Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
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Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb
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Dominik Waleczko
Shervin Haghsheno
Andreas Westendarp
Die für Betrieb und Unterhaltung der Bundeswasserstraßen zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) betreibt aktuell etwa 260 Einkammerschleusen. Für die Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen an derartigen Anlagen müssen diese nach heutigem Stand vollständig gesperrt werden. Dies bedingt teilweise erhebliche Beeinträchtigungen der Schifffahrt, da eine Umleitung in vielen Fällen nicht möglich ist. Oft wird ein technisch und
wirtschaftlich aufwendiger Ersatzneubau realisiert, da Verfahren zur Instandsetzung unter Betrieb, trotz der Durchführung von Probemaßnahmen und der Erarbeitung von theoretischen Konzepten, nicht hinreichend ausgearbeitet sind. In diesem Beitrag wird ein Entscheidungsunterstützungssystem (EUS) vorgestellt, welches dem Anwender hilft, ein Instandsetzungsverfahren auszuwählen. Das EUS ist so aufgebaut, dass es auch zur Lösung anderer Entscheidungsprobleme im Bauwesen verwendet werden kann. Um dies aufzuzeigen, werden Grundzüge der Entscheidungstheorie sowie die Entscheidungsphilosophie Choosing by Advantages (CBA) kurz vorgestellt.
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7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 383 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Dominik Waleczko, M.Sc. Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB), Karlsruhe, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Shervin Haghsheno Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB), Karlsruhe, Deutschland Dipl.-Ing. Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung Die für Betrieb und Unterhaltung der Bundeswasserstraßen zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) betreibt aktuell etwa 260 Einkammerschleusen. Für die Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen an derartigen Anlagen müssen diese nach heutigem Stand vollständig gesperrt werden. Dies bedingt teilweise erhebliche Beeinträchtigungen der Schifffahrt, da eine Umleitung in vielen Fällen nicht möglich ist. Oft wird ein technisch und wirtschaftlich aufwendiger Ersatzneubau realisiert, da Verfahren zur Instandsetzung unter Betrieb, trotz der Durchführung von Probemaßnahmen und der Erarbeitung von theoretischen Konzepten, nicht hinreichend ausgearbeitet sind. In diesem Beitrag wird ein Entscheidungsunterstützungssystem (EUS) vorgestellt, welches dem Anwender hilft, ein Instandsetzungsverfahren auszuwählen. Das EUS ist so aufgebaut, dass es auch zur Lösung anderer Entscheidungsprobleme im Bauwesen verwendet werden kann. Um dies aufzuzeigen, werden Grundzüge der Entscheidungstheorie sowie die Entscheidungsphilosophie Choosing by Advantages (CBA) kurz vorgestellt. 1. Einleitung Die aufgrund von Instandsetzungsarbeiten längerfristige Sperrung einer Einkammerschleuse, führt zu einem großen volkswirtschaftlichen Schaden. Da für die herkömmliche Grundinstandsetzung einer Schleusen-kammer erfahrungsgemäß zwei Jahre angesetzt werden müssen, ist es die Aufgabe der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) über Alternativen nachzudenken, da sie für den Betrieb und die Unterhaltung der Schleusenanlagen an deutschen Bundeswasserstraßen verantwortlich ist. Aus diesem Grund wurde in der Vergangenheit die Bausubstanz oftmals nur notdürftig instandgesetzt oder ein Ersatzneubau realisiert. Die Möglichkeiten eines Ersatzneubaus sind jedoch beschränkt, da dieser nur bei bestimmten räumlichen Randbedingungen realisiert werden kann. Um auch in Zukunft Alternativen zur Verfügung zu haben, hat die WSV in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) das Projekt Instandsetzung unter Betrieb (IuB) ins Leben gerufen. Die WSV wird dabei durch das Wasserstraßen-Neubauamt Heidelberg (WNA Heidelberg) vertreten. Dieser Beitrag baut unmittelbar auf einen Beitrag [1] im 6. Kolloquium „Erhaltung von Bauwerken“ der TAE auf. Zur besseren Verständlichkeit wird dennoch auf notwendige Grundlagen kurz eingegangen. Außerdem knüpft dieser an den diesjährigen Beitrag „Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens“ [2] an. Dieser Beitrag geht vertieft auf die Fragestellung ein, wie ein passendes Instandsetzungsverfahren für eine konkrete Instandsetzungsaufgabe ausgewählt werden kann. Hierzu werden in Kapitel 2 die Heraus-forderungen bei einer Instandsetzung unter Betrieb beschrieben. Dazu wird kurz auf die Problemstellungen eingegangen, die im Rahmen der Instandsetzung unter Betrieb beachtet und gelöst werden müssen. Darauf aufbauend werden die Entscheidungsfaktoren vor-gestellt, die bei der Auswahl eines Instandsetzungs-verfahrens für das Projekt IuB berücksichtigt werden müssen. In Kapitel 3 werden die Grundzüge der Entscheidungstheorie beschrieben. Neben Definitionen wird gezielt auf verhaltensökonomische Phänomene der Entscheidungstheorie eingegangen, da diese das Handeln eines Menschen unmittelbar bei 384 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb dessen Entscheidungen beeinflussen. Darauf aufbauend wird das Grundmodell der Entscheidungstheorie vorgestellt. Abschließend wird in diesem Kapitel beschrieben, wie rationale Entscheidungen auf der Basis der Entscheidungsphilosophie Choosing by Advantages (CBA) getroffen werden können. Kapitel 4 befasst sich mit der Entwicklung eines Entscheidungsunter-stützungssystems (EUS) für das Projekt IuB. Es besteht jedoch der Anspruch, dass der darin enthaltene Entscheidungsprozess in jeglichen Entscheidungs-problemen des Bauwesens anwendbar ist. Zunächst werden die verschiedenen Entscheidungsverfahren miteinander verglichen, bevor ein allgemeingültiger Entscheidungsprozess beschrieben wird. Dieser Entscheidungsprozess wird im Anschluss daran aufgegriffen und die konkrete Umsetzung in einem EUS-Tool beschrieben. Außerdem wird ein Seminar vorgestellt, durch welches den Teilnehmern die Anwendung des Entscheidungsprozesses verdeutlicht werden soll. Abschließend wird ein Ausblick gewagt. 