eJournals Kolloquium Industrieböden 10/1

Kolloquium Industrieböden
kibo
2510-7771
expert verlag Tübingen
0301
2020
101 Littmann

Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik

0301
2020
Holger Tebbe
Bei den Begriffen „Anerkannte Regeln der Technik“ (ARdT) und „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ (AARdT) handelt es sich zunächst um ein rechtliches Hilfskonstrukt (unbestimmter Rechtsbegriff) mit zunächst juristisch unbestimmten Inhalten. Als von Technikern mit Inhalt zu füllende Technikklausel ist sie dann Instrument für juristische Entscheidungsfindungen. Juristische Regelsetzungen beruhen auf dogmatischen, möglichst allgemeinen und umfassenden Ansätzen, die im Regelfall in öffentlichen (Gesetzgebungs-)Verfahren verhandelt und verfasst werden. Die Festlegung der technischen Inhalte erfolgt jedoch naturgemäß über technischen Regelsetzungen, die aufgrund der anderen Ausgangslage und anderen Zielsetzungen deutlich von juristischen Regelsetzungsgepflogenheiten abweichen. Hier erfolgt die Regelfestlegung in der Regel in geschlossenen, häufig privat oder privatwirtschaftlich organisierten Fachgremien. Die Zielsetzung sind Mindestfestlegungen in Hinblick auf Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Vollumfassende Regelungen werden nicht angestrebt. Die Technikklausel „Anerkannte Regeln der Technik“ ist über privatrechtliche Vertragsklauseln (VOB) indirekt im Zivil- (BGB) und Strafrecht (StGB) verankert, die Technikklausel „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ z.B. in den Landesbauordnungen. Die Begriffsinhalte dieser Klauseln werden im Baubereich als ein wesentliches Beurteilungskriterium für die Bestimmung von Solleigenschaften bei Entwurf und Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte verwendet. Sie spielen daher in der Rechtsprechung bei der Bewertung und Festlegung von entsprechenden Mängelansprüchen, aber auch von strafrechtlich relevanten Tatbeständen eine große Rolle. Die Bezeichnung „Anerkannte Regel“ suggeriert zudem ein nachschlagbares schriftliches Regelwerk („Kodifizierung“), dass so nicht gegeben ist. Es handelt sich vielmehr, wie bereits erläutert, um einen unbestimmten Rechtsbegriff, mit den damit naturgemäß gegeben größeren Auslegungsunschärfen und –unsicherheiten. Die somit ggf. nicht von vornherein eindeutige Rechtslage bei der Beurteilung von Einzelsachverhalten führt in Anbetracht der häufig erheblichen finanziellen Risiken immer wieder zu teilweise spektakulären Rechtsstreiten, bis höchste Gerichtsinstanzen ggf. eine klarere Beurteilungslage geschaffen haben. Die Klarstellung gilt dann allerdings in der Regel nur für die hier jeweils zu beurteilende Detailfrage, zudem je nach Urteilsbegründung, auch nur für den zu beurteilenden Zeitpunkt und für die dort gegebenen Umstände. Da gleichzeitig Bautechnik, Bauverfahren sowie die zugehörigen Regelungen und Vorgaben laufenden, zum Teil sehr schnellen Veränderungen unterliegen, wirkt sich dies natürlich auch auf den Stand und Inhalt der „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ aus. Diese Dynamik führt dazu, dass sich die dementsprechenden rechtlichen Risiken, trotz der derzeit hohen Anzahl an gerichtlichen Einzelentscheidungen die sich mit den „Anerkannte Regen der Technik“ beschäftigen, nicht vermindern, sondern tendenziell eher laufend erhöhen. Die vorliegende Veröffentlichung soll daher dazu dienen, dem Bauschaffenden aus dem Blickwinkel eines Technikers die einzelnen Begrifflichkeiten und Zusammenhänge dieser Technikklausel näher zu erläutern um die damit verbundenen Gefahren besser einschätzen zu können und sich somit ggf. auch besser gegenüber diesen Gefahren wappnen zu können.
kibo1010331
10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 331 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik Holger Tebbe Ing.-Büro H. Tebbe GmbH, Neuwied und Oberhausen Einführung Bei den Begriffen „Anerkannte Regeln der Technik“ (ARdT) und „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ (AARdT) handelt es sich zunächst um ein rechtliches Hilfskonstrukt (unbestimmter Rechtsbegriff) mit zunächst juristisch unbestimmten Inhalten. Als von Technikern mit Inhalt zu füllende Technikklausel ist sie dann Instrument für juristische Entscheidungsfindungen. Juristische Regelsetzungen beruhen auf dogmatischen, möglichst allgemeinen und umfassenden Ansätzen, die im Regelfall in öffentlichen (Gesetzgebungs-)Verfahren verhandelt und verfasst werden. Die Festlegung der technischen Inhalte erfolgt jedoch naturgemäß über technischen Regelsetzungen, die aufgrund der anderen Ausgangslage und anderen Zielsetzungen deutlich von juristischen Regelsetzungsgepflogenheiten abweichen. Hier erfolgt die Regelfestlegung in der Regel in geschlossenen, häufig privat oder privatwirtschaftlich organisierten Fachgremien. Die Zielsetzung sind Mindestfestlegungen in Hinblick auf Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Vollumfassende Regelungen werden nicht angestrebt. Die Technikklausel „Anerkannte Regeln der Technik“ ist über privatrechtliche Vertragsklauseln (VOB) indirekt im Zivil- (BGB) und Strafrecht (StGB) verankert, die Technikklausel „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ z.B. in den Landesbauordnungen. Die Begriffsinhalte dieser Klauseln werden im Baubereich als ein wesentliches Beurteilungskriterium für die Bestimmung von