eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 8/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
21
2023
81

Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln

21
2023
Robert Schulte Holthausen
Patrick Pues
Jörg Sieksmeier
Hubert Motzet
Der Nachhaltigkeit von Bauprodukten kommt in den vergangenen Jahren steigende Bedeutung zu. Hierbei nimmt der Druck auf Bauherren, Planer, Ausführende und infolge auch die Hersteller von Bauprodukten zu, nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Die Instandsetzung von Bauwerken erscheint dabei zunächst einmal per se als eine besonders nachhaltige Alternative zum Neubau. Dennoch tragen die dabei eingesetzten Bauprodukte auch zur Umweltbelastung bei. Im Rahmen dieses Beitrags wird auf einige aktuelle Entwicklungen zur Messung und Verbesserung der Nachhaltigkeit von Trockenmörteln eingegangen. Es werden Grundlagen der Nachhaltigkeitsbemessung sowie regulatorische Rahmenbedingungen erläutert hin zur individuellen Umweltproduktdeklaration. Anhand der Zusammensetzung eines typischen Instandsetzungsmörtels werden Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit und auch aktuelle Grenzen diskutiert.
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8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 383 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Dr. Robert Schulte Holthausen ARDEX GmbH, Witten Dr. Patrick Pues ARDEX GmbH, Witten Dr. Jörg Sieksmeier ARDEX GmbH, Witten Dr. Hubert Motzet ARDEX GmbH, Witten Zusammenfassung Der Nachhaltigkeit von Bauprodukten kommt in den vergangenen Jahren steigende Bedeutung zu. Hierbei nimmt der Druck auf Bauherren, Planer, Ausführende und infolge auch die Hersteller von Bauprodukten zu, nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Die Instandsetzung von Bauwerken erscheint dabei zunächst einmal per se als eine besonders nachhaltige Alternative zum Neubau. Dennoch tragen die dabei eingesetzten Bauprodukte auch zur Umweltbelastung bei. Im Rahmen dieses Beitrags wird auf einige aktuelle Entwicklungen zur Messung und Verbesserung der Nachhaltigkeit von Trockenmörteln eingegangen. Es werden Grundlagen der Nachhaltigkeitsbemessung sowie regulatorische Rahmenbedingungen erläutert hin zur individuellen Umweltproduktdeklaration. Anhand der Zusammensetzung eines typischen Instandsetzungsmörtels werden Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit und auch aktuelle Grenzen diskutiert. 1. Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln „Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden.“ Dieser bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts formulierte Grundgedanke der Nachhaltigkeit nimmt in den vergangenen Jahren verstärkt Einzug in die Bauindustrie und beeinflusst zunehmend die Entwicklung von Bauprodukten und -prozessen. Dabei ist unter dem Begriff Nachhaltigkeit mehr als einfach eine umweltfreundliche Verwendung von Ressourcen zu verstehen. Der „Drei-Säulen-Ansatzes“ (engl. „Triple-bottom-line“) berücksichtigt explizit ökologische, ökonomische und soziale Einflüsse gleichermaßen. Hier stehen die Bedürfnisse des Menschen wie auch der (kommerzielle) Erfolg von Produkten und Unternehmen gleichberechtigt neben der Umwelt. / Roh21/ Das noch junge Jahrzehnt begann mit einer weltweiten Pandemie, gestörten Lieferketten und Krieg. Mit dem strukturellen Wandel hin zu einer nachhaltigen Industrie steht jedoch die vermutlich größte Herausforderung noch bevor. Ein Veränderungsprozess, der an Geschwindigkeit zunimmt. Mit dem Europäischen Green Deal hat sich die Europäische Kommission im Jahr 2019 das Ziel gesetzt bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen der Europäischen Union auf null zu senken. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, sind weitreichenden Veränderungen, sowohl in unserem technologischen als auch dem regulatorischen Umfeld erforderlich. Bereits jetzt erfolgen umfassende Anpassungen und Überarbeitungen der bisherigen europäischen Klima- und Energiepolitik. Unter dem Programmnamen „Fit for 55“ werden diverse Richtlinien und Verordnungen überarbeitet sowie neue verabschiedet, um bis 2030 das Zwischenziel einer Absenkung der Treibhausgasemissionen um 55 % gegenüber den Werten von 1990 zu erreichen. Eine Übersicht von Gesetzen, Strategien und Leitfäden, welche im Rahmen dieser Transformation erarbeitet werden, ist in Abbildung 1gezeigt. 384 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln 2. Messung und Kommunikation der Nachhaltigkeit von Bauprodukten Für die transparente Kommunikation und Darstellung der Umweltauswirkungen eines Bauproduktes ist die Umweltproduktdeklaration, kurz EPD (Environmental Product Declaration) das maßgebliche Werkzeug. Eine EPD basiert auf der EN 15804+A2 und liefert einheitliche Informationen zur Ökobilanz eines Bauproduktes in einem standardisierten Format. Kernelement einer EPD ist die vierstufige Lebenszyklusanalyse (LCA) gemäß ISO 14040 und ISO 14044 / Rot21/ : • In Schritt 1 werden zunächst das Ziel der Analyse, die Systemgrenzen, die zu betrachtenden Lebenszyklusabschnitte, die funktionale Einheit und weitere wichtige Kenngrößen definiert. Mögliche Lebenszyklusabschnitte umfassen heute häufig zunächst nur die Herstellungsphase (A), auch als Wiege-zu-Werkstor bezeichnet (Cradle-to-gate). Diese Einschränkung ergibt sich häufig allein daraus, dass nicht bekannt ist, wie und wo das Bauprodukt eingesetzt wird. Werden bei der Betrachtung die Verwendungsphase (B) sowie Lebensendphase (C) berücksichtigt, spricht man von einem Wiege-zum-Grab-Ansatz (Gradle-to-grave). Erst bei Mitberücksichtigung einer Wiederverwendung/ Recycling (D) wird von einem Wiege-zu-Wiege-Ansatz gesprochen und damit einer Schließung des Stoffkreislaufes, wie dargestellt in Abbildung 2. Die funktionale oder in der EPD deklarierte Einheit ist typischerweise eine Gewichtseinheit (z.-B. ein Kilogramm) des Produktes, auf die sich alle folgenden Kennwerte beziehen. Abbildung 2: Darstellung der in einer Lebenszyklusanalyse betrachteten Abschnitte • In Schritt 2 werden alle in das Produkt ein- und abgehenden Stoffströme (Ein: Rohstoffe, Energie, Wasser, etc.; Ab: Produkt, Nebenprodukte, Abfall, Emission etc.), gemäß der definierten Systemgrenzen bilanziert. • In Schritt 3 wird die Wirkung auf die wesentlichen Umweltgrößen abgeschätzt. Heute und voraussichtlich auch in den kommenden Jahren stellt hierbei das Treibhausgaspotenzial, ausgedrückt als 100-jähriges CO 2 -Equivalent, die bestimmende Größe dar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass mit sinkenden CO 2 - Abbildung 1: Veränderungen in der europäischen Gesetzgebung, Verordnungen etc. im Kontext der Nachhaltigkeit / BPI22/ 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 385 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Emissionen andere