eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 7/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
71
2021
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Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung

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2021
Sarah Dabringhaus
Sonja Neumann
Yasser Alquasem
Peter Haardt
Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Intelligente Brücke“ der Bundesanstalt für Straßenwesen werden derzeit wesentliche Entwicklungen in Living Labs (Reallabore) unter Realbedingungen erprobt, weiterentwickelt und hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit bewertet. In diesem Beitrag werden zwei Living Labs vorgestellt und ausgewählte Ergebnisse aufgezeigt. Aktuelle und zukünftige Forschung ausgehend vom Themenschwerpunkt „Intelligente Brücke“ wird beleuchtet.
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7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 105 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Sarah Dabringhaus Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Sonja Neumann Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Yasser Alquasem Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Peter Haardt Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Intelligente Brücke“ der Bundesanstalt für Straßenwesen werden derzeit wesentliche Entwicklungen in Living Labs (Reallabore) unter Realbedingungen erprobt, weiterentwickelt und hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit bewertet. In diesem Beitrag werden zwei Living Labs vorgestellt und ausgewählte Ergebnisse aufgezeigt. Aktuelle und zukünftige Forschung ausgehend vom Themenschwerpunkt „Intelligente Brücke“ wird beleuchtet. 1. Einleitung Das Erhaltungsmanagement für Brückenbauwerke zielt darauf ab, die Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit eines Bauwerks mit zielgerichteten Maßnahmen wiederherzustellen bzw. sicherzustellen (BMVI 2013). Da Maßnahmen derzeit erst dann geplant und umgesetzt werden, wenn Schädigungen vorhanden und visuell sichtbar sind, kann das Erhaltungsmanagement für Brückenbauwerke als reaktiv bezeichnet werden. In der Regel sind Schädigungen dann bereits weit fortgeschritten und entsprechend umfangreiche Maßnahmen erforderlich (Dabringhaus und Haardt 2019). Aktuelle Herausforderungen der Bundesfernstraßen wie steigende verkehrsbedingte und klimatische Einwirkungen, die ungünstige Altersstruktur der Bauwerke sowie begrenzte Budgets erfordern eine Optimierung des Erhaltungsmanagements in Richtung prädiktives Erhaltungsmanagement (Dabringhaus 2020). Eine Grundlage für das prädiktive Erhaltungsmanagement schafft die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) seit 2011 im Rahmen des Forschungsclusters „Intelligente Brücke“. Ziel ist die kontinuierliche messtechnische Zustandsüberwachung und -prognose eines Bauwerks, um bevorstehende Zustandsänderungen frühzeitig erkennen und geeignete Maßnahmen einleiten zu können. Anhand von Living Labs (Reallabore) werden Teilentwicklungen der Intelligenten Brücke unter realen Bedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt. 2. Intelligente Brücke Die Arbeiten der BASt zu dem Thema „Intelligente Brücke“ erfolgen durch Eigen-, Auftrags- und Antragsforschung. Zunächst lag der Schwerpunkt vor allem auf konzeptionellen Projekten, mit dem Ziel den Stand der Technik, die Machbarkeit sowie Grundlagen aufzuzeigen und zu erarbeiten. Hierbei wurden vor allem die Themen Messtechnik, Datenanalyse und Bewertungsverfahren adressiert (Neumann und Haardt 2014). Darauf aufbauend erfolgte die Entwicklung instrumentierter Bauteile wie z.B. Fahrbahnübergänge und Brückenlager, neuer Analyse- und Bewertungs- und Visualisierungsverfahren sowie anschließend deren Evaluierung und Weiterentwicklung in Living Labs. 2.1 Definition Monitoring kann als „Gesamtprozess einer systematischen Überwachung von Bauwerksreaktionen und/ oder einwirkenden Größen in der Regel mittels eines Messsystems über einen repräsentativen Zeitraum“ (DBV 2018) definiert werden. In diesem Zusammenhang wird die Überwachung als eine auf z.B. Messungen basierende Beobachtung verstanden, bei der erfasste Daten mit Erwartungs- und Grenzwerten verglichen werden (DBV 2018). Die Intelligente Brücke stellt die letzte Ausbaustufe des Monitorings mit ganzheitlicher Erfassung und Bewertung der relevanten Bauwerksreaktionen und Ein- 106 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung wirkungen über die gesamte (Rest-)Nutzungsdauer des Bauwerks dar. Das Konzept „Intelligente Brücke“ kann sowohl beim Neubau als auch bei Bestandsbauwerken mit ausreichend hoher Restnutzungsdauer Anwendung finden. Vor allem Brückenbauwerke mit großer Bedeutung für das Bundesfernstraßennetz und/ oder repräsentative Bauwerke eignen sich für das Konzept Intelligente Brücke. Eine flächendeckende Umsetzung der Intelligenten Brücke ist aus heutiger Sicht nicht notwendig, da eine Übertragbarkeit von objektspezifischen Erkenntnissen auf