Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
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2023
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Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk
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2023
Suzanne Schultz
Axel Dominik
An einem um 1900 gebauten denkmalgeschützten Bauwerk aus Mauerziegelmauerwerk sollte das durchfeuchtete, stark geschädigte und in seiner Tragfähigkeit erheblich eingeschränkte Fassadenmauerwerk durch verschiedene Maßnahmen in seiner Tragfähigkeit, aber auch für die im Rahmen der Umbaumaßnahme verschiedenen Lastzustände gesichert werden.
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8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 105 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Vergleich zwischen Laborversuchen und numerischen Berechnungen Suzanne Schultz, M. Eng. Finck Billen Ingenieurgesellschaft GmbH & Co. KG, Köln Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro/ Technische Hochschule Köln Zusammenfassung An einem um 1900 gebauten denkmalgeschützten Bauwerk aus Mauerziegelmauerwerk sollte das durchfeuchtete, stark geschädigte und in seiner Tragfähigkeit erheblich eingeschränkte Fassadenmauerwerk durch verschiedene Maßnahmen in seiner Tragfähigkeit, aber auch für die im Rahmen der Umbaumaßnahme verschiedenen Lastzustände gesichert werden. Bild 1: Laserscanaufnahme eines Wohnhauses, erbaut im 19. Jahrhundert mit den vorgesehenen Längsverspannungen (blau) in der Fassaden-Mauerwerkswand / 1, 2/ Dazu wurde u. a angedacht, das Mauerwerk in der Längsachse mittels eines Kernbohrverfahrens zu durchbohren, einen Spannanker in das Bohrloch zentrisch einzulegen und den Anker vorzuspannen. Anschließend sollte das Bohrloch mit dem eingelegten Spannanker mit einem Verbundmörtel kraftschlüssig zum Anker und zum Mauerwerk hohlraumfrei verfüllt werden. Um diese Maßnahme durchführen zu können, muss die Fassadenwand mit einer Abstützkonstruktion gesichert und das Mauerwerk durch Querverankerungen („Vernadelungen“), Neuverfugungen und Mörtelinjektionen gesichert werden. Das Fassadenmauerwerk erfährt im Zuge dieser Maßnahmen verschiedene Lastbzw. Spannungszustände. Ziel der tastweise durchgeführten Forschung war es, Spannungszustände im Rahmen der Längsverankerungsarbeiten während verschiedener Arbeitsschritte (Bauzustände) im Mauerwerksquerschnitt zu ermitteln. Dies erfolgte einerseits durch Tastuntersuchungen im Labor, an der realen Fassadenwand nachempfundenen Labor-Modell-Prüfwänden; andererseits wurden die Spannungszustände mittels einer numerischen Simulation mit dem Programm Ansys an FE-Modellen berechnet. Diese FE--Modelle wurden den entsprechenden Laborprüfwänden nachgestellt. Um die Berechnungen durchführen zu können, mussten die für die Berechnung notwendigen Baustoffkennwerte im Labor ermittelt und in das Programm eingegeben werden. Über diese zuvor beschriebenen ersten tastweise labormäßig und durch FE-Berechnungen ermittelten Ergebnisse hinaus wurden an artgleichen Mauerwerksprüfkörpern Versuche zu der Wirkung einer Neuverfugung durchgeführt. Darüber hinaus wurden im Labor Tastversuche durchgeführt, die die Wirkung einer Hohlraumverfüllung eines zweischaligen Mauerziegelmauerwerks mittels eines Injektionsmörtels sowie einer nachträglichen Vernadelung mit einer vertikalen 2 cm Luftschicht zwischen den Mauerwerksschalen aufzeigen sollten. Die mit diesen unterschiedlichen Verfahren ermittelten Ergebnisse wurden miteinander verglichen und beurteilt, um daraus erste Hinweise für eine solche Mauerwerkssicherungsart zu geben. Nachfolgend wurden die Untersuchungsergebnisse, ermittelt an jeweils einem Prüfkörper und die Berechnungsergebnisse an FE-Modell-Prüfkörpern dargestellt und miteinander verglichen. 106 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk 1. Einführung Verwendung von Zugbzw. Spannankern Grundvoraussetzung für die konstruktive Instandsetzungsplanung eines Bauwerkes ist neben der Ursachenermittlung für die am Bauwerk vorhandenen Schäden und Veränderungen eine Bestands- und Zustandserfassung der zu ertüchtigen Bauteile zu erstellen. In diese Erfassung fließen die visuell und u.-a. durch haptische Prüfungen festgestellten Schäden wie z.-B. Rissschäden, Ausbauchungen und Schäden am Mauerwerksgefüge mit ein. Grundvoraussetzung sind darüber hinaus Untersuchungen zur Feuchtesituation und zum Gehalt von baustoffschädlichen Stoffen im Bauteil. Die Ergebnisse können neben den konstruktionsbedingten und ggf. denkmalpflegerischen Anforderungen einen wesentlichen Einfluss auf die Auswahl der Instandsetzungsstoffe, der Instandsetzungsverfahren sowie den entsprechenden Methoden haben. Spannanker (Zuganker) werden oft im Mauerwerksachsenverlauf eingebaut, um im Zusammenhang mit weiteren durchzuführenden Ertüchtigungsmaßnahmen wie z.