eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 7/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
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2021
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Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung ab Beispiel von Parkbauten

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Cher Sze Tan
Sevket Ersan
Parkhäuser u. Tiefgaragen, in der Regel Stahlbetonkonstruktionen, werden alltäglich und in der ganzen Welt genutzt. Stahlbeton ist ein Verbundbaustoff der u.a. durch thermische Spannungen und dynamische Krafteinwirkungen reißt. Risse in Stahlbetonflächen lassen sich grundsätzlich nicht vermeiden, stellen aber keine Gefahr für das Bauwerk da, wenn sie rechtzeitig geschlossen werden. Andernfalls können Chloride aus Tausalz in die Risse eindringen und zur Korrosion der Bewehrung führen. In diesem Fall können umfangreiche Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden. Sobald Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind oder Umbauten an den Gebäuden geplant werden, werden exakte Planungsgrundlagen benötigt. Aktuell kann der Planer meistens nur auf alte und häufig nicht mehr aktuelle Baupläne zurückgreifen, die für eine fachgerechte Instandsetzungsplanung wenig geeignet sind. Da diese Planunterlagen für eine exakte Kartierung der Schadstellen zu ungenau sind, soll die digitale Bestandsaufnahme im Rahmen der Zustandsbegutachtung als eine effizientere Alternative herangezogen werden. Die digitale Bestandsaufnahme bietet mit seinem umfangreichen computergestützten Technologien wie 3D Vermessung, bildbasierte Erkennung von Rissen in Stahlbetonflächen auf Basis einer künstlichen Intelligenz, modelbasierte Mengenermittlung der Bauwerkskomponenten und virtuellen Objektbegehungen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen der Bauwerkshaltung für alle Projektbeteiligen – Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Bei der 3D Vermessung von Parkbauten mittels Bildvermessung in Kombination mit 3D Laserscans wird eine zusammenhängende und detaillierte Bestandserfassung durchgeführt. Einer der technischen Maßnahmen ist die Erstellung einer 3D Punktwolke sowie Orthofotos vom Bestandsgebäude. Daraus werden 2D Bestandspläne, Schnitte, Ansichten und Fassadenzeichnungen abgeleitet. Die erfassten Schadstellen, wie z. B. Risse in Stahlbetonflächen, werden dann Millimeter genau in die entsprechenden Bestandspläne automatisch kartiert. Das Ziel ist die Erzeugung eines zentralen, digitalen Gebäudemodells mit Schadensinformationen, das durch die Nutzer mit weiteren Informationen angereichert werden kann und somit eine fundierte Grundlage für die Aufgaben beim Bauen im Bestand liefert u.a. die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung und das Bauwerksmanagement.
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7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 101 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten Cher Sze Tan, M.Eng. Con+ScanTech - IFSB GmbH, Barleben, Sachsen-Anhalt Sevket Ersan, M.Sc. Con+ScanTech - IFSB GmbH, Barleben, Sachsen-Anhalt Zusammenfassung Parkhäuser u. Tiefgaragen, in der Regel Stahlbetonkonstruktionen, werden alltäglich und in der ganzen Welt genutzt. Stahlbeton ist ein Verbundbaustoff der u.a. durch thermische Spannungen und dynamische Krafteinwirkungen reißt. Risse in Stahlbetonflächen lassen sich grundsätzlich nicht vermeiden, stellen aber keine Gefahr für das Bauwerk da, wenn sie rechtzeitig geschlossen werden. Andernfalls können Chloride aus Tausalz in die Risse eindringen und zur Korrosion der Bewehrung führen. In diesem Fall können umfangreiche Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden. Sobald Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind oder Umbauten an den Gebäuden geplant werden, werden exakte Planungsgrundlagen benötigt. Aktuell kann der Planer meistens nur auf alte und häufig nicht mehr aktuelle Baupläne