2. Herausforderungen bei der Instandsetzung von Schleusen unter Betrieb 2.1 Probleme bei der Instandsetzung unter Betrieb In [2] wurde bereits genauer auf die Problemstellungen eingegangen, die bei der Instandsetzung unter Betrieb zu beachten sind. Dabei liegt der Fokus jedoch auf den Herausforderungen und Problemen, die bei der Planung und Umsetzung solcher Maßnahmen beachtet werden müssen. An dieser Stelle sollen gezielt Problem-stellungen betrachtet werden, die sich mit Entscheidungen rund um Instandsetzungen von Schleusen befassen. Zuallererst muss angemerkt werden, dass bereits die Entscheidung für eine Instandsetzung unter Betrieb eine Herausforderung darstellt. Von einer Instandsetzung unter Betrieb wird im Rahmen des Projekts dann gesprochen, wenn Instandsetzungsbzw. Ersatz-maßnahmen am Massivbau oder dem Stahlwasserbau, innerhalb eng bemessener Zeitfenster, bei grund-sätzlicher Aufrechterhaltung der Funktion und mit dem Ziel einer langfristigen Weiternutzung der Schleuse erfolgen. Vorzugsweise sollen die Instandsetzungs-arbeiten in arbeitstäglichen Sperrpausen erfolgen. Außerhalb dieser arbeitstäglichen Sperrpausen soll die Schleusenanlage für die Schifffahrt verfügbar sein. Es besteht das Risiko, dass zum Abschluss der arbeitstäglichen Sperrpause das Baufeld noch nicht geräumt und damit die Schleusenkammer nicht für die Schifffahrt freigegeben werden kann. Um die Betriebssicherheit auf jeden Fall gewährleisten zu können, wurde bei vergangenen Projekten von einer Instandsetzung unter Betrieb abgesehen. Dies kann anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht werden. 2001 wurden von der BAW in Zusammenarbeit mit Universitäten und Baufirmen erste Überlegungen angestellt, wie die Kammerwände der Schleuse Obernau unter Betrieb instandgesetzt werden können. Da zum Zeitpunkt der Entscheidung noch keine Erfahrungen gesammelt werden konnten und zusätzlich noch keine Komplettlösung vorhanden war, wurde das Vorzugs-konzept nicht realisiert. Stattdessen wurde 2004 ein Ersatzneubau beschlossen. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll die neue Staustufe 2033 in Betrieb genommen werden [3]. Aufgrund der fehlenden Erfahrungen wurde sich auch in den Folgejahren immer wieder gegen eine Instandsetzung unter Betrieb entschieden. Bis zum heutigen Tag konnten einzelne Probe- oder Teilmaßnahmen erfolgreich realisiert werden. Allerdings blieb eine vollständige Instandsetzung bisher aus. Somit liegt eine der Herausforderungen darin, den Entscheidern die Informationen möglichst anschaulich darzulegen. Aus diesem Grund wird der in [2] beschriebene Modulbaukasten entwickelt. Dieser gilt als Informationssystem und ermöglicht es Anwendern sich einen Überblick über die Sachlage zu verschaffen. Dies reicht in den meisten Fällen jedoch nicht aus, um eine Entscheidung treffen zu können, weswegen in dem geplanten EUS die Informationen entsprechend auf-bereitet und in Bezug zueinander gesetzt werden sollen. Unmittelbar damit geht einher, dass ausschließlich theoretische Konzepte nicht ausreichen, um die WSV von der Anwendung einer Instandsetzung unter Betrieb zu überzeugen. Demnach sollen die theoretisch erarbeiteten Konzepte in Bauteilversuchen oder Pilot-projekten erprobt werden. Dadurch sollen belastbare praktische Erfahrungen gesammelt werden. Dies setzt jedoch eine gewisse Flexibilität des EUS voraus, damit neue Informationen und Erfahrungen laufend ergänzt werden können. Eine weitere Herausforderung, die aufgrund des Bauens im Bestand berücksichtigt werden muss, ist, dass viele verschiedene Bauteile vorhanden sind, die unterschiedliche Instandsetzungsverfahren erfordern. Daher muss das EUS so flexibel ausgelegt sein, dass verschiedenste Instandsetzungsverfahren miteinander verglichen und verschiedenste Entscheidungsprobleme gelöst werden können. In einer ersten Version des Modulbaukastens sind Alternativen zu folgenden Elementen enthalten: • Partielle Trockenlegung • Abtrag • Reprofilierung • Lokale Instandsetzung • Fugen • Schleusenausrüstung • NEM-Technik • Stahlwasserbau • Ausbau Schleusenkammer • Vergabe Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass neben den technischen Fragestellungen auch andere Themen-gebiete von Bedeutung sein können. Das hier konkret aufgeführte Beispiel ist die Auswahl eines Vergabeverfahrens. Hierbei müssen andere Randbedingungen beachtet werden als bei einer Schleusentorinstandsetzung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 385 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Eine weitere Herausforderung stellt der Entscheidungsprozess der betrachteten Organisationseinheit bzw. Unternehmens dar. Dementsprechend wurden in [1] die Entscheidungsprozesse der WSV genauer betrachtet. Die WSV ist in einer Linienstruktur organisiert, innerhalb der das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Spitze der Orga-nisation bildet. Direkt untergeordnet ist die General-direktion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS). Seit 2013 werden die früher regional wahrgenommenen Aufgaben und Kompetenzen der WSV im Binnen- und Küstenbereich in der GDWS zusammengeführt. Regionale Belange sind weiterhin den Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern (WSÄ) sowie den Wasser-straßenneubauämtern zugeordnet. Zu den regionalen Belangen gehört auch die Instandsetzung von Schleu-senanlagen. Sobald wichtige Entscheidungen innerhalb eines Projekts getroffen werden müssen, ist ein Bericht an die zuständige übergeordnete Stelle erforderlich. Die Zuständigkeiten können der Verwaltungsvorschrift der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (VV-WSV) entnommen werden. [4] [5] Solche Abhängigkeiten und Vorgaben müssen bei der Entwicklung des EUS berücksichtigt werden. 2.2 Entscheidungsfaktoren für die Instandsetzung unter Betrieb Bevor auf die ermittelten Entscheidungsfaktoren eingegangen wird, müssen zunächst einige Begriffe definiert werden. Zunächst soll der Unterschied zwischen Entscheidungsfaktor und Entscheidungs-kriterium erläutert werden. Hierzu wird auf die Definitionen von Suhr [6] zurückgegriffen. Bei einem Faktor handelt es sich um ein Element oder den Bestandteil einer Entscheidung. Dieses Element oder der Bestandteil dient sinngemäß als Behälter für Kriterien, Eigenschaften, Vorteile sowie andere Formen von Informationen. Ein Kriterium wiederum ist eine Entscheidungsregel oder Richtlinie. Damit stellt das Kriterium in der Regel einen Standard dar, auf dem eine Beurteilung basiert. In besonderen Fällen ist ein Kriterium eine Entscheidung, die den weiteren Entscheidungsprozess lenkt. Um diese beiden Begriffe zu veranschaulichen, soll an dieser Stelle ein Beispiel angeführt werden. Beim Kauf einer Baumaschine könnte das Gesamtgewicht ein zu berücksichtigender Faktor sein. Das entsprechende Kriterium könnte demnach lauten, je leichter die Maschine ist desto besser. Anhand dieser Regel könnten nun verschiedene Alternativen miteinander verglichen werden. Darüber hinaus kann noch in Muss- und Kann-Kriterien unterschieden werden [6]. Die Einhaltung eines Muss- Kriteriums ist Voraussetzung dafür, dass eine Alternative im weiteren Verlauf der Entscheidungs-findung berücksichtigt