Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
71
2021
71
Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken
71
2021
Klaus Kersting
Corinne Ziegler
Sabrina Schatzinger
Bei der Sanierung von Bauwerken werden immer wieder Gefahrstoffe angetroffen. Diese Gefahrstoffe stammen entweder aus dem zu sanierenden Gebäuden, weil dort gefährliche Stoffe eingebaut worden sind oder aus den bei der Sanierung verwendeten bauchemischen Produkten. Daraus ergeben sich Pflichten für den Auftraggeber, den Auftragnehmer und den Beschäftigten.
Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) geben den Betroffenen Hilfestellung und unterstützen sie bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen.
kevb710651
7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 651 Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken Klaus Kersting Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Frankfurt, Deutschland Corinne Ziegler Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Berlin, Deutschland Sabrina Schatzinger Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), Wien, Österreich Zusammenfassung Bei der Sanierung von Bauwerken werden immer wieder Gefahrstoffe angetroffen. Diese Gefahrstoffe stammen entweder aus dem zu sanierenden Gebäuden, weil dort gefährliche Stoffe eingebaut worden sind oder aus den bei der Sanierung verwendeten bauchemischen Produkten. Daraus ergeben sich Pflichten für den Auftraggeber, den Auftragnehmer und den Beschäftigten. Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) geben den Betroffenen Hilfestellung und unterstützen sie bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. 1. Einleitung Bei Instandsetzung von Bauwerken kann es zu einer Gefährdung der Beschäftigten durch Gefahrstoffe kommen. Dabei bestehen sowohl Gefahren beim Bearbeiten alter Baustoffe als auch beim Einsatz der Instandsetzungsprodukte. Es können gesundheitliche Schäden wie Atemwegserkrankungen, Verätzungen oder Reizungen, Allergien sowie Krebserkrankungen auftreten. Für die Tätigkeiten mit Gefahrstoffen gelten die Gefahrstoffverordnung und die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS), die die Gefahrstoffverordnung konkretisieren. In den Vorschriften werden die für den Arbeitsschutz wichtigsten Eigenschaften von Gefahrstoffen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen beschrieben. Darüber hinaus geben die Technischen Merkblättern der Hersteller, die Sicherheitsdatenblätter und die Schriften der Berufsgenossenschaften Hinweise auf den sicheren Umgang mit Gefahrstoffen. Der Arbeitgeber muss die Beschäftigten entsprechend der Gefahren unterweisen und über die Gefahren in einer Betriebsanweisung informieren sowie die notwendige Schutzausrüstung zur Verfügung stellen. 2. Gefahrstoffe Gefahrstoffe sind gefährliche Stoffe und Gemische, die ein oder mehrere Kriterien des Anhanges I Teil 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/ 2008 (CLP-Verordnung) erfüllen sowie Stoffe und Gemische, aus denen bei der Herstellung oder Verwendung Stoffe oder Gemische mit gefährlichen Eigenschaften entstehen oder freigesetzt werden können. Gefahrstoffe können im Allgemeinen an den Gefahrenpiktogrammen erkannt werden. Von den bei der Instandsetzung eingesetzten Produkten gehen dabei Brand- und Explosionsgefahren (z. B. Löse- und Reinigungsmittel), akute Gesundheitsgefahren wie Reizungen und Verätzungen (z. B. Zement und Härter von Epoxidharzen) und chronische Gesundheitsgefahren wie Allergien (z. B. Epoxidharze und Polyurethane) aus. Problemtisch ist das Erkennen von Gefahrstoffen beim Bauen im Bestand z. B. bei Instandsetzungsarbeiten. Bei diesen Arbeiten werden im Allgemeinen alte Baumaterialien angetroffen, die Gefahrstoffe wie Asbest, PCB oder Blei enthalten können. Von diesen Stoffen gehen akute und chronische Gesundheitsgefahren (z. B. Krebserkrankungen durch Asbest) aus. Da für Instandsetzungsmaßnahmen u.a. eine Vorbereitung des Untergrundes erforderlich ist, werden bei den Arbeiten die Gefahrstoffe freigesetzt. Besonders wichtig ist es daher, die in den alten Materialien enthaltenen Gefahrstoffe zu erkennen und die Maßnahmen auf den Baustellen anzupassen. 