Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
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2023
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Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz
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Holger Tebbe
Der römische Getreidespeicher (Granarium) ist eine spezielle Bauform römischer Lagerhausarchitektur. Charakteristisch für diese Speicher, häufig verallgemeinernd als Horrea (Lager) bezeichnet, sind ihre enge Pfeilerstellungen im Inneren und ihre häufig verstärkten Außenwände. Beide Aspekte sind immer noch Gegenstand intensiverer archäologischer Forschung und darauf aufbauender, teilweise voneinander abweichender Interpretationsmodelle.
Im vorliegenden Fall soll sich der Aufbaufrage von Seiten der vom Lagerwesen zu stellenden Ansprüche durch das Lagergut genähert werden („Forms follow Funktion“). In der Folge soll ein Vergleich zum neuzeitlichen Lagerwesen gezogen werden, insbesondere unter den Aspekten Ressourcenschonung und Energieeinsatz.
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8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 173 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Dipl.-Ing. Holger Tebbe Ingenieurbüro H. Tebbe GmbH, Neuwied Zusammenfassung Der römische Getreidespeicher (Granarium) ist eine spezielle Bauform römischer Lagerhausarchitektur. Charakteristisch für diese Speicher, häufig verallgemeinernd als Horrea (Lager) bezeichnet, sind ihre enge Pfeilerstellungen im Inneren und ihre häufig verstärkten Außenwände. Beide Aspekte sind immer noch Gegenstand intensiverer archäologischer Forschung und darauf auf bauender, teilweise voneinander abweichender Interpretationsmodelle. Im vorliegenden Fall soll sich der Auf baufrage von Seiten der vom Lagerwesen zu stellenden Ansprüche durch das Lagergut genähert werden („Forms follow Funktion“). In der Folge soll ein Vergleich zum neuzeitlichen Lagerwesen gezogen werden, insbesondere unter den Aspekten Ressourcenschonung und Energieeinsatz. 1. Einführung Die Versorgung der römischen Bevölkerung (annona civica) und der Truppen (annona militaris) mit Getreide als Grundnahrungsmittel sind zentrale Pfeiler des römischen Staatswesens. Von den Anfängen in republikanischer Zeit über das Prinzipat (Kaiserzeit) und Spätantike lag dem eine eigene, an der Kaiserzeit strikt getrennte Verwaltung zugrunde, die Transport, Lagerung und Verteilung organisierte und überwachte aber auch, z. B.,--bei Getreideknappheit-, in die Marktpreisgestaltung eingriff. Die mindestens einjährige Lagerung des Getreides und damit hierfür vorzusehenden Lagereinrichtungen, spielen hierbei natürlich eine zentrale Rolle. Anordnung und Lage und Auf bau dieser Getreidelager sollen mit zeitgenössischem Lagerwesen, wie es bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinsichtlich der sog, Flachlagerung noch Standard war, verglichen werden. Dabei wird auch der zeitgenössische Maschinen- und Energieeinsatz mit den zur Römerzeit üblichen Verfahren verglichen. 2. Parameter zur Sicherstellung der langfristigen Lagerfähigkeit von Getreide 2.1 Getreidebeschaffenheit und -güte in Abhängigkeit der Erntebedingungen Getreide wird in der Regel in Form von Getreidekörnern gelagert. Hierzu wird das Getreidekorn zuvor mechanisch („Dreschen“) von abfallenden Spelzen, Hülsen, Grannen (fadenförmiger Fortsatz verschiedener Ähren, z. B. bei Gerste, vergl. Bild 1), Samenhülsen und Stängelanteilen getrennt. Spelzgetreide, das heißt Getreide, bei dem die Hüllspelze (die Frucht umgebendes Blatt des Teilblütenstandes) fest mit der Frucht verwachsen ist, z. B. Dinkel, kann durch einfaches Dreschen nicht von der Frucht gelöst werden. Es kann und wurde daher teilweise auch ungespelzt (ungeschält) gelagert, da durch