eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 8/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
21
2023
81

Die Regeln der Technik und das Recht

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2023
Gerd Motzke
kevb810017
8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 17 Die Regeln der Technik und das Recht Prof. Dr. Gerd Motzke Rechtsanwaltskanzlei Prof. Dr. Motzke, Mering Die Regeln der Technik und das Recht Prof. Dr. jur. Gerd Motzke, Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am OLG München a.D. gerd.motzke@t-online.de 1 Inhaltsübersicht • Ordnungsgebot - Im Bereich der Technik - Im Bereich des Rechts • Das Regelungskonzept im Bereich der Technik - Schriftliche Regelwerke - Vielfalt - Anerkannte Regeln der Technik - Schriftliche Regelwerke als anerkannte Regeln der Technik • Das Regelungskonzept im Bereich des Rechts - Das BGB-Konzept - Das VOB/ B-Konzept • Die Regelungen dazwischen: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) -> ATV DIN • Folgerungen für den Sachverständigen - Als Privatgutachter - Als Gerichtsgutachter 2 18 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Ordnungsgebot Technikbereich + Rechtsbereich • Technikbereich - Es herrscht Vielfalt/ Vielheit - Es herrscht Buntheit - Es herrscht sprachliche Vielfalt • Rechtsbereich - Es herrscht grundsätzlich Einheit (BGB oder VOB/ B) - Es herrscht Vereinbarungsmöglichkeit -> Vereinbarung / Geltung der VOB/ C (Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen ATV DIN) 3 Grundsätzliche Erkenntnis • Das gesetzliche Werkvertragsrecht verweist nicht auf Technikregel - Vgl. § 633 BGB; § 4 Abs. 2 und § 13 Abs. 1 VOB/ B v - § 4 Abs. 2 und § 13 Abs. 1 VOB/ B verweisen auf die anerkannten Regeln der Technik • Die VOB/ C, z. B. die ATV DIN 18349 verweist als vereinbartes Vertragsrecht auf einzelne Techniknormen - Abschnitt 2 (Stoffe und Bauteile), dort Verweis u. a. auf die RiLi-SIB (also nicht auf die TR-Instandhaltung) • Selbstverständlich können die Vertragsparteien im Vertrag auf Techniknormen verweisen. 4 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 19 Die Regeln der Technik und das Recht Ordnungsgebot - Bereich der Technik • Schriftliche Regelwerke von Regelwerksetzern unterschiedlichster Art und wohl auch Zielsetzung • Anerkannte Regeln der Technik - Erwähnt z. B. in DIN 820-1: 2014-06 Abschnitt 8.1: „Die Normen des Deutschen Normenwerks sollen sich als anerkannte Regeln der Technik etablieren“. - Erwähnt z. B. in VDI 1000 2017, S. 2: „Der VDI erhebt den Anspruch, durch sein Richtlinienwerk allgemein anerkannte Regeln der Technik zu schaffen, die Fachleuten die Sicherheit geben, bei Anwendung einer VDI-Richtlinie richtig zu handeln. • Anerkannte Regeln der Technik ist nicht der Oberbegriff und schriftliche Regelwerke sind nicht Teil eines Unterbegriff • Vielmehr: Unterschiedliche Kategorien • Vielfältiges Erscheinungsbild von schriftlichen Technikregeln • Regelwerksetzer und ihre je eigenen Regeln 5 Ordnungsgebot: Qualifizierung schriftlicher Technikregeln durch Regelwerksetzer - Beispiele • DIN-> Normen, Vornormen (frühere Bezeichnung) = Entwürfe von Normen • VDI -> Richtlinien • DVGW (DVGW GW 100), 2016 -> Bestandteile des Regelwerks: Arbeitsblätter, DIN-Normen + gleichwertige Technische Regeln, Merkblätter, erläuternde Dokumente • BEB -> Arbeitsblätter, Arbeitsrichtlinien, Arbeitsanweisung, Hinweise, Merkblätter • ZDB -> Merkblätter, Hinweise • Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein -> Merkblätter • FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen) -> Regelwerke der Kategorie 1 = R1 (ZTV, TL (Technische Lieferbedingungen), TP (Technische Prüfvorschriften); Regelwerke der Kategorie 2 = R 2 (= Empfehlungen, Merkblätter) = Stand von Wissenschaft und Technik; Wissensdokumente (= W 1 = Hinweise + Arbeitsanleitungen) und W 2 = Arbeitspapier) 6 20 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Ordnungsgebot: Qualifizierung schriftlicher Technikregeln durch Regelwerksetzer - Beispiele • Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStB) -> Richtlinien (z. B.: RiLi-SIB 2011, TR- Instandhaltung 2021; WU-Richtlinie mit Erläuterung im Heft 555: Richtlinie fasst den Stand der Technik zusammen, in mehr als 30 Jahren Praxis entstanden und auf gesicherten Erfahrungen beruhend = anerkannte Regel der Technik), Gelddrucke als Vorstufe, Schriftenreihe -> grüne Hefte) • Bundesausschuss für Farbe und Sachwertschutz (BFS) -> Merkblätter • Verband der Fenster- und Fassadenhersteller e. V. (VFF) -> Merkblätter (z. B. Richtlinie zur visuellen Beurteilung einer fertigbehandelten Oberfläche, Merkblatt HO.05) • Bundesverband Farbe, Gestaltung, Bautenschutz -> Richtlinien (z. B. Strukturierte Putzoberflächen = Diese Richtlinie behandelt nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik neu aufgetragene strukturierte Oberputze …….“ • Internationaler Verband für den Metallleichtbau (IFBS) -> Richtlinien • Fachverband der Stuckateure für Ausbau und Fassade -> Richtlinien (z. B. Fassadensockelputz / Außenanlage = Stand der Technik) • Bund Deutscher Zimmermeister (Fachregeln des Zimmererhandwerks, z. B. Balkone u. Terrassen, Fachregeln 02 • Industrieverband Dichtstoffe e. V. -> IVD - Merkblätter; Arbeitskreis der Sachverständigen im bayerischen Maler- und Lackiererhandwerk -> Richtlinie zur visuellen Beurteilung beschichteter Oberflächen (Rili-Ofl) 7 Struktur der Regelwerksetzer • Neutrale (z. B. DIN, VDI), Vereine mit dem Ziel der Schaffung von Normen • Dem Regelungsgegenstand nahestehende Organisationen (z. B. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, Deutscher Beton- und Bautechnik- Verein, DVGW) Ziel: Setzung von Regeln • Industrieverbände (z. B. Metallbau, Abdichtung) • Berufsverbände (z. B. Maler, Stukkateure, Bund Deutscher Zimmermeister) • Sachverständigenarbeitskreise (z. B. Rili-Ofl) • Frage: Wer erzeugt welche Regelwerke mit welchem Anspruch? Was ist die Grundlage? 8 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 21 Die Regeln der Technik und das Recht Struktur der Regelwerke • Sprachliche Vielfalt - Normen - Richtlinien - Merkblätter - Hinweise - Arbeitsblätter - Empfehlungen • Aussagen zum Bedeutungsgehalt, z. B. des DIN in DIN 820 Beiblatt 3 Abschnitt 5: Eine Norm ist nicht die einzige, sondern nur eine Erkenntnisquelle für technisch ordnungsgemäßes Verhalten im Einzelfall. 9 Regelwerke verknüpft mit anerkannten Regeln der Technik • Teilweise wird der Anspruch erhoben - VDI; Deutscher Ausschuss für Stahlbeton • Teilweise bewusst offen gelassen - DIN 820-1 Abschnitt 8.1 (ausgenommen Sicherheitsbereich: „Bei sicherheitstechnischen Festlegungen in DIN-Normen besteht eine konkrete Vermutung dafür, dass sie fachgerecht, d.h., dass sie „anerkannte Regeln der Technik“ sind .