3. Pflichten der Beteiligten Die Notwendigkeit, Gefahrstoffe zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen, ergeben sich aus verschiedenen Aspekten. Dabei bestehen Pflichten für alle Beteiligten 652 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken 3.1 Auftraggeber Entsprechen der VOB sind die besonderen Schutzmaßnahmen für Arbeiten in kontaminierten Bereichen ‚Besondere Leistungen‘. Die erforderlichen Maßnahmen für die im Bauwerk enthaltenen Gefahrstoffe müssen daher in der Leistungsbeschreibung zumindest umfassend beschrieben, besser noch in Einzelpositionen ausgeschrieben werden. Eine betreffende DIN ATV wird derzeit erarbeitet. Die TRGS 519 ‚Asbest, Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten‘, die TRGS 524 ‚Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten in kontaminierten Bereichen‘ und die DGUV-Regel 101-004 ‚Kontaminierte Bereiche‘ richten sich auch an den Auftraggeber, der den Auftragnehmer über die Gefahrstoffe in den Gebäuden informieren muss. Der Auftraggeber darf nur dafür qualifizierte Betriebe mit der Entfernung von in Gebäude enthaltenen Gefahrstoffen beauftragen. 3.2 Auftragnehmer Qualifikation Damit der Auftragnehmer entsprechende Aufträge überhaupt annehmen darf, muss er sich und seine Mitarbeiter vor der der Aufnahme der Tätigkeiten qualifizieren. Dies wird in der TRGS 519 und der DGUV-Regel 101-004 konkretisiert. In beiden Fällen ist die erfolgreiche Teilnahme an entsprechenden Lehrgängen erforderlich. Gefährdungsbeurteilung Vor der Aufnahme von Tätigkeiten mit Gefahrstoffen muss der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung durchführen. Berücksichtigen muss er dabei • die gefährlichen Eigenschaften der Stoffe bzw. der Produkte, • die Informationen des Auftraggebers oder des Herstellers (z. B. Sicherheitsdatenblatt), • Ausmaß, Art und Dauer der Exposition unter Berücksichtigung der Aufnahme durch Einatmen und des Hautkontaktes, • physikalisch-chemische Wirkung der Produkte, • Möglichkeit von Ersatzprodukten, • Arbeitsbedingungen und Arbeitsverfahren einschließlich der Arbeitsmittel und Produktmenge, • Grenzwerte (Arbeitsplatzgrenzwerte, DNEL und biologische Grenzwerte), • Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen und • Ergebnisse durchgeführter arbeitsmedizinischer Vorsorge. Das Ergebnis seiner Gefährdungsbeurteilung muss er schriftlich festhalten. Arbeitsmedizinische Vorsorge Vor Aufnahme der Tätigkeiten und danach in regelmäßigen Abständen muss der Arbeitgeber für die Beschäftigten eine arbeitsmedizinische Vorsorge organisieren. Dabei unterscheidet man in Abhängigkeit von den Risiken zwischen Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorgen. Bei einer Pflichtvorsorge muss der Beschäftigte an der Vorsorge teilnehmen. Bei einer Angebotsvorsorge muss der Arbeitgeber die Vorsorge anbieten, der Beschäftigte kann aber selbst entscheiden, ob er daran teilnimmt. Bei einer Wunschvorsorge geht der Wunsch zur Vorsorge vom Beschäftigten aus. Eine Pflichtvorsorge besteht z.B. bei den folgenden Tätigkeiten: • Exposition gegenüber Isocyanaten bzw. Polyurethanen, bei denen ein regelmäßiger Hautkontakt nicht ausgeschlossen werden kann oder eine Luftkonzentration von 0,05 mg/ m³ überschritten wird, • dermale Gefährdung oder inhalative Exposition mit unausgehärteten Epoxidharzen, • krebserzeugende oder keimzellmutagene Stoffe der Kategorie 1A oder 1B wie Asbest oder PAK, • Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Blei und anorganischen Bleiverbindungen bei Überschreitung einer Luftkonzentration von 0,075 Milligramm pro Kubikmeter, • Tätigkeiten, bei denen der Arbeitsplatzgrenzwert eines Gefahrstoffes nicht eingehalten wird. Der Arbeitgeber hat eine Vorsorgekartei zu führen, wann und aus welchen Anlässen die arbeitsmedizinische Vorsorge stattgefunden hat. In Österreich muss dies im Rahmen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) und der Verordnung zur Gesundheitsüberwachung am Arbeitsplatz (VGÜ) durchgeführt werden. Betriebsanweisung und Unterweisung Der Arbeitgeber hat eine arbeitsbereichs- und stoffbezogene Betriebsanweisung zu erstellen. Unter Berücksichtigung der mit den Tätigkeiten verbundenen Gefahren für Mensch und Umwelt müssen die erforderlichen Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln festgelegt, Anweisungen über das Verhalten im Gefahrfall und über die Erste Hilfe getroffen und auf die sachgerechte Entsorgung entstehender Abfälle hingewiesen werden. Die Betriebsanweisung ist in verständlicher Form und in der Sprache der Beschäftigten abzufassen und an geeigneter Stelle in der Arbeitsstätte bekanntzumachen. Arbeitnehmer, die Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ausüben, müssen