Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
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2023
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Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton
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2023
Maximilian May
Sebastian May
Alexander Schumann
Für die Etablierung neuer Technologien – wie dem Verstärken mit Carbonbeton – am Markt bedarf es der breiten Anwendung. Mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung/allgemeinen Bauartgenehmigung Z-31.10-182 ist das CARBOrefit®-Verfahren für eben diese Technologie in Deutschland geregelt und anerkannt. Auf Basis der Zulassung und der Vertrautheit einzelner Planenden im Umgang mit diesem Werkstoff konnten in der Vergangenheit eine Vielzahl an Praxisprojekten realisiert und die Potentiale nachgewiesen werden. Der Erhalt von Bauwerken und deren Weiternutzung hat oft nicht nur einen historischen Mehrwert, auch ökonomische und ökologische Vorteile gehen damit einher. Im Bereich der Sanierung und Verstärkung zeigt der Werkstoff Carbonbeton folglich sein größtes Potential auf. An einer breiten Durchdringung der Baubranche scheiterte es bisher aufgrund einer fehlenden Statik-Software zur vereinfachten Bemessung. Mit Erweiterung der FRILO Software um die CARBOrefit®-Zulassung steht den Planenden nun ein anerkanntes und etabliertes Bemessungsprogramm zur Verfügung, um Bauwerke effizient und nachhaltig zu Sanieren und vor dem Abriss zu bewahren. Mit der neuen Bemessungsmöglichkeit wurde ein Meilenstein bei der Etablierung und Durchdringung der Baubranche erreicht.
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8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 309 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton Bemessung, Ausführung und Einsparungspotentiale anhand von Praxisbeispielen Dipl.-Ing. Maximilian May CARBOCON GMBH, Dresden Dipl.-Ing. Sebastian May CARBOCON GMBH, Dresden Prof. Dr.-Ing. Alexander Schumann CARBOCON GMBH, Dresden Zusammenfassung Für die Etablierung neuer Technologien - wie dem Verstärken mit Carbonbeton - am Markt bedarf es der breiten Anwendung. Mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung/ allgemeinen Bauartgenehmigung Z-31.10-182 ist das CAR- BOrefit ® -Verfahren für eben diese Technologie in Deutschland geregelt und anerkannt. Auf Basis der Zulassung und der Vertrautheit einzelner Planenden im Umgang mit diesem Werkstoff konnten in der Vergangenheit eine Vielzahl an Praxisprojekten realisiert und die Potentiale nachgewiesen werden. Der Erhalt von Bauwerken und deren Weiternutzung hat oft nicht nur einen historischen Mehrwert, auch ökonomische und ökologische Vorteile gehen damit einher. Im Bereich der Sanierung und Verstärkung zeigt der Werkstoff Carbonbeton folglich sein größtes Potential auf. An einer breiten Durchdringung der Baubranche scheiterte es bisher aufgrund einer fehlenden Statik-Software zur vereinfachten Bemessung. Mit Erweiterung der FRILO Software um die CARBOrefit ® -Zulassung steht den Planenden nun ein anerkanntes und etabliertes Bemessungsprogramm zur Verfügung, um Bauwerke effizient und nachhaltig zu Sanieren und vor dem Abriss zu bewahren. Mit der neuen Bemessungsmöglichkeit wurde ein Meilenstein bei der Etablierung und Durchdringung der Baubranche erreicht. 