Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
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Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung
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Michael Raupach
Hendrik Morgenstern
Die Digitalisierung im Bauwesen schreitet weiter voran und eröffnet zusammen mit der zunehmenden Verbreitung und Weiterentwicklung von Hard- und Software stetig weitere Möglichkeiten für innovative Arbeitsweisen. Building Information Modeling (BIM) wird derzeit zum Standard für den Neubau, wurde jedoch noch nicht für die Verwendung bei Bestandsbauten optimiert. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Innovationsnetzwerkes werden gemeinsam mit vier RWTH-Instituten und derzeit acht Industriepartnern am Institut für
Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University neue Methoden und Möglichkeiten zur BIM-basierten Bauwerkserhaltung erforscht und bis zur Praxistauglichkeit entwickelt. In diesem Beitrag werden die Vision der digitalisierten Bauwerkserhaltung, die bisherigen Arbeitsstände sowie die geplanten weiteren Schritte vorgestellt. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass die Nutzbarmachung von BIM-Modellen über die Planungs- und Ausführungsphase hinaus ein essenzieller Schritt für die Digitalisierung der Bauwerkserhaltung ist und ein großes Potenzial für effektive Bauwerksdiagnosen und ein effizientes Lebensdauermanagement birgt.
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7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 17 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, D-52062 Aachen, Deutschland Hendrik Morgenstern, M.Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, D-52062 Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die Digitalisierung im Bauwesen schreitet weiter voran und eröffnet zusammen mit der zunehmenden Verbreitung und Weiterentwicklung von Hard- und Software stetig weitere Möglichkeiten für innovative Arbeitsweisen. Building Information Modeling (BIM) wird derzeit zum Standard für den Neubau, wurde jedoch noch nicht für die Verwendung bei Bestandsbauten optimiert. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Innovationsnetzwerkes werden gemeinsam mit vier RWTH-Instituten und derzeit acht Industriepartnern am Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University neue Methoden und Möglichkeiten zur BIM-basierten Bauwerkserhaltung erforscht und bis zur Praxistauglichkeit entwickelt. In diesem Beitrag werden die Vision der digitalisierten Bauwerkserhaltung, die bisherigen Arbeitsstände sowie die geplanten weiteren Schritte vorgestellt. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass die Nutzbarmachung von BIM-Modellen über die Planungs- und Ausführungsphase hinaus ein essenzieller Schritt für die Digitalisierung der Bauwerkserhaltung ist und ein großes Potenzial für effektive Bauwerksdiagnosen und ein effizientes Lebensdauermanagement birgt. 1. Allgemeines 1.1 Digitalisierung im Bauwesen Durch den Stufenplan Digitales Planen und Bauen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) wurde 2015 die Digitalisierung des Bauwesens offiziell ausgerufen [1]. Die Digitalisierung wird dabei nicht nur von technologischem Fortschritt, sondern auch von Begriffen wie Internet of Things (IoT), Industrie 4.0, Smart Buildings und BIM (Building Information Modeling) begleitet. Im ersten Fortschrittsbericht des Umsetzungsplans des BMVI liegt dabei der Fokus deutlich auf der Verwendung von BIM als Instrument für die Planung, Baufortschrittskontrolle und Informationsbereitstellung [2]. Die öffentliche Hand nimmt bei der Realisierung der Digitalisierung im Bauwesen eine Vorreiterrolle ein. So zeigen beispielsweise