das schützende Hüllblatt die Empfindlichkeit gegenüber Lagerschäden reduziert werden konnte. Bild 1: Weizen, Hafer, Gerste (v li. n. re.). Bildquelle: Wikipedia 174 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Bild 2: Dinkelähren sowie gespelzte u. ungespelzte Kornfrucht. Bildquelle: Wikipedia Während das Spelzgetreide ohne Halm (Stroh) gedroschen werden kann, sind während des Dreschvorgangs von reinen Kulturarten wie Nacktweizen, Strohlagen zum Schutz der Kornfrucht vor Beschädigung notwendig. Gemäß derzeitigen Erkenntnissen wird Getreide zur Römerzeit wohl teilweise durch Abschnitt der Ähre mit der Sichel geerntet. Allerdings sind auch Sensen zur Römerzeit bereits bekannt., vergl. Bild 3. Ob hier das Getreide samt Halm bodennah geerntet wurde, oder ob Sensen ggf. nur für die Heuernte und Freischnitt von Ackerflächen genutzt wurden, ist derzeit teilweise noch Gegenstand der archäologischen Forschung. Darüber sind in spätrömischer Zeit radgeführte Mähhilfen bekannt, siehe Bild 3, die in den gallischen und germanischen Provinzen verbreitet sind. Diese dürften u. a. aufgekommen sein, um in den zeitweise sehr unruhigen und kriegerischen Zeiten, zum einen die Erntezeiträume zu verkürzen und zum anderen dem zunehmenden Personaldefizit entgegenzuwirken. Mit der höheneinstellbaren, von Arbeitstieren geschobenen, Mähhilfe wurden mittels der gezackten Schneidkante die Ähren von den Halmen abgerissen, die dann in den schaufelartig ausgebildeten Auffangmulde gesammelt wurden. Eine vorauslaufende Hilfsperson half hierbei die Pflanzen höhengerecht der Mähhilfe zuzuführen, vergl. Bild 3. Bild 3: zur Römerzeit bei der Getreideernte zur Verfügung stehende Ernteverfahren und -werkzeuge (Sichel, ggf. Sense und radgeführte Mähhilfe) 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 175 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Wenn die Frucht mit Halm geerntet wird, werden die Halme nach dem Schnitt zur Trocknung in der Regel zu einem Bündel („Garbe“) zusammengestellt. Zum Schutz vor Niederschlägen werden die Ähren zum oberen Ende des Bündels ausgerichtet und durch die Art der Bündelung, vergl. Bild 4, oder ggf. auch durch zusätzliche Abdeckung mit einzelnen Halmen, geschützt. Nach ausreichender Trocknung können die Garben dann zum Gehöft (villa rustica“) zur Weiterverarbeitung gefahren werden. Soll das Spelzgetreide zur Weiterverarbeitung direkt entspelzt werden, erfolgt dies in der Regel in Darren, die in Ausgrabungen von römischen Gutshöfen immer wieder nachgewiesen werden konnten, vergl. Bild 5. Im Zuge der Darrung kann der gewünschte Feuchtegehalt der Frucht, vergl. Abschn.-2.2, dabei direkt mit eingestellt werden. Es soll jedoch betont werden, dass bei derartigen Einrichtungen, je nach Erhaltungssituation und Umgebungsbedingungen eine Unterscheidung zwischen Darre, Räucherofen und Röstofen (z. B. für Eisenerze, z. B. bei Gutshöfe mit gewerblichen Produktionszweigen) nicht immer zweifelsfrei möglich. Kulturarten wie Nacktweizen werden dagegen zunächst gedroschen, vergl. Bild 6, und danach die Körnung aus dem Drusch ausgelesen. Neben dem klassischen Dreschen mit Dreschpflegel, vergl. Bild 6 links, ist für das Altertum auch der Einsatz von Dreschschlitten, siehe Bild 7 links, nachgewiesen. Weiterentwickelte Dreschhilfen, wie z. B. die Dreschwalze, vergl. Bild 7 rechts, sind erst für die Neuzeit nachgewiesen. Dach dem Dreschen und der Kornauslese aus dem Drusch erfolgt eine Windsichtung der Körnung mittels Worfelkorb („Trennung von Spreu und Weizen“), sowie eine nachfolgende augenscheinliche Sichtung der gereinigten Körnung hinsichtlich Fremdbestandteilen und Anomalien wie Steine, Verfärbung, Kümmerkorn oder sonstigen Pilzbefall. Bei zu hohem Feuchtegehalt kann danach auch hier noch ein Trocknungsvorgang