eJournals Kolloquium Industrieböden 10/1

Kolloquium Industrieböden
kibo
2510-7771
expert verlag Tübingen
0301
2020
101 Littmann

Mögliche Reinraumbodenlösungen in der pharmazeutischen Industrie

0301
2020
Peter Kotzurek
Reinraumböden in der pharmazeutischen Industrie müssen gewissenhaft geplant werden, um sowohl die hygienischen als auch die Nutzeranforderungen zu erfüllen. Die Planung muss jedoch unter Einbindung der Bauherrschaft und Nutzer (Spezifikation / Anforderungsprofil /eigene Erfahrungen) erfolgen, sowie durch Auswahl der richtigen Produkte und durch Qualitätsprüfung während der Ausführung, bei der Abnahme und Dokumentation fortgesetzt werden. Nur durch gemeinsames Wirken aller Beteiligten können die gesteckten Ziele erreicht werden.
kibo1010129
10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 129 Mögliche Reinraumbodenlösungen in der pharmazeutischen Industrie Dipl.-Ing Architekt Peter Kotzurek k-plan architekten GmbH, 61476 Kronberg/ Ts., Hessen Zusammenfassung Reinraumböden in der pharmazeutischen Industrie müssen gewissenhaft geplant werden, um sowohl die hygienischen als auch die Nutzeranforderungen zu erfüllen. Die Planung muss jedoch unter Einbindung der Bauherrschaft und Nutzer (Spezifikation / Anforderungsprofil / eigene Erfahrungen) erfolgen, sowie durch Auswahl der richtigen Produkte und durch Qualitätsprüfung während der Ausführung, bei der Abnahme und Dokumentation fortgesetzt werden. Nur durch gemeinsames Wirken aller Beteiligten können die gesteckten Ziele erreicht werden. 1. Geschichte des Reinraums Die Notwendigkeit der Reinräume wurde aus hygienischen Gründen zunächst in Krankenhäusern in Operationssälen erkannt, entwickelt und umgesetzt, um Infektionen zu vermeiden. Neben der „schwarz / weiß“ - Zonierung wurden die Böden und Wände (Türhoch) gefliest, sowie der höher Teil der Wände und Decken gestrichen, um glatte und leicht zu reinigende Oberflächen zu erzielen. Im Laufe der Zeit haben sich die Anforderungen an Reinräume permanent erhöht. Es wurde Klimatisierung eingeführt, um eine gleichmäßige Temperierung, Luftfeuchte und eine möglichst geringe Keimzahl / Partikelzahl zu erreichen. 1.1 Reinraumausweitung in andere Branchen. Reinräume haben durch den Einsatz der Klimatisierung und gezielter Reduzierung der Partikelanzahl in der Luft auch in anderen Branchen, wie Pharma-, Biotechnologie, Optik- und Lasertechnologie, Luft- und Raumfahrtindustrie, Nanotechnologie, Chipherstellung, Halbleiterfertigung, Kosmetik- und Lebensmittelindustrie, etc. Einzug gehalten. 1.2 Reinraumanforderungen. Die Reinraumanforderungen werden allgemein in Reinraum- und ISO-Klassen definiert und sind klar geregelt. Zusätzliche Anforderung an die Lüftung werden über Unterdruckbzw. Überdruck-Regelung gestellt, um Partikel in bzw. aus angrenzenden Bereichen zu vermeiden. Bei Wänden und Decken werden möglichst glatte und leicht zu reinigende Oberflächen gefordert. Weitere Anforderungen können, je nach der Beanspruchung, gestellt werden. An die Reinraumböden werden, je nach Branche, unterschiedliche Anforderungen gestellt: • geringer Abrieb • glatt ausgeführt • möglichst fugenlos • bakteriostatisch • farbecht sowie UV- und temperaturbeständig • flüssigkeitsdicht leicht reinigbar, desinfizierbar und dekontaminierbar • Luftdruckfestigkeit • mechanische / chemische Beständigkeit • rutschfest • hitzebeständig • ggf. WHG Je nach Einsatzbereich (trocken/ nass) muss/ kann der Reinraumboden eben oder im Gefalle ausgebildet werden. Hierzu gehört das Augenmerk auf Planung und Detailausbildung, sowie der Qualitätskontrolle