eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 7/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
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2021
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Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung

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2021
Martin Lenting
Jeanette Orlowsky
Der Verbundwerkstoff Textilbeton findet im 21. Jahrhundert zunehmend Anwendungen im Bauwesen. Erste Systeme mit Carbontextilien wurden durch Forschungs- und Praxisprojekte am Markt etabliert. Über Zulassungen im Einzelfall (ZiE) entstehen erste Richtlinien zur Bemessung und Verwendung. Die stetige Weiterentwicklung von Textilbeton steht aber weiter im Fokus der Forschung. Ein Bereich mit viel Entwicklungspotential sind mineralische Tränkungsmaterialien für die technischen Textilien. Bisher werden fast ausschließlich polymergetränkte Textilien verwendet. Neben dem Eintrag von Polymeren in den Textilbeton geht häufig ein Tragfähigkeitsverlust durch Temperatureinwirkung ab 80 °C einher. Diese Veröffentlichung zeigt auf, dass mineralische Tränkungsmaterialen im Bereich der Bauwerksinstandsetzung mit Textilbeton gegenüber polymergetränkten Textilien stärken aufweisen. Unter anderem ermöglichen Textilbetonsysteme mit mineralischer Tränkung von Carbonrovings ein sehr feines Rissbild mit geringen Rissbreiten, welche auch unter Druckwasserbeanspruchung zu einer Rissheilung führen. Damit eignen sich Textilbetone mit mineralisch getränkten Carbonfasern beispielsweise für die Instandsetzung von gerissenen sowie beschädigten Wasserbauwerken aus Stahlbeton.
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7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 463 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Martin Lenting Fachhochschule Münster, Labor Bauphysik, Münster, Deutschland Jeanette Orlowsky TU Dortmund, Lehrstuhl Werkstoffe des Bauwesens, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Der Verbundwerkstoff Textilbeton findet im 21. Jahrhundert zunehmend Anwendungen im Bauwesen. Erste Systeme mit Carbontextilien wurden durch Forschungs- und Praxisprojekte am Markt etabliert. Über Zulassungen im Einzelfall (ZiE) enstehen erste Richtlinien zur Bemessung und Verwendung. Die stetige Weiterentwicklung von Textilbeton steht aber weiter im Fokus der Forschung. Ein Bereich mit viel Entwicklungspotential sind mineralische Tränkungsmaterialien für die technischen Textilien. Bisher werden fast ausschließlich polymergetränkte Textilien verwendet. Neben dem Eintrag von Polymeren in den Textilbeton geht häufig ein Tragfähigkeitsverlust durch Temperatureinwirkung ab 80 °C einher. Diese Veröffentlichung zeigt auf, dass mineralische Tränkungsmaterialen im Bereich der Bauwerksinstandsetzung mit Textilbeton gegenüber polymergetränkten Textilien stärken aufweisen. Unter anderem ermöglichen Textilbetonsysteme mit mineralischer Tränkung von Carbonrovings ein sehr feines Rissbild mit geringen Rissbreiten, welche auch unter Druckwasserbeanspruchung zu einer Rissheilung führen. Damit eignen sich Textilbetone mit mineralisch getränkten Carbonfasern beispielsweise für die Instandsetzung von gerissenen sowie beschädigten Wasserbauwerken aus Stahlbeton. 