geeignete Brückenbauwerke erwartet wird. Zu den zentralen Elementen der Intelligenten Brücke gehören die messtechnische Ausstattung des Bauwerks, Analyse- und Bewertungsverfahren, ein Datenmanagement sowie eine Nutzeroberfläche, siehe Bild 1. Die messtechnische Ausstattung des Bauwerks erfolgt bauwerksspezifisch und zielt auf eine ganzheitliche Betrachtung des Bauwerks ab. Bei der Analyse und Bewertung der Daten können sowohl Ingenieurmodelle als auch datengetriebene Verfahren (z.B. Data Mining, Big/ Smart Data Analytics) zum Einsatz kommen. Anhand der Nutzeroberfläche kann der Bauwerkseigentümer bzw. -betreiber wichtige Informationen, die an einer Intelligenten Brücke gewonnen werden, einsehen (Dabringhaus und Haardt 2019). Bild 1: Schema der Intelligenten Brücke (in Anlehnung an (Dabringhaus und Haardt 2019)) Die Intelligente Brücke kann in nahezu Echtzeit Informationen hinsichtlich des Zustands, der Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer des Bauwerks und seiner Bauteile bereitstellen. In der Regel können Anomalien in Messdaten, die in Verhaltensveränderungen des Bauwerks begründet sind, frühzeitig erkannt werden, bevor eine Schädigung visuell erfassbar ist. Auf dieser Grundlage können Zustandsveränderungen prognostiziert werden. Damit schafft die Intelligente Brücke den Ausgangspunkt für die Entwicklung vom aktuellen, reaktiven zum prädiktiven Lebenszyklusmanagement. Im Sinne dieser Lebenszyklusstrategie sollen die Reserven einer Brücke und ihrer Bauteile voll ausgeschöpft und gleichzeitig Ausfälle vermieden werden, um damit eine bestmögliche Verfügbarkeit zu gewährleisten (Haardt 2018). 2.2 Nutzen der Intelligenten Brücke Das Konzept der Intelligenten Brücke zielt darauf ab, den Bauwerksbetreiber bei der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit eines Bauwerks während dessen Nutzungsdauer durch die kontinuierliche Bereitstellung relevanter Informationen hinsichtlich Zustands, Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer eines Bauwerks und seiner Bauteile in nahezu Echtzeit zu unterstützen. Dem Bauwerksbetreiber stehen durch die Intelligente Brücke neben den Informationen aus der Bauwerksprüfung zusätzliche, objektive Informationen, gewonnen aus Messdaten, zur Verfügung. Diese können als Indikator für eine zuverlässigkeitsorientierte Bauwerksprüfung dienen und deren Effizienz steigern. Die Informationen aus einer Intelligenten Brücke ermöglichen dem Bauwerksbetreiber eine Optimierung des Lebenszyklusmanagements, indem vorausschauende Maßnahmen ergriffen werden können (Dabringhaus und Haardt 2019). Geringere Verkehrsbeeinträchtigungen sowie kürzere und/ oder weniger Erhaltungsmaßnahmen während der gesamten Nutzungszeit eines Bauwerks können daraus resultieren. Mit der Intelligenten Brücke werden Kenntniserweiterungen durch die Verifikation von Systemannahmen und Bauteil-/ Bauwerksverhalten auf Grundlage von Messdaten möglich, die die tatsächlichen Einwirkungen und Bauwerksreaktionen wiederspiegeln (Dabringhaus 2020). Dies ist vor allem für Bestandsbauwerke relevant, da tragfähigkeitsrelevante oder verschleißbasierte Veränderungen in der Regel im Laufe der Nutzungsdauer auftreten. Die an der Intelligenten Brücke gewonnenen Messdaten ermöglichen darüber hinaus eine Überprüfung bzw. Kalibrierung von Ingenieurmodellen sowie eine Anpassung von Bemessungsnormen. Im Zuge der Betrachtung des Mehrwerts einer Intelligenten Brücke, sind auch die entstehenden Kosten zu berücksichtigen. Für die Realisierung einer Intelligenten Brücke müssen derzeit noch relativ hohe Sach- und Personalkosten angesetzt werden. Dies begründet sich in der zielgerichteten intensiven Ausstattung des Bauwerks mit Messtechnik, dem Betrieb der Anlage und dessen Aufrechtrechterhaltung sowie der Analyse, Bewertung und Management von Messdaten. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Intelligente Brücke, betrachtet über ihren gesamten Nutzungszeitraum, das Potenzial hat, derzeitige Kosten für den Bauwerksbetreiber und Nutzer zu reduzieren durch z.B. geringere Betriebskosten, eingesparte Reisezeit und Umweltbelastungen (Schubert et al. 2019). Durch eine zielgerichtete und prädiktive Lebenszyklusplanung kann die Bauwerkprüfung bestmöglich unterstützt und die Verfügbarkeit eines Bauwerks verbessert werden. 3. Living Labs Innovative Entwicklungen der Intelligenten Brücke werden im Rahmen von Living Labs erprobt, weiterentwickelt und v.a. hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 107 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung bewertet. Living Labs sind Testumgebungen, in denen verkehrsinfrastrukturrelevante Innovationen unter realen Bedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt werden können (BMWI 2020). Aus Living Labs gewonnene Erkenntnisse können wichtige Grundlagen für eine nachfolgende schnelle Implementierung neuer und innovativer Ansätze in der Praxis liefern, wobei auch dieser Ansatz eine volle Variation aller in der Praxis vorkommenden Randbedingungen nur eingeschränkt ermöglicht (Dabringhaus et al. 2020). Darüber hinaus bieten Living Labs die Möglichkeit umfangreiche Messdaten unter Realbedingungen zu erfassen, die für weitergehende Forschung zur Verfügung stehen. In der BASt wird derzeit im Rahmen der Living Labs „Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn“ und „Talbrücke Sachsengraben“ verschiedenen Forschungsfragen nachgegangen. 