eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 8/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
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expert Verlag Tübingen
21
2023
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KKS-Carbonbeton in der Praxis aus Sicht des Sachkundigen Planers - Praxisbeispiel Hofdienergarage Stuttgart

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2023
Jan Müller
Michael Hiller
Das Parkhaus Hofdienergarage liegt im Stadtzentrum von Stuttgart. Die Zu- und Ausfahrt des Parkhauses erfolgt über die Schellingstraße. Die Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg ist Eigentümer der Parkebene 1 bis 7 und Auftraggeber. Durch auftraggeberseitig gesichtete Schädigungen am Oberflächenschutz bestand ein Verdacht auf eine Instandsetzungsnotwendigkeit. Die Müller + Braun Ingenieure wurden zur Ist-Zustandserfassung, Planung und Bauüberwachung hinzugezogen und beauftragt. Die vorhandene Schadstoffkonzentration in den Stahlbetonbauteilen und der auftraggeberseitige Ausschluss einer klassischen Instandsetzung bzw. dem Einsatz von Höchstdruckwasserstrahlen, grenzten die in Frage kommenden Instandsetzungsprinzipen bereits bei der Konzeptfindung ein. Auf den Zwischendecken der Parkebenen 1 bis 6 wird vollflächig ein Kathodischer Korrosionsschutz mit Carbonbeton appliziert.
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8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 465 KKS-Carbonbeton in der Praxis aus Sicht des Sachkundigen Planers - Praxisbeispiel Hofdienergarage Stuttgart Dipl.-Ing. (FH) Jan Müller Müller + Braun Ingenieure GmbH & Co. KG, Fellbach Michael Hiller, B. Sc. Müller + Braun Ingenieure GmbH & Co. KG, Fellbach Zusammenfassung Das Parkhaus Hofdienergarage liegt im Stadtzentrum von Stuttgart. Die Zu- und Ausfahrt des Parkhauses erfolgt über die Schellingstraße. Die Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg ist Eigentümer der Parkebene 1 bis 7 und Auftraggeber. Durch auftraggeberseitig gesichtete Schädigungen am Oberflächenschutz bestand ein Verdacht auf eine Instandsetzungsnotwendigkeit. Die Müller + Braun Ingenieure wurden zur Ist-Zustandserfassung, Planung und Bauüberwachung hinzugezogen und beauftragt. Die vorhandene Schadstoffkonzentration in den Stahlbetonbauteilen und der auftraggeberseitige Ausschluss einer klassischen Instandsetzung bzw. dem Einsatz von Höchstdruckwasserstrahlen, grenzten die in Frage kommenden Instandsetzungsprinzipen bereits bei der Konzeptfindung ein. Auf den Zwischendecken der Parkebenen 1 bis 6 wird vollflächig ein Kathodischer Korrosionsschutz mit Carbonbeton appliziert. 1. Einführung Bei dem Bauwerk handelt es sich um ein Parkhaus mit neun Parkebenen bestehend aus einem Untergeschoss, dem Erdgeschoss, sechs Obergeschossen und einem Freideck. Die Parkebenen 1 bis 6 sowie das Freideck dienen als öffentliche Parkfläche. Das Erdsowie die Untergeschosse sind fremdverwaltet. Im Erdgeschoss befindet sich eine Gastronomie, ein Bowlingcenter und Bürosowie Lagerräume. Abb. 1: Außenansicht Hofdienergarage Das Parkhaus ist in einer Stahlbetonskelettbauweise erbaut worden. Die Fahrbahn-, Park- und Spindelflächen der Ebenen 1 bis 6 sind mit einem rissüberbrückenden Oberflächenschutz beschichtet. Die aufgehenden Bauteile tragen bis in eine Höhe von ca. 50 cm ebenfalls einen Oberflächenschutz. Die Müller + Braun Ingenieure wurden im Jahr 2020 beauftragt, eine Bauwerksdiagnose durchzuführen