1. Einleitung Textilbetone haben in den vergangenen 20 Jahren eine enorme Entwicklung erlebt. Die Einsatzgebiete reichen von Fassadenelementen, über Verkehrsflächenverstärkungen und Instandsetzungssystemen bis hin zu ersten Fußgängerbrücken, die aus Textilbeton errichtet wurden. Insbesondere im Bereich der Bauwerkssanierung werden Textilbeton-Systeme eingesetzt, um gerissene sowie geschädigte Betonoberflächen zu reparieren. Beispiele sind das Forschungsprojekt am Stauwerk Horkheim [1] oder die Dachsanierung am Marien-Dom in Neviges [2]. Viele weitere Projekte sind in der Umsetzung oder können in naher Zukunft erwartet werden. Parallel laufen zahlreiche Forschungsprojekte zur Weiterentwicklung von Textilbetonen oder auch zur Charakterisierung und Normierung. Am meisten verbreitet sind bisher Systeme aus Mörtel oder Feinbeton mit getränkten Carbongelegen (Epoxidharz-, Styrolbutadien- oder Acrylattränkungen). Diese Tränkungsmaterialien weisen unterschiedliche Eigenschaften auf, die entsprechend ihrer Einsatzgebiete erforderlich sind. Alle gängigen Textilgelege haben jedoch eine Gemeinsamkeit, die Tränkungen sind polymerbasiert. Daher ist die Einsatzmöglichkeit z.B. im Bereich der Sanierung von Trinkwasserspeichern zu hinterfragen. Auch ist die geringe Temperaturbeständigkeit eine Schwäche der Textil-Tränkungen. Es müssen alternative Tränkungsmaterialien erforscht werden. An der Technischen Universität Dortmund wird am Lehrstuhl Werkstoffe des Bauwesens ein solches alternatives Tränkungssystem untersucht. Kieselsäureester (KSE) wird als mineralisches Tränkungsmaterial in Kombination mit Carbon-Endlosfasern verwendet. Das anorganische Tränkungsmaterial erhöht den äußeren Verbund zwischen Bewehrung und Beton, wodurch ein fein verteiltes Rissbild entsteht. Eine solche Textilbetonschicht weist gute Eigenschaften für ein Sanierungssystem von Trinkwasserspeicher auf, da keine zusätzlichen gegebenenfalls löslichen polymeren Materialien eingebracht werden und die Rissverteilung eine wasserdichte Sanierung von gerissenen Stahlbeton-Bauwerken ermöglicht. Im Rahmen dieser Veröffentlichung wird die Vorgehensweise der bei Herstellung des Textilbetonsystems erläutert. Es werden Ergebnisse aus Zugversuchen hinsichtlich der Rissbreiten vorgestellt und das Potential der Rissheilung gerissener Textilbetonproben unter Einfluss verschieden hoher Wasserdrücke aufgezeigt. 464 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung 2. Einaxiale Zugversuche 2.1 Untersuchungsgegenstand Untersucht wurden rechteckige Textilbetonplattenstreifen mittels einaxialen Zugversuchen. Die Komponenten aus denen die Proben bestehen sind Pagel TF10 Feinbeton, Carbonendlosfasern (Roving) Sigrafil C T50-4- 4/ 255-E100 und mineralische Tränkung auf Kieselsäureester-Basis (KSE). Mineralische Tränkung Die mineralischen Tränkungsmaterialen sind silikatische Lösungen auf Kieselsäureester-Basis. Die verwendeten Produkte mit den Handelsnamen KSE 100, KSE 300 und KSE 500E bestehen hauptsächlich aus Quarzsand, welcher mittels Alkoholgruppen in einem chemischen Prozess verflüssigt wird. Bei einer Reaktion von Kieselsäureester mit Wasser entsteht Siliciumdioxid (SiO 2 ), auch als Kieselgel bezeichnet, als Nebenprodukt entweicht Ethanol. Durch Tränkung der Carbonendlosfasern mit KSE bildet das Siliciumdioxid die Oberflächenbeschichtung der Carbonfasern. Durch eine Änderung der Stoffgemische oder durch Zugabe von Lösemitteln kann eine Variation der Gelabscheidungsrate erreicht werden, welche die Größe und Anzahl der Kieselsäureester-Moleküle bestimmt. Daraus ergibt sich eine unterschiedliche feine Oberflächenstruktur und Steifigkeit der Carbonrovings. Probekörper Die Textilbeton-Probekörper sind mit der Feinbetonmischung Pagel TF10 hergestellt worden. Dieser Feinbeton ist speziell für die Anwendung von Textilbetoninstandsetzungssystemen entwickelt worden. Eine hohe Wasserundurchlässigkeit sowie Spritzfähigkeit zeichnen den