-B. Austauschmaßnahmen von Mauersteinen und Verfugmörtel, Vernadelungen und Mörtelinjektionsarbeiten einen kraftschlüssigen Verbund und einen entsprechenden Lastabtrag im Mauerwerk zu ermöglichen. Durch den Einbau von vorgespannten oder nicht vorgespannten Zugankern wird der Kraftfluss in einem Mauerwerk verändert. Dies stellt aber immer auch einen entsprechenden Einfluss auf das bestehende Tragsystem da. Bei der Verwendung von Spannankern wird zwischen Ankern mit und ohne Verbund zum Mauerwerk unterschieden. Kleine Anker (z.- B. sogenannte Spiralanker / 3/ ) werden in der Regel ohne Kopfplatten und Vorspannung z.-B. in Fugen mit einem speziellen Fugenverbundmörtel eingebaut. Bei größeren Ankern ohne Verbund muss die Kraft über sogenannte Kopfplatten in das Mauerwerk eingetragen werden. Dies ist jedoch in der Regel mit einem sehr schellen Abbau der Spannungen im Anker und zu einem Nachgeben der Kopfplatten im Mauerwerk verbunden. Bei größeren Ankern mit Verbund zum Mauerwerk werden Lasten aus dem Mauerwerk dort in den Anker eingetragen, wo sie auftreten, z.-B. im Rissbereich. Als Verbundanker werden beispielsweise spezielle Wendelanker / 3, 4/ verwendet. Spannanker werden demnach verwendet, um große Zugspannungen im Mauerwerk aufzunehmen. Um die Tragsicherheit eines Bauteils während der einzelnen Einbauphasen eines Spannankers nicht zu gefährden, muss neben der Erstellung eines genauen Ablaufplans zum Einbau des Spannankers i. d.- R. eine Vorertüchtigung, also eine Art Grundinstandsetzung des Mauerwerks erfolgen. Die Spannanker als Zuganker müssen möglichst über die gesamte Ankerlänge im Verbund zum Umgebungsmauerwerk eingebaut werden. Dies geschieht durch die Verwendung von speziellen Ankern / 3, 4/ , die durch eine spezielle Rippung den Verbund zu einem, auf die Mauerwerkseigenschaften angepassten Verbundmörtel gewährleisten. Der Verbundmörtel steht im Verbund zum Umgebungsmauerwerk. Der Lasteintrag vom Verbundmörtel in das Mauerwerk kann in einem bestimmten Maß durch den Bohrlochdurchmesser und die Verbundmörteleigenschaften gesteuert werden. Wichtig für den Einbau ist es, den Zuganker (Spannanker) vorzuspannen und diese Spannung über einen längeren Zeitraum konstant zu halten, bevor der Bohrkanal mit einem Verbundmörtel verfüllt wird. Geschieht dies nicht, wird u.-a. durch Relaxation oder durch Temperaturdehnung des Ankers bzw. durch Kriechen des Umgebungsmauerwerkes die Spannung abgebaut. Die Vorspannkraft muss dazu i.-d.-R. über Kopfplatten an den Enden des Ankers mit speziellen Anspannvorrichtungen (z.-B. Spannkraftreglern) in den Anker eingebracht werden. Wichtig ist es, diese über einen längeren Zeitraum und auf einem gleichen Lastniveau unmittelbar nach der Verfüllung des Bohrkanals mit Verbundmörtel zu halten. Erst nach der ausreichenden Erhärtung des Verbundmörtels kann die Anspannlast an den Einleitungsstellen langsam abgebaut werden. Die Spannanker sollten spezielle Gewindeanschlüsse aufweisen, die es den Verarbeitern erleichtern, die Spannanker mit Muffen oder Schrauben zu versehen. Ansonsten ist auch nach Auftrag einer Gleitpaste auf die Gewinde mit einer Art „Kaltverschweißung“ zwischen den Gewinden der Zugstangen und Muttern bzw. Muffen miteinander zu rechnen. Ein Nachspannen der Anker, wie es von Tragwerksplanern oft vorgeben wird, ist bei dieser Art von Spannankern nicht mehr möglich / 5/ . 2. Praxisorientierte Forschung / 6/ Nachfolgend werden die Ergebnisse der Untersuchungen an Laborprüfwänden im Vergleich zu den Ergebnissen der numerischen Berechnungen (FE-Berechnungen) dargestellt, erläutert und beurteilt / 6/ . 2.1 Laborversuche: Untersuchung von Mauerwerksprüfkörpern Bei der Fülle an historischen Mauerwerksbauarten lag der Fokus dieser Forschungsarbeit auf einem Mauerwerk aus Mauerziegeln, vermauert mit einem Luftkalkmörtel. Für das Mauerwerk der Laborprüfwände wurde ein Mauerziegel verwendet, der oft für die Instandsetzung historischer Mauerwerke im Rheinland angewendet wurde und in Hinblick auf seine Eigenschaften auch den Mauerziegeln in dem o.-g. Bauwerk (siehe Bild 1) sehr nahekommt / 7/ . Der Kalkmörtel wurde als Mauermörtel gemäß WTA- Merkblatt / 8/ hergestellt. Darüber hinaus wurden im Rahmen einer Literaturrecherche die Eigenschaftskennwerte der, für die Laborversuche verwendeten Baustoffe mit den, aus der Literatur bekannten Eigenschaftskennwerten verglichen, um ggf. für die numerische Simulation (FE-Berechnungen) eine bestimmte Bandbreite an Eigenschaftskennwerten mit in die Berechnungen einbeziehen zu können. In entsprechenden Versuchen nach Norm bzw. z. T. in Anlehnung an die Normen wurden die Eigenschaftskennwerte der, für die Laborprüfwände benutzten Baustof- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 107 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk fe (Mauermörtel und Mauersteine) bestimmt. Die Eigenschaftskennwerte der Verbund- und Injektionsstoffe sowie der Vernadelungs- und Zugankerelemente waren aus früheren Untersuchungen bekannt bzw. lagen vor. Bild 2a: Bestimmung der Mauerziegeldruckfestigkeit Bild 2b: Bestimmung der Mörteldruckfestigkeit (erste Messung) Bild 2 c: Bestimmung der Mörtelbiegezugfestigkeit Bild 2: Bestimmung der Eigenschaftskennwerte des Mauerziegels und