Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
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2023
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BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertung nach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros
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Simon Menzler
Hendrik Morgenstern
Im Zuge der Instandhaltung von Bestandsbauwerken aus Stahlbeton kommt der Erfassung des Ist-Zustandes sowie der Dokumentation der geplanten und durchgeführten Arbeiten eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Beitrag soll beispielhaft zeigen, wie Rohdaten aus einer Bauwerksdiagnose einerseits herkömmlich gehandhabt und anderseits für eine Nutzung in BIM aufbereitet und weiterverarbeitet werden können. Das Potenzial von mit Diagnosedaten angereicherten BIM-Modellen als Entscheidungshilfe für den Sachkundigen Planer wird anwendungsnah demonstriert. Die bisherigen Erkenntnisse der Forschungsarbeiten zeigen, dass Building Information Modeling in der Bauwerkserhaltung ein großes Potenzial für effektive Bauwerksdiagnosen und ein effizientes Lebensdauermanagement birgt.
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8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 437 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertungnach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros Simon Menzler, M. Sc. Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff GmbH, Aachen Hendrik Morgenstern, M. Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University (ibac) Zusammenfassung Im Zuge der Instandhaltung von Bestandsbauwerken aus Stahlbeton kommt der Erfassung des Ist-Zustandes sowie der Dokumentation der geplanten und durchgeführten Arbeiten eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Beitrag soll beispielhaft zeigen, wie Rohdaten aus einer Bauwerksdiagnose einerseits herkömmlich gehandhabt und anderseits für eine Nutzung in BIM auf bereitet und weiterverarbeitet werden können. Das Potenzial von mit Diagnosedaten angereicherten BIM-Modellen als Entscheidungshilfe für den Sachkundigen Planer wird anwendungsnah demonstriert. Die bisherigen Erkenntnisse der Forschungsarbeiten zeigen, dass Building Information Modeling in der Bauwerkserhaltung ein großes Potenzial für effektive Bauwerksdiagnosen und ein effizientes Lebensdauermanagement birgt. 1. Stand der Technik In 13 Bundesländern ersetzte spätestens mit Umsetzung der Muster-Verwaltungsvorschriften Technische Baubestimmung (MVV TB), Ausgabe 2021/ 1 [1] die aktuelle Fassung der Technischen Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (TR Instandhaltung) des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) [2] weite Teile der zuvor gültigen DAfStb-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ vom Oktober 2001 [3-6]. Teil 1 der TR Instandhaltung [2] regelt die Planung der Instandhaltung von Betonbauwerken und gibt an, welche Punkte die sachkundige Planung einer Instandhaltung mindestens zu beinhalten hat. Diese sind in Abbildung 1 des Teil 1 der TR Instandhaltung wie folgt zusammengefasst. Abbildung 1: Grundsätzliche Vorgehensweise bei der Planung und Ausführung von Instandhaltungsmaßnahmen [2] Anhand eines Beispielprojektes (Instandsetzung und haltung der Stahlbetonbauteile einer Tiefgarage) aus dem Jahr 2018 wird in den folgenden Abschnitten erläutert, in welcher Form die in Abbildung 1 aufgeführten Punkte bearbeitet wurden, zum Teil heute noch bearbeitet würden und wie sie zum Teil heute anders bearbeitet würden. 