“ • Teilweise verwirrend - Forschungsgesellschaft für Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau e. V. 10 22 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Adressat der Technikordnung • Planer und Ausführende • Sachverständige (SV) als Privatgutachter und Gerichtsgutachter - Feststellungsaufgabe nach Maßgabe der Technikordnung - Bewertungs-/ Beurteilungsaufgabe nach Maßgabe der Technikordnung - Gutachtensaufgabe nach Maßgabe der Technikordnung im Konflikt mit dem Beweisbeschluss • Worauf der Zugriff? Auf anerkannte Regeln der Technik oder auf - soweit vorhanden - schriftliche Technikregeln? 12 Definition der „anerkannten Regeln der Technik“ in technischen Regelwerken • Es gibt eine Beschreibung in der DIN EN 45020 - Allgemeine Fachausdrücke und deren Definitionen betreffend Normung und damit zusammenhängende Tätigkeiten, Fassung April 1994 - Abschnitt 1.5. Danach sind anerkannte Regeln der Technik technische Festlegungen, die von der Mehrheit repräsentativer Fachleute als Wiedergabe des Standes der Technik angesehen werden. 11 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 23 Die Regeln der Technik und das Recht Die Gesichter der Technikordnung • Schriftliche Technikregeln der verschiedensten Verfasser • Anerkannte Regeln der Technik (aRdT) Deshalb das Problem: - Unter welchen Voraussetzungen sind schriftliche Technikregeln anerkannte Regeln der Technik? • Warum diese Fragestellung? - Vor allem wegen der Rechtsordnung, die keinen Verweis auf schriftliche Technikregeln verschiedener Verfasser kennt. 13 Die Rechtsordnung • Zweigeteilt - Die gesetzliche Ordnung im BGB - Das Werkvertragsrecht - Das von den Parteien gewählte Vertragsrecht - Die Ordnung nach der VOB (Verdingungsordnung für Bauleistungen mit ihren drei Teilen A,B und C) • Gesetzliche Ordnung im BGB - § 633 - Nichts zu lesen von Technik, nichts zu lesen von technischen Regelwerken - Es geht um die Einhaltung des konkret Vereinbarten (vereinbarte Beschaffenheit, damit verbundener Zweck, verbundene Funktion)) - Es geht um die Einhaltung des vertraglich vorausgesetzten (vertraglich vorausgesetzte Verwendungseignung -> Zweck, Funktion) - Es geht um die Einhaltung des Gewöhnlichen, was gewöhnlich erwartet wird (gewöhnlicher Zweck, gewöhnliche Funktion). • Achtung auf den Funktionalen Herstellungsbegriff: das herzustellende Werk hat immer eine Funktion zu erfüllen. Die Frage ist nur: eine volle Funktionstauglichkeit, eine eingeschränkte Funktionstauglichkeit • Beispiel: Die Funktion einer Hydrophobierung? Die Funktion einer Beschichtung? Die Funktion der je verschiedenen Oberflächenschutzsysteme? 14 24 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Der Maßstab in § 633 BGB • Erste Priorität: vereinbarte Beschaffenheiten und damit verbundene Funktionalität, der besondere Zweck • Zweiter Rang: vertraglich vorausgesetzte Verwendungseignung = die vorausgesetzte Funktionalität, der besondere, aber im Vertrag nicht erwähnte Zweck • Dritter Rang: Das Gewöhnliche in dreierlei Gestalt: gewöhnliche Verwendungseignung, Beschaffenheiten, die bei artgleichen Werken üblich sind, und Beschaffenheiten, die der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann. Abzustellen auf den gewöhnlichen Zweck 16 § 633 BGB als Teil der Rechtsordnung • Dessen Absatz 1: Die Leistung muss frei von Sachmängeln sein. • Abs.2: „Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, (1) wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst (2) für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.“ • Also: § 633 BGB absolut fern jeglicher Technikordnung, absolut fern jeglichem schriftlichen Regelwerk. 