eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 7/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
71
2021
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Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis

71
2021
Joost Gulikers
Maria Teresa Alonso Junghanns
Die physikalische Bedeutung der Restnutzungsdauer von bestehenden Ingenieurbauwerken ist für die Erhaltungspraxis von besonderer Bedeutung. Chloridinduzierte Bewehrungskorrosion gilt in Ingenieurbauwerken aus Beton als große Herausforderung. Die Nutzungsdauer unter dauerhaftigkeitsrelevanten Aspekten wird deshalb häufig vor dem Hintergrund des Entstehens von Bewehrungskorrosion durch eingedrungene Chloride betrachtet. Für die Einschätzung der Nutzungsdauer werden zunehmend probabilistische Ansätze bevorzugt, um die große Streuung der gemessenen Chloridprofile, der Betondeckung und der kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalte im Bauwerk angemessen berücksichtigen zu können. Die Nutzungs- bzw. Restnutzungsdauer wird dabei an einen bestimmten Zuverlässigkeitsindex gekoppelt. In der Erhaltungspraxis ist die Festlegung konkreter Maßnahmen in Abhängigkeit solcher Methoden aber schwer zu treffen, da die physikalische Bedeutung der im Modell enthaltenden Annahmen, Parameter und Folgen im Hinblick auf eine Restnutzungsdauer für die bestehenden Bauwerke nicht eindeutig geklärt ist. In diesen Beitrag werden die Herausforderungen solcher probabilistischen Verfahren aus Sicht der Bauherren vorgestellt und diskutiert.
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7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 307 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Joost Gulikers Rijkswaterstaat, Utrecht (NL) Maria Teresa Alonso Junghanns BASt, Bergisch-Gladbach (D) Abstrakt Die physikalische Bedeutung der Restnutzungsdauer von bestehenden Ingenieurbauwerken ist für die Erhaltungspraxis von besonderer Bedeutung. Chloridinduzierte Bewehrungskorrosion gilt in Ingenieurbauwerken aus Beton als große Herausforderung. Die Nutzungsdauer unter dauerhaftigkeitsrelevanten Aspekten wird deshalb häufig vor dem Hintergrund des Entstehens von Bewehrungskorrosion durch eingedrungene Chloride betrachtet. Für die Einschätzung der Nutzungsdauer werden zunehmend probabilistische Ansätze bevorzugt, um die große Streuung der gemessenen Chloridprofile, der Betondeckung und der kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalte im Bauwerk angemessen berücksichtigen zu können. Die Nutzungsbzw. Restnutzungsdauer wird dabei an einen bestimmten Zuverlässigkeitsindex gekoppelt. In der Erhaltungspraxis ist die Festlegung konkreter Maßnahmen in Abhängigkeit solcher Methoden aber schwer zu treffen, da die physikalische Bedeutung der im Modell enthaltenden Annahmen, Parameter und Folgen im Hinblick auf eine Restnutzungsdauer für die bestehenden Bauwerke nicht eindeutig geklärt ist. In diesen Beitrag werden die Herausforderungen solcher probabilistischen Verfahren aus Sicht der Bauherren vorgestellt und diskutiert. 1. Einleitung Für die Planung von Erhaltungs- oder Ersatzmaßnahmen ist die Frage der Restnutzungsdauer bzw. ihre physikalische Bedeutung maßgebend. Die Vorhersage der Restnutzungsdauer kann eine Strategiebasis für eine objektive und quantitative Vergleichbarkeit von Maßnahmen der Erhaltungspraxis bieten. In der Praxis gilt für die meisten Ingenieurbauwerke aus Beton chlorid- und karbonatisierungsinduzierte Bewehrungskorrosion als große Herausforderung. Die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von Bauwerken basiert zurzeit auf den im Regelwerk geltenden deskriptiven Bemessungsregeln. Für neue Infrastruktur werden Anforderungen nach Expositionsklassen festlegt. Der heutige Erhaltungsansatz basiert auf planmäßigen Bauwerksprüfungen. Dabei wird der jetzige Zustand des Ingenieurbauwerks erfasst und ggf. Maßnahmen unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Aspekten geplant und durchgeführt. Solche deskriptiven Vorgehensweisen ergeben aber kein quantitatives Kriterium für „das Ende der Nutzungsdauer“ oder der damit verbundenen „Restnutzungsdauer“ und erlauben keine Vorhersage. Für eine quantitative Einschätzung der Lebensdauer sind jedoch in den letzten Jahrzehnten probabilistische Prognosemodelle für den Grenzzustand der Depassivierung entwickelt worden [1, 2]. Ein Grenzzustand wird erreicht, wenn ein kritischer Chloridgehalt an der ersten Bewehrungslage vorhanden ist, beziehungsweise wenn die Karbonatisierungsfront bis zu dieser vordringt. Solche probabilistischen Dauerhaftigkeitsprognosen wurden für die Ingenieurbauwerke der deutschen Bundeswasserstraßen eingeführt [3]. Die Anwendung probabilistischer Prognosemodelle für Brückenbauwerke aus Beton im deutschen Bundesfernstraßennetz ist auch unter bestimmten Voraussetzungen möglich [4]. Sie könnte einen Übergang von den derzeitigen rein deskriptiven zu einer rechnerischen Vorhersage der Restnutzungsdauer ermöglichen. Die mathematischen Modelle für z. B. chloridinduzierte Korrosion umfassen Transportmodelle