eJournals Kolloquium Erhaltung von Bauwerken 9/1

Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
kevb
expert Verlag Tübingen
0225
2025
91

Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes

0225
2025
Marc Gutermann
Thomas Peiser
Bei dem untersuchten Gebäude handelt es sich um ein ehemaliges Karstadt-Gebäude in der Innenstadt von Neumünster (Schleswig-Holstein). Nach der Gebäudeentkernung, der Schadstoffsanierung und sowie der Durchführung von Teilabbrüchen wurde im Zuge der Bauzustandsermittlung eine schlechte Gebäudesubstanz im Sinne der Standsicherheit, der Gebrauchstauglichkeit sowie der Dauerhaftigkeit vorgefunden. Das Gebäude wurde in drei Bauabschnitten aus den 1950er, den 1960er und den 1970er Jahren errichtet. Insbesondere nach der Entnahme von Bohrkernen und Prüfung der Druckfestigkeit wurde in Teilen eine unzureichende Betonfestigkeit festgestellt. Für den 2. Bauabschnitt (1960er Jahre) lagen außer Schalplänen keine weiteren Unterlagen zur Bewehrung und der konstruktiven Durchbildung des Stahlbetonskeletttragwerks vor. Auf dieser Grundlage war ein rechnerischer Nachweis der Bestandstragwerke nur eingeschränkt möglich. Als Alternative zu Abriss und Neubau wurden stichprobenartig Belastungsversuche an ausgewählten Massivbauteilen durchgeführt, um die Bauphase zu verkürzen, Ressourcen zu schonen und die Baukosten zu reduzieren. Es bestand die Vermutung, dass die Stahlbetonkonstruktion erhebliche Tragreserven besitzt, die durch zerstörungsarme Belastungsversuche (Nutzlasten zzgl. Sicherheitsanteile) überprüft und nachgewiesen werden können.
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9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 49 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Experimentelle Tragsicherheitsbewertung von Stahlbetonstützen und -decken aus drei Dekaden Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann Institut für Experimentelle Statik, Hochschule Bremen Dipl.-Ing. Tomas Peiser Sibet Betontechnologie GmbH, Stelle Zusammenfassung Bei dem untersuchten Gebäude handelt es sich um ein ehemaliges Karstadt-Gebäude in der Innenstadt von Neumünster (Schleswig-Holstein). Nach der Gebäudeentkernung, der Schadstoffsanierung und sowie der Durchführung von Teilabbrüchen wurde im Zuge der Bauzustandsermittlung eine schlechte Gebäudesubstanz im Sinne der Standsicherheit, der Gebrauchstauglichkeit sowie der Dauerhaftigkeit vorgefunden. Das Gebäude wurde in drei Bauabschnitten aus den 1950er, den 1960er und den 1970er Jahren errichtet. Insbesondere nach der Entnahme von Bohrkernen und Prüfung der Druckfestigkeit wurde in Teilen eine unzureichende Betonfestigkeit festgestellt. Für den 2. Bauabschnitt (1960er Jahre) lagen außer Schalplänen keine weiteren Unterlagen zur Bewehrung und der konstruktiven Durchbildung des Stahlbetonskeletttragwerks vor. Auf dieser Grundlage war ein rechnerischer Nachweis der Bestandstragwerke nur eingeschränkt möglich. Als Alternative zu Abriss und Neubau wurden stichprobenartig Belastungsversuche an ausgewählten Massivbauteilen durchgeführt, um die Bauphase zu verkürzen, Ressourcen zu schonen und die Baukosten zu reduzieren. Es bestand die Vermutung, dass die Stahlbetonkonstruktion erhebliche Tragreserven besitzt, die durch zerstörungsarme Belastungsversuche (Nutzlasten zzgl. Sicherheitsanteile) überprüft und nachgewiesen werden können. 