3.1 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn Das Reallabor „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist Teil des 2015 vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eingerichteten digitalen Testfelds Autobahn auf der A9 zwischen Nürnberg und München. Ziel des digitalen Testfelds Autobahn ist es, digitale Innovationen zum Thema „Mobilität 4.0“ unter realen Bedingungen zu erproben und ggf. weiterzuentwickeln (BMVI 2015). Das Reallabor „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist ein mit Messtechnik ausgestattetes, 2015/ 16 errichtetes Ersatzbauwerk im Autobahnkreuz Nürnberg, welches die A3 überführt. Es handelt sich dabei um eine 4-feldrige, 156°m lange Spannbeton-Hohlkastenbrücke, die zweispurig Richtung Regensburg führt. Das Bauwerk wurde nach Abschluss von messtechnischen Vorbereitungen wie Kalibrierfahrten im Oktober 2016 für den Verkehr freigegeben. Der Messbetrieb startete 2017 (Dabringhaus und Haardt 2019). Ziel dieses Reallabors ist es, ausgewählte Entwicklungen an dem Bauwerk zu demonstrieren, weiterzuentwickeln und hinsichtlich der Praxistauglichkeit zu bewerten. Dabei werden eine Weiterentwicklung der Messsysteme im Hinblick auf die zielgerichtete Erfassung und automatisierte Auswertung von Messdaten sowie die Entwicklung eines geeigneten Datenmanagements und einer Nutzeroberfläche angestrebt, auf der wesentliche Ergebnisse einem ausgewählten Nutzerkreis zugänglich gemacht werden können. Die Arbeiten im Rahmen des Reallabors erfolgen durch Auftragsforschung der BASt. Die Untersuchungszeit des Reallabors startete 2017 und ist zunächst für 5 Jahre ausgelegt. Im Rahmen des Reallabors „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ sind neben der BASt folgende Einrichtungen beteiligt: BMVI, Bayerisches Staatsministerium des Innern für Bau und Verkehr, Autobahndirektion Nordbayern, Ingenieurbüro Prof. Freundt, Maurer SE und das Institut für Telematik der Universität zu Lübeck. 3.1.1 Ausstattung Die „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist der erste in diesem Maße mit Messtechnik ausgestattete Neubau in Deutschland. Das Bauwerk ist mit vier Messsystemen ausgestattet, die im Rahmen des BMVI- Forschungsprogramms „Straße im 21. Jahrhunderts“ entwickelt wurden. Dazu zählen das System zur Erfassung von Einwirkungen und Bauwerksreaktionen des Ingenieurbüros Prof. Dr. U. Freundt (Freundt 2014), instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge entwickelt von der Fa. Maurer SE (Friedl et al. 2015) sowie ein drahtloses Sensornetzwerk der Universität zu Lübeck (Fischer und Boldt 2015). Für jedes Messsystem befinden sich separate Messrechner in der Brücke, auf denen die automatisierte Auswertung der Messdaten erfolgt. Das Bauwerk ist darüber hinaus mit einem Network Attached Storage (NAS) ausgestattet. Dort werden sämtliche Rohdaten und ausgewertete Daten gehalten. Die Ergebnisdaten für die Nutzeroberfläche werden während der Laufzeit des Reallabors in einer Datenbank auf Servern der Universität zu Lübeck und zusätzlich auf dem NAS abgelegt. Die Nutzeroberfläche wird kontinuierlich um Ergebnisdaten aus der Datenbank aktualisiert. 3.1.2 Ausgewählte Ergebnisse Die Entwicklungsarbeiten an den einzelnen Messsystemen sind im Rahmen des Reallabors mit Ende 2020 abgeschlossen. Für die installierten Systeme wurden Erfassungs- und Auswertestrategien und Lösungen für die Zeitsynchronisation der Messsysteme entwickelt sowie entsprechende Algorithmen zur vollautomatisierten Auswertung der Messdaten auf den Messrechnern an der Brücke implementiert. Eine zuverlässige und sichere Datenverarbeitung wird durch die Entwicklung eines geeigneten Datenmanagements gewährleistet. Auf Grundlage der ausgewerteten Daten wurden Kennwerte ermittelt, die eine Zustandserkennung und -überwachung der Brücke und ihrer Bauteile ermöglichen. Dazu zählen u.a. der objektspezifische Auslastungsgrad infolge statischer Verkehrslast, die Ermüdungsbeanspruchung, Bauwerkssteifigkeit und Vorspannkraft der externen Spannglieder. Des Weiteren werden Informationen zum Verkehr und Wetter ermittelt. Ein zentraler Baustein der Intelligenten Brücke ist neben der Erfassung, Auswertung, Bewertung und Management der Daten die Visualisierung der Messdaten und Darstellung von Kennwert-Zeitverläufen. Im Rahmen dieses Reallabors wurde eine Nutzeroberfläche, im nachfolgenden auch als „Webanwendung“ bezeichnet, erarbeitet. Diese ermöglicht dem Bauwerkseigentümer jederzeit einen Überblick über den auf messtechnischen Informationen beruhenden Status des Bauwerks und der Bauteile. In der Webanwendung werden