zur Beschreibung des Eindringens von Chlorid in Beton. Sie erfordern besondere Kenntnisse für die Auswahl der Modelparameter und für die Berechnung selbst. Einige Parameter können aus dem IST-Zustand des Bauwerks abgeleitet werden und andere aus Literaturstellen (z. B. [1,2,3,4]) entnommen werden. Die hierfür notwendigen Kenntnisse aus der Bauwerksprüfung gelten dabei als Startpunkt für eine Vorhersage. Für eine Vorhersage „a priori“, d.h. für eine Vorhersage ohne reale Daten, sind die Parameter aus den vorhandenen Literaturstellen abzuschätzen. In einem vollprobabilistischen Ansatz werden alle Parameter als stochastische Variablen betrachtet 308 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis und mit einer statistischen Verteilung beschrieben. Für die Erhaltungspraxis ist der Einfluss solcher statistischen Parameter auf die Vorhersage von besonderer Bedeutung, um die Genauigkeit der Aussage einschätzen und damit eine Erhaltungsstrategie festlegen zu können. Darüber hinaus setzt die Berechnung der Restnutzungsdauer die Festlegung von Kriterien für die Definition eines relevanten Grenzzustandes voraus. Als Grenzzustand für die chlorid- und karbonatisierungsinduzierte Bewehrungskorrosion wird im Allgemeinen die „Depassivierung der Bewehrung“ angenommen, die mit der Wahrscheinlichkeit ihres Entstehens gekoppelt wird. In Anlehnung an die Grenzzustände für die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit, wird hierfür oft auch ein Zuverlässigkeitsindex angewendet. Bei einer praktischen Anwendung der probabilistischen Methoden sind u.a. die Eingangsparameter im Modell, die Berechnungen selbst, die Festlegung von notwendigen Bauwerksprüfungen und die Auswirkungen der vorausgesetzten Grenzzustände auf den Bauteilzustand in Abhängigkeit von der Zuverlässigkeit maßgebend. Diese Zusammenhänge prägen die physikalische Bedeutung der Restnutzungsdauer und stellen eine Herausforderung für die Erhaltungspraxis dar. Jedoch kann die Bestimmung einer rechnerischen Restnutzungsdauer des Bauwerks eine große Hilfe für die Erhaltungspraxis darstellen. 2. Zur Restnutzungsdauer Gültige Regelwerke für Ingenieurbrückenbauwerke aus Beton wie z. B. DIN EN 1990 [5], DIN EN 1992-2 [6] fordern die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit, die ausschließlich unter Berücksichtigung von umgebungs- und lagerungsbedingten Einflüssen betrachtet wird. Dauerhaftigkeitsrelevante Schädigungsprozesse im Ingenieurbau aus Stahl- und Spannbeton, die zu Schäden und Mängeln im Bauwerk führen können, sind z. B. die Karbonatisierung des Betons und das Chlorideindringen in Stahl- und Spannbeton. Weltweit werden traditionelle Nachweise der Dauerhaftigkeit auf deskriptiver Basis durchgeführt und sind auch im Regelwerk enthalten. Jedoch enthalten die pränormativen Arbeiten auch Bemessungsformate, die Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen ermöglichen. 2.1 Das aktuelle Vorgehen Nach aktuellem Regelwerk wird die Lebensdauer als die Zeitdauer festgelegt, innerhalb der die Nutzung eines Tragwerks unter Berücksichtigung der zu „erwartenden Instandhaltung“ [5] und „ohne wesentliche Instandsetzungsmaßnahmen“ [7] sichergestellt ist. Hierbei wer-den aber quantitative Angaben für eine Festlegung von „zu erwartenden“ und/ oder „wesentlichen Maßnahmen“ im Regelwerk nicht festgelegt. Nach RI-ERH-ING [8] ist die theoretische Nutzungsdauer ein Erfahrungswert für die mögliche Nutzungsdauer eines Bauwerks oder eines Bauwerksteils, die im Jahr ihrer Fertigstellung beginnt. Die Restnutzungs-dauer wird als der Zeitraum bis zur voraussichtlichen nächsten Erneuerung des Bauwerks oder des Bauwerksteils verstanden. Dabei soll die Dauer unter Aufrechthaltung der Standsicherheit und Verkehrssicherheit bei planmäßiger Nutzung und planmäßiger Bauwerkserhaltung erreicht werden. Die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von neuer Infrastruktur aus Beton erfolgt zurzeit weltweit anhand expositionsabhängiger Angaben zu Betonzusammensetzung, Bauteilgeometrie und Ausführungsregeln, die auf Labor- und Bauwerksprüfungen, empirischen Zusammenhängen, sowie auf Erfahrungswerten basieren. Die Anforderungen berücksichtigen, dass eine ausreichende Betondeckung, die Dichtigkeit des Betons und die Ausführungsqualität die maßgebenden Einflüsse sind. Die in Abhängigkeit der Expositionsklassen gestellten Mindestanforderungen sollen eine geplante Nutzungsdauer des Betons von mindestens 50 Jahren gewährleisten [7]. Für bestehende Bauwerke basiert der heutige Erhaltungsansatz auf Beobachtung, Prüfung, Schadenserfassung und Zustandsbewertung in festgelegten Zeitintervallen im Rahmen der Bauwerksprüfung. In Abhängigkeit von Schadenstyp und -umfang werden Maßnahmen unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Aspekten geplant und durchgeführt. Bei dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen können sich die Betoneigenschaften nachteilig verändern. Der Beton schützt mit seinem alkalischen Milieu zunächst den Stahl vor Korrosion durch den auf der Stahloberfläche ausgebildeten