Feinbeton aus [3]. Mit einem Größtkorn von einem Millimeter eignet sich die Fertigmischung sehr gut für kleinformatige Probekörper. Die Abmessungen der Probekörper der Versuchsreihen weisen eine Länge von 800 mm, ein Breite von 70 mm und eine Schichtdicke von 15 mm auf. Bewehrt sind die Probekörper mit acht Carbonrovings aufgeteilt auf zwei Lagen. Die Rovings liegen gleichmäßig verteilt 14 mm auseinander, der Abstand der beiden Bewehrungslagen beträgt fünf Millimeter, sodass auch eine Betondeckung von fünf Millimetern gegeben ist. Die Carbonendlosfasern SIGRAFIL ® C T50-4.4/ 255-E100 weisen eine Faserfeinheit von 3450 tex auf. Daraus ergeben sich 1,92 mm²/ Strang sowie 15,36 mm²/ Probekörper. Das ergibt einen Bewehrungsgrad von circa 1,5 % bei einer Betonquerschnittsfläche von 1050 mm². Herstellung Die Textiltränkung wurde in einem Drei-Walzen-Foulard vorgenommen. Die Carbonendlosfasern sind nach der Tränkung auf einem Rahmen aufgespannt und luftumspült gelagert worden. Die unbehandelten flachen Carbonendlosfasern wurden nach der Tränkung keiner Formgebung unterzogen. Der Querschnitt lässt sich als ungeregelt mit ovaler Ausprägung bezeichnen. Die Lagerung erfolgte bei 20 °C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 % (± 5 %) für mindestens vier Wochen. Die Textilbeton-Probekörper wurden stehend in einer Kunststoffschalung hergestellt. Ein Schalungssatz umfasst vier Probekörper mit jeweils acht getränkten Rovings. Die Lagesicherheit der Rovings wurde über Distanzstücke im Schalungsrahmen sowie Zugfedern sichergestellt. Die Zugfedern wirkten lediglich lagesichernd, ohne eine signifikante Vorspannung zu erzeugen. Die betonierten Probekörper wurden 20 Stunden gegen Austrocknen geschützt, anschließend bis zum 7. Tag im Wasserbad gelagert und bis zur Prüfung nach 28 Tagen bei 20 °C und 65 % relativer Luftfeuchtigkeit luftumspült gelagert. Detaillierte Angaben zur Herstellung der Probekörper und den verwendeten Materialien sind [4] zu entnehmen. 2.2 Versuchsaufbau und Durchführung Der einaxiale Zugversuch oder auch Dehnkörperversuch nach [5] wurde in der Universalprüfmaschine inspekt 100 kN der Fa. Hegewald & Peschke entsprechend der Empfehlungen von [6] durchgeführt. Die Probekörperhalterung erfolgte an den Enden durch Klemmung über eine Länge von 250 mm zwischen zwei profilierten Stahlplatten mit Furniersperrholz als Zwischenlage. Die Klemmvorrichtung wurde in Kugelgelenkköpfe eingehängt, um eine einaxiale Zugbeanspruchung zu gewährleisten. Die Prüfung erfolgte weggesteuert mit einer Prüfgeschwindigkeit von 1 mm/ min. Der gesamte Prüfkörper wurde zuvor mit 200 N Vorlast zentriert. Bild 1 zeigt eine schematische Darstellung des Prüfkörpers. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 465 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Bild 1: Schematische Darstellung der Probekörperhalterung Mit dem photogrammetrischen Messsystem ARA- MIS ® 12 M der Fa. GOM wurden Längenänderungen und Rissbildung kontinuierlich erfasst. Mittels Bildkorrelation können durch ein aufgesprühtes stochastisches Muster Verschiebungen am Probekörper erfasst werden. Aus den Verschiebungen lassen sich z.B. Längenänderungen ableiten. Die Probekörper wurden in einem Bereich der freien Weglänge von 300 mm betrachtet. Über den zentralen 200 mm langen Bereich der Probekörper wurde die Dehnung e ermittelt. Die Dehnung e ergibt sich aus dem Quotienten der Längenänderung Dl und der Ausgangslänge l 0 . Mit der rechnerischen Textilzugspannung s in N/ mm², welche sich aus der Zugkraft in Bezug auf die textile Querschnittsfläche ergibt, wird das Spannungs- Dehnungsverhältnis angegeben. Die Bewertung der Rissanzahl, Rissbereiten und Rissabstände erfolgt über die gesamte freie Weglänge. 