1. Einführung Der Gebäudekomplex liegt in zentraler Lage von Neumünster und wurde als Karstadt-Warenhaus genutzt. Nach der Geschäftsaufgabe Ende Oktober 2020 erwarb die Sparkasse Südholstein die Immobilie, um die Flächen von insgesamt 9.000 m² zu einer neuen Zentrale für sich und für die Stadtbücherei umzubauen. Gastronomie wird ebenfalls einziehen. Die umfangreichen Sanierungsarbeiten dauern weiterhin an, im April 2024 wurde Richtfest gefeiert, bezogen werden die Flächen voraussichtlich im Jahr 2025. Die Umsetzung dieser Baumaßnahme startete mit einer Entkernung aller Flächen, so dass die Stahlbeton-Skelettbauweise aus drei Dekaden untersucht und bewertet werden konnte. Anschließend sollte unter Beachtung der neuen Nutzung entschieden werden, wie möglichst viel Bausubstanz erhalten werden kann. Ein Abriss und Neubau von Teilbereichen sollte nur als letzte Option gewählt werden. 2. Bauwerksbeschreibung 2.1 Planungsgrundlage Das ehemalige Kauf haus wurde in den 1950er bis 1970er Jahren in 3 Bauabschnitten errichtet. Insgesamt hat das Gebäude eine maximale seitliche Abmessung von ca. 80 x 80 m. Der erste Bauabschnitt (BA-1, Abb. 1) wurde 1951 zunächst mit einem Keller, Erdgeschoss, 1. und 2.-OG errichtet und wurde später um ein 3.-Obergeschoss (Vollgeschoss) und ein eingerücktes Staffelgeschoss in Stahlleichtbauweise (4.- Obergeschoss) aufgestockt. Es besteht aus massiven Stahlbetondecken, Stahlbetonunterzügen und Stahlbetonstützen. Die Aussteifung erfolgt über ein Rahmentragsystem welches aus den Stützen und Unterzügen gebildet wird. Abb. 1: Die 3 Bauabschnitte aus den 50er, 60er und 70er-Jahren 50 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Der zweite Bauabschnitt (BA-2, Abb. 1) grenzt an den 1. Bauabschnitt an und wurde 1962 als 3-geschossiges Gebäude errichtet. Dieser Gebäudeteil besteht aus einem Kellergeschoss sowie Erdbis 2.-Obergeschoss. Die Bauweise entspricht in etwa der Konstruktion des 1. Bauabschnittes. Im Jahr 1976 folgte der 3. Bauabschnitt (BA-3, Abb. 1), der auf 4 Geschossen ohne Keller ebenfalls aus massiven Stahlbetondecken auf Unterzügen und Stahlbetonstützen besteht. Die Aussteifung des 3.-Bauabschnittes erfolgte über zwei Treppenhauskerne, die aus Stahlbetonwänden bestehen. Alle Bauabschnitte sind durch Gebäudefugen voneinander getrennt. Somit ist jedes Gebäude für sich ausgesteift und tragfähig. Als Warenhaus waren alle Flächen für eine Verkehrslast von q = 5,0 kN/ m² geplant, so dass eine Umnutzung zu Büroflächen ohne Probleme möglich war. Lediglich auf der Dachebene musste wegen Zusatzlasten aus einer Begrünung die Umnutzung gesondert überprüft werden. 2.2 Beurteilung des Ist-Zustandes des Bauwerkes Die Ergebnisse der Ist-Zustandserfassung auf Grundlage der „TR Instandhaltung“ [4] zeigten (Tab. 1, Tab. 2 und Tab. 3), • starke Schwankungen und teilweise sehr geringe Betondruckfestigkeiten, insbesondere im BA 1 • eine ausreichende Betonüberdeckung der Bewehrung • eine fortgeschrittene Karbonatisierung bis über die Bewehrungslage hinaus • vernachlässigbare Chloridgehalte (< 0,5 M.