Passivfilm. Die Bewehrungskorrosion kann erst einsetzen, wenn der Passivfilm z. B. durch Chlorideindringen zerstört wird, d.h. bei Depassivierung der Bewehrung. Man geht davon aus, dass eine Schädigung nach Depassivierung der Bewehrung während der Wachstumsphase fortschreiten kann, wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind, wie z. B. ein ausreichender Feuchte- und Sauerstoffgehalt, s. Bild 1. Somit stellt die Depassivierung der Stahloberfläche in Prinzip noch keine Schädigung dar. Bild 1 zeigt, dass die Erfassung der Schäden in der Regel nach dem Auftreten von Schäden bzw. Mängeln stattfindet. Dies entspricht einem Stadium, in dem die Einleitungsphase lokal, an einige singulären Stellen des Bauwerks, beendet ist. Dieses Bemessungsformat ergibt aber kein quantitatives Kriterium für „das Ende der Nutzungsdauer“ und auch nicht für die Restnutzungsdauer von einem Bauwerk oder Bauteil und steht im Gegensatz zur Tragwerksbemessung für statische und dynamische Beanspruchungen. Das aktuelle Vorgehen ist an deskriptive Verhältnisse und an die Erfahrung gekoppelt. Mit dem aktuellen Vorgehen wird eine Ankündigung des Versagens vorausgesetzt. Die erkannten Schäden werden reaktiv und i.d.R. nach Auftreten beseitigt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 309 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Bild 1: Schädigungsverlauf in Anlehnung an [9] Zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit nach DIN EN 1990 [5] darf „das Maß der zeitabhängigen Änderungen der Eigenschaften“ nicht nur durch Messungen und Erfahrungen sondern auch durch Berechnungen oder in ihrer Kombination bestimmt werden. Eine Abschätzung des Bauwerkszustands bevor sichtbare Schäden entstehen kann zu einer prädiktiven und quantitativen Abschätzung der Restnutzungsdauer führen und somit zu einer Verbesserung und Vereinfachung der zu treffenden Maßnahmen im Rahmen des Erhaltungsmanagements beitragen. 2.2 Zur Berechnung der Restnutzungsdauer Die Berechnung der Restnutzungsdauer stützt sich auf die Bestimmung einer Lebensdauer, die bei einer Bemessung auf dem Vergleich zwischen einem geforderten Zuverlässigkeitsindex und der für die vorhandenen Einwirkungen und Bauteilwiderstände berechneten Bauteil-Zuverlässigkeit basiert: eine mögliche Schädigung (negative Veränderung der Betoneigenschaften) erreicht einen Grenzzustand mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Im Bauteil sind weder die Einwirkung noch das Verhalten des Bauteils exakt bekannt und sie sind stochastisch verteilt. Sowohl die Einwirkungen als auch die entgegengesetzten Bauteilwiderstände sind in hohem Maß zeitabhängig und folgen während der Initiierung und des Wachstums einer Schädigung (s. Bild 1) unterschiedlichen Gesetzen. Nach [1,2] ist die Bemessungsdauer mit einem Grenzzustand, mit einer zeitlichen Angabe in Jahren und mit einem bestimmten Wert für den Zuverlässigkeitsindex festzulegen. Das bedeutet, dass Angaben zu Wahrscheinlichkeiten zur Erfüllung der Anforderungen an die Bemessungsdauer aufgestellt werden, die der angestrebten Nutzungsdauer entsprechen. Die tatsächliche Lebensdauer endet, wenn ein Tragwerk oder ein Teil davon den Mindest-Sollzustand erreicht hat. Somit wird die Restlebensdauer als die noch vorhandene Lebensdauer zu einem bestimmten Zeitpunkt verstanden, vorausgesetzt dass der aktuelle Zustand bekannt ist. Das Ende der Lebensdauer wird in der Bemessung mit dem Grenzzustand der Tragfähigkeit (Ultimate Limit State ULS) oder mit dem Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (Serviceability Limit State SLS) berücksichtigt. Für die Dauerhaftigkeit wird die Depassivierung als Grenzzustand aller anderen Zustände betrachtet, die sich danach einstellen könnten. Somit werden bei der Dauerhaftigkeit meistens der Gebrauchstauglichkeit (SLS) ähnelnde Grenzzustände betrachtet. Sie entsprechen aber nicht den klassischen Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit, weil nach der Überschreitung die Gebrauchstauglichkeit nicht unmittelbar beeinträchtigt wird. Sie bilden vielmehr Ersatzgrenzen [10]. Die Bemessungsdauer (geplante Lebensdauer) unter dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen ist an das Ende der Einleitungsphase gekoppelt. Die Berechnung beschränkt sich auf die Transportprozesse bis zur Depassivierung und somit ist die Bestimmung der Restnutzungsdauer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nur bis zum Ende der Einleitungsphase möglich. Sowohl die Karbonatisierung des Betons als auch das Eindringen von Chloriden in die Betondeckung sind diffusionsgesteuerte Transportprozesse und für beide Mechanismen werden Modelle verwendet, die auf Diffusionsgesetzen basie- 310 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis ren. Der Grenzzustand wird erreicht, wenn ein kritischer Chloridgehalt an der ersten Bewehrungslage erreicht wird, beziehungsweise wenn die Karbonatisierungsfront bis zu dieser vordringt. Vor einer Bemessung muss die maximal akzeptierte Wahrscheinlichkeit, die die Eintrittswahrscheinlichkeit eines „Versagens“ darstellt, festgelegt werden. Stattdessen kann auch ein Zuverlässigkeitsindex angegeben werden. Dieser ist über die inverse Funktion der Normalverteilung definiert. Übliche Zuverlässigkeitsindizes für neue Betonbauteile, die zum Ende der geplanten Nutzungsdauer erreicht werden sollen, werden in Abhängigkeit von der Exposition mit β = 0,5 und β = 1,5 angegeben [11]. Diese Zuverlässigkeitsindizes korrespondieren mit einer Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit von 3 0,8 % bzw. 6,7%. Ziel der vollprobabilistischen Bemessung ist die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass ein Bauwerkwerk oder ein Teil davon die festgelegte Bemessungsdauer erreicht. Für eine quantitative Dauerhaftigkeitsbemessung sind probabilistische Prognosemodelle für den Grenzzustand der Depassivierung in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden [1, 2]. 3. Herausforderung des probabilistischen Verfahrens Die Anwendung von probabilistischen Berechnungs-verfahren für die Dauerhaftigkeit kann auch für Brückenbauwerke aus Beton in deutschen Bundesfernstraßen möglich sein und für die Erhaltungspraxis herangezogen werden [4]. Jedoch benötigen die Methoden Ergebnisse aus Labor- und Bauwerkprüfungen, um die altersabhängigen Eingangsparameter der Modelle zuverlässig ermitteln zu können. Die relevanten Eigenschaften der Betondeckung sollten vor dem Eintreten von visuellen Schäden erfasst werden und der Umfang der Prüfungen sollte unter Berücksichtigung der für die Modelle notwendigen Daten festgelegt werden. 3.1 Die Modelle und die Modellparameter Es gibt viele empirische und semiempirische mathematische Modelle, die die Schädigung bis zum Ende der Einleitungsphase beschreiben. Diese Modelle betrachten mit unterschiedlicher Genauigkeit die physikalischen, chemischen, lagerungsbedingten, geometrischen und betontechnologischen Einflüsse. Die mathematischen Modelle zur Beschreibung der Materialschädigung in [1,2] basieren auf den Modellen, die im Europäischen Projekt DuraCrete entwickelt wurden [12]. Diese Modelle sind für die karbonatisierungsinduzierte und chloridinduzierte Korrosion vollständig entwickelt. Die Schädigungsmodelle in [1,2] stellen durch Gleichungen und Orientierungsbeiwerte der Variablen ein operatives Anwendungsmodell dar. In einem solchem Modell wird die Schädigung über den Chloridgehalt in der Tiefe der Betondeckung unter Berücksichtigung der zu quantifizierenden Eingabeparameter ermittelt. Die Variablen im Modell stellen den Widerstand über einen zeitabhängigen Diffussionskoeffizient des Betons und die Einwirkung über den zeitabhängigen Chloridgehalt in der Tiefe dar. Darüber hinaus werden Parameter zur Berücksichtigung der Temperatur und der Prüfmethode einbezogen. Dabei wird vorausgesetzt, dass der diffusionsbedingte Transport in nicht ständig wassergesättigtem Beton erst ab einer bestimmten Tiefe (Konvektions- oder Ersatzzone) der maßgebende Transportprozess ist. Deshalb wird eine Anpassung in der Diffussionsgleichung ab der Tiefe dieser Zone durchgeführt. Zur Abschätzung des Chloridgehalts C(x,t) in Tiefe x zu Zeit t wird Gleichung (1) angewendet [1]: (1) Dabei sind C 0 der Eigenchloridgehalt des Betons, C S, Δ x der Chloridgehalt an der Ersatzoberfläche in einer Tiefe x = Δ x und D app (t) der zeitabhängige scheinbare Chlorid- Diffusionskoeffizient. Der Chlorid-Diffusionskoeffizient wird als „scheinbar“ bezeichnet, weil während des diffusionsgesteuerten Chloridtransports einige Chloridionen eingebunden oder Interaktionen mit anderen Ionen in Betongefüge eingehen können. Die zeitliche Entwicklung des Diffusionskoeffizients D app (t) wird in Abhängigkeit vom Referenzzeitpunkt t0 nach Gleichung (2) ermittelt: (2) Dabei ist D RCM (t 0 ) in m²/ s der Chloridmigrationskoeffizient, der mit dem Schnellchloridmigrationstest RCM in Labor im Alter t 0 ermittelt wird [3]. Der Beiwert α (-) stellt den sogenannten Alterungsexponent für die Zeitabhängigkeit von D app dar und der Umweltparameter k e berücksichtigt den Einfluss der Umgebungstemperatur [1]. Der scheinbare Diffusionskoeffizient D app (t) kann auch statt mit D RCM (t 0 ) über den instationären Chloriddiffusionskoeffizienten D nss (t 0 ) nach DIN EN 12390-11 [13] experimentell bestimmt werden. Jedoch unterscheiden sich die Werte der Diffusionskoeffizienten in Abhängigkeit von der Versuchsmethode. Der Alterungsexponent wird durch die Zementart und Exposition beeinflusst und wird mit Werten zwischen 0 und 1 bestimmt. Bei α =0 sind die für das Chloridein-dringen maßgebenden Transporteigenschaften des Betons über die Zeit konstant. Für 0 < α < 1 wird eine Abnahme des Diffusionskoeffizienten über die Zeit ermittelt; für α = 1 bleibt das Chloridprofil ab t 0 über die Zeit konstant. Andere Werte für α und auch eine Zeitabhängigkeit des Exponenten sind theoretisch denkbar, wird jedoch in 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 311 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis den vorhandenen Modellen für den Alterungsexponenten nicht betrachtet [14]. Als