Solleigenschaften bei Entwurf und Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte verwendet. Sie spielen daher in der Rechtsprechung bei der Bewertung und Festlegung von entsprechenden Mängelansprüchen, aber auch von strafrechtlich relevanten Tatbeständen eine große Rolle. Die Bezeichnung „Anerkannte Regel“ suggeriert zudem ein nachschlagbares schriftliches Regelwerk („Kodifizierung“), dass so nicht gegeben ist. Es handelt sich vielmehr, wie bereits erläutert, um einen unbestimmten Rechtsbegriff, mit den damit naturgemäß gegeben größeren Auslegungsunschärfen und -unsicherheiten. Die somit ggf. nicht von vornherein eindeutige Rechtslage bei der Beurteilung von Einzelsachverhalten führt in Anbetracht der häufig erheblichen finanziellen Risiken immer wieder zu teilweise spektakulären Rechtsstreiten, bis höchste Gerichtsinstanzen ggf. eine klarere Beurteilungslage geschaffen haben. Die Klarstellung gilt dann allerdings in der Regel nur für die hier jeweils zu beurteilende Detailfrage, zudem je nach Urteilsbegründung, auch nur für den zu beurteilenden Zeitpunkt und für die dort gegebenen Umstände. Da gleichzeitig Bautechnik, Bauverfahren sowie die zugehörigen Regelungen und Vorgaben laufenden, zum Teil sehr schnellen Veränderungen unterliegen, wirkt sich dies natürlich auch auf den Stand und Inhalt der „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ aus. Diese Dynamik führt dazu, dass sich die dementsprechenden rechtlichen Risiken, trotz der derzeit hohen Anzahl an gerichtlichen Einzelentscheidungen die sich mit den „Anerkannte Regen der Technik“ beschäftigen, nicht vermindern, sondern tendenziell eher laufend erhöhen. Die vorliegende Veröffentlichung soll daher dazu dienen, dem Bauschaffenden aus dem Blickwinkel eines Technikers die einzelnen Begrifflichkeiten und Zusammenhänge dieser Technikklausel näher zu erläutern um die damit verbundenen Gefahren besser einschätzen zu können und sich somit ggf. auch besser gegenüber diesen Gefahren wappnen zu können. Buch IB.indb 331 11.02.20 12: 54 332 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik 1. Erläuterung des Begriffs „Anerkannte Regel der Technik“ 1.1 Anwendungszweck Das für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte zu erbringende Vertragssoll (zu erbringender Leistungserfolg) wird nicht allein durch die Vertragsunterlagen beschrieben und vorgegeben. Beschreiben die Vertragsunterlagen die projektierte Gesamtleistung nicht erschöpfend und vollständig, wird zunehmend relevant, was die Parteien als vertragliche Gesamtleistung erreichen wollten. Die erbrachte Werkleistung muss somit für den vertraglich vorausgesetzten Gebrauch geeignet sein, vgl. [1]. Hier kommen nun die „Anerkannten Regeln der Technik“ ins Spiel, die als Hilfskonstruktion im dogmatischen Rechtssystem zur Bestimmung des Vertragssolls mit herangezogen werden, vorbehaltlich abweichender Parteienvereinbarungen (inhaltliche Öffnungsklausel). Sie sollen somit, wie bereits ausgeführt, als ein Beurteilungsstandart zur Bestimmung von Solleigenschaften dienen. Es handelt sich somit u. a. um ein Hilfsmittel zur (juristischen) Feststellung von technischen Planungs- oder Ausführungsmängeln. 1.2 Inhalte Unter den „Anerkannten Regeln der Technik“ werden Technikklauseln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte verstanden. Diese Technikklauseln sind jedoch nicht in einem nachschlagbaren schriftlichen Regelwerk („Kodifizierung“) zusammengefasst. Es handelt sich vielmehr um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Inhalt von technischer Seite implementiert wird, vergl. Bild 1. Bild 1: schematische Darstellung des inhaltlichen Rückgriffs auf technische Inhalte zur Konkretisierung der juristischen Technikklausel „Anerkannte Regeln der Technik“ gemäß [1] Als maßgebende technische Inhalte sind, unter den in Abschn. 2.4 genannte Einschränkungen hier einschlägige Regelwerke z.B. DIN-Normen, aber auch nicht schriftlich nicht weiter fixierte Erkenntnisse aus der Baupraxis, vergl. Bild 2, zu sehen. Bei letzterem kann es sich z. B. um handwerklich tradierte Arbeitsweisen (z.B. Verfahrensweisen zur händischen Oberflächenbearbeitung von Natursteinen und den hieraus erzielbaren optischen Erscheinungsbildern) handeln. Bild 2: schematische Darstellung der Einflüsse verschiedener Wissensbereiche auf die „Anerkannten bzw. Allgemein anerkannten Regeln der Technik“ analog dem sog. Dreistufenmodell, vergl. Bild 3 (Bildquelle: trust -projekts GmbH). Der maßgebende Inhalt und Umfang der „Anerkannten Regel der Technik“ ist damit auf juristische Nachfrage von technischer Seite bezogen auf den Streitgegenstand genauer festzulegen und zu definieren. In Gerichtsauseinandersetzungen ist dies im Regelfall der gerichtlich bestellte Sachverständige. Hier besteht somit durchaus die Gefahr, dass hier eine Einzelmeinung als Grundlage für die Bewertung der betreffenden Standards der „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ für die juristische Bewertung angesetzt werden könnte. Die Abgrezungskriterien für die „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ von anderen oder ähnlichen Regeln, vergl. Bild 3, werden durch die Rechtsprechung (sog. Kasselbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes (vom 1978) näher definiert, vergl. Abschn. 1.3. 