2.3 Auswertung der Spannungs-Dehnungslinie und Rissbildung Zunächst wurde eine Versuchsreihe mit drei unterschiedlichen Kieselsäureester-Tränkungen durchgeführt. Es wurden jeweils vier Probekörper geprüft. Bild 2 zeigt die Ergebnisse in Form von Spannungs-Dehnungslinien. Es ist ersichtlich, dass die Probeköper mit KSE 100 Textiltränkung die gleichmäßigsten Ergebnisse aufweisen und im Vergleich mit etwa 1150 N/ mm² das höchste Versagensniveau erreichen (Bild 2 links). Bei allen Proben lag ein Mischversagen von Kernfaserauszug und Riss der äußeren Filamente vor [6]. Die KSE 100 Proben zeigen das charakteristische Verhalten von Textilbeton im Zugversuch [5, 7]. Die Zustände I, IIa und IIb sind als lineare Bereiche erkennbar, wenngleich es eine Überlagerung von Zustand IIa und IIb gibt, da eine fortlaufende diffuse Rissbildung stattfindet. Bild 2: Spannungs-Dehnungslinien von Kieselsäureester-Tränkungen (links: KSE 100, mittig: KSE 300, rechts: KSE 500E) 466 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Neben der höheren rechnerischen Textilzugspannung der KSE 100 Proben weist auch das Rissbild mit vielen Einzelrissen sowie geringen Rissbreiten und Rissabständen das beste Ergebnis auf. Zurückzuführen ist dies auf einen höheren inneren Textilverbund wie auch äußeren Verbund der Textilien zum Beton. Die geringere Gelabscheidungsrate der KSE 100 Tränkung erzeugt eine feine und gleichmäßige silikatische Oberfläche auf den Carbonrovings. Zusätzlich weisen die mit KSE 100 getränkten Rovings einen Querschnitt mit größerer Kontaktfläche zum Beton auf, als die Rovings die mit KSE 300 und 500E getränkt wurden. Die Kombination aus feiner Oberfläche und größerer Verbundfläche zum Beton beeinflusst den äußeren Verbund positiv, sodass sehr feine Rissbilder in Kombination mit einer adäquaten rechnerischen Textilzugspannung für den Gebrauchszustand erreicht werden konnten. Bild 3 zeigt die mit ARAMIS © aufgenommenen Rissbilder der Versuchsreihe. Bild 3: Repräsentative Rissbilder des Textilbetons zu unterschiedlichen Kieselsäureester Tränkungen Die weiteren Versuchsreihen wurden mit dem Tränkungsmaterial KSE 100 durchgeführt. Dabei wurde zunächst die Auswirkung der Lagerung der Textilbetonprobekörper mit KSE 100 getränkten Carbonfasern untersucht. Zwei Probekörperreihen mit jeweils acht Probekörpern wurden zum einen nach der Herstellung und Ausschalung 26 Tage im Wasserbad gelagert und 24 h vor der Prüfung bei 20 °C und 65 % relativer Luftfeuchte getrocknet (WTB-KS1W). Zum anderen wurden acht Probekörper nach sechs Tagen Lagerung im Wasserbad bis zu Prüfung bei 20 °C und 65 % relativer Luftfeuchtigkeit luftumspült gelagert (WTB-KS1C). Die Ergebnisse aus dem Zugversuch der WTB-KS1C- Proben deckten sich im Rahmen der Messgenauigkeit mit den Ergebnissen der vier KSE 100 Proben aus der ersten Versuchsreihe. Der Vergleich der Spannungs-Dehnungsbeziehung zeigte bei den wassergelagerten Probekörpern WTB-KS1W einen etwas weniger abgeflachtes Plateau im Zustand IIa sowie im Mittel ein etwas früher eintretendes Versagen bei einer rechnerischen Textilzugspannung von 984 N/ mm² (± 58 N/ mm²). Der Rissbildungsprozess der WTB-KS1W-Proben weist etwas geringere Lastabfälle auf sowie einer größeren Überlagerung der Zustände IIa und IIb. Dies führte zu geringeren Rissbreiten der Einzelrisse. Die Bilder 4 und 5 zeigen Rissbreiten repräsentativer Risse und deren Streubereich zu den Proben WTB-KS1W und WTB-KS1C. Die Risse der Proben