fortlaufend Messdatenverläufe und abgeleitete 108 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Kennwert-Zeitverläufe angezeigt. Sobald Kennwerte einen Grenzwert überschreiten, kann eine Email- Benachrichtigung sowohl an den Systembetreuer als auch den Bauwerkseigentümer erfolgen (Freundt et al. 2020). Die Webanwendung ist nur für einen beschränkten Nutzerkreis verfügbar und zielt darauf ab, den Bauwerksbetreiber mit zusätzlichen Informationen zum Bauwerk und seiner Bauteile zu unterstützen. Sie kann von unterschiedlichen Endgeräten aufgerufen werden wie Laptop, Tablet oder Smartphone. Herzstück der Webanwendung ist die Übersichtsseite. Dort werden die wichtigsten Kennwerte zur Beurteilung des Bauwerks- und Bauteilzustands auf Grundlage von Messdaten, Informationen zu Wetter und Verkehr sowie der Status der einzelnen Messsysteme angezeigt, siehe Bild 2. Die Subseiten zeigen Messdatenverläufe sowie weitere Detailinformationen. Bild 2: Übersichtsseite der Webanwendung Unter „Bauwerksstatus“ werden alle Kennwerte gefasst, die Bewertungen zu Brücke, Fahrbahnübergang und Lager ermöglichen. Im Folgenden werden die Kennwerte zur Brücke, die anhand des Messsystems zur Erfassung von Einwirkungen und Widerständen des Ingenieurbüros Prof. Dr. U. Freundt, ermittelt werden, vorgestellt: Statische Beanspruchung des Bauwerks Der Kennwert „Statische Beanspruchung des Bauwerks“ ist als Verhältnis von ermittelten statischen Beanspruchungswerten aus Verkehr zu Werten aus dem Ansatz des für die Tragwerksbemessung verwendeten Lastmodells, LM 1, definiert. Durch statistische Auswertung der Zeitverläufe an ausgewählten Messstellen werden Kennwerte der statischen Beanspruchung des Bauwerks infolge Verkehrs ermittelt. In Bild 3 ist exemplarisch das Ergebnis für eine Messstelle als Verhältniswerte zum Vergleichswert aus dem Ansatz des Lastmodells LM 1 aufgetragen. Zwei Niveauschwellen wurden bei einem Wert von 0,80 (Gelb) und 0,90 (Rot) festgelegt. Bei Überschreiten der Niveauschwellen erfolgt eine Benachrichtigung (Freundt et al. 2020). Bild 3: Kennwertverlauf “Auslastung statisch” Auslastung Ermüdung Der Kennwert „Auslastung Ermüdung” wird auf Grundlage von Messdaten der Dehnungsmessungen an der Bewehrung im unteren Bereich des Hohlkastens ermittelt. Dazu werden die temperaturkompensierten Messdaten einer Rainflow-Auszählung unterzogen und die erhaltenen Dehnungsschwingbreiten in Spannungsschwingspiele umgerechnet. Anschließend erfolgt eine Berechnung von Schädigungen und Schädigungssummen anhand der Wöhler-Linie für den Bewehrungsstahl sowie eine Umrechnung zu schädigungsrelevanten Schwingbreiten. Diese werden zu entsprechenden Werten aus dem Ermüdungsnachweis für die jeweilige am Tragwerk betrachtete Stelle ins Verhältnis gesetzt, siehe Bild 4. Betrachtungszeiträume wie die gesamte Messzeit, die letzten 52, 12 und 1 Wochen werden dargestellt. Bei kürzeren Betrachtungsräumen kommen saisonale Effekte stärker zum Tragen. Wie in Bild 4 zu sehen ist, liegt der errechnete Wert derzeit bei 0,45. Es wird davon ausgegangen, dass sich der errechnete Wert, bei unveränderter Charakteristik der bislang ermittelten schädigungsrelevanten Schwingspiele aus Verkehr, nicht wesentlich ändert. Die Niveauschwellen liegen bei einem Wert von 0,80 und 0,90 (Freundt et al. 2020). Bild 4: Kennwertverlauf “Auslastung Ermüdung” 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 109 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Auf Grundlage der Messdaten der installierten Beschleunigungssensoren erfolgt die Ableitung der Statuskennwerte des Widerstandes des Bauwerks. Dazu werden die Eigenfrequenzen automatisiert über eine Fast-Fourier- Transformation auf dem Messrechner im Brückenhohlkasten ermittelt. Im Rahmen des Projekts FE 15.0631 „Digitales Testfeld Autobahn - Intelligente Brücke Synchronisation von Sensorik und automatisierte Auswertung von Messdaten“ wurde eine Methodik zur Kompensation von lang-, mittel- und kurzfristigen Effekten in den Messdaten entwickelt auf Basis vorhandener Messdaten und unter der Annahme, dass bisher keine Schädigungen am Bauwerk eingetreten sind (Freundt et al. 2020). Im Folgenden werden die Statuswerte für die externe Vorspannung und. die Bauwerkssteifigkeit vorgestellt. Statuskennwert „Vorspannung“ Der entwickelte Statuskennwert „Vorspannung“ ermöglicht die Detektion einer Veränderung der Vorspannkraft, z.B. durch den Bruch einzelner Litzen im Spannglied, anhand der erfassten Messdaten. Zur Ermittlung dieses Statuskennwerts werden die Eigenfrequenzen aus den Beschleunigungsmessungen an externen Spanngliedern herangezogen, da diese mit der Vorspannkraft im Spannglied korrespondieren. Ein Statuswert von 1,00 entspricht dem derzeitigen Stand der kompensierten externen Vorspannung. Dabei wurde definiert, dass ein Statuswert von 0,00 den theoretischen Ausfall von 20 der 60 Litzen repräsentieren soll. In Bild 5 ist der Verlauf des Statuswertes „Vorspannung“ über die Projektlaufzeit dargestellt. Die eingezeichneten