die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) deutliche Ambitionen und beschreiben ein großes Potenzial in der Digitalisierung, für deren effektive Umsetzung jedoch noch eine entsprechende Kollaborationsinfrastruktur geschaffen werden müsse [3, 4]. Aufgrund fehlender systemübergreifender Strukturen und vieler Insellösungen konnten sich die meisten Digitalisierungsmaßnahmen noch nicht zum Standard durchsetzen. Das Building Information Modeling jedoch wird zunehmend gefordert und angewandt, sodass dort eine weitverbreitete Implementierung in naher Zukunft absehbar ist. 1.2 Building Information Modeling (BIM) Building Information Modeling ist eine computergestützte Methode zur Ausführung, Planung und Betrieb von Gebäuden. In entsprechenden BIM-Softwares können sämtliche Bauteile grafisch dargestellt und mit spezifischen Informationen versehen werden. Durch einen Klick auf das jeweilige Element werden somit Informationen über den Baustoff, die Geometrie und die Ausführung abrufbar. Bei der Nutzung dieses Bauwerksmodells wird zwischen Closed-BIM- und Open-BIM-Prozessen unterschieden. Bei Closed-BIM muss für die Zusammenarbeit eine bestimmte Software genutzt werden, die für den jeweiligen Zweck optimiert wurde und in der Regel lizenzpflichtig ist. Bei Open-BIM wird ein offenes Dateiformat gewählt, das die Arbeit mit verschiedenen Programmen erlaubt, sodass alle am Bauprozess Beteiligten Zugriff auf das Modell haben können. In der Regel wird bei Open-BIM-Prozessen das IFC-Format (Industry Foundation Classes) genutzt. Dieses ist der offene Standard im Bauwesen und wird durch das Kompetenznetzwerk buildingSMART e.V. definiert. Das IFC-Format ist auf Vereinheitlichung und Normierung ausgelegt, was jedoch zulasten der Komplexität geht. 18 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Jedes BIM-Element trägt gewisse Informationen, sogenannte Merkmale, welche das Bauteil definieren oder die Spezifikationen beschreiben. Beim Übertrag in das offene IFC-Format kann es jedoch zu Informationsverlust kommen, wenn die Merkmale nicht in das IFC-Muster passen. Daher wird für eine einheitliche Datenkommunikation durch das buildingSMART Data Dictionary (bsDD) eine Art Wörterbuch für die gemeinsame Sprache in der BIM-gestützten Zusammenarbeit gegeben. Da auch das bsDD jedoch nicht alle nötigen Fälle abdeckt, wird die Verwendung eines (nationalen) Merkmalservers für die einheitliche Informationsübergabe vorgeschlagen [5]. Neben diesen derzeit noch bestehenden strukturellen Herausforderungen sollte beachtet werden, dass zwischen Modellierung und Realisierung stets eine gewisse Diskrepanz herrschen wird. So versteht die BAW trotz aller Möglichkeiten BIM in erster Linie als ein Werkzeug zur Optimierung des Planungsergebnisses [6]. Als ein solches findet es bis dato primär Anwendung in Neubau und Planung. 1.3 BIM-basierte Bauwerkserhaltung Bei gründlicher Planung beschreiben BIM-Modelle den Soll-Zustand teils äußerst präzise. Der Ist-Zustand nach der Ausführung findet seinen Weg bislang jedoch nicht in das entsprechende Modell zurück. Entsprechend eignet sich das Modell primär für die Planung des Neubaus, weniger jedoch für die Planung einer später gegebenenfalls nötigen Instandsetzungsmaßnahme. Um dies zu ändern und somit den technischen Wertverlust des BIM-Modells nach der Bauphase zu vermeiden, forscht das Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University an Maßnahmen zur BIM-basierten Bauwerkserhaltung. Diese soll nach der Realisierungsphase u.a. folgende Bereiche umfassen: • Zustandserfassung • Instandsetzungsplanung • Instandsetzungsausführung • Sensorbasiertes Monitoring • Probabilistische Dauerhaftigkeitsprognosen In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten ZIM-Projekt DigiPark werden die ersten Schritte hin zu einer BIM-basierten Bauwerkserhaltung erforscht. Ausgehend von diesem Projekt wurde mit insgesamt zwölf Partnern aus Industrie und Wissenschaft das ebenfalls BMWi-geförderte Innovationsnetzwerk (www.bim-xd.de) gegründet, das die Vision einer vollständigen Digitalisierung von Bestandsgebäuden und deren Instandhaltung verfolgt. Das Netzwerk vereint Kompetenzen der Bauwerksdiagnose, Instandsetzungsplanung und Bauausführung sowie aus den Bereichen der Soft- und Hardwareentwicklung, sodass alle erforderlichen Entwicklungen innerhalb des Netzwerkes erarbeitet werden können. In der Bauwerkserhaltung stellen die Komplexität und Individualität von Instandsetzungen im Vergleich zum Neubau eine besondere Herausforderung dar. Es gibt ebenso wenig die Standardlösung wie es den Standardschaden gibt. Entsprechend müssen die digitalisierten Methoden besonders anpassungsfähig und auf die verschiedensten Untersuchungsgegenstände anwendbar sein. Der erste Schritt zum BIM-basierten Erhalten ist dabei i.d.R. die nachträgliche Erstellung eines BIM-Modells. 2. Das digitale Bauwerksmodell Durch die vergangenen Fortschritte in der Geodäsie ist die Erstellung von Punktwolken-Scans mittlerweile anwenderfreundlich und kosteneffizient geworden. Entsprechende Fachkräfte können mittels handgeführten oder stativgebundenen Laserscannern Gebäude binnen kurzer Zeit in baupraktisch ausreichender Genauigkeit vermessen. Aus der Punktwolke kann mit üblichen BIM- Softwares nachträglich ein BIM-Modell des Gebäudes erstellt werden. In Abbildung 1 ist oben die Punktwolke des im DigiPark-Projekt vermessenen Parkdecks und unten das daraus abgeleitete Modell gezeigt. Dieses Modell kann aus der proprietären Software in das IFC- Format exportiert werden, sodass alle Beteiligten auch mit kostenfreien BIM-Viewern das Modell betrachten und die gespeicherten Informationen abrufen können. Abbildung 1: Punktwolke (oben) und abgeleitetes BIM- Modell (unten) eines Parkdecks Das erstellte Modell enthält nach diesem Arbeitsschritt jedoch noch keine bauwerkserhaltungsrelevanten Informationen, es dient lediglich als 3D-Planunterlage für die folgenden Schritte. Sollte bereits ein BIM-Modell vorliegen, kann dieses mitsamt aller vorhandener Informationen verwendet werden. In beiden Fällen sind in den Modellen jedoch noch keine Informationen der Zustandserfassung enthalten und lediglich generische Bauteile simuliert. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 19 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 2: Visuelle Programmierung in Revit mit dem Plugin Dynamo Das Hinzufügen von Informationen ist in den BIM-Modellen nur in einem gewissen Rahmen vorgesehen, der für die Bauwerkserhaltung derzeit nicht geeignet ist [7]. Entsprechend müssen alle Ergebnisse der Bauwerksuntersuchung jedem Element (Bauteil) einzeln hinzugefügt werden. Bei der Kartierung von dutzenden Prüfstellen, hunderten Rissen oder tausenden Werten eines Flächenscan-Rasters wäre eine manuelle Implementierung weder wirtschaftlich noch praxistauglich. Eine mögliche Lösung, die am ibac deshalb für die Dateneingabe verfolgt wird, nutzt die Visuelle Programmierung. Mit der BIM-Software Revit (Autodesk) kann das Open-Source Plugin Dynamo genutzt werden, um Elemente im Modell zu erstellen oder mit zusätzlichen Informationen zu versehen. Ein Auszug des Knotenplans der visuellen Programmierung zum Import von Bohrkern- Untersuchungen ist in Abbildung 2 gezeigt. Auf diese Weise genügt es, die zu importierenden Informationen in einer Excel-Tabelle zur Verfügung zu stellen, und mit derAusführung des Programmier-Skriptes werden die Daten (bspw. Untersuchungsergebnisse) dem jeweiligen Element im BIM-Modell hinzugefügt. Visuelle Programmierung ist zwar wesentlich intuitiver und einsteigerfreundlicher als die herkömmliche Arbeit mit Programmiersprachen, aber erfordert dennoch eine gewisse IT-Kompetenz. Für die praktische Anwendung genügt es allerdings, ein Skript ausführen zu können. Die Entwicklungsarbeit der jeweiligen Import-Skripte kann vollständig ausgelagert werden. Das Verorten bzw. Hinzufügen der jeweiligen Diagnoseergebnisse ist anschließend nicht schwieriger als die gewöhnliche Bedienung einer BIM-Software. 