1.1 Ermittlung Ist-Zustand Bereits anhand einer der ersten Punkte, die die TR Instandhaltung bezüglich der Ist-Zustand-Erfassung nennt, kann im Beispielprojekt gezeigt werden, dass das Vorhandensein digitaler Informationen zu einem Bauwerk, beispielsweise in Form eines BIM-Modells, zwar helfen könnte vor allem insbesondere zu Beginn eines Projektes zeitintensive Tätigkeiten zu ersparen, die Realität beim Bauen im Bestand allerdings häufig anders aussieht. Die TR Instandhaltung sieht zunächst vor, verfügbare Informationen zur Vorgeschichte des Bauwerks auszuwerten. Im Falle des Beispielprojekts bekommt das Planungsbüro allerdings zu Beginn des Projektes kein BIM-Modell als zentrales Informationslager zur Verfügung gestellt, sondern sämtliche zur Tiefgarage noch vorhandene Unterlagen. Dazu gehören zum größten Teil Grundrisse, Schnitte und Bewehrungspläne aus Genehmigungs- und Ausführungsplanung als Scans analoger Planunterlagen. In zeitintensiver Arbeit werden die Unterlagen gesichtet und für die Instandhaltungsplanung relevante Informationen gefiltert. Vor Ort wird darauf hin festgestellt, dass allein Geometrien, Bauteilorientierungen, etc. in Teilen nicht mit den zur Verfügung stehenden Grundrissen übereinstimmen. Ob dies auf Umbauten oder durch Planänderungen zur Bauzeit zurückzuführen ist, ist nicht bekannt. Dies wirft allerdings die Frage auf, ob auch ande- 438 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertungnach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros Abbildung 2: Planausschnitt der Schadenskartierung am Boden der Tiefgarage re bereits aus den Unterlagen gesammelte Informationen überhaupt mit der Realität übereinstimmen. Im Grunde müsste am Anfang des Beispielprojekts wie auch heute noch in vielen Projekten bei der Instandhaltung von Bestandsobjekten mangels zur Verfügung stehender (wahrer) Informationen die Ermittlung der Grundlagen stehen. Dies ist zwar aus technischer Sicht auch digital möglich, beispielsweise mittels 3D-Technologie zur Erfassung von Geometrien, Maßen und Massen, fällt allerdings nicht in den Aufgabenbereich des Planungsbüros und ist einem Bauherrn in vielen Fällen als Mehraufwand schwer zu vermitteln. So bleibt häufig auch in den nächsten Schritten, nur auf bedingt digitale Methoden zurückzugreifen. Im vorliegenden Beispielprojekt wurden zur weiteren Ermittlung des Ist-Zustandes unter anderem folgende Untersuchungen durchgeführt: • visuelle Inaugenscheinnahme zur Erfassung von Schäden • Potentialfeldmessungen • Betondeckungsmessungen • Bestimmung von Karbonatisierungstiefen • Bestimmung von Chloridgehalten Festgestellte Schäden wurden dabei manuell in die zur Verfügung stehenden Grundrisse, an denen Unterschiede zum Bestand ebenfalls manuell vermerkt bzw. eingezeichnet wurden, übertragen. Als Ergebnis entstanden Pläne, die die Schäden an den Stahlbetonteilen der Tiefgarage darstellten. Ein Ausschnitt des Plans mit der Schadenskartierung am Boden ist in Abbildung 2 gegeben Je nach Gegebenheiten vor Ort (Lichtverhältnisse, Zugänglichkeiten, etc.) ist eine Schadenskartierung in Projekten heute mittels 3D-Aufnahmen möglich. So können zum Teil schon mit simpler Hardware (Handy oder Tablet), die beispielsweise einen LiDAR-Scanner intergiert hat, Aufnahmen erzeugt werden, die eine ausreichende Genauigkeit für eine Schadenskartierung aufweisen und Schäden darüber hinaus lagegenau darstellen. Abbildung 3 zeigt beispielhaft einen Ausschnitt eines Scans einer Stahlbetonwand, der mit einem Handy erzeugt wurde und in dem Risse zu erkennen sind. Abbildung 3: Ausschnitt eines Scans mit Detail eines Risses Sowohl Potentialfeldmessungen als auch Betondeckungsmessungen wurden mit einem Gerät der Fa. Proceq (heute Screening Eagle) durchgeführt. Als Ergebnis der Potentialfeldmessung liefert die dazugehörige Auswertungs- Software Datensätze, die unter anderem Koordinaten und jeweils die in einem Bereich gemessenen mittleren Potentiale enthalten. Dargestellt werden diese Datensätze durch Kacheln, die skaliert nach Höhe des mittleren Potentials eingefärbt sind. Diese Potentialfelder wurden ausgeschnitten, skaliert und in Grundrisspläne eingefügt. Abbildung 4 zeigt dies beispielhaft für das Potentialfeld an der Bodenfläche. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 439 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertungnach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros Abbildung 4: Planausschnitt des Potentialfeldes am Boden der Tiefgarage Mit der Auswertungs-Software ist zwar eine farbliche Darstellung als Ergebnis der Betondeckungsmessungen ebenso möglich, diese wurden im Beispielprojekt allerdings in tabellarischer Form dargestellt (Anzahl detektierter Stäbe, Mittlere Betondeckung, kleinster Einzelwert, etc.). Dieses Tool der farblichen Darstellung der Betondeckung wird in vielen Fällen heute eher angewendet, sodass die Pläne der Schadenskartierung, des Potentialfeldes und der Betondeckung nebeneinander dargestellt werden, um Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen leichter erkennen zu können. Die Prüfung der Karbonatisierungstiefe erfolgte an Wänden der Tiefgarage, indem Stemmstellen in den Beton eingebracht, die Stemmstellen ausgeblasen, die Prüfstellen mit einer 1-%-igen Phenolphthaleinlösung besprüht und die Tiefen des Farbumschlags und somit die Karbonatisierungstiefen gemessen wurden. Chloridgehalte wurden an Bohrmehlproben aus jeweils drei unterschiedlichen Tiefenlagen je Entnahmestelle an Stützen, Wänden und Boden bestimmt. Prüfstellen der Karbonatisierungstiefe, Bohrmehlentnahmestellen sowie weitere Untersuchungsstellen wurden vor Ort eingemessen und anschließend qualitativ in den Grundrissplan eingezeichnet. Abbildung 5 zeigt einen Ausschnitt dieses Lageplans der Prüf- und Entnahmestellen. 440 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertungnach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros Auch Lagepläne können heute mithilfe von 3D-Scan- Technik einfach erstellt werden, um sich das Einmessen der Stellen und das händische Übertragen in einen Grundrissplan zu ersparen. 1.2 Festlegung des Mindest-Soll-Zustands für die vorhandene Restnutzungsdauer Der Mindest-Soll-Zustand basiert laut TR Instandhaltung auf den geregelten Anforderungen an Standsicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Verkehrssicherheit und Brandschutz [2]. Es gilt demnach durch eine Instandsetzung zumindest Sorge dafür zu tragen, dass diese Anforderungen für die Restnutzungsdauer eingehalten werden. Diese Mindestanforderungen werden im Einzelfall so auch in unserem Beispielsprojekt aus entsprechenden Regelwerken zusammengetragen, um den Mindest-Soll-Zustand bauwerks- oder sogar bauteilspezifisch festzulegen Eine Prognose der Restnutzungsdauer ist beim Einfluss von Karbonatisierung oder Chlorid beispielsweise mit der Anwendung von Berechnungsmodellen möglich. In der Regel wird eine solche Prognose allerdings nicht tatsächlich berechnet, da in den meisten Fällen entweder Anforderungen an Standsicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Verkehrssicherheit oder Brandschutz nicht erfüllt werden und so eine Instandsetzung ohnehin erforderlich ist oder eine Schädigung nicht derart vorliegt, dass die Dauerhaftigkeit in relevantem Maß beeinflusst ist und sich die Restnutzungsdauer somit nicht von der Restlebensdauer im Sinne der Dauerhaftigkeit unterscheidet. Beim Unterschreiten eines Mindestanspruchs an die oben genannten Punkte wird in den meisten Fällen auf Basis der Untersuchungen dargestellt, durch welche Einflüsse oder Schädigungsmechanismen diese Anforderungen unterschritten werden und durch welche Instandsetzungsprinzipien und verfahren die Anforderungen wieder erfüllt werden. Diese Arbeit basiert in gewissem Maß auf den Erfahrungen des Planenden unter Einbezug einschlägiger Regelwerke. Die Entscheidung über den Soll-Zustand und somit das