Niveaulinien bei 0,95 und 0,9 zeigen die rechnerisch ermittelte Abweichung der normalisierten Eigenfrequenz bei Ausfall einer bzw. zweier Litzen (Freundt et al. 2020). Bild 5: Kennwertverlauf “Vorspannung” Status „Bauwerkssteifigkeit“ Der entwickelte Statuskennwert „Bauwerkssteifigkeit“ ermöglicht die Detektion von Veränderungen der Bauwerkssteifigkeit anhand der erfassten Messdaten. Zur Ermittlung des Statuskennwerts werden die Eigenfrequenzen der Brücke herangezogen, die aus der Beschleunigungsmessung am Umlenksattel des externen Spanngliedes abgeleitet werden. Die Eigenfrequenzen der Brücke korrespondieren mit der Steifigkeit des Bauwerks. Im Gegensatz zur Vorspannung ist der Zusammenhang zwischen der Änderung der Eigenfrequenz und der Bauwerkssteifigkeit zahlenmäßig nicht hinterlegt, so dass eine qualitative Überwachung der Eigenfrequenzen erfolgt. Auf Grundlage der bisher erfassten Messdaten werden Werte von 0,00 zu einem Statuswert von 1,00 und ein in vorherigen Analysen berechneter Mittelwert von 3,234 zu einem Statuswert von 0,00 gesetzt. Bild 6 zeigt den Verlauf der Bauwerkssteifigkeit über die Projektlaufzeit. Signifikante Abweichungen können auf eine Änderung der Bauwerkssteifigkeit hindeuten (Freundt et al. 2020). Bild 6: Kennwertverlauf “Bauwerkssteifigkeit” 4. Fazit Wie zu erwarten, zeigen die Kennwert-Zeitverläufe des vier Jahre alten Bauwerks keine Ausfälligkeiten, die auf Schädigungen hinweisen könnten. Im Rahmen dieses Reallabors ist es gelungen, Messdaten zielgerichtet und automatisiert auszuwerten sowie Kennwerte aus den Messdaten abzuleiten, die den Bauwerksbetreiber bei der Überwachung des Bauwerks unterstützen können. Das Reallabor läuft bis Ende 2021 und in der verbleibenden Zeit werden die Entwicklungen hauptsächlich weiter erprobt werden. Eine Weiterführung des Reallabors wird angestrebt, um Langzeiterfahrungen zu sammeln und eine breite Messdatenbasis zu erzielen, die für weitere Forschung zur Verfügung stehen soll. 4.1 Online Sicherheitsmanagement für Brücken (OSIMAB) Das Projekt OSIMAB wird im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND des Bundesministeriums für Verkehr 110 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung und digitale Infrastruktur gefördert. Im Rahmen des Projekts wird angestrebt, ein ganzheitliches Konzept zur kontinuierlichen Überwachung, Bewertung und Prognose des Zustands von Straßenbrücken zu entwickeln. Damit wird ein Grundstein für ein prädiktives Erhaltungsmanagement gelegt. Hierdurch können längere Zeiträume zur Planung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen geschaffen und somit Verkehrseinschränkungen minimiert werden. Im Rahmen des Projektes wird ein breites Spektrum an Datensätzen betrachtet, die sowohl flächendeckende Bestandsdaten als auch objektspezifische Messdaten umfassen. Zunächst wurden auf Grundlage von Bestandsdaten des Bundes bauwerksspezifische Parameter flächendeckend analysiert (Socher und Müller 2020). Die damit verbundenen Auswertungen hinsichtlich relevanter Brückentypen für das Bundesfernstraßennetz bilden die Grundlage für weitere, objektspezifische Untersuchungen an einem ausgewählten Brückenbauwerk (Talbrücke Sachsengraben A45). Hierdurch können im Gegenzug Rückschlüsse auf Problemstellungen im Gesamtbestand gezogen werden. Die Praxistauglichkeit des OSIMAB-Systems soll im Rahmen des Reallabors „Talbrücke Sachsengraben“ unter Beweis gestellt werden. Es wurden Methoden entwickelt, um anhand eines an Messdaten kalibrierten Systemmodells Aussagen über den Zustand abzuleiten und zu bewerten. Darüber hinaus wurde untersucht, inwieweit innovative Smart-Data-Algorithmen eingesetzt werden können, um Anomalien in Messdatenströmen zu identifizieren, die auf Veränderungen des Tragwerksverhaltens hindeuten können. Den Abschluss des Projekts bildet die Entwicklung eines Risikomanagementkonzepts. 4.1.1 Ausstattung des Demonstrator-Bauwerkes Für das globale und lokale Monitoring wurde das Demonstrator-Bauwerk mit 145 Sensoren ausgestattet. Der nördliche Überbau mit Fahrtrichtung Dortmund ist aufgrund des schlechteren Zustandes (Zustandsnote: 2,9) mit 89 Sensoren ausgestattet. Die übrigen der Sensoren sind am südlichen Überbau mit Fahrtrichtung Frankfurt (Zustandsnote: 2,3) eingesetzt. Die Sensortechnologie besteht aus: Elektrischen Dehnmessstreifen, induktiven Wegaufnehmern, piezoelektrischen Beschleunigungsaufnehmern, Neigungsaufnehmern, Temperatursensoren, einer Videokamera sowie Mikrofonen. Bei den meisten dieser Sensortypen handelt es sich um etablierte Technologien, die bereits bei einer Vielzahl an Brückenmessungen ihre Leistungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit unter Beweis gestellt haben. Bild 7: Induktiver Wegaufnehmer (Talbrücke Sachsengr.) 