zurückgreifen, die für eine fachgerechte Instandsetzungsplanung wenig geeignet sind. Da diese Planunterlagen für eine exakte Kartierung der Schadstellen zu ungenau sind, soll die digitale Bestandsaufnahme im Rahmen der Zustandsbegutachtung als eine effizientere Alternative herangezogen werden. Die digitale Bestandsaufnahme bietet mit seinem umfangreichen computergestützten Technologien wie 3D Vermessung, bildbasierte Erkennung von Rissen in Stahlbetonflächen auf Basis einer künstlichen Intelligenz, modelbasierte Mengenermittlung der Bauwerkskomponenten und virtuellen Objektbegehungen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen der Bauwerkshaltung für alle Projektbeteiligen - Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Bei der 3D Vermessung von Parkbauten mittels Bildvermessung in Kombination mit 3D Laserscans wird eine zusammenhängende und detaillierte Bestandserfassung durchgeführt. Einer der technischen Maßnahmen ist die Erstellung einer 3D Punktwolke sowie Orthofotos vom Bestandsgebäude. Daraus werden 2D Bestandspläne, Schnitte, Ansichten und Fassadenzeichnungen abgeleitet. Die erfassten Schadstellen, wie z. B. Risse in Stahlbetonflächen, werden dann Millimeter genau in die entsprechenden Bestandspläne automatisch kartiert. Das Ziel ist die Erzeugung eines zentralen, digitalen Gebäudemodells mit Schadensinformationen, das durch die Nutzer mit weiteren Informationen angereichert werden kann und somit eine fundierte Grundlage für die Aufgaben beim Bauen im Bestand liefert u.a. die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung und das Bauwerksmanagement. 1. Einführung Heutzutage ist es durch den breiten Einsatz von Werkzeugen und genauen digitalen Vermessungstechniken möglich, einen angemessenen Detaillierungsgrad in Bezug auf die Gebäude zu erreichen; neue mobile Mapping-Tools bieten ein großes Potenzial, sowohl in Bezug auf die Planung und Bewertung des gesamten Wissens- und Erhaltungsprozesses jeder Art von Gebäude als auch in Bezug auf seine Verwaltung und künftige Instandhaltung. Darüber hinaus ermöglichen die BIM-Technologien die Kommunikation zwischen Daten, die aus verschiedenen Softwareprogrammen stammen, was einen größeren Informationsaustausch zwischen vielen Beteiligten ermöglicht. 2. Bauwerksmodellierung Nach der Erfassung wird ein intelligentes 3D Bestandsmodell in einer BIM oder CAD-Umgebung erstellt und mit weiteren Gebäudeinformationen ergänzt. 2.1 Von der Punktwolke zum parametrischen Modell Entsprechend der geometrischen Formen müssen aus den in die BIM/ CAD einzubettenden 3D-Rohdaten erkannt und segmentiert werden: Flächen (Ebenen, Kurven oder Extrusion), Volumen und komplexe Objekte. Diese Konvertierung könnte auf der Grundlage dieser Daten erfolgen: 102 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten - automatische Verfahren zur Wiederherstellung des Objekts entsprechend der automatischen Oberflächenextraktion aus der Punktwolke. - halbautomatische Verfahren durch Verwaltung von Querschnitten und Oberflächenextrusionen; - manuelle Modellierungsoperationen von Volumen und Form von Kratzern; Für die Realisierung des parametrischen Modells wurden drei Hauptstrategien untersucht. Manuelle Modellierung von Grund auf, um die Volumina und die reale Form wiederherzustellen; halbautomatische Methode, bei der die Primitive an die Punktwolken angepasst werden, wobei der Querschnitt für die Modellierung oder die Oberflächenextrusion verwendet wird, und schließlich ein eher automatischer Ansatz, der es erlaubt, das Objekt gemäß der automatischen Oberflächenextraktion aus der Punktwolke wiederherzustellen. Abbildung 1: 3D Laserscanning eines Parkhauses (20.000 qm) Für BIM- und Bauwerkuntersuchung-Zwecke ist der automatische Ansatz nicht geeignet, da sich die Form komplexer Gebäude kaum mit einfachen Geometrien beschreiben lässt. Entsprechend dieser Annahme sind mehrere Plug-ins in der Entwicklung. Das Ziel dieser Plugins besteht in der Erstellung