unten; bemessen mit 4H-DULAB [5]). Abb.-1: Erforderliche Bewehrung (BSt 420) nach Umbau bei 63,5-kNm im GZT Abb.-2: Einwirkendes Moment im Brandfall nach Umnutzung; g-=-6-kN/ m 2 , q-=-4 kN/ m 2 (Versammlungsräume) Abb.-3: Erforderliche Bewehrung im Brandfall bei Stahlrandabstand h su -=-15-mm Abb.-4: Erforderliche Bewehrung im Brandfall bei Stahlrandabstand h su -=-35-mm Eine Brandschutzbeplankung von 10- mm erhöht den Stahlrandabstand wärmetechnisch um 30- mm [4] und das einwirkende Moment erhöht sich hier nur um ca. 0,6-kNm. Bereits bei einem Stahlrandabstand von 35-mm beträgt die erforderliche Bewehrung im Brandfall nur noch 6,6-cm 2 / m (s.o.) bei noch ca. 465-°C Stahltemperatur. Die Tragfähigkeit im Brandfall wäre gegeben. Die Verstärkung ist im Brandfall nicht erforderlich und die CFK Lamellen müssen nicht für den Brandfall geschützt werden. Die Brandschutzbeplankung von 10-mm dient im vorliegenden Fall dem baulichen Brandschutz der Decke selbst, und wird im Anschluss der CFK Verstärkung montiert. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 87 Geklebte Verstärkungen - Brandschutz und hohe Temperaturen Abb.-5: Temperaturverlauf im Bauteil von links (beflammte Oberfläche) nach rechts (Deckenoberseite) 3. Temperaturstabilität von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau Um die Fragen hinsichtlich des Überbaus mit Asphalt und der Auswirkungen der jahreszeitlichen Temperaturschwankungen zu untersuchen und zu beantworten, wurde ein Forschungsvorhaben [1] an der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in der Schweiz durchgeführt. Im Bereich der Brücke erfolgt der übliche Auf bau der Fahrbahn in drei Arbeitsschritten: • Einbau der CFK Klebelamellen mit dem Epoxidharzklebstoff direkt auf den Rohbeton oder in Schlitze verklebte CFK Lamellen. • Darüber wird eine Polymerbitumen-Dichtungsbahn (PBD) verlegt. • Anschließend wird der heiße Gussasphalt (ca. 220-°C - 240-°C im Fahrmischer) aufgebracht. In einem ersten Teil des Forschungsprojekts wurden in Bauteilversuchen die Temperaturen in der Ebene der Klebstofffuge gemessen, beim Einbau der PBD (Abb.-1), sowie beim Einbau des Gussasphaltes (Abb.-2). Im Nachgang wurde die Haftzugfestigkeit der verklebten CFK Lamellen untersucht und mit den Referenzproben verglichen. Abb.-6: Auf bringen der PBD [1] Abb.-7: Einbau des Gussasphaltes [1] Aufgrund der hohen Einbautemperatur von Gussasphalt war zu erwarten, dass die Temperaturen im Bereich der CFK Verstärkung die Glasübergangstemperatur des Klebstoffs übersteigen. Die Untersuchungen zur Temperaturentwicklung lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Die Temperaturen während des Auf bringens der PBD sind vernachlässigbar. Zwar ist die Temperatur hoch, jedoch ist die Einwirkungsdauer sehr kurz, so dass sich die Klebstofffuge kaum erwärmt. • Beim Auf bringen des Gussasphaltes, kann die Temperatur in der Epoxidharzschicht bis zu 80-°C betragen. Während des Asphalteinbaus können die CFK Lamellen also nicht statisch berücksichtigt werden. Die Abkühlphase bis die Temperatur wieder auf die maximal zulässige Dauerbauteiltemperatur (gemäß Zulassungen und Richtlinien) von 40-°C sinkt, beträgt ca. 3-h. Nach dieser Zeit können die CFK Lamellen wieder voll angesetzt werden. Versuche an den CFK Lamellen ergaben keine Änderung der Festigkeiten. • Die anschließend durchgeführte Prüfung der Haftzugfestigkeit zeigt nur eine minimale Beeinflussung des Verbundes. Diese Restfestigkeit ist jedoch höher als die durch die Bemessung ansetzbare Verbundfestigkeit. Die Bemessung bzw. Bemessungsfestigkeiten müssen somit nicht angepasst werden. • Durch das beschleunigte Erhärten (i. d. R. wird ein Versuchsalter von 28-Tagen für die Glasübergangstemperatur herangezogen) steigt die Glasübergangstemperatur durch Nacherhärtungseffekte nachträglich an. Eine untergeordnete Rolle spielt lediglich die Kontaktfläche zwischen CFK Lamelle und PDB. Aufgrund möglicher Diffusion von Weichmachern aus der CFK Lamelle konnten hier teilweise kleinflächige Verbundstörungen beobachtet werden. Bei zusätzlichem Asphaltauf bau kann dies aufgrund des Eigengewichts des Asphalts jedoch vernachlässigt werden. Sofern es zu CFK Verstärkungen und anschließender PBD, ohne Auflast durch As- 88 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Geklebte Verstärkungen - Brandschutz und hohe Temperaturen phalt o. ä. kommt, kann auf der sicheren Seite eine dünne Schutzbzw. Trennschicht (Bodenbeschichtung oder Epoxidharz) auf die CFK Lamellen aufgebracht werden. Versuche zeigen, dass geringfügige Blasenbildung somit verhindert werden kann. 4. Dauerhaftigkeit von geklebten CFK Lamellen unter Temperatureinfluss In einem zweiten Teil der Studie wurden Langzeitüberwachungen an CFK verstärkten Kragträgern durchgeführt [2], [3]. Die mit Asphalt überbauten verstärkten Platten wurden unter Gebrauchslast und jahreszeitlichen Umwelt- und Temperatureinflüssen über vier Jahre beobachtet (Abb. - 3) [2]. Um den Einfluss der Temperatur auf den Grenzzustand der Tragfähigkeit zu untersuchen, wurden die Probekörper anschließend im Labor zum Versagen unter Bruchlast gebracht [3]. Abb.-8: Probekörper unter Umwelteinfluss [1] Über den gesamten Versuchszeitraum wurde der Temperaturverlauf in und auf den Probekörpern festgehalten. Die maximale Lufttemperatur betrug dabei ca. 38- °C. Aufgrund der direkten Sonneneinstrahlung auf die Probekörper wurde eine maximale gemessene Temperatur in der Klebstofffuge von 42-°C festgestellt. Die in den Bemessungsrichtlinien festgesetzte maximale Temperatur von 40- °C, wurde somit leicht überschritten. Diese ist als Dauerbauteiltemperatur definiert. Somit kann diese Grenze auch hier als intakt angesehen werden, aufgrund der nächtlichen Abkühlung. Im Laufe der Zeit, konnte bei höheren Temperaturen im Probekörper eine größere Dehnung festgestellt werden. Bei geringeren Temperaturen war die viskoelastische Verformung des Klebstoffs deutlich verringert. Der Anstieg der Dehnungen war im Vergleich zur Bemessungsdehnung jedoch moderat. Gleichzeitig war das Verhalten des Klebstoffs zu jeder Zeit stabil, ohne Anzeichen einer Delamination. Ein Zusammenhang von Dehnungszunahme der CFK Lamellen und Kriechen des Betons aufgrund des viskoelastischen Klebstoffverhaltens konnte durch eine MLR-Modellanalyse festgestellt werden. Die Reserve von ca. 10-°C - 20-°C von Glasübergangstemperatur zu der in den Richtlinien festgesetzten max. Dauerbauteiltemperatur ist somit eine sinnvolle Vorgabe. Bei den anschließenden Versuchen im Labor [3], bei welchen die Probekörper zum Bruch gebracht wurden, konnte zunächst eine etwas verringerte Biegesteifigkeit festgestellt werden (Abb.-4). Abb. 9: Bruchversuche im Labor [1] Das Versagen der Probekörper erfolgte aufgrund von Betonquetschungen, ohne sichtbares Delaminieren der CFK Lamellen. Die Biegetragfähigkeit der mit Asphalt überbauten Platten übersteigt die der Referenzversuche ohne Asphalt. Dies wird auf den Asphalteinschluss (Auflast) der CFK Lamellen zurückgeführt, wodurch höhere Dehnungen ermöglicht werden. Bei den Bruchversuchen konnte jedoch bereits ab Gebrauchslastniveau ein deutlicher Schlupf zwischen Asphalt und Beton beobachtet werden. Somit kann auch aufgrund der geringen Steifigkeit des Asphalts ausgeschlossen werden, dass dieser zur Biegetragfähigkeit beiträgt. Die Langzeitversuche zeigen, dass die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen oder der Überbau mit Asphalt keinen Einfluss auf die Tragfähigkeit von CFK verstärkten Bauteilen haben. Die Zunahme der Dehnungen in den CFK Lamellen betrifft lediglich die Gebrauchstauglichkeit. Die Auswertung der Restfestigkeit von mit Asphalt überbauten und mit CFK Lamellen verstärkten Platten zeigt, dass die gleichzeitige Beanspruchung bei höheren Temperaturen keine kritische Anwendung im Hinblick auf den Grenzzustand der Tragfähigkeit darstellt [3]. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 89 Geklebte Verstärkungen - Brandschutz und hohe Temperaturen Literatur [1] Czaderski, C./ Gallego, J.M./ Michels, J. (2017): Temperature stability and durability of Externally Bonded CFRP strips in bridge construction (Forschungsprojekt AGB 2012/ 001). Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. [2] Breveglieri, M./ Czaderski, C. (2022): Reinforced concrete slabs strengthened with externally bonded carbon fibre-reinforced polymer strips under long-term environmental exposure and sustained loading. Part- 1: Outdoor experiments. Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. [3] Breveglieri, M./ Czaderski, C. (2021): RC slabs strengthened with externally bonded CFRP strips under long-term environmental exposure and sustained loading. Part 2: Laboratory experiments. Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. [4] ETA-11/ 0458 (2021): Europäisch Technische Bewertung „AESTUVER“ Brandschutzplatte, James Hardie Europe GmbH. [5] 4H-DULAB [Software] (2024): pcae Gesellschaft für Programmvertrieb und Computer Aided Engineering mbH. https: / / www.pcae.de [6] S&P FRP Lamella 6.0 [Software]: S&P Clever Reinforcement Company AG, Schweiz. https: / / www.spreinforcement.ch/ 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 91 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile Dr.-Ing. Roman Sedlmair EnBW AG - Bautechnik Erzeugung Portfolioentwicklung, Stuttgart Zusammenfassung Bauteile aus Stahl- oder Spannbeton zeigen oftmals Defizite oder Schäden, die zu der Notwendigkeit einer Verstärkungsmaßnahme führen. In diesem Fall ist die Verstärkung und Instandsetzung mit aufgeklebten CFK-Lamellen eine häufig angewandte Methode. Die CFK-Lamellen werden hierbei als ergänzendes Zugglied für ein Stahlbetonbauteil mit Klebstoff auf die entsprechende Oberfläche appliziert. Als Klebstoff wird derzeit meist Epoxidharz verwendet, das sich durch hohe Festigkeits- und Steifigkeitswerte sowie gute Adhäsion auszeichnet. Dies resultiert in einem äußerst spröden Verbundverhalten der geklebten CFK-Lamellen. Bei Rissöffnung stellen sich am Rissufer Spannungskonzentrationen in der CFK-Lamelle ein -infolgedessen kommt es zu einer Entlastung der einbetonierten und einer Überbelastung der aufgeklebten Bewehrung. Aufgrund der ungleichmäßigen Kraftaufteilung kann nicht von einem kompatiblen Verstärkungssystem gesprochen werden. Weiterhin führt die Verwendung des Epoxidharzes zu deutlichen Einschränkungen in der Anwendung solcher Verstärkungsmaßnahmen. Zu nennen sind hierbei vor allem die geringe Widerstandsfähigkeit gegen erhöhte Temperaturen und Ermüdungsbelastungen. Diese Verstärkungsmethode wurde nun grundlegend modifiziert. Das hierbei entwickelte und untersuchte Verstärkungssystem unterscheidet sich durch den verwendeten Klebstoff von den derzeit üblichen Systemen. Der auf Polyurethan- Basis hergestellte Klebstoff bildet eine deutlich weichere bzw. elastischere Klebschicht aus. Durch entsprechende Definition der Festigkeiten und Verformungsfähigkeiten der Klebschicht wird das Verbundverhalten der aufgeklebten dem der einbetonierten Bewehrung angenähert. Hierdurch ergibt sich über alle Beanspruchungszustände eine gleichmäßige Zugkraftaufteilung -durch die Angleichung der Verbundsteifigkeiten entsteht ein kompatibles Verstärkungssystem. Das System ist durch die Ausweitung des linear-elastischen Verbundverhaltens in der Lage, Ermüdungsbelastungen deutlich besser abzutragen. Durch die Formulierung des Klebstoffes auf Polyurethan-Basis werden weitere kritische Punkte wie Wärmebeständigkeit implizit verbessert. 1. Einführung Die Verstärkung und Instandsetzung von Bauteilen aus Stahl- oder Spannbeton ist seit geraumer Zeit eine der maßgeblichen Herausforderungen beim Bauen im Bestand. Gründe hierfür lassen sich in der fehlerhaften oder unzureichenden Bemessung und Ausführung, Umnutzung und damit meist einer Erhöhung der einwirkenden Lasten oder außergewöhnlichen Beanspruchungen (Anprall, Erdbeben) finden. Ebenso zahlreich wie die Ursachen sind auch die entwickelten Verstärkungsmethoden- Zu nennen sind hier beispielsweise Spritzbetonergänzung, nachträgliche Vorspannung und andere. Eine weitere, immer stärker aufkommende, Methode ist die Verstärkung mit carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK). Hierbei werden beispielsweise CFK-Lamellen als ergänzendes Zugglied für ein Stahlbetonbauteil mit Klebstoff auf die entsprechende Oberfläche appliziert. Aufgrund der einfachen Anwendbarkeit und ihrer hohen Zugfestigkeit bei gleichzeitig äußerst geringem Eigengewicht erfreut sich diese Methode einer immer größeren Beliebtheit. Als Klebstoff wird zurzeit meist Epoxidharz verwendet, das sich durch hohe Festigkeits- und Steifigkeitswerte sowie gute Adhäsion auszeichnet. Abb. 1 : Beispiele für Verstärkungen mit Stahllaschen (oben) und CFK-Lamellen (unten) 92 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile Der Verbund zwischen der aufgeklebten Bewehrung und dem Beton bestimmt grundlegend das Verformungsvermögen und Tragverhalten der verstärkten Biegebauteile. Die relativ geringe Oberflächenzugfestigkeit von Beton stellt hierbei den limitierenden Faktor dar. Das sich deutlich voneinander unterscheidende Verbundverhalten von aufgeklebter und einbetonierter Bewehrung führt zu ungleichmäßiger Zugkraftaufteilung und einem erheblichen Mehraufwand bei der Bemessung. Die zurzeit bauaufsichtlich zugelassenen Verfahren zur Verstärkung dürfen nur sehr begrenzt für dynamisch belastete Bauteile angewandt werden, da aufgrund von Ermüdungserscheinungen zahlreiche Schadensfälle aufgetreten sind. Im Anwendungsfall ist bei erhöhten Temperaturen ein Durchlaufen des Bereiches der Glasübergangstemperatur als realistisch einzustufen. Hieraus resultiert ein Erweichen der Klebschicht bis hin zum kompletten Festigkeitsverlust. Somit ist lediglich eine geringe Widerstandsfähigkeit der Verstärkungssysteme gegenüber Wärmeinwirkung gegeben. Im Rahmen der Arbeit von Sedlmair [5] wurde diese Verstärkungsmethode grundlegend modifiziert. Der hier vorgestellte Artikel stellt Auszüge aus dieser Arbeit dar. Motivation ist das äußerst spröde Verbundverhalten der geklebten CFK-Lamellen, das maßgeblich auf den mechanischen Eigenschaften des verwendeten Epoxidharzes bzw. dessen ungenügender Verformungsfähigkeit beruht. Ziel ist es, einen Klebstoff zu finden, der eine deutlich weichere bzw. elastischere Klebschicht bildet. Durch entsprechende Definition der Festigkeiten und Verformungsfähigkeiten der Klebschicht wird das Verbundverhalten der aufgeklebten dem der einbetonierten Bewehrung angenähert. 2. Grundlagen zum Verbundverhalten In den folgenden Unterkapiteln werden die zum Verständnis der Modifikation erforderlichen Grundlagen zum Verbundverhalten der beiden Bewehrungspartner (Betonstahl und CFK-Lamelle) mit dem Beton erläutert. 2.1 Verbundverhalten einbetonierter Bewehrung Die günstigen Eigenschaften des Verbundwerkstoffs Konstruktionsbeton beruhen gemäß [6] auf dem Verbund zwischen Beton und dem eingelegten Bewehrungsstahl. Als Verbund wird die schubfeste Verbindung dieser zwei Werkstoffe bezeichnet; er ist entscheidend für die Tragfähigkeit und Duktilität eines Stahlbetonbauteils. Die Übertragung der Kräfte vom gerippten Betonstahl in den Beton wird über drei Verbundmechanismen beschrieben: Haftverbund, Scherverbund und Reibungsverbund, wobei das Verbundverhalten bei gerippten Bewehrungsstählen klar vom Scherverbund dominiert wird. Um das Verhalten zu beschreiben, wird die Relativverschiebung (Schlupf) s zwischen Beton und Bewehrungsstahl in Verbindung zur übertragenen Schubspannung τ in der Kontaktfläche beschrieben - die sogenannte Verbundspannungs-Schlupf-Beziehung (VSB), siehe Abb. 2. Bestimmt wird diese Beziehung am Normkörper durch Ausziehversuche am einbetonierten Bewehrungsstab. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden entsprechende Kennwerte hier nicht aufgeführt, sondern auf weiterführende Literatur wie [4] und [6] verwiesen. Wichtig ist, dass die hier gezeigte VSB kein Materialgesetz im eigentlichen Sinne ist, sondern vielmehr ein Hilfsmittel, um komplexe physikalische Vorgänge in Zusammenhang zu bringen. Abb. 2 : Analytische Verbundspannungs-Schlupf-Beziehung nach [4] 2.2 Verbundverhalten aufgeklebter Bewehrung Das Verbundverhalten aufgeklebter Bewehrungselemente unterscheidet sich grundsätzlich von dem der einbetonierten Bewehrung. Bei geklebter Bewehrung wird die Verbindung zwischen Beton und Bewehrung durch eine nachgiebige Zwischenschicht, der Klebschicht, hergestellt. Das Verbundverhalten kann grundsätzlich mit den gleichen Mechanismen wie bei einbetonierter Bewehrung beschrieben werden: Adhäsion, Reibung und Verzahnung. Die dominierende Rolle spielt aber mit großem Abstand die Adhäsion. Da die aufgeklebte Bewehrung nicht vom Beton umschlossen ist, kann sich kein dreidimensionaler Spannungszustand einstellen - beim Versagen löst sich die aufgeklebte Bewehrung frei vom Betonuntergrund. Die Relativverschiebungen setzen sich gemäß [6] als Summe aus den Verzerrungen γ der Klebschicht und den Betonverformungen einer gewissen Grenzschicht zusammen. Erstere sind vorrangig von der Steifigkeit und dem elastischen bzw. plastischem Verformungsvermögen der Klebschicht abhängig. Abb. 3 : Verbundmechanismen aufgeklebter Bewehrungselemente 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 93 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile Bei kleinen Belastungen bzw. Verformungen, s.-Abb.-3-b, verhält sich das Verbundsystemrein linear-elastisch und die auftretenden Relativverschiebungen können allein der Klebschicht zugewiesen werden. Bei steigender Beanspruchung, durch ein entfestigendes Verhalten gekennzeichnet, bilden sich Verbundrisse in der oberflächennahen Betonschicht (Abb. 3-c). Diese sind in Verformungsrichtung geneigt und vereinigen sich beim Verbundversagen zu einer Bruchebene parallel zur Ebene des aufgeklebten Bewehrungselementes, s. Abb. 3-d. Dieser Bruch tritt hierbei aufgrund fehlendem Verformungsvermögen der Klebschicht ohne große Versagensvorankündigung mit geringer Energiedissipation ein - man spricht von einem spröden Verbundversagen. Analog zur Betrachtung in Kap. 2.1 wird die wirksame Kraftübertragung von Bewehrungselement zu Beton hier ebenso an die entsprechenden Relativverschiebungen gekoppelt. Durchgesetzt hat sich aufgrund der vergleichsweisen relativ einfachen Beschreibung bei gleichzeitiger hoher Rechengenauigkeit ein abschnittsweise linearer Ansatz mit einem linear-elastischen und einem linear-entfestigendem Ast, der bilineare Verbundansatz, s.-Abb.-4. Abb. 4 : bilinearer Verbundansatz für aufgeklebte Bewehrungselemente Die Fläche unter der Kurve wird als Verbundbruchenergie G F definiert und kann bruchmechanisch, als die Energie betrachtet werden, die zum vollständigen Lösen bzw. Versagen eines Einheitsverbundelementes notwendig ist. Die Steigung des linear-elastischen Astes ist durch den Wert K 1 definiert. Da der maßgebende Versagensmodus das Ausbrechen oberflächennaher Betonschichten ist, wird die Ermittlung der Parameter auf maßgebliche Eigenschaften des Betons wie Druck und/ oder Oberflächenzugfestigkeit zurückgeführt. Auf die verschiedensten Ansätze in der Literatur und der Normung soll hier nicht eingegangen werden. Es sei aber erwähnt, dass der Entkopplungsschlupf s L0 für aufgeklebte Lamellen, die mit epoxidharzbasierten Klebstoffen appliziert wurden, in der Größenordnung von 0,2-mm bis 0,3-mm liegt. Dies bekräftigt die Definition eines spröden Verbundversagens und der vorzeitigen Schädigung des Verbundes. In Versuchen konnte gezeigt werden, dass eine Vergrößerung der verklebten Länge nicht unweigerlich zu einer Kraftsteigerung führt, sondern eine asymptotische Annäherung an einen Grenzwert erfolgt, der direkt mit der Bruchenergie G F korreliert. Der wirksame Verbund zwischen Bewehrungselement und Beton ist somit auf eine effektive Verbundlänge begrenzt, die von Art und Steifigkeit des Bewehrungselementes, Eigenschaften der Klebschicht und des Betons abhängt. 2.3 Interaktion der Bewehrungselemente Zilch [2] untersuchte im Rahmen einer experimentellen Arbeit die Kraftaufteilung bei gemischt bewehrten Zuggliedern. Hierbei kamen einbetonierter, gerippter Betonstahl und aufgeklebte CFK-Lamellen zum Einsatz, siehe Abb. 5. Ausgewertet wird der Umlagerungsfaktor f S (Betonstahl) bzw. f L (CFK-Lamelle). Der Umlagerungsfaktor ist als Quotient aus gemessener Dehnung bzw. Spannung im Rissquerschnitt und der aus Dehnungsebenheit rechnerisch ermittelten Werten definiert. Bei einem Wert von 1 gilt somit 100 %ige Dehnungsebenheit. Ein ausgewähltes Ergebnis ist in Abb. 6 dargestellt. Abb. 5 : Versuchsauf bau von Zilch et al. (2002) zur Untersuchung der Kraftaufteilung bei gemischt bewehrten Zuggliedern Gerade für geringe Beanspruchungen oder Zugkräfte sind die Abweichungen von der Dehnungsebenheit offensichtlich. Teilweise sind diese bis zu 70 % über den nach Dehnungsebenheit ermittelten. Bei geringer Beanspruchung geht der Großteil der aufzunehmenden Zugkraft in die Lamelle über. Im Rissquerschnitt stellt sich eine Dehnungsbzw. Spannungsüberhöhung in der CFK-Lamelle ein. Der Verbund wird hierdurch stark beansprucht und aufgrund der fehlenden Verformungsfähigkeit sehr schnell geschädigt und schlussendlich zerstört. Erst durch diese Verbundentkopplung der Lamelle bei gleichzeitiger Umlagerung auf den Betonstahl nähern sich die Umlagerungsfaktoren wieder dem Wert für Dehnungsebenheit an. Durch die unterschiedlichen Verbundverhältnisse kann sich keine gleichmäßige Kraftaufteilung einstellen 94 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile - dieser Effekt verstärkt sich bei glattem Betonstahl zusätzlich. Leider hat dies auch einen großen Einfluss auf das Tragverhalten biegeverstärkter Stahlbetonbauteile bei zyklischer Belastung. Durch die frühe Verbundschädigung der aufgeklebten Bewehrung und den kaum ausgeprägten elastischen Verbundbereich muss diesen Systemen ein ungenügendes Ermüdungsverhalten attestiert werden. Abb. 6 : Umlagerungsfaktor für Betonstahl f S und CFK- Lamelle f L aufgetragen über die wirkende Zugkraft [2] Zur Beurteilung der Güte der Interaktion verschiedener Bewehrungsstränge eignet sich der Ansatz nach Bergmeister [1]. Er führte einen Verbundkoeffizienten λ über das Verhältnis zwischen der mittleren Dehnung eines (Zwischen-)Risselementes ε m und der maximalen Dehnung ε max , die sich direkt im Öffnungsbereich des Risses einstellt, ein. (1) Für Betonstahl mit Stabdurchmessern von 12- mm- ≤- d S - ≤- 20- mm und Rissabständen über die Bauteillänge von 250- mm- ≤- sr- ≤- 400- mm, ergibt sich für Betonstahl nach Bergmeister- [1] ein Grenzwert von λ lim,S - =- 0,9- [-]. Für Lamellen liegt der Wert bei λ lim,S -=-0,8-[-]. Wichtig ist: beteiligen sich unterschiedliche Bewehrungsstränge in gleicher Art und Weise am Lastabtrag, müssen sich auch die Verbundkoeffizienten gleichen. 3. Grundidee der kompatiblen Verstärkung Aus den vorangegangenen Erläuterungen wird deutlich, dass eine Schädigung des Verbundes Lamelle-Beton bereits bei sehr kleinen Rissöffnungen eintritt. Weiterhin wird bei sich einstellender Rissbildung ein Großteil der Zugkraft vom Bewehrungselement mit steiferem Verbundverhalten übernommen. Bei den derzeit verwendeten Systemen treten in der CFK-Lamelle somit naturgemäß große Spannungsspitzen und große Spannungs- (bzw. Dehnungs-)gradienten in Rissufernähe auf - die Betonoberfläche wird hier also lokal sehr stark mit Schubbzw Normalspannungen beaufschlagt. Zyklische Belastungen, auch bei relativ kleinen Spannungsschwingbreiten, führen zu einer fortschreitenden Schädigung und einer vorzeitigen Entkopplung des Verstärkungssystem vom Bauteil. Diese Defizite können durch eine Anpassung der Steifigkeit des Verbundes Lamelle-Beton über die mechanischen Eigenschaften der Klebschicht eliminiert werden. Die Erweiterung des linear-elastischen Verbundverhaltens bei gleichzeitiger Anpassung der Verbundsteifigkeit auf die der einbetonierten Bewehrung stellt eine sinnvolle, praktikable und überaus effektive Modifizierung der CFK-Lamellen basierten Verstärkungsmethode dar. Die Verformungsfähigkeit der Klebschicht bestimmt maßgeblich den Schädigungsbeginn bei Rissöffnung. Im Gebrauchszustand auftretende Rissöffnungen sollen über elastische Winkelverformungen der Klebschicht tan- γ überbrückt werden, um eine Schädigung und frühzeitiges Ablösen zu verhindern, s. Abb. 7. Hierfür ergibt sich ein Mindestwert von s L1 -=-0,2-mm insofern die im Stahlbeton üblichen Rissöffnungen von w r -=-0,4-mm zugelassen werden. Abb. 7 : Rissüberbrückung durch Schubverformung in der Klebschicht nach [1] Zur Ermittlung der gewünschten Verbundsteifigkeit von Lamelle und Beton wird bei den folgenden Betrachtungen für den Betonstahl die in [4] enthaltene analytische Verbundspannungs-Schlupf-Beziehung zu Grunde gelegt und die Verbundsteifigkeiten K 1,S je nach Betongüte für gewisse Rissöffnungen ermittelt, s.-Tab 1. Tab. 1: Verbundsteifigkeiten K 1,S [N/ mm³]von einbetoniertem, gerippten Betonstahl je nach Rissöffnung w r und Betongüte Rissöffnung [mm] C20/ 25 C50/ 60 0,0 - 0,2 53 76 0,2 - 0,4 17 25 0,4 - 0,6 12 17 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 95 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile Für die derzeit üblichen Klebschichten ergeben sich unter Annahme der in Abb. 4 dargestellten bilinearen Verbundspannungs-Schlupf-Beziehung im als linear-elastisch betrachteten Bereich eine Verbundsteifigkeit von K 1,L -=-400-N/ mm³. Zu beachten ist, dass die Gültigkeit der Rissüberbrückung lediglich bei Mikrorissen als wirksam betrachtet werden - für übliche Rissöffnungen ist der Verbund in Rissnähe bereits teilweise oder vollständig beschädigt. Werden nun als Zielparameter die in Tab. 1 aufgeführten Werte bei im Gebrauchszustand üblichen Rissöffnungen von 0,2-mm bis 0,4-mm definiert, linear-viskoelastisches Verhalten der Klebschicht und Gleichung (2) von Ranisch [3] mit K 1,L -=-G a / t a zu Grunde gelegt, ergibt sich bei einer Klebschichtdicke t a- =-5mm ein Schubmodul im Bereich von G a- =-60-N/ mm² bis 100-N/ mm². (2) Bei einer theoretischen Querdehnzahl elastischer Klebschichten von ν-=-0,5 ergibt sich somit ein gewünschtes Elastizitätsmodul zwischen 180 N/ mm² und 300 N/ mm². Derzeit übliche Klebschichten sind durch einen Elastizitätsmodul E a von ca. 3000 N/ mm² charakterisiert. Eine derartige Reduzierung der Verbundbzw. Klebschichtsteifigkeit wirkt sich massiv auf das Verbundverhalten aus. Durch eine verformungsfähigere, elastische Klebschicht wird in erster Linie die Verankerungslänge (effektive Verbundlänge) vergrößert und die auftretenden Schubspannungen werden reduziert, bzw. die Verbundfläche homogener beansprucht. Da hieraus eine flächenmäßig größere Aktivierung der Betonoberfläche resultiert und, Kohäsionsversagen annehmend, der Beton weiterhin das schwächste Glied der Fügepartner darstellt, wird eine höhere Ausnutzung der geklebten Bewehrungselemente ermöglicht. Die gezielte Anpassung der Verbundeigenschaften der Lamelle an das Verbundverhalten der einbetonierten Bewehrung durch die Änderung der mechanischen Klebschichteigenschaften resultiert in einer Annäherung bzw. Gleichsetzung der Verbundkoeffizienten für Betonstahl und CFK-Lamelle über alle Beanspruchungszustände hinweg. Hierdurch ergibt sich automatisch die Gültigkeit des Ebenbleibens der Querschnitte ohne Verbundentkopplung über alle Rissbildungsstadien (f L = f S = 1). Streng genommen gilt dies bei den epoxidharzbasierten Systemen lediglich für den Grenzzustand der Tragfähigkeit bzw. nach bereichsweiser Verbundschädigung oder -entkopplung der Lamelle. 4. Numerische Untersuchungen Um den Einfluss des Klebstoffes auf das Interaktionsverhalten numerisch zu untersuchen, wurden unter anderem gemischt bewehrte Zwischenrisselemente (ZRE) modelliert. Das Modell ist mit dem verwendeten Netz für einen Rissabstand von 150mm in Abb. 8 dargestellt. Die 80mm breite Lamelle ist hierbei blau und der Betonstahl in rot eingefärbt. Der Betonkörper hat für alle Modelle eine konstante Breite und Höhe von 200mm bzw. 150 mm. Abb. 8 : Mit Abaqus modelliertes, gemischt bewehrtes Zwischenrisselement Als Betonstahlbewehrung wird hier ein Stab mit d S -=-12-mm mit den Materialeigenschaften eines B500A verwendet. Die Last wird verschiebungsgesteuert symmetrisch auf alle Bewehrungsflächen aufgebracht. Da vor allem die Verbesserung des Verbundverhaltens im GZG Ziel war, werden die sich einstellenden Dehnungsverhältnisse und Schubspannungs-verteilungen bei Rissöffnungen w r von 0,1-mm, 0,2-mm und 0,4-mm ausgewertet. Da die Beurteilung des Einflusses der mechanischen Klebschichteigenschaften von Interesse war, wurden nur die Verbundparameter der aufgeklebten Bewehrung variiert, s. Tab. 2. Tab. 2: Inputparameter der Kontaktelemente zur Definition der Klebschichteigenschaften K1 K2 K3 τ L1 3,93 3,93 3,93 s L0 0,019 0,2 0,27 s L1 0,258 0,258 0,50 G F 0,507 0,507 0,9825 K 1,L 206,8 19,7 14,6 Eine mit dem Klebstoff K1 gebildete Klebschicht lässt sich hinsichtlich ihrer Eigenschaften mit denen eines handelsüblichen Epoxidharzes vergleichen. K2 zeichnet sich durch eine sehr ausgeprägte Elastizität aus. Die aus dem Klebstoff K3 gebildete Klebschicht stellt einen Kompromiss aus ausgeprägter Elastizität bei K2 und einer ausreichenden Sekantensteifigkeit K 1,L (orientiert an der VSB von Betonstahl) dar und ist somit als ein optimierter Klebstoff zu betrachten. Die Ergebnisse für einen Rissabstand von s r = 150mm sind in Abb. 9 dargestellt. Die gestrichelte Linie deutet das Dehnungsverhältnis ε L -=-ε S -=-1 an, das für die Gültigkeit der Bernoulli-Hypothese steht. 96 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile Abb. 9 : Dehnungsverhältnis über Verbundlänge für eine Rissbreite w r -=-0,2-mm Zur Beurteilung des Beanspruchungszustandes kann die Schubspannungsverteilung über die Verbundlänge herangezogen werden. Diese sollte im GZG über den gesamten Verbundbereich unter τ L1 bleiben, um einen intakten bzw. ungeschädigten Verbund zu gewährleisten. Wie in Abb. 10 ersichtlich, ist dies bei K1 durch den steifen Verbund bereits für kleine Rissöffnungen nicht mehr der Fall. Bereits hier findet ein erheblicher Zugkraftauf bau in der Lamelle statt und der Verbund wird geschädigt. Die mit dem Klebstoff K3 gebildete Klebschicht zeichnet sich, ebenso wie K2, bei GZG üblichen Rissöffnungen immer noch durch ein linear-elastisches Verbundverhalten aus. Weiterhin ist die Bernoulli-Hypothese in allen Laststufen über den Großteil der Verbundfläche auch ohne Verbundschädigung weitestgehend gültig. Werden die Verbundkoeffizienten der Bewehrungsstränge mit Gleichung (1) ermittelt, ergeben sich für die drei ausgewerteten Zustände die in Abb. 11 dargestellten Ergebnisse. Die im Dehnungsverhältnis bereits beobachtete starke Dehnungskonzentration im Rissquerschnitt der Lamelle bei einer mit K1 gebildeten Klebschicht äußert sich im Vergleich zu K2, K3 und dem Betonstahl durch einen deutlich reduzierten Verbundkoeffizienten. Durch die bei fortschreitender Rissöffnung einsetzende Schädigung nähert sich der Wert für K1 dem Wert des Betonstahls an. Für K2 ergibt sich durch den sehr weichen Verbund und somit fehlendem tension stiffening ein annähernd konstanter Verbundkoeffizient λ L,K2 -=-0,98. Bei K3 ergibt sich durch den ungeschädigten Verbund über alle Zustände ein konstanter Wert von λ L,K3- =- 0,87, der nahe an dem Wert für Betonstahl aus Tab. 1 für einen Betonstahldurchmesser von 12mm liegt. Es ist somit ersichtlich, dass über die Steifigkeit der Klebschicht das Verbundverhalten der aufgeklebten Bewehrungselemente dem des einbetonierten Betonstahls angenähert werden kann. Abb. 10 : Schubspannungsverteilung über Verbundlänge für eine Rissbreite w r -=-0,1-mm (oben) und wr-=-0,2-mm (unten) Abb. 11 : Entwicklung des Verbundkoeffizienten λ L für Betonstahl und aufgeklebter Lamelle für unterschiedliche Verbundsteifigkeiten je Rissöffnung w r 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 97 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile 5. Experimentelle Untersuchungen Zur Demonstration der Wirksamkeit der in der Arbeit von Sedlmair- [5] entwickelten Verstärkungsmethode wurden Versuche auf Material-, Verbund- und Bauteilebene durchgeführt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden hier nur Auszüge aus den Ergebnissen der Verbundversuche (Endverankerungsversuch s. Abb. 12 ) und 4-Punkt-Biegeversuche am verstärkten Biegebalken (s. Abb. 13) dargestellt. Die zur Applikation der CFK- Lamelle verwendeten Klebstoffe sind in Tab. 3 aufgeführt. Die Bestimmung der Zugeigenschaften des Polyurethan-Klebstoffes erfolgte nach DIN EN 257-2 mittels Knochenprüfkörpern des Typs 1B bei einer Belastungsgeschwindigkeit von 100- mm/ min. Für K4e wurde im Torsionsschwingversuch nach DIN 53445 der elastische- Bereich der reinen Polymerprobe bei Raumtemperatur bis zu einer Schubverformung im Bereich von tan-γ-=-0,003 bis 0,005 ermittelt. Bei den durchgeführten Haftzugversuchen erfolgte der Bruch wunschgemäß immer kohäsiv im (oberflächennahen) Beton. Tab. 3: Klebstoffeigenschaften K1e (EP) K3e (PU) K4e (PU) Zugfestigkeit [N/ mm 2 ] ≥ 14,0 14,0 16,0 Bruchdehnung [%] - 100,0 32,0 E-Modul [N/ mm²] ≥ 2000,0 180,0 280,0 Neben der traditionellen Messtechnik, wie induktive Wegaufnehmer (IWA) und Dehnungsmessstreifen (DMS), kamen bei den Endverankerungs- und Bauteilversuchen zur Rissdetektion bzw. Dehnungsermittlung in der Lamelle zwei Verfahren zum Einsatz - die optische Messtechnik und faseroptische Sensoren. (a) Prinzipskizze (b) Beispielfoto Abb. 12 : Versuchsauf bau Verbundversuch: Druck-Zug-Einzellaschenkörper Abb. 13 : Bauteilversuch: 4-Punkt-Biegeversuch 98 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile 5.1 Ergebnisse Verbundversuche Alle Versuche wurden in einer Universalprüfmaschine mit einer maximalen Kapazität von 1000 kN weggesteuert durchgeführt. Die Zugkraft wurde mit hydraulischem Spannzeug in die Lamelle eingeleitet. Die Prüfkörper wurden mittels Wasserwaage und Lasermessgerät so ausgerichtet, dass die Zugkraft exakt in der Längsachse der Lamelle angriff. Die Belastungsgeschwindigkeit wurde je nach verwendetem Klebstofftyp so angepasst, dass ein Versagen innerhalb von zwei bis fünf Minuten eintrat. D as Ziel der Experimente war die Quantifizierung des Einflusses der verwendeten Klebschicht auf das Trag- und Verformungsverhalten. Somit ergaben sich folgende, zu bestimmende Parameter: maximale Tragfähigkeit, Verformungsverhalten, aktive bzw. effektive Verbundlängen (engl. STZ (stress transfer zone)) und Verbundspannungs-Schlupf-Beziehung (VSB). Die Quantifizierung des Verformungsverhaltens erfolgt über die jeweiligen Dehnungs-Schlupf-Kurven. Die Bestimmung der aktiven bzw. effektiven Verbundlängen erfolgte über eine (kontinuierliche) Dehnungsermittlung in der Lamelle. Die Messergebnisse der faseroptischen Sensoren wurden mit einer Ortsauflösung von 0,65 - mm bei einer Datenrate von 12,5 - Hz aufgezeichnet. Das Vorgehen zur Bestimmung ist in [5] erläutert. 5.1.1 Ergebnisse für K1e (Epoxidharz) In Abb. 14 ist der Dehnungsverlauf in der CFK-Lamelle über die Verbundlänge dargestellt. Die Verbundlänge liegt zwischen x = 0mm und x = 1000mm, wobei sich an letzterem Punkt die lastzugewandte Seite befindet. Deutlich zu sehen, ist die fortgeschrittene Entkopplung (Bereich mit konstanter Dehnung der Lamelle). Die STZ (Bereich mit sich ändernder Dehnung) wandert aufgrund fortschreitender Entkopplung in Richtung der lastabgewandten Seite. Die im Experiment gemessene Größe der STZ ergibt sich ca. zu 200-mm bis 250-mm. Um die Gültigkeit der hier ermittelten Kennwerte und die Möglichkeit einer Vereinfachung zu zeigen, werden Vergleichsrechnungen, mit dem in [9] bereits vorgestellten numerischen Gleichungslöser, durchgeführt. Wird bei der Auswertung ein bilinearer Ansatz als Zielfunktion gewählt, ist die in Abb. 15 dargestellte Näherung eine Möglichkeit. Ergänzend sind zusätzlich sechs zuvor experimentell ermittelten Verbundspannungs-Schlupf-Kurven dargestellt. Im Mittel ergibt sich eine Bruchenergie von G F; K1e -=-0,92N/ mm. Abb. 14 : Dehnungsverlauf ε L über die Verbundlänge x für K1e und einen Schlupf von 1,42-mm Abb. 15 : Vergleich von experimentell ermittelten VSB und bilinearem Ansatz für K1e 5.1.2 Ergebnisse für K3e (Polyurethan) Bei dieser Versuchsreihe mit dem deutlich weicheren Polyurethan wurde gezielt der Einfluss der Klebschichtdicke untersucht - es wurden Klebschichtdicken von 2-mm und 5-mm verwendet. Die Ausbruchtiefe des Betons war teilweise um das fünffache größer als bei K1e, was auf eine verbesserte Durchdringung des Betons hindeutet - das Versagen trat wie gewünscht kohäsiv in der Betonoberfläche ein. Ein im Versuch ermittelter Dehnungsverlaufe und die sich bei der Versuchsreihe daraus ergebenden Verbundspannungs-Schlupf-Beziehungen sind in Abb. 16 und Abb. 17 dargestellt. Ergänzt ist in Abb. 17 wiederum die Annäherung über den bilinearen Verbundansatz. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 99 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile Abb. 16 : Dehnungsverlauf ε L über die Verbundlänge x für K3e (t a -=-5-mm) und einen Schlupf von 2,26-mm Abb. 17 : Vergleich von experimentell ermittelten VSB und bilinearem Ansatz für K3e und Klebschichtdicke t a -=-2-mm (oben) und t a -=-5-mm (unten). Der Entkopplungsvorgang der Lamelle ist auch hier ersichtlich, allerdings nicht in dem Ausmaß wie in vorangegangenem Abschnitt. Die STZ kann hier je nach Klebschichtdicke mit einer Ausdehnung von 400- mm bis 700- mm definiert werden. Bis zu einer Beanspruchung von ca. 50 Prozent der maximalen Verbundspannung τ L1 kann von einem weitestgehend linear-elastischen Verbundverhalten gesprochen werden. Die im Torsionsschwingversuch ermittelte rein linear-elastische Verformung bildet den steigenden Ast der VSB in guter Näherung ab. Die Bestimmung der klebschichtspezifischen Eckwerte des bilinearen Ansatzes erfolgt u. a. mittels Glg. 2 - die gute Übereinstimmung des Ansatzes mit den Versuchswerten kann in Sedlmair [5] im Detail nachvollzogen werden. Es ergeben sich die in Tab. 4 aufgeführten Kennwerte, die für mittelweiche Klebschichten mit einem Schubmodul Ga-≤-100-N/ mm² Gültigkeit besitzen. Tab. 4: Verbundparameter eigener Ansatz Verbundspannung τ L1 el. Grenzschlupf s L1 Entkopplungsschlupf s L0 Bruchenergie G F Eine verformungsfreudige, elastische Klebschicht erhöht nicht nur die absolute Tragfähigkeit, sondern führt bei entsprechender Last zu einer Schubspannungsreduktion. Es ist möglich, einen rein linear-elastischen Verformungsbereich des Verbundsystems Lamelle-Klebschicht- Beton, lediglich über die mechanischen Eigenschaften und die Geometrie der Klebschicht, zu bestimmen. Wie im Folgenden gezeigt wird, kann bei einer elastischen Klebschicht generell, trotz fortgeschrittener Rissöffnung, von einem kompatiblen und intakten Verbundsystem aus Lamelle-Klebschicht-Beton und Betonstahl-Beton gesprochen werden, da die Verbundsteifigkeiten direkt aufeinander abgestimmt sind. 5.2 Ergebnisse Bauteilversuche Um den Einfluss des Klebstoffes auf das Gesamttragverhalten am Biegebauteil zu untersuchen, wurde ein Versuchsauf bau gewählt, bei dem für die derzeit üblichen Systeme der Tragmechanismus im Bereich der Zwischenrisselemente maßgebend wird. Für detailliertere Beschreibungen der Versuche sei auf [5] verwiesen. Ein im Experiment ermitteltes Verformungsverhalten ist in Abb. 18 dargestellt. Der mit dem Klebstoff K1e und Lamelle C1 verstärkte Balken B04-K1e-B19-C1 versagte durch die typische Entkopplung der CFK-Lamelle, nachdem der Betonstahl bereits ins Fließen gekommen war. Der Entkopplung der Lamelle ging die Bildung eines massiven Biegeschubrisses direkt unter der Lasteinleitung voraus. Durch die hohe Aufzeichnungsrate des faseroptischen Systems konnte auch ein Dehnungszustand der Lamelle aufgezeichnet werden, bei dem ein Teil der Lamelle unter der rechten Lasteinleitungsstelle bereits entkoppelt war. Da dieser Vorgang in ms vonstattengeht und kein Lastplateau in der Last-Durchbiegungs-Kurve 100 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile erkennbar ist, muss hier von einem spröden Versagen gesprochen werden. Der Balken B03-K4e-B19-C1 zeigte ein abweichendes Versagensbild. Die Lamelle entkoppelte zwar ausgehend von einer Lasteinleitungsstelle schlussendlich auch durch Kohäsionsversagen im Beton, jedoch trat dieses Versagen nicht in der oberflächennahen Betonschicht, sondern auf Höhe der Längsbewehrung ein. Diesem Versagen ging das Fließen der Betonstahlbewehrung und eine geringfügige Plastifizierung der Betondruckzone voraus. Dies entspricht einem teilweise duktilen Versagen. Abb. 18 : Last-Durchbiegungs-Kurve und Schadensbilder für Balken mit K1e (Mitte) und K3e (unten) Bei der Auswertung der Dehnungsmessungen der CFK- Lamelle zeigt sich eine signifikante Reduktion der Spannungsspitzen in der Lamelle an den Diskontinuitätsstellen. Durch das kompatible Verstärkungssystem kann die Verformungsfähigkeit bzw. Duktilität der Balken aufrecht erhalten werden. Weiterhin übersteigen die Bruchlasten jene der mit dem handelsüblichen Klebesystem verstärkten Balken deutlich, wobei keine Einbußen bei der Biegesteifigkeit zu beobachten sind. Durch die gesteigerte Bruchenergie des Verbundsystems Lamelle-Klebschicht-Beton wird der Nachweis am Zwischenrisselement nichtmehr maßgebend. Für das EP-System K1e ergeben sich bei niedrigen Belastungen und kleinen Rissöffnungen Verbundkoeffizienten λ L zwischen 0,6 und 0,9. Gerade erstgenannte Werte sind ein Indiz für die Spannungsüberhöhung in der Lamelle im Rissquerschnitt. Durch Schädigung des Verbundes nähern sich die Werte für größere Dehnungen wieder einem Wert von 0; 95 bis 1; 0 an. Für das PU-System K4e ergeben sich für den Dehnungsbereich der verbundaktiven Lamelle Verbundkoeffizienten zwischen 0,8 und 0,95. Diese Werte ergeben sich über alle Belastungszustände hinweg. Dies spricht auch bei kleineren Belastungen und sich einstellenden Rissöffnungen im Gebrauchszustand für eine ausreichende, aber nicht übermäßige Aktivierung der Lamelle. Weiterhin werden deutlich weniger Spannungsspitzen im Rissquerschnitt aufgebaut, als dies bei einer mit K1e gebildeten Klebschicht der Fall ist. Zusätzlich bleibt der Verbund weitestgehend intakt, da die Werte annähernd konstant bleiben. 6. Fazit Die hier vorgestellten Auszüge aus [5] stellen die Grundlage einer neuartigen Verstärkung mit geklebten CFK-Lamellen dar. Durch die grundlegende Änderung des verwendeten Klebstoffes, der eine elastische Klebschicht mit ausgeprägter Plastizität ausbildet, wird das Verbundverhalten der geklebten dem der einbetonierten Bewehrung über sämtliche Beanspruchungs- und Rissbildungsstadien angenähert. Dies erkennt man auch daran, dass die Rissabstände des Biegebalkens mit dem neuen Klebstoff, dem von reinem Stahlbeton gleichen und keine Verringerung der Rissabstände erzeugt wird. Zusätzlich wird die über Verbund übertragbare Kraft durch die Vergrößerung der aktivierbaren Verbundflächen gesteigert. Durch die Ausweitung des elastischen Verbundbereiches wird ein nennenswerter Widerstand gegenüber Ermüdungsbelastung erreicht. Die erhöhte Widerstandsfähigkeit der Polyurethanklebstoffe bei Temperaturbelastung, ist als überaus positiv zu beurteilen. Das hier entwickelte und untersuchte Verstärkungssystem kann wie der übliche Stahlbeton, der um eine zweite Zugebene erweitert wird, betrachtet und bemessen werden. Dies bedarf aber noch weiterer Untersuchungen, da vor allem eine zyklische Belastung im Rahmen dieser Arbeit nur angerissen wurde. Weiterhin konnten keine Untersuchungen 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 101 Entwicklung einer neuartigen CFK-Lamellenverstärkung für Stahlbetonbauteile zur Dauerstandfestigkeit derartiger elastischer Klebungen durchgeführt werden, sodass derzeit noch mit den in der Literatur auffindbaren Abminderungsfaktoren gearbeitet werden muss. Durch Torsionsschwingversuche an der reinen Polymerprobe, ist es aber möglich einen rein linear-elastischen Belastungsbereich festzulegen, bei dem keinerlei Kriech- oder Schädigungseffekte auftreten. Literatur [1] BERGMEISTER, Konrad: Kohlenstofffasern im konstruktiven Ingenieurbau, Berlin. 2003 (Bauingenieur-Praxis) [2] ZILCH, Konrad; ZEHETMAIER, Gerhard; NIE- DERMEIER, Roland: Zusammenwirken von einbetonierter Bewehrung mit Klebearmierung bei verstärkten Betonbauteilen: Forschungsbericht. München: Techn. Univ. Inst. für Baustoffe u. Konstruktion Lehrst. Für Massivbau, 2002 [3] RANISCH, Ernst-Holger: Zur Tragfähigkeit von Verklebungen zwischen Baustahl und Beton - Geklebte Bewehrung,1982 [4] Bulletin / International Federation for Structural Concrete Draft model code. Bd. 65: Model Code 2010: Final draft. Lausanne: International Federation for Structural Concrete [5] SEDLMAIR, Roman: Theoretische und praktische Entwicklung einer aufgeklebten CFK Stahlbetonverstärkung unter Berücksichtigung der vollständigen Kompatibilität zum Betonstahl, Karlsruhe, 2020 [6] ZILCH, Konrad; ZEHETMAIER, Gerhard: Bemessung im konstruktiven Betonbau: Nach DIN 1045-1 (Fassung 2008) und EN 1992-1-1 (Eurocode 2). 2., neu bearb.und erw. Aufl. Berlin and Heidelberg and New York, NY: Springer, 2010. [7] HOLZENKÄMPFER, Peter: Ingenieurmodelle des Verbunds geklebter Bewehrung für Betonbauteile. Braunschweig, IBMB, Zugl.: Braunschweig, Univ., Diss., 1994, 1994 [8] ULAGA, Tomaž: Betonbauteile mit Stab- und Lamellenbewehrung: Verbund- und Zuggliedmodellierung [9] WALENDY, Bernhard; SEDLMAIR, Roman; STEMPNIEWSKI, Lothar: Standardization approach for a new class of retrofitting systems. In: SMAR 2017 (Hrsg.), Zürich, Switzerland 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 103 Flüssigabdichtung im Bestand Mario Heinl Kemper System GmbH, Vellmar (bei Kassel) Zusammenfassung Flüssigabdichtungen sind eine interessante Option beim Bauen im Bestand, insbesondere für Flachdächer und komplexe Geometrien. Sie bieten eine nahtlose und flexible Abdichtung, die sich gut an verschiedene Untergründe anpasst. Abdichtungen aus Flüssigkunststoffen haben neben den klassischen Abdichtungsbauarten und gleichwertigen Verfahren einen festen Platz eingenommen. 1. Einführung Aufgrund der derzeitigen Baulage hat der Bestand von Gebäuden eine neue Qualität erreicht. Der Sanierte Bestand ist der sogenannte „neue Neubau“ somit ist die Instandsetzung, Umnutzung und Wiederinbetriebnahme von Bestandsbauten und auch denkmalgeschützten Bauten auf einem anderen Niveau. Bestandsbauten stellen eine besondere Herausforderung dar, wenn es um die Abdichtung geht. Flüssigabdichtungen bieten eine flexible, langlebige und kostengünstige Lösung, die sich besonders für die Sanierung von älteren Gebäuden eignet. In diesem Text werden die Grundlagen, Vorteile, Anwendungsbereiche und die Vorgehensweise bei der Verwendung von Flüssigabdichtungen in Bestandsbauten erläutert. Damit Bestandsbauten langfristig gebrauchstauglich sind, ist es extentiell, dass die wesentlichen Grundanforderungen an bauliche Anlagen aus dem Baurecht zu erfüllen sind. Eine der wesentlichen Anforderungen aus der Musterbauordnung ist, der Schutz gegen schädliche Einflüsse (§13). § 13 Schutz gegen schädliche Einflüsse Bauliche Anlagen müssen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein, dass durch Wasser, Feuchtigkeit, pflanzliche und tierische Schädlinge sowie andere chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Baugrundstücke müssen für bauliche Anlagen geeignet sein. Aus dem Paragrafen §13 ist die wesentliche Anforderung, das durch Wasser und Feuchtigkeit keine unzumutbaren Belästigungen oder Gefahren entstehen dürfen. Bei Bestandsbauten und denkmalgeschützten Anlagen zeigen sich häufig aufgrund des Lebenszyklus und den klimatischen Belastungen wie Regen, Frost und als auch UV-Belastungen erhebliche Schäden an der Optik, Funktionstüchtigkeit und Nutzbarkeit des Gebäudes. Eine besondere Herausforderung stellen hierbei die denkmalgeschützten Bauten dar, denn gerade diese Bauten dürfen sich durch das Auf bringen von abdichtenden Maßnahmen nicht bzw. nur unwesentlich in der Charakteristik verändern. Die Flüssigabdichtung bietet gerade hier Möglichkeiten, um das Erscheinungsbild dieser historischen Bauten beizubehalten. Flüssigabdichtungen und Flüssigabdichtungen mit integrierter Nutz- und Schutzschicht sind anerkannte Abdichtungsbauarten in den Normen und Regelwerken. Diese Abdichtungsbauart bestehen in der Regel aus ein und mehrkomponenten Produkten, die physikalisch oder chemisch zur Aushärtung gebracht werden. Innerhalb der Regelwerke werden 3 Harzgruppierungen standardisiert, diese sind ungesättigte Polyester, Polyurethan und Methylmethacrylat. Ein wesentlicher Vorteil der Flüssigabdichtung ist, die optische Anpassung durch eine große Farbauswahl und verschiedener Oberflächenvarianten legt sie sich wie eine zweite Haut an die unterschiedlichsten Untergründe, ohne die Funktion einer Abdichtung zu verlieren. Vorteile von Flüssigabdichtungen Flüssigabdichtungen bieten zahlreiche Vorteile gegenüber traditionellen Abdichtungsmethoden: • Flexibilität: Sie passen sich an unregelmäßige Oberflächen und komplexe Geometrien an. • Nahtlosigkeit: Da sie in flüssiger Form aufgetragen werden, entstehen keine Nähte oder Fugen, die potenzielle Schwachstellen darstellen könnten. • Langlebigkeit: Hochwertige Flüssigabdichtungen sind UV-beständig und widerstandsfähig gegen mechanische Belastungen. • Einfache Anwendung: Sie können schnell und unkompliziert aufgetragen werden, was die Bauzeit verkürzt. Anwendungsbereiche Flüssigabdichtungen können in verschiedenen Bereichen von Bestandsbauten eingesetzt werden: • Dächer: Besonders geeignet für Dächer und Dachterrassen, wo herkömmliche Abdichtungen an ihre Grenzen stoßen. • Balkone und Terrassen: Schutz vor eindringendem Wasser und Frostschäden. • Keller und Fundamente: Verhindern das Eindringen von Grundwasser und Feuchtigkeit. • Fassaden: Schutz vor Schlagregen und Feuchtigkeit, insbesondere auch bei historischen Fassaden. 104 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Flüssigabdichtung im Bestand Die Anwendung von Flüssigabdichtung erfordert sorgfältige Vorbereitung und präzises Arbeiten: • Untergrundvorbereitung: Der Untergrund muss sauber, trocken und tragfähig sein. Alte Abdichtungen und lose Teile müssen entfernt werden. Bei stark saugenden Untergründen kann eine Grundierung erforderlich sein, um die Haftung zu verbessern. • Grundierung: Eine geeignete Grundierung verbessert die Haftung der Flüssigabdichtung. Es gibt verschiedene Arten von Grundierungen, die je nach Untergrund und Abdichtungsmaterial ausgewählt werden sollten. • Auftragen der Abdichtung: Die Flüssigabdichtung wird in mehreren Schichten aufgetragen, um eine gleichmäßige und dichte Abdichtung zu gewährleisten. Hierbei können verschiedene Techniken wie Rollen, Streichen oder Sprühen zum Einsatz kommen. Die Schichtdicke sollte den Regelwerken bzw. den Herstellerangaben entsprechen, um die gewünschte Schutzwirkung zu erzielen. • Verstärkungseinlagen: In die Flüssigabdichtung wird eine Verstärkungseinlagen aus Polyester eingebettet, um die mechanische Festigkeit zu erhöhen. • Trocknungszeit: Die Abdichtung muss ausreichend trocknen, bevor die nächste aufgetragen wird. Die Trocknungszeit kann je nach Material und Umgebungsbedingungen variieren. • Anschlussarbeiten: Nach vollständiger Trocknung können weitere Schutzschichten oder Beläge aufgebracht werden. Bei begehbaren Flächen wie Balkonen oder Terrassen kann eine rutschfeste Beschichtung aufgetragen werden. Fazit Flüssigabdichtungen bieten eine moderne und effektive Lösung für die Abdichtung von Bestandsbauten. Ihre Flexibilität und Langlebigkeit machen sie zu einer idealen Wahl für die Sanierung und den Erhalt von Gebäuden. Mit der richtigen Anwendung können sie dazu beitragen, die Lebensdauer von Bestandsbauten erheblich zu verlängern und deren Wert zu erhalten. Fallbeispiele Projektbeschreibung: Ein Turm sowie Plattformen und Laufwege einer denkmalgeschützten Burg, die in den Jahren 1793 und 1801 erbaut wurde, sollte nach einen umfangreichen Restaurierungsarbeiten abgedichtet werden und für Besucherinnen und Besucher nutzbar sein. Traditionelle Abdichtungsmethoden waren aufgrund der unregelmäßigen Oberflächen und der Notwendigkeit, das historische Erscheinungsbild zu bewahren, nicht geeignet. Lösung: Es wurde eine Flüssigabdichtung auf Polyurethanbasis verwendet. Nach gründlicher Reinigung und Vorbereitung der Oberflächen wurde die Abdichtung in mehreren Schichten aufgetragen. Nutzschichten wurden in besonders belasteten Bereichen aufgearbeitet und optisch angepasst. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 105 Flüssigabdichtung im Bestand Projektbeschreibung: Starke Abnutzung, Witterung und die umliegende Natur haben im Laufe der Jahre einem Denkmal und dem dazugehörigen Vorplatz deutliche Spuren hinterlassen. Im Rahmen der Sanierung wurde das Fundament abgedichtet und später mit einem Nutzbelag versehen. Lösung: Die Fläche wurde vorbereitet und zunächst mit einer Epoxidharz-Grundierung vorbehandelt. Die Abdichtung der Grundierten Fläche erfolgte mittels einer Polyurethan Abdichtung mit Polyester Vlies ausgeführt. Die Flüssigabdichtung wurde auf Grund der komplexen Untergrundgeometrien ausgewählt. Projektbeschreibung: Das 1669 eingeweihte Gotteshaus gilt als die bedeutendste Barockkirche in Norddeutschland. Der Originalbau brannte 1750 (Blitzschlag) nieder, der Nachfolgebau 1906 aufgrund von Lötarbeiten am Dach. Danach bauten die Hamburger ihren Michel zum dritten Mal wieder auf. Zwar behielten sie die bekannte äußere Form bei, ersetzten allerdings die Holzkonstruktion durch eine aus Stahl und Beton. Ummantelt wurde das Gotteshaus mit roten Backsteinen, die seine charakteristische Gestalt prägen. Aufgrund der runden Formen sowie der vielen Anschlüsse fiel die Materialentscheidung zugunsten einer flüssig zu verarbeitenden Abdichtung aus. Selbst auf engstem Raum und unterschiedlichen Untergründen ist sie Langzeitsicher voll funktionsfähig. Flüssigabdichtungen werde zudem kalt und ohne offene Flamme verarbeitet. Es besteht keine Brandgefahr. Lösung: Vorbereitend wurde zunächst der alte Asphaltuntergrund gefräst, Als Haftvermittler wurde eine geeignete Grundierung eingesetzt und dann mittels einer Flüssigabdichtung mit Polyester Vlies abgedichtet. Als dauerhafte Nutzschicht wurde eine abgesandete Polyurethanharz Dickbeschichtung aufgebracht. 106 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Flüssigabdichtung im Bestand Projektbeschreibung: Der Brunnen ist aus Naturstein hergestellt. Das flüssig zu verarbeitende Material war für das kleine Becken ideal, da sich die Abdichtung der runden Form anpasst und einen vollflächigen Haftverbund mit dem Untergrund eingeht. Lösung: Die Fläche wurde vorbereitet und zunächst mit einer Epoxidharz-Grundierung vorbehandelt. Die Abdichtung der Grundierten Fläche erfolgte mittels einer farblich an den Naturstein angepassten Polyurethan Abdichtung mit Vlies. Die Flüssigabdichtung wurde auf komplexen Untergrundgeometrien aufgearbeitet. Projektbeschreibung: Durchfeuchtungsschäden in den unter Terrassen liegenden Nutzräumen durch eine alte, schadhafte Abdichtung hatten eine Erneuerung der Abdichtung notwendig gemacht Lösung: Zunächst wurde die alte Abdichtung komplett abgestoßen. Der darunterliegende Untergrund bestand überwiegend aus altem Beton oder gemauerten Gewölbe. Er wurde auf ein Niveau überbetoniert und grundiert. Anschließend wurde die Abdichtung aufgebracht. Dazu wurde das Material vorgelegt, das Vlies eingebettet und noch einmal mit dem Flüssigkunststoff durchtränkt. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 107 Flüssigabdichtung im Bestand 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 109 Künftige Herausforderungen bei Dachabdichtungen für Flachdächer im Bestand Lösungsansätze und gesetzliche Anforderungen an Dachabdichtungen bei Photovoltaikfolien und Dachbegrünungen Marc Niewöhner Triflex GmbH & Co. KG, Minden Zusammenfassung Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute beim 9. Kolloquium: Erhaltung von Bauwerken begrüßen zu dürfen und gemeinsam mit Ihnen ein Thema zu beleuchten, das immer wichtiger wird: die Potenziale und vielfältigen Möglichkeiten von Dachflächen in urbanen Räumen. Gerade in einer Welt, in der Prognosen davon ausgehen, dass bis 2050 rund 70 % der Weltbevölkerung in Städten leben wird, müssen wir Dachflächen neu denken und bewerten. In verdichteten urbanen Räumen wird es unverzichtbar sein, das Potenzial unserer Dächer besser auszuschöpfen und auf nachhaltige Materialien und Verfahren zu setzen, die den steigenden Anforderungen gerecht werden. 1. Einführung Das Dach als Ressource im urbanen Raum Städte stehen vor großen Herausforderungen. Durch eine zunehmende Bevölkerungsdichte und das Ziel, dass Menschen in sogenannten „15-Minuten-Städten“ leben können - also alles Notwendige innerhalb einer Viertelstunde erreichbar haben - entsteht ein gesteigerter Druck auf die Nutzung urbaner Flächen. Dachflächen, die lange vernachlässigt wurden, kommen dabei in den Fokus als mögliche Orte für Begrünung, Erholung, Energiegewinnung und Wasserbewirtschaftung. Im Wandel hin zur klimaangepassten Stadtplanung wird das Dach daher zunehmend als Ressource verstanden. Ein essenzieller Teil der Zukunftsplanung muss daher die Frage sein, wie wir diese Flächen qualitätvoll nutzen können. Um künftigen Generationen die Möglichkeit zu bieten, in Städten zu leben, die lebenswert und klimatisch angenehm sind, müssen wir an eine sorgfältige und nachhaltige Dachgestaltung denken. Ein anschauliches Beispiel für die Nutzung von Dachflächen als Ressource bietet die Stadt Paris, die umfangreiche Programme zur Begrünung von Dächern eingeführt hat. Dort entstehen urbane Gärten, die nicht nur zur Verbesserung des Mikroklimas beitragen, sondern auch als soziale Treffpunkte dienen. Ähnliche Projekte finden sich in asiatischen Megastädten wie Singapur, wo begrünte Dächer und Fassaden integraler Bestandteil der Stadtplanung sind. 2. Hauptkapitel 2.1 Nachhaltige Baustoffe und Prozessketten Eines der dringendsten Themen der Baubranche ist der Umgang mit Ressourcen. Aktuell basiert vieles im Bauwesen noch auf fossilen Materialien, deren Produktion und Verarbeitung hohe CO₂-Emissionen verursachen. Um diese Emissionen zu senken, rückt der Einsatz biobasierter Materialien in den Vordergrund. Der Blick auf nachhaltige Materialien umfasst jedoch nicht nur deren Rohstoffquelle, sondern auch die gesamte Prozesskette, also von der Produktion bis zur Installation und den langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt. Kritische Prozessketten, die bislang notwendig waren, weil die Technik uns keine Alternativen bot, stehen heute zur Diskussion. Der Wunschweg führt zu unkritischen Prozessketten. Ziel ist es, bei Dachabdichtungen wie bei anderen Bauprodukten möglichst emissionsarm und materialschonend zu arbeiten. Damit wird das Dach ein zentraler Baustein im Streben nach Ressourcenschonung, Klimaschutz und Langlebigkeit 2.2 Kühlere Städte durch Gründächer und Begrünung Eine Möglichkeit, den Hitzeproblemen in Städten zu begegnen, sind extensive und intensive Gründächer. Begrünte Dächer können sensible Wärme in latente Wärme umwandeln, was zur Abkühlung der städtischen Lufttemperaturen beiträgt. Pflanzen auf Dächern helfen, die Wärmeaufnahme von Gebäuden zu reduzieren und den gefürchteten urbanen Hitzeinsel-Effekt zu mildern. n einigen Städten sind bereits Folgen hoher sommerlicher Temperaturen spürbar, die vor allem ältere Menschen gefährden. In bestimmten Stadtvierteln kann die Hitze so 110 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Künftige Herausforderungen bei Dachabdichtungen für Flachdächer im Bestand stark ansteigen, dass sogar eine höhere Todesrate unter älteren Menschen zu verzeichnen ist. Doch „Städte sind für Menschen da“, wie der Geschäftsführer und Inhaber Dr. Henrik Follmann sagte, und wir müssen sie so gestalten, dass sie auch für kommende Generationen lebenswert bleiben. Gründächer bieten hier eine effektive Lösung, allerdings gibt es spezifische Anforderungen an die verwendeten Materialien. Besonders wichtig ist die Wurzelbeständigkeit der Dachabdichtungen, die durch eine Zertifizierung, wie sie das FLL-Verfahren zur Wurzelfestigkeit bietet, nachgewiesen wird. Um sicherzustellen, dass eine Abdichtung dauerhaft schützt, sollte die Rezeptur des Materials langfristig beständig bleiben. Auswaschungen der Abdichtungen sind kritisch, da sie die Umwelt belasten könnten und die Wurzelbeständigkeit beeinträchtigen und sollten daher vermieden werden. Das Ziel für die Zukunft ist daher klar: Abdichtungsmaterialien nutzen, die sich nicht auswaschen und keine schädlichen Substanzen in die Umwelt abgeben, um den Gewässerschutz zu sichern. 2.3 Das Umkehrdach als wiederverwendbares System Ein vielversprechendes Konzept im Dachbau ist das Umkehrdach. Bei diesem wird die Dachabdichtung unter die Dämmebene verlegt, was den Vorteil bietet, dass alle anderen Schichten in der Regel wiederverwendet oder einfacher zurückgebaut werden können. Diese Bauweise ist nicht nur im Sinne der Kreislaufwirtschaft, die auf Wiederverwendung und Ressourcenschonung setzt, sondern bei dieser Bauweise verdoppelt sich die Lebensdauer der Dachabdichtung. Der Kreislaufwirtschaftsgedanke ist heute in vielen Ländern gesetzlich verankert und fordert eine klare Kette von Maßnahmen zur Wiederverwendung und dem nachhaltigen Einsatz von Materialien. Das Umkehrdach ist ein gutes Beispiel, wie diese Anforderungen erfüllt werden können. Wichtig ist dabei die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit: Die verwendeten Materialien sollten langlebig und gut recycelbar sein, um den Investitionswert langfristig zu sichern. 2.4 Energieeffiziente Dachgestaltung und PV-Nutzung Ein weiterer Aspekt ist der sommerliche Wärmeschutz durch helle, reflektierende Dachoberflächen. Weiße Dächer beispielsweise reflektieren das Sonnenlicht und reduzieren so die Wärmeanlagerung des Gebäudes. Dies führt zu einer geringeren Auf heizung des Gebäudes, was besonders in urbanen Gebieten zu einer kühleren Stadt Darüber hinaus profitieren auch Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen) von einer kühleren Dachoberfläche, da die Energieausbeute optimal ist, wenn die Temperaturen etwa bei 25 Grad Celsius liegen. Der Einsatz von Flüssigkunststoff als Dachabdichtung reduziert dabei die Wärmeanlagerung auf dem Dach um rund 50 % im Vergleich zur klassischen Bitumenbahn. Dies zeigt, dass moderne Abdichtungstechnologien einen wesentlichen Beitrag zur Energieeinsparung und damit zur Nachhaltigkeit leisten können. 2.5 Sicherheitsaspekte und Brandschutz im Dachbau Mit der steigenden Anzahl von PV-Anlagen auf Dächern kommen jedoch auch neue Herausforderungen im Bereich des Brandschutzes auf uns zu. Hierbei gibt es verschiedene Risikokategorien: Je Kategorie bedarf es einem Brandschutzkonzept. Insbesondere bei PV-Anlagen kann die Brandklasse B hilfreich sein, da diese schwer entflammbar ist und somit die Brandsicherheit deutlich erhöht. Eine gute Brandschutzstrategie umfasst jedoch nicht nur die Wahl geeigneter Materialien. Auch die Planung und Installation spielen eine entscheidende Rolle. Es ist wichtig, dass elektrische Komponenten ordnungsgemäß installiert und regelmäßig gewartet werden, um potenzielle Brandrisiken zu minimieren. Darüber hinaus sollten Notfälle durch klare Zugänglichkeiten und Brandschutzkonzepte abgesichert werden, sodass Rettungskräfte im Ernstfall schnell und sicher reagieren können. 2.6 Flüssigkunststoff als vielseitige Lösung für Abdichtungen Flüssigkunststoff hat sich als Abdichtungsmaterial auf Dächern bewährt und bietet einige Vorteile, die ihn zu einer nachhaltigen und langlebigen Lösung machen. Er wird wie eine zweite Haut auf das Dach aufgetragen und ist als vollwertige Abdichtungslösung in Normen wie den Abdichtungsnormen 18531 bis 18535 und der europäischen ETA-Zulassung zu finden. Dabei ist Flüssigkunststoff in seiner Wirkung und Funktion ein hochwertiges und bewährtes Detail + Flächenabdichtung. Ein wesentlicher Vorteil von Flüssigkunststoff ist seine hohe Haltbarkeit und Beständigkeit gegenüber äußeren Einflüssen. Da dieser Wertstoff nicht mehr in Gebinden angeliefert werden muss, sondern in Großcontainern, kann die Materialausbeute bei größerer Fläche optimiert und so der Materialverbrauch minimiert werden. Moderne Maschinen tragen ebenfalls dazu bei, dass die Materialeffizienz erhöht wird, was wiederum im Einklang mit den Zielen der Nachhaltigkeit steht. Zusätzlich ermöglicht die flüssige Anwendung eine nahtlose Abdichtung, die auch komplexe Dachformen sicher schützt. Flüssigkunststoff bietet zudem hervorragende Reparaturmöglichkeiten. Im Falle von Beschädigungen kann das Material punktuell aufgetragen werden, um undichte Stellen schnell und effizient zu beheben. Dies macht es zu einer kosteneffektiven Lösung für langfristige Nutzung und Instandhaltung. 2.7 Lebensdauer und Zukunftssicherheit von Dächern Ein hochwertiges Dach zeichnet sich vor allem durch eine lange Lebensdauer aus. Nur ein Dach, das langlebig und widerstandsfähig ist, kann wirklich nachhaltig sein. Hierbei spielen die Qualität der verwendeten Materialien und die sorgfältige Ausführung eine zentrale Rolle. Die soge- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 111 Künftige Herausforderungen bei Dachabdichtungen für Flachdächer im Bestand nannte „Regenerationslage“ ist dabei von Bedeutung, obwohl sie bislang nicht normativ geregelt ist. Sie erhöht die Lebensdauer einer Dachabdichtung erheblich und schützt die Investition. Die Instandhaltung und Sanierung von Dächern ist ebenfalls ein zentrales Thema. Wirtschaftliche Aspekte sind hierbei entscheidend, denn die Investition in ein Dach muss langfristig gerechtfertigt sein. Um eine dauerhafte Nutzung zu ermöglichen, müssen bestehende Abdichtungssysteme regelmäßig überprüft und bei Bedarf modernisiert werden. Es gibt klare Kategorien zur Bewertung des Zustandes von Dachflächen. Regelmäßige Überprüfungen des Dachauf baus auf Restfeuchte und die Funktionalität der mechanischen Fixierungen in den Randbereichen gehören hier zum Standard. Ein weiterer Aspekt, der in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, ist die Nutzung von Dächern als multifunktionale Flächen. Gründächer, Solaranlagen oder sogar urbane Landwirtschaft können dazu beitragen, die Funktionalität von Dächern erheblich zu erweitern. Diese Entwicklungen müssen jedoch mit einer umfassenden Planung und einer zukunftssicheren Bauweise einhergehen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. 3. Zusammenfassung: Dächer als Ressource für nachhaltige Städte Die zunehmende Urbanisierung stellt Städte weltweit vor enorme Herausforderungen und erfordert innovative Lösungen, um sie nachhaltig und lebenswert zu gestalten. Prognosen zufolge werden bis 2050 etwa 70 % der Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben, was einen erheblichen Einfluss auf Infrastruktur, Umwelt und Lebensqualität hat. In diesem Kontext gewinnen Dachflächen eine zunehmend zentrale Bedeutung, da sie vielfältige Potenziale bieten: Sie können begrünt, zur Energiegewinnung genutzt oder für Regenwassermanagement und Erholungszwecke gestaltet werden. Begrünte Dächer leisten dabei einen wichtigen Beitrag, indem sie die städtische Überhitzung reduzieren, die Wärmedämmung von Gebäuden verbessern und aktiv zum Klimaschutz beitragen. Erfolgreiche Beispiele aus Städten wie Paris, wo grüne Dächer zur Biodiversität beitragen, oder Singapur, das auf urbanes Gärtnern setzt, unterstreichen den Nutzen solcher Ansätze. Anwendungen wie das Umkehrdach tragen erheblich zur Verbesserung der Energieeffizienz bei und fördern die Kreislaufwirtschaft durch Wiederverwertbarkeit. Flüssigkunststoff hat sich als besonders widerstandsfähig und flexibel erwiesen, insbesondere bei der Abdichtung komplexer Dachstrukturen. Multifunktionale Dachflächen, beispielsweise in Form von Gründächern, Solaranlagen oder urbaner Landwirtschaft, bieten zahlreiche Vorteile, erfordern jedoch eine durchdachte und vorausschauende Planung, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Mit einer sorgfältigen Integration dieser Ansätze können Städte nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch lebenswerter und resilienter gegenüber zukünftigen Herausforderungen gestaltet werden. 4. Formularbeginn 4.1 Appell: Dachflächen als Schlüssel für die Zukunft - Handeln wir jetzt! Die Zukunft unserer Städte liegt in der intelligenten Nutzung vorhandener Flächen. Dachflächen sind dabei eine Schlüsselressource, die dringend erschlossen werden muss. 4.2 Mein Appell an Stadtplaner, Architekten, Bauherren und Entscheidungsträger lautet: Fördern Sie Innovationen: Investieren Sie in nachhaltige Materialien, zukunftsfähige Technologien und moderne Abdichtungssysteme, die nicht nur die Lebensdauer von Gebäuden verlängern, sondern auch einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben. Diese Innovationen ermöglichen es, bestehende Infrastrukturen zu optimieren und gleichzeitig Ressourcen zu schonen. Setzen Sie auf Multifunktionalität: Nutzen Sie Dächer nicht nur als Schutzbarrieren, sondern auch als Räume für Begrünung, Energiegewinnung und Wasserbewirtschaftung. Schaffen Sie damit nicht nur zusätzliche Grünflächen, sondern auch wertvolle Lebensräume über unseren Köpfen. Diese multifunktionalen Flächen tragen zur Verbesserung der Luftqualität bei, fördern die Artenvielfalt und liefern gleichzeitig erneuerbare Energiequellen. Denken Sie langfristig: Die Wahl der richtigen Materialien und Technologien sorgt für die Qualität und Langlebigkeit von Gebäuden. Indem Sie auf nachhaltige und hochwertige Produkte setzen, sichern Sie eine dauerhafte, wirtschaftliche Nutzung. Dies reduziert den Ressourcenverbrauch und verringert langfristig den Wartungsaufwand, was sowohl ökologisch als auch ökonomisch von Vorteil ist. Handeln Sie klimasensibel: Gründächer und helle Oberflächen sind einfache, aber effektive Maßnahmen zur Reduzierung von Hitzeinseln in städtischen Gebieten. Sie tragen zur Klimaanpassung bei, indem sie die Temperaturen in städtischen Bereichen senken und gleichzeitig eine kühlende Wirkung haben, die sowohl den Energieverbrauch senkt als auch die Lebensqualität der Stadtbewohner verbessert. Unterstützen Sie die Kreislaufwirtschaft: Fördern Sie den Einsatz von wiederverwendbaren Materialien und innovativen Konzepten wie dem Umkehrdach, um Ressourcen zu schonen und Abfall zu minimieren. Durch den Fokus auf Kreislaufwirtschaft können Materialien effizienter genutzt und die Umweltbelastung durch Bauprojekte reduziert werden. Nutzen wir das enorme Potenzial, das unsere Dächer bieten, und machen sie zu einem zentralen Baustein für eine nachhaltige, klimasensible und lebenswerte Zukunft. Mit visionären Ideen und klugen Investitionen können Dächer nicht nur als technische Elemente betrachtet werden, sondern als integraler Bestandteil eines nachhaltigen Lebensraums. Handeln wir jetzt - für die Menschen, die Städte und die Welt von morgen! 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 113 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis Prof. Dr.-Ing. Alexander Schumann CARBOCON GMBH & IU Internationale Hochschule, Dresden Dr.-Ing. Juliane Wagner CARBOCON GMBH, Dresden Dipl.-Wirt.-Ing. Miriam Melzer CARBOCON GMBH, Dresden Zusammenfassung Die Sanierung und Verstärkung bestehender Bauwerke mit Carbonbeton eröffnet neue Möglichkeiten zur Ressourcenschonung und Lebensdauerverlängerung im Bauwesen. Anhand von Praxisprojekten, wie der Sanierung des denkmalgeschützten Amtsschlachthofs in Dresden und der Verstärkung von Stahlbetonrippendecken mit Hohlziegel-Füllkörpern im Deutschen Optischen Museum in Jena, werden die technischen Möglichkeiten und die Potentiale des CARBOrefit ® - Verfahrens zum Verstärken mit Carbonbeton veranschaulicht. Von der Ertüchtigung denkmalgeschützter Bauwerke über die Verstärkung von Brücken bis hin zur Instandsetzung wasserführender Bauwerken lassen sich bereits heute die Vorteile des Carbonbetons in die Anwendung bringen. Die spezifischen Eigenschaften des Carbonbetons machen den innovativen Baustoff dabei zu einer effektiven Alternative für anspruchsvolle Bauaufgaben. 1. Einführung Der Bausektor steht vor grundlegenden Herausforderungen, die sich aus den Anforderungen an Klimaneutralität, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft ergeben. Mit einem Anteil von etwa 40 % an den globalen CO₂- Emissionen und über 50 % des weltweiten Ressourcenverbrauchs nimmt die Bauwirtschaft eine Schlüsselrolle im globalen Bestreben zur Reduktion von Umweltauswirkungen ein [1]. Besonders der Abriss und Neubau von Bauwerken stellen durch den hohen Energie- und Ressourcenbedarf einen bedeutenden Verursacher von Umweltschäden dar. Vor diesem Hintergrund wird der Erhalt und die Sanierung bestehender Bauwerke zunehmend als nachhaltige Alternative angesehen. Die Verlängerung der Nutzungsdauer vorhandener Gebäude reduziert nicht nur den Bedarf an Neubauten, sondern vermeidet auch die Entstehung von Bauabfällen und den Einsatz neuer Rohstoffe. In der Praxis gewinnen dabei innovative Technologien zur Verstärkung von Bauwerken immer mehr an Bedeutung, insbesondere der Einsatz von Carbonbeton [2], [3]. Carbonbeton ist ein Verbundwerkstoff aus einem Beton und einer nichtmetallischen Carbonbewehrung. Die Korrosionsbeständigkeit der Carbonbewehrung erlaubt eine signifikante Reduktion der Betondeckung, wodurch die Materialeffizienz und Langlebigkeit des Werkstoffs erhöht werden und sich im Vergleich zum konventionellen Stahlbeton Material- und Emissions-einsparungen realisieren lassen [2]. Die Entwicklung und Einführung bauaufsichtlicher Zulassungen und Bauartgenehmigungen, wie für das CARBOrefit ® -Verfahren [4], hat die Anwendung dieser Technologie im Bauwesen erheblich erleichtert. Die wachsende Zahl erfolgreich realisierter Projekte verdeutlicht, wie Carbonbeton sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Vorteile, insbesondere beim Bauen im Bestand, bietet. 2. Bauwerkserhalt mit Carbonbeton Die Instandsetzung und Verstärkung bestehender Bauwerke spielt eine zentrale Rolle bei der Reduktion von Ressourcenverbrauch und CO₂-Emissionen. Insbesondere bei der Sanierung von Betonbauwerken hat sich Carbonbeton als nachhaltige und leistungsfähige Lösung etabliert, um die Tragfähigkeit zu erhöhen und die Lebensdauer zu verlängern [2]. Im Folgenden werden die wesentlichen Aspekte, die in der Vergangenheit auf Basis einer Vielzahl von Praxisanwendungen immer wieder nachgefragt wurden, von den Materialien, über die Planung und Ausführung bis hin zum Abbruch und Recycling von Carbonbetonverstärkungen dargestellt. 2.1 Materialien und Verfügbarkeit Der für das CARBOrefit ® -Verfahren eingesetzte Carbonbeton besteht aus einem hochfesten (aber auf den Bestand angepassten) Feinbeton und einer Bewehrung aus Carbonfasern. Die Carbonbewehrung zeichnet sich durch eine hohe Korrosionsbeständigkeit, Leistungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit aus. Dadurch entfällt die Notwendigkeit einer dicken Betondeckung zum Schutz der Bewehrung, was zu erheblichen Materialeinsparungen führt. So werden bei der Verstärkung mit Carbonbeton Betondeckungen von lediglich 3 - 5 mm zur Übertragung der Verbundkräfte benötigt. Für Verstärkungsprojekte, welche entsprechend der allgemeinen bauaufsichtlichen Zu- 114 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis lassung / allgemeinen Bauartgenehmigung Z-31.10-182 [4] geplant werden, sind in der Zulassung entsprechende Materialkombinationen definiert. Hierbei lassen sich die Carbongitterbewehrungen auf das jeweilige Projekt individuell anpassen. Variationen können dabei hinsichtlich Gittertyp sowie Gittergeometrie vorgenommen werden: Gittertypen: • CARBOrefit ® -Typ 1: Dieser Gittertyp zeichnet sich durch eine weichere Tränkung aus, was eine erhöhte Flexibilität ermöglicht. Dadurch eignet sich der Typ 1 besonders für die Verstärkung gekrümmter Bauteile. Allerdings besitzt dieser Typ im Vergleich zu Typ 3 geringere Bemessungswerte, weshalb er vor allem bei moderaten Tragfähigkeitsdefiziten eingesetzt wird [4,5]. • CARBOrefit ® -Typ 3: Typ 3-Gitter verfügen über eine modifizierte Tränkung und dadurch höhere Bemessungswerte, wodurch eine einzelne Verstärkungsschicht dieses Typs deutlich höhere Kräfte aufnehmen kann. Dies führt zu einer Materialeinsparung und einer höheren Wirtschaftlichkeit bei größeren statischen Defiziten. Allerdings ist der Typ 3 aufgrund seiner geringeren Flexibilität weniger für stark gekrümmte Bauteile geeignet [4,5]. Gittergeometrien: • Regelausführung: Diese Gittervariante verwendet in Kettrichtung (Haupttragrichtung) Carbon-faserstränge mit 48k bzw. 50k und in Schussrichtung mit 12k. Sie eignet sich besonders für hohe Verstärkungsgrade [4,5]. • Sonderausführung: Bei dieser Variante können in Schussrichtung 12k bis 50k Faserstränge verwendet werden und die Abstände der Faserstränge in Kettrichtung kann variiert werden, wodurch die Querschnittsfläche gezielt an die statischen Anforderungen angepasst werden kann. Diese Flexibilität ermöglicht eine wirtschaftlichere Gestaltung der Verstärkungsmaßnahme [4,5]. Aufgrund einer fortschreitenden Etablierung am Markt ist eine kosteneffektive Verfügbarkeit der Materialien gewährleistet. Diese können direkt bei den jeweiligen Materialherstellern bezogen werden. Die Carbongitter sind sowohl als Matten als auch in Rollenware erhältlich. Rollenware bietet den Vorteil, Übergreifungsstöße in Kettrichtung zu vermeiden und Transportkosten zu sparen. Die genauen Abmessungen und Transportmaße sind projektspezifisch mit den Herstellern abzustimmen [5]. 