wird. Somit stellt dieses eine Art KO-Kriterium dar, welches von den Alternativen eingehalten werden muss. Zur Veranschaulichung kann das eben verwendete Beispiel verwendet werden. Das Kriterium je leichter die Maschine ist desto besser stellt demnach ein Kann-Kriterium dar. Dieses kann durch das Muss-Kriterium ergänzt werden, dass das Gesamt-gewicht der Baumaschine maximal 5 t betragen darf. Auf der Grundlage dieser Definitionen kann ermittelt werden, welche Faktoren und Kriterien berücksichtigt werden sollten, wenn für die Instandsetzung unter Betrieb ein Instandsetzungsverfahren ausgewählt wird. Um diese Informationen ermitteln zu können, wurden zwei Ansätze verfolgt [1]. Zum einen wurden während der Vorplanung des Pilotprojekts Grundinstandsetzung und Verlängerung der Schleuse Schwabenheim [7] Entscheidungsfaktoren und -kriterien entwickelt, um zwischen verschiedenen Instandsetzungsverfahren eine Vorzugsalternative auszuwählen. Zum anderen wurde eine Umfrage unter den WSÄ durchgeführt, die für den Betrieb von Einkammerschleusen verantwortlich sind. Da die Erfahrungen des Pilotprojekts nicht zwingend mit den Routinen übereinstimmen, wurde diese zusätzliche Befragung im Januar 2016 durchgeführt. Auf die genauen Umfrageergebnisse soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Diese können in [1] eingesehen werden. Stattdessen soll an dieser Stelle näher darauf eingegangen werden, welche Faktoren und Kriterien für das EUS ausgewählt worden sind, nachdem die Ergebnisse der beiden Ansätze vorlagen. Zunächst sollen die Muss-Kriterien betrachtet werden, die eingehalten werden sollen, damit eine Alternative überhaupt infrage kommt. Die genaue Festlegung der Muss-Kriterien sowie deren konkrete Auslegungen hängen unmittelbar von der Instandsetzungsaufgabe, von den Befindlichkeiten des Entscheiders sowie den vor Ort vorherrschenden Randbedingungen ab. Außer-dem kann je nach Planungs- und Informationsstand nicht immer klar gesagt werden, ob ein Muss-Kriterium eingehalten werden kann oder nicht. Um die Erstellung von Muss- Kriterien für die Instandsetzung unter Betrieb dennoch veranschaulichen zu können, wurden Muss-Kriterien für die Instandsetzungsaufgabe Reprofilierung entwickelt. Diese Muss-Kriterien müssen vom Entscheider selbst festgelegt werden. Dazu muss der Entscheider die folgenden 10 Leitfragen beantworten: I. Welche Sperrpausen sind realisierbar? II. Welche Bereiche des Bauteils sind betroffen? III. Kann Lichtraumprofil für Betriebsphasen in der Breite eingeschränkt werden? IV. Ist Bewehrung im betroffenen Bereich vorhanden? V. Ist Unversehrtheit der Bewehrung für die Statik entscheidend? VI. Kann die vorhandene Bewehrung weiter genutzt werden? VII. Welche Altbetonklasse ist vorhanden? VIII. Ist lokaler Betonabtrag statisch unbedenklich? IX. Bis zu welcher Tiefe ist ein flächiger Abtrag unbedenklich? X. Welchen Einfluss hat der Denkmalschutz auf die zu planende Instandsetzungsaufgabe? 386 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Durch die Antworten auf diese Fragen, kann überprüft werden, ob die Reprofilierungsverfahren für das Projekt prinzipiell geeignet sind oder nicht. Sofern mehrere Verfahren geeignet sind, müssen diese anhand Entscheidungskriterien miteinander verglichen werden. Hierzu wurden Entscheidungsfaktoren und -kriterien entwickelt, die in Tabelle 1 zusammengefasst sind. Tab. 1: Entscheidungsfaktoren und Entscheidungskriterien Entscheidungsfaktor Entscheidungskriterium Beeinträchtigung Umwelt Beeinträchtigungen/ Auswirkungen auf Personen Je geringfügiger die Beeinträchtigungen/ Auswirkungen, desto besser Beeinträchtigungen/ Auswirkungen auf die Umwelt Je geringfügiger die Beeinträchtigungen/ Auswirkungen, desto besser Beeinträchtigung und Auswirkungen auf die Schifffahrt Risiko arbeitstägliche Arbeitszeitüberschreitung Je geringer das Risiko der arbeitstäglichen Arbeitszeitüberschreitung, desto besser Einschränkungen Schleusenvorgang selbst Je geringfügiger die Einschränkungen des Schleusenvorgangs, desto besser Bauzeit Gesamtbauzeit Je kürzer die Gesamtbauzeit, desto besser Risiko Verlängerung Gesamtbauzeit Je geringer das Risiko einer Verlängerung der Gesamtbauzeit, desto besser Wirtschaftlichkeit Gesamtkosten Maßnahme Je geringer die Gesamtkosten des Projekts, desto besser Kosten-Nutzen-Relation Je besser die Kosten-Nutzen-Relation desto, besser Nachtragsrisiko Je geringer das Nachtragsrisiko, desto besser Lebensdauer nach Durchführung der Maßnahme Gesamte Lebensdauer Je höher die gesamte Lebensdauer, desto besser Instandhaltungsaufwand nach Maßnahme Je geringer der Instandhaltungsaufwand nach der Maßnahme, desto besser Anfälligkeit Anlage für Folgeschäden Je geringer die Anfälligkeit der Anlage auf Folgeschäden, desto besser Bauausführung Komplexität der Maßnahme Je geringer die Komplexität der Maßnahme, desto besser Einhaltung Qualitätssicherheitsansprüche Je geringer der Aufwand zur Einhaltung der Qualitätssicherheitsansprüche, desto besser Positive Erfahrungen vergangene Maßnahmen Je mehr positive Erfahrungen beim Umgang mit einem Verfahren vorhanden sind, desto besser Einsatz von Standardmethoden Der Einsatz von Standardmethoden ist Sonderlösungen vorzuziehen Anfälligkeit für Baumängel Je geringer die Anfälligkeit für Baumängel, desto besser 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 387 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Anforderungen an die Maßhaltigkeit der Arbeitsabläufe Je geringer die Anforderungen an die Maßhaltigkeit, desto besser Randbedingungen im Amt selbst/ Aufwand Planung Aufwand Bauüberwachung Je geringer der Aufwand für die Bauüberwachung, desto besser Personalkapazität des Amts Je weniger Personalkapazität notwendig ist, desto besser Die in Tabelle 1 angegebenen Entscheidungsfaktoren wurden Kategorien zugeordnet. Diese Kategorien dienen dem Anwender als Orientierung, damit sich dieser schneller zurechtfindet. Die Kategorien orientieren sich an der Entscheidungsmatrix, die im Rahmen des Pilotprojekts Grundinstandsetzung und Verlängerung Schleuse Schwabenheim verwendet wurde. Diese Kategorien wurden in der Umfrage ebenfalls mit abgefragt. Die Kategorien und Faktoren wurden durch die Umfrageergebnisse bestätigt. 