1.3 Einordnung im Dreistufenmodell Die technische Entwicklung befindet sich fortlaufend im Fluss, sie ist dynamisch. Bei Neuentwicklungen entwickelt sich die Erfahrung mit Anwendung, Umgang und mit dem Verhalten dieser Technik aus einer Anfangsidee erst im Laufe der vermehrten Anwendung. Dies soll nachfolgenden exemplarisch anhand einer Materialneuentwicklung erläutert werden. Die einzelnen Stufen und Schritte laufen in der Praxis natürlich nicht so chronologisch ab, wie sie hier aus Verständnisgründen dargestellt werden. So kann es auch bei schon lange eingeführten Produkten noch ein erheblicher Forschungsbedarf aufgrund neuer Erfahrungen oder Erkenntnisse ergeben. Grundsätzlich kann jedoch die sich verbreiternde Wissensbasis einer Neuentwicklung vereinfacht als Spitze Buch IB.indb 332 11.02.20 12: 54 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 333 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik des gleichschenkligen Dreiecks angesehen werden, vergl. Bild 2, welche sich mit zunehmender Anwendung auf einer nach unten gerichteten Zeitachse laufend verbreitert. Bild 3: Entwicklung des technischen Wissensstandes zu einer neuen Bautechnik analog dem sog. Dreistufenmodell Die ersten Experimente und Machbarkeitsstudien sind in dem Modell als dunkelrote Spitze eingezeichnet. Erweist sich die Idee als möglicherweise erfolgversprechend, beginnen die weitere Entwicklungsarbeit mit dem der Stand der Wissenschaft und Technik erarbeitet wird. Diese besteht unter anderem aus - der Materialentwicklung und -optimierung zur Erzielung einer Anwendungsreife, - der Erkundung der Materialeigenschaften, und Materialkennwerte für u. a. zur Entwicklung von Dimensionierung- und Bemessungsansätzen, - Untersuchung der Verträglichkeit mit angrenzenden Baustoffen und Alterungsverhaltens, - Entwicklung geeigneter Applizierungs- oder Montagetechniken und -werkzeuge. Sind diese Schritte abgeschlossen wird die Anwendung in Labor und Technikumsversuchen getestet. Es werden Detail- und Anschlusslösungen erarbeitet und auf ihre Eignung getestet. Sind diese Schritte abgeschlossen, erfolgt die Anwendungen auf ausgewählten Musterbaustellen um Erfahrungen mit der alltäglichen Anwendung zu erhalten. Derartige Produktentwicklungen werden von der Baustoffindustrie gerne auf einschlägigen Messen als Produktneuheit mit ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteilen angepriesen. Gerade wenn hier noch keine oder kaum Erfahrungen auf Praxisbaustellen vorliegen, und somit kaum Wissen über das Stadium des Standes der Wissenschaft und Technik hinaus vorliegen, bietet eine Anwendung natürlich entsprechende Risiken, da der Stand der Wissenschaft und Technik für eine zielsichere und risikolose Anwendung in der Regel bei weitem nicht ausreicht. Vorgelegte umfangreiche Forschungs- und Prüfberichte sowie einzelne Berichte zu Praxistest und entsprechende gutachterliche Stellungnahmen reichen hierzu nicht aus. Erst mit zunehmender Ausführungspraxis können die „Kinderkrankheiten“ ausgemerzt werden und eine sichere Ausführungspraxis unter den verschiedenen anzutreffenden Baustellenbedingungen erreicht werden. Mit zunehmender Standzeit der ausgeführten Objekte kann dann Bewährung hinsichtlich Funktionalität und die Dauerhaftigkeiten unter realen Umweltbedingungen nachgewiesen werden. Die neue Bauweise kann nunmehr nach den „Stand der Technik“ (SdT) oder entsprechenden europäischen Begriff „Beste Verfügbare Technik“ (BVT) ausgeführt werden. Mit zunehmender Verbreitung der Erfahrungen der einschlägigen Fachkreise und entsprechen umfangreichere Erfahrung mit der Anwendungstechnik sinkt der Bedarf an Modifizierungen und Änderungen am System. Bei entsprechender Marktbedeutung wird nun häufig ein Normungsprozess in Gang gesetzt, mit dem Anwendungsregeln standardisiert werden. Liegt dann eine breite, allgemein zugängliche Wissensbasis in der Fachwelt über Normung, Richtlinien, Fachliteratur, Fortbildungsveranstaltungen etc. vor und ist die Technik in entsprechend standardisierter Form allgemein verbreitet, wird sie dann den „Anerkannten Regeln der Technik“ zugeordnet werden können. Hingewiesen werden soll noch auf die Problematik, dass Ausführungen nach den „Stand der Technik“ im in der Regel moderner sind und somit eher dem „neusten Stand der Technik“ der häufiger von Bauherrn gewünscht wird, entspricht, Darauf zielt auch der europäische Begriff „Beste Verfügbare Technik“ hin. Verträge sind daher auch daraufhin zu prüfen, ob nicht die „Anerkannten Regeln der Technik“, sondern (nur) der „Stand der Technik“ einzuhalten war. Hier ergibt sich aufgrund der Schnelligkeit der technischen Weiter entwicklung weiteres Streit- und Interpretationspotential. Der u. a. in der Landesbauordnung verankerte Begriff „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ ist aufgrund der Dynamik der Entwicklung zunehmend an Sinnhaftigkeit und wird daher auch durchaus von Fachautoren in Frage gestellt, vergl. [1]. 