Kolloquium Industrieböden
kibo
2510-7771
expert verlag Tübingen
0301
2020
101
LittmannFallstudie Hydrolyse
0301
2020
Roland Augustin
Peter Körber
„Unangenehme Gerüche in der Raumluft“ sind ein aktuelles Thema, das bei unseren Sachverständigentätigkeiten vermehrt auftritt. An einem beispielhaften Schadensfall wollen wir komplexe Zusammenhänge von alkalischer Feuchte und Inhaltsstoffen von Reaktionsharzen darstellen. Dementsprechend ist es unser Ziel, die Industrie und Verarbeiter zu sensibilisieren, um durch den Vortrag die Zusammenhänge zur Schadensvermeidung zu verstehen.
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10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 155 Fallstudie Hydrolyse Dr. Roland Augustin KIWA GmbH Polymer Institut Quellenstraße 3 65439 Flörsheim-Wicker www.kiwa.de Peter Körber Institut Fußbodenforschung & -prüfung Körber Im Gewerbegebiet 7 73116 Wäschenbeuren www.institut-fpk.de Zusammenfassung „Unangenehme Gerüche in der Raumluft“ sind ein aktuelles Thema, das bei unseren Sachverständigentätigkeiten vermehrt auftritt. An einem beispielhaften Schadensfall wollen wir komplexe Zusammenhänge von alkalischer Feuchte und Inhaltstoffen von Reaktionsharzen darstellen. Dementsprechend ist es unser Ziel, die Industrie und Verarbeiter zu sensibilisieren, um durch den Vortrag die Zusammenhänge zur Schadensvermeidung zu verstehen. 1. Einführung Von einem Landgericht kam der Auftrag zur Erstattung eines Gutachtens mit nachstehenden Fragen. Frage 1: Worauf ist der starke unangenehme beißende chemische Geruch im Fitnessraum des Klägers zurückzuführen? Insbesondere: Ist dieser Mangel auf die Verwendung eines mangelhaften Materials (Epoxidharz) und/ oder auf eine mangelhafte Verarbeitung seitens des Antragsgegners zurückzuführen? Frage 2: Bringt dieser Geruch gesundheitliche Risiken mit sich? Falls ja, welche? Frage 3: Welche Maßnahmen sind im Rahmen einer Mängelbeseitigung zu treffen, um ein erneutes Auftreten des Geruchs zu vermeiden? Der Antragsteller hat Ende 2014 bis Anfang 2015 in einem Bestandsgebäude Räumlichkeiten zu einem Fitnessraum umgebaut. Hierfür wurde ein neuer Estrich auf einer Warmwasser-Fußbodenheizung mit einer Reaktionsharzbeschichtung eingebracht. Aus dieser Bodenkonstruktion soll ein „chemischer Geruch“ ausgetreten sein. Nach ca. 6-8 Monaten soll sich dieser Geruch verstärkt haben. Der Zementestrich wurde mit einem ternären Schnellzement hergestellt. Ende 2016 ist der Raum privatgutachterlich bewertet worden. Der damals vom Kläger beauftragte Gutachter stellte einen starken, sehr unangenehmen, fast beißenden Geruch fest. Nach seiner Einschätzung konnte er den Geruch „eindeutig chemischen Parametern“ zugeordnet. Er äußerte in seiner schriftlichen Stellungnahme den „dringenden Verdacht“, dass die sensorischen Auffälligkeiten im Bereich der „Fußbodenversiegelung“ zu suchen seien. Folgender Schichtaufbau soll nach der Gerichtsakte verbaut sein: • Verseifungsbeständiges Epoxidharz als Grundierung und Spachtelung, • Bodenbelag aus einer hochwertigen PUR-Deckschicht und einer pigmentierten PUR-Versiegelung. Eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für den Gesundheitsschutz des verwendeten Beschichtungssystems war in der Gerichtsakte beigefügt. 