-%) • geringe (karbonatisierungsinduzierte) Korrosion an glattem Stahl im BA 1 Während die Sicherstellung des Mindest-Sollzustandes über die angestrebte Restnutzungsdauer durch typische Instandsetzungsmaßnahmen umsetzbar erschienen und verdeckte Ausführungsmängel im Wesentlichen in Form von Kiesnestern, freiliegende Betonstählen an Deckenunterseiten und Einzelrissen im Bereich von Arbeitsfugen, zu beheben waren, bereiteten vor allem die geringen Betondruckfestigkeiten im Bauabschnitt 1 größere Probleme (Tab. 1). Das Sachverständigenbüro Sibet GmbH wurde im Rahmen der Erstellung des Instandsetzungskonzeptes und der Instandsetzungsplanung beauftragt, eine erweiterte Bauteilprüfungen zu den vergleichbaren Betondruckfestigkeitsklassen aller Bauabschnitte durchzuführen. Zur Ermittlung vergleichbaren Betondruckfestigkeiten nach DIN EN 13791/ 2017 bzw. DIN EN 13791/ 2022 einzelner Bauteilgruppen wurden bei den drei Bauabschnitten insgesamt ca. 300 Bohrkerne aus Fundamenten, Wänden, Stützen, Unterzügen sowie Decken im Nassbohrverfahren entnommen. Für den Bauabschnitt 1 aus den 50er-Jahren ergab sich aus den vorliegenden Bestandsunterlagen, dass alle Bauteile mit einem Beton der Güte B225 hergestellt werden sollten. Grundlage der damaligen Planung und Herstellung waren die Bestimmungen des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton sowie die DIN 1045 aus dem Jahr 1943. Diesbezüglich galt es im Sinne der Gebäudeumnutzung ohne Veränderung der Verkehrslasten, diese Betongüte nachzuweisen. Tab. 1: Ergebnisse der Bohrkernuntersuchungen (BA1) Bauteilgruppe Betongüte nach DIN EN 13791/ 2017 Betongüte nach DIN EN 13791/ 2022 Decke über 3. OG C16/ 20 C16/ 20 3. OG Stützen C8/ 10 C12/ 15 Decke über 2. OG C16/ 20 C16/ 20 2. OG Stützen -/ - C8/ 10 Decke über 1. OG C12/ 15 C16/ 20 1. OG Stützen C12/ 15 C16/ 20 Decke über EG C16/ 20 C16/ 20 EG Stützen -/ - C8/ 10 Decke über UG C16/ 20 C16/ 20 UG Stützen -/ - C8/ 10 UG Außenwände -/ - C20/ 25 Fundamente C16/ 20 C20/ 25 Für den Bauabschnitt 3 aus den 70er-Jahren musste die Betongüte BN250 beziehungsweise BN350 bestätigt werden. Grundlage der damaligen Planung und Herstellung waren die Bestimmungen der DIN 1045 aus dem Jahr 1972. Tab. 2: Ergebnisse der Bohrkernuntersuchungen (BA3) Bauteilgruppe Betongüte nach DIN EN 13791/ 2017 Betongüte nach DIN EN 13791/ 2022 Decke über 2. OG C30/ 37 C30/ 37 Unterzüge 2. OG C30/ 37 C25/ 30 2. OG Stützen C25/ 30 C25/ 30 Decke über 1. OG C30/ 37 C30/ 37 Unterzüge 1. OG C25/ 30 C30/ 37 1. OG Stützen C25/ 30 C16/ 20 Decke über EG C30/ 37 C25/ 30 Unterzüge EG C25/ 30 C25/ 30 EG Stützen C30/ 37 C25/ 30 Wände Treppenh. C25/ 30 C25/ 30 Stützenfundamente C50/ 60 C40/ 50 Für Bauabschnitt 2 aus den 60er Jahren lagen keine Bestandsunterlagen hinsichtlich einer nachzuweisenden Betongüte vor. Diesbezüglich galt es durch die Bildung und Beprobung von Bauteilgruppen einzelne Bauteile mit schwacher Betongüte zu identifizieren und diese hinsicht- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 51 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes lich Ihrer zukünftigen Belastung in weitere Untersuchungen zu überführen. Tab. 3: Ergebnisse der Bohrkernuntersuchungen (BA2) Bauteilgruppe Betongüte nach DIN EN 13791/ 2017 Betongüte nach DIN EN 13791/ 2022 Decke über 2. OG C25/ 30 C12/ 