eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 7/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
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2021
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Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen

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Amir Rahimi
Andreas Westendarp
Cynthia Morales Cruz
Michael Raupach
Bei der Instandsetzung gerissener Betonbauteile mit unbewehrten, dünnschichtig aufgebrachten Spritzmörteln können Risse aus dem Betonuntergrund bereits infolge temperaturbedingter Rissbreitenänderungen in das Instandsetzungssystem durchschlagen. Konventionelle Bewehrung aus Betonstahl zur Rissüberbrückung kann bei geringen Schichtdicken aus Korrosionsschutzgründen im Regelfall nicht eingesetzt werden. Mit dem neuen BAW Merkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“ wird nunmehr der Einsatz von korrosionsunkritischen textilbewehrten Betonersatzsystemen zur Instandsetzung von Beton- und Stahlbetonbauwerken geregelt. Die Vorgaben gelten nicht nur für Verkehrswasserbauwerke, sondern können auch in anderen Baubereichen unter definierten Randbedingungen und Beanspruchungsszenarien Anwendung finden. BAW-MITEX berücksichtigt die Aspekte Bemessung, Baustoffe und Bauausführung sowie Qualitätssicherung.
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7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 249 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen Amir Rahimi, Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Cynthia Morales Cruz, Michael Raupach Institut für Baustoffforschung (ibac) RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Bei der Instandsetzung gerissener Betonbauteile mit unbewehrten, dünnschichtig aufgebrachten Spritzmörteln können Risse aus dem Betonuntergrund bereits infolge temperaturbedingter Rissbreitenänderungen in das Instandsetzungssystem durchschlagen. Konventionelle Bewehrung aus Betonstahl zur Rissüberbrückung kann bei geringen Schichtdicken aus Korrosionsschutzgründen im Regelfall nicht eingesetzt werden. Mit dem neuen BAWMerkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“ wird nunmehr der Einsatz von korrosionsunkritischen textilbewehrten Betonersatzsystemen zur Instandsetzung von Beton- und Stahlbetonbauwerken geregelt. Die Vorgaben gelten nicht nur für Verkehrswasserbauwerke, sondern können auch in anderen Baubereichen unter definierten Randbedingungen und Beanspruchungsszenarien Anwendung finden. BAW-MITEX berücksichtigt die Aspekte Bemessung, Baustoffe und Bauausführung sowie Qualitätssicherung. 1. Aufbau und Funktionsweise des Instandsetzungssystems Das BAWMerkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“ [1] wurde im März 2020 veröffentlicht. Das darin beschriebene und geregelte Instandsetzungssystem besteht aus einem an den Betonuntergrund angepassten Spritzmörtel/ Spritzbeton gemäß [2], Abschnitt 5, und einer textilen Carbon-Bewehrung. Bei Rissen mit einer Rissbreitenänderung von ∆wop > 0,2 mm, die vom Sachkundigen Planer als maßgebend erkannt wurden, kommt zudem ein Enthaftungsbereich zur Anwendung. Das Enthaftungsmaterial soll im Bereich des Risses den Verbund zwischen Untergrund und Spritzmörtel/ Spritzbeton verhindern und so zu einer Erhöhung der freien Dehnlänge des textilbewehrten Spritzmörtels/ Spritzbetons führen. Die in den Spritzmörtel/ Spritzbeton eingebettete textile Bewehrung ermöglicht die Realisierung von dünnen bewehrten Schichten. Diese sorgt dafür, dass die Rissbreitenänderung ∆w op des zu überbrückenden Risses am Bauwerk im Enthaftungsbereich auf mehrere Risse mit Rissbreiten w i < 0,1 mm im textilbewehrten Spritzmörtel/ Spritzbeton verteilt wird, siehe Bild 1. 2. Anwendungsbereich und -grenzen des BAWMerkblatts MITEX BAW-MITEX gilt für die flächige Instandsetzung gerissener Bauwerke aus Beton oder Stahlbeton mittels textilbewehrtem Spritzmörtel/ Spritzbeton aus zementgebundenem Betonersatz mit oder ohne Polymermodifizierung gemäß [2], Abschnitt 5, mit einem Größtkorn ≤ 6 mm, der in dünnen Schichten (30 bis 40 mm) ohne zusätzliche Verankerung im Spritzverfahren auf Betonuntergründe der Altbetonklasse A2, A3, A4 oder A5 gemäß [2] aufgebracht wird. Weitere Betonersatzsysteme, d. h. Mörtel und Beton für geschalte Flächen und im Handauftrag, werden derzeit im Merkblatt nicht berücksichtigt. Eine zukünftige Anwendung dieser Systeme ist jedoch vorstellbar. Die