2. Ermittlungen Auf Grundlage der Akte wurde anfänglich für den 1. Ortstermin eine Prüfung der Raumluft beauftragt, in der Hoffnung, die für die Gerüche verantwortlichen Komponenten zu erfassen. Buch IB.indb 155 11.02.20 12: 53 156 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 Fallstudie Hydrolyse Der Raum wurde zunächst ausschließlich zur Probenentnahme vom Prüfer begangen. Beim ersten gemeinsamen Betreten nach der Raumluftbeprobung konnte ein starker, sehr unangenehmer Geruch sofort wahrgenommen werden, zumal am Vorabend ein für die Prüfung notwendiger Luftaustausch durchgeführt wurde. Nach dieser Erkenntnis wurde entschieden, eine Bauteilöffnung vorzunehmen um Proben einzelner Bestandteile der Fußbodenkonstruktion für zusätzlichen Untersuchungen sicherzustellen. Visuell war die PUR-Beschichtung sehr gut ausgeführt. Bild 1: Grundriss Neben der Rauluftprüfung wurden nach dem Ortstermin zusätzlich die Ausbauproben der Bodenkonstruktion im Labor auf das Emissionsverhalten in einer Prüfkammer untersucht. Zugleich wurden Materialproben im luftdicht verschlossenen Glasgefäß beim Sachverständigen eingelagert. 2.1 Emissionsprüfungen 2.1.1 Auswertung der Raumluft Komponenten CAS- Nummer Fitnessraum [µg/ m³ Summe VOC gemäß AgBB 2015/ DIBt 970 Benzylalkohol 100-51-6 410 Benzaldehyd 100-52-7 82 Phenol 108-95-2 31 o-Kresol 95-48-7 2 m/ p-Kresol 108-39-4 10 1-Methoxy-2-propanol 107-98-2 23 Quelle: Auszug Untersuchungsbericht eco-Institut 2.1.2 Auswertung Ausbauproben Komponenten CAS- Nummer Fitnessraum Ausbaustück- Prüfkammermessung 3 Tage [µg/ m³] Summe VOC gemäß AgBB 2015/ DIBt 770 Benzylalkohol 100-51-6 580 Benzaldehyd 100-52-7 47 Phenol 108-95-2 63 m-Kresol 108-39-4 25 1-Methoxy-2-propanol 107-98-2 1 Dipropylenglykoldimethylester 111109-77-4 10 Quelle: Auszug Untersuchungsbericht eco-Institut 2.1.3 Erläuterung Nach Erhalt der Prüfergebnisse waren nachstehende Komponenten auffällig, die für den Geruch verantwortlich sein könnten: 1. Benzylalkohol 2. Benzaldehyd 3. Phenol 4. Kresole Benzylalkohol und Benzaldehyd können dem Epoxidharz in der Grundier- und Spachtelschicht zugeordnet werden. Phenol und Kresole sind grundsätzlich keine Bestandteile der vorgefundenen Baustoffe der Fußbodenkonstruktion. Zur olfaktorischen Einschätzung und Bewertung des Geruches vom Fitnessraum wurden Ausbaustücke im Labor des Sachverständigen in Gläser gelegt und luftdicht geschlossen. Zur Bewertung wurden geringen Mengen verschiedener Kresole und Phenol in Watte geträufelt und in einem Glasbehälter dicht verschlossen gelagert. Der Geruchsschwellenwert der Kresole liegt bei 0,2-1,3 µg/ m³ und bei Phenol bei etwa 20 µg/ m³. Bild 2: Geruchsproben Buch IB.indb 156 11.02.20 12: 53 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 157 Fallstudie Hydrolyse Benzylalkohol bildet eine farblose, etwas ölige Flüssigkeit von mildem, angenehmem Geruch. Benzylalkohol wird durch den Sauerstoff der Luft langsam zu Benzaldehyd oxidiert. Dies erklärt den Anteil von 82 µg/ m³ Benzaldehyd in der Raumluft. Benzaldehyd ist eine farblose gelbliche Flüssigkeit mit bittermandelartigem Geruch. Mit geringen Mengen Benzylalkohol, welche dem Sachverständigen zu Verfügung standen ist ein Geruchsvergleich vorgenommen