Orientierungswerte können die für Gleichung 2 notwendigen Werte aus Literaturstellen entnommen werden: D RCM (t 0 ) wird in Abhängigkeit von der Betonzusammensetzung (Zementart- und -gehalt sowie vom w/ z-Wert) und α in Abhängigkeit von der Zementart und Exposition angegeben [1,2,3]. An dieser Stelle ist jedoch Vorsicht geboten und nur Parameter, die mit gleichen Versuchsmethoden bestimmt wurden, sind anzuwenden. Der Zeitpunkt t 0 wird i.d.R. mit 28d angegeben. Zum Beispiel werden Mittelwerte für D RCM (t 0 =28d) von 15,8 ∙ 10 -12 m²/ s bzw. 2,8 ∙ 10 -12 m²/ s für einen CEM I 42,5 R bzw. CEM I 42,5 R mit Flugasche mit einem äquivalenten w/ z-Wert von 0,50 angegeben; für den Alterungsexponent α werden Mittelwerte in Abhängigkeit von der Zementart in den Expositionsklassen XD2 und XD3 von 0,30 für CEM I 42,5 R und 0,60 für CEM I 42,5 R mit Flugasche angegeben. Für die Expositionsklasse XD1 kann unabhängig von Zementart ein Mittelwert für a von 0,65 angenommen werden [z.B. 1,2,12]. Orientierungswerte für die Ersatzoberfläche und ihren Chloridgehalt können auch aus der Literatur entnommen werden. Falls Daten aus bestehenden Bauwerken vorhanden sind, kann Gleichung (3) angegeben werden: (3) Dabei wird D app (t i ) und aapp durch eine Regressionsanalyse gemessener Chloridprofile aus dem Bauwerk für mindestens 2 verschiedenen Zeitpunkte bestimmt. Hierfür muss das erste Chloridprofil mindestens 10 Jahre nach der Beaufschlagung des Bauteils erfasst werden und der zeitliche Abstand zwischen den weiteren Chloridprofilen minimal 5 Jahre betragen. Ebenfalls kann der Alterungsexponent aus Untersuchungen anderer Bauwerke mit gleicher Betonzusammensetzung, Ausführungsqualität und Einwirkungsbedingungen erfolgen [3,10]. Eine Bewertung der Restnutzungsdauer bei Anwendung der vollprobabilistischen Methode setzt jedoch Kenntnisse über den Einfluss der Eingangsparameter auf die Ergebnisse voraus. In der Erhaltungspraxis sind Kenntnisse über die Auswirkungen auf den zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Chloridgehalt im Bauwerk, bzw. auf die Lebensdauer notwendig, um bei der Erhaltungsstrategie mögliche Szenarien berücksichtigen zu können. Obwohl die Berechnungen vollprobabilistisch durchzuführen sind, kann der Planungsund/ oder Erhaltungsingenieur den relativen Einfluss verschiedener Parameter auf die Ergebnisse mit einer einfachen Tabellenkalkulation und zunächst ohne probabilistische Ansätze, d.h. deterministisch, abschätzen. Bild 2: Deterministisch berechnete Lebensdauer in Abhängigkeit der Alterungsexponent α [15] Bild 2 zeigt als Beispiel die deterministisch ermittelte Lebensdauer in Abhängigkeit vom Alterungsexponenten. Eine Änderung des Alterungsexponenten von 0,5 auf 0,6 würde bei einer Betondeckung von 45 mm eine Änderung der Lebensdauer von ca. 100 auf 1000 Jahre bedeuten. Die Ergebnisse in Bild 2 wurden mit Gleichung (2) ermittelt. Jedoch können die zunächst aus Literaturstellen übernommenen Werte für die Berechnungen stark von den im Bauwerk bestimmten Werten abweichen. Zum Beispiel wird für einen Zement CEM III B ein Alterungsexponent von 0,45 angegeben [1], während die auf Chloridprofilen basierenden Alterungsexponente realer Strukturen einen Wert von mehr als 0,60 ergaben [15]. Die deterministischen Berechnungen können nur eine erste Hilfestellung sein. Um den Einfluss von maßgebenden Parametern bei probabilistischen Berechnungen veranschaulichen zu können sollten z. B. Sensitivitätsanalysen herangezogen werden. Sie zeigen die Auswirkung streuender Eingangsparameter vom Modell auf das Ergebnis. Bild 3 zeigt ein Beispiel für die Sensitivitätsanalyse unter Anwendung der deskriptiven Regeln für Brückenbauwerke aus Beton nach ZTV-ING [16]. Für die Bemessung werden die Auswirkungen hoher Einwirkungen und geringer Materialwiderstände denen hoher Materialwiderstände und geringer Einwirkungen gegenübergestellt. Dabei wurden reale Klimadaten verschiedener Orte in Deutschland berücksichtigt. Bild 3 zeigt, dass vor allem unter vollprobabilistischen Betrachtungen der Alterungsexponent, der Chloridgehalt an der Ersatzoberfläche und die Temperatur in Abhängigkeit von der Bemessungssituation maßgebend sind. Die Ergebnisse zeigen [17], dass für XD-exponierte Bauteile genaue Angaben des Alterungsexponenten, der Diffusionskoeffizienten, der Oberflächenchloridgehalt und der Temperatur die Modellunsicherheit reduzieren. Die ausgeführten Zusammenhänge zeigen, dass der Einfluss der Parameter im Modell auf die Ergebnisse sehr groß sein kann. Und somit stellen sich einige offene jedoch praxisrelevante Fragen, die zurzeit noch nicht beantwortet werden können. An dieser Stelle und für die Erhaltungspraxis sind insbesondere von Bedeutung: die 312 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Auswirkung und Bedeutung der Streuung und der Annahmen in den Modellen bezüglich der Zeitabhängigkeit der Koeffizienten und der Prüfungen im Vergleich mit den Ergebnissen aus der Bauwerksprüfung. Darüber hinaus ist die Auswirkung von Vereinfachungen in den Annahmen und Berechnungen auf die berechnete Restnutzungsdauer zu erfassen, um die Prognose um mögliche Maßnahme im Rahmen der Erhaltungspraxis einschätzen zu können. 