1.4 Unterschiede zwischen juristischer und technischer Regelsetzung Juristische Regelsetzungen streben an, ein in sich geschlossenen System zu bilden, das auf festen allgemeinverbindlichen Grundsätzen „Axiomen“ beruht. Das Grundgerüst dieser Axiome wird durch das aktuelle moralisch ethische Grundgerüst und deren gesellschaftlich gewachsenen Traditionen vorgegeben. Die Regelsetzungen sind dafür geschaffen auf den Einzelfall angewendet zu werden und müssen daher eine gewisse Universalität, Abgeschlossenheit oder Allgemeingültigkeit aufweisen. Die Regelsetzung wird im Regelfall in öffentlichen (Gesetzgebungs-)Verfahren verhandelt und verfasst. Da die Technikklauseln „Anerkannte Regeln der Technik“ oder „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ sich aufgrund ihrer durch den technischen Fort- Buch IB.indb 333 11.02.20 12: 54 334 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik schritt gegeben Dynamik laufend verändern, werden sie juristisch als unbestimmter Rechtsbegriff geführt der durch Nichtjuristen (einschlägige technische Fachleute) definiert werden, vergl. Bild 1, Neben den systemimmanenten Übertragungsschwierigkeiten, bedingt durch die ggf. abweichende differierende Termini und Inhalte von Einzelbegriffen der jeweiligen Fachsprache, unterliegen Technische Regelugen auch andere Gesetzmäßigkeiten und Zielsetzungen. Technische Regelungen werden, statt von moralisch ethischen Grundprinzipien, eher von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Gegebenheiten geprägt, ohne deren Berücksichtigung eine Funktionalität einer technischen Regel nicht gegeben sein kann. Sie unterlegen damit den Naturgesetzen und können somit bereits systembedingt nicht jeden möglichen oder denkbaren Einzelfall berücksichtigen. Die Zielsetzung sind Mindestfestlegungen in Hinblick auf Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Vollumfassende Regelungen werden aus vorgenannten Gründen nicht angestrebt. Die Festlegung der technischen Inhalte erfolgt in der Regel über privat oder privatwirtschaftlich organisierte Fachgremien. Diese setzen sich aus den interessierten und betroffenen Kreisen zusammen und vertreten (oder gar repräsentieren) somit nicht, oder allenfalls bedingt, die allgemeine Öffentlichkeit. 2. Stellenwert schriftlich fixierter Regelwerke 2.1 Gruppen verschiedener Regelsetzer Im Bauwesen gibt es eine Vielzahl verschiedener Regelsetzer für verschiedenste Bereiche und Anwendungsfälle. Die Regelsetzer sind in der Regel privat oder privatwirtschaftlich organisierte Fachgremien. Initiator oder Betreiber der Fachgremien sind häufig Zusammenschlüsse von Verbänden aber auch öffentlich rechtliche Institutionen (z.B. im Wasserbau und im Verkehrswesen). Sie können häufiger den jeweiligen Interessengruppen - Hersteller, z.B.: - Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb); - Fachvereinigung deutscher Fertigteilbau (FDB); - Deutscher Naturwerksteinverband e.V. (DNV); - RAL Gütegemeinschaft Fenster und Haustüren e.V.; - Bundesverband der Gipsindustrie; - Industrieverband Fugendichtstoffe (IVD); - Planer, Anwender, und Verbraucher z.B.: - Deutscher Betonverein (DBV); - Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH); - Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege (WTA); - Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks e.V.; - Forschungs.u. Entwicklungsgesellschaft Landschaftsbau e.V (FLL); - Objektbetreiber, z.B.: - Wasserstrassen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV); - Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt); - Eisenbahnbundesamt; - Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA); - Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) zugeordnet werden. Im Hinblick auf eine größere Allgemeinakzeptanz und Relevanz haben sich jeweilige Verbände und Interessengruppen häufiger auch zusammengeschlossen oder ihren Arbeitskreis entsprechend erweitert, um so entsprechende allgemeinverbindlichere Bedeutung zu erlangen. Als Beispiel ist hier das Deutsche Institut für Normung (DIN) zu nennen, in deren Gremien standardmäßig Herstellervertreter, Fachplaner bzw. Fachingenieure und Prüfinstitute, aber auch Vertreter von Endverbrauchern vertreten sind. Ähnliches gilt beispielsweise für die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Aufgrund der zunehmenden Relevanz des Umweltschutzes sind mittlerweile einzelne Gremien auch mit Vertretern von Verbänden oder Zusammenschlüssen dieser Interessengruppen als Gast oder Vollmitglied besetzt. Aufgrund deren anderen primären Zielsetzungen (ethisch-moralische Aspekte) führt dies häufiger zu Interessenkonflikten und Auseinandersetzungen, die häufig außerhalb der eigentlichen, primär technisch motivierten, Regelsetzung liegen. Regelwerke letztgenannte Regelsetzer haben für den Hochbau (DIN) bzw. Straßen- und Wegebau (FGSV) erhebliche Relevanz und sollten bei entsprechenden Planungen und Ausführungen grundsätzlich berücksichtigt, zumindest aber beachtet werden. Einzelne Regelungen haben regelmäßig Eingang in das Bauordnungsrecht (Landesbauordnungen, Bauregelliste etc.) gefunden. Dies gilt allerdings auch für einzelne Regelwerke anderer Regelsetzer z.B. DAfStb und DBV. 2.2 Problem der Harmonisierung v. Regelwerken Bereits die unterschiedlichen Fachgruppen einzelner Regelsetzer haben das Problem, sich mit den anderen Fachgruppen in Verbindung setzen zu müssen, um Wiedersprüche zwischen Einzelregelwerken zu vermeiden. Aufgrund der unterschiedlichen Traditionen, Anforderungen und Zielsetzen in den jeweiligen Einzelgewerken treten hier regelmäßig Abweichungen und Widersprüche Buch IB.indb 334 11.02.20 12: 54 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 335 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik auf, die durch Angleichungen, Querverweise, Ausnahmeklausen, etc. möglichst beseitigt werden müssen. Die Wiedersprüche werden jedoch häufiger erst durch Anwender (Planer oder Ausführende) der betreffenden Regelwerke nachträglich entdeckt. Aufgrund von Interessenkonflikten zwischen den jeweilig Beteiligten können derartige Widersprüche häufiger erst nach langjährigen Abstimmungsaufwand durch die betroffenen Regelsetzer ausgeräumt werden. Dies gilt umso mehr zwischen Regelwerken unterschiedlicher Regelsetzer, die Regelungen für gleichartige Bauweisen erlassen, z. B für die Betoninstandsetzung im Hochbzw. Tiefbau (DIN bzw. BASt) oder Pflasterbauweisen im Wegebau (u. A. FGSV und FLL). Hier werden von den betroffenen Organisationen oft sogenannte Lenkungsgremien geschaffen, die versuchen entsprechende Widersprüche aufzulösen. Der Anwender hat daher den vom Regelsetzer benannte Geltungsbereich des Regelwerkes genau zu prüfen, um bei Gegensätzen in den jeweiligen Regelsetzungen das eher zutreffende Regelwerk stärker zu gewichten und nach Möglichkeit den Auftraggeber in die Entscheidungsfindung verantwortlich mit einzubinden. Im Zweifel ist hier der Auftraggeber somit vorab umfassend zu informieren und nachweisbar aufzuklären (Hinweispflicht! ), um gemeinsam zu entscheiden oder festzulegen nach welchen Maßgaben das projektierte Bauvorhaben geplant und ausgeführt werden soll. Die Schwierigkeiten entsprechenden Harmonisierungsbemühungen werden endgültig deutlich, wenn man die Angleichung der Regelwerke im internationalen Geltungsbereich z.B. auf europäischer Ebene, betrachtet. Die entsprechenden Entwicklungen sind häufig auch für ausgewiesene Fachleute nur schwer zu überblicken. Daher wird auf diese Problematik, aufgrund der Komplexität des Themas, im Rahmen dieses Aufsatzes nicht näher eingegangen. 2.3 Normgruppenunterteilung im Hochbau In der alten deutschen hochbaurelevanten Normgebung des DIN waren die wesentlichen Anforderungen an Stoffeigenschaften, Verarbeitung und Verwendung des Produkts sowie wesentliche Grundzüge der artspezifischen Bemessung für einzelne Bauprodukte oder Bauweisen häufig in einer einzelnen DINNorm zusammengefast. Im Rahmen der europäischen Normung werden einzelne Regelungssachverhalte möglichst separiert und in Einzelnormen getrennt standardisiert. Für den vorliegenden Sachverhalt sind u. a. folgende vier Normgruppen von größerem Interesse: - Produkt- oder Stoffnorm Legt Anforderungen fest, die vom Produkt erfüllt werden müssen, damit das Produkt als nach dieser Stoffnorm gefertigt in den Handel gebracht werden darf. Grundlegend dazu gehört auch eine Festlegung, für welchen Anwendungsbereich das Produkt vorgesehen ist. In der Europäischen Normung werden zudem umfangreiche Vorgaben hinsichtlich des vom Hersteller zu leistenden Deklarationsumfangs und dessen Erscheinungsform getroffen (Stichwort CE-Kennzeichnung). In den Normen werden in der Regel keine umfassende Vorgaben hinsichtlich aller Beschaffenheitsmerkmale des jeweiligen Produktes getroffen. Es werden lediglich Rahmenbedingungen für die einzusetzenden Ausgangsstoffe festgelegt und ggf. Vorgaben hinsichtlich der einzuhaltenden Fertigungsverfahren getroffen und wesentliche technische Eigenschaften (z.B. Maße Druckfestigkeit) festgelegt. Darüber hinaus werden ggf. technische Festlegungen für bestimmte zu erzielende oder einzuhaltende Eigenschaften (Rechenwert der Wärmeleitfähigkeit, Klassifizierung des Brandverhaltens, Zusammendrückbarkeit etc.) getroffen. Somit werden in der Regel lediglich wesentliche technische Beschaffenheitsparameter festgelegt, die benötigt werden um die Gebrauchstauglichkeit festzustellen. Die Festlegung von optischen Merkmalen findet in der Regel lediglich dann statt, wenn die optische Beschaffenheit für die spätere Funktion eine höhere Relevanz hat. Da es sich um keine technische Eigenschaft handelt und somit der Produzent nicht unnötig in seiner Gestaltungsfreiheit zu Anpassung an den jeweiligen Endverbrauchergeschmack eingeengt werden soll, sind die entsprechenden Anforderungen oft recht allgemein gehalten (z.B. „Struktur bzw. Farbe entsprechend dem vom Hersteller bereitgestellten und vom Käufer genehmigten Muster“). Etwas konkreter sind lediglich die Beurteilungskriterien hinsichtlich Schäden (Kratzer, Risse Abplatzungen und Ablösungen) und fertigungsbedingte Beschaffenheitsabweichungen (z. B. Ausblühungen, Struktur einer Beschichtung etc.). Zusätzlich werden in einigen Normen anzuwendende Betrachtungsabstände sowie Vorgaben bzgl. Beleuchtungsverhältnisse angegeben. - Ausführungsnormen In Ausführungsnormen werden zunächst der Bereich die von der Norm erfassten Ausführungen festgelegt und definiert. Es werden die für die Ausführung zu verwendenden Baustoffe benannt. Hier wird, wenn möglich auf die entsprechende Stoffnormung Bezug genommen. Häufig werden dann ausführungsspezifische Begriffe und Verfahren erläutert und festgelegt. Danach werden die Anforderungen an Konstruktion und Baustoff benannt und die zu berücksichtigenden Einwirkungen in Art und Größe festgelegt. Es werden die produktspezifischen Bemessungsgrundsätze benannt. Sind für die Bemessung umfangreichere Berechnungen und/ oder schriftliche Nach- Buch IB.indb 335 11.02.20 12: 54 336 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik weise z. B. in Form einer Statik notwendig, wird die Bemessung häufig in einer eigenen Bemessungsnorm ausgegliedert. In der Regel werden Annahmekriterien für die Baustoffe auf der Baustelle benannt, Vorgaben zum Schutz und zur Lagerung