4.1.2 Risikomanagementkonzept Der Begriff „Risiko“ bezeichnet die Kombination aus der Eintrittswahrscheinlichkeit und dem Schadensausmaß eines Ereignisses (Schneider und Schlatter 2018). Anhand eines geeigneten Risikomanagements kann Risiken bestmöglich begegnet werden. Risiken können in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft auftreten. Vor allem in sicherheitsrelevanten Bereichen, wie das Bauwesen, erhält das Risikomanagement eine große Bedeutung im Rahmen der Unterstützung des Baulastträgers bei seinen Verantwortlichkeiten. Das im Rahmen des Projekts OSIMAB zu entwickelnde Risikomanagementkonzept beinhaltet die Kombination von Analysen und Auswertungen der Bestandsdaten sowie am Bauwerk erfassten und analysierten Messdaten, um potenzielle Risiken zu identifizieren und bewerten. In diesem Zuge sollen mögliche Kompensationsmaßnahmen und Erhaltungsmaßnahmen betrachtet werden, mit denen die Zielzuverlässigkeit des untersuchten Brückenbauwerks gewährleistet oder wiederhergestellt werden kann. Anhand der Risikobewertung soll das aktuelle Sicherheitsniveau eines Bauwerks und seiner Bauteile abgeleitet werden können. Bild 1 zeigt das Konzept des Risikomanagements im Rahmen des Projekts OSIMAB. Ein wichtiger Baustein ist hierbei eine mögliche zukünftige Interaktion zwischen der modellbasierten und der datenbasierten Auswertung, die als Grundlage für die Risikoanalyse dienen könnte. Im Rahmen des Projekts wurde dies jedoch nicht erprobt. Ausgangspunkt für die Auswahl des Brückenbauwerkes (Talbrücke Sachsengraben, A45), und die damit verbundenen Schadensdaten und Schwachstellen ist die Systemidentifikation (Socher und Müller 2020). Diese Informationen werden im Systemmodell betrachtet. Für das Bauwerks-Monitoring bilden die Messdaten den Anfangspunkt. Dem erarbeiteten Konzept folgend sollen die Messdaten mittels intelligenter Data-Mining-Algorithmen analysiert werden. Bei Feststellung einer Anomalie und ggf. manueller Über- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 111 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung prüfung kann im Risikomanagementtool ein Warnsignal geschaltet und ein Finite-Elemente-Update zur Klärung der Ursache der Anomalie angestoßen werden. Der Vergleich der aktuellen Messdaten mit Daten aus einem Referenzzustand kann Aufschluss über das Auftreten eines Schadens und seiner Lage geben. Mithilfe von Zusatzinformationen über das Bauwerk, seine Randbedingungen und Schadensauswirkungen können Art und Ursache des Schadens ermittelt werden. Werden durch das Finite-Elemente-Update Veränderungen im Tragverhalten festgestellt, ist das entsprechende Warnsignal zu schalten und eine neue Zuverlässigkeitsanalyse durchzuführen. Ziel ist es, den Zuverlässigkeitsindex an der maßgebenden Stelle des Querschnittes durch die Grenzzustandsfunktion probabilistisch zu ermitteln (Steffens 2019). Die bereitgestellten Informationen über den Zustand des Brückenbauwerks aus Finite-Element-Update und Data Mining Analyse könnten in der Zuverlässigkeitsanalyse betrachtet werden. Z.B. die Änderung des Betonquerschnittes oder Entstehung eines Risses kann in der Grenzzustandsfunktion an der maßgebenden Stelle für die Ermittlung des Zuverlässigkeitsindexes betrachtet werden. Auf Grundlage des Zuverlässigkeitsindexes kann die globale Versagenswahrscheinlichkeit ermittelt werden. Nach der Bewertung der globalen Versagenswahrscheinlichkeit kann auf eine detaillierte Ebene von Ereignissen eingegangen werden. Hier werden mögliche Ereignisse dem Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) zugeordnet. Für die Ermittlung der Zustandsfunktionen für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) der Dauerhaftigkeit und dem Schubversagen gibt es jedoch noch sehr grundlegenden Forschungsbedarf, der im Rahmen dieses Projekts nicht gelöst werden kann. Jedes Ereignis (A, B, C) übernimmt in Abhängigkeit von seiner Eintrittswahrscheinlichkeit einen Teil der globalen Versagenswahrscheinlichkeit. Ereignisse können Auswirkungen u.a. auf die Umwelt, die Nutzer und den Baulastträger haben. Das Risiko eines Ereignisses R C ergibt sich durch die Multiplikation der eigenen Versagenswahrscheinlichkeit mit der Summe der einzelnen Auswirkungsmaße (z.B. Kosten für den Baulastträger und die Nutzer). In Gleichung 1 wird dieses Prinzip für das Ereignis C dargestellt. Anhand der Risikobewertung kann unterschieden werden, welche Risiken für den Betrieb des Brückenbauwerkes akzeptiert werden können, und welchen mit geeigneten Maßnahmen begegnet werden muss. Überschreitet das Risiko eines Ereignisses einen durch Experten festgelegten Risikowert, wird ein Warnsignal wegen Nichteinhaltung der Struktursicherheit ausgegeben. In diesem Falle gilt es zielgerichtet Maßnahmen einzusetzen. Die Art der Maßnahme ist je nach Risikobewertung und Ereignis individuell zu bestimmen. Sowohl Erhaltungsals auch Kompensationsmaßnahmen können einen Einfluss auf die Messdaten haben und eine Aktualisierung des Systemmodells zur Folge haben. Sofern Kompensationsmaßnahmen nicht verzichtbar sind, muss geprüft werden, welche Maßnahmen für einen reibungslosen Verkehrsfluss am besten geeignet sind. Für ein effektives Risikomanagementsystem sollten in zukünftigen Forschungsarbeiten Kriterien für die Ereignisse und Auswirkungsmaße definiert werden. Auf einer globalen Ebene spielt die Bedeutung des Bauwerkes eine große Rolle. Auf der lokalen Ebene haben z. B. Betonrisse weniger Einfluss als ein Spanngliedbruch. Darüber hinaus ist ein mögliches Vorankündigungsverhalten in der Risikobewertung zu berücksichtigen. 