Instandsetzungsziel wird durch den Bauherrn getroffen. An dieser Stelle fungiert das Planungsbüro beratend und liefert dem Bauherrn die Entscheidungsgrundlagen, indem zum einen die oben genannten Mindestanforderungen und zum anderen technische und wirtschaftliche Aspekte verschiedener Instandsetzungsprinzipien erläutert werden. Inwiefern der Sollzustand die Mindest-Anforderungen noch überschreitet, obliegt der Entscheidung des Bauherrn. Die Bestimmung oder Abschätzung der Restnutzungsdauer, die sich durch eine Instandsetzung in der Regel erhöht, kann auch auf Basis verschiedener Instandsetzungsprinzipien erfolgen und kann somit ebenso als Entscheidungsgrundlage dienen. Abbildung 5: Ausschnitt des Plans der Prüf- und Entnahmestellen 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 441 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertungnach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros 1.3 Instandhaltungskonzept / Instandhaltungsplan Konzept und Planung von Instandhaltung und Instandsetzung werden auf Basis der Untersuchungsergebnisse, des Mindest-Soll-Zustands sowie den darüberhinausgehenden Erwartungen des Bauherrn an die Instandhaltung bzw. -setzung erstellt. Auch hier spielen insbesondere Erfahrungswerte des Planenden mit ein. Die Ausführung von Inspektion und Wartung sowie von Instandsetzungsmaßnahmen basiert im letzten Schritt auf den zuvor erarbeiteten Konzepten und Planungen. Es kann festgehalten werden, dass digitale Möglichkeiten insbesondere im Zuge der Ist-Zustandsermittlung auch im Vergleich zum Vorgehen von vor wenigen Jahren immer häufiger zur Anwendung kommen. Digitale oder automatisierte Lösungen zur Auswertung digital gesammelter Daten werden dabei allerdings häufig nicht in Anspruch genommen bzw. befinden sich aktuell noch in einem Stadium der Entwicklung, dass eine Anwendung gar nicht möglich ist. Dies führt dazu, dass die Auswertung von Daten und die darauf basierenden Punkte der Planung in der Regel noch in händischer Form erfolgen. 2. Stand der Forschung 2.1 Ist-Zustand in BIM Die Zustandserfassung, die durch das Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff am Objekt durchgeführt wurde, wurde anschließend am Institut für Baustoffforschung (ibac) nachträglich digitalisiert. Am ibac werden Methoden entwickelt, um BIM-Modelle mit diagnostischen Daten anzureichern und die BIM-Methode für die Bauwerkserhaltung zu erschließen [7, 8]. Während Abbildung 2 die Schadenskartierung konventionell zeigt, ist diese in Abbildung 6 im BIM-Modell dargestellt. Schadstellen, Risse und Hohllagen wurden als zusätzliche Elemente dem BIM-Modell hinzugefügt. Abbildung 6: Planausschnitt der Schadenskartierung in BIM Abbildung 3 zeigte bereits die Anwendung neuer Technologien zur Erstellung von Punktwolken im Kontext der Schadenserfassung. Neben der gezeigten Untersuchung mittels Handheld-LiDAR-Scanner wurde das Parkhaus vom ibac mit einem terrestrischen Laserscanner (RTC 360) vermessen und anschließend analysiert. Abbildung 7 zeigt die farbliche Markierung einer Schadstelle im Kontext eines Ausschnittes der Punktwolke. Rote Bereiche zeigen große Abweichungen von der Ebene an. Kleinste Länge, Breite und Tiefe sowie das Volumen der Schadstelle können automatisch berechnet und ebenfalls im BIM-Modell gespeichert werden. Abbildung 7: Ausschnitt einer Punktwolke mit Differenzanalyse zur Schadenserfassung In Abbildung 4 wurde gezeigt, wie Potentialfelder manuell eingefärbt, skaliert, beschnitten und in den Grundrissplan eingefügt wurden. Abbildung 8 zeigt den gleichen Prozess, allerdings (teil)automatisiert und im BIM- Modell. Für jede Messstelle wird ein zusätzliches Kachelelement auf der jeweiligen Fläche erstellt, das die Information „Potenzial“ maschinenlesbar trägt. Bei entsprechender Einstellung können diese