und ein Instandsetzungskonzept zu erarbeiten. Die Planung folgte im Anschluss im Jahr 2021. Die Ausführung der Maßnahme ist in vier Bauabschnitte geteilt und hält von 2022 bis 2025 an. 2. KKS-Carbonbeton-Instandsetzung 2.1 Bauwerk und Konstruktion Das Bauwerk wurde in den 70er Jahren erbaut. Das Bauwerksalter beträgt zum Zeitpunkt der Sanierung ca. 50 Jahre. Die Grundrissabmessung des Parkhauses beträgt ca. 54 m x 47 m. Die Nutzfläche einer Parkebene beträgt ca. 2.115 m² und ergibt sich aus 93 im Bestand gekennzeichneten Stellplätzen, Aufsowie Abfahrtsrampen, einer E-förmigen Verkehrsfläche. In den Parkebenen 1 bis 6 stehen ca. 558 Stellplätze zur Verfügung. Die Gesamtnutzfläche beträgt ca. 12.700 m². Im gesamten Parkhaus stehen ca. 795 Stellplätze zur Verfügung. Das Parkhaus ist in einer Stahlbetonskelettbauweise aus Rundstützen, Wänden und Platten aus Ortbeton erbaut. Die Zwischendeckenplatten sind planmäßig ohne Fugen ausgebildet. Der aussteifende Treppenhaus- und Aufzugsschachtkern sitzt mittig, angrenzend zur Ein- und Ausfahrtsrampenspindel. Der Lastabtrag der einzelnen Ebenen erfolgt über Platten mit linearer Voutenausbildung zur Stützenreihe hin, den monolithisch an die Platten verbundenen Rundstützen, angrenzenden Wänden des Treppenhauses und der Rampenspindel. Die Stützen weisen einen Rasterabstand von ca. 7,15 m bis 8,35 m auf. An den Randbereichen der Zwischendecke kragen die Platte ca. 3,50 m weit aus. 466 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 KKS-Carbonbeton in der Praxis aus Sicht des Sachkundigen Planers - Praxisbeispiel Hofdienergarage Stuttgart 2.2 Anlass, Vorgeschichte und auftraggeberseitige Vorgaben Anlass für die Voruntersuchung des Parkhauses, die Ermittlung des Instandsetzungsbedarfs und die Erarbeitung eines Instandsetzungskonzepts sind sichtbare Schädigungen an einzelnen Bauteilen. Insbesondere Risse und Erhebungen in der Beschichtung, Hohllagen und Korrosionsspuren wurden durch den Auftraggeber erkannt. Abb. 2: Aufwölbungen und Hohllagen Bodenfläche Die Instandsetzungsplanung umfasst die Betrachtung und Bearbeitung der Parkebenen 1 bis 6. Aus den Planunterlagen und den Untersuchungsergebnissen ist hervorgegangen, dass in der Vergangenheit bereits eine Sanierung der Parkebenen stattgefunden hat. Die Müller + Braun Ingenieure wurden vor Auftragserteilung darauf hingewiesen, dass die Instandsetzung am Objekt zumindest in Parkebene 1 auf Grund der Nutzung des Zwischen- und Erdgeschosses durch Gastronomie, Bowlingcenter und Bürosowie Lagerräume mittels Höchstdruckwasserstrahlen nicht umsetzbar ist. Auch das Durchstützen der Zwischendecke bis auf die Fundamente ist nicht möglich. Abb. 3: Außenansicht Erdgeschoss Hofdienergarage 2.3 Instandsetzungskonzept Der Schädigungsgrad des Oberflächenschutzsystems ist durch die Betonabplatzungen, Hohllagen und Rissbildungen im System so hoch, dass die Wirksamkeit des Systems, Schadstoffe vom Beton fern zu halten, nicht mehr gegeben ist. Mit der gewonnenen Erkenntnis, dass trotz appliziertem Oberflächenschutz die Chloridkonzentrationen im Konstruktionsbeton bis zu ca. 4 Massenprozent, bezogen auf den Zementgehalt betragen und der vorgenannten auftraggeberseitigen Vorgabe kein Höchstdruckwasserstrahlen zu verwenden, konnte die Variante einer klassischen Betoninstandsetzung u.a. mittels Betonaustausch nicht verfolgt werden. Für die Wiederherstellung des Korrosionsschutzes der noch vorhandenen Bewehrung im chloridhaltigen