notwendig werden. Danach ist das gespelzte aber auch das ungespelzte Spelzgetreide grundsätzlich lagerungsfähig. Bild 4: Zeitgenössische Darstellung einer Getreideernte; Abel Grimmer; „Sommer“, 1607, Bildquelle: Wikipedia Bild 5: Grundriss einer römerzeitlichen Darre aus Seebrück (Bedaium) gemäß Ausgrabungsbefund Bild 6: Oben: Dreschen des Getreides mittels Dreschflegel. Bildquelle: Wikipedia Unten: Trennung der Getreidekörner von der Spreu per Windsichtung mittels Worfelkorb 176 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Bild 7: Oben: Unterseite eines neuzeitlichen Dreschschlittens aus dem Mittelmeerraum, Unten: Einsatz einer Dreschwalze (Neuzeitlich Einsatz ab ca. 1760 nachgewiesen) 2.2 Einlieferungsbedingungen zur Erzielung einer möglichst hohen Lagerstabilität Soll Getreide eingelagert werden, so sind eine gründliche Vorreinigung und Sichtung unerlässlich. Dies bedeutet, dass die Getreidekörnung - frei von Fremdstoffen wie z. B. Steinen sein muss - frei von (lebenden) Schädlingen und Milben sein muss; - weitgehend frei von Stäuben, sowie festen und flüssigen Anhaftungen sein sollte; - möglichst frei von Pilzbefall („Feldpilzen“) sein sollte; - eine gleichmäßige bestimmungsgemäße Farbgebung, vergl. Bild 8 links, aufweisen sollte, - möglichst wenig Kornbruch sowie sog. Kümmer- oder Schmachtkorn aufweisen sollte. Eine gute Vorreinigung verringert den Trocknungsbedarf des einzulagernden Gutes und gleichzeitiger Erhöhung der Trocknungseffizienz. Durch Windsichtung in Kombination mit Sichtprüfung kann auch bei historischen Reinigungsverfahren die Anhaftungen („Besatz“) und damit der potentielle Toxingehalt des „Schwarzbesatzes“ effektiv gesenkt werden. Weiterhin sollte der Kornwassergehalt des einzulagernden Getreides gering sein, da hierdurch die Gefahr von Schädlings- und Pilzbefall während der Lagerhaltung deutlich reduziert werden kann, vergl. Bilder 8 und 9 rechts. Bild 8: Gefahr des Schädlingsbefalls in Abhängigkeit der Kornfeuchte von Weizen 2.3 Temperatur und Feuchte als zentrale Aspekte zur Erzielung einer hohen Lagerstabilität Erfolg oder Misserfolg der Lagerung hängen bei sorgfältig vorgereinigtem Lagergut, vergl. Abschn.2.1, im Wesentlichen von den vier Parametern Feuchtigkeit und Temperatur im Schüttgut sowie Luftfeuchte und Temperatur der Umgebungsluft ab. Lagerfähige Getreidekörner nehmen im Rahmen ihres Erhaltungsstoffwechsels Sauerstoff auf und geben CO 2 sowie Wärme und Feuchte ab, siehe <C>. Bei hoher Aktivität des beschriebenen Stoffwechsels nehmen die als Atmungsverluste bezeichneten Trockensubstanzverluste zu. Ein kühles und trockenes Lagerungsklima ist unabdingbar, um den Verlust an Keimfähigkeit (Saatgetreide) und Vitalität der eingelagerten Getreidekörner zu erhalten. Wie bereits in Abschn. 2.2 dargelegt, sollte die Getreidefeuchte grundsätzlich bereits aus Gründen des Widerstandes gegen Schädlings- und Fungizidbefall niedrig gehalten werden, vergl. Bilder 8 und 9 rechts. Bei Feuchtegehalten von 14-% für Weizen, Roggen, Gerste bzw. 12 % für Hafer sind die Schuttgüter mit ihrer natürlichen Keimflora zudem dann auch bei sommerlichen Temperaturen lagerungsstabil. Bei der Weizenlagerung im Flachlager mit funktionierender Lagerungsbelüftungstrocknung stellt sich die gewünschte Gutfeuchte von 14 % bei 65 % rel. Luftfeuchte und 20°-C Lufttemperatur als Feuchtegleichgewicht selbständig ein. Hohe Strömungsgeschwindigkeiten sind hierbei zu vermeiden, da sie zu zusätzlichen Temperaturverlusten und somit auch zur Austrocknungsbeschleunigung führen können. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 177 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Bild 9: Oben: gesunde (li.) und mit Fusarien (Schlauchpilzen, re.) befallene Weizenkörner Unten: Entwicklungsbedingungen für Sekundärpilzbefall (Lagerpilze) in Abhängigkeit von Temperatur und Luftfeuchte Die Frischluftzufuhr sollte daher möglichst kontrolliert zugeführt werden. In modernen Flachlagern erfolgt dies hierdurch, dass die abgezogene Hallenluft im Teilumluftverfahren mit Frischluft gemischt wird, bevor sie mittels Radialgebläse wieder in die Lüftungskanäle gedrückt wird, vergl. schematische Darstellung gemäß Bild 10. Bild 10: Lagerhaltung (Flachlager) mit Lagerbelüftungstrocknung Bild 11: Oben: Erzielbarere Lagerzeitspannen in Abhängigkeit von Lagerguttemperatur und -feuchte Unten: Entwicklungspotential relevanter getreideschädlicher Insektenarten in Abhängigkeit der Umgebungstemperatur Bei einer funktionierenden Lagerbelüftungstrocknung kann auch Getreide mit leichte erhöhten Feuchtegehalten eingelagert werden, da die Überschussfeuchte, wie beschrieben im Umluftverfahren reduziert werden kann. Nach schichtweiser Durchtrocknung der Einlagerung, kann dann weiteres Lagerungsgut nach entsprechendem Trocknungserfolg der bereits eingelagerten Schicht sukzessive lagenweise eingebracht werden. Als durchtrocknungsfähige Schichthöhe wird für Weizen im beschriebenen Verfahren rund 70 cm angegeben, siehe <C>. Lagerbelüftungstrocknungen haben einen hohen Anspruch an die Luftführung in Abhängigkeit von Einlagerungshöhen, Feuchteentzugsbedarf und jeweiliger Schütthöhe. Bei modernen Lüftungssystemen, vergl. Bild 9, werden Kanalabstände von Unterflurbelüftungen von 1,25 bis 1,5-m empfohlen, siehe z. B.-<C>. Die endgültige Höhe der Einlagerung ist hierbei variabel, als Standard werden 3 bis maximal 6 m angegeben. 178 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Bei modernen Systemen wird die Schichtdickenerhöhung bei der Lagerbeschickung kontinuierlich über einen Bandförderer erreicht. Je nach Durchlüftungsbedingungen sind Verkrustungen der Stapeloberfläche nicht auszuschließen. Zur Auflösung der Verkrustungen muss diese, z. B. alle zwei Tage, durch eine rund 20 cm tief einwirkende Harke aufgebrochen werden. Um das Getreidelager auf längere Zeit stabil zu halten, sind zudem niedrige Lagerungstemperaturen sinnvoll bis notwendig. Dies soll im nachfolgend abgebildeten Diagramm („Lagerzeituhr“) beispielhaft dargelegt werden. Gemäß den in Diagramm dargelegten Parametern gelingt es durch Temperaturabsenkung des Lagergutes von 24°- C (A, rot) auf 10°- C (B, blau) bei gleichbleibenden Getreidefeuchtegehalt von 14,5-% die mögliche Lagerungszeit zu verfünffachen, siehe Bild 11 links. Bei derartigem Temperaturniveau ist zudem die Gefahr eines Befalls mit getreideschädigenden Insekten minimal, vergl. Bild 11 rechts. 2.4 Grundlegende Konstruktionsprinzipien für Flachlager Die Getreideflachlagerung erfolgt üblicherweise in Lagerhallen mit beschüttbaren Wänden, vergl. Bild 12. In neuzeitlichen Lagern ist die Lagerfläche durch seitliche Schottwände in einzelne Teillagerflächen unterteilt. Der Grundriss der abgeschotteten Teilflächen ist hierbei mit den Anforderungen an die Belüftung abzustimmen. Zum Schutz vor Vögeln ist die Halle als Dunkelhalle möglichst ohne natürliche Belichtung auszulegen. Da Vögel nicht gern in dunkle Räume einfliegen, kann so auch die Gefahr des Vogeleinflugs durch offene Tore minimiert werden. Zur Abwehr von Schadnagern und sonstigen Kleintieren, wie z. B. Katzen sind dichte Abschlüsse zwischen Mauerwerk und Dach, sowie entsprechende Türen unbedingt vorzusehen und Wandöffnungen möglichst zu vermeiden. Bild 12: neuzeitliches Getreideflachlager mit Unterflurlüftungskanälen (oben) im Vergleich zum rekonstruierten Grundriss eines römischen Getreidespeichers (St.