worden. Nach einer gewissen Lagerzeit konnte zweifelsohne durch Riechversuche die Zuordnung des Geruches auf die Kresole und Phenol erfolgen. Gemäß dem Sicherheitsdatenblatt der verwendeten Epoxidharzgrundierung ist insbesondere in der Komponente B (Härter) zwischen 25-50% Benzylalkohol enthalten. Anhand der im Labor des Sachverständigenangefertigten Mikroskopaufnahmen ist ersichtlich, dass die Grundier- und Nivellierspachtelschicht mit diesem Harz zwischen 0,84 und 0,87 mm dick verbaut sind. Dies erklärt die hohe Emission an Benzylalkohol aus der Ausbauprobe. Bei der Prüfung nach dem AgBB Schema für die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung ist die Prüfplatte an den Seitenrändern geschlossen, sodass die Emission ausschließlich über die Oberfläche erfolgen kann. Bei der Ausbauprobe konnte der Benzylalkohol an den Seitenrändern entweichen, was den relativ hohen Wert in der Materialprobe erklärt. Außerdem wurde die Ausbauprobe nur nach 3 Tagen untersucht und nicht nach 3 und 28 Tagen. Bild 3: Lichtmikroskopischer Aufbau der Beschichtung Nicht nur die Anwesenheit von Phenol und Kresolen in der Raumluft und der sich daraus ergebende Geruch sind problematisch, auch in toxikologischer Hinsicht sind diese Komponenten nicht unkritisch: „Viele Phenole und Kresole sind bereits in Konzentrationen von wenigen Mikrogramm pro Kubikmeter Luft sehr deutlich wahrnehmbar. Der unangenehme Geruch ist daher meist Anlass für Nachforschungen und Messungen. Der Annahme, die Warnwirkung des Geruchs setze bei so niedrigen Phenol - Konzentrationen ein, so dass gesundheitliche Auswirkungen auszuschließen sind, muss jedoch deutlich widersprochen werden. Phenol und viele Kresole gelten als krebserzeugend und bewirken somit immer ein von der Konzentration abhängiges zusätzliches Krebsrisiko.“ Quelle: http: / / www.alab-berlin.de/ fachartikel/ schadstoffinfos.html 3. Der Lösung auf der Spur Trotz der Erkenntnisse, dass der aufgetretene Geruch eindeutig den Komponenten Phenol und den Kresolen zuzuordnen ist, war unbekannt, woher diese Komponenten stammen und was letztendlich die Ursache hierfür war. Die Suche nach den eigentlichen Quellen oder Ursachen möglicher Primär- und Sekundärkontaminationen gestaltete sich schwierig. Vonseiten des Gerichts wurde der Sachverständige gebeten, weitere Untersuchungen hierfür durchzuführen, die Ursachen festzustellen und den Rückbau zu begleiten. Nach einer ausführlichen Literaturstudie konnten Hinweise zur Entstehung von Phenol und Kresolen ausfindig gemacht werden. Diese Komponenten wurden in einem Schadensfall bei PVC-Fußböden aus den verwendeten, nicht halogenhaltigen Flammschutzmitteln gebildet. Zur Untersuchung der Primärquellen für die sensorisch relevanten Komponenten Phenol und Kresole wurden verschiedene Materialproben an die ALAB-GmbH nach Berlin versandt. Ausgewählt wurden dazu Materialien, die während des Ortstermins am 18. Januar 2018 entnommen und bis zur Analyse luftdicht in Aluminiumfolie verpackt waren. Angewendet wurde dabei ein Hausverfahren der ALAB GmbH mittels einer direkten Thermodesorption der Materialien. Bild 4: Quelle Thermodesorption ALAB Buch IB.indb 157 11.02.20 12: 53 158 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 