1. Einleitung Die globalen Ereignisse in den vergangenen Jahren und der Klimawandel haben dazu geführt, dass Themen wie Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit auf nationaler und europäischer Ebene in den Fokus der politischen Ausrichtung gerückt sind. Die geplante Klimaneutralität sowie die mit dem Green Deal der europäischen Union verankerte Reduktion jeglicher CO 2 -Emissionen auf Null bis 2050 bei gleichzeitigem Wachstum der Weltbevölkerung stellt das Bauwesen vor enorme Herausforderungen. Für die Beteiligten der Baubranche bietet dies gleichzeitig die Möglichkeit einen positiven Beitrag zu leisten, denn mit einem Anteil von ca. 40- % an den globalen CO 2 -Emissionen ist der Hebel des Bausektors sehr groß [1]. Dazu kommt, dass in Deutschland jährlich ca. 90-% der mineralischen Rohstoffe im Bausektor verwertet werden, während Bau- und Abbruchabfälle zugleich 55-% des gesamten Abfallaufkommens ausmachen. In absoluten Zahlen ausgedrückt entspricht dies ca. 75 Mio. Tonnen an Bauabfall; bezieht man dies auf den Bauabfall von 176-t, der beim Abriss einer durchschnittlichen Wohnung von 60,9-m² entsteht, werden jährlich in Deutschland ca. 423.000 Wohneinheiten abgerissen [2]. Die Bundesregierung plant in den kommenden Jahren genauso viele Wohnungen jährlich neu zu bauen, um ausreichend bezahlbare und klimagerechte Wohnungen zu schaffen. Im Zuge des klimaneutralen Umbaus der Energieversorgung wird der Anteil an grauer Energie (Energie, welche für die Errichtung eines Bauwerkes benötigt wird) sowie grauer Emission zukünftig bestimmend bei der Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit von Bauwerken werden. Der Einsatz von nachhaltigen Baustoffen sowie der Erhalt von Bauwerken müssen folglich in den Vordergrund treten, damit der Wandel im Bauwesen gelingt. In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl an innovativen Technologien entwickelt worden. Mit dem Werkstoff Carbonbeton hat sich ein effizientes und dauerhaftes Material auf dem Markt etabliert, dass insbesondere beim Bauen im Bestand zur Anwendung kommt [3], [4]. Zahlreiche Bauwerke konnten in den vergangenen Jahren vor dem Abriss bewahrt und mithilfe von Carbonbeton für die zukünftige Nutzung ertüchtigt werden. 2. Das CARBOrefit ® -Verfahren Mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung/ allgemeinen Bauartgenehmigung (abZ/ aBG) Z-31.10-182 [5] ist das CARBOrefit ® -Verfahren zur Biegeverstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton durch die oberste Bau- 310 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton behörde, das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt), regelungstechnisch beschrieben und für die Anwendung freigegeben. Verschiedenste Stahlbetonkonstruktionen, sei es im Hochbau oder Ingenieurbau, wurden bereits mit diesem Verfahren saniert und das Potential konnte nachgewiesen werden. Statische Defizite des Bestandes, beispielsweise hervorgerufen durch Korrosion der Stahlbewehrung oder mangelhafte Ausführung, oder auch verursacht durch eine Erhöhung der Lasten infolge einer Umnutzung, können mit einer millimeterdünnen Schicht aus Carbonbeton behoben werden. Die Verstärkungsschicht besteht aus einem Feinbeton und einer Bewehrung aus Carbongittern. In den lagenweise im Nassspritzverfahren aufgebrachten Feinbeton - die Stärke der einzelnen Schichten beträgt nur 3 bis 5 mm - wird die erforderliche Lagenanzahl der leistungsfähigen Carbongitter eingearbeitet und abschließend wird eine letzte Feinbetonschicht aufgetragen. Aufgrund der Korrosionsbeständigkeit der Carbongitter können im Gegensatz zur Stahlbewehrung sehr geringe Feinbetonschichtenstärken realisiert werden, hohe Betondeckungen zum Schutz der Bewehrung sind nicht notwendig. In Abbildung 