Beton der Zwischendecken, Rampen sowie der Stützen- und Wandsockel wurde eine Instandsetzung mittels kathodischen Korrosionsschutz (KKS) empfohlen. Die Instandsetzung beruht auf dem Verfahren 10.1 -Anlegen eines elektrischen Potentialsnach der TR-Instandhaltung oder DIN EN 1504. Bei der Instandsetzung mit einem KKS wird ein Anodensystem auf den zu schützenden Bauteilen installiert. Durch die Einspeisung eines Schutzstroms wird die Bewehrung kathodisch polarisiert und laufende Korrosionsprozesse werden gestoppt. Nach Instandsetzungsrichtlinie ist ein Schutz vor eindringenden Schadstoffen bei dem Betreiben eines KKS-Systems dann nicht mehr erforderlich, da der Korrosionsschutz des Bewehrungsstahls durch den Schutzstrom sichergestellt wird. Probeöffnungen auf der Bodenfläche zeigten Querschnittsreduzierungen der Zwischendeckenbewehrung. Abb. 4: Geöffnete Hohllage; Querschnittsverlust der Bewehrung Für die Wiederherstellung des vorhandenen Bewehrungsgrades muss eine Tragwerksertüchtigung berücksichtigt werden, um den Soll-Bewehrungszustand wiederherzustellen. Im Zuge des Instandsetzungskonzeptes wurde für den Ersatz der Querschnittsverluste eine Ertüchtigung mittels flächig verlegtem Carbongewebe, das gleichzeitig als Anode für das KKS dient, in Betracht gezogen. 2.4 Planung Mit den Empfehlungen aus dem Instandsetzungskonzept wurde die Planung der Betoninstandsetzung der Parkebenen 1 bis 6 mit dem Prinzip 10, dem kathodischen Korrosionsschutz, unter Verwendung eines Carbongewebes als Anodensystem begonnen. 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 467 KKS-Carbonbeton in der Praxis aus Sicht des Sachkundigen Planers - Praxisbeispiel Hofdienergarage Stuttgart Zur Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit und damit verbunden auch zur Sicherstellung der Standsicherheit, muss der Korrosionsschutz der Bewehrung an den tragenden und statisch relevanten Bauteilen, wie den Zwischendecken, Stützen und Wänden, dauerhaft wiederhergestellt werden. Die Restnutzungsdauer ist mit 25 Jahren angesetzt. Zur Wiederherstellung der zum Bebauungszeitpunkt angesetzten Tragfähigkeit, muss der bereits fehlende Bewehrungsquerschnitt durch geeignete Maßnahmen ersetzt werden, sodass der Mindest-Soll-Zustand des Bewehrungsgrades wieder erreicht wird. Dieses Ziel wird durch den Einbau von bauaufsichtlich zugelassener Glasfaserbewehrung erreicht. Die Wahl der Glasfaser-bewehrung beruht auf dem Grundsatz, dass für diese Art der Instandsetzung keine Zustimmung im Einzelfall der Gebäudestatik benötigt wird. Ob das Tragwerk einer Nachrechnung mit heutigen Sicherheiten standgehalten hätte, wurde nicht weiter geprüft. Die Verfahrensfreiheit der Sanierungsmaßnahme wurde seitens des Baurechtsamts der Landeshauptstadt Stuttgart bestätigt. Das für die Anode des KKS zur Verwendung kommende Carbongewebe trägt demnach zumindest aus baurechtlicher Sicht nicht zur Tragwerksertüchtigung bei, bringt jedoch den Effekt der flächigen Rissüberbrückung und -begrenzung mit. Insbesondere notwendig infolge der fugenlosen Ausführung. Durch die Reduzierung von Rissen im Konstruktionsbeton, die sich bis an die Bauteiloberfläche ausbilden, wird gleichermaßen der zukünftige Chlorideintrag in tiefere Lagen des Bauteils reduziert und verhindert, ohne einen wirksamen Oberflächenschutz zu benötigen. In Baden-Württemberg ist die Maßnahme Hofdienergarage Stuttgart mit KKS-Carbonbeton die erste, zu der ein Antrag zur Zustimmung im Einzelfall gestellt wurde. Neben den gängigen Material-nachweisen der Einbettmörtel, sind Leitfähigkeits- und Dauerhaftigkeitsnachweise der Carbongewebe mit Styrol-Butadien-Tränkung erforderlich. Zur optischen Gestaltung wird der flächig verbaute Einbettmörtel in Parkebene 2 bis 6 mit einem Oberflächenschutzsystem 8 überarbeitet. Aufgrund der höherwertigen Nutzung des Erd- und Zwischengeschosses, ist auf der Bodenfläche der Parkebene 1 eine Abdichtung erforderlich und geplant. 