parametrischer Objekte aus der Verarbeitung metrischer Daten durch die Verwaltung von Punktwolken. Wenn die Parkbauten berücksichtigt werden, um die detaillierten Fassademodellierung oder die Übertragung detaillierter Markierungen am Boden auf das 3D Model durchzuführen, können neben der Punktwolke Orthofotos, die aus der Punktwolke erstellt werden können, verwendet werden. Abbildung 2: 3D Modell für digitale Bauwerkserhaltung 2.2 CAD und BIM als Planungsmethode in der digitalen Bestandsaufnahme BIM ist keine Weiterentwicklung von CAD, sondern basiert auf einer völlig anderen Herangehens-weise zur Erstellung von digitalen Planungsdaten. Die häufig verwendeten CAD-Systeme, wie AUTOCAD, imitieren das traditionelle Zeichnen von Plänen in Form von Grundrissen, Schnitten und Ansichten [1]. Diese Zeichnungen werden zweidimensional erstellt und beinhalten einfache geometrische Elemente wie Linien und Bögen sowie Beschriftungen. Im Gegensatz dazu wird in BIM nicht das händische Zeichnen von Grundrissen, Schnitten und Ansichten, sondern die Abbildung realer Weltstrukturen in Form von 3D-Modellen imitiert [1]. BIM verschiebt das traditionelle Designkonzept in Richtung der Reduzierung von Problemen, die durch die mangelnde Kommunikation zwischen Projektbeteiligten verursacht werden, die die Vorteile neuer Interoperabilitätsstandards nutzen können. Das BIM stützt sich auf ein 3D-Modell der Struktur mit zusätzlicher parametrischer Geometrie, so dass Objekte ohne Neuzeichnung modifiziert werden können. Es wird erkannt, dass BIM viel mehr als eine grobe 3D-Darstellung ist. Es handelt sich um eine objektorientierte Datenbank des Gebäudes mit einer verbesserten Koordination der Bauunterlagen, in der die Geometrie, die räumlichen Beziehungen und die Eigenschaften der Gebäudekomponenten strukturiert sind. Im Vergleich zu diesen Dimensionen ist es bemerkenswert, dass das Potenzial von BIM eher im Hinblick auf die Erstellung einer ganzheitlichen und nachhaltigen Dokumentation und in Anbetracht der Tatsache, dass diese Dokumentation eine funktionierende Infrastruktur zwischen verschiedenen Beteiligten schaffen muss, angemessen ist. 2.3 Detallierungsgrad der 3D Modelle Der unterschiedliche Anwendungskontext von Bauwerkuntersuchung erfordert auch unterschiedliche Definitionen des Detaillierungsgrads der Modelle. Level of Detail, kurz LOD, steht für einen geometrischen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 103 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten Detaillierungsgrad und beschreibt die Detailtreue eines Modellelements in einem digitalen Bauwerksmodell. Der Entwicklungsgrad LOD 100-500 definieren welche Anforderungen, Genauigkeiten und Inhalte das digitale Gebäudemodell erreicht und beinhaltet. Eine wichtige Definition von Detaillierungsgraden in BIM-Modellen beinhaltet die Level of Development Spezifikation [2]. Die sogenannten Level of Development (LOD) beziehen sich auf eine Disziplin und Leistungsphase und beinhalten Informationen über ein Bauteil in der jeweiligen erforderlichen Detailtiefe. Die LOD Spezifikation beinhaltet dabei keine spezifizierte Menge an Informationen, welche in einem Modell vorhanden sein müssen, sondern liefert vielmehr eine Sprache, mit dessen Hilfe diese Spezifizierungen definiert werden können. Das bedeutet, dass innerhalb einer Leistungsphase der LOD zwischen den Disziplinen unterschiedlich sein kann. [3] Die LODs sind entsprechend der Spezifikation wie folgt definiert (vgl. Abbildung 4): - LOD 100: konzeptionelle Darstellung von Volumen und Flächen. - LOD 200: generische (allgemein gültige) Darstellung von Gebäudeteilen: Wände, Decken, Treppen (z. B. Außenwand zweischalig, Fluchttreppe). - LOD 300: Darstellung mit exakten Abmessungen, Materialien und Positionierung (z. B. Wand in Beton). - LOD 400: produktspezifische Darstellung (z. B. Betonwand Typ 4-1, NPK A, 40 kg/ m³, Steinwolle 60 kg/ m³, Lambda 0.034 W/ mK). - LOD 500: As-Built-Modell (Informationsgehalt geeignet für die Bewirtschaftung) [3]. Abbildung 4: Beispiel Fertigstellungsgrad (LOD) eines Raumes und seiner Modellelemente [4] Die US-amerikanische LOD-Spezifikation kennt zusätzlich den LOD 350 (Bauausführung). Die LOD lassen sich in einen geometrischen (Level of Geometry, LOG) und einen semantischen Teil (Level of Information, LOI) gliedern [2]. Existierende Definitionen von LOD, LOG und LOI können dagegen in Bestandsprojekten in der Regel nur schwer übertragen werden, da sich die Anforderungen einer Planung im Bestand häufig stark von der einer Neuplanung unterscheiden. Daher sollen zu Beginn des Projekts mit dem Auftraggeber diese Punkte definiert werden, die den Zielen des Projekts entsprechen und im Rahmen einer Modellierung sinnvoll und wirtschaftlich sind. Bei der geometrischen Detaillierung ist dabei zwischen dem maximal zugelassenen Abstand zwischen Punktwolke und Modell und der geometrischen Abstrak- 104 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten tion der Bauteile zu unterscheiden. Darüber hinaus sollen des Weiteren eine sinnvolle Benennung und Attribuierung der Bauteile festgelegt werden. In diesem Zusammenhang kann LOD im Bereich Bauwerkuntersuchung als 300-350 am Beispiel von Parkbauten definiert werden. Basierend auf unseren Erfahrungen und angewandten Beispielen bietet dieses LOD-Niveau ein vorhersehbares Verhältnis von Preis/ Arbeitsaufwand und Nutzen. Sie bietet genügend Details nicht nur für die Dokumentation der bestehenden Struktur, sondern auch für die Verwendung des erhaltenen Modells für weitere Untersuchungen. 3. Erweiterung 3D Modell digitale Bauwerksuntersuchung Building Information Modeling (BIM) ist eine revolutionäre Entwicklung, die die AEC-FM-Branche (Architectural, Engineering and Construction, and Facilities Management) rasch verändert hat. Vergleicht man CAD und BIM oder 2D- und 3D-Workflows, rückt das komplexe BIM-System in den Vordergrund, wenn man die darin enthaltenen Potenziale im Bereich Bauwerksuntersuchung betrachtet. Das liegt daran, dass BIM sowohl als eine Technologie als auch als ein Prozess betrachtet werden kann, der alle für den Bau einer Anlage erforderlichen Informationen in einem einzigen, virtuellen 3D- Modell einbindet. Dieses 3D-Modell kann übertragen und mit anderen Projektbeteiligten geteilt werden. BIM verbessert die Kommunikation und Zusammenarbeit der Projektteams durch die Verwendung von Industry Foundation Classes (IFC), einem neutralen Dateiformat, das die Interoperabilität zwischen Anwendungen mit unterschiedlichen Dateiformaten vom Entwurf bis zu den Betriebs- und Wartungsphasen verbessert [5]. Die von IFSB entwickelte individuelle Anwendungslösung ermöglicht die Erstellung eines BIM-Instandsetzungsmodells mit einer Schadens- und Mängelverwaltung und die Visualisierung der Gesamtergebnisdaten aus den einzelnen Sensorsystemen (Rissdetektion, Potentialfeldanalyse, Betondeckung etc.) und sonstigen Ergebnissen aus Bauwerksprüfungen in einem Multi-Layer Schadensmodell (Abbildung 5) mit Analyse- und Bewertungskomponenten. Abbildung 5: Ebenen Modell digitale Bauwerkuntersuchung Literaturangaben [1] Grabowski, R. (2010): CAD & BIM - Is There A Free Pass? upFront.reSearch. http: / / download.graphisoft.com/ ftp/ marketing/ white_papers/ GRAPHISOFT_White_Paper_CADandBIM.pdf (27.10.2020). [2] BIMForum (2016): Level of Development Specification - For Building Information Models. BIM- Forum. http: / / bimforum.org/ lod/ (27.10.2020). [3] Robert Kaden, Robert Seuß und Thomas H. Kolbe (2020): Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu CAD und GIS. Leitfaden Geodäsie und BIM. [4] Aardeplan (2014): Level of Development. Aardeplan architektur & consulting. http: / / gesamtleitung.vdf-online.ch/ post/ 4-fertigstellungsgrad-lod (27.10.2020) [5] Building Smart International (2020) https: / / technical.buildingsmart.org/ standards/ ifc/ (27.10.2020) Nicht referenzierte Bilder sind Eigentum der IFSB GmbH.