auf der Baustelle getroffen und die technisch relevanten Verarbeitungstechniken benannt. Die Ausführungsgüte wird häufig indirekt über Anforderung an Ebenheit- und Winkligkeit, Fugenbreite oder Anforderungen an Fugenbreiten etwas eingegrenzt. Nur in Ausnahmefällen werden darüber hinaus spezielle Festlegungen hinsichtlich der Optik getroffen. Anforderungen an die Optik werden in der Regel in separaten privatrechtlichen Regelwerken (z. B Sichtbetonmerkblatt des Deutschen Betonvereins; Merkblätter zu Qualitätsstufen von Innenputz vom Bundesverband der Gipsindustrie) festgelegt. Diese werden, je nach allgemeiner Anerkennung, dann ihrerseits als Vertragsbestandteil mit benannt oder ggf. sogar als übliche Verkehrssitte allgemein vorausgesetzt. - Bemessungsnormen Sind zur Ausführung einer Konstruktion umfangreichere statische oder bauphysikalische Berechnungen notwendig, werden die Vorgaben zum Rechnerischen Nachweis der benötigten Eigenschaften häufig in separaten Bemessungsnormen festgelegt und standardisiert. Zu den Bemessungsnormen gehören im weitesten Sinne auch die Passungsnormen, wie z. B. die DIN 18 202 „Toleranzen im Hochbau“. - Prüfnormen Prüfnormen standardisieren die Verfahren zur Festlegung fest umrissener Eigenschaften, sowie deren Ergebnisauswertung und Dokumentation. Die Normen beinhalten auch Vorgaben hinsichtlich des Aufbaus und Handhabung der Prüfwerkzeuge und Maschinen. Es werden Verschleißgrenzen definiert und Vorgaben zu Überprüfungs- und Kalibrierverfahren getroffen. 2.4 Regelungsstandards DIN-Normung Die DIN-Normung ist, wie bereits in Abschn. 2.1 ausgeführt, grundsätzlich privatrechtlicher Natur und daher von den Zielsetzungen und Interessen der in diesem Gremium versammelten Regelsetzer bestimmt. Sie umfasst weder alle Aspekte des jeweiligen Normierungsgegenstandes, noch sind im Bauwesen alle Baustoffe, Bauverfahren und Bauweisen normiert. Im Bauwesen verfolgt die Normung im Wesentlichen drei Ziele - Sicherstellung eines Mindestsicherheitsniveaus bei sicherheitsrelevanten Baustoffen, Bauverfahren und Bauweisen. Diese Normen sind häufig über Landesund/ oder Bundesbaurecht in der Rechtsprechung verankert - Standardisierung von Bauweisen - Erzielung nachvollziehbarer gleichbleibender Qualitätsstandards für Baustoffe, Bauverfahren und Bauweisen. Die Normen regeln zudem im Wesentlichen lediglich technische Aspekte und dies wiederum fast ausschließlich für den Neubaubereich. Bei nicht sicherheitsrelevanten Themenbereichen oder Bereiche mit geringer Anwendungshäufigkeit ist daher ggf. nur eine geringe Durchdringung durch Normen und andere Regelwerke gegeben. Insbesondere bei Normungsgegenständen, bei denen die optische Relevanz nicht ein wesentliches Charakteristikum der Bauweise ist, finden sich in den Regelwerken häufig keine oder nur marginale Vorgaben zur optischen Beschaffenheit und deren Bewertung. In einigen Fällen sind von interessierter Seite (häufig von Industrieverbänden) für derartige Themen Merkblätter oder Regelwerke erarbeitet worden, die sich dem Thema Optik und optische Beurteilungskriterien annehmen. Einige dieser Merkblätter, z. B. Sichtbetonmerkblatt des DBV, haben einen normähnlichen Charakter und sind zwingend bei Ausschreibung, Planung, Ausführung und Abnahme zugrunde zu legen. Liegen für den zu betrachtenden Sachverhalt keine allgemeinverbindlichen und allgemein anerkannten Bewertungskriterien in Form einer Norm oder eines Merkblattes vor, sind die Kriterien gemäß allgemein üblicher Verkehrssitte unter Berücksichtigung der vorliegenden Vorgaben zusammenzustellen (z. B. Ausführungs- und Bewertungsmaßstäbe der einschlägigen Handwerkerausbildung die größtenteils auch in einschlägigen Lehrbüchern dokumentiert sind, vergl. Abschn. 3). 2.5 Beurteilung der Allgemeingültigkeit Aus den Ausführungen in Abschn. 2.1 ist bereits abzuleiten, dass Planer und Ausführende vor der Anwendung von Regelungen die allgemeine und spezielle Relevanz und ggf. die Partikularinteressen des betreffenden Regelsetzer berücksichtigen bzw. bewerten sollten oder müssen. Um eine Gemeingültigkeit zu erlagen ist natürlich die theoretische Richtigkeit vorauszusehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass z.B. aufgrund Veränderungen in der Bauweise oder Nutzung, auch die Annahme der theoretischen Richtigkeit plötzlich nicht mehr gegeben sein kann. Dies kann im ungünstigen Fall auch bei langjährig bewährten, bauaufsichtlich eingeführten und regelmäßig novellierten Normreihen auftreten. Hier sei beispielsweise auf die Norm DIN 11622-2, Ausgabe 06.2004, verwiesen. Diese lies für Fahrsilos unter bestimmten Voraussetzungen unbeschichtete Innenseiten der Behälterwände zu. Mit Aufkommen der Biogasanlagen wurden die Dimensionen derartiger Anlagen beträchtlich vergrößert und somit auch der Angriffsgrad der beim Regelbetrieb zeitweise Buch IB.indb 336 11.02.20 12: 54 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 337 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik entstehende Säuren beträchtlich erhöht. Die Behälterwände wurden dadurch so geschädigt, dass es hier bereits nach einem Jahr Betriebszeit zu standsicherheitsgefährdenden Schäden, teilweise sogar zu Einstürzen kam, vergl. [3]. Die Norm musste daher in Hinblick auf den Säureschutz des Betons grundsätzlich überarbeitet werden. Aus den vorgenannten Gründen wird ersichtlich, dass auch DINNormen immer