15 § 633 BGB als Teil der Rechtsordnung • Dessen Absatz 1: Die Leistung muss frei von Sachmängeln sein. • Abs.2: „Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, (1) wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst (2) für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.“ • Also: § 633 BGB absolut fern jeglicher Technikordnung, absolut fern jeglichem schriftlichen Regelwerk. 15 § 633 BGB als Teil der Rechtsordnung • Dessen Absatz 1: Die Leistung muss frei von Sachmängeln sein. • Abs.2: „Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, (1) wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst (2) für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.“ • Also: § 633 BGB absolut fern jeglicher Technikordnung, absolut fern jeglichem schriftlichen Regelwerk. 15 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 25 Die Regeln der Technik und das Recht Die konkrete Normanwendung BGB § 633 • Knüpft also an: - (1)An vereinbarten Beschaffenheiten - (2)An vertraglich vorausgesetzter Verwendungseignung - (3)An der gewöhnlichen Verwendungseignung in dreierlei Gestalt. • Also dem Wortlaut nach: Absolut technikfern • Norminterpretation bei (3) führt zu: Das Gewöhnlich wird konkretisiert durch die Verkehrssitte und bestimmt damit die Verwendungseignung, gewerbliche/ gewerkliche Verkehrssitte diese konkretisiert in den anerkannten Regeln der Technik • Ergebnis: § 633 BGB - Mangelfreiheit nicht verknüpft mit einzelnen schriftlichen Technikregeln, sondern mit den anerkannten Regeln der Technik aber auch dies nur durch Auslegung, bei (3): gewöhnliche Verwendungseignung dem Wortlaut nach. • Also Einheit und nicht Vielheit: Einheit = anerkannte Regeln der Technik aber nur als Vehikel bei (3), primär Verwendungseignung • Warum: Die Mangelfreiheit kann nicht in der Hand von Regelwerksetzern liegen. Ein übergeordneter Maßstab ist geboten 17 § 633 BGB - Stellenwert der anerkannten Regeln der Technik • Anerkannte Regeln der Technik beinhalten Aussagen über - die gewöhnliche Verwendungseignung, - das, was artgleiche Werke an Qualitäten gewöhnlich aufweisen, - das, was der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann • Konsequenz in Mangelfragen bzgl. (3) gewöhnliche Verwendungseignung: Eignet sich das Werk zur gewöhnlichen Verwendungseignung, weist das Werk Beschaffenheiten auf, die bei artgleichen Werken vorliegen, weicht das Werk der Art nach von dem ab, was der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann? Genügt es den gewöhnlichen Funktionsanforderungen? Wird der gewöhnliche Zweck erreicht? • Der Zugriff erfolgt also auf anerkannte Regeln der Technik oder lediglich auf schriftliche Technikregeln von Regelwerksetzern? Oder völlig frei: wozu taugen z. B. die vorgehängten Fassadenplatten unter dem Gesichtspunkt der Optik als Teil der gewöhnlichen Verwendung und des Gebrauchs als Teil der gewöhnlichen Verwendung? 18 § 633 BGB - Stellenwert der anerkannten Regeln der Technik • Anerkannte Regeln der Technik beinhalten Aussagen über - die gewöhnliche Verwendungseignung, - das, was artgleiche Werke an Qualitäten gewöhnlich aufweisen, - das, was der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann • Konsequenz in Mangelfragen bzgl. (3) gewöhnliche Verwendungseignung: Eignet sich das Werk zur gewöhnlichen Verwendungseignung, weist das Werk Beschaffenheiten auf, die bei artgleichen Werken vorliegen, weicht das Werk der Art nach von dem ab, was der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann? Genügt es den gewöhnlichen Funktionsanforderungen? Wird der gewöhnliche Zweck erreicht? • Der Zugriff erfolgt also auf anerkannte Regeln der Technik oder lediglich auf schriftliche Technikregeln von Regelwerksetzern? Oder völlig frei: wozu taugen z. B. die vorgehängten Fassadenplatten unter dem Gesichtspunkt der Optik als Teil der gewöhnlichen Verwendung und des Gebrauchs als Teil der gewöhnlichen Verwendung? 