1 ist der Auf bau der Verstärkung mit Carbonbeton schematisch dargestellt. Die Carbonbewehrung nimmt die Zugkräfte infolge der Bauteilbeanspruchung auf, der Feinbeton gewährleistet den Verbund zum Bestand und kann Druckkräfte aufnehmen. Infolge der feinmaschigen Gitterstruktur, der großflächigen Anordnung und des geringen Eigengewichts muss die Carbonbetonschicht nicht mit dem Bestand verdübelt werden. Mit diesen Vorteilen hebt sich das CARBOrefit ® -Verfahren von konventionellen Verf hren, wie dem Spritzbeton, ab und konnte sich, auch unter ökonomischen Gesichtspunkten sowie Anforderungen des Denkmalschutzes, bei einer Vielzahl an Praxisprojekten durchsetzen und beweisen. Abb. 1: Auf bau einer Verstärkungsschicht mit Carbonbeton (Foto: C. Gärtner, TU Dresden) Mit der Auszeichnung zum Deutschen Rohstoffeffizienz- Preis 2022 wurde das Konsortium, bestehend aus 11 Industriepartnern, für ihre Tätigkeiten und die Etablierung des CARBOrefit ® -Verfahrens geehrt. Der Preis, welcher durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz verliehen wird, belobigt den ganzheitlichen Ansatz zur materialeffizienten und ressourcensparenden Bauwerksertüchtigung mit Carbonbeton. Denn die Vermeidung des Abrisses und die Weiternutzung des Bestandes stellt die höchste Form der Nachhaltigkeit im Bauwesen dar. Abb. 2: Das CARBOrefit ® -Konsortium erhält den Deutschen Rohstoffeffizienz-Preis 2022(Foto: BGRPhotohek) Die Konsortialpartner haben sich zusammengetan, um das Verstärken mit Carbonbeton in der breiten Anwendung zu etablieren und die abZ/ aBG kontinuierlich weiterzuentwickeln. Das CARBOrefit ® -Verfahren soll sich zur Standardlösung für die Bauwerksertüchtigung entwickeln und mit den nachgewiesenen Potentialen den Wandel im Bauwesen vorantreiben. Diese Ziele können nur mit einer breiten Akzeptanz bei den Behörden, Planern und ausführenden Unternehmen erreicht werden. Mithilfe einer Informationskampagne wurden von kommunaler Ebene aufwärts die Denkmal- und Baubehörden über die Möglichkeiten in Kenntnis gesetzt und bereits erste abrissgefährdete Bauwerke mit CARBOrefit ® saniert. Im Kapitel 6 werden ausgewählte Praxisbeispiele vorgestellt und Einsparpotentiale bei der Anwendung von Carbonbeton im Bereich der Bauwerkserhaltung aufgezeigt. Für die Skalierung der Potentiale ist es unabdingbar, regionale Planer und ausführende Firmen ebenfalls mit dem Werkstoff Carbonbeton vertraut zu machen und diesen die Möglichkeiten bei der Anwendung aufzuzeigen. In den Kapiteln 3 bis 5 werden neben dem Weg zur zertifizierten Anwendung auch die Bemessungsgrundlagen der Zulassung und die neuen, planerfreundlichen Möglichkeiten der Bemessung mit FRILO vorgestellt. 3. Der Weg von der Zertifizierung zur Ausführung Für die Ausführung von Verstärkungsarbeiten muss gemäß der abZ/ aBG eine entsprechende Eignung zur Durchführung dieser Arbeiten vorgewiesen werden. Das DIBt hat hierfür ergänzend zur abZ/ aBG die Voraussetzungen für ausführende Unternehmen durch die „Grundsätze für den Eignungsnachweis zur Ausführung von Arbeiten zur Verstärkung mit Carbonbeton mit Bausätzen nach den gültigen allgemeinen Bauartgenehmigungen“ [6] veröffentlicht. Die unternehmensgebundene Bescheinigung der Eignung wird durch die für die abZ/ aBG anerkannte Überwachungsstelle GÜB (Gemeinschaft für Überwachung im Bauwesen e.V.) [7] erteilt und führt die zertifizierten Mitarbeiter auf. Folgende Voraussetzungen gelten für die Erlangung der Eignungsbescheinigung: 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 311 