auf ihre Richtigkeit und Relevanz geprüft werden sollten. Damit ein schriftliches Regelwerk als „Anerkannte Regel der Technik“ gelten kann, müssen u. a. folgende Voraussetzungen erfüllt sein: - Theoretische Richtigkeit - Allgemeine Verbreitung u. Bewährung d. Bauweise - Allgemeine Bekanntheit und Relevanz d. Bauweise - Regelsetzung d. entsprechend anerkannte Fachkreise mit Berücksichtigung möglichst aller betroffenen Interessengruppen - Gewährleistung allgemeiner Zugänglichkeit des Regelwerkes - Überprüfungsmöglichkeiten der Regelsetzung, einschließlich Revisionsmöglichkeiten z. B. über entsprechend geregelte und verankerte Einspruchsverfahren - Anpassung der Norminhalte an die aktuellen Gegebenheiten und Randbedingungen. Ein bekanntes Beispiel für fehlende Aktualität ist die Mindestanforderung im Schallschutz regelnde DIN 4109, Ausgabe 1989, die erst 2016 grundlegend novelliert wurde. Die in dieser Norm verankerten Mindestanforderungen wurden vor ihrer Novellierung regelmäßig von hierzu angerufenen Gerichten als zu niedrig angesehen, weil sich mittlerweile wesentlich schärfere Mindeststandards in der Baubranche durchgesetzt hatten, die teilweise zielsicher erreicht werden konnten und deren Umsetzung daher vom Nutzer und/ oder Besteller erwartet werden konnte. Hilfsweise wurde in der betreffenden Zeit u.a. auf Regelwerke anderer Regelsetzer (z. B. VDI) zurückgegriffen. 2.6 Abhängigkeit vom Beurteilungszeitpunkt Grundsätzlich müssen zum Zeitpunkt der Abnahme u. a. die „Anerkannten Regeln der Technik eingehalten worden sein. Ansonsten liegt u. U. ein Sachmangel vor, vergl. z.B. VOB Teil B §13 (1) [2], siehe Bild 4. Hieraus ergeben sich bei Bauprojekten mit längeren andauernden Planungs- und Ausführungsfristen erhebliche Probleme und Risiken. Bild 4: Auszug aus VOB Teil B zu Mängelansprüchen zum Zeitpunkt der Abnahme Die Gefahr der Generierung eines Sachmangels aufgrund vorgenannten Sachverhaltes soll am Beispiel der Einführung der DIN 1045 Teil 1 - 4, Ausgabe 07.2001 näher erläutert werden. U.a. bedingt durch die in der vorgenannten Ausgabe vorgenommene Harmonisierungsbemühungen mit dem im Geltungsbereich der BRD erst später eingerührten Eurocode 2 unterschied sich diese Neuausgabe so wesentlich von der vorherigen Ausgabe 07.1988, dass ein Mischungsverbot bestand, vergl. [4]. Dies bedeutete, dass Planung, Bemessung und Ausführung grundsätzlich nach einem der beiden Regelwerke auszuführen waren. Das Mischungsverbot wurde jedoch nicht verletzt, wenn die jeweils strengere Vorschrift angewendet wurde. Um zum Einführungszeitpunkt hier eine praktikable Handhabung für laufende Projekte zu ermöglichen, vor dem Einführungszeitpunkt nach vorhergehender längere Diskussion durch die Fachkommision Bautechnik der Bauministerkonferenz eine Übergangsfrist bis 2004 festgesetzt, in der die alte und neue Ausgabe unter bauaufsichtlichen Aspekten parallel angewendet werden durfte, vergl. [5]. Von interessierter Seite (u.a. Bauträger) wurde bei diesen laufenden Projekten, die nach alter Norm ausgeführt wurden, geltend gemacht, dass zum Abnahmezeitpunkt eine veraltete Bautechnik eingesetzt und hieraus Schadensersatzansprüche abgeleitet, da die neue Normgeneration ein höheres Dauerhaftigkeitsniveau, vergl. z.B. [6], sicherstelle. Dieses höhere Sicherheitsniveau sei eindeutig nach VOB zum Abnahmezeitpunkt zu gewährleisten. Einschlägige Fachautoren der juristischen Seite, z. B. der damalige Vorsitzende Richter am OLG München, Herr Prof. Dr. Gerd Motzke, zeigte in entsprechenden Fachaufsätzen großes Verständnis für diese Argumentationskette, obwohl gleichzeitig von fachtechnischer Seite immer wieder auf viele Unsicherheiten und Risiken der neuen Regelung hingewiesen wurde, vergl. z.B. [5]. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass eine Umplanung noch nicht begonnener Projekte u. a. erhebliche Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen zur Folge gehabt hätten. Bei bereits in der Erstellung befindlichen Projekten wäre zudem unter Umständen eine Anpassung bereits ausge- Buch IB.indb 337 11.02.20 12: 54 338 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik führte Bauteile an die Anforderungen der neuen Normgeneration unter wirtschaftlich sinnvollen Erwägung ggf. nicht oder nur noch eingeschränkt möglich gewesen. Sofern hier der Auftraggeber nicht frühzeitig (also vor Einführung der neuen Normengeneration) von Auftragnehmerseite auf die vorgenannte Problematik aufmerksam gemacht und entsprechend aufgeklärt worden war, ergaben sich hieraus erhebliche Haftungsrisiken für den Auftragnehmer. 2.7 Bedeutung vorliegender Normung für einzelne Bauverfahren oder -bautechniken Grundsätzlich erhöht eine vorliegende Normung die Anscheinsvermutung, dass es sich um eine Technik entsprechend den „Stand der Technik“ oder gar um Bauweise gemäß einer „Anerkannten Regel der Technik“ handelt, erheblich. Die Baustoffindustrie ist bei entsprechender Marktbedeutung des Produktes oder der Bauweise in der Regel bestrebt Neuerung in das bestehende Normensystem zu verankern. Ohne diese Verankerung ist das Risiko, aus den in Abschn. 