-Irminen,-Trier, unten) Die zur Lagerung von Schüttgütern zwingend erforderlichen Wandverstärkungen sind ebenso wie die enge Pfeilerstellung im Inneren geradezu charakteristisch für massiv gebaute römische Getreidespeicher der Kaiserzeit und der Spätantike, vergl. Bild 12 rechts. Bei der Konzeption der jeweiligen Getreidelager ist für römerzeitliche Lager sicherlich von Bedeutung, ob es sich um - Zwischenlager für den Warenumschlag (z. B. im Hafenbereich); - zivile Auslieferungslager für zivile Endverbraucher oder gewerbliche Weiterverarbeiter (z. B. Getreidemühlen); - Lager im Bereich von festen Truppenlagern handelt, die ggf. sowohl die Aufgabe der täglichen Versorgung als auch der langfristigen Bevorratung gleichzeitig erfüllen müssen oder - um zivile oder militärische Vorratslager zur langfristigen Versorgungssicherung handelt. Insbesondere die letztgenannten Bevorratungslager haben naturgemäß eine geringe Umschlagsintensität, so dass hier längere Transportwege auch innerhalb der Speicheranlage in Kauf genommen werden können. Bei Lager mit geringerer Verweilzeit des Lagergutes und des Erfordernisses der Möglichkeit einer zügigen Räumung des Lagergutes, z. B. im militärischen Bereich, sind dagegen kurze Transportwege innerhalb des Getreidelagers von Vorteil. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 179 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz Im militärischen Bereich ist daher eine ebenerdige Einlagerung von Vorteil. Dementsprechend wurden für derartige Lager auch entsprechend belüftete Doppelböden nachgewiesen und rekonstruiert, vergl. Bild 13. Bild 13: Strebepfeiler (außen) und Stützpfeiler (innen) des Horreum Kastell Housesteads (oben) sowie darauf auf bauende Rekonstruktion (unten) Bild 14: Rekonstruktion des römischen Getreidespeichers St.-Irminen,-Trier, Ansichten und Querschnitt, vergl. Bild 11 Eine enge Pfeilerstellung, vergl. Bild 11 rechts, deutet jedoch nicht zwingend darauf hin, dass in derartig gestalteten Lagern im EG Doppelböden zur Belüftung angeordnet worden sind. Vielmehr zeigen sie lediglich an, dass das Gebäude für den Abtrag hoher Lasten konzipiert wurde. So wurden für das spätantike Getreidelager in St.-Irminen,-Trier im EG auf einer Kalksteinpacklage von rund 10---15 cm ein rund 8 cm starker, geglätteter Estrich als Lauf boden festgestellt. Dementsprechend ist hier, gemäß Rekonstruktion, lediglich eine belüftete Lagerung von Schüttgut im OG anzunehmen, vergl. Bild-14. Aufgrund der engeren Pfeilerstellung im Mittelfeld von rund 5 m zu den Außenfeldern mit 6,15-m, lässt sich zudem mit höherer Sicherheit eine Holzbalkendecke vermuten, die quer zur Halle, ggf. Holzbalken, gespannt wurde, vergl. Bild 14. Aufgrund der Gesamtspannweite von rund 17-m, sind hier eine zweibis dreiteilige Deckenbalken je Balkenlage anzunehmen, da die wirtschaftlich gewinnbare Baumstammlänge, z. B. mit ausreichendem-Querschnitt auf maximal rund 10---12-m begrenzt sind. Die Teilbalken könnten hier, zwecks Durchbiegungsbegrenzung, nicht, wie in der Konstruktion dargestellt, 3teilig in den beiden Zwischenauflager, sondern zweiteilig den jeweils einem Momentennullpunkt des Mittelfeldes gestoßen worden sein. Die Querkraftübertragung würde hierbei durch zimmermannsmäßig gestaltete Verbindungen hergestellt, die je Auflagerreihe wechselseitig im Mittelfeld rechts oder links im Momentennullpunkt angeordnet worden sein könnten. Hierdurch könnte die Deckendurchbiegung konstruktiv deutlich reduziert worden sein. Holz als Material im Flachlager ist allerdings problematisch. Holz ist schlecht zu reinigen und die Porenstruktur fördert geradezu Staubeinlagerungen. Holz bietet zudem viele Unterschlupfmöglichkeiten (Ritze und Spalten) für Schadinsekten. Raten und Mäuse fressen sich durch die Holzkonstruktion. Daher ist es nicht verwunderlich, dass z. B. nach der Eroberung Germanien in den neu erstellten Truppenlagern, die in Holz-/ Erdbauweise errichtet wurden, neben der Kommandantur (Prinzipia) oder von Teilen der Kommandantur (Fahnenheiligtum und Truppenkasse), das oder die Getreidelager entweder direkt in Massivbauweise errichtet wurden oder, sofern in Holzbauweise errichtet, als erstes durch einen Neubau in Massivbauweise ersetzt wurden. Als zusätzliche Vorsorgemaßnahmen wird in einigen überlieferten Schriften die Behandlung der Baustoffe mit Oliventrester oder -tresteröl empfohlen, da die benannten Pressrückstände und die daraus gewonnenen Öle eine antibakterielle und fungizide Wirkung aufweisen. 