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton • das Baustellenpersonal verfügt gemäß der DAfStb- Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“, Teil 3 [8] über spezielle Kenntnisse im Bereich der Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbetonbauteilen • das Baustellenpersonal muss einen SIVV-Schein vorweisen können. Die Zertifizierung für den Eignungsnachweis umfasst nach [6] eine obligatorische Theorieschulung mit anschließender Prüfung sowie eine Demonstrationsprüfung. In Vorbereitung auf die Demonstrationsprüfung kann an einer fakultativen Praxisschulung teilgenommen werden. Der Ablauf der Zertifizierung ist wie folgt strukturiert: 1. Obligatorische Theorieschulung und -prüfung 2. Fakultative Praxisschulung 3. Obligatorische Demonstrationsprüfung Der Antragsteller der CARBOrefit ® -Zulassung steht in der Verantwortung die Theorieschulung und -prüfung durchzuführen. Stellvertretend für das Konsortium übernimmt dies die CARBOCON GMBH. In einem Tageskurs mit einer abschließenden Multiple-Choice-Prüfung werden die Grundlagen zum Werkstoff Carbonbeton, das Verstärken mit Carbonbeton sowie die Inhalte und der Regelungsgegenstand der abZ/ aBG vorgestellt. Die fakultative Praxisschulung wird ebenfalls von der CARBOCON GMBH gemeinsam mit den Konsortialpartnern angeboten und dient der Vorbereitung auf die zertifizierende Demonstrationsprüfung. Neben der praktischen Anwendung des Verstärkungsverfahrens werden materialspezifische Kenntnisse und die bauausführungsbegleitenden Überwachungstätigkeiten im Rahmen eines Tageskurses vermittelt. Nach erfolgreicher Teilnahme an der Theorieschulung zertifiziert die GÜB als anerkannte Prüfstelle die ausführenden Unternehmen anhand einer obligatorischen Demonstrationsprüfung. Neben der Beurteilung der praktischen Ausführung der Verstärkungsarbeiten und der erforderlichen Vorrichtungen erfolgt eine qualitative Beurteilung der Ausführung anhand mechanischer Prüfungen am Demonstrationsbauteil und bauteilbegleitender Probekörper. Dabei handelt es sich u. a. um die Ermittlung der Verbundeigenschaften begleitender Probekörper aus Carbonbeton, der Biegezug- und der Druckfestigkeitsprüfung von Feinbetonprismen, des Ausbreitmaßes und der Rohdichte des Feinbetons sowie der Haftzugfestigkeit. Diese Kennwerte sind bei der späteren Baustellentätigkeit ebenfalls zu ermitteln und dienen der Eigenüberwachung. Im Folgenden sind die Inhalte der obligatorischen Demonstrationsprüfung zusammengefasst: • Vorführung der erforderlichen Vorrichtungen zum Ausführen der Verstärkungsmaßnamen und Abnahme durch die GÜB • Vorbereitung der Verstärkungsmaßnahme nach abZ/ aBG [5] • Verstärkung der Demonstrationsplatten mittels MA- WO-Düse im Dichtstromverfahren • Herstellung kleinteiliger Prüfkörper zur Überprüfung der Ausführungsqualität • Ermittlung der mechanischen Kennwerte im Rahmen der Eigenüberwachung der Verstärkungsmaßnahme • Überprüfung der Lagengenauigkeit der Carbongitter durch nachträgliches kreuzweises Schlitzen der Verstärkungsschicht • Dokumentation der Verstärkungsarbeiten Die über diesen Zertifizierungsprozess erlangte Bescheinigung der Eignung gilt drei Jahre. Durch eine Nachschulung wird der theoretische Teil aufgefrischt. Der Praxisteil wird mit Vorlage sachgemäß durchgeführter Verstärkungsprojekte und der zugehörigen Baustellendokumentation nachgewiesen und durch die GÜB verlängert. Der Antrag auf Erteilung des Eignungsnachweises muss durch die ausführenden Firmen eigenständig bei der GÜB gestellt werden. Neben der organisatorischen