2.5 Ausführung Die Instandsetzung soll in vier Bauabschnitten in den Jahren 2022 bis 2025 ebenenweise erfolgen. Des Weiteren ist die Instandsetzung während des laufenden Parkbetriebs der übrigen Parkebenen durchzuführen. Die Instandsetzung soll ohne Nutzungseinschränkungen des Unter-, Zwischen- und Erdgeschoss durchgeführt werden. Einschränkungen im Zu- und Abgangsverkehr für Personen und Fahrzeuge sind zu vermeiden. Zur Instandsetzung einer Parkebene sind im Wesentlichen folgende Arbeiten vorgesehen. Die Beschichtung der aufgehenden Bauteile und Bodenfläche wird durch Fräsen entfernt. Die Betonrandzone wird in einer Stärke von 10 mm durch planmäßig zwei Fräsgänge abgetragen. Für die nachfolgenden KKS Arbeiten erfolgen begleitend Betonüberdeckungs- und Potentialfeldmessungen auf den Boden- und Sockelflächen. An den vorhandenen Schadstellen erfolgen allgemeine, klassische Betoninstandsetzungsarbeiten. Der Untergrund der Stützen, Wandsockel und Bodenfläche wird durch Kugelstrahlen sowie durch Strahlen mit festem Strahlmittel vorbereitet. Die KKS-Installationsarbeiten, wie Kabelverlegungen, Einbau der Sensorik, etc. erfolgen vor dem Einbau der Carbongewebe im Laminierverfahren, gemeinsam mit dem KKS-Einbettmörtel. Abb. 5: KKS-Carbongewebe Einbettung Nach Fertigstellung der Bodenfläche, erfolgen die KKS Installationen an den Stützen- und Wandsockel inkl. Titanbandanoden und Spritz-Einbettmörtel. Im Nachgang erhalten die Stützen auf der gesamten Höhe sowie die Wandsockel eine mineralische Kratz- und Ausgleichsspachtelung. Die Stützen oberhalb der Sockelflächen werden mit einem Oberflächenschutz-system 4 versehen. Die übrigen Wand- und Decken-flächen erhalten einen Renovierungsanstrich. Die Bodenfläche und Sockel der aufgehenden Bauteile werden in Parkebene 1 mit einer Abdichtung nach DIN 18532 (vliesarmierte Flüssigkunststoffabdichtung) und in Parkebene 2 bis 6 mit einem Oberflächenschutz-system 8 versehen. Gestalterische Markierungsmaßnahmen schließen die Arbeiten einer Parkebene ab. Abb. 6: Endzustand Parkebene 1 468 8. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2023 KKS-Carbonbeton in der Praxis aus Sicht des Sachkundigen Planers - Praxisbeispiel Hofdienergarage Stuttgart Literatur [1] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) | Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen [2] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) | Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung: 2020-05) [3] DIN 1045 | Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton [4] DIN EN 1504 | Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken [5] DIN EN 1990 | Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung [6] DINEN1992-1-1|Eurocode2: BemessungundKonstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau [7] DIN 18349 | Betonerhaltungsarbeiten [8] DIN 18532 | Abdichtung von befahrbaren Verkehrsflächen aus Beton [9] DIN EN ISO 12696 | Kathodischer Korrosionsschutz von Stahl in Beton