Parameter wie der Abbau der Ozonschicht oder die Versäuerung von Böden im Verhältnis weiter an Bedeutung gewinnen. • In Schritt 4 erfolgt die Interpretation und Bewertung der Ergebnisse mit besonderem Fokus auf die Validität der Daten und Ergebnisse. Die EPD selbst wird von einer unabhängigen Stelle, dem EPD-Programmhalter, nach Verifizierung und Prüfung der durch den Hersteller eingereichten Daten erstellt und vergeben. Aktuell liegt die größte Herausforderung in der fehlenden Harmonisierung bei der Anwendung des Standards EN15804 sowie den vielen Annahmen und Näherungen, welche im Rahmend er LCA erfolgen: • Viele Hersteller lassen die komplexen Lebenszyklusanalysen und Berechnungen durch unterschiedliche Dienstleister durchführen. • Es existieren unterschiedliche LCA-Datenbanken und Primärdaten, was zu Diskrepanzen in der Bilanzierung führen kann. • Für die Bilanzierung müssen sinnvolle Systemgrenzen definiert werden und, besonders im Rahmen der Bilanzierung paralleler Prozesse, stringent eingehalten werden, um Emissionen oder auch Einsparpotenziale nicht mehrfach einzurechnen. • Für die Betrachtung der Emission von Treibhausgasen wurde ein Zeitraum von 100 Jahren definiert. Die erwartete Lebensdauer mancher Infrastrukturbauwerke übersteigt diesen Zeitraum. Auch werden für das Recycling von Baustoffen noch in Jahrzehnten Material betrachtet werden, deren ursprüngliche Emission bei Herstellung nie bzgl. Ihrer Emissionen betrachtet worden sind. • Die Allokation von Umweltauswirkungen wie CO 2 - Emissionen erfolgt typischerweise nur auf das aus dem Prozess gewonnene Produkt, nicht auf Nebenprodukte. Unter Betrachtung der Nachhaltigkeit stellen diese „emissionsfreien“ Nebenprodukte jedoch interessante Rohstoffe dar, deren Nutzung jedoch eine veränderte Zuordnung von Emissionen notwendig machen würde. An dieser Stelle ist es dringend erforderlich, dass man sich auf der europäischen Ebene auf konkrete Orientierungshilfen und Leitlinien einigt, um der unterschiedlichen Interpretation des Standards EN 15804 entgegenzuwirken. Nur so werden die Ergebnisse, welche in einer EPD dargestellt werden, langfristig wirklich vergleichbar. Aktuell nutzen viele Hersteller von Bauprodukten sogenannte Modell-EPDs, welche für Produktgruppen gelten und einen „Worst-Case“-Ansatz verfolgen. Hierbei werden alle Produkte z.-B. mittels eines vereinfachten Single-Scoring-Wertes einer Produktgruppe zugeordnet für die eine Modell-EPD mit den gleichen Werten im Hinblick auf deren Umweltauswirkung gilt. Modell EPDs geben somit lediglich eine sehr grobe Orientierung. Neben der Modell-EPD sind weitere Formen von EPDs wie Produkt-, Hersteller- oder Standortspezifische EPDs möglich (Abbildung 3). Langfristig wird jedoch, insbesondere im Europäischen Raum, die produktspezifische EPD an Relevanz gewinnen und maßgeblich werden. Insbesondere die Aspekte der Kreislaufwirtschaft (Reparatur, Rückbau und Recycling) erfordern umfangreiche und genaue Informationen der verwendete Bauprodukte. Abbildung 3: Übersicht über Arten von Umweltproduktdeklarationen (EPDs) von Baustoffen Die Erstellung von belastbaren Nachhaltigkeitskenndaten, wie sie für Produkt-EPDs benötigt werden, ist zeit- und kostenaufwendig. Der Wunsch von Bauherren und Verbrauchern, mehr über die Umweltauswirkung der eingesetzten Produkte zu erfahren, ist hierbei häufig der Startpunkt eines längerfristigen