18 26 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Das Modell des VOB/ B-Bauvertrags • Maßgeblichkeit auch der anerkannten Regeln der Technik - § 4 Abs. 2 Nr. 1 VOB/ B: „Der Auftragnehmer hat die Leistung unter eigener Verantwortung nach dem Vertrag auszuführen. Dabei hat er die anerkannten Regeln der Technik und die gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen zu beachten.“ - § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2: „Die Leistung ist zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarten Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht.“ Dann folgt das, was § 633 Abs. 2 Satz 2 BGB entspricht (also die vertraglich vorausgesetzte wie auch die gewöhnliche Verwendungseignung) - Feststellung: • Fazit: Auch hier Einheit, nämlich „anerkannte Regeln der Technik“ • Keine Vielheit ! ! • Kein Verweis auf schriftliche Regelwerke anerkannter Regelwerksetzer • Was ist ausschlaggebend? : Zugriff worauf, auf anerkannte Regeln der Technik oder auf die Vielzahl technischer Regelwerke? ? • Die VOB/ C verweist im Abschnitt 2 auf Techniknormen und Technikregeln 19 Problembenennung • Wer bestimmt, was „anerkannte Regeln der Technik“ sind? • Was ist das für ein Begriff, ein Rechtsbegriff oder ein technischer Begriff? • Es handelt sich nach allgemeiner Überzeugung um einen Rechtsbegriff und nicht um einen technischen Begriff, es liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff vor! • Bedarf der Konkretisierung durch wen? -> mit Hilfe des SV durch das Gericht. • Ob eine schriftliche Technikregel Ausdruck anerkannter Regel der Technik ist , ist eine Rechtsfrage und keine - alleinige - Sachverständigenfrage (vgl. nur BVerfG U.v.08.08.1978 - 2 BvL 8/ 77, NJW 1979, 359, 362; Kamphausen Jahrbuch Baurecht 2000, 218, 219; a.A. OLG Karlsruhe 20 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 27 Die Regeln der Technik und das Recht Problembenennung • OLG Karlsruhe B.v. 16.1.2017 - 15 W 170/ 16, IBR 2017, 174: „Die Frage, ob eine Leistung den anerkannten Regeln der Technik entspricht, ist eine Sachverständigenfrage.“ • OLG Düsseldorf U.v. 15.01.2016 - I - 22 U 92/ 15, BauR 2016, 1946, 1955): Das Gericht muss die Feststellungen des Sachverständigen selbständig nachvollziehen. • BGH U.v. 14.06.2007 - VII ZR 45/ 06, BauR 2007, 1570 Rn. 42: Was nach den anerkannten Regeln der Technik geschuldet wird, kann der Sachverständige nicht einfach auf der Basis seiner persönlichen Auffassung beurteilen, sondern er muss sich mit der Materie auseinandersetzen und das Votum anderer Sachverständiger und Gerichtsurteile berücksichtigen. 21 Eigene Auffassung • Anerkannte Regeln der Technik als unbestimmter Rechtsbegriff • Deshalb letztlich eine Rechtsfrage und nicht eine alleinige Sachverständigenfrage • Begründung: Weil Teil von § 4 Abs. 2 VOB/ B und § 13 Abs. 1 VOB/ B deshalb Vertragsrecht • Begründung bzgl. § 633 BGB: Weil die anerkannten Regeln der Technik letztlich das Gewöhnliche bestimmen und das Gewöhnliche als Teil der Norm ein Rechtsbegriff ist, sind auch die anerkannten Regeln der Technik ein - unbestimmter - Rechtsbegriff. 