3.2 Die Prognose bis zur Depassivierung Bei Dauerhaftigkeitsbetrachtungen nimmt die Schädigung und somit die „Versagenswahrscheinlichkeit“ mit der Zeit zu, d.h. die Wahrscheinlichkeit der Depassivierung steigt und somit nimmt mit der Zeit die Zuverlässigkeit im Hinblick auf Depassivierung ab. Bei einer probabilistischen Prognose der Lebensdauer unter z. B. Chlorideindringen in die Betondeckung wird eine akzeptierte Eintrittswahrscheinlichkeit der Depassivierung, bzw. des damit verbundenen und im Voraus festgelegten Zuverlässigkeitsindex verbunden. Die Zuverlässigkeit ist ein Wahrscheinlichkeitsbegriff, der mit der Wahrscheinlichkeit des Versagens korreliert. Zum Beispiel bedeutet ein Index von b = 0 eine Versagenswahrscheinlichkeit von 50% und negative Werte des Index sind mit einer Wahrscheinlichkeit > 50% verbunden. Eine Wahrscheinlichkeit von 100 % bedeutet, dass mit Sicherheit überall im Bauteil Depassivierung eingetreten ist. Eine Wahrscheinlichkeit von 0% bedeutet, dass im Bauwerk nirgendwo Depassivierung der Bewehrung eingetreten ist [15]. 1: >S, <R; 2: <S, >R; S: Exposition; R: Material, Geometrie c: 45 mm und 55 mm; z = 320 kg/ m 3 ; w/ z = 0,50 Bild 3: Beispiel für die Sensitivitätsanalyse für die Exposition XD nach [17] Die Bestimmung von b ist vom Grenzzustand abhängig und muss durch Transformation der Variablen und Iteration bestimmt werden. Dabei kann gezeigt werden, dass die berechnete Zuverlässigkeit von der statistischen Streuung der Parameter im Modell abhängig ist. Die Faktoren für diese Abhängigkeit werden als Sensivitätsfaktoren bezeichnet: Je größer der Sensitivitätsfaktor einer Zufallsvariable ist, desto größer ist deren Einfluss auf die Depassivierung, s. Bild 3. Die aktuellen Konzepte zur Bemessungsdauer (geplante Lebensdauer) sind an das Ende der Einleitungsphase gekoppelt. Somit bestimmen die Berechnungen eine mathematische Wahrscheinlichkeit für die Depassivierung. Diese Wahrscheinlichkeit gibt aber keinen eindeutigen Hinweis über das Ausmaß einer möglichen Korrosion, obwohl man davon ausgeht, dass je höher die Wahrscheinlichkeit ist, desto größer die betroffenen Bereiche sein mögen. Auf welche Weise die rechnerisch angestrebte und bestimmte Bemessung erreichtwird, hängt einerseits vom Bemessungskonzept und andererseits von den bei der Festlegung der Zuverlässigkeit relevanten Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ab, wie z. B. Ursache und Folgen des Versagens, Kosten, Akzeptanz des Versagens. Im aktuellen pränormativen Regelwerk werden nicht einheitliche Werte für die Zuverlässigkeitsindizes angegeben. Die Festlegung der Versagenswahrscheinlichkeit für die Dauerhaftigkeit wird nach [1] mit einem b = 1,28, d.h. eine Wahrscheinlichkeit der Depassivierung von ca. 10% betrachtet. Dieser Wert liegt etwas höher als der in DIN EN 1990 [5] empfohlene Wert für die Gebrauchstauglichkeit. In DuraCrete [12] werden Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von den ggf. akzeptierten Kosten für eine Instandsetzungsmaßnahme zwischen 10 % ( b = 1,28) und 0,009 % ( b = 3,72) angegeben. Übliche Zuverlässigkeitsindizes für neue Betonbauteile, die zum Ende der geplanten Nutzungsdauer erreicht werden sollen, werden in Abhängigkeit von der Exposition mit b = 1,5 für XC1(ständig nass), XC2, XC4 und XD1 und b = 0,5 für XC3, XD3 und XD2 angegeben [11]. Diese Zuverlässigkeitsindizes korrespondieren mit einer Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit von 30,8 % bzw. 6,7 %. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 313 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Eingangsparameter C S, Δ X : µ = 3,00 %, s = 0,60 %, Normal; C 0 : µ = 0,10 %, s = 0,025 %, Normal; D RCM (t 0 = 28d): µ = 1,9∙10 -12 m 2 / s, s = 0,38∙10 -12 m 2 / s, LogNormal; C crit : µ = 0,60 %, s = 0,15 %; a= 0,2; b = 2,0; Beta; Δ x = 0 mm; c: µ = 60 mm, s = 8 mm; Normal; T real : µ = 284,4 K, s = 7,5 K, Normal, T ref : 293 K; Monte Carlo-Simulation mit 50.10³ Simulationen (Chloridprofile) Bild 4: Depassivierungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Alterungsexponenten Bild 4 zeigt der Einfluss des Alterungsexponents a auf die Ergebnisse der Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit ab dem Zeitpunkt einer Bauwerksprüfung (t insp ) von 30 Jahren und abhängig von den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Werten aus gemessenen Chloridprofilen. Für einen akzeptierten Wert von b =1,5 wird der berechnete Grenzzustand hinsichtlich Depassivierung im diesem konkreten Beispiel für XD2 oder XD3, und abhängig vom α -Wert zwischen ca. 23 bis 45 Jahre nach der Inspektion erreicht. Diese Zeitspanne ist durch die Variation des Alterungsexponents bedingt. Soll der Zuverlässigkeitsindex oder die der Anzahl an dem Zeitpunkt t insp verfügbare Chloridprofile kleiner werden, dann nimmt diese Zeitspanne zu. Dies könnte der Ungenauigkeit beim Alterungsexponent entsprechen. Die in