Datenerhebungsprozesses. Bauprodukte-Hersteller müssen bei ihren Rohstofflieferanten belastbare Daten für die in ihren Prozessen eingesetzten Stoffe einholen, Rohstoffhersteller nach Daten für die bei sich eingesetzten Vorprodukte. Diese Kaskade vollzieht sich schrittweise, wie dargestellt in Abbildung 4. Vorprodukthersteller, die nicht ausschließlich im Bereich der Baustoffe tätig sind, müssen sich dabei auf die Vielzahl verschiedener Industriezweige (Energie, Automotive etc.) und die darin geforderten Nachhaltigkeitskenndaten und -formate einstellen. In vielen Unternehmen sind gesonderte Abteilungen, die sich mit der komplexen Modellierung von Lebenszyklen auseinandersetzen, heute häufig noch im Aufbau, belastbare Daten nur auf Nachfrage verfügbar und deren Belastbarkeit teils noch kritisch zu hinterfragen. Abbildung 4: Schrittweise Abfrage von Nachhaltigkeitskenndaten vom Verbraucher/ Bauherr über den Hersteller von Bauprodukten hin zum Vorproduktehersteller 386 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln 3. Wege zu Verbesserung der Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Die Instandsetzung von Bauwerken aus Beton gilt zunächst einmal als deutlich nachhaltigere Alternative zum Neubau. Dennoch tragen die dabei eingesetzten Bauprodukte, insbesondere durch die darin eingesetzten Rohstoffe, einen relevanten CO 2 -Fußabdruck und sollten im Kontext einer Verbesserung der Nachhaltigkeit betrachtet werden. Im Folgenden wird ein stark vereinfachter Instandsetzungsmörtel angenommen, um einige Aspekte der Produktformulierung zur Verbesserung der Nachhaltigkeit zu diskutieren. Die Zusammensetzung dieses Trockenmörtels ist in Tabelle 1 gezeigt. Der Mörtel basiert zunächst auf einem hochfesten Portlandzement und getrocknetem feinen Sand. Geringe Mengen eines Kunststoffdispersionspulver erzeugen eine gewisse Flexibilität und verbessern insbesondere die Haftung am Untergrund. Rheologische Additive wie Zelluloseether erhöhen Standfestigkeit und Wasserrückhaltevermögen und erzeugen eine applikationsangepasste Konsistenz. Der hier angenommene Instandsetzungsmörtel würde bei einem Anmachwassergehalt von rund 17-% erwartungsgemäß eine für die statische Ertüchtigung von Bauwerken notwendige Festigkeit (R4) sowie aufgrund seiner hohen Alkalität korrosionsschützende und unter bestimmten Rahmenbedingungen realkalisierende Eigenschaften aufweisen. Die gewichtete Auflistung des CO 2 -Fußabdrucks der einzelnen Rohstoffe zeigt deutlich, dass der größte Anteil am CO 2 -Fußabdruck mit rund 300 kgCO 2 / tPulver durch die Herstellung des Bindemittels Portlandzement entsteht. Bei der Herstellung von Portlandzement werden durch Entsäuerung des Kalksteins wie auch für die Hochtemperatur-Brennprozesse große Mengen CO 2 freigesetzt. Gleichzeitig benötigt ein zementgebundener Instandsetzungsmörtel größere Mengen des Bindemittels, um die benötigte Festigkeit zu entwickeln. Tabelle 1: Zusammensetzung eines stark vereinfachten Instandsetzungsmörtels und CO 2 -Fußabdruck gemäß Rohstoff bzw. Produkt EPDs. Rohstoff Menge in M.-% CO 2 -Fußabdruck in kg CO 2 / t Pulver Transportentfernung in km CO 2 -Emission durch Transport 1 -in kg CO 2 / t Pulver - - Abs. Gew. - Abs. Gew. CEM I 52,5 R 35 789 2 276 100 11 3,9 Sand 0,1 - 4 mm, getrocknet 50 43 2 21,5 50 5,5 2,8 1 110 kg CO 2 / t/ km : https: / / www.umweltbundesamt.de 2 https: / / www.bafa.