WTB-KS1C weisen bei einer rechnerischen Textilspannung von 800 N/ mm² eine mittlere Rissbreite von w cr,mean = 0,068 mm (± 0,033 mm) auf. Die Risse der wassergelagerten Proben WTB-KS1W weisen an dieser Stelle (800 N/ mm²) lediglich eine mittlere Rissbreite von w cr,mean = 0,051 mm (± 0,022 mm) auf. Beim Versagenszeitpunkt der Proben WTB-KS1C (1154 N/ mm² ± 128 N/ mm²) weisen diese eine mittlere Rissbreite von w cr,mean = 0,101 mm (± 0,051 mm) auf. Die Proben WTB-KS1W weisen an dieser Stelle (984 N/ mm² ± 58 N/ mm²) lediglich eine mittlere Rissbreite von w cr,mean = 0,060 mm (± 0,041 mm) auf. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 467 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Bild 4: Rissbreiten-Spannungsdiagramm von WTB- KS1W Bild 5: Rissbreiten-Spannungsdiagramm von WTB-KS1C Weiterhin wurden Vorversuche zum Verhalten der Probekörper im Zugversuch unter Temperatureinfluss durchgeführt. Dazu wurde eine Temperaturkammer in den Prüfaufbau integriert. Drei Probekörper, die der Herstellung und Lagerung der WTB-KS1C-Proben entsprechen, wurden auf 80 °C temperiert und gezogen. Durch die Temperaturbeaufschlagung konnten im Rahmen der Messgenauigkeit keine negativen Auswirkungen festgestellt werden. Bild 6 zeigt die Ergebnisse in Form einer Spannungs-Dehnungslinie. Eine weitere Probe wurde während des Zugversuches auf 160 °C temperiert, auch dort zeigte sich kein negativer Temperatureinfluss. Eine detailliertere Beschreibung der Ergebnisse zu den Untersuchungen sind in [4] aufgeführt. Bild 6: Spannungs-Dehnungslinie von WTB-KS1CT80 468 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung 3. Untersuchungen zur Rissheilung von filigranen Textilbetonprobekörpern unter Einfluss verschieden hoher Wasserdrücke 3.1 Versuchsaufbau und Durchführung Die Versuche zur Rissheilung wurden an den Probekörpern, die zuvor im einaxialen Zugversuch geprüft wurden, durchgeführt. Dazu wurden aus den geprüften Probekörpern 70 bzw. 100 mm lange Exemplare herausgesägt. Die Sägeschnitte wurden so angeordnet, dass ein oder mehrere Risse durch die Proben verlaufen. Bild 7 zeigt einen entsprechenden Probekörper. Die Probekörper wurden einseitig mit Wasser beaufschlagt, um das Rissheilungspotential der im Zugversuch entstandenen Risse optisch zu analysieren. Bild 7: Probekörper für Rissheilungsuntersuchung aus Zugversuchsproben (Abmessung 70 x 70 mm) In ersten Vorversuchen wurden die Probekörper in Anlehnung an die Untersuchung zum Wasseraufnahmekoeffizient nach DIN 15148 [8] im Wasserbad gelagert, sodass die Unterseite dauerhaft im Kontakt mit Wasser steht. Die Kanten der Probekörper wurden dazu mit Paraffin-Wachs versiegelt. Die Risse sind dadurch einem drucklosen Kontakt mit Wasser ausgesetzt. Bild 8 zeigt schematisch den Versuchsaufbau. Es wurden Probekörper mit Rissen ≤ 0,1 mm sowie Rissen ≥ 0,1 mm untersucht. In einem weiteren Schritt wurde die Rissheilung mit unterschiedlichen Wasserdrücken untersucht. Dazu wurde ein spezieller Prüfaufbau konzipiert (Bild 9). Die 70 mm langen Probekörper wurden vertikal zwischen abgedichtete PE-Rohre geklemmt, sodass einseitig Wasser aufgebracht werden kann. Die geschlossene Seite der PE-Rohre ist an ein Schlauchsystem mit Wasserspeicher angeschlossen, welchem ein Druckluftsystem vorgeschaltet ist. Auf der anderen Seite des Probekörpers ist das PE-Rohr offen, sodass durchdringendes Wasser abfließen kann. Mittels einstellbarem Manometer ist stufenlos ein Druck von 0 bis 2,5 bar möglich. Die Versuche wurden in den Druckstufen 0,1 bar, 0,5 bar und 1,0 bar durchgeführt. Die Druckstufen simulieren Wassersäulen