22 28 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Folgen dieser Einordnung • Das hat z. B. Folgen für die SV-Tätigkeit • Der SV wird der Technik wegen, also wegen Sachverständigenfragen eingeschaltet. • Der Sachverständige wird nicht zur Beantwortung von Rechtsfragen eingeschaltet • Folge: Der SV arbeitet mit der Technikordnung • Folge: Der SV „arbeitet nicht unmittelbar mit den anerkannten Regeln der Technik und deren Bestimmung“. Denn die anerkannten Regeln der Technik sind Teil der Rechtsordnung • Der SV arbeitet mit der Technikordnung und damit mit den schriftlichen Regelwerken von Regelwerksetzern • Die Rechtsprechung weist Regelwerken anerkannter Regelwerksetzer (für DIN-Normen) eine - jederzeit widerlegbare - Vermutungswirkung zu, Ausdruck aRdT zu sein. • Es gelten für die Beweisführung deshalb Anscheinsbeweisregeln. • Ist für den Beweisführer eine Beweiserleichterung. 23 Der Anscheinsbeweis - Funktionszusammenhang • Einhaltung von jüngeren DIN-Normen löst Anschein aus, dass dann auch aRdT eingehalten sind. • Für den Beweisführer eine Beweiserleichterung: Er muss in einem 1. Schritt die Einhaltung der aRdT beweisen, dann auch -widerlegbar - Einhaltung der aRdT bewiesen Aufgabe des SV (1. Teil) • Für den Gegner (2. Schritt): Er muss den Anschein erschüttern, also dass die fragliche DIN-Norm eben nicht aRdT ist. • Gegenwärtig die Frage für den Gegner: Wie kann die Erschütterung gelingen? Hier dann erneut: Aufgabe des SV (2. Teil) • Beweisführung jedoch: Aufgabe der Parteien! 24 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 29 Die Regeln der Technik und das Recht Konkrete Umsetzung dieses Ausgangspunktes • Beweisbeschluss lautet: • Entspricht die Leistung XY - z. B. Höhe, Ausgestaltung, Befestigung des Balkongeländers - den anerkannten Regeln der Technik? • Prüfungsgang des SV im Hinblick auf BGH U.v. 14.06.2007 - VII ZR 45/ 06, BauR 2007, 1570 Rn. 42: berücksichtige Gerichtsurteile! DIN-Normen haben die Vermutung für sich Ausdruck anerkannter Regeln der Technik zu sein (BGH, U.v. 24.05.2013 - V ZR 182/ 12, NJW 2013, 2271, 2272) • Folge: SV prüft einschlägige DIN-Normen oder Normen anerkannter Regelwerksetzer mit der DIN 820 vergleichbarer Grundnorm • Wenn der Norm entsprechend: Dann Verweis auf diese Vermutungswirkung, also Vermutung, dass aRdT eingehalten. • Wenn Norm verletzt, dann Vermutung, dass aRdT nicht eingehalten. • Dann liegt es an den Parteien, diese widerlegbare Vermutung durch Vortrag zu erschüttern und Beweis anzubieten. • Dann kann der 2. Durchgang im Beweisverfahren, das den Regeln des Anscheinsbeweises folgt, erfolgen. • Jedenfalls: Die Sache ist dann in den Händen der Parteien. • Hinweis auf Aufsatz Motzke in „Der Sachverständige“ (DS) Heft 7-8 von 2022, S. 175 ff. „Legitimation schriftlicher Regelwerke als anerkannte Regeln der Technik und ihre Anwendung“. 25 Empfehlung für den SV • Gleichgültig ob Privatgutachter oder Gerichtsgutachter: • Der Beurteilung werden vom SV ermitttelte schriftliche Technikregeln - soweit vorhanden - zugrunde gelegt. • Die Frage, ob diese Technikregeln Ausdruck anerkannter Regeln der Technik sind, ist Gegenstand eines 2. Durchgangs des Anscheinsbeweisverfahrens, nämlich, wenn die Frage zur Beantwortung ansteht, dass der bewiesene Anschein erschüttert werden soll. • Dabei geht es darum, ob die von der Rechtsprechung geschaffene Vermutungswirkung durch Vortrag der