2.2 Planung und Bemessung Das CARBOrefit ® -Verfahren sollte frühzeitig in die Planung von bauwerkserhaltenden Maßnahmen integriert werden. Es bietet Planenden die Möglichkeit, bereits in der Entwurfsphase Randbedingungen abzustecken und Lösungen wirtschaftlich und nachhaltig zu entwickeln. Das Verfahren basiert auf der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung / allgemeinen Bauartgenehmigung Z-31.10-182 [4]. Die in der Bemessung zu erbringenden Nachweise für Carbonbetonverstärkungen basieren auf den bekannten Prinzipien der Tragwerksplanung (Eurocode). Notwendige Nachweise umfassen dabei: • Biegetragfähigkeit, • Querkrafttragfähigkeit (ohne Ansatz der Carbonbetonschicht), • Verbundfuge zwischen Alt- und Carbonbeton, • Versatzbruch und Endverankerung, • Gebrauchstauglichkeitsnachweise, • Feuerwiderstandsdauer (unter Berücksichtigung des aufgebrachten Feinbetons). Die Berechnungsmethoden orientieren sich an den Verfahren des Stahlbetonbaus. An dieser Stelle wird auf die genaue Beschreibung verzichtet und für nähere Ausführungen auf [5, 6] verwiesen. Heutzutage können Planende auch auf Bemessungsprogramme zurückgreifen. Mit dem FRILO-Modul „Stahlbetonbemessung B2“ können Planende die Berechnung von Carbonbetonverstärkungen durchführen. Nachfolgend wird auf den Nachweis der Verstärkungsmaßnahme im Brandfall explizit eingegangen, da dies in der Praxis häufig nachgefragt wird. Nachweis der Biegetragfähigkeit im Brandfall Nach der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ/ aBG) [4] dürfen die Verstärkungsschichten aus Carbonbeton im Brandfall aktuell noch nicht statisch angesetzt werden. Dies bedeutet, dass die positive Wirkung der Carbonfasern im Brandfall zum aktuellen Zeitpunkt nicht mit angesetzt werden darf, auch wenn dies in der Forschung schon nachgewiesen werden konnte [7]. Dementsprechend muss die Tragfähigkeit des Bauteils unter Brandeinwirkung allein durch die Bestandskonstruktion nachgewiesen werden. Diese Anforderung erfordert eine Heißbemessung, die sich an den Regelwerken des Stahlbetonbaus entsprechend der DIN EN 1992-1-2 [8] orientiert. Der CARBOrefit ® -Feinbeton gehört gemäß DIN EN 1504- 3 [9] zur Klasse R4 der Instandsetzungsmörtel, die durch hohe mechanische Eigenschaften gekennzeichnet sind und hochfesten Betonen ähneln. Bauaufsichtlich geregelte Schichtdicken bis 25 mm haben sich in Untersuchungen als widerstandsfähig gegen Abplatzungen erwiesen, was auf das sehr feine Rissbild des Feinbetons zurückzuführen ist. Zusätzlich wirkt die Verstärkungsschicht durch ihre Betondeckung temperaturdämpfend auf den Bestandsstahl. Der Feinbeton ist der Baustoffklasse A1 (nicht brennbar) zugeordnet [10], während eine allgemeine Einordnung des Verbundwerkstoffs Carbonbeton noch aussteht. Die Heißbemessung erfolgt analog zur Nachweisführung im Stahlbetonbau. In der Praxis bedeutet dies, dass der Nachweis für den Brandfall komplett durch die Bestandskonstruktion nachgewiesen werden muss. Dadurch, dass im Brandfall geringere Bemessungslasten aufgrund des außergewöhnlichen Lastfalls anzusetzen sind und die zusätzliche Betonschicht der Carbonbetonverstärkung den Bestandsstahl schützt, 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 115 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis kann in den meisten Fällen der Nachweis rechnerisch erbracht werden. Einzig bei sehr hohen Brandanforderungen müssen ggfs. Kompensationsmaßnahmen erfolgen. 2.3 Ausführung Die Ausführung von Carbonbetonverstärkungen erfolgt in der Regel durch das Auf bringen einer dünnen Carbonbetonschicht im Handlaminier- oder Spritzverfahren. Je nach Anforderung können ein oder mehrere Lagen Carbonbewehrung eingebettet werden, wodurch eine flexible Anpassung an die statischen Erfordernisse möglich ist. Dank der geringen Schichtdicken von nur wenigen Millimetern kann die Verstärkung ohne große Eingriffe in die bestehende Bauwerksstruktur durchgeführt werden. Die ausführenden Unternehmen profitieren vom geringen Gewicht der eingesetzten Materialien, welche kleinere Kolonnengrößen sowie ein deutlich vereinfachtes Arbeiten über Kopf ermöglichen [2, 4, 5, 6]. Eine wichtige Voraussetzung für die fachgerechte Ausführung ist die Qualifikation der ausführenden Unternehmen, die nach den Anforderungen des Deutschen Institutes für Bautechnik (DIBt) zertifiziert sein müssen. Dies ist in den „Grundsätzen für den Eignungsnachweis zur Ausführung von Arbeiten zur Verstärkung von Betonbauteilen mit Carbonbeton nach den gültigen allgemeinen Bauartgenehmigungen“ gelistet. Durch eine strenge Überwachung der Bauausführung kann eine gleichbleibende Qualität und Langlebigkeit der Verstärkungsmaßnahmen sichergestellt werden. Die ausführenden Firmen erhalten nach erfolgreicher Prüfung durch die Gütegemeinschaft im Bauwesen e.V. (GÜB) einen Eignungsnachweis [11], welcher Sie befähigt, und berechtigt Verstärkungsarbeiten entsprechend der Zulassung auszuführen. Mittlerweile hat sich ein deutschlandweites Netzwerk aus zahlreichen ausführenden Firmen etabliert, die als lokale Partner Projekte fachgerecht ausführen können [5]: Abb. 1: Standorte von ausführenden Firmen mit gültigem CARBOrefit®-Eignungsnachweis (CARBOCON GMBH). 2.4 Abbruch und Recycling Aufgrund der hohen Lebensdauer von Carbonbeton-Verstärkungsschichten - mit Nutzungszeiten von über 100 Jahren - fallen aktuell kaum Abbruchmengen an [12]. Dennoch ist es essenziell im Kontext der Kreislauffähigkeit und Nachhaltigkeit bereits heute Konzepte und Verfahren für ein effektives Abbrechen und Recyclen von Bauprodukten zu gewährleisten. Ähnlich wie beim Stahlbeton werden auch beim Abbruch und Recycling von Carbonbeton zunächst Fremdstoffe entfernt und das Material anschließend mechanisch zerkleinert. Die Trennung der Betonmatrix von der Carbonbewehrung erfolgt mithilfe alternativer Sortiertechnologien, wie beispielsweise kamera-basierten Verfahren. Damit lassen sich bis zu 98 % der Carbonbewehrung aus dem Abbruchmaterial zurückgewinnen. Die recycelte Betonfraktion wird, analog zum Stahlbeton, entweder als Zuschlagstoff für Frischbeton genutzt oder im Straßen- und Wegebau eingesetzt. Die aus dem Recyclingprozess gewonnenen Kohlenstofffasern können zur Herstellung neuer Produkte verwendet werden, wodurch wertvolle Primärressourcen geschont werden. Alternativ ist auch eine thermische Verwertung möglich, insbesondere bei kleineren Materialmengen. Im Rahmen des Forschungsprojektes „WIR! recyceln Fasern“ werden zu dem weitergehende Strategien erarbeitet, um die Wertschöpfungskette für Carbonbeton zu schließen und die Nutzung recycelter Materialien weiter voranzutreiben [12]. Beim Einsatz von Carbonbeton ist dabei stets gewährleistet, dass keine gesundheitsschädigenden Faserstäube freigesetzt werden. Dies beschreibt die RAL-RG 351 „Verhinderung von Gefährdungen durch biobeständige, lungengängige Faserstäube bei der Carbonbetonbauweise“ des Deutschen Instituts für Gütesicherung und Kennzeichnung (RAL), welche zeigt, dass für den Einsatz von matten- und stabförmigen Carbonbewehrungen im Betonbau ausschließlich Kohlenstofffasertypen zugelassen sind, die aufgrund ihrer Fasermorphologie oder ihres Bruchverhaltens keine gesundheitlich relevanten Faserstäube freisetzen [12, 13]. Daher sind sowohl bei der Produktion und Ausführung als auch beim Abbruch und Recycling keine über das übliche Maß hinausgehenden Arbeitsschutzmaßnahmen erforderlich. 3. Aktuelle Einblicke in die Praxis In den letzten Jahren hat sich die Carbonbeton-Technologie in der Baupraxis etabliert und wird in einer Vielzahl von Projekten erfolgreich umgesetzt. Der Einsatz reicht dabei von standardisierten, effizienten Anwendungen bis hin zu anspruchsvollen Sonderlösungen im Hochbau, Ingenieurbau und Infrastrukturbereich. Dies ermöglicht es, sowohl die Kosten zu optimieren als auch die Lebensdauer bestehender Bauwerke erheblich zu verlängern. Die folgenden Praxisbeispiele illustrieren das breite Anwendungsspektrum und die Flexibilität dieser Technologie. 116 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis 3.1 Effiziente Umsetzung nach Zulassung - Verstärken von Deckenfeldern aus Stahlbeton Für das Verstärken von Stahlbeton mit Carbonbeton liegt mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung / allgemeinen Bauartgenehmigung Z-31.10-182 [4] eine bauregulatorische Grundlage vor, auf dessen Basis Projekte besonders effizient umgesetzt werden können. Ein Beispiel hierfür ist die Sanierung der Deckenfelder des historischen Amtsschlachthofes in Dresden. Der 1901 errichtete Amtsschlachthof, ehemals einer der größten und modernsten Schlachthöfe Europas, ist Bestandteil eines umfassenden Denkmalschutz-ensembles mit 68 Gebäuden auf einer Fläche von 36 Hektar. Nach der Stilllegung im Jahr 1994 führten jahrzehntelanger Leerstand und äußere Einwirkungen zu erheblichen baulichen Schäden, insbesondere an den Tragstrukturen. Ziel der Sanierungsmaßnahme war es, die Tragfähigkeit der Decken unter wirtschaftlichen Aspekten sicherzustellen, um die Gebäude einer nachhaltigen Nachnutzung als Innovationscampus zuzuführen. Abb. 2: Der Amtsschlachthof in Dresden vor der Sanierung (CARBOCON GMBH). Ein zentraler Bestandteil des Projektes ist die statische Verstärkung der bestehenden Stahlbetondecken in den Gebäuden 2 bis 4. Untersuchungen an den 8 bis 12 cm starken Bestandsdecken mit Spannweiten von bis zu 4,20 m zeigten eine Druckfestigkeitsklasse C20/ 25. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wurde zunächst untersucht, ob die Anwendung einer Carbonbetonverstärkung als materialeffizientere Alternative zu einer 80 mm starken Spritzbetonschicht möglich ist. Nach positiver Bestätigung der Machbarkeit fiel die Wahl auf die Verwendung einer CARBOrefit ® -Carbonbeton-Verstärkung, die sich durch Korrosionsbeständigkeit und ein geringes Eigengewicht auszeichnet. Hierzu muss erwähnt werden, dass die Wahl auf eine Carbonbetonverstärkung primär durch den wirtschaftlichen Aspekt (im Vergleich zur Spritzbetonlösung konnte immense Mengen Material und Kosten eingespart werden) begründet war. Abb. 3: Deckenfelder des Amtsschlachthofs in Dresden vor der Sanierung (CARBOCON GMBH). Die minimalinvasive Verstärkung mit Carbonbeton führte zu einer deutlichen Reduktion des Materialeinsatzes im Vergleich zu herkömmlichen Methoden, wie etwa der Spritzbetonverstärkung, die Schichtdicken von bis zu 80 mm erfordert hätte. Zum Einsatz kamen ein bis zwei Lagen Typ 3 CARBOrefit ® -Carbonbewehrung und ein Feinbeton gemäß abZ/ aBG Z-31.10-182 [4]. Die 10 - 15 mm dünne Carbonbetonschicht ermöglichte eine Traglaststeigerung von > 50 % ohne eine zusätzliche Verdübelung am Bestand. Durch den Einsatz von Carbonbeton konnten angrenzende Bauteile ohne zusätzliche Maßnahmen durch kaum Zusatzgewicht aus den Decken in das Tragwerk integriert bleiben, was in Summe zu einem besonders materialeffizienten und wirtschaftlichen Ergeb nis führte. Die Ausführung der Verstärkung erfolgte im Frühjahr 2023. Abb. 4: Deckenfelder des Amtsschlachthofs in Dresden nach Verstärkung mit Carbonbeton (CARBOCON GMBH). Die Sanierungsmaßnahme ermöglichte die Wiederherstellung der statischen Leistungsfähigkeit der Decken unter Beibehaltung der architektonischen Substanz. Die dünnen Verstärkungsschichten fügen sich unauffällig in das bestehende Tragwerk ein, wodurch die ursprünglichen Deckengeometrien erhalten blieben. Zudem konnten durch die Verwendung von Carbonbeton signifikante Einsparungen in Bezug auf Materialverbrauch und CO 2 - Emissionen erzielt werden. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 117 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis Das Projekt verdeutlicht, wie durch den Einsatz moderner Baumaterialien und -technologien bestehende Bauwerke erhalten und für neue Nutzungen auf bereitet werden können. Die Anwendung des CARBOrefit ® -Verfahrens, dessen Randbedingungen dem Anwendungsgegenstand der Zulassung entsprachen, ermöglichte eine besonders effiziente Lösung, die sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich herkömmliche Verfahren übertraf. Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung und die Skalierbarkeit des Verfahrens eröffnen neue Perspektiven und gewährleisten eine unkomplizierte, schnelle und kosteneffektive Umsetzung weiterer Projekte. 3.2 Innovative Sonderlösungen - Verstärken historischer Stahlbetonrippendecken mit Hohlziegel- Füllkörpern Die Sanierung und Modernisierung des Deutschen Optischen Museums in Jena stellt ein exemplarisches Projekt zur Anwendung innovativer Verstärkungstechnologien im denkmalgeschützten Baubestand dar. Im Rahmen der Neukonzeption des Gebäudekomplexes war eine Erhöhung der Nutzlasten erforderlich, wodurch Tragfähigkeitsdefizite bei mehreren historischen Stahlbetonrippendecken auftraten. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit und zur Vermeidung umfangreicher Eingriffe in die Bausubstanz wurde erstmals eine Verstärkung mit einer einlagig bewehrten Carbonbetonschicht auf Hohlziegeldecken angewandt. Abb. 5: Deutsches Optisches Museum in Jena (CAR- BOCON GMBH). Das zwischen 1923 und 1924 errichtete Gebäude, ursprünglich als Optikerschule genutzt, ist ein fünfgeschossiger Massivbau mit Ziegelmauerwerkswänden, Stahlbetonstützen und Stahlbetonrippendecken. Die Decken spannen in der Regel als Einbis Dreifeldsysteme über Außen- und Innenwände sowie Stahlbetonunterzüge. Die Spannweiten variieren zwischen 2,60 m und 6,80 m. Die Tragstruktur der Rippendecken besteht aus Hohlziegel- Füllkörpern mit Vollbetonquerschnitten in den Auflagerbereichen. Im Vergleich zu konventionellen Maßnahmen, wie dem vollständigen Austausch der Decken, bietet die Verstärkung mit Carbonbeton erhebliche Vorteile in denkmalpflegerischer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht. Die minimalinvasive Methode ermöglicht die Auf bringung einer ca. 10 - 15 mm dünnen Carbon-betonschicht, ohne das statische Gewicht der Decken zu erhöhen, da der abgetragene Putz kompensierend wirkt. Dadurch konnten zusätzliche Verstärkungen an Fundamenten oder Unterzügen sowie komplizierte Bauzustände vermieden werden. Zur Verstärkung wurde das CARBOrefit ® -Verfahren verwendet, bestehend aus einem einlagigen Carbongitter (CARBOrefit ® -Typ 3) und einem Feinbeton gemäß abZ/ aBG Z-31.10-182 [4]. Die Herstellung der Verstärkung erfolgte in fünf Arbeitsschritten: 1. Öffnen der Hohlziegel und Freilegen der Bewehrung: Vorbereitung der tragenden Bereiche durch Entfernen der oberen Ziegelschicht. 2. Einbau von Hartschaumstoff-Füllkörpern: Stabilisierung der geöffneten Ziegelbereiche mit zugeschnittenem Hartschaumstoff. 3. Reprofilierung der Betonstege: Wiederherstellung der Tragfähigkeit der Rippenelemente mit faserverstärktem PCC-Betonersatz. 4. Ausgleich der Zwischenräume: Verfüllung der Bereiche zwischen den Rippen mit Leichtmörtel zur Schaffung einer ebenen Grundlage. 5. Auftrag des Carbonbetons: Applikation der Carbonbetonschicht auf die vorbereitete Fläche zur Verstärkung der Deckenstruktur. Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Verstärkungsmaßnahme wurden ausgewählte bereits verstärkte Deckenfelder einer experimentellen Belastungsprüfung im Bestand unterzogen. Diese Tests bestätigten die Eignung der Verstärkung zur Kompensation der Tragfähigkeitsdefizite und ermöglichten eine vorhabenbezogene Bauart-genehmigung. Die Belastungsversuche liefern zudem eine Grundlage für den rechnerischen Nachweis zukünftiger Anwendungen. Die Verstärkung der Decken im Deutschen Optischen Museum zeigt die technische Umsetzbarkeit von anspruchsvollen Projekten mit Abweichungen vom Regelungsgegenstand der Zulassung. Neben der Erhaltung der architektonischen Substanz wurde durch die gewichtsneutrale Verstärkung eine ökonomische und nachhaltige Lösung umgesetzt. Das Projekt verdeutlicht die Rolle innovativer Materialien für das Bauen im Bestand. 3.3 Weitere Projekte im Überblick Über die beiden detailliert vorgestellten Projekte hinaus wird das CARBOrefit ® -Verfahren bereits in verschiedenen Anwendungsfeldern genutzt, die von Infrastrukturprojekten bis hin zu Spezialanwendungen im Trinkwasserbereich reichen. Die spezifischen Materialeigenschaften des Carbonbetons, wie Korrosionsbeständigkeit, hohe Tragfähigkeit bei geringer Materialstärke und eine einfache Applikation, ermöglichen eine vielseitige Nutzung bei gleichzeitig reduzierten Eingriffen in die Bestandsstruktur [2, 5, 6]. 118 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis Abb. 6: Belastungsversuche ausgewählter Deckenfelder (CARBOCON GMBH). Verstärkung von Brückenbauwerken: Im Brückenbau kommt das CARBOrefit ® -Verfahren bei der Instandsetzung und Verstärkung bestehender Bauwerke zur Anwendung. Besonders bei Brücken mit Tragfähigkeitsdefiziten oder erhöhten Anforderungen an die Nutzlast bietet das Verfahren eine effektive Möglichkeit, die bestehende Substanz zu erhalten. Projekte wie die Brücke „Kleine Schönbuschallee“ in Aschaffenburg (siehe Abbildung 7) [5, 14], die denkmalgeschützte Eisenbetonbrücke zur Thainburg in Naumburg (Saale) [5, 6, 15], die mehrzügige Autobahnbrücke über die Nidda [5,6,16,17,18] und die historische Bogenbrücke bei Naila [5] verdeutlichen, dass die Verstärkung mit Carbonbeton eine Möglichkeit darstellt, bestehende Bauwerke verschiedenster Größen- und Anforderungskategorien an heutige und zukünftige Belastungen anzupassen. Die Korrosionsbeständigkeit der Carbonbewehrung trägt dabei zur Reduktion langfristiger Instandhaltungskosten bei. Abb. 7: Brücke „Kleine Schönbuschalle“ in Aschaffenburg während der Sanierung mit Carbonbeton (LEON- HARD WEISS GmbH & Co. KG). Denkmalgeschützte Projekte: Im Bereich des Denkmalschutzes wird das CARBOrefit ® -Verfahren aufgrund seiner geringen Eingriffstiefe in die bestehende Bausubstanz eingesetzt. Die minimalinvasive Verstärkung ermöglicht es, Tragfähigkeitsdefizite zu beheben, ohne das Erscheinungsbild oder den historischen Charakter der Bauwerke zu beeinträchtigen. An den Beispielen der Hyparschale in Magdeburg [5, 6, 14, 19, 20] und des Beyer-Baus [2, 5, 6] der Technischen Universität in Dresden zeigt sich, dass das Verfahren den Erhalt von Bauwerken mit denkmalpflegerischem Wert und die Erfüllung moderner Nutzungsanforderungen miteinander verbindet. Abb. 8: Hyparschale in Magdeburg nach der Sanierung (Marcus Bredt). Anwendungen im Trinkwasserbereich und bei der Sanierung von Kanalanlagen: Die Beständigkeit des Carbonbetons gegenüber chemischen Einflüssen und die Möglichkeit, fugenlose Verstärkungen auszuführen, machen das Verfahren auch für wasserführende Bauwerke anwendbar. Einige der zugelassenen Materialien besitzen Nachweise entsprechend DVGW W 270 (Hygienische Unbedenklichkeit) [21] sowie W 347 (Hygienische Anforderungen an zement-gebundene Werkstoffe im Trinkwasserbereich) [22], die eine Eignung im Trinkwasserbereich bestätigen. Auch im Bereich von Kanalanlagen, wie bei den Projekten in Feldafing und beim Hauptsammler in Leipzig 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 119 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis [5], wurde Carbonbeton bereits für die Verstärkung und Instandsetzung angewendet. Diese Projekte zeigen, dass der Baustoff auch in sensiblen Bereichen eingesetzt werden kann, in denen neben Tragfähigkeitsauch erhöhte Dichtheitsanforderungen erfüllt werden müssen. Abb. 9: Sanierung des Hauptsammlers in Leipzig mit Carbonbeton (solidian GmbH). 4. Fazit und Ausblick Die wachsenden Herausforderungen des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und der Anforderungen an eine klimaneutrale Bauweise unterstreichen die Notwendigkeit innovativer Technologien im Bauwesen. Carbonbeton hat sich als leistungsfähige und nachhaltige Lösung für den Erhalt von Bestandsbauwerken etabliert. Durch die Kombination aus Korrosionsbeständigkeit, Materialeffizienz und Vielseitigkeit ermöglicht diese Technologie nicht nur eine signifikante Reduktion von CO₂- Emissionen und Materialverbrauch, sondern trägt auch dazu bei, historische Bauwerke zu bewahren und moderne Infrastrukturen zu stärken. Die vorgestellten Praxisprojekte verdeutlichen das breite Anwendungsspektrum des Verfahrens - von der denkmalgerechten Sanierung über den Brückenbau bis hin zu wasserführenden Bauwerken. Die Ergebnisse zeigen, dass Carbonbeton nicht nur eine technische, sondern auch eine wirtschaftliche Alternative zu konventionellen Verstärkungsmethoden darstellt. Besonders hervorzuheben ist die Fähigkeit des Verfahrens, sich flexibel an unterschiedliche Anforderungen anzupassen, sei es durch angepasste Gittergeometrien, projektspezifische Planungsansätze oder materialeffiziente Lösungen für hochsensible Bereiche. Das CARBOrefit ® -Verfahren zeigt eindrucksvoll, wie innovative Materialien und Methoden zur Lösung drängender Herausforderungen im Bauwesen beitragen können. Mit seinem Potenzial, die Lebensdauer bestehender Bauwerke zu verlängern und die Umweltauswirkungen signifikant zu reduzieren, leistet Carbonbeton einen wichtigen Beitrag zur Transformation der Baubranche hin zu einer ressourcenschonenden, nachhaltigen und klimaneutralen Zukunft. Literaturverzeichnis [1] Vereinte Nationen: 2022 Global Status Report for Buildings and Construction. [2] Curbach, M.; Müller, E.; Schumann, A.; May, S.; Wagner, J.; Schütze, E.: Verstärken mit Carbonbeton .In: Bergmeister, K.; Fingerloss, F.; Wörner, J.-D. (Hrsg.): Beton-Kalender 2022-Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Instandhaltung. Berlin: Ernst & Sohn, Veröffentlichung: Dezember 2021. [3] Curbach, M.; Schladitz, F.; Weselek, J.; Zobel,R.: Eine Vision wird Realität: Der Betonbau der Zukunft ist nachhaltig, leicht, flexibel und formbar dank Carbon. In: Prüfingenieur 51, 2017, S. 20-35. [4] Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung/ Allgemeine Bauartgenehmigung Z-31.10-182 CARBOrefit-Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton, Stand: 31.08.2023. [5] CARBOrefit ® -Planungsmappe, Fassung Mai 2024, Hrsg. CARBOCON GMBH, Dresden, veröffentlicht über: www.carborefit.de. [6] May, M.; May, S.; Schumann, A.: CARBOrefit ® : Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton - Bemessung, Ausführung und Einsparungspotentiale anhand von Praxisbeispielen. In: 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken. Fachtagung zur Beurteilung, Instandsetzung und Denkmalpflege von Bauwerken. Tagungshandbuch 2023.- [7] Ehlig, D.; Schumann, A.; Nietner, L.: High-Temperature Behavior of Carbon Reinforced Concrete, Januar 2024, Buildings- 14(2): 364, DOI: 10.3390/ buildings14020364. [8] DIN EN 1992-1-2: 2010-12, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall; Deutsche Fassung EN 1992-1-2: 2004 + AC: 2008, https: / / dx.doi.org/ 10.31030/ 1719256 [9] DIN EN 1504-3: 2006-03, Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken- - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität- - Teil- 3: Statisch und nicht statisch relevante Instandsetzung; Deutsche Fassung EN-1504- 3: 2005, https: / / dx.doi.org/ 10.31030/ 9611249 [10] Technisches Merkblatt TF10 CARBOrefit ® Textilfeinbeton, PAGEL Spezial-Beton GmbH & Co. KG, https: / / www.pagel.com/ all/ pdf/ de/ tf10_de.pdf [11] Grundsätze für den Eignungsnachweis zur Ausführung von Arbeiten zur Verstärkung von Betonbauteilen mit Carbonbeton mit Bausätzen nach den gültigen allgemeinen Bauartgenehmigungen. Deutsches Institut für Bautechnik. Mai2022. https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ I4/ Grundsaetze_Eignungsnachweis_Carbonbeton.pdf [12] C3 Fact-Sheet Recycling von Carbonbeton, Stand September 2022, Hrsg.: C3Verband, Dresden. [13] RAL-RG 351: 2021-12, Verhinderung von Gefährdungen durch biobeständige, lungengängige Faser- 120 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Erhalt von Betonbauwerken mit Carbonbeton - Aktuelle Einblicke in die Praxis stäube bei der Carbonbetonbauweise, Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung. [14] May, M.; Schumann, A.; Melzer, M.: Berechnung und Bemessung von Verstärkungen mit Carbonbeton anhand praxisnaher Beispiele und gültiger Bauartgenehmigung. In: 2. Fachkongress Konstruktiver Ingenieurbau. Tagungshandbuch 2024. [15] Schumann, A.; May, S.; Geißler, J.; Thorwarth, F.: Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! 5. 5. Brückenkolloquium, Technische Akademie Esslingen, 2022. [16] Steinbock, O., Pelke, E., Ost, O.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungs-methode für Massivbrücken -Teil 1: Grundlagen und Hintergründe zum Pilotprojekt „Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648“. In: Beton- und Stahl-betonbau 116(2021), Heft2, S. 101-108. DOI: 10.1002/ best.202000094. [17] Steinbock, O.; Bösche,T.; Schumann, A.: Carbonbeton -Eine neue Verstärkungs-methode für und Informationen zur Zustimmung im Einzelfall für das Pilotprojekt Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648. Beton- und Stahlbetonbau116(2021), Heft2, S.109-117.https: / / doi. org/ 10.1002/ best.202000106 [18] Steinbock, O., Teworte, F., Neis, B.: Carbonbeton -Eine neue Verstärkungsmethode für Massivbrücken -Teil 3: Planung und Umsetzung der Verstärkungsmaßnahme mit Carbonbeton am Pilotprojekt „Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648“. In: Beton- und Stahlbetonbau 116(2021), Heft2, S. 118-126. DOI: 10.1002/ best.202000107. [19] Hentschel, M.; Schumann, A.; Ulrich, H.; Jentzsch, S.: Sanierung der Hyparschale Magdeburg. In: Bautechnik96 (2019), Heft1, S. 25-30.DOI: 10.1002/ bate.201800087 [20] Schumann, A.; Schöffel, J.; May, S.; Schladitz, F.: Ressourceneinsparung mit Carbonbeton am Beispiel der Verstärkung der Hyparschale in Magdeburg. In: Hauke, B.(Hrsg.): Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Klimaschutz. Konstruktive Lösungen für das Planen und Bauen -Aktueller Stand der Technik. Institut Bauen und Umwelt e.V./ DGNB e.V., 2021,S. 282-286 [21] DVGW Arbeitsblatt W 270 11/ 2007, Vermehrung von Mikroorganismen auf Werkstoffen für den Trinkwasserbereich - Prüfung und Bewertung, DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. [22] DVGW Arbeitsblatt W 347 11/ 2023, Hygienische Anforderungen an zementgebundene Werkstoffe im Trinkwasserbereich, DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. Normen und Richtlinien 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 123 Die qualifizierte Führungskraft (QuF) Das entscheidende Scharnier zwischen Planung und Ausführung für das Gelingen der Instandsetzung aus Verarbeitersicht Prof. Dr. jur. Gerd Motzke Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München (Bausenat Augsburg) a. D., Universität Augsburg Zusammenfassung Das mangelfreie Gelingen eines Instandhaltungs-Werks bedingt das kluge und sorgfältige Tätigwerden vieler Planer- und Baubeteiligter. Denn der Auftraggeber stellt ein Bauwerk, das der Instandhaltung bedarf. Dieses instandhaltungsbedürftige Bestandsobjekt ist der vom Auftraggeber gestellte „Baustoff“, der der Untersuchung und Bewertung bedarf, um darauf auf bauend das Instandhaltungsziel bestimmen und die darauf ausgerichtete Instandhaltungsplanung erstellen zu können. Diese geistige Leitung, die den Einsatz spezielle Planer - Sachkundiger Planer (SKP) - bedarf, bewirkt jedoch für sich nichts. Die Planungsleistung muss umgesetzt werden, also muss entsprechend der Planung gleichsam an den „Baustoff“ - das Bestandsobjekt - Hand angelegt werden. Hierfür bedarf es des fachkundigen Unternehmers - Verarbeiter -, der seinerseits fachkundiges Personal einzusetzen hat. Denn ohne qualifiziertes Personal ist der Verarbeiter nicht in der Lage, das beauftragte Instandsetzungswerk mangelfrei und den vertraglichen Anforderungen entsprechend zu erstellen. Wie der Sachkundige Planer (SKP) auf der Auftraggeberseite tätig wird, wirkt auf der Auftragnehmerseite die Qualifizierte Führungskraft (QuF). Deren Aufgabe, Funktion und Verantwortung soll näher beleuchtet und zusätzlich dargestellt werden, was diesbezüglich als Begründung nach Technik- und Rechtsregeln einschlägig ist. Diese hohe Verantwortlichkeit eines Beschäftigten eines Unternehmers, der diesem die Aufgabe der QuF arbeitsrechtlich zugewiesen hat, hat notwendig zur Folge, dass der Unternehmer die Voraussetzungen schaffen muss, damit die QuF überhaupt in der Lage, der gestellten Aufgabe verantwortlich gerecht zu werden. 1. Technikregeln - Handlung - Personal Technikregeln beschreiben gewöhnlich Handlungen mit dem Ziel, das funktionale Werk zu erstellen. Die DIN 820-1: 2014-06 - Normungsarbeit, Teil 1: Grundsätze, formuliert im Abschnitt 8.1: „Die Normen bilden einen Maßstab für einwandfreies technisches Verhalten; dieser Maßstab ist auch im Rahmen der Rechtsordnung von Bedeutung.“ Nach DIN 820 Beiblatt 3: 2016-10, Abschnitt- 5.1- c) ist eine Norm nicht die einzige, sondern nur eine Erkenntnisquelle für technisch-ordnungsgemäßes Verhalten im Regelfall. Technikregeln unterlassen es generell, noch einen Schritt weiter zu gehen, nämlich die Gestellung des für die Tauglichkeit der Handlung erforderliche Personal näher zu beschreiben und nicht nur Qualitätsforderungen an die Handlung, sondern auch an das Personal zu stellen. Denn im Allgemeinen bestimmt der Auftragnehmer nach den Regeln der VOB/ B welches Personal für die Durchführung eingesetzt wird. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 VOB/ B ist es Sache des Unternehmers, die Ausführung seiner vertraglichen Leistungen zu leiten und für Ordnung auf seiner Arbeitsstelle zu sorgen. Entsprechend dem damit zugrunde liegenden Dispositionsgrundsatz bestimmt demnach der Unternehmer über den Einsatz des Personals auf der Baustelle. Diese Regelung kann jedoch durch einschlägige Technikregeln um die Vorgabe ergänzt werden, dass der Auftragnehmer für die Vornahme der vertraglich gebotenen Handlung fachlich geeignetes Personal einsetzt, dessen qualitative Voraussetzungen, Aufgaben und damit Verantwortlichkeiten auch beschrieben werden. Dafür ist jüngst auf die DIN 1045-1000: 2023-08 zu verweisen, wonach für benannte Betonbauqualitätsklassen der Einsatz entsprechend qualifizierter „fachkundiger Personen“ gefordert wird. Das geschieht im Bereich der Instandhaltung von Betonbauwerken im Planerbereich mit der Forderung nach dem Einsatz nicht irgendeines Planers, sondern eines „sachkundigen Planers“ (SKP) und im Bereich der Ausführung mit der Forderung nach dem Einsatz einer „qualifizierten Führungskraft (QuF).“ Sowohl bzgl. der QuF als auch des SKP werden die fachlichen Qualifikationsvoraussetzungen indirekt durch die jeweilige Aufgabenstellung und die damit verbunden Verantwortlichkeit beschrieben. Das erfolgte für den SKP in der Instandsetzungs-Richtlinie im Teil 1 Abschnitt 3.1 und nimmt nunmehr umfangreicher die Technische Regel Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung - TR IH), 2020, im Abschnitt 3 vor. Das Personal des ausführenden Unternehmers beschreibt der Teil 3 der Instandhaltungs-Richtlinie im Abschnitt-1, auf den die TR IH als weiterhin gültig verweist (TR IH Teil 1, Abschnitt 1, Abs. 1, 2) Denn die TR IH befasst sich eigenständig mit der Ausführung der Betoninstandsetzung/ Betonerhaltung nicht. 124 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Die qualifizierte Führungskraft (QuF) Der Bedarf für die Beschreibung der Anforderungen an die QuF besteht im Stellenwert der QuF für das Gelingen des Unternehmerwerks und darin, dass die QuF letztlich auch die Person ist, die dafür verantwortlich ist, dass der Unternehmer die für ihn erforderliche auskömmliche Vergütung erhält. Im Klartext: Die QuF ist verantwortlich dafür, dass das Instandsetzungswerk mangelfrei in der dafür vorgesehen Leistungszeit entsteht (QuF und Mangelfreiheit des Werks), notfalls Bedenken angemeldet (QuF und Bauzeit) und unter Vergütungsgesichtspunkten Nachträge angemeldet werden (QuF und Vergütung).Wenn die VOB/ B vom Auftragnehmer etwas verlangt, dann ist unternehmerintern die QuF die damit angesprochene Person. 1.1 QuF als Scharnier zwischen Planung und Ausführung Die QuF ist Scharnier zwischen Planung und Ausführung, weil die QuF nicht einfach an der Instandsetzungsplanung des SKP ansetzen darf, sondern die Aufgabe hat, eine Arbeitsplanung (Arbeitsplan) zu erstellen. D. h., zwischen die Planung des SKP und die unmittelbare händisch oder gerätemäßig Instandhaltung- oder Instandsetzungsarbeit am Instandsetzungsobjekt schiebt sich eine Planungsleistung des Unternehmers. Der Unternehmer hat damit eine spezielle Fachkraft, eben die QuF zu beauftragen. Dieser Arbeitsplan ist Teil der Ausführung, wird also vertragsrechtlich nicht als eine eigenständige Planung des Verarbeiters behandelt, sie unterliegt deshalb grundsätzlich bei einem Vertrag des Verbeiters mit dem Auftraggeber auf der Basis der VOB/ B dem Regelwerk der VOB/ B. Dieser Arbeitsplan gewinnt angesichts der Üblichkeiten im Bereich der Instandhaltungsmaßnahmen von Betonbauwerken zudem besondere Bedeutung, weil die Ausführungsplanung der SKP abweichend von Neubaumaßnahmen abgesehen von teilweisen Leitdetails nicht zeichnerisch, sondern oft über viele Seiten lediglich verbal erfolgt. Konkretisierend aber auch in Worten erfolgt die Erstellung eines Leistungsverzeichnisses, von dem als Aufgabe des SKP allerdings in der TR IH Teil 1, Abschnitt-3, überhaupt nicht die Rede ist. Scharnierwirkung haben der nach der Rili Teil- 3 Abschnitt 1.2.2 zu erstellende Arbeitsplan und die dort auch genannte Aufgabe, Leistungsbeschreibungen zu prüfen. Denn beides dient im Ergebnis dazu, dass die Mangelfreiheit der Instandhaltungsmaßnahme sichergestellt wird. 1.2 Rechtsrahmen neben Technikrahmen - Stellenwert der ATV DIN 18349 für die QuF Für Mangelfreiheit und Bauzeiteinhaltung ist nicht nur der Planer - SKP -, sondern auch der Unternehmer, handelnd durch die QuF, verantwortlich. Dafür, dass der Unternehmer unter Vergütungsaspekten auf seine Kosten kommt, hat die QuF darauf ein Auge zu werfen, ob sich angesichts der Besonderheiten des Arbeitens im Bestand Möglichkeiten für einen Nachtrag, insbesondere nach den sich aus den VOB/ B - Regeln ergebenden Tatbeständen - § 2 VOB/ B - ergeben. Denn stimmt der Istzustand nach der Planvorgabe des SKP mit dem Zustand vor Ort nicht überein, sind Planungsänderungen veranlasst, was regelmäßig Kostenfolgen nach sich zieht. Denn der für die Leistung vereinbarte Preis ist dann im Allgemeinen nicht mehr einschlägig, was einen Nachtrag auslöst. Dessen tatbestandlichen Voraussetzungen sichert die QuF ab und teilt dies der Kalkulationsabteilung des Unternehmers mit. Die QuF hat nach der maßgeblichen Aufgabenbeschreibung in der Instandsetzungs-Richtlinie 2001 (Rili), Abschnitt- 1.2.2, bestimmte Prüfungs- und Ausführungsaufgaben zu erfüllen hat, die im Ergebnis das Ziel einer mangelfreien Leistung verfolgen. Daraus leitet sich ab, dass die QuF erweiternd aus rechtlicher Sicht für ihren Arbeitgeber - Verarbeiter - neben diesen technisch bestimmten Aufgaben auch rechtlich dafür zu sorgen, dass auf der Verarbeiterseite Vorsorge gegen Mängelhaftungstatbestände betrieben und in dem Zusammenhang auch für die Auskömmlichkeit der Vergütung des Auftragnehmers gesorgt wird. Neben dem Technikrahmen ist für die QuF auch der werkvertragliche Rechtsrahmen einschlägig. Überspitzt formuliert bedeutet dies: Was die VOB/ B im Außenverhältnis zwischen Auftraggeber und Unternehmer diesem als Auftragnehmer zuweist, betrifft im Innenverhältnis die QuF, die als Beschäftigte vom Unternehmer mit diesen Aufgaben betraut worden ist. Diesbezüglich spielt die ATV DIN 18349 - Allgemeine Technische Vertragsbedingung für Bauleistungen- Betonerhaltungsarbeiten, Fassung Sept 2023, eine erhebliche Rolle. Was die ATV DIN 18349 z.- B. als Prüfungs- und Bedenkenhinweispflicht zu Lasten des Verarbeiters im Abschnitt 3.1.2 beispielhaft auflistet, ist von der QuF zu erfüllen. Die im Abschnitt 3.1.3 der ATV DIN 18349 z.-B. witterungsmäßig zu ergreifenden Maßnahmen hat die QuF zu benennen und der Unternehmensleitung vorzuschlagen, damit diese mit Auftraggeber abgestimmt werden können. Die QuF hat auftragnehmerseitig die Grundlagen für die nach Abschnitt 3.2 erforderlichen zusätzlichen Leistungen zu schaffen, damit diese dann vom Verarbeiter gemeinsam mit dem AG verbindlich erarbeitet und durch den AG festgelegt werden können. D. h.: Die rechtliche Aufgabenpallette der QuF erfährt über die ATV DIN 18349 einen massiven „Schub“. 2. Das Personal des Verarbeiters Das Personal des Verarbeiters wird in verschiedenen technischen Regelwerken völlig unterschiedlich beschrieben. Das Europäische Normenwerk hält sich entschieden zurück. Durch vom Deutschen Ausschuss für Stahlbeton erarbeitete bzw. vom Deutschen Institut für Bautechnik verantwortete Regelwerke erweisen sich als Lückenfüller, was das Europäische Regelwerk aber national durchaus zulässt. 2.1 Das Europäische Normenwerk Im Europäischen Normenwerk ist die DIN EN 1504 mit ihren Teilen 1 bis 10 einschlägig. Der Teil-1 befasst sich mit Definitionen; der Teil 10 hat zum Gegenstand die An- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 125 Die qualifizierte Führungskraft (QuF) wendung von Produkten und Systemen auf der Baustelle, Güteüberwachung der Ausführung. Der bzgl. des Personals einschlägige Teil ist der Teil-9 „Allgemeine Grundsätze für die Anwendung von Produkten und Systemen“. Im Abschnitt 10 befasst sich die Norm mit der Fachkompetenz des Personals. Die Norm geht davon aus, dass das Personal über die notwendigen Fähigkeiten und über ausreichende Ausrüstung und Ressourcen verfügt, um die Arbeiten in Übereinstimmung mit dem maßgebenden Teil von EN 1504 und mit den Anforderungen der Projektspezifikationen planen, festlegen und ausführen zu können. Die Norm bemerkt in der Anmerkung: „In einigen Ländern bestehen bestimmte Anforderungen an die Fachkenntnisse, Qualifikation und Erfahrung des Personals, die mit den verschiedenen Aufgaben betraut werden.“ Praktisch besagt die Norm also konkret nichts. Auch im informativen Teil - Anhang A Hinweise und vertiefende Informationen - findet sich Näheres nicht. 2.2 Technikregeln in Deutschland - Rili 2001 und TR IH, 2020, Teil 1, Abschnitt 1 In Deutschland ist maßgeblich die Rili 2001, Teil 3, die nach der TR IH, 2020, Teil 1, Abschnitt 1, Abs. 1 und 2, fort gilt. Die in der Rili, Fassung 2001, stellt im Abschnitt 1.1 Anforderungen an das Personal, an die Geräteausstattung und die Dokumentation. Der Abschnitt-1.2.1 beschreibt die allgemeinen Anforderungen an das Personal wie folgt: „Ausführen, Prüfen und Überwachen von Arbeiten nach dieser Richtlinie erfordern von dem Unternehmen den Einsatz einer qualifizierten Führungskraft, eines Bauleiters und von Baustellenfachpersonal, die mit ausreichenden Kenntnissen und Erfahrungen die ordnungsgemäße Ausführung, Überwachung und Dokumentation solcher Arbeiten sicherstellen.“ 2.3 Qualität dieses Regelwerks - Eingeführte Technische Baubestimmung Hinsichtlich dieses Gebots der Vorhaltung und des Einsatzes qualifizierten Personals ist die Rechtsnatur dieses Regelwerks von erheblicher Bedeutung. Da die genannten Regeln nach den einschlägigen Landesbauordnungen als Technische Baubestimmungen eingeführt werden, was letztlich auf der Grundlage der Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen erfolgt, beanspruchen diese Vorgaben als Teil des Bauordnungsrechts auch von Rechts wegen Gültigkeit. Wer das geeignete Personal nicht vorhält und einsetzt, kann nach Landesrecht - z. B. Art. 81a, Art. 79 Abs. 1 Nr.-2 BayBO - nach vorausgegangener schriftlicher Anordnung zum Einsatz geeigneten Personals wegen einer Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße belegt werden. Kann werkvertraglich bei Maßgeblichkeit des genannten Regelwerks als anerkannte Regel der Technik dann, wenn unqualifiziertes Personal, also auf Seiten des Unternehmens keine qualifizierte Führungskraft zum Einsatz kommt, noch nicht von einem Mangel der Leistung gesprochen und Abhilfe nur unter besonderen Voraussetzungen verlangt werden, besteht im Rahmen des Bauordnungsrechts die genannte Eingriffsmöglichkeit. § 4 Abs.- 7 Satz 1 VOB/ B ist auf den Sachverhalt - keine QuF auf der Baustelle - nicht anwendbar, wenn es dort heißt: „Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, hat der Auftragnehmer auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen.“ Denn das Fehlen einer QuF allein begründet nicht die Mangelhaftigkeit einer Leistung, die zu ersetzen wäre. Einen Austausch von Personal kann ein Auftraggeber nur auf der Grundlage einer besonderen vertraglichen Vereinbarung verlangen. 2.4 Qualifizierte Führungskraft (QuF) - Bauleiter - Baustellenfachpersonal Zur QuF verhält sich im Detail der Abschnitt 1.2.2, zum Bauleiter der Abschnitt 1.2.3 und zum Baustellenfachpersonal der Abschnitt 1.2.4 der Rili 2001. Die jeweiligen Abschnitte beschreiben die Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Detail, ergänzend ist der Abschnitt 2, Überwachung der Ausführung, zu beachten. Die dort und im Abschnitt 1.2.4, Abs. 3, letzter Spiegelstrich, behandelte Dokumentation ist bei Streitigkeit von eminenter Bedeutung. Die Aufgliederung der Aufgaben gerade zwischen der QuF und dem Bauleiter wirft die Frage auf, ob auf der einzelnen Baustelle deren Aufgaben und Verantwortlichkeiten in einer Person gebündelt werden, was sich empfiehlt, oder ob eine Aufteilung auf verschiedene Personen erfolgt. Aus rechtlicher Sicht liegt eine Bündelung nahe, denn es macht Sinn, dass derjenige, der sich wie die QuF intensiv mit dem fachlich-technischen Gelingen des Instandsetzungswerks befasst, auch mit der Bauleitung betraut, also z. B. damit, dass auf die Einhaltung des Arbeitsplans geachtet, die also geprüft wird. Auch die Dokumentation sollte derjenige sicherzustellen haben, der am Nächsten an der Baustelle und deren Abwicklung ist. 2.4.1 QuF - Abschnitt 1.2.2 Rili 2001 Nach Abschnitt 1.2.2 Rili 2001 ist die QuF zuständig für die Ausführung der Arbeit auf der Baustelle sowie für die erforderlichen Prüfungen. Das wird beispielhaft im Abschnitt 1.2.2 Abs. 2 wie folgt näher beschrieben: Prüfen von Leistungsbeschreibungen im Sinne dieser Richtlinie. Diese Aussage ist notwendig mit der DIN 18349 Abschnitt 0.2 und Abschnitt 3.1.2 zu verknüpfen; denn der Abschnitt liefert gleichsam ein Muster, wie eine Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis idealerweise aussieht. Die QuF ist in Ausrichtung an diesem Maßstab in der Lage, den im Abschnitt 1.2.2 Rili vorgegebenen Prüfungsgang umzusetzen, also insbesondere die Schwächen der Leistungsbeschreibung zu erkennen. Nach dem 2. Spiegelstrich des Abs. 2 des Abschnitts 1.2.2 Rili hat die QuF die Arbeitsabläufe auf der Grundlage der vom SKP erstellten Planungsunterlagen zu planen. Die Rili unterlässt an dieser Stelle die Nennung eines vorgelagerten Arbeitsschritts, nämlich die Tauglichkeit dieser Arbeitsplanung an sich wie auch gerade im Hinblick auf den vorgefundenen Istzustand des Bestandsobjekts 126 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Die qualifizierte Führungskraft (QuF) zu prüfen. Dieser Arbeitsschritt wird vertragsrechtlich ausdrücklich in der ATV DIN 18349 Abschnitt 3.1.2, 2. Spiegelstrich hervorgehoben. Danach können Bedenken nach § 4 Abs. 3 VOB/ B gerade hinsichtlich der Instandsetzungsplanung, die das Erreichen der Instandsetzungsziele nicht sicherstellt (z. B. Bauablauf, Instandsetzungsprinzipien und -verfahren, Anforderungen an Baustoffe) in Betracht kommen. Das setzt notwendig die vorgelagerte Prüfung voraus. Da der Abschnitt 1.2.2. Rili im Abs.-2 lediglich Beispiele anführt, ist der Aufgabenkreis der QuF notwendig um diesen Prüfungsgang zu erweitern, wie sich überhaupt ergibt, dass das, was die ATV DIN 18349 als Aufgaben und Befugnisse dem Verarbeiter zuweist, notwendig von dessen Personal zu erfüllen ist. Das ist die QuF in Personaleinheit mit dem Bauleiter. Die QuF hat nach Abschnitt 1,2,2 Abs. 2, 3. Spiegelstrich, Rili die fachliche Qualifikation des bei den Maßnahmen eingesetzten Baustellenfach- und Prüfpersonals zu beurteilen. Das hat mit der Sorge um die Mangelfreiheit des Instandsetzungswerks insofern etwas zu tun, als die eigentliche Erstellungsarbeit nur gelingt, wenn das fachtechnisch taugliche Personal eingesetzt wird. Schließlich hat die QuF die Überwachungsergebnisse der Ausführung auszuwerten und Schlussfolgerungen für die Durchführung der Maßnahme zu ziehen. Das knüpft sachlich an Abschnitt 2.2 - Überwachung durch den ausführenden Unternehmer - an. Betroffen ist die vom Unternehmer zu erstellende Dokumentation, die inhaltlich in den Abschnitten 2.2.1 und 2.2.2 Rili näher beschrieben wird, und Aufgabe des Bauleiters ist, deren Erfüllung von ihm zu verantworten ist. 2.4.2 QuF als „faktischer Planer“ - Teil 3 Abschnitt 1.2.2 Absatz 3 Rili Nach dieser Regelung können zu den Aufgaben der QuF nach besonderer Vereinbarung auch Aufgaben des sachkundigen Planers gehören. Das ist dann der Fall, wenn der Auftraggeber seiner technischen Verantwortung nicht gerecht wird, mit der Planungsaufgabe einen SKP zu beauftragen. Da nach dem Regelwerk die Instandhaltung und Instandsetzung von Betonbauwerken nach Rili 2001 und TR IH, 2020, Teil 1, planungsbedürftig ist, bedarf es im Anwendungsbereich dieser beiden Regelwerke eines SKP, der auch in der Ausführungsphase die fachliche Richtigkeit der Ausführung zu überwachen hat. Fehlt es daran, und übernimmt der Verarbeiter dennoch die angetragene Instandsetzungsaufgabe, dann beseht auch ohne eine besondere Vereinbarung zwischen den Parteien die Verpflichtung des Verarbeiters darin, den AG auf den Planungsbedarf durch einen SKP hinzuweisen, was sich der AG erkennbar ersparen will. Der Verarbeiter hat darauf hinweisen, dass die Aufgabe der Zustandsfeststellung und -bewertung damit ihm zuwächst und von ihm ein Instandsetzungskonzept zu erstellen ist, damit eine Grundlage für die Ausführung geschaffen wird. Dieser - nur kurz beschriebene - Aufgabenbereich eines SKP, der sich im Detail in der TR IH, 2020, Teil 1, findet, ist auf der Seite des Verarbeiters von der QuF zu erbringen. Ob diese Planung dann auch noch als Teil der Ausführung und damit bei einem VOB/ B-Bauvertrag im Fall von Planungsmängeln nach VOB/ B-Regeln abzuwickeln ist, ist die Frage; denn man könnte auch als Haftungsregeln das Gewährleistungsrecht de BGB heranziehen. Tendenziell spricht angesichts des Teil 3 der Rili mehr dafür, auch diese Planung als Teil der Ausführung zu behandeln, es also bei der Maßgeblichkeit der VOB/ B zu belassen. Damit übernimmt der Verarbeiter nicht nur die Verantwortung für die Ausführung, sondern auch die für eine fundierte Planung, wofür in solchen Fällen die Auftraggeberseite aber gerade kein oder nur wenig Geld ausgeben will. In diesem Dilemma muss sich der Verarbeiter klug vor Haftungsfällen schützen, z. B., indem er genau beschreibt, was die von ihm erbrachte Planung genau beinhaltet und mehr deshalb nicht geleistet wird, weil sich die Auftraggeberseite diesbezügliche Ausgaben spart. Auf damit verbundene Unsicherheiten und Risiken hat der Verarbeiter hinzuweisen und sich durch Unterschriften des Auftraggebers eine saubere Dokumentationslage zu schaffen. Die Situation des Verarbeiters in solchen Fällen ist die eines faktischen Planers. Eine solche Lage sollte möglichst vermieden werden. Ist sie unvermeidbar, muss der Verarbeiter vom Auftraggeber unterschriebene Dokumente zur Hand haben, aus denen sich die Erfüllung der Aufklärungs- und Hinweisaufgabe eindeutig ergibt. 2.5 Der Bauleiter des Unternehmers Der Abschnitt 1.2.3 Rili behandelt die Aufgabe des Bauleiters des Unternehmers, die dahin beschrieben wird, dass er die Ausführung der Instandhaltungs-/ Instandsetzungsmaßnahme nach dieser Richtlinie zu leiten hat. Im Abs. 2 dieses Abschnitts wird diese Aufgabe näher beschrieben: Der Bauleiter sorgt für die sichere und planmäßige Ausführung der Arbeiten, insbesondere über die Aufgaben nach DIN 1045 hinaus u. a. für das Anzeigen der Instandsetzungsmaßnahme bei der Überwachungsstelle, das Veranlassen der Überwachung nach Abschnitt 2, die Verwendung der vorgesehenen Baustoffe mit den geforderten Übereinstimmungsnachweisen, die Einhaltung und die Sicherstellung der technischen Bedingungen für die Ausführung entsprechend dem Arbeitsplan und das Übergeben der Ergebnisse der Überwachung durch das ausführende Unternehmen an die Überwachungsstelle. Im Überwachungsbereich und damit dem Abschnitt-2 fallen dem Bauleiter die Dokumentationsaufgabe (Abschnitt 2.2.1) und nach Abschnitt 2.2.2 die Aufgabe zu, die Durchführung der Überwachung zu veranlassen und zu kontrollieren. Es macht aus rechtlicher Sicht Sinn, dass diese Aufgaben des Bauleiters zusammen mit den Aufgaben der QuF im Betrieb des Verarbeiters einer Person zugewiesen werden. Denn es sind erkennbar z. B. in Abschnitt 1.2.2 und Abschnitt 1.2.3 Doppelungen vorhanden. Die QuF ist näher an der Baustelle, weswegen sie in erster Linie für das fachtechnisch richtige Geschehen auf der Baustelle verantwortlich ist. In der Praxis ist die Personalunion von QuF und Bauleiter üblich. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 127 Die qualifizierte Führungskraft (QuF) 3. Die QuF als „Scharnier“ zwischen Ausführungsplanung und Ausführung Die im Abschnitt 1.2.2 der Rili näher beschriebene Aufgabe des Prüfens der Leistungsbeschreibung und der Planung der Arbeitsabläufe (Arbeitsplan) begründet die Feststellung, dass die QuF das Scharnier zwischen der Planung des SKP und der „händischen“ Ausführung der Instandsetzung ist. Das gilt sowohl für den Arbeitsplan als auch für den Arbeitsschritt „Prüfen der Leistungsbeschreibung“. Denn die Leistungsbeschreibung ist nichts anderes als die in Worte gekleidete Ausführungsplanung, die in der Anlage 10 der HOAI 2021 in Leistungsphase-6, Vorbereitung der Vergabe, im 2. Arbeitsschritt (Lph 6b) als „Aufstellen von Leistungsbeschreibungen mit Leistungsverzeichnissen nach Leistungsbereichen“ beschrieben wird. Beides, Leistungsbeschreibung und Ausführungsplanung des SKP, bilden die Grundlage für das Gelingen des Instandsetzungswerks und sind deshalb von der QuF auf ihre generelle wie auch objektsspezifische Tauglichkeit zu überprüfen. Beschreibt die Rili 2001 diese Aufgabe aus technischer Sicht im Teil 3 im Abschnitt 1.2.1 und 1.2.2 für die QuF, greift die ATV DIN 18349 (Fassung 2023) diese Prüfungsaufgabe eingehend - aber auch nur beispielhaft - im Abschnitt 3.1.2 auf. Sie wird dort als Aufgabe des Auftragnehmers beschrieben, trifft aber im Verantwortungs- und Arbeitsbereich des Verarbeiters die QuF. 3.1 Prüfen der Leistungsbeschreibung Die Erstellung einer Leistungsbeschreibung ist Sache des SKP. Die Rili 2001 hatte diese Aufgabe noch ausdrücklich im Teil 1 Abschnitt 3.1 Abs. 4 wie folgt beschrieben: „Für jedes Instandsetzungsvorhaben ist ein Instandsetzungsplan (gegebenenfalls einschließlich Leistungsverzeichnis) aufzustellen und zu beachten…“. Die TR IH, Teil 1, die den Teil 1 Abschnitt 3 der Rili 2001 in vollem Umfang ersetzt (TR IH, Teil 1 Abschnitt 3, Satz 1) unterlässt in den Absätzen 2, 11 und 12 eine ausdrückliche Benennung des Leistungsverzeichnisses als einen vom SKP zu erbringenden Arbeitsschritt. Wenn auch insofern dem Wortlaut nach keine absolute Kompatibilität zwischen dem Teil 3 der Rili mit der TR IH besteht, ändert dies nichts daran, dass das Leistungsverzeichnis im Fall eines technischen Erfordernisses von einem SKP zu erstellen ist. Denn vertragsrechtlich geht die ATV DIN 18349 von der Existenz einer Leistungsbeschreibung aus, die die im Abschnitt 0.2 idealerweise angeführten Arbeitsvorgänge beschreibt. Diese Arbeitsvorgänge, die über das Gelingen oder Misslingen eines Instandsetzungswerks von maßgeblicher Bedeutung sind, hat der Verarbeiter zu prüfen, was betriebsintern von der QuF zu leisten ist. Dass die ATV DIN 18349 im Abschnitt 3.1.2 die Prüfung der Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis nicht anführt, hat nicht zur Folge, dass insofern ein Prüfungsgang verzichtbar ist. Denn der Prüfungsumfang wird dort lediglich beispielhaft angeführt, ist also bei entsprechender Erfolgsrelevanz erweiterungsfähig; und die Leistungsbeschreibung lässt sich zudem als Teil der Instandsetzungsplanung, die ausdrücklicher Prüfungsgegenstand ist, begreifen. 3.2 Erstellung des Arbeitsplans Die QuF hat nach Rili 2001, Teil 3, Abschnitt 1.2.2, Abs.- 2, 2. Spiegelstrich, die Arbeitsabläufe zu planen (Arbeitsplan). Die QuF hat diesen Arbeitsplan auf der Grundlage der vom SKP erstellten Planungsunterlagen zu erstellen. Diese Grundlagen sind die Instandsetzungsplanung und die Leistungsbeschreibung. Wenn auch nach der Vorstellung der Honorarordnung für die Architekten und Ingenieure 2021 Anlage 10 Lph 5a) die Ausführungsplanung die ausführungsreife Lösung sein muss, bedeutet das nicht, dass diese Lösung so weit gediehen sein muss, dass die Ausführungsplanung auf der Baustelle auch umsetzungsfähig sein muss. Eine ausführungsreife Lösung des SKP ist das eine und deren händische Umsetzungsqualität ist das andere. Die Rili 2001, Teil 3, Abschnitt 1.2.2 stellt jedenfalls eine Lücke zwischen einer ausführungsreifen Instandsetzungsplanung und deren „händische Umsetzbarkeit“ fest und sieht als „Lückenschluss“ vor, dass der Verarbeiter für sein Baustellenfachpersonal und Baustellenpersonal einen Arbeitsplan zu erstellen hat. Der Arbeitsplan schiebt sich gleichsam „dazwischen“ und führt zur Umsetzbarkeit der an sich ausführungsreifen Ausführungsplanung des SKP durch die „Baukolonne“ auf der Baustelle. Der Arbeitsplan macht die Ausführungsplanung des SKP baustellengeeignet. Ist die Ausführungsplanung des SKP als Format die Lösung der Planungsaufgabe, ist der Arbeitsplan der QuF das Format, das die Umsetzbarkeit der SKP-Planung auf der Baustelle herstellt. Der Arbeitsplan ist für die Ausführung einer Betoninstandsetzung das, was der Montageplan für die Ausführung einer Stahlkonstruktion oder die Werkplanung oder Werkstattplanung für die Leistungen der Technischen Gebäudeausrüstung ist. Der Arbeitsplan ist wie ein Werkplan dazu bestimmt, dass das Baustellenpersonal (Abschnitt 1.2.4, Abs. 3, 3. Spiegelstrich, Rili) in der Lage ist, die Ausführungsplanung des SKP, die sich inhaltlich an der TR IH Teil 1 Abschnitt 2, 3 ausrichtet, in „fachtechnisch richtiges“ Tun umzusetzen. Der Arbeitsplan der QuF ist damit als Bindeglied der seitens des Verarbeiters vorzunehmende Arbeitsschritt, der zwischen der SKP-Planung und der händischen Ausführung der Instandsetzung, wie diese im Abschnitt 3 der ATV DIN 18349 beschrieben ist, liegt. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil in der Praxis die Ausführungsplanung des SKP im Allgemeinen nicht so ausfällt, wie das in der Anlage 10 der HOAI 2021 Lp5b) als Ausführungs-, Detail- und Konstruktionszeichnungen unter Einhaltung bestimmter Maßstäbe beschrieben wird. Die Ausführungsplanung erweist sich nämlich in der Praxis als wörtliche Beschreibung dessen, was konstruktiv und arbeitsablaufmäßig zur Ausführung kommt und im Leistungsverzeichnis im Vordersatz in Positionen aufgeteilt und einschließlich Massenangaben einer zusätzlichen Beschreibung mit dem Ziel zusammengefasst wird, dass die Bieter darauf anbieten können. Diese wörtliche Beschreibung der Instandsetzungsplanung 128 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Die qualifizierte Führungskraft (QuF) wird gelegentlich durch einschlägige Leitdetails ergänzt, was gerade bei dem Instandsetzungsprinzip R für die Schadensbilder zutrifft. Die Arbeitsplanung ist im Ergebnis nichts anderes als die Arbeitsanweisung der QuF an das Baustellenpersonal, das sich an diesen Arbeitsanweisungen auszurichten hat. Diese Arbeitsplanung der QuF erweist sich als die „Planung Dritter nicht an der Planung fachlich Beteiligter“, die vom SKP auf Übereinstimmung mit dessen Ausführungsplänen überprüft werden kann. Hierbei handelt es sich um eine Besondere Leistung des SKP nach der Anlage 10 Lph 5, rechte Spalte, letzter Spiegelstrich. Die Arbeitsplanung ist des Bedeutungszusammenhangs wegen auch eine Ausführungsunterlage, auf deren Einhaltung der SKP im Rahmen der Objektüberwachung (Bauüberwachung und Dokumentation) nach der Anlage 10 Lph 8a) HOAI 2021 zu achten hat. Eigenartig ist, dass dieser technisch gebotene Arbeitsplan als Teil der Leistungsverpflichtung des Verarbeiters mit keinem Wort in der ATV DIN 18349 ausdrücklich Erwähnung findet. Allerdings heißt es im Abschnitt-3.1.1, 2. Spiegelstrich, dass die DAfStb-Richtlinie - Schutz und Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandsetzungs- Richtlinie) - Teil 3, Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung, für die Ausführung gilt. Damit ist - mehr oder minder heimlich - die Vertragspflicht des Verarbeiters zur Erstellung des Arbeitsplans begründet. Im Übrigen schweigt sich der Abschnitt 3 der ATV DIN 18349 jedoch aus, sondern setzt im Abschnitt 3.1.2 mit den Bedenkenhinweisen - als weitere - „Kopfarbeit“ fort. 3.3 Überlassung des Arbeitsplans an den SKP Daraus folgt notwendig, dass die QuF den von ihr erstellten Arbeitsplan dem SKP überlassen muss, damit der SKP die Übereinstimmung des Arbeitsplans mit der eigenen Ausführungsplanung und der Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis überprüfen kann. Das ist allerdings weder als „technisches Gebot“ in der Rili 2001, Teil-3, vermerkt, noch folgt dies aus der ATV DIN 18349. Rein faktisch ist die Übergabe jedenfalls deshalb geboten, weil nach der TR IH, 2020, Teil 1, Abschnitt-2, Abs.-1, 2. Spiegelstrich, die Ausführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen nach einem Instandsetzungsplan durch einen SKP begleitet werden soll. Eine solche Begleitung kann sinn- und zweckentsprechend nur erfolgen, wenn der SKP über den Arbeitsplan der QuF verfügt. Diese technische Tatsache wird rechtstatsächlich durch die Anlage 10 HOAI 2021, Lph 8a) bestätigt, wonach Teil der Objektüberwachung die Überwachung der Ausführung des Objekts auf Übereinstimmung mit den „Ausführungsunterlagen“ ist. Teil dieser Ausführungsunterlagen ist nicht nur die Ausführungsplanung des SKP, sondern dazu gehört auch der Arbeitsplan des Verarbeiters, den die QuF erstellt hat. Denn nach dem lediglich verbalisierten Ausführungsplan des SKP (siehe oben) und nach dem Leistungsverzeichnis kann das Baustellenpersonal das Instandsetzungswerk nicht in die Tat umsetzen. Die Baustelle verlangt notwendig nach einem Arbeitsplan, der vom Baustellenpersonal des Verarbeiters abgearbeitet werden kann. Zur Grundleistung nach Lph 8f) der Anlage 10 gehört auch das Überprüfen der erforderlichen Montagepläne der vom Objektplaner geplanten Baukonstruktionen und baukonstruktiven Einbauten auf Übereinstimmung mit der Ausführungsplanung. Diese Beschreibung passt in erweiternder Auslegung auch auf den Arbeitsplan der QuF, der vom SKP als Teil der Grundleistung zu überprüfen ist. 3.4 Freigabe des Arbeitsplans durch den SKP Der Verarbeiter und damit die QuF sollten erwägen, dem SKP den Arbeitsplan mit der Bitte um Freigabe zu überlassen. Diesbezüglich lässt sich weder der TR IH noch dem Teil 3 der Rili 2001 etwas entnehmen. In manchen ATV DIN sind diesbezüglich Ausführungen enthalten. Man kann der QuF generell empfehlen, die Überlassung des Arbeitsplans mit der Bitte um Freigabe innerhalb einer kurzen Frist zu verbinden. Z.-B. ist diesbezüglich auf eine Parallele in der ATV DIN 18360, Metallbauarbeiten, Abschn. 3.1.7, zu verweisen. 3.5 Fortschreibung der Ausführungsplanung des SKP und des Arbeitsplans der QuF Nach der Anlage 10 Lph 5e) HOAI 2021 hat der SKP seine Ausführungsplanung auf Grund der gewerkeorientierten Bearbeitung währen der Objektausführung fortzuschreiben. Diese Fortführungsaufgabe des SKP gilt auch für die Fortführung des Arbeitsplans durch die QuF während der Ausführung der Maßnahme. 4. Die QuF und die ATV DIN 18349 Die ATV DIN 18349 enthält zahlreiche technische Handlungsgebote für den Verarbeiter als Unternehmer, womit sich die Frage stellt, ob diesbezüglich betriebsintern die QuF gefragt ist und sie aktiv werden muss. Denn die Regelung wendet sich - soweit insoweit überhaupt Aussagen enthalten sind - an den Auftraggeber und den Auftragnehmer. Deshalb entsteht die Frage, wer konkret auf der Seite eines Verarbeiters für das, was die ATV DIN 18349 vom Auftragnehmer verlangt, aus fachtechnischer Sicht und im Sinne der Rili 2001 angesprochen wird. 4.1 Prüfungs- und Bedenkenhinweispflichten nach ATV DIN 18340 Abschnitt 3.1.2 Die bisherigen Ausführungen lassen keinen Zweifel daran, dass die QuF diesen Prüfungs- und Hinweispflichten nachkommen muss. Denn Abschnitt 1.2.2 Absätze 1 und 2 der Rili 2001, Teil 3, und der Abschnitt 3.1.2 der ATV DIN 18349 sind zusammen zu lassen und ergänzen einander. Die ATV DIN 18349 Abschnitt 3.1.2 ist die vertragsrechtliche Fortsetzung der Rili 2001. Abschnitt 1.2.2 4.2 ATV DIN 18349 Abschnitt 3.1.3 Die Ausführungen zu Ziff. 4.1 treffen auch hier zu. Wenn die im Abschnitt 3.1.3 beschriebenen Voraussetzungen zutreffen, hat die QuF „besondere Maßnahmen“ zu erwägen und mit dem Auftragnehmer zu besprechen, damit dieser mit dem Auftraggeber das Abstimmungsverfahren durchführen kann. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 129 Die qualifizierte Führungskraft (QuF) 4.3 ATV DIN 18349 Abschnitt 3.2.1 Liegen die in Abschnitt 3.2.1 beschriebenen Voraussetzungen vor, dass nämlich im Hinblick auf den Ist-Zustand die eigentlich vom SKP vorgesehene Untergrundvorbereitungsmaßnahme erfolgreich nicht durchgeführt werden kann, hat die QuF sich mit den „erforderlichen zusätzlichen Leistungen“ zu befassen, diesbezüglich gleichsam ein „Papier“ zu erzeugen, damit der Verarbeiter (Auftragnehmer) mit dem Auftraggeber in Verhandlungen eintreten und der Auftraggeber die in Betracht kommende Maßnahme festlegen kann. 4.4 ATV DIN 18349 Abschnitte 3.3 bis 3.5 Die dort beschriebenen Arbeitsweisen hat die QuF in dem Arbeitsplan festzulegen, damit das Baustellenfachpersonal und das Baustellenpersonal entsprechend informiert und angewiesen arbeiten kann. 4.5 Die QuF und Besondere Leistungen (Nachträge) nach der ATV DIN 18349 Fassung 2023 Die QuF ist im weitesten Sinn auch mitverantwortlich dafür, dass der Verarbeitet letztlich eine auskömmliche Vergütung erhält. Hierfür hat die QuF die Möglichkeiten zu erkennen und zu bedenken, die einem Verarbeiter die Möglichkeit bieten, des Instandsetzungserfolgs wegen erforderlich werdenden Besondere Leistungen zu erkennen und dem Verarbeiter als Auftragnehmer zur Kenntnis zu bringen. In der ATV DIN sind diesbezüglich die Abschnitte 3.1.3, 3.2.1, 3.4.2.1 und 3.4.2.2. Der Abschnitt 4.2 listet bis einschließlich 4.2.24 Besondere Leistungen auf, die von vornherein nur dann zum geschuldeten Vertragsleistung gehören, wenn sie im Vertrag tatsächlich auch besonders erwähnt werden (ATV DIN 18299 Fassung 2019, Abschnitt 4.2). Diesbezüglich sind als derartige Besondere Leistungen zu nennen: Gerüstarbeiten (Abschnitt 4.2.5), Schadensdokumentationen (Abschnitt4.2.12), Reinigung des Untergrunds (Abschnitt 4.2.13), zusätzliche Leistungen zur Untergrundvorbereitung (Abschnitt 4.2.17, Ausbilden von Nuten, Kanten und Wassertropfnasen (Abschnitt 4.2.19) und Zurückschneiden bzw. befestigen von freiliegenden Stahleinlagen (Abschnitt 4.2.23). Damit schließt sich der Kreis mit der Aussage: Die QuF ist von entscheidender Bedeutung für die Mangelfreiheit des Instansetzungswerks und dafür, dass der Verarbeiter „auf seine Kosten und mehr“ kommt. Literatur [1] ATV DIN 18349 Fassung 2023. [2] ATV DIN 18299 Fassung 2019. [3] TR IH Teil 1, Fassung Mai 2020. [4] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, Heft 638, Anwendungshilfe zur Technischen Regel Instandhaltung von Betonbauwerken des DIBT (TR IH) in Verbindung mit der Richtlinie Schutz- und Instandsetzungen von Betonbauteilen(RL SIB). Digitalisierung und BIM 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 133 Vorzüge des digitalen Gebäudezwillings bei Objektuntersuchung und Instandsetzungsplanung Philipp Gosemann, M. Sc. Kiwa GmbH, Mülheim an der Ruhr Zusammenfassung Die Digitalisierung hält immer mehr Einzug ins Bauwesen. Auch die Erstellung von 3D-Scans bzw. digitaler Zwillinge von Bauteilen oder Bauwerken wird mittlerweile häufig verwendet und bietet eine Vielzahl von Vorzügen, welche sind von der Bauwerksuntersuchung über die Instandsetzungsplanung bis hin zur Ausführung bzw. der Überwachung der Instandsetzungsmaßnahme erstrecken. Durch die detaillierte, digitale Nachbildung des Bauwerks kann der Ist-Zustand ganzheitlich dokumentiert und Schäden direkt bei der Erstellung des Modells verortet werden. Ergebnisse einer Bauwerksuntersuchung können im Modell verortet werden, wodurch eine übersichtliche und leicht verständliche Ergebnisdarstellung ermöglicht wird. In der Folge lassen sich Zusammenhänge von Schädigungen einfacher rückverfolgen. Während der Planung- und Ausführungsphase kann der digitale Gebäudezwilling als Kommunikationsgrundlage für die Projektbeteiligten herangezogen werden, wodurch ein einfacherer und schnellerer Austausch ermöglicht wird. Im folgenden Beitrag werden die Vorzüge des digitalen Gebäudezwillings bei der Objektuntersuchung und Instandsetzungsplanung dargelegt und anhand von Praxisbeispielen näher beschrieben. 1. Einführung Die Digitalisierung im Bauwesen ist längst keine Zukunftsvision mehr, sondern häufig schon gelebte Realität bei der Bauwerksuntersuchung und der Instandsetzungsplanung. Durch digitale Tools wie Tablets, Apps, Spezial- Software sowie cloudbasierten Plattformen wurden die Arbeitsprozesse in den vergangenen Jahren bereits maßgeblich verändert und optimiert. Durch die Zuhilfenahme dieser Tools kann z. B. eine vereinfachte Dokumentation des Ist-Zustands des Bauwerks bzw. des Baufortschritts während der Instandsetzungsmaßnahme erfolgen. Ein weiterer Schritt zu mehr Digitalisierung im Bauwesen ist der digitale Gebäudezwilling. Eine exakte Definition zu diesem Begriff such mal allerdings bislang vergebens. Grundsätzlich wird der Gebäudezwilling mit dem Ziel erstellt, das Bauwerk digital nachzubilden und diese Nachbildung mit - für den Anwendungszweck relevanten - Informationen zu ergänzen. Für den Anwendungsfall der Objektuntersuchung und Instandsetzungsplanung bedeutet das, die gesammelten Daten und Ergebnisse in einem Modell zusammenzufassen. Besonders bei der Dokumentation des Ist-Zustands sowie der Darstellung der Ergebnisse der Bauwerksuntersuchung bietet der digitale Gebäudezwilling die Möglichkeit der gewonnenen Erkenntnisse übersichtlich darzustellen und mit den Projektbeteiligten zu teilen. Im Folgenden wird genauer auf die Vorzüge des Gebäudezwillings im Bereich der Ist-Zustandserfassung, der Bauwerksuntersuchung sowie der während der Ausführung der Instandsetzungs-arbeiten eingegangen. 2. Vorzüge digitaler Gebäudezwilling 2.1 Allgemeines Vor der Erstellung des digitalen Gebäudezwillings ist mit den Projektbeteiligen abzustimmen, für welchen Zweck dieser verwendet werden soll. Grundsätzlich kann je nach Anwendungszweck die Aufnahmequalität der einzelnen Scans sowie die Anzahl der Scanpunkte angepasst werden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Für eine Ist-Zustandsdokumentation empfiehlt sich eine hohe Aufnahmequalität sowie eine hohe Dichte an Scanpunkte, um einen hohen Detailgrad des digitalen Zwillings zu erreichen. Für die Erstellung des Gebäudezwillings sind eine Vielzahl von Scannern und Drohnen auf dem Markt vorhanden, welche sich u. a. hinsichtlich der Aufnahmetechnologie, der Aufnahmegeschwindigkeit, der Aufnahmequalität und vielen mehr unterscheiden. Es ist projektspezifisch zu ermitteln, welcher Scanner bzw. welche Scanparameter für die geforderte Anwendung am besten geeignet ist. Bei ist Bauwerksuntersuchung und der Instandsetzungsplanung ist besonders die Verwendung eines Scanners, welcher sowohl eine Punktwolke (3D-Scan), als auch eine Fotodokumentation herstellt (360°-Fotokugel) zielführend. Diese beiden Aufnahmen können kombiniert werden, wodurch sich die Vorteile der beiden Verfahren ergänzen. Nach der Aufnahme kann das Bauwerk digital begangen werden. Die Begehung kann per Mausklick (ähnlich „Google Maps“) oder per VR-Brillen erfolgen. 134 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Vorzüge des digitalen Gebäudezwillings bei Objektuntersuchung und Instandsetzungsplanung Vorteil hierbei ist, dass durch den 3D-Scan eine Punktwolke des Bauwerks erstellt wird, welche den Raum dreidimensional aufnimmt. Die parallel aufgenommene, 360°-Fotokugel ermöglicht eine detaillierte, hochauflösende Betrachtung der Bauteiloberfläche, auf der z. B. auch Risse, Kiesnester oder andere Imperfektionen erkennbar sind. In Abbildung 1 und Abbildung 2 ist ein Ausschnitt aus einem 3D-Modell und ein Ausschnitt aus der dazugehörten 360° Fotoaufnahme dargestellt. Der nach Überlagerung des 3D-Modells mit der 360° Fotoaufnahme ist ein zentimetergenaues Messen in der Fotoaufnahme möglich. Dadurch können Längen, Flächen und Massen mit Hilfe des digitalen Zwillings bestimmt werden. Abbildung 1: Ausschnitt aus 3D-Scan Abbildung 2: Ausschnitt aus 360°-Fotoaufnahme Grundsätzlich ist anhand dieser Gegenüberstellung zu erkennen, dass bereits der 3D-Scan über eine gute Aufnahmequalität verfügt. In der ergänzenden hochauflösenden Fotoaufnahme sind Details allerdings nochmals genauer zu erkennen. 2.2 Ist-Zustandsdokumentation Durch die digitale Aufnahme des Bauwerks in Form von einem 3D-Scan sowie von 360°-Fotos erfolgt eine gesamtheitliche visuelle Dokumentation des Bauwerks-Ist- Zustands. In der Folge ist z. B. eine Nachverfolgung von Schadenursachen wie z. B. Undichtigkeiten über mehrere Etagen schnell und unkompliziert möglich. Ein weiterer praktischer Anwendungsfall ist die „Projektion“ von Rissen in andere Etagen des Bauwerks. Ist z. B. Risse einer Deckenunterseite ein Riss vorhanden, kann diese mit Hilfe des Modells auf die darüber- oder darunterliegende Etage projiziert werden. Ein Anwendungsbeispiel hierfür: An einer Deckenunterseite ist ein Riss vorhanden, welche Undichtigkeiten aufweist. Auf der Deckenoberseite (Freifläche) sind auf der Stahlbetondecke Pflastersteine vorhanden, weshalb der Riss hier nicht zu erkennen ist. Mit Hilfe des Gebäudezwillings kann schnell und kompliziert der Riss von Deckenunterseite auf die Deckenoberseite „projiziert“ werden. Für das weitere Vorgehen der Rissbehandlung kann die Position des Risses an der Deckenoberseite exakt bestimmt und der entsprechende Bereich freigelegt werden. Neben der visuellen Dokumentation des Ist-Zustands können zusätzliche Informationen wie z. B. Nahaufnahmen von Schädigungen (Risse, Undichtigkeiten, freiliegender Bewehrung, o. ä.) sowie Ergebnisse einer Bauwerksuntersuchung mit Hilfe von „Tags“ in den digitalen Zwilling eingepflegt werden. Diese Ergebnisdarstellung ist in den folgenden Abbildungen dargestellt. In Abbildung 3 sind die Ergebnisse einer Bauwerksuntersuchung in der Grundrissansicht des digitalen Gebäudezwillings dargestellt. Die Chloriduntersuchung wurden im Ampelsystem (grün, orange, rot) hinsichtlich des vorhandenen Chloridgehalts eingepflegt. Sondierungsöffnungen sind violett, Messstellen der Carbonatisierungstiefe in grau dargestellt. Zudem kann mit Hilfe des verwendeten Symbols (Kreuz, Pfeil, Kreis) im Grundriss dargestellt werden, an welcher Fläche (Boden, Decken, aufgehenden Bauteile) sich die Prüfstelle befindet. Durch diese Zuordnung ist eine übersichtliche Ergebnisdarstellung im Modell sichergestellt. Abbildung 3: Ergebnisdarstellung Bauwerksunter-suchung mittels „Tags“ in der Grundrissansicht des Bauwerks farbliche dargestellt Abbildung 4 zeigt die „Tags“ bei der digitalen Begehung des Bauwerks. Durch die Markierung der Untersuchungsstellen ist exakt zu erkennen, an welche Stelle welche Untersuchung durchgeführt wurde. Zudem kann der Chloridgehalt der Untersuchungsstelle anhand der verwendeten Farbe des „Tags“ visualisiert werden. Per 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 135 Vorzüge des digitalen Gebäudezwillings bei Objektuntersuchung und Instandsetzungsplanung Klick auf den „Tag“ werden zusätzliche Informationen, wie z. B. der Chloridgehalt in den unterschiedlichen Tiefenstufen oder die vorhandene Betondeckung angezeigt. Abbildung 4: Ergebnisdarstellung mittels „Tags“ Bauwerksuntersuchung in 360°-Foto Abbildung 5 zeigt die eingepflegte Detailaufnahme einer im Zuge einer Bauwerksuntersuchung freigelegten Bewehrung. Die Bewertung des Bewehrungszustands (Querschnittsverluste, Korrosionsgrad) kann ebenfalls eingefügt werden. Abbildung 5: Eingepflegte Detailaufnahme Durch das Ergänzen der Untersuchungsergebnisse stellt der digitale Bauwerkszwilling die Grundlage für die weitere Planung der Instandsetzung dar. Aufgrund der cloudbasierten Anwendung ist ein Ergänzen oder Entfernen von Ergebnissen jederzeit möglich. Die vorgenommenen Änderungen werden automatisch synchronisiert. 2.3 Instandsetzungsplanung Nachdem der digitale Gebäudezwilling erstellt und mit den Ergebnissen der Bauwerksuntersuchungen ergänzt wurde, stellt dieser die ideale Grundlage für die Instandsetzungsplanung des Bauwerks dar. Die zuvor beschriebene, einfache Anpassung der eingepflegten Daten sowie das unkomplizierte Teilen des Modells ermöglichen einen einfachen Austausch mit anderen Projektbeteiligten. Sofern die Beteiligten über die notwendigen Zugangsrechte verfügen, kann ein Austausch auch im digitalen Zwilling über die Erstellung von „Tags“ erfolgen. Der digitale Gebäudezwilling kann auch für die Phase der Angebotsabfrage bzw. während der Vergabe einer Instandsetzungsmaßnahme genutzt werden. Die Bieter können für die Angebotsabgabe einen Link zum Gebäudemodell zur Verfügung gestellt bekommen und sich über diesen digital durchs Bauwerk bewegen. Eine vor Ort Begehung wird durch die digitale Begehung allerdings nicht ersetzt. In der Praxis bedeutet das, dass z. B. eine Zusammenarbeit zwischen Bauherrn, Fachplaner Betoninstandsetzung, Tragwerksplaner sowie dem ausführenden Unternehmen theoretisch ohne gemeinsamen Ortstermin erfolgen kann. Der Fachplaner für Betoninstandsetzung erstellt den digitalen Gebäudezwilling und pflegt die Ergebnisse seiner Untersuchungen ein. Bauteile oder Fragestellungen, die durch einen Tragwerksplaner zu bewerten sind, werden mit den entsprechenden Informationen markiert. Der Tragwerksplaner kann das Gebäude virtuell (per Computer oder VR-Brille) begehen und die entsprechenden Bereiche genau begutachten, ohne selbst vor Ort gewesen zu sein. Durch dieses Vorgehen kann der Kosten- und Zeitaufwand für Kommunikation reduziert werden. Neben der Grundlage für die Kommunikation kann der digitale Gebäudezwilling auch für weitere Anwendungsgebiete genutzt werden. Fehlen für Bestandsbauten Unterlagen, wie beispielsweise Grundriss- und Schnitt- Zeichnungen können diese auf Grundlage des Gebäudemodells erstellt und exportiert werden. Im Folgenden sind weitere die Möglichkeiten der zu erstellenden Dateien bzw. Modelle aufgelistet: • Grundrisszeichnungen PDF-/ CAD-Format) • Hochdichte Punktwolken (E57-Format) • BIM-Modell (RVT-/ IFC-/ RCS-/ DWG-Format) 2.4 Überwachung der Instandsetzungsmaßnahme Auch bei Überwachung von Instandsetzungsmaßnahmen kann der digitale Gebäudezwilling zum Einsatz kommen. Neben der ganzheitlichen Dokumentation des Bauzustands vor Ort können u. a. verschiedene Bauzustände miteinander vergleich und „übereinandergelegt“ werden. Im Folgenden wird ein Praxisbeispiel für diese Anwendung. Im Zuge einer Bauwerksuntersuchung der Tiefgaragen- Bodenplatte wurden Risse festgestellt, entlang derer hohe Chloridgehalte im Bereich der Bewehrung festgestellt wurden. An der Bauteilbewehrung waren signifikante Querschnittsverluste vorhanden. Für die Instandsetzung war daher vorgesehen, den chloridkontaminierten Beton entlang der Risse zu entfernen, Bewehrung nachzulegen und anschließend auf der reprofilierten Betonoberfläche eine Rissbandage aufzubringen. Während der HDW- Arbeiten zeigte sich, dass der Beton links und rechts der Risse ebenfalls geschädigt war und somit entfernt, werden muss. Nach der Reprofilierung waren aufgrund der größeren reprofilierten Fläche die zuvor vorhandenen Rissverläufe nicht mehr genau nachzuvollziehen und die Positionierung der Rissbandagen daher nicht mehr genau möglich war. 136 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Vorzüge des digitalen Gebäudezwillings bei Objektuntersuchung und Instandsetzungsplanung In diesem Fall wurde vor den HDW- und nach den Reprofilierungsarbeiten ein Gebäudemodell erstellt. In der Grundrissansicht im Modell wurden dann die Risse rot markiert (Abbildung 6, oberer Bereich) und anschließen auf den nach der Reprofilierung erstellen Scan übertragen (Abbildung 6, unterer Bereich). Anschließend wurden die für die Rissbandagen mittels Fräsen vorbereiteten Bereich grün markiert (Abbildung 6, unterer Bereich). Abbildung 6: Vergleich Risse (oben, rotmarkiert) zu vorbereiteten Flächen (unten, grün markiert) Mit Hilfe dieser Vorgehensweise konnte festgestellt werden, dass die Untergrundvorbereitung mittels Fräsen nicht immer dem ursprünglichen Rissverlauf folgend ausgeführt wurde und die Rissbandagen stellenweise falsch positioniert worden wären. In der Folge konnte die Vorgehensweise auf Grundlage der erstellten Gebäudemodells angepasst werden. Des Weiteren kann der Gebäudezwilling durch ein Ticketsystem für die Kommunikation während der Bauausführung genutzt werden. Die Projektbeteiligten können Tickets erstellen, im Gebäudemodell verorten und mit Hilfe einer Kommentarfunktion miteinander kommunizieren. 