von 1 m, 5 m und 10 m. Bild 8: Schematische Darstellung Versuchsaufbau Rissheilung (drucklos) in Anlehnung an Wasseraufnahmekoeffizient (nicht maßstäblich) Bild 9: Versuchsaufbau Rissheilung mit Druckwasser Untersucht wurden Probekörper mit mikroskopisch messbaren Rissbreiten im Bereich von 0,025 mm < w cr < 0,200 mm. Die Rissbreite wurde über die gesamte Länge des Risses an mehreren Stellen erfasst. Entsprechend dieser Messwerte wurden drei Risskategorien bestimmt: • Kategorie 1: w cr < 0,05 mm • Kategorie 2: 0,05 mm > w cr < 0,10 mm • Kategorie 3: w cr > 0,10 mm Es wurde zu jeder Druckstufe eine Versuchsreihe mit vier Probekörpern der jeweiligen Risskategorien durchgeführt. 3.2 Auswertung der Rissheilung Bei den Vorversuchen mit drucklos anstehendem Wasser auf der Unterseite der Probekörper konnte festgestellt werden, dass die Proben mit Rissbreiten w cr ≤ 0,10 mm einige Stunden bis hin zu zwei Tagen benötigen, bis auf 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 469 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung der Oberseite ein vollständig durchnässtes Rissbild zu erkennen ist. Die Rissheilung, ersichtlich durch ein fortlaufendes Abtrocknen der Oberfläche, stellte sich zügig nach der Durchfeuchtung ein. Nach vier Tagen war eine Abnahme des Wasserdurchschlags zu erkennen. Diese Beobachtung setzte sich über acht und zwölf Tage fort, bis nach 24 Tagen eine nahezu vollständige Rissheilung erreicht wurde. Bild 10 zeigt die Entwicklung der Rissheilung einer Probe mit Rissbreiten w cr ≤ 0,10 mm. Bei den Proben mit Rissbreiten w cr > 0,1 mm ist der Wasserdurchschlag bereits nach einer Stunde erfolgt, eine Rissheilung fand nur partiell statt. Auch nach 24 Tagen sind die durchnässten Risse noch deutlich zu erkennen, nur in Teilbereichen sind Trocknungen und Ablagerungen aus dem Rissheilungsprozess zu erkennen. Bild 11 zeigt die Entwicklung der Rissheilung einer Probe mit Rissbreiten w cr > 0,10 mm. Bild 10: Entwicklung der Rissheilung von Rissen wcr < 0,10 mm Bild 11: Entwicklung der Rissheilung von Rissen wcr > 0,10 mm 470 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Bei den Untersuchungen zum Einfluss des Wasserdrucks auf die Rissheilung zeigte sich, dass die Proben schon bei 0,1 bar bereits nach 30 bis 60 Minuten durchnässten. Mit steigendem Druck verkürzte sich die Zeit des vollständigen Wasserdurchschlags weiter, sodass bei 1,0 bar Wasserdruck der Wasserdurchschlag unmittelbar nach Versuchsbeginn erreicht wurde. Eine Rissheilung erfolgte bei der Druckstufe 0,1 bar bei allen Probekörpern. Risse mit Rissbreiten w cr < 0,05 mm trockneten bereits wenige Stunden nach Versuchsbeginn wieder aus. Nach weniger als 24 Stunden waren alle Risse der ersten und zweiten Kategorie trocken. Lediglich bei einem Probekörper, der in Teilbereichen Rissbreiten von w cr = 0,18 mm aufweist, stellte sich auch nach 14 Tagen keine Austrocknung ein. Bild 12: Probekörper für Rissheilungsuntersuchung aus Zugversuchsproben (Rissbreite zwischen 0,05 und 0,1 mm bei 0,5 bar Wasserdruck) Bei der Druckstufe 0,5 bar fand bei den Proben mit Rissbreiten w cr < 0,05 mm eine Rissheilung innerhalb weniger Stunden statt. Risse im Bereich von 0,05 mm < w cr < 0,10 mm trockneten in Teilen innerhalb von 48 Stunden ab. Risse der dritten Kategorie (w cr > 0,01 mm) trockneten nur in Teilbereichen ab, sodass nach Ende der Versuchslaufzeit von 14 Tagen einige Probenbereiche trocken waren, einzelne Proben aber noch gänzlich durchnässt. Bild 12 zeigt exemplarisch die Entwicklung der Rissheilung eines Probekörpers der zweiten Risskategorie bei 0,5 bar