Parteien erschüttert wird. • Diese Grundregeln gilt auch bei einem VOB/ B-Bauvertrag - D.h.: Die Beweisfrage, ob ein Werk den anerkannten Regeln der Technik entspricht beinhaltet: Ich prüfe das Werk nach Maßgabe folgender Regelwerke. Ob diese Regelwerke Ausdruck anerkannter Regeln der Technik sind, ist eine Rechtsfrage. Beitrag des SV dazu: das Regelwerk stammt von einem Berufsverband, einem Industrieverband; das Regelwerk stammt von einem Verein, dessen Zweck die Schaffung von Technikregeln ist. Die Rechtsprechung legt eine Vermutungswirkung zugrunde. • Grundsätzlich: Die Einordnung des Regelwerks durch den Norm-Verfasser halte ich nicht für ausschlaggebend. Siehe die Zurückhaltung des DIN in DIN 820-1 Abschnitt 8.1 (muss sich erst noch etablieren) 26 30 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Die Mangelfrage und die Vorgehensweise - ein Vorschlag • Beweisfrage: Stellen die teilweise Unterschreitung der Betonüberdeckung an den Stahlbetonplatten , die unterschiedliche Breite der Fugen zwischen den Platten und die festgestellte Eindringtiefe des Hydrophobierungsmittels einen Mangel dar? • Hinweis: Zugrunde liegt ein BGB-Bauvertrag, also ist Beurteilungsbasis § 633 BGB. • Feststellung des Sachverständigen: Im Vertrag sind keine Beschaffenheiten vereinbart. Maßstab sind demnach: Vertraglich vorausgesetzte Verwendungseignung und die gewöhnliche Verwendungseignung. • Zur vertraglich vorausgesetzten Verwendungseignung: Feststellung des Sachverständigen: Diesbezüglich vorausgesetzte Verwendungseignungsqualitäten sind für mich nicht erkennbar. • Prüfung deshalb nur die gewöhnliche Verwendungseignung, also ob diese vorliegt. • Dann folgt die Darstellung der Feststellungen anhand der einschlägigen schriftlichen Regelwerke, von deren Maßgeblichkeit der Sachverständige zur Bestimmung des Gewöhnlichen ausgeht. 27 Die Mangelfrage und die Vorgehensweise - ein Vorschlag • Zur Einordnung der genannten Regelwerke: • 1.Empfehlung: Einordnung in (a) Regel eines Berufsverbands (b) Regel eines Industrieverbands (c) Regel eines Vereins, dessen Ziel die Schaffung von Regeln der Technik ist. • 2.Empfehlung: ob es sich bei der der Beurteilung zugrundeliegenden Technikregel um eine anerkannte Regel der Technik handelt, ist eine Rechtsfrage. Deren Beantwortung obliegt dem Gericht. Setzt jedoch die Mithilfe des Sachverständigen voraus. • 3. Antwort nach Ziff. 2 liegt besonders bei Regeln eines Industrieverbands oder eines Berufsverbands nahe. • 4. Bei Vereinsregeln (oben Ziff. 1c): Hinweis auf die Vermutungsregel: Bei Vereinsregeln könnte die bei DIN-Normen bejahte Vermutungsregel greifen, dass sie Ausdruck anerkannter Regeln der Technik sind. • 5. Dann beschäftigt sich der SV nur mit dem Anscheinstatbestand, nämlich ob die DIN-Norm eingehalten worden ist oder nicht. • 6. Dann verweist des SV abschließend auf die Vermutungswirkung nach der Rechtsprechung. • 7. Damit ist der 1. Schritt der Beweisführung abgeschlossen und die Parteien sind am Zug, nämlich ob der gelungene Anscheinsbeweis erschüttert werden kann. 28 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 31 Die Regeln der Technik und das Recht Bedenke zu schriftlichen Technikregeln • Am Beispiel sogar der DIN-Normen nach BGH U.v. 14.05.1998 - VII ZR 184/ 97, BauR 1998, 872: - DIN-Normen sind keine Rechtsnormen, sondern private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Sie können die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben oder