3. Zusammenfassung Der digitale Gebäudezwilling bietet verschiedenste Möglichkeiten bei der Dokumentation von Bauwerken und stellt über den gesamten Zeitraum von der Ist-Zustandserfassung über die Instandsetzungsplanung bis zur Überwachung ein sehr übersichtliches und informationsreiches Hilfsmittel dar. Der Nutzen des Zwillings beginnt bei der ganzheitlichen, visuellen Ist-Zustands-Erfassung und der übersichtlichen Darstellung der Untersuchungs-ergebnisse im Modell. Darauf auf bauend stehen für die Planung alle bisher gesammelten Informationen gebündelt und im Modell verortet zur Verfügung. Für die Instandsetzungsplanung wichtige Informationen wie Abmessungen, Flächen und Massen von Bauteilen können mit Hilfe des digitalen Gebäudezwillings ermittelt werden. Dadurch wird der Planungsprozess erheblich erleichtert und optimiert. Auch für die Überwachung kann das Gebäudemodell für die Dokumentation des Baufortschritts vor Ort sowie die für Kommunikation der Projektbeteiligen genutzt werden. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 137 Einsatz von Linked Data zur effizienten Verwaltung der Informationen in Bestandsgebäuden - Potenziale und Herausforderungen Bin Wu, M. Sc. Karlsruhe Institut für Technologie Zusammenfassung Die Verwaltung von Gebäudedaten erfolgt häufig in unterschiedlichen Systemen, Formaten und Zuständigkeiten. Dabei kommen vielfältige Quellen zum Einsatz, wie Papierdokumente, PDFs, CAD-Dateien und unstrukturierte Notizen. Unterschiedliche Organisationen oder Fachplaner folgen oft nicht gleiche Dokumentationsstandards, was die Interoperabilität der Daten erschwert. Die Nutzung von Linked Data bietet ein Konzept, um heterogene Datenquellen semantisch zu verknüpfen und zugänglich zu machen. Linked Data basiert auf Technologien des Semantischen Web und ermöglicht eine maschinenlesbare, strukturierte Repräsentation von Informationen. Dieser Beitrag präsentiert eine systematische Recherche zu den Potenzialen von Linked Data - etwa zur Verbesserung der Interoperabilität, Effizienz und Nachhaltigkeit der Datenverwaltung im Gebäudebestand - sowie den damit einhergehenden technischen, organisatorischen und rechtlichen Herausforderungen. 1. Einführung Die Verwaltung von Informationen in Bestandsgebäuden stellt eine zentrale Herausforderung für die Bau- und Immobilienbranche dar. Oft sind die vorhandenen Daten fragmentiert, in unterschiedlichen Formaten gespeichert oder unvollständig, was zu Ineffizienzen in der Planung, Umsetzung und Wartung von Bauprojekten führt [1, 2]. Gleichzeitig steigt der Bedarf, diese Daten gezielt zu nutzen, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, Gebäude-lebenszyklen effizient zu managen und die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft umzusetzen. In diesem Zusammenhang bietet Linked Data einen Ansatz zur Überwindung dieser Herausforderungen. 1.1 Grundlagen vom Linked Data Linked Data beschreibt die strukturierte Verknüpfung von Daten aus unterschiedlichen Quellen mithilfe offener Standards. Ursprünglich von Tim Berners-Lee im Rahmen des Semantischen Webs eingeführt [3], basiert Linked Data auf Technologien wie RDF 1 (Resource Description Framework) und SPARQL 2 (SPARQL Protocol and RDF Query Language). RDF strukturiert Informationen als „Tripel“ bestehend aus Subjekt, Prädikat und Objekt - beispielsweise: „Gebäude A hat eine Fläche von 500-Quadratmetern“. SPARQL ermöglicht Abfragen dieser RDF-Daten und unterstützt die Extraktion komplexer Informationen aus verknüpften Datensätzen. Um komplexere Zusammenhänge abzubilden, werden Ontologien und Vokabulare eingesetzt, die konzeptionellen Schemata definieren. Hierbei spielen RDFS 3 (RDF- 1 https: / / www.w3.org/ RDF/ 2 https: / / www.w3.org/ TR/ sparql11-query/ 3 https: / / www.w3.org/ 2001/ sw/ wiki/ RDFS Schema) und OWL 4 (Web Ontology Language) eine wichtige Rolle: • RDFS erweitert RDF, indem es Klassen, Eigenschaften und ihre Beziehungen beschreibt. Hierarchische Strukturen wie „Architekt ist eine Unterklasse von Person“ können modelliert werden. • OWL baut auf RDF und RDFS auf und ermöglicht die Definition komplexer logischer Zusammenhänge, z. B. durch owl: equivalentClass (Gleichwertigkeit von Klassen) oder owl: someValuesFrom (Einschränkungen für Eigenschaften). Zudem ermöglicht OWL das logische Schlussfolgern mithilfe von Reasonern, wodurch neue Erkenntnisse aus bestehenden Daten abgeleitet werden können [4]. Das Semantische Web und Linked Data stehen in einer engen Beziehung: Während Linked Data die technische Grundlage zur Verknüpfung und Integration von Daten bildet, zielt das Semantische Web darauf ab, Informationen maschinenlesbar und -interpretierbar zu machen. Mithilfe von Ontologien können Bedeutungen und logische Beziehungen zwischen Daten definiert werden, was eine Integration und Analyse von Informationen aus verschiedenen Quellen ermöglicht [5]. Im Bauwesen können solche Ansätze beispielsweise zur Compliance-Prüfung, zur prädiktiven Wartung oder zur Optimierung von Materialkreisläufen beitragen. Trotz der vielversprechenden Vorteile von Linked Data gibt es jedoch auch erhebliche Herausforderungen: Die technische Komplexität der Datenmodellierung, organisatorische Widerstände gegen neue Arbeitsabläufe sowie die hohen Implementierungs-kosten stellen Hindernisse dar, die nicht zu unterschätzen sind. Zusätzlich erfordert 4 https: / / www.w3.org/ OWL/ 138 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Einsatz von Linked Data zur effizienten Verwaltung der Informationen in Bestandsgebäuden - Potenziale und Herausforderungen die Integration bestehender Datenformate erhebliche Anpassungen und die Etablierung einheitlicher Standards. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Arbeit das Potenzial und die Herausforderungen des Einsatzes von Linked Data zur effizienten Verwaltung von Informationen in Bestandsgebäuden. Dabei werden die theoretischen Grundlagen erklärt, praktische Anwendungsfälle analysiert und bestehende Barrieren kritisch beleuchtet. Durch die Kombination aktueller Forschungsarbeiten, relevanter Technologien und Fallstudien wird aufgezeigt, wie Linked Data die Datenintegration und -nutzung verbessern kann. Abschließend werden Empfehlungen für Forschung, Praxis und Politik formuliert, um die Implementierung von Linked Data in der Bauwirtschaft voranzutreiben. 1.2 Linked Data in der Bauindustrie Die Nutzung von Linked Data in der Bauindustrie bietet zahlreiche Anwendungsfälle, die sowohl die Effizienz als auch die Nachhaltigkeit verbessern können. Ein zentraler Anwendungsbereich ist die Integration von BIM mit IoT- und GIS-Daten, bei der Linked Data eine nahtlose Verknüpfung dieser Daten ermöglicht, um Echtzeitüberwachung, räumliche Analysen und das Facility Management zu verbessern [1]. Darüber hinaus unterstützt Linked Data die Entwicklung digitaler Zwillinge, indem heterogene Datensätze verknüpft werden, um umfassende und aktuelle digitale Repräsentationen eines Bauwerks zu schaffen. Diese können für Optimierungen und vorausschauende Wartung genutzt werden [2], [3]. Ein weiterer wesentlicher Anwendungsfall ist das Sicherheitsmanagement auf Baustellen. Ontologie-basierte Systeme helfen, Gefahren automatisiert zu identifizieren und Risiken zu minimieren, wodurch die Sicherheit der Arbeiter verbessert und Vorschriften eingehalten werden [7, 8]. Ebenso trägt Linked Data zur Lebenszyklusverwaltung von Gebäuden bei, indem es Wartungspläne, Inspektionsprotokolle und Leistungsdaten mit BIM-Modellen verbindet. Dies optimiert das Asset Management und senkt die Kosten über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg [6]. Im Bereich der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ermöglicht Linked Data die Nachverfolgung von Materialien in BIM-Modellen und deren Verknüpfung mit Datenbanken zur Wiederverwendung und zum Recycling [7]. Dies unterstützt insbesondere Renovierungs- und Rückbauprojekte. Zudem erleichtert Linked Data die automatisierte Einhaltung von Vorschriften, indem semantische Regeln verwendet werden, um Gebäude-Modelle auf regulatorische und designtechnische Anforderungen zu prüfen [8]. Ein weiterer Vorteil zeigt sich in der Unterstützung von Renovierungs- und Nachrüstungsprojekten, indem Daten aus Punktwolken und Materialien für die Modellierung bestehender Gebäude integriert werden [9]. Für den Erhalt von Kulturerbe hilft Linked Data dabei, Dokumentationen, strukturelle Details und Restaurierungsmethoden zu verknüpfen, um fundierte Entscheidungen zu treffen und historische Gebäude langfristig zu bewahren [10]. Darüber hinaus fördert Linked Data den interdisziplinären Wissensaustausch, indem es Architekten, Ingenieuren und Projektmanagern eine gemeinsame semantische Grundlage bietet, was Missverständnisse und Ineffizienzen reduziert [11]. Schließlich spielt Linked Data eine Schlüsselrolle in der Versionierung und Geometriemanagement, indem es verschiedene geometrische Darstellungen eines Bauwerks verknüpft und effizient aktualisiert. Ontologien wie OMG (Ontology for Managing Geometry) [12] und FOG (File Ontology for Geometry Formats) [13] bieten Lösungen für kollaborative Datenumgebungen . Obwohl erste Ansätze zur Nutzung von Linked Data im Bauwesen vielversprechend sind, bestehen noch erhebliche Forschungslücken: 1. Mangelnde Standardisierung und Interoperabilität. 2. Fehlende Tool-Unterstützung und Benutzer-freundlichkeit. 3. Performance und Skalierbarkeit von RDF- und SPARQL-Systemen. Diese Aspekte bilden die Grundlage für die weitere Untersuchung des Einsatzes von Linked Data zur Verwaltung von Bestandsgebäuden in der vorliegenden Arbeit. 2. Methodik: Systematische Recherche Die analysierten Publikationen wurden aus Scopus Datenbank. Die Suche wurde auf Artikel aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften beschränkt. Der Grund für diese Einschränkung liegt darin, dass Fachzeitschriften in der Regel detailliertere und qualitativ hochwertigere Informationen liefern als andere Publikationstypen. Publikationen wie Buchbesprechungen, Editorials und Konferenzbeiträge wurden von der Analyse ausgeschlossen, um die Relevanz und wissenschaftliche Tiefe der Daten zu gewährleisten. Die folgende Suchabfrage wurde für die Datenbank verwendet: TITLE-ABS-KEY((“construction industry”) OR (“building project”) OR (“construction project”) OR (“architecture engineering and construction”) OR (“AEC”) OR (“civil engineering”) OR (“engineering project”) OR (“project management”) OR (“construction management”)) AND TITLE-ABS-KEY((“ontology*”) OR (“ontological”) OR (“semantic web”) OR (“semantic technology”) OR (“semantic”) OR (“linked data”))). Die Analyse umfasste Artikel, die in den Jahren 2015 bis 2025 veröffentlicht wurden. Zur weiteren Verfeinerung der Ergebnisse wurde die Suche auf Fachbereiche wie Ingenieurwesen, Informatik und Umweltwissenschaften beschränkt. Darüber hinaus wurden nur Artikel in den Sprachen Englisch, Deutsch und Chinesisch in die Untersuchung aufgenommen. Nach der Sammlung der Artikel wurde eine manuelle Überprüfung durchgeführt, um irrelevante Publikationen zu entfernen und die Qualität der Ergebnisse sicherzustellen. Die ursprüngliche Suche lieferte 798 Publikationen, die nach der Anwendung der Filterkriterien auf 271 Artikel reduziert wurden. Die Zitationsinformationen, Abstrakt, und Schlüsselwörter wurden als RIS-Dokument exportiert, 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 139 Einsatz von Linked Data zur effizienten Verwaltung der Informationen in Bestandsgebäuden - Potenziale und Herausforderungen die weiterin in eine Software VOSviewer importiert werden. VOSviewer ist eine Software zur Konstruierung und Visualisierung der Zitationsinformationen und dere Beziehungen. Eine Schlüssel-Ko-Vorkommen Analyse sowie ein Co-Autoren Analyse wurden durchgeführt. Anschließend wurden repräsentative Autoren in jedem identifizierten Cluster (sieh. Abbildung 2) ausgewählt, wobei ein besonderes Augenmerk auf Autoren gelegt wurde, die Publikationen nach 2021 veröffentlicht haben. Schließlich wurde die Auswahl auf 61 Publikationen eingegrenzt, die eine umfassende und qualitativ hochwertige Grundlage für die weitere Analyse darstellen. Abbildung 1: Schlüsselwort-Ko-Vorkommen Analyse Abbildung 2: Co-Autoren Netzwerk 140 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Einsatz von Linked Data zur effizienten Verwaltung der Informationen in Bestandsgebäuden - Potenziale und Herausforderungen 3. Potenziale von Linked Data für Bestandsgebäude Die Verwaltung von Bestandsgebäuden stellt hohe Anforderungen an die Qualität, Verfügbarkeit und Interoperabilität von Daten. Bauliche Veränderungen, Modernisierungsmaßnahmen, die Integration neuer Technologien sowie fortlaufende Wartungs- und Instandhaltungsprozesse führen zu einer komplexen Informationslandschaft. Linked Data bietet hier einen Lösungsansatz, um heterogene, verteilte und dynamische Datenbestände in ein umfassendes, semantisch verknüpftes Informationsmodell zu integrieren. 3.1 Integration heterogener Datenquellen Ein zentrales Potenzial von Linked Data besteht in der Integration von Daten aus unterschiedlichsten Quellen und in verschiedenen Formaten. Besonders relevant ist dies bei Bestandsgebäuden, da Informationen über Baupläne, Geometrien, Materialien, Wartungsdokumente, GIS- Daten, Umweltbedingungen sowie Echtzeit-Sensordaten typischerweise in separaten und teilweise proprietären Systemen liegen. Linked Data schafft durch RDF-basierte Modelle und Ontologien wie ifcOWL (eine auf IFC-Standards aufbauende Ontologie) eine einheitliche semantische Grundlage, auf der diese Daten zusammengeführt werden können [1]. Die Folge ist ein durchgängiger Informationsfluss, der die Suche, Aktualisierung und Analyse von Daten über System- und Disziplinengrenzen hinweg erleichtert. 3.2 Semantische Abfragen und Automatisierung von Prozessen Ein weiterer Vorteil von Linked Data zeigt sich in der Möglichkeit, semantische Abfragesprachen wie SPARQL einzusetzen. Durch die semantische Anreicherung der Daten können komplexe Fragen an das Gebäudemodell gestellt werden, beispielsweise zur Überprüfung der Regelkonformität (Compliance Checks), Gefahrenanalysen oder zur Optimierung des Energiemanagements [11]. Diese maschinen-interpretierbaren Verknüpfungen ermöglichen eine weitreichende Automatisierung von Analyse- und Prüfprozessen, reduzieren manuelle Fehler, beschleunigen Entscheidungsfindungen und steigern die Effizienz - ein Vorteil, der sich besonders bei zeitkritischen Renovierungs- oder Sanierungs-maßnahmen in Bestandsgebäuden auszahlt. 3.3 Unterstützung der Kreislaufwirtschaft Linked Data kann einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung von Kreislaufwirtschaftskonzepten im Bauwesen leisten. Über Ontologien wie die Building Product Ontology (BPO) und die Building Element Ontology (BEO) lassen sich Materialdaten und Produktinformationen so strukturieren, dass Materialflüsse transparent nachvollzogen werden können [18]. Dies unterstützt sowohl das Recycling von Baumaterialien als auch die Wiederverwendung von Bauelementen, da Informationen über Herkunft, Zusammensetzung und Zustandsverlauf semantisch verknüpft und leicht abruf bar sind. In Zeiten knapper Ressourcen und steigenden Kostendrucks gewinnt dieses Potenzial zunehmend an Bedeutung. 3.4 Interdisziplinäre Zusammenarbeit und verbesserte Kommunikation Die Harmonisierung unterschiedlicher Datenquellen und das Vorhandensein eines gemeinsamen semantischen Rahmens fördern die Zusammenarbeit zwischen Architekten, Ingenieuren, Facility Managern und anderen Stakeholdern im Lebenszyklus eines Bestandsgebäudes [17]. Durch Linked Data werden Informationslücken geschlossen und Missverständnisse reduziert, da alle Beteiligten auf dieselbe, konsistente Datenbasis zugreifen. Dies führt zu einer verbesserten Koordination interdisziplinärer Teams und erhöht letztlich die Planungs- und Betriebssicherheit sowie die Nachhaltigkeit der Maßnahmen. 3.5 Verwaltung mehrerer geometrischer Repräsentationen Bestandsgebäude können über verschiedene geometrische Modelle beschrieben werden, etwa Punktwolken, parametrische BIM-Modelle oder CAD-Daten. Linked Data ermöglicht es, diese unterschiedlichen Repräsentationen semantisch zu verknüpfen und über Ontologien wie die Ontology for Managing Geometry (OMG) zu synchronisieren und versionieren [19]. Dies gewährleistet, dass alle Darstellungen des Gebäudes aufeinander abgestimmt sind und Änderungen zentral nachverfolgt werden können. 3.6 Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) Die Kombination von Linked Data mit KI-Verfahren eröffnet zusätzliche Potenziale. Durch die semantische Verknüpfung heterogener Datenquellen können KI-Modelle effizienter trainiert und eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind: • Prädiktive Wartung: Anhand von Sensorwerten (z. B. Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Energieverbrauch) können Maschinenlernverfahren frühzeitig Anomalien erkennen und Wartungsbedarf prognostizieren [20]. • Optimierung des Energiemanagements: KI-Modelle, die auf Linked-Data-Ressourcen zugreifen, können Energieverbrauchsmuster analysieren, Einsparpotenziale identifizieren und Vorschläge zur Effizienzsteigerung unterbreiten [21]. • Anomalieerkennung in Sicherheits- und Brandschutzsystemen: Durch die semantische Integration kann KI etwa untypische Zustände von Sicherheitssystemen identifizieren, bevor diese zu kritischen Situationen führen [3]. 4. Herausforderungen beim Einsatz von Linked Data Trotz der erheblichen Potenziale befindet sich der Einsatz von Linked Data in der Bau- und Immobilienbranche noch im Entwicklungsstadium. Gründe dafür liegen in fehlenden, umfassend akzeptierten Standards, dem hohen Implementierungsaufwand, technischen Hürden sowie einer gewissen Zurückhaltung gegenüber neuen Technologien. Die zentralen Herausforderungen lassen sich wie folgt systematisieren: 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 141 Einsatz von Linked Data zur effizienten Verwaltung der Informationen in Bestandsgebäuden - Potenziale und Herausforderungen 4.1 Komplexität semantischer Modelle und Ontologien Die Nutzung von Ontologien wie ifcOWL, die das IFC- Datenmodell in ein RDF-basiertes Format überführen, ist technisch anspruchsvoll. Für Praktiker ohne tiefgreifende IT- oder Datenmodellierungskenntnisse ist die Handhabung dieser Ontologien oft schwierig. Hinzu kommt, dass RDF-Grafen mit wachsender Datenmenge zunehmend schwer effizient abfragbar werden [16]. Dies kann die Performanz und Skalierbarkeit bestehender Implementierungen erheblich beeinträchtigen, was in der Praxis zur Folge hat, dass Linked-Data-Lösungen bei umfangreichen Gebäudedatenbeständen an ihre Grenzen stoßen. 4.2 Integration unterschiedlicher Standards und Datenformate Die Harmonisierung von IFC mit anderen Standards, beispielsweise CityGML oder proprietären Datenformaten, erfordert aufwendige Mapping-Prozesse. Da einheitlich akzeptierte Ontologien und Referenzmodelle noch fehlen, ist die Interoperabilität zwischen Plattformen, Tools und Systemen weiterhin eingeschränkt [15]. Dies führt zu zusätzlichem Aufwand bei der Einführung von Linked Data und mindert die Akzeptanz in der Branche. 4.3 Hohe Investitions- und Einstiegshürden Die Einführung von Linked Data-Technologien ist mit nicht unerheblichen Kosten verbunden. Dies betrifft neben der Anschaffung geeigneter Technologien auch den Schulungsaufwand, um Mitarbeiter in semantische Modellierung, Abfragesprachen und Datenmanagement einzuarbeiten. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen empfinden dies als Barriere, da der wirtschaftliche Nutzen schwer abzuschätzen ist, während der unmittelbare Ressourceneinsatz hoch ist. 4.4 Datenschutz, Sicherheit und ethische Fragen Die Verknüpfung sensibler Informationen - etwa von IoT-Sensoren, die Klimadaten oder Raumnutzungsinformationen liefern - mit Gebäudedaten, wirft Fragen des Datenschutzes, der Sicherheit und der ethischen Verantwortung auf [5]. Es müssen belastbare Sicherheits- und Anonymisierungsmechanismen etabliert werden, um die Integrität, Vertraulichkeit und Nachvollziehbarkeit der Daten zu gewährleisten. 4.5 Datenqualität und Unsicherheiten Gebäudebestände umfassen oft unvollständige, veraltete oder inhomogene Daten, die bei einer Verknüpfung über Linked Data zu Fehlinterpretationen führen können. Die Dokumentation von Datenherkünften, Mess-genauigkeiten sowie Annahmen ist komplex, zeitaufwendig und erfordert zuverlässige Metadatenmodelle [3]. Die Sicherstellung einer hohen Datenqualität ist somit nicht nur eine technische, sondern auch eine organisatorische Herausforderung, die maßgeblich den Erfolg von Linked-Data- Projekten beeinflusst. 5. Fazit und Ausblick Linked Data bietet vielfältige Potenziale, um die Verwaltung von Informationen in Bestandsgebäuden grundlegend zu verbessern. Durch die Schaffung eines semantischen Rahmens lassen sich heterogene Daten integriert, automatisiert und kontextbezogen analysieren. Die daraus resultierenden Vorteile sind vielfältig: von verbesserter Interoperabilität und effizienteren Entscheidungsprozessen über eine gesteigerte Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit von Materialien bis hin zur Unterstützung des Lebenszyklusmanagements von Gebäuden. Zudem fördert Linked Data die interdisziplinäre Zusammenarbeit, indem es einen gemeinsamen Verständigungs- und Wissensraum schafft. Gleichzeitig sind jedoch noch erhebliche technische, organisatorische und rechtliche Hürden zu meistern. Hierzu zählen die Weiterentwicklung und Standardisierung von Ontologien und Datenformaten, die Steigerung der Performanz von RDF-Datenbanken sowie die Bereitstellung nutzerfreundlicher Werkzeuge. Ebenso sind datenschutzrechtliche Anforderungen zu klären und Sicherheitsmechanismen auszuarbeiten, um eine rechtlich und ethisch vertretbare Nutzung von Gebäudedaten und IoT- Informationen zu gewährleisten. Ein entscheidender Faktor für die breite Akzeptanz von Linked Data im Gebäudekontext sind Pilotprojekte und Best-Practice-Beispiele, die den tatsächlichen Mehrwert demonstrieren. Insbesondere die Verknüpfung von Linked Data mit KI-Methoden, etwa zur automatischen Qualitätsverbesserung von Daten, zur Mustererkennung oder zur prädiktiven Wartung, eröffnet weitere Innovationspotenziale. Solche hybriden Ansätze können dazu beitragen, den Einführungsaufwand zu senken, den Nutzen zu steigern und so Vorbehalte der Branche abzubauen. Zukünftige Forschung sollte sich darauf konzentrieren, modular aufgebaute, leicht anpassbare Ontologien für Bestandsgebäude zu entwickeln, die sich an den spezifischen Anforderungen der Praxis orientieren. Mit fortschreitender Standardisierung, ausgereiften Tools sowie zunehmender Erfahrung aufseiten der Anwender können Linked-Data-Technologien langfristig einen entscheidenden Beitrag zur digitalen Transformation des Baubestands und zur Nachhaltigkeit in der Bauindustrie leisten. Literatur [1] J. Shi, Z. Pan, L. Jiang, und X. Zhai, „An ontology-based methodology to establish city information model of digital twin city by merging BIM, GIS and IoT“, null, 2023, doi: 10.1016/ j.aei.2023.102114. [2] D. D. Eneyew, M. A. M. Capretz, und G. Bitsuamlak, „Toward Smart-Building Digital Twins: BIM and IoT Data Integration“, null, 2022, doi: 10.1109/ access.2022.3229370. [3] L. Jiang, J. Shi, C. Wang, und Z. Pan, „Intelligent control of building fire protection system using digital twins and semantic web technologies“, 142 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Einsatz von Linked Data zur effizienten Verwaltung der Informationen in Bestandsgebäuden - Potenziale und Herausforderungen Autom. Constr., Bd. 147, S. 104728, März 2023, doi: 10.1016/ j.autcon.2022.104728. [4] L. Y. Ding, B. T. Zhong, S. Wu, und H. B. Luo, „Construction risk knowledge management in BIM using ontology and semantic web technology“, Saf. Sci., Bd. 87, S. 202-213, 2016, doi: 10.1016/ j. ssci.2016.04.008. [5] K. Farghaly u.-a., „Construction safety ontology development and alignment with industry foundation classes (IFC)“, J. Inf. Technol. Constr., 2022, doi: 10.36680/ j.itcon.2022.005. [6] K. Farghaly, F. H. Abanda, C. Vidalakis, und G. Wood, „BIM-linked data integration for asset management“, Built Environ. Proj. Asset Manag., Bd. 9, Nr. 4, S. 489-502, 2019, doi: 10.1108/ BE- PAM-11-2018-0136. [7] C. Roithner, O. Cencic, M. Honic, und H. 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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 143 Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung - aktueller Stand und zukünftige Entwicklung Dr. Iris Hindersmann Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Ralph Holst Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Kay Degenhardt Landesbetrieb Straßen Brandenburg, Hoppegarten Zusammenfassung Im Rahmen der Erhaltung von Bauwerken der Bundesfernstraßen werden durch die zunehmende Digitalisierung deutlich mehr Daten erhoben. Zu nennen sind u. a. BIM-Modelle, Laserscans, photogrammetrische Aufnahmen und Daten aus Monitoringanwendungen oder Zf P-Verfahren. Um einen maximalen Nutzen aus den zusätzlichen Daten zu ziehen, ist ein Datenmanagement notwendig, welches die Strukturierung, Speicherung und Zusammenführung der Daten ermöglicht. Ziel des Datenmanagements ist die verbesserte Datengrundlage zur Vereinfachung von Prozessen und Arbeitsaufwänden. Weiterhin sollte die konsequente Anwendung der FAIR-Prinzipien umgesetzt werden, damit Daten auffindbar, zugänglich, interoperabel und wiederverwendbar sind. Im Rahmen des Berichts werden die Anforderungen und Ergebnisse für die Entwicklung eines umsetzbaren Datenmanagements für die Bauwerkserhaltung, welche in Zusammenarbeit mit den Betreibern der Ingenieurbauwerke im Rahmen verschiedener Zusammenarbeiten entwickelt wurden, dargestellt. 1. Einführung Die Betreiber der Ingenieurbauwerke stehen einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Steigende Verkehrslasten, Alterung der Bauwerke und klimatischen Einwirkungen sind hierbei Beispiele. Aktuell wird diesen Herausforderungen zumeist mit einem reaktiven Erhaltungsmanagement begegnet. Erst wenn Schäden sichtbar sind, werden diese behoben. Mit einem zukünftigen, verifizierbaren prädiktiven Lebenszyklusmanagement könnten Erhaltungsmaßnahmen bereits durchgeführt werden, bevor größere Schädigungen eintreten. Diese Vorgehensweise adressiert vor allem eine verbesserte Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Sicherheit der Straßeninfrastruktur [1; 2]. Der Digitale Zwilling als Werkzeug zur Umsetzung eines prädiktiven Vorgehens spielt hierbei eine bedeutende Rolle. Ein Digitaler Zwilling Bundesfernstraßen ist eine virtuelle dynamische Repräsentation des realen Systems und seiner Wirkzusammenhänge. Er unterstützt über einen (teil)automatisierten bidirektionalen Daten- und Informationsaustausch optimierte Entscheidungsgrundlagen für ein nachhaltiges Management im Lebenszyklus der Infrastruktur [3]. Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum einem prädiktiven Lebenszyklusmanagement durch digitale Zwillinge ist der definierte und standardisierte Umgang mit den Daten, die im Lebenszyklus des Bauwerks anfallen. Im Rahmen der Zusammenarbeit der Betreiber der Ingenieurbauwerke und Umfragen hat sich gezeigt, dass ein standardisierter Umgang mit den Daten nicht gegeben ist [4; 5]. Um diesem Problem zu begegnen, wurde im Rahmen eines Workshops mit Vertreter verschiedener Betreiber von Ingenieurbauwerken im Straßenbereich im Juni 2024 das Thema „Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung“ diskutiert [6]. Ziel war die Entwicklung eines gemeinsamen Leitbildes und die Formulierung von Anforderungen zur Umsetzung des Leitbildes. Auch im Rahmen des Projektes Leitfaden - strategischer Einsatz von Monitoring für Ingenieurbauwerke wurde das Thema adressiert und Möglichkeiten zur Umsetzung eines praktikablen Datenmanagements aufgezeigt [5]. Die Anforderungen und Ergebnisse, welche in Zusammenarbeit mit den Betreibern der Ingenieurbauwerke der Straße entwickelt wurden, werden im Rahmen dieses Beitrags aufgearbeitet. 2. Datenmanagement für die Bauwerkserhaltung 2.1 Aktuelle Situation Im Rahmen der Erhaltung von Bauwerken fallen eine Vielzahl von Daten an. Neben der klassischen Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [7] werden auch im Rahmen des Einsatzes von innovativen Verfahren der Zustandserfassung und -bewertung Daten erzeugt. Es gibt vielfältige innovative Unterstützungsmöglichkeiten zur Erfassung und Bewertung des Bauwerkszustands. Hier sind u. a. der Einsatz von Monitoring, zerstörungsfreien Prüfungen (Zf P) und die Erzeugung und Nutzung von Bauwerksmodellen zu nennen. Diese innovativen Verfahren finden teilweise bereits bei den zuständigen Betreibern der Ingenieurbauwerke Anwendung. Um die identifizierten Potenziale weiteren Anwendern zugänglich zu machen, bewährte Verfahren perspektivisch in Regelwerke aufzunehmen, ist es u. a. wichtig die Datengrundlagen 144 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung - aktueller Stand und zukünftige Entwicklung aufzuarbeiten. Der Erfolg und der Nutzen der innovativen Verfahren hängt auch stark von einem strukturierten und einheitlichen Datenmanagement ab. Das Datenmanagement bietet die Möglichkeit, die Daten vielseitig und langfristig im Rahmen verschiedener Aus- und Bewertungsverfahren zu nutzen und damit die Bauwerkserhaltung optimaler und zielgerichteter zu gestalten. Die im Rahmen der Bauwerkserhaltung erhobenen Daten werden nur teilweise und dann in unterschiedlichen Systemen und Formaten gespeichert und vorgehalten. Folgende Daten und damit auch Datenspeicherungen sind u. a. möglich und werden angewendet: • SIB Bauwerke: Im Programmsystem SIB Bauwerke werden die Bauwerksdaten nach den Anforderungen der ASB-ING (Anweisung Straßeninformationsbank, Teilsystem Bauwerksdaten) gespeichert, welche die Grundlage zu Erfassung und Verwaltung der Bauwerksdaten darstellt [8]. Neben den Bauwerksdaten werden u. a. auch Fotos und Berichte zu Bauwerksprüfungen, und objektbezogenen Schadensanalysen (OSA) [9] gespeichert. • Bauwerksakten: Im Rahmen der Erstellung von Bauwerken werden die Bauwerksakte Teil A - bauwirtschaftlicher/ kaufmännischer Teil der Bauwerksdokumentation, Bauwerksakte Teil B - bautechnischer Teil der Bauwerksdokumentation und die Bauwerksakte Teil C - Bauwerksbuch nach DIN 1076 aktuell in analoger Form erstellt. Erste Umsetzungen der digitalen Bauwerksakte sind beispielsweise in [10] beschrieben. • 3D-Modell: Im Rahmen der Planung von Bauwerken kommt vermehrt die BIM-Methode zur Anwendung und damit die Erstellung digitaler 3D-Modelle. Daneben können dreidimensionale Modelle im Rahmen der nachträglichen Erfassung der Bauwerke über verschiedene Methoden erstellt werden [11; 12]. Diese Daten werden häufig auf CDEs (Common Data Environment) abgelegt. • Messdaten: Im Rahmen des Einsatzes von Monitoring oder Zf P werden große Datenmengen erzeugt. Diese liegen zumeist in nativen Formaten vor. Aufgrund der großen Datenmengen erfolgt die zeitliche begrenzte Speicherung dieser Daten häufig auch nur bei den Ingenieurbüros oder Messtechnikanbietern und nicht bei den Betreibern der Infrastruktur. Diese archivieren zumeist nur Berichte mit den ausgewerteten Informationen. Die Vielzahl der Daten werden aktuell nur selten zusammengeführt und können damit auch nicht gemeinsam ausgewertet und bewertet werden. Eine Zusammenführung bietet aber viele Potenziale für die zukünftige Nutzung im prädiktiven Lebenszyklusmanagement mit digitalen Zwillingen. Daher ist es aus heutiger Sicht relevant, dass die Grundlagen und Anforderungen für ein Datenmanagement aus Sicht der Betreiber der Ingenieurbauwerke und damit den Verantwortlichen für die Bauwerkserhaltung entwickelt werden. Hierbei liegt der Fokus auf der Ableitung von Anforderungen für Datenmodelle, Zugangspunkte und Schnittstellen (siehe Kapitel 2.3). 2.2 Leitbild „Datenmanagement zur Bauwerkserhaltung“ Um Anforderungen an ein Datenmanagement ableiten zu können ist im ersten Schritt ein gemeinsames Verständnis notwendig. Im Rahmen des Workshops zum Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung wurde ein Leitbild für das Datenmanagement erarbeitet. Abb. 1: FAIR Prinzipen (geändert nach [13]) Das Datenmanagement zur Bauwerkserhaltung muss stets auf die Vereinfachung der Prozesse und damit auf die Reduzierung des bestehenden Arbeitsaufwandes bei mindestens gleicher oder höherer Qualität der zu verarbeitenden Informationen gerichtet sein. Grundlage des Handelns im Datenmanagement ist die konsequente Anwendung der international anerkannten FAIR-Prinzipien, um so Daten unter klar beschriebenen Bedingungen für die Wiederverwendung durch Menschen und Maschinen geeignet zu machen. FAIR steht hierbei für Findable (Auffindbar), Accessible (Zugänglich), Interoperable (Interoperabel) und Reusable (Wiederverwendbar) [13]. Die Abb. 1 gibt eine Übersicht zu den FAIR-Prinzipien. Der spezielle Fokus im Datenmanagement der Bauwerkserhaltung soll sich auf folgende Punkte richten: • einen zentralen Zugangspunkt zur Ansprache der Daten über standardisierte Schnittstellen • die Verwendung standardisierter Datenmodelle inklusive verbindlicher Metadatenprofile • die Sicherheit der Daten • die anwendungsbezogene Datenqualität • eine langfristig lesbare und interpretierbare Datenarchivierung 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 145 Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung - aktueller Stand und zukünftige Entwicklung Abb. 2: systematische Ablauf der Erhaltung von Bauwerken (verändert nach [14]) Die langfristige Zielsetzung für das Datenmanagement der Bauwerkserhaltung besteht in der Schaffung einfach zugänglicher und vollständig digitaler Prozesse gemäß Regelkreislauf der Erhaltung. Die Abb. 2 zeigt den systematischen Ablauf der Bauwerkeerhaltung. In jedem Schritt werden Daten erzeugt, welche systematisch verarbeitet und vorgehalten werden müssen. 2.3 Zukünftige Aufgaben 2.3.1 Allgemeines Für ein einheitliches Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung und der Umsetzung des in 2.2 beschriebenen Leitbilds fehlen aktuell noch die Grundlagen. Wichtige erste Schritt zur Umsetzung des Datenmanagements wird in der Verwendung standardisierter Datenmodelle, zentraler Zugangspunkte und Schnittstellen gesehen. Hierzu wurden zwei Forschungsideen zusammengetragen, welche die Umsetzung unterstützen. 2.3.2 Aufgabe „Evaluation standardisierter Datenmodelle“ Eine relevante Grundlage des Datenmanagements sind Datenformate und -modelle. Das Datenmodell ist hier ein Modell der zu beschreibenden und verarbeitenden Daten der Bauwerkserhaltung und ihrer Beziehungen zueinander. Datenmodelle helfen dabei Daten zu strukturiern, darzustellen und zu verstehen und sind ein Plan für die Organisation, Verbindung und Speicherung der Daten. Für alle Datensätze, die im Rahmen der Erhaltung, inklusive Planung und Bau, genutzt und erzeugt werden, werden Datenmodelle inklusive ihrer Metadaten benötigt. Ziel der Aufgabe ist daher die Beschreibung strukturierter und einheitlicher Datenformaten und -modellen und damit einhergehend die strukturierte Datenablage und -haltung für die Daten der Bauwerkserhaltung. Im Ergebnis sollten für alle Datensätze, die im Rahmen der Erhaltung genutzt und erzeugt werden, Datenmodelle vorliegen. Dieses umfasst sowohl die Metadaten als auch die tatsächlichen Datensätze. Mögliche Datensätze, welche auch schon in 2.1 beschrieben werden, stammen aus: • Laserscan • Dreidimensionale Modelle / BIM-Modelle • Bauwerksprüfung • Pläne • Fotos • Zerstörungsfreie Prüfungen (verschiedene Anwendungen, die einzeln betrachtet werden müssen) • Bauwerksmonitoring (verschiedene Monitoringanwendungen, die einzeln betrachtet werden müssen) Zur Zielerreichung sind folgende Arbeitsschritte identifiziert worden: • Sammlung und Evaluation der Datenmodelle für alle in der Erhaltung genutzten bzw. erzeugten Datensätze • Sammlung und Evaluation von Metadaten für alle in der Erhaltung genutzten bzw. erzeugten Datensätze • Neuerfassung und Nacherfassung fehlender/ unvollständiger Datensätze • Erstellung von Metadatenprofilen Im Ergebnis liegen für alle im Rahmen der Bauwerkserhaltung vorhandenen Datensätze Datenmodelle vor und die Daten können entsprechend den Modellen vorgehalten werden. Damit ist eine Nutzung der Ergebnisse für verschiedenen berechtigte Personenkreise und Fragestellungen möglich. Weiterhin können die Daten damit langfristig vorgehalten und genutzt werden. 2.3.3 Aufgabe „Evaluation zentraler Zugangspunkte und Schnittstellen“ Ziel der zweiten Aufgabe ist die geregelte Verfügbarkeit und der Zugriff auf unterschiedliche Datensätze zu einem Bauwerk/ Netzabschnitt. Die berechtigten Personenkreise benötigen den Zugriff auf die Datensätze zu einem Bauwerk/ Netzabschnitt. Folgende Aspekte sind von Relevanz: • akzeptierte Schnittstellen sind vorhanden • alle Datensätze sind mit Metadaten verknüpft • Aktuelle Übertragungsformate werden genutzt • Plattform (Internet oder Intranet) ist vorhanden • Rollen und Zugriffsrechte sind definiert • die Datenintegrität ist gesichert (Veränderungen in den Daten werden protokolliert) • die Langfristige Datenarchivierung ist geklärt Zur Zielerreichung sind folgende Arbeitsschritte identifiziert worden: 146 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung - aktueller Stand und zukünftige Entwicklung • Zusammenstellung von Lösungsmöglichkeiten und Ansätzen: Hierbei soll geklärt werden, welche Plattformen und Umsetzungsmöglichkeiten vorliegen. Im nächsten Schritt ist die Evaluation der Lösungsmöglichkeiten und anschließend die Definition eines Anforderungsprofils für die Plattform relevant. Dieses Anforderungsprofil stellt eine Grundlage für die Verwaltung zur Beschaffung geeigneter zentraler Zugangspunkte und Schnittstellen dar. • Definition der Rollen und Zugriffsrechte • Zusammenstellung der Anforderungen an den Datenschutz • Beschreibung des Prozesses zur Dokumentation u. a. der Datensätze und Verantwortlichkeiten Im Ergebnis ist es für die Betreiber und Baulastträger der Ingenieurbauwerke möglich, über das erarbeitete Anforderungsprofil die notwendigen Datenzugänge und Schnittstellen zu definieren und zu beschaffen. Damit wird die Nutzung der Daten im Rahmen verschiedener Auswertungen möglich und die Grundlage zur praxisangewandten Nutzung digitaler Zwillinge geschaffen. 2.4 Weiterbildung Im Rahmen des Workshops „Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung“ hat sich gezeigt, dass auch die Zusammenarbeit zwischen der Fachseite und der IT-Seite ein großes Potenzial zur Verbesserung der Bauwerkserhaltung hat. Zum besseren Verständnis und zur Bedienung der Schnittstelle zwischen den IT-Prozessen und den Fachanwendern, kann eine Weiterbildung eine wertvolle und notwendige Ergänzung darstellen. Das Ziel sollte die „Digitale Transformation“ sein im Sinne einer Nutzeroptimierung durch digitale Prozesse. Dieses bedeutet, dass nicht nur einfach analoge Prozesse in digitale übersetzt werden, sondern grundsätzlich neu, digital und unter dem Fokus der Maximierung der Nutzererfahrung, zu denken sind. Hierzu ist es notwendig, frühzeitig Schulungen des Personals in den anzuwendenden Softwareprodukten vorzusehen als auch Weiterbildungen hinsichtlich der „digitalen Kompetenzen“ zu veranlassen. Eine derartige Weiterbildung, welche auf die Bedürfnisse der Fachanwender der Bauwerkserhaltung und die IT- Seite zugeschnitten ist, liegt nach den Erkenntnissen der Autoren aktuell nicht vor und müsste noch entwickelt werden. Die Weiterbildung hat das Ziel, ein besseres Verständnis für die IT-Prozesse zu schaffen. Die Konzeption des Lehrgangs ist dabei eine gemeinsame Aufgabe der Bauwerksverantwortlichen und IT-Spezialisten. 3. Beispiele zur Umsetzung eines Datenmanagements für Monitoringdaten 3.1 Auftraggeber-Daten-Anforderung (ADA) Im Rahmen des Projekts „Leitfaden - Strategischer Einsatz von Monitoring für Ingenieurbauwerke“ wurde eine erste Idee für die Umsetzung eines zielorientierten und praktikablen Datenmanagements erstellt [5]. Ausgehend von der aktuellen Situation, dass die Daten aus einem Monitoring zumeist beim Auftragnehmer des Monitorings vorgehalten werden und kein einheitliches Datenmanagement vorliegt, wurden die Auftraggeber- Daten-Anforderung (ADA) entwickelt. Die Grundlage zur Entwicklung der ADA wurden den Auftraggeber- Informations-Anforderungen (AIA) der BIM-Methode entnommen. Die ADA sind eine Vereinbarung für den Datenaustausch zwischen den Anbietern eines Monitorings und den Bauwerksverantwortlichen. Inhalt der ADA sind die Beschreibung des Datenbestands, Rollen und Verantwortlichkeiten, technische Details zur Datenübergabe, Datenformate und ihre Standards, sowie Vereinbarungen zur Strukturierung, Benennung und Übergabe von Daten und Ergebnissen [5; 15]. 3.2 Digitaler Schatten „duraBASt“ An der duraBASt-Brücke am Autobahnkreuz Köln-Ost (A4/ A3) wurde ein digitaler Schatten realisiert [16]. Diese unterscheidet sich vom digitalen Zwilling durch den nur manuellen Datenfluss vom digitalen zum physischen Objekt. Der digitale Schatten besteht aus einem parametrischen as-built-Modell, welches mit den zum Bauwerk vorhandenen Daten angereichert ist. Zu diesen Daten zählen u. a. Laserscandaten, Ergebnisse der Bauwerksprüfung und die Verortung von Sensorik inklusive Links zu den Messdaten. Hiermit liegen die Daten an einem Ort vor und können sowohl im Büro als auch auf der Brücke genutzt werden. Hiermit wurde ein gemeinsamer digitaler Zugangspunkt zu den Daten erstellt [17]. Abb. 3: 3D-Modell und as-built Plan der durabast Brücke in einer BIM Software [17]. Die Abb. 3 zeigt das 3D-Modell der duraBASt-Brücke, in welchem die zum Bauwerk vorhandenen Informationen verknüpft sind. Über verschiedene Rollen kann der Zugang zu den Informationen entsprechenden Personenkreisen zielgerichtet gewährt werden. 4. Fazit Die aktuelle Situation des Datenmanagements mit unterschiedlichen Datenformaten, -modellen und speicherorten stellt eine der großen Herausforderungen für die Um- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 147 Datenmanagement in der Bauwerkserhaltung - aktueller Stand und zukünftige Entwicklung setzung eines prädiktiven Lebenszyklusmanagements unter Verwendung digitaler Zwillinge dar. Die Definition von Grundlagen und die Erarbeitung von Anforderungsprofilen für Datenmodelle, Zugangspunkte und Schnittstellen kann helfen, die Daten, welche im Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken erhoben werden, zu nutzen und damit die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken zu verbessern. Literaturverzeichnis [1] Lebhardt, A.; Seiler, D.; Gerdes, A.; Bombeck, A.; Lennerts, K.: Lebenszyklusmanagement für Bauwerke der Verkehrsinfrastruktur - Entwicklung eines verkehrsträgerübergreifenden, indikatorgestützten Systems B159. 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Hierbei werden digitale Plangrundlagen allerdings häufig unterschiedlich interpretiert: Während gescannte Pläne, CAD-Zeichnungen oder 3D-Modelle als Ausgangspunkt dienen können, fehlt oft eine einheitliche Grundlage für die Prozesse. Eine vielversprechende Lösung bieten 3D-Scans, die präzise Datengrundlagen liefern und eine nachhaltige Digitalisierung vorantreiben. In Kombination mit Künstlicher Intelligenz (KI) können aus diesen Scans automatisch Pläne und 3D-Modelle abgeleitet werden, was die Planungsprozesse erheblich beschleunigt und vereinfacht. Dadurch lassen sich Kosten und Zeit sparen, während die Qualität der Planung erhöht wird. Das Ziel dieser Entwicklungen ist es, die Prozesse von der Bestandserfassung bis zur Umsetzung effizienter, nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten. Mit klaren digitalen Standards und nahtlosen Prozessen können die Herausforderungen des Bauens im Bestand besser bewältigt werden. Die Digitalisierung bietet damit die Möglichkeit, bestehende Gebäude nicht nur zukunftssicher zu revitalisieren, sondern auch ökologischen und ökonomischen Ansprüchen gerecht zu werden. 1. Einführung Während sich die 3D-Planung für Neubauten in den letzten Jahren zunehmend etabliert hat und international als Standard durchgesetzt ist, stellt die Dokumentation und Planung für sanierungsbedürftige Bestandsgebäude nach wie vor eine große Herausforderung dar. Häufig liegen für diese Gebäude nur noch alte 2D-Pläne auf Papier vor, die in der Regel nicht die gesamte Gebäudestruktur oder aktuelle Veränderungen widerspiegeln. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für eine solche klassische Plangrundlage eines Bestandsgebäudes. Abb. 1: Klassische Plangrundlage eines alten Bestandsgebäudes. 150 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Mit KI die Bauwelt neu denken - Digitalisierung im Bestand Für eine effiziente Instandhaltungsplanung, ein modernes Facility-Management, die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen sowie Umnutzungsvorhaben ist jedoch eine präzise, digitale Erfassung der Gebäudegeometrie unerlässlich. 3D-Modelle sind in diesem Kontext von entscheidender Bedeutung, da sie nicht nur eine detaillierte Darstellung der bestehenden baulichen Strukturen ermöglichen, sondern auch die Grundlage für eine optimierte Planung und Durchführung von Renovierungen oder Umnutzungen bieten. Fehlen solche Pläne, erfolgt die Erfassung der Gebäudegeometrie nach dem aktuellen Stand der Technik in der Regel direkt vor Ort. Hierbei kommen sowohl traditionelle manuelle Messgeräte als auch moderne digitale Technologien zum Einsatz. Im einfachsten Fall werden zur Messung der wichtigsten Dimensionen noch klassische Maßbänder verwendet. Diese Methode reicht jedoch nur für grundlegende Messungen aus und ist für eine vollständige Erfassung komplexer Gebäudestrukturen nicht geeignet. Um präzise und umfassende Daten zu erhalten, werden heutzutage vor allem terrestrische Laserscanner verwendet [1]. Diese Geräte ermöglichen eine vollständige, hochpräzise Aufnahme der Gebäudestruktur aus einem festen Standpunkt. Sie erfassen eine Vielzahl von Punkten, die die gegebene Umgebung in einem 3D-Koordinatensystem abbilden. Diese Punktdaten werden dann zu einer Punktwolke zusammengefügt. Nach Abschluss eines Scans muss der Laserscanner manuell an den nächsten Messpunkt bewegt werden, um die Erfassung an anderen Positionen fortzusetzen. Der Bediener ist hierbei verantwortlich für die Auswahl geeigneter Messstandorte, die eine vollständige Erfassung des Objekts ermöglichen. Nachdem alle Scans durchgeführt wurden, erfolgt ein sogenannter Registrierungsprozess, bei dem die verschiedenen Scans miteinander verknüpft werden, um eine vollständige, konsistente Darstellung der gesamten Gebäudegeometrie zu erzeugen. Neben den terrestrischen Laserscannern gewinnen jedoch auch tragbare Messsysteme zunehmend an Bedeutung, da sie eine höhere Flexibilität bieten. Diese Geräte, wie zum Beispiel mobile Mapping-Systeme oder tragbare Laserscanner, ermöglichen eine kontinuierliche Datenerfassung in der Bewegung. Solche Systeme kombinieren häufig verschiedene Sensortechnologien wie LiDAR, Kameras und Inertialsensoren. Diese Sensoren arbeiten zusammen, um die geographische Position und die Umgebung in Echtzeit zu erfassen. Tragbare Systeme reduzieren die Notwendigkeit der manuellen Positionierung und können insbesondere in komplexen Gebäudestrukturen von großem Vorteil sein, da sie sich leichter in engen und schwer zugänglichen Bereichen einsetzen lassen. Ein Beispiel für tragbare Laserscanner sind handgeführte Modelle, die aufgrund ihrer kompakten Bauweise und ihrer Leichtigkeit eine einfache Handhabung in beengten Räumen ermöglichen. Die Erfassung der Gebäudegeometrie stellt jedoch nur den ersten Schritt dar. Nachdem die Punktwolken erfolgreich aufgenommen wurden, muss der nächste Schritt die Umwandlung dieser rohen Punktdaten in ein nutzbares 3D-Modell sein. Diese Umwandlung ist nicht trivial, da die Punktwolken häufig sehr detailliert sind und große Mengen an Daten enthalten. Die Qualität der Daten kann variieren, und es gibt oft Rauschen, unvollständige Daten oder überflüssige Informationen, die vor der Weiterverarbeitung entfernt werden müssen. Ein solcher Bereinigungs- und Strukturierungsprozess ist notwendig, um die Daten für die anschließende Modellierung und Analyse nutzbar zu machen. Ein weiterer wichtiger Schritt in diesem Prozess ist die Segmentierung der Punktwolke. Hierbei geht es darum, die erfassten Punktwolken in einzelne bauliche Elemente wie Wände, Decken, Türen oder Fenster zu unterteilen und diese voneinander abzugrenzen. Die Segmentierung erfordert häufig eine Kombination aus manueller Nachbearbeitung [2] und dem Einsatz von fortschrittlichen Algorithmen, um eine hohe Präzision und Genauigkeit zu gewährleisten. Für eine vollständige Modellierung muss die Punktwolke zudem mit semantischen Informationen angereichert werden, um die baulichen Elemente eindeutig zu identifizieren und in ein Building Information Model (BIM) zu integrieren. Ein weiteres Hindernis stellt die Interoperabilität zwischen verschiedenen Softwarelösungen und Datenformaten dar. Die Punktwolken und 3D-Modelle müssen so auf bereitet werden, dass sie problemlos in verschiedene Planungs- und Verwaltungssysteme integriert werden können. Dies erfordert nicht nur spezialisierte Software, sondern auch leistungsstarke Rechenressourcen und umfangreiches Fachwissen. Die Umwandlung und Integration der Daten in bestehende Arbeitsprozesse kann deshalb ein zeitaufwändiger und ressourcenintensiver Prozess sein. 2. Digitalisierung im Bestand Die 3D-Erfassung von Bestandsgebäuden spielt eine zentrale Rolle bei der Erstellung präziser digitaler Repräsentationen, die als Grundlage für umfangreiche Planungs- und Analyseprozesse dienen. Dieser Prozess beinhaltet mehrere Schritte, angefangen bei der Datenerfassung mittels verschiedener Messsysteme wie terrestrischen Laserscannern, mobilen Mapping-Systemen oder tragbaren Geräten. Nach der Erfassung werden die gewonnenen Punktwolken registriert, um sie zu einer konsistenten und vollständigen Darstellung des Gebäudes zu verbinden. Die so erzeugten Modelle bilden die Basis für weiterführende Anwendungen, wie etwa die Erstellung von Building Information Models (BIM) oder die Analyse von Sanierungsmaßnahmen und Facility-Management-Prozessen. Ein wesentlicher Faktor bei der Durchführung der 3D- Erfassung ist die Wahl der eingesetzten Technologie, die stark von verschiedenen Einflussfaktoren abhängt. Die bauliche Komplexität des Gebäudes, die Zugänglichkeit der zu scannende Bereiche und die geforderte Detailgenauigkeit der Modellierung bestimmen die Auswahl der Messsysteme. Bei komplexen oder schwer zugänglichen Strukturen kann der Einsatz tragbarer oder mobiler Systeme von Vorteil sein, da diese eine flexible und effiziente Datenerfassung ermöglichen. In Fällen, in denen eine 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 151 Mit KI die Bauwelt neu denken - Digitalisierung im Bestand besonders hohe Präzision erforderlich ist, kommen meist terrestrische Laserscanner zum Einsatz. Im weiteren Verlauf dieses wird der vollständige Prozess der 3D-Erfassung und Überführung in 3D-Modelle Schritt für Schritt detailliert beschrieben. Beginnend mit der Auswahl der geeigneten Technologie und der Erfassung der Punktdaten bis hin zur Registrierung der Scans und der Umwandlung der Punktwolken in präzise, konsistente 3D-Modelle. 2.1 3D-Erfasssung mittels LiDaR-Systeme Der erste Schritt zur digitalen Erfassung eines Gebäudes ist die Durchführung eines vollständigen 3D-Scans mithilfe von LiDAR-Systemen. LiDAR seht für Light Detection and Ranging und bezeichnet eine Technologie zur präzisen Distanzmessung durch den Einsatz von Laserlicht. Sie basiert auf der Aussendung von Laserimpulsen und der anschließenden Messung der Rücklaufzeit des Signals (Time-of-Flight, ToF) [3] oder der Phasenverschiebung (Phase-Shift) des reflektierten Laserstrahls. Bei ToF-Systemen wird die Zeit gemessen, die der ausgesendete Laserimpuls benötigt, um von einer Oberfläche zurück zum Sensor zu gelangen. Aus dieser Laufzeit kann die Entfernung zur Oberfläche berechnet werden. Im Gegensatz dazu analysieren Phase-Shift-Systeme die Verschiebung der Phase des reflektierten Lasersignals im Vergleich zum ausgesendeten Signal. Diese Methode bietet eine höhere Präzision bei der Abstandsmessung und eignet sich besonders gut für kürzere Distanzen. Beide Messtechnologien, sowohl ToF als auch Phase-Shift, finden in verschiedenen Arten von Messsystemen Anwendung. Sie kommen sowohl in terrestrischen, stativgetragenen Laserscannern als auch in mobilen, tragbaren Systemen wie handgeführten Scannern oder Rucksacklösungen zum Einsatz. Abbildung 2 zeigt einen Kollegen, der mit einem stativgetragenen 3D-Scanner von Leica Geosystems arbeitet. Diese Systeme werden in der Regel für hochpräzise Scans von Bestandsgebäuden oder anderen komplexen Strukturen verwendet, da sie eine hohe Genauigkeit bei der Erfassung der Gebäudegeometrie ermöglichen. Abb. 2: Ein Kollege bedient einen stativgetragenen 3D- Scanner von Leica Geosystems. Bei der Durchführung der Scans ist, muss bereits mit hoher Aufmerksamkeit vorgegangen werden. Es müssen alle relevanten Bereiche sichtbar sein, damit sie auch vom Scanner erfasst werden können. Vorhänge müssen so positioniert werden, dass die Randbereiche der dahinterliegenden Struktur sichtbar sind, abgehängte Decken sollten, wenn möglich geöffnet werden ebenso wie Einbauschränke, die die volle Wandfläche abdecken. Die Qualität des finalen 3D-Modells ist direkt abhängig von der Vollständigkeit des 3D-Scans. Ein wesentlicher Schritt nach der Datenerfassung ist die Zusammenführung der einzelnen Scans zu einer konsistenten und vollständigen 3D-Punktwolke. Dieser Prozess wird als Registrierung bezeichnet. Dabei werden überlappende Bereiche der Punktwolken verwendet, um die relative Position und Orientierung der einzelnen Scans zueinander präzise zu bestimmen. Durch moderne automatisierte Verfahren wird die Punktwolke iterativ ausgerichtet, sodass die Abweichung zwischen den überlappenden Punkten auf ein Minimum reduziert wird. Dies ermöglicht eine präzise und nahtlose Integration der verschiedenen Scans. Zur weiteren Unterstützung wird die automatisierte Registrierung häufig durch zusätzliche Sensordaten wie GPS, Inertialsensoren oder Kamerabilder ergänzt. Diese zusätzlichen Informationen verbessern die Positionierung der Scans und verringern den manuellen Aufwand während des Registrierungsvorgangs. Trotz der Fortschritte in der Automatisierung erfordert der Registrierungsprozess bei komplexen oder symmetrischen Geometrien nach wie vor gelegentlich manuelle Eingriffe, um eine höchstmögliche Genauigkeit sicherzustellen. Die automatisierten Verfahren zur Registrierung von Punktwolken sind von entscheidender Bedeutung, um große Mengen an Daten effizient zu verarbeiten und so die Grundlage für die Erstellung vollständiger und präziser 3D-Modelle aus mehreren Scan-Positionen zu schaffen. Abbildung 3 zeigt eine Beispiel-Punktwolke, die mit einem terrestrischen Laserscanner und ca. 100 Scan-Standpunkten erfasst wurde. Diese Punktwolke stellt eine detaillierte digitale Darstellung eines Bestandsgebäudes dar und bildet die Grundlage für die weiteren Schritte in der Modellierung und Analyse. Abb. 3: Fusionierte 3D-Punkwolke eines vollständigen Gebäudes, aufgenommen mit ca. 100 Scanstandpunkten mit einem terrestrischen Laserscanner. 2.2 Segmentierung der Punktwolken Die Segmentierung von Punktwolken stellt einen grundlegenden Schritt in der Verarbeitung von LiDAR-Daten dar, der es ermöglicht, aus den rohen Messdaten strukturierte, nutzbare Informationen zu extrahieren. Punktwolken bestehen aus Millionen von Einzelpunkten, die die Geometrie der erfassten Umgebung mit hoher Präzi- 152 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Mit KI die Bauwelt neu denken - Digitalisierung im Bestand sion abbilden. Diese Punkte müssen in verschiedene bauliche Einheiten wie Wände, Decken, Türen Treppen oder Fenster unterteilt werden, um die gewonnenen Daten für Planung, Analyse und Modellierung weiterverwenden zu können. Für diesen Prozess sind präzise und effiziente Segmentierungsverfahren erforderlich, die in der Lage sind, diese Vielzahl von Punkten schnell und genau zu kategorisieren. Der Einsatz von KI hat den Segmentierungsprozess erheblich beschleunigt und automatisiert. Mit maschinellen Lernverfahren, insbesondere Deep Learning, können KI-Systeme Muster und Strukturen innerhalb der Punktwolken erkennen und diese automatisch in geometrische Segmente unterteilen [4]. Dies geschieht basierend auf Merkmalen wie Planarität, Krümmung und Dichte der Punkte. Die KI erkennt also, ob ein Punkt zu einer Wand, einer Tür, einem Fenster, dem Boden oder der Decke gehört. Diese Automatisierung führt zu einer präziseren und viel schnelleren Datenverarbeitung im Vergleich zu traditionellen, regelbasierten oder gar manuellen Segmentierungsansätzen, bei denen die Punkte oft von einem Fachmann händisch kategorisiert werden müssen. Trotz der Fortschritte, die durch den Einsatz von KI erzielt wurden, gibt es weiterhin erhebliche Herausforderungen bei der Segmentierung von Punktwolken. Dies riesigen Datenmengen erfordern eine enorme Rechenleistung, was die effiziente Verarbeitung und Analyse erschwerten. Zudem enthalten Punktwolken keine expliziten geometrischen oder semantischen Informationen, sodass die KI-Modelle in der Lage sein müssen, relevante Muster aus den rohen, unstrukturierten Daten zu extrahieren. Dies stellt die Entwicklung und das Training der Algorithmen vor komplexe Herausforderungen. Ein weiteres Hindernis ergibt sich aus der variierenden Datenqualität, die durch unterschiedliche Scanbedingungen und Aufnahmequellen verursacht wird. Unterschiedliche Umgebungen, Messgeräte oder auch atmosphärische Bedingungen können die Qualität der erfassten Punktwolken beeinflussen. Dadurch entstehen Inkonsistenzen und Störungen in den Daten, die die Anpassungsfähigkeit der KI-Modelle erfordern. Auch Rauschen in den Daten oder unvollständige Messungen, die in Punktwolken häufig vorkommen, müssen zuverlässig vom KI-System erkannt und korrekt interpretiert werden. Dies stellt sicher, dass auch fehlerhafte oder unvollständige Messdaten in das Modell integriert werden können, ohne die Modellgenauigkeit zu stark zu beeinträchtigen. Ein besonders herausfordernder Aspekt der Segmentierung ist die semantische Interpretation von Strukturen wie Wänden, Fenstern oder Türen im Kontext eines Gebäudemodells. Diese Interpretation geht über die rein geometrische Erkennung hinaus und erfordert ein tieferes Verständnis des Gebäudeauf baus sowie der Beziehung zwischen den verschiedenen Bauelementen. Um eine präzise 3D-Modellierung zu ermöglichen, müssen die KI-Modelle diese Strukturen erkennen, klassifizieren und richtig zuordnen. Diese Aufgabe erfordert nicht nur die genaue Identifikation von Punktgruppen, sondern auch eine umfassende semantische Analyse der Punktwolken, um die Bedeutung jeder Struktur im Gesamtkontext des Gebäudes zu verstehen. Ein weiteres Problem stellt das Training der KI-Modelle dar. Um eine hohe Genauigkeit zu erreichen, müssen die Modelle mit einer großen Menge an gelabelten Daten trainiert werden. Diese Daten müssen manuell oder semiautomatisch annotiert werden, was zeitaufwändig und ressourcenintensiv ist. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die KI-Modelle in der Lage sein müssen, auf neue, unbekannte Datensätze zu verallgemeinern, was ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in der Praxis erhöht. In vielen Fällen müssen die Modelle auf Daten angewendet werden, die unter anderen Bedingungen oder mit anderen Messmethoden erfasst wurden. Diese Herausforderungen erfordern den Einsatz fortschrittlicher Algorithmen und robuster Trainingsmethoden, um die Potenziale der KI in der 3D-Punktwolkenverarbeitung effektiv zu nutzen. Um eine zuverlässige Segmentierung und Analyse der Punktwolken zu gewährleisten, müssen die Algorithmen kontinuierlich weiterentwickelt und optimiert werden. Bei bimeto haben wir eine KI speziell für die Auswertung und Segmentierung von 3D-Punktwolken von Bestandsgebäuden entwickelt. Unsere KI ist darauf ausgelegt, die großen Mengen an Punktdaten schnell und präzise zu analysieren, um eine effiziente Modellierung zu ermöglichen. Abbildung 4 zeigt ein Beispiel für eine Segmentierung, die mit Hilfe unserer KI erstellt wurde und verdeutlicht die hohe Präzision und Effizienz dieses Prozesses. Abb. 4: Mittels bimeto segmentierte Punktwolke, aufgeteilt in Einzelräume (Draufsicht). 2.3 3D-Modellerstellung Die Erstellung präziser 3D-Modelle aus segmentierten Punktwolken erfolgt durch die Anwendung fortschrittlicher geometrischer Algorithmen, die die rohen Messdaten in strukturierte digitale Repräsentationen überführen. Der Prozess beginnt mit einer detaillierten Analyse der Punktwolken, um glatte Flächen zu generieren. Dabei wird eine Planaranpassung durchgeführt, bei der 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 153 Mit KI die Bauwelt neu denken - Digitalisierung im Bestand Punktgruppen, die durch ihre geometrische Verteilung einer Ebene entsprechen, mathematisch modelliert werden. Dies geschieht durch die Berechnung optimaler Ebenenparameter, die die Punktgruppen mit minimalen Abweichungen repräsentieren. Die resultierenden Ebenen dienen als Grundlage für die Rekonstruktion von Wänden, Böden, Treppen und Decken. Dieser Schritt reduziert Unregelmäßigkeiten und Rauschen in den Daten und gewährleistet eine präzise geometrische Darstellung der baulichen Elemente. Im nächsten Schritt werden Öffnungen, wie Fenster Durchgänge oder Türen, aus den generierten Flächen subtrahiert. Die Geometrien dieser Öffnungen werden aus den segmentierten Punktwolken extrahiert, wobei spezifische Algorithmen die Konturen und Abmessungen der Öffnungen identifizieren. Diese Informationen werden anschließend verwendet, um die Öffnungen durch Subtraktion von den zugehörigen Flächen zu entfernen. Dieser algorithmische Prozess gewährleistet eine präzise und konsistente Anpassung der Geometrie, sodass die modellierten Strukturen exakt den baulichen Gegebenheiten entsprechen. In Abbildung 5 ist ein Teilmodell überlagert auf der Eingangspunktwolke zu sehen. Abb. 5: Teilmodell der 3D-Rekonstruktion mit der bimeto Software überlagert auf der Rohpunktwolke. Der gesamte Prozess folgt einem klar definierten Workflow, bestehend aus der Planaranpassung und der gezielten Subtraktion von Öffnungen, um ein vollständiges und konsistentes 3D-Modell zu erzeugen. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf der exakten geometrischen Rekonstruktion, um eine hohe Modellgenauigkeit zu erzielen. Zusätzlich werden den modellierten Flächen Metadaten zugeordnet, die diese als spezifische Bauelemente, wie Wände, Böden, Decken, Fenster oder Türen, eindeutig klassifizieren. Diese Anreicherung mit semantischen Informationen bildet die Grundlage für eine weiterführende Verwendung der Modelle. Zum Abschluss erfolgt der Export des 3D-Modells im Industry Foundation Classes (IFC)-Format, einem internationalen Standard für den modellbasierten Datenaustausch. Der IFC-Export stellt sicher, dass die geometrischen Daten und die zugehörigen Metadaten strukturiert und interoperabel verfügbar sind. Dies ermöglicht eine nahtlose Integration in verschiedene Planungs- und Analysetools und stellt sicher, dass die erstellten Modelle effizient in nachfolgenden Prozessen genutzt werden können. Durch diesen standardisierten Ansatz wird eine hohe Kompatibilität mit bestehenden Softwaresystemen und ein reibungsloser Datenaustausch gewährleistet. Die folgende Abbildung 6 zeigt ein vollständige Vormodell eines vollständigen Gebäudes in der Außenansicht inklusive der Rohpunktwolke. Abb. 6: Vollständiges Gebäudemodell in der Außenansicht überlagert die Rohpunktwolke in der noch die umgebende Vegetation sichtbar ist. 2.4 Grundrisse-Rückführung in 2D Um den Anforderungen an Bauanträge und planerische Arbeiten gerecht zu werden, erstellen wir aus den 3D- Modellen vereinfachte Grundrisse. Diese Grundrisse bieten eine klare und strukturierte Darstellung der wesentlichen baulichen Gegebenheiten, wie Wände, Türen, Treppen, Durchgänge und Fenster, und bilden eine solide Basis für weiterführende Planungen. Hierbei werden die dreidimensionalen Daten in projektionierte 2D-Darstellungen überführt. Dieser Prozess erfordert eine präzise Auswahl der Projektionsebenen und Darstellungsparameter, um eine klare Wiedergabe der baulichen Strukturen zu gewährleisten. Einen solcher Basisgrundriss ist in Abbildung 7 zu sehen. 154 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Mit KI die Bauwelt neu denken - Digitalisierung im Bestand Abb. 7: Vereinfachter, vollständig automatisiert, mit bimeto erstellter Grundriss. Allerdings reicht die vereinfachte Darstellung in vielen Fällen nicht aus, um die komplexen normgerechten Anforderungen vollständig zu erfüllen. Für die endgültige Auf bereitung und Detaillierung der Zeichnungen ist die Expertise von Architekten oder technischen Zeichnern erforderlich. Diese Fachkräfte ergänzen die Pläne durch maßgerechte Bemaßungen, Schraffuren, Symboliken und spezifische Darstellungselemente, die den geltenden Normen und gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Mit diesem zweistufigen Ansatz - von der automatisierten Erstellung vereinfachter Grundrisse bis zur normgerechten Nachbearbeitung durch Fachpersonal - gewährleistet bimeto Effizienz in der Planerstellung und eine hohe Qualität der finalen Dokumente. 3. Ausblick In der Zukunft wird der Einsatz moderner Scansysteme zur Gebäudeerfassung weiter zunehmen. Diese Technologien ermöglichen eine präzise und effiziente Dokumentation bestehender Bausubstanz und sind insbesondere in der Sanierung von großem Nutzen. Mit dem stetigen technologischen Fortschritt werden die erfassten Datenmengen jedoch immer größer und komplexer, was die Verarbeitung und Analyse zu einer Herausforderung macht. Hier kann der Einsatz von KI entscheidend sein. KI-gestützte Algorithmen ermöglichen die automatische Analyse und Strukturierung umfangreicher Punktwolken sowie die Generierung detaillierter 3D-Modelle. Dies reduziert den manuellen Aufwand und beschleunigt den Übergang von der Datenerfassung zur nutzbaren Planungsgrundlage. Künstliche Intelligenz entwickelt sich kontinuierlich weiter und wird zunehmend leistungsfähiger in der Analyse und Verarbeitung von Gebäudedaten. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, immer detailliertere Informationen in die generierten 3D-Modelle zu integrieren. Neben der geometrischen Erfassung und Segmentierung umfasst dies auch die automatisierte Identifikation und Modellierung technischer Gebäudeausrüstung (TGA) sowie die präzise Zuordnung von Oberflächenmaterialien. Diese Fortschritte werden eine noch genauere digitale Repräsentation von Bestandsgebäuden ermöglichen, die über die reine Geometrie hinausgeht. KI-gestützte Verfahren sollen in Zukunft beispielsweise Leitungen, Rohre und Lüftungskanäle in Punktwolken erkennen und automatisch als separate Elemente im Modell abbilden. Ebenso könnten Texturanalysen und Materialklassifikationen genutzt werden, um Oberflächen wie Beton, Holz oder Fliesen zu identifizieren und diese Informationen im Modell zu hinterlegen. Angesichts des hohen Sanierungsstaus, vor allem auch kommunaler Gebäude [5], in Deutschland bietet diese Entwicklung eine vielversprechende Möglichkeit, die Sanierungsrate signifikant zu erhöhen. Durch die beschleunigte Erstellung von Planungsgrundlagen und die Automatisierung wesentlicher Prozessschritte können Bauvorhaben schneller und effizienter umgesetzt werden. Der verstärkte Einsatz dieser Technologien könnte somit einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Sanierungsherausforderungen leisten. Literatur [1] C. Wu, Y. Yuan, Y. Tang, B. Tian: Application of terrestrial laser scanning (TLS) in the architecture, engineering and construction (AEC) industry. Sensors, 22(1), 265, 2021. [2] L. Brumatti Pinho: Scan-to-BIM workflow: an overview and case study. Politecnico Milano, 2021. [3] Ma, J., Zhuo, S., Qiu, L., Gao, Y., Wu, Y., Zhong, M., ... & Chiang, P. Y.: A review of ToF-based LiDAR. Journal of Semiconductors, 45(10), 101201, 2024. [4] Wang, Jun; Shan, Jie: Segmentation of LiDAR point clouds for building extraction. In: American Society for Photogramm. Remote Sens. Annual Conference, Baltimore, MD. 2009. S. 9-13. [5] von Hebel, E., Jahn, K., Clausnitzer, K. D.: Der energetische Sanierungsbedarf und der Neubaubedarf von Gebäuden der kommunalen und sozialen Infrastruktur. Bremer Energie Institut, Bremen, 2011. Instandsetzung von Ingenieurbauwerken 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 157 Ermüdungsverhalten von Betonstählen nach Chloridbeanspruchung Kevin Kriescher, M. Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Dr.-Ing. Christian Helm Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Stahlbetonbauwerke, insbesondere Brücken, die einer zyklischen Ermüdungsbeanspruchung unterliegen, sind häufig korrosiven Umgebungsbedingungen ausgesetzt. Die korrosionsfördernden Stoffe gelangen über Risse bis zur Bewehrung und können dort zu lokalen Schädigungen führen. In Kombination mit dynamischen Beanspruchungen können die resultierenden korrosionsinduzierten Schädigungen die Lebensdauer eines Bauteils potenziell deutlich stärker reduzieren, als dies nach den derzeit gültigen Bemessungsnormen zu erwarten ist. Ziel des im Rahmen dieses Beitrags vorgestellten Forschungsvorhabens ist die Beurteilung des Zustands und der verbleibenden Lebensdauer nicht vorgespannter, dynamisch und korrosiv beanspruchter Bauteile sowie die Entwicklung normativer Grundlagen. Ein Schwerpunkt liegt auf der detaillierten Charakterisierung der Morphologie von Korrosionsnarben, die mittels 3D-Scans erfasst und flächenanalytisch ausgewertet werden, um relevante Parameter wie laterale Ausbreitung und Querschnittsverlust zu bestimmen. Erste Versuche mit künstlich induzierten Querschnittsverlusten deuteten darauf hin, dass insbesondere die Geometrie der Schädigungen das Ermüdungsverhalten signifikant beeinflusst. Weitere Analysen zur Relevanz der Narbenmorphologie sind noch im Gange. 1. Einleitung 1.1 Ermüdung metallischer Werkstoffe Seit dem 19. Jahrhundert ist die Materialermüdung als eine maßgebliche Ursache für Werkstoffschäden bekannt. Im Laufe der Zeit wurden Baustoffe speziell für zyklische Belastungen optimiert und weiterentwickelt. Ein Beispiel hierfür ist der Betonstahl mit sichelförmigen Schrägrippen, der in der Baubranche weit verbreitet ist, da er eine geringere Kerbwirkung aufweist als solche mit orthogonalen Querrippen. Die Kerbwirkung spielt besonders bei der Stahlermüdung eine entscheidende Rolle, da sie die Ermüdungsfestigkeit erwiesenermaßen beeinträchtigt. Während statische Belastungen konstant sind, handelt es sich bei zyklischen Belastungen um periodische Last-schwankungen, die im Laufe der Zeit zu einer Schädigung führen und letztendlich im spröden Versagen des Materials enden. Im Gegensatz zu (quasi) statischen Zugbelastungen können Ermüdungs-belastungen bereits deutlich unterhalb der Streckgrenze des Stahls zum Versagen führen. [1, 2] Der Schädigungsverlauf eines Bewehrungsstabes unter Schwingbeanspruchung kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden - Risseinleitung, stabiles und instabiles Risswachstum - und endet schließlich in einem Restgewaltbruch (vgl. Abb.-1). Bei jedem Lastwechsel wächst der Riss um einen bestimmten Betrag. [2-4] Abb. 1: Risswachstumsphasen bei Ermüdungs-beanspruchung nach [5] In der Phase der Risseinleitung entsteht durch Versetzungsbewegungen infolge häufiger Belastungswechsel eine mikroskopische Gleitstufe in Richtung der maximalen Schubspannung an der Stahloberfläche. Die Versetzungen erzeugen Fehler im Metallgitter und treten vor allem an Stellen lokaler Spannungsüberhöhung wie z. B Querschnitts-übergängen und Kerben auf. Mit zunehmenden Lastwechseln plastifiziert und verfestigt sich die erste Gleitstufe, wodurch weitere Gleitstufen entstehen und zusammen ein sog. Ermüdungsgleitband bilden. Entlang der Gleitbänder bilden sich aufgrund mikroskopischer Kerben durch Ex- und Intrusionen Mikrorisse, die nach einer erreichten Länge von wenigen Korndurchmessern senkrecht zur Belastungsrichtung weiterwachsen (vgl. Abb.-2). Ab 158 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Ermüdungsverhalten von Betonstählen nach Chloridbeanspruchung einer Risslänge von 1 mm spricht man von einem Makroriss. Dieser breitet sich ab einer kritischen Länge aufgrund des kontinuierlichen Anstiegs der effektiven Querschnittsspannung mit hoher Geschwindigkeit aus (instabiles Risswachstum), bis die vorhandene Restquerschnittsfläche die erforderliche Querschnittsfläche unterschreitet und es zum Bauteilversagen in Form eines Gewaltbruchs kommt. Etwa 60-% bis 90-% der Zeit bis zum Bauteilversagen entfällt auf Mikrorisswachstum und nur ein geringer Anteil auf Makrorisswachstum. [2, 4, 6] Abb. 2: Risswachstumsphasen nach [2] 1.2 Bemessungssituation und Stand der Technik Die Ermüdungsfestigkeit von Betonstahl wird durch Dauerschwingversuche (sog. Wöhlerversuch) ermittelt, deren Ergebnisse in Form von Wöhlerlinien dargestellt werden [3, 7]. Diese Wöhlerlinien dienen als Grundlage für die Bemessung ermüdungsbeanspruchter Stahlbetonbauteile. Der Nachweis erfolgt am Knickpunkt der Wöhlerlinie bei 1 Million Lastwechseln unter der Annahme der Spannungsexponenten k 1 = 5 und k 2 -=-9, vgl. Abb.-3 [8]. Der Einfluss des Stabdurchmessers wird dabei weder auf die Spannungsexponenten noch auf den Verlauf der Wöhlerlinie berücksichtigt. Für Stäbe mit einem Durchmesser von ≤-28 mm wird bei 1 Million Schwingspielen eine Schwingbreite von Δσ Rsk -=-175 N/ mm 2 angesetzt, während für Stäbe mit Durchmesser >-28 mm Δσ Rsk -=-145 N/ mm 2 gilt. Abb. 3: Wöhlerlinien nach DIN EN 1992-2/ NA nach [4] Die DIN EN 1992-2/ NA [8] enthält keine expliziten Regelungen zur Berücksichtigung von korrosiven Beanspruchungen bei der Bemessung. Sie verweist jedoch darauf, dass bei korrosiven Expositionen eine Anpassung der Wöhlerlinie erforderlich ist. Hierbei kann der Spannungsexponent k 2 auf einen Wert zwischen 5 und 9 reduziert werden, vgl. Abb.-3. Im Model Code 90 wird eine zusätzliche Wöhlerlinie für Betonstahl unter Einfluss von Meerwasser angegeben, vgl. Abb.- 4. Diese basiert auf experimentellen Untersuchungen unter den extremen Bedingungen eines Meerwasserangriffs und weist eine deutlich geringere Ermüdungsfestigkeit verglichen mit Wöhlerlinien für korrosionsfreie Stäbe auf. Die betreffende Wöhlerlinie wird unabhängig vom Stabdurchmesser als gültig angesehen. Die in der DIN EN 1992-2/ NA [8] enthaltenen Bemessungswerte könnten daher bei einer Vernachlässigung von Korrosionseinflüssen die tatsächliche Ermüdungsfestigkeit überschätzen. Es fehlen jedoch sowohl im Model Code 90 als auch in der Norm spezifische Erkenntnisse zu den Auswirkungen unterschiedlicher Stabdurchmesser und Expositionsbedingungen, da lediglich der Extremfall „Meerwasser“ berücksichtigt wird [9]. Abb. 4: Wöhlerlinien nach DIN EN 1992-2/ NA nach [9] Weirich [4] untersuchte die Ermüdungskorrosion von ungeschütztem Betonstahl in korrosiven Lösungen, um den Einfluss gleichzeitiger Schwingungs- und Korrosionsbeanspruchung auf den Schadensverlauf zu ermitteln. Es wurden Lösungen für vier Expositionsklassen verwendet: X0 (gesättigte Calciumhydroxid-Lösung, pH-=-12,6), XD3/ XS3 (Calciumhydroxid-Lösung mit 3,0 M-% Chlorid, tausalzhaltiges Spritzwasser/ Meeresspritzwasser), XC4 (Calciumcarbonat-Lösung, pH = 8,0) und XD1 (Calciumcarbonat-Lösung mit 1,0 M-% Chlorid, tausalzhaltiger Sprühnebel). Die Ergebnisse zeigten eine deutliche Unterschreitung der Wöhlerlinien für d = 16- mm [8,- 9]. Zudem beeinflusste der Durchmesser der Stäbe die Schwingfestigkeit. Stäbe mit d = 40 mm wiesen eine geringere Festigkeit als solche mit d = 16 mm. Ein signifikanter Unterschied in der Schwingfestigkeit wurde bis zu einem Durchmesser von 25 mm jedoch nicht festgestellt [8, 10]. Weitere Untersuchungen von Li [11] bestätigten, dass das Versagen korrodierten Stahls in Ermüdungsversuchen von der Korrosionsnarbe ausgeht. Querschnittsverluste 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 159 Ermüdungsverhalten von Betonstählen nach Chloridbeanspruchung von rd. 15-% führten zu einer Reduktion der Schwingfestigkeit um rund 70-%. An den Korrosionsnarben entstehen Spannungs-konzentrationen, die die Streckgrenze des Stahls, welche einen entscheidenden Einfluss auf die Ermüdungsfestigkeit hat, herabsetzen. Diese Narben verkürzen den Einschnürungsbereich der Spannungs- Dehnungskurve und verringern die Dehnung. Im fortgeschrittenen Stadium kann eine Reduktion der Bewehrungsduktilität zu einer potenziellen Gefährdung der gesamten Konstruktion führen [12]. Die aktuelle Literatur belegt, dass die Schwingfestigkeit von Betonstahl durch die gleichzeitige Beanspruchung durch Ermüdung und Korrosion signifikant reduziert wird. Es bestehen jedoch noch grundlegende Lücken in den Erkenntnissen über die maßgeblichen Einflussgrößen. Das Ziel ist, den Zustand von nicht vorgespannten, schwingungsbeanspruchten Bauteilen zu bewerten und deren Restlebensdauer zu ermitteln. Darüber hinaus sollen Konzepte zur Bemessung von Bauteilen entwickelt werden, die unter kombinierten Belastungen aus Ermüdung und chloridinduzierter Korrosion stehen. Erste Ergebnisse werden im Folgenden vorgestellt. 