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Energie/ eew_infoblatt_co2_faktoren_2021.pdf 3 Angenommener Wert 4 Baumineral GmbH - Umwelt-Produktdeklaration Microsit®10 Füller <-0,1 mm 14 63 2 8,8 100 11 1,5 Kunststoffdispersionspulver 0,9 1800 3 16,2 2000 220 2,0 Rheologische Additive 0,1 2000 3 2 2000 220 0,2 Summe 100 - 325 - - 10,3 Ein naheliegender erster Schritt zur Verbesserung der Nachhaltigkeit wäre die Beimischung eines latent-hydraulisch oder puzzolanisch-reagierenden Zementersatzstoffes, wie Hüttensand (~0,1 kg CO 2 / kg Pulver ) 2 oder Flugasche (~0,1 kg CO 2 / kg Pulver ) 4 . Im Bereich der Trockenmörtel könnten diese direkt dem Mischprozess unter Verringerung der Menge Portlandzement zugegeben werden oder durch Verwendung von Hochofen- oder Portlandkompositzementen anstelle eines Portlandzementes. Durch Ersatz des Portlandzementes (CEM-I) von z.B. 50 % durch Hüttensand (vergleichbar zu eine CEM III/ A oder 25 % einer Flugasche (vergleichbar zu einem CEM II/ B-V) könnte der CO 2 -Fußabdruck rechnerisch um 140 bzw. 70 kg CO 2 / t Pulver gesengt werden. Unter technischen Gesichtspunkten wäre eine verringerte Frühfestigkeit des Mörtels zu erwarten. Darüber hinaus basiert die primäre Wirkungsweise derartiger Zementersatzstoffe auf der besseren Umsetzung von Calciumoxid zu festigkeitsbildenden Zementphasen wie Calcium-Silikat-Hydraten anstelle leicht löslichen Calciums im Portlandit. Letzteres stellt jedoch eine wesentliche Einflussgröße für die korrosionsschützende Wirkung von Zement dar. Folge der Reduktion können ein verringertes Realkalisierungsvermögen / Mer19/ wie teils auch ein verringerter Karbonatisierungswiderstand / Kra22/ sein. Eine weitere Reduktion des CO 2 -Fußabdrucks des Bindemittels kann durch Einsatz neuartiger Zementersatzstoffe wie calcinierte Tone erreicht werden / Daw22/ , wobei auch hier grundsätzlich der in der Bindemittelmischung vorhandene Calciumgehalt eine limitierende Größe darstellt. Neuartige Bindemittel z.B. auf Basis alkalisch aktivierter Schlacken weisen zwar großes Potenzial für eine weitere CO 2 -Reduktion auf, zeigen jedoch auch von klassischem Portlandzement weiter abweichende technische Eigenschaften / Kra22/ . Der Einsatz derartiger Bindemittel in der Instandsetzung von Betonbauwerken wird eingeschränkt bleiben, solange an damit hergestellte Produkte die althergebrachten Anforderungen gestellt werden, die klassische Portlandzementmörtel mit sich brachten. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 387 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Ein zweiter für die Nachhaltigkeit des Mörtels wichtiger Bestandteil ist der eingesetzte Füllstoff, hier Quarzsand und Kalksteinmehl. Hierbei gehen die herstellungsbedingten Emissionen für Abbau Fraktionierung und Trocknung nur mit etwa 21,5 kg CO 2 / t Pulver und 8,8 kg CO 2 / t Pulver in die Bilanz des Produktes ein. Aufgrund des großen Anteils in Trockenmörteln spielen für Füllstoffe ein produktionsnaher Abbau und kurze Transportwege eine im Verhältnis zur Herstellung wichtigere Rolle. Darüber hinaus wird in den vergangenen Jahren vermehrt auf die Endlichkeit der Ressource Sand, zumindest in globalen Maßstäben, hingewiesen. Obwohl die Verfügbarkeit von Sand in Deutschland als gesichert gilt sollte die zwingende Notwendigkeit des Sandabbaus und dessen Einfluss auf die Umwelt auch hier kritisch hinterfragt werden, insbesondere, da zunehmend Stoffströme industrieller