Bild 4 grafisch dargestellten Ergebnisse basieren auf einer vollprobabilististischen Berechnung. Dabei sind die notwendigen statistischen Angaben zum kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt Ccrit aus [1] verwendet worden. Jedoch wird in der Literatur über wesentlich höhere kritische Chloridgehalte für die meiste Praxisfällen berichtet [18,19]. In [18] wird eine deutliche Variation des Ccrit anhand von Untersuchungen an verschiedenen Bauwerken festgestellt. Die Werte liegen teilweise unter- und teilweise oberhalb des Normwerts. Das Fazit ist, dass für eine zuverlässige Restnutzungsbemessung der kritische Chloridgehalt objektspezifisch betrachtet werden sollte. In [17] wurden übliche Betonzusammensetzungen nach ZTV-ING [16] vollprobabilistisch berechnet. Bild 5 zeigt, dass sich der berechnete Zuverlässigkeitsindex im Soll- und Ist-Zustand im Spektrum der für die XD1-Exposition berechneten Zuverlässigkeitsindices unter Berücksichtigung der deskriptiven Angaben in ZTV-ING [16] befinden. Zuverlässigkeit. Spektrum, Soll- und Ist-Zustand D RCM (t 0 ) [10 -12 m²/ s] C S, Δ x [M%/ b] c [mm] Spektrum: XD1_1_45; XD1_2_45 z = 320 kg/ m³; w/ z = 0,50 µ 15,8; 2,8 1,5; 0,5 45 s 3,16; 0,56 1,1; ,4 3 Soll-Zustand; Ist-Zustand Baujahr 1965; Inspektion 1999 CEM I; z = 350 kg/ mm³, w/ z = 0,38 µ 8,9; 0,3 1,0; 0,35 45; 33 s 1,78; 0,3 0,75; 0,2 5,0; 5,5 α = 0,65 ± 0,12; b e = 4800 ± 700 K; Δ x = 0 mm; C 0 = 0 M.-%/ b; C crit = 0,6 ± 0,15 M.-%/ b µ: Mittelwert; s : Standartabweichung Bild 5: Beispiele für die Entwicklung der Zuverlässigkeit für die Exposition XD1 mit Gleichung (1) nach [17] Für den Soll-Zustand wurden Parameter aus der Literatur für die vorhandene Betonzusammensetzung gewählt; für den Ist-Zustand wurde der Diffusionskoeffizient, der aus sechs Chloridprofilen, die in jeweils drei Tiefen aus einer Bauwerksprüfung aus ungerissenen Bereichen gemessen wurden, abgeleitet [17]. Bild 5 zeigt auch, dass eine Zielzuverlässigkeit von b = 1,5 für starke Einwirkung und schwachen Chlorideindringwiderstand rechnerisch nicht über 50 Jahre eingehalten wird. Liegen jedoch hohe Widerstände bei schwachen Einwirkungen vor, fällt b rechnerisch auch nach 100 Jahren nicht unter 2 und ist damit auf der sicheren Seite. Im Ist-Zustand ist b größer als im Soll-Zustand, obwohl die reale Betondeckung kleiner als der vorausgesetzte Wert ist und die reale Oberflächenchloridgehalt schwächer als die angenommene Chloridbelastung. Auch noch nach 100 Jahren wird rechnerisch ein höherer Zuverlässigkeitsindex als der geforderte Wert gefunden. 314 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Eine Anwendung setzt eine Validierung der Berechnungen in der Praxis für Brückenbauwerke voraus. Die Ergebnisse in [17] können nicht unmittelbar in der Praxis Berücksichtigung finden, da für eine sichere Anwendung noch deutlich mehr Ingenieurbauwerke aus verschiedenen Expositionsklassen mit einer breiteren Auswahl an Standorten/ Expositionen und Betonzusammensetzungen zur Verifizierung der Modellanalyse und vor allem für die Expositionsklassen XD2 und XD3 notwendig sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung von numerischen Programmen für diese Bestimmungen unverzichtbar ist. Jedoch wäre eine scharfe Trennung zwischen möglichen Methoden, Annahmen, Berechnungen, Ergebnissen und Vergleichen von Vorteil, um in der Praxis die Anwendung zu ermöglichen. 3.3 Ergebnisse für Ingenieurbauwerke Eine Verbesserung der Genauigkeit der rechnerischen Vorhersage wird durch den Vergleich mit Ergebnissen aus Ingenieurbauwerken erreicht. Jedoch stellt eine sinnvolle Anwendung solcher Modelle hohe Anforderungen an die Quantität und Qualität der Ergebnisse der Bauwerksprüfung. Zum Beispiel ist die Messung der realen Betondeckung notwendig, falls sie bei der Abnahme nicht bestimmt wurde. Darüber hinaus wird es in [17] empfohlen, dass z. B. im Fall der Chloridexposition die Proben aus mindestens vier, besser fünf relevante Tiefenlagen entnommen werden sollen. Darüber hinaus sind die Proben im Bauwerk aus nicht beschädigten Betonoberflächen zu entnehmen um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Einleitungsphase entsprechen. Nach [2] werden Risse bis 0,2 mm für die Dauerhaftigkeit nicht berücksichtigt und der Depassivierungsfortschritt des Stahls im Beton mit Rissen bis 0,2 mm wird analog zum ungerissenen Beton angenommen. Aus den vorhandenen wissenschaftlichen Literaturstellen sind zurzeit eindeutige Zusammenhänge zwischen Berechnungen und Messdaten aus Ingenieurtragwerken nicht zu entnehmen. Solche Informationen werden vermisst um die Streuung der Variablen in den Modellen absichern zu können. Experimentelle Ergebnisse aus Laborprüfungen und Bauwerksprüfungen und die daraus resultierenden Berechnungen sollten vergleichend dargestellt werden. Der Einfluss der Betonzusammensetzung auf die Modellergebnisse sollte zunächst anhand von Laboruntersuchungen vergleichend mit den Ergebnissen aus dem Bauwerk dargestellt werden. Unter Berücksichtigung der bestehenden Bauwerke stellt sich grundsätzlich