in Ausführung und Dokumentation: • Ebenheit / Gefälle • Bodeneinbauten (Bodeneinläufe, Medien- und Rohr-Durchführungen, Bodenwaagen, etc.) • Sockel-Anarbeitung an Equipment • Rutschsicherheit (je höher die Rutschsicherheit, desto schwierigere Reinigbarkeit) Buch IB.indb 129 11.02.20 12: 53 130 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 Mögliche Reinraumbodenlösungen in der pharmazeutischen Industrie Darüber hinaus sind aufgrund des Einzugs von digitaler Messtechnik im Herstellungsprozeß unerwünschte Einflüsse zu verhindern und je nach Einsatzbereich (u.a. EX- Schutz) weitere Anforderungen zu berücksichtigen: • Antistatisch • Ableitfähigkeit Die genaue Spezifikation muss für die Planung von der Bauherrn-/ Nutzerseite erfolgen. 1.3 Wichtigste Normen für Reinraumböden Die Reinraumanforderungen werden allgemein in Reinraum- und ISO-Klassen definiert und sind klar • EN ISO 14644 • GMP • BGR (berufsgenossenschaftliches Regelwerk) 2. Reinraumbodenlösungen Auch wenn die Reinraumklassen auf den ersten Blick über die Klimatisierung und die Partikelanzahl in der Luft definiert werden, spielt der Reinraumboden keine untergeordnete Rolle. Denn kein anderes Bauteil wird so stark beansprucht, wie der Reinraumboden. 2.1 Auf den Untergrund kommt es an. Neben optischen Ansprüchen müssen Bodenbeläge funktionalen Anforderungen wie mechanische und chemische Belastbarkeit, Reinigbarkeit, Rutschsicherheit, etc. genügen. Daher bedürfen Bodenbeläge jeder Art eines einwandfreien und funktionalen Unterbaus. Dieser Unterboden besteht in der Regel aus Estrich und befindet sich unterhalb des sichtbaren Belages. Im industriellen Bereich kommen nachfolgende Estrich-Lösungen in Frage: 2.1.1 Im Verbund (überwiegend) 2.1.2 „schwimmend“ Abkoppelung vom Untergrund 2.2 Auswahl der richtigen Reinraumbodenlösung Es gibt mittlerweile mehrere Reinraumbodenlösungen, die sich in der Praxis bewährt haben. Je nach Einsatzbereich haben jedoch die in Frage kommenden Reinraumbodenlösungen Ihre Stärken und Schwächen. Hier ist jedoch nicht nur der Planer, sondern auch der Bauherr / Bauherrenvertreter als auch der Nutzer gefordert. Gerade bei der Wahl der richtigen Reinraumbodenlösung sind alle v.g. Parteien gefordert: • der Planer als Berater • der Bauherr / Nutzer als Anforderer mit detaillierten Angabe / Vorgaben / Erfahrungen. In unserer bisherigen Berufspraxis haben wir einen einzigen Bauherren erlebt, der seine Aufgabe sehr ernst genommen hat und die möglichen Reinraumbodenlösungen (hier Pharmaterrazzo) in eigenen Laboren einer tatsächlichen Beanspruchung durch die eingesetzten Chemikalien unterzogen hat und bei der Auswahl sehr verantwortungsbewusst mitgewirkt hat. Selbstverständlich gibt es auch Bauherrn, die die Anforderungen an die Fußböden in den jeweiligen Bereichen spezifizieren und den jeweiligen Nachweis dem Planer bzw. dem ausführenden Unternehmen durch Prüfzertifikate überlässt. Die Prüfzertifikate der jeweiligen Produkte decken schon ein breites Spektrum der Beprobung ein, können jedoch nicht alle Besonderheiten abdecken, weshalb es für die Bauherren wichtig ist Besonderheiten zu berücksichtigen und ggf. die jeweiligen Bodenlösungen auf die tatsächlichen Parameter zu beproben. Es gibt für alles eine Lösung, manchmal auch zwei oder drei. Darüber muss man sprechen, um die beste Lösung zu wählen. 