Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
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2023
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Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz
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2023
Petra Egloffstein
Martin Kanig
Die Mischung sehr kalkreicher Mörtel und Putze ist schon seit sehr früher Zeit bekannt. Bei einer Europäischen Normung der Baukalke sind neben den ungemischten, natürlich hydraulischen und gemischten, hydraulischen Kalken neue gemischte Baukalkarten formuliert, welche einen deutlich höheren frei verfügbaren Kalkgehalt (Ca(OH)2 ) aufzeigen. Durch diese formulierten Kalke (FL) ist es möglich, Mörtel und Putze herzustellen, die in der Instandsetzung von historischen Bauwerken, neben einer sehr guten Verträglichkeit mit den bestehenden Mörteln, auch spezielle Eigenschaftswerte aufzeigen, welche sich dem historischen Bestand besser anpassen. In neuerer Zeit gibt es neben den klassischen baustellenseits gemischten Mörteln auch Werktrockenmörtel auf Basis dieser Bindemittel.
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8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 127 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz Dr. Petra Egloffstein Sievert SE & Co. KG., Osnabrück Dr. Martin Kanig Sievert SE & Co. KG., Osnabrück Zusammenfassung Die Mischung sehr kalkreicher Mörtel und Putze ist schon seit sehr früher Zeit bekannt. Bei einer Europäischen Normung der Baukalke sind neben den ungemischten, natürlich hydraulischen und gemischten, hydraulischen Kalken neue gemischte Baukalkarten formuliert, welche einen deutlich höheren frei verfügbaren Kalkgehalt (Ca(OH) 2 ) aufzeigen. Durch diese formulierten Kalke (FL) ist es möglich, Mörtel und Putze herzustellen, die in der Instandsetzung von historischen Bauwerken, neben einer sehr guten Verträglichkeit mit den bestehenden Mörteln, auch spezielle Eigenschaftswerte aufzeigen, welche sich dem historischen Bestand besser anpassen. In neuerer Zeit gibt es neben den klassischen baustellenseits gemischten Mörteln auch Werktrockenmörtel auf Basis dieser Bindemittel. 1. Das Bindemittel: Formulierter Kalk Die heutigen Baukalkarten sind genormte Bindemittel und werden nach [1] eingeteilt. Hierbei werden Baukalke mit reiner carbonatischer Erhärtung sowie Baukalke mit carbonatischer und hydraulischer Erhärtung unterschieden. Gemischte Produkte mit hohen Calciumhydroxidanteilen (FL 2, FL 3,5, FL 5) werden als formulierter Kalk bezeichnet und differieren nach neuer Norm deutlich von den gemischten hydraulischen Kalken (HL 2, HL 3, HL 5). Die Mischungen der FL-Kalke können vielfältiger Natur sein. So können Weißkalke, natürliche hydraulische Kalke mit puzzolanischen (z.-B. Trass, Ziegelmehl, Stoffe mit reaktiver Kieselsäure) oder latent hydraulischen Zusätzen (z.