Elemente anhand des Potenzial-Wertes eingefärbt werden, hier gezeigt über das Plugin Advanced Reports in der kostenlosen BIM- Viewer-Software BIMvision. Abbildung 8: Planausschnitt des Potentialfeldes am Boden der Tiefgarage in BIM Um die Übersichtlichkeit des angereicherten BIM-Modells zu wahren, werden die Diagnosedaten kategorisiert und können nach Belieben ein- und ausgeblendet werden. In einer Übersicht, siehe Abbildung 9, werden die verschiedenen Arten und Anzahlen der Diagnosedaten strukturiert, sodass die nicht nur die Anzahl der Untersuchungsergebnisse direkt einsehbar ist, sondern auch jede einzelne Messstelle unmittelbar angesteuert werden kann. 442 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertungnach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros Abbildung 9: Übersicht der Prüf- und Entnahmestellen in BIM Auf diese Weise wurden alle zur Verfügung stehenden Diagnosedaten und Untersuchungsergebnisse sukzessive in das BIM-Modell übertragen. Dabei ist anzumerken, dass alle Daten IFC-konform implementiert wurden, d.-h. in quasi allen BIM-Softwares eingesehen und bearbeitet werden können. So wurden beispielsweise auch alle entnommenen Bohrkerne, alle Betondeckungsmessungen sowie Bohrmehlentnahmestellen implementiert. Abbildung 10 zeigt eine dreistufige Bohrmehlentnahmestelle, eingefärbt entsprechend des anschließend ermittelten Chloridgehaltes. Abbildung 10: Bohrmehlentnahmestelle eingefärbt entsprechend des Chloridgehaltes 2.2 Automatisierte Prognosen mit kalibrierten Modellen Es wurde bereits angesprochen, dass zur Gewährleistung der Zuverlässigkeit über die Restnutzungsdauer hinweg ggf. der weitere Verlauf von bspw. Carbonatisierung und Chlorideintrag prognostiziert werden müssen. Während für die Carbonatisierung teilweise auch sehr einfache Modelle zur Verfügung stehen und genutzt werden, ist die Modellierung und Prognose des Chlorideintrages deutlich komplexer. Daher wurden die Modelle des fib Model Code for Service Life Design [9] für Carbonatisierung und Chlorideintrag ebenso in der verwendeten BIM- Software (Revit) über Python-Skripte implementiert. Die Modelle werden automatisch anhand der vorliegenden Diagnosedaten mittels Bayes’scher Netzwerke kalibriert und erlauben daher relativ zuverlässige Aussagen über den zeitlichen Verlauf der Schädigungsprozesse. Aufgrund der Komplexität dieser Thematik wird an dieser Stelle darauf nicht weiter eingegangen und auf einschlägige Literatur verwiesen [10, 11]. 2.3 BIM als Decision Support Tool Auf bauend auf der BIM-implementierten Zustandserfassung können die Bauteile nun effizient hinsichtlich ihrer Instandsetzungsbedürftigkeit bewertet werden. Wenn in einem BIM-Modell alle vorliegenden Informationen maschinenlesbar hinterlegt werden, kann dieses prinzipiell alle mathematischen Analysen und statistischen Auswertungen automatisiert durchführen. Dabei besteht die Möglichkeit, ortsspezifische Analysen durchzuführen und nur Teile der Informationen abzurufen, um bspw. nur die Chloridgehalte von Stützenfüßen zu untersuchen oder lediglich die Korrosionsaktivität in der Bodenplatte. In jedem Fall können Warnmeldungen gefährliche Über- oder Unterschreitungen ankündigen und geeignete Gegenmaßnahmen vorgeschlagen werden. Da die TR- Instandhaltung [2] für manche Instandsetzungsverfahren explizite Anwendungsgrenzen und bedingungen nennt, können diese ebenfalls in BIM implementiert werden. Das Modell kennt die Betondeckungen von vorderer und hinterer Bewehrungslage, kann diese Lagen differenzieren und jeweils charakteristische Werte berechnen. Es kennt ebenfalls die aktuellen Tiefen von Carbonatisierung und Chlorideintrag, weshalb es diese Einflüsse dem Widerstand Betondeckung gegenüberstellen kann. Ist ein Verfahren bspw. nur anwendbar, solange die Carbonatisierung noch ≥-10-mm