3. Zustandserfassung Ziele der Bauwerksuntersuchung bzw. Zustandserfassung sind die Bewertung des Bauteiles und die Abschätzung der zu erwartenden Restnutzungsdauer bzw. der durchzuführenden Maßnahmen. In der statischen Bewertung von Bestandsbauwerken werden bereits zerstörungsfreie Prüfungen (zfP) und Diagnoseinformationen als Basis für vollprobabilistische Modelle genutzt [8]. Für ein strukturiertes und übersichtliches Informationsmanagement findet dort ebenfalls das Konzept des modellbasierten Prüfens unter Verwendung von BIM-Modellen Anwendung [9]. Aus den Bauwerksinformationen liegen womöglich Angaben über den verwendeten Beton oder sogar Prüfergebnisse an Referenzprüfkörpern vor. In vergleichenden Untersuchungen konnte jedoch gezeigt werden, dass in situ die bestimmten Druckfestigkeiten durchschnittlich 20 % geringer und die ermittelten Carbonatisierungsbzw. Chloridmigrationskoeffizienten 40 bis 50 % höher als jene der separat hergestellten Vergleichsprobekörper sind [10]. Als Konsequenz daraus sollte also für eine zuverlässige Bewertung des Bauteilzustandes eine umfassende Diagnose durchgeführt werden. Neben invasiven Verfahren zur Bestimmung der Druckfestigkeit gibt es auch zerstörungsfreie Prüfungen, um bspw. Betondeckung oder Korrosionsaktivität zur prüfen (s. z.B. [11]). Im Idealfall liefert die Bauwerksdiagnose Angaben zu folgenden Bauteileigenschaften: • Betondeckung • Bewehrungslage • Carbonatisierungstiefe • Chloridgehalt (tiefengestaffelt) • Korrosionspotenzial (flächig) • Rissbild • Schadstellen 20 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Für eine effektive BIM-basierte Zustandserfassung und -bewertung müssen die verschiedenen Diagnoseergebnisse vollständig maschinenlesbar und ortsaufgelöst in das Modell übertragen werden. Dazu müssen die Daten aus dem jeweiligen Messgerät mit der ggf. proprietären Software in ein gängiges Format wie bspw. Excel-Tabellen exportiert werden. Auf diese Weise werden die Diagnosedaten für eine kollaborative Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt. Anschließend erfolgt der Import wie bereits erläutert z.B. über Visuelle Programmierung in das BIM-Modell. Mit jedem Schritt dieser digitalisierten Arbeitsweise werden die Daten effektiver genutzt und die folgenden Analysen zunehmend effizienter gestaltet, wie in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3: Nutzensteigerung von Diagnosedaten durch eine digitalisierte Arbeitsweise Ein praktisches Beispiel der Datenimplementierung ist in Abbildung 4 dargestellt. In einer Excel-Tabelle wurden für mehrere Bohrkerne Daten aus einer beispielhaften Bauwerksuntersuchung zur relativen Lage, absoluten Tiefe und zum Bohrkerndurchmesser übermittelt und mittels weniger Mausklicks in das BIM-Modell übertragen. Durch einen Klick auf die Bohrkerne werden Untersuchungsergebnisse zur Druckfestigkeit, Geometrie und Carbonatisierungstiefe abrufbar. Abbildung 4: Bohrkerne in Wand und Stütze 4. Instandsetzungsplanung Aufbauend auf der Zustandserfassung können die Bauteile nun effizient hinsichtlich ihrer Instandsetzungsbedürftigkeit bewertet werden. Die Diagnoseergebnisse können variabel ein- und ausgeblendet werden. Es können einzelne