15 2. OG Stützen C16/ 20 C16/ 20 Decke über 1. OG C20/ 25 C16/ 20 1. OG Stützen C16/ 20 C16/ 20 Decke über EG C20/ 25 C16/ 20 EG Stützen C20/ 25 C20/ 25 Decke über UG C20/ 25 C20/ 25 UG Stützen C25/ 30 C20/ 25 UG Außenwände C25/ 30 C25/ 30 Fundamente C35/ 45 C30/ 37 Insbesondere aufgrund der Unterschreitungen der Mindestbetonfestigkeiten im Bauabschnitt 1 konnten die für die Umbaumaßnahme erforderlichen rechnerischen Tragsicherheitsnachweise nicht vollumfänglich geführt werden. Da in Teilen auch zusätzlich erhöhte Lasten aufgrund von Nutzungsänderungen zu erwarten waren, und statistische Ausreißer in der Grundgesamtheit der Werte im Bauabschnitt 3 vorhanden waren, wurden weitere Untersuchungen erforderlich. Selbiges galt für den Bauabschnitt 2. Da es sich bei allen Bauabschnitten um insgesamt mehr als 350 Stützen, 630 Unterzüge, 9.000 m² Deckenfelder und über 3.500 m² Wandflächen handelt, galt es, im Vorwege ein Modell zu erzeugen, jedes Bauteil mit einem alphanummerischen Code zu versehen und Bauteilgruppen zu bilden (Abb. 2). Abb. 2: Nordwestansichten der Bauabschnitte Um eine geeignete Datenbasis in Hinblick auf weiterführende Maßnahmen, wie z. B. Probebelastung einzelner Bauteile zu erhalten, erfolgte eine zusammenfassende Darstellung von Druckfestigkeiten und Probenentnahmestelle in Grundrissen der einzelnen Tragwerksebenen (beispielhaft Abb. 3) sowie eine Aufstellung von Druckfestigkeiten und Auslastungsgrad einzelner Bauteile (beispielhaft Tab. 4). Wenn der Nachweis der Bestandstragwerke durch weitere Untersuchungen rechnerisch erbracht werden konnte, wurden die Betontragwerke nach der „TR Instandhaltung“ [4] instandgesetzt (Abb. 4). Abb. 3: Ergebnisse der Betonfestigkeiten, hier: Stützen im EG 52 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Tab. 4: Vorauswahl der Stützen anhand Widerstand (Betonfestigkeit) und Ausnutzungsgrad Stütze Widerstand f ck [N/ mm²] Auslastung UG innen 12,1 0,35 EG innen (S2) 11,1 0,40 innen (S1) 13,6 0,23 innen (S3) 12,9 0,27 innen (BK27) 14,5 0,18 außen (S5) 8,6 0,32 außen (S6) 12,1 0,23 außen (S7) 13,2 0,21 1. OG außen (S4) 12,5 0,12 2. OG innen (S1) 15,3 0,14 Abb. 4: Vorbereitete Stützen zur Instandsetzung 3. Experimentelle Tragsicherheitsbewertung 3.1 Erfolgsaussichten Experimentelle Verfahren kommen dann zum Einsatz, wenn alle anderen Ansätze nicht möglich oder zuvor gescheitert sind [1]: 1. Abschätzung der Tragsicherheit, z. B. aufgrund vorhandener Unterlagen oder Untersuchungen 2. Überschlägige Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit einfachen Berechnungsmodellen 3. Genaue Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit komplexen FE-Berechnungsansätzen und modellen 4. Messwertgestützte Ermittlung der Tragsicherheit Experimentelle Methoden (Punkt 4) bewerten den aktuellen Tragwerkszustand inklusive aller realen Randbedingungen, sodass Unsicherheiten wegfallen und die Lasten deutlich über das rechnerisch nachgewiesene Lastniveau gesteigert werden können (Abb. 5). Bei einer Tragsicherheitsbewertung wird der Nachweis ausreichender Tragsicherheit direkt durch Belastungsversuche erbracht. Dies bedeutet, dass das Tragwerk oberhalb der Gebrauchslast belastet wird, also inkl. dem Ansatz von Teilsicherheitsbeiwerten. Weil das