2.2.1 Prinzipieller Aufbau eines Reinraumbodens • Verschleißschicht (für mechanische, chemische und thermische Belastung) • Haftschicht / Klebeschicht • ggf. Ausgleich von Unebenheiten • ggf. Ausgleichsschicht (Estrich) • Haftschicht • ggf. Abdichtungsschicht • Tragschicht (Betonboden, -decke) Buch IB.indb 130 11.02.20 12: 53 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 131 Mögliche Reinraumbodenlösungen in der pharmazeutischen Industrie 2.2.2 Reinraumbodenarten in Hygieneklassen Art des Oberbelags Hygieneklasse nach EG-Guide 2.2.2.1 Edelstahlboden verschweißt Klasse A und darunter 2.2.2.2 Pharma Terrazzo Klasse A / B und darunter 2.2.2.3 Gießharzbelag Klasse A / B und darunter 2.2.2.4 Kautschuk-/ PVC- Bahnenbelag verschweißt/ verfugt Klasse A / B, C + darunter 2.2.2.5 Keramikboden mit Epoxy-Fugen Klasse A / B, C + darunter 2.2.2.6 PVC-Bahnen / -Platten verfugt Klasse D und darunter 2.2.2.7 Keramik-Platten Klasse E und darunter zementär verfugt 2.2.2.8 Hartstoffestrich mit Versiegelung Klasse E 2.3 Eigenschaften von Reinraumbodenarten 2.3.1 Edelstahlboden (verschweißt) • nicht brennbar • chemisch hoch beständig • sehr gut reinigbar und desinfizierbar • in WHG-Ausführung möglich • Mindestableitwiderstand nach VDE von 5 x 10 4 nicht einhaltbar • sehr teuer 2.3.2 Pharma Terrazzo • schwer entflammbar • mechanisch hoch belastbar • osmoseresistend • fugenlos • sehr gut reinigbar und desinfizierbar • ableitfähig • rutschfest • in WHG-Ausführung möglich • optisch ansprechend • langlebig 2.3.3 Gießharzbelag • schwer entflammbar • geringe Aufbauhöhe • mechanisch nicht so hoch belastbar • einsetzbar bei gelegentlichem Flurförderbetrieb, • Kratz- und Bremsspuren sichtbar • osmoserisiko • fugenlos • sehr gut reinigbar und desinfizierbar • ableitfähig (nur • rutschfest • optisch ansprechend • mittelfristige Lebensdauer • niedriger Preis 2.3.4 Kautschuk- / PVC-Bahnenbelag, verschweißt • schwer entflammbar • Fugen verschweißt => müssen regelmäßig geprüft werden • reparaturfreundlich • geeignet für Fußbodenheizung • bleibender Resteindruck infolge von Belastung • Jährliche Grundreinigung und Einpflege notwendig (Herstellervorgaben) • Rauch im Brandfall sehr giftig • Alter PVC ist Sondermüll 2.3.5 Keramische Bodenbeläge (Rüttelverfahren, Epoxy-Verfugung) • nicht brennbar • mechanisch hochbeständig (schwerlasttauglich) • sehr hohe Chemikalienbeständigkeit (Schwachpunkt Fugen) • hoher Fugenanteil => Reinigbarkeit • laut (schallhart) • teuer 2.3.6. PVC-Bahnen / -Platten (verschweißt) • Schwer entflammbar • Rauch im Brandfall sehr giftig • gut reinigbar • nicht fugenlos • Fugen verschweißt => müssen regelmäßig geprüft werden • Einsetzbar ab RR-Klasse D und darunter Buch IB.indb 131 11.02.20 12: 53 132 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 Mögliche Reinraumbodenlösungen in der pharmazeutischen Industrie 2.3.6 Keramische Bodenbeläge (zementär Verfugt) • nicht brennbar • mechanisch bedingt beständig • hoher Fugenanteil => Reinigbarkeit • laut (schallhart) • Detailaufwendig (Hohlkehlen, Kabel- und Mediendurchführungen, Bodeneinläufe) • nicht günstig • Einsetzbar ab RR-Klasse E und darunter 2.3.7 Hartstoffestrich mit Versiegelung • mechanisch bedingt beständig • gute Reinigbarkeit • günstig • einsetzbar in untergeordneten Räumen (Technik, etc.) 3. Abnahmekriterien für Reinraumböden • Erfüllung der Benutzer-Anforderungen (LV) • Vorlage von Zertifikaten, Prüfzeugnissen, etc) • Sichtprüfung (Oberflächengüte, Ebenheit, Detailausbildung, Sockelausbildung, Anschlüsse an Bodeneinläufe, Durchführungen, etc.) • Mikrobiologische Abklatschtests • Prüfung der Rutschhemmung / Rutschsicherheit • Prüfung der Ableitfähigkeit • Vorlage der kompletten Dokumentation Kronberg / Ts., den 08.01.2020 Dip.-Ing. Architekt Peter Kotzurek Buch IB.indb 132 11.02.20 12: 53