Eigenschaften oder auch ihre Kombinationen betrachtet werden. Flächige Scans können in übereinander liegenden Lagen angezeigt werden. Die Implementierung der Diagnoseergebnisse hängt vom verwendeten Skript ab und die Möglichkeiten werden lediglich durch die jeweilige Programmiersprache bzw. das Datenformat beschränkt. Die Darstellung erfolgt in Abhängigkeit des verwendeten BIM-Programmes und erlaubt auch relative Einfärbungen je nach Merkmalsausprägung, wie am Beispiel des BIM-Viewers BIMVision (Datacomp) in Abbildung 5 gezeigt. Die rot gefärbten Elemente weisen Carbonatisierungstiefen von über 45 mm auf und markieren somit neuralgische Punkte. Neben der Carbonatisierungstiefe kann auch jeder andere verfügbare Wert dargestellt werden, bspw. die Restnutzungsdauer oder auch ein quantifizierter Instandsetzungsbedarf. Auf diese Weise können beispielsweise kritische Bereiche identifiziert werden, die anschließend mit Sensorik gezielt überwacht werden. Auf diese Weise kann effizient ein Korrosionsmonitoring wie in [12] vorgestellt implementiert werden, um Zustandsdaten zu sammeln und Prognosen zu validieren. Neben der Einfärbung und gegenüberstellenden Visualisierung der Diagnoseergebnisse wäre es auch denkbar, Handlungsempfehlungen in Abhängigkeit der Zustände automatisiert zu generieren. Warnungsmeldungen könnten gefährliche Über- oder Unterschreitungen ankündigen und geeignete Gegenmaßnahmen aufführen. Die Analyse des Ist-Zustandes und die Planung der nötigen Instandsetzung kann auf diese Weise ideal unterstützt werden. Daneben erlaubt eine digitale Zustandserfassung ein nachhaltiges Datenmanagement, indem alle vorliegenden Informationen übersichtlich gebündelt und vollständig erhalten werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 21 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 5: Farbige Darstellung der Carbonatisierungstiefe in diskreten Bereichen (grün ≤ 20 mm, gelb ≤ 45 mm, rot ≤ 70 mm) 5. Ausführung Die BIM-basierte Ausführung arbeitet mit digitalen Planungsunterlagen und verbindet diese womöglich mit VR/ AR-Technologie (Virtual bzw. Augmented Reality). Es ist denkbar und technisch möglich, dass beispielsweise die Abtragstiefe bis zum tragfähigen Beton über eine AR- Brille farbig markiert oder die tatsächliche Bewehrungslage sichtbar wird, um Sondierungsöffnungen zielsicher zu platzieren. In einem weiteren Schritt könnten Baumaschinen mit dem BIM-Modell verknüpft und automatisierte Kollisionsprüfungen durchgeführt werden, sodass ein Bagger selbstständig die Bewegung stoppt, bevor seine Schaufel eine Gasleitung oder ein Wasserrohr treffen würde. Es wird auch eine Kombination mit der Aufwandsermittlung bei Instandsetzungen angestrebt, sodass die laufenden Meter oder Flächen nicht manuell, sondern fotobasiert ermittelt und automatisch im BIM-Modell lokalisiert werden. Die nötige Hard- und Software für diese Arbeitsweisen ist bereits vorhanden, für die Anwendung müssen jedoch geeignete BIM-Modelle und Infrastrukturen gegeben sein. 6. Sensorbasierte Dauerhaftigkeitsprognosen Die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbauteilen ist ein elementarer Faktor für die Sicherheit und Nachhaltigkeit von Gebäuden. Neben deskriptiven Verfahren zur Dauerhaftigkeitsbemessung gewinnen probabilistische Verfahren und Modelle zunehmend an Bedeutung, um zuverlässige Prognosen und sinnvolle Anforderungen an dauerhaftigkeitsrelevante Parameter wie beispielsweise die Betondeckung zu stellen. Die gängigen Prognosemodelle benötigen jedoch als Input die den Modellparametern zugrundeliegenden statistischen Verteilungen. Die notwendigen Daten liegen oft nicht in geprüfter Form vor, sodass auf Literaturwerte zurückgegriffen wird. Die Verwendung von Literaturwerten ist jedoch kritisch für die Aussagekraft und Fehleranfälligkeit der Modelle, insbesondere weil manche schlecht zu überprüfenden Parameter besonders einflussreich sind [13]. 