2. Experimentelle Untersuchungen und Ergebnisse 2.1 Materialien Untersucht wird Betonstahl des Typs B500B mit Durchmessern von 25 und 32 mm, da dieser Bereich als besonders kritisch für die Thematik eingestuft wurde und hier gleichzeitig bisher nur begrenzte Erkenntnisse vorliegen, vgl. Tab.-1. Der Betonstahl wurde nach dem TEMPCO- RE-Verfahren gefertigt und vollständig zu einem festgelegten Zeitpunkt direkt aus der laufenden Produktion entnommen, um mögliche Einflüsse aus dem Abnutzungsgrad der Profilierungswalzen weitgehend auszuschließen. Tab. 1: Mittelwerte der mechanischen Kennwerte des Betonstahls Ø R m R e A gt E mm N/ mm² N/ mm² % N/ mm² 25 680 579 12,7 225.600 32 663 563 11,4 240.400 Mit: Ø : Durchmesser R e : Streckgrenze R m : Zugfestigkeit E: E-Modul A gt : Gesamtdehnung bei Höchstlast Um zu einem späteren Zeitpunkt den Einfluss der erzeugten Korrosionsnarben auf die Ermüdungsfestigkeit bewerten zu können, wurden zunächst für die ungeschädigten Betonstähle die Wöhlerlinie bei konstanter Oberspannung im Zug-Schwellbereich gemäß DIN 50100: 2016-12 [7] ermittelt. Für diese Referenzserie wurden insgesamt 30 Proben mit einer einheitlichen Länge von etwa 840 mm geprüft, vgl. Abb.-5. Die Schwingbreiten wurden entsprechend des relevanten Bereich gemäß DIN EN 1992-2/ NA [8] variiert. Für den Durchmesser 25-mm betrugen sie 145, 175 und 200 N/ mm², während sie für den Durchmesser 32 mm 125, 145 und 175-N/ mm² betrugen. Ein Großteil der Proben wurde jedoch bei Erreichen des zuvor festgelegten Durchläuferkriteriums (10.000.000- Zyklen) bruchlos gestoppt, sodass vorerst keine Referenz-Wöhlerlinien erzeugt werden konnten. Abb. 5: Beispiel eines eingebauten Referenzstabes in der Großlastresonanzprüfmaschine POWER SWING 1.500 kN MOT [13] 2.2 Einfluss mechanischer Schädigung auf das Ermüdungsverhalten Um zu beurteilen, ob und in welchem Maße der untersuchte Bewehrungsstahl ein bruchmechanisches Verhalten aufweist, wurden die Schädigungen anfänglich durch einen mechanischen Fräsvorgang induziert. An insgesamt 52 Proben wurden der erzeugte Querschnittsverlust (5-%; 10-%; 20-%; 30-%), der Durchmesser der Bohrung (8 mm; 16 mm) und die geometrische Ausprägung des Fräskopfes (halbrund; kegelförmig; zylindrisch) variiert. Bei Betrachtung der Ergebnisse der Prüfkörper mit halbrunder Bohrung (Ø 16 mm) deutete sich zunächst ein exponentieller Zusammenhang zwischen Querschnitts- 160 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Ermüdungsverhalten von Betonstählen nach Chloridbeanspruchung verlust und Dauerschwingfestigkeit an, vgl. Abb.-6. Darüber hinaus schienen Querschnittsverluste im Bereich von ≤-5-% unkritisch zu sein, da hier ausschließlich Durchläufer erzielt wurden. Abb. 6: Bruchschwingspielzahlen der Prüfkörper mit einseitig halbrunder Bohrung (Ø 16 mm) Bezieht man nun zusätzlich die Ergebnisse der Prüf körper mit zylindrischer Bohrung (Ø 16 mm, 5 %) sowie doppelseitig halbrunder Bohrung (Ø 16 mm, 2 - 5-%) ein, scheinen sich die zuvor aufgestellten Thesen nicht zu bestätigen, vgl. Abb.-7. Während bei der zylindrischen Bohrung im Mittel Bruchschwingspielzahlen unter 1.000.000-Zyklen erzielt wurden, waren alle Prüf körper mit doppelseitig halbrunder Bohrung Durchläufer. Dies deutet darauf hin, dass in erster Linie die morphologische Ausprägung der Schädigung maßgeblich für das Dauerschwingverhalten des Bewehrungsstahls ist und dieser folglich bruchmechanischen Phänomenen unterliegt. Abb. 7: Bruchschwingspielzahlen der Prüfkörper mit halbrunder (Ø 16 mm), zylindrischer (Ø 16 mm, 5 %) und doppelseitig halbrunder (Ø 16 mm, 2 - 5 %) Bohrung 2.3 Einfluss chloridinduzierter Korrosionsnarben auf das Ermüdungsverhalten Um spezifischen Korrosionszuständen entsprechende Dauerschwingfestigkeiten zuordnen zu können, wurden im nächsten Schritt zunächst realitätsnahe Korrosionsnarben auf dem Betonstahl erzeugt. Zu diesem Zweck werden Verbundkörper mit mittig liegendem Bewehrungsstab hergestellt, vgl. Abb.-8. Über einen zentrisch erzeugten Trennriss (> 0,2 mm) wurde der Stahl mit korrosiver Lösung beaufschlagt, wodurch eine möglichst realistische Schädigungssituation geschaffen werden sollte. Während die Verbundkörper durch die eindringende Lösung korrodieren, wurden die Elementströme in der Dreielektrodenkonfiguration (Referenz-, Arbeits- und Gegenelektrode) gemessen und der Korrosionsvorgang mittels anodischer Polarisation beschleunigt. Nach einer variierenden Beaufschlagungsdauer wurden die Prüfkörper ausgebaut, der Beton entfernt und der Korrosionsbereich fotografisch dokumentiert. Um eine Analyse der relevanten morphologischen Eigenschaften der Korrosionsnarben zu ermöglichen, wurden der Korrosionsbereich mittels Glasperlenstrahlen gereinigt und anschließend mit einem 3D-Scanner vermessen, bevor die Dauerschwingfestigkeit der Prüfkörper bestimmt wurde. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 161 Ermüdungsverhalten von Betonstählen nach Chloridbeanspruchung Abb. 8: Schematische Darstellung des Prüfkörper-konzepts zur Korrosionsnarbenerzeugung Nachfolgend werden stichpunktartig die wichtigsten Ergebnisse und Erkenntnisse darstellt, die zum aktuellen Zeitpunkt bereits vorliegen: • Plastisch vorbelastete Stähle, d. h. Stähle, die im Rahmen der Trennrisserzeugung bis in die Streckgrenze belastet wurden, versagten ausnahmslos ausgehend von einer Korrosionsnarbe und erreichten Bruchschwingspielzahlen in einem Bereich zwischen 493.779 und 1.054.949 Zyklen. Der Mittelwert betrug 704.103 Zyklen, was einer prozentualen Abminderung von über 90-% gegenüber der ungeschädigten Referenz entspricht. • Die Ausprägung der Korrosionsnarben erweist sich bei den plastisch vorbelasteten Stählen als irrelevant. Dies könnte darauf zurück zu führen sein, dass infolge der plastischen Vorlast Gefügestörungen im Bereich der Korngrenzen entstanden sind, die bei der späteren Korrosion als bevorzugte Angriffsstelle dienen konnten. Durch die tieferliegende interkristalline Korrosion wird die Rissentstehungsphase möglicherweise beschleunigt, was die Schwingfestigkeit herabsetzen kann. • Stähle, die im Rahmen der Trennrisserzeugung lediglich einer Last im linear elastischen Bereich ausgesetzt waren, erreichten im Mittel rd. 2.300.000 Zyklen und somit 77 % weniger als die Referenz. Dabei versagte etwa die Hälfte der Proben ausgehend von einer Korrosionsnarbe, während die andere Hälfte außerhalb des Korrosionsbereich versagte oder als Durchläufer klassifiziert wurde. • Die morphologische Analyse der bruchrelevanten Korrosionsnarben der elastisch vorbelasteten Proben ist noch nicht abgeschlossen, allerdings scheinen vergleichsweise flach ausgeprägte Narben mit geringen Kerbrandwinkeln in Bezug auf das Ermüdungsverhalten besonders kritisch zu sein. 3. Fazit und Ausblick Stahlbetonbauwerke, insbesondere Brücken oder Parkbauten, die zyklischen Ermüdungsbeanspruchungen unterliegen, sind häufig korrosiven Umwelteinflüssen ausgesetzt. Korrosive Substanzen gelangen über Risse in das Betonbauteil und diffundieren bis zur Bewehrung, wo sie lokal begrenzte Schäden initiieren. Die aktuelle Literatur zeigt, dass die simultane Einwirkung dynamischer Lasten und korrosiver Angriffe zu einer signifikanten Reduktion der Lebensdauer des Bauteils führen, die von den derzeit gültigen Bemessungsnormen nicht adäquat abgebildet werden kann. Erste Versuche mit künstlich induzierten Querschnittsverlusten deuteten darauf hin, dass insbesondere die Geometrie der Schädigungen das Ermüdungsverhalten signifikant beeinflusst. Realitätsnahe Korrosionsnarben wurden durch elektrochemische Verfahren erzeugt, analysiert und dynamisch geprüft. Die bisherigen Ergebnisse belegen eine deutliche Reduktion der Dauerschwingfestigkeit insbesondere bei plastisch vorbelasteten Stählen. Weitere Analysen zur Relevanz der Narbenmorphologie sind noch im Gange. Neben der Tiefe sollen u. a. Kerbrand- und Kerböffnungswinkel der schwingfestigkeitsmindernden Korrosionsnarben analysiert werden, um eine quantifizierte Aussage über die „Scharfkantigkeit“ der Narbe zu erlauben. Darüber hinaus soll die Narbengeometrie mittels Funktionsanalyse angenähert werden, um darauf auf bauend potenziell bruchrelevante Paramter beschreiben und zukünftig identifizieren zu können. 162 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Ermüdungsverhalten von Betonstählen nach Chloridbeanspruchung Danksagung Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die finanzielle Unterstützung des Projekts „Resttragverhalten von korrosionsgeschädigten Betonstählen unter dynamischen Beanspruchungen“ (GZ: RA 650/ 32-1), die diese Forschung erst möglich gemacht hat. Literatur [1] Ahrens, M. A. (2011) Ein stochastisches Simulationskonzept zur Lebensdauerermittlung von Stahlbeton-und Spannbetontragwerken und seine Umsetzung an einer Referenzbrücke. [2] Läpple, V. (2008) Einführung in die Festigkeitslehre. Springer. [3] Radaj, D. V., M (2007) Ermüdungsfestigkeit. Berlin, Heidelberg Springer Berlin Heidelberg. [4] Weirich, T. (2013) Ermüdungsverhalten des Betonstahls unter Berücksichtigung möglicher Korrosionseinflüsse. [Dissertation] Ph. D. thesis, Universität Stuttgart, 138 pp. [5] Zilch, K. (2024) Bemessung im konstruktiven Betonbau. Springer. [6] Zerbst, U.; Madia, M.; Vormwald, M.; Beier, H. T. (2018) Fatigue strength and fracture mechanics-A general perspective. Engineering Fracture Mechanics. 198, 2-23. [7] DIN 50100: 2016 Schwingfestigkeitsversuch- Durchführung und Auswertung von zyklischen Versuchen mit konstanter Lastamplitude für metallische Werkstoffproben und Bauteile. Beuth Verlag Berlin. [8] DIN EN 1992-2/ NA: 2013-04, Nat. Anh.- EC 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken Teil 2: Betonbrücken- Bem.- und Konstruktionsregeln). Beuth Verlag Berlin [9] König, G.; Danielewicz, I. (1994) Ermüdungsfestigkeit von Stahlbeton-und Spannbetonbauteilen mit Erläuterungen zu den Nachweisen gemäß CEB-FIP Model Code 1990. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton. [10] Tilly, G. (1979) Fatigue of steel reinforcement bars in concrete: a review. Fatigue & Fracture of Engineering Materials & Structures. 2, 251-268. [11] Li, S.; Zhang, W.; Gu, X.; Zhu, C. (2011) Fatigue of reinforcing steel bars subjected to natural corrosion. The Open Civil Engineering Journal. 5. [12] Yi, W.-J.; Kunnath, S. K.; Sun, X.-D.; Shi, C.-J.; Tang, F.-J. (2010) Fatigue Behavior of Reinforced Concrete Beams with Corroded Steel Reinforcement. ACI Structural Journal. 107. [13] Kriescher, K.; Helm, C.; Raupach, M. (2023) Resttragverhalten von korrosionsgeschädigten Betonstählen unter dynamischen Beanspruchungen. Beiträge zur 10. DAfStb-Jahrestagung mit 62. Forschungskolloquium. 225-232. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 163 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze Herausforderungen und innovative Lösungen Dipl.-Ing. Andreas Möller Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten Johanna Höb, M. Sc. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Stuttgart Zusammenfassung Die Heini-Klopfer-Skiflugschanze in Oberstdorf ist die einzige Skiflugschanze Deutschlands und eine von nur vier Anlagen weltweit, welche die aktuellen Standards der FIS erfüllen. Ursprünglich im Jahr 1949 erbaut und mehrfach modernisiert, wurde sie 1973 durch ein Bauwerk aus vorgespanntem Leichtbeton ersetzt. Dieses Bestandsbauwerk ist eine weit auskragende, vorgespannte Hohlkastenkonstruktion auf einer massiven Bodenplatte, die mittels Felsanker rückverankert ist. Im Rahmen der Generalsanierung 2016 wurde die Skiflugschanze an die neuen FIS-Anforderungen angepasst, darunter eine Neugestaltung des Schanzenauf baus, des Schanzentischs und des Aufsprunghangs sowie eine Einhausung der Plattformen am Schanzenkopf. Die detaillierte Nachrechnung des Bestandsbauwerks auf Basis aktueller Normen war aufgrund der Komplexität eine besondere Herausforderung. Trotz höherer Lasten konnte die Standsicherheit und damit die Zukunftsfähigkeit des Schanzenbauwerks nachgewiesen werden. Die Befestigung von Spurunterkonstruktion und Brüstungen auf der Leichtbetonunterkonstruktion erfolgte unter Berücksichtigung der Spannglieder mittels einer sorgfältigen Spanngliedortung. Die Funktionalität und Praxistauglichkeit der Skiflugschanze wurde durch erfolgreiche Veranstaltungen wie die Vor-WM 2017 und die Skiflug-WM 2018 unter Beweis gestellt. Die Anlage ist als „schiefer Turm“ ein bedeutendes Symbol für Oberstdorf und ermöglicht neben der sportlichen Nutzung im Winter eine ganzjährige touristische Nutzung. 1. Einführung Die Geschichte der Heini-Klopfer-Skiflugschanze reicht bis ins Jahr 1949 zurück. Im Jahr 2016 wurde die Leichtbetonkonstruktion aus dem Jahr 1973 umfassend saniert und an die aktuellen Anforderungen der FIS angepasst. Dabei war die Generalsanierung und Instandsetzung der Skiflugschanze ein äußerst anspruchsvolles Projekt, das nur in enger Zusammenarbeit zwischen Objektplanung und interdisziplinärer Tragwerksplanung aus einer Hand - von der Bestandserkundung über die Neu- und Umbauplanung, die Bestandsnachrechnung, die Betonsanierung, bis hin zur Berechnung geotechnischer Sondermaßnahmen - realisiert werden konnte. Im Folgenden sollen ein Überblick über die Herausforderungen des Projektes gegeben und innovative Lösungsansätze bei der Planung und Umsetzung vorgestellt werden. Von der Bestandsanalyse über die Nachrechnung bis zur Ausführung werden die technischen Aspekte der Sanierungsmaßnahme erläutert. 2. Historie der Bestandsbauwerke Schon die ursprüngliche Schanze, die als Holzkonstruktion in nur 5 Monaten erbaut wurde, stellte bei ihrer Fertigstellung im Jahr 1950 einen Meilenstein auf dem Weg zum Skifliegen dar. Vorangetrieben wurde das damals visionäre Projekt von dem berühmten Trio aus Oberstdorfer Springern - Toni Brutscher, Sepp Weiler und Heini Klopfer. Deren Anspruch war kein geringerer, als eine Anlage zu schaffen, die alles Bisherige übertreffen sollte. [1] 1971 wurde von der FIS (Fédération Internationale de Ski) das Skifliegen anerkannt. Für die Skiflugweltmeisterschaft 1973 in Oberstdorf wurde die bestehende Schanzenanlage durch ein neues Bauwerk in Leichtbetonbauweise ersetzt. In einer Bauzeit von nur 6 Monaten entstand die neue Skiflugschanze mit ihrer 145 m langen Anlauf bahn bis zum Schanzentisch und einem Höhenunterschied vom höchsten Anlaufpunkt bis zum Auslauf von 189 m. [1] Im Laufe der Jahre wurden immer wieder Verbesserungen und Modernisierungen am Schanzenbauwerk vorgenommen, um die Sicherheitsstandards zu erfüllen und die Schanze auf dem neuesten Stand der Technik zu halten. [1] Mit dem großen Umbau und der Generalsanierung im Jahr 2016 wurde die Schanze weiter optimiert und an die aktuellen Anforderungen der FIS angepasst. Insbesondere der gesamte Schanzenauf bau, der Schanzentisch und der Aufsprunghang einschließlich des Auslaufs wurden neu gestaltet, um den Bedürfnissen des modernen Skifliegens gerecht zu werden. [1] 164 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze Abbildung 1: Ansicht Anlauf bauwerk mit Unterteilung der Vorbauabschnitte 3. Beschreibung des Bestandsbauwerks Bei dem bestehenden Schanzenbauwerk aus dem Jahre 1973 handelt es sich um eine weit auskragende, im Freivorbau hergestellte, vorgespannten und felsverankerten Leichtbetonkonstruktion. [2] Der Schanzenturm wurde als Kragträger mit einer geneigten Länge des gesamten Obergurtes von 95 m ausgeführt. Die mittlere Neigung des Kragarmes beträgt 39 °. Der Schanzenkopf liegt ca. 60 m über dem Gelände. Bei dem Turmbauwerk handelt es sich um einen einzelligen Hohlkastenquerschnitt mit beidseitigen Kragarmen am Obergurt. Der Querschnitt des Hohlkastens ist durch die gegensätzlichen Radien über die Höhe veränderlich und weitet sich vom Schanzenkopf zum Schanzenfuß auf. Im Schanzenkopfbereich wandelt sich, aufgrund der dort angeordneten Plattformen und deren Zugänglichkeit, der geschlossene Hohlkasten in einen offenen U-förmigen Querschnitt. Die Dicke des Obergurtes, welcher durch den Spuraufbau als Anlaufbahn fungiert, beträgt konstant 24 cm, die Untergurtdicke beträgt bei Oberkante der Gründungsplatte 2,56 m, ab dem ersten Vorbauabschnitt 60 cm und verjüngt sich zum Schanzenkopf hin weiter auf 20 cm. [2] Der Obergurt ist in Längsrichtung zusätzlich zu einer schlaffen Längs- und Querbewehrung mit insgesamt 80 Einzelspanngliedern Ø 32, St 85/ 105 von unten nach oben abnehmend vorgespannt. Die Spannanker sind im vorderen Massivbereich des Schanzenfußes angeordnet. Zur Endverankerung im Turmbereich mittels Plattenverankerung wurden die Spannglieder jeweils kurz vor der Ankerstelle in Richtung Steg geführt. Aufgrund der abschnittsweisen Herstellung sind die Spannglieder nach jedem Bauabschnitt durch Muffenstöße gekoppelt. Die seitlichen Stege sowie der Untergurt wurden mit einer schlaffen Längs- und Querbewehrung ausgeführt. Letztere wurde zur Schubsicherung der Arbeitsfugen orthogonal zur Längsbewehrung angeordnet. [2] Der Spannleichtbeton, die Verankerung im Fels sowie der freie Vorbau schräg nach oben in Verbindung mit der äußerst kurzen Bauzeit von 6 Monaten machen den Kragarm zu einem bemerkenswerten Bauwerk. [2] Durch die Ausführung des Turmbauwerkes mit hochfestem Leichtbeton und dem damit verbundenen geringeren Eigengewicht konnten Konstruktionsvorteile erzielt werden, die sich insbesondere in Einsparungen bei den 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 165 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze Spannstählen und Ankern bemerkbar machten. Die wirtschaftlichen Vorteile infolge der Verwendung von Leichtbeton waren mit 3% der Bausumme überraschenderweise sehr gering. Die Einsparungen bei Spannstählen und Ankern wurden durch die Mehrkosten des Leichtbetons vermindert. [2] Abbildung 2: Querschnitt des Hohlkastens Die Gründungsplatte und das erste Taktelement (Eingangsebene) wurden in Normalbeton, die weiteren Taktelemente bzw. Vorbauabschnitte 1 bis 11 wurden in Leichtbeton erstellt. Die Zielgröße für den Leichtbeton entsprach einem LBn 400, wie es in der damals gültigen Richtlinie für Leichtbeton und Spannbeton festgelegt war. Das Gewicht des bewehrten Leichtbetons wurde mit 1,8 Mp/ m³ (in etwa 18 kN/ m³) angesetzt. Da zum Zeitpunkt der Herstellung im Jahr 1973 keine Ausführungserfahrung mit einem Leichtbeton dieser Güte vorlag, wurden 25 Eignungsprüfungen mit 12 verschiedenen Betonmischungen und den entsprechenden Baustellenversuchen durchgeführt. Schließlich wurde noch eine Probewand unter den Herstellbedingungen auf der Baustelle erstellt. [2] Am oberen Ende des Kragarmes sind zwei horizontal nach hinten auskragende Plattformen angeordnet. Diese wurden parallel zu den Vorbauarbeiten des Turmbauwerks als Fertigteile am Boden übereinander hergestellt und anschließend mit Winden nach oben gezogen und am Kragträger mit Betonplomben und jeweils vier Spannstäben St 85/ 105 befestigt. [2] Aufgrund der kurzen Bauzeit von 6 Monaten wurde die Konstruktion im Freivorbau erstellt. Für den freien Vorbau schräg nach oben wurde ein besonderer Vorbauwagen konzipiert, welcher die Arbeitsbühnen und im Betonierzustand die auskragende Betonlast abzutragen hatte. Auf dem Vorbauwagen war die Bodenschalung des Untergurtes fest montiert. Alle weiteren Schalelemente wurden jeweils mit dem Kran umgesetzt. Das Vorfahren zum nächsten Betonierabschnitt konnte innerhalb weniger Stunden realisiert werden. Die Einbringung und Verdichtung des Leichtbetons mit Außenrüttlern mussten innerhalb von 3 Stunden abgeschlossen sein, da der Beton dann zu erhärten begann. Für das Vorfahren des Vorbauwagens war eine Betonfestigkeit von 25 MN/ m² erforderlich. Dies war im Regelfall in 2 bis 2,5 Tagen erreicht. An Frosttagen - die Vorbauarbeiten waren Ende November 1972 abgeschlossen - wurde von unten Warmluft in den Hohlkasten eingeblasen. Für die Vorbauarbeiten konnte nach einer Anlaufzeit bei den ersten Abschnitten eine Taktung von jeweils einer Woche für die Vorbauschritte erzielt werden. [2] Aufgrund der sehr guten Baugrundverhältnisse konnte das Schanzenbauwerk als Kragträger realisiert werden. Das Fundament des Anlaufturmes ist 22 m lang, 5 m breit und 3 m hoch. Es ist im Felsen aus Kalksandstein und Quarzit gegründet und greift in der bergseitigen Hälfte bis zu 3 m in den Fels ein. Der Fels wurde dafür schichtweise im Sprengvortrieb ausgebrochen. Im Einbindungsbereich wurde das Fundament vollflächig auf den Felsen betoniert. Die Rückverankerung des Fundaments erfolgt über 40 Felsanker aus St- 85/ 105, Durchmesser 32 mm. Die Anker sind am luftseitigen Ende des Fundaments in einem Bereich von 5 m-x 3 m angeordnet. Sie sind als Freispielanker mit einer freien Ankerlänge von 8,90 m sowie einer Verpresslänge von 4,90 m ausgebildet und mit einer Vorspannung von 600 N/ mm² versehen. Die Neigungswinkel der Anker gegenüber der Lotrechten betragen 0 ° bis 20 °. Durch diese fächerförmige Anordnung soll ein möglichst großer Gebirgskörper zur Lastabtragung herangezogen werden. Bei der Bemessung wurde ein Vorspannkraftverlust von 15 % durch Kriechen und Schwinden berücksichtigt. Unter ständiger Last stellt sich keine klaffende Fuge ein. Die Sohldruckspannung beträgt in diesem Lastfall ca. 600 kN/ m². Für den Lastfall Gesamtlast liegt die berechnete maximale Sohldruckspannung mit 1330 kN/ m² noch unter dem für den Baugrund empfohlenen Richtwert von 1500 kN/ m². Der in der luftseitigen Fundamenthälfte in Achslängsrichtung angeordnete Sporn von 5 m Länge, 1,7-m Tiefe und 1,5 m Breite nimmt in der Gründungssohle zusammen mit den Reibungskräften in der Druckzone das um die Senkrechte zur Gründungsebene drehende Moment aus Windlast auf. [3] 166 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze Abbildung 3: Gründungskörper mit Felsankern 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 167 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze Um ein unangekündigtes Versagen der Tragfähigkeit des Sprungturmkragarms durch den Ausfall von Felsankern auszuschließen, wurden von den 40 Felsankern 5 als Prüfanker ausgebildet. Durch ein Monitoringkonzept, bestehend aus einer wieder-kehrenden Kraftmessung der Prüfanker und dem daraus resultierenden Rückschluss auf die Kräfte der übrigen Anker sowie einer wiederkehrenden Höhenmessung des Fundamentkörpers, soll ein Versagen der Anker rechtzeitig erkannt werden. [3] 4. Generalsanierung und Revitalisierung Die Konzeption und Umsetzung der Generalsanierung orientierte sich an den gegebenen Randbedingungen der bestehenden Schanzenanlage und deren Anpassung an die neuen Anforderungen der FIS hinsichtlich Anlaufgeometrie, Komfort und Sicherheit. Die Erfüllung der FIS-Regularien erforderte eine komplette Neugestaltung des Aufsprunghangs, des Schanzentisches, der Anlaufspur und des Wärmeraumes am Schanzenkopf sowie die Neugestaltung der Infrastruktur im Auslauf bereich mit den dazugehörigen Stadion- und Geländeflächen im Sinne einer langfristigen Zukunftsfähigkeit. Der bestehende Schanzentisch wurde vollständig rückgebaut und durch eine Brückenkonstruktion als oberstes Ende des Aufsprunghangs mit aufgeständertem neuem Schanzentisch ersetzt. Die Brückenkonstruktion ist im hangseitigen Bereich auf Mikropfählen gegründet und wurde als Stahlkonstruktion mit einer oberseitigen, erdüberschütteten Stahlbeton-Verbundplatte hergestellt. Der neue Schanzentisch wurde als Stahl-Fachwerkkonstruktion ausgeführt. Charakteristisches Merkmal der Konstruktion sind die V-förmigen Rundstützen. Abbildung 4: Schanzentisch mit Brückenbauwerk © Eva Bartussek Die bestehende Anlaufspur- und Geländerkonstruktion auf dem Anlauf bauwerk wurde vollständig rückgebaut und durch eine neue, der gewünschten Gradiente folgenden, teils aufgeständerten Stahlkonstruktion ersetzt. Die Neukonstruktion im Bereich der Startstufen wurde beidseits verbreitert, die Brüstungshöhen in diesem Bereich wurden vergrößert. Der Wärmeraum am Schanzenkopf wurde erweitert und mit einer neuen Fassade versehen. Aufgrund der elementierten Montage vorgefertigter Bauteile konnte eine äußerst kurze Bauzeit ohne zusätzliche Montagegerüste realisiert werden. So konnte auch den hohen Anforderungen an die Präzision der Unterkonstruktion der schanzentechnischen Auf bauten Rechnung getragen werden. Das Profil des Aufsprunghanges präsentiert sich neu modelliert und an die Anforderungen einer hangnahen Flugkurve angepasst. Der Auslaufbereich wurde vergrößert und eine Tribünenanlage mit Geländestehplätzen errichtet. Mit der Generalsanierung der Skiflugschanze sollte in Anlehnung an die Einzigartigkeit des bestehenden Schanzenbauwerks ein weithin sichtbares Objekt geschaffen werden, das auch in den kommenden Jahrzehnten seinen Symbolcharakter für Oberstdorf behält. Die gestalterische Grundidee greift das Thema Fliegen auf. So entstand zum einen die abstrahierte Ausformulierung des Schanzenkopfes als „Adlerhorst“, zum anderen das rote Band, das dem Anlauf der Schanze folgt und den Flug eines Adlers zum Ausdruck bringen soll. 5. Nachrechnung Für das bestehende Anlauf bauwerk wurde aufgrund von Mehrflächen durch die geometrische Umgestaltung der Brüstungen sowie der Einhausung des Wärmeraumes und den daraus resultierenden höheren Lasten eine detaillierte Nachrechnung auf Basis der aktuell gültigen Normen erforderlich. Beim Neubau der Schanze im Jahr 1973 wurde ein Sondervorschlag der ausführenden Firma umgesetzt, welcher eine optimale Ausnutzung der verwendeten Materialien als Zielsetzung hatte. Dementsprechend anspruchsvoll gestaltete sich die Nachrechnung des Anlauf bauwerkes und verlangte eine Vielzahl innovativer Ansätze. Hierfür wurde das Leichtbetonbauwerk durch ein gemischtes Modell mit Schalen-, Volumen- und Stabelementen abgebildet. Für die Vorspannung wurden alle 80 Spannstränge im Obergurt einschließlich deren Exzentrizitäten einzeln modelliert. Die Materialien wurden den Bestandsunterlagen entnommen und auf Basis des Gutachtens der TU München von 1972 über die materialbedingten Grundwerte des Leichtbetons LBn-400 für die statische Berechnung sowie in Anlehnung an die „Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand“ den Materialeigenschaften nach DIN EN 1992 zugeordnet. Für die Vorbauabschnitte VA1 bis VA11 wurde demnach ein LC50/ 60 zugrunde gelegt. Beim Hohlkasten oberhalb der Gründung (VA0) wurde ein C35/ 45 und für die Gründung ein C20/ 25 angesetzt. Die seinerzeit verwendeten Rundstähle entsprechen einem Stabstahl B420-B. Für die Spannstähle St-85/ 105 ergibt sich auf Basis der vorliegenden Zulassungen mittels Umrechnungsfaktor 1 kp = 9,81 N eine Streckgrenze von 835 N/ mm² und eine Zugfestigkeit von 1030 N/ mm². Die abschnittsweise Herstellung des Kragarmes im Freivorbau wurde im Modell durch die Eingabe 168 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze sukzessiv angebauter Vorbauabschnitte und der sich daraus ergebenden Kriechberechnungen berücksichtigt. Die Vorspannung wurde jeweils entsprechend den im Vorbauabschnitt verankerten Spanngliedern mit einer angenommenen Spannung der Vorspannkraft von 580 N/ mm² aufgebracht. Das Rechenmodell wurde zunächst unter Berücksichtigung der bisherigen Lasten sowie der Einflüsse aus Kriechen und Schwinden mit der vorliegenden Bestandsstatik abgeglichen und kalibriert und anschließend mit den neuen Lasten auf Basis der aktuellen Normung beaufschlagt. Zusätzliche Lasten ergaben sich insbesondere durch die Vergrößerung der Plattformen und die Anordnung einer geschlossenen Fassade zur Ausführung eines Wärmeraumes am Turmkopf, durch die beidseitige Verbreiterung der Startstufen sowie durch die Ausbildung höherer seitlicher Brüstungen mit geschlossener Blechverkleidung. Als besondere Herausforderung musste in diesem Prozess auch die Schwingungsanfälligkeit untersucht werden. Im Ergebnis gelang durch die detaillierte Modellbildung und Nachrechnung trotz oder gerade infolge des höheren Lastniveaus der Nachweis einer ausreichenden Standsicherheit. Auffällig war im Ergebnis, dass der ermittelte Ausnutzungsgrad bei der Bestandssituation höher als bei der Instandsetzungsmaßnahme ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die maximale Beanspruchung der schlaffen Bewehrung bei der Kombination Wind in Querrichtung im Untergurt und dem zugbeanspruchten benachbarten Steganteil auftritt. Durch die Instandsetzungsmaßnahme werden mehr Auf baulasten aufgebracht und somit größere Druckbeanspruchungen am unteren Querschnittsrand erzeugt. Der Anteil der zu ersetzenden Zugbeanspruchung durch schlaffe Bewehrung wird dadurch geringer. Ertüchtigungsmaßnahmen wären, wenn überhaupt ausführbar, kosten- und zeitintensiv gewesen und hätten zusätzlich zu einer Reduzierung der Umgestaltungsmaßnahmen geführt. Der Erfolg der detaillierten Nachrechnung war somit ausschlaggebend für die Machbarkeit der Generalsanierung und damit für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Sprunganlage. 6. Spanngliedortung und neue Spur Eine weitere Herausforderung stellte die Befestigung der Spurunterkonstruktion und der Brüstungen auf der Leichtbetonunterkonstruktion dar. Zum einen musste für die Befestigung der Stahlkonstruktion eine Zustimmung im Einzelfall für die Dübel erwirkt werden, zum anderen eine Beschädigung der sehr dicht liegenden Spannglieder ausgeschlossen werden. Es wurden Stahl-Auflagerschuhe geplant, die mit der erforderlichen Flexibilität eine Anpassung auf die örtlichen Gegebenheiten zulassen. Die Fußplatte dieser Stahl-Auflagerschuhe ist mit insgesamt 14 Bohrungen versehen, so dass flexibel auf die Bewehrungs- und insbesondere die Spanngliedlagen reagiert werden konnte. Nach der Einmessung der Achsen für die Auflagerschuhe auf dem Obergurt des Hohlkasten-querschnittes erfolgte vor Ort eine durch Seiltechnik gesicherte Spanngliedortung mittels Radargeräts. Die Achspunkte der Auflagerschuhe waren durchgängig der Bezugspunkt für die Aufnahmen, Auswertungen und für die Montage. Abbildung 5: Radarmessung zur Spanngliedortung Um die Spanngliedlagen von der schlaffen Bewehrung zweifelsfrei unterscheiden zu können, wurden die bei der Radarmessung vor Ort für jeden einzelnen Auflagerpunkt aufgenommenen Messergebnisse mit den maßstäblich in die Bestandspläne übertragenen Messbereichen verglichen. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 169 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze Abbildung 6: Abgleich der Radarmessung mit Plangrundlage Durch die Messtechnik konnten zudem die einzelnen Spannglieder auch durch die Tiefenlage im Querschnitt bestimmt werden. Insgesamt zeigte sich eine sehr gute Übereinstimmung der vor Ort detektierten Spanngliedlagen mit der vorliegenden Plangrundlage. In einem nächsten Schritt wurden die Maße der für die Ausführung der Bohrungen konzipierten Bohrschablone in die Radaraufnahme eingespielt. So konnten für jeden einzelnen Auflagerpunkt die zulässigen Bohrlöcher bestimmt und in einer Tabelle festgehalten werden. Mit Hilfe der Bohrschablone und der zugehörigen Bohrtabelle war es der ausführenden Firma möglich, die Dübel ohne Risiko für die Spannglieder zu setzen und anschließend die Auflagerschuhe zu montieren. Ohne den Einsatz modernster Technologien wäre eine Befestigung der Stahlkonstruktion mit einer derartigen Vielzahl von Dübeln nicht schadensfrei möglich gewesen. 170 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze Abbildung 7: Bohrschablone Abbildung 8: Bohrtabelle nach Auswertung der Radarmessungen 7. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit Die Schanzenanlage liegt in das bestehende Gelände eingebettet im landschaftlich reizvollen Stillachtal, umgeben von den Allgäuer Bergen. Die gesamte Umbaumaßnahme bewegte sich im alten Baufeld, wodurch keine weiteren Flächen erschlossen werden mussten, und der gesamte Baumbestand erhalten werden konnte. Trotz der geänderten Anforderungen an eine moderne Skifluganlage mit neuen Parametern wurde im Rahmen der Profilplanung die maximale Einbeziehung des Bestandes angestrebt. Durch das Aufsetzen der neuen Anlaufgeometrie auf das bestehende Spannbetonbauwerk und der detaillierten Nachrechnung konnte einerseits eine ressourcenschonende Umsetzung der Baumaßnahme erreicht werden, andererseits aber auch das beeindruckende Spannbetonbauwerk nicht nur erhalten, sondern auch für weitere Jahrzehnte nutzbar gemacht werden. Neben der bei der Umsetzung berücksichtigten Umweltverträglichkeit unterstreicht nicht zuletzt die ganzjährige touristische Nutzung die gesteigerte Nachhaltigkeit. Der Rückbau und Neubau hätten neben einer deutlich längeren Planungs- und Genehmigungszeit um ein Vielfaches höhere Kosten verursacht. Darüber hinaus wären bei der Bauausführung umfassendere Eingriffe in das Areal erforderlich gewesen. Mit Gesamtkosten in Höhe von 13,4 Mio. € brutto steht die erzielte Nachhaltigkeit im Einklang mit Wirtschaftlichkeit und einem ausgewogenen Kosten-Nutzen-Verhältnis. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 171 Generalsanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze 8. Zusammenfassung und Ausblick Die Heini-Klopfer-Skiflugschanze war und ist eine Pionierleistung in der Geschichte des Skispringens und hat sich im Laufe der Jahrzehnte nicht nur als einzigartige Sportstätte, sondern auch als Symbol für Innovation und Beständigkeit etabliert. Seit ihrem ersten Bau wurde die Schanze kontinuierlich verbessert und modernisiert, um den sich wandelnden Anforderungen des Skifliegens gerecht zu werden. Das bestehende Bauwerk aus dem Jahr 1973 mit seiner imposanten Leichtbetonkonstruktion ist ein ingenieurtechnisches Meisterstück, welches nicht zuletzt durch die detaillierte und komplexe Nachrechnung sowie den innovativen Einsatz moderner Messtechnik erhalten werden konnte. Im Rahmen der Generalsanierung wurden dabei zum einen die Sicherheitsstandards erhöht, zum anderen auch die Infrastruktur rund um die Schanze verbessert, um eine langfristige Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten. Die Sanierung der Heini-Klopfer-Skiflugschanze erfolgte nicht nur unter dem Aspekt der Funktionalität und Gebrauchstauglichkeit, sondern auch unter Berücksichtigung von Umweltverträglichkeit, Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Kosten-Nutzen-Verhältnis. Das Ergebnis ist eine Schanze, die einerseits ihre historische Bedeutung bewahrt, andererseits auch den Anforderungen des modernen Skisports gerecht wird. Mit der Austragung der Vor-WM 2017 und der Skiflug-WM 2018 konnte die neue Sprunganlage nicht zuletzt durch die Aufstellung eines neuen Schanzenrekordes deren Funktionalität und Praxistauglichkeit eindrucksvoll unter Beweis stellen. Abbildung 9: Skiflugschanze nach Generalsanierung © Eva Bartussek Literatur [1] „Skiflugschanze Oberstdorf,“ [Online]. Available: https: / / www.skiflugschanze-oberstdorf.de/ geschichte/ . [2] Dipl.-Ing. H. Bomhard und Dipl.-Ing. J. Sperber, „Der felsverankerte Spannleichtbeton-Kragarm der Skiflugschanze Oberstdorf und Betrachtungen zur Anwendbarkeit und Beanspruchbarkeit von Konstruktionsleichtbeton“, Beton- und Stahlbeton, Bd. 5, 1973. [3] Prof. Dr.-Ing. G. Knittel, „2. Bericht über die statische Prüfung der Schanze“, 1972. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 173 Innovative Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken Annette Dahlhoff, M. Sc. Institut für Baustoffforschung (ibac), RWTH Aachen University Dr.-Ing. Till Büttner MK Ingenieure GmbH Conrad Pelka, M. Sc. Institut für Massivbau, TU Dresden Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung (ibac), RWTH Aachen University Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx Institut für Massivbau, TU Dresden Zusammenfassung Im Zuge des auf kommenden Sanierungsbedarfs wird der Gedanke des Instandsetzens von Ingenieurbauwerken unter Beachtung der Nachhaltigkeitsziele immer bedeutungsvoller. Insbesondere Eisenbahngewölbebrücken haben aufgrund einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 111 Jahren und der damit einhergehenden Dauerhaftigkeit ein großes Potenzial für vorhandene Resttragfähigkeit. Von den circa 5900 Gewölbebrücken der Deutschen Bahn benötigen eine Vielzahl von Brücken in den nächsten 6 Jahren dringend Maßnahmen zur Instandsetzung. Dabei führt eindringende und rückstauende Nässe, die sich im Gewölberücken sammelt, häufig in Kombination mit dynamischen Einwirkungen aus dem Eisenbahnverkehr zu dem Verlust des Verbundverhaltens im Mauerwerk, Rissbildungen, Steinverluste sowie Verformungen, Verschiebungen und Verkippungen. Um diesen Schadensmechanismen entgegenzuwirken, wurde in Kooperation mit der RWTH Aachen University, dem Institut für Baustoffforschung (ibac) und der TU Dresden, dem Institut für Massivbau sowie zwei Partnern aus der Industrie, der Firma Massenberg und der Firma BAWAX eine konstruktive Rückenabdichtung weiterentwickelt. Diese Rückenabdichtung besteht aus einer Textilbetonschicht aus nicht-metallischer Carbonbewehrung getränkt mit Acrylat und einem Dichtmörtelsystem zur Betoninstandsetzung. 1. Einführung Angesichts des wachsenden Sanierungsbedarfs von Ingenieurbauwerken gewinnt die Instandsetzung unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten zunehmend an Bedeutung. Besonders Eisenbahngewölbebrücken, die eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 111-Jahren aufweisen, bieten durch ihre hohe Beständigkeit ein erhebliches Potenzial hinsichtlich der noch vorhandenen Resttragfähigkeit. Von den insgesamt 5.926 Gewölbebrücken der Deutschen Bahn steht bei einer Vielzahl in den kommenden sechs Jahren eine dringende Sanierung an [1, 2, 3,4]. Ein häufig auftretendes Schadensbild ist das Eindringen und Rückstauen von Feuchtigkeit im Gewölberücken, was - oft in Kombination mit dynamischen Belastungen des Eisenbahnverkehrs - zu einer Minderung des Verbundverhaltens im Mauerwerk führt. Dies äußert sich in Rissbildungen, Verlust von Mauersteinen, Verformungen sowie Verschiebungen und Verkippungen der Bauteile [5]. Um diesen Schadensmechanismen entgegenzuwirken, wurde in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen (Institut für Baustoffforschung, ibac), der TU Dresden (Institut für Massivbau) sowie den Industriepartnern Massenberg und BAWAX eine innovative Rückenabdichtung entwickelt. Diese besteht aus einer Textilbetonschicht mit nicht-metallischer Carbonbewehrung, die mit Acrylat getränkt ist, sowie einem speziellen Dichtmörtelsystem zur gezielten Betoninstandsetzung [6]. Abb. 1: Technologiekonzept der Rückenabdichtung auf Gewölbebrücken [Zeichnung: Achenbach] 174 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Innovative Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken Im Rahmen der Instandsetzungsarbeiten auf dem Gewölberücken des Kewag-Viadukts bei Koblenz - gelegen auf der Bahnstrecke von Koblenz nach Wetzlar bei Bahnkilometer 102,244 km - wurde das entwickelte Instandsetzungskonzept erstmals als Pilotprojekt angewendet. Das im Jahr 1878 erbaute Viadukt umfasst fünf Bögen und weist in bestimmten Abschnitten eine stark reduzierte Überdeckungshöhe von etwa 10-cm zwischen Gewölberücken und Schwellenunterkante auf. Da die Einhaltung der Gradienten erforderlich ist, können an dieser Stelle keine klassischen Fahrbahnplatten aus Stahlbeton eingebaut werden, da dies die maximal zulässige Bauteilhöhe überschreiten würde. Zudem würde eine Instandsetzung an der Gewölbeinnenseite das Regelprofil beeinträchtigen und Feuchtigkeit im Bauwerk einsperren. Da außerdem eine Straße und eine Bahnlinie die Durchfahrtshöhen zweier Bögen einschränken, konnte auch diese Option nicht in Betracht gezogen werden [4]. Abb. 2: Seitenansicht des Kewag-Viadukts [Foto: Pelka] Um die Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit der Rückenabdichtung zu überprüfen, wurden bereits ein Jahr vor der Maßnahme Feuchtesensoren in Form von Multi-Ring- Elektroden auf der Innenseite des Gewölbes sowie im aufgehenden Pfeilerbereich installiert. Diese Sensoren messen den Feuchtegehalt im Bestandsbauwerk und ermöglichen so einen Vorher-Nachher-Vergleich, um den Erfolg der Instandsetzung zu dokumentieren [7]. Die Durchführung der Arbeiten am Kewag-Viadukt fand im Oktober 2023 durch die Firmen Bahnbau Gruppe, Massenberg (Essen) und BAWAX (Celle) statt. 2. Ist-Zustands-Erfassung Das Kewag-Viadukt, ein Bauwerk aus dem Jahr 1878, gehört zu den historischen Ingenieurbauwerken der Region nördliches Rheinland-Pfalz und stellt aufgrund seiner Konstruktion und Lage eine besondere Herausforderung für Instandsetzungsmaßnahmen dar. Ursprünglich bestand das Viadukt aus fünf Gewölbebögen, die zusammen den Überbau bildeten. Jedoch musste der zweite Bogen, bedingt durch Platzmangel aufgrund der Oberleitungsanlage eines kreuzenden Schienenweges, durch einen Rahmen aus Stahlbeton im Laufe der Nutzung ersetzt werden [4]. Der Überbau wird durch einen Oberbau mit Schotter- Schwellen-System (SSS) ergänzt, der sich auf die tragende Konstruktion des Viadukts stützt. Die Unterbauten des Viadukts setzen sich aus zwei Widerlagern und vier Pfeilern zusammen, die dem Bauwerk Stabilität verleihen und die Lasten der Überbauten und des Oberbaus abtragen. Im Zuge der Voruntersuchungen an der Gewölbebrücke wurden Schurfe sowohl im Bereich der Gewölbebögen als auch an den Pfeilern des Bauwerks durchgeführt. Diese Untersuchungen legten erhebliche Mängel bei der Überdeckungshöhe im Scheitelbereich des Gewölbes offen. Während die baulichen Anforderungen eine Mindestschotterhöhe von 30-cm zwischen der Unterkante der Schwellen und der Rückseite des Tragwerks vorschreiben, wurde im Bereich des Gewölbebogens eine Überdeckungshöhe von lediglich etwa 10-cm gemessen. Besonders kritisch zeigt sich die Situation im Bereich der Stirnwand, wo der Schotter direkt aufliegt und somit keine Überdeckungshöhe vorhanden ist. Abb. 3: Aufbau des Kewag-Viadukts [Zeichnung & Fotos: GleisPlanService GmbH]. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 175 Innovative Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken Abb. 4: Überdeckungshöhen beispielhaft im Bogen 5 [Zeichnung: Dahlhoff] Im Zuge der Gleisöffnung, die zur genauen Überprüfung und Ergänzung der zuvor durchgeführten Schurfe vorgenommen wurde, zeigte sich das gesamte Ausmaß der baulichen Mängel. Besonders auffällig waren die stark zugesetzten Entwässerungsöffnungen, die ihre Funktion vollständig verloren hatten und somit keine ausreichende Ableitung von Niederschlagswasser mehr ermöglichten. Diese Verstopfungen führten zu einer zunehmenden Feuchtigkeitsansammlung, die das Mauerwerk im Laufe der Zeit stark belastet hat. Die Folgen dieser unzureichenden Entwässerung waren deutlich sichtbar in Form einer stark verschmutzen und „versotteten“ Oberfläche. Im Jahr 2017 wurde eine erste Sanierung (in einem Teilbereich des Bauwerks) des rückseitigen Hauptgewölbebogens durchgeführt. Dabei wurde eine mehrlagige Schutzschicht aus Schwarzanstrich und fließkaschierten Bitumenschweißbahnen, die in Heißbitumen verlegt wurden, aufgebracht [4]. Abb. 5: Mehrlagige Abdichtungs- und Schutzschicht [Foto: DB InfraGO AG] 3. Technologie und Monitoring Als Instandsetzungssystem für das hier vorgestellte Pilotprojekt wurde ein wasserundurchlässiges Mörtelsystem mit Carbongelegen entwickelt und eingesetzt, sodass die Funktionen Egalisierungsschicht, Schwarzabdichtung und Schutzbetonschicht in einem System vereint werden. Durch diese innovative Kombination lässt sich die Schichtdicke der Abdichtung erheblich verringern. Zusätzlich kann die Applikationszeit deutlich reduziert werden und ein nahezu witterungsunabhängiges Arbeiten ist möglich. Die hohe Dauerhaftigkeit des Materialkombination verspricht zudem eine lange Lebensdauer der Abdichtungsschicht. Ein entscheidender Vorteil des entwickelten Systems ist die rissverteilende Wirkung. In Anlehnung an das DUR- TEX-System wurde die Carbonbetonschicht ohne flächigen Verbund auf den Untergrund appliziert, so dass Spannungen im Mauerwerk nicht auf die Carbonbetonschicht übertragen werden [8]. Dies verhindert Beschädigungen der Abdichtung und wirkt zudem rissverteilend, was die Langlebigkeit und Wirksamkeit des Systems weiter unterstützt. Zudem soll ein Haftvermittler gezielt an Stellen aufgebracht werden, an denen noch Reste der alten Schwarzabdichtung vorhanden sind und der Verbund damit verbessert werden kann. Abb. 6: Nicht entkoppeltes Instandsetzungssystem mit durchschlagendem Riss [8, 9, 10, 11] 176 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Innovative Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken Abb. 7: Entkoppeltes Instandsetzungssystem als rissverteilende Rückenabdichtung auf dem Mauerwerk basierend auf dem System DURTEX [8, 9, 10, 11] Die Applikation der Carbonbetonschicht stellt insbesondere in den Bereichen der Betonaufkantungen eine technische Herausforderung dar. Hier gibt es zwei mögliche Ausführungsvarianten: Zum einen kann das System „fest“ eingebunden werden, indem nur eine Anschlussfugenabdichtung im Eckbereich zu den Betonaufkantungen integriert wird. Zum anderen besteht die Option, die Carbonbetonschicht „schwimmend“ zu verlegen, indem eine zusätzliche Lage Haftvermittler unter der Carbonbetonschicht eingebracht wird. Abb. 8: Beispielhafter schematischer Auf bau des Instandsetzungssystems in Bereichen von Betonaufkantungen [Abbildung: Dahlhoff] Zusätzlich zu der textilbewehrten Abdichtung wurde ein Monitoringsystem vor Applikation der Abdichtung in das Bauwerk eingebaut, um das Austrocknungsverhalten infolge der Applikation der Abdichtung zu überwachen und verifizieren zu können. Mittels Multiringelektroden werden die Feuchte- und Temperaturverhältnisse im Gewölbe erfasst [7]. Hierfür wurden sechs Multiringelektroden an unterschiedlichen Tiefen und Positionen im Gewölbe eingebaut, und die Messungen bereits im Januar 2023 gestartet. Die Multiringelektroden ermöglichen tiefengestaffelte Widerstandsmessungen, anhand derer der spezifische elektrische Widerstand ermittelt und als geometrieunabhängiger Werkstoffparameter ausgewertet wird [7]. Abb. 9: Positionierung der Multiringelektroden als Monitoring im Gewölbe [Foto: Dahlhoff] 4. Instandsetzung des Kewag-Viadukts Die Arbeiten begannen mit dem Rückbau des Oberbaus bis zur Schutzschicht der bestehenden bituminösen Abdichtung, die jedoch aufgrund von Unebenheiten nur teilweise erhalten werden konnte. Nach der Freilegung der Gewölberückenerfolgte eine gründliche Reinigung des Bestandes mittels Hochdruckwasserstrahlen, um minderfeste Schichten zu entfernen. Abb. 10: Reinigung des Untergrundes mittels Hochdruckwasserstrahlen [Foto: Büttner] Vor dem Auftragen der neuen Abdichtungsschicht wurde der Untergrund mit polymermodifiziertem Mörtel egalisiert; an freiliegenden Stellen der alten Abdichtung wurde ein Haftvermittler aufgetragen. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 177 Innovative Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken Abb. 11: Egalisierung der Unebenheiten [Foto: Pelka] Im Anschluss an die Egalisierung des Untergrundes wurde die Carbonbetonschicht lagenweise aufgetragen, wobei die erforderliche Nachbehandlung berücksichtigt wurde. Um die Bauarbeiten effizient zu gestalten, wurde das Material maschinell gemischt und zur Einbaustelle gepumpt, wo es manuell verteilt und verdichtet wurde. Alle Anschlüsse an angrenzende Bauteile und Entwässerungsöffnungen wurden mit einer auf das System abgestimmten Polymerzementschlämme sorgfältig abgedichtet. Schließlich wurde die gesamte Abdichtungslage mit einem Geotextil abgedeckt, um sie vor dem Einbau des neuen Oberbaus zu schützen und während der weiteren Arbeiten nachzubehandeln. Abb. 12: Verwendete Carbonbewehrung CTR [Foto: Dahlhoff] Abb. 13: Applikation der Carbonbetonschicht CTRC [Foto: Dahlhoff] Abb. 14: Fertiggestellte Carbonbetonrückenabdichtung [Foto: Dahlhoff] 5. Feuchtemonitoring Seit der Instandsetzung im Oktober 2023 ermöglicht das Feuchtemonitoring eine kontinuierliche Überwachung des Abtrocknungsprozesses im Gewölbe. Eine erste Datenanalyse im Juli 2024 zeigte bereits das fortschreitende Abtrocknen des Ankopplungsmörtels der Multiringelektroden. 178 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Innovative Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken In den Abbildungen Abb. 15 und Abb. 16 sind exemplarisch die temperaturkorrigierten spezifischen Widerstände im Zeitverlauf dargestellt. Neben dem Abtrocknen des Ankopplungsmörtels lassen sich zudem leicht steigende Tendenzen im spezifischen Widerstand erkennen. Diese Entwicklung kann im Frühjahr, bei niederschlagsärmerem Wetter, weiterführend untersucht werden. Abb. 15: Spezifischer temperaturkorrigierter Widerstand - Multiringelektrode Sensor 5 Abb. 16: Spezifischer temperaturkorrigierter Widerstand - Multiringelektrode Sensor 6 6. Zusammenfassung & Ausblick Das Instandsetzungskonzept für das Kewag-Viadukt, ein historisches Bauwerk aus dem Jahr 1878, zielt darauf ab, das Gewölbeviadukt unter Verwendung moderner Materialien und Technologien zu erhalten. Besonderes Augenmerk lag auf der Anwendung einer carbonbewehrten Mörtelschicht als Rückenabdichtung, die in dem Pilotprojekt des Kewag-Viadukts erfolgreich umgesetzt wurde. Ergänzt durch ein kontinuierliches Monitoring, das Feuchte- und Temperaturdaten im Gewölbe erfasst, kann der Abtrocknungsprozess überwacht und wertvolle Erkenntnisse über das Materialverhalten und die Wirksamkeit der Sanierungsmaßnahmen gewonnen werden. Diese innovative Kombination von Materialtechnologie und Monitoring eröffnet neue, ressourceneffiziente Ansätze für die nachhaltige Instandhaltung von Infrastrukturbauwerken. Dabei führte die Umsetzung des Pilotprojekts zu folgenden Erkenntnissen: • Die textilbewehrte Mörtelschicht als Rückenabdichtung konnte nach den technischen Anforderungen als Pilotanwendung in den vorgegebenen Zeitintervallen erfolgreich umgesetzt werden. • Die Applikation von zementbasierten Produkten bietet die Möglichkeit, erforderliche Wartezeiten aufgrund nasser Untergründe auf ein Minimum zu reduzieren, wodurch flexibel auf Witterungsbedingungen und den Bauablauf reagiert werden kann. • Die Verknüpfung innovativer Materialien mit der Instandsetzung von Infrastrukturbauwerken ermöglicht, basierend auf den aktuellen Erkenntnissen aus dem Pilotprojekt, neuartige, ressourceneffiziente und dauerhafte Lösungskonzepte. Im Rahmen der weiteren Entwicklung sind zusätzliche Laborversuche der verwendeten Materialkombinationen vorgesehen, um deren Langzeitverhalten und Leistungsfähigkeit unter unterschiedlichen Randbedingungen umfassend zu analysieren. Ziel ist es, die dauerhafte Wirksamkeit der Rückenabdichtung weiter zu validieren und mögliche Optimierungspotenziale zu identifizieren. Darüber hinaus ist eine Ausweitung der Technologie auf andere Infrastrukturbauwerke geplant. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen genutzt werden, um die Anwendung der entwickelten Lösung zu erweitern und deren Potenzial für die nachhaltige Sanierung und Instandhaltung von Ingenieurbauwerken weiter zu testen und zu verbessern. Dieser Schritt wird dazu beitragen, die Vielseitigkeit und Effizienz der Technologie in unterschiedlichen Kontexten zu bestätigen und ihre breite Anwendung zu fördern. Literatur [1] Eisenbahn-Bundesamt (Oktober 2022) EBA-Jahresbericht 2021/ 2022 [online]. https: / / www.eba. bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Allgemeines/ Jahresberichte/ 91_eba_jb_2021.pdf? __blob=publicationFile&v=4. [2] Brückenkarte Deutsche Bahn, DB InfraGO AG, I.IAP 22 Investitionsprogramme, Rollout und Umsetzung, Frankfurt am Main https: / / bruecken. deutschebahn.com/ br%C3%BCckenkarte. [3] Eisenbahn-Bundesamt ISK-V 2022 https: / / www. eba.bund.de/ DE/ Themen/ Finanzierung/ LuFV/ ISK-V/ isk-v_node.html. [4] Pelka, C.; Dahlhoff, A.; Büttner, T.; Raupach, M.; Marx, S.: Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken, 16. Carbonbetontage, Dresden, 24.-25.09.2024. [5] Bauwerksdiagnostik als Grundlage für Sanierungskonzepte historischer Eisenbahngewölbebrücken; Pelka, Meichsner, Unger, Monka-Birkner, Marx; Mauerwerk Kalender 2024: Klimagerechtes und nachhaltiges Bauen; Befestigen; Bauen im Bestand. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 179 Innovative Textilbetonrückenabdichtung auf Eisenbahngewölbebrücken [6] Kriescher, K.; Morales Cruz, C.; Raupach, M.: Entwicklung eines mörtelbasierten, textilbewehrten Abdichtungssystems für gemauerte Gewölbebrücken, 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken TAE, 02.2023. [7] Achenbach, R.; Raupach, M.: 30 Jahre Multiringelektrode Messtechnische Überlegungen beim Einsatz in Bauwerk und Laborversuchen, 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken TAE, 02.2023. [8] BAWMerkblatt MITEX: Merkblatt für die Instandsetzung von gerissenen Betonflächen mit textilbewehrtem Spritzmörtel/ Spritzbeton, Ausgabe 2019. [9] Büttner, T.; Raupach, M.: Des Bauwerks neue Kleider. Funktionsprinzipien und Einsatz möglichkeiten von Textilbetonschichten zum Schutz von Wasserbauwerken. In Bauen im Bestand: B + B 35(6), S. 70-75, 2012. [10] Morales Cruz, C.: Crack-distributing carbon textile reinforced concrete protection layers = Rissverteilende Textilbeton Schutzschichten mit textiler Carbonbewehrung, Dissertation, RWTH Aachen University, 2020. [11] Orlowsky, J.; Raupach, M.; Westendarp, A.: Textilbewehrte Spritzmörtelschichten zur Instandsetzung von Wasserbauwerken/ Shotcrete Layers with Textile Reinforcement for Repair of Hydraulic Constructions. In Restoration of Buildings and Monuments, Volume 17, S. 181-190, 2011. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 181 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis Instandsetzung und nachträgliche Abdichtung von Brückenwiderlagern mit Textilbeton Dipl.-Ing. Georg Schäfer BAWAX GmbH, Celle Zusammenfassung An vielen Brückenwiderlagern in Deutschland sind Instandsetzungsmaßnahmen notwendig. Die Standsicherheit ist dabei nicht das vorrangige Problem. Es sind meist Korrosionsschäden und eine in die Jahre gekommene Abdichtung, die eine Instandsetzung erforderlich werden lassen. Diese muss oft nicht nur für Untergründe der Altbetonklassen A1 oder A2 geeignet sein, sondern auch eine Abdichtung gegen rückseitige Wasserbelastung liefern, da Abdichtungen auf der erdangeschütteten Seite wegen langer Sperrzeiten und hoher Kosten in der Regel ausgeschlossen sind. Hierfür fehlten bisher dünnschichtige, aber trotzdem robuste und bei Frost dauerhafte Systeme. 1. Feuchteeintrag und Möglichkeiten der Abdichtung an Brückenwiderlagern Brückenwiderlager sind dauerhaft Feuchtigkeit aus dem Erdreich und Spritzwasser aus freier Bewitterung oder Verkehr, in Sonderfällen zusätzlich auch Fluss- oder Meerwasser ausgesetzt. Ihre Struktur aus Beton oder Steinen und Mörtel ist in der Regel sowohl wasserdurchlässig als auch kapillar saugend. Eine funktionierende Abdichtung ist oft nur bei neueren Bauwerken anzutreffen, zur Vermeidung von Feuchteschäden (Abb. 1-3) aber notwendig, da sie die Grundlage für eine dauerhafte Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit bildet. Für die Abdichtungsplanung von Brückenwiderlagern besteht neben der allseitigen Feuchtigkeitseinwirkung eine besondere Herausforderung darin, dass die Baustoffe Beton und Mauerwerk oft in unterschiedlichsten Qualitäten und Bauweisen sehr individuell zusammengefügt sind. Dies erfordert umfangreiche Voruntersuchungen. Hier exemplarisch drei häufige Bauweisen von Brückenwiderlagern: Abb. 1: Feuchteschäden an einem Balkenbrückenwiderlager aus Stahlbeton Abb. 2: Feuchteschäden an einer Rundbogengewölbebrücke aus Mauerwerk Abb. 3: Feuchteschäden an einer Stahlbeton-Segmentbogengewölbebrücke mit Widerlagern aus Mauerwerk 182 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis In den folgenden Abschnitten werden die verschiedenen Arten der Wasserbelastung an Brückenwiderlagern, die dadurch ausgelösten Schädigungsprozesse und die grundsätzlichen Möglichkeiten der nachträglichen Abdichtung vorgestellt. Dabei wird auch erläutert, warum mit einer rückseitigen Abdichtung des Widerlagers dieses noch lange nicht „trocken“-gelegt ist und was das für die Dauerhaftigkeit bedeutet. 2. Die zwei Arten der Wasserbelastung an Bauwerken Es gibt zwei Arten der Wasserbelastung an Bauwerken, die allgemein als Lastfall bezeichnet werden: „Nicht drückendes“ und „drückendes“ Wasser. Beide Lastfälle können auch an Brückenwiderlagern auftreten. Da sie unterschiedliche Schadensmechanismen am Bauwerk auslösen können, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Unterschiede: Bodenfeuchte/ nicht drückendes Wasser An allen erdberührten Flächen ist das Widerlager dauerhaft dem feuchten Erdreich ausgesetzt (Abb. 4). Bei einer fehlerhaften Abdichtung kann Feuchte von der Rückseite oder aus den Fundamenten durch kapillares Saugen in den Querschnitt einziehen und im Baustoff auch gegen die Schwerkraft nach oben transportiert werden. Aufstauendes Sickerwasser/ drückendes Wasser Drückendes Wasser entsteht hinter Widerlagern durch aufstauendes Sickerwasser aus Niederschlägen. Grundsätzlich ist aufgrund der Geometrie der Bauweise ein seitliches Ablaufen und Versickern des Wassers möglich. In Rissen und Vertiefungen aber auch durch Unterschiede in der Zusammensetzung und Verdichtung des angefüllten Bodens kann es zu einem Aufstauen von Sickerwasser am oder im Bauwerk kommen. Auch wenn dabei selten größere Stauhöhen bzw. Wasserdrücke entstehen, kann es zu Sickerströmungen oder sogar zu einem freien Durchströmen z. B. von offenen Rissen kommen. Abb. 4: Rückseitiger Feuchteeintrag in Brückenwiderlager 3. Schädigungsprozesse in mineralischen Baustoffen Mineralische Baustoffe zeigen in ständig nasser oder ständig trockener Umgebung die gleiche Dauerhaftigkeit. Eine Ausnahme bildet hier nur die Frosteinwirkung, die bei Eisbildung in den Baustoffporen einen Sprengdruck entwickeln kann. Voraussetzung hierfür ist eine hohe Wassersättigung. Für signifikante Schäden ist zudem eine hohe Zahl an Frost-Tauzyklen erforderlich. Erst die Kombination aus beiden Faktoren stellt somit eine ernste Gefahr für die Dauerhaftigkeit eines Bauwerks dar. Schädigungen durch Feuchte allein entstehen ausschließlich beim Transport von Wasser durch den Bauteilquerschnitt. Durch fließendes Wasser können Schädigungsprozesse dabei schneller und stärker ablaufen als bei kapillarem Saugen. Trotzdem wirkt auch dieser Feuchtetransport nicht nur auffeuchtend, sondern auf Dauer zerstörend, da auch beim kapillaren Saugen Bindemittel gelöst und an die Oberfläche transportiert werden. Dort verdunstet das Wasser, die Feststoffanteile bleiben als Ausblühung zurück. Der Beton oder Mörtel verliert so kontinuierlich an Festigkeit. Ziel einer Abdichtung ist also nicht primär die Trockenlegung eines Bauteils, sondern das Unterbinden des flüssigen Wassertransports durch den Querschnitt. Dies kann grundsätzlich mit einer Abdichtung auf der Außenseite, auf der Innenseite oder im Bauteilquerschnitt selbst erreicht werden. Für die nachträgliche Anwendung an Brückenwiderlagern gibt es hierbei einige Besonderheiten. Nachträgliche Abdichtungen im Bauteilquerschnitt können in Mauerwerkskonstruktionen allgemein nur gegen kapillar aufsteigende Feuchte, jedoch nicht für eine flächige Abdichtung gegen Sickerwasser/ drückendes Wasser eingesetzt werden. Ursächlich hierfür sind die üblicherweise für Mauerwerk verwendeten Baustoffe sowie die Bauweise. Nach dem Prinzip der Bauteilquerschnittsabdichtung gegen Druckwasser funktionieren z. B. Konstruktionen aus wasserundurchlässigem Beton (WU-Beton) [1, 2, 3]. Diese werden in spezieller Weise geplant und gebaut. Mauerwerkskonstruktionen erfüllen diese Anforderungen nicht. Auch durch nachträgliche Injektionen oder andere Maßnahmen kann planmäßig keine Druckwasserdichtigkeit im Querschnitt erreicht werden. 4. Abdichtungen auf der erdberührten Widerlagerseite Als Rückseite des Widerlagers werden im Folgenden vereinfachend alle erdberührten Widerlagerseiten, sowie die Oberseite bezeichnet. Für eine rückseitige Abdichtung ist ein Freigraben des Widerlagers erforderlich. Insbesondere bei Widerlagern von Gewölbebrücken ist dies nur mit aufwendigen Sicherungsmaßnahmen möglich, da der beidseitige Erddruck für die Tragfähigkeit des Gewölbes wesentlich ist. Häufig werden daher an Gewölbebrücken nur oberseitige Abdichtungen in Betracht gezogen. Diese halten zwar von oben wie ein Regenschirm das Niederschlagswasser vom Bauwerk fern, unterbinden aber nicht den kapillaren Wassertransport aus dem Erdreich. Ein direktes Durchlaufen von Sickerwasser durch Fehlstellen kann damit nur von oben verhindert werden. Einen Schutz vor aufstauendem Sickerwasser bietet eine rücksei- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 183 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis tige Abdichtung nur so tief, wie sie auf Widerlagerrückseite im Verbund heruntergezogen wird. Eine vollständige Abdichtung des Bauwerks insbesondere gegen aus den Fundamenten in den Widerlagern aufsteigende Feuchte wird mit keiner rückseitigen Abdichtung erreicht. Die Ausführung einer Abdichtung auf der Widerlagerrückseite ist zudem mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden, die eine zuverlässig planbare Abdichtung in der Praxis so gut wie unmöglich machen. In den seltensten Fällen liegen detaillierte und umfassende Informationen über den Zustand und die Geometrie der Oberfläche vor. Erst mit dem Freilegen zeigt sich der vollständige Untergrund. Dieser entspricht in vielen Punkten nicht den Anforderungen an Bahnenabdichtungen nach DIN 18533 [4] bzw. den technischen Regeln zur Bauwerksabdichtung vom vdd [5]. Eine fachgerechte Vorbereitung des Untergrundes ist aufgrund der damit verbundenen langen Wartzeiten nur selten möglich. Ecken und Kehlen werden ebenso wie komplexe Anschlüsse und Geometrien des Untergrunds oft einfach überklebt. Selbst eine Einhausung als Witterungsschutz ist aus Kosten- und Zeitgründen nicht obligatorisch. Trotzdem kommen bei der Abdichtung von Widerlager- und Gewölberückseiten in der Regel Produkte nach DIN 18533 [4] zur Anwendung. Als Folge dieser ungenügenden Einbaubedingungen werden rückseitige Abdichtungen mit Bahnenabdichtungen häufig hinterläufig. Es zeigen sich entsprechend oft bereits nach kurzer Zeit wieder Durchfeuchtungen an der Innenseite. Neue, alternative Abdichtungen mit Textilbeton für die erdberührte Rückseite von Gewölben und Widerlagern werden seit kurzem in einem Forschungsprojekt der BAWAX GmbH mit dem IBAC Institut der RWTH Aachen, der TU Dresden und der Firma Bekor entwickelt. Abbildung 5 zeigt den Einbau einer oberseitigen Gewölberückenabdichtung mit Textilbeton. Die zuvor auf dem Mauerwerksuntergrund mit Flüssigbitumen verklebte Bahnenabdichtung brachte nicht den gewünschten Abdichtungserfolg und konnte keine 10 Jahre nach Ihrem Einbau problemlos und ohne nennenswerte Haftung zum Untergrund entfernt werden. Abb. 5: Oberseitige Gewölberückenabdichtung mit Textilbeton 5. Abdichtungen auf der Innenseite von Widerlagern Wesentlicher Vorteil von Abdichtungen auf der Innenseite von Widerlagern ist die direkte Zugänglichkeit der Bauteiloberflächen. Ein aufwendiges Freigraben, sowie Rückbau und Wiederherstellung von Schienen oder Fahrbahnen sind nicht erforderlich. Dies bedeutet nicht nur, dass die Abdichtung in deutlich kürzerer Ausführungszeit und zu einem Bruchteil der Kosten im Vergleich zu Abdichtungen auf der Widerlagerrückseite ausgeführt werden können, die Arbeiten verlaufen zudem ohne Störung des über die Brücke geführten Bahn- oder Straßenverkehrs. Die verhältnismäßig einfache Zugänglichkeit erleichtert aber auch die Voruntersuchung erheblich und ermöglicht so eine deutlich sicherere Planung und Ausführung. Es stellt sich somit die Frage, wann bei Widerlagerinstandsetzungen überhaupt auf der erdberührten Rückseite abgedichtet werden sollte. Zur Beantwortung sind zunächst die technischen Zusammenhänge des Feuchtetransports in Bezug zu den möglichen Abdichtungssystemen zu betrachten: Ein direktes Durchlaufen von Sickerwasser durch Fehlstellen im Widerlager verhindert die Innenabdichtung ebenso wie die Außenabdichtung. Aus abdichtungstechnischer Sicht kann die Innenabdichtung zudem den Wasseraustritt auf der gesamten Innenoberfläche unterbinden, egal ob es sich um Sickerwasser, seitlich eindringende oder kapillar aufsteigende Bodenfeuchte handelt. Dies ist ein eindeutiger Vorteil, da diese Transportprozesse auf Dauer auch schädigend auf das Bauwerk wirken. Für die Widerlagerabdichtung auf der Innenseite werden abhängig von Bauwerk und Undichtigkeiten unterschiedlichste Verfahren eingesetzt. Diese können analog zu Ihrem Anwendungsbereich in Systeme zur Abdichtung von lokal begrenzten Fehlstellen oder ganzen Bauteilflächen unterteilt werden. Wenn es an Widerlagern während der Ausführung flächiger Abdichtungen nach Regenereignissen zum Austritt von fließendem Wasser kommen kann, sind diese Fehlstellen zunächst lokal abzudichten. Erst dann ist ein weiteres Bearbeiten der Flächen möglich. Abb. 6: Abgeschlossene Vorabdichtung an einem Betonwiderlager vor Auftrag der Reprofilierungsschicht 184 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis Die Planung sollte daher immer vorausschauend auch eine für Systeme zur flächigen Abdichtung ggf. erforderliche Vorabdichtung berücksichtigen. Hier eine Auswahl einiger Verfahren: 5.1 Abdichtung von lokalen Fehlstellen 1) Mauerwerksfugen Bei lokal begrenzten Fehlstellen, wasserundurchlässigen Steinen und großformatigem Sichtmauerwerk kann die Abdichtung von Mauerwerksfugen eine wirtschaftliche Alternative zur flächigen Innenschale sein. Die Anwendung ist jedoch an ein paar Voraussetzungen z. B. eine Wasserundurchlässigkeit der Steine geknüpft. 2) Undichtigkeiten an Betonkonstruktionen Undichtigkeiten an Betonbauteilen entstehen am häufigsten durch Trennrisse. Natürlich können auch Entmischungen, Kiesnester, undichte Einbauteile und Gefügedefekte zu Undichtigkeiten führen. Hier gibt es diffusen Wasseraustritt in der Fläche, Undichtigkeiten an Fugen, Einbauteilen und Schalungsankerlöchern und natürlich den wasserführenden Trennriss. Es liegt auf der Hand, dass es nicht nur eine Abdichtungslösung für alle diese Undichtigkeiten geben kann. 2.1 Abdichtung von Trennrissen durch Selbstheilung Bestenfalls löst sich das Problem eines wasserführenden Trennrisses im Beton von selbst: Durch Selbstheilung. Diese setzt zuerst an den engsten Stellen ein, die zufällig über den Rissquerschnitt verteilt sind. Durch Karbonatisierung an der Luft und Verdunsten von Wasser können auf der Innenseite des Betonbauteils zusätzliche Feststoffablagerungen entstehen. Diese Prozesse sind jedoch an Bedingungen geknüpft und daher in der Praxis relativ unzuverlässig. Oft reduziert sich nur der Durchfluss, eine vollständige Abdichtung bleibt aus. Abb. 7: Aussinterungen ohne Selbstheilung/ Selbstabdichtung an einem Brückenwiderlager aus Beton 2.2 Abdichtung von Trennrissen durch Injektion Wenn die Selbstheilung sich als unzuverlässiger Partner bei der nachträglichen Abdichtung erweist, bleibt gemäß Regelwerk nur die Injektion. Während die Planung und Ausführung von wasserundurchlässigen Bauwerken aus Beton in der WU-Richtlinie [1] ausführlich beschrieben und geregelt sind, fällt das für die Praxis entscheidende letzte Kapitel 12 „Dichten von Rissen und Instandsetzung von Fehlstellen“ jedoch überraschend knapp und unkonkret aus. Es sind nur drei Sätze, die unter Punkt 12.3 die nachträgliche Abdichtung regeln. Diese enthalten einen Verweis auf die Regelungen zur Abdichtung von Rissen in der DAfStb Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ (RiLi-SIB) [6] sowie den Hinweis, dass mehrmaliges Nachverpressen erforderlich sein kann. Dass auch mehrmaliges Nachverpressen keine Garantie für eine vollständige und dauerhafte Rissabdichtung bietet, ist in der Praxis allgemein bekannt. Dass diese Erkenntnis nicht im Widerspruch zum Regelwerk steht, fällt aber erst bei genauer Betrachtung auf: Der Anwendungsbereich der zu injizierenden Rissfüllstoffe war bisher im Teil 2 der Ri- Li-SIB in den Tabellen 6.3 und 6.4 geregelt, die nun durch die Tabellen 13 und 14 im Teil 1 der Technischen Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ [7] des DIBt ersetzt wurden. Danach ist zum Abdichten von Rissen im Beton bei Einwirkung von fließendem Wasser nur ein „dehnbares Füllen“ mit einem reaktiven Polymerbindemittel wie Polyurethan als Rissfüllstoff zulässig. Als „Verwendungsbedingungen“ für „dehnbares Füllen“ werden in Tabelle 14 eine Mindestrissweite von 0,3-mm und eine maximale Rissweitenänderung (Δw) von 10 % genannt. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 185 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis Das Regelwerk bildet also die technischen Anwendungsgrenzen der Rissinjektion sehr gut ab. Es bleibt nur ein Problem: Die wenigsten Undichtigkeiten erfüllen diese Voraussetzungen! Nicht geregelt ist die Abdichtung demnach für: • wasserführende Trennrisse < 0,3 mm, • diffusen Wasseraustritt in der Fläche, • Undichtigkeiten an Fugen, • Undichtigkeiten an Einbauteilen, • undichte Schalungsankerlöcher. Abb. 8: Nach mehrmaligem Verpressen noch stark wasserführender Riss in einer Betonwand Auch bei Rissen mit Rissweiten > 0,3 mm kann es in der Praxis zu Problemen bei einer Injektionsabdichtung kommen. Ursächlich hierfür ist oft ein uneinheitlicher Rissverlauf. Die meisten Risse laufen an ihren Enden auf null aus und haben damit Rissbreiten, die deutlich unter 0,3-mm liegen und sich nicht mehr mit Injektionsmaterial füllen lassen. Häufig bleibt hier der Weg für das Wasser offen. Der Durchfluss wird reduziert, aber nicht gestoppt. Auch nach mehrfachem Nachverpressen können größere Undichtigkeiten bestehen bleiben, wenn die Bereiche des Wassereintritts nicht mit dem Injektionsmaterial erreicht werden. Abbildung 8 zeigt einen solchen wasserführenden Riss in einer Betonwand, durch den trotz mehrfachen Verpressens immer noch Wasser strömt. Auch hier war eine regelwerksgerechte Abdichtung durch Injektion nicht möglich. 2.3 Abdichtung mit mikrokristallbildenden Mörteln Eine Alternative für die Abdichtung wasserführender Risse und anderer Fehlstellen beliebiger Größe ist der Einbau einer sogenannten Trockenpackung auf Basis mikrokristallbildender Mörtel. Seit Mitte der 1980er-Jahre werden mikrokristallbildende Katalysatoren in Deutschland in verschiedenen Bereichen der Betonabdichtung eingesetzt. Mit den Jahren hat sich der Anwendungsbereich auf eine Verwendung als Betonzusatzmittel erweitert. In Deutschland erteilte das DIBt im Juli 2005 die erste allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für den Einsatz mikrokristallbildender Katalysatoren in einer neuen Zusatzmittelgruppe „Abdichtungsmittel“ für alle Betone nach DIN EN 206-1 mit DIN 1045- 2, die mittlerweile in eine ETA übertragen wurde [8, 9, 10]. Wesentlicher Unterschied der Technologie mikrokristallbildendender Katalysatoren zu allen anderen Abdichtungsmethoden ist die katalytisch gestartete Kristallbildung durch aktive Anlagerung von im Wasser gelösten Feststoffanteilen, zum Beispiel Kalzium. Dadurch werden unabhängig von der Zementhydratation zusätzliche, nadelförmige Kristalle im Betongefüge gebildet, die Hohlräume verschließen und so die Dichtigkeit des Betons auch gegen Druckwasser erhöhen. Die Abbildungen-9-11 zeigen den Verlauf der XYPEX-Kristallbildung: Die REM-Aufnahmen entstanden im zentralen Forschungslabor von Nikki Shoji in Japan. Die Prüfkörper wurden auf einer Seite mit XYPEX CONCENTRATE behandelt, 10 Tage im Wassernebel feucht gehalten, anschließend mit den unbeschichteten Seiten 14 Tage lang ins Wasser gelegt und danach 50 mm unter der Beschichtung aufgespalten, um das Vordringen und Wachsen der Kristalle nachzuweisen. Abb. 9: zeigt die Schnittfläche einer unbehandelten Kontrollprobe unter einem Rasterelektronenmikroskop. Abb. 10: zeigt die Schnittfläche 7 Tage nach der Beschichtung. Die Bildung der nadelförmigen Kristalle ist bereits erkennbar. Abb. 11: entstand nach 26 Tagen. Das intensive Wachstum der XY- PEX-Kristalle ist deutlich sichtbar. 186 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis Die gebildeten Kristalle sind unauflöslich und stellen eine dauerhafte Abdichtung sicher, da sie integrierter Bestandteil des Betons werden. Einzigartig ist ihre Eigenschaft, im Kontakt mit Wasser immer weiter gelöste Bestandteile an das Kristallgefüge anzulagern und somit zu wachsen, auch in carbonatisierten Randzonen und noch viele Jahrzehnte nach ihrem Einbau. Solange Feuchtigkeit vorhanden ist und die Temperaturen über 5 °C liegen, wächst die Abdichtung weiter. Diese dauerhafte Selbstabdichtung und die großen Eindringtiefen in Bestandsbetone sind die wesentlichen Gründe für die hohe Wirksamkeit dieser nachträglichen Abdichtungsart [vgl. auch 11]. Vor der Abdichtung mit einer Trockenpackung aus mikrokristallbildenden Mörteln ist nach dem Aufstemmen von Rissen und Fehlstellen zunächst das fließende Wasser mit einem schnell abbindenden Mörtel zu stoppen. Dieser Mörtel sollte ebenfalls mikrokristallbildende Katalysatoren enthalten, um ein vollständig wasserundurchlässiges Gefüge ausbilden zu können. Vertikale Risse werden von oben nach unten abgedichtet, damit das Wasser nicht über bereits abgedichtete Rissbereiche laufen kann. Bei starkem Wasserdruck erleichtert das Setzen von Entlastungsschläuchen das Stoppen des fließenden Wassers und den späteren Einbau der Trockenpackung. Abb. 12: Stoppen von fließendem Wasser mit Setzen eines Entlastungsschlauchs bei einer Rissabdichtung mit der XYPEX Trockenpackung Nach dem Stoppen des fließenden Wassers wird eine Schlämme mit einer hohen Konzentration an Kristallbildungskatalysatoren in dem aufgestemmten Riss und im Anschlussbereich ca. 25 cm breit auf den Beton aufgetragen. Aus dieser Trägerschicht ziehen mikrokristallbildende Katalysatoren in den Bestandsbeton ein und starten dort die abdichtende Kristallbildung. Somit entsteht eine durchgehende, übergangslose Abdichtung vom neu eingebrachten Abdichtungsmörtel im Riss bis tief in den Bestandsbeton hinein. Anschließend wird der Riss mit einer aus dem gleichen Material, jedoch mit deutlich reduzierter Wassermenge hergestellten Mörtelmischung gefüllt. Mit dieser als Trockenpackung bezeichneten Rissfüllung wird nicht nur die Dichtigkeit an dieser Stelle sichergestellt, sondern auch ein großes Reservoir an Katalysatoren als Sicherheit direkt im Rissverlauf platziert. Die verbleibende Vertiefung wird oberflächenbündig reprofiliert und die zweite Trägerschicht auf die egalisierten Flächen aufgetragen und nachbehandelt. Abb. 13 zeigt den nach mehrmaligem Verpressen noch stark wasserführenden und nun vollständig und dauerhaft abgedichteten Riss in der Schleusenkammerwand. Abb. 13: Vollständig und dauerhaft abgedichteter Riss ohne Wasseraustritt 5.2 Flächige Abdichtung von Widerlagern 1) Auftrag von Sanierputz Der Auftrag von Sanierputz auf der Widerlagerinnenbzw. Gewölbeunterseite stellt ein gängiges Sanierungsverfahren dar, bietet jedoch keine abdichtende Wirkung und ist daher als nicht dauerhaft zu bewerten. Diese Anwendung von Sanierputzen als Opferputz ist an Gewölbeunterseiten und Widerlagern besonders kritisch zu bewerten, da auf Dauer mit einem Herabfallen von Aussinterungen, mit fortschreitender Zersetzung aber auch von Mörtelstücken zu rechnen ist. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 187 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis 2) Abdichtung mit Spritzbetonschalen Auch wenn der Einbau von Spritzbeton mit Schalendicken von 20 cm und mehr sicherlich auf den ersten Blick als robuste und dauerhafte Abdichtungslösung erscheinen muss, so gibt es neben der erheblichen Reduzierung der Durchfahrtshöhe einen weiteren fundamentalen Nachteil: Trotz einer hohen Festigkeit sind Spritzbetonschalen oft wasserdurchlässig. Eine zielsichere Abdichtungsplanung ist mit Spritzbetonschalen insbesondere aufgrund von unplanmäßigen Rissbildungen und auftragsbedingten Undichtigkeiten nur sehr eingeschränkt möglich. 