Unterstützung der Zertifizierung durch die CARBOCON GMBH kann die praktische Vorführung in Eigenleistung organisiert werden oder findet nach Absprache mit der GÜB im Rahmen einer Baumaßnahme statt, bei welcher nach abZ/ aBG [5] mit Carbonbeton verstärkt wird. 4. Bemessungsgrundlagen der Zulassung Für die Berechnung und Bemessung von Stahlbetonbauteilen mit Carbonbetonverstärkungsschichten müssen, in Anlehnung an die Nachweisführung von Spritzbetonverstärkungen, unter anderem folgende Nachweise geführt werden: • Biegung, • Querkraft, • Schubfuge, • Versatzbruch, • Endverankerung, • Brand, • Nachweise im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit. Für die Ermittlung der Gesamtverstärkungsdicke und der erforderlichen Lagenzahl der Carbonbetonverstärkung stellt der Biegenachweis i. d. R. den maßgebenden Nachweis dar. Hierbei beruht das Ingenieurmodell und die Nachweisführung bei Biegung auf den bekannten und etablierten Verfahren aus dem Stahlbetonbau. Die Bemessung erfolgt analog zum Stahlbeton unter folgenden Annahmen: • Der Querschnitt bleibt eben bzw. besitzt eine lineare Dehnungsverteilung (Hypothese von Bernoulli). • Vollständiger Verbund zwischen den Materialien; die jeweiligen Bewehrungsdehnungen folgen der BER- NOULLI-Hypothese. • Die Betonzugfestigkeit wird nicht berücksichtigt, sodass nur die Bewehrungskomponenten Zugkräfte aufnehmen. 312 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton • Die normativ festgelegten Spannungs-Dehnungs-Linien (Beton und Stahl) und die Spannungs-Dehnungs- Linie für die Carbongitter nach abZ/ aBG [5], siehe Abbildung 4 sind anzuwenden. Abb. 3: Idealisierte Spannungs-Dehnungs-Linie für die Bemessung mit Carbonbeton (Quelle: CARBOrefit ® -Zulassung, CARBOCON GMBH) Der Bauteilwiderstand für biegebeanspruchte Stahlbetonquerschnitte mit einer Carbonbetonverstärkung wird analog zum Stahlbeton mittels des iterativen Berechnungsverfahrens zur Findung eines Gleichgewichts zwischen inneren und äußeren Schnittgrößen bestimmt. Im Modell wird dabei eine zusätzliche Zugkomponente für die Carbonbewehrung in den Gleichgewichtsbedingungen berücksichtigt. Abb. 4: Querschnitt mit Dehnungs- und Spannungsverhältnissen sowie inneren und äußeren Kräften eines verstärkten Biegebalkens mit Carbonbeton nach [4] (Quelle: [3]) Die Spannungs- und Dehnungsverteilung über den Bauteilquerschnitt sowie die Ersatzkräfte, die für das Kräfte- und Momentengleichgewicht berücksichtigt werden, können entsprechend Abbildung 3 bestimmt werden. Im Gebrauchszustand der Tragfähigkeit (GZT) entsprechen die äußeren Schnittgrößen den inneren Kräften (Widerständen). Im Allgemeinen wird hierbei die Schwerachse der Carbonbetonverstärkung als Wirklinie verwendet, um das Momentengleichgewicht aufzustellen. Im Anschluss wird die iterative Berechnung durchgeführt, indem die Betonstauchung, die Betonstahldehnung und die Dehnung der Carbonbewehrung festgelegt werden. Hierbei muss mindestens eine der Komponenten im GZT die Grenzdehnung erreichen. Aus Wirtschaftlichkeitsgründen wird hierbei angestrebt, dass die Carbonbewehrung maximal ausgelastet ist. Im Anschluss daran können mit den aus dem Stahlbeton etablierten Gleichungen u. a. die Druckzonenhöhe, die Betondruckkraft, die Resultierende der Druckkraft und die Hebelarme der Stahl- und Carbonbewehrungskraft bestimmt werden. Abschließend erfolgt dann die Berechnung der resultierenden Kräfte der Stahl- und Carbonbewehrung mit den definierten Materialgesetzen. Stellt sich ein Kräftegleichgewicht ein, so kann die