Fallstudie Hydrolyse Erläuterung zur direkten Thermodesorption ALAB: „Ein Aliquot des Probenmaterials wurde in einem kleinen Prüfraum auf 60°C temperiert. Dabei wurde über einen Zeitraum von 2 Stunden gereinigte Luft über die Probe gezogen und die freigesetzten Substanzen auf einem Tenaxröhrchen angereichert. Die adsorbierten Substanzen wurden von dem beladenen Tenaxröhrchen thermisch desorbiert. Die quantitative Analyse erfolgte nach DIN ISO 16000-6: 2012-11 mittels Kapillar-Gaschromatographie und Massenspektrometer (GC-MS). Die einzelnen Substanzen wurden nach der Methode des externen Standards über Vergleichsgemische quantifiziert. Für die Auswertung weiterer Substanzen wurde ein im Full-Scan-Modus aufgenommenes Chromatogramm herangezogen. (Auszug Prüfbericht ALAB) Bei dieser Prüfmethode erfolgten die Konzentrationsangaben in µg/ kg Material bezogen auf eine Einwaage (Aliquot/ Teilmenge). Diese Analyse diente zur Identifizierung von möglichen Quellen für Phenol und Kresole. Untersucht wurden folgende Materialien: - schwarze Absperrbahn - Estrichausbau mit Beschichtung EP/ PUR - Polyurethan Dämmschicht - Holzausbauplatte - Gipskartonplatte Bezogen auf die Komponenten Phenol und Kresol zeigten sich folgende Ergebnisse: Quelle: Auszug Untersuchungsbericht ALAB Nach diesen Ergebnissen waren die Zielkomponenten eindeutig dem Fußbodenaufbau zuzuordnen. Weitere Quellen (Holz, Gipskarton) konnten ausgeschlossen werden. Nach Rücksprache mit dem Labor und Erkenntnissen aus der Literaturstudie wurden weitere Analysen vorgenommen. Ein Ausbaustück des Estrichs mit anhaftender Beschichtung wurde deshalb auf die Anwesenheit von halogenfreien Flammschutzmitteln untersucht. Bild 5: Untersuchte Ausbauprobe Folgende halogenfreie Flammschutzmittel auf Phosphorbasis wurden untersucht: Tricresylphosphat (TCP), Dicresylphosphat (DCPP), Cresyldiphenylphosphat (CDP) und Triphenylphosphat (TPP). Komponenten CAS Beschichtung [mg/ kg] Estrich [mg/ kg] BG [mg/ kg] TCP 1330-78-5 1.280 <BG 0,2 DCPP 8.500 <BG 0,1 CPD 26444-49-5 17.000 <BG 0,2 TPP 115-86-6 9.000 <BG 0,3 Tabelle 4: Quantitative Ergebnisse Quelle: Auszug Untersuchungsbericht ALAB Nach diesen Ergebnissen steht die Ursache der aufgetretenen Geruchsbelästigungen fest. Die halogenfreien Flammschutzmittel auf Phosphorbasis waren Bestandteile der für die Beschichtung verwendeten Grundierung und wurden unter Einwirkung von Alkali durch die Feuchtigkeit im Untergrund hydrolytisch unter Freisetzung von Phenol und Kresolen gespalten. 4. Zusammenfassung Auf Grund erhöhter gesetzlichen Vorgaben (z.B. Emission/ Brandschutz) müssen Bauprodukte in ihren Formulierungen zwangsläufig angepasst werden. Dementsprechend können Stoffe wie halogenfreie phosphorhaltige Flammschutzmittel und alternative Weichmacher bei der Formulierung verwendet werden. Umso wichtiger ist, Untergründe vor dem Applizieren von Reaktionsharzen und dem Verlegen von elastischen Bodenbelägen auf Belegreife, und auf eventuellen Leckagen Installationen zu prüfen. Alkalische Feuchte kann zu Wechselreaktionen mit Inhaltsstoffen von Reaktionsharzen oder Belägen durch Hydrolyse beitragen und zur Freisetzung von unangenehmen und gesundheitsschädlichen Gerüchen führen. Buch IB.indb 158 11.02.20 12: 53