Nebenprodukte bestehen, die das Potential haben, in relevanter Weise als Sandersatz zu fingieren / Kna12/ / Sch16/ . Künstliche Leicht-Gesteinskörnungen aus Recyclingprozessen werden teils als besonders nachhaltige Füllstoffe beworben. Zunächst kann allein auf Basis der vom Hersteller angegebenen Nachhaltigkeits-Kenndaten (464 kg CO 2 / t Pulver ) 5 festgestellt werden, dass, losgelöst von den u.U. bestehenden technischen Vorteilen wie einer verbesserten Wärmedämmwirkung, der CO 2 -Fußabdruck deutlich höher ist als für natürliche Gesteinskörnung, vgl. Tabelle 1. Anhand des Beispiels des Einsatzes einer Leichtgesteinskörnung soll darüber hinaus hier ein kritisch zu bewertender Umstand der EPD-basierten CO 2 - Bilanzierung und Produktauswahl dargestellt werden. In Abbildung 5 ist im ersten und zweiten Säulenturm noch einmal der Mörtel gemäß Tabelle 1 als 100 M.-%-Rezeptur zuzüglich Anmachwasser dargestellt sowie die volumetrische Zusammensetzung, umgerechnet über die bekannten Einzelstoffdichten. In dem hier dargestellten Beispiel wird nun der Sand unter Beibehaltung der volumetrischen Zusammensetzung durch eine künstliche Leicht-Gesteinskörnung ersetzt, sowie die erneute Rückrechnung zu einer gravimetrischen 100%-Rezeptur zzgl. der ursprünglichen Anmachwassermenge gezeigt in Säulenturm 3 und 4. Zusätzlich sind unterhalb die zugehörigen CO 2 -Fußabdrücke, bezogen auf die gravimetrische oder volumetrische Zusammensetzung der zwei Mörtel dargestellt. Beim Vergleich der Werte fällt auf, dass zwar ein vergleichbarer volumetrischer CO 2 -Fußabdruck für die beiden Mörtel vorliegt, dieser sich jedoch für den Leichtmörtel aufgrund der geringeren Materialdichte deutlich stärker im gravimetrischen CO 2 -Fußabdruck niederschlägt. Da in Produkt-EPDs die relevanten Kennwerte im Allgemeinen nur auf eine gravimetrische Einheit deklariert wird, erscheint ein mit Leichtfüllstoff hergestellter Mörtel deutlich weniger nachhaltig zu sein. Bauwerksbezogen, unter Berücksichtigung der Materialdichte, gleicht sich dieser Effekt wieder aus. 5 Dennert Poraver GmbH - Ökobilanz Zusammenfassung - Stand 02/ 2022 Abbildung 5: Beispiel-Mischungsberechnungen des Mörtels gemäß Tabelle 1 in gravimetrischer und volumetrischer Zusammensetzung, der volumengleiche Austausch der Gesteinskörnung und die Rückrechnung in die gravimetrische Zusammensatzung inkl. Angabe der CO 2 -Fußabdrücke Neben der Einsparung von CO 2 -Emissionen spielt ebenfalls der Einsatz von biobasierten Rohstoffen eine zunehmend größer werdende Rolle. Biobasiert meint dabei, dass beispielsweise für Produktion eines Kunststoffdispersionspulvers anstelle eines rohöl-basierten, fossilen Rohstoffes ganz oder teilweise ein biobasierter, nachwachsender Rohstoff innerhalb der entsprechende Produktionskette eingesetzt wird. Hier gilt es insbesondere darauf zu achten, dass nachwachsende Rohstoffe in erster Linie den Verbrauch endlicher Ressourcen verringern und, dass ein nachwachsender Rohstoff nicht automatisch eine gute Ökobilanz aufweist. Wird beispielsweise Stärke aus einer Kartoffel gewonnen, so handelt es sich dabei um einen nachwachsenden Rohstoff. Die Kartoffel wird auf Feldern angebaut, benötigt Dünger, ggf. Pflanzenschutzmittel, die Ernte erfolgt mit Traktoren, welche mit fossilem Treibstoff betrieben werden, und muss industriell verarbeitet werden. All diese Prozessschritte verursachen ihrerseits Emissionen und müssen