180 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz 3. Aufbaubeispiele römischer Getreidespeicher 3.1 Bodenaufbauten Getreidespeicher in römischen Truppenlagern Wie in Bild 15 in einer Auswahl dargestellt, sind die Getreidelager hinsichtlich ihrer Größe und ihres konstruktiven Auf baus durchaus sehr unterschiedlich gestaltet. Von einer standardisierten Bauweise im Sinne eines Einheitstyps kann keine Rede sein. Hierbei ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich die Lager teilweise bereits hinsichtlich Bauzeitpunkt, zur Verfügung stehender Baustoffe, lokalen Boden- und Witterungsverhältnissen unterscheiden. Bezüglich der Effektivität der Durchlüftung wäre z. B. eine genordete Darstellung mit zusätzlicher Kennzeichnung der Hauptwindrichtungen vorteilhaft. Zudem sind hier Getreidelager von Grenztruppen und Lager von reinen Heeresversorgungsstützpunkten gemeinsam dargestellt. Auch dürften sich die angebauten Getreidearten und -unterarten als auch Anbau- und Erntemethoden im Bereich Britannien und in Germanien im Zweifel unterscheiden. In der Spätantike wurden die Getreidelager gesondert geschützt, teilweise in eigens zu diesem Zweck angelegten Festungsbauwerken, z. B. Lager Innsbruck -Wilten (Veldidena). In den zunehmend instabilen Zeiten erfolgte die Lagerung nicht mehr nur in größeren Lagerhallen, sondern in kleineren turmartigen Festungsbauten (burgi). Diese werden teilweise rein militärisch genutzt, z. B. Burgus Neuwied-Engers, liegen teilweise aber auch im eher zivilen Umfeld in oder der Nähe von zivilen Siedlungen, vergl. z. B. <F>. Bild 15: Auswahl von Grundrissen römischen Getreidespeichers in Massivbauweise (oben) und in Holzbauweise (unten) 3.2 Getreidespeicher als Teil von Hafenanlagen Bild 16: Ruinen kaiserzeitlichen Getreidespeicher in Patara (oben) und Andriake/ Myra (unten) im Bereich von römischen Hafenanlagen in der heutigen Türkei Spuren auch zivil genutzter Getreidespeicher lassen sich in vielen Stellen des römischen Reiches finden. Äußerlich gut erhalten sind beispielsweise die Speicher in Patara und Myra in der heutigen Türkei. Der Speicherbau von Andriake ist mittlerweile äußerlich rekonstruiert worden und wird als archäologisches Museum genutzt. Beide Gebäude können aufgrund ihres guten Erhaltungszustandes hinsichtlich weiterer Erkundungen und Erforschung bezüglich der Besonderheiten der römischen Speicher und Lagerwirtschaft je nach Untersuchungsaspekt gut zum Vergleich herangezogen werden. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 181 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz 4. Vergleich der Bauweise römischer Getreidespeicher mit neuzeitlichen Getreidelagern Bild 17: Oben: Getreidespeicher Münster Coerde, erbaut in den 30erJahren des vergangenen Jahrhunderts Unten: Einheitssilo in Skelettbauweise mit vorspringenden Betonpfeilern Bild 18: Schnitt durch einen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gebauten Getreidespeichers mit kombinierter Flach- und Silolagerung Obwohl die Mitte dreißiger Jahre vom Heeresbeschaffungsamt errichteten Getreidespeicher äußerlich gewisse Ähnlichkeiten mit dem Auf bau der Römischen Lager aufweisen, z. B hinsichtlich Anlieferungsrampe, Wandverstärkung etc., vergl. Bild 17, werden im Schnitt die Unterschiede deutlich sichtbar. So beinhalten die Lager eine umfangreiche Maschinentechnik, die zum einen durch die erleichterten maschinellen Transportmöglichkeiten mehrstöckige Auf bauweisen erlauben und weiterhin bereichsweise grundsätzlich abweichende Lagerungsweisen (Silostatt Flachlagerung), siehe Bild 18. 