-B. Hochofenschlacken) und Zementen gemischt werden. Die Ausgangsstoffe und Mengenanteile müssen auf dem Bindemittelsack deutlich gekennzeichnet werden. Die Gehalte an verfügbarem Kalk (Ca(OH) 2 ) und die damit verbundenen carbonatischen sowie hydraulischen Erhärtungsmechanismen, abhängig von der Zusammensetzung der Kalke, sind ausschlaggebend für die Eigenschaften und somit den Einsatz der daraus hergestellten Mörtel. In Tabelle 1 sind aus [1] der verfügbare Kalk und die Druckfestigkeitsbereiche nach 28 Tagen dargestellt. Die Unterschiede zwischen NHL, HL und FL-Kalk Produkten sind bedeutsam. Während bei NHL-Produkten nach 28 Tagen eine eher geringe Festigkeit gemessen wird, die sich erst nach 90 Tagen deutlich steigert, erreichen gemischte hydraulische Kalke schon nach 28 Tagen eine deutlich höhere Festigkeit, die im Laufe der Zeit relativ unverändert bleibt. Tabelle 1: Calciumhydroxidgehalte und Druckfestigkeiten von Prüfmörteln, welche mit Normsand hergestellt wurden, nach [1] Die FL-Kalke nehmen also eine Mittelstellung ein. Die Endfestigkeit wird nicht zu hoch, so dass sie auch für weicheres Mauerwerk gut geeignet sind und gleichzeitig erreichen sie diese recht schnell und gleichmäßig. Während der Erhärtung entstehen kaum Spannungen zwischen Mörtel und Mauerwerk und FL-Kalke können noch verhältnismäßig später im Jahr verarbeitet werden. Bei Kalkprodukten ist hier immer ein genauer Blick auf die Jahreszeiten und Temperaturen erforderlich. Werden sie zu spät im Jahr eingesetzt kann die Karbonatisierung nicht vollständig ablaufen und der Mörtel erreicht nicht die erwartete Frostbeständigkeit. 1.1 „Die Mischung macht’s“ Ziel der Entwicklungsarbeiten war es, mit dem FL B 3,5 einen gemischten, hydraulischen aber zementfreien - Formulierten Kalk herzustellen. Hierfür wurden verschiedene puzzolanisch reagierende Stoffe und Kombinationen dieser Stoffe mit Trass und 20 M. % Kalkhydrat zur Reaktion gebracht, und die Druckfestigkeit gemäß 128 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz DIN 51043 geprüft. Als besonders geeignet erwies sich eine Kombination aus Trass mit Metakaolin. Mischungen von 20-60 M. % Trass und 40-80 % Metakaolin erreichen synergistisch eine 3bis 4-fach höhere Druckfestigkeit als die reinen Einzelkomponenten (Abb. 1). Mit dem erreichten Festigkeitsniveau des patentierten Kalkbindemittels (EP 404 885 B1) ist es möglich, auch Mörtel zu rezeptieren, deren Festigkeitsanforderungen bisher nur mit Zementanteilen erfüllt werden. Somit ergaben sich neue zementfreie Anwendungen für die Sanierung und Restaurierung historischer Bauwerke. Abb. 1: Druck- und Biegezugfestigkeit von Trass-/ Metakaolinabmischungen gemäß DIN 51043 2. Mörtel und Putze auf Basis von formulierten Kalken erlauben viele Varianten 2.1 Das Bindemittel: Formulierter Kalk So stellt tubag das patentierte, normgerechte Bindemittel FL B 3,5 bereit, eine Zusammensetzung von 60 % Weißkalk (CL 80), 25 % Trass und 15 % Metakaolin. Es ist ein zementfreies Bindemittel, das ein hohe Flexibilität für Baustellenmischungen erlaubt. Im technischen Merkblatt sind detaillierte Mengenanteile angegeben, um passende Mörtelmischungen für unterschiedliche Festigkeitsansprüche herzustellen. Dadurch wird es möglich, Mörtel mit regionalen Sanden anzumischen, welche sich gut auf die historisch verwendeten Rezepturen vor Ort abstimmen lassen. Manchmal ist es notwendig, mehrere Sande zu mischen, um die Sieblinie der Originalmörtel nachzustellen. Abb. 2: Baustellengemischter Mauer- und Fugenmörtel, hergestellt aus FL B 3,5 und örtlichen Sanden 2.2 Werktrockenmörtel 2.2.1 Mauer- und Fugenmörtel Auf Basis des formulierten Kalkes lassen sich auch Werktrockenmörtel als Mauer- und Fugenmörtel herstellen Der historische Werkstein- und Fugenmörtel der Festigkeitsstufe M 2,5 gemäß DIN EN 998-2 eignet sich besonders