Wasserdruck. Bei der Druckstufe 1,0 bar trockneten die meisten Proben der ersten Kategorie im Zeitraum von 96 Stunden wieder ab. Probekörper mit Rissbreiten der zweiten Kategorie trockneten über den Versuchszeitraum von 14 Tagen in Teilen ab. Einige Bereiche, in denen die Rissbreiten im Bereich von 0,10 mm liegen, waren noch nicht ausgeheilt. Proben der Kategorie 3 konnten nicht geprüft werden, da der Wasserdurchtritt zu stark war, es herrschte ein kontinuierlicher Wasserfluss. Die Untersuchung zur Rissheilung unter Einfluss verschiedener Wasserdrücke zeigte, dass auch mit einem steigenden Wasserdruck eine Rissheilung in filigranen Textilbetonprobekörpern möglich ist. Rissbreiten bis 0,10 mm konnten ausheilen. 4. Zusammenfassung und Ausblick Diese Veröffentlichung zeigt, dass Textilbeton-Systeme mit mineralisch getränkten Carbonfasern auf Basis von Kieselsäureester eine Alternative zu herkömmlichen Systemen bieten. Die Ergebnisse der Zugversuche zeigten, dass eine Zugtragfähigkeit für den Gebrauchsbereich einer Instandsetzung zur Rissüberbrückung von Stahlbetonbauwerken erreicht werden kann. Dazu werden eine Vielzahl von Einzelrissen mit sehr geringen Rissbreiten unterhalb von 0,10 mm erreicht, wodurch ein wasserdichtes System geschaffen werden kann. Erste Tastversuche zum Temperatureinfluss zeigen die Stabilität der Beschichtung bzw. des Verbundes bis zu Temperaturen von 160 °C. Die Versuche zur Rissheilung haben gezeigt, dass die filigranen Probekörper auch bei höheren Wasserdrücken innerhalb kurzer Zeit ausheilen können. An den entstandenen sehr feinen Rissbreiten konnten Rissheilungsprozesse mit bis zu 1,0 bar Wasserdruck nachgewiesen werden. Textilbetone mit mineralischen Tränkungsmaterialien bieten damit ein großes Potential bei der Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken, beispielhaft sind Wasserbauwerke zu nennen. Das untersuchte Textilbetonsystems bietet ein „quasi dichtes“ Instandsetzungssystem ohne den Einsatz von Polymeren als Textil-Tränkung. An der Technischen Universität Dortmund werden die Dauerhaftigkeit des Systems sowie die Verbesserung des Zugtragverhaltens weiter untersucht. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 471 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Literatur [1] Orlowsky, J.; Raupach, M.; Westendarp, A.; Öztürk, T.: Textilbewehrte Spritzmörtel zur Instandsetzung von Wasserbauwerken. Beton 61 (2011), Nr. 12, S. 486-490 [2] Jacobs R.; Bock C.: Ein Zeltdach mit Textilbeton. Deutsches Ingenieurblatt, 2020, Nr. 7. [3] Lieboldt, M.: Feinbetonmatrix für Textilbeton: Anforderungen-baupraktische Adaption-Eigenschaften. Beton- und Stahlbetonbau, 2015, 110. Jg., Nr. 1, S. 22-28. [4] Lenting, M.; Orlowsky, J.: Einaxiale Zugversuche an textilbewehrten Betonen mit anorganisch getränkten Carbonfasern. Beton- und Stahlbetonbau, 2020, 115. Jg., Nr. 7, S. 495-503. [5] Jesse, F.: Tragverhalten von Filamentgarnen in zementgebundener Matrix. TU Dresden, Dissertation, 2004. [6] Schütze, E.; Bielak, J.; Scheerer, S.; Hegger, J.; Curbach, M.: Einaxialer Zugversuch für Carbonbeton mit textiler Bewehrung. Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Heft 1, S. 33-47. [7] Lorenz, E.; Schütze, E.; Schladitz, F.; Curbach, M.: Textilbeton - Grundlegende Untersuchungen im Überblick. Beton- und Stahlbetonbau 108, (2013), Heft 10, S. 711-722. [8] Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN ES ISO 15148: Wärme- und feuchtetechnisches Verhalten von Baustoffen und Bauprodukten - Bestimmung des Wasseraufnahmekoeffizienten bei teilweisem Eintauchen. Ausgabe 2018-12. Beuth-Verlag, Berlin