3) Abdichtung mit Textilbetonschalen Eine Alternative zu Spritzbetonschalen bietet die in einem Forschungsprojekt der BAWAX GmbH mit dem IBAC Institut der RWTH Aachen entwickelte Abdichtung mit Textilbeton. Im Gegensatz zur Spritzbetonschale bietet dieses System bei nur 3 cm Schalendicke eine geprüfte Druckwasserdichtigkeit von über 50 m Wassersäule, stellt über eine im Gewölbe rückverankerte Carbon-Bewehrung die Vermeidung von wasserführenden Trennrissen sicher und hält auch den besonderen Beanspruchungen durch Bahnverkehr und Frost stand. Abb. 14: Unterseitige Gewölbeabdichtung aus Textilbeton mit mikrokristallbildendem Abdichtungsleichtmörtel Grundlage dieses patentierten Systems ist ein Abdichtungsleichtmörtel, der durch die Zugabe eines mikrokristallbildenden Abdichtungsmittels höchste Gefügedichtigkeit erreicht. Bereits vor dem Forschungsprojekt verfügte die BAWAX GmbH über einen Hochleistungsmörtel zur Herstellung von Textilbetonschalen als Innenabdichtung von Kellermauerwerk. Unter Beibehaltung der sehr guten Abdichtungs- und Verarbeitungseigenschaften wurde im Forschungsprojekt eine Optimierung des Mörtels für die Anwendung unter Gewölbebrücken in Bezug auf Gewicht und Steifigkeit erreicht. Ziel war es, die Verarbeitung über Kopf zu erleichtern und eine Anpassung der Festmörteleigenschaften an den Gewölbeuntergrund zu erreichen. Zur Gewichtsreduzierung war ein komplett neuer Auf bau des Korngerüsts mit Leichtzuschlägen erforderlich. Mit dem neu entwickelten Leichtmörtel konnten schließlich im Vergleich zum Ausgangsmörtel bei Beibehaltung der hohen Wasserundurchlässigkeit - die Rohdichte um rund 30-%, die Druckfestigkeit um 40 % und die Steifigkeit bzw. das statische Elastizitätsmodul sogar um 50-% auf 10,5 kN/ mm 2 reduziert werden, was die Duktilität der Schale wesentlich verbessert. Trotz eines nochmal um 100 % höheren Luftporengehalts im Leichtmörtel wurden die in Anlehnung an DIN EN 12390-8 gemessenen, mittleren und maximalen Wassereindringtiefen sogar noch etwas verringert. Der Mörtel ist leicht, nicht zu steif, wasserundurchlässig und erfüllt somit alle für die Anwendung wesentlichen Anforderungen. Neben der Gefügedichtigkeit des Mörtels ist die Rissbreitenbegrenzung der zweite entscheidende Aspekt für die erfolgreiche Anwendung einer Textilbetonschale zur Abdichtung. Für den neuen Mörtel wurde daher noch eine passende Bewehrung entwickelt und dann das Gesamtsystem mit einaxialen Zugfestigkeitsprüfungen an textilbewehrten Dehnkörpern, sowie an Gewölbebögen geprüft. Bild 15: Herstellung der textilbewehrten Dehnkörper 188 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis 6. Überlegungen zur Dauerhaftigkeit von Abdichtungen auf der Innenseite von Widerlagern Obwohl die Dauerhaftigkeit von mineralischen Baustoffen in ständig nasser oder ständig trockener Umgebung gleich ist, gibt es beim Thema Innenabdichtungen, also Abdichtungen mit rückseitiger Wasserbeaufschlagung, auch bei vielen fachkundigen Planern noch ein gewisses Unbehagen, das Wasser im Bauteil „einzusperren“. Zentrale Frage ist dabei, ob durch die innenseitige Abdichtung ein höherer Durchfeuchtungsgrad im Bauteilquerschnitt verursacht wird und dieser zu stärkeren Frostschäden im Gewölbe führen kann. Frosteinwirkung an Gewölbebrücken Die große Zahl an (Gewölbe-)Brückenwiderlagern mit Schäden aus jahrzehntelangen Durchfeuchtungen aufgrund fehlerhafter oder gealterter Abdichtungen liefert uns heute eine umfangreiche Dokumentation der Schädigungsmechanismen. Entgegen der vielleicht naheliegenden Vermutung, dass Frostschäden verstärkt in Bauteilbereichen mit der größten Durchfeuchtung entstehen könnten, zeigt der Bestand eindeutig die stärksten Frostschäden an der Innenoberfläche der Widerlager und Gewölbe, also in den vermeintlich trockensten Bauteilbereichen. Bei genauerer Betrachtung ist dies nicht verwunderlich, da wie bereits dargestellt neben der Durchfeuchtung die Anzahl der Frost-Tau-Zyklen wesentlichen Einfluss auf die Schädigung hat. Damit ein massives Brückengewölbe mit zum Teil meterdicker Überschüttung komplett einfriert, ist strenger Frost über mehrere Tage oder sogar Wochen nötig. Dies passiert, wenn überhaupt nur sehr selten pro Wintersaison. In einem Nutzungszeitraum von z. B. 50 Jahren ist also mit sehr wenigen Frost-Tau-Zyklen und somit trotz hoher Feuchte nur mit geringen Schäden im Bauteilquerschnitt zu rechnen. An der Bauteilinnenoberfläche können sich dagegen in jeder frostigen Winternacht durch kalten Windzug schnell Minustemperaturen einstellen. Auch wenn die feuchte Oberfläche dabei nur wenige Millimeter tief einfriert und im Verlauf des nächsten Tages wieder auftaut, ist dies ein Frost-Tau-Wechsel. Die Oberfläche ist so jeden Winter einer Vielzahl an Frost-Tau-Zyklen ausgesetzt und zeigt entsprechende Schädigungen. Abb. 16: Durch Frost an der Innenoberfläche geschädigte Widerlager-/ Gewölbeoberflächen Basierend auf diesen Zusammenhängen zeigt sich die Schutzfunktion, die Abdichtungen auf der Innenseite bieten: Hier müssen zunächst 3 cm Textilbeton bzw. 20- cm WU-Beton durchfrieren, bevor der Frost das eigentliche Gewölbe erreicht. Die abdichtenden Betonschalen haben eine deutlich höhere Frost-Tau-Beständigkeit und sind als Querschnittsabdichtung an der Innenseite sogar trocken. Als typisches Schadensbild von Frostschädigung an Gewölbebrücken ist ein Abschalen der Oberfläche bekannt (Bild 16). Dies ist auf eine hohe Zahl an Frost-Tauzyklen im oberflächennahen Bereich durch kalten Luftzug und ein Einfrieren über Nacht, sowie ein Auftauen im Tagesverlauf zurückzuführen. Aufgrund der kurzen Zeitdauer ist die Frosteinwirkung auf die äußerste Randschicht beschränkt. Im Rahmen des Forschungsprojekts stellte sich damit die Frage, ob die Textilbetonschale das Gewölbe sogar innenseitig vor Frosteinwirkung schützt. In ersten Versuchen konnten bei maschinell erzeugten Temperaturschwankungen deutliche Phasenverschiebungen durch den Textilbeton nachgewiesen werden. Es ist also davon auszugehen, dass der Textilbeton die Gewölbeinnenseite vor fortschreitender Frostschädigung schützt bzw. diese maßgeblich entschleunigt. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 189 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis 7. Projektbeispiel einer Brückenwiderlagerabdichtung mit Textilbeton Auf zwei Brückenwiderlagern der DB in der Nähe des Hauptbahnhofs in Herzogenrath sollte als neues Eingangstor zur Innenstadt mit EU-Fördermitteln eine Illusionsmalerei entstehen. Eine auf solche Malereien spezialisierte Firma aus Berlin war schon gefunden, als man sich noch über die Frage Gedanken machte, wie auf den bereits in die Jahre gekommenen und mit zahlreichen, nach Regenfällen wasserführenden Rissen und Fehlstellen versehenen Brückenwiderlager ein für Malerei geeigneter Untergrund hergestellt werden könnte. Die Wahl fiel auf eine Kombination aus lokaler Fehlstellenabdichtung mit XYPEX und einer Textilbetonschale als wirtschaftlichste und dauerhafteste Lösung: Abb. 17: Brücke mit den abzudichtenden Widerlagern Abb. 18: Geschädigte Widerlagerfläche mit zahlreichen wasserführenden Trennrissen Abb. 19: Eingerichtete Baustelle mit Witterungsschutz der Widerlagerfläche Abb. 20: Stoppen von fließendem Wasser nach Regenfällen mit XYPEX PATCH `N PLUG Abb. 21: Fertig eingebaute XYPEX Trockenpackung Kanal 190 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis Abb. 22: XYPEX CONCENTRATE Schlämme im Rissbereich Abb. 23: Einbau des Carbon-Gewebes Abb. 24: Oberseite Widerlager mit erster Lage Textilbeton Abb. 25: Südliches Widerlager (vorher) Abb. 26: Südliches Widerlager (nachher) 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 191 Anforderungen an Textilbetonsysteme zur Abdichtung und deren Einbau in der Praxis 8. Fazit und Ausblick Auch für Brückenwiderlager ist die weit verbreitete Meinung, ein Bauwerk sei immer am besten an der Außenseite vor dem Eintritt von Feuchte zu schützen, spätestens seit der Entwicklung von Textilbetonschalen zur nachträglichen Abdichtung widerlegt. Trotzdem sind bei jeder Abdichtungsentscheidung im Einzelfall zahlreiche Faktoren und auch sehr individuelle, bauwerksbezogene Eigenschaften sowie Randbedingungen (z. B. Denkmalschutz, Optik der Innenoberfläche, …) zu berücksichtigen und zu bewerten. Allgemein lässt sich jedoch festhalten, dass Abdichtungen auf der Innenseite in den meisten Fällen neben deutlich geringeren Kosten auch technisch viele Vorteile bieten. Fehlten für innenseitige Abdichtungen bisher dünnschichtige, aber trotzdem robuste und bei Frost dauerhafte Systeme, die auch auf unterschiedlichen Untergründen wie Mauerwerk und Beton selbst bei Altbetonklassen A1 oder A2 durch Rückverankerung einsetzbar sind, so haben sich durch die Entwicklung von Textilbetonschalen zur nachträglichen Abdichtung gegen rückseitige Wasserbelastung in den letzten Jahren neue Möglichkeiten zur Instandsetzung von Brückenwiderlagern ergeben. Literatur [1] DAfStb-Richtlinie „Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton (WU-Richtlinie)“. Berlin, 2019. [2] Erläuterungen zur DAfStb-Richtlinie „Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton (WU-Richtlinie)“. DAfStb-Heft 555. Berlin, 2006. [3] Lohmeyer, G.; Ebeling, K.: Weiße Wannen - einfach und sicher - Konstruktion und Ausführung wasserundurchlässiger Bauwerke aus Beton. Verlag Bau und Technik: Düsseldorf, 2018. [4] DIN 18533-1 Abdichtung von erdberührten Bauteilen, Beuth Verlag, Berlin, Ausgabe 2017-07. [5] Technische Regeln - abc der Bitumenbahnen, vdd Industrieverband Bitumen-Dach- und Dichtungsbahnen e.V., Mainzer Landstraße 55, 60329 Frankfurt/ Main, 6. überarbeitete Auflage, November 2017. [6] DAfStb.-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ (RiLi-SIB), Berlin, Ausgabe 2014-09. [7] Technischen Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (TR Instandhaltung). Berlin, 2020. [8] DIBt. (Hrsg.): Prüfvorschrift für die Prüfung von Abdichtungsmitteln. Berlin, 2005. [9] ETA-18/ 1129 „Abdichtungsmittel für Beton“. Berlin, 2020. [10] Z-3.212-1888 Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für Abdichtungsmittel. Produkt: „XYPEX ADMIX C-1000 NF“. Berlin, 2020. [11] Schäfer, G.: Prüfbericht der BAWAX GmbH. Vergleichende Untersuchung zur Veränderung des kapillaren Saugens an Estrichbeton mit und ohne Abdichtungsmittel und mikrokristallbildenden Mörteln bei Wasserbeaufschlagung“. Celle, 2014. Autor Dipl.-Ing. Georg Schäfer Betontechnologe VDB, Geschäftsführer Gesellschafter BAWAX GmbH, Celle, seit 2014 Leiter der WTA-Arbeitsgruppe AG-5-26 „Nachträglicher Einbau von Betoninnenwannen zur Abdichtung gegen drückendes Wasser“ Schlagworte WU-Beton, Abdichtung (nachträgliche), Risssanierung Bildnachweise: Abb.: 1-4, 6-8, 12, 13, 16-25 BAWAX GmbH, Celle, Georg Schäfer Abb.: 5, 14 BAWAX GmbH, Celle, Michael Feller Abb.: 9-11 XYPEX Chemical Corporation, Kanada Abb.: 15 ibac Institut der RWTH, Aachen Mauerwerksinstandsetzung 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 195 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Dr.-Ing. Bernd Kister geotechnical engineering and research, Neckargemünd Zusammenfassung Der Beitrag zeigt auf, welche maßgeblichen konstruktiven Eigenschaften Einfluss auf die Standsicherheit von Stützbauwerken aus Natursteinmauerwerk haben. Typische Schadensbilder bei Stützbauwerken aus Naturstein-mauerwerk werden benannt. Auf die Ermittlung konstruktiver Eigenschaften solcher Bauwerke mit verschiedenen Verfahren wird eingegangen und Messverfahren hinsichtlich ihrer Eignung zu Messung der Wandstärke werden diskutiert. Ebenfalls diskutiert wird die Problematik der Kennwerteermittlung von Mauerwerksteinen und Mauermörtel. An einem Beispiel wird anhand der angetroffenen Unterschiede beim Mauerverband eine forensische Analyse zur Bauwerksgeschichte durchgeführt. Am Beispiel einer Geschiebesperre wird die Problematik bei den Unterschieden zwischen den vorhandenen Unterlagen zu Instandsetzungsmaßnahmen und den tatsächlich ausgeführten Arbeiten aufgezeigt. Schließlich wird aufgezeigt, wie der Nachweis der Standsicherheit dieses Bauwerks mittels einer 3D-Betrachtung doch noch erbracht werden konnte. 1. Einführung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war die Blütezeit des Baus von Stützbauwerken aus Natursteinmauerwerk. Für die zahlreichen Stützbauwerke, welche für die Straßen und Bahnstrecken erstellt werden mussten, wurde in der Regel das vor Ort vorhandene Material - Naturstein - eingesetzt. Daher sind die Bauwerke regional sehr unterschiedlich, sowohl was die Baustoffe, die Konstruktionsart als auch die Bauwerksgröße anbelangt (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Einige Beispiele für die Verschiedenartigkeit der Stützbauwerke und ihres Mauerwerks aus Naturstein 196 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Neben Stützbauwerken im Verkehrswegebau wurden in der Schweiz auch Geschiebesperren aus Natursteinmauerwerk mit zum Teil erheblichen Abmessungen erstellt (Abb. 32). In der Regel liegen für diese 100bis 150-jährigen Bauwerke keine oder allenfalls lückenhafte Plan-unterlagen vor, so dass die konstruktiven Eigenschaften der Bauwerke, wie z. B. Bauwerkshöhe, Wandstärke, Querschnittsform des Bauwerks, Art des Mauer-verbands oder die Frage ob ein ausreichender Quer-verbund des Mauerwerks vorhanden ist, vor Ort ermittelt werden müssen, wenn es Fragen zur Stand-sicherheit solcher Bauwerke gibt. Zu den konstruktiven Eigenschaften gehört auch der Mauerwerkstyp. Beim Mauerwerkstyp unterscheidet man zwischen Trockenmauerwerk, d. h. ein Mauerwerk ohne Mörtel in den Fugen, und vermörteltem Mauerwerk. Allerdings musste bei der Untersuchung einiger Bauwerke auch festgestellt werden, dass zwar die Fugen in der Ansichtsfläche des Bauwerks vermörtelt waren, die Vermörtelung der Fugen jedoch lediglich bis in eine geringe Tiefe von einigen Zentimetern reichte. D. h. es handelte sich hierbei um Trockenmauern, deren Fugen in der Ansichtsfläche wahrscheinlich nachträglich vermörtelt wurden. Dies ist in der Regel durch eine rein visuelle Bauwerksaufnahme nicht erkennbar. Eine weitere konstruktive Eigenschaft ist die Art des Mauerverbands. Für die Stabilität und Tragfähigkeit eines Mauerwerks kommt es z. B. darauf an, ob es sich um ein Bruchsteinmauerwerk mit unbearbeiteten Lagerflächen oder um ein gerichtetes Mauerwerk mit bearbeiteten Lagerflächen handelt. Die Bestimmung des Mauerverbands in Bezug auf heutige Normen gestaltet sich jedoch oftmals nicht einfach. Vielfach ist die Beschreibung des Mauerverbands in älteren Regel-werken für diese alten Bauwerke zutreffender (Abb. 2). Abb. 2: Bezeichnungen für Bruchsteinmauerwerk nach den Richtlinien für die Ausführung von Natursteinmauerwerk entsprechend den besonderen Bestimmungen der SBB (SBV - SBB, 1946) Schließlich haben diese 100bis 150-jährigen Bauwerke in ihrer Lebenszeit auch einen Alterungs- und Abnutzungsprozess und eventuell auch Belastungs-änderungen erfahren, welche zu Schäden am Bauwerk geführt haben können (Abb. 3). Abb. 3: Zustandsentwicklung eines Bauwerks nach Suda & Rudolf-Miklau (2008) Für die Beurteilung der Tragsicherheit eines Stütz-bauwerks aus Natursteinmauerwerk sind somit sowohl die konstruktiven Eigenschaften des Bauwerks als auch sein Zustand zu betrachten. 2. Eigenschaften und Schadensbilder 2.1 Konstruktive Eigenschaften Zu den maßgeblichen konstruktiven Eigenschaften, die Einfluss auf die Standsicherheit von Stützbauwerken haben gehören: • Der Schlankheitsgrad und die Querschnittsform der Mauer, • die Einbindetiefe und der Neigungswinkel der Gründungssohle, • sowie die Festigkeit des Mauerwerks. Unter dem Schlankheitsgrad eines Stützbauwerks versteht man das Verhältnis von Wandstärke am Fuß B zu Bauwerkshöhe H. Im GBC Report on Study of Old Masonry Retaining Walls (Chan, 1996) wird darauf hingewiesen, dass Stützbauwerke aus Naturstein-mauerwerk mit einem Schlankheitsgrad kleiner 0.33 häufig von Schäden betroffen waren und wieder abgerissen werden mussten bzw. sogar kollabierten. Bauwerke, deren Schlankheitsgrad grösser als 0.33 war, blieben hingegen in der Regel stabil. Untersuchungen von Burgoyne aus dem Jahr 1834 an vier verschiedenen Mauerwerksquerschnitten haben gezeigt, dass auch der Querschnittsform des Stützbauwerks und der Neigung der Lagerfugen eine erhebliche Bedeutung bei der Stabilität des Bauwerks zukommt. Während die Mauern mit den Querschnitten A und B in Abb. 4 mit geneigten Lagerfugen sukzessive aufgebaut und vollständig hinterfüllt werden konnten, ohne dass Anzeichen einer Überbeanspruchung zu verzeichnen waren, versagten die Mauern mit den Querschnitten C und D mit horizontalen Lagerfugen. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 197 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Abb. 4: Experiment von Burgoyne (1834): Bau und Hinterfüllung von vier Stützbauwerken aus Natursteinmauerwerk mit unterschiedlichen Querschnittsformen und Neigung der Lagerfugen, aber gleicher Wandstärke auf mittlerer Bauwerkshöhe (aus Chan, 1996) Abb. 5: Geöffnete Stützmauer auf der Großen St. Bernhardstraße, italienische Seite, erlaubt die Ermittlung des Mauerwerksauf baus, der Wandstärke, der Tiefenlage und des Neigungswinkels der Gründungssohle (Fontana et al., 2011) Die Tiefenlage und der Neigungswinkel der Gründungssohle eines Stützbauwerks stellen ebenfalls signifikante Einflussgrößen für die Standsicherheit einer Stützmauer dar. Schwing (1991) hat ausgeführt, dass bei den 25 von ihm untersuchten alten Stützmauern die Gründungstiefe sehr gering war oder allenfalls eine Steinhöhe betrug. Daraus ergibt sich, dass sich die Bauwerkshöhe in der Regel durch direkte Messung vor Ort mit einer ausreichenden Genauigkeit ermitteln lässt. Anders sieht es jedoch bei anderen konstruktiven Größen, wie z. B. Wandstärke und Querschnittsform des Bauwerks aus. Diese lassen sich oftmals nur mit einem erheblichen Aufwand ermitteln. Die Festigkeit des Mauerwerks wird sowohl durch den Mauerwerkstyp, d. h. vermörtelts Mauerwerk oder Trockenmauerwerk, als auch durch die Art des Mauerverbands bestimmt. Qualitativ lässt sich die Abhängigkeit der Festigkeit eines Mauerwerks von den verschiedenen Einflussfaktoren, wie Steinform, Anzahl der Steine, Fugenausbildung, etc. wie folgt beschreiben: Die Festigkeit des Mauerwerks ist umso grösser • je quaderförmiger die Mauerwerksteine sind, • je weniger Steine die Mauer bilden, • je rauer die Lagerflächen sind, • je kleiner die Fugen im Verhältnis zur Steinhöhe sind, • je höher die Mörtelfestigkeit ist und • je besser der Querverband des Mauerwerks ist. Auch das Verhältnis Höhe zu Breite der Mauerwerk-steine hat einen Einfluss auf die Festigkeit des Mauerwerks. Sogenannte „Steher“, d. h. Steine deren Höhe größer ist als ihre Breite beeinflussen die Festigkeit des Mauerwerks negativ. Einen Eindruck über den Einfluss des Mauerverbands auf die Festigkeit des Mauerwerks gibt Abb. 6. Abb. 6: Festigkeit des Mauerwerks in Bezug auf die Art des Mauerverbands nach Norm SIA 266/ 2 (2012) Eine wesentliche Größe für die Stabilität von Mauerwerk ist der sogenannte Querverband, d. h. die Verzahnung und Einbindung der Mauerwerksteine in die Tiefe. Bereits in den ersten Richtlinien zur Ausführung von Natursteinmauerwerk in der Schweiz aus den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden Regeln für die Anzahl und die Verteilung der sogenannten Bindersteine, d. h. die Steine, die die vorderste Mauerwerksebene „zurückbinden“ bzw. nach hinten verankern, festgelegt. Danach sollten bei Natursteinmauerwerk die folgenden Regeln eingehalten werden (vgl. Abb. 7): • Bei einem unregelmäßigen Mauerwerkverband muss mindestens jeder 3. Stein ein Binder sein und der Binderabstand darf höchstens 1,80 m betragen. • Bei einem regelmäßigen Mauerwerkverband sollen sich Läufer und Binder abwechseln. Die Steinbreite der Binder soll mindestens das Doppelte der Steinhöhe betragen. • Die Steinüberragung der Binder muss mindestens 15 cm betragen. Bei Verkleidungen von Betonbau- 198 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden ten muss die Steinüberragung mindestens 25 cm betragen. • Für die Tiefe der Binder wird gefordert, dass sie mindestens das 1,5-fache der Steinhöhe plus 15 cm beträgt, d. h. bei einer Steinhöhe von 20 cm muss die Bindertiefe mindestens 45 cm betragen. Die tiefe der Läufer würde in diesem Falle mindestens das 1,5-fache der Steinhöhe, d. h. 30 cm, betragen. Abb. 7: Vorgaben für die Anzahl und Position von Bindersteinen in Natursteinmauerwerk gemäß der Richtlinie für die Ausführung von Natursteinmauerwerk von 1946 (SBV - SBB, 1946) Aussagen zum Querverband der Verbandsart B, Bruchsteinmauerwerk, unregelmäßig, fehlen in der heutigen Norm SIA 266/ 2 jedoch. Dies ist aber eine der am häufigsten vorkommenden Verbandsart bei den historischen Stützbauwerken im Verkehrswegebau. Wenn die Bindersteine zu kurz sind, die Anzahl der Bindersteine zu gering ist oder die Verbundwirkung infolge der Verwitterung des Mörtels nachlässt, kommt es zunächst zu Hohllagen, d. h. zur Ablösung der vordersten Steinlage. Setzt sich dieser Prozess fort, führt dies zu Ausbauchungen und letztendlich zum Wandausbruch. Abb. 8: Unzureichender Querverband bei einer nach einem Einsturz neu aufgebauten Mauer Abb. 9: Stützbauwerk mit massiver Ausbauchung am Furkapass, Schweiz 2.2 Schadensbilder Viele alte Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk weisen heute mehr oder weniger starke Beschädigungen auf. Typische Schadensbilder bei Stützbauwerken aus Natursteinmauerwerk sind z. B.: • Überhänge und Schiefstellungen (Abb. 10) • Ausbauchungen und Abplatzungen der Vorderschale (vgl. Abb. 9) • Risse und Setzungen (Abb. 11) • Teileinbrüche • Verwitterung und Erosion minderfester Gesteine und Fugen (Abb. 12) • Austreiben einzelner Steine und Auflockerung des Verbunds (Abb. 13) Abb. 10: Überhang eines Stützbauwerks an der alten Gotthardbahnstrecke 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 199 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Abb. 11: Durchgehende Risse in einer Stützmauer Abb. 12: Verminderung des statisch wirksamen Mauerquerschnitts durch Materialverlust im Haupt Die Ursachen solcher Schadensbilder sind nicht immer eindeutig zuzuordnen. Hinzu kommt, dass sich in der Regel mehrere Prozesse überlagern. Schwing (1991) beschreibt den Vorgang, der zu einem Ausbauchen des Mauerwerks und schließlich zum Ausknicken von Mauerwerksteilen führt, wie folgt: „Ständige Durchfeuchtung infolge des Niederschlagswassers haben die Struktur des Mauerwerkverbandes im Laufe der Jahrzehnte verändert; Mörtel wurde ausgewaschen, Bindemittel ausgelaugt. Bodenteilchen konnten über den Transport mit Wasser in die entstandenen Hohlräume einfließen. Die ehemals kompakte mineralische Verbindung der Steine mit dem Füllmörtel im Innern der Wand wurde gestört; die Festigkeit des Mauerwerkverbandes nahm ab. Hinzu kommen natürliche Alterungs- und Zerfalls-erscheinungen der Steine selbst und des Fugenmörtels. Die Verwitterung an ihrer Oberfläche geht mit einer Abnahme der Steindruckfestigkeit und dem Lösen des Fugenmörtels einher. Der geschwächte Bereich entzieht sich der Lastaufnahme, Umlagerungen in weiter rückwärts gelegene, steifere Bereiche sind die Folge. Gleichzeitig verringert sich die wirksame Dicke der Mauer. Frosteinwirkungen im Kernbereich können den Zerfall beschleunigen. Beim Übergang von darin eingeschlossenem Wasser zu Eis findet eine Volumenvergrößerung statt, Steine werden gesprengt und / oder herausgetrieben.“ Abb. 13: Auflockerung des Mauerwerkgefüges Die von Schwing so anschaulich beschriebenen Prozesse führen dazu, dass bei Stützbauwerken, die jahrzehntelang standsicher waren, durch die Abminderung der Festigkeit des Mauerwerks nun plötzlich auch ungünstige konstruktive Eigenschaften dieser Bauwerke eine Rolle für die Standsicherheit spielen können. Neben den vorstehend aufgeführten Aspekten können aber auch Laständerungen, wie z. B. Aufstau von Wasser hinter dem Bauwerk oder geänderte Verkehrslasten, zu Standsicherheitsproblemen bei den Stützbauwerken führen. Die vorstehend beschriebenen Schadensbilder stellen Schadensbilder dar, die das Mauerwerk direkt betreffen. Es finden sich jedoch auch Schadensbilder, die die unmittelbare Umgebung des Bauwerks betreffen. Zu ihnen gehören: • eine Absenkung in der Hinterfüllung sowie • eine Aufwölbung vor dem Mauerfuß. Daraus ergibt sich, dass es nicht ausreichend ist das Mauerwerk alleine zu betrachten, vielmehr ist das Bauwerk einschließlich der Umgebung, in die das Bauwerk eingebettet, ist zu betrachten. 3. Ermittlung konstruktiver Eigenschaften 3.1 Wandstärke Wie vorstehend ausgeführt kommt der Wandstärke eines Stützbauwerks eine hohe Bedeutung bei der Beurteilung der Tragsicherheit zu. Wenn bei älteren Stützbauwerken aus Natursteinmauerwerk keine Plan-unterlagen existieren, aus denen man die Wandstärke entnehmen kann, muss diese auf andere Weise ermittelt werden. Die Freilegung der Seitenflächen des Bauwerks und die Stärke der Mauerwerkskrone können einen ersten Hinweis auf die Wandstärke des Bauwerks geben (Abb. 14). Allerdings ist die Bauwerkshöhe an den Seiten-flächen 200 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden häufig am geringsten und die Bauwerke können entlang ihrer Abwicklung eine erhebliche Variation der Bauwerkshöhe besitzen, so dass es in den Bereichen mit einer größeren Bauwerkshöhe durchaus vorkommen kann, dass dort eine stärkere Wanddicke vorhanden ist. Abb. 14: Ermittlung der Querschnittsform bzw. der Wandstärke an den Seitenflächen des Mauerwerks bzw. der Bauwerkskrone Auch kann es sein, dass das Bauwerk nachträglich erhöht wurde und die Bauwerkserhöhung mit einer geringeren Wandstärke ausgeführt wurde (Abb. 15). Abb. 15: Erhöhungen sowie Maßnahme zur Stabilisierung eines Stützbauwerks an der Gotthardbahnstrecke Eine andere einfache Möglichkeit die Wandstärke zu ermitteln, ist die Tiefenmessung in Entwässerungs-einrichtungen. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, dass eingetragenes Lockergestein die Tiefenmessung verfälschen kann. Führen die vorstehend aufgeführten Methoden nicht zum Ziel, werden häufig Kernbohrungen zur Ermittlung der Wandstärke ausgeführt. Mit diesem Verfahren lässt sich die Wandstärke in der Regel mit ausreichender Genauigkeit aus den Bohrkernen ermitteln. Aus Kostengründen ist man bei diesem Verfahren meist auf eine oder bei sehr großen Stützmauern allenfalls auf einige wenige Bohrungen beschränkt. Eine Änderung der Wandstärke mit der Höhe oder entlang der Abwicklung des Bauwerks ist somit meist nicht zu erfassen. An der Hochschule Luzern wurde daher in einem Forschungsprojekt untersucht, inwieweit zerstörungsfreie Messverfahren mit akustischen oder elektromagnetischen Wellen hier Abhilfe schaffen können (Kister & Hugenschmidt, 2014; Kister & Hugenschmidt, 2017). Grundsätzlich ist anzumerken, dass zerstörungsfreie Messverfahren bei der Ermittlung der Wandstärke nur dann zu Ergebnissen führen, wenn es hinsichtlich der physikalischen Parameter einen signifikanten Unterschied zwischen Mauerwerk und Hinterfüllung gibt, d. h. bei akustischen Wellen muss ein Dichteunterschied beider Materialien vorhanden sein, bei elektromagnetischen Wellen muss die elektrische Leitfähigkeit beider Materialien verschieden sein. Weiterhin muss die Welle, die in das Bauwerk eingeleitet wird über ausreichend Energie verfügen, so dass sie das Bauwerk durchlaufen kann und die Reflexion des Signals von der Rückseite des Mauerwerks wieder das Messgerät am Haupt des Bauwerks erreicht. In dem Forschungsprojekt wurden die folgenden Messverfahren hinsichtlich ihrer Eignung zu Messung der Wandstärke untersucht. Akustische Wellen: • Impact-Echo Messverfahren • Ultraschall-Impuls Messverfahren • Spektralanalyse von Oberflächenwellen (Spectral Analysis of Surface Waves: SASW) Elektromagnetische Wellen: • Georadar Sowohl mit dem Impact-Echo Messverfahren als auch mit der Methode der Spektralanalyse von Oberflächen-wellen lässt sich die Wandstärke eines Stützbauwerks ermitteln, sofern es sich um vollvermörteltes Mauerwerk handelt. Bei Trockenmauerwerk, bei dem die Fugen lufterfüllt sind, findet keine ausreichende Energieübertragung innerhalb des Bauwerks statt. Für Trockenmauerwerk sind diese beiden Methoden daher meist nicht geeignet. Auch bei Mauerwerk, dessen Mörtel schon eine sehr starke Zersetzung aufweist, kann die Energieübertragung soweit reduziert sein, dass die Wandstärke dann mit diesen Verfahren mit akustischen Wellen nicht mehr ermittelt werden kann. Für das Ultraschall-Impuls Messverfahren wurde ein Niederfrequenz-Ultraschalldefektoskop mit Antennen- Array getestet. Dieses Gerät verwendet Scherwellen (S- Wellen) für die Messung. Für Wandstärken grösser 60 cm 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 201 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden konnten mit dem Gerät jedoch keine zufrieden-stellenden Ergebnisse für Mauerwerk erzielt werden. Für die Anwendung des Georadars auf Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk kommt, aufgrund des nur einseitigen Zugangs bei diesen Bauwerken, in der Regel nur die Reflexionsmessung in Betracht. Der Vorteil des Georadars besteht darin, dass sich elektromagnetische Wellen auch über die lufterfüllten Fugen des Trocken-mauerwerks ausbreiten, so dass dieses Verfahren auch auf die Trockenmauern angewendet werden kann. Abb. 16: Anordnung der Accelerometer und Schlagpunkte beim SASW-Versuch am Mauerwerksprobekörper an der Hochschule Luzern im Abschnitt vermörteltes Mauerwerk (Kister & Hugenschmidt, 2017, 2014) Abb. 17: Ergebnis einer Untersuchung mit der Methode der Spektralanalyse von Oberflächenwellen (SASW) mit der in Abb. 16 dargestellten Versuchsanordnung. Die Dispersionskurve zeigt einen deutlichen Abfall bei 0,6 m. Dies entspricht der Wandstärke des Mauerwerksprobekörpers in dieser Höhe (Kister & Hugenschmidt, 2017, 2014). Der Nachteil beim Georadar besteht darin, dass ein zunehmender Wassergehalt und Grad der Wasser-bindung im Gestein bzw. Fugenmörtel eine verstärkte Absorption der Radarwellen erzeugen, d. h. die Eindringtiefe der elektromagnetischen Welle kann dadurch signifikant reduziert werden. Für die Messungen mit Georadar an Bauwerken mit Wandstärken von 0,6 m bis zu ca. 2 m wurden Antennen mit Frequenzen im Bereich von 200 MHz bis 900 MHz verwendet. Die Wahl der Antenne richtet sich nach der erwarteten Wandstärke. Für hohe Wandstärken empfiehlt sich eher eine Antenne in der unteren Hälfte des angegebenen MHz-Intervalls. Abb. 18: Messung mit einer Georadar-Antenne am Mauerwerksprobekörper der Hochschule Luzern Der Erfolg bei der Bestimmung der Wandstärke der Mauer mit dem Georadar hängt vor allem vom Kontrast zwischen Mauer und Hinterfüllung ab. Ergibt sich an der Grenze Mauer-Hinterfüllung eine klare Reflexion, kann die Wandstärke mit einer Genauigkeit von ca. 10 % ermittelt werden. Ansonsten können lediglich Schätzungen oder Mindestdicken angegeben werden. Als letztes Mittel zu Bestimmung der Wandstärke bleibt schließlich noch die Öffnung des Bauwerks. Diese zerstört jedoch zumindest lokal die Bausubstanz und ist mit hohen Kosten verbunden. Andererseits ist es damit möglich den Wandauf bau zu ermitteln (Abb. 5). 3.2 Querverband Die Frage nach dem Querverband, d. h. der Verzahnung und Einbindung der Mauerwerkssteine in die Tiefe, stellt sich, wenn das Risiko einer Ablösung der vorderen Wandebene besteht bzw. wenn überprüft werden soll, ob die Vorgaben für die Anzahl und Position von Bindersteinen im Natursteinmauerwerk eines Bauwerks eingehalten wurden (vgl. Abb. 7). Im Forschungsprojekt an der Hochschule Luzern wurde die Eignung der zerstörungsfreien Prüfverfahren zur Bestimmung der Steintiefe im Mauerwerk untersucht (Kister & Hugenschmidt, 2014; Kister & Hugenschmidt, 2017). Sowohl mit dem Impact-Echo-Verfahren als auch mit dem Georadar ist es gelungen die Steintiefe einzelner Mauerwerkssteine zu ermitteln und so Bindersteine zu identifizieren. Hierzu wurden Versuche am Mauerwerksprobekörper an der Hochschule Luzern und Versuche an einer bestehenden Stützmauer durch-geführt. Da diese Stützmauer zu einem späteren Zeitpunkt teilweise rückgebaut wurde, konnten die Abmessungen ein- 202 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden zelner Mauerwerkssteine auch direkt gemessen und mit den Steintiefen, welche mit den zerstörungsfreien Messverfahren ermittelt wurden, verglichen werden. Abb. 19: Steintiefe der Mauerwerkssteine ermittelt mit dem Impact-Echo-Verfahren, rot: ≥ 60 cm, blau: 40 bis < 60 cm, grün: < 40 cm Abb. 20: Radargramme von vertikalen Linienmessungen am gleichen Profil am Mauerwerksprobekörper der Hochschule Luzern mit zwei Georadarantennen, linke Seite: 900 MHz Antenne, rechte Seite 1.5 GHz Antenne (Kister & Hugenschmidt, 2014) Abb. 20 zeigt die Radargramme von vertikalen Linienmessungen am Mauerwerksprobekörper der Hochschule Luzern mit zwei Georadarantennen, der 900 MHz Antenne auf der linken Seite und der 1.5 GHz Antenne auf der rechten Seite. In beiden Fällen lassen sich die Reflexionen einzelner Steine erkennen. Allerdings ergibt sich für die 1,5 GHz Antenne eine deutlich bessere Auflösung für die Steintiefen. In dem Radargramm der 900 MHz Antenne lassen sich hingegen auch noch die Reflexionen der dreistufigen Bauwerksrückseite erkennen. In dem Radargramm der 1,5 GHz Antenne sind keine Reflexionen von der Bauwerksrückseite mehr zu erkennen, was an der geringeren Eindringtiefe der Radarwellen mit den höheren Frequenzen liegt. 4. Ermittlung von Kennwerten des Mauerwerks bzw. seiner Elemente Die Druckfestigkeit von Natursteinmauerwerk ist nicht nur von der Druckfestigkeit der Mauerwerksteine und der Verbandsart (Form und Anordnung der Steine) abhängig. Auch die Größe der Steine absolut und im Verhältnis untereinander im Bauwerk, die Ausbildung der Lagerfugen, Zugfestigkeit der Mauerwerksteine und die Mörteleigenschaften spielen eine Rolle (vgl. hierzu z. B. Warnecke, 1995). Nachfolgend soll lediglich auf die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten, bei der Ermittlung von Parametern für die Mauerwerkskomponenten Stein und Mörtel eingegangenen werden. Dabei liegt der Schwerpunkt auf einfachen und kostengünstigen Untersuchungsmethoden. Abb. 21: Stützmauer mit einem sehr unregelmäßigen Auf bau 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 203 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden 4.1 Mauerwerksteine Eine einfache Möglichkeit die einaxiale Druckfestigkeit der Mauerwerksteine abzuschätzen ist die Hammerschlagmethode. Bei der Hammerschlagmethode wird mit einem Hammer auf die Mauerwerksteine geschlagen. Schon aufgrund des dabei entstehenden Klangs lässt sich eine grobe Einschätzung hinsichtlich der einaxialen Druckfestigkeit der Steine vornehmen (Tab. 1). Mit diesem Verfahren lassen sich auch schnell größere Bereiche einer Mauer untersuchen und so auch Schwächezonen im Mauerwerk erkennen und eingrenzen. Tab. 1: Hammerschlagmethode Beschreibung einaxiale Druckfestigkeit [MN/ m 2 ] zerbricht nur bei einer Vielzahl von kräftigen Hammerschlägen, dabei sehr heller Klang sehr fest über 100 zerbricht erst bei mehr als einem kräftigen Hammerschlag, dabei heller Klang fest 50 - 100 zerbricht bei einem kräftigen Hammerschlag, kann mit dem Taschenmesser nicht mehr geritzt werden mittelfest 25 - 50 flache Einkerbungen beim Schlag mit der Hammerspitze, kann mit dem Taschenmesser geritzt werden, beim Schlag dumpfer Klang mässig fest 5 - 25 zerbröckelt bereits bei einem leichten Hammerschlag, kann mit dem Taschenmesser eingeschnitten werden wenig fest 1 - 5 mit dem Fingernagel ritzbar entfestigt < 1 Aufwendiger sind Messungen mit dem Schmidt-Hammer, da bei diesen Messungen die Messstellen einer gewissen Vorbereitung bedürfen, d. h. die Messstellen sollten eben sein und keine Risse oder ähnliches aufweisen (Abb. 22). Die Messung mit dem Schmidt-Hammer liefert jedoch lediglich einen Rückprallwert R und keine Druck-festigkeit des Gesteins. Vorschläge für die Umrechnung dieses Rückprallwerts in die einaxiale Druckfestigkeit von Gestein wurde von verschiedenen Autoren gemacht (siehe Abb. 23 oder z. B. Kahraman, 2001; Aydin & Basu, 2005). Abb. 22: Messung mit dem Schmidt-Hammer Für den Helvetischen Kieselkalk konnte z. B. eine gute Übereinstimmung mit dem Korrelationsmodell von Deere & Miller festgestellt werden. Auf den Berner Sandstein ließ sich dieses Modell sowie einige andere Modelle hingegen nicht anwenden (Abb. 23). Hier wurde aufgrund eigener Versuche ein anderes Korrelationsmodell vorgeschlagen. Zur Überprüfung der Anwendbarkeit solcher Korrelationsmodelle empfiehlt sich daher auch immer die Durchführung einiger einaxialer Druckversuche an Bohrkernen. Abb. 23: Korrelationsmodelle zu Rückprallwert R und einaxiale Druckfestigkeit nach verschiedenen Autoren sowie aus Versuchen für den Berner Sandstein abgeleitet (rote Markierungen bzw. rote Linie) 4.2 Mörtel Eine Aussage zu den Kennwerten der an den alten Bauwerken verwendeten Mörtel ist schwierig. Zum einen sind die direkt zugänglichen Proben meist abgefallene Mörtelstücke (Abb. 24), von denen oftmals nicht bekannt ist, ob sie • mit dem im Mauerwerksinnern verwendeten Mörtel übereinstimmen oder lediglich einen Fugenmörtel für die Mauerwerksoberfläche darstellen (vgl. Abb. 25) • aus der Zeit des Baus stammen oder auf Instandsetzungsversuche zu späteren Zeit-punkten zurückzuführen und daher nicht repräsentativ für den Bauwerksmörtel sind. 204 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Zum anderen variieren die angetroffenen Mörtel sehr stark bezüglich Zusammensetzung, Größe des Zuschlagkorns, Porosität, etc. (vgl. Abbildungen 25 bis 27). Abb. 24: Eingesammelte Mörtelproben von der Geschiebesperre IVa im Lammbachgraben Abb. 25: Grober Mauerwerksmörtel und darüber aufgebrachter feinkörnigerer Fugenmörtel an einer Stützmauer Für die Festigkeitsermittlung von Fugenmörtel am Bauwerk werden in der Literatur verschiedene Verfahren vorgeschlagen, z. B.: • Nadelpenetrometer • Screw (helix) pull-out method • Torque penetration test • Schmidt-Hammer oder Pendelhammer Aufgrund der unebenen Wandoberfläche bei Natursteinmauerwerk und dem grobkörnigen Zuschlagmaterial einerseits sowie der Verfügbarkeit der entsprechenden Messgeräte und vorhandener Referenzmessdaten andererseits wurde entschieden einen Schmidt-Hammer für Messungen am Fugenmörtel zu verwenden. An der Materialprüfstelle der Hochschule Luzern wurde in einem umfangreichen Evaluationsprozess mit Mörtelproben mit drei unterschiedlichen Zementgehalten Umwertungskurven für einen Schmidt-Hammer Typ LD ermittelt (Abb. 26). Hierzu wurden zunächst würfelförmige Prüfkörper erstellt und Messungen an diesen Prüfkörpern sowohl an den Schalungsflächen als auch an den Einfüllflächen mit dem Schmidt-Hammer durchgeführt. Danach wurden die Oberflächen der Prüfkörper geschliffen und die Versuche wurden wiederholt. In einem zweiten Schritt wurden Prüfzylinder aus diesen Würfeln ausgebohrt und an diesen einaxiale Druckversuche durchgeführt. Abb. 26: Umwertungskurven für einen Schmidt-Hammer Typ LD aus Versuchen Mit diesem Schmidt-Hammer Typ LD wurden an den Geschiebesperren im Lammbachgraben insgesamt 38 Versuche durchgeführt. Dabei ergaben sich mittlere Rückprallwerte R zwischen 23 und 54. Der aus diesen Messungen abgeleitete Mittelwert für die Mörtel-festigkeit ergab sich zu 49 MN/ m 2 . Es ist zu beachten, dass lediglich Mörtelpartien geprüft werden konnten, die in einem guten bis sehr guten Zustand waren und zudem eine ausreichende Fugen-breite aufwiesen. In Mörtelfugen, die bereits deutliche Verwitterungsanzeichen aufwiesen konnte dieses Verfahren nicht angewendet werden. Aus zwei ausgeführten Kernbohrungen an den Sperren IV und IVa im Lammbachgraben konnten 2 Proben für einaxiale Druckversuche gewonnen werden. Die einaxialen Druckversuche an diesen beiden Kernproben wiesen mit 6,2 MN/ m 2 und 17,7 MN/ m 2 deutlich niedrigere Festigkeiten auf als die mit dem Schmidt-Hammer an den Bauwerksoberflächen der Sperren erzielten Werte. Im Inneren der geprüften Proben wurden deutliche Verfärbungen des Mörtels festgestellt (Abb. 27, rechts). Die braunen Verfärbungen im Mauerwerksmörtel weisen auf eine Durchsickerung des Mörtels bzw. der Bauwerke hin. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 205 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Abb. 27: Probe P1 aus der Bohrung SB3, Sperre IVa, vor und nach dem Versuch 5. Forensische Analyse eines Stützbauwerks Abb. 28 zeigt ein Stützbauwerk, welches den Geländesprung zwischen einer Bahnstrecke und einer Straße sichert. Die Gesamtlänge des Bauwerks beträgt ca. 30m, seine maximale Höhe beträgt 3,20 m über GOK. Im Bauwerk integriert sind 2 Entwässerungsrohre und 10 Entwässerungsschlitze. Die große Anzahl an Entwässerungseinrichtungen, insbesondere im unteren Drittel der Wandhöhe, lässt auf einen entsprechend hohen Wasserandrang aus dem Bereich hinter der Mauer schließen. Die visuelle Bauwerksaufnahme zeigt eine Stützmauer aus vermörteltem Natursteinmauerwerk. Aufgrund von Unterschieden beim Mauerverband lassen sich drei Homogenbereiche HB 1, HB 2 und HB 3 unterscheiden (Abb. 28). Im Homogenbereich HB1 sind die größten Steine zu finden. Das Fugenbild ist weitgehend unregelmäßig und es wurden kleinere Steine zum Ausfüllen, d. h. „Auszwicken“, von Hohlräumen eingesetzt. Dies ist eigentlich eine Maßnahme, die bei Trockenmauerwerk angewendet wird. Nach den „Richtlinien für die Ausführung von Natursteinmauerwerk entsprechend den besonderen Bestimmungen der SBB“ von 1946 handelt es sich bei dem Mauerwerk um Bruchsteinmauerwerk, unregel-mäßig (vgl. Abb. 2). Nach der Empfehlung SIA V 178 von 1996 ist das Mauerwerk als Bruchstein-Zyklopenmauerwerk, Typ B1 anzusprechen. Nach der Norm SIA 266/ 2 handelt es sich um Bruchstein-mauerwerk, Verbandsart B. Abb. 28: Stützbauwerk bestehend aus drei Homogenbereichen HB 1, HB 2 und HB 3. Homogenbereich HB2 umfasst im Wesentlichen den mittleren Teil des Bauwerks (Abb. 28). Die Lagerfugen sind in diesem Homogenbereich durchlaufend, die Schichthöhen ± gleichmäßig. Die Steine sind in der Regel kleiner als die im HB1, die Fugen im Haupt weisen noch überwiegend Mörtel auf. Im Mauerwerk ist eine geneigte Lagerfuge erkennbar, die eine ehemalige Mauerkrone sein dürfte und die die Grenzlinie nach oben zum HB3 darstellt. Gemäß den Richtlinien von 1946 handelt es sich im HB2 um ein Bruchstein-mauerwerk, schichtenartig (vgl. Abb.2), nach der Empfehlung SIA V 178 um ein regelmäßiges Schichten-mauerwerk, Typ G4, nach der Norm SIA 266/ 2 um ein Bruchsteinschichtenmauerwerk, Verbandsart C. Für eine Einordnung als Schichtenmauerwerk, Verbandsart D, nach der Norm SIA 266/ 2 müsste der Nachweis erbracht werden, dass die Lagerfugen nicht nur in der Ansicht, sondern im gesamten Querschnitt des Mauerwerks einen horizontalen Verlauf haben. Dies wäre allenfalls durch Öffnen der Mauer zu erbringen. Unter dem Homogenbereich HB3 werden der oberste Teil des Mauerwerks sowie der nördlichste Teil des Bauwerks zusammengefasst (Abb. 28). Der nördlichste Teil des Bauwerks zeichnet sich gegenüber den beiden anderen Homogenbereichen vor allem durch einen erhöhten Anteil von sogenannten „Stehern“ aus. Darunter versteht man Mauerwerkssteine mit einem Verhältnis von Steinhöhe h zu Steinlänge l grösser 1. „Steher“ wirken sich auf die Statik eines Mauerwerks eher ungünstig aus und sollten beim Mauerwerksbau möglichst vermieden werden. Häufig sind „Steher“ in der Mauerwerkskrone als Abschlusssteine anzutreffen, dort ist ihre statische Wirkung jedoch von geringer Bedeutung. Die Lagerfugen sind im Homogenbereich HB3 durchlaufend, die Schichthöhen ± gleichmäßig. Die Fugen im Haupt sind vollständig vermörtelt. Gemäß den Richtlinien von 1946 handelt es sich beim Mauerwerk im HB3 um ein Bruchsteinmauerwerk, schichtenartig, nach der Empfehlung SIA V 178 um ein regelmäßiges Schichtenmauerwerk, Typ G4, nach der Norm SIA 266/ 2 um ein Bruchsteinschichtenmauerwerk, Verbandsart C. 206 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Den oberen Abschluss des Bauwerks bildet eine aufgesetzte Betonkrone. Auf die Betonkrone aufgelagert ist eine Betonplatte mit Geländer. Im mittleren Bauwerksteil kragt diese Platte über das Mauerwerk aus (Abb. 28). Aus der Geometrie der Homogenbereiche lassen sich die folgenden Schlussfolgerungen ziehen: Die beiden Teilbereiche, die als Homogenbereich HB 1 bezeichnet werden, stellen Bereiche des ursprünglichen Bauwerks dar. Dieses Bauwerk muss in seinem Mittelteil einen Verbruch erlitten haben, der vermutlich auf die Einwirkung von Wasser zurückzuführen ist. Dafür spricht die hohe Anzahl an Entwässerungseinrichtungen im Bauwerk. Der Mittelteil wurde wieder aufgebaut (HB 2), allerdings nicht in dem gleichen Mauerverband des alten Bauwerks. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde das Bauwerk verlängert und erhöht (HB 3). Letztendlich wurde die Betonkrone und die Betonplatte auf das Bauwerk aufgebracht. Zur Ermittlung der Wandstärke wurden Tiefen-messungen in den Entwässerungseinrichtungen durch-geführt. Aus diesen Messungen lässt sich auf eine Mauerwerksstärke von ca. 0.8 m bis 1.1 m schließen. Zur Erkundung der Wandstärke und des Auf baus des Mauerwerks sowie des Untergrunds hinter dem Bauwerk wurde im HB 1, nahe der Grenze zum HB 2, eine Horizontalbohrung ausgeführt. Die Bohrung bestätigte die Wandstärke von ca. 1 m (Abb. 29). Im Gegensatz zur visuellen Aufnahme des Bauwerks, bei der von einem vermörtelten Mauerwerk ausgegangen worden war, zeigte die Kernbohrung auf, dass diese Vermörtelung des Mauerwerks zumindest in diesem Homogenbereich nicht durchgängig ist. Durch Hineinfassen in die Bohrung ließ sich ebenfalls feststellen, dass hinter der ersten Steinreihe kein Mörtel vorhanden und der Fugenraum leer ist bzw. teilweise Lockermaterial in Form von Sand enthält. Abb. 29: Kernbohrung zur Ermittlung der Wandstärke. Das bräunlich gefärbte Hinterfüllmaterial grenzt sich deutlich von dem Grau der erbohrten Mauerwerksteine ab. Es wurde mittels der Bohrung weiter festgestellt, dass zwar die Steine in der Ansichtsfläche gerichtet waren, hinter der ersten Steinlage aber überwiegend gerundete Steine mit einer eher glatten Oberfläche verbaut worden waren. Die runde Steinform ließ sich auch in Bereichen beobachten, in denen der Mörtel ausgebrochen bzw. verwittert war (Abb. 30). Die gerundeten Mauersteine für den Bau der Stützmauer dürften im Wesentlichen aus dem nahegelegenen Flussbett stammen. Für die rechteckförmigen Entwässerungsschlitze wurden diese Steine jedoch entsprechend gerichtet. Abb. 30: Im Bereich des fehlenden Mörtels ist die glatte Unterseite des Mauerwerksteins sichtbar Möglicherweise wurde die Vermörtelung im Haupt oder besser die Ausfugung nicht direkt bei der Erstellung des Bauwerks, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt angebracht. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass es sich hier nicht um vermörteltes Mauerwerk, sondern um Trockenmauerwerk handelt. Bei den Mauerwerksteinen handelt es sich im Wesentlichen um Sandsteine mit calcitischem Bindemittel. Die Gesteinsfestigkeit der Mauerwerk-steine wurde durch Hammerschlag gemäß ISRM (1980) abgeschätzt und die Gesteinsfestigkeit kann überwiegend als fest, zum Teil als mittelfest eingestuft werden. Dies entspricht einer Gesteinsfestigkeit > 20 MN/ m 2 , d. h. die Mindestdruckfestigkeit für Natursteine im Mauerwerksbau ist gegeben. Vereinzelt wurden Mauerwerksteine mit Abschalungen und Absandungen angetroffen. Am Bauwerk wurden 4 Vertikalprofile aufgenommen. Die Messungen wurden mit einem Leica-Distometer A8 ausgeführt. Die beiden Profile, die sich rechts bzw. links der Sondierbohrung befinden, zeigen eine Ausbauchung des Mauerwerks. Bezogen auf eine Gerade mit einem Anzug von etwa 8,5: 1 ergibt sich ein Verformungs-betrag von ca. 7.5 cm im unteren Drittel der Mauer. Für die Instandsetzung des Stützbauwerks wurden zwei Verfahren vorgeschlagen: • Ertüchtigung des Mauerwerks durch Injektionen und Vernadelung bzw. • Ausführung einer luftseitigen Stützmaßnahme in Form von vorgesetzten, rückverankerten Stahlbetonriegeln. 6. Sperre IVa, Lammbachgraben Die Sperre IVa ist Teil eines systematischen Verbaus des Lammbachgrabens oberhalb der Ortschaften Brienz, Schwanden und Hofstetten in der Schweiz (Abb. 31). Mit dem systematischen Verbau des Lammbachgrabens wurde nach zwei katastrophalen Murgängen im Jahre 1896 begonnen und es wurden über 20 Sperren, die meisten aus Bruchsteinmauerwerk, erstellt. Seit dem Bau der Sperren 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 207 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden ist es im Lammbachgraben nicht mehr zu solchen katastrophalen Murgängen gekommen. 2005 kam es jedoch zu einem Murgang im Glyssibach, bei dem zwei Personen ums Leben kamen und acht Häuser in Brienz zerstört wurden. Aus dieser Katastrophe heraus folgte, dass die Gefahrenkarte der Region Brienz, Hofstetten, Schwanden überarbeitet werden musste. Hierbei stellte sich die Frage nach dem Zustand und der Standsicherheit der mittlerweile über 100-jährigen Geschiebesperren aus Natursteinmauer-werk im Lammbachgraben. Der Bau der Sperre IVa erfolgte im Zeitraum 1906 bis 1912. Das Bauwerk ist mit einer Kronenlänge von 90 m die Sperre mit der größten Spannweite im Lammbachgraben. Gemäß einem Bericht aus dem Jahre 1914 wurden für den Bau der Sperre IVa 6000 m 3 Mauerwerk verbaut. In dem gleichen Bericht wird angegeben, dass die Sperrenhöhe in der Mitte der Abflusssektion 19 m beträgt. Die freie Standhöhe der Sperre an der Abflusssektion beträgt immer noch ca. 13 m. Es liegen keine Originalpläne mehr zum Bauwerk vor, d. h. die Tiefenlage der Gründungssohle des Bauwerks ist mit Ausnahme der Angabe für die Mitte der Abflusssektion nicht bekannt. Abb. 31: Der Lammbachgraben oberhalb der Gemeinden Brienz, Hofstetten und Schwanden Im Jahr 1976 wurde, nach einem Ausbruch des Mauerwerks unterhalb der Ostseite der Abflusssektion mit einer Fläche von ca. 4,5 x 4,5 m 2 und einer Tiefe von ca. 1 m sowie zwei Rissbildungen, von denen die eine von diesem Ausbruch aus nach oben bis zur Krone verlief und die andere vom Ausbruch aus nach unten bis in eine Tiefe von ca. 13 m dokumentiert wurde, als Instandsetzungsmaßnahme eine Betonplatte von 20 m Breite und 13 m Höhe auf der Luftseite vorgesetzt und gemäß Planunterlagen mit 18 Ankern rückverankert. Die Wandstärke dieser Platte wird in den vorhandenen Planunterlagen von 1976 an der Plattenoberkante auf der Westseite der Platte mit 0,95 m, auf der Ostseite mit 0,75 m angegeben. Im Bereich des Ausbruchs beträgt die Plattenstärke an der Oberkante jedoch lediglich 0,3 m. Es liegt nahe, dass der Ausbruchsbereich mit Beton verfüllt wurde. Dies geht aber aus den noch vorhandenen Unterlagen nicht hervor. Gemäß den vorhandenen Schnitten nimmt die Stärke der Betonplatte nach unten hin zu, der Anzug wird mit 10: 1 angegeben. An der Rückseite der Sperre ist in den Planunterlagen ein Aushub eingezeichnet, der im Bereich des Ausbruchs bis in eine Tiefe von ca. 6,5 m reicht. In diesem Aushub ist an der Rückseite des Mauerwerks eine vertikale Betonplatte mit einer Stärke von 20 cm dargestellt, die bis zur Unterkannte einer Dole geführt ist. Am unteren Ende dieser Platte schließt eine von der Sperrenrückwand aus ansteigende ca. 3,5 m lange Betonplatte an, die ein Gefälle von 20 % aufweist. Die gesamte Konstruktion weist in lateraler Ausdehnung eine Trogform auf und soll anfallendes Wasser zur Dole hin ableiten. Die wasserführende Dole ist in der Bauwerksansicht in Abb. 32 deutlich zu erkennen. In den Planunterlagen aus dem Jahr 1976 waren im Bereich des Ausbruchs ursprünglich 4 Anker mit einer Tragkraft von je 84 t und auf gleicher Höhe im Bereich des östlichen Plattenrands 2 Anker mit einer Tragkraft von je 56 t vorgesehen. Handschriftlich vermerkt ist auf den Plänen, dass die Anzahl der Anker wohl reduziert wurde, d. h. lediglich 2 Anker mit je 84 t bzw. ein Anker mit 56 t. Die Länge der Anker ist mit 23 m angegeben. Eine zweite Instandsetzungsmaßnahme erfolgte im Jahr 2000 an den Sperrenflügeln nachdem dort Risse im Mauerwerk des Westflügels festgestellt worden waren. Als Instandsetzungsmaßnahme wurden hier rück-verankerte Betonriegel an beiden Sperrenflügeln erstellt und zwar drei am Ostflügel der Sperre und sieben am Westflügel (Abb. 32). 208 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Abb. 32: Sperre IVa im Lammbachgraben bei Brienz, Schweiz Die Betonriegel haben eine Breite von 1,3 m. Der auf der Westseite äußerste Betonriegel wurde mit 4 m breiter ausgeführt und mit einem Gerinne versehen, so dass Oberflächenwasser dort kontrolliert über die Sperre abgeleitet werden kann. Zudem wurde die Sperrenkrone erneuert. Für die Rückverankerung der Betonriegel wurden insgesamt 33 Anker installiert, 26 am Westflügel und 8 am Ostflügel. Die Festsetzkraft der Anker wird mit jeweils 250 kN in den Planunterlagen angegeben. Bei den Ankern am Ostflügel der Sperre IVa ergaben sich bei den Spannproben folgende Probleme: • An dem der Betonplatte am nächsten liegenden Betonriegel wurden die Prüfkräfte von 538 kN bei der Spannprobe am 19.9.2000 bei keinem der Anker erreicht; die Anker wurden ausgezogen. Am 5.10.2000 ist eine zweite Spannprobe ausgeführt worden, bei der am obersten Anker bei der Laststufe 538 kN noch zu große Verformungen auftraten, so dass der Versuch abgebrochen werden musste. Darauf hin wurde die maximale Prüfkraft auf 400 kN festgelegt. Die Anker wurden mit 250 kN festgesetzt • Beim mittleren Anker des mittleren Betonriegels gelang es nicht eine Ankerkraft aufzubauen. Im Protokoll ist vermerkt: „Anker trägt keine Last.“ • Für die beiden Anker des äußeren Betonriegels wurde die Festsetzkraft auf 240 kN herabgesetzt Fünf der Anker wurden als Messanker installiert. Die Messanker befinden sich sämtlich im westlichen Sperrenflügel. Für den Zeitraum 2003 bis 2009 zeigen die Messanker eine Zunahme der Ankerkräfte auf. Bei einem Messanker wurden Ankerkräfte von 404 kN (zu Beginn der Messung am 23.10.2002) bis 431 kN (letztes zur Verfügung gestelltes Datenblatt vom 22.06.2008) gemessen, d. h. deutlich höhere Werte als die in den Planunterlagen angegebene Festsetzkraft. Allerdings ist tatsächlich keine Festsetzkraft für den Anker im Protokoll vermerkt. Für die Ablesung der Kraftmessdose am Spanntag werden jedoch 400 kN angegeben, was wieder mit den Folgeablesungen zusammenpasst. Eine Erklärung für die gemessenen Werte könnte sein, dass dieser Anker mit einer zu hohen Festsetzkraft von 400 kN anstatt 250 kN installiert wurde. In den vorliegenden 17 Bohrprotokollen für die Ankerbohrungen der Instandsetzung 2000 am West-flügel wird angegeben, dass Bruchsteinmauerwerk mit einer Stärke von 4,6 m durchbohrt wurde. Im Plan ist der Mauerquerschnitt mit einer vertikalen Linie auf der Luftseite und mit einer mit der Tiefe zunehmenden Wandstärke auf der Bergseite dargestellt. Die Kronenstärke wird mit 3,20 m angegeben. Gemäß einem Längsschnitt zur Verbauung des Lammbachgrabens aus dem Jahr 1913 ist hingegen die Mauerrückseite vertikal und die Mauervorderseite ist ab ca. 6 m unterhalb der Krone mit einem leichten Anzug dargestellt (Abb. 33). Abb. 33: Querschnittsformen der Sperre IVa nach verschiedenen Unterlagen und vermuteter tatsächlicher Querschnitt bei Betonriegel D, Westflügel der Sperre Sinniger (2000) hat in seinem Bericht zur Prüfung der vorgeschlagenen Instandsetzungsmaßnahmen für die Variante mit den Betonriegeln festgehalten: „Als Nachteil der Ankerlösung ist anzuführen, dass oberflächli- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 209 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden che Schwachstellen der heutigen Mauer gezielt und einzeln behandelt werden müssten.“ Die im Bericht Sinniger (2000) aufgeführten Empfehlungen einer gezielten Behandlung oberflächennaher Schwachstellen wurden jedoch nicht ausgeführt. 6.1 Ausgeführte Untersuchungen und Bauwerksgeometrie Um den Bauwerkszustand und die Standsicherheit der Sperre IVa beurteilen zu können, wurden die folgenden Maßnahmen im Projektverlauf durchgeführt: • Auswertung der topographischen Veränderungen im Bereich der Sperre IVa im Laufe der Jahre. • Geodätische Vermessung der sichtbaren Sperrenteile. • Visuelle Aufnahme des Bauwerks und Beurteilung des Mauerwerks mit dem Luzerner Rating System. • Freilegung der Sperrenkrone und Ausführung von Baggerschürfen auf der Bergseite der Sperre. • Durchführung von Erkundungsbohrungen und Befahrung der Bohrungen mit einer Kamera. • Durchführung von Versuchen zur Ermittlung von Kennwerten am Bauwerk und im Labor. • Überprüfung der Existenz und des Zustands von zwei Ankerköpfen. Oberhalb der Sperre IVa befinden sich erhebliche Massenanlagerungen. Aus den fotogrammetrischen Auswertungen ergab sich für das Verlandungsgefälle oberhalb der Sperre IVa ein Wert von ca. 32 %. Dieser Wert liegt deutlich über dem für den Verbau des Lammbachgrabens erwünschten Gefälle in diesem Bereich von 14.5 %. Es liegt zudem auch deutlich über dem Gefälle, welches für den Lammbachgraben vor dem Verbau angegeben wird. Die theoretische Grenzneigung für die Auslösung von Murgängen in einem Gerinnebett bei einem Lockergestein mit einem Reibungswinkel von ca. 33 ° bis 37 ° wird mit etwa 21 % bis 30 % angegeben (vgl. Rickenmann, 2007), d. h. sowohl was die Materialmenge als auch das Gefälle betrifft, sind die Voraussetzungen für das Auslösen eines Murgangs im Bereich oberhalb der Sperre IVa gegeben. Der Lastfall Murgang ist somit bei Betrachtungen zur Standsicherheit des Bauwerks zu berücksichtigen. In den vorhandenen Unterlagen gab es unterschiedliche Angaben zur Geometrie des Bauwerks Sperre IVa (vgl. Abb. 33). Aufgrund der Vermessungsdaten, dem Freilegen der Sperrenkrone sowie der durchgeführten Baggerschürfe auf der Bergseite der Sperre lassen sich folgende Angaben zur Geometrie machen: • Das Freilegen der Hinterkante der Mauerkrone ergab für die Flügel eine Mauerwerksstärke zwischen 2,8 und 3 m an der Krone. Die Abflusssektion der Sperre IVa weist eine Verdickung auf. Das Vermessungsergebnis zeigt eine signifikante Zunahme der Sperrenstärke vom Westteil der Abflusssektion zum Ostteil der Abflusssektion hin. • Die Vermessungsdaten der Draufsicht zeigen einen nahezu geraden Verlauf beim Westflügel der Sperre und einen gekrümmten Verlauf beim Ostflügel. Beim Westflügel ist kein Anzug erkennbar, während der Ostflügel einen deutlichen Anzug aufweist. Über einen Anzug im Bereich der Abflusssektion, wie im Längsschnitt von 1913 angegeben, kann heute keine Aussage mehr gemacht werden, da im Rahmen des Bauprogramms 1976 dort eine Betonplatte vorbetoniert wurde. Die geodätische Vermessung liefert also hier lediglich den Anzug der vorbetonierten Betonplatte. • Die durchgeführten Baggerschürfe (Abb. 34 bzw. Abb. 35) zeigten eine vertikale Rückwand für die Sperre IVa, d. h. die Angaben bezüglich der Geometrie des Mauerquerschnitts in den Planunterlagen aus dem Jahr 2000 konnten nicht belegt werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das Bauwerk auf der Westseite einen rechteckigen Querschnitt besitzt und der Querschnitt auf der Ostseite durch den Anzug nur geringfügig von einem rechteckigen Querschnitt abweicht. • In den Planunterlagen von 1976 ist ein Aushub eingezeichnet, der im Bereich des Ausbruchs bis in eine Tiefe von ca. 6.5 m reicht. In diesem Aushub ist an der Rückseite des Mauerwerks eine vertikale Betonplatte dargestellt, die über die gesamte Breite der Abflusssektion reicht. Die Baggerschürfe haben aufgezeigt, dass diese Betonplatte signifikant kleiner ausgeführt wurde als auf den Planunterlagen von 1976 dargestellt, denn auf der Westseite der Abflusssektion konnte die Betonplatte nicht nachgewiesen werden (Abb. 35). • Auch der Aushub bis in eine Tiefe von 6.5 m und die in den Planunterlagen dargestellte Trogform zur Ableitung des Wassers zur Dole hin wurde so nicht ausgeführt. Stattdessen wurde eine Betonsohle in ca. 2-m Tiefe angetroffen, die jedoch nicht über die gesamte Breite der Abflusssektion ausgeführt wurde. Weiterhin wurde festgestellt, dass hinter der Sperre im Bereich der Dole ein Rohr eingebaut wurde, welches vermutlich bis auf das Niveau der Dole hinabreicht und so der Entwässerung dient (Abb. 36). • Während im Baggerschurf auf der Westseite der Abflusssektion der Anker gemäß den Planunterlagen von 1976 angetroffen wurde (Abb. 35), fehlte das Gegenstück im Baggerschurf auf der Ostseite (Abb. 34). • Die Existenz des Doppelankers im Bereich des Mauerwerksausbruchs konnte durch Freilegen der Ankerköpfe nachgewiesen werden. Bei den angetroffenen Ankern handelt es sich um Litzenanker mit 6 Litzen mit einem Durch-messer von je 15 mm. Der Litzenüberstand betrug jedoch lediglich 1,4 bis 2 cm, so dass keine Prüfung der Anker durchgeführt werden konnte. 6.2 Mauerwerk Die Sperre IVa besteht aus Bruchsteinmauerwerk, welches im unteren Teil als unregelmäßig zu bezeichnen ist und eine höhere Variation in der Steingröße aufweist. Je weiter man zur Sperrenkrone nach oben geht, umso regelmäßiger erscheint das Mauerwerksbild. Im oberen Sperrenteil treten weit durchgehende Lagerfugen auf und die Variation der Steingröße nimmt ab. Der obere Sperrent- 210 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden eil entspricht somit in der Ansicht mehr einem regelmäßigen Bruchstein-Schichtenmauerwerk. Abb. 34: Baggerschurf auf der Ostseite der Abflusssektion der Sperre IVa mit einer Betonplatte hinter dem Mauerwerk und einer betonierten Sohle, aber fehlendem Anker. Abb. 35: Baggerschurf auf der Westseite der Abflusssektion ohne Betonplatte, aber mit dem Anker gemäß den Planunterlagen von 1976. Abb. 36: Eingebautes Rohr im Baggerschurf Ost. Allerdings gibt es auch Steinlagen geringerer Höhe im unteren Bauwerksbereich und Bereiche mit unregel-mäßigem Bruchsteinmauerwerk im oberen Bauwerks-bereich. Eine Unterteilung in Homogenbereiche wurde daher nicht vorgenommen. Neben kompakten Blöcken aus Helvetischem Kieselkalk wurden im Mauerwerk der Sperre IVa auch Mauerwerksteine mit einer blättrigen Struktur eingebaut, die eine höhere Verwitterungsanfälligkeit aufweisen als die kompakteren Kieselkalke. Die kompakteren Kieselkalke in der Sperre IVa weisen in der Regel noch eine hohe Druckfestigkeit von > 50 MN/ m 2 auf, d. h. es ergibt sich ein heller Klang beim Hammerschlag-Test. Bei den Mauerwerksteinen mit blättriger Struktur ergibt sich hingegen beim Hammerschlag-Test ein dumpfer Klang. Dies deutet auf Festigkeiten im Bereich zwischen 1 bis maximal 25 MN/ m 2 hin. Auch die Fugen zeigen zum Teil eine deutliche Auswitterung auf der Talseite des Bauwerks (Abb. 37). Abb. 37: Stark anwitterte Mauerwerkssteine mit blättriger Struktur und zu Lockergestein verwittertem Mörtel am Westflügel. Die im Bericht Sinniger (2000) aufgeführten Empfehlungen einer gezielten Behandlung oberflächen-naher Schwachstellen wurden bei der Instandsetzung im Jahr 2000, wie vorstehend erwähnt, nicht ausgeführt. Daher fanden sich auch Bereiche im Mauerwerk mit offenen Fugen, die zum Teil bis in Tiefen von 35 cm bis 50 cm reichten (Abb. 38). D. h. hier liegt eine Schwächung des Mauerquerschnitt von mehr als 10 % vor. Bei Steintiefen, die nicht wesentlich grösser sind als die offenen Fugen, ist langfristig mit Ausbrüchen im Mauerwerk zu rechnen. Die Inspektion des Mauerwerks in den Baggerschürfen auf der Bergseite der Sperre IVa ergab erwartungs-gemäß einen deutlich besseren Zustand des Mauerwerks in der Ansichtsfläche gegenüber dem Mauerwerk auf der Talseite. Die Fugen waren auch hier weit weniger tief ausgewittert. Dennoch gab es auch Bereiche, in denen der Mörtel an der Oberfläche verwittert war. Die Verwitterungsstufen reichten dabei von „stückig“ (Abb. 24) bis hin zu „zu Lockergestein verwittert“. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 211 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Abb. 38: Bereiche mit offenen Mauerwerksfugen mit Tiefen von bis zu 50 cm (rechts), Sperre IVa 6.3 Kernbohrung und Kamerabefahrung Zur Erkundung des Sperreninneren sollte eine Kern-bohrung ausgeführt werden. Da zwischenzeitlich der Baggerschurf jedoch wieder weitgehend verfüllt war, sollte die Bohrung auf der Ostseite im ansteigenden Bereich der Abflusssektion oberhalb der Betonplatte ausgeführt werden. Die Bohrung SB 2 musste jedoch bereits nach ca. 1 m aufgegeben werden, da sich die Bohrung als nicht stabil herausstellte. Auch der Kerngewinn der Bohrung war gering. Die Befahrung dieser Bohrung mit einer Bohrlochkamera zeigte dann auch deutliche Ausbrüche in den Mörtelfugen. Etwas seitlich nach Osten versetzt konnte mit der Bohrung SB 3 die Sperre IVa vollständig durchörtert werden. Im Kerngewinn aus der Bohrung SB 3 überwiegen Bohrkernstücke aus den Mauerwerksteinen. Der Kerngewinn aus den Mörtelstrecken war gering. Abb. 39 zeigt eine Aufnahme aus der Kamerabefahrung dieser Bohrung etwa in der Mauermitte. Das Bild zeigt eine nahezu glatte Bohrlochwandung sowohl im Bereich der Mauerwerkssteine als auch im Bereich des Mörtels. Beim Mörtel sind die groben Komponenten des Zuschlagkorns deutlich in der Aufnahme zu erkennen. Die Aufnahmen zeigten zudem nur wenige Ausbrüche in den Mörtelstrecken. Durch die Kamerabefahrung der Bohrungen wurde einerseits deutlich, dass der Mörtelanteil im Mauerwerk der Sperre deutlich höher liegt als man es aufgrund des Kerngewinns aus den Bohrungen erwarten konnte. Andererseits zeigen die Aufnahmen auch, dass der Verbund zwischen Steinen und Mörtel im Innern der Mauer noch weitgehend gegeben ist. Die aus den Bohrungen gewonnen Mörtelproben zeigen aber auch, dass das Mauerwerk durchsickert wurde (Abb. 27). Abb. 39: Aufnahme aus der Kamerabefahrung der Bohrung SB3, Sperre IVa, ca. Mauermitte, links unten Stein, rechts oben Mörtel 6.4 Analyse des Schadensfalls 1976 Der Anlass für die Instandsetzungsmaßnahme mit der rückverankerten Betonplatte des Bauprogramms von 1976 war ein Mauerwerksausbruch von ca. 4,5 m Breite, ca. 4,5 m Höhe und ca. 1 m Tiefe. In den Planunterlagen, in denen der Ausbruch skizziert ist, ist mit der gleichen Signatur jeweils eine Linie in Richtung Abflusssektion bzw. in Richtung Fundation bis zur damaligen Geländeoberkante auf der Luftseite gezogen. Da die Linien die gleiche Signatur wie der Mauerwerks-ausbruch haben, ist davon auszugehen, dass sie einen Riss darstellen, der durch den sichtbaren Bereich der Mauer von oben bis unten verläuft. Eine Legende, die die Liniensignatur erläutert, fehlt aber leider auf dem Plan. Die Sperre IVa weist an der Ostseite der Abflusssektion eine signifikante Verdickung auf. Die Kronenstärke beträgt dort ohne die vorgesetzte Betonplatte 4.75 m. Andererseits besitzt die Betonplatte gerade im Bereich des Mauerausbruchs ihre geringste Stärke. Im Baggerschurf auf der Ostseite der Abflusssektion wurde der in den Planunterlagen eingetragene Anker nicht gefunden. Dies sowie noch vorhandene Skizzen deuten darauf hin, dass es nicht nur einen vertikalen Riss im Mauerwerk parallel zur Bachachse gegeben hat, sondern auch eine Öffnung im Mauerwerk senkrecht zur Bachachse, d. h. parallel zur Sperrenkrone, stattgefunden hat. Wenn man von den Skizzen ausgeht, war ca. 1,2 m hinter der luftseitigen Bauwerkskante der Abfluss-sektion eine klaffende Fuge mit ca. 50 cm Öffnungs-weite entstanden und die Vorderkante des Bauwerks dort entsprechend nach vorne geschoben worden. Dies würde einerseits die signifikante Verdickung der Mauerkrone in diesem Bereich erklären und andererseits auch erklären, warum bei den Instandsetzungsarbeiten auf den Anker in diesem Bereich verzichtet wurde. Welches Ausmaß die geöffnete Fuge hatte und inwieweit das umgebende Mauerwerk Schaden genommen hat, ist nicht bekannt, da eine über die Skizzen hinausgehende Dokumentation des Schadens an der Sperre IVa oder Fotos dazu nicht vorliegen. Das Fehlschlagen der Boh- 212 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden rung SB 2 kann aber auch als Hinweis auf eine Störung des Mauerverbands über die Ausdehnung der Betonplatte hinaus gedeutet werden. 6.5 Statische Berechnungen Weder aus der Entstehungszeit der Sperre noch aus der Zeit der ersten Instandsetzung im Jahr 1976 liegen statische Nachweise zur Sperre IVa vor. Sinniger (2000) führt eine „Berechnung der vorhandenen Sanierung 1977“ aus dem Jahre 1999 an, bei der angenommen wurde, dass die gesamte Mauer aus Kies mit einem Reibungswinkel von lediglich 33° besteht. Die Schlussfolgerung aus diesem Ansatz war: „Die Standsicherheit der Sanierung von 1977 ist nicht gewährleistet.“ Welche Bauwerksgeometrie diesen Berechnungen zugrunde gelegt wurde ist jedoch nicht angegeben. Weiter führt Sinniger (2000) aus, dass das Rechenmodell der Sperre einerseits die Geometrie der Sperre und andererseits deren Materialauf bau berücksichtigen muss, so dass die Stabilität der Sperre, wenn auch mit kleinem Sicherheitsfaktor, nachgewiesen werden kann. Er schlägt den in Abb. 40 dargestellten Bauwerksquerschnitt vor. Ein solcher Bauwerks-querschnitt muss jedoch aufgrund der vorliegenden Unterlagen zu den Sperren im Lammbach als untypisch angesehen werden. In den vorhandenen Unterlagen sind die Sperren mit schlanken, annähernd rechteckigen Querschnitten dargestellt. Abb. 40: Der von Sinniger (2000) vorgeschlagene Bauwerksquerschnitt zur Überprüfung der Instand-setzungsmaßnahmen. Für die von Sinniger veranlassten Berechnungen wurde ein Programm verwendet, welches die Trapezform des vorgeschlagenen Querschnitts in Abb. 40 nicht berücksichtigen konnte. Stattdessen wurde ein Querschnitt mit einer vertikalen Rückwand gewählt. Um das Modell flächengetreu zu gestalten, ergibt sich dann jedoch eine Kronenstärke von 5,5 m für dieses Modell (Abb. 33). Die an der Sperre IVa ausgeführten Untersuchungen haben hingegen aufgezeigt, dass die Kronenstärke, mit Ausnahme der Abflusssektion 3 m beträgt. Mit Hilfe der Baggerschürfe konnte auch eine Trapezform des Mauerquerschnitts ausgeschlossen werden. Vielmehr ist aufgrund der alten Planunterlagen sowie der vorstehend genannten Untersuchungen am Bauwerk von einem nahezu rechteckigen schlanken Querschnitt des Bauwerks auszugehen. Geht man von einem alten Foto der Sperre IVa aus, so ist auch die Bauwerkshöhe in dem von Sinniger betrachteten Querschnitt deutlich größer (Abb. 33). Mit Berechnungen in 2D mit einem solchen Querschnitt konnte allerdings die Standsicherheit des Bauwerks nicht nachgewiesen werden. Die Sperre IVa weist in ihrem Verlauf eine leichte Krümmung auf. Es war daher davon auszugehen, dass eine dreidimensionale Betrachtung der Sperre zu anderen Ergebnissen führen würden als die 2D-Betrachtungen. Sowohl aufgrund ihrer Bedeutung für das Gesamtsystem „Verbauung Lammbach“ als auch aufgrund ihrer Komplexität in Geometrie und bezüglich der Baustoffe wurden zur Untersuchung des Tragverhaltens der Sperre IVa numerische 3D-Berechnungen nach der Methode der Finiten Elemente (FEM) durchgeführt (Abb. 41). In diesen Simulationen wurde versucht die Bauabläufe und Lastfälle möglichst realitätsnah nachzubilden. Andererseits mussten aber auch Vereinfachungen hingenommen werden, damit die Modelle noch handhabbar waren. So wurde z. B. für die Betonplatte und die Betonriegel jeweils eine konstante Dicke von einem Meter im Modell angenommen. Auch musste die Art der Anker auf zwei Typen reduziert werden. In den Berechnungen wurde dem Untergrund ein elastisches Verhalten zugewiesen. Für das Sperrenbauwerk wurde das Bruchgesetz nach Mohr- Coulomb verwendet. Zudem wurde für das Mauerwerk eine Zugspannungsbegrenzung (tension cut-off) eingeführt und deren Größe variiert, um den Einfluss auf das Tragverhalten des Bauwerks zu untersuchen. Das Tragverhalten der Sperre wurde sowohl für den Lastfall „Volleinstau“ als auch für den Lastfall „Überströmung durch Murgang“ untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, dass dem Lastfall „Volleinstau“ eine wesentliche Bedeutung zukommt, da er zu einem großen Teil zu den Verformungen des Systems „Sperre IVa“ beiträgt. Der zusätzliche Beitrag durch einen anschließenden Lastfall „Überströmung durch Murgang“ ist dagegen vergleichsweise gering. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 213 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Abb. 41: 3D-FE-Netz der Sperre IVa bestehend aus 25‘160 3D-Elementen, 49 Ankerelementen. 1‘393 Interface Elementen und 20 Materialien. Die durchgeführten Berechnungen haben ergeben, dass bei einer Mauerwerkskohäsion von 400 kN/ m 2 oder mehr und einem Reibungswinkel von 40° die Standsicherheit sogar noch dann gegeben ist, wenn eine Zugspannungsbegrenzung f t von lediglich 10 kN/ m 2 vorausgesetzt wird. Zwar treten große plastische Zonen am Bauwerk auf, die als lokale Schädigungen des Mauerwerks bzw. lokale Verschiebungen der Mauerwerksteine verstanden werden können, aber die Verformungen insgesamt sind begrenzt. In den Berechnungen haben sich für das Bauwerk Maximalverformungen von kleiner 8 cm ergeben. Im Fall von Volleinstau und Murgangsüberströmung kommen Ankerkräfte zwar nahe an die zulässige Ankerkraft heran, diese wird jedoch nicht überschritten. 7. Schlussfolgerungen Zur Beurteilung der Standsicherheit von Stützbauwerken aus Natursteinmauerwerk werden sowohl die Geometrie der Bauwerke als auch aktuelle Materialeigenschaften benötigt. Oftmals stehen jedoch keine oder nur lückenhafte Planunterlagen zur Verfügung und Informationen zu den Baustoffen, Mauerwerksteine und Mörtel, fehlen ganz. Da Stützbauwerke nur von einer Seite zugänglich sind, ist, wenn keine Pläne vorhanden sind, die Ermittlung der Bauwerksgeometrie oftmals sehr aufwändig. Der Schlankheitsgrad der Mauer und die Querschnittsform der Mauer sind für die Beurteilung der Stand-sicherheit von großer Bedeutung. Während sich die Bauwerkshöhe meist mit ausreichender Genauigkeit direkt messen lässt, gestaltet sich die Ermittlung der Wandstärke bzw. der Querschnittsform meist deutlich aufwändiger. Zerstörungsfreie Messverfahren können bei der Ermittlung der Bauwerksgeometrie hilfreich sein. Es ist dabei jedoch zu beachten, dass ein ausreichender Kontrast zwischen Bauwerk und Hinterfüllung vorhanden sein muss. Messverfahren mit akustischen Wellen sind bei Trockenmauerwerk in der Regel ungeeignet. Mehrfach musste bei Bauwerken festgestellt werden, dass diese aus Trockenmauerwerk bestehen, dessen Fugen nachträglich im Haupt mit Mörtel verfüllt wurden. Die rein visuelle Beurteilung solcher Bauwerke oder Bauwerksteile führt dann zu dem Fehlschluss, dass es sich hierbei um vermörteltes Mauerwerk handelt. In solchen Fällen können auch Messverfahren mit akustischen Wellen keine brauchbaren Ergebnisse liefern. Werden Bohrungen an einem Stützbauwerk ausgeführt, empfiehlt es sich diese Bohrungen auch mit einer Kamera zu befahren. Die Aufnahmen der Kamera geben in der Regel das Verhältnis von Mörtel zu Mauerwerk-steinen besser wieder als der Kerngewinn aus der Bohrung. Auch lässt sich der innere Zusammenhalt des Mauerwerks so besser einschätzen. Die Ermittlung des Anteils und die Positionen von Bindersteinen im Mauerwerk können mit zerstörungs-freien Prüfverfahren ermittelt werden. Sind Planunterlagen von früheren Instandsetzungs-arbeiten vorhanden, so empfiehlt es sich diese Unterlagen kritisch zu hinterfragen. Es kann durchaus vorkommen, dass die durchgeführten Arbeiten signifikant von den vorhandenen Planunterklagen abweichen. Bei einfachen Stützbauwerken aus Natursteinmauer-werk kann die Festigkeit der Steine meist mit ausreichender Genauigkeit mit der Hammerschlag-methode ermittelt werden. Die Methode erlaubt es auch, rasch einen Überblick über eventuelle Schwächezonen im Mauerwerk zu bekommen. Bei der Ermittlung der Steinfestigkeit am Bauwerk mit dem Schmidt-Hammer ist bei einer Umrechnung der Rückprallwerte in Festigkeitswerte auf die Verwendung eines auf den Gesteinstyp abgestimmten Berechnungsansatzes zu achten. Die Ermittlung von Mörtelkennwerten sowohl direkt am Bauwerk als auch an Proben aus dem Bauwerk bleibt problematisch. Zum einen können am Bauwerk nur Partien geprüft werden, die noch in einem guten bis sehr guten Zustand sind und damit in der Regel nicht repräsentativ für das Bauwerk sind. Zum anderen enthalten die Mörtel der alten Bauwerke häufig grobe Zuschlagstoffe, die sowohl bei der Prüfung am Bauwerk als auch im Labor zu unrealistischen Messergebnissen führen können. Wenn der Nachweis der Standsicherheit eines Stützbauwerks mit Hilfe von einfachen 2D-Modellen nicht gelingt, obwohl das Bauwerk seit Jahrzehnten besteht, kann oftmals der Nachweis durch eine dreidimensionale Betrachtung der Lastabtragung erbracht werden. 214 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Hundertjährige Stützbauwerke aus Natursteinmauerwerk - Kriterien zur Beurteilung der Stabilität, forensische Analyse und Untersuchungsmethoden Literatur AYDIN, A. BASU, A.: The Schmidt hammer in rock material characterization, Engineering Geology, 81, 2005 CHAN, Y. 