3. Grundzüge der Entscheidungstheorie 3.1 Verhaltensökonomische Phänomene in der Entscheidungstheorie Eine Entscheidung wird als Wahlproblem definiert, wobei das Ergebnis unmittelbare Folgen für den oder die Entscheidungsträger hat. Gemäß der Entscheidungs-theorie wird dieser Ansatz noch einmal präzisiert. Demnach stellt eine Entscheidung eine mehr oder minder bewusste Auswahl einer Handlungsalternative dar. [8] Zusätzlich kann noch ergänzt werden, dass die Wahl einer Handlungsalternative auf der Basis der Realisierung eines Ziels getroffen wird [9]. Somit hat der Entscheider eine Vorstellung davon, was durch die Entscheidung erreicht werden soll. Die Probleme der Entscheidungsfindung werden durch zwei unterschiedliche Forschungsansätze betrachtet. Die Fachliteratur unterscheidet in deskriptive und präskriptive Theorien. Das Ziel der deskriptiven Entscheidungstheorie ist es, empirisch gehaltvolle Hypothesen über das Entscheidungsverhalten von Individuen und Gruppen aufzustellen. Ausgehend von der Ausgangssituation sollen Ergebnisse des Entscheidungsprozesses prognostiziert werden können. Demnach wird untersucht, wie Entscheidungen tatsächlich getroffen werden. Dem gegenüber steht die präskriptive Entscheidungstheorie, in welcher Entschei-dungsregeln gebildet werden, die bei der rationalen Entscheidungsfindung unterstützen sollen. Somit können Verhaltensempfehlungen erarbeitet werden, die in Aussagesystemen dargestellt sind. Die präskriptive Theorie wird vereinzelt auch als normative Entscheidungstheorie bezeichnet. In dieser Veröffent-lichung wird ausschließlich die Bezeichnung präskriptive Theorie genutzt. [8] [9] Die Entwicklung eines EUS wird demnach der präskriptiven Entscheidungstheorie zugeordnet, da in einem EUS Entscheidungsregeln hinterlegt sind, welche den Anwender beim Entscheidungsprozess unterstützen. Jedoch wäre es fahrlässig Erkenntnisse der deskriptiven Entscheidungstheorie bei der Entwicklung zu vernachlässigen. Aus diesem Grund wurden die verhaltensökonomischen Phänomene der Entschei-dungstheorie näher untersucht. In Studien wurde nachgewiesen, dass beim intuitiven Entscheiden systematisch Fehler auftreten. Diese Fehler werden als verhaltensökonomische Phänomene bezeichnet. In der Forschung wird versucht diese Phänomene mithilfe von hypothetischen Problemstellungen nachzuweisen. Folgend ist eine Auswahl an verhaltensökonomischen Phänomenen der Entscheidungstheorie aufgelistet [10] [11]: • Sicherheitseffekt (certainty effect) • Verlustaversion (reflection effect) • Probabilistic Insurance • Isolation Effect • Framing • Verankerungseffekt (Anchoring) • Status-quo-Bias • Besitztumseffekt (endowment effect) In den folgenden Ausführungen werden exemplarisch die Phänomene Framing sowie der Verankerungseffekt aufgegriffen. Bei Framing handelt es sich um ein Phänomen, bei welchem unterschiedlich formulierte, aber inhaltsgleiche Alternativen die Entscheidung beeinflussen können. Framing kann in den drei folgenden Arten vorkommen [10]: • Attributives Framing • Handlungsframing • Framing bei riskanten Entscheidungen Da unterschiedliche Formulierungen keinen Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben sollten, sind Framingeffekte im Rahmen einer wichtigen Entscheidungs-findung unbedingt zu vermeiden. Dass Framingeffekte eine Wirkung auf Personen haben können, die im Bauwesen beschäftigt sind, konnte über in [12] beschriebene empirische Studien bereits gezeigt werden. Es wurden drei Szenarien entworfen, in denen die drei Framingarten über Fragen integriert wurden. Um Probanden zu errei- 388 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb chen wurden via E-Mail 257 Ingenieurbüros und Bauunternehmen angeschrieben. Der versendete Fragebogen wurde insgesamt 41 Mal vollständig ausgefüllt. Circa 51 % der Probanden waren in Bauunternehmen und ca. 32 % in Ingenieurbüros tätig. Die verbleibenden 17 % teilten sich u. a. auf Totalübernehmer und Bauträger auf. Die angegebenen Geschäftsfelder der Probanden erstreckten sich vom Management über die Bauleitung bis hin zur Tragwerksplanung. Der Beschäftigungsbereich Instandsetzung wurde ebenfalls angegeben. Die Probanden arbeiteten zu 46 % bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und zu 27 % bei Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern. Anhand der Auswertung konnte bestätigt werden, dass die erwarteten systematischen Fehler, die durch das Framing erzwungen werden sollten, teilweise aufgetreten sind. Vor allem beim attributiven Framing konnte eine eindeutige Abweichung im Entscheidungs-verhalten festgestellt werden. Demnach konnte nach-gewiesen werden, dass die Formulierung von Alternativen und Kriterien einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat. Es konnte z. B. aufgezeigt werden, dass die positive Beschreibung eines Attributs im Mittel positiver bewertet wird als die inhaltsgleiche negative Beschreibung dieses Attributs. Die Eigenschaft des Menschen die Attraktivität von Wetten ausgehend von einem Referenzpunkt zu bewerten wird als Verankerungseffekt bzw. Anchoring bezeichnet. Dieses Phänomen beschränkt sich nicht ausschließlich auf die Beurteilung von Wetten, sondern ist auch bei der Beurteilung von Alternativen zu beobachten. Sobald Gewichtungen zwischen Eigen-schaften, Kriterien oder anderen Informationen festgelegt werden sollen, ist eine Wirkung des Verankerungseffekts möglich. [10] Um die Wirksamkeit des Verankerungseffekts zu untersuchen, wurde eine weitere empirische Studie in Form eines schriftlichen Fragebogens durchgeführt [12]. Über den Anfangsbuchstaben des Nachnamens wurden die Probanden in zwei Personengruppen aufgeteilt. Zunächst wurden die Probanden darum gebeten, verschiedene Kriterien nach ihrer Wichtigkeit zu bewerten und in eine Rangfolge zu bringen. Personengruppe A erhielt eine Auflistung mit möglichst spezifischen Kriterien, die eine verbale Wertung enthielten. Bei Personengruppe B wurde von einer Spezifizierung sowie einer verbalen Bewertung abgesehen. Anschließend sollte ausgehend vom wichtigsten Kriterium die Wichtigkeit der anderen Kriterien prozentual abgeschätzt werden. Personen-gruppe A erhielt zusätzlich die Information, dass ein Gebäude nach Passivhausstandard gebaut werden soll, weswegen das Kriterium nachhaltiger Materialeinsatz als wichtigstes Kriterium feststeht und deshalb mit der Wertung 100 belegt ist. Beispielhaft wurde ergänzt, dass ein gleichwertiges Kriterium, welches annähernd genauso wichtig ist, mit einem Wert von z. B. 97 belegt werden kann. Auf dem Fragebogen für Personengruppe B wurde kein Kriterium vorgegeben. Es wurde ausschließlich darauf hingewiesen, dass das wichtigste Kriterium mit 100 bewertet werden soll. Die spezifischere Aufgabenstellung sowie der vorgegebene Anker halfen Personengruppe A eine klarere Abstufung zwischen den einzelnen Kriterien vorzunehmen. Es wurde das gesamte Punktespektrum bei der Bewertung verwendet. Dem gegenüber stand Personengruppe B, dessen Probanden häufig alle Kriterien im Bereich zwischen 80 und 100 Punkten anordneten oder bei mehreren Kriterien die gleiche Wertung vergaben. 