Tragverhalten bis zur Versuchsziellast analysiert werden kann, deckt es ggf. auch nichtlineares Verformungsverhalten auf. Der Aufwand für Belastungs- und Messtechnik ist groß. Die Versuchslasten müssen regelbar und selbstsichernd die Beanspruchungen im Tragwerk simulieren, die es nach Normung widerstehen können muss, ohne die Gebrauchstauglichkeit oder Dauerhaftigkeit negativ zu beeinflussen. Dazu ist das Bauteil zuvor mit der dafür notwendigen Belastungs- und Messtechnik auszustatten. Abb. 5: Statistische Auswertung der erreichten mittleren Nutzlasterhöhungen (100 % = rechnerische Prognose) Das Potenzial von Probebelastungen im Vergleich zur rechnerischen Bewertung ist jedoch groß: aus unseren langjährigen Erfahrungen betragen die Zuwächse der nachweisbaren Nutzlast bei Stahlbetontragwerken mindestens 30 - 50 % (Abb. 5) und können in Ausnahme-fällen auch über 100 % liegen. Die experimentelle Tragsicherheitsbewertung ergänzt den allgemeinen rechnerischen Nachweis der Standsicherheit und wird nach unserer Erfahrung sowohl von den Prüfingenieuren als auch der Bauaufsicht der Länder akzeptiert. Manchmal wurde eine Zulassung im Einzelfall verlangt, es ist daher sinnvoll, alle Beteiligten schon im Planungsprozess zu involvieren. Die grundsätzliche Eignung und Zulässigkeit des die Rechnung begleitenden experimentellen Tragfähigkeitsnachweises auf der Grundlage der Regelungen der DAfStb-Richtlinie [2] wurde auch von der Fachkommission „Bautechnik“ der ARGEBAU bestätigt [3]. Bei allen experimentellen Nachweisformaten gelten die gleichen Gültigkeitsbeschränkungen wie bei der Aufstellungsstatik eines Neubaus. Sie sind so lange gültig, bis sich die Nutzung verändert oder wiederkehrende Bauwerksprüfungen Anlass für weitere Untersuchungen geben. Für Bauwerke mit Korrosionsproblemen bietet es sich daher an, KKS oder andere geeignete Verfahren einzusetzen, um den getesteten Zustand für den Restnutzungszeitraum einzufrieren [5]. 3.2 Untersuchungsumfang Belastungsversuche werden an einer Stichprobe geführt. Die „Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken“ [2] sieht hierfür das Konzept eines zusätzlichen Teilsicherheitsbeiwerts für die Übertragungsunsicherheit vor. Aufgrund der bekannten sehr unterschiedlichen Be- 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 53 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes standsqualität wurde zusätzlich dazu eine Auswahl getroffen, unter Berücksichtigung von: • schlechter Betondruckfestigkeit • höchstem Ausnutzungsgrad • Zugänglichkeit der Stützen (z. B. Randstützen) • technischer Versuchsgrenzlast (1.250 kN) Nach dem gleichen Prinzip wurde auch die Stichprobe der Deckenfelder ausgewählt, wobei hier zudem darauf geachtet wurde, statisch ungünstige Systeme (Endfelder) und Bereiche mit geringen Auf bauhöhen (ohne Estrich) zu wählen. Insgesamt wurden in allen Bauabschnitten 5 Decken-felder, 3 Unterzüge und 9 Stützen getestet (Tab. 5). Tab. 5: Untersuchte Bauteile in den 3 Bauabschnitten Bauteil 50er Jahre (BA 1) 60er Jahre (BA 2) 70er Jahre (BA 3) Decke ü. EG ü. EG ü. EG ü. 1.OG ü. 2.OG keine Unterzüge keine ü. 2.OG ü. 1. OG ü. EG keine Stützen 1. OG [S4] EG [S2] EG [S5] EG [S6] EG [S1] EG [S7] 1. OG [S1] 1. OG [S7] 2. OG [S2] 3.3 Belastungsversuche