112 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Bild 8: Risikomanagement im Zusammenspiel mit Systemmodell, Data Mining Analyse, Finite-Element-Update und der Zuverlässigkeitsanalyse 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 113 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung 5. Ausblick In Zusammenarbeit mit der BASt und dem BMVI beabsichtigt die Autobahn GmbH des Bundes die aktuellen Entwicklungen der Intelligenten Brücke als Leuchtturmprojekt an einer neu zu errichtenden Brücke und einem relevanten Bestandsbauwerk zu realisieren und die bestehenden Living Labs zu Forschungszwecken weiterzuführen. Gewonnene Erkenntnisse aus Living Labs können wichtige Grundlagen für eine nachfolgende schnellere Implementierung neuer und innovativer Ansätze in der Praxis liefern, wobei dieser Ansatz eine volle Variation aller in der Praxis vorkommenden Randbedingungen nur eingeschränkt ermöglicht. Dies ist erst mit einem Digital Twin möglich. Der Digital Twin stellt eine gezielte Erweiterung des Konzepts der Intelligenten Brücke im Hinblick auf z.B. Big Data/ Smart Data-Anwendungen, KI-Ansätze, Mixed-Reality-Anwendungen und virtuelle Experimentierräume dar. 5.1 Digital Twin einer Brücke Der Digital Twin eines Ingenieurbauwerks ist ein digitales Abbild eines realen Bauwerks und spiegelt sämtliche Eigenschaften und sein Verhalten über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg anhand verschiedener Modelle. Zu diesen Modellen gehören u.a. Geometrie-, FEsowie Datenmodelle. Der Digital Twin aktualisiert sich kontinuierlich, um den aktuellen Zustand des realen Bauwerks sowie die daraus ableitbaren Prognosen in nahezu Echtzeit darzustellen. Zu diesem Zweck greift er auf große Datenmengen zurück, die u.a. am realen Bauwerk, dem Living Lab, gesammelt oder auch von bereits bestehenden Systemen über Schnittstellen bereitgestellt werden. Daneben nutzt er Informationen aus unkonventionellen Datenquellen wie z.B. vernetzten Fahrzeugen, Smartphones und sozialen Medien sowie Daten von bereits bestehenden Systemen, die ihm über Schnittstellen bereitgestellt werden. In Anbetracht der großen Datenmengen kommen ein Datenmanagementsystem, Big Data/ Smart Data-Anwendungen sowie Verfahren der künstlichen Intelligenz zur Analyse und Bewertung der Daten zum Einsatz. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Digital Twin ist der virtuelle Experimentierraum. Dort kann das virtuelle Objekt sämtlichen Randbedingungen ausgesetzt, hinsichtlich des Designs und des fehlerfreien Betriebs analysiert sowie szenariobasierte Prognosen durchgeführt werden. Die Realisierung eines Digital Twin ist insbesondere für Ingenieurbauwerke mit besonderer Relevanz für das Bundesfernstraßennetz und/ oder repräsentative Bauwerke sowie Teilaspekten von diesen interessant (Dabringhaus et al. 2020). 5.2 Ziel und Nutzen eines Digital Twin Hauptziel des Digital Twins in der Betriebsphase ist die Unterstützung des Bauwerkseigentümers bei der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit, Instandhaltbarkeit und Verfügbarkeit des Bauwerks. In nahezu Echtzeit liefert der Digital Twin Informationen hinsichtlich des Zustands, der Zuverlässigkeit und der Restnutzungsdauer des Bauwerks und seiner Bauteile und zeigt kritische Bauwerkszustände frühzeitig an. Darüber hinaus legt der Digital Twin einen starken Fokus auf Prognosen hinsichtlich des Lebenszyklus und leitet Handlungsbedarf ab, bevor konkrete Gefahren und Schäden entstehen. In virtuellen Experimentierräumen des Digital Twins können sämtliche Randbedingungen variiert und Analysen sowie insbesondere Prognosen für verschiedene Szenarien wie z.B. Unfälle und Extremereignisse durchgeführt werden. Schließlich können erprobte Maßnahmen mit Hilfe des Digital Twin früher, zuverlässiger und effizienter eingeleitet werden. Auch der Einsatz neuer Technologien wie KI-Anwendungen kann im Rahmen von virtuellen Experimentierräumen erprobt werden, ohne die Integrität des sicheren Betriebs zu verletzen. Durch die genannten Eigenschaften bietet der Digital Twin das Potenzial zu einer Entwicklung vom prädiktiven Lebenszyklusmanagement, welches basierend auf Zustandserkennung und -prognose zielgerichtete vorausschauende Maßnahmen ermöglicht, hin zum kognitiven Lebenszyklusmanagement. Das kognitive Lebenszyklusmanagement ist eine Erweiterung des prädiktiven Lebenszyklusmanagements. Es zeichnet sich durch einen proaktiven, lernenden sowie interaktiven Charakter aus und zielt auf ein im Hinblick auf ökologische, ökonomische und gesamtgesellschaftliche Aspekte optimiertes Management ab. Anhand selbstlernender Algorithmen kann ein kognitives Managementsystem in seiner höchsten Entwicklungsstufe, die für den Lebenszyklus relevanten Sachverhalte verstehen, analysieren, evaluieren, anwenden und weiterentwickeln. Auf dieser Grundlage kann das System interagierend mit Experten ein optimales Handeln erzielen (BITKOM 2015). Gewonnene Erkenntnisse können auf das Teil-/ Gesamtnetz übertragen werden. Insgesamt lassen sich durch die aufgeführten Aspekte z.B. Potenziale hinsichtlich reduzierter Erhaltungsmaßnahmen, verminderter Sperrzeiten und verlängerter Bauwerkszyklen erschließen (Dabringhaus et al. 2020). 