im Hinblick auf die Ökobilanz eines nachwachsenden Rohstoffes beachtet werden. Die vermehrte Nachfrage nach nachwachsenden Rohsoffen kann an anderer Stelle zu weiteren Umweltschäden und ökonomischen Problemen führen, z.B. durch stärkere Landnutzung, Landumnutzung, Prozessemissionen, zunehmendem Wasserverbrauch oder direkter Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion. Dort, wo ein nachwachsender Rohstoff jedoch (ganzheitlich betrachtet) sinnvoll produziert und eingesetzt werden kann, ist dieser einem fossilem Rohstoff vorzuziehen. Gegenwärtig ist die mengenmäßige Verfügbarkeit nachwachsender 388 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Rohstoffe noch sehr begrenzt sowie deren Preis gegenüber einem konventionellen Rohstoff deutlich erhöht. Die Verwendung eines nachwachsenden Rohstoffes, rein um eine aus Marketingaspekten vorteilhafte Aussage treffen zu können, sollte kritisch hinterfragt werden. Insbesondere im Zusammenhang mit nachwachsenden Rohstoffen in der petrochemischen Industrie ist der Begriff des Massebilanz-Ansatz geprägt worden. Dort, wo in Großindustriellen chemischen Anlagen die Massenströme biobasierter und fossiler Ausgangstoffe nicht zweifelsfrei getrennt werden können, wurden rechnerische Ansätze entwickelt, dennoch primär biobasierte Produkte an den nachhaltigkeitsbewussten Kunden vermarkten zu können, siehe Abbildung 6. In vielerlei Hinsicht ist der Massebilanzansatz mit „Ökostrom“ vergleichbar, der sich zwar das Netz mit Strom aus fossilen Energieträgern teilt, dennoch sich dem Endkunden als Energie aus erneuerbaren Quellen zu einem häufig höheren Preis anbietet. Aus Sicht der chemischen Industrie ist der Massebilanzansatz als eine notwendige, aber auch zielführende Übergangstechnologie zu verstehen. Der Massebilanzansatz ermöglich, trotz der gegenwärtig begrenzten Mengen an nachwachsten Rohstoffen sowie mit der bestehenden auf fossile Rohstoffe ausgelegten Prozesstechnik, Produkte anzubieten, welche zumindest bilanziell einen hohen Anteil an nachwachsendem Rohstoff enthalten. Da faktisch das klassische, fossil-basierte Produkt aus demselben Produktionsprozess wie das biobasierte stammt, stellen per Massebilanz zertifizierte Produkte technisch gleichwertige und einfach auszutauschende Alternativen dar. Teils kritisch zu hinterfragen sind die z.-B. gemäß redCert und ISCC möglichen örtlichen Trennungen von in den Prozess eingehenden, biobasiertem Rohstoff und dem an anderer Stelle entstehenden, biobasiertem Produkt. Genauso können biobasierte Energieträger rechnerisch als Bio-Anteil dem Produkt angerechnet werden. Alles in allem ist mit einem Massenbilanz-Ansatz also nicht zwingend gegeben, dass tatsächlich Moleküle aus biologischer Herkunft im Produkt vorhanden sind, ein positiver Effekt auf die Umwelt wird jedoch per Zertifikat bestätigt. Abbildung 6: Schematische Darstellung des Massebilanz-Ansatzes 4. Ausblick Eine aus Sicht eines Bauprodukteherstellers wesentliche Fragestellung ergibt sich aus der zukünftigen Vermarktung nachhaltiger Produkte. Auf bauend auf dem Drei- Säulen-Ansatz („Triple-bottom-line“) müssen hier neben Mensch und Natur auch die Kommerzialisierbarkeit eines Produktes berücksichtigt werden. Denn verbleiben nachhaltige Produkte in Marktnischen, ist ihre nachhaltige Wirkung stark begrenzt. In Abbildung 7 wird eine klassische Marktpositionierung eines Produktes vereinfacht als Abwägung