des Mauermörtels Die ermittelten und bekannten Eigenschaftskennwerte wurden in das numerische Modell eingepflegt. Mit den ausgewählten Mauerwerksbaustoffen wurden 8- unterschiedliche Mauerwerksprüfkörper im Labor in Anlehnung an die DIN 1052-01 / 9/ hergestellt, die den unterschiedlichen Bauzuständen im Rahmen einer Mauerwerkssicherungsmaßnahme, wie sie vorher beschrieben wurde entsprechen. Tabelle 1: Prüfkörperarten des Mauerwerks Prüfkörper Nr. Prüfkörperart Skizze FE- Berechnung 1 2 3 4 1 ohne + 2 mit Längskernbohrung; (Bauzustand) + 3 mit Spannanker und Verbundmörtel + 4 Fugen ausgeräumt; (Bauzustand) 5 Fugen neu verfugt mit angepasstem höherfestem Mörtel 6 Zweischaliges Mauerwerk 7 Zweischaliges Mauerwerk mit Injektionsmörtel im Zwischenraum 8 Zweischaliges Mauerwerk mit Injektionsmörtel, Vernadelung und Verbundmörtel Die Untersuchung von 3 Mauerwerksprüfkörpern (Prüfkörper 1 bis 3) diente dazu, die ermittelten Ergebnisse aus den Druckversuchen hinsichtlich der gemessenen Formänderungen und Druckfestigkeiten mit den ermittelten Berechnungsergebnissen (Spannungszuständen) aus entsprechenden FE--Modellen (FE-Prüfkörpermodellen) zu vergleichen. Um die Formänderungen der Mauerwerksprüfwände während der Druckversuche auch in Hinblick auf die 108 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk statische E-Modulbestimmung zu messen, wurden die Prüfkörper mit digitalen Wegaufnehmern versehen. Die Anzahl der Wegaufnehmer wurde gegenüber einem sogenannten RILEM-Prüfkörper (siehe DIN 1052 / 9/ ) deutlich erhöht, um die Formänderungszustände über den Prüfkörperquerschnitt besser erfassen zu können (siehe Bilder-3-und-4). Neben der Messung der vertikalen Formänderungen zur Bestimmung des E-Moduls wurden zusätzlich horizontale Formänderungen auf 3 verschiedenen Höhen gemessen. Alle Messwerte wurden zum Vergleich zu den Berechnungsergebnissen der numerischen Modelle herangezogen. Bild 3: Mauerwerksprüfkörper 1 bis 8: Anordnung und Bezeichnung der digitalen Wegaufnehmer (Solatron) zur Messung der Formänderungen während der Druckprüfung Tabelle 2: Mauerwerksprüfkörper: Bezeichnung der einzelnen digitalen Wegaufnehmer (Solatron) mit einer Angabe zur Lage am Prüfkörper Bezeichnung Beschreibung der Lage 1 2 LHO Längsansicht, horizontal, oben LHM Längsansicht, horizontal, mittig LHU Längsansicht, horizontal, unten LVLO Längsansicht, vertikal, links, oben LVRU Längsansicht, vertikal, rechts, unten BHO Breitenansicht, horizontal, oben BHM Breitenansicht, horizontal, mittig BHU Breitenansicht, horizontal, unten BVLO Breitenansicht, vertikal, links, oben BVLU Breitenansicht, vertikal, links, unten BVRO Breitenansicht, vertikal, rechts, oben BVRU Breitenansicht, vertikal, rechts, unten Bild 4: Mauerwerksprüfkörper 1 mit der gesamten Messtechnik Die Mauerwerksprüfkörper wurden im Labor der TH-Köln bzw. des Kölner Instituts für Bautechnik zuerst mit einer Last von 80 kN belastet. Dies entspricht einem Spannungszustand im Lasteinleitungsbereich von etwa 0,54 N/ mm². In einem weiteren Belastungszyklus wurde eine Last von 135 kN auf die Prüfkörper aufgebracht. Dies entspricht einer Spannung von 0,91 N/ mm². Die Bruchlasten, die im Rahmen der Tastversuche für die unterschiedlichen Mauerwerksprüfkörperarten im Labor erreicht wurden, werden in Tabelle 3 angegeben. Tabelle 3: Mauerwerksprüfkörper 1 bis 8 im Labor Tastversuche, Prüfkörperart, Skizze sowie Bruchlast F i,max und Druckfestigkeit f i Prüfkörper- Nr. Prüfkörperart Skizze Fi,max fi kN N/ mm² 1 2 3 4 5 1 ohne Instandsetzungsmaßnahme 389 2,6 2 mit Längskernbohrung (Bauzustand) 285 1,9 3 mit Verbundmörtel injizierter Längskernbohrung und Längsverspannung 343 2,3 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 109 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk 4 mit ausgeräumten Fugen (Bauzustand) 348 2,4 5 mit ausgeräumten Fugen, neu verfugt mit höherfestem Mörtel 496 3,4 6 Zweischaliges Mauerwerk 396 2,7 7 Zweischaliges Mauerwerk, mit Verbundmörtel injiziert 619 4,2 8 Zweischaliges Mauerwerk, mit Verbundmörtel injiziert und vernadelt 500 3,4 Im nachfolgenden Bild 5 ist die Kraftverformungskorrelation beispielhaft für den Prüf-körper-3 dargestellt. Bild 5: Mauerwerksprüfkörper 3: Formänderungen (Verformung) Δ in Abhängigkeit von der Kraft F Die Formänderungsgrafen der vertikalen Messstellen zeigten, dass eine sinnvolle Auswertung zur Bestimmung des statischen E-Moduls des Mauerwerksprüfkörpers 3 ohne weitere Untersuchungen noch nicht sinnvoll war, da die Werte sehr stark streuten. Weitere Untersuchungen sind dazu notwendig. Eine Rissanalyse der Prüfkörper 2 und 3 im Labor nach der Belastung bis zum Bruch ergab vor allem tiefe vertikale Risse oberhalb des Kernbohrlochs und war unabhängig davon, ob das Bohrloch mit der Zugstange (Spannanker) und dem Verbundmörtel verfüllt war oder nicht. 