3.2 Grundmodell der Entscheidungstheorie In Modellen werden Tatbestände der Realität vereinfacht abgebildet. Innerhalb eines Modells werden Elemente sowie deren Eigenschaften zuzüglich der Relationen zwischen den Elementen dargestellt. Um ein Modell als wirksam bezeichnen zu können, besteht trotz aller Vereinfachungen die Forderung nach Struktur-gleichheit bzw. Strukturähnlichkeit zum Realsystem. Dadurch soll vom Modell auf die Realität geschlossen werden können. Da das Realsystem in der Regel sehr komplex ist, sind vereinfachte Darstellungen notwendig, um relevante Elemente und Relationen gedanklich zu durchdringen. [13] Bei der Erstellung von Modellen kann auf zwei Forschungsansätze zurückgegriffen werden. Bei induktiven Ansätzen wird versucht auf der Basis einer endlichen Anzahl an Beobachtungen vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen. Wohingegen bei deduktiven Ansätzen vom Allgemeinen auf das Besondere geschlossen wird. [14] Gemäß [8] wurden Entscheidungsmodelle durch Ansätze der deduktiven Forschung erarbeitet. In allgemeinen Entscheidungs-modellen werden ausgewählte Typen von Entschei-dungssituationen bzw. -problemen dargestellt und Lösungsverfahren zugeordnet, wohingegen konkrete Entscheidungsmodelle sich ausschließlich auf spezifische Entscheidungssituationen beziehen. Die jeweiligen Modellparameter sind an die konkrete Entscheidungssituation angepasst. Um ein konkretes Entscheidungsmodell entwickeln zu können, muss ein allgemeines Entscheidungsmodell ausgewählt und anschließend adaptiert werden. In Abbildung 1 ist eine Ausführung des Grundmodells der Entscheidungstheorie dargestellt. Dieses besteht aus den beiden Komponenten Entscheidungsfeld und Zielsystem. Das Entscheidungsfeld besteht wiederum aus den drei Elementen Handlungsalternativen, Ergebnisse und Umweltzustände. Das Zielsystem beinhaltet das Basiselement Entscheidungsregel und wird durch die Elemente Präferenzen und Zielgrößen ergänzt. Aus den Zielgrößen sowie den Informationen aus dem Entscheidungsfeld lässt sich die Ergebnis-matrix ableiten. Sobald die Präferenzen hinzugezogen werden, kann die Entscheidungsmatrix erstellt und auf deren Basis eine Entscheidung getroffen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 389 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Abb. 1: Grundmodell der Entscheidungstheorie [9] 3.3 Treffen von fundierten Entscheidungen mithilfe von CBA Anders als z. B. die Nutzwertanalyse (NWA) ist Choosing by Advantages (CBA) keine einzelne Methode, sondern ein ganzheitliches Entscheidungs-system. Dieses beschränkt sich nicht nur auf die Entscheidungsfindungsphase, sondern wird im gesamten Entscheidungsprozess angewendet. CBA beinhaltet eine Vielzahl an Methoden, die je nach Komplexität und Gestalt des Entscheidungsproblems zum Einsatz kommen können. Die Methoden richten sich an einheitlichen Definitionen, Prinzipien und Modellen aus. CBA besitzt ein eigenes Vokabular, welches aus den vier folgend definierten Begriffen besteht [6]: • Ein Faktor ist • ein Element/ Bestandteil einer Entscheidung. ein Behälter für Kriterien, Eigenschaften, Vorteile und andere Formen von Informationen. • Ein Kriterium ist eine Entscheidungsregel oder eine Richtlinie. ein Standard, auf dem eine Beurteilung basiert. eine Entscheidung, die den weiteren Entscheidungsprozess lenkt. • Eine Eigenschaft ist eine Charakteristik/ Konsequenz einer Alternative. • Ein Vorteil ist der Unterschied zwischen zwei Alternativen bezüglich einer Eigenschaft. Neben dem Vokabular ist die Einhaltung der Prinzipien der fundierten Entscheidungsfindung ein zentrales Element des CBA. Die sogenannten Grundprinzipien der fundierten Entscheidungsfindung sind in der Folge aufgeführt [6]: Das Grundprinzip Um beständig fundierte Entscheidungen treffen zu können, müssen Entscheidungsträger lernen, fundierte Methoden der Entscheidungsfindung einzusetzen. Die Grundregel für die fundierte Entscheidungsfindung Entscheidungen müssen auf der Bedeutung von Vorteilen beruhen. Das Anchoring-Prinzip Entscheidungen müssen mit relevanten Informationen verknüpft sein. Das Methodenprinzip Verschiedene Arten von Entscheidungsproblemen erfordern verschiedene fundierte Entscheidungs-methoden. Die Leistungsfähigkeit eines jeden Einzelnen kann zusätzlich durch die Einhaltung von drei Modellen gesteigert werden. Hierbei handelt es sich um ein Ursache-Wirkungs-Modell, ein Modell für Verallge-meinerung und Spezifizierung sowie das fundierte Entscheidungsfindungsmodell. Die beiden ersten Modelle zeigen auf, dass die Leistungsfähigkeit von Individuen und Organisationen direkt mit dem Entscheidungsfindungsprozess zusammenhängen. Das fundierte Entscheidungsfindungsmodell hat zum Ziel, den Entscheidungsfindungsprozess zu verbessern. Um diese Modelle umzusetzen und somit die Leistungs-fähigkeit steigern zu können, müssen fundierte Ent-scheidungsfindungsmethoden angewendet werden. [6] Grundsätzlich kann der CBA Entscheidungsprozess für komplexe Entscheidungen in vier wesentliche Aktivitäten zusammengefasst werden. Jedoch greifen nicht alle Methoden auf diese vier Aktivitäten zurück. In folgender Auflistung sind die vier wesentlichen Aktivitäten chronologisch aufgezählt [6]: • Eigenschaften aller Alternativen zusammenfassen • Vorteile einer jeden Alternative bestimmen • Bedeutung eines jeden Vorteils ermitteln • sofern die Kosten aller Alternativen gleich sind, wird die Alternative mit der größten Bedeutung der Vorteile ausgewählt Der ganzheitliche CBA Prozess ist in fünf Phasen gegliedert. Von den Standardmethoden ist die Tabellenmethode die einzige, bei der die vier wesentlichen Aktivitäten komplett schriftlich durchgeführt werden. Somit bildet die Tabellenmethode die Grundlage für die besonderen Methoden für komplexe und sehr komplexe Entscheidungen. Die Tabellenmethode ist besonders dafür geeignet, drei oder mehr Alternativen miteinander zu vergleichen. Der Vergleich von zwei Alternativen ist ebenfalls möglich. Je mehr Alternativen verglichen werden sollen, desto aufwendiger ist die Anwendung. Die eigentliche Anwendung der Tabellenmethode findet in der Entscheidungsphase statt. [6] 390 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb 4. Entwicklung Entscheidungsunterstützungssystem 4.1 Auswahl geeignetes Entscheidungsverfahren Aufgrund des zu betrachtenden Entscheidungsproblems kommt nur ein multikriterielles Bewertungsverfahren für das Entscheidungsunterstützungssystem (EUS) infrage. Bei diesen Verfahren erfolgt eine vollständige und problembezogene Modellierung der Präferenz-struktur des Entscheiders. Darin werden die unter-schiedlichen Ziele des Entscheiders abgebildet. Hier werden die in Deutschland gängigsten Modelle wie die Nutzwertanalyse (NWA), der Analytische Hierarchie Prozess (AHP) sowie das Formalisierte Abwägungs- und Rangordnungsverfahren (FAR) einander gegen-übergestellt. Außerdem wurde die Tabellenmethode von CBA aufgegriffen, da es im Bereich des Lean Construction in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Damit die Verfahren miteinander verglichen werden können, müssen die Anforderungen definiert werden, die für die geplante Anwendung notwendig sind. Wie bereits beschrieben, muss für die Gestaltung eines geeigneten EUS der Entscheidungsprozess der WSV berücksichtigt werden. Außerdem muss bei der Gestaltung des EUS berücksichtigt werden, dass der Modulbaukasten integriert werden soll. Die Anwender-freundlichkeit soll durch einen zweistufigen Aufbau verbessert werden. Um bewerten zu können, ob die Entscheidungsverfahren diesen Anforderungen gerecht werden, müssen diese anhand von geeigneten Faktoren und Kriterien bewertet werden. Dazu müssen die Eigenschaften der Entscheidungsverfahren bestimmt werden. Neben den anwendungsspezifischen Faktoren sind außerdem Faktoren aus bereits durchgeführten Vergleichen berücksichtigt worden. Bereits durch-geführte Vergleiche sind z. B. in [15], [16], [17] und [18] zu finden. Auf die genaue Definition der einzelnen Faktoren wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Die für den Vergleich tatsächlich ausgewählten Faktoren sind in der folgenden Auflistung alphabetisch aufgeführt: • Arbeitsaufwand/ Zeitbedarf für die Anwendung des Verfahrens • Berücksichtigung verhaltensökonomischer Phänomene • Berücksichtigung von Kosten • Erfahrung mit Verfahren • Genauigkeit • Kompatibilität für Gruppenentscheidungen • Konsistenz • Möglichkeit der Integration von KO-Kriterien für Eliminationsverfahren • Qualität der Ergebnisse • Transparenz/ Nachvollziehbarkeit • Überführung in ein digitales System Um den Vergleich zwischen den Entscheidungs-verfahren bezüglich der betrachteten Faktoren kompakt darstellen zu können, sind in Tabelle 2 die Ergebnisse qualitativ zusammengefasst. Der Faktor Möglichkeit der Integration von KO-Kriterien ist in der Tabelle nicht mehr enthalten, da alle betrachteten Verfahren dieser Anforderung genügen. Die Entscheidungsverfahren sind mit +, 0 oder - bewertet worden. Die Bewertung + wurde vorgenommen, wenn ein Verfahren in einem Faktor ausschließlich Vorteile besitzt. Die Bewertung 0 wird dann vergeben, wenn die Vorteile eingeschränkt sind oder wenn neben den Vorteilen auch nachteilige Eigenschaften identifiziert wurden. Mit einem - werden die Verfahren gekennzeichnet, wenn diese keinerlei Vorteile gegenüber den anderen Verfahren besitzen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle Verfahren in maximal zwei Faktoren keine Vorteile gegenüber anderen Verfahren aufweisen. Es ist jedoch auffällig, dass CBA in fast allen Faktoren mit einem + bewertet wurde. Nachteilig ist nur, dass in Deutschland bisher keine Erfahrungen mit dem Modell gesammelt wurden. International wurden jedoch schon einige Fallstudien und Projekte durchgeführt, in welchen wichtige Entscheidungen mithilfe von CBA getroffen wurden. Als einziges Verfahren werden in CBA die verhaltensökonomischen Phänomene der Entschei-dungstheorie aktiv berücksichtigt. Dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber den anderen Verfahren. Dadurch dass die Alternativen ausschließlich anhand derer Vorteile bewertet werden, wird eine sehr große Genauigkeit erreicht. Für die Entscheidung werden demnach ausschließlich spezifische Informationen herangezogen, weswegen es zu keinen Ungenauigkeiten kommt. Genau der gleiche Umstand ist auch dafür verantwortlich, dass die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit bei CBA höher einzustufen ist als bei den anderen Verfahren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 391 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Tab. 2: Qualitative Gegenüberstellung Entscheidungsverfahren Eigenschaft NWA AHP FAR CBA Arbeitsaufwand/ Zeitbedarf + 0 0 + Berücksichtigung verhaltensöko. Phänomene - - 0 + Berücksichtigung von Kosten 0 0 0 + Erfahrung mit Verfahren + + 0 - Genauigkeit 0 0 0 + Kompatibilität für Gruppenentscheidungen 0 0 + + Konsistenz - 0 + + Qualität der Ergebnisse + + - + Transparenz/ Nachvollziehbarkeit 0 - 0 + Überführung in ein digitales System + + 0 + 4.2 Entscheidungsprozess für das EUS Damit ein EUS aufgebaut werden kann, musste ein allgemein gültiger Entscheidungsprozess definiert werden. Dieser ist so aufgebaut, dass dieser mit möglichst geringem Aufwand an eine konkrete Anwendung angepasst werden kann. Der entwickelte Entscheidungsprozess orientiert sich am ganzheitlichen CBA Prozess nach Suhr [6] und dem Grundmodell der Entscheidungstheorie [9]. Da das EUS zweistufig ist, kann dieses Grundmodell nicht ohne Anpassungen auf den entwickelten Entscheidungsprozess übertragen werden. Das angepasste Modell ist in Abbildung 2 dargestellt. Ausgehend von dem modifizierten Grund-modell sowie dem ganzheitlichen CBA Prozess wurde ein Entscheidungsprozess aus 10 übergeordneten Arbeitsschritten entwickelt. Falls erforderlich, sind den Arbeitsschritten Teilschritte untergeordnet, um die Anwendung des Prozesses zu vereinfachen. Die Arbeitsschritte sind mit Nummern und die Teilschritte mit Buchstaben gekennzeichnet. Die Arbeitssowie Teilschritte sind in der folgenden Auflistung zusammengefasst: 1. Untersuchungsgegenstand auswählen 2. Informationen zum Untersuchungsgegenstand auf Vollständigkeit prüfen a) Prüfen, ob vorhandene Informationen korrekt sind b) Fehlende Informationen ergänzen 3. Definition und Eingrenzung des Entscheidungsproblems a) Entscheidungsproblem definieren b) Untersuchungsgegenstand spezifizieren c) Umfang Entscheidungsproblem festlegen d) Mögliche Handlungsalternativen ermitteln 4. Randbedingungen für Entscheidungsproblem festlegen a) Technische und organisatorische Randbedingungen b) Behördliche Randbedingungen (andere nicht beeinflussbare Randbedingungen) 5. Alternativen anhand von Muss-Kriterien eingrenzen 6. Entscheidungsfaktoren auswählen 7. Tabellenmethode anwenden a) Vorteile bestimmen und prüfen, ob alle Vorteile wirklich Vorteile sind b) Wichtigstem Vorteil den Wert 100 zuweisen c) Restliche Vorteile bewerten und bepunkten d) Zugeteilte Werte überprüfen 8. Gesamtbedeutung-Kosten-Diagramm erstellen 9. Rangfolge festlegen 10. Entscheidung überprüfen Abb. 2: Modifiziertes Grundmodell der Entscheidungstheorie [angelehnt an 9] 392 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb In der ersten Stufe des Entscheidungsprozesses werden mögliche Handlungsalternativen zur Lösung des Entscheidungsproblems ermittelt. Außerdem werden die Alternativen, die