5. Zusammenfassung Im Artikel wird zum einen aufgezeigt, dass allein durch die genaue Erkundung der Nutzung zugrundeliegenden Rahmenparameter sich einige Konstruktionsparameter des zu untersuchenden Gebäudetypes hinsichtlich ihres Auf baus gut erschließen lassen („Forms follow Funktion“). Dies wird besonders deutlich, wenn man die jeweiligen konstruktiven Lösungsmöglichkeiten und ihre Kontinuität im Laufe der Entwicklungsgeschichte verfolgt. Hierbei ist es natürlich zielführend neben der Berücksichtigung von technischen Entwicklungen auch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, sowie die sich dadurch ergebenden Nutzungsänderungen im Blick zu halten. Durch die Kenntnis der Bedarfsanforderungen wird zudem das Augenmerk für scheinbare bauliche Nebensächlichkeiten geschärft, die dann eher als wichtige nutzungsbedingte Konstruktionsdetails erkannt werden können. So zeigen beispielsweise die in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den Heeresverpflegungsämtern als Flachsilo errichteten Einheitssilos noch deutliche bauliche Gemeinsamkeiten zum Auf bau römischer Getreidelager. Gleichzeitig wird aber auch deutlich wie die neuzeitliche Maschinentechnik durch Bereitstellung maschineller Antriebsenergie, die Funktion und damit letztendlich die Anforderungen an die Lagerbedingungen und den Lagerauf bau verändern. Dies wird auch deutlich durch den zweiten Speichertyp der Heeresverpflegungsämter, dem Hochsilo, dass in der Folge die Flachlagerung als Standardsilo ablöste. Andererseits zwang die römerzeitlich nur begrenzt verfügbare maschinelle Antriebsenergie (im Wesentlichen Wasserkraft und Windkraft), die zudem praktisch nicht ortsunabhängig eingesetzt werden konnte, zu aus heutiger Sicht durchaus ressourcenschonenden Lösungen hinsichtlich - der angestrebten auf Dauer angelegten Nutzungszeiten der Lager (teilweise über mehrere Jahrhunderte), - der Variabilität der Konstruktion bezogen auf ihre Nutzungsmöglichkeiten, - des Energieeinsatzes bei Bau und Betrieb der Anlagen und - der Wiederverwertungsmöglichkeiten der Baustoffe und - ihrer Platzwahl, die nach Möglichkeit in der Nähe von Wasserwegen gewählt wurden und so einen ökonomischen Massentransport mittels Schiff erlaubte. 182 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Funktionsböden römischer Getreidelager (Horrea) unter den Gesichtspunkten Funktionalität, Ressourcenschonung und effizientem Energieeinsatz 6. Bild- und Literaturnachweise Württembergisches Landesmuseum Stuttgart (Hrsg.); Kuhnen, H.-P.; Riemer, E.: Landwirtschaft der Römerzeit; Römischer Weinkeller Oberriexingen Württembergisches Landesmuseum Stuttgart, Stuttgart, 1994 www.antike-Tischkultur.de, Stand 19.12.22 DLG.e.V.; Fachzentrum Landwirtschaft (Hrsg.): DGL-Merkblatt 425: Getreide sicher lagern; Reinigen Trocknen und Kühlen Selbstverlag, Frankfurt a. M., 2018 Rheinisches Landesmuseum (Hrsg.): Mylius, H.: Zur Rekonstruktion der römischen Horrea in Trier In: Trierer Zeitschrift f. Geschichte u. Kunst des Trierer Landes u. seiner Nachbargebiete, Heft1, 1949, S. 98---106 Junkelmann, M.: Panis Militaris: Die Ernährung der römischen Soldaten oder der Grundstoff der Macht Verlag Philipp von Zabern, Mainz, 1997 Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte in Württemberg (Hrsg.) Garbsch, J.: Der spätrömische Donau-Iller Limes A.W. Gentner Verlag, Stuttgart 1970 Das Heeresverpflegungsamt - Beschreibung (uni-muenster.de), Stand 19.12.22