2.2 Numerische Simulation der FE-Prüfkörper- Modelle 1, 2 und 3 In der numerischen Simulation wird Mauerwerk in der Regel als homogener Körper dargestellt und der Lastabtrag stark vereinfacht. Aber gerade bei dem Einsatz diverser Instandsetzungsmaßnahmen ist es notwendig zu wissen, welche Spannungszustände und Formänderungen (Verformungen) im Bau- und Endzustand eines instandzusetzenden Mauerwerks entstehen, um die Wirksamkeit der Maßnahmen entsprechend beurteilen zu können. Im Rahmen dieser Forschung wurden die Ergebnisse von Druckversuchen an Mauerwerksprüfkörpern im Labor mit Spannankern als Längsverspannung in den einzelnen Bauzuständen (Prüfkörper 1, 2 und 3) mit Normalspannungszuständen und Formänderungen an entsprechenden numerischen Modellen verglichen. Hierfür wurden die Rechenmodelle mit dem Finite-Elemente-Programm ANSYS in diskret detaillierter Form simuliert. Es ist anzumerken, dass es sich bei den Laborversuchen und den FE-Berechnungen um Tastversuche handelt und viele Eigenschaftskenndaten trotz der Baustoffuntersuchungen im Labor aus der Literatur entnommen bzw. auch abgeschätzt werden mussten. Die FE-Berechnungen können daher, obwohl sie eine große Genauigkeit aufgrund Ihrer Ergebnisse suggerieren, nur als grobe Abschätzung zur Beurteilung angesehen werden. Dies gilt auch für viele andere FE-Berechnungen / siehe z.-B. auch 10/ . Es ergibt sich auch daher, dass bisher nur wenige FE--Berechnungen eines Mauerwerks, insbesondere eines verspannten Mauerwerks bekannt sind, die die Komplexität eines Mauerwerks erfassen, das aus unterschiedlichen Mauerwerksverbänden und Mörteln besteht. Auch die Bestimmung der Eigenschaftskenndaten, z.-B des Verbundverhaltens zwischen Mörtel und Stein, die unterschiedlichen Mörteleigenschaften im Verbund zu unterschiedlichen Mauersteinen und die Einflüsse der Mauerstein- und Mörtelprüfverfahren weisen in Bezug auf die FE-Berechnungen sehr große Unsicherheitsfaktoren auf. Bisher wurden die FE-Modelle überwiegend diskret vereinfacht simuliert, das heißt, die Fugen des Mauerwerks wurden nicht separat als Volumenkörper dargestellt. Stattdessen wurden die modellierten Steine um die Breite der Fugen vergrößert. Dies führte dazu, dass die FE-Berechnungen nicht die genauen tatsächlichen Belastungszustände im Mauerwerk darstellen und somit nur als Anhaltswerte für eine weitere Planung, demnach auch Instandsetzungsplanung herangezogen werden konnten. Im Rahmen dieser Forschung wurden diskret detaillierte Rechenmodelle erstellt. Mauerziegel und Fugen wurden als voneinander getrennte Volumenkörper modelliert, die durch zuvor definierte Kontaktbedingungen miteinander verbunden sind. Dadurch konnten Spannungszustände und Formänderungen unter Belastung genauer analysiert werden. Zu Beginn wurden die Lagerungsbedingungen, die Belastungssituation und die Kontaktbedingungen anhand von Ein-Stein-Körpern und darauffolgend an einer numerischen Nachbildung der Mauerwerksprüfkörper 1-3 evaluiert. 110 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk In Bild 6 werden die vereinfachten Verformungsfiguren, der Spannungszustand und das Bruchbild eines Prüfkörpers unter gleichmäßiger Druckbelastung dargestellt. Bei einer Druckprüfung wurde die Querdehnung des Mauersteins durch die Reibung zwischen dem zu prüfenden Mauerziegel und den Lasteinleitungsplatten oberhalb und unterhalb des Steins behindert. Somit entstand ein dreiaxialer Spannungszustand. Die Zugspannung trat nicht gleichmäßig über die Höhe verteilt auf, sondern bildete Spannungsdreiecke aus. Im inneren des Steins trat durch die behinderte Querdehnung eine Druckspannung auf. Nur außen am Stein konnte Zug entstehen, wo sich der Körper ausbeulte. Das Druckversagen war demnach ein Spaltzugversagen. Der Einfluss eines Mörtels auf die Druckfestigkeit des Mauerziegels wurde bei diesem Prüfverfahren nicht berücksichtigt. Ein weiteres Modell des Versagensmechanismus ohne Querdehnbehinderung ist ebenfalls in Bild 6 nach / 11/ dargestellt. Dazu wurden im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten entsprechende Versuche durchgeführt, die eine Querdehnbehinderung ausschließen sollten. Auch diese Untersuchungen berücksichtigen noch nicht die Wirkung eines Mörtels zwischen den Mauersteinen. Hier besteht noch weiterer Forschungsbedarf. Die in dem Bild-6 dargestellten Bruchbilder sind in Hinblick auf die Erklärungen der Bruchbilder an den, unter Laborbedingungen hergestellten und geprüften Mauerwerksprüfwänden von Bedeutung. Bild 6: Formänderungsverhalten (Verformung): Belastungszustände und Bruchbild eines Prüfkörpers unter gleichmäßigem Druck mit und ohne Querdehnbehinderung nach Hilsdorf / 11/ 2.2.1 FE-Berechnungsanalyse Für die numerische Simulation der FE-Modelle wurden somit eine fixierte Lagerung unten mit einer Festlagerung in X- und Z-Richtung oben und einer Druckbelastung auf die Oberseite herangezogen. Zwischen Stein und Fuge wurde ein reibungsbehafteter Kontakt mit einem angenommenen Reibbeiwert von 0,6 angenommen. Der tatsächliche Reibbeiwert ist nicht bekannt. Alle Modelle wurden mit einer gleichmäßigen Druckbelastung von 1.000.000-Pa (= 1 N/ mm²) simuliert. Die Materialparameter für Mauerziegel, Mauermörtel, Verbundmörtel und den Spannanker (Bewehrung) wurden