für das vorliegende Entscheidungs-problem ungeeignet sind, ausgeschlossen. Die verblei-benden Alternativen werden in die zweite Stufe des Entscheidungsprozesses überführt. Das Ziel der zweiten Stufe ist es, die Alternativen in eine Rangordnung zu bringen, damit eine Vorzugsalternative bestimmt werden kann. Das entwickelte EUS richtet sich inhaltlich an den Vorgaben und Ansprüchen der WSV aus. Die Arbeitssowie Teilschritte des allgemeinen Entscheidungs-prozesses sind möglichst allgemein gehalten, sodass diese ohne größere Probleme an möglichst viele Entscheidungsprobleme im Bauwesen angepasst werden können. Für das Projekt IuB wurde eine Anpassung vorgenommen, indem im Zuge des Anpassungs-prozesses die Arbeits- und Teilschritte präzisiert wurden, ohne deren Zweck und Ziel zu verändern. Die angepassten Arbeits- und Teilschritte können wie folgt zusammengefasst werden: 1. Schleusenanlage auswählen 2. Informationen auf Vollständigkeit prüfen a) Prüfen, ob Informationen korrekt sind b) Fehlende Informationen ergänzen 3. Auswahl Instandsetzungsaufgabe a) Zu bewältigende Instandsetzungsaufgabe wählen b) Betroffenes Bauteil wählen c) Ausmaß Schaden festlegen d) Mögliche Instandsetzungsverfahren ermitteln 4. Randbedingungen für Instandsetzungsmaßnahme festlegen a) Technische und organisatorische Randbedingungen b) Einfluss Denkmalschutz 5. Instandsetzungsverfahren eingrenzen 6. Entscheidungsfaktoren auswählen 7. Tabellenmethode anwenden a) Vorteile bestimmen und prüfen, ob alle Vorteile wirklich Vorteile sind b) Wichtigstem Vorteil den Wert 100 zuweisen c) Restliche Vorteile bewerten und bepunkten d) Zugeteilte Werte überprüfen 8. Gesamtbedeutung-Kosten-Diagramm erstellen 9. Rangfolge festlegen 10. Entscheidung überprüfen In den Arbeitsschritten 1. bis 5. wird gezielt auf das Bestandsbauwerk sowie die zu erledigende Instandsetzungsaufgabe eingegangen. Für diese Anwendung werden explizit Einkammerschleusen benannt, doch grundsätzlich könnten diese durch jedes beliebige Bauwerk ersetzt werden. Sollte der Entscheidungsprozess zur Auswahl eines Bauverfahrens eingesetzt werden, muss in Arbeitsschritt 1 die geplante Bauaufgabe näher beschrieben werden. In Arbeitsschritt 2 sollen die gesammelten Informationen auf deren Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft werden, bevor in Arbeits-schritt 3 näher auf die Instandsetzungsaufgabe ein-gegangen wird. Nachdem die Randbedingungen für die Instandsetzung festgelegt sind, werden die Instand-setzungserfahren zum Ende der ersten Phase einge-grenzt. Die zweite Phase des Entscheidungsprozesses kann unverändert übernommen werden, da diese dem allgemeinen CBA Prozess zur Anwendung der Tabellenmethode entspricht. Bevor das EUS erstellt werden kann ist eine sorgfältige Grundlagenermittlung erforderlich, um die Ansichten des Entscheidungsträgers nicht zu verfälschen. Der Entscheidungsträger muss die Möglichkeit besitzen eigene Impulse und Meinungen in den Entscheidungs-prozess einbringen zu können. Der Entscheidungsträger soll möglichst intuitiv zu einer fundierten Entscheidung gelangen. Jedoch gilt zu bedenken, dass je mehr Freiheitsgrade im EUS enthalten sind, desto komplexer ist dessen Anwendung. Es muss ein Weg gefunden werden, wie die Individualität des Entscheidungsträgers gewährleistet und zeitgleich eine geführte Entschei-dungsfindung vollzogen werden kann. Zeitgleich soll die Anwendung des Entscheidungsprozesses noch so intuitiv sein, dass es in der Praxis angewendet wird. 4.3 Entwicklung eines EUS-Tools Um die Einführung des EUS trotz der vielseitigen Anforderungen zu ermöglichen, wurden zwei Hilfs-mittel entwickelt. Zum einen wurde ein EUS-Tool entworfen, welches den Entscheidungsträger bei der fundierten Entscheidungsfindung unterstützt. Der Erstentwurf ist speziell auf die Auswahl eines Reprofilierungsverfahrens für eine Schleusenkammer-wand unter laufendem Betrieb zugeschnitten. Zum anderen wurde ein Entscheidungsseminar erarbeitet, welches dem potenziellen Anwender den Umgang mit CBA sowie dem Entscheidungstool näherbringt. Dieses Seminar wird in Kapitel 4.4 kurz vorgestellt. Zunächst wurde ein geeignetes Medium für die Erstellung des Entscheidungstools ausgewählt. Da die WSV bundesweit aktiv ist, muss das Entscheidungstool so gestaltet sein, dass dieses ohne Probleme verteilt und angewendet werden kann. Aus diesem Grund fiel die Wahl auf ein digitales Tool. Außerdem sind in die Auswahl eines Instandsetzungsverfahrens eine Vielzahl an Beteiligten involviert, was ebenfalls für ein digitales Tool spricht, um alle Beteiligten möglichst problemlos einbeziehen zu können. Dateien können schnell ausgetauscht und von einer Vielzahl an Beteiligten bearbeitet werden. Dazu muss allerdings bei allen Beteiligten die notwendige Software vorhanden sein. Neue Software einzuführen ist in der WSV erfahrungs-gemäß sehr aufwendig, denn um Software auf einem Dienstrechner installieren zu dürfen, ist für den Anwender ein gesonderter Antrag notwendig. Um die Daten problemlos austauschen zu können, müssen die Schnittstellen zwischen den Beteiligten reibungslos funktionieren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 393 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Es wurde Microsoft Excel zur Erstellung des Tools ausgewählt, damit die Software nicht zu einem zusätzlichen Anwendungshindernis wird. Excel wird in der gesamten WSV als Standard verwendet und ist darüber hinaus ein gängiges Programm, welches in vielen Unternehmen angewendet wird. Ergänzend zum Modulbaukasten kann das Entscheidungstool über die Homepage des Informationszentrum Wasserbau (IZW) für die gesamte WSV und deren Partner bereitgestellt werden. Mithilfe der Programmierung in Visual Basic, können alle notwendigen Arbeitsschritte über Makros und User Forms eingearbeitet werden, die zur voll-ständigen Anwendung des Entscheidungsprozesses des EUS erforderlich sind. Somit konnte ein Erstentwurf erstellt werden, der in Zukunft beliebig erweitert werden kann. Der Aufbau des Tools orientiert sich direkt am bereits angepassten Entscheidungsprozess. 