an Stützen Die Versuchslasten für die Untersuchung der Stützenerfolgte wurde mit hydraulischen Pressen erzeugt, welche die Last auflagernah über die massiven Unterzüge oberhalb des Stützenkopfes einleiteten. Im Geschoss unterhalb der Stütze wurde die Last ebenfalls über die gevouteten Unterzüge auflagernah rückverankert (Abb. 6). So war der Kräftekreislauf geschlossen und nur die zu testende Stütze wurde belastet. Parallel waren alle vier Seiten der Stützen so mit Weg- und Schallemissionsmessung ausgestattet (Abb. 6, Abb. 7 und Abb. 8), dass der Zustand über die gesamte Bauteilhöhe in Echtzeit überwacht werden konnte. Aus der Schallemissionsmessung (Abb. 9) und den Kraft- Reaktions-Kurven (Abb. 10) ließ sich entnehmen, dass • ein vorwiegend linear-elastisches Last-Stauchungsverhalten vorlag (Abb. 10). Nichtlineares Verhalten zeigte sich erst oberhalb der Gebrauchslast und war hauptsächlich auf Gefügeveränderungen im Beton zurückzuführen. Anschließende Wiederholungsmessungen unter Gebrauchslast zeigten jedoch einen reproduzierbaren und reversiblen Kurvenverlauf. • unter Gebrauchslast (p = 1,0 + 3,0 = 4,0 kN/ m²) die Lasten auch unter längerer Standzeit (t > 15 min) verformungskonstant abgetragen wurden. • die gemessenen Stauchungen vorwiegend unter den prognostizierten Stauchungen gelegen haben. Nur bei einzelnen Stützen mit wesentlichen Fehlstellen (Stütze S4) wurden doppelt so große Werte erreicht. • der nachgewiesene Bauteilwiderstand ausreichte, um die gewünschte Nutzung (s. o.) der Stützen umzusetzen. • nur vereinzelt hochenergetische Signale mit kurzer Dauer auf eine beginnende Gefügeveränderung schließen ließen (Abb. 9). Abb. 6: Belastungs- und Messtechnik: Stützentest 54 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Abb. 7: Stützentest in der Außenfassade (BA 1) Abb. 8: Stützentest (BA 3) Abb. 9: Auszug aus den Protokollen der Schallemissionsanalyse Abb. 10: Last-Stauchungskurve einer Stütze (BA 1) 3.4 Belastungsversuche an Decken Die Erzeugung der Versuchslasten für die Decken erfolgte mit dem gleichen Prinzip wie bei den Stützen, bestehend aus hydraulischen Pressen und Belastungsrahmen zum Schließen des Kräftekreislaufes. Jetzt waren jedoch etwas aufwändigere Konstruktionen aus Stahlträgern notwendig, die beliebig zu Fachwerken auf die jeweilige Situation angepasst werden können (Abb. 11). Die Rahmen wurden im 1. Obergeschoss aufgebaut und an den Unterzügen rückverankert. Die Versuchslasten wurden mittels Lastverteilungsträgern durch Teilflächen auf den Decken eingeleitet, so dass im Bauteil die Beanspruchungen (Biegemomente / Querkräfte) erzeugt werden konnten, die für den Nachweis notwendig waren. 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 55 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes Abb. 11: Belastungsprinzip Deckentest im BA 2 Der Bauteilzustand wurde während der Belastung durch Messtechnik überwacht: Durchbiegungen, Biege-dehnungen und Schallemission. Aus den Kraft-Reaktions- Kurven (Abb. 13) ließ sich entnehmen, dass • die Deckenplatten vorwiegend linear-elastisches Last- Durchbiegungsverhalten aufwiesen (Abb. 13) und nur sehr geringe bleibende Verformungen auftraten. Anschließende Wiederholungsmessungen unter Gebrauchslast zeigten