entsprechend der zuvor im Labor ermittelten Eigenschaftskennwerte und so weit nicht prüftechnisch ermittelt aus der Literatur entnommen. Mit diesen gewählten Eingabedaten wurden die numerischen Modelle der Mauerwerksprüfkörper 1,-2 und 3 nachgebildet (siehe Bild 7). Bild 7a: FE-Modell-Prüfkörper 1: Grundmodell Bild 7b: FE-Modell-Prüfkörper 2 mit Bohrung Bild 7c: FE-Modell Prüfkörper 3 mit Bohrung, Spannanker und Verbundmörtel Bild 7: Numerische ANSYS Modelle der Mauerwerksprüfkörper 1, 2 und 3, FE-Prüfkörper-Modelle 1, 2 und 3 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 111 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Im nachfolgenden Bild 8a ist der Belastungszustand unter einer gleichmäßigen Druckbelastung von 1-N/ mm² und in Bild 8b die Formänderungswerte (Verformungsmaße) zu den Bildern 9 in mm dargestellt. Bild 9 zeigt die Gesamtverformung des FE-Modell- Prüfkörpers 3. Bild 8a: FE-Modell-Prüfkörper 3 Bild 8b: Formänderungswerte in mm infolge einer Belastung von 1 N/ mm² Bild 8: FE-Modell-Prüfkörper 3: Belastung des FE-Modell-Prüfkörpers mit 1 N/ mm² und Verformungskennwerte in mm Bild 9: FE-Modell-Prüfkörper 3 mit Bohrung, Spannanker und Verbundmörtel: Gesamtverformungsdarstellungen bei einer Belastung von 1 N/ mm² 112 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Die FE-Berechnungen ergaben, dass das Mauerwerk des FE-Modell-Prüfkörpers 3 symmetrisch in Y-Richtung gestaucht wird und in X-Richtung ausbeult. Im Bereich des mit Verbundmörtel injizierten Bohrlochs dehnte sich das Mauerwerk in Z-Richtung aus und drückte sich in das Bohrloch. Im Vergleich zum Mauerwerk behielt der Injektionskörper aufgrund der höheren Steifigkeit (großer E-Modul) seine Form. Die Normalspannungen in Y-Richtung am numerischen Modell des FE-Modell Prüfkörpers 2 werden in Bild 10 dargestellt. Die Zugspannungen sind unter und über dem Bohrloch (mit etwa 0,2 N/ mm²) am höchsten, da das Mauerwerk unter Druck in den Hohlraum gedrückt wird und der Mauerwerksbereich neben dem Bohrloch deutlich erhöhte Druckspannungen (etwa 3,5 N/ mm²) aufnehmen muss. Daher weist er eine größere Formänderung auf. Die Folge dieses Belastungszustandes ist der Bruchzustand. Dies ist an dem Laborprüfkörper, der bis zum Bruch u. a. infolge von Spaltzugversagen belastet wurde zu erkennen (siehe auch Bild 6). Diese Zugspannungen sind ebenfalls sichtbar in Form von Rissen an dem im Labor geprüften Mauerwerkskörper 2 nach dem Druckversuch. Bild 10: FE-Modell-Prüfkörper 2 mit Bohrloch: Normalspannungsverteilung in N/ mm², berechnet am numerischen Modell bei einem gleichmäßigen Druck von 1 N/ mm² im Vergleich zum Bruchbild des Mauerwerksprüfkörpers 2 nach dem Druckversuch bis zum Bruch bei einer Auflastspannung von etwa 1,9 N/ mm² Der Vergleich der Ergebnisse vom FE-Berechnungsmodell mit einer Auflastspannung von 1,0-N/ mm² und den Laborversuchen am Laborprüfkörper mit einer Bruchspannung von 1,9- N/ mm² (siehe Tabelle 3) gaben erste Hinweise darauf, ob die für das FE-Modell gewählten Eigenschaftsparameter für das Ansys-Modell dem realen Laborprüfkörper entsprechen, da sich das Bruchbild des Laborprüfkörpers aus den FE-Berechnungen nahezu vollständig herleiten lässt. Um weitere Erkenntnisse zu gewinnen wäre es in diesem Fall sinnvoll, noch weitere Studien u.-a. zu der Haftscherfestigkeit (Reibungsbeiwert) und den Eigenschaften z.-B. der Mauerziegel in Hinblick auf die aufnehmbare Zugkraft durchzuführen. Der für die Laborprüfwände verwendete Mörtel konnte so gut wie keine Zuglast aufnehmen. Die Haftscherfestigkeit, die an 3-Steinprüfkörpern bestimmt wurde, ging ebenfalls gegen Null. Allerdings wurde bei der Haftscherfestigkeitsprüfung nicht die Auflast des Mauerwerks berücksichtigt, welche im realen Zustand gegeben ist. 2.2.2 FE-Berechnung - Formänderungsvergleich Im Berechnungsvergleich der FE-Modelle der Prüfkörper 1 bis 3 wurden erwartungsgemäß die höchsten Formänderungen unter einer angesetzten Druckbelastung von 1 N/ mm² an dem Modell des Prüfkörpers 2 festgestellt (siehe Bilder 9 und 11). Dies ist plausibel aufgrund des nicht verfüllten Kernbohrlochs, das u.-a. durch die Querschnittsreduktion eine Schwachstelle im Lastabtrag darstellt. Bild 11: FE-Modelle Prüfkörper 1, 2 und 3: maximale Formänderungen, Gesamtverformungsvergleich: ∆H ermittelt mittels FE--Berechnung bei einer äußeren Auflastspannung von 1 N/ mm² Die Berechnung des FE-Prüfkörper-Modells 3 ergab, dass er sich unter dem gleichen Belastungszustand von 1-N/ mm² stärker verformte, als der FE-Modell-Probekörper 1, trotz des mit Verbundmörtel eingebauten Längsankers. Die Modellierung des Kernbohrvolumens im FE-Modell- Prüfkörper 3 mit dem im Verhältnis zum Umgebungsmauerwerk sehr festen Verbundmörtel, der auch einen entsprechend großen E-Modul aufweist, trug offenbar rechnerisch zu einer Schwächung der Mauerwerkstragstruktur bei. Hier wäre mittels der FE-Berechnung zu prüfen, wie sich die Tragwirkung bei einer Veränderung der Eigenschaftskennwerte des Verbundmörtels (z.-B. niedrigerer E-Modul) verändern würde. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 113 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Die Tastuntersuchungen an den Laborprüfwänden 1 bis 3 haben ergeben, dass der Laborprüfkörper-3 mit einer Bruchlast F von 346 KN (f = 2,3 N/ mm²) eine etwas geringere Druckfestigkeit aufweist als der Laborprüfkörper 1, bei dem eine Bruchlast von 389 KN (f = 2,6 N/ mm²) erreicht wurde (siehe Tabelle 3). Die Bruchlast beim Laborprüfkörper-2 mit dem Bohrloch lag mit 285 KN (f-=-1,9 N/ mm²) deutlich unter den Werten der Laborprüfwände-1 und 3. Für ein Gebäude, das in dieser Art gesichert werden soll, bedeutet die Bauphase, bei der das Bohrloch in der Mauerwerkswand angeordnet wird (Laborprüfwand 2) einen erheblichen Eingriff in die Tragstruktur und dürfte an dem dargestellten Wohnhaus nur dann erfolgen, wenn die Außenwand vorher entsprechend gesichert würde und eine Grundinstandsetzung erfahren hätte. 2.2.3 FE-Berechnung - Spannungsvergleich Im nachfolgenden Bild 12 werden die Normalspannungszustände der drei verschiedenen Rechenmodelle verglichen. Es wird deutlich, dass die Normalspannungen in Y-Richtung bei den FE-Modellen 2 und 3 aufgrund des nicht mit Verbundmörtel verfüllten Kernbohrlochs größer sind als beim FE-Modell-1. Die Normalspannungen in Z-Richtung sind wegen der Last- und damit größeren Formänderung des Mauerwerks im Bohrlochbereich ebenfalls gegenüber dem FE-Modell-Prüfkörper 1 erhöht. Bild 12: FE-Modell-Prüfkörper 1,2 und 3: Vergleich der maximal errechneten Normalspannungen (Zug- und Druckdruckspannung) im Bereich des Bohrlochs ermittelt mittels FE-Berechnung bei einer äußeren Auflastspannung von 1 N/ mm² 2.2.4 Ergänzende FE-Berechnungen (Zusatzuntersuchungen) Da der Vergleich der Formänderungen an den Prüfkörpern im Labor unter gleichmäßiger Druckbeanspruchung gemessen wurden und mit den ausgewerteten Formänderungen an den numerischen Modellen keine Übereinstimmung ergaben, wurde der numerische Parameter der Belastung in ANSYS angepasst (siehe Bild 13). Die FE-Modelle wurden, abweichend von den vorherigen Berechnungen mit exzentrischem Druck belastet. Diese ungleichmäßige Belastung stellte eine mögliche Imperfektion während der Druckprüfung des Prüfkörpers im Labor da, von der im Rahmen der Prüfung der Laborprüfkörper aus verschiedenen Gründen ausgegangen werden musste. Bild 13: Numerisches FE-Modell 1 Parameterstudie: Modell mit Exzenterdruck belastet Auch nach dieser Parameterstudie war es nicht möglich, übereinstimmende Formänderungsergebnisse im Labor und an den numerischen Modellen zu erzielen. Dies weist darauf hin, dass weitere FE-Berechnungsstudien auch mit veränderten Eingabeparametern notwendig sind. 3. Fazit und weitere Forschungsziele Generell ist es schwierig, ein historisches Mauerwerk realitätsgetreu in einem Rechenmodell mit der Finite-Elemente-Methode darzustellen. Die Materialien in einem FE-Modell werden immer als perfekt homogen angenommen, jedoch werden weder die Anisotropie der Steine noch das Korngefüge der Materialien abgebildet, die aber in der Praxis maßgebend den Lastabtrag des Mauerwerks bestimmen. Auch Imperfektionen jeglicher Art sowie bereits vorhandene Schädigungen im Mauerwerk müssten zuvor genau analysiert und separat im Modell dargestellt werden. Je älter das betrachtete Mauerwerk ist, desto häufiger treten Diskontinuitäten in der Herstellung des Mörtels und der Mauerziegel auf. Auch Schwächungen des Mauerwerks durch Alterung jeglicher Art, Witterung, Salze, Feuchtegehalt und dauerhafte dynamische Beanspruchung aus äußeren und inneren Beanspruchungen müssen mit in die Tragsicherheitsanalysen einbezogen werden. Die in dieser Forschungsarbeit erstellten FE-Modelle geben in der Berechnung eine Übersicht zum Lastabtrag und zu den Spannungsverteilungen in einem Mauerwerk mit geringfestem Mörtel. Des Weiteren geben sie Hinweise zu den kritischen Spannungsstellen im Mauerwerk bei einer Kernbohrung und einer mit Verbundmörtel injizierten und bewehrten Kernbohrung. Laut der Ergebnisse müsste eine Längsverspannung in einem historischen Mauerwerk größere Spannung her- 114 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk vorrufen als im unbehandelten Mauerwerk. Jedoch blieben viele Faktoren hier unbeachtet, wie zum Beispiel die Tatsache, dass es sich bei dem Prüfkörper 1 nicht um einen Mauerwerkskörper mit Instandsetzungsbedarf handelt. Es waren zu Beginn keine großen Zugspannungen im Mauerwerk vorhanden, die eine Längsverspannung rechtfertigten. Auch die realitätsgetreuen Abmessungen einer Mauerwerkswand konnten nicht berücksichtigt werden. Für eine vollumfängliche Analyse der Festigkeitsveränderung durch eine Längsverspannung im Mauerwerk und einer generellen Wirksamkeit der Instandsetzungsmaßnahme bedarf es weiterer Untersuchungen mit einer repräsentativen Anzahl an Prüfkörpern und angepassten Prüf bedingungen. 