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Verlag Hoch- und Tiefbau, Zürich, 1946 SCHWING, E.: Standsicherheit historischer Stütz-wände, Veröffentlichungen des Institutes für Bodenmechanik und Felsmechanik der Universität Fridericiana in Karlsruhe, Heft 121, 1991 SIA 266/ 2: Natursteinmauerwerk, Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, 2012 SINNIGER, R.: Lammbach Sperre Nr. IVa - Beurteilung der Stabilität, 2000, unveröffentlichter Bericht SUDA, J.; RUDOLF-MIKLAU, F.: Schadmechanismen an Wildbachsperren aus Konstruktionsbeton, Wasser Energie Luft, Heft 1, 2008 WARNECKE, P.: Tragverhalten und Konsolidierung von historischem Natursteinmauerwerk, Dissertation, TU Braunschweig, 1995 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 215 Fugeninstandsetzung Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit bei der Fugenerneuerung von historischem Sichtziegelmauerwerk Hans-Hermann Neumann Bausachverständigenbüro Dr. Neumann, Hamburg Zusammenfassung Ziegelmauerwerk besitzt einen Fugenanteil von ca. 20 %. Erst nach Wiederentdeckung des Sichtziegelmauerwerks zu Beginn des 19. Jahrhunderts tritt die nachträgliche Verfugung des Vormauerwerks in den Vordergrund. Aus technischer Sicht musste die nachträgliche Verfugung aber zusammen mit den Ziegeln/ Klinkern des Vormauerwerks den Wetterschutz bilden. Mit Erfindung des Portlandzementes bestand die Deckfuge ausschließlich aus dem Bindemittel Zement und Gesteinskörnung oder einem hohen Anteil von dieser Bindemittelkomponente. Heute dominieren Wandkonstruktionen den Neubau, die aus einem Hintermauerwerk, Kerndämmung und einer Verblendschale aus Ziegeln oder Klinkern bestehen. Ein Grenzwert für die Wasseraufnahme existiert nicht. Bei einer nachträglichen Verfugung beträgt die minimale Ausräumtiefe 1,5 cm. Die Fugenoberfläche sollte stets bündig mit den Steinoberflächen ausgeführt werden. Dies entspricht den „anerkannten Regeln der Technik“. Als Fugeninstandsetzung von Bestandsbauten mit Ziegelmauerwerk hat sich seit über 30 Jahren die Schlämmverfugung etabliert, ohne Hydrophobierung auch für denkmalgeschützte Bauwerke. Da eine Anwendung bereits für rückgewitterte Fugenoberflächen möglich ist und ansonsten nur geringe Ausräumtiefen erforderlich sind, kann damit eine günstigere Energiebilanz hinsichtlich der Herstellungskosten des Zementes für das Produkt erreicht werden als für die klassischen Fugenmörtel. Der Anwendung sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Die beiden genannten Punkte bilden heute einen wichtigen Aspekt der „anerkannten Regeln der Technik“, so dass deren Anwendung auch der Maßstab bei Fugeninstandsetzungen von historischem oder denkmalgeschütztem Ziegelmauerwerk geworden ist, obwohl hier ursprünglich oft nur eine Ausräumtiefe von ca. 0,5 cm vorlag. Mit den heutigen Regeln für Verblendschalen, wird die erforderliche Schlagregensicherheit für historische Bauwerke oft nicht erreicht. Deshalb sollte durch Modifizierung der Fugenmörtel auf die ursprüngliche Vorgehensweise zurückgegriffen werden. Dies verhindert nicht nur Schäden, sondern spart auch im Sinne der Nachhaltigkeit Zement und damit CO 2 ein. 1. Einleitung Anders als bei Natursteinmauerwerk von historischen Bauwerken besitzt Sichtziegelmauerwerk einen sehr viel größeren Fugenanteil. Dieser beträgt bei Vormauerwerk aus Ziegeln im Normalformat ca. 19 - 20 %. Deshalb soll die Problematik der Fugeninstandsetzung in diesem Beitrag anhand von historischem Ziegelmauerwerk betrachtet werden. An Denkmälern haben Ziegel eine größere Erhaltungspriorität bei der Instandsetzung als Fugen- und Mauermörtel. Mörtel selbst oder die Grenzflächen zum Ziegel oder Klinker dienen in sehr viel stärkerem Maß als Transportwege von ablaufendem Regenwasser in den Mauerwerksquerschnitt hinein als die Ziegel. Die Einbautiefe der Ziegel ist im Mauerwerksquerschnitt durch ihr Format begrenzt, sei es in der Einbauposition als Läufer- oder Kopfstein. Im Vormauerwerk hat der Einbau von Kopfsteinen die Brückenfunktion zum Hintermauerwerk inne, wenn es um die Betrachtung von historischem Massivmauerwerk geht. Aber nicht sämtliche Kopfsteine sind mit dem Hintermauerwerk verbunden, sondern wurden teilweise halbiert. Hier stand dann die visuell wahrnehmbare Ausbildung eines regelmäßigen Verbandmusters (z. B. Kreuzverband) im Vordergrund. Für den Weitertransport von Wasser aus den Poren der Ziegel in den Wandquerschnitt hinein, muss wieder ein Übergang in das Fugennetz stattfinden. Dem können eine Brennhaut auf der Rückseite des Ziegels oder ein fehlender Mauermörtelkontakt entgegenstehen, während der Mörtel ein Netz durchgängiger Leitungsbahnen bildet, lediglich unterbrochen von Fehlstellen bei der Erstellung des Mauerwerks. Bei der Fugeninstandsetzung historischer und denkmalgeschützter Bauwerke lassen sich heute zwei wesentliche Gesichtspunkte in Bezug auf die Nachhaltigkeit nennen. Zum einen geht es um die Erhaltung oder Verbesserung der Funktionsfähigkeit gegenüber äußeren Einflüssen, zum anderen um die Vermeidung hoher CO 2 -Emissionen bei der Produktion von Mörteln. Da die meisten Mörtel für die historischen Gebäude aus Ziegelmauerwerk seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Bindemittel eine Zementkomponente aufweisen oder im Fall der Fugenmörtel Zement oft das einzige Bindemittel darstellt, sind hier zwei Prozesse zu betrachten, einmal der CO 2 -Ausstoß durch den Energieträger zur Herstellung des Zementes und einmal der CO 2 -Verlust der Kalkkomponente in der Rohstoffmischung durch das Brennen. Bei den äu- 216 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Fugeninstandsetzung ßeren Einflüssen ist die Schlagregensicherheit bei dieser Betrachtung der Nachhaltigkeit am wichtigsten. Der Regenschutz darf sich durch die Instandsetzung nicht verringern, sondern sollte etwa dem Zustand angeglichen werden, den das augenscheinlich und messtechnisch intakte Bestandsmauerwerk aufweist, sofern dies nicht von vornherein als technisch problematisch anzusehen ist. Für die Fugeninstandsetzung existieren heute zwei gängige Methoden. Liegt eine Rückwitterung von wenigen Millimetern in den Fugen vor, die zu einer verstärkten Wasseraufnahme führt, so hat sich die Schlämmverfugung in vielen Fällen inzwischen als praktikable Instandsetzungsmethode etabliert. Dabei erfolgen nach der Reinigung zunächst eine Flächenhydrophobierung und dann die Applikation der Fugenschlämme. Nach dem Entfernen von Schlämmeresten von den Ziegel- oder Klinkeroberflächen wird nochmals eine flächendeckende Hydrophobierung aufgetragen. An Denkmälern sollten aus denkmalpflegerischer Sicht jedoch keine Hydrophobierungsmittel eingesetzt werden, so dass nur die Fugenschlämme selbst zum Einsatz kommt. Sind stärkere Fugenschäden vorhanden, so kommen für die Fugeninstandsetzung von denkmalgeschütztem Sichtziegelmauerwerk die Anforderungen, wie sie im Neubaubereich für eine nachträgliche Verfugung existieren, zum Tragen. Das bedeutet eine Mindestausräum- und Einbautiefe des neuen Fugenmörtels von 1,5 cm. Der maximale Grenzwert für Verblendschalen im Neubau lässt sich nicht auf Denkmäler anwenden, da dieser aus der Dicke der Verblendschale errechnet wird. Die festgelegten Bedingungen aus dem Neubaubereich entsprechen den „allgemein anerkannten Regeln der Technik“. Ein weiteres Kriterium sind oft ästhetische Ansprüche. In der Regel liegt bei historischem Ziegelmauerwerk ein Fugenglattstrich mit dem Fugeisen vor. Ist diese Oberflächenform noch auf wetterabgewandten Gebäudeseiten erhalten, wünschen der Bauherr und/ oder die zuständigen Mitarbeiter der Denkmalpflegebehörde zumeist die gleiche Oberflächenstruktur im Zuge einer Fugeninstandsetzung. Dieses Ergebnis lässt sich nicht mit einer Fugenschlämme erzielen. Dieser Beitrag soll die Möglichkeiten und Grenzen, des Einsatzes von Fugenschlämmen in der praktischen Anwendung aufzeigen, denn es handelt sich bereits um eine Möglichkeit den CO 2 -Ausstoß zu verringern, einfach weil weniger Zement infolge der geringeren Instandsetzungstiefe der Fugen eingesetzt wird. Der andere, bisher weniger bekannte oder beachtete Ansatz einer Fugeninstandsetzung an denkmalgeschütztem Ziegelmauerwerk orientiert sich an dem historischen Vorbild und den möglichen und häufig auch nachgewiesenen Schäden bei einer Übertragung der Anforderungen aus dem Neubaubereich. Technisch äußert sich dies gegenüber dem noch intakten Original auf wetterabgewandten Seiten in einer sehr viel höheren zeitabhängigen Wasseraufnahme. Dabei spielt die Verarbeitung eine große Rolle. Angeregt werden soll ein fachliches Nachdenken bei Herstellern und allen an der Instandsetzung Beteiligten über ein Abweichen von den heute gängigen Vorgaben, mit dem Ziel nicht nur zu einer Verringerung des CO 2 -Ausstoßes bei der Produktion von Zement durch den geringeren Verbrauch bei der Instandsetzung zu gelangen, sondern auch zu einer besseren Angleichung in den technischen Eigenschaften an den intakten Originalbestand, explizit in Bezug auf die zeitabhängige Wasseraufnahme, durch Verringerung der Instandsetzungstiefe. 2. Die Schlämmverfugung 2.1 Vorbemerkungen Wenn eine Schlämmverfugung als Instandsetzungsmaßnahme des Fugennetzes für denkmalgeschütztes Ziegelmauerwerk die beste Methode darstellt, dann darf weder vorher noch nachher eine Flächenhydrophobierung eingesetzt werden. Die Rahmenbedingungen für die Anwendung von Hydrophobierungen gibt das WTA-Merkblatt 3/ 17 (Ausgabe. 08/ 2009) als eine Art Leitfaden vor. Das Merkblatt gilt auch für historisches Ziegelmauerwerk, wobei der Einfluss der Brennhaut noch nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Auf die Problematik von Hydrophobierungen an Ziegelmauerwerk weist Neumann (2010) hin. In der Vergangenheit enthielten die Fugenschlämmen selbst zumeist kein Hydrophobierungsmittel. Inzwischen gibt der Marktführer für Fugenschlämmen zur Instandsetzung von Bestandsbauten aus Ziegeln in seinem technischen Merkblatt einen Wasseraufnahmekoeffizienten von < 0,1 kg/ m 2 h 0,5 an. Das bedeutet, dass die Schlämme stark wasserabweisend wirkt und demzufolge werkseitig ein Hydrophobierungsmittel zugefügt worden sein muss. Deshalb ist bei einem geplanten Einsatz am denkmalgeschützten Bauwerk stets darauf zu achten, dass die Fugenschlämme werkseitig kein Hydrophierungsmittel enthält. 2.2 Erfolgreiche Anwendung bei Vormauerwerk mit Lochverblendziegeln Der erfolgreiche Einsatz am Denkmal soll nachfolgend an Beispielen erläutert werden. Vormauerwerk aus Lochverblendziegeln weist im Originalzustand sehr geringe Fugenhöhen und -breiten auf. Diese reichen von ca. 0,5 bis 0,8 mm. Das erschwert eine Fugeisenverfugung, auch wenn diese nicht unmöglich ist. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 217 Fugeninstandsetzung Abb. 1: Zerstörungsfreie Messung der Wasseraufnahme mittels Wasseraufnahme-Prüfplatte nach Franke. Kirche Hamburg-Moorburg Voruntersuchungen an der Kirche in Hamburg-Moorburg (Turminstandsetzung) ergaben eine sehr hohe zeitabhängige Wasseraufnahme des Verbundes, welche mit der Wasseraufnahme-Prüfplatte nach Franke untersucht wurde. Abb. 1 zeigt beispielhaft die Messungen. Die Wasseraufnahme der Lochverblendziegel war gemäß der Messung mit dem Wassereindringprüfer nach Karsten aufgrund der gleichmäßigen und wenig porösen Brennhaut erwartungsgemäß sehr gering und bleibt bei der Darstellung der Wasseraufnahmegehalte in Abb. 2 unberücksichtigt. Auf andere Schäden wird an diesem Beitrag nicht eingegangen. Abb. 2: Ergebnisse der der zerstörungsfreien Prüfung der Wasseraufnahme. Die zeitabhängige Wasseraufnahme variiert sehr stark. Durchführung mittels der Wasseraufnahme-Prüfplatte nach Franke. Hohe Wasseraufnahmewerte treten offensichtlich in Zusammenhang mit Fehlstellen im Fugenmörtel auf, die in Löcher im Mauermörtel übergehen können. Ein Beispiel mit Löchern im Fugenmörtel gibt Abb. 3 wieder. Aber selbst bei rückgewitterter Oberfläche, wie sie in dem Bild sichtbar ist, konnte eine relativ hohe Wasseraufnahme mit der Franke-Platte festgestellt werden. Ursächlich ist die Bindemittelauflösung rund um die Zuschlagkörner, wie es die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme (Abb. 4) bestätigt. Abb. 3: Löchrige Verwitterung des sehr dünnen Fugenmörtels. Aber auch die ansonsten intakt erscheinende, lediglich zurück gewittere Oberfläche ist bereits stark geschädigt. Abb. 4: Rasterelektronenmikroskopische Aufsicht aus dem makroskopisch intakt erscheinenden Bereich der Mörteloberfläche. Das Bindemittel ist stark angelöst und hat sich von den Zuschlagkörnern gelöst. Aufnahme im Rückstreuelektronenmodus. Für eine erfolgreiche Instandsetzung durch das Einbringen der Fugenschlämme in die Fuge mit einem Reibebrett und das Abziehen mit dem Abziehbrett reicht oft schon eine Rückwitterungstiefe von ca. 2 mm aus. Ohne zusätzliche Flächenhydrophobierung kann es jedoch erforderlich sein, die Fugen zu vertiefen. Eine Tiefe von 4 mm ergibt erfahrungsgemäß gute Ergebnisse. Nach Herstellerangaben stellt 10 mm die Maximaltiefe dar. Bei dem Aufschneiden der Fugen können sich insbesondere in den Stoßfugen Fehlstellen öffnen (Abb. 5). 218 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Fugeninstandsetzung Abb. 5: Bei Lochverblendziegeln ausgeschnittene Fugen. In den Stoßfugen lassen sich häufig Fehlstellen feststellen. Es handelt sich dabei zumeist um primäre Lücken durch unvollständige Füllung der Stoßfugen mit Mörtel bei dem Versetzen der Steine. Diese müssen vor der flächendeckenden Verschlämmung gefüllt werden, z. B. mit kartuschengängigem Mörtel (ausreichende Plastizität), wie es Abb. 6 nachvollziehbar darstellt. Abb. 6: Auffüllung von Stoßfugen mit Kartuschenmörtel vor der Schlämmverfugung. Manche Hersteller bieten auch ein Produkt an, welches mit der Fugenschlämme mischbar ist und der „Unterfütterung“ dient. Es handelt sich dabei in der Regel um Quarzsand der gröber als die Körnung der Fugenschlämme ist und in vorgegebenem Verhältnis untergemischt wird. Nach Fertigstellung und Reinigung kann mit einer Schlämmverfugung ein Fugenbild wie in Abb. 7 entstehen. Abb. 7: Mit eine Fugenschlämme fertiggestellte Oberfläche. Ausschnitt aus einer Ziegelfassade mit Lochverblendziegeln. Bevor eine solche Verfugung durchgeführt wird, sind entsprechende objektspezifische Voruntersuchungen durchzuführen. In diesem Fall wurden begleitend die Feuchteparameter bestimmt und der Mörtel untersucht. Die Ziegel lassen nur geringe Feuchtegehalte und demzufolge einen niedrigen Durchfeuchtungsgrad erkennen. Demgegenüber steigt der Durchfeuchtungsgrad im Setzmörtel und dem Mörtel hinter den Vormauersteinen stark an (Abb. 8a/ b). Abb. 8a: Feuchteparameter von der Turmwand der Kirche in Moorburg. Die Lochverblendziegel selbst weisen nur geringe Feuchtegehalte auf. Der Mauermörtel dazwischen und der Verfüllmörtel dahinter umso größere, obwohl die maximale Wasseraufnahme unter Atmosphärendruck (Sättigungsfeuchte) nur wenig variiert. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 219 Fugeninstandsetzung Abb. 8b: Berechneter Durchfeuchtungsgrad. Indirekt lässt sich daraus auf eine starke Durchfeuchtung über das Fugennetz schließen. Dies drückt sich auch in Veränderungen im Gefüge in Form von Auflösungen und Mineralneubildungen aus. Säume aus Calcitkristallen an den Fugenrändern und in großen Poren weisen auf einen starken Wasserdurchgang hin (Abb. 9). Abb. 9: Aufgrund des großen Wassertransportes über das Fugennetz haben sich bereits Calcitsäume in größeren Poren gebildet. Lange Bildkante: 1 mm. Teilgekreuzte Polarisatoren. Zudem hat sich sekundärer Ettringit gebildet, erkennbar an den Kristallen in der Pore, die einen nadeligen Filz bilden (Abb. 10). Abb. 10: Außerdem hat sich sekundärer Ettringit in den Poren gebildet. Erkennbar an dem nadeligen Filz. Lange Bildkante: 1 mm. Parallele Polarisatoren. Zudem sollte stets mindestens eine Musterfläche angelegt werden, um zu prüfen, ob eine Schlämmverfugung geeignet ist oder eine andere Art von Fugeninstandsetzung gewählt werden muss. 2.3 Missglückte Schlämmverfugung Herstellerseitig wird oft bereits darauf hingewiesen, dass eine Schlämmverfugung für Ziegel mit strukturierter oder besandeter Oberfläche ungeeignet ist. Eine Fehleinschätzung kann eintreten, wenn weder Voruntersuchungen durchgeführt noch Musterflächen angelegt wurden. Bei der Mauerwerksoberfläche in Abb. 11 könnten Zweifel aufkommen, ob eine Schlämmverfugung sinnvoll durchführbar wäre. Abb. 11: Verschmutztes Mauerwerk mit leichter Strukturierung der Ziegeloberfläche. Spätestens nach der ersten Reinigung (Abb. 12), die für die geringe Ziegelfestigkeit bereits zu stark war, hätten Zweifel an der Eignung aufkommen müssen. Die Reinigung war der erste Schritt bei der Instandsetzung. Bei augenscheinlich intakten Fugen wurde keine Schlämmverfugung durchgeführt, sondern nur auf der stärker der Bewitterung ausgesetzten Gebäudeseite. 220 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Fugeninstandsetzung Abb. 12: Mauerwerksausschnitt von dem gleichen Bauwerk wie in Abb. 11. Nach der Reinigung. Verlust der Brennhaut durch falsche Reinigungsparameter. Das Resultat für eine misslungene Instandsetzung eines ganzen Fassadenabschnittes mit einer Fugenschlämme gibt Abb. 13 wieder. Die nachträgliche Reinigung mit einem kombiniertem Wasser-/ Partikelstrahlverfahren führte auch nicht zu einem ausreichenden Abtrag der hellgrauen Fugenschlämme auf den Ziegeloberflächen. Stattdessen vergrößerte sich offensichtlich die Schädigung der Ziegeloberflächen durch den zusätzlichen Oberflächenabtrag. Abb. 13: Misslungene Schlämmverfugung bei einer dafür ungeeigneten Fassade. Aufgrund der nicht ausreichend durchführbaren Nachreinigung, wurde die Oberfläche sogar mit einer Flex mit diamantbesetzter Topfscheibe nachbearbeitet, mit dem Resultat einer völligen Zerstörung der erhaltenswerten Oberfläche dieses Denkmals (Abb. 14)! Abb. 14: Da sich die Fugenschlämme nicht mehr durch die Reinigung entfernen ließ, hat man selektiv bestimmte Areale mit einer Flex mit diamantbesetzter Topfscheibe abgeschliffen. Noch erkennbar an den Schleifspuren auf dem Ziegel in der Bildmitte. 3. Die Instandsetzung mit dem Fugeisen- oder Kellenmörtel 3.1 Die übliche Vorgehensweise Bei der Instandsetzung von Vormauerwerk aus Ziegeln oder Klinkern mit strukturierter Oberfläche lässt sich keine Schlämmverfugung mit ästhetisch akzeptablem Resultat durchführen, wie ein Ausschnitt aus einer Musterfläche zeigt (Abb. 15). Stattdessen wird die Instandsetzung mittels Kellenfugenmörtel und einer Mindestausräumtiefe von 1,5 cm vorgezogen, nicht selten mit fatalen Folgen für die zeitabhängige Wasseraufnahme. Abb. 15: Für eine Schlämmverfugung ungeeignete Oberfläche, wie sich anhand einer Musterfläche feststellen ließ. 3.2 Mögliche negative Folgen bei der Fugeninstandsetzung mit Ausräumtiefen von mindestens 1,5 cm Besonders schwierig erweist sich häufig die Fugeninstandsetzung von Gebäuden mit einem Vormauerwerk aus dunkelroten Klinkern, die zumeist in den 1920er und 1930er Jahren entstanden sind. Ein denkmalgerechtes 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 221 Fugeninstandsetzung Fugenausräumen mit mittigem Entlastungsschnitt durch eine Flex und weiteres Entfernen des Fugenmörtels mit Hammer und Meißel, wie es von Seiten der Denkmalpflege allgemein favorisiert wird, lässt sich aufgrund der Härte des Fugenmörtels kaum durchführen. Dies geht oft einher mit Kantenabplatzungen an den Klinkern. Deshalb erfolgt das Entfernen des Fugenmörtels mit der Flex mit diamantbesetzter Trennscheibe im Ober- und Unterschnitt entlang der Klinkerränder. Alternativ wird eine Flex mit dicker Trennscheibe oder zwei Trennscheiben verwendet. Auf diese Weise kommt es zum Materialverlust am Klinkerrand. Die Fugenbreite und -höhe vergrößert sich. Das schränkt die Möglichkeiten für erneute Fugeninstandsetzungen stark ein. Der Fugenmörtel muss bei einer Ausräumtiefe in zwei Arbeitsgängen eingebracht werden. Das sehen auch die technischen Merkblätter der Hersteller von dafür verwendeten Mörteln vor. Ein Beispiel für die Fugenerneuerung an Mauerwerk aus dunkelroten Klinkern gibt das Übersichtsfoto Abb. 16 von dem oberen Teil einer Schule in Hamburg wieder. Deutlich sichtbar in der Aufnahme ist der originale Altbestand von Fugen anhand des dunkleren Farbtons in der linken oberen Bildecke. Abb. 16: Fugeninstandsetzung an einer Schule mit der üblichen Ausräumtiefe von 1,5 cm. Oben links liegen noch die Bestandsfugen vor, die sich dunkler abzeichnen. Die Detailaufnahme Abb. 17 zeigt augenscheinlich eine gute handwerkliche Verarbeitung des Fugenmörtels mit dem Fugeisenabdruck an der Oberfläche. Auch lassen sich keine Fugenflankenabrisse feststellen. Dennoch traten nach relativ kurzer Standzeit Schäden an den Innenseiten der Fensterleibungen im oberen Gebäudeteil der Westseite auf, die vor der Fugeninstandsetzung nicht vorhanden waren. Abb. 17: Ausschnitt aus dem instandgesetzten Mauerwerk aus Abb. 16. Die handwerkliche Fugenausbildung ist augenscheinlich nicht zu beanstanden. Die Fugenhöhe und -breite hat sich im Rahmen der Instandsetzung vergrößert. Obgleich die Pfeiler zwischen den Fenstern zum Hintermauerwerk einen Luftspalt aufweisen, konnte über das Fugennetz aufgenommenes Regenwasser im Bereich der durchgemauerten Leibungen nach innen gelangen, den Gipsspachtel auf dem Putz lösen und durch Rekristallisation direkt unter den dichten Farbschichtauf bau zu Blasenbildungen und Gipsausblühungen führen (Abb. 18). Abb. 18: Erst nach der Fugeninstandsetzung entstandener Schaden auf der raumseitigen Leibung infolge von Regenwasser, welches über die Fugen in das Mauerwerk eingedrungen ist. 222 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Fugeninstandsetzung Wie an vielen anderen Gebäuden mit vergleichbarer Außenhülle, lag keine ausreichende Verdichtung des Fugenmörtels mit der Tiefe vor. Obwohl von außen mit bloßem Auge kein Abriss sichtbar war, konnte mikroskopisch eine schlechte Anhaftung an den Klinkerflanken mit einer erhöhten Porosität festgestellt werden. Insgesamt nahm die Porosität nach hinten deutlich zu. Ein typisches Beispiel eines petrographischen Dünnschliffs als Querschnitt von einer Lagerfuge mit anhaftendem Klinker von einer anderen Schule mit vergleichbarem Vormauerwerk gibt Abb. 19 zum Verständnis dieses Gefüges wieder. Auch wenn außen eine Anbindung an die Fugenflanken durch das „Einbügeln“ mit dem Fugeisen entstanden ist, so reicht diese maximal 1 mm in den Fugenquerschnitt hinein. Danach liegt kein oder nur punktuell ein Kontakt zu den Klinkern vor. Abb. 19: Petrographischer Dünnschliff von einer Lagerfuge im Klinkermauerwerk nach der Instandsetzung. Die Verdichtung des Fugenmörtels nimmt mit zunehmender Tiefe ab. Nur ganz vorn liegt über eine Tiefe von ca. 1 mm eine Anhaftung an die Klinker vor. Ansonsten lassen sich an den Fugenflanken nur wenige Punktkontakte zu den Klinkerkanten feststellen. Außenseite: rechts. Lange Bildkante: 32 mm. Parallele Polarisatoren. Dies verdeutlicht die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme (Abb. 20) von der Aufsicht auf die von dem Klinker abgelöste Fugenmörteloberseite des zuvor beschriebenen Beispiels. Nur die flachgedrückte Stelle links unterhalb der Bildmitte hatte Kontakt zum Klinker. Dementsprechend war die zeitabhängige Wasseraufnahme, bestimmt mit der Wasseraufnahme-Prüfplatte nach Franke, sehr hoch und erklärt die Schadensursache. Im Sommer können auf den dunkelroten Klinkeroberflächen Temperaturen bis 80°C entstehen, mit der Folge, dass durch thermische Dehnung und Kontraktion auch an der Vorderseite des Fugenmörtels sich mit zunehmender Zeitdauer weitere Abrisse bilden und die Poren des Fugenquerschnitt und -randes für ablaufendes Regenwasser noch besser zugänglich machen. Abb. 20: Aufsicht auf die Kontaktfläche des Fugenmörtels zum Klinker. Lediglich die Fläche links unterhalb der Bildmitte stellt einen Kontaktpunkt zum Klinker dar. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme im Rückstreuelektronenmodus. 3.3 Funktion des Vormauerwerks als alleiniger Wetterschutz Bei sehr vielen denkmalgeschützten Bauwerken, die im Zuge der industriellen Revolution im letzten Drittel des 19 Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre entstanden sind, lässt sich ein Wandauf bau aus Vor- und Hintermauerwerk differenzieren. Das Vormauerwerk ist mit dem Hintermauerwerk in unterschiedlicher Weise verzahnt. Da beispielsweise durch die damals neuen Produktionstechniken oft sehr hochwertige und maßhaltige Ziegel und Klinker mit definierten Eigenschaften hergestellt werden konnten, wurden diese überregional eingekauft und durch die neuen Verkehrsmittel (Eisenbahnen und Binnenschifffahrt) zur Baustelle transportiert, während einfache porösere, in den Eigenschaften stark variierende Hintermauerziegel in der Nähe der Baustelle produziert wurden. Neue Baumaterialien wie Eisenträger wurden in Stürze direkt hinter dem Vormauerwerk eingebaut oder fungierten als Deckenträger mit Einbindung in das Hintermauerwerk. Analog kamen Stahlbetonträger, -stützen und -unterzüge zum Einsatz. Das Hintermauerwerk selbst wurde in sehr unterschiedlicher handwerklicher Qualität hergestellt. Es können auch viele Fehlstellen im Mörtel auftreten. Deshalb muss der Verbund aus Ziegeln/ Klinkern und Fugenmörtel den Schlagregenschutz sicherstellen. Besonders hoch müssen also die Anforderungen bezüglich des Feuchteschutzes an den Verbund aus dunkelroten Hartbrandklinkern und Fugenmörtel sein. Gelangt ablaufendes Regenwasser über die Fugen hinter die Klinker, kann es bei der Trocknung nur über den Umweg der Fugen wieder austrocknen, da die Klinker aufgrund ihrer glasigen Matrix nur wenig Wasser kapillar passieren lassen. Auf diese Weise kann es zu einer Auffeuchtung hinter den Klinkern kommen. Erhöhte Feuchtegehalte führen zur Korrosion von Eisenträgern oder Durchfeuchtungen von Räumen mit der Folge von Schimmelpilzwachstum oder Salzschäden im Putz oder der Beschichtung. Ein Bei- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 223 Fugeninstandsetzung spiel von dieser Art von Wandauf bau mit einem korrodierten Sturzträger aus Eisen zeigt die Sondierungsöffnung in Abb. 21. Abb. 21: Sondierungsöffnung im Mauerwerk mit dunkelroten Klinkern. Der Verbund aus den Klinkern und dem Fugenmörtel stellt den einzigen Schlagregenschutz dar. Ist dieser nicht mehr intakt, kommt es zur Korrosion von Eisenträgern. 3.4 Lernen aus dem historischen Befund Der ursprüngliche Fugenmörtel reichte zumeist gar nicht bis in eine Tiefe von 1,5 cm in die Fuge hinein. Das konnte nicht nur bei Bauwerken mit einer Außenhülle aus Hartbrandklinkern festgestellt werden, sondern betrifft sehr viele, wenn nicht gar sämtliche Bauwerke mit diesem Mauerwerksauf bau. Durch die Mischung der Mörtel vor Ort, konnten durch Variation der Bindemittelkomponenten Kalkhydrat und Zement sowie der Gesteinskörnung Mörtel mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften hergestellt werden. Dies lässt sich sehr gut anhand eines petrographischen Dünnschliffes nachvollziehen (Abb. 22). Der Fugenmörtel weist im Vergleich zum Mauermörtel einen sehr hohen Bindemittelanteil auf. Die Gesteinskörner (fast ausschließlich Quarz) „schwimmen“ in der Bindemittelgrundmasse. Das Bindemittel besteht nahezu ausschließlich aus Zement, wie eine chemische Mörtelanalyse bestätigte. Abb. 22: Beispiel für einen zementreichen Fugenmörtel (petrographischer Dünnschliff), der zur Abdichtung der Fuge diente. Außenseite: rechts. Lange Bildkante: 36 mm. Parallele Polarisatoren. In der Fugenmitte besitzt der Fugenmörtel eine Dicke von ca. 5,1 mm und am Rand von ca. 2,4 mm. Nach dem Aufmauern wurde der noch nicht vollständig erhärtete Mauermörtel an der Oberfläche mit einem Rundholz oder Fugeisen ausgekratzt und anschließend der Fugenmörtel fest „eingebügelt“. Polarisationsmikroskopisch sichtbare Poren (Makroporen) sind nicht vorhanden. An diesem Beispiel wird besonders deutlich, dass der Fugenmörtel wie eine Art Sperrmörtel als Abdichtung für die Fugen diente, um einen ausreichenden Schlagregenschutz zu gewährleisten. Durch die geringe Dicke ist auch die Gefahr einer Bildung von Schwindrissen geringer. Sicherlich hängt diese Vorgehensweise auch mit dem damals hohen Preis von Zement zusammen, so dass nur so viel wie notwendig war verarbeitet wurde. 3.5 Musterflächen mit geringerer Ausräumtiefe Erste Musterflächen wurden nach dem beschriebenen Konzept an einem instandzusetzenden denkmalgeschützten Bauwerk erstellt. Der noch am besten erhaltene Bestandsmörtel der Nordseite des Bauwerks diente als Vorbild für das gewünschte Erscheinungsbild, von dem Abb. 23 einen Eindruck vermittelt. Erkennbar ist noch der Fugeisenabdruck. Die Fugenoberfläche liegt ca. 2 mm tiefer als die Klinkeroberfläche. Hergestellt wurden verschiedene Musterflächen, von denen die mit einer Schlämmverfugung ausschieden und nachfolgend nicht weiter berücksichtigt werden. Abb. 23: Augenscheinlich intaktes Altmauerwerk auf der Nordseite des Gebäudes als Vorbild für die neu herzustellen den Fugen in den anderen Fassadenbereichen. Verwendet wurde ein marktüblicher Werktrockenmörtel für die Fugeninstandsetzung mit einem Bindemittel aus Zement und Kalkhydrat, der werkseitig porenhydrophob ausgestattet werden kann. Das entspricht dann keiner mehrfachen Flächenhydrophobierung wie bei dem üblichen Verfahren zur Ziegelschlämmverfugung. Vor Ort kann dem Mörtel eine Kunstharzdispersion zur Verbesserung der Fugenflankenhaftung zugegeben werden. Der 224 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Fugeninstandsetzung Fugenmörtel wird mit dem Fugeisen verdichtet. Der Vergleich besteht in der Kontrolle der Wasseraufnahme des Verbundes mit einer Ausräumtiefe von ca. 1,5 cm und ca. 0,8 cm. Da die zeitabhängig bestimmte Wasseraufnahme mit der Franke-Platte zwischen 136 und 422 ml in 15 Minuten lag und damit für das vorgegebene Mauerwerk viel zu hoch war, wurde mit der porenhydrophoben Variante mit zusätzlicher Kunstharzzugabe gearbeitet. Bei der Variante von Musterfläche 2 wurden die Fugen ca. 1,5 cm Tiefe ausgeräumt, bei der von Musterfläche 3 mit ein Fugentiefe von bis zu 0,8 cm. Traten im freigelegten Fugengrund noch Reste von den Fugenmörtel auf, wie es Abb. 24 beispielhaft wiedergibt, wurden diese noch entfernt, um eine mögliche Trennlage zwischen neuem Fugenmörtel und originalem Mauermörtel zu vermeiden. Abb. 24: Auf ca. 0,8 cm Tiefe ausgeräumte Fugen der Musterfläche 3 mit geringer Ausräumtiefe. Reste des alten Fugenmörtels, z. B. in der Stoßfuge unterhalb der Bildmitte, sind noch zu entfernen. Zudem sind die Löcher im Verbund vor der Neuverfugung mit einem Kartuschenmörtel zu verschließen. Abb. 25 zeigt das Bild einer fertiggestellten Fugenoberfläche im zweiten Ansatz, nachdem der ausführende Betrieb gewechselt wurde, da die ersten Musterflächen optisch unzureichend waren. Abb. 25: Neu hergstellte Musterfläche mit geringer Ausräumtiefe. Der Vergleich der Messwerte (Abb. 26) von den beiden Musterflächen mit dem Bestand lassen erkennen, dass bei einer Ausräumtiefe von nur 0,8 cm einen geringere Wasseraufnahme resultiert als bei der Musterfläche mit einer Ausräumtiefe von 1,5 cm, welche sogar mit einer Messung noch den Maximalwert der Wasseraufnahme des Bestandes übersteigt. Die Bestandsmessungen erfolgten in Lücken zwischen den Musterflächen, die bewusst für den Vergleich bestehen bleiben sollten. Die geringere Wasseraufnahme der Musterfläche mit der geringeren Ausräumtiefe, wird auf die bessere Verdichtung des Fugenmörtels zurückgeführt. Abb. 26: Vergleich der zeitabhängigen Wasseraufnahme des originalen Verbundes (blau) mit den 1,5 cm tief ausgeräumten Fugen (rot) und der 0,8 cm tiefen Neuverfugung (grün). 4. Schlussfolgerungen Hinsichtlich der Fugenerneuerung mittels Schlämmverfahren sind für glatte Ziegeloberflächen von Denkmälern ohne zusätzliche Flächenhydrophobierung gute Resultate zu erzielen. Das betrifft sowohl das optische Erscheinungsbild als auch die Wasseraufnahme. Manchmal kann die Reinigung nach dem Abwaschen der Schlämme von den Ziegeln aber auch einen Grauschleier auf der Ziegeloberfläche hinterlassen. Dies erfordert dann eine nochmalige Reinigung mit einem geeigneten Strahlverfahren (z. B. JOS oder Rotec) oder Heißdampf. Bei strukturierten Oberflächen sind dieser Instandsetzungsart enge Grenzen gesetzt. Dort wo es funktioniert, kann es auch 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 225 Fugeninstandsetzung als nachhaltig im Hinblick auf einen geringeren CO 2 -Ausstoß bei der Produktion von Zement angesehen werden, da ansonsten eine Fugeninstandsetzung mit einem Ausräumen der Fugen mit mindestens 1,5 cm Tiefe zu erwarten wäre, wodurch sich der Zementverbrauch erhöht und zu einer schlechteren Energiebilanz führt. Wenn sich am Bauwerk herausstellt, dass der Originalmörtel nur bis in eine Tiefe von 0,5 cm oder geringfügig tiefer reicht, so lässt sich auch hier Fugenmörtel einsparen und damit die Energiebilanz verbessern. Der Einspareffekt kann etwa 50 % betragen, da das Schließen von Fehlstellen als Mehrverbrauch unter dem Fugenmörtel zu berücksichtigen ist und deshalb nicht von einer Verringerung um zwei Drittel bei der Reduzierung der Fugentiefe von 1,5 cm auf 0,5 cm ausgegangen werden kann. Auch bei einer Ausräumtiefe von ca. 1,5 cm Tiefe sind Fehlstellen vor der Neuverfugung aufzufüllen, wird erfahrungsgemäß aber häufig nicht durchgeführt. Müssen ältere Ausbesserungen auch durch neuen Fugenmörtel ersetzt werden, die aber bis in eine Tiefe von ca. 1,5 cm reichen, dann sollten diese vollständig entfernt werden und erneuert werden. Dies kann ein unterschiedliches Vorgehen an einem Objekt bedeuten und lässt sich vorab schwer abschätzen. Die Fugeninstandsetzung muss integraler Bestandteil von objektspezifischen Voruntersuchungen sein, denn ansonsten wäre letztlich kein Anforderungsprofil für den neuen Fugenmörtel erstellbar. Stets sollten dann auch Musterflächen angelegt werden, um von verschiedenen geeigneten Möglichkeiten, die unter technischen und ästhetischen Gesichtspunkten die beste Möglichkeit auswählen zu können. Die Musterflächen müssen sorgfältig angelegt werden und als Vorbild für die spätere Ausführung dienen. Ganz wichtig ist es eine ausreichende Vorlaufzeit für die Erstellung und messtechnische Bewertung von Musterflächen einzuplanen. 5. Ausblick Die neben der Schlämmverfugung beschriebene Vorgehensweise einer Fugeisenverfugung mit einer geringeren Ausräumtiefe verspricht bessere technische Eigenschaften im Sinne eines besseren Schlagregenschutzes und durch den geringeren Verbrauch eine bessere Energiebilanz. Da viele historische Bauwerke existieren, bei denen der Fugenmörtel vor allem der Abdichtung des Mauermörtels nach außen diente, um im Verbund mit den Ziegeln/ Klinkern den Wetterschutz zu bilden, kann dies Vorbild und Anspruch zugleich sein. Zum einen weisen die ursprünglichen Fugenmörtel kein Hydrophobierungsmittel auf und trotzdem ist die Wasseraufnahme bei intaktem Verbund gering. Zum anderen war der Mauermörtel bei dem Einbringen des Fugenmörtels in der Bauphase sicherlich noch ausreichend feucht, so dass dieser dem Fugenmörtel nicht sämtliches Wasser für die Erhärtung entzog. Dies kann eine Anpassung der heute markgängigen Fugenmörtel für diese Vorgehensweise an Denkmälern nach sich ziehen. Eine Modifizierung könnte z. B. durch Zusatzmittel erreicht werden, die das Wasserrückhaltevermögen erhöhen. Das erspart natürlich nicht eine fachgerechte Verarbeitung. Für die Anwendung der Schlämmverfugung für Denkmäler wäre es sinnvoll vor der Applikation einen entfernbaren Belag auf die Ziegeloberflächen auftragen zu können. Dies kann dazu beitragen einen Grauschleier allen mit einer Heißdampfreinigung zu entfernen ohne den Einsatz von Chemie oder Partikelstrahlverfahren. Nicht zuletzt ist die Qualität jeder Fugeninstandsetzung von der Qualifikation der Mitarbeiter der ausführende Firma abhängig. Nach den eigenen Erfahrungen am Bauwerk gibt es hier noch Bedarf an Weiterbildung. Wichtig wäre auch eine rechtzeitige Einbindung in die Instandsetzungsphase. Literatur Neumann, H.-H. (2010): Hydrophobierung: „Fluch oder Segen“ Eine kritische Auseinandersetzung. - 212 - 221, Backstein Baukunst Bd. 3, Monumente Publikationen WTA-Merkblatt 3-17 (Ausgabe: 06.2010/ D): Hydrophobierende Imprägnierung von mineralischen Baustoffen. - 18 S., Fraunhofer IRB-Verlag Schadstoffe/ Gefahrstoffe 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 229 Reaktionsharze - Maßnahmen zum sicheren Umgang bei der Sanierung von Bauwerken Dr. Klaus Kersting Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Berlin Zusammenfassung Reaktionsharze zeichnen sich durch ausgezeichnete technische Eigenschaften aus und werden häufig für die Sanierung von Bauwerken verwendet. Bei diesen Arbeiten besteht für den Verarbeiter aufgrund der sensibilisierenden Inhaltsstoffe das Risiko einer schweren Hauterkrankung bzw. Atemwegserkrankung. Für Epoxidharze sind in Zusammenarbeit von Herstellern, Anwendern und Behörden Hilfsmittel erarbeitet worden, die die Auswahl weniger gefährlicher Produkte erleichtern und konkrete Schutzmaßnahmen beschreiben. Bei der Verarbeitung von Isocyanaten besteht aufgrund des Eintrags 74 des Anhangs XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/ 2006 eine Schulungsverpflichtung für die Anwender. Den Anwendern von Reaktionsharzsystemen werden u. a. durch das Programm WINGIS Hilfestellungen bei der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung der Beschäftigten zur Verfügung gestellt sowie die notwendigen Schutzmaßnahmen konkret benannt. 1. Einführung Produkte auf der Basis von Reaktionsharzen zeichnen sich durch herausragende technische Eigenschaften aus. Die Verarbeitung dieser Produkte bedeutet aber auch den Umgang mit nicht ausgehärten Reaktionsharz-Inhaltsstoffen und damit die Gefahr einer allergischen Hauterkrankung bzw. Atemwegserkrankung. In der Bauwirtschaft sind Epoxidharze einer der häufigsten Auslöser allergischer Hauterkrankungen. Das in der Gefahrstoffverordnung geforderte Substitutionsgebot ist bei der Sanierung von Bauwerken häufig nicht möglich, da weniger gefährliche Produkte nur im begrenzten Maße zur Verfügung stehen. Allerdings bergen nicht alle Reaktionsharze das gleiche Sensibilisierungsrisiko für den Verarbeiter. Da aber auch bei diesen ‚Ersatzprodukten‘ weiterhin die Gefahr einer Sensibilisierung besteht, muss den Verarbeitern auch die geeignetes Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt werden. 2. Gesundheitsgefahren durch Reaktionsharze Epoxidharz- und Polyurethan-Systeme sind Gefahrstoffe. Dabei bestehen folgende potenzielle Gefährdungen. Epoxidharze sind: • ätzend oder reizend • gesundheitsschädlich • hautsensibilisierend • reproduktionstoxisch • umweltgefährdend Die repoduktionstoxische Wirkung einiger Reaktivverdünner ist erst seit 2024 bekannt und basiert auf Studien, bei denen die Wurfstärke bei Fütterungsversuchen untersucht worden ist. Hier zeigt sich eine geringere Anzahl von Nachkommen. Eine Schädigung der Nachkommen wurde nicht festgestellt. Isocyanate bzw. Diisocyanate sind: • reizend • gesundheitsschädlich • Verdacht auf krebserzeugende Wirkung • hautsensibilisierend • atemwegssensibilisierend • umweltgefährdend Beide Reaktionsharzsysteme können auch Lösemittel enthalten. Dann bestehen zusätzliche lösemittelbasierte Gefährdungen. 3. Häufigkeit von Erkrankungen durch Reaktionsharze Durch die Erfassung beruflich bedingter Hauterkrankungen bei den Unfallversicherungsträgern stehen in Deutschland umfangreiche Statistiken zur Häufigkeit der durch die Inhaltsstoffe von Epoxidharz- und Polyurethan-Systemen ausgelösten Erkrankungen zur Verfügung. 230 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Reaktionsharze - Maßnahmen zum sicheren Umgang bei der Sanierung von Bauwerken Abbildung 1: Bestätigte beruflich bedingte Epoxidharzallergien bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (Quelle BK-DOK) Auswertungen der Auslöser von bestätigten Hauterkrankungen bei Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft zeigen, dass Epoxidharze der häufigste Auslöser allergischer Hauterkrankungen bei Männern in der Bauwirtschaft sind. Durch den Wegfall des Unterlassungszwangs für die Anerkennung einer beruflich bedingten Hauterkrankung müssen erkrankte Personen seit 2021 die auslösende Tätigkeit nicht mehr aufgeben [1]. Auswertungen von Krankenakten zeigen aber, dass die Tätigkeit sehr häufig aufgegeben wird. Das liegt an der Schwere der Erkrankung, da sich bei vielen erkrankten Personen Symptome sowohl an den Händen als auch im Gesicht zeigen. Die Reaktionen im Gesicht und anderen offenen Hautstellen können auch durch aerogene Auslösung (geringe Konzentration von Inhaltsstoffen in der Luft) hervorgerufen werden. In solchen Fällen sind weitere Tätigkeiten mit Epoxidharz-System nur noch unter erheblichen Schutzmaßnahmen möglich. Abbildung 2: Bestätigte beruflich bedingte Erkrankungen durch Isocyanate bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (Quelle BK-DOK) Im Gegensatz zu Epoxidharz-Systemen besteht bei der Verarbeitung von Polyurethanen in der Bauwirtschaft ein deutlich geringeres Risiko einer berufsbedingten Erkrankung. Hintergrund ist möglicherweise, dass in der Bauwirtschaft im Wesentlichen Diphenylmethandiisocyanat (MDI) verwendet wird. MDI zeigt eine nur sehr geringe Flüchtigkeit. Zudem zeigen nahezu alle Handschuhmaterialien eine ausreichende Beständigkeit gegenüber MDI. Aufgrund dieser Eigenschaften besteht bei der Verarbeitung von MDI nur ein geringes Risiko einer berufsbedingten Erkrankung. Andere Diisocyanate wie Toluoldiisocyanat (TDI) und Hexandidisocyanat (HDI) haben in der Bauwirtschaft eine untergeordnete Bedeutung, da sie entweder nur selten (TDI) oder als Monomer nur in sehr niedrigen Konzentrationen (HDI) verwendet werden. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 231 Reaktionsharze - Maßnahmen zum sicheren Umgang bei der Sanierung von Bauwerken 4. Schulungsverpflichtung bei Verwendung von Isocyanaten Die mögliche Sensibilisierung der Atemwege war auch der Anlass für die europäischen Chemikalienagentur ECHA die Handhabung von Isocyanaten zu beschränken. Der Eintrag 74 des Anhangs XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/ 2006 besagt, dass die Anwender ab August 2023 vor der Verarbeitung eine Schulung zur sicheren Verwendung erfolgreich absolviert haben müssen. Die notwendigen Schulungsunterlagen muss der Hersteller zur Verfügung stellen. Die Teilnahme der Anwender muss der Arbeitgeber sicherstellen. Die Hersteller stellen die notwendigen Schulungsmaterialien in Form von Selbstlernmodulen zur Verfügung. In einigen Ländern, unter anderen in Deutschland, wird diese Form der Schulung infrage gestellt, da während der Nutzung des Moduls keine Interaktion mit einer schulenden Person möglich ist. Wird das Selbstlernmodul aber durch eine Unterweisung durch eine dafür qualifizierte Person ergänzt, gilt die Forderung der Interaktion als erfüllt [2]. 5. Schutzmaßnahmen Werden am Arbeitsplatz Gefahrstoffe verwendet, so ist dies entsprechend der Gefahrstoffverordnung erst möglich, wenn der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und die notwendigen Schutzmaßnahmen festgelegt hat. Bei der Festlegung der Schutzmaßnahmen muss er sich dabei streng an dem sogenannten STOP-Prinzip orientieren. STOP steht dabei für: • Substitution • Technische Schutzmaßnahmen • Organisatorische Schutzmaßnahmen • Persönliche Schutzmaßnahmen Daraus ergibt sich u. a., dass der Verzicht auf ein weniger gefährliches Produkt nicht mit der Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung begründet werden kann. 5.1 Substitution Die Substitution von Reaktionsharzen bei der Sanierung von Bauwerken ist grundsätzlich möglich. So besteht bei der Verwendung von Isocyanaten im Vergleich zu Epoxidharzen ein geringeres Erkrankungsrisiko. Eine Möglichkeit, weniger gefährliche Produkte auszuwählen, bietet der GISCODE. Bei dem GISCODE werden Produkte mit vergleichbaren Gefährdungen in eine Gruppe zusammengefasst. Bei den GISCODE-Gruppen für Epoxidharze und Polyurethane wird bei der Gruppenbildung die Kennzeichnung der Einzelkomponenten und der Lösemittelgehalt berücksichtigt. Eine direkte Übernahme der Lösemitteldefinition beispielsweise der Decopaint-RL war aufgrund der physikalischen Wechselwirkungen einiger Additive wie Benzylalkohol nicht sinnvoll. Daher werden für die Beschreibung niedriger Emissionen während der Verarbeitung die Kriterien für ‚total solid‘ der Deutschen Bauchemie e.V. verwendet [3]. Eine höhere Gruppennummer des GISCODE bedeutet eine größere Gefährdung bei der Verarbeitung. Tabelle 1: GISCODE für Epoxidharzsysteme GISCODE Produktgruppen RE05 Epoxidharzdispersionen (beide Komponenten ohne H317) RE10 Epoxidharzdispersion (nicht sensibilisierend) mit sensibilisierendem Härter RE20 Epoxidharz-Produkte, sensibilisierend, total solid, nicht sensibilisierender wässeriger Härter RE30 Epoxidharz-Produkte, sensibilisierend, total solid, RE40 Epoxidharz-Produkte, sensibilisierend, lösemittelarm, nicht sensibilisierender Härter RE50 Epoxidharz-Produkte, sensibilisierend, lösemittelarm RE55 Epoxidharz-Produkte, RM-Verdacht, sensibilisierend, lösemittelarm bzw. total solid RE60 Epoxidharz-Produkte, lösemittelhaltig (ohne H317) RE70 Epoxidharz-Produkte, sensibilisierend, lösemittelhaltig RE75 Epoxidharz-Produkte, RM-Verdacht, sensibilisierend, lösemittelhaltig RE80 Epoxidharz-Produkte, giftige Einzelkomponente, sensibilisierend, lösemittelarm bzw. total solid RE90 Epoxidharz-Produkte, RM-Eigenschaften, sensibilisierend, total solid RE95 Epoxidharz-Produkte, RM-Eigenschaften, sensibilisierend, lösemittelarm bzw. -haltig 232 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Reaktionsharze - Maßnahmen zum sicheren Umgang bei der Sanierung von Bauwerken Tabelle 2: GISCODE für Polyurethan-Systeme GISCODE Produktgruppen PU10 PU-Systeme, gesundheitsschädlich, Total solid PU20 PU-Systeme, gesundheitsschädlich, Augenschäden, Total solid, PU30 PU-Systeme, gesundheitsschädlich, Augenschäden, lösemittelarm PU35 PU-Systeme, gesundheitsschädlich, Augenschäden, lösemittelhaltig PU40 PU-Systeme, gesundheitsschädlich, CMR-Verdacht, Total solid PU45 PU-Systeme, gesundheitsschädlich, CMR-Verdacht, lösemittelarm PU50 PU-Systeme, gesundheitsschädlich, CMR-Verdacht, lösemittelhaltig PU55 PU-Systeme, giftig, CMR-Verdacht, lösemittelhaltig PU70 PU-Montageschäume PU80 PU-Montageschäume, extrem entzündbar 5.2 Technische und Organisatorische Schutzmaßnahmen Baustellen müssen so organisiert werden, dass Hautkontakt mit Reaktionsharzen vermieden wird. Hierbei ist zu beachten, dass der Mischplatz so abzugrenzen und zu kennzeichnen ist, dass ein Verschleppen der Reaktionsharze vermieden wird. Möglich ist auch der Einsatz technischer Hilfsmittel wie Mischstationen mit Transportwagen. Stationäre Lüftungsanlagen sind bei Systemen, die dem Kriterium „total solid“ entsprechen, nicht erforderlich, da Messungen an den Arbeitsplätzen ergeben haben, dass die Grenzwerte beim Auftragen durch Spachteln oder Streichen eingehalten werden. Detaillierte Informationen liefern die Produktgruppeninformationen der GISCODE- Gruppen. 5.3 Persönliche Schutzmaßnahmen Bei den persönlichen Schutzmaßnahmen steht die Vermeidung des Hautkontaktes im Vordergrund. Daher müssen bei Tätigkeiten mit Epoxidharzen geeignete Chemikalienschutzhandschuhe getragen werden. Bei den häufig verwendeten nitrilgetränkten Baumwollhandschuhen handelt es sich nicht um geeignete Handschuhe, da diese Handschuhe Poren aufweisen, durch die die Gefahrstoffe den Handschuh leicht durchdringen und zu einer Sensibilisierung des Beschäftigten führen können. Für Tätigkeiten mit Epoxidharzen, die den Kriterien von „total solid“ liegt eine Empfehlungsliste beständiger Handschuhe mit Benennung konkreter Handschuhfabrikate vor. Diese Liste ist über die Seiten der DGUV verlinkt. Diese Handschuhe können auch für die Verarbeitung von Isocyanaten, die den Kriterien von „total solid“ entsprechen, verwendet werden. Tabelle 3: Handschuhfabrikate für Reaktionsharze mit Kriterium „total solid“ Hersteller Handschuh AMPri www.ampri.de 01195 High Risk , 01160 Clean Expert 081003 SolidSafety Food ChemN, 081301 SolidSafety ChemP 081303 SolidSafety ChemN Ansell info@eu.ansell.com Sol-vex 37-900, Sol-vex 676 Sol-vex 37-675, Sol-vex 37-695 Sol-vex 37-107 KCL www.kcl.de Camatril 730 VeroChem 754, Tricotril 736, Butoject 898 Butoject 897 Mapa Professionnel www.mapa-professionnel.com Ultranitril 492 Ultranitril 491 Ultranitril 480 UVEX www.uvex-safety.de uvex rubiflex S NB35B, uvex rubiflex S NB27S uvex rubiflex S XG35B, uvex rubiflex protector NK4025B uvex profastrong NF33 uvex profabutyl B05R Können Spritzer nicht ausgeschlossen werden, so ist das Tragen von Schutzhosen oder -anzügen (Typ 5, atmungsaktiv) erforderlich. Dies gilt z. B. für den Mischplatz 6. Informationspflicht des Unternehmers Für den Unternehmer, der Reaktionsharze einsetzt, ergibt sich die Pflicht der Erstellung einer Betriebsanweisung in für den Beschäftigten verständlicher Sprache und der mündlichen Unterweisung. Dass diese gesetzlich geforderten Maßnahmen auch sinnvoll sind, zeigen verschiedene Studien. Die Auswertungen einer umfangreichen niederländisch/ deutschen Studie, bei der erkrankte und nicht erkrankte Verarbeiter von Epoxidharzen befragt wurden, hat gezeigt, dass bei den Erkrankten häufig keine Unterweisung erfolgte und keine geeignete Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt wurden [4]. Eine finnische Studie zur Belastung durch Epoxidharze zeigt, dass die Beschäftigten, die umfangreich unterwiesen worden waren, deutlich seltener Hauterkrankungen erleiden als Beschäftigte mit keiner oder nur kurzer Unterweisung [5]. Zur Unterstützung der Unternehmen bietet die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft im Rahmen des Informa- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 233 Reaktionsharze - Maßnahmen zum sicheren Umgang bei der Sanierung von Bauwerken tionssystem WINGIS (www.wingisonline.de) Informationen zu den GISCODE-Gruppen an. Dabei handelt es sich zum einen um die notwendigen Informationen für den Unternehmer, damit er die Gefährdungsbeurteilung durchführen kann. Darüber hinaus erhält der Unternehmer Entwürfe der Betriebsanweisungen, die baustellenspezifisch ergänzt werden müssen. Die Entwürfe stehen den Unternehmen in 17 Sprachen zur Verfügung (www.wingisonline.de). Weitere Schulungsmaterialien zu Tätigkeiten mit Epoxidharzen sind von der DGUV und im Rahmen des Projektes ‚EpoxSafe@school 1.0‘ erarbeitet worden. Diese sind über die Seite der DGUV verlinkt. Für Österreich findet man zusätzliche Informationen zum Thema Epoxidharz- und Polyzrethan-Systemen auf den Seiten der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt u. a. unter „Gesunde Haut - Epoxide Harz und Härter“ (www. auva.at/ ). 7. Ausblick Bauwerke werden weiterhin mit Reaktionsharzen saniert werden. Damit die verarbeitenden Personen nicht an schweren Haut- oder Atemwegserkrankungen erkranken, müssen die erforderlichen Schutzmaßnahmen genutzt werden. Inzwischen stehen zahlreiche Hilfsmittel zur Verfügung, die die Unternehmen bei der Gefährdungsbeurteilung und bei der Auswahl der notwendigen Schutzmaßnahmen unterstützen. Wenn die Unternehmen diese Hilfsmittel nutzen, sollten Erkrankungen vermieden werden können. 8. Internet • www.dguv.de/ epoxidharze • www.bgbau.de/ epoxidharze • www.bgbau.de/ isocyanate • www.auva.at • www.wingisonline.de • https: / / epoxy-europe.eu/ de/ poster-sichere-handhabung-von-epoxidharzen-in-10-schritten/ Literatur [1] DGUV Arbeitsbedingte Hauterkrankungen https: / / www.dguv.de/ de/ versicherung/ berufskrankheiten/ hauterkrankungen/ index.jsp [2] BLAC-LEITLINIEN zu Schulungen zur sicheren Verwendung von Diisocyanaten gemäß Eintrag Nr. 74 Anhang XVII REACH-Verordnung https: / / www.blac.de/ documents/ blac-leitlinien-diisocyanate-endg-202311_1705073206.pdf [3] Deutsche Bauchemie e.V.: Prüfverfahren zur Bestimmung des Masseverlustes und Einordnung eines Epoxidharzsystems als „Total solid“. [4] Spee, T.; Timmerman, J.G.; Rühl, R.; Kersting, K.; Heederik, D.J.J.; Smit, L.A.M: Determinants of epoxy allergy in the construction industry: a case-control study, Contact Dermatitis 2016, 74, 259-266. [5] Suuronen, K.; Bäck, B.; Aalto-Korte, K.; Pesonen, M.; Jungewelter, S.; Henricks-Eckerman, M-L.; Mäkelä, E.: Skin exposure to epoxy chemicals in construction coating, assessed by observation, interview und measurements, Contact Dermatitis 2019, 80, 18-25. Instandsetzung von historischen Bauten, Denkmalpflege 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 237 Denkmalschutz trifft Technische Regel Instandhaltung Umgang mit denkmalgeschützten Stahlbetonfassaden Dipl.-Ing. Architekt Christian Schießl, M. BP. Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH, München Zusammenfassung Architektonisch herausragende Bauten und Konstruktionen in Stahlbetonbauweise der 50er bis 70er Jahre werden seit einigen Jahren zu Recht als Baudenkmale erkannt und zum schützenswerten baukulturellen Erbe erklärt. Mit 50 bis 70-Jahren Baualter haben die dem Brutalismus (Ableitung von béton brut = roher Beton) zugeordneten Baukonstruktionen ihre rechnerische Lebensdauer erreicht, insbesondere wenn sie äußeren Witterungseinflüssen ausgesetzt sind. Konstruktionen können sowohl technisch regelkonform als auch unter restauratorischen Gesichtspunkten instandgesetzt und typische Schadensbilder denkmalgerecht behoben werden. Für Betonkonstruktionen ist mit Stand 2024 die Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ des DIBt bundesweit als technisches Regelwerk baurechtlich eingeführt. Durch die hierin geregelte Anwendung von „gänzlich unsichtbaren“, nachweislich wirksamen Hydrophobierungen können unbeschichtete Betonsichtflächen regelkonform vor Witterungseinflüssen geschützt werden. Vorbehalten des Denkmalschutzes kann durch einen differenzierten Umgang mit der Bausubstanz und dessen Schadensbildern begegnet werden. Die Nachweisführung erfolgt über das Anlegen von Musterflächen und Wirksamkeitsprüfungen an hieraus entnommenen Bohrkernen. Somit stehen einzuhaltende, technische Anforderungen der Denkmalpflege nicht entgegen und können eingehalten werden. Für schadhafte Bereiche, bei denen i. d. R. die Korrosionsprodukte des Stahls Abplatzungen des Betons bereits bewirkt haben, ist ein anderes Instandsetzungsprinzip anzuwenden, welches mittels qualifizierten Instandsetzungsmörteln eine ebenengleiche Reprofilierung ermöglicht. Technisch gesehen könnte hier die Arbeit enden. Für das Baudenkmal bzw. alle Sichtflächen ist es jedoch unbedingt erforderlich, die restauratorische Überarbeitung von Beginn an mit im Blick zu haben und im gesamten Bauprozess zu berücksichtigen. Im Angleichen der überarbeiteten Schadstellen an den unbeschädigten Bestand, besteht eine hohe Kunstfertigkeit, die viel Erfahrung erfordert, um am Ende ein optisches und haptisches Ganzes zu ergeben. 1. Historische Einordnung einer neuen Bauaufgabe 1.1 Die Geburtsstunde des „béton brut“ Es gibt wohl Vorläufer bis ins alte Rom, auf die man sich ausführlich beziehen könnte, aber als Geburtsstunde unserer Betrachtung wird gerne auf eine Ikone der Nachkriegsmoderne und einen seiner bedeutendsten Protagonisten, den Architekten Le Corbusier, verwiesen. Mit dem Auftrag zur Unité d’habitation in Marseille wird Le Cobusier kurz nach Ende des 2. Weltkriegs beauftragt. Ihm wurde erlaubt, alle seine Gedanken und Glaubenssätze modernen Wohnungsbaus in ein einziges Gebäude einfließen zu lassen; städtebaulich, architektonisch, gesellschaftlich und auch konstruktiv. Die Unité, umgangssprachlich als Wohnmaschine bezeichnet, war nicht nur beeindruckend in Bezug auf seine Ausdehnung (141 m x 23 m x 53 m), seine 530 Wohnungen in einem Gebäude, die Abbildung der Funktionen einer ganzen Stadt in nur einem einzigen Gebäude, seine Abgehobenheit auf „Pilotis“ stehend auf ansonsten unbebautem Grund, es war zudem das erste Gebäude vollständig in rohem Beton konstruiert. Abb. 1: Unité d’Habitation, Marseille Photo: Paul Kozlowski ©FLC/ ADAGP Le Corbusier war fasziniert von den Möglichkeiten des Stahlbetonbaus - schlanke Querschnitte der Bauteile, aufgelöste Grundrisse, aber ebenso die skulpturalen Potentiale des in Schalung gegossenen Baustoffs. 238 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Denkmalschutz trifft Technische Regel Instandhaltung Er selbst beschreibt die Haptik dieses neuartigen Materials so: „Sichtbeton zeigt die kleinsten Zwischenfälle in der Schalung, die Fugen, die Bretter, die Fasern und Astlöcher des Holzes. Aber sie sehen großartig aus, sie sind interessant zu beobachten und denjenigen mit ein bisschen Fantasie sind sie eine gewisse Bereicherung.“ Le Corbusier versuchte, die Mängel an der Außenfassade der Unité zudem durch Vielfarbigkeit der Loggien zu kontrastieren. Das Farbenspiel ermöglichte es, die graue Masse aus Sichtbeton mit Hilfe von Kontrasten auszugleichen. Es ist also für alle Schmäher dieser Bauweise bedeutsam zu erwähnen, dass ihr frühester Meister sehr wohl erkannte, dass das Material nicht allein, sondern erst im Zusammenspiel mit Licht und Farbe, Form und differenzierter Oberfläche Kraft entfaltet. Das unvermeidbar fehlerhafte und raue bezeichnete Le Cobusier als Ausdruck einer neuen Ästhetik des Sichtbeton. Er begründete damit eine neue Form des Umgangs mit Beton, bekannt als „béton brut“ (roher oder nackter Beton). Der Begriff des Brutalismus ist hiervon abgeleitet, also keineswegs vom Wort brutal. „Der Bau der Unité Marseille hat der neuen Architektur die Gewissheit gebracht, dass armierter Beton als Rohmaterial verwendet, ebenso viel Schönheit besitzt wie Stein, Holz oder Backstein“ (Le Corbusier 1952). 1.2 „Die 2. Nachkriegsmoderne“ Die 70er Jahre - Beton Pur Ab Mitte der 60er Jahre, also beinahe 20 Jahre später, wird die sogenannte „zweite Nachkriegsmoderne“ eingeläutet. Sie wird gefördert durch das hohe Wirtschaftswachstum und dominiert von der massiven Bauaktivität auch in deutschen Städten. Neben der Wohnungsnot in den Großstädten, dem Trend der städtbaulichen Verdichtung und dem allgemeinen Drang neuer, freier Typologien werden städtebauliche Großstrukturen gebaute Realität. Le Corbusiers Unité wird vielfach aufgegriffen und facettenreich als Vorbild verwendet. Der Funktionalismus steht häufig im Vordergrund. Die serielle Vorfertigung, die Elementierung der Bauteile und deren Fügung wurden häufig zum prägenden Charakteristikum. Der pure, ungestrichene, zunehmend anspruchsvoll geschalte Beton bestimmte das haptische Erscheinungsbild. Abb. 2: Olympiadorf München 1972, Foto: Alessandra Schellnberger, SZ-online 1.3 Heute, 50 Jahre später: Kulturdenkmale der 1960er und 1970er Jahre Diese Stahlbetonbauten der 1960er und 1970er Jahre prägen immer noch Ausschnitte des Stadtbilds mancher deutschen Ortschaft und Stadt. Eine Vielzahl von Verwaltungsgebäuden, Kirchen, Schulen, Hochschulen und verdichteten Wohnungsbauten entstand in diesem Zeitraum. Ihr Äußeres prägen Sichtbeton, bisweilen Faserzement und elementierte Aluminium-/ Glaskonstruktionen. Gestalterisch hochwertige Architekturen wurden mit viel Experimentierfreude geschaffen. Die skulpturalen Qualitäten der Stahlbetonbauweise werden nun bewusst ausgeschöpft. Das erstarkte Demokratieverständnis der Zeit und der Glaube an den technologischen Fortschritt findet seinen Ausdruck. Sie haben aus damaliger Sicht neue, besondere Qualitäten. Die Denkmalpflege hat erkannt, dass es ihre Aufgabe ist, aus der großen Zahl der Bauten insgesamt die bedeutenden und authentisch überlieferten als Kulturdenkmale herauszufiltern und zu schützen, denn die heute oft ungeliebten, häufig als farblos und kalt abgetanen Bauten, spiegeln eine Zeit des Auf bruchs, der freiheitlich demokratischen Ideen und Möglichkeiten wider. Diese nunmehr rund 50 Jahre alten Bauten haben häufig bereits eine oder mehrere Instandsetzungszyklen hinter sich. In der Vergangenheit hieß dies i. d. R. Schadstellenreprofilierung und flächendeckende Beschichtung, i. d. R. in deckendem Grau zum Schutz des Betons. Mit der homogenisierenden Beschichtung hat freilich der lebendige Charakter der Oberfläche und seine farbliche und strukturelle Tiefe der sonst streng gegliederten Bauwerke vielfach massiv an Kraft verloren, was sicher zu seiner abnehmenden Wertschätzung beigetragen hat. 1.4 Wärmeschutz der 2. Nachkriegsmoderne - Bauphysik Nähert man sich den bautechnischen Anforderungen dieser Zeit, kommt man an einer knappen Analyse der Anforderungen des Wärmeschutzes dieser Epoche nicht vorbei, denn sie stellt auch einen Schlüssel zum Konstruktionsverständnis der Zeit dar. Mit der ersten DIN 4108 „Wärmeschutz im Hochbau“ wurde 1952 der „Mindestwärmeschutz“ eingeführt, der das Ziel hatte, die Wohngesundheit entscheidend zu verbessern. Tauwasservermeidung auf den Innenoberflächen der Bauteile war das Kriterium. Die Anforderung des Wärmeschutzes wurden in dieser Phase aus dem in Deutschland üblichen Mauerwerksbau abgeleitet und dienten nur der Einhaltung hygienischer Mindestanforderungen. Die hohen Energiebedarfe, hervorgerufen durch geringe Dämmwirkung der Außenbauteile und luftundichte Bauweisen kompensierten die aus heutiger Sicht minderwertigen Detaillösungen und vermieden gleichzeitig erhebliche hygienische Probleme. Mit leichten Änderungen blieb der schwache Mindestwärmeschutz bis Ende der 70er bestehen. Die Anforderungen aus dem Mindestwärmeschutz wurden erst durch die 1.- Wärmeschutzverordnung WSVO von 1977 überholt, die klar als Reaktion auf die 1. Energiekrise im Herbst 1973 zu sehen ist und nun das Ziel der Energieeinsparung erstmals in den Fokus der Betrachtung rückt. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 239 Denkmalschutz trifft Technische Regel Instandhaltung Monolithische Stahlbetonkonstruktionen erfüllten die definierten Wärmeschutzanforderungen der Zeit nicht, weswegen vorgehängte Konstruktionen die Regelkonstruktion darstellten. In den 60er Jahren z. T. ganz ohne Dämmung zwischen den Schalen, etabliert sich ab den 70er Jahren i. d. R. die mineralfasergedämmte, zweischalige Bauweise, bei der die vorgehängte Schale mit der tragenden Primärkonstruktion häufig über eine Konsole am Vorhangelement in die Konstruktion z. B. im Bereich der Geschossdecken eingebunden wurde. Die statische Nachweisbarkeit dieser wenig redundanten Konstruktionen gestaltet sich heute häufig schwierig bis nicht möglich. Abb.-3: Bsp. Einer vorgehängten, vorgefertigten Stahlbetonkonstruktion (Fassadenelement), nicht redundant befestigt 1.5 Dauerhaftigkeit von Stahlbetonfassaden 1.5.1 Carbonatisierung und Korrosion Beton wird aus Zement, Wasser und mineralischen Zuschlägen hergestellt. Während der Hydratation des Zements werden so genannte CSH-Phasen gebildet, die für das Erstarren des anfangs flüssigen Baustoffs und die anschließende Festigkeitsentwicklung maßgebend sind. Gleichzeitig bildet sich im Beton ein hochalkalisches Milieu mit pH-Werten > 13,0 aus. Unter diesen Bedingungen entsteht auf der Bewehrungsoberfläche eine so genannte Passivschicht, die die eingebettete Betonstahlbewehrung dauerhaft vor Korrosion schützt. Es entsteht der Kompositwerkstoff Stahlbeton, der deshalb so leistungsstark ist, weil der Beton optimal zur Druckaufnahme und der Stahl zur Zugaufnahme geeignet ist und gleichzeitig die Alkalität Porenlösung den Korrosionsschutz des eingebetteten Stahls sicherstellt. Verarbeitbarkeit, Druckfestigkeit und Porosität des Betons werden wesentlich von dem so genannten Wasser- Zement-Wert (w/ z-wert), d. h. dem Verhältnis von Wasserzu Zementgehalt bestimmt. Bei w/ z-Werten von 0,4 bis 0,45 wird das Wasser praktisch vollständig chemisch gebunden. Höhere w/ z-Werte bedeuten eine größere Menge an Wasser, welches zwar zur besseren Verarbeitbarkeit hilfreich und früher notwendig war, beim Prozess der Erhärtung aber nicht mehr chemisch gebunden wird und so durch Verdunstung sukzessive aus dem erhärteten Beton austrocknet und somit einen erhöhten Porenraum hinterlässt. In diesem Porensystem kann Kohlendioxid aus der Atmosphäre in den Beton eindringen und den alkalischen Zementstein neutralisieren („Carbonatisierung“). Wenn die Carbonatisierung von der Betonoberfläche bis zur Bewehrungsoberfläche fortschreitet, wird die anfangs gebildete Passivschicht zerstört und der Bewehrungsstahl kann bei Anwesenheit von Wasser aus Kondensatfeuchte und Niederschlägen korrodieren („carbonatisierungsinduzierte Korrosion“). Die dabei entstehenden, volumenvergrößerten Korrosionsprodukte führen zu Rissbildung und Abplatzungen in der Betondeckung, der durch die Korrosion verminderte Stahlquerschnitt reduziert die Tragfähigkeit. Abb.-4: Mechanismus der Carbonatisierung 1.6 Anforderung im Betrachtungszeitraum „2.-Nachkriegsmoderne“ Mit zunehmender Kenntnis des oben beschriebenen Schadensmechanismus wurden die Anforderungen an exponierte Stahlbetonoberflächen - im hier vorliegen- 240 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Denkmalschutz trifft Technische Regel Instandhaltung den Fall frei bewitterte Fassadenbauteile - sukzessiv angepasst. Die wesentlichen Faktoren zur Erhöhung der Dauerhaftigkeit sind dabei die Betonqualität, charakterisiert durch den w/ z-Wert für ein dichtes Betongefüge mit hohem Carbonatisierungswiderstand und geringem Wasseraufnahmekoeffizienten, sowie die Betondeckung der Bewehrung. Betondeckung: Ab den 1950er wurde mit der Erforschung der Schadensmechanismen insbesondere der Bewehrungskorrosion begonnen. Die für den Neubau maßgebende DIN 1045 von 1943 wurde erst wieder 1972 novelliert und die Anforderung an die (mittlere) Betondeckung von 15 mm bzw. 20 mm auf 30 bzw. 35 mm bei korrosionsfördernden Einflüssen angepasst. Nachdem Mindestüberdeckung nicht gefordert wurden, sind insbesondere bei schlanken Bauteilen in Teilbereichen regelmäßig Betondeckungen < 10 mm festzustellen. Eine echte Anhebung erfolgte erst mit der DIN 1045: 1988, in der erstmals Mindest- und Nennmaße der Betondeckung definiert wurden. w/ z-Wert: Während noch in der DIN 1045: 1943 die Wasserzugabe nur „nach Konsistenz“ vorgegeben wurde, wurden konkrete Anforderungen an den w/ z-Wert erstmals in der DIN 1045: 1972 definiert (w/ z-Wert < 0,75 (Z 35) bzw. < 0,65 (Z 25)). Eine Einschränkung auf w/ z-Werte < 0,60 bei Außenbauteilen erfolgte mit DIN 1045: 1988, doch das heute gebräuchliche deskriptive System, das w/ z-Wert, Mindestzementgehalt und Betonfestigkeit mit den Expositionsbedingungen koppelt, wurde erst mit der DIN 1045: 2001 eingeführt. Somit bedient sich -ähnlich wie auch im Wärmeschutzdie 2. Nachkriegsmoderne auch zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit noch im Wesentlichen der technischen Regeln der Nachkriegszeit. Trotz wissenschaftlicher Kenntnis dauerte es bis in die frühen 80er Jahre, bis regeltechnisch wirksame Anpassungen erfolgten. Ein Erhalt der Bausubstanz aus dieser Epoche lässt sich nur sicherstellen, wenn sowohl heutige Hygieneanforderungen gleichbedeutend mit einer Einhaltung des Mindestwärmeschutzes gewahrt werden und gleichzeitig die Standsicherheit und Verkehrstauglichkeit der Bauteile bzw. des Gebäudes unter Einhaltung geltender Instandsetzungsregeln wiederhergestellt werden. 2. Denkmalpflege vs. Instandsetzungsrichtlinie 2.1 Der „minimalinvasive“ Ansatz der Denkmalpflege Die Grundprinzipien der modernen Denkmalpflege wurden erstmals 1964 in der Charta von Venedig [1] zusammengefasst. Die Charta gilt bis heute als zentrale und international anerkannten Richtlinie in der Denkmalpflege. Ein Baudenkmal im Sinne der Charta ist ein zu bewahrendes, kulturhistorisches Zeitzeugnis. Bei dessen Restaurierung sollen nach Möglichkeit Maßnahmen angewandt werden, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und die Eingriffe in die historische Bausubstanz auf ein unbedingt notwendiges Maß beschränken. Diese Kernaussagen der Charta decken sich mit vielfachen Erfahrungen, die Bauschaffende mit Denkmalpflegern machen. Es ist ein hohes Gebot der Denkmalpflege möglichst nur „minimalinvasiv“ einzugreifen. Eingriffe sollen in keinem Fall dazu führen, den überlieferten Bestand durch Ergänzung seiner Authentizität zu berauben, oder durch den Eingriff Gefahr zu laufen, den ursprünglichen Zustand dauerhaft und irreversibel zu (zer-)stören. 2.2 Hydrophobierende Imprägnierung in der Denkmalpflege Hydrophobierungen (Begriff der TR-Instandhaltung) oder hydrophobierende Imprägnierungen (Begriff nach [2]) finden seit den 1950er Jahren in der Bauwerkskonservierung Anwendung und blicken somit auf eine lange Entwicklungsgeschichte. Wesentliche Aspekte der Weiterentwicklung sind eine gesteigerte Eindringtiefe und ein verringerter Diffusionswiderstand. Die anfangs verwendeten Siliconharze sind durchweg durch Silan- Siloxangemische als Flüssigkeiten oder Cremes abgelöst worden. Abb.-5: Anwendungszeiträume unterschiedlicher siliziumorganischer Hydrophobierungssysteme [2] Bei den ersten Generationen der Hydrophobierungen hat die Feuchtehinterwanderung an Fehlstellen, Rissen und Bereichen mit anisotropem Saugverhalten in der Vergangenheit zu Schäden geführt, die in der Literatur mit „Schalenbildung“ beschrieben werden. Diese Schalenbildung entsteht durch Eisbildung unter der hydrophobierten Oberfläche, wenn kapillar aufgenommenes Wasser nicht mehr natürlich entweichen kann. Bei hydrophobierenden Imprägnierungen handelt es sich um synthetische Polymere, die in ihrer Anwendung aus Sicht der Denkmalpflege allein dadurch kritisch zu hinterfragen sind, da sie den ursprünglichen mineralischen Untergrund dauerhaft und mit dem Potenzial der nachhaltigen Schädigung mit einem Kunststoff überziehen bzw. schlimmer noch „den Porenraum des Substrats tiefgreifend verändern“ [[4]]. Entscheidungsgrundlagen über die Verwendbarkeit, die insbesondere die Eigenschaften des Untergrundes betrifft, müssen daher erst über bauwerkspezifische Voruntersuchungen des mineralischen Untergrundes und eine differenzierte Bewertung der Notwendigkeit und Eignung der Anwendung erarbeitet werden. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 241 Denkmalschutz trifft Technische Regel Instandhaltung Beton, historischer Beton: Für die Anwendung auf modernem, dichtem Beton gibt es durchaus geeignete Hydrophobierungsmittel (monomere Silanverbindungen), die zu einer Wasserabweisung und damit, insbesondere durch Verlangsamung der Karbonatisierung, zum Schutz der Bewehrung führen. Allerdings sind historische Betone häufig durch ein sehr heterogenes Gefüge mit offenporigen, bindemittelarmen Bereichen charakterisiert. Hier ist die Applikation einer Hydrophobierung aufgrund der möglichen Risiken [Anm. angespielt wird auf die Schalenbildung] äußerst kritisch zu hinterfragen [3]. Betone der 2. Nachkriegsmoderne dürften aber weder als „moderner Beton“ noch als „historischer Beton“ gelten. Eine differenzierte Betrachtung ist notwendig. Das zitierte Dokument [3] ist aus dem Jahr 2016, also verhältnismäßig aktuell. Der VDL ist die „Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern“, bindet also die deutschen Entscheidungsträger der Denkmalpflege unter einem Dach. Hydrophobierungen werden keinesfalls als bedenkenlos einsetzbar angesehen, das Gegenteil ist der Fall. 2.3 Hydrophobierungen der neuen Generation - Tiefenhydrophobierung Heute basieren wirksame Hydrophobierungen auf langkettigen Silanen und werden mithilfe eines Trägermaterials, z. B. Bentonit, als Hydrophobierungsgel aufgebracht. Sie bilden nach dem Eindringen eine mehrere Millimeter tief hydrophob wirkende Auskleidung des Porenraumes unter der Betonoberfläche, die dem eindringenden Wasser die Oberflächenspannung nimmt und somit kapillares Saugen in der Betonrandzone verhindert. Ermöglicht wird dies durch die hohe Eindringtiefe des Wirkstoffs von circa 6 bis 10 Millimetern. Die Betonrandzone bleibt wasserdampfdurchlässig. Während das Gel in die Betonrandzone eindringt, reagieren die Silane mit dem an den Porenwänden kondensierten Wasser. In einem weiteren Reaktionsschritt vernetzen sich die entstandenen Silanole untereinander und mit dem Zementstein zu Polysiloxanen. Dabei bildet sich eine hydrophobe, chemisch untrennbar mit dem Zementstein verbundene Schicht. Diese Schicht verhindert das kapillare Saugen. Ab einer Mindesteindringtiefe des Wirkstoffs von 60 mm spricht man definitionsgemäß von einer Tiefenhydrophobierung. Neben der Mindesteindringtiefe ist zum Unterbinden der kapillaren Saugfähigkeit auch eine Mindestwirkstoffmenge in der imprägnierten Randzone erforderlich. Der Abstand senkrecht zur Oberfläche, bei dem die kritische, mindestens notwendige Menge Wirkstoff zur Verhinderung von kapillarem Flüssigkeitstransport gerade noch nachweisbar ist, entspricht der effektiven Eindringtiefe [4]. Abb.-6: Wasseraufnahmekoeffizient und Wirkstoffgehalt im Tiefenprofil -Grafische Darstellung ©Ionys AG, Karlsruhe Nach einer erfolgreichen Hydrophobierung ist die kapillare Saugkraft Null. Über die Dampfphase kann dennoch Feuchtigkeit aus der Umgebung aufgenommen und abgegeben werden. Als UV-beständig gelten die Hydrophobierung nicht, so dass die Hydrophobierungen oberflächlich abwittern, die Tiefenwirkung bleibt dauerhaft erhalten. Abb. 7: Wirkungsweise einer Tiefenhydrophobierung 3. Zusammenspiel in der Ausführung 3.1 Instandsetzung von Sichtbetonfassaden nach der Technische Regel „Instandhaltung“ Die TR-Instandhaltung [3] hat 2020 die Rili SIB [4], die seit 2001 die Regeln zur Instandsetzung von Betonbauwerken definiert hat, abgelöst und ist das bauaufsichtlich eingeführte Regelwerk für die Instandsetzung und Instandhaltung von Stahlbetonbauwerken in Deutschland. Diese sieht in Abhängigkeit vom Bauwerkszustand zum Zeitpunkt der Maßnahme unterschiedliche Instandsetzungsprinzipien und -verfahren vor: 242 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Denkmalschutz trifft Technische Regel Instandhaltung Abb. 8: Instandsetzungsprinzipien nach [3] Liegen bereits Betonabplatzungen infolge der zuvor beschriebenen Mechanismen der carbonatisierungsinduzierten Korrosion vor, ist eine Instandsetzung gemäß dem Instandsetzungsverfahren 7.2 („Ersatz von chloridhaltigem oder carbonatisiertem Beton zum Erhalt oder der Wiederherstellung der Passivität“) erforderlich. Dabei werden die betroffenen Oberflächenbereiche nach definierten Regeln von der Untergrundvorbereitung über klare Vorgaben an die technischen Eigenschaften der Produkte mittels kunststoffvergüteten Reprofilierungsmörteln kleinflächig wieder hergestellt. Für die Wiederherstellung des SOLL-Zustandes ist dies ein unerlässlicher Teilschritt. Betone oder klassische Mörtel ohne organische Zusätze sind häufig nicht verwendbar, da entweder die Auf baustärke nicht ausreichend oder die geforderte Leistungsfähigkeit bei dünnschichtigem Auftrag nicht gegeben ist. Die kritische Betrachtung der Verwendung unter denkmalpflegerischen Aspekten soll hier im Folgenden unberücksichtigt bleiben. Sofern zum Zeitpunkt der Maßnahme noch keine Rissbildung oder Abplatzungen vorliegen, ist alternativ eine Instandsetzung nach dem Instandsetzungsprinzip 8 („Erhöhung des elektrischen Widerstands“) möglich. Dabei werden im Unterschied zur Rili SIB in der TR IH „Hydrophobierungen“ (Verfahren 8.1) für das Erreichen bestimmter Instandsetzungsziele im vorliegenden Anwendungsfall den anderen Oberflächenschutzsystemen (Verfahren 8.3) gleichgestellt. Im Gegensatz zu den klassischen, filmbildenden und deckenden Oberflächenschutzsystemen, für die analog zur Rili SIB auch bei Anwendung der TR IH Mindestschichtdicken am Bauteil nach Ausführung einzuhalten sind, enthält die TR IH für das „Endprodukt Hydrophobierung“ keine allgemein gültigen und projektunabhängigen Vorgaben (z. B. Vorgaben zur Mindesteindringtiefe). Das bedeutet, dass der Planer objektspezifisch entsprechende Anforderungen zum Erreichen der Schutzziele stellen muss und somit einen deutlich höheren Grad an Planungsverantwortung trägt. Der Erfolg einer Hydrophobierungsmaßnahme nach der Technischen Regel Instandhaltung des DIBt hängt damit nicht nur von der Einhaltung fester Vorgaben des Regelwerks ab, sondern ist signifikant von einer entsprechenden Fachkenntnis des Planers geprägt. [7]. Die Wirksamkeit und die Dauerhaftigkeit ist nicht offensichtlich und muss daher über Kontrollprüfungen ermittelt werden. Daher empfiehlt es sich Musterflächen anzulegen mit möglichen Hydrophobierungen, hiervon Bohrkerne entnehmen, um die Wirksamkeit, Leistungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit vom tiefenabhängigen Wirkstoffgehalt und der Eindringtiefe (abhängig von Feuchtegehalt und Porosität) labortechnisch prüfen zu lassen. Am Beispiel Verfahren 8.1: Hydrophobierung zur Erhöhung des elektrischen Widerstandes im Beton werden die Anforderungen in der TR-I wie folgt beschrieben: • Wirksamkeit, Leistungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit sind vom tiefenabhängigen Wirkstoffgehalt bezogen auf den Beton und von der Eindringtiefe abhängig. • Die Eindringtiefe von Hydrophobierungen wird wesentlich durch den Feuchtegehalt bestimmt. • Die Oberfläche muss zur Erzielung einer großen Eindringtiefe möglichst trocken sein. • Die Wirkstoffmenge (Auftragsmenge und Wirkstoffgehalt) ist vom sachkundigen Planer vorzugeben. Zur Überprüfung der Aufnahmefähigkeit der Hydrophobierung sind Musterflächen anzulegen. • Risse mit einer Rissbreite bis 0,1 mm sind erlaubt, bei breiteren Rissbreiten entscheidet der sachkundige Planer. Wenn Risse nach der Hydrophobierung entstehen, kann die Schutzwirkung aufgehoben werden. • Wasser sollte nicht auf der Oberfläche stehen. • Eine möglicherweise nachlassende Wirkung einer Hydrophobierung kann visuell nicht festgestellt werden. Kontrollmessungen sind im Instandhaltungsplan zu berücksichtigen. 