hinter diesen zurückbleiben. • Und dagegen die anerkannten Regeln der Technik: Meines Erachtens Entscheidungscharakter und nicht Empfehlungscharakter 30 Bedenke zu den anerkannten Regeln der Technik • Was zeichnet sie aus? • Umschreibung nach Kamphausen: „Anerkannte Regeln der Technik bezeichnen allgemein solche qualifizierten Technikregeln, die von einer hinreichend großen Zahl kompetenter Fachleute des betreffenden Sachgebiets deshalb getragen und akzeptiert werden, weil ein Konsens darüber besteht, dass die Regeln richtig, zur Zweckerreichung geeignet und das mit der Regelbefolgung erzielbare Ergebnis brauchbar und praxisbewährt ist.“ (aus Jahrbuch Baurecht, 2000, S. 220). 29 32 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Die Regeln der Technik und das Recht Die „Rechtslage dazwischen“ • Zwischen Technikordnung und Rechtsordnung • Das ist die VOB/ C • = Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen ATV DIN ab 18299, nach Gewerken gegliedert • Das ist klar Vertragsrecht • Das sind Vertragsbedingungen • Geltung grundsätzlich nur bei Einbeziehung • Die ATV DIN sind grundsätzlich keine Technikordnung, sondern Rechts- / Vertragsordnung • Also: ATV DIN sind nicht einfach und schnell Ausdruck anerkannter Regeln der Technik (wird oft falsch gesehen) 31 Ein weites Feld • Die Schnittstelle ist spannungsgeladen • Bedarf besteht: • Für eine Differenzierung zwischen Technik und Recht • Für eine Differenzierung zwischen Sachverständigenfrage und Rechtsfrage • Mit Auswirkungen auf die Art und Weise des Vorgehens des Sachverständigen haben. • Mein Vorschlag: im Schritt 1 nach Anscheinsbeweisregeln: Nur die Befassung mit vorhandenen schriftlichen Technikregeln, dann Hinweis auf die Vermutungswirkung. Schritt 2 verfolgt die Erschütterung eines erfolgreichen 1, Schritts: Vortrag des Gegners zwecks Erschütterung des Anscheins, also der Vermutungswirkung einer schriftlichen Norm eines Regelwerksetzers • Technisch besetzt: Wer ist der Regelwerksetzer, ist die Regelwerksetzung Zweck seiner Tätigkeit oder nur Beiwerk? Welches Ziel wird verfolgt? Wie ist die Regelwerksetzung geregelt -> transparentes Verfahren, Beteiligung der Fachöffentlichkeit. • Dahinter: Was legitimiert anerkannte Regeln der Technik? • Rechtlich besetzt: Die Vermutungswirkung die Widerlegbarkeit der Vermutungswirkung Hier der Zusammenhang mit der Legitimationsfrage. 32 Ein weites Feld • Die Schnittstelle ist spannungsgeladen • Bedarf besteht: • Für eine Differenzierung zwischen Technik und Recht • Für eine Differenzierung zwischen Sachverständigenfrage und Rechtsfrage • Mit Auswirkungen auf die Art und Weise des Vorgehens des Sachverständigen haben. • Mein Vorschlag: im Schritt 1 nach Anscheinsbeweisregeln: Nur die Befassung mit vorhandenen schriftlichen Technikregeln, dann Hinweis auf die Vermutungswirkung. Schritt 2 verfolgt die Erschütterung eines erfolgreichen 1, Schritts: Vortrag des Gegners zwecks Erschütterung des Anscheins, also der Vermutungswirkung einer schriftlichen Norm eines Regelwerksetzers • Technisch besetzt: Wer ist der Regelwerksetzer, ist die Regelwerksetzung Zweck seiner Tätigkeit oder nur Beiwerk? Welches Ziel wird verfolgt? Wie ist die Regelwerksetzung geregelt -> transparentes Verfahren, Beteiligung der Fachöffentlichkeit. • Dahinter: Was legitimiert anerkannte Regeln der Technik? • Rechtlich besetzt: Die Vermutungswirkung die Widerlegbarkeit der Vermutungswirkung Hier der Zusammenhang mit der Legitimationsfrage. 32