4. Zusammenfassung | Bedeutung für die Praxis Unter den Voraussetzungen der Annahmen, die für die Eigenschaftskennwerte für die FE-Berechnungen getroffen und der Materialien, die für die Labor-prüfwände verwendet wurden sowie den Maßvorgaben (Mauerwanddicke = 24 cm und Bohrlochdurchmesser 8 cm) führt der alleinige Einbau eines Längsspannankers nach den FE-Berechnungsergebnissen erwartungsgemäß zu einer höheren Spannungsbeanspruchung des Mauerwerks im Bohrlochbereich als bei einer Konstruktion ohne Bohrloch und ohne Spannanker. Der Einbau eines Längsspannankers wird insbesondere bei einem historischen Mauerwerk aus Tragsicherheitsbetrachtungen in der Regel nicht gewünscht, wenn es ausschließlich darum geht, das Mauerwerk zu ertüchtigen. Es müssen in dem Fall des notwendigen Einbaus eines solchen Spannankers demnach Möglichkeiten in der Konstruktion gewählt werden, die den Einbau so ermöglichen, dass der Zweck der Verankerung (Spannankereinbaus) und wie im vorliegenden Fall die Sicherung während des Umbaus eines Bauwerks dauerhaft gewährleitet werden kann. Argumente für den Einbau eines Spannankers sind: - Formänderungsverhinderung der Mauerwerkswand - Risssicherung bzw. Rissverteilung in einer Mauerwerkswand - scheibenartige Ausbildung einer Wand - Aufnahme von dynamischen Belastungen - Schubsicherung des Mauerwerks - Vorspannung des Mauerwerks Die FE-Berechnungen und Untersuchungen der Laborprüfwände haben ergeben, dass auch nach dem Einbau des Ankers mit dem Verbundmörtel die Spannungsverteilung in Teilbereichen erhöht ist. Um eine solche Aufgabe wie die Sicherung eines Bestandsmauerwerks während der Bauphase durchzuführen ist es notwendig: - die Baustoffeigenschaften z.-B. hinsichtlich der Festigkeits- und Verformungseigenschaften auf das Bestandsmauerwerk anzupassen. Für den vorliegende Fall bedeutet dies u. a. den E-Modul des Verbundmörtels zu reduzieren. - Vor dem Einbau einer solchen Verspannung das Mauerwerk hinsichtlich seiner wesentlichen Eigenschaftskennwerte, aber auch des vorhandenen Feuchtegehalts und baustoffschädlichen Salzgehaltes zu untersuchen. Der Feuchtegehalt hat z.-B. bei mineralischen Baustoffen einen wesentlichen festigkeitsmindernden Einfluss auf das Tragverhalten des Mauerwerks. - Vor dem Einbau eines solchen Ankersystems die zu sichernde Mauerwerkswand mit Abstützkonstruktionen versehen. - Ggfs. eine Querverspannung des Mauerwerkes im Bohrbereich vorzunehmen, die mit einer Quervernadelung verbunden werden kann (s.-u.). - Die Mauerwerkswand vor Ausführung der Bohrung Grund instand zu setzen. Dazu haben die vergleichenden Tastversuche z.-B. der Laborprüfkörper 3 und 4 bzw. 5 bis 8 (siehe Tabelle 3) deutliche Verbesserungen des Tragverhaltens durch eine Neuverfugung, Vernadelung und Mörtelinjektion gezeigt. Forschung zur Ertüchtigung von Bruchsteinmauerwerk zeigen dies ebenfalls (siehe dazu auch / 12/ ). - Oberhalb und unterhalb der Bohrung eine Spaltzugbewehrung einzubauen. Die Untersuchungen zeigten (siehe Bilder 8 bis 12), dass unmittelbar oberhalb und unterhalb der Bohrung mit und ohne Spannanker deutliche Spaltzugkräfte auftraten, die durch einen entsprechende Vernadelung (Bewehrungsanordnung) aufgenommen werden müssen. - Im Bohrlochbereich eine Mörtelvorinjektion mit einem eigenschaftsangepassten Injektionsmörtel vorzunehmen, um eine Vorstabilisierung des Mauerwerkes zu erreichen. - Im Zuge einer Nassbohrung zu beachten, dass wie oben beschrieben, eine Festigkeits- und E-Modulreduktion eintritt. Dies bedeutet, dass sich der Spannungszustand auf die Mauerwerksbereiche neben dem Bohrloch noch einmal erhöhen und größere Formänderungen eintreten. 5. Resumeé |Danksagung Als Tragwerkplaner*in muss einem bewusst sein, dass die FE-Berechnungen eine Genauigkeit darstellen, die in der Realität nicht gegeben ist. Sie sind ein Hilfsmittel zu einer Art „teilquantitativer“ Beurteilung von insbesondere historischen Tragsystemen. Neben den Schwierigkeiten, Ansätze für ein Berechnungsmodell zu finden stellt die Eingabe von den erforderlichen Berechnungsparametern, also von Eigenschaftskennwerten eine besondere Herausforderung insbesondere beim Mauerwerksbau aber auch z.-B. bei Verbundkonstruktionen wie einer Drahtputzdecke / 6, 12, 13, 14,15 und 16/ da. Die Eigenschaftskennwerte werden meist aus Tabellenwerken entnommen, die i.-d.-R. mit den tatsächlichen Baustoffeigenschaften, insbesondere an einem Bestandsbauwerk nicht verglichen werden können. Zudem hat die Art des Prüfverfahrens zur Bestimmung der Eigenschaftskennwerte einen sehr großen Einfluss auf die Kennwerte. Die FE-Berechnungsverfahren ersetzen demnach nicht den technischen Ingenieurverstand, es kann ihn nur in seiner Arbeit unterstützen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 115 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Danksagung an alle, die die erfolgreiche Umsetzung einer innovativen Idee finanziell und mit Rat und Tat unterstützt haben! Firma Desoi GmbH, Kalbach | Firma Schürholz- Schäfer Bauges. mbH, Reichshof-Wehnrath | Planungs- und Ingenieurbüro Wilms GmbH (PIB) | Herrn Prof. Dr.-Ing. R. Hoscheid | Ilka Hurling | Thomas Emmerichs | Frau Karoline Ochwat | Baustofflabor der Technischen Hochschule Köln | Kölner Institut für Baustoffprüfung und Technologie | Herr Dipl.