4.4 Entwicklung eines Entscheidungsseminars Neben der Schulung der Anwender wurde dieses Seminar dazu eingesetzt, um den erarbeiteten Entscheidungsprozess sowie das EUS-Tool zu verifizieren und zu validieren. Das Entscheidungs-seminar besteht aus Theorie und Praxisteilen. Das Kern-stück bilden zwei Planspiele, die den Teilnehmern die Anwendung von CBA Methoden spielerisch näher-bringen sollen. Innerhalb dieser Planspiele werden die Zwei-Listen Methode sowie die Tabellenmethode anhand eines vereinfachten Beispiels vorgestellt. Das Beispiel hat bewusst nichts mit einer Schleuseninstand-setzung zu tun, damit sich die Teilnehmer auf den Entscheidungsprozess konzentrieren können. Kern der Planspiele ist es verschiedene Rollen ein-zunehmen und gemeinsam ein Entscheidungsproblem zu lösen. Im Fokus steht Familie Müller, die sich im ersten Planspiel zwischen einem Neubau und einem Bestandsbau als ihr neues Heim entscheiden muss. Im zweiten Planspiel ist die Entscheidung für einen Neubau gefallen und Familie Müller muss ein geeignetes Rohbauunternehmen für den Bau auswählen. Um diese Entscheidung zu treffen, wird eine abgewandelte Version des in Kapitel 4.3 beschriebenen EUS-Tools verwendet. Dadurch kann die Funktionalität des Tools anhand eines vereinfachten Beispiels getestet werden. Das Seminar wurde bereits mit vier Mitarbeitern des WNA Heidelberg durchgeführt, um ein direktes Feedback einzuholen. Bevor dies geschehen ist, wurden drei Pretests durchlaufen, um die Wirksamkeit des Seminars zu überprüfen. In einem ersten Pretest während der Entwicklungsphase wurde das Seminar online mit fünf Studierenden des KIT durchgeführt. Auf der Basis dieser Erkenntnisse konnte die Entwicklung des Seminars abgeschlossen werden. Um ein Feedback über den didaktischen Aufbau zu erhalten, wurde ein zweiter Pretest mit fünf Mitarbeitern des Instituts für Technologie und Management im Baubetrieb durchgeführt. Der dritte Pretest fand mit der Projekt-gruppe IuB der BAW statt. Hier konnte der Fokus auf die Umsetzung des Entscheidungsprozesses auf das konkrete Beispiel Instandsetzung unter Betrieb überprüft werden. Die gesammelten Erkenntnisse wurden dazu genutzt das Seminar sowie das EUS-Tool zu überarbeiten und damit zu verbessern. Neben einem mündlichen Feedback, wurde auch ein Feedbackbogen erstellt, der von den Teilnehmern ausgefüllt wurde. Dieser Feedbackbogen wurde sowohl von den Pretestteilnehmern sowie den Teilnehmern des WNA Heidelberg ausgefüllt. 5. Ausblick Die bisher erarbeiteten Ergebnisse stellen eine gute Grundlage dar, um auch in Zukunft das Thema Entscheidungsfindung im Bauwesen weiter voran-zutreiben. Ein theoretisches Grundgerüst wurde erarbeitet, welches bereits erfolgreich in eine erste Praxisanwendung umgesetzt wurde. Auf dieser Basis kann für das Projekt IuB ein Mehrwert generiert werden. Denn die Bereitstellung von Informationen ist zwar eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass fundierte Entscheidungen getroffen werden können, allerdings ist die Art und Weise mit Informationen umzugehen mindestens genauso entscheidend. Nur wenn fundierte Methoden der Entscheidungsfindung angewandt werden, ist ein erfolgreiches und transparentes Entscheiden möglich. Der erarbeitete Entscheidungsprozess hilft dabei, alle notwendigen Schritte zu beachten, um zu einer fundierten Entscheidung zu kommen. Das erarbeitete Tool kann innerhalb des Modulbaukastens zur Verfügung gestellt werden. Somit können Anwender vorab entscheiden, welche Instandsetzungsverfahren näher betrachtet werden sollen und welche zu einem frühen Zeitpunkt bereits ausgeschlossen werden können. Anzumerken ist jedoch, dass die Anwendung des EUS die sorgfältige Planung eines Projekts nicht ersetzt. Es dient ausschließlich als eine Hilfestellung, die es ermöglichen soll zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. Allerdings muss auch gesagt werden, dass unter-schiedlich geartete Entscheidungsprobleme unterschied-liche Entscheidungsmethoden erfordern. Der hier vor-gestellte Entscheidungsprozess ist auf die Lösung von komplexen Entscheidungsproblemen ausgelegt. Bei weniger komplexen Entscheidungen ist irgendwann der Punkt erreicht, bei dem die Anwendung des kompletten Entscheidungsprozesses zu aufwendig wird. Aus diesem Grund muss der Prozess der Entscheidungsfindung abgekürzt werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die relevanten Arbeitsschritte aus dem Entscheidungs-prozess weiterhin durchgeführt werden. Zum Beispiel sollte eine Entscheidung immer auf der Bedeutung von Vorteilen beruhen, um zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. Arbeitsschritte, wie die Erstellung eines Gesamtbedeutung-Kosten-Diagramms, sind nicht immer erforderlich und können dann durchgeführt werden, wenn die Kosten gezielt betrachtet werden sollen. 394 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Abschließend soll noch darauf eingegangen werden, welche Auswirkungen die Ergebnisse auf die Bau-industrie haben. Auffällig ist, dass die Thematik Entscheidungsfindung im Studium/ Ausbildung zum Bauingenieur oder anderen technischen Berufen keine Rolle spielt. Das Fachgebiet wird ausschließlich von Wirtschaftsingenieuren behandelt. Jedoch ist Methoden-kompetenz im Bereich Entscheidungstheorie etwas, das nicht ohne Hilfe erlernt werden kann. Im Laufe seines Lebens sammelt der Mensch Erfahrungen, auf deren Basis er Entscheidungsschemata entwickelt. So kommen oftmals die sogenannten Bauchentscheidungen zustande. Eine Bauchentscheidung ist prinzipiell nichts Schlechtes, dennoch steht der Entscheider vor dem Problem seine Entscheidung transparent zu begründen und damit für andere nachvollziehbar zu machen. Aussagen wie „Das haben wir schon immer so gemacht! “ hinterlassen oft einen faden Beigeschmack und sind wenig aussagekräftig. Vor allem in einer großen Organisation wie der WSV sind klar definierte Entscheidungsprozesse hilfreich, um die Arbeit eines jeden Einzelnen zu erleichtern und damit effektiver arbeiten zu können. Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass Organisationen und Ingenieure diesen Schritt alleine gehen können, hat das Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sich diesem Thema angenommen, um dieses in Studium und Praxis voranzutreiben. Gezielt das Forschungsteam Mensch und Umwelt des TMB wird dieses Thema auch in Zukunft weiter vorantreiben. Als erste Maßnahme wurde im Wintersemester 2020/ 21 das in diesem Beitrag beschriebene Entscheidungsseminar modifiziert und im Modul Lean Construction durchgeführt. Somit sollen jungen Ingenieuren bereits erste Kompetenzen mitgegeben werden. Außerdem bestehen erste Anfragen aus der Praxis, wie Mitarbeiter ihre Entscheidungskompetenzen verbessern können. Hierzu wurde bereits ein modifiziertes Entscheidungsseminar erstellt, welches Entscheidungskompetenzen vermitteln soll. Dieses Seminar kann bedarfsgerecht ausgeweitet werden, um auch in Zukunft verschiedensten Ansprüchen gerecht zu werden. Literaturverzeichnis [1] Waleczko, D.; Haghsheno, S.; Westendarp, A.: Bewertung und Auswahl von Instandsetzungsverfahren für Schleusenkammerwände unter laufendem Betrieb, 6. Kolloquium „Erhaltung von Bauwerken“, Technische Akademie Esslingen, Ostfildern, Hrsg. 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