Nachweisführung erfolgen. Sofern kein Kräftegleichgewicht mit den gewählten Dehnungsebenen vorliegt, muss der Vorgang mit variierenden Dehnungen wiederholt werden. In [3] und [4] ist das iterative Vorgehen zur Ermittlung der Biegetragfähigkeit von carbonbetonverstärkten Stahlbetonquerschnitten ausführlich beschrieben. Zusätzlich muss bei Verstärkungen mit Carbonbeton die Vordehnung der Carbonbewehrung bzw. die vorherige Belastungssituation bei der nachträglichen Verstärkung mit Carbonbeton berücksichtigt werden. Mit Hilfe des Vordehnungszustandes wird der Ausnutzungszustand des Altquerschnittes bzw. die reale Belastungshistorie mit abgebildet. Der Grad der Vordehnung wirkt sich auf die Versagensart, die Dehnungsverteilung innerhalb des Querschnitts und die benötigte Carbonbewehrungsfläche aus. In [3] und [4] sind weiterführende Informationen zum Einfluss der Vordehnung auf die Bemessung gegeben. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 313 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton 5. Einfache Bemessung mit FRILO In der jüngeren Vergangenheit konnte die Bemessung, insbesondere die Bestimmung der Biegetragfähigkeit, bedingt durch die iterative Nachweisführung lediglich men erfolgen. Dieses Vorgehen ist für eine praxistaugliche Anwendung nicht zielführend. Aus diesem Grund wurde in Kooperation mit der FRI- LO Software GmbH die Erweiterung des Bemessungsprogramms vorangetrieben und Verstärkungen mit Carbonbeton auf bauend auf der CARBOrefit ® -Zulassung Nr. Z-31.10-182 hinzugefügt. In Q4/ 2022 wurde das neue Release veröffentlicht und den Planern/ innen steht ein praxistaugliches Programm für die Querschnittsbemessung zur Verfügung. Infolgedessen können Verstärkungen schnell und effizient geplant und später umgesetzt werden. Abb. 5: Auszug aus der FRILO Bemessungssoftware mit der Erweiterung um CARBOrefit ® (Foto: FRILO/ CARBOCON GMBH) Die CARBOrefit ® -Erweiterung für FRILO ist ein entscheidender Schritt zur Etablierung der Carbonbeton-Verstärkung in der Baubranche. Durch die Bemessungssoftware steht Planern/ innen ein effizientes und wirtschaftliches Tool zur Verfügung. 6. Aktuelle Praxisprojekte Im Bereich der Verstärkung und Instandsetzung von bestehenden Stahlbetonbauteilen mit Carbonbeton konnten in den letzten Jahren zahlreiche Praxisprojekte ausgeführt werden. Aktuell befinden sich viele weitere Projekte auf Grundlage der Zulassung Z-31.10-182 in Planung. Neben Unikaten der deutschen Baugeschichte, wie der Hyparschale in Magdeburg, welche mit Hilfe von 10-mm Carbonbeton auf der Ober- und Unterseite vor dem Abriss gerettet werden konnte [9], wurden auch viele weitere Projekte bereits ausgeführt. So stellt der Bereich der Brückensanierung ein großes Anwendungsfeld für den Carbonbeton dar. Neben Fußgängerbrücken, wie der Brücke über den Stadtgraben zur Thainburg in Naumburg (Saale) [10], konnten auch Straßen- und Autobahnbrücken mit Carbonbeton bereits mit für den Brückenbau minimalen Schichtdicken von 20- 35-mm verstärkt und somit die Restnutzungsdauer verlängert werden, siehe z.