von der Bewehrung entfernt ist, kann das Modell dies erkennen und die Eignung des Verfahrens beurteilen. Ist ein Verfahren geeignet, aber es muss Altbeton abgetragen werden bis ein bestimmtes Kriterium erfüllt wird, kann das Modell dies ebenfalls ermitteln. Abbildung 11 zeigt beispielsweise den benötigten Betonabtrag für das Verfahren-7.2 „Ersatz von chloridhaltigem oder carbonatisiertem Beton zum Erhalt oder der Wiederherstellung der Passivität“ nach TR-Instandhaltung. Abbildung 11: Benötigter Betonabtrag für das Verfahren-7.2 nach TR-Instandhaltung 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 443 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertungnach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros Die Analyse des Ist-Zustandes und die Planung der nötigen Instandsetzung kann daher über ein angereichertes BIM-Modell und die damit erstellten Handlungsempfehlung signifikant unterstützt werden. Daneben erlaubt eine digitale Zustandserfassung ein nachhaltiges Datenmanagement, indem alle vorliegenden Informationen übersichtlich gebündelt und vollständig erhalten werden. 3. Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse in die Praxis Bevor die bisher erzielten Forschungsergebnisse in der Praxis breite Anwendung finden können, sollte die digitale Bestandsaufnahme, also die Erstellung eines 3D-Modells als Grundlage der entwickelten Tools, so gestaltet werden, dass Nutzen und Aufwand im Verhältnis zueinanderstehen. Denn es können zwar wie erläutert einzelne Schritte als 3D-Scans mittels bedienungsfreundlicher Hardware ausgeführt werden, die Erstellung eines BIM- Modells erfordert allerdings spezielle Softwarekompetenz, die nicht in jedem Planungsbüro verfügbar ist. Demnach kann es ein weiteres Forschungsziel sein, den Aufwand für die Erstellung eines Modells zu minimieren bzw. zu optimieren und zudem beispielsweise ein minimales Level der Detailreiche eines Modells zu finden, bei dem es für die entwickelten Verfahren (noch) geeignet ist. In diesem Zusammenhang ist zudem interessant, Zusammenhänge zwischen Anwendbarkeit von Tools und benötigter Genauigkeit des Modells herauszustellen. Darauf basierend wäre in der Praxis auch die Möglichkeit einer gestuften Anwendung der Tools denkbar. So könnte projektspezifisch entschieden werden, welche Tools in welchem Ausmaß benötigt werden und mit welchem Aufwand dafür ein Modell erstellt werden muss. Im Grunde genommen, besteht der Schlüssel zur Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse in die Praxis also darin, die digitale Bestandaufnahme als Grundlage für die BIM-basierte Instandsetzungsplanung mit für das Projekt angemessenem Aufwand zu erstellen. Im Zuge der Weiterentwicklung der Tools sollten zum Teil vorhandene Geräte- oder methodenspezifische Eigenheiten und Ungenauigkeiten bei der Datenerfassung berücksichtigt werden. So kann vermieden werden, dass eine in der Praxis häufig nicht erreichbare Genauigkeit trotzdem im Modell dargestellt werden und als Basis für die weitere Planung dienen kann. Aus praktischer Sicht sollte an diesen Punkten gearbeitet werden, um die Übertragbarkeit der Forschungsergebnisse zu ermöglichen, denn die Anwendung der bereits entwickelten Tools kann viele Arbeitsschritte im Zuge einer Instandsetzungsbzw. Instandhaltungsplanung für ein Planungsbüro erleichtern und in einigen Fällen sogar vollständig automatisieren und so aufwendige, zum Teil händische Arbeit ersparen. Darüber hinaus bietet das digitale Verfahren die Möglichkeit, nicht nur projektspezifische Informationen (Bauwerksdaten, etc.) zentral zu sammeln, sondern zusätzlich allgemeine relevante Informationen, wie zum Beispiel verschiedene Normen und Regelwerke, die bei der Instandsetzung/ haltung gültig sind, zu filtern und abruf bar zu machen. Auf diese Weise kann das Verwalten von Diagnosedaten und Regelwerken zentral strukturiert und somit vereinfacht werden. 