anhand der Betriebsanweisung über die auftretenden Gefahren sowie über die Schutzmaßnahmen unterwiesen werden. Die Unterweisung muss vor der Aufnahme der Tätigkeiten und danach mindestens einmal jährlich mündlich und arbeitsplatzbezogen erfolgen. Inhalt und Zeitpunkt der Unterweisungen sind schriftlich festzuhalten und von den Unterwiesenen durch Unterschrift zu bestätigen. Der Nachweis der Unterweisung ist zwei Jahre aufzubewahren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 653 Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken Schutzausrüstung Der Arbeitgeber muss mit geeigneten Mitteln die Gefährdung der Beschäftigten so gering wie möglich halten. Dabei gilt das Prinzip, dass die Belastung zuerst durch technische oder organisatorische Maßnahmen reduziert werden muss. So kann das Freisetzen von Staub z. B. durch den Anschluss von Entstaubern und Vorabscheidern an die Geräte reduziert werden. Außerdem ist die Zahl der exponierten Personen möglichst gering zu halten. Kann die Belastung trotz des Einsatzes von technischen Maßnahmen nicht unterhalb der Grenzwerte gesenkt werden oder besteht eine Gefährdung bei Hautkontakt, muss persönliche Schutzausrüstung eingesetzt werden. Ist der Einsatz persönlicher Schutzausrüstung erforderlich, muss der Arbeitgeber diese zur Verfügung stellen und dafür sorgen, dass die Schutzausrüstung sachgerecht aufbewahrt wird, vor Gebrauch geprüft und nach Gebrauch gereinigt und bei Schäden ausgetauscht wird. 3.3 Beschäftigte Der Beschäftigte muss an der Arbeitsmedizinischen Vorsorge teilnehmen. Verweigert er die Teilnahme an einer Pflichtvorsorge, darf er die Tätigkeiten nicht durchführen. Ist Schutzausrüstung erforderlich, muss der Beschäftigte die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Schutzausrüstung benutzen. 4. Hilfen durch die BG BAU und die AUVA 4.1 BG BAU (Deutschland) Die BG BAU bietet als gesetzliche Unfallversicherung den versicherten Betrieben umfangreiche Unterstützung bei der Umsetzung der Vorschriften für Gefahrstoffen an. Lehrgänge Die für die Arbeiten an mit Schadstoffen belasteten Bauwerken notwendige Sachkunde (DGUV-Regel 101-004) kann in Lehrgängen der BG BAU erworben werden. Medien Mit dem Programm WINGIS bietet die BG BAU eine Software zur Information über Gefahrstoffe und zur Unterstützung der Betriebe bei der Umsetzung des Gefahrstoffrechts an. In der Stoff- und Produktdatenbank werden die von den Gefahrstoffen ausgehenden Gesundheitsgefahren beschrieben und die notwendigen Schutzmaßnahmen benannt. Zudem erhält der Nutzer Informationen zu Ersatzprodukten, Grenzwerten, Beschäftigungsbeschränkungen, Arbeitsmedizinischer Vorsorge und Erster Hilfe. Darüber hinaus werden Angaben zum Transport, der Lagerung und der Entsorgung gemacht. Damit bildet die Information die Basis für die Gefährdungsbeurteilung. Ein weiteres Modul in WINGIS sind die Entwürfe der Betriebsanweisungen für die Gefahrstoffe in der Bauwirtschaft. Diese können anwendungsspezifisch in 16 Sprachen abgerufen werden und müssen vom Anwender nur noch durch baustellenspezifische Angaben ergänzt werden. WINGIS steht sowohl online (www.wingisonline.de) als auch als auf den Seiten der BG BAU (www.bgbau.de) als Download zur Verfügung. Neben WINGIS bietet die BG BAU Unterstützung zum sicheren Umgang mit Gefahrstoffen in Form von Broschüren und Bausteinen an. Arbeitsschutzprämien Für Anschaffungen wie Sicherheitstechniken, Zusatzausrüstungen oder die Organisation des Arbeitsschutzes zahlt die BG BAU den versicherten Betrieben Prämien (www.bgbau.de/ prämien/ arbeitsschutz). 4.2 AUVA (Österreich) Da international verschiedenste Gesetze und Verordnungen gelten, sollten sich die Unternehmen bei Arbeiten in Bereich der Bauwerksinstandsetzung immer vorab informieren, welche Regeln im jeweiligen Land zum Tragen kommen. Für Hilfen und Fragen im Rahmen des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit bei der Arbeit können sich Unternehmen in Österreich an den Unfallverhütungsdienst der für sie zuständigen AUVA-Landesstelle wenden. Informationen und Kontakte sind unter www.auva.at zu finden 5. Biostoffe Bei der Instandsetzung von Bauwerken können auch problematische Biostoffe wie Schimmelpilze oder Ausscheidungen von Schädlingen angetroffen werden. Auch hier ergeben sich Gefahren und Pflichten für die Beteiligten. Die BG BAU und die AUVA informieren auf ihren Seiten über die Gefahren und die notwendigen Schutzmaßnahmen.