-B. [11]-[14]. Abb. 6: Hyparschale Magdeburg (Foto: Marcus Bredt) Abb. 7: historsche Fußgängerbrücke zur Thainburg in Naumburg, Saale (Foto: CARBOCON GMBH) Abb. 8: Autobahnbrücke über die Nidda bei Frankfurt/ Main (Foto: Oliver Steinbock) Auch im Bereich des Hochbaus zeigen die bereits ausgeführten und in Planung befindlichen Projekte das Poten- 314 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton tial auf. So können bestehende Hochbaukonstruktionen i. d. R. mit Schichtdicken von 10-15 mm verstärkt werden - dies sogar bei schlechten Altbetonuntergründen, die im Normalfall einfach abgerissen werden würden. Als anschauliches Beispiel kann hier der Beyer-Bau in Dresden dienen [3]. Abb. 9: Beyer-Bau der TU Dresden (Foto: CARBOCON GMBH) Abb. 10: Ressourcen- und CO 2 -Einsparungspotentiale von Carbonbetonverstärkungen (Fotos: CARBOCON GMBH, TU Dresden, Berliner Zeitung) Aber auch gewöhnliche Umbaumaßnahmen an Bestands- und Wohngebäuden bedürfen oftmals aufgrund höherer Nutzungsanforderungen einer statischen Ertüchtigung. Aktuell wird z. B. in Dresden ein solches Vorhaben umgesetzt, bei dem sich Carbonbeton im Vergleich zum konventionellen Spritzbeton einzig aufgrund der Wirtschaftlichkeit durchgesetzt hat. Dies zeigt, dass das innovative Verfahren neben den vielen Vorteilen hinsichtlich der Filigranität und der Ressourceneinsparung auch wirtschaftlich mehr als konkurrenzfähig ist. Das Thema der Ressourcenverfügbarkeit und des -verbrauchs spielt in der Baubranche eine immer größere Rolle. Auch hier kann Carbonbeton im Bereich der Verstärkung aufgrund der geringen Betonüberdeckung und der damit einhergehenden geringen Verstärkungsdicke punkten. Anhand der Hyparschale in Magdeburg konnten zusätzlich mit Hilfe von Vergleichsberechnungen verschiedene Ressourcen- und CO 2 -Vergleiche zwischen einer Carbonbetonverstärkung und einer konventionellen Spritzbetonverstärkung durchgeführt werden. Hierbei wurde z. B. gezeigt, dass 85 % an Ressourcen sowie 52 % an CO 2 - Emissionen eingespart werden konnte [15]. Des Weiteren wurde untersucht, wie der Vergleich zwischen dem Abriss der Hyparschale in Magdeburg (dies Stand lange zur Diskussion aufgrund fehlender geeigneter Instandsetzungsmaßnahmen - die konventionelle Verstärkung mit Spritzbeton hätte aufgrund des hohen 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 315 Wirtschaftliches und effizientes Sanieren mit Carbonbeton Zusatzgewichtes nicht funktioniert) und dem Erhalt des Bauwerks mit Carbonbeton aussieht. Im Vergleich mit dem Abriss und dem Ersatzneubau des Bauwerks konnten bei der Verstärkung mit Carbonbeton sogar 93 % an Ressourcen und 62 % an CO 2 -Emissionen eingespart werden. Für ausführlichere Informationen zu bereits ausgeführten Praxisprojekten wird auf www.carborefit.de verwiesen. 7. Fazit Mit dem CARBOrefit ® -Verfahren zum Verstärken mit Carbonbeton hat sich in der konservativen Baubranche eine innovative Technologie etabliert. Die Potentiale konnten bei einer Vielzahl an Praxisprojekten erfolgreich unter Beweis gestellt werden. Mit den neuen Möglichkeiten der softwaregestützten Bemessung erhalten nun noch mehr Planende Zugang zu diesem Verfahren und können Bauwerke effizient, wirtschaftlich und nachhaltig sanieren und vor dem Abriss bewahren. Ausführende Unternehmen bekommen über die Schulung und Zertifizierung ebenfalls die Möglichkeit Projekte mit Carbonbeton umzusetzen und dabei die baubehördlichen Vorgaben zur Eignung nachzuweisen. Mit dieser breiten Basis an Anwendern kann der Wandel im Bauwesen vorangetrieben und ein Beitrag zur Klimaneutralität geleistet werden. Das Konsortium treibt aktuell eine Vielzahl an Entwicklungen voran, um das Regelwerk der Zulassung stetig zu erweitern. So z. B. sollen in einem der nächsten Schritte der Umgang unter Chlorid- und Meersalzeinwirkung geregelt und entsprechende Expositionsklassen in die Zulassung mit aufgenommen werden. Literatur [1] Vereinte Nationen: 2022 Global Status Report for Buildings and Construction. [2] Bundesstiftung Baukultur: Baukultur Bericht „Neue Umbaukultur“ 2022/ 23. [3] Curbach, M.; Müller, E.; Schumann, A.; May, S.; Wagner, J.; Schütze, E.: Verstärken mit Carbonbeton. In: Bergmeister, K.; Fingerloss, F.; Wörner, J.