die Frage über den Einfluss der Auswirkung der Ausführungsqualität und der Anzahl an kostenspieligen Untersuchungen. Die Bauwerksprüfverfahren sind nicht immer einheitlich. Welche Untersuchungen erforderlich wären, um die Genauigkeit der Ergebnisse zu verbessern und eine Vereinfachung treffen zu können, ist zurzeit noch unbekannt. Darüber hinaus stellt es sich heraus, dass für Brückenbauwerke viele Untersuchungen, Berechnungen, Anwendungen und Validierungen vorhanden sind. Jedoch ist die enthaltene Information kaum verfügbar und es wäre vom Vorteil, wenn diese Ergebnisse Eingang durch eine geeignete Betrachtung in die genannten Prognosen finden könnten. Den vorhandenen Berechnungen mangelt es manchmal an Transparenz bei der Abschätzung der Orientierungswerte. Vereinfachungen bei den Annahmen und deren Auswirkung auf die Genauigkeit bleiben unbekannt. Die Erfahrung des Ingenieurs ist gefragt, jedoch ist tatsächlich die für die Auswahl nötige Erfahrung in der Regel nicht vorhanden. Somit ist die Frage der Möglichkeiten der Analyse der Ergebnisse durch Planungs- und Prüfingenieure von Bedeutung. 4. Aspekte für eine praktikable Bemessung Die aktuelle Erhaltungspraxis erfasst Schädigungsprozesse im Brückenbau, die zu Schäden und Mängeln im Bauwerk führen können, durch planmäßige Inspektionen im Rahmen der Bauwerksprüfung. Hier werden auch typische Schädigungen im Sinne z. B. der Karbonatisierung des Betons und der Chlorideindringung in den Beton berücksichtigt. Dabei wird ein gewisses Schädigungsniveau in Abhängigkeit von der Tiefe der Karbonatisierungsund/ oder der Chlorideindringtiefe erreicht und Beurteilungsnoten werden erteilt. Diese Ergebnisse ermöglichen eine systematische und sichere Bauwerkserhaltung. Jedoch ist es denkbar, dass die probabilistischen Verfahren die Grundlage zur Vorhersage der Nutzungsdauer und der damit verbundenen Restnutzungsdauer in Brückenbauwerken darstellen können. Der in den vorherigen Abschnitten beschriebene Ansatz für die Dauerhaftigkeit benötigt Ergebnisse aus Labor- und Bauwerksprüfungen. Die Betoneigenschaften des Bauwerks sollten vor dem Eintreten von visuellen Schäden erfasst werden und der Umfang der Prüfungen sollte unter Berücksichtigung der für die Ansätze notwendigen Daten festgelegt werden. Vereinfachungen der Methoden, Selektierung der Parameter und Darstellung ihrer Auswirkung auf die Ergebnisse sowie die Analyse, die aus der Schadensebene auf die Systemebene und aus der Bauteilebene auf das System Brücke schließt, können eine Basis zur Bewertung der Ergebnisse bilden. Angesichts der noch bestehenden Herausforderungen bei der Anwendung eines solchen Ansatzes sind folgende Aspekte zu betrachten: - Die physikalische Bedeutung der Parameter und seiner Genauigkeit in den rechnerischen Modellen und die Möglichkeiten von Vereinfachungen im Hinblick auf eine praktische Anwendung - Die notwendigen Prüfungen für Validierung und Überprüfung - Die Erklärung der physikalischen Bedeutung der Zuverlässigkeit und der Folgen für das Bauwerk-Ma- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 315 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis nagement in Abhängigkeit von gewähltem Parameter in Modell - Erläuterungen durch Beispiele und Betrachtungen zur Wirtschaftlichkeit der Methode Mit solchen probabilistischen Methoden und ihrer Validierung ist denkbar eine Verkopplung zwischen Prognose, Inspektionen, und Erhaltung zu entwickeln. Hierfür scheint zusätzlich zur weiteren Forschung, ein regelmäßiger fachlicher Austausch zwischen Bauherren, Planern und Wissenschaft wichtig zu sein. Dabei könnten die Möglichkeiten einer Umsetzung der Verfahren für Straßeninfrastrukturen betrachtet werden. Somit kann eine Strategie für eine effiziente Durchführung von notwendigen Labor- und Bauwerksuntersuchungen in Zusammenhang mit den o. g. Ansätzen erarbeitet werden. Die Ergebnisse sollen eine Lebensdauerbewertung unter Berücksichtigung der heutigen und der zukünftigen Vorgehensweisen ermöglichen. Vollprobabilistische Ansätze können einen Übergang von den derzeitigen deskriptiven Bewertungsverfahren zu einer Vorgehensweise ermöglichen, die sich auf einer leistungsbezogenen und ggf. zuverlässigkeitsbasierten Ansatz stützt. Dadurch könnte die Erhaltungsstrategie ergänzt und die Implementierung eines Lebenszyklusmanagements ermöglicht werden. Zurzeit sind nur unpräzise Aussagen über die tatsächliche Nutzungsdauer von Brücken bezüglich der Dauerhaftigkeit möglich. Literatur [1] Fib Bulletin 34: Model Code for Service Life Design. International Federation for Structural Concrete. Lausanne, February 2016 [2] Fib Model Code for Concrete Structures 2010. Ernst&Sohn, Berlin 2013 [3] BAW-Merkblatt: Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauwerken bei Karbonatisierung und Chlorideinwirkung (MDCC). Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) 2017 [4] Alonso Junghanns, M.T.; Haardt, P.: Rechnerische Dauerhaftigkeitsbemessung für Brückenbauwerke aus Beton: Status quo. 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