4. Schlussfolgerungen und Ausblick Das vorgestellte Konzept zur Digitalisierung der Bauwerkserhaltung baut auf den technischen Fortschritten der letzten Jahre auf und leitet eine modellzentrierte Arbeitsweise ein. Daten werden strukturiert auf bereitet, gesammelt und vernetzt. Punktwolken können niederschwellig erstellt und automatisiert ausgewertet werden. Mit BIM-gestützten Auswertungen werden Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen und Bewertungen unterstützt. Aus dem bisherigen Arbeitsstand können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: • BIM-visualisierte Diagnosen ermöglichen effiziente Analysen • Untersuchungsergebnisse bleiben maschinenlesbar erhalten und können für weitere Analysen genutzt werden (digitales Bauwerksbuch) • Datenanalyse und Handlungsempfehlungen über BIM-Modelle führen zu zeitlich und örtlich aufgelösten Zustandsbewertungen • Automatisierung und Funktionalisierung erhöhen Rentabilität digitalisierter Maßnahmen Derzeit forscht das ibac an der Erweiterung der vorgestellten Methoden und der Kombination von Handlungsempfehlungen mit der Echtzeit-Analyse von Messdaten aus Monitoring-Systemen sowie an präziseren Prognoseverfahren. Parallel dazu werden, um die nachträgliche Digitalisierung von Bestandsbauwerken weiter zu vereinfachen, Möglichkeiten der robotergestützten Punktwolkenerstellung und Bauwerksdiagnose untersucht. Literatur [1] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt), Muster- Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB), 2021 [2] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt), Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung), Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung, 2020 [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb), Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie) - Teil-1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze, 2001 [4] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb), Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie) - Teil- 2: Bauprodukte und Anwendung, 2001 [5] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb), Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie) - Teil- 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung, 2001 444 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 BIM-basierte Diagnosen: Automatisierte Auswertungnach aktuellen Regelwerken und Bewertung des Forschungsstands aus Sicht eines Planungsbüros [6] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb), Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie) - Teil- 4: Prüfverfahren, 2001 [7] H. Morgenstern, M. Raupach, BIM-centred building diagnoses as a decision support tool for maintenance and repair, International Symposium on Non-Destructive Testing in Civil Engineering, Zurich, Switzerland, 2022. [8] H. Morgenstern, M. Raupach, Quantified point clouds and enriched BIM-Models for digitalised maintenance planning, MATEC Web of Conferences 364 (2022). [9] P.B. Schiessl, Phil; Baroghel-Bouny, Véronique; Corley, Gene; Faber, Michael; Forbes, Jim; Gehlen, Christoph; Helene, Paulo; Helland, Steinar; Ishida, Tetsuya; Markeset, Gro; Nilsson, Lars-Olof; Rostam, Steen; Siemes, A.J.M.; Walraven, Joost, fib Bulletin 34. Model Code for Service Life Design, fib. The International Federation for Structural Concrete2006. [10] D. Straub, I. Papaioannou, Bayesian Updating with Structural Reliability Methods, Journal of Engineering Mechanics 141(3) (2015). [11] R. Schneider, J. Fischer, M. Bügler, M. Nowak, S. Thöns, A. Borrmann, D. Straub, Assessing and updating the reliability of concrete bridges subjected to spatial deterioration principles and software implementation, Structural Concrete 16(3) (2015) 356-365.