jedoch einen reproduzierbaren und reversiblen Kurvenverlauf • unter Gebrauchslast (p = 1,0 + 3,0 = 4,0 kN/ m²) die Durchbiegung der Deckenplatten (Decke über EG und 1.OG: f Q ≤ 2,0 mm; Dachdecke: f Q ≤ 1,6 mm) betragen hat und somit das Gebrauchstauglichkeits-kriterium der maximalen Verformung f Q < l / 250 eingehalten worden ist. • der nachgewiesene Bauteilwiderstand ausreicht, um die gewünschte Nutzung (s. o.) umzusetzen. Abb. 12: Deckentest im BA 2. Oben: Lasteinleitung; unten: rückverankerte Belastungsrahmen Abb. 13: Last-Verformungskurve einer Decke (BA 2) 4. Zusammenfassung Für den Nachweis der ausreichenden Tragsicherheit der Stahlbetonstützen- und -decken wurden an dem ehemaligen Karstadt in Neumünster umfangreiche Voranalysen der Bauteile (Zustand und Materialfestigkeiten) durchgeführt. Sofern der Tragfähigkeitsnacheis auf dieser Grundlage erbracht werden konnte, wurden die Betontragwerke konventionell instandgesetzt. Alle anderen Bauteile wurden zur Auswahl einer Stichprobe geclustert und durch Belastungsversuche an den Bauteilen mit den ungünstigsten Randbedingungen nachgewiesen. Mit diesem Gesamtkonzept konnte ein Großteil der Bestandstragwerke (Stahlbetonstützen, -decken und unterzüge) erhalten, und somit Ressourcen, graue Energie und CO 2 - Emissionen eingespart werden. 56 9. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Februar 2025 Revitalisierung eines ehemaligen Karstadt-Gebäudes 5. Ausblick Experimentell gestützte Nachweise loten die Tragwerksreserven bestehender Bauwerke aus und können selbst dann ein erfolgsversprechender Lösungsansatz sein, wenn umfangreiche rechnerische Analysen unbefriedigende Ergebnisse erzielt haben. Voranschreitender Computerhörigkeit trotzend bieten sie eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu Abriss und Neubau und leisten einen wichtigen Beitrag, um Baukultur zu bewahren. Grundlage dazu ist eine umfassende Bestandsaufnahme und -bewertung, auf der die weiteren Maßnahmen zur Bestandserhaltung getroffen werden können. 6. Danksagung Ein herzlicher Dank gilt allen Projektbeteiligen, die mit ihrem Engagement und der konstruktiven Zusammenarbeit wesentlich zum Gelingen der komplexen Aufgaben beigetragen haben. Besonderer Dank gilt allen Auftraggebern, die unseren Prognosen und Erfahrungswerten vertraut und die Einsätze beauftragt haben. Wir hoffen, dass auch weiterhin die Restnutzungsdauer bei vielen Bauwerke durch experimentelle Untersuchungen verlängert werden kann. Literatur [1] Bolle, G.; Schacht, G.; Marx, S.: Geschichtliche Entwicklung und aktuelle Praxis der Probebelastung, Teil 1 und 2. Bautechnik 87 (2010) 11|12, S. 700-707|784-789 [2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken. Berlin: Beuth, Juli 2020 [3] Manleitner et al.: Belastungsversuche an Betonbauwerken. In: Beton- und Stahlbetonbau 96, 2011, Heft 7, S. 489 [4] Deutsches Institut für Bautechnik: Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung)“, Ausgabe: 05/ 2020 [5] Gutermann, M., Malgut, W.: Experimentelle Methoden - Ein alternativer Weg zum statischen Nachweis von Bestandsbauwerken. In: Gieler-Breßmer (Hrsg.): Tagungsband. 18. Symposium Kathodischer Korrosionsschutz von Stahlbetonbauwerken, 05. bis 06.11.2020. Ostfildern, TAE Verlag, 2020