3.2 Kunsthandwerkliche Anpassung - Restauratorisches Finish Betonkosmetik Die betonkosmetische Bearbeitung einer Sichtbetonfläche bedeutet eine kunsthandwerkliche Anpassung aller maßgeblichen Aussehenskriterien einer Betonfläche (Farbe, Textur, ggf. Haptik und Glanz) an das Aussehen intakter umgebender Bereiche. Eine betonkosmetische Bearbeitung findet definitionsgemäß auf einer technisch intakten Bauteiloberfläche statt, betrifft also lediglich die Oberfläche des Bauteils oder reicht partiell in kleinen Bereichen bis maximal 3 - 5 mm in die Betonrandzone hinein. Werkstoffe müssen auf den Untergrund und ggf. über dem Feinspachtel zu ergänzenden Farb- und strukturimitierenden Farbaufträgen abgestimmt und verträglich sein. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 243 Denkmalschutz trifft Technische Regel Instandhaltung Dünnschichtfarben Für die finale Farbangleichung werden patentierte zweikomponentige, silikatische Mineralfarben verwendet, die auch lasierend eingesetzt werden können. Die Wirkungsweise der Farben basiert auf dem Prinzip der Verkieselung: Hierbei geht das Bindemittel in einer chemischen Reaktion eine unlösbare Verbindung mit dem Untergrund ein und bleibt dadurch hoch wasserdampfdiffusionsfähig. Ein Abblättern des Anstrichs ist ebenso ausgeschlossen wie Feuchteansammlungen zwischen Beschichtung und Untergrund. Die Silikatfarben bestehen nur aus ausgewählten, natürlichen Rohstoffen. Die Kombination aus flüssigem Kaliumsilikat-Bindemittel, mineralischen Füllstoffen und anorganischen, lichtechten Farbpigmenten gewährleistet optimale bauphysikalische Eigenschaften, maximale Witterungsbeständigkeit und hohe Dauerhaftigkeit. Eine mögliche schematische Ausführung einer Betoninstandsetzungsstelle mit anschließender Tiefenhydrophobierung und Betonkosmetik zeigt Abb.-9. Abb.-9: Mögliche Kombination von Kleinschadstelleninstandsetzung und flächiger Hydrophbierung 4. Praxisbeispiel Wohnhochhaus in München Auf das Praxisbeispiel wird im Vortrag (vgl. Foliensatz des Vortrags) näher eingegangen, Abb.-10. Abb.-10: Arbeitsschritte der TR-I und denkmalgerechten Instandsetzung: 1.Reprofilierung inkl. Untergrundvorbereitung, 2. Feinspachtel, 3.Retuschierarbeiten, Fotos: Gandalf Hammerbacher Literatur [1] Charta von Venedig: Internationale Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Ensembles (Denkmalbereiche) Venedig, 25.-31. Mai 1964 (Fassung von 1989). [2] WTA Merkblatt 3-17 Ausgabe 06.2010/ D: Hydrophobierende Imprägnierung von mineralischen Baustoffen, Fraunhofer IRB Verlag, Juni 2010. [3] VDL Arbeitsblatt Nr. 46: Zum Umgang mit Hydrophobierungen von mineralischen Oberflächen im Bereich der Denkmalpflege, Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, November 2016. [4] Wittmann, F. H.; Meier, S. J. (2004) Empfehlungen für die Praxis. Internationale Zeitschrift für Bauinstandsetzen und Baudenkmalpflege 10, H. 4, S. 387-416. [5] Deutsches Institut für Bautechnik (2020) Technische Regel Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung). [6] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (2001) Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instand-setzungsrichtlinie Rili SIB) mit 1. Berichtigung Januar 2002, 2. Berichtigung Dezember 2005 und 3. Berichtigung Oktober 2014. [7] Schießl-Pecka A., Strehlein Doris: Einsatz von Hydrophobierungen nach der TR- Instandhaltung des DIBt, Beton- und Stahlbetonbau 2022, Heft 7 S. 488-497. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 245 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns Dipl.-Ing. Kurt Christian Ehinger Architekt und Stadtplaner, Burgstetten Porträt Stadt Waiblingen Waiblingen ist eine Mittelstadt im Rems-Murr-Kreis in Baden-Württemberg mit ca. 57.000 Einwohnern. Waiblingen besitzt einen historischen Stadtkern mit ca.12 ha Größe und einer noch weitgehend erhaltenen Stadtmauer mit ca. 2,5 km Länge. Im 18. Jh. erfolgte eine erhebliche Erweiterung der Stadtfläche im südlichen und westlichen Bereich und Mitte des 18. Jh. der Bau der beiden Bahnlinien in Richtung Aalen-Nürnberg und Schwäbisch Hall-Nürnberg mit dem Bau der Bahnhofstraße als neue Hauptstraße. Hier sollte eine neue Stadtmitte mit Geschäftszentren etc. entstehen und hier entstanden dann auch neue gewerbliche Bauflächen der Ziegelindustrie, die vor allem die Standortvorteile der Bahnflächen nutzten. Die historische Altstadt mit historischer, vor allem barocker Bauten des 17.-18. Jh., und die historischen Mauern und Türme rückten in den Hintergrund. 1634 im 30-jährigen Krieg war die gesamte historische Altstadt mit ihrer vorwiegend bestehenden Fachwerk-Architektur abgebrannt und zerstört worden. Der Neuaufbau im 17.-18. Jh. erfolgte zunächst wieder in Fachwerk-Architektur und ab 1750 in klassizistischer Bebauung mit verputzten Häusern auf dem noch bestehenden historischen mittelalterlichen Stadtgrundriss. Dabei erfolgte ab Mitte 18. Jh. (um 1750 ff.) der Verputz der bestehenden Fachwerkbauten mit einer erheblichen Zerstörung von Baudetails. Erste Eingriffe in die historische Bausubstanz waren ab 1830 der Abbruch von zwei Stadttoren (ein weiteres Stadttor überlebte die Abbruchphase) und der Abbruch von Teilen der westlichen Stadtmauer. Im historischen Stadtbereich erfolgten erste Umbau- und Neubaumaßnahmen, die das Stadtbild dann bis ins Ende des 20. Jh. prägten. Zerstörungen erfolgten weder im 1. noch im 2. Weltkrieg. Der vorhandene Stadtgrundriss mit seinem historisch gewachsenen und vorhandenen Straßensystem prägte die historische Innenstadt bis ins erste Viertel des 20. Jahrhunderts. 1934 erfolgte dann der Bau einer ersten westlichen Umgehungstraße um die historische Altstadt im Bereich der Remsaue westlich der historischen Stadtanlage, da bereits damals die bestehenden Verkehrsverhältnisse in der Lange Straße und Kurze Straße nicht mehr zu bewältigen waren (Hauptverbindung Stuttgart-Nürnberg führte durch die Altstadt). Parallel dazu erfolgten erste Begradigungen der Rems, die die Altstadt in östlichen und nördlichen Grünflächen der Remsaue mäanderartig umflossen hat. 1963 Verkehrsgutachten Dt. Akademie für Städtebau und Landesplanung mit der Empfehlung eine weitere östliche Umgehungsstraße zwischen dem Alten Postplatz (Standort des Landratsamtes) und der Neustadter Straße zu bauen. 1968 Erste Überlegungen zum Bau eines Einkaufszentrums auf den Erleninseln (Teil der unbebauten Remsaue). Ablehnung, da weder Erschließung noch Bebauung erwünscht waren und dadurch der dort vorhandene stadtnahe Landschaftsbereich zerstört worden wäre, aber Neubauten in der Bahnhofstraße. 1971 entsteht durch einen Gebäudebrand westlich der Stadtmauer eine Freifläche, die zunächst für provisorische Parkplätze genutzt wird. In den 1970-iger Jahren wurden die vorhandenen Zustände in der historischen Altstadt immer problematischer, der Geschäftsbesatz ging zurück, der Parkierungsverkehr belegte sämtliche Freiflächen, die Laden- und Wohnflächen verschlechterten sich dramatisch. 1970 Beschluss des Gemeinderats und der Verwaltung zum Beginn einer Stadtsanierung. 1973 Stadtsanierung Waiblingen 1973 Bestandsaufnahme Beginn der vorbereitende Untersuchungen und 1973 Bestandsaufnahme zur Innenstadterneuerung Waiblingen Architekturbüro Peter Haag, Dipl.-Ing., Schorndorf, als Rahmenplanung für das weitere Vorgehen mit sämtlichen relevanten Daten zur Innenstadt: - Stadtbild mit Wertung der städtebaulichen und baulichen Substanz 246 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns - Soziale Daten zu Personen, Wohnungen, sozialen Mißständen, etc. - Daten zu Verkehr und Parkierung - Daten zu allen baulichen Kriterien, Bestand und Zustand Die Ergebnisse waren Grundlage für die Aus-schreibung des Städtebaulichen Wettbewerbs 1974 siehe Anlage 1 1974 Städtebaulicher Ideenwettbewerb der für die Innenstadterneuerung durchgeführt wurde. Der Rahmenplan zeigte die Defizite der vorhandenen Bebauung, Nutzung und verkehrlichen Erschließung auf, aber auch wichtige städtebauliche Qualitäten, die bei weiteren Planungen und Bebauungen zu beachten waren, u. a. - Städtebau und Einzelbauten - Denkmalschutz, Ensemble, Einzeldenkmale - Stadträume, Plätze, Raumkanten Der 1. Preis ging an das Architektur- und Planungsbüro P7 Stuttgart Ergebnis 1. Preis: Verkehrserschließung (autobahnartig mit vier Fahrspuren) als westliche Altstadttangente und zwei neuen Erschließungsschleifen, zum Teil ergänzend zum bestehenden Straßennetz. Im westlichen Bereich der historischen Altstadt wurde ein neues Einkaufs- und Parkierungszentrum unter Verlust historischer Bausubstanz vorgeschlagen. Siehe Anlage 2 1974-1979 zahlreiche Bürgerbeteiligungsverfahren und Bildung einer Bürgerinitiative 1972 (Marktdreieck) „Altstadtsanierung SO NICHT“ mit starker Kritik an den vorhandenen Planungen, vor allem an der „Altstadttangente“, den geplanten Verkehrsschleifen und an der geplanten massiven Neubebauung. 1976-1979 Die Kritik führte dann zu einem weiteren Planungsabschnitt mit der Erstellung eines Städtebaulichen Rahmenplanes mit 19 Einzelmaßnahmen für die ersten baulichen Veränderungen. 1976 Der Planungsauftrag ging an das Architektur- und Planungsbüro P7 Stuttgart. Parallel erfolgte ein Verkehrsgutachten durch das Ing. Büro Bender und Stahl (Verkehrserhebung und Parkierung) siehe Anlage 3 Verkehrsplanung: 1983 Altstadttangente wird auf zwei Spuren reduziert, der Weiterbau Richtung Neustadter Straße bleibt noch als weitere Option erhalten (hält sich bis in die 2000-ender Jahre und wird dann aufgegeben), neue Verbindung Lange Str. bis Weingärtner Vorstadt jeweils bis zur geplanten Marktgarage im Jahr 1983 von Lange Straße neu gebaut, siehe Anlage 4 1977 Nordwestlicher Stadtbereich (mittleren Lange Straße, Scheuerngasse, Schmidener Straße, Weingärtner Vorstadt und Obere Sackgasse) wird in das Sanierungsprogramm von Bund und Land aufgenommen. Erste Sanierungs- und Baumaßnahmen von privaten und öffentlichen Investoren, u. a. 1974-1977 Marktdreieck Waiblingen Projekt einer öffentlichen und privaten Investorengruppe zum Bau eines Einkaufszentrums mit Gaststätte mit Kegelbahn, Läden, Volksbank, private Buchhandlung mit Bürobedarf, Arztpraxen, Wohnungen, Stadtbücherei, Büros der Stadtverwaltung und zwei durchgehende Passagen. (Architekt Wilfried Beck-Erlang und Mitarbeiter, Stuttgart) 1979 Architektenwettbewerb zum Bau eines Einkaufs- und Parkierungsschwerpunktes für ca. 300 PKW-Parkplätze Ausgelobt durch eine Bauherrengemeinschaft der Stadt Waiblingen, der Sparkassenversicherung und eines privaten Investors. Der 1. Preis ging an das Architektur- und Planungsbüro P7 Stuttgart Der Entwurf des neu geplanten Einkaufs- und Parkierungsschwerpunktes orientiert sich nun an der baulichen Maßstäblichkeit der historischen Altstadt mit den dort üblichen steilen Satteldächern. Die Lage der Einkaufs- Büro- und Wohnflächen liegt imvon der Lange Straße und dem Marktplatz aus betrachtetrückwärtigen, oder auch westlichen Teil, hinter den Gebäuden der Lange Straße und im Bereich der historischen Stadtmauer. Das gesamte Einkaufszentrum wird vom Marktplatz aus über eine zentral gelegene Fußgänger-Passage für die Einkaufenden erschlossen. Parkierung ist in drei Untergeschossebenen vorgesehen, mit einer Zufahrt von Norden, halbgeschossig unter Gelände führend in das erste Garagengeschoss, und von einer Querverbindung Lange Straße zur Altstadttangente (zweispurig) aus. 1979-1983 Planung und Baukonzeption wurden dann in weiteren Bürgerbeteiligungsrunden, u.-a. einer Bürgerversammlung in der städtischen Turnhalle vorgestellt und sehr kritisch mit den Vorschlägen und Maßnahmen diskutiert. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 247 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns Das gesamte Sanierungsprojekt wurde dann mit allen an der Planung Beteiligten in einer Jahre dauernden Abstimmungsphase in allen Details, baulich, grundstücksbezogen und baurechtlich besprochen, abgestimmt in den Einzeldetails und immer fortwährend diskutiert und korrigiert. Private und öffentliche Interessen mussten „unter einen Hut“ gebracht werden. 1983 wurde dann die erforderliche Straßenverbindung Lange Straße zur Weingärtner Vorstadt, die Verbindung zur geplanten Zufahrt der zukünftigen öffentlichen Tiefgarage Marktgasse gebaut. Siehe Anlage 4 1980 parallel zum geplanten Bauprojekt Marktgasse erfolgten im Stadtgebiet weitere Maßnahmen zur Stadtsanierung: 1977 Fassadensanierungen der Fachwerkhäuser, Fachwerkfreilegungen und Zuschüsse 1979 Thermographisches Fassadenkataster 1981 Große und kleine Erleninsel werden über Verbindungsbrücken über die Remsarme zum neu geplanten Bürgerzentrum und der weiteren Talaue, untereinander und vor allem mit der historischen Altstadt für Fußgänger zugänglich gemacht und verbunden. 1983 erste Fußgängerzone in der mittleren Lange Straße 1985 Überbauungskonzept Marktgasse muss geändert und überarbeitet werden Aufgrund von privaten Einwänden muss das Baukonzept geändert werden und die neuen Bauflächen den grundstücksmäßigen Überbauungsmöglichkeiten angepasst werden. Sanierungsverweigerer werden ausgespart. Konzentration der Bebauung parallel in der ehemaligen Sachsenheimer Gasse in Fortsetzung der dort vorhandenen Kopfbauten an der Lange Straße mit Bildung einer Fußgänger-Passage als Haupterschließung, mehrgeschossig, jeweils mit treppenfreien Zugängen. Wie die inzwischen vorliegenden Langzeiterfahrungen langfristig bestätigen, ein deutlicher Qualitätszuwachs der Fußgänger-Passagen. Erhaltung der historischen Stadtmauern, soweit baulich erhaltensfähig, vor allem der historischen Vormauer und des Zwingerbereiches, die zudem noch baurechtlich als Fluchtwege für die Tiefgaragen-Ebenen genutzt wurden. Bebauungskonzept mit kleinen innerstädtischen Freiflächen mit hoher Aufenthaltsqualität. Bebauungskonzept als westliche Begrenzung mit teilweise rekonstruierter Stadtmauer, davor neuer Mauergang und erhaltenem Zwingerbereich mit Wehrtürmen. Baudetails historisch und mit neuer Interpretation der Mauer-Architektur und hoher, durch Vormauer bedingt, Aufenthaltsqualität. 1989 Einweihung Marktgasse Siehe Anlage 5 und ff. Anlage 1 1973 Bestandsaufnahme zur Innenstadterneuerung Waiblingen-Stadtbild 248 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns Anlage 2 1974 Städtebaulicher Ideenwettbewerb Innenstadterneuerung Waiblingen 1. Preis: Architektur- und Planungsbüro P7 Stuttgart (mit Altstadttangente 4-spurig) Anlage 3 1976-1979 Städtebaulicher Rahmenplan 1976 Planung durch das Architektur- und Planungsbüro P7 Stuttgart Einkaufszentrum noch im Norden des Plangebietes mit Fußgänger-Passage vom Marktplatz aus. 1985 korrigiert und Passage nach Süden in den Bereich der ehem. Sachsenheimer Gasse verschoben. Kopfbauten an der Lange Straße bleiben erhalten. Im Bereich Lange Straße 36 später durch Neubau ersetzt Straßenbau im Westen zur Erschließung des Einkaufszentrum mit Parkgarage bereits auf zwei Spuren reduziert. Wurde dann auch so realisiert. 1987-1989 Bau des Einkaufs- und Parkierungsschwerpunktes Marktgasse Architektur- und Planungsbüro P7 Stuttgart Historischer Stadtmauerbereich Weingärtner Vorstadt: - Bauaufnahme und Bauanalyse der bestehenden historischen Stadtmauer, bestehend aus - Vormauer mit ca. 4-6 m Fundamentmauer und Obermauer, zweischalig, Bruchstein - Zwingerbereich, aktuell mit Altbaubestand in schlechtem Bauzustand (Abbruch) - Hauptmauer, ca. 6-8 m Höhe, Bruchstein, zweischalig mit Auffüllung des Zwischenraums, ohne Fundament, direkt auf Gelände, - z. Teil nicht mehr erhaltungsfähig Kopf bauten an der Lange Straße - Erhaltung und Anbau des neuen Zentrums mit ca. 3-4-geschossiger Unterkellerung des Neubaus durch Unterfangung der Westfassaden Einkaufszentrum mit Läden und Büros und Einkaufspassage mit westlichem und östlichem Zugang und dreigeschossiger Tiefgarage für ca. 300 PKW 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 249 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns 1983 bereits erfolgte der Bau der Verbindungsstraße von Lange Straße zur Weingärtner Vorstadt, jeweils als Einbahnstraße bis zur Zufahrt zur Parkgarage des neuen Einkaufszentrums Markgasse, Bild oben und rechts Erhaltungsfähiger Teil der Stadtmauer mit Unterfangungsarbeiten (Kopf bau zur Schmidener Straße bereits abgebrochen (ab 1990 durch Neubau ersetzt) Stadtmauer Bestand Hauptmauer und Vormauer beim Beginn der Sanierung, hier konnte nur die Vormauer erhalten werden mit ca. 6.00-8.00 m vorhandenes Fundament Kopf bauten zur Lange Straße Nr. 38, rechtes Bild und Nr. 40: ehemaliges Kameralamt, zu diesem Zeitpunkt 1987 bereits saniert, mit Unterfangung der Untergeschosse und Außenmauern 250 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns Vormauer mit Wehrturm im Bereich der Weingärtner Vorstadt: konnte erhalten werden, dank der Fundamenttiefe, wurde dann als Notausgang aus der Tiefgarage aktiviert. Neubau Einkaufszentrum mit Läden und Büros und Einkaufspassage mit westlichem und östlichem Zugang 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 251 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns Zugang von Westen (Straße Weingärtner Vorstadt) Stadtmauer im westlichen Bereich mit Zwinger erhalten, rechts Notausgang parallel zur Vormauer Zugang von Osten (Lange Straße und Marktplatz) 252 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns Weitere Maßnahmen zur Stadtsanierung Waiblingen 1974-1983 1974-1977 Marktdreieck Waiblingen Projekt einer öffentlichen und privaten Investorengruppe zum Bau eines Einkaufszentrums mit Gaststätte mit Kegelbahn, Läden, Volksbank, private Buchhandlung mit Bürobedarf, Arztpraxen, Wohnungen, Stadtbücherei, Büros der Stadtverwaltung und zwei durchgehende Passagen (Architekt Wilfried Beck-Erlang und Mitarbeiter, Stuttgart). Foto zeigt bereits den Umbau der Jahre nach 1990, ohne die Freitreppe zum Rathausplatz 1976 Sanierung Altes Rathaus Umbau zu einem Restaurant mit einer offenen Säulenhalle 1979-1990 Thermographisches Fassadenkataster (und ca. 40 Fachwerkfreilegungen) Fassadenkataster für alle Straßenabwicklungen der historischen Altstadt Thermographische Aufnahmen von Einzelbauten und als ein Beispiel, die 1983 erfolgte Fachwerkfreilegung des ehemaligen Kameralamtes, Lange Straße 40 und Umbau zum Kulturzentrum für Malerei (Erdgeschoss Zentrum für Nachwuchskünstler) und Konzert (Kellergeschoss mit Rundbogenportal und Wohnungen (Obergeschosse), als Beitrag für TAW 2027 vorgesehen 1980-1990 Erleninseln und Rems-Talaue werden als Grün-Freizeit-Sport- und alternative Kulturbereiche entdeckt. Ausgangspunkt waren die Bauten des Bürgerzentrum 1985 Hallenbades und der Rundsporthalle 1981 Einweihung der Fußgängerbrücken Erleninseln Planung und Bau durch das Stuttgarter Ing. Büro Prof. Leonhardt 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 253 Waiblingen - 50 Jahre Stadtsanierung des historischen Stadtkerns Brücken von der Erleninsel zum Bürgerzentrum Foto oben, in der Talaue der Rems erschließen, auch mit Brücken untereinander eine bisher unbeachtete brach liegende Grünfläche, die dann zum Zentrum für Erholung und Grünerlebnis wird und zum Platz für Kunst-installationen. Brücke von der großen zur kleinen Erleninsel 1983-1990 Haus der Stadtgeschichte 1553 (d) 2008 Galerie und Kunstschule 2009 Kunst Pavillon Eliasson bilden nun gemeinsam einen neuen Schwerpunkt in der Stadtsanierung als das Waiblinger Kulturdereieck an der Rems, ein „Kraftfeld für Kunst und Kultur“ (Zitat aus Waiblinger Veröffentlichungen) Architekturbüro Hartwig N. Schneider Stuttgart, ermöglicht durch die Eva Mayr- Stihl-Stiftung Waiblingen, 2016 Stiftungsgebäude am Beinsteiner Torturm 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 255 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk Prof. Dr.-Ing Sylvia Stürmer HTWG Konstanz Dipl.-Ing . Claudia Neuwald-Burg Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB, Stuttgart Zusammenfassung: Der Artikel befasst sich mit den Möglichkeiten für die Weiterverwendung und Wiederverwendung von Ziegeln und -mauerwerk aus bestehenden Gebäuden - als ein wertvoller Beitrag zur Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit. Für die Weiternutzung ist entscheidend, dass die Tragfähigkeit und die Dauerhaftigkeit sichergestellt sind. Die Entscheidung über die Weiternutzung von Mauerwerk, Mauerwerksteilen oder Abbruchziegeln muss immer auf die individuelle Situation des Gebäudes, seine Umgebung, Nutzung und die klimatischen Randbedingungen abgestimmt werden. Die Autorinnen zeigen Beispiele und erläutern, welche technischen Regelwerke für die Bewertung verwendet werden können. Für die Wiederverwendung von Ziegeln werden Prüf- und Bewertungsmethoden vorgestellt. 1. Einleitung Angesichts des CO 2 -Problems, der Rohstoffknappheit und des auch immer knapper werdenden Deponieraums sind bei Neubauten nachhaltige Entwürfe, Baumaterialien und Bauverfahren gefordert. Aufgrund des großen Gebäudebestands stehen der verantwortungsvolle Umgang mit bestehenden Gebäuden und deren Abbruchmaterialien ebenso im Fokus. Die Weiternutzung oder Umnutzung von bestehenden Gebäuden hat das größte Nachhaltigkeitspotenzial. Es kann jedoch verschiedene Gründe geben, das Mauerwerk mit seinen technischen Leistungsgrenzen und den vorhandenen Bauteilgeometrien nicht erhalten zu können. Dann sollte die Wiederverwendung der Ziegel angestrebt werden. Dies setzt voraus, dass sie unbeschädigt aus dem Mauerwerk entfernt und möglichst rückstandsfrei von anhaftenden Mörtel- und Putzresten gereinigt werden können. Neben dem Aufwand für die sortenreine Trennung können die Qualitätskontrolle und die Logistik Hemmnisse bei der Wiederverwendung von ganzen Ziegeln sein. In den meisten Fällen wird das Abbruchmaterial daher zu Splitt verarbeitet. Je besser das Ziegelmaterial von den anderen Mauerwerksbestandteilen, Mörtel und Putz, getrennt werden kann, desto vielfältiger sind die Verwendungsmöglichkeiten. Auch Ziegelsand in hoher Qualität kann verwendet werden, wenn er ausreichend rein ist. 2. Erhalten des Mauerwerks Der nachhaltigste Umgang mit historischem Mauerwerk ist die möglichst lange Weiternutzung des Gebäudes bzw. der vorhandenen Bauteile, soweit es der Erhaltungszustand zulässt. Dazu müssen die vorhandene Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit sowie, je nach Nutzungsart, auch bauphysikalische Eigenschaften durch geeignete Prüfverfahren nachgewiesen werden. Bei der Beurteilung von älterem Mauerwerk sind die aktuellen deutschen Normen (z. B. DIN EN 1996/ NA) oft nicht anwendbar. Sie beziehen sich vor allem auf die Bemessung von Neubauten. Bei historischem Mauerwerk sind jedoch bauliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Maßtoleranzen, ungleichmäßige Fugendicken, starke Streuung der Materialeigenschaften, Alterungs- und Verwitterungserscheinungen, Risse und Verformungen, nachträgliche bauliche Veränderungen und ältere Reparaturen müssen bewertet werden. Einzelne technische Eigenschaften des Materials, wie zu große Saugfähigkeit oder zu große Schwankungen technischer Eigenschaften, können die weitere Nutzung einschränken - ebenso wie Unsicherheiten bei der Beurteilung der Qualität oder fehlende Erfahrungen für die Einschätzung der technischen Rest-Lebensdauer. Systematische Untersuchungen helfen, die historische Substanz zu „verstehen“ und eine zuverlässige Bewertungsgrundlage zu entwickeln. Die Ziele der Untersuchung müssen klar definiert und zwischen den Verantwortlichen abgestimmt sein. Die Untersuchungen müssen sich an der angestrebten Nutzung des Gebäudes und den damit verbundenen Sanierungszielen (Instandhaltung, Konservierung, Restaurierung, Verstärkung, energetische Sanierung etc.) orientieren und je nach Bedarf mit einfachen Verfahren auch auf der Baustelle durchzuführen sein. 2.1 Vorüberlegungen Die Weiternutzung von Mauerwerken sollte stets angestrebt werden, wenn eine sinnvolle und substanz- und klimatisch verträgliche Nutzung möglich ist und die zu erwartende Restlebensdauer die vorgesehene Nutzungszeit übersteigt. Um dies zu entscheiden, müssen der Zustand des Gebäudes, der Bauteilabschnitte und seiner Materialien untersucht werden. Dabei ist zu berücksichtigen, ob Instandsetzungs- oder Verstärkungsmaßnahmen notwendig und technisch möglich sind. Stark salzbelastetes 256 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk Mauerwerk kann z. B. erhalten werden, wenn der Salzgehalt im oberflächennahen Bereich reduziert werden und es trocknen kann. Danach sollte es optimalerweise dauerhaft trocken gehalten werden. Andernfalls lassen sich fortschreitende Schadensprozesse kaum verhindern (Abb. 1a). (a) (b) Abbildung 1: (a) Bauschädliche Salze können Mauerwerk zerstören, (b) die Feuchtigkeitseinwirkung sollte gestoppt und der Mörtel ersetzt werden. Es ist zu prüfen, welche technischen Maßnahmen zur Instandsetzung geeignet und wirtschaftlich vertretbar sind. Kriterien für die Entscheidung können u. a. sein: • Welcher Zustand des Bauteils ist für die geplante Nutzung notwendig? • Für welchen Zeitraum soll das Mauerwerk weiterhin genutzt werden? • Sind Sanierungsmaßnahmen erforderlich, um den gewünschten Zustand zu erreichen? • Welche Sanierungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, um das Mauerwerk in den gewünschten Zustand zu versetzen? • Welche Unterhaltskosten sind angemessen, um das Mauerwerk langfristig zu erhalten? Erst nach Beantwortung dieser Fragen kann eine fundierte Entscheidung getroffen werden, ob das Mauerwerk erhalten werden soll oder nicht, basierend auf technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen und dem Ziel der Nachhaltigkeit. 2.2 Bewertung der vorhandenen Druckfestigkeit Empfehlungen für geeignete Untersuchungs- und Prüfverfahren zur Beurteilung der Mauerwerksqualität finden sich in den WTA- Merkblättern: 7-1 und 7-4. Mit deren Hilfe können Mauerwerk, Ziegel und Mörtel zuverlässig bewertet werden [1, 2]. Bei Arbeiten an bestehenden Gebäuden sind die Tragfähigkeit und die Nutzungssicherheit von besonderer Bedeutung. Mauerwerke haben i.d.R. gute Festigkeitseigenschaften. wEine grobe Schätzung der Druckfestigkeit ist bei Mauerwerken in gutem Zustand häufig ausreichend. Die Materialfestigkeit kann dann aus Bauunterlagen oder Erfahrungswerten aus Untersuchungen an ähnlichen Mauerwerken ermittelt werden. Wenn eine genauere Überprüfung erforderlich ist, muss die Druckfestigkeit experimentell ermittelt werden. Dies ist in der Regel der Fall, wenn Umbauten geplant sind, die zu erhöhten Belastungen führen, oder wenn das Mauerwerk durch äußere Einflüsse wie Überbelastung oder starke Witterungsbeanspruchung geschwächt ist. In der Regel wird das Bewertungsverfahren auf der Grundlage der geltenden Mauerwerksnormen DIN EN 1996/ NA durchgeführt. Je nach Alter des Gebäudes können auch die zum Zeitpunkt der Errichtung gültigen Normen herangezogen werden. Diese Normen sind jedoch nur innerhalb bestimmter Randbedingungen anwendbar. Für Mauerwerk, das deutlich von Normvorgaben abweicht, müssen andere Methoden angewendet werden. WTA 7-4 [2] schlägt dafür Prüfungen an verschiedenen Probekörperarten zur Beurteilung der Druckfestigkeit vor. Selten werden größere Mauerwerksprüfkörper aus Gebäuden entnommen (Abbildung 2a). In den meisten Fällen wird die Druckfestigkeit indirekt durch die Prüfung von Mauersteinen, Mörtelprüfkörpern oder Bohrkernen (Abbildung 2 b) betreffender Mauerwerke bestimmt. Die Vorgehensweise ist bei allen Methoden grundsätzlich gleich. Sie umfasst die Probenahme, Laboruntersuchungen, Umrechnung der Prüfergebnisse auf die genormten Bezugsgrößen, statistische Auswertung und Plausibilitätsprüfung. Besondere Regeln gelten für denkmalgeschützte Gebäude, bei denen die Probenahme zu einem inakzeptablen Substanzverlust führen kann und Anzahl und Größe der Proben eingeschränkt sind. Im WTA-Merkblatt 7-4 werden die Prüfverfahren im Detail beschrieben. In besonderen Fällen können auch Belastungsversuche oder In-situ-Prüfverfahren, wie z. B. Flat-Jack-Tests, eingesetzt werden. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 257 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk (a) (b) Abbildung 2: Festigkeitsprüfung: (a) Mauerwerksteilstück nach dem Druckversuch (b) Versuchsauf bau für die Prüfung der Spaltzugfestigkeit von Fugenbohrkernen. 3. Wiederverwendung von Ziegeln In der vorindustriellen Zeit und nach den Zerstörungen der Kriege des 20. Jahrhunderts war es üblich, alte Ziegel von Hand zu reinigen und für Reparaturen und Neubauten zu verwenden. Bei historischem Mauerwerk, dessen Fugen aus reinem Kalkmörtel bestehen, ist der Ausbau und die Wiederverwertung von Ziegeln relativ einfach. Bei Mauerwerk mit einem stärkeren Ziegel-Mörtel-Verbund mit hydraulischen oder puzzolanischen Mörteln kann es möglich sein, ganze Mauerwerksabschnitte in neuen Bauvorhaben wiederzuverwenden. Diese Möglichkeit ist auf Einzelfälle beschränkt. Ehrgeizige moderne Projekte wie die vom dänischen Architekturbüro Lendager entworfenen Resource Rows in Kopenhagen, Wohnungen und Reihenhäuser mit Fassaden aus Betonfertigteilen mit wiederverwendeten Mauerwerksteilen als Verblendung, tragen jedoch dazu bei, alte Baumaterialien erlebbar zu machen und die Akzeptanz für unkonventionelle Verwendungsmöglichkeiten für abgebrochene Materialien zu fördern (Abbildung 3). (a) (b) Abbildung 3: Kreativer Umgang mit Abbruchmaterial (a) Resource Rows, Kopenhagen (b) Detail (Fotos: Heinrich Wigger) Um die Wiederverwendung von Ziegeln aus einem bestehenden Gebäude zu verstärken, müssen die ArchitektInnen bei der Planung und Umsetzung anders vorgehen als bei Standard- Neubauprojekten. Geeignete Komponenten müssen vor dem eigentlichen Entwurf „aufgespürt“, bewertet und kartiert werden. Während bei einem Neubau das Material den Entwürfen entsprechend ausgewählt wird, muss der Entwurf beim Recycling an das verfügbare Material angepasst werden. Abbruch und Materialwirtschaft werden zu wesentlichen Bestandteilen des Bauprozesses. Abbruchausschreibungen müssen frühzeitig vorbereitet werden. Leistungen wie Materialkartierung, Rückbau, Reinigung und Aufbereitung von Materialien müssen detailliert beschrieben und überwacht werden. Je nach ihrem Zustand und den technischen Eigenschaften können Ziegel an Fassaden oder im Inneren von Gebäuden wiederverwendet werden. Recycelte Ziegel werden für die Instandsetzung alter Bausubstanz, aber auch in der modernen Architektur benötigt. Die Akzeptanz von wiederverwendeten Ziegeln nimmt zu. Bedeutende Architekten haben dazu beigetragen, wie David Chipperfield (Neues Museum Berlin) oder Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir und Marc Oei (Kunstmuseum Ravensburg, siehe Abbildung 4). Die Fassade und die Gewölbe des Kunstmuseums bestehen aus Ziegeln, die aus den abgerissenen Gebäuden eines Klosters in Belgien stammen. 258 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk (a) (b) (c) (d) Abbildung 4: Alte Ziegel im neuen Gebäude: (a) Kunstmuseum Ravensburg, (b) Mauerwerksdetail, (c) Sicht- und Klangprüfung alter Ziegel, (d) Verwendung der alten Ziegel in der neuen Gewölbedecken-Konstruktion, Ziegel raumseitig sichtbar. (Fotos: Georg Reisch GmbH, Bad Saulgau) Die historischen Ziegel wurden nicht nur aus gestalterischen Gründen im architektonischen Kontext der historischen Altstadt von Ravensburg eingesetzt, sondern waren auch Teil des Nachhaltigkeitskonzepts. Die alten Ziegel sind nicht nur maßgebend in der Fassade (Abb. 4a und 3b), sondern auch im sichtbaren Teil der Deckenkonstruktion (Abb. 4c) Als Recyclingmaterial waren diese Ziegel zwar nicht billiger als neue Ziegel mit „historischem“ Aussehen, weisen aber trotz des langen Transports eine bessere Energie- und Materialbilanz auf, da zu ihrer Herstellung keine neuen Rohstoffe und keine Energie benötigt wurden. Andererseits erforderten die wiederverwendeten Ziegel mehr Aufwand bei der Qualitätsprüfung gegenüber neuen, genormten Ziegeln. Aber nicht zuletzt war die Optik überzeugend. Je nach Verwendungszweck müssen die gebrauchten Ziegel unterschiedliche Qualitätsmerkmale erfüllen, die inzwischen in der EAD 170005-00-0305 definiert sind. Im Falle des Kunstmuseums Ravensburg wurden die Ziegel einer firmeninternen Qualitätskontrolle unterzogen, um eine ausreichende Dauerhaftigkeit erzielen zu können. Für die Bewertung historischer Ziegel haben sich die, in Tabelle 1 dargestellten, auf Grundlage ausführlicher Forschungsarbeiten unter Leitung von Frau Dr. Freyburg ermittelten Werte (beschrieben u. a. in [5, 6]) als geeignet erwiesen. Als baustellengeeignet, vor allem für die Verwendung von Recyclingziegeln in Ziegelsichtfassaden, hat sich ein Test bezüglich der Ausblühneigung bewährt (Abbildung 5), um mit wenig Aufwand vor Ort, z. B. im Baucontainer, den ausblühfähigen Eigensalzgehalt auch einer großen Anzahl von Ziegeln, insbesondere bei unterschiedlicher Herkunft, prüfen zu können. Tabelle 1: Empfohlene Werte für die Bewertung der Dauerhaftigkeit von wiederverwendeten Ziegeln nach [4, 5] Materialeigenschaften Empfohlener Grenzwert Scherbenrohdichte [g/ cm³] > 1,86 Wasseraufnahme [M-%] ≤ 16 Druckfestigkeit ≥10 N/ mm² Abbildung 5: Einfach anzuwendender Ausblühungstest (nicht normativ geregelt) 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 259 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk 4. Recyceln Abgebrochenes Mauerwerk, aus dem keine brauchbaren Ziegel gewonnen werden können, wird zerkleinert und sortiert, bevor es für andere Zwecke verwendet wird. Im Vergleich zu anderen Mauerwerkstypen lassen sich die Bestandteile von Ziegelmauerwerk sehr gut zerkleinern und in fast reine Körnungen trennen. Dennoch wird der Großteil des Mauerwerksschutts derzeit noch als Füllmaterial verwendet. Dies kann ökologisch sinnvoll sein, wenn es in unmittelbarer Nähe des Abbruchortes geschieht, um Transportwege zu vermeiden und natürliche Gesteinskörnungen zu schonen [6]. Ein erheblicher Teil des Ziegelbruches wird für die Herstellung von gebundenen oder ungebundenen Oberbauschichten im Straßenbau verwendet [3]. Hochwertiger Ziegelsplitt wird auch als Vegetationssubstrat und für Sportplätze verwendet. Voraussetzung dafür ist, dass keine schädlichen Rückstände enthalten sind, was vorab geprüft wird. Auch wenn der Anteil von Ziegelmauerwerk an der Gesamtmenge der Bauabfälle im Vergleich relativ gering ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten das gebrochene Material einzusetzen [3]: a. Hochwertiger Ziegelsplitt und Ziegelmehl können als Rohmaterial für die Herstellung neuer Ziegel verwendet werden. Neben der Einsparung von Primärrohstoffen kann dieses Verfahren auch Energie sparen [6]. b. Mauerwerksschutt mit einem hohen Anteil an Ziegeln (> 50 %) kann zu leichten Gesteinskörnungen verarbeitet werden. c. Zerkleinertes Mauerwerk kann als Gesteinskörnung für die Herstellung von R-Beton verwendet werden. Die letztgenannte Verwendung hat eine lange Geschichte. Ziegelmehl und -splitt wurden bereits in der Römerzeit verwendet, wie zahlreiche erhaltene Bauwerke und Bauteile belegen. Das bekannteste Material aus dieser Zeit ist wohl das opus caementicium, bei dem die Römer Ziegelsplitt und andere keramische und natürliche puzzolanische Materialien mit Kalk als Bindemittel in festen Mörteln und „Betonen“ verwendeten. Auch in Estrichmörteln (als opus signinum) wurde Ziegelbruchmaterial verwendet. Großer Mengen an Mauerwerk wurden nach dem Zweiten Weltkrieg recycliert, als die Trümmer des Krieges beseitigt werden mussten und Baumaterialien knapp waren. Nach 1960 wurde diese Praxis aufgegeben. Leider wurden die Rezepturen und Erfahrungen aus dieser Zeit nicht dokumentiert. Informationen über die Dauerhaftigkeit der Bauteile und der daraus hergestellten Konstruktionen wurden im Rahmen verschiedener, DBU-geförderter Forschungsprogramme gewonnen, in dem die wichtigsten Parameter des Festbetons an Bauwerken aus dieser Zeit bewertet und mit den Anforderungen an heutige Betone verglichen wurden [7]. Ein im Rahmen eines DBU-geförderten Projekts der GH Kassel untersuchtes Objekt ist die Fatima-Kirche in Kassel des, für seine monumentalen Bauwerke bekannten Architekten Gottfried Böhm (+). Nach ca. 60-jähriger Bewitterung war die Sichtoberfläche des nahezu unbewehrten und fugenlosen Trümmerschutt-Betons überwiegend in gutem Zustand und es bedurfte nur lokaler Reparaturen mit nachgestellten Beton-Rezepturen. Im Zusammenhang mit dem geplanten Neubau des Technischen Rathauses in Tübingen erwies sich der Entwurf des Architekturbüros Ackermann+Raff als am besten geeignet, den zu klein gewordenen Bestandsbau aus den 50er Jahren zu erhalten und in den Entwurf des Gebäudekomplexes zu integrieren. Im Rahmen eines Objekttermins des bauleitenden Architekts mit Vertretern der Fakultät Bauingenieurwesen der HTWG Konstanz wurden die Baumaterialien aus den 1950er Jahren visuell begutachtet. Erst dabei wurde festgestellt, dass sowohl die Stahlbeton-Stützen als auch die Mauersteine der Flurwände bereits aus Recycling- Baustoffen (Ziegelsplitt-Beton) erstellt wurden. Im Rahmen einer Masterthesis an der HTWG Konstanz [9] wurden Proben von den Leichtmauersteinen (im Format 385 × 255× 220 mm, Abbildung 5a) und von einer Stütze aus Ziegelsplitt-Beton (Abbildung 5b) entnommen und bezüglich technischer Kennwerte, Gefüge etc. untersucht und bewertet. Ein weiteres Beispiel für die Dauerhaftigkeit von Recycling- Baustoffen ist ein beliebtes Studenten-Wohnheim der Nachkriegszeit, das Max-Kade-Haus in Stuttgart, ein 15-stöckiges Hochhaus - ebenfalls aus Trümmerschutt-Beton, bemessen von Fritz Leonhardt (+). Die tragende Bausubstanz und die Außenputze sind noch im Original-Zustand. Eine Betonsanierung war bisher nicht erforderlich. Bohrkerne des im Untergeschoss beprobten Stahlbetons weisen deutlich mehr Ziegelbruch auf als heutige R-Betone mit Typ 2-RC-Splitt. (a) (b) Abbildung 5: Recyclingmaterial aus den 1950er Jahren (a) Leichtbetonmauersteine mit Ziegelsplitt (b) Ziegelsplittbeton, der eine feste und intakte Struktur aufweist 260 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk Beide Bestandsmaterialien mit recyclierten Körnungen weisen ein festes und intaktes Gefüge und keine Fremdsalzbelastung auf. Die Gesteinskörnung enthält neben Splitt von verschiedenen Ziegeln unterschiedlicher Farbe und Dichte auch gebrochene Mörtelfragmente (Abbildung 5 b). Der Verbund zwischen Zementstein und RC-Körnungen ist sehr gut, was durch das Eindringen eines Teils des Zementleims in die poröse Struktur der Körnungen begünstigt wurde. An der Phasengrenze zwischen Zementstein und Gesteinskörnung gibt es keine Risse oder Ablösungen. Trotz des porösen Gefüges und des Betonalters von rund 70 Jahren sind noch ausreichend hohe Festigkeiten vorhanden, so dass einer Weiternutzung nichts im Wege steht. Für die wesentlichen tragenden Betonbauteile des Neubaus wurde R-Beton eines regionalen TBW geliefert. Somit vereint das Gebäude heute Betone mit recyclierten Gesteinskörnungen aus dem 20. und 21. Jahrhundert (Bild 6a und 6b). Tabelle 2: Technische Kennwerte der Ziegelsplittbetone des Technischen Rathauses Tübingen aus den 1950er Jahren aus [9] Ziegelsplitt-beton der Stütze Leichtbetonblock mit Ziegelsplitt Rohdichte [g/ cm³] 1,65 Stege 1,75 Lochanteil 37 % Druckfestigkeit [N/ mm²] 11,3 8,7 dyn. Elastizitätsmodul [N/ mm²] 13.000 7.100 bis 16.700 Biegezugfestigkeit[N/ mm²] 1,2 n.e. Wasseraufnahme [M-%] n.e. 15,5 n.e.: nicht erfasst Die Verwendung von RC-Baustoffen hat in den letzten Jahren zugenommen, ist aber im Hochbau immer noch selten. Während R-Betone mit Typ 1-Körnung (überwiegend aus gebrochenem Beton mit max. 10 % Mauerwerksschutt) derzeit häufiger im Bau eingesetzt werden, gibt es für die Verwendung von Körnungen mit mehr Mauerwerksschutt (= Typ 2-Körnung) in Betonen (Bild 6) noch große Hemmnisse, u. a. die höhere Wasseraufnahme bei Sichtbeton-Fassaden, die jedoch z. B. durch farblose Imprägnierungen kompensiert werden kann. Einer der Gründe dafür ist, dass Planer und Bauherren nicht ausreichend über R-Beton mit RC-Körnungen des Typs 2 informiert sind. Weitere Gründe sind mangelndes Wissen über die strengen Qualitätskontrollen bei lokalen Recyclingunternehmen, schwankende Materialeigenschaften, z. B. unterschiedliche Wasseraufnahme durch verschiedene Ziegelqualitäten und unzureichende Erfahrungen mit der Dauerhaftigkeit in den verschiedenen Expositionsklassen der Betonverwendung. Die erforderlichen Qualitätsanforderungen für RC Typ 2 (mit höherem Ziegelanteil) sind in gleicher Weise wie für Typ 1 (mit 90 % Betonbruch) in den Regelwerken festgelegt. Der Einsatz von Ziegelsplitt in Estrichen wird derzeit im Labor- und Praxiseinsatz untersucht [8]. Die Entwicklung neuer Sortierverfahren wird es in Zukunft ermöglichen, Feinkorn bis hin zum Ziegelstaub als Rohstoff für neue Baustoffe zu nutzen. Vielversprechende Forschungen gibt es auch zur Auf bereitung von gipshaltigem Mauerwerk. Auch die Rohstoffe für die Gipsindustrie werden knapper. Welche Form des Recyclings technisch, ökologisch und ökonomisch am sinnvollsten ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die nicht direkt vergleichbar sind und für die es noch keine einheitlichen Bewertungskriterien gibt. (a) (b) (c) Abbildung 6: (a) Alter R-Beton, verputzt (rechts im Bild) neben neuem R-Beton, (b) fertiger Gebäude- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 261 Weiternutzen oder Wiederverwenden? - Kriterien für den Umgang mit altem Ziegelmauerwerk komplex des Technischen Rathauses Tübingen (Foto: ® Ebener), (c) Neue Materialien mit alten Ziegeln: Typ 2-RC-Körnung mit Ziegelsplitt als Gestaltungselement in modernem R-Beton mit gestrahlter Oberfläche. 5. Schlussfolgerung Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit altem Mauerwerk verantwortungsvoll und nachhaltig umzugehen. Die Möglichkeiten reichen von der uneingeschränkten Erhaltung u. a. durch eine angemessene Baupflege, Wartung und Instandhaltung über die Auf bereitung und Verwendung als Baustoff (ganze Ziegel z. B. am Kunstmuseum in Ravensburg) oder die Verwendung als Rohstoff z. B. als Gesteinskörnung (Ziegelsplitt aus Bauwerksschutt) für hochwertige Neubau-Baustoffe wie R-Beton bis hin zur Verfüllung von Baugruben. Dies kann verschiedene Vorteile mit sich bringen: • Wirtschaftlich: Die kontinuierliche Nutzung kann Zeit und (neue) Herstellungskosten sparen. • energetisch: unter günstigen Bedingungen kann graue Energie für die Baustoffherstellung und Wärmeenergie im Betrieb des Gebäudes (Kunstmuseum Ravensburg als Passivhaus-Museum) eingespart werden • ökologisch: durch Einsparung von Rohstoffen, Deponieraum und Transportkosten • optisch/ ästhetisch: historische Ziegelmauerwerksoberflächen mit unterschiedlichen Rohstoffen, Formaten, Texturen und Brennfarben können von nachgestellten modernen Mauerwerken mit „historisierend“ nachgebrannten Ziegeln kaum in dieser Heterogenität und Vielfalt nachgestellt werden. • kulturell: Durch die Weiternutzung historischer Gebäude können Zeitzeugnisse erhalten werden. Auch bauliches Wissen über heute nicht mehr gebräuchliche Bauweisen wie preußische Kappen, Ziegelgewölbe etc. bleibt so erhalten. Diese Vorteile lassen sich jedoch nur dann nutzen, wenn die Randbedingungen vorher recherchiert wurden und projektbezogen passen. Soll das Mauerwerk selbst als Bestandteil eines Gebäudes erhalten bleiben, muss gewährleistet sein, dass es über die vorgesehene Nutzungsdauer stabil und gebrauchstauglich ist. Für die Qualitätssicherung bei der Weiterverwendung von Abbruchziegeln kann es ausreichen, anstelle von standardisierten Kennwerten individuell auf die neue Verwendung zugeschnittene Bewertungskriterien zu definieren und zu prüfen. Prüfverfahren, die mit einfachen Mitteln auf der Baustelle angewendet werden können, sparen Kosten und erhöhen die Sicherheit, da sie es ermöglichen, eine wesentlich größere Anzahl von Ziegeln zu prüfen, als dies mit Laborprüfungen möglich wäre. Die technologische Entwicklung im Bereich des Recyclings von Mauerwerksschutt ist noch nicht abgeschlossen. Vielversprechende Forschungsprojekte lassen hoffen, dass die Möglichkeiten des sortenreinen Trennens und damit der Wiederverwendung deutlich zunehmen werden. Ein wichtiger Aspekt für ökonomisch und ökologisch sinnvolle Recyclingverfahren sind kurze Transportwege und geeignete Lagermöglichkeiten. Enge, funktionierende Netzwerke von Abbruchunternehmen, Recyclingunternehmen und Baustoffherstellern müssen aufgebaut werden. Ein Problem sind noch die Stoffströme. Langfristig ist die Diskontinuität möglicherweise das größte Hindernis für den Auf bau einer effizienten Recyclingkette - denn auch bei Neubauten aus Recycling-Baustoffen wird die Abfallvermeidung immer der Wiederverwertung vorzuziehen sein. Literatur [1] WTA-Merkblatt 7-1-18/ D Erhaltung und Instandsetzung von Mauerwerk - Konstruktion und Tragfähigkeit [2] WTA-Merkblatt 7-4-21/ D Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerken aus künstlichen kleinformatigen Steinen [3] Rosen, D.: Wiederverwendung und Recycling von Ziegeln. Mauerwerk, 25 (2021), S. 74-81. https: / / doi.org/ 10.1002/ dama.202100002 [4] Freyburg, S., Dissertation. Baukeramisches Gefüge und Dauerhaftigkeit ein Beitrag zur Erhaltung historischer Ziegelmauerwerke. Prof. Dr.-Ing. habil. Jochen Stark; (12/ 2004) [5] Freyburg, S. (1997): Qualitätsmerkmale historischer Ziegel. In. Ziegelindustrie International 7/ 97, S. 411-426 [6] Müller, A.: Energieeinsparungen durch das Recycling von Bauabfällen? Bautechnik 99, H.612 (2022), S. 916-924. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202200098 [7] Stürmer, S.; Fritz, W.: Von historischem Ziegelsplitt und modernen R-Betonen. Ein Plädoyer für mehr Akzeptanz von Recyclingbaustoffen. Bausubstanz Jg. 11, Nr. 6, 2020, S. 37-43 [8] Stürmer, S.; Geiger, S.: RC-Körnungen und R-Betone da geht noch mehr! Urban Mining mit Beton, R-Betone mit 100 % Natursteinersatz und RC-Estriche. Bausubstanz Jg.14, Nr. 2, 2023 S. 30-36 [9] Milkner, V.: Einsatz von Recycling-Beton mit Typ- 2-Körnung bei Hochbauprojekten. Masterthesis an der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung, Fakultät Bauingenieurwesen (Betreuung: Prof. Dr. Sylvia Stürmer) Die Autoren: Prof. Dr.-Ing. Sylvia Stürmer - HTWG Konstanz, Fachbereich Bauwesen, Alfred-Wachtel-Straße 8, 78462 Konstanz. E-Mail: stuermer@htwg-konstanz.de Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg - Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau. Nobelstr. 12, 70569 Stuttgart. E-Mail: claudia.neuwald-burg@irb.fraunhofer.de 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 263 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz Zustandsanalyse der Tragkonstruktion durch zerstörungsfreie Bestandsuntersuchungen Dr.-Ing. Andreas Hasenstab Ingenieurbüro Dr. Hasenstab GmbH, Augsburg Dipl.-Ing. Raphael Schreiber panta ingenieure GmbH, Hamburg Dipl.-Ing. Konrad Zorzi IPG Instandsetzungsplanungs GmbH, Ergolding Zusammenfassung Das expressionistische Schulhaus in der neuen Eisenbetontechnik aus dem Jahre 1911 stellt ein kunsthistorisches Kleinod dar. Seit Jahren erfüllt das Bauwerk seinen Schuldienst und hat tausenden Kinder einen schönen Ort zum Lernen gegeben. Das Bauwerk soll einer notwendigen Generalsanierung unterzogen werden. Im Zuge derer sind die Planungen für einzelne Umbauten am Tragwerk und eine Zustandsanalyse der Tragkonstruktion hinsichtlich einer Weiternutzung der Tragkonstruktion vorgesehen. Aufgrund der auf die Ferienzeiten beschränkten Möglichkeit für Sondagen wurden weitestgehend zerstörungsfreie Bauwerksuntersuchungen vorgesehen. Der Umfang der zu untersuchenden Bereiche wurde mit der Tragwerksplanung festgelegt und die Lage der einzelnen Untersuchungsbereiche mit dem Nutzer abgestimmt. Die zerstörungsfreien Untersuchungen haben den Vorteil, dass sehr große Bereiche relativ schnell ohne Schädigung des Denkmals (im laufenden Betrieb der Schule ohne Beeinträchtigung) untersucht werden können. So konnte frühzeitig die grundsätzliche Konstruktion des Tragwerks und die grundsätzliche Übereinstimmung mit den Bestandsunterlagen festgestellt werden. Auf dieser Basis wurde im Nachgang die Lage von erforderlichen Sondagen (Bauteilöffnungen) und Bohrkernen für die Ferienzeiten festgelegt und eng mit dem Nutzer abgestimmt. Zum Einsatz kamen an der Betonkonstruktion die zerstörungsfreien Prüfverfahren Radar (elektromagnetisch), Bewehrungsortung und Rückprallhammer, an der Holzkonstruktion Bohrwiderstand und Feuchtemessung. Ergänzt wurden die Untersuchungen an Beton durch Sondagen und Bohrkernentnahmen für Druckprüfungen. Mit den Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass sich das Bauwerk in einem relativ guten Zustand befindet. Basierend auf den Ergebnissen dieser Untersuchungen konnte der Umfang der erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen im Zuge der Entwurfsplanung der Tragwerksplanung abgeschätzt und eine grundsätzliche Weiternutzbarkeit des Bauwerks gezeigt werden. 1. Tragkonstruktion des Gebäudes Das Schulgebäude wurde in Nürnberg 1909 in Eisenbeton erstellt. Während des hier beschriebenen Untersuchungszeitraums sind in dem einfach unterkellerten viergeschossigen Gebäude mit Satteldach eine Grundschule und eine Mittelschule untergebracht. Das L-förmige denkmalgeschützte Bestandsgebäude mit einer Höhe von ca. 32 m besteht aus zwei Flügeln, mit den Abmessungen von ca. 63 x 20 m bzw. ca. 47 m x 19 m. Dachkonstruktion: Beim Dachtragwerk handelt es sich um ein Pfettendach mit Gauben in Holzbauweise und einer Eindeckung aus einem Biberschwanzdach in doppelter Deckung. Der Glockenturm und die Nebentürme sind als Holzkonstruktion mit Ausfachungswänden aus Beton hergestellt. 264 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz Abb. 1: Grundriss Schulgeschoss aus dem Jahr 1909 Tragwerk Massivbau: Sämtliche Innen- und Außenwände sind überwiegend übereinanderstehend und in Mauerwerk ausgebildet. Die Eisenbetondecken über den Fluren spannen mit einer Stärke von ca. 13 cm einachsig in Querrichtung über ca. 4,00 m, an den Auflagern sind diese gevoutet und in den massiven Wänden eingespannt. Die Klassenzimmer sind insgesamt ca. 10,50 x 7,00 m groß. Die Decken sind als Eisenbetonplattenbal-kendecke mit einer in über 5 Felder mit je ca. 2,00 m spannenden ca. 8 cm starken Durchlaufplatte, die von den in Querrichtung über ca. 7,00 m spannenden Einfeldträgern b/ h = 25/ 30 gehalten wird. 2. Aufgabenstellung Tragwerksplanung Ziel der Tragwerksplanung ist eine weitestgehende Weiternutzung des Bestandstragwerks bei unveränderter Nutzung und Belastung unter Ansatz des Bestandsschutzes. Nicht angesetzt werden kann der Bestandsschutz bei: - Fehlerhafter Ausführung - Mangelhaften Materialien - Äußeren die Dauerhaftigkeit beein-trächtigende Einflüsse Im Zuge der Entwurfsplanung der Tragwerksplanung wurden zur Schaffung einer statisch belastbaren Basis für die Bewertung der Resttragfähigkeiten die hier beschriebenen umfassenden und systematischen Bauteiluntersuchungen mit Schwerpunkt auf der Untersuchung der Deckenbauteile in Abstimmung mit dem Bauherren und unter Berücksichtigung der Belange des Schulbetriebs durchgeführt. Abb. 2: Schulhaus 2022 Die Untersuchungen des Schulhauses in Eisenbetonbauweise mit hölzernem Dachstuhl wurden durch panta Ingenieure tragwerksplanerisch begleitet und die Messbereiche für die späteren Planungen festgelegt. Abb. 3: Plan mit Lage der Messbereiche 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 265 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz Die zerstörungsfreien Untersuchungen wurden vom Ingenieurbüro Dr. Hasenstab und der IPG durchgeführt und ausgewertet. 3. Zerstörungsfeie Prüfung im Bauwesen Seit einigen Jahren werden unterschiedliche zerstörungsfreie Prüfverfahren (zf P) zur Untersuchung von Bauwerken eingesetzt. Hierbei können die Baustoffe Beton, Holz, Stahl oder Mauerwerk untersucht werden. Das Ziel einer Anwendung der Zf PBau-Verfahren ist: zerstörungsfreie Bauwerksuntersuchung • frühes Erkennen und Eingrenzung von Schäden • Kostenabschätzung bei Instandsetzung durch Kenntnisse über das Bauwerk • zerstörungsfreie Dokumentation und Integritätsprüfung des Bauteilzustandes • Erkundung wenn Pläne fehlen etc. 4. Messverfahren Zur zerstörungsfreien Prüfung im Bauwesen werden unterschiedliche Verfahren eingesetzt. Einen groben Überblick der Verfahren kann der folgenden Tabelle (und der Literatur) entnommen werden. Tabelle 1: zerstörungsfreie Prüfverfahren im Bauwesen (ZfPBau) Elektromagnetische Verfahren: • Radar • Thermographie (passiv/ aktiv) • Röntgen • Wirbelstrom, • Remanenzmagnetismus Akustische Verfahren: • Ultraschallecho • Impact Echo Sonstige Verfahren: • Bohrwiderstand • Rückprallhammer • Endoskopie • Potentialfeldmethode • Bohrkerne • Unter-Wasser- Drohne Ein geübter Umgang mit den Verfahren ist unbedingt erforderlich - nur so können gute Messergebnisse erzielt werden. 4.1 Messverfahren Radar (auch Impulsradar, Georadar) Das Radarverfahren ist ein elektromagnetisches Verfahren und ist vielfältig einsetzbar (siehe folgende Tabelle). Besonders können Metallbauteile, aber auch Strukturen im Inneren von Mauerwerk oder unter Bodenplatten etc. untersucht werden und die Anzahl der zerstörenden Sondagen stark reduziert werden. Eine Optimierung der Untersuchungstiefe und Messauflösung ist auch durch eine Kombination von unterschiedlichen Radarantennen mit unterschiedlichen Messfrequenzen möglich. Tabelle 2: Anwendungsmöglichkeiten des Radarverfahrens Die physikalischen Grenzen des Radarverfahrens werden durch eine zu hohe Materialfeuchte oder Abschirmung durch Metall (Alufolie in Dämmung/ zu enge Bewehrung) definiert. 4.2 Messverfahren (Schmidt-) Rückprallhammer Mit dem Rückprallhammer kann die Beton-Druckfestigkeit der oberflächennahen Schicht bestimmt werden. Untersuchungen am karbonatisierten Beton ergeben zu hohe scheinbare Druckfestigkeiten - hier muss die Druckfestigkeit abgemindert werden. Exakte Druckfestigkeiten können mittels Druckversuch an einem Bohrkern (50mm) bestimmt werden. Für vergleichenden Messungen die Homogenität des Betons ist das Verfahren sehr gut untersucht werden. Abb. 4: Rückprallhammermessung an einer Brücke 4.3 Messverfahren Bohrwiderstand Das Verfahren dient zur punktuellen Untersuchung von Holz. So können Bauteilabmessungen (gleichmäßige Dicke, Aussparungen) sowie inneren Schäden (Hohlstellen, breiten Rissen parallel zur Oberfläche, Fäulnis, ausgeprägter Insektenbefall) detektiert werden. Bei dem Bohrwiderstandsverfahren wird eine dünne Bohrnadel (3mm) mit konstantem Vorschub in das zu untersuchende Holz gebohrt. Bei ungeschädigtem Holz wird so ein hoher Bohrwiderstand gemessen - hingegen bei Fäulnis oder einer Hohllage ein geringer/ kein Widerstand. Für weitere Entscheidungen können so Restquerschnitte bei Schäden für die statische Berechnung bestimmt werden. 266 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz 4.4 Feuchtemessung Die Bauteilfeuchte ist oft von großer Bedeutung, um Schadensmechanismen besser verstehen zu können. Bei Holz kann es bei einer zu hohen Materialfeuchte zu Fäulnis kommen. Die Feuchtemessung am Material erfolgt über eine • direkte Widerstandsmessung mittels Schlagelektroden in die Bauteiloberfläche bzw. Bohrungen (oft bei Holz) • indirekt kapazitiv mittels Vergleichsmessungen (oft bei Putz/ Beton) • direkt durch Bohrmehlentnahme und Darrmethode 4.5 Endoskopie Mittels Endoskopie können Löcher oder Hohlräume untersucht werden. Anwendung: Treffer bei Bohrungen in Spannbinder; Ausdehnung von Hohllagen/ Zwischenböden und deren Zustand; Salzwasser in Verdrängungskörpern 5. Untersuchung des Bauwerks Die Untersuchungen des Bauwerks werden folgen nach Bauteilbereichen gegliedert. Die Untersuchungen wurden am Bauwerk mit Radar, Wirbelstrom, Bohrwiderstand, Feuchtemessung und Rückprallhammer an den - mit der Tragwerksplanung abgestimmten Bereichen - vorgenommen. 5.1 Deckenuntersuchungen Die Zustandsanalyse der sehr filigranen Eisenbeton-Plattenbalkendecken war als Grundlage für die Weiternutzbarkeit ein Untersuchungsschwerpunkt. Hierbei wurden die Betondecken in vielen Gängen in mehreren Etagen und mehreren Klassenräumen großflächig mit Radar untersucht, um einen besseren Eindruck über die Konstruktion zu erlangen. Abb. 5: Radarmessung im Flur in Längs- und Querrichtung Abb. 6: Radarmessungen; oben: dem Gang entlang, teils unterschiedlicher Auf bau; unten: im Klassenzimmer, Querträger gut zu erkennen 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 267 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz Mit den Ergebnissen der Radarmessungen konnten auffällige und unterschiedliche Konstruktionsbereiche sowohl in den Klassenräumen wie in den Gängen unterschieden werden und Stellen für genauere Untersuchungen definiert werden. Die exakte Tiefenlage und Position der oberflächennahen Bewehrung wurde mittels Bewehrungsortungsgeräten bestimmt. Abb. 7: Bewehrungsortung, Estrich entfernt, da geringe exakte Messtiefe von 7-10cm Abb. 8: Ergebnis Bewehrungsortung (teils leicht schräger Verlauf der Eisen und variierende Deckung) Durch Sondagen konnte die Bewehrungsführung und der Erhaltungszustand der Bewehrung ermittelt werden. Ebenso konnten die Ergebnisse der Bewehrungsortung mit den vor Ort festgestellten Betondeckungen und Durchmessern verifiziert werden. Abb 9: Sondage (Bauteilöffnung) mit Eisen Weiter wurde die Lage der vielen Bohrkerne festgelegt. Abb. 10: Bohrkernlöcher im Klassenzimmer Abb. 11: entnommener Bohrkern mit Estrich Die entnommen Kerne wurden bei der KIWA in Gersthofen einer zerstörenden Druckprüfung unterzogen. 268 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz Abb. 12: Bohrkern bei der Druckprüfung bei der KIWA Abb. 13: Untersuchung von Loch mittles Endoskopie neben unzureichend verfülltem Bohrkernloch in Klassenzimmer Mit den Ergebnissen konnten die Pläne verifiziert werden und mit den Materialwerten war eine statische Nachrechnung möglich. 5.2 Treppenhaus Das Treppenhaus wurde aus kunsthistorisch sehr wertvollem Sichtbeton erstellt und eine zerstörende Beprobung war nicht möglich . Abb. 14: kunsthistorisch wertvoller gestockter Sichtbeton im Treppenhaus Die Lage der vorhandenen Eisen wurde mit Wirbelstrom bestimmt. Die Betontruckfestigkeit wurde zerstörungsfrei mittels Rückpragprallhammer vorgenommen. Abb. 15: Rückprallmessungen im Treppenhaus Untersuchungen zur Vorbereitung der Betonoberfläche ohne sichtbetonschädigenden Korund-Schleifstein wurden im Vorfeld an mehreren historischen Betonbauwerken (Bunkern am Atlantikwahl in Frankreich) wissenschaftlich getestet und optimiert. Abb. 16: Ergebnisse der Rückprallmessung mit hoher Betonfestigkeit 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 269 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz 5.3 Wandaufbau Weiter wurde der Wandauf bau in mehreren Etagen beprobt bzw. untersucht. Aufgrund der eingeschränkten Zugänglichkeit und fehlender Bestandsunterlagen musste im Bereich der teilweise in Beton ausgeführten Mansarddächer die vollständige Konstruktion von außen untersucht werden. Abb. 17: Beprobung von Mörtel und Ziegel Abb. 18: Ziegelprobe beim Druckversuch bei der KIWA An den Betonwänden wurde mit dem Rückprallhammer die Betondruckfestigkeit bestimmt und mit dem Hubsteiger von außen an, vom Dachdecker vorbereiteten stellen, die Wand untersucht. Abb. 19: Hubsteiger zur Untersuchung der Betonwand Abb. 20: Betonwand unter Dachziegeln Die Untersuchungen ergaben, dass die Betonwand eine ausreichende Festigkeit und keine Schäden aufwies. 270 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz 5.4 Dachstuhl Der Dachstuhl des Schulhauses besteht aus zwei Flügeln und einem Glockenturm mit mehreren Erkern. Eine Vielzahl von Stellen, wo Schäden an der Dachkonstruktion vorliegen könnten. Abb. 21: oben: Foto eines kleinen Teils des Dachstuhls, unten: Plan eines Flügels mit Untersuchungsbereichen Der Dachstuhl wurde in mehreren Durchgängen sehr intensiv untersucht. Die Untersuchungen ergaben teils Schäden, die dann genau untersucht und so eingegrenzt werden konnten. Vorgehen der Untersuchung: Schadensaufmaß und Dokumentation von Verformungen der Konstruktion (fehlende Dübel, beschädigte Verbindungen), Umbaumaßnahmen der letzten hundert Jahre). Abb. 22: Verformungen an Anschluss Abb. 23: Entfernungen/ Änderungen der Konstruktion Visuelle Untersuchung der Hölzer auf Schäden Prüfen der Dacheindeckung auf Schäden (Wasser kann Holzschäden verursachen) Abb. 24: Silikon als Dachsanierung geht immer schief! Wasser dringt ein und schädigt Holz Abb. 25: Mazeration an Hölzern (chemische Auflösung der Holzstruktur), nur wenige Millimeter Abb. 26: Verfärbungen durch Wasser -> Feuchtemessung -> nun trocken-> historischer Schaden 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 271 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz Holzfeuchtemessungen In Auffälligen Bereichen (Schäden der Dachentdeckung) Abb. 27: Holzfeuchtemessung, hier 15,4 % Abb. 28: Holzfeuchtemessung, hier 74,3 % >> 20 %, Fäulnisgefahr Bohrwiderstandsmessung bei Verdacht auf Schäden (Restquerschnittbestimmung, Eingrenzen von Schäden, Nachweis von ungeschädigten Bereichen) Abb. 29: Bohrwiderstandsmessung Abb. 30: viele Messpunkte der Bohrwiderstandsmessung -> eingrenzen des Schadens möglich Abb. 31: Ergebnis einer Bohrwiderstandsmessung; geringer Widerstand verursacht durch Schädigung Mit den sehr intensiven Untersuchungen konnten vorhandenen Schäden im Dachstuhl aufgenommen und in den weiteren Planungen im Zuge der Generalsanierung berücksichtigt werden. 6. Zusammenfassung Im Beitrag konnte gezeigt werden, dass es möglich ist, mittels den zerstörungsfreien Messungen mit Radar, Bohrwiderstand, Feuchtemessung, Wirbelstrom und Rückprallhammer die Beton- und Holzstruktur des Baudenkmals relativ großflächig zu untersuchen, um mit diese Daten eine fundierte Grundlage für die Tragwerksplanung zu schaffen. Mit den umfangreichen Untersuchungen konnten zerstörungsfrei (in laufender Nutzung ohne Beeinträchtigung des Schulbetriebs) viele Erkenntnisse und belastbare Daten über das Bauwerk erlangt werden. Auf bauend auf diese Erkenntnisse konnten (in den Ferien) gezielte Sondagen angelegt werden und Bohrkerne entnommen werden. So war es möglich den Deckenauf bau mit Radar sehr gut zu untersuchen. Die Untersuchungen des Dachstuhls ergaben einige geschädigte Bereiche die eingegrenzt werden konnten. Auf bauend auf diesen Ergebnissen konnte gezeigt werden, dass eine Weiternutzung großer Teile der Tragkonstruktion möglich ist. 272 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Expressionistisches Schulbauwerk aus Eisenbeton und Holz Es ist eine große Freude, dass die Schule so erhalten werden kann und die nächsten Jahrzehnte weiter genutzt werden kann. Literatur [1] Hasenstab, A. et al.: Zerstörungsfreie Prüfung in der Baudenkmalpflege. Teil 1: Theoretische Grundlagen. Restauro 1/ 2011, S. 33-39. [2] Hasenstab, A., Jost, G., Taffe, A., Wiggenhauser, H.: Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen - angewandte Forschung und Praxis. Tagungsband der DGzfP-Jahrestagung 2008, St. Gallen, 28.04.- 30.04.2008. [3] Walter, A. und A. Hasenstab: Zerstörungsfreie Prüfverfahren zur Bestimmung von Materialparametern im Stahl- und Spannbetonbau in: Fouad N. (Hrsg.); Bauphysik-Kalender 2012, Berlin: Ernst und Sohn (2012). www.zfp-hasenstab.de -> Verfahren 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 273 Sanierung des Berufsschulzentrum „Prof. Dr. Zeigner“ in Dresden Erhalt eines denkmalgeschützten Eisenbetonbaus von Hans Erlwein Dipl.-Ing Frank Halm Saint-Gobain Weber GmbH Zusammenfassung Das heutige Berufsschulzentrum war das letzte von Hans Erlwein geschaffene Gebäude in Dresden und wurde als Berufsschule in Eisenbeton zwischen 1914 und 1916 errichtet. Nach über 100 Jahren Nutzung waren eine Komplettsanierung einschließlich Anstrich der Außenfassade, Erneuerung der technische Gebäudeausrüstung und Sanierung der Innenräume notwendig. Diese Arbeiten sollten unter denkmalpflegerischem Aspekt mit größter Sorgfalt, hohem planerischen Aufwand und dem Versuch, weitestgehend die Substanz vom Gebäude zu erhalten, ausgeführt werden. Dabei war es selbstverständlich, den alten Gebäudekörper mit modernsten Baustoffen und neuer Technik für die weitere Nutzung als Berufsschule zu modernisieren. Nach Abbruch der verschlissenen Fußbodenkonstruktionen und Freilegung der Stahlbetondecken wurde durch Prof. Ruge (ehemals TU Dresden) mittels Schwingungsversuchen die Stabilität der Decken untersucht. Dabei wurde ein größeres Nachschwingen festgestellt, was sich in der geringen Konstruktionsstärke der Decken begründete. Die vier Lösungsansätze, um dieses Problem für die Eisenbetondecken zu beheben, waren neben einem Austausch der Decken der Einbau zusätzlicher Unterzüge, der Einbau eines Leichtestrichs oder die Applikation eines geeigneten Betonersatzmörtels. In dieser Situation hat die Firma Saint-Gobain Weber die Planung und Erarbeitung einer Lösung zum Erhalt des Denkmals unterstützt. Mittels Musterflächen und anschließenden Schwingungsversuchen konnte der Einsatz eines fließfähigen Betonersatzmörtels zur Stabilisierung und Aussteifung der Decken als beste Lösung bestätigt werden. Durch den Einsatz von Maschinentechnik (MIxMobil) war es möglich, die Bauzeiten extrem zu verkürzen und der Betoninstandsetzungsfirma eine gleichbleibende Mörtelqualität für den Einbau zu sichern. Der Vortrag ist in 4 Teile gegliedert. Im ersten Teil werden die Arbeiten von Hans Erlwein als Stadtbaurat und diverse Bauten in Dresden aufgezeigt. Der zweite Teil geht auf das Berufsschulzentrum und dessen Sanierung mit den oben genannten Problemen ein. Dabei wird das Zusammenspiel von motivierten Planern, Gutachtern und technischen Beratern zur Erhaltung des Gebäudes beschrieben und erläutert. Der Teil 3 beschreibt die Deckensanierung unter Einhaltung der neuesten Vorschriften (EN 1504 und TR IH). Der Teil 4 beinhaltet eine Zusammenfassung und zeigt weitere Möglichkeiten bei denkmalgeschützten Gebäuden mit Eisen- und Stahlbetonkonstruktionen auf. 1. Das Schaffen von Hans Erlwein als deutscher Architekt und kommunaler Baubeamter Sein vollständiger Name war Johann Jakob Erlwein, geboren am 13. Juni 1872 in Bayrisch Gmain an der österreichischen Grenze. Nach dem Studium an der Technischen Hochschule in München konnte er erste Bauaufträge in München übernehmen. Vermutlich durch Fürsprache aus dem Bayrischen Königshaus wurde Hans Erlwein 1898 zum Bamberger Stadtbaurat berufen. Da war er gerade erst 26 Jahre alt. Innerhalb von sechs Jahren Amtszeit wurden 60 städtische Gebäude errichtet. Diese immense Leistung erreichte Hans Erlwein durch sein bestimmendes Auftreten. In dieser Zeit gab es aber einige Streitigkeiten um die Urheberschaft von errichteten Gebäuden und so zog es Hans Erlwein und seine kleine Familie nach Dresden, in eine der fünf bevölkerungsreichsten Städte des Deutschen Reiches. Als Stadtbaurat erhielt er 1905 die goldene Amtskette vom Oberbürgermeister Otto Beutler. In einer Stadt, die bis 1905 innerhalb von 5 Jahren um mehr als 100.000 Einwohner gewachsen war, vervielfachte sich auch der Bedarf an städtischen Gebäuden und Versorgungsanlagen. So mussten in kurzer Zeit neue Schulen, ein neues Wasserwerk, eine neue Kläranlage, ein neuer Schlachthof und Lagergebäude gebaut werden. Genau in dieser Situation war Hans Erlwein die richtige Persönlichkeit. In den 10 Jahren als Stadtbaurat und Leiter des Hochbauamtes wurden um die 150 städtischen Gebäude gebaut. 274 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Sanierung des Berufsschulzentrum „Prof. Dr. Zeigner“ in Dresden Abb. 1: Hans Erlwein (Quelle: Wikipedia) Dabei wurde sein Motto „Zweckmäßigkeit, Klarheit, Schlichtheit, Gliederung des Auf baus und der Einordnung in die Umgebung“ [1] harmonisch umgesetzt. Unter Verwendung neuer Baustoffe wie Eisenbeton konnte schnell und effektiv gebaut werden. Dabei wurde ein neuzeitliches Stadtbild geschaffen, in dem zum Beispiel Schulen in Wohnhauszeilen eingegliedert und die Hinterfront (Schulhof) genauso akribisch gestaltet war wie die Vorderfront. Sieht man sich die vielen Bauten von Hans Erlwein an, kann man die Verwendung verschiedener Baustile erkennen. So gibt es Bauwerke und Gebäude in historischen Stilen, aber auch im Reform- und Heimatschutzstil. Abb. 2: Städtischer Vieh- und Schlachthof Dresden Heute Messe Dresden (Quelle: Saint Gobain Weber GmbH) Ein Besuch in Dresden kann sich auch auf den Spuren von Hans Erlwein lohnen und schöne Bauten mit vielen kleinen durchdachten Details zeigen uns, was vor über hundert Jahren geschaffen wurde und heute zum Stadtbild gehört. Dabei folgte er seinem künstlerischen Grundsatz: „Ehre das überlieferte Gute und schaffe aus ihm Neues. Was aus der Luft geboren werden soll, wird niemals gut und neu.“ [2] Viele Bauwerke von Hans Erlwein sind in Dresden mit einer Reliefplastik als Signatur versehen. Das begründete sich aus vorherigen Streitigkeiten aus seiner Bamberger Zeit. Abb. 3: Hans Erlwein Relief Stadthaus Johannstadt (Quelle: Saint Gobain Weber GmbH) Wie umtriebig Hans Erlwein war, kann man an seinen vielen Mitgliedschaften sehen. So agierte er als Vorstandsmitglied im Dürerbund, gehörte dem Deutschen Werkbund und dem Gewerbe-Verein zu Dresden an. 1910 verlieh ihm die TH Dresden den Professorentitel ehrenhalber. [3] Als Unterstützer für die deutschen Soldaten zu Beginn des ersten Weltkrieges starb er am 9. Oktober 1914 in Amagne-Lucquy in der Nähe von Rethel in den Ardennen bei einem selbst organisierten Transport von Kleidern und Lebensmitteln durch einen Autounfall. 2. Sanierung des Berufsschulzentrum „Prof. Dr. Zeigner“ Innerhalb von 2 Jahren (1914 bis 196) wurde das heutige Berufliche Schulzentrum für Wirtschaft „Prof.- Dr.- Zeigner“ als 4. Fach- und Fortbildungsschule für Knaben als letzter Schulbau von Hans Erlwein in Dresden errichtet. Diese Schule ist Teil eines Schulkomplexes mit einer Studienanstalt für Mädchen an der Weintraubenstraße und der 49. Volksschule in der Tieckstraße. Die Gebäude entstanden in Blockrand-bebauung und alle Schulen nutzten einen gemeinsamen innen liegenden Schulhof. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 275 Sanierung des Berufsschulzentrum „Prof. Dr. Zeigner“ in Dresden Abb. 4: Ansicht Berufsschule vor dem 2. Weltkrieg (Quelle: Unterlagen AuZ Dresden) Eine dritte Hofseite wurde durch eine zweigeschossige Turnhalle abgeschlossen. Neben der 49. Volksschule (bereits 1888 errichtet) waren viele um- und anliegende Gebäude während des verheerenden Luftangriffs am 13. Februar 1945 zerstört worden. Abb. 5: Dresden Februar 1945 (Quelle: Wikipedia) „In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 erfolgte auf das rund 630.000 Einwohner zählende Dresden einer der verheerendsten Luftangriffe auf eine Stadt im Zweiten Weltkrieg. 773 britische Bomber warfen in zwei Angriffswellen zunächst gewaltige Mengen an Sprengbomben ab. Durch die Zerstörung der Dächer und Fenster konnten die anschließend abgeworfenen Brandbomben eine größere Wirkung entfalten. Ihr Feuersturm zerstörte rund 80.000 Wohnungen, und ihre Hitzeeinwirkung deformierte sämtliches Glas in der Innenstadt. Dem britischen Nachtangriff auf die ungeschützte Stadt folgte am Tag die Flächenbombardierung durch 311 amerikanische Bomber.“ [4] Das seit 1928 als Berufsschule genutzte Gebäude als Eisenbetonbau wies im Gegensatz zu vielen umliegenden Ruinen nur geringe Kriegsschäden auf. Abb. 6: Schule mit geringen Kriegsschäden in weiterer Nutzung (Quelle: Unterlagen AuZ Dresden) Nach der Schulchronik erfolgte die Namensgebung „Prof. Dr.- Zeigner -Schule“ im Jahr 1949. Erich Richard Moritz Zeigner war ein Jurist und Politiker. In der Weimarer Republik regierte er 1923 für einige Monate als Ministerpräsident in Sachsen und nach dem Krieg arbeitete er als Bürgermeister in Leipzig (1945 bis 1949). Im Jahr 1956 führte man erste Sanierungsarbeiten am Bauwerk durch. In den 1990er Jahren gab es weitere Sanierungen an der Schule, besonders an der Außenhülle. Abb. 7: Schulhofansicht mit neuer Farbgebung (Quelle: Unterlagen AuZ Dresden) Im Inneren war bis zur heutigen Zeit noch ein sehr hoher Anteil an Originalsubstanz vorhanden, wenn auch zum Teil wiederholt übermalt und nicht mehr in den Ursprungsansichten. Durch die wachsenden Schülerzahlen mit über 1.000 anwesenden Schülern wuchs der Druck für eine denkmalgerechte Sanierung des Bestandsgebäudes und die Errichtung eines Erweiterungsbaus. Gleichzeitig sollte in den Schulkomplex eine neue Sporthalle integriert werden. 276 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Sanierung des Berufsschulzentrum „Prof. Dr. Zeigner“ in Dresden Abb. 8: Zustand vor der Sanierung (Quelle: Unterlagen AuZ Dresden) Für die Sanierung des Bestandsgebäudes wurde eine Denkmalpflegerische Zielstellung ausgearbeitet. Dabei sollten die Sanierungsarbeiten mit der Denkmalbehörde abgestimmt werden. Die Zielsetzung bei den Arbeiten war der Erhalt der Substanz mit entsprechender Aufarbeitung und die Wiederherstellung in originaler Farbigkeit. Für dieses Ziel nutzte man historische Quellen, wie Fotos und Zeitungsartikel. Bei den Wänden und Decken sollten restauratorische Befunde gesichert und freigelegte erste Farbfassungen ergänzt und wiederhergestellt werden. Bei den Bodenbelägen wurde unterschieden in Treppenhäuser und Klassenzimmer. Besonderes Augenmerk galt auch der Wiederherstellung der Aula als repräsentativer Raum für besondere Anlässe. Während der Sanierungsarbeiten musste das Instandsetzungskonzept für die Fußbodenaufbauten neu überdacht werden. Bei der vorgegebenen Entfernung des alten Linoleumbelages wurden auch die vorhandenen Spachtel- und Estrichschichten mit herausgerissen. Der geplante klassische Bodenaufbau mit Linoleumbelag, Estrich, Wärmedämmung und Abdichtung war nach dem Messen der Schichtdicken des alten Fußbodenaufbaus nicht mehr möglich. Der ursprüngliche Fußbodenaufbau aus Estrich und Linoleum mit Kleber war nur 2 bis 6 cm stark. Abb. 9: Zu sanierende Flur- und Klassenräume nach Entfernen des Bodenbelages (Quelle: Unterlagen AuZ Dresden) Nach Freilegen aller Geschoßdecken wurde mit Unterstützung des Tragwerksplaners und eines Gutachters im Zusammenwirken mit der Planungs-gemeinschaft eine Deckeninstandsetzung vereinbart. Dabei sollte ein Abbruch der Eisenbetondecken und ein Neueinbau von Stahlbetondecken vermieden werden. 3. Deckensanierung Während der Diskussion um eine optimale und denkmalgerechte Lösung für die weiteren Fußbodenarbeiten wurden Beratungsingenieure der Saint-Gobain Weber GmbH mit eingebunden. Als Aufgabenstellung waren folgende Schwerpunkte zu klären: - Korrosionsschutz der zum Teil frei liegenden Bewehrung - Erhöhung der Deckensteifigkeit durch ein Verbundsystem - Erhöhtes Schwingungsverhalten durch fehlendes Eigengewicht verändern Abb. 10: Ausgangszustand für die Fußbodensanierungs-arbeiten (Quelle: Saint Gobain Weber GmbH) Neben einem Leichtestrich im Verbund wurde ein neuer fließfähiger und maschinell verarbeitbarer Betonersatzmörtel weber.floor 4640 [5] vorgeschlagen. Dieses Betoninstandsetzungssystem ist nach Technischer Regel Instandhaltung (TR IH) [6] vom Deutschen Institut für Bautechnik geprüft und als R4-Mörtel statisch relevant einsetzbar [7]. Mit Hilfe von Musterflächen wurden die zwei vorgeschlagenen Lösungsansätze Leichtestrich und Betonersatzmörtel untersucht. Dabei sollten das Verbundverhalten, die Verbesserung der Deckensteifigkeit und das Schwingungsverhalten durch einen Gutachter und dem beauftragten Statikbüro beurteilt werden. Nach Auswertung der Schwingungsprüfungen durch Prof. Ruge [8] konnte für den empfohlenen fließfähigen Betonersatzmörtel eine signifikante Verbesserung der Eigenfrequenzen nachgewiesen werden. Durch die Eignung des Betoninstandsetzungssystems als R4-Mörtel nach EN 1504-3 wurde durch das Ingenieurbüro Penzl eine Steifigkeitserhöhung und Tragwerks-verbesserung durch die Verbundwirkung zum Altbeton bestätigt. Durch den maschinellen Einbau des Betoninstandsetzungsmörtels konnte eine enorme Zeiteinsparung erzielt 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 277 Sanierung des Berufsschulzentrum „Prof. Dr. Zeigner“ in Dresden werden. Geteilt in zwei Arbeitsabschnitte wurden auf 4 Geschossflächen und 3.600 m² rund 291 t Betonersatzmörtel in 4 Tagen zur Deckeninstandsetzung mit Hilfe eines MixMobils eingebaut. Abb. 11. Einsatz eines MixMobils für den Einbau des Betonersatzmörtels (Quelle: Saint Gobain Weber GmbH) Die Einbauarbeiten begleitete und überwachte ein sachkundiger Planer entsprechend den Empfehlungen der TR- IH. Trotz der Bearbeitung von über 100 Jahre alten Eisenbetondecken konnten alle Vorgaben des Einbaus durch die Fachfirma für Betoninstand-setzungsarbeiten eingehalten werden. Abb. 12: Einbau des Betonersatzmörtels durch eine Fachfirma aus Dresden ((Quelle: Saint Gobain Weber GmbH) Das kluge Zusammenspiel der Planungsgemeinschaft AuZ (Assman Beraten + Planen und AGZ Zimmermann Architekten) mit den Auftraggebern der Stadt Dresden, beteiligten Gutachtern, Materiallieferanten und Fachfirmen hat den Erhalt eines wunderschönen Schulgebäudes gesichert. Abb. 13: Sanierte Aula (Quelle: Saint Gobain Weber GmbH) Abb. 14: Flur mit neuer Farbgestaltung nach alten Vorlagen (Quelle: Saint Gobain Weber GmbH) Hans Erlwein wäre vermutlich dankbar für diese gute und detailgetreue Wiederherstellung seines zuletzt gebauten Schulgebäudes. Literatur [1] Wikipedia [2] Wikipedia [3] Stadtwiki Dresden [4] Lebendiges Museum Online [5] Technisches Merkblatt weber.floor 4640 [6] Technische Regel Instandhaltung von Betonbauwerken des DIBt (TR IH) [7] Prüfbericht P13090 KIWA Prüfungen an dem Betoninstandsetzungssystem weber.floor 4640 gemäß der Technischen Regel [8] Prof. Ruge, Erschütterungsbewertung BSZ Dresden Melanchthonstraße Wasserbauwerke 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 281 Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbau - Mechanismen, Vorbeugung, Instandsetzung Dr.