- D. (Hrsg.): Beton-Kalender 2022 - Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Instandhaltung. Berlin: Ernst und Sohn, Veröffentlichung: Dezember 2021. [4] Curbach, M., Schladitz, F., Weselek, J., Zobel, R.: Eine Vision wird Realität: Der Betonbau der Zukunft ist nachhaltig, leicht, flexibel und formbar dank Carbon. In: Prüfingenieur 51, 2017, S. 20-35. [5] Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung/ Allgemeine Bauartgenehmigung Z-31.10-182 CARBOrefit - Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton, Stand: 27.05.2021. [6] Grundsätze für den Eignungsnachweis zur Ausführung von Arbeiten zur Verstärkung von Betonbauteilen mit Carbonbeton mit Bausätzen nach den gültigen allgemeinen Bauartgenehmigungen. Deutsches Institut für Bautechnik. Mai2022. https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ I4/ Grundsaetze_Eignungsnachweis_Car bonbeton.pdf [7] Verzeichnis der Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen nach den Landesbauordnungen (PÜZ-Verzeichnis) (Fassung März 2022). 2022. Deutsches Institut für Bautechnik. [8] DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie), Teil 3. Berlin: Beuth Verlag, 2001. [9] Hentschel, M.; Schumann, A.; Ulrich, H.; Jentzsch, S.: Sanierung der Hyparschale Magdeburg. In: Bautechnik 96 (2019), Heft 1, S. 25-30. DOI: 10.1002/ bate.201800087 [10] Schumann, A.; May, S.; Geißler, J.; Thorwarth, F.: Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! 5. 5. Brückenkolloquium, Technische Akademie Esslingen, 2022. [11] Steinbock, O., Pelke, E., Ost, O.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungsmethode für Massivbrücken - Teil 1: Grundlagen und Hintergründe zum Pilotprojekt „Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648“. In: Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft 2, S. 101-108. DOI: 10.1002/ best.202000094. [12] Steinbock, O.; Bösche, T.; Schumann, A.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungsmethode für Massivbrücken - Teil 2: Carbonbeton im Brückenbau und Informationen zur Zustimmung im Einzelfall für das Pilotprojekt Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648. Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft- 2, S.- 109-117. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.202000106 [13] Steinbock, O., Teworte, F., Neis, B.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungsmethode für Massivbrücken - Teil 3: Planung und Umsetzung der Verstärkungsmaßnahme mit Carbonbeton am Pilotprojekt „Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648“. In: Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft 2, S. 118-126. DOI: 10.1002/ best.202000107. [14] Riegelmann, P.; May, S.; Schumann, A.: Das Potential von Carbonbeton für den Brückenbestand - das ist heute schon möglich. In: Curbach, M. (Hrsg.): Tagungsband zum 30. Dresdner Brückenbausymposium am 8. und 9.3.2021 in Dresden. Institut für Massivbau der TU Dresden, 2017, S. 79-90. [15] Schumann, A.; Schöffel, J.; May, S.; Schladitz, F.: Ressourceneinsparung mit Carbonbeton am Beispiel der Verstärkung der Hyparschale in Magdeburg In: Hauke, B. (Hrsg.): Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Klimaschutz. Konstruktive Lösungen für das Planen und Bauen - Aktueller Stand der Technik. Institut Bauen und Umwelt e.V./ DGNB e.V., 2021, S. 282-286