für historisches Mauerwerk und für Natursteine mit geringer bis mittlerer Festigkeit wie Tuffe, Ziegel und tonige Sandsteine. Durch Zusätze von puzzolanischen Anteilen kann das Calciumhydroxid während der Erhärtung des Mörtels optimal abbinden. Besonders in feuchtebelastetem Mauerwerk wird die Gefahr von Kalkfahnen oder Kalkausblühungen dadurch deutlich reduziert. Auch für Fugenmörtel ergibt sich ein weites Einsatzfeld. Der FL-F Historischer Fugenmörtel lässt sich für eine händische Verarbeitung in einer erdfeuchten Konsistenz genauso optimieren, wie für den Einsatz von Kartuschen oder vom Nassspritzverfahren mit Maschinentechnik, wo für die spritzfähigen Varianten eine eher pastöse Konsistenz gefragt ist. (Abb. 3: linkes Bild). Beim Verfugen im Trockenspritzverfahren (Abb. 3: rechtes Bild) wird mit einem herabgesetzten Bindemittelgehalt gearbeitet, der für eine moderate Endfestigkeit trotz der hohen Verdichtung sorgt. Zudem bietet sich die Möglichkeit, den Fugenmörtel auf Basis einer großen Aus- 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 129 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz wahl an farbigen Sanden und Pigmenten in seiner Farbigkeit dem historischen Vorbild anzupassen (Abb. 4). Abb. 3: FL-Fugenmörtel mit angepasster Rezeptur zum Nass- und Trockenspritzenverfahren Abb. 4: Farbigkeiten der einsetzbaren Körnungen, aus Eigen- und Fremdsanden sowie anderer Körnungen, wie Basalt-Ziegelsplitt usw. zur exakten Nachstellung historischer Rezepturen. 2.2.2 Putzmörtel Im Putzbereich ergibt sich für die zementfreien FL-Kalk- Produkte ebenfalls ein sehr erweitertes Anwendungsfeld. Beispielsweise als FL-V Vorspritzmörtel, welcher die Haftung bei problematischen oder leicht saugenden Untergründen verbessert. Da er kapillar aktiv eingestellt ist und entsprechend Feuchtigkeit weiterleitet, kann er nicht nur netzförmig, sondern auch deckend verarbeitet werden. Genauso eignen sich formulierte Kalke für Unter- oder Oberputze, wie den bei der Villa Lindenhaus eingesetzten FL-P Historischer Kalkputz. Auch hier lassen sich zudem durch die Zugabe von Sanden und Pigmenten unterschiedliche Körnigkeiten und eine variable Farbigkeit erzielen, so dass der Oberputz sich auf Wunsch als Naturputz ohne zusätzlichen Farbauftrag verwenden lässt. Mit Hilfe der FL-Kalke lassen sich aus Putze mit Leichtzuschlägen mit ausreichender Frühfestigkeit ohne einen Zementzusatz herstellen. Der FLP-L Historischer Kalkputz mit Leichtzuschlägen kann für sehr weiche, stark geschädigte Untergründe, wie z. B. weich gebrannte Ziegel die Rettung bedeuten. Die Leichtzuschläge sind rein mineralisch und bestehen zum großen Teil aus Bims. Mit mehreren Spritzaufträgen lassen sich große Schichtstärken von 40 mm pro Lage realisieren. In Abbildung 5 ist auf der linken Seite der klassische FL-Putz mit Anstrich an der Villa Lindenhof, Wiesbaden dargestellt. Das Bild rechts zeigt die Fassade des Schlosses Herrnsheim in Worms mit Anstrich, hierbei wurde der FLP-L mit Leichtzuschlägen eingesetzt. 