-Ing. Amir Rahimi Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Dipl.-Ing. Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Bei Verkehrswasserbauwerken kann die Betonstahlkorrosion neben Chlorideinwirkung auch durch das Auslaugen des Betons in wasserdurchströmten Rissen (mit oder ohne Chlorideinwirkung) hervorgerufen werden. Die Korrosion geht in beiden Fällen mit einer Depassivierung der Betonstahloberfläche einher. Die carbonatisierungsinduzierte Betonstahlkorrosion ist beim Großteil der Verkehrswasserbauwerke aufgrund des hohen Feuchteangebots und des Wassergehalts des Betons von geringer Relevanz. In diesem Beitrag werden die Mechanismen der Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken aufgegriffen und dauerhafte Maßnahmen zur Vorbeugung einer Betonstahlkorrosion und zur Instandsetzung entsprechend geschädigter Bauwerke dargestellt. Eine differenzierte Betrachtung erfolgt für rissfreie und gerissene Betonbereiche sowie für die Einwirkung von Süßwasser und chloridhaltigem Wasser. 1. Problemstellung Bei Verkehrswasserbauwerken entsteht die Betonstahlkorrosion i. d. R. durch das Erreichen eines kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts an der Betonstahloberfläche aufgrund Chlorideinwirkung oder durch das Auslaugen des Betons in wasserdurchströmten Rissen und geschädigten Arbeitsfugen (mit oder ohne Chlorideinwirkung). Die Korrosion geht in beiden Fällen mit einer Depassivierung der Betonstahloberfläche einher. Die carbonatisierungsinduzierte Betonstahlkorrosion ist beim Großteil der Verkehrswasserbauwerke aufgrund des hohen Feuchteangebots und des Wassergehalts des Betons von geringer Relevanz. Die für den Wasserbau relevanten Szenarien der Betonstahlkorrosion lassen sich daher wie folgt gliedern: a. Chloridinduzierte Betonstahlkorrosion i. außerhalb von Rissbereichen ii. im Rissbereich b. Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in wasserführenden Trennrissen In diesem Beitrag werden die oben genannten Korrosionsmechanismen, ihre Vorkommen im Verkehrswasserbau, die entsprechenden Maßnahmen und Regeln zur Verbeugung sowie Instandsetzungsmaßnahmen kurz dargestellt. Detaillierte Ausführungen sind [1, 2, 3] zu entnehmen. 2. Chloridinduzierte Betonstahlkorrosion 2.1 Mechanismen Aufgrund der hohen Zwangsspannungen treten in massigen Bauteilen von Verkehrswasserbauwerken häufig Trennrisse auf, die eine besondere Betrachtung der Betonstahlkorrosion in Rissbereichen erfordern. Die Mechanismen der chloridinduzierten Betonstahlkorrosion unterscheiden sich innerhalb und außerhalb von Rissbereichen. Während die Einleitungsphase zur Depassivierung der Bewehrung im nichtgerissenen Bauteil verhältnismäßig lang ist und bei der Dauerhaftigkeitsbemessung die Nutzungsdauer des Bauteils definiert, ist von einer i.-d.-R. raschen Depassivierung der Bewehrung im Bereich von Rissen auszugehen. Auch beim aktiven Korrosionsprozess, d. h. anodischer Eisenauflösung, unterscheiden sich die Randbedingungen im und außerhalb des Rissbereiches. Bei Korrosion im Rissbereich sind deutlich größere Potentialunterschiede zwischen depassiviertem Betonstahl im Riss und passiven Bewehrungsbereichen sowie ungünstigere Anoden-/ Kathodenverhältnisse zu erwarten. Aufgrund des i. d. R. sehr hohen Wassersättigungsgrads des Betons in Verkehrswasserbauwerken sowie des direkten Kontakts mit Wasser können vom anodisch wirkenden Bewehrungsstab weit entfernte gut belüftete Bewehrungsbereiche kathodisch mitwirken. Neben der Rissart (Trennrisse, die durch den gesamten Querschnitt verlaufen, und Biegerisse, die nur die Zugzone erfassen) kann auch die Rissorientierung (Längsrisse parallel zur oder entlang der Bewehrung sowie bewehrungskreuzende Querrisse) sowohl die Initiierung der Korrosion als auch die Korrosionsrate beeinflussen. Die Rissbreite als ein wesentliches Merkmal eines Risses weist sowohl bei der Depassivierung als auch bei der Geschwindigkeit der Korrosion nur eine untergeordnete Bedeutung auf, sofern sie weniger als etwa 0,5 mm beträgt (z. B. [4, 5, 6]). Die Rissbreite übt jedoch eine entscheidende Rolle im Hinblick auf das Selbstheilungsvermögen des Risses aus. Diese ist in DAfStb WU-RiLi [7] in Abhängigkeit von der maximalen Wasserdruckhöhe sowie vom Druckgefäl- 282 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbau - Mechanismen, Vorbeugung, Instandsetzung le (Quotient aus Wasserüberstauhöhe und Bauteildicke) definiert und variiert zwischen 0,1 und 0,2 mm. Weitere Voraussetzungen, die nach [7] ebenfalls für eine Selbstheilung der Risse erfüllt sein müssen, sind: ständige Wasserbeaufschlagung des Risses, besondere Beschaffenheit des Wassers (pH-Wert > 5,5, kalklösende Kohlensäure <- 40 mg/ l) sowie keine oder sehr geringe (weniger als 10-% der Rissbreite) Bewegung der Risse (z. B. infolge Temperaturänderung oder Änderung der Überstauhöhe). Diese Bedingungen sind nur in wenigen Bauteilbereichen tatsächlich und über längere Zeiträume gegeben. Weitere wichtige Randbedingungen mit Einfluss auf den gesamten Korrosionsprozess des Betonstahls sowohl im Rissbereich als auch außerhalb von Rissbereichen sind die Qualität und Dicke der Betondeckung, die mechanische Beanspruchung (Zugspannung der Bewehrung) und die Exposition. 2.2 Maßnahmen zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit des Bauwerks 2.2.1 Herausforderungen Verzicht auf günstige Bindemittel Die Bindemittelart spielt beim Chlorideindringwiderstand der ungerissenen Betondeckung eine entscheidende Rolle. So weisen Betone mit hohen Hüttensandgehalten (CEM III/ B) oder mit Zugabe von Flugasche oder Silicastaub einen deutlich höheren Chlorideindringwiderstand auf als Portlandzementbetone (CEM I) ohne weitere insbesondere latent hydraulische oder puzzolanische Hauptbestandteile. Die für den Chlorideindringwiderstand günstigen Bindemittelkombinationen können jedoch für einige andere Betoneigenschaften, insbesondere den Frost- und Frost-Tausalz-Widerstand, ungünstig sein. An besonders exponierte Bereiche von massigen Verkehrswasserbauwerken (z. B. Wasserwechselzone von Schleusenkammerwänden im Meerwasserbereich) werden Anforderungen hinsichtlich Betonstahlkorrosion, Frost-Tausalz-Angriff und Begrenzung von hydratationsbedingten Zwangsrissen gestellt, deren gleichzeitige Erfüllung die Betontechnologie oft vor eine kaum lösbare Herausforderung stellt. Wegfall von günstigen Bindemittelkomponenten Hinzu kommt, dass die kurz- und mittelfristige Verfügbarkeit einiger Betonzusatzstoffe (Flugasche bzw. Hüttensand) zumindest nicht kontinuierlich gewährleistet ist. Mit dem daraus resultierenden Verzicht bzw. Wegfall bestimmter Bindemittelkomponenten kann eine chloridinduzierte Depassivierung des Betonstahls innerhalb langer Zielnutzungsdauern, wie sie im Verkehrswasserbau gegeben sind, nicht immer sichergestellt werden. Korrosionsrisiko im Rissbereich Wie in Abschnitt 2.1 aufgeführt stellen Risse bei Chlorideinwirkung unabhängig von der Rissbreite ein generelles Korrosionsrisiko für die Bewehrung dar (je nach Exposition und Randbedingungen von sehr gering bis sehr hoch). Von einer Selbstheilung von Rissen kann in vielen Bereichen von Verkehrswasserbauwerken, z. B. im Wasserwechselbereich von Schleusenkammerwänden und -häuptern, nicht ausgegangen werden. Der Ansatz, bei Chlorideinwirkung die Sicherstellung des Korrosionsschutzes der Bewehrung in Rissbereichen über eine auf die Begrenzung der Rissbreite abzielende Bemessung sicher zu stellen, ist somit keineswegs in allen Fällen zielführend. Dies steht im Widerspruch zur aktuellen Regelwerksituation, wonach die Dauerhaftigkeit von Bauwerken unter Chlorideinwirkung durch die Einhaltung von maximalen charakteristischen Rissbreiten sichergestellt werden soll (Entwurfsgrundsatz b) nach [7, 8]). Nur bei horizontalen Verkehrsflächen der Expositionsklasse XD3 sieht DIN EN 1992-1-1/ NA/ A1 [9] zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Bewehrung gegenüber chloridinduzierter Korrosion vor. Betontechnologisch kann die chloridinduzierte Korrosion in Rissbereichen nur begrenzt beeinflusst werden, indem mittels einer dichten und dicken Betondeckung zum einen der Elektrolytwiderstand erhöht und damit der Ladungsaustausch zwischen Anode und Kathode gehemmt und zum anderen der Sauerstoffzutritt in den kathodisch aktiven Bereich beschränkt wird. 2.2.2 Maßnahmen und Regelungen Allgemeines Für intakte, ungerissene Bauteilbereiche (d. h., bei passivem Korrosionsschutz der Betonstahloberfläche durch den umgebenden Beton) kann eine Dauerhaftigkeitsbemessung gemäß BAWMerkblatt MDCC (2019) [10] durchgeführt werden [11]. Die Bemessung erfolgt auf Basis der entsprechenden Parameter für die Chloridbelastung (aufgrund von Annahmen, Vorgaben oder Berechnung), des Betonwiderstands (maßgeblich beeinflusst durch die Bindemittelart), der Betondeckung, des gewünschten Sicherheitsniveaus und der angestrebten Nutzungsdauer des Bauteils. Die zuvor genannten Herausforderungen zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit bei Chlorideinwirkung (Verzicht bzw. Wegfall günstiger Bindemittel, Korrosionsgefahr im Rissbereich) erfordern für bestimmte Fälle und Bauwerksbereiche zusätzliche präventive Maßnahmen. Der Anwendung von Bewehrung aus Betonstahl mit erhöhtem Korrosionswiderstand (nichtrostender Betonstahl) kommt hierbei aus technischer und wirtschaftlicher Sicht eine besondere Bedeutung zu [1, 12]. Bei Verkehrswasserbauwerken sind Schäden aufgrund chloridinduzierter Betonstahlkorrosion im Küstenbereich (XS) durch Chloride aus dem Meerwasser, im Binnenbereich (XD) infolge der winterlichen Tausalzstreuung oder salzhaltiger Oberflächen- und Grundwässer in unterschiedlicher Ausprägung zu erwarten. Die erforderlichen Maßnahmen und Regeln zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit in Abhängigkeit der Anfälligkeit der Bauwerke für chloridinduzierte Bewehrungskorrosion sowie der entstehenden Folgen werden derzeit für die Neufassung der ZTV-W LB 215 [13] (vsl. 2025) 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 283 Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbau - Mechanismen, Vorbeugung, Instandsetzung und ihre Begleitregelwerke neu sortiert und festgelegt. Die Maßnahmen gliedern sich wie folgt: a. Deskriptive Anforderungen der DIN 1045-2 [14] b. Anforderungen der DIN 1045-2 [13] und Auswahl Bindemittel nach ZTV-W LB 215 [13] für XD/ XS c. Dauerhaftigkeitsbemessung gemäß BAW-MDCC [10] mit geringem oder mit hohem Sicherheitsniveau (β 0 = 0,5 bzw. 1,5) d. Zusätzliche Präventivmaßnahmen, vorzugsweise Einsatz vom Betonstahl mit erhöhtem Korrosionswiderstand in korrosionskritischen Bereichen (z. B. Oberflächennahe Bewehrung; Mischbewehrung) Im Folgenden werden diese Maßnahmen und Regelungen kurz dargestellt. Expositionsklasse XD Für Verkehrswasserbauwerke im Einwirkungsbereich der Expositionsklassen XD1 bis XD3 liegt im Vergleich zu Bauwerken der Expositionsklassen XS1 bis XS3 in der Regel eine geringere Chloridbelastung und damit ein niedrigeres Korrosionsrisiko für Betonstahl vor. - Bauteile der Expositionsklasse XD1 Für diese Bauteile sind die deskriptiven Anforderungen der DIN 1045-2 ausreichend. - Planie Untersuchungen an Plattformen (Planien) der Binnenschleusen und -wehre zeigen eine sehr geringe Chloridbelastung dieser Bauteile, was auf eine in der Regel moderate Tausalzstreuung zurückzuführen ist. Für die Bauteile sind die deskriptiven Anforderungen der DIN 1045-2 [14] für XD3 ausreichend. - Bauteile im Einflussbereich von Straßenbauwerken Diese Bauteile, z.- B. Schleusenhäupter und Wehrpfeilern unter Straßenbrücken, können im Vergleich zu Plattformen etwas höhere Chloridbelastung aufweisen. Die Dauerhaftigkeit dieser Bauteile soll durch die Wahl eines gemäß ZTV-W LB 215 [13] für die Expositionsklassen XD/ XS zugelassenen Bindemittels unabhängig von der Zielnutzungsdauer sichergestellt werden. - Verkehrsflächen mit hohem Verkehrsauf-kommen Intensivere Tausalzstreuung und damit hohe Chloridbelastung sind bei Verkehrsflächen mit hohem Verkehrsaufkommen, wie z.-B. Umschlagkajen in Binnenhäfen, zu erwarten. Für diese Bauteile ist eine Dauerhaftigkeitsbemessung von Beton gemäß BAW-MDCC [10] unter Berücksichtigung der angestrebten Nutzungsdauer durchzuführen. - Oberflächen- und Grundwässer Bei einer Chloridbelastung von Oberflächen- und Grundwässern von größer als 2.000- mg/ l sind die exponierten Bauteile der Expositionsklasse XD2 oder XD3 zuzuordnen und gemäß BAW-MDCC [10] zu bemessen. Aufgrund von Salzabbau im Wesereinzugsgebiet sind beispielsweise die Weser und bestimmte Nebenflüsse chloridbelastet. Expositionsklasse XS Bauwerke im Küstenbereich und im Ästuar erfahren in der Regel eine höhere Chloridbelastung als die Verkehrswasserbauwerke im Binnenbereich. Für Bauteile der Expositionsklasse XS1, Nebenanlage wie Betriebsgebäude und Lampenfundamente, sind die deskriptiven Anforderungen der DIN 1045-2 [14] ausreichend. Bei Bauwerken der Expositionsklassen XS2 und XS3 werden anhand der Kriterien • Gefährdungspotential, • Relevanz, • Zugänglichkeit, • Art der Wasserbeaufschlagung (ständig oder wechselnd), • Trennrissgefahr (z. B. durch die Bauweise: fugenlos, fugenbehaftet) und • Höhe der Chloridbelastung die oben genannten Maßnahmen und Regelungen a) bis d) getroffen. 2.3 Instandsetzung Alle gängige Instandsetzungsprinzipien und -verfahren zur Instandsetzung von Bauwerksschäden infolge chloridinduzierter Bewehrungskorrosion können in Verkehrswasser eingesetzt werden. Verkehrswasserbauspezifische Besonderheiten und Anforderungen sind zu beachten (siehe u. a. ZTV-W LB 219 [15]). 3. Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in wasserführenden Trennrissen 3.1 Mechanismus In Rissbereichen mit intensiver Wasserdurchströmung kann die schützende Passivschicht der Bewehrung neben der Carbonatisierung und dem Eindringen von Chloriden auch durch eine pH-Wert-Abnahme des Betons an der Bewehrungsoberfläche infolge des Auslaugens des Betons (Calciumhydroxid und Calciumionen) zerstört werden. Die in der Regel hellverfärbte Rissflanke weist einen erhöhten Calciumgehalt auf, im unmittelbar anschließenden Betonbereich sinkt der Calciumgehalt (vgl. [11, 2]). Die Intensität der Betonauslaugung und damit die Wahrscheinlichkeit einer Depassivierung der Bewehrung hängt wesentlich von der Wasseraustauschrate im Riss und deren Dauer ab [2]. Beispiele für Korrosion infolge auslaugungsinduzierter Depassivierung der Bewehrung in Verkehrswasserbauwerken sind in [3] dargestellt. Dabei kann die Ausbildung des kathodischen Teilprozesses (Sauerstoffreduktion) großflächig an gut belüfteten Bauwerksstellen erfolgen, die zum Teil weit entfernt von anodisch aktiven Bewehrungsstäben in gerissenen Unterwasserbauteilbereichen liegen. Auch im Unterwasserbereich können Makroele- 284 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbau - Mechanismen, Vorbeugung, Instandsetzung mentkorrosion sowie Eigenkorrosion trotz der Sauerstoffarmut auftreten. Eine sehr intensive Korrosionsentwicklung wurde bei Betonstahlstäben mit zusätzlicher mechanischer Überanspruchung beobachtet. Bei diesen ist ein örtlich begrenzter Bruch im Rissbereich festzustellen, der auf die kombinierte Einwirkung von wiederkehrender mechanischer Beanspruchung und Bewehrungskorrosion zurückzuführen ist. Bild 3 zeigt ein exemplarisches Schadensbild in einer geschädigten horizontalen Arbeitsfuge einer Schleusenkammerwand. Mit dem Fortschreiten der Bewehrungskorrosion wird das Gefüge der Bewehrung durch Korrosionsmulden und -anrisse geschwächt (Risseinleitung). Gleichzeitig rufen die im jahreszeitlichen Wechsel auftretenden temperaturbedingten Zwangsbeanspruchungen sowie die Wasserstandsänderungen infolge der Schleusungsvorgänge Dehnungen in der Bewehrung hervor, die den numerischen Berechnungen zufolge über der Streckgrenze liegen können [14] und mit der Zeit zu einer Ausbreitung dieser Korrosionsanrisse bis hin zum Abriss des Bewehrungsquerschnitts (Rissausbreitung) führen [17]. Das Schadensbild ist demjenigen infolge einer Schwingungsrisskorrosion sehr ähnlich. Die durch den Schleusenbetrieb hervorgerufenen ermüdungsrelevanten Spannungsschwingbreiten der Bewehrung sind jedoch verhältnismäßig gering [18]. Die sehr geringen Dehnungsraten aus relativ langsamen Lastwechseln während der Schleusungsvorgänge mit der sehr niedrigfrequenten, vorwiegend nicht ruhenden Belastung sind die Charakteristika für den im Bauwesen weitgehend unbekannten Schädigungsmechanismus Dehnungsinduzierte Risskorrosion (strain-induced corrosion cracking) [19]. 3.2 Maßnahmen zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit des Bauwerks Bewehrungskorrosion infolge auslaugungsinduzierter Depassivierung der Betonstahloberfläche und deren Schadensfolgen wurden bei Verkehrswasserbauwerken bisher fast ausschließlich in horizontalen Arbeitsfugen festgestellt. Die betroffenen Arbeitsfugen befinden sich überwiegend in Bauwerksbereichen, welche ständig unter Wasser liegen. Aufgrund ihrer geometrischen Lage (z. B. nahe der Sohle von Schleusenkammerwänden) und betriebsbedingter Wasserstandsänderungen in Verbindung mit hohem hydrostatischem Wasserdruck kommt es hier zu intensiven Wasseraustauschraten durch die betroffene Arbeitsfuge (sowie vergleichsweise hoher mechanischer Beanspruchung der Bewehrung). Eine sorgfältige Ausbildung der horizontalen Arbeitsfugen durch eine ausreichende Arbeitsfugenvorbehandlung (Abtrag minderfester Bestandteile an der Oberseite von Betonierabschnitten vor dem Weiterbetonieren), Anordnung und Ausbildung wirksamer Arbeitsfugenabdichtungen und zusätzlicher Maßnahmen, wie z. B. der Einsatz von Injektionsschlauchsystemen, auch und gerade bei dauerhaft unter Wasser liegenden Arbeitsfugen, kann dem Problem entscheidend entgegenwirken. 3.3 Instandsetzung Die folgenden Maßnahmen können, zum Teil einzeln und zum Teil in Kombination, zur Wiederherstellung der Passivität der Bewehrung oder zur Instandsetzung geschädigten Bauwerksbereiche infolge auslaugungsinduzierter Bewehrungskorrosion angewendet werden: • Unterbinden des weiteren Wasserdurchtritts, • Repassivierung der Bewehrungsoberfläche mittels beispielsweise Injizieren mit zementgebundenen Baustoffen (Anstieg des pH-Wertes), • Kathodischer Korrosionsschutz und • Betonabtrag mit anschließender Bewehrungsergänzung und Reprofilierung im Fall einer standsicherheitsrelevanten Querschnittsminderung der Bewehrung. Literatur [1] Rahimi, A.; Westendarp, A. (2024) Dauerhafter und nachhaltiger Korrosionsschutz des Betonstahls in Verkehrswasserbauwerken. Beton- und Stahlbetonbau 119. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202400024 [2] Pollner, T.; Rahimi, A.; Dauberschmidt, C. (2024) Untersuchungen zum Einfluss der Druckwasserhöhe und damit der Wasseraustauschrate im Trennriss auf die Depassivierung und Korrosionsentwicklung der Bewehrung. Beton- und Stahlbetonbau 119. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202400029 [3] Rahimi, A.; Westendarp, A. (2023) Auslaugungsinduzierte Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbauwerken. Technische Akademie Esslingen (TAE), 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken. [4] DARTS (2004) Durable and reliable tunnel structures - Deterioration modelling. Prepared by Ingenieurbüro Professor Schießl, Gehlen, C., Kapteina, G. Project with financial support of the European Commission under the Fifth Framework Program, GROWTH 2000 Project GRD1-25633, Contract G1RD-CT-2000-00467. [5] Boschmann Käthler, A. C.; Angst, U. M.; Wagner, M.; Larsen, C. K.; Elsener, B. (2017): Effect of cracks on chloride-induced corrosion of steel in concrete - a review. Statens Vegvesens Re-port Nr. 454. Norwegian Public Roads Administration. [6] Schießl, P. (1986) Einfluss von Rissen auf die Dauerhaftigkeit von Stahlbeton- und Spannbetonbauteilen. Berlin: Beuth-Verlag. - In: Schriftenreihe des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton, Nr.-370. [7] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (2017) DAfStb-Richtlinie Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton. Beuth, Berlin. [8] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (2016) Merkblatt „Begrenzung der Rissbildung im Stahlbeton- und Spannbetonbau“. Berlin. [9] DIN EN 1992-1-1/ NA/ A1: 2015-12 (2015) Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbe-tontragwerken - Teil 1-1: 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 285 Betonstahlkorrosion in Verkehrswasserbau - Mechanismen, Vorbeugung, Instandsetzung Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau; Änderung A1. Beuth, Berlin. [10] Bundesanstalt für Wasserbau (Hg.) (2019) BAW- Merkblatt Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauwerken bei Carbonatisierung und Chlorideinwir-kung (MDCC). Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW-Merkblätter, -Empfehlungen und -Richtlinien). [11] Rahimi, A.; Gehlen, C. (2018) Semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessung von Stahlbetonbauten unter Chlorideinwirkung. Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Heft 1. Berlin: Ernst & Sohn. [12] Rahimi, A. (2024) Application of Stainless Steel Reinforcing Bars in Infrastructures - Requirements and Evaluation of Corrosion Resistance. Proceedings of the 7 th International Conference on Concrete Repair, Rehabilitation and Retrofitting ICCRRR 2024, Cape Town, South Africa. [13] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [Hrsg.] ZTV-W LB 215: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für Wasserbauwerke aus Beton und Stahlbeton (Leistungsbereich 215). [14] DIN 1045-2: 2023-08 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton. Beuth, Berlin. [15] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [Hrsg.] ZTV-W LB 219: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219). [16] Schwotzer, M. (2008) Zur Wechselwirkung zementgebundener Werkstoffe mit Wässern unterschiedlicher Zusammensetzung am Beispiel von Trinkwasserbehälterbeschichtungen [Dissertation]. Universität Fridericiana zu Karlsruhe. [17] Weirich, T. (2013) Ermüdungsverhalten des Betonstahls unter Berücksichtigung möglicher Korrosionseinflüsse [Dissertation]. Institut für Werkstoffe im Bauwesen der Universität Stuttgart. [18] Rahimi, A.; Lutz, M. (2020) Begutachtung des Schadensfalls im östlichen Umlaufkanal der Westkammer der Schleuse Anderten. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. [19] Takriti, A.; Keßler, S. (2021) Untersuchung des Einflusses von Rissen auf den Korrosionsschutz der Bewehrung von Wasserbauwerken - Einfluss der mechanischen Beanspruchung auf die Korrosionsrate der Bewehrung. Abschlussbericht BAWAuftrag 739510300020019. Helmuth-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 287 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen Dipl.-Ing. Marc Schmitz Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Anna Fuhrmann, M. Sc. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Um den Schifffahrtsbetrieb auf den Verkehrswasserwegen der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) nicht nachteilig zu beeinträchtigen, sind bei den vorhandenen 260 Einkammerschleusen neue Möglichkeiten zu ermitteln damit die aufgrund der Altersstruktur absehbaren Instandsetzungsmaßnahmen ohne Beeinträchtigung der Schifffahrt durchgeführt werden können. Hierzu hat die BAW in einem Vergabeverfahren für Planen und Bauen die Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen ausgeschrieben, um verschiedene Abtrags- und Reprofilierungsarbeiten unter grundsätzlichem Weiterbetrieb der Schleuse zu testen. Neben bekannten Reprofilierungsmethoden wie Ortbeton werden auch innovative Verfahren wie ein Stahlfaserspritzbeton getestet. 1. Einführung Der störungsfreie Betrieb der Wasserstraßen im Binnenbereich ist direkt mit der Funktionsfähigkeit der zugehörigen Schleusenanlagen verbunden. Ziel der WSV muss es daher sein, sowohl für die Wasserstraße, wie auch für die für ihre Nutzung benötigten Infrastruktureinrichtungen, wie Schleusen und Wehre, einen ungestörten Betrieb zu ermöglichen. Dabei ist zu beachten, dass die WSV 260 Einkammernschleusen an den verschiedenen Wasserstraßen betreibt. Beim Ausfall einer Schleusenanlage ist eine Umfahrung meist nicht möglich bzw. würde dann zu einem unwirtschaftlichen Umweg führen, weshalb, eine längerfristige Sperrung über Monate oder Jahre, wie für eine bisher übliche konventionelle Grundinstandsetzung mit dauerhafter Trockenlegung der Schleusenanlage benötigt wird, mit dem Ausfall der zugehörigen Wasserstraße gleichzusetzen ist. Ein dauerhaftes Abwandern der Verkehrsträger auf alternative Verkehrsträger ist zu befürchten [1]. Auch wenn die gängige Bauweise der Schleusenanlagen der WSV aus Beton bzw. Stahlbeton mit vergleichsweise geringem Unterhaltungsaufwand verbunden ist, ist zu beachten, dass im Bereich des Stahlwasserbaus von Nutzungszeiträumen von ca. 60 Jahren, im Bereich des Massivbaus von 80 bis 100 Jahren ausgegangen wird. Aufgrund der Altersstruktur der Schleusenanlagen der WSV (Bild 1) ergibt sich, dass in den nächsten Jahren über 120 Schleusenanlagen instandgesetzt werden müssen, da sie ihre geplante Lebensdauer erreicht bzw. schon überschritten haben. Bild 1: Altersstruktur der Einkammerschleusen der WSV (Quelle: [2]) 288 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen Unter der Prämisse eines ungestörten Betriebs der Wasserstraße steht der WSV bisher für Einkammerschleusen nur die Alternative eines Ersatzneubaus in unmittelbarer Nähe der bestehenden Anlage zur Verfügung, um den Schiffsverkehr ohne länge Unterbrechungen zu garantieren. Dies ist jedoch, neben erheblichen finanziellen Mittel, auch in intensiv genutzten urbanen Gebieten aufgrund des benötigten Platzbedarfes teilweise schwierig bis überhaupt nicht umzusetzen. Um der WSV eine weitere Möglichkeit zur Instandsetzung der Schleusenanlagen ohne längerfristige Sperrungen zur Verfügung zu stellen, wurde das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben „Instandsetzung unter Betrieb“ (IuB) von der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) gemeinsam mit dem Wasserstraßen-Neubauamt Heidelberg (WNA HD), der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS), und dem Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) initiiert. Das Forschungsvorhaben gliedert sich dabei in die zwei Bereiche „Instandsetzung der Schleusenkammer“ und „Ersatzneubau Häupter“ wobei im Rahmen der Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen (BTV OES) die Möglichkeiten einer Instandsetzung der Schleusenkammer unter Betrieb untersucht werden. Das Teilprojekt Ersatzneubau Häupter ist aktuell zurückgestellt. Abschließendes Ziel der Bauteilversuche ist neben den baupraktischen Nachweisen der Bauverfahren, ein Modulbaukasten, in dem die Mitarbeiter der WSV und interessierte Ingenieurbüros einen Überblick über mögliche Instandsetzungsvarianten unter Betrieb, deren Kosten, Zeitansätze und Randbedingungen erhalten und so eine Vorauswahl entsprechend ihrer individuellen Aufgabenstellung treffen können [3]. Die Bauteilversuche gliedern sich dabei in zwei Bereiche. So werden neben den Bauteilversuchen unter laufendem Schleusenbetrieb (IuB) auch Bauteilversuche unter konventionellen Randbedingungen, also mit Außerbetriebnahme der Schleusenkammer durchgeführt (IaB). Diese dienen hauptsächlich der Erprobung von Werkstoffen, die zwar bekannt, aber noch ohne praktischen Nachweis sind, sowie Nachweisen von statischen Ansätzen, die aktuell noch nicht geregelt sind. Die Bauteilversuche IuB gliedern sich in Versuche auf, die von Sohle bis Planie reichen und solche, die von 1m unter Unterwasser (UW) bis Planie erstrecken. Letztere simulieren Schleusenanlagen, bei denen eine Trockenlegung technisch nicht möglich ist oder bei denen eine Instandsetzung unterhalb des Unterwasserstandes nicht notwendig ist, da dieser Bereich nicht instandgesetzt werden muss. Die BTV IuB werden an jeweils zwei Schleusenkammerblöcken durchgeführt. Hierbei wird der jeweils erste Block ohne Ausrüstungsgegenstände, der zweite Block mit Ausrüstungsgegenständen ausgeführt. So können die Erkenntnisse des ersten Blocks auf die Anforderungen des zweiten, etwas komplizierteren Blocks, übertragen werden. Die IaB BTV werden an jeweils nur einem Schleusenkammerblock durchgeführt. Im Einzelnen werden folgenden Reprofilierungsvarianten geplant und ausgeführt, die entsprechend Bild 2 in der Schleusenkammer angeordnet sind: - Ortbeton, IuB, von Sohle bis Planie (rot) - Fertigteile I, IuB von Sohle bis Planie (gelb) - Spundwand, IuB, von Sohle bis Planie grün) - Fertigteile II, IuB, von 1m unter UW bis Planie (hellblau) - Stahlfaserspritzbeton, IuB, von 1m unter UW bis Planie (dunkelblau) - Fertigteile III, IaB, von 1m unter UW bis Planie (lila) - Ortbeton mit Mikrohohlkugeln (MHK) I, IaB, von 1m unter UW bis Planie - Ortbeton MHK II (einseitig bewehrt), IaB, von 1m unter UW bis Planie (lila) Bild 2: Aufteilung der BTV in der Schleusenkammer (Quelle: ARGE BTV OES) 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 289 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen Zu den flächigen BTV ist aktuell geplant im Block 5 links ein Austausch der Nischenpoller unter Betrieb zu untersuchen und im Block 8 links + rechts dünnschichtige Applikationen ohne Rückverankerung im Bestand auf ihr Langzeitverhalten zu testen. Die Bauteilversuche werden in der rechten Kammer der Schleuse Oberesslingen am Neckar durchgeführt. Die Schleusenanlage ist als Doppelschleuse erstellt worden, allerdings ist die rechte Kammer nie in Betrieb genommen worden. Diese Kammer besitzt die üblichen Ausrüstungsgegenstände wir Steigleitern, Nischenpoller, Planiepoller und Kantenschutz, dagegen sind Tore und deren Antriebe nie eingebaut worden. Stattdessen sind am Unterhaupt (UH) unterhalb der Tornischen und am Oberhaupt (OH) in der Revisionsnische, Spundwände eingesetzt worden, damit die Kammer bis vor ungefähr 10 Jahren als Sparkammer genutzt werden konnte. Die Bauteilversuche wurden im Rahmen eines Partnering-Paket-Models vergeben. Um den partnerschaftlichen Ansatz des Projekts von Beginn an Rechnung zu tragen, wurde dem eigentlichen Vergabeverfahren ein Interessensdialog vorgeschaltet, bei dem interessierte Marktteilnehmer über die anstehende Ausschreibung und den Ablauf informiert wurden. Im nun folgenden Teilnahmewettbewerb wurden fünf Arbeitsgemeinschaften (ARGE) aus Planer und ausführender Firma auf Grundlage von Eignungsnachweisen ausgewählt, die am Vergabewettbewerb teilnehmen konnten. Die ARGE‘en wurden aufgefordert für alle vorgesehenen BTV jeweils ein Konzept zu erstellen (indikative Angebote). Der Auftraggeber (AG) hat hierzu nur das Ergebnis und die einzuhaltenden Randbedingungen in einer funktionalen Leistungsbeschreibung definiert. Die Lösungsumsetzung, war den Teilnehmende frei überlassen. Dieser Ansatz war dem Gedanken geschuldet, dass der AG für die Innovationskraft und die baupraktischen Erfahrungen der Teilnehmer so weit wie möglich freien Raum lassen wollte. Nach der Auswertung der indikativen Angebote wurde mit jedem Teilnehmer in einer ersten Verhandlungsphase seine Konzepte besprochen. Aufgrund der großen Innovationskraft der Teilnehmer mussten die Vergabeunterlagen in einem Zwischenschritt angepasst werden, um die in den Konzepten vorgestellten Lösungen in den Vergabeunterlagen zu berücksichtigen. Dabei wurden diese so allgemein beschrieben, dass kein Hinweis auf die Herkunft von Lösungsansätzen bekannt gemacht wurde. Auf Grundlage der überarbeiteten Vergabeunterlagen und der im individuellen Gespräch angemerkten Punkte wurden die Teilnehmer aufgefordert ihre Konzepte zu überarbeiten. Diese wurden mit jedem Teilnehmer in einer zweiten Verhandlungsphase wiederum besprochen und es wurde eine weitere Möglichkeit zur Überarbeitung gegeben, bevor die Angebote final eingereicht wurden. In diesem Verfahren wurde nicht der Preis als wichtigstes Argument bewertet, sondern die Innovationskraft der Konzepte. Dabei wurde ebenso auf die Übertragbarkeit der Lösungsvorschläge auf andere Schleusenanlagen und die generelle Umsetzbarkeit geachtet. 1.1 Randbedingungen der BTV Für die Durchführung der BTV sind verschiedene Randbedingungen einzuhalten. Einerseits gilt es, über geeignete Randbedingungen die wechselnde Nutzung der Schleuse für Instandsetzung und Schleusenbetrieb abzubilden und das Freihalten des notwendigen Lichtraumprofils für die Schifffahrt zu beachten. Weitere Randbedingungen betreffen die Übertragbarkeit auf eine möglichst große Zahl an Einkammerschleusen innerhalb der WSV und die Simulation eines Schifffahrtsbetrieb, da dieser aufgrund der früheren Sparkammerverwendung nicht möglich ist. Zudem sind die BTV so zu planen, dass der Schleusenbetrieb in der linken Kammer zu keiner Zeit behindert oder eingeschränkt wird. 1.1.1 Trockenlegung der Arbeitsbereiche Grundlegende Aufgabenstellung für die Planung der Instandsetzung unter Betrieb ist die Möglichkeit der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des Schleusenbetriebs. Für die BTV wurde festgelegt, das Zeitfenster für die Instandsetzungsmaßnahmen inkl. aller vor- und nachlaufenden Arbeiten auf 12-Stunden zu begrenzen, so dass die Schleuse der Schifffahrt ebenfalls 12-Stunden zur Verfügung steht. Die Vorzugslösung der BAW vor dem Vergabewettbewerb sah eine Trockenlegung mit einem Dammbalkensystem vor, für das vor und hinter dem jeweiligen Arbeitsbereich eine Nische für die Aufnahme der Dammbalken hätten erstellt werden müssen. Für Montage und Demontage der Dammbalken sowie dem Leeren vor Arbeitsbeginn bzw. der Wiederbefüllung der Schleuse wurde im Rahmen einer ersten Abschätzung 4-Stunden angenommen [2]. Die beauftragte ARGE hat im Rahmen der Konzepterstellung während des Vergabeverfahrens einen Süllkasten präsentiert, mit dem diese werktäglichen vorlaufenden Arbeiten minimiert werden sollen, um mehr Arbeitszeit für die eigentlichen Reprofilierungsaufgaben zur Verfügung zu haben. Die Vorteile des Süllkastens (Bild 3) lagen entsprechend der Planung in der Minimierung der auszupumpenden Wassermenge, des schnelleren Ein- und Ausbaus des Süllkastens gegenüber der Montage und Demontage eines Dammbalkensystems sowie dem Entfall der dafür notwendigen Nischen. Zudem ist vorgesehen einen stufenlos verstellbaren Hubboden in den Süllkasten zu integrieren. Dadurch kann die jeweilige benötigte Arbeitshöhe aufgabenspezifisch eingestellt werden und die Notwendigkeit von Gerüsten entfallen. 290 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen 1.1.2 Lichtraumprofil Da die Schleuse außerhalb der Instandsetzungsarbeiten dem Schiffsverkehr zur Verfügung stehen muss, sind alle Arbeiten und Hilfskonstruktionen so zu planen, dass das Lichtraumprofil in der Schleusenkammer nur so weit eingeschränkt wird, dass ein Großmotorschiff die Schleuse noch passieren kann. So sind zum Beispiel die Schalungen beim BTV Ortbeton so zu konzipieren, dass die vorhandene Schleusenbreite von 12,00 m nicht weiter als bis auf 11,80-m eingeengt wird, sodass Schiffe mit einer Breite von 11,40-m noch passieren können. Gleiches gilt für die Sicherungen der Fertigteile beim BTV Fertigteil I und II. Auch diese sind so zu dimensionieren, dass das notwendige Lichtraumprofil jederzeit vorhanden ist. Damit die Schiffe nicht die Hilfskonstruktionen der BTV touchieren bzw. beschädigen, muss ein Leitsystem vor und hinter den sich in Bearbeitung befindenden Blocks erstellt werden, dass die Schiffe entsprechend führt. Die Randbedingungen des Lichtraumprofils gelten analog für das Leitsystem. Da Arbeiten immer nur an einer Seite der Schleusenanlage zulässig sind, damit die Schiffe auf der zweiten Seite festmachen können, müssen die Schiffe von der sich in Arbeit befindlichen Seite abgehalten werden. Hierfür müssen die Leitsysteme statisch ausgelegt werden, die zum einen die gegenüber der Schleusenachse asymmetrische Führung der Schiffe übernehmen - aus rein hydraulischen Gründen wird sich das Schiffe immer in der Achse der Schleusenanlagen bewegen wollen - und zum anderen eine Breite von 11,80-m in der Schleusenkammer garantieren. Gleichts gilt für die Abladetiefe. Auch hier sind alle Arbeiten so zu planen, dass die Abladetiefe über den gesamten Bearbeitungszeitraum nicht eingeschränkt wird. Dementsprechend ist am Ende einer Arbeitsschicht sicher zu stellen, dass im Rahmen der Abbrucharbeiten keinerlei Abraum in der Schleusenkammer verbleibt. 1.1.3 Randbedingungen aus dem Schleusenbetrieb Die einzuhaltende Randbedingung für die Planung und Durchführung der BTV zur (simulierten) Aufrechterhaltung des Schifffahrtsbetrieb erfordert, dass wie bei einer späteren Instandsetzung unter Betrieb immer nur ein Block bearbeitet wird. Erst wenn dieser fertig gestellt ist und dem Schleusenbetrieb wieder zur Verfügung steht, kann mit dem nächsten Block begonnen werden. Hintergrund dieser Randbedingung ist, dass die Schifffahrtstreibenden weiterhin die Möglichkeit haben, die Festmacheinrichtungen der Schleuse möglichst uneingeschränkt nutzen zu können. Zudem sind aus Rettungsgründen Zugänge zum Schiff über beide Seiten der Kammer zu ermöglichen. Bild 3: Süllkasten (Quelle: ARGE BTV OES) 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 291 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen 1.2 Ziele BTV Das Ziel der Bauteilversuche besteht primär darin, der WSV baupraktische Möglichkeiten aufzuzeigen welche Varianten des Abtrags und der Reprofilierung unter Betrieb bestehen und unter welchen Randbedingungen diese durchgeführt worden sind. Dabei sind die möglichen Arbeitszeiten, die Materialparameter und die Abmessung des Bestandsbauwerkes, die statische Konstruktion sowie die zur Verfügung stehende Baustelleneinrichtungsfläche typische Randbedingungen, die an jedem Bauwerk individuell betrachtet werden müssen und für die die Bauteilversuche so allgemein aufgestellt sein müssen, dass die Verfahren grundsätzlich übertragbar sind. Der Nachweis der Durchführbarkeit der innovativen Ansätze bildet ein weiteres Kernstück der Ziele. Dabei dürfen die Qualität und Dauerhaftigkeit der reprofilierten Wandabschnitte nicht schlechter sein, als die unter konventioneller Herstellung durchgeführten Instandsetzungen. Im Rahmen der BTV in Oberesslingen sollen neben dem Ansatz der Instandsetzung unter Betrieb auch bisher in der WSV nicht oder nur selten eingesetzte Baustoffe und Bautechniken auf ihre Alltagstauglichkeit und ihr Langzeitverhalten untersucht werden. Der aus den Bauteilversuchen gewonnene Erfahrungsgewinn wird in einem allgemein zugänglichen Modulbaukasten [4] der WSV und der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Hierzu werden sowohl die Planung wie auch die Ausführung wissenschaftlich durch die BAW und das TMB evaluiert und im jeweiligen Bereich des Modulbaukastens in einem entsprechenden Bericht vorgestellt. Ziel ist es, möglichst für alle gewählten und erprobten Abtrags- und Reprofilierungsvarianten sowie Stahlwasserbauarbeiten alle erforderlichen Grunddaten zur Verfügung zu stellen, damit diese an den Schleusen der WSV ebenfalls umgesetzt werden können. Dabei sind die Unterlagen im Modulbaukasten nicht als allgemein gültige Anleitung zu verstehen, dafür die sind die Randbedingungen der einzelnen Bauwerke zu unterschiedlich, sondern als Bereitstellung von Ansätzen, die auf die jeweiligen Bauwerke angepasst werden müssen. Dabei ist es durchaus denkbar, dass es nicht die eine Vorzuglösung für alle Schleusenbauwerke der WSV gibt, sondern dass, je nach Randbedingungen unterschiedliche Vorzugslösungen an den Bauwerken identifiziert und später umgesetzt werden. 2. Bauteilversuche 2.1 Umfang der BTV Die Trennung der BTV in IaB und IuB bedingt sich durch die unterschiedlichen Schwerpunkte und Ziele. Während bei IaB der Schwerpunkt auf der Untersuchung bisher bekannter aber nicht vertiefter Bauwerkstoffe liegt, wird bei IuB der Fokus auf die Ausführung unter Aufrechterhaltung des Schleusenbetriebs gelegt. Bei den IaB BTV wird unter anderem eine Vorsatzschale in Ortbetonbauweise mit Mikrohohlkugeln statt Luftporenbildner erstellt, um die Dauerhaftigkeit und die Verarbeitbarkeit des Werkstoffs zu untersuchen. Parallel wird ein zweiter Block unter identischen Grundvoraussetzungen erstellt mit dem Unterschied, dass die hintere Lage der Bewehrung entfällt. Dies entspricht nach den Vorgaben der ZTV W-LB 219 etwa 1/ 3 der ursprünglich angesetzten Stabstahlbewehrung. Bei diesem Versuch sollen über einen längeren Zeitraum die Rissbildung und das Verbundverhalten untersucht werden, um Rückschlüsse über eine allgemeine Anwendung und damit Vereinfachung der Vorsatzschalen bei einer konventionellen Instandsetzung zu erhalten. Versuchsweise soll dieser BTV mit einem Baustellenbeton durchgeführt werden, der auf der Baustelle mit einem Mischtrucks hergestellt wird. Hintergrund der Verwendung eines Mischtrucks sind die Rückmeldungen aus der Praxis, dass die Beschaffung von Lieferbeton mit den Anforderungen der ZTV- W LB 215/ 219 teilweise Probleme bereitet und man so auch Mengen von wenigen Kubikmetern erhalten kann. Bei den fünf IuB BTV steht die grundsätzliche Umsetzbarkeit der Abtrags- und Reprofilierungsvarianten unter den bereits geschilderten zeitlichen Rahmenbedingungen im Fokus. Für die Reprofilierungsvarianten Ortbeton, Fertigteil und Spundwand werden die jeweiligen Blöcke von Sohle bis Planie reprofiliert. Die Abtragstiefe und die Abtragsart [Tab. 1] richten sich nach den Erfordernissen der Reprofilierungsvariante. Geplant sind die Abtragsvarianten Fräsen, Hochdruckwasserstahlen (HDW) und Seilsägen. Für die Reprofilierungsvarianten Fertigteile II und Stahlfaserspritzbeton werden Abtrag und Reprofilierung nur bis 1m unter UW durchgeführt, da hiermit die Reprofilierung von Schleusen simuliert werden soll, die aus statischen oder Bauwerksspezifischen Gründen nicht trockengelegt werden können oder der zu reprofilierende Bereich nur bis zum UW-Spiegel reicht. Tab. 1: Übersicht der Abtragsvarianten Block Abtragsvariante Reprofilierungsvariante Abtragstiefe 1 rechts Seilsägen Fertigteil I 40 cm 1 links Seilsägen Fertigteil II 40 cm 2 rechts Seilsägen Fertigteil I 40 cm 2 links Seilsägen Fertigteil II 40 cm 3 rechts Fräsen Ortbeton 30 cm 3 links Fräsen MHK II 30 cm 4 rechts Fräsen Ortbeton 30 cm 4 links Fräsen MHK I 30 cm 5 links Seilsägen Fertigteil III 40 cm 6 rechts Seilsägen Spundwand 50 cm 6 links HDW Spritzbeton 20 cm 7 rechts Seilsägen Spundwand 50 cm 7 links HDW Spritzbeton 20 cm Zusätzlich wird der Bauteilversuche „Rahmenlösung“ geplant, bei dem der Torrahmen für ein Stemmtor im UH in einem Stück eingesetzt wird, umso die aufwendigen und zeitintensiven Justierungen für das neue Tor bereits vorab in der Montagehalle durchführen zu können. Dieser BTV findet unter dauerhafter Trockenlegung der Schleusenkammer statt. 292 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen Wie oben beschrieben verfügt die Schleusenkammer über keine Schleusentore. Um die IaB Versuche unter einer dauerhaften Trockenlegung durchführen zu können und die Kammer für die IuB Versuche bis zum OW füllen zu können, sowie Arbeitsgeräte wie den Süllkasten einschwimmen zu können, wird die Spundwand im UH ausgebaut und dafür im Block 9 ein Dammbalkenverschluss eingebaut. Die hierfür notwendigen Nischen werden unter IuB Bedingungen hergestellt, wobei Voruntersuchungen für die Schleuse Hollage ergeben haben [5], dass dies nicht in den angestrebten 12 Stunden Sperrpause zu erstellen ist, sondern hierfür mindestens eine Wochenendsperrung vorzusehen ist. Für den baupraktischen Nachweis der BTV ist es wichtig, den Wasserspiegel in der Kammer bis OW einstellen zu können, um alle bearbeiteten Flächen mit Flusswasser zu benässen und so realistische Verhältnisse eines Schleusenbetriebs zu simulieren. Neben der Simulation des Schleusenbetriebs wird durch die Verwendung des zwingenden Dammbalkenverschlusses ein weiteres System zur bereichsweisen Trockenlegung im Rahmen der BTV getestet und Aufwandswerte für den Auf bau und die Erstellung der Führungsnischen können evaluiert werden. Beide Variante der bereichsweisen Trockenlegung werden im Modulbaukasten dargestellt, damit der WSV eine Variantenbetrachtung für ihr Projekt ermöglicht wird. 2.2 Lösungsansätze der BTV Durch die tägliche partielle Trockenlegung und Einrichtung des Arbeitsbereichs verbleiben nach aktuellem Stand maximal 10 Stunden für die Instandsetzungsarbeiten, bevor die Kammer anschließend für 12 Stunden der Schifffahrt übergeben wird. Daher sind herkömmliche Arbeitsansätze nicht anwendbar, sodass Lösungen zu finden sind, die die Arbeitsabschnitte so aufteilen, dass sie innerhalb des zur Verfügung stehenden Zeitfensters bewältigt werden können ohne die Qualität oder Dauerhaftigkeit zu beeinflussen. In der aktuellen Planung sind für die Reprofilierung mit Ortbeton horizontale Arbeitsabschnitte zwischen 2,0-m und 3,3-m vorgesehen. Die Abmessungen der Arbeitsabschnitte orientieren sich dabei an der zu erwartenden Arbeitsleistung beim Betonieren - der Beton benötigt gemäß den Vorgaben des Auftraggebers eine Mindestfestigkeit von 15 N/ mm² zum Zeitpunkt der Widerinbetriebnahme der Schleusenkammer. Hintergrund dieser Anforderung sind die Belastungen aus Frost-Tau-Wechsel, da das Reprofilierungsverfahren für die Übertragbarkeit auf andere Maßnahmen ganzjährig eingesetzt werden können muss. Bei einer Probemaßnahme an der Schleuse Feudenheim [6] hat sich diese Mindestfestigkeit als sichere Annahme erwiesen. Die Aufteilung der Betonierabschnitte und damit die Abmessungen der Schalelemente ist so gewählt, dass die erste Arbeitsfuge oberhalb des UW-Spiegels liegt und die weitere nicht im Bereich ± 1m um die Wasserstände UW und OW. Da die Schalung nur abschnittsweise erstellt wird, besteht zum benötigten Arbeitsraum immer uneingeschränkter Zugang für das Erstellen der Anker oder den Einbau der Schalung. Für die Reprofilierung mit Fertigteilen sollten in einem ersten Schritt Elemente über die komplette Blocklänge von 11-m verwendet werden. Aufgrund von Anforderungen an die Steifigkeit der Elemente beim Transport sowie Einbau und der damit notwendigen Bauteildicke wurde entschieden kürzere Elemente zu verwenden. Zudem war im Rahmen der Planung auch auf die Übertragbarkeit auf Schleusen mit größeren Blocklängen zu achten, die einen Transport und Einbau nur sehr eingeschränkt möglich gemacht hätte, da die Schleusenbreite dann als limitierender Faktor gewirkt hätte. Ein erster Ansatz ergab eine Aufteilung mit einer vertikalen Stoßfuge der Fertigteile mit integrierten Ausrüstungsgegenständen (Bild 4) Bild 4: Zwischenlösung der BTV Fertigteile I 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 293 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen Die in Bild 4 dargestellte Anordnung der Bauteile zeigt vertikale durchgehende Fugen. Im Rahmen der regelmäßigen Planungsbesprechungen wurde später vereinbart, aufgrund von Dauerhaftigkeitsproblemen die durchgehenden vertikalen Stöße zu vermeiden, sondern die Fertigteile so anzuordnen, dass die vertikale Fuge verschränkt ist. Insgesamt sollten die Varianten der Fertigteile jedoch minimiert werden, um möglichst viele baugleiche Typen zu erhalten. Zu beachten ist, dass die Reprofilierung mit Fertigteilen eine mehrschalige Bauweise ist, die als „Sandwich-Bauweise“ beschrieben werden kann. So ist als Untergrund der Bestandsbeton vorhanden, danach folgt der Hinterfüllbeton, der zwischen Bestand und Fertigteil eingebracht werden muss. Das Fertigteil bildet den Abschluss zur Kammer. Aufgrund der Bauweise ist an jedem Übergang zwischen den Schalen der Spaltwasserdruck anzusetzen, was sowohl eine Ankerlage bzw. übergreifende Bewehrung zwischen Fertigteil und Hinterfüllbeton wie auch zwischen Hinterfüllbeton und Bestandsbeton erforderlich macht. Die Vorteile der Bauweise liegen in dem hohen Vorfertigungsgrad der Fertigteile, die anschließend als „verlorene Schalung“ betrachtet werden können sowie dem Umstand, dass die geforderte Expositionsklasse der Kammerwand nur dem Fertigteil zugeordnet werden muss und so an den Hinterfüllbeton geringere Anforderungen gestellt werden. Bei der Reprofilierung mit einer Spundwand als Vorsatzschale gelten ähnliche Ansätze wie für die Reprofilierung mit Fertigteilen. Die Spundwand soll entsprechend der aktuellen Planung aufgrund der Abmessungen in drei Segmenten vorgefertigt auf die Baustelle angeliefert werden und dort zusammengefügt werden. Wie auch bei den Fertigteilen wurde auch für die Spundwand aufgrund der Übertragbarkeit auf größere Blockbreiten auf die Fertigung in einem Stück verzichtet, eine Aufteilung auf mehrere Teilsegmente vorgenommen. Auch hier ist der einzubringende Hinterfüllbeton nicht direkt an der Kammerwand und kann daher für geringere Expositionsklassen vorgesehen werden. Zu beachten ist, dass die Spundwand und deren Verankerungen im Bauzustand für Wasserdruck von der Kammer aus zu dimensionieren sind, da im Bauzustand die Kammer für den Schleusenbetrieb bis OW gefüllt wird, der Hinterfüllbeton aber nicht im gleichen 12 Stunden-Zeitfenster eingebaut sein wird. Die Planungen des BTV Stahlfaserspritzbeton sehen den vollkommenen Verzicht auf eine Stabstahlbewehrung vor. Die anzusetzenden Kräfte aus Spaltwasserdruck, Flutung der Kammer und Schiffsanfahrt sollen über ein dichteres Raster von Ankern und die im Spritzbeton enthaltenen Stahlfasern abgeleitet werden. Analog den Ansätzen für den BTV MHK II, bei dem die hintere Bewehrungslage planmäßig entfällt, wird auch hier zum Nachweis der Standsicherheit eine Simulation erste Ansätze liefern, da in beiden BTV ein Nachweis gemäß aktueller Normen und Vorschriften nicht möglich ist. 2.3 Erwarteter Erkenntnisgewinn der Bauteilversuche Auf Grundlage der BTV sollen die ersten Erkenntnisse für zukünftige Instandsetzungsmaßnahmen von Einkammerschleusen unter Betrieb gewonnen werden. Neben der Herausforderung, den Bauablauf so zu organisieren, dass zwischen den arbeitstäglichen Zeitfenstern ein Schleusenbetrieb aufrechterhalten werden kann, werden auch Erfahrungen zu neuen Werkstoffen bzw. neuen Konstruktionsansätzen erwartet. Dabei greift die Herausforderung des parallel fortlaufenden Schleusenbetriebs in vielfältiger Weise in die Planung der Instandsetzung ein. Neben Lösungen aufgrund der geometrischen Anforderungen für den fortlaufenden Schiffsverkehr in der Kammer, müssen auch im Bauablauf Zeitfenster und ingenieurtechnische Lösungen gefunden werden, wie die immer wiederkehrende Füllung der Kammer bis OW und damit einhergehende Verunreinigung des Bauabschnitts mit Flusswasser beherrscht werden kann. Hinzu kommen im konventionellen Bauablauf nicht berücksichtigte Lastzustände für die verschiedenen mehrschaligen Reprofilierungsvarianten bzw. für den Beton selbst. Dieser muss zum einen schellerhärtend sein, um eine ausreichende Frühfestigkeit für den Schleusenbetrieb aufzuweisen, muss aber an die Eigenschaften des Bestandsbeton angepasst werden. Die Gesamtmaßnahme soll ein Baustein zur Lösung der gewaltigen Aufgabe der Instandsetzung der bestehenden Einkammerschleusen darstellen. 3. Ausblick auf das Projekt Entsprechend dem aktuellen Ablaufplan ist vorgesehen, dass im Mai 2025 die im UH befindliche Spundwand ausgebaut wird und damit die Bautätigkeit beginnt. Nach der sich anschließenden Baufeldsicherung, es müssen Entspannungsbrunnen in der Schleusenkammer erstellt werden, um die Last aus dem Grundwasser auf die eingelegte Schleusensohle abzumindern, werden zuerst die BTV mit ständig trocken gelegter Schleusenkammer (IaB) im Schutz des Dammbalkenverschlusses durchgeführt. Hintergrund dieses Ablauf ist es, die Erfahrungen aus den BTV MHK I und MHK II für den BTV Ortbeton zu sammeln und über den BTV FT III erste Erkenntnisse für die BTV FT I und FT II zu erhalten, damit diese für die entsprechenden IuB BTV genutzt werden können und sie in der weitere Planung berücksichtigen zu können. Weiterhin besteht die Notwendigkeit, dass der Süllkasten für die IuB BTV zur Verfügung steht. Da dieser eine Fertigungszeit von ca. 1-Jahr hat und die Planungen erst Anfang 2026 abgeschlossen werden, können die IuB BTV nicht vor Anfang 2027 begonnen werden. Für die fünf IuB BTV wird aktuell ein Zeitfenster von 19 Monaten eingeplant. Den Abschluss bildet der BTV Rahmenlösung am UH mit dem die Arbeiten an der Baustelle Ende 2028 enden sollen. Bereits während der Bauausführung werden die Erkenntnisse der bereits abgeschlossenen und evaluierten BTV im Modulbaukasten veröffentlicht werden, so dass dieser sukzessive gefüllt und vervollständigt wird. 294 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Instandsetzung unter Betrieb - Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen Literatur [1] Westendarp, Andreas (2017): BAW/ WSV - Projekt „Instandsetzung unter Betrieb“. In Bundesanstalt für Wasserbau (Hg) BAW: Kolloquium “Instandsetzung von Schleusen unter Betrieb“ [2] Müzel, Nils et al. (2014): Prinzipielle Lösung zur partiellen Trockenlegung von Schleusenkammern; TMB am KIT [3] Leicht, Anna et al. (2021): Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens. In Technische Akademie Esslingen (Hg.): 7. Kolloquium Erhalt von Bauwerken, S. 397 - 401 [4] Bundesanstalt für Wasserbau (Hg.): Modulbaukasten. Online verfügbar unter: https: / / izw.baw.de/ wsv/ planen-bauen/ instandsetzung-unter-betrieb [5] Bundesanstalt für Wasserbau (Hg.): Modulbaukasten: Erläuterungsdokument 1.1-I.b Dammtafeln in Führungsschienen (Machbarkeitsstudie Hollage). Online verfügbar unter: https: / / izw.baw.de/ publikationen/ instandsetzung-unter-betrieb/ 0/ 1.1-I.b%20Dammtafeln%20in%20F%C3%BChrungsschienen%20 %28Machbarkeitsstudie%20Hollage%29.pdf [6] Bundesanstalt für Wasserbau (Hg.): Modulbaukas-ten: Erläuterungsdokument 3.1-IV.a Spritzbeton schnell erhärtend - verankert und bewehrt (Bauteilversuch Feudenheim). Online verfügbar unter: https: / / izw.baw.de/ publikationen/ instandsetzung-unter-betrieb/ 0/ 3.1-IV.a%20Spritzbeton%20 schnell%20erh%C3%A4rtend%20-%20veranker t%20und%20bewehr t%20%28Bauteilversuch%20Feudenheim%29.pdf 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 295 Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen - Planen & Bauen Dipl.-Ing. Harold Kötz ARGE BTV OES / GRBV Ingenieure im Bauwesen GmbH & Co. KG, Hannover Dipl.-Ing. Christoph Begemann ARGE BTV OES / LPI Ingenieurgesellschaft mbH, Hannover Zusammenfassung Die Bauteilversuche an der Neckarschleuse in Oberesslingen wurden durch den öffentlichen Auftraggeber im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens als Paket von Planungs- und Bauleistungen an ein Totalunternehmen vergeben. Das Leistungsspektrum erstreckt sich dabei von Teilen der Grundlagenermittlung über die verschiedenen Planungsphasen bis hin zur eigentlichen Bauausführung inklusive Dokumentation. Mit den Versuchen sollen unterschiedliche Abtrags- und Reprofilierungsverfahren sowie verschiedene Möglichkeiten zur Trockenlegung sowohl unter Betrieb als auch außer Betrieb erprobt werden. Um diese vielfältigen Leistungsanforderungen zu bedienen, erfolgt die Bearbeitung als Arbeitsgemeinschaft aus Planungsbüros und bauausführenden Unternehmen. Die frühzeitige Beteiligung der Baufirmen bietet im Hinblick auf die Sicherstellung der späteren Ausführbarkeit optimale Voraussetzungen. Der Vortrag erläutert die Herangehensweise an die Aufgabe sowie wesentliche Herausforderungen und Ziele. Außerdem werden Einblicke in die derzeit laufenden Planungen und ein Ausblick auf die spätere bauliche Umsetzung gegeben. 1. Einführung Die Planung und Durchführung der Bauteilversuche (BTV) an der rechten Kammer der Schleuse Oberesslingen, auch immer unter Berücksichtigen der Übertragbarkeit auf andere Schleusenanlagen, erfordert eine große Expertise in der Instandsetzungsplanung massiver Wasserbauwerke, der Bauwerksuntersuchung, der Baustoffkunde und dem Stahlwasserbau sowie technischem Know-how bei Bohr- und Abtragsverfahren, Einsatz von Spritzbetonen bis hin zur detailreichen Kenntnis des Bauwerksbestands im Bereich der WSV. So setzt sich die Arbeitsgemeinschaft inklusive Nachunternehmer aus drei Planungsbüros (GRBV Ingenieure im Bauwesen GmbH & Co. KG, LPI Ingenieurgesellschaft mbH und IRS Stahlwasserbau Consulting AG) sowie drei bauausführenden Unternehmen (w+s bau-instandsetzung GmbH, BeMo Tunneling GmbH und Adolf Cornels GmbH) zusammen. Die rechte Kammer der Schleuse Oberesslingen ist nicht in Betrieb und durch die vormalige Nutzung als Sparbecken auch nicht mit funktionierenden Verschlüssen ausgerüstet. Die Bauteilversuche teilen sich in Instandsetzungen außer Betrieb (IaB) und Instandsetzungen unter Betrieb (IuB) auf. Die IaB-Maßnahmen sollen unter konventionellen Bedingungen, also in dauerhaft und vollständig trockengelegter Kammer erfolgen. Die IuB- Maßnahmen erfolgen unter Ansatz eines simulierten Schleusenbetriebes in der rechten Kammer. Die linke Kammer ist bei beiden Maßnahmenpaketen tatsächlich unter Betrieb. Die fiktiven Sperrzeiten für die Ausführung der IuB-Arbeiten in der Schleusenkammer sind im Regelfall von montags bis freitags von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Im Einzelfall können auch längere oder auch mehrtägige Sperrungen, z. B. als fiktive Wochenendsperrpause vorgesehen werden. Außerhalb der Sperrzeiten ist darüber hinaus eine lichte Breite der Schleusenkammer von mindestens 11,80 m zu gewährleisten, was lediglich eine zulässige Einengung von 20 cm gegenüber der vorhandenen Kammerbreite vom 12,00 m darstellt. Die IaB- und IuB-Versuche teilen sich dann jeweils in Maßnahmen zur Trockenlegung und die eigentlichen Reprofilierungsvarianten einschließlich Abtrag auf. Insgesamt sind bei den Bauteilversuchen derzeit 20 Einzelmaßnahmen zu behandeln. Neben den Bauteilversuchen gemäß Tabelle 1 sind auch noch weitere Versuche gemäß Tabelle 2 vorgesehen, die aber in Teilen nicht zur Ausführung kommen sollen. 296 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen - Planen & Bauen Tab. 1: Übersicht BTV Oberesslingen Nummer Einzelmaßnahem / BTV 01 IuB Ortbeton 02 IuB Fertigteile 03 IuB Spundwand 04 IuB Spritzbeton 05 IuB FT 1m UW 06 Ausbau Spundwand 07 Zwingender Dammbalkenverschluss 08 Sohlsicherung 09 Lärmschutz 10 Sicherung Oberwasser 11 IaB FT 12 IaB Ortbeton MHK beidseitig 13 IaB Ortbeton MHK einseitig 14 Süllkasten 15 Rahmenlösung für Tortausch Tab. 2: Übersicht weitere BTV Oberesslingen Nummer Einzelmaßnahem / BTV 21 Bodenaustausch 22 Mobiler Revisionsverschluss 23 Befüllung von OW (Heber) 24 Umlaufendes Fugenband 25 Austausch Nischenpoller 2. Trockenlegung und Verschlüsse 2.1 Trockenlegung IaB In der rechten Kammer der Schleuse Oberesslingen sind kein Ober- und Untertor vorhanden. Anstatt dessen sind im Ober- und Unterhaupt jeweils Spundwände eingebaut. Abb. 1: Rechte Kammer Schleuse Oberesslingen, trockengelegt, Blick Richtung OW Im Unterhaupt gibt es außerdem einen Notverschluss mit dem auch eine Trockenlegung fast des gesamten Unterhauptes möglich ist. Um eine Instandsetzung unter Betrieb zu simulieren und schwimmendem Gerät Zugang zur Kammer zu ermöglichen, ist zu Beginn der Maßnahme die Spundwand im Unterhaupt auszubauen. Die Rückbauplanung konnte schon in einer frühen Planungsphase mit den ausführenden Firmen unter anderem bezüglich der einzusetzenden Geräte abgestimmt werden. Als Ersatz für die Spundwand wird ein Dammbalkenverschluss im Block 9 eingebaut. Mit dieser Maßnahme kann man die Kammer dann im Bereich der Blöcke 1 bis 8 inklusive Oberhaupt trockenlegen. Der Dammbalkenverschluss wird auf Oberwasserstand ausgelegt, um auch eine Wasserbeaufschlagung an den zu reprofilierenden Kammerwänden auf ganzer Höhe zu ermöglichen. Der Verschluss wurde von der ARGE BTV OES als klassisches Dammbalkensystem konzeptioniert. In einzelne Dammbalken können Schieber für die Befüllung und Entleerung eingebaut werden. Die Herstellung der Auflagernischen im Kammerwandbeton erfolgt unter IuB-Bedingungen. Um die Auftriebssicherheit der trockengelegten Kammer zu gewährleisten, müssen im Vorfeld insgesamt 48 Entspannungsbrunnen unterhalb der Sohle hergestellt werden. Abb. 2: Draufsicht Doppelkammerschleuse Oberesslingen mit Blockeinteilung 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 297 Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen - Planen & Bauen 2.2 Partielle Trockenlegung IuB Die Maßnahmen zur Instandsetzung unter Betrieb (IuB) sollen im Wechsel mit der Schifffahrt durchgeführt werden. Hierfür ist eine arbeitstägliche Trockenlegung des zu reprofilieren Bereiches erforderlich, wobei aufgrund der begrenzten Arbeitszeitfenster möglichst kurze Rüstzeiten anzustreben sind. Die weiteren vom AG gestellten Anforderungen sind vielfältig. An der rechten Kammerwand sollen die Wandblöcke bis auf OK Sohle reprofiliert werden, an der linken Kammerwand nur bis 1 m unter Unterwasser. In Oberesslingen bedeutet dies eine maximale Höhe von 10,10 m. Im Sinne der Übertragbarkeit müssen aber grundsätzlich höhere Kammerwände bis 12,00 m betrachtet werden. Des Weiteren soll nicht nur die in Oberesslingen vorhandene Blocklänge vom 11,00 m zuzüglich Blockfugen abgedeckt werden, sondern auch die ehemalige Regelblocklänge von 15,00 m gemäß DIN 19703 von 1995-11 [1]. Die Konzeptidee der ARGE BTV OES war, alle Anforderungen mit einem einzigen Arbeitsgerät in Form eines Süllkastenpontons abzudecken. Der Süllkasten hat einen herausnehmbaren Boden und ist mit einem eigenen Pumpsystem zum Lenzen des Arbeitsraumes ausgestattet. Des Weiteren ist eine zweite variable Arbeitsebene, der sogenannte Hubboden, zur Bearbeitung der Wand über die ganze Höhe vorgesehen. Ergänzt wird die Ausrüstung mit einem eigenen Hebegerät. Abb. 3: Süllkastenponton in Kammer - Planungsstand aus Konzeptphase Neben den geometrischen Anforderungen aus dem WSV- Schleusenbestand heraus müssen weitere Anforderung hinsichtlich des Platzbedarfs und den Belastungen aus Baubetrieb sowie nicht zuletzt aus der Arbeitssicherheit definiert, abgestimmt und umgesetzt werden. Dies kann nur durch einen intensiven Austausch zwischen allen Planern und den ausführenden Unternehmen und im Weiteren auch mit dem Auftraggeber glücken. Es müssen schon in einer sehr frühen Phase detailliert die einzelnen Abtrags- und Reprofilierungsschritte durchdacht werden, um dadurch die richtigen Randbedingungen an den Süllkasten zu definieren. Des Weiteren sind einige nautische Anforderungen für den Transport des Süllkastens innerhalb des gesamten deutschen Wasserstraßennetzes, im Bereich des Neckars sowie im direkten Baustellenbereich an der Schleusenanlage in Oberesslingen zu beachten. Auch hier ist eine frühzeitige Abstimmung mit den ausführenden Firmen zu Klärung der logistischen Möglichkeiten mehr als hilfreich. Nicht zuletzt müssen bei der Planung auch schon Wartung und Betrieb berücksichtigt werden. 2.3 Befüllung Durch das fehlende Obertor und ein nicht funktionstaugliches Verbindungsschütz zwischen den beiden Kammer muss auch die Befüllung bis auf Oberwasserstand ‚simuliert‘ werden. Hierfür ist nach aktuellem Planungsstand eine Heberanlage vorgesehen, die es ermöglicht, die Kammer in einer zu einer konventionellen Befüllung vergleichbaren Zeit von ca. 15 Min vom Oberwasser zu befüllen. Die Entleerung kann dann über das oben beschriebene Dammbalkensystem erfolgen. 3. Reprofilierung 3.1 Ortbeton Insbesondere hinsichtlich der Bauverfahrenstechnik wurden viele Lösungsansätze untersucht, da hier große Unterschiede im Vergleich zum Bauen außer Betrieb vorliegen. Als besonders innovativer Ansatz wurde der Einsatz eines Schalpontons untersucht, welcher die Schalung auf der gegenüberliegenden Kammerseite abstützt. Eine solche Lösungen wäre jedoch verfahrenstechnisch komplex und hätte ein sehr frühes Ausschalen erfordert und damit zusätzliche, erhöhte betontechnologische Anforderungen an die eingesetzten Betone (schnelle Erhärtung vs. begrenzte Hydratationswärmeentwicklung, etc.) gestellt. Letztlich wurden die Risiken sowohl für den Bauablauf als auch für die Betonqualität als zu hoch bzw. die Robustheit unter realen Bedingungen als schwer erreichbar eingeschätzt, sodass entschieden wurde, eine Lösung zu verfolgen, bei dem der Beton im ersten Schleusenbetrieb nach dem Einbau in der Schalung bleibt und keine schnelle Frühfestigkeitsentwicklung erforderlich ist. Dies bedeutet, dass für die Schalung mitsamt der erforderlichen Verankerung jedoch nur eine Auf bauhöhe von maximal 200-mm in der vorhandenen Kammer zur Verfügung steht. Die entwickelte Lösung der rückverankerten Schalung berücksichtigt sowohl die genannte Einschränkung in der Auf bauhöhe als auch eine für den baubetrieblichen Ablauf optimierte Schalungskonstruktion, die eine effiziente Montage und Ausrichtung in den begrenzten Zeitfenstern der Sperrpausen erlaubt. 298 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen - Planen & Bauen Das Konzept sieht vor, dass horizontale Arbeitsfugen in der Vorsatzschale flexibel ausgebildet werden können, um auf möglichst viele Bedingungen beim Bauen unter Betrieb und / oder Kammerwandhöhen adaptierbar zu sein. Die in Anbetracht des Ziels einer dichten Vorsatzschale eigentlich „unerwünschten“ Details Anker und Arbeitsfuge werden im Rahmen des BTV genauer untersucht. Da kein frühes Ausschalen erforderlich ist, sind betontechnologisch vorteilhafterweise Lösungen nahe an praxisbewährtem Vorsatzschalenbeton möglich, wobei im Rahmen der BTV zumindest bei einem Kammerblock der chemische Luftporenbildner durch Mikrohohlkugeln ersetzt werden soll. 3.2 Fertigteile Für die Konzipierung einer Fertigteil-Lösung wurden zunächst auch verschiedene Ansätze verfolgt. Die Vorzugslösung bildete dann ein Halbfertigteil mit horizontal ausgerichteten Verlegefugen. Die Halbfertigteile werden abschnittsweise eingehoben und verfüllt. Erforderliche Nischenpoller sind schon in das Fertigteil integriert. Der Vorteil der horizontalen Ausrichtung gegenüber einer vertikalen liegt u. a. in dem hohen Gewicht, welches ein vertikales Sonderfertigteil mit allen Pollern und Leiternische aufweisen würde, dem problematischen Einbau durchgehender horizontaler Bewehrung, der guten Zugänglichkeit für die unterschiedlichen Betonierabschnitte (Fugenvorbereitung, Betonage) sowie der Schwachstelle der vertikalen Fugen auch für Zwangsbeanspruchung aus dem Schwinden des Hinterfüllbetons. Bei den gewählten Höhenlagen der horizontalen Fertigteil-Fugen wurden sowohl die Einbauteile in Form der Nischenpoller berücksichtigt als auch die Vermeidung einer Fuge im Bereich der Unterwasserwechselzone. 3.3 Spundwand Für die Reprofilierung mittels Spundwand ist vorgesehen, ein aus mehreren Doppel- und Konstruktionsbohlen bestehendes Spundwandelement über die gesamte Blockfläche vor die Wand zu setzen und zu hinterfüllen. Das Spundwandprofil stellt in dieser Variante die Dichtebene dar. Hierfür werden die Schlösser verschweißt oder mit einem Dichtsystem ausgerüstet. Die Integration von Ausrüstung wie Leitern und Poller ist gut als geschweißte Konstruktion in den Spundwandtälern möglich. Für die Ausbildung der Blockfugen sind Sonderlösungen mittels Anschlussprofilen angedacht an denen ein Klemmfugenband befestigt werden kann. Diese Fugenausbildung soll eine Kompatibilität zu den anderen Varianten gewährleisten, bei denen ebenfalls Klemmfugenbandkonstruktionen vorgesehen sind. 3.4 Spritzbeton Nach den Konzeptanforderungen des AG soll die Kammerwand vom 1- m unter UW bis zur Planie mit einer Vorsatzschale aus Spritzbeton reprofiliert werden. Diese Variante soll dann später auch bei nicht trockenlegbaren Schleusen zum Einsatz kommen können. Spritzmörtel oder Spritzbeton wurden bereits vielfach zur Reprofilierung von Betonoberflächen von Verkehrswasserbauwerken eingesetzt, wobei viele Anwendungen in relativ geringer Dicke oder nur bereichsweise erfolgten. Für die Anwendung bei Bestandsbeton mit vergleichsweise niedriger Festigkeit und rückwärtiger Durchfeuchtung muss jedoch eine Vorsatzschale mit größerer Dicke hergestellt werden. Tatsächlich wurde eine solche, zweilagig bewehrte Vorsatzschale aus Spritzbeton sogar schon versuchsweise unter IuB-Bedingungen an der Schleuse Feudenheim hergestellt [2]. Die Ausführung erfolgte in 2003 von der w+s bauinstandsetzung GmbH, Mitglied der ARGE BTV OES. Dementsprechend war zunächst ein konzeptioneller Ansatz, die in Feudenheim eingesetzten Verfahren unter Nutzung der gewonnenen Erkenntnisse weiter zu entwickeln und zu optimieren. Unabhängig davon wurden jedoch auch alternative, bislang im Verkehrswasserbau noch nicht eingesetzte Lösungsansätze betrachtet, wie z.- B. in einer ersten Stufe das Nassspitzverfahren (im Vergleich zum Trockenspritzverfahren u.- a. höhere Einbauleistung, Reduzierung von Arbeitsfugen und Bauzeit, verbesserte Gleichmäßigkeit und w/ z-Wert) und in einer zweiten Stufe dann der Stahlfasernassspritzbeton (zus. Bauzeitreduzierung, da Bewehrungseinbau entfällt). Erfahrungen zu temporären aber auch permanenten Schalen aus Stahlfaserspritzbeton gibt es im Tunnelbau, in einigen Fällen sogar bereits über Jahrzehnte. Vorteilhafterweise verfügt ein Mitglied der ARGE BTV OES, die BeMo Tunneling GmbH, über große Erfahrungen mit Nassspitzbeton und Stahlfaserspritzbeton. Daher sieht das Konzept vor, im Rahmen der BTV die Anwendung von Stahlfaserspritzbetonvorsatzschalen zu untersuchen. Dabei gilt es noch, sowohl Lösungen für statische und konstruktive Fragen zu finden, als auch nachzuweisen, dass mit Stahlfasernassspritzbeton die erforderlichen Qualitäten, z.-B. hinsichtlich der Dichtigkeitsanforderungen der Vorsatzschale und Anforderungen zum Frostwiderstand, erreicht werden können. Nach der Konzeptanforderung des AG ist die Spritzbetonreprofilierung von 1-m unter UW bis Planie auszuführen, wobei die Grundlösung für die Schaffung des Arbeitsbereiches bis 1-m unter UW ein Süllkasten ist. Der für HDW-Betonabtrag und für Spritzbetonarbeiten erforderliche Arbeitsraum erfordert ein recht großes Süllkastenvolumen. Es wurden in der Konzeptphase verschiedene Ansätze untersucht, wobei mit „klassischen“ Süllkästen verschiedene, kaum lösbare Probleme auftauchten. Somit führte auch der BTV Spritzbeton zur Überlegung des oben vorgestellten Süllkastens. 4. Weitere Maßnahmen Zur Absicherung der Arbeiten in der Schleusenkammer ist eine Sicherung im Oberwasser erforderlich. Diese solle als Teil der IuB-Versuche täglich geöffnet und geschlossen werden. Außerdem muss die Sicherungskonstruktion eine definierte Schiffsanpralllast von 5,2 MN aufnehmen können. Die ARGE BTV OES hat dieses Sicherungselement als schwimmenden Balkenstoßsschutz konzipiert. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 299 Bauteilversuche an der Schleuse Oberesslingen - Planen & Bauen 5. Ausblick und Ablauf IuB Derzeit laufen die Planungen im Planungsschritt 2, was einer vertieften Entwurfsplanung entspricht. Ziel ist es Mitte 2025 mit den ersten Maßnahmen vor Ort zu starten. Die eigentlichen IuB-Versuche unter Einsatz des Süllkasten folgen dann in der zweiten Hälfte der Ausführungsmaßnahmen. Hierfür muss ein auf die Schleusenanlage Oberesslingen ausgelegter Bauablauf entwickelt werden. Abb. 4: Luftbild Schleusenanlage Oberesslingen, Blick Richtung Unterwasser Hochwasserbedingt können schwimmenden Einheiten nur im Bereich des oberen Vorhafens vorgehalten werden. Diese müssen dann vor dem tägliche 12-h-Fenster entsprechend vorbereitet und ins Unterwasser geschleust werden. Das Arbeitsfenster beginnt und endet mit der täglichen Baufeldübergabe. Wenn diese erfolgt ist, kann die rechte Kammer mit dem schwimmende Stoßschutz im Oberwasser gesichert werden und im Unterwasser wird der Süllkasten mit einem Schubboot in der Kammer eingefahren und in Position gebracht. Das Schubboot ist auch mit Hebegerät und Lagerflächen für Material ausgerüstet. Nach erfolgter Positionierung wird der Süllkasten gelenzt und die Zugänge für das Personal werden eingerichtet. Parallel wird die Schleuse im Unterwasser mit einer Schute gesichert. Dann erfolgen die für den Tag geplanten Arbeiten. Gegen Ende des tägliche 12-h-Fenster wird der in Arbeit befindliche Bereich gesichert und der Süllkasten wird wieder für das Fluten und Ausschwimmen vorbereitet, um anschließend wieder in das Oberwasser geschleust zu werden. Literatur [1] DIN 19703: 1995-11, Schleusen der Binnenschifffahrtsstraßen - Grundsätze für Abmessungen und Ausrüstung. [2] Reschke, T. (2011) Instandsetzung unter Betrieb mit einem schnell erhärtenden Spritzbeton - Probemaßnahme Schleuse Feudenheim in: Bundesanstalt für Wasserbau [Hrsg.] BAWMitteilungen 93. Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau, S. 1-22. Anhang 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 303 Programmausschuss Der Programmausschuss für die Fachtagung Erhaltung von Bauwerken setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm und die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzende Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Prof. Dr.-Ing. Bernd Schwamborn Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff GmbH, Aachen Dr.-Ing. Lars Wolff Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff GmbH, Aachen Mitglieder Dipl.-Ing. Heinrich Bastert Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e. V., Berlin Dr.-Ing. Till Büttner MK Ingenieure GmbH, Holzwickede Prof. Dr.-Ing. Christoph Dauberschmidt Hochschule München Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik Ingenieurbüro Dominik, Bornheim-Merten Technische Hochschule Köln Dr.-Ing. Michael Fiebrich BauIngenieurSozietät (BIS) Sasse & Fiebrich, Aachen Dipl.-Ing. Georg Frings Wasserverband Eifel-Rur, Düren Prof. Dr.-Ing. Christoph Gehlen Technische Universität München Dr.-Ing. Eva-Maria Ladner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart Dipl.-Ing. Ingo Lindemann Hochtief Engineering GmbH, Mörfelden Prof. Dr. jur. Gerd Motzke Rechtsanwalt, Mering Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart Dr.-Ing. Turgay Öztürk StoCretec GmbH, Kriftel Dr.-Ing. Gabriele Patitz IGP Ingenieurbüro, Karlsruhe Dipl.-Ing. Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Udo Wiens Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e. V., Berlin 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 305 Autorenverzeichnis A Asgharzadeh, Amir 69 B Begemann, Christoph 295 Bonekämper, Hanna 21 Börner, Tommy 13 Burger, Joris 59 Büttner, Till 173 D Dahlhoff, Annette 173 Degenhardt, Kay 143 E Eberth, Florian 85 Ehinger, Kurt Christian 245 Eisenkrein-Kreksch, Helena 41 F Fache, Konstantin 77 Fuhrmann, Anna 287 G Gosemann, Philipp 41, 133 Gutermann, Marc 49 H Halm, Frank 273 Harnisch, Jörg 77 Hasenstab, Andreas 263 Heinl, Mario 103 Helm, Christian 157 Hindersmann, Iris 143 Höb, Johanna 163 Holst, Ralph 143 K Kersting, Klaus 229 Keßler, Sylvia 77 Kister, Bernd 195 Klopfer, Reiner 35 Koch, Detlef 71 Kötz, Harold 295 Kriescher, Kevin 157 L Linke, Gunter 13 M Marx, Steffen 173 Melzer, Miriam 113 Möller, Andreas 163 Motzke, Gerd 123 N Neumann, Hans-Hermann 215 Neuwald-Burg, Claudia 255 Niewöhner, Marc 109 P Peiser, Tomas 49 Pelka, Conrad 173 R Rahimi, Amir 281 Raupach, Michael 157, 173 Röder, Jörg 13 Rug, Wolfgang 13 S Schäfer, Georg 181 Schießl, Christian 237 Schmitz, Marc 287 Schreiber, Raphael 263 Schumann, Alexander 113 Sedlmair, Roman 91 Stahl, Heiner 71 Stahl, Bastian 149 Steffes, Christian 29 Stemmler, Simon 149 Stürmer, Sylvia 255 W Wagner, Juliane 113 Westendarp, Andreas 281 Wu, Bin 137 Z Zorzi, Konrad 263 Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energieeffizienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 70 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bauwesen, Energieeffizienz und Umwelt Bis zu 70 % Zuschuss möglich Weitere Informationen und Anmeldung unter www.tae.de/ weiterbildung/ bauwesen Ziel der bewährten Fachtagung ist der Austausch aktueller Erkenntnisse aus Wissenschaft, Industrie und Praxis auf dem Gebiet der Erhaltung von Bauwerken. Dabei werden sowohl Erfahrungen bei der Planung und Umsetzung von Instandsetzungsmaßnahmen als auch der Kenntnisstand bei der Entwicklung neuer Verfahren, Materialien und Untersuchungsmethoden kommuniziert. Basis hierfür sind die relevanten Baustoffe für Bauwerke (Stahlbeton, Mauerwerk, Holz). Angesichts der großen ökologischen und ökonomischen Bedeutung einer klima- und ressourceneffizienten Erhaltung von Bauwerken wird auch dem Thema Nachhaltigkeit ein Schwerpunkt gewidmet. Der Inhalt Digitalisierung und Bauen im Bestand Nachhaltigkeit beim Bauen im Bestand Bauwerksdiagnostik und Monitoring Bautenschutz Kathodischer Korrosionsschutz (KKS) Schadstoffe/ Gefahrstoffe Instandsetzung von Ingenieurbauwerken Instandsetzung von historischen Bauten, Denkmalpflege Mauerwerksinstandsetzung Wasserbauwerke Normen und Richtlinien Die Zielgruppe Planer Ausführende (Bauleiter, Betreuer, Überwacher) Sachverständige Baubehörden Bauherren Baustoffhersteller Anbieter von Diagnoseverfahren Anbieter spezieller Instandsetzungsverfahren Forschungseinrichtungen Prüfinstitute Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Verfahren, Methoden und Technologien für die Beurteilung, Instandsetzung und Denkmalpflege von Bauwerken. www.tae.de ISBN 978-3-381-13841-8