Instandsetzungsschicht darf während der Applikations- und Nutzungsphase keinem hydrostatischen Wasserdruck von der Rückseite (Risswasser- und Porenwasserdruck) oder von der Vorderseite ausgesetzt sein (ähnlich zu einem freibewitterten Fassadenelement). Das Instandsetzungssystem darf bei Bauteilen der Expositionsklassen XALL, XBW1, XCR, Δw LFR, XC1(trocken), XC3, XC4, XS1, XD1, XF1 und XF2 gemäß [2] und [3] eingesetzt werden. Die Anwendung 250 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen - Bild 1: Aufbau und Funktionsweise des Instandsetzungssystems im BAW-MITEX Tabelle 1: Belastungsszenarien zur flächigen Instandsetzung nach BAW-MITEX 1 2 3 4 5 6 7 Belastung Variante 1 Variante 2 Variante 3 a b a b a b Freibewitterte Instandsetzungsfläche ja Zyklisch bewegende, evtl. wasserführende Ris-se im Untergrundbeton ja Ausreichender Verbund zwischen Instandsetzungsschicht und Untergrundbeton ja nein nein Risswasser- und Poren-wasserdruck nein nein ja Hydrostatische Wasserbelastung auf der Oberfläche nein ja nein ja nein ja ist nur zulässig bei Rissbreitenänderungen im Betonuntergrund, welche vorwiegend aus jahreszeitlich bedingten Temperaturänderungen resultieren. Die Rissbreitenänderung im Betonuntergrund darf in der Regel maximal 0,6 mm betragen. Der Verbund zwischen dem Betonuntergrund und der textilbewehrten Spritzmörtel-/ Spritzbetonschicht wird ausschließlich über Adhäsion hergestellt. Das Instandsetzungssystem kann an senkrechten und stark geneigten Flächen sowie über Kopf angebracht werden. Es ist beabsichtigt, weitere Anwendungsbereiche (mit Wasserdruck und Verankerung) entsprechend Tabelle 1 in späteren Fassungen des Merkblatts zu berücksichtigen. 3. Anforderungen und Qualitätssicherung 3.1 Nachweisverfahren Die Anforderungen an das Instandsetzungssystem und die damit verbundene Qualitätssicherung werden anhand folgender Nachweisverfahren geregelt: - Nachweis der Verwendbarkeit ◦ Nachweis der Verwendbarkeit der Einzelkomponenten ▪ Spritzmörtel/ Spritzbeton ▪ textile Bewehrung ▪ Enthaftungsmaterial ◦ Nachweis der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung) - Nachweis der Übereinstimmung - Prüfungen im Rahmen der Ausführung - Überprüfung der ausgeführten Leistung 3.2 Nachweis der Verwendbarkeit des Spritzmörtels/ Spritzbetons Der Spritzmörtel/ Spritzbeton muss hinsichtlich seines Festigkeits- und Verformungsverhaltens dem jeweiligen Altbeton angepasst sein. Als Spritzmörtel/ Spritzbeton können Produkte gemäß [2] auf Basis von [4] in Verbindung mit [5] mit zusätzlichen Merkmalen oder Produkte unbekannter Zusammensetzung verwendet werden. Die expositionsbedingten Anforderungen sind in [6] enthalten. 3.3 Nachweis der Verwendbarkeit der textilen Bewehrung Vom Hersteller der Textilbewehrung sind definierte Eigenschaften wie z. B. Typ und Feinheit der Carbonfaser, Tränkungsmaterial (Art, Glasübergangstemperatur) anzugeben. Im Fall einer Oberflächenmodifikation der textilen Bewehrung sind das Beschichtungsmaterial (Art, Glasübergangstemperatur) und die Besandung (Partikelart und Sieblinie) anzugeben. Zusätzlich müssen bestimmte Kennwerte anhand im Merkblatt [1] beschriebener Prüfverfahren ermittelt werden. Es sind nur textile Bewehrungen mit quadratischer Maschenform anzuwenden. Der Faserquerschnitt des Rovings muss in Kett- und Schussrichtung gleich sein. Das lichte Maß zwischen zwei Rovings muss mindestens dem dreifachen Größtkorndurchmesser des Spritzmörtels/ Spritzbetons entsprechen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 251 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen 3.4 Nachweis der Verwendbarkeit des Enthaftungsmaterials Das Enthaftungsmaterial muss zum einen auf trockenem und/ oder feuchtem Untergrund gut haften. Zum anderen darf zwischen Spritzmörtel/ Spritzbeton und dem Enthaftungsmaterial kein nennenswerter Haftverbund bestehen. Dies wird im Rahmen des Nachweises der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung, s. u.) geprüft. Es wird jedoch empfohlen, die Entkopplungswirkung des Enthaftungsmaterials vor der Systemprüfung mittels Prüfung der Haftzugfestigkeit an entsprechend hergestellten Probekörpern zu bestimmen. Als Enthaftungsmaterialien kommen beispielsweise Klebebänder, Epoxidharze oder zementöse Dichtungsschlämmen in Frage. 