22 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 6: Ableiten von statistischen Verteilungen aus Sensordaten Für eine belastbare Aussage der Prognosemodelle werden realistische Eingangsparameter benötigt, die durch Bauwerksprüfungen bestimmt werden [14]. Die Kalibrierung der Modelle auf das jeweilige Bauteil wird als vielversprechender betrachtet als die Verbesserung der Modelle selbst [15]. Darüber hinaus können die Modelle durch probabilistische Methoden wie beispielsweise das Bayes’sche Updating verbessert bzw. „angelernt“ werden. Der erforderliche Rechenaufwand war damals ein Hindernis, stellt jedoch bei den heutigen Computern kein Problem mehr dar [16]. Mittels Bayes’schem Updating können Defizite in der Verfügbarkeit gewisser Modellparameter kompensiert werden, sofern die Datengrundlage der anderen Parameter groß genug ist, was oft nicht der Fall ist [17]. Es gilt also, die durch die Bauwerksdiagnose und verbaute Sensorik gesammelte Daten nicht nur zu sammeln, sondern für lernfähige Lebensdauerprognosen zu nutzen. Aus den Rohdaten sollen statistische Verteilungen abgeleitet (vgl. Abbildung 6) und anschließend Zuverlässigkeitsindizes bestimmt werden. Die Ergebnisse können ebenfalls im BIM-Modell gespeichert und bauteilspezifisch abgerufen oder gegenübergestellt werden. Auf diese Weise wird nicht nur eine Bewertung des Ist-Zustandes BIM-basiert möglich, sondern auch der prognostizierten Zustände in der Zukunft. 7. Schlussfolgerungen und Ausblick Das vorgestellte Konzept zur Digitalisierung der Bauwerkserhaltung baut auf den technischen Fortschritten der letzten Jahre auf und leitet eine modellzentrierte Arbeitsweise ein. Daten sollen strukturiert aufbereitet, gesammelt und vernetzt werden. Mit automatisierten Auswertungen werden Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen und Bewertungen unterstützt. Mit einem vertretbaren Aufwand wächst über die Nutzungsdauer hinweg ein BIM-Modell, das nicht nur den Soll-Zustand, sondern auch den Ist-Zustand verlässlich wiedergibt. Aus dem bisherigen Arbeitsstand können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: • BIM-visualisierte Diagnosen ermöglichen effiziente Analysen, indem örtliche Häufungen oder Streuungen sichtbar werden. • Untersuchungsergebnisse, deren Verwendung bislang oft in einem Prüfbericht endete, bleiben maschinenlesbar erhalten und können für weitere Analysen genutzt werden (digitales Bauwerksbuch). • Farbige „Ampel-Systeme“ erlauben die simple Ersteinschätzung des Bauteilzustandes. • Digitalisierte Bauwerksdiagnosen ermöglichen effiziente Hightech-Instandsetzungen. • Zuverlässige Prognosen ermöglichen zielgerechte Erhaltungsmaßnahmen. Aktuell erfolgen weitere Bemühungen, um neben punktuellen und flächigen Bauwerksuntersuchungen auch komplexe Geometrien wie die tatsächliche Bewehrungslage aus diesen abzuleiten und automatisiert im BIM-Modell darzustellen. Es ist geplant, den Workflow mittelfristig cloudbasiert abzuwickeln und über diese mit Sensorik zu verknüpfen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 23 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung 8. Literatur [1] Stufenplan Digitales Planen und Bauen - Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2015. [2] Umsetzung des Stufenplans Digitales Planen und Bauen - Erster Fortschrittsbericht, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2017, p. 23. [3] C. Heinzelmann, J. Bödefeld, Z. Duric, Digitalisierung im Verkehrswasserbau, Bautechnik 97(6) (2020) 441-445. 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