130 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz Abb. 5: FL-Kalkputz Villa Lindenhaus, Wiesbaden und FLP-L mit Leichtzuschlägen als Unterputz im Schloss Herrnsheim, Worms 2.2.3 Sondermörtel Auch spezielle Anwendungsfelder abseits von Mauer- und Fugenmörtel profitieren von den Eigenschaften der formulierten Kalke. Injektionsmörteln kommt eine wichtige Aufgabe zu, wenn es darum geht, in der Struktur geschädigtes historisches Mauerwerk zu ertüchtigen. Zementfreie Produkte sind dafür eine wichtige Voraussetzung. Der FLV-g Verfüllmörtel ist ein solches Produkt. Er lässt sich mittels Korngröße auf die Hohlräume im Mauerwerk abstimmen und ist in den Körnungen 0 mm bis 8 mm erhältlich. Der Verfüllmörtel ist leicht zu verarbeiten und zeichnet sich durch besonders gute Pumpfähigkeit aus. Das Schwindverhalten ist optimal eingestellt, um einen perfekten, kapillar offenen Verbund mit dem Mauerwerk zu gewährleisten. Durch die relativ hohe Festigkeit bei einem zementfreien Produkt ist der Spielraum des Einsatzes deutlich erhöht worden, zudem er gerade bei feuchtem Mauerwerk durch seine Zusammensetzung Kalkaustritte vermeidet. Als Ergänzung gibt es neuerdings auch einen Dachdeckermörtel auf Basis der FL-Kalk Bindemittel. Da dieses Produkt an der Spitze des Bauwerks einer besonderen Belastung standhalten muss, enthält es einen geringen Zementanteil. Zudem werden in den Mörtel Fasern zu Armierung eingebunden, um den thermischen und hygrischen Spannungen entgegenzutreten, die durch die verschärfte Feuchtigkeits-, Temperatur- und Windbelastung am Dach entstehen. Ein solcher Dachdeckermörtel zeichnet sich durch eine hohe Haftkraft und eine ebensolche Elastizität aus. Gleichzeitig ist er zugfest und diffusionsoffen. Da hier jedoch sehr spezielle Anforderungen an den Mörtel gestellt werden, konnte die Rezeptur nicht zementfrei realisiert werden. Es sind jedoch nur geringe Zementanteile vorhanden, welche die Dauerhaftigkeit auf dem Dach hinreichend erhöhen. Abb. 6: FL-Dachdeckermörtel bei einem mit Reet gedecktem Wohnhaus 3. L-Produkte haben eine hohe Nachhaltigkeit Die zementfreien formulierten Kalkprodukte leisten einen signifikanten Beitrag zur CO 2 -Reduktion bei der Bindemittelherstellung und sorgen somit für die klimaschonenden Nachhaltigkeitsziele Deutschlands. Für Trass wurde im Rahmen einer EPD (Umweltproduktdeklaration) ein CO 2 -Ausstoß von 104 kg/ t, und für den eingesetzten Metakaolin von 304 kg/ t berechnet. Der CO 2 -Ausstoß des FL B 3,5 beträgt 608 kg/ t und somit 32 % weniger als Kalkhydrat (894 kg/ t) bzw. 26 % weniger als Portlandzement CEM I (822 kg/ t). Setzt man die Druckfestigkeit mit dem zugehörigen CO 2 - Ausstoß in Bezug, wird ein optimales ßD / C0 2 -Verhältnis 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 131 Formulierter Kalk: Die Mischung macht den Unterschied - mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz mit ca. 40 M. % Trass und 60 M. % Metakaolin erreicht (Arbeitstitel: „Powertrass“) (Abb. 7). Abb. 7: Druckfestigkeit und CO 2 -Ausstoß von FL B 3,5 und „Powertrass“-Abmischungen Diese Verhältnisse sind bei den einzelnen Werktrockenmörteln noch nicht vollständig realisiert. Sie zeigen jedoch, dass hier eine Optimierung der puzzolanischen Zusätze ein deutliches Einsparpotential darstellen. So kann man durch die Mischung der Bindemittel bei den zementfreien Kalkmörteln die Nachhaltigkeitsziele sowohl für die Umwelt, als auch für die Ziele der Denkmalpflege sehr gut erreichen. Durch den Einsatz von Mörteln auf Basis von formulierten Kalken hat man deutlich mehr Spielraum bei der Instandsetzung historischer Gebäude. Literatur [1] Baukalke, DIN EN 459-1 (2010), Beuth Verlag, Berlin