3.5 Nachweis der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung) Die Systemprüfung erfolgt an Verbundprobekörpern (s. Bild 2) bestehend aus Grundkörperbeton (gerissen), Enthaftungsmaterial und textilbewehrter Spritzmörtel-/ Spritzbetonschicht. Sie umfasst die Prüfungen der Applizierbarkeit, Haftzugfestigkeit, Rissverteilung und Haftzugfestigkeit nach Rissaufweitung. Die jeweiligen Probekörper für diese Prüfungen werden aus den Verbundprobekörpern entsprechend Bild 2 gewonnen. Mit der Prüfung der Applizierbarkeit wird das eventuelle Auftreten von Fehlstellen in unmittelbarer Nähe der Rovings in Anlehnung an [6], Anlage A1.7, untersucht. Mit der Prüfung der Haftzugfestigkeit vor und nach der Prüfung der Rissverteilung wird der notwendige Adhäsionsverbund zwischen dem Betonersatzsystem und dem Untergrund nach der Ausführung bzw. nach der Beanspruchung in Folge der Rissaufweitung überprüft. Für die Prüfung der Rissverteilung wird der Rissüberbrückungskörper nach Bild 2 an einem Prüfrahmen befestigt. Durch das Aufbringen einer Zugkraft auf den Grundkörper wird der Riss auf die vorgesehene Breite aufgeweitet. Anschließend werden die Rissbreiten im textilbewehrten Spritzmörtel/ Spritzbeton an den Seitenflächen der Probe über dem Enthaftungsbereich in über die Probenhöhe gleich verteilten Ebenen auf 1 µm genau gemessen. Die Rissbreiten müssen weniger als 0,1 mm betragen. Des Weiteren werden die Textilzugspannung und die Textildehnung im Enthaftungsbereich im Laufe des Versuchs ermittelt. Sie dürfen 1500 N/ mm² bzw. 10 ‰ nicht überschreiten. 3.6 Nachweis der Übereinstimmung Die Übereinstimmung des Spritzmörtels/ Spritzbetons mit dem Spritzmörtel/ Spritzbeton, der im Rahmen des Nachweises der Verwendbarkeit untersucht worden ist, muss gemäß [6] nachgewiesen werden. Für das Enthaftungsmaterial muss die Übereinstimmung von dem entsprechenden Hersteller mittels Lieferschein bestätigt werden. Der Nachweis der Übereinstimmung der textilen Bewehrung muss durch eine Werkseigene Produktionskontrolle (WPK) und eine Fremdüberwachung (FÜ) gemäß [7] durch eine von der BAW hierfür anerkannte Stelle sichergestellt sein. Die Häufigkeit der durchzuführenden Prüfungen sowie die Anforderungen, die im Rahmen der WPK und der FÜ zu erfüllen sind, sind im Merkblatt vorgegeben. 3.7 Prüfungen im Rahmen der Ausführung Hinsichtlich des Spritzmörtels/ Spritzbetons ist entsprechend [2], Abschnitt 5.6.2, vorzugehen. Hinsichtlich der textilen Bewehrung und des Enthaftungsmaterials müssen vom Auftragnehmer im Rahmen der Eigenüberwachung zusätzliche Kontrollen zur ordnungsgemäßen Lieferung und zur Qualität des Materials durchgeführt werden. Angaben hierzu sind in [3] enthalten. 3.8 Überprüfung der ausgeführten Leistung Die Überprüfung der ausgeführten Leistung ist vom Auftragnehmer gemäß [2], Abschnitt 5.6.3, durchzuführen und zu dokumentieren. Zusätzlich ist die Höhenlage der textilen Bewehrung an den Bohrkernen für die Verbundfestigkeitsprüfung zu bestimmen. Die lichten Maße zwischen der Betonuntergrundoberfläche und der benachbarten textilen Bewehrungslage, zwischen den benachbarten textilen Bewehrungslagen sowie zwischen der Spritzmörtel-/ Spritzbetonoberfläche und der benachbarten textilen Bewehrungslage müssen mindestens dem Größtkorndurchmesser entsprechen und dürfen 5 mm nicht unterschreiten. Die Bestimmung der Trockenrohdichte erfolgt an Scheiben ohne textile Bewehrung mit einer Dicke von 8 bis 15 mm, die aus den Bohrkernen für die Verbundfestigkeitsprüfung präpariert werden. 252 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen Bild 5: Verbundkörper für die Systemprüfung, Schnittmuster Literatur [1] BAW-MITEX (2019): Merkblatt Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX). Bundesanstalt für Wasserbau. [2] ZTV-W LB 219 (2017): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), Ausgabe 2017. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). [3] IH-RL (2017): Richtlinie für Instandhaltung von Betonbauteilen -- Gelbdruck -- Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb). [4] DIN EN 14487-1: 2006 Spritzbeton - Teil 1: Begriffe, Festlegungen und Konformität. [5] DIN 18551: 2014 Spritzbeton - Nationale Anwendungsregeln zur Reihe DIN EN 14487 und Regeln für die Bemessung von Spritzbetonkonstruktionen. [6] BAWEmpfehlung (2017): Instandsetzungsprodukte - Hinweis für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren. Bundesanstalt für Wasserbau. [7] DIN 18200: 2018 Übereinstimmungsnachweis für Bauprodukte - Werkseigene Produktionskontrolle, Fremdüberwachung und Zertifizierung (2018).