5.3 BASt-Forschung zum Digital Twin Der Digital Twin von Ingenieurbauwerken stellt in Verbindung mit dem Living Lab ein bedeutendes Zukunftsfeld der digitalen Entwicklung in der Forschung dar. Im Rahmen zukünftiger Forschung wird sich die BASt auch dem Thema „Digital Twin“ widmen und dabei auf die in den letzten Jahren erarbeiteten Konzeptionen, Machbarkeitsstudien und Entwicklungen zu den BASt-Forschungsfeldern „Intelligente Brücke“, „Building Information Modelling“ und „Virtual/ Augmented Reality“ zurückgreifen. Diese bilden die Ausgangslage für die Entwicklung eines Digital Twin. Ausstehende Forschungsschritte sollen zukünftig im Rahmen einer Forschungsplanung zur Thematik „Digital Twin“ in der BASt erarbeitet und umgesetzt werden (Dabringhaus et al. 2020). Literaturverzeichnis [1] BITKOM (2015): Kognitive Maschinen - Meilenstein in der Wissensarbeit. Leitfaden. Hg. v. BIT- KOM. Online verfügbar unter https: / / www.bitkom. org/ Bitkom/ Publikationen/ Kognitive-Maschinen- Meilenstein-in-der-Wissensarbeit.html. [2] BMVI (Hg.) (2013): ASB-ING. Anweisung Straßeninformationsbank. Segment Bauwerksdaten. [3] BMVI (2015): Innovationscharta „Digitales Testfeld Autobahn“ auf der Bundesautobahn A9. Hg. v. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Berlin. [4] BMWI (2020): Reallabore - Innovation ermöglichen und Regulierung weiterentwickeln. Hg. v. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Online verfügbar unter https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Downloads/ I/ info-reallabore.pdf? __ blob=publicationFile&v=20. [5] Dabringhaus, S.; Neumann, S.; Hindersmann, I. (2020): Monitoring, Intelligente Brücke, Digital Twin. Positionspapier der Abteilung B Brücken- und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlicht). [6] Dabringhaus, Sarah (2020): Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze. 4. Brückenkolloquium. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. [7] Dabringhaus, Sarah; Haardt, Peter (2019): Infrastruktur im Wandel - Die Intelligente Brücke. 6. Kolloquium: Erhaltung von Brückenbauwerken. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. [8] DBV (2018): DBV Merkblatt Brückenmonitoring. Hg. v. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. [9] Fischer, S.; Boldt, D. (2015): iBAST instantaneous Bridge Assessment based on Sensor Network Technology. Bericht zu FE 88.0122/ 2012 der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlich). Lübeck. [10] Freundt, U.; Böning, S.; Fischer, S.; Lau, F.-L. (2020): Digitales Testfeld Autobahn - Intelligente Brücke - Synchronisation von Sensorik und automatisierte Auswertung von Messdaten. FE-Nr. 15.0631/ 2016/ LRB Entwurf zum Schlussbericht (noch nicht veröffentlicht). [11] Freundt, Ursula (2014): Roadtraffic Management System (RTMS). Bericht zum Forschungsprojekt 88.0106/ 2010. Bremen: Fachverl. NW (Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen B, Brücken- und Ingenieurbau, 100). Online verfügbar unter http: / / bast.opus.hbz-nrw.de/ volltexte/ 2014/ 777/ pdf/ B100b_ELBA.pdf. [12] Friedl, R.; Mangerig, I.; Butz, C.; Distl, J.; Adam, A. (2015): Intelligente Schwenktraversendehnfuge und intelligentes Kalottenlager. Bericht zu FE-Nr. 88.110- 88.112 der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlicht). München. [13] Haardt, Peter (2018): Intelligente Brücke. Fachtagung Bauwerksdiagnose 2018. Berlin. [14] Neumann, T.; Haardt, T. (2014): Die Intelligente Brücke - Adaptive Konzepte zur ganzheitlichen Zustandsbewertung. Fachtagung Bauwerksdiagnose 2014. Berlin. [15] Schneider, Jörg; Schlatter, Hanspeter (2018): Sicherheit und Zuverlässigkeit im Bauwesen: Grundwissen für Ingenieure: ETH Zurich. [16] Schubert, M.; Betz, W.; Niemeier, E.; Ziegler, D.; Majka, M.; Straub, D.; Walther, C. (2019): Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Monitoringmaßnahmen - Entwicklung eines Konzepts für die Analyse von Nutzen und Kosten von Monitoringmaßnahmen. Schlussbericht zu FE 89.0331/ 2017 (unverffentlicht). Bundesanstalt für Straßenwesen. [17] Socher, A.; Müller, M. (2020): Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement. 3. Brückenkolloquium. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. Esslingen. [18] Steffens, Nico (2019): Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring. Düren: Shaker (Heftreihe des Instituts für Bauingenieurwesen / Book series of the Department of Civil Engineering, Technische Universität Berlin).