zwischen Preis und Performance dargestellt. In diesem Spektrum befinden sich verschiedene Produkte nebeneinander mit unterschiedlichen Marktpositionierungen und ihrem damit erreichbaren Marktanteil. Zukünftig werden ökologische Aspekte eines Produktes eine zunehmend größere Rolle spielen. In Folge wird die Nachhaltigkeit, neben Preis und Performance, als dritte wesentliche Produkteigenschaft bestehen. Die Positionierung von Produkten wird in diesem sich aufspannenden Dreieck deutlich komplexer. Abbildung 7: Positionierung nachhaltiger Bauprodukte bisher im Spektrum Preis und Performance, das zukünftig ergänzt wird durch die wesentliche Eigenschaft der Nachhaltigkeit. Die Regulatorik im Bereich der Nachhaltigkeit wird zunehmend restriktiver. Während dieser grundsätzliche Trend bekannt ist, überraschte zuletzt doch die zunehmende Geschwindigkeit der Entwicklung. Gemäß aktueller Europäischer Ziele im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets sollen ab dem Jahr 2030 alle Neubauten als Nullemissionsgebäude geplant werden, Bestandbauten wären bis 2050 zu Nullemissionsgebäuden zu ertüchtigen. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch die für den Bau und die Instandsetzung eingesetzten Baustoffe vergleichbar kritische Ziele definiert werden. Technisch hochwertige oder auch besonders günstige Lösungen, die in vielen Fällen ursprünglich nicht unter Aspekten der Nachhaltigkeit entwickelt worden sind, werden zukünftig deutlich kritischer bewertet und könnten u.U. sogar gänzlich verboten werden. Hier bedarf es innovativer Forschung und Entwicklung, auch zukünftig unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit technisch hochwertige oder günstige Lösungen bereit zu halten. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 389 Aspekte zur Nachhaltigkeit von Instandsetzungsmörteln Literatur [1] / BPI22/ BPIE (Buildings Performance Institute Europe) (2022). Eine Lebenszyklusperspektive für Gebäude. Der europäische Rechtsrahmen und gute Beispiele aus den Mitgliedstaaten. https: / / www. bpie.eu [2] / Daw22/ Dawood, E.T.; Mohammed, W.T.; Plank, J. (2022) Performance of sustainable mortar using calcined clay, fly ash, limestone powder and reinforced with hybrid fibers. Case Studies in Construction Materials 16 (2022) [3] / Mer19/ Merkel, M.; Breit, W.; Schulte Holthausen, R.; Raupach, M. (2019): Realkalisierungspotenzial von Trinkwasserbehälterbeschichtungen. Beton- und Stahlbetonbau 114 [4] / Kna12/ Knappe, F.; Dehoust, G.: Petschow, I.; Jakubowski, G. (2012): Steigerung von Akzeptanz und Einsatz mineralischer Sekundärrohstoffe unter Berücksichtigung schutzgutbezogener und anwendungsbezogener Anforderungen, des potenziellen, volkswirtschaftlichen Nutzens sowie branchenbezogener, ökonomischer Anreizinstrumente. Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit [5] / Kra22/ Kraft, B.; Achenbach, R.; Ludwig, H.-M., Raupach, M. (2022). Hydration and Carbonation of Alternative Binders. Corrosion and Materials Degradation 2022, 3, 19-52 [6] / Roh21/ Roth, H.; Lewis, M.; Hancock, L.: The Green Building materials Manual - A Reference to Environmentally Sustainable Initiatives and Evaluation Methods. Springer Nature ISBN 978-3- 030-64887-9 [7] / Sch16/ Schwarzkopp, F.; Drescher, J.; Gornig, M.; Blasejczak, J. (2016): Studie „Die Nachfrage nach Primär- und Sekundärrohstoffen der Steine-und-Erden-Industrie bis 2035 in Deutschland“