-Ing. Christian Ihns | Prof. Dr.-Ing. (Arch.) Gerd Sedelies Die Untersuchungen sind im Baustofflabor der TH Köln unter Beteiligung von Frau Karoline Ochwat durchgeführt worden, das FE-Programm wurde von Frau Dr.-Ing. Kasper von der TH Köln zur Verfügung gestellt. Besonders bedanken möchten wir uns für die Unterstützung des Kölner Instituts für Baustoffprüfung und Technologie (KIBT) unter Leitung von Herrn Prof. Dr.- Ing. R. Hoscheid, Herrn Dipl.-Ing. C. Ihns und der Mitarbeiterin Ilka Hurling. Sie haben uns bei den Untersuchungen immer unterstützt und mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Die Forschungen wurden ohne Fremdfinanzierung durchgeführt. Aus diesem Grund haben wir uns gefreut, dass die Materialien für die Untersuchungen von der Firma Schürholz-Schäfer Baugesellschaft mbH und dem Dominik Ingenieurbüro zur Verfügung gestellt wurden. Die Nadelanker wurden von der HOWI-Fertigdecken GmbH und die Packer von der Firma Desoi GmbH zur Verfügung gestellt. Erbaut wurden die Laborprüfwände von Frau Suzanne Schultz, Herrn Thomas Emmerich, Herrn Sascha Müller und Herrn Dominik. Die Bohrungen wurden von Herrn Dominik Meyer ausgeführt. Literatur [1] Wohnhaus in Köln [2] Ossenberg; OE Planung + Beratung GmbH, Altena [3] Desoi GmbH, Kalbach/ Rhön [4] PIB - Planungs- und Ingenieurbüro Wilms, Kelberg [5] Dominik, A.; Dominik, P.: „Im Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Bauteilen - Der Spannkraftregler“, Vortrag zur Denkmalmesse in Leipzig 11-2022 [6] Schultz, S. | M. Eng. Aus Masterarbeit 2021: “Numerische Simulation von Spannungszuständen in Mauerwerkswänden“ Betreuer: Prof. Dr.-Ing. R. Kasper Dipl.-Ing. A. Dominik Prof. Dr.-Ing. R. Hoscheid Technische Hochschule Köln, Fak. 06 - Bauingenieurwesen [7] Klinkerwerke H. W. Muhr GmbH & Co. KG: „Leistungserklärung Nr. 5“ für Muhr- Verblendmauerziegel, 20.03.2015 [8] Wissenschaftlich Technischer Arbeitskreis: „WTA- Merkblatt 4-10; Injektionsstoffe mit zertifizierten Injektionsstoffen gegen kapillaren Feuchtetransport“, Ausgabe 03.2015/ D [9] DIN EN 1052-1: 1998 Prüfverfahren für Mauerwerk - Teil 1: „Bestimmung der Druckfestigkeit“ [10] Klinkner, J; Dominik, A: „Zum Tragverhalten von Drahtputzgewölben („Rabitzgewölben“) Untersuchungsergebnisse infolge von Belastungsversuchen ermittelt an Gewölbemodellen im Vergleich zu Berechnungen mittels Finite- Elemente-Methode sowie Lösungsansätze zur lastregulierten Aufhängung solcher Gewölbe“ (in Bearbeitung) [11] Hilsdorf, H. K.: „Untersuchungen über die Grundlagen der Mauerwerksfestigkeit“, Materialprüfungsamt für das Bauwesen der TU München, Bericht Nr. 40, 1965 [12] Koch, S.; Dominik, A.; Klinkner, J.; Nocker, C.-M.; Kruedener von, D.; Dominik, P.: „Messtechnische und teilweise fotooptische Erfassung von Formänderungen an ertüchtigtem und nicht ertüchtigtem Bruchsteinmauerwerk unter Labor- und Praxisbedingungen“, In: Technische Universität Dresden, Fak. Bauingenieurwesen, Schriftenreihe konstruktiver Ingenieurbau Dresden, Heft 43, Seite 75-92 [13] Koch, S.; Dominik, A.; Klinkner, J.; von Kruedener, D. Baronesse; Nocker, Clara-Maria: „Zum Tragverhalten von historischem Grauwacke-Bruchsteinmauerwerk im Bestand“, In Tagungsband, Seite 7-17, 23. Tagung Natursteinsanierung, IRB Verlag, Stuttgart, 17.03.2017 [14] Klinkner, J.: „Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode“, Masterarbeit 2020, TH Köln, unveröffentlicht Betreuer: Dipl.-Ing. Axel Dominik, Technische Hochschule, Köln, Fak. 06; Bauingenieurwesen Prof. Dr.-Ing. Michael Küchler, Hochschule Mainz [15] Klaus, C.; Große, Leslie-Anne: „Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken unter Berücksichtigung der erforderlichen Messtechnik und der zu ermittelnden Baustoffkennwerte“, (unveröffentlicht), Bachelorarbeit 2018 Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Rudolf Hoscheid Prof. Dr.-Ing. Markus Nöldgen Dipl.-Ing. Axel Dominik Dipl.-Ing. Sabine Koch Technische Hochschule, Köln, Fak. 06; Bauingenieurwesen [16] Schultz; S.: „Ein Beitrag zum Tragverhalten von Decken mit Drahtputzgewölbe; hier: Optimierung experimenteller Untersuchungen und numerischer Berechnungsansätze“, Bachlorarbeit 2019 Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Markus Nöldgen Dipl.-Ing. Axel Dominik Technische Hochschule, Köln, Fak. 06; Bauingenieurwesen 116 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Historisches Ziegelmauerwerk: Spannungszustände in einem längsverspannten Mauerwerk Autoren Suzanne Schultz | M. Eng. Tätig bei: Finck & Billen Ingenieurgesellschaft GmbH & Co.KG; Elisenstraße 4-10, 50667 Köln Prof. Dipl.-Ing. Axel Dominik: Dominik Ingenieurbüro, Bornheim-Merten | TH Köln Restaurator im Maurerhandwerk, Beratender Ingenieur der IK-Bau NRW Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule Köln in den Fachbereichen: Bauen im Bestand, Baustofflehre, Schutz und Instandsetzung Bildbearbeitung: Eva Beyer Dominik Ingenieurbüro | Bornheim Redaktionelle Bearbeitung: Pascale Dominik (M. Sc.) Dominik Ingenieurbüro | Bornheim