2.6 genannte Gründen, vergl. Bild 4, der Geltendmachung von Sachmängeln eher höher. So wurden Bitumendickbeschichtungen (PMBS oder vormals KMB) bereits seit Jahrzehnte als Abdichtung von erdberührten Wänden erfolgreich eingesetzt, bevor sie im August 2000 in der einschlägigen Abdichtungsnormung DIN 18195 verankert wurden, vergl. [1]. Noch in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren immer wieder Rechtstreite anhängig, ob diese Technik als anerkanntes und bewährtes Verfahren anzusehen ist oder ob ein Sachmangel vorliegt. Aktuell ist die Anwendung von Bitumendickbeschichtung erneut im Fokus einer gerichtsanhängigen Auseinandersetzung. Das OLG Hamm entscheidet gemäß einen am 14.08.19 gefällten Urteil, dass eine Außenabdichtung mittels Kombinationslösung aus polymermodifizierten Bitumendickbeschichtung und WU-Bodenplatte für den Kombinationslastfall aufstauendes Sickerwasser nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht, vergl. [6]. Hier geht es also im Wesentlichen um die Problematik des Materialübergangs zwischen den beiden Systemen. Dieser Fall zeigt deutlich, der Planer und der Ausführende auch bei prinzipiell eingeführten Bauweisen, insbesondere bei der Kombination unterschiedlicher konstruktiver Lösungsansätze immer noch selbst eine Risikoabwägung treffen sollte und den Bauherrn bzw. Auftraggeber in diese mit einbeziehen sollte. Im vorliegenden Fall war die Mischbauweise sogar in der einschlägigen Abdichtungsnormung (DIN 18533 bzw. vormalig DIN 18195) verankert. Darüber hinaus lag eine produktspezifische Ausführungsrichtlinie [7], die ebenfalls längjährig eingeführt ist und regelmäßig überarbeitet wurde, vor. 2.8 Problematiken beim Bauen im Bestand Ein Großteil der einschlägigen Regelwerke beschäftigt sich ausschließlich mit Neubauvorhaben oder setzt für seine Vorgaben Bausubstanz, die entsprechende Vorgaben genügt, voraus. Daher sind bereits bei einfachen Umbaumaßnahmen von erst wenigen Jahren alten Objekten ggf. die Vorrausetzungen des angesetzten Regelwerks nicht oder allenfalls sinngemäß erfüllt. Planer und ausführende sind hier gut beraten, wenn sie den Bauherren über diesen Sachverhalt aufklären und (schriftlich) auf nicht auszuschließende Abweichungen in der geplanten Ausführung hinweisen und sich diese dann auch im Bedarfsfall entsprechend genehmigen lassen. Bei Umbau oder Ertüchtigung historischer Altbausubstanz ist eine Ausführung entsprechend der zum aktuellen Planungs- und Ausführungsstand anzusetzenden „Anerkannten Regeln der Technik“ in der Regel nicht oder allenfalls nur sehr eingeschränkt möglich. Teilweise liegen hier alte Bauweisen, Baustoffe oder Bemessungsverfahren vor, die so nicht mehr hergestellt bzw. ausgeführt werden. Beispielsweise seien hier, z.B. preußische Kappengewölbe, Stampflehmboden in Keller, auskragende Natursteinbalken als Balkonauflager, etc. genannt. Im Stahlbetonbau betrug die Mindestbetondeckung bei Stahlbetonfertigteilen bis in die 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bei Innenbauteilen nur 0,5 cm. Insbesondere wenn bei historisch wertvoller Bausubstanz zusätzlich Auflagen der Denkmalbehörden zu berücksichtigen sind, sind zudem die Eingriffe auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken. Dies führt dazu, dass Gebrauchstauglichkeit (z.B. Deckenhöhe, Schallschutz oder Wärmeschutz) ggf. gegenüber aktuell anzusetzenden Standards zurückbleiben. Gleiches gilt für die Dauerhaftigkeit (z.B. bei Ausführungen mit reinen Kalkputzen in ungünstigen Anwendungzonen oder -bereichen). Derartige Einschränkungen sind z.B. beim Sicherheitsniveau oder Gesundheitsschutz (z.B. Gefahr der Kondenzwasserproblematik in der Heizperiode) natürlich nicht zu akzeptieren. Hier ergibt sich jedoch häufig die Schwierigkeit, dass für das zu beurteilende Bauwerk keine aktuellen Bemessungsansätze (z. B. bei historischen Stahlsteindeckensystemen) vorliegen. Die Tragwerksanalyse und die zu wählenden Bemessungsansätze müssen dann einzelfallbezogen durch entsprechende Fachingenieure erst festgelegt werden. Ähnliches gilt u.a. für die Sicherstellung von Mindestbrandschutzanforderungen. Als ein Regelsetzer, der sich insbesondere um derartige Problemstellung im Hochbau kümmert, ist die Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft (WTA) zu nennen. Da sich im Bereich der Wasserstraßen zahlreiche noch im Betrieb befindliche Bauwerke vorzufinden sind, die vor mehr als einhundert Jahren erstellt wurden, sind von Buch IB.indb 338 11.02.20 12: 54 10. Kolloquium Industrieböden - März 2020 339 Grauzone Bauen - insbesondere bei Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Bautechnik der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) einige Regelwerke erstellt worden, die sich speziell der Instandsetzung derartige Bauwerke widmen. Insbesondere für Baumaßnahmen an Mauerwerksbauten, sowie Beton- und Stahlbetonbauten ab der Gründerzeit lassen sich hieraus über Analogieschlüsse Ausführungshinweise auch für Bauwerke mit anderen Anwendungszwecken gewinnen. 3. Stellenwert nicht kodifizierter Regeln Einzelne handwerkliche Ausführungs- und Applikationsweisen oder Oberflächenbearbeitung sind häufig kaum oder nicht in übergeordneten Regelwerken verankert. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Festlegungen hinsichtlich der Wahl geeigneter oder sachgerechter Ausführungswerkzeuge, die im Zweifel die Beschaffenheit oder das Erscheinungsbild (beispielsweise Festlegungen zu den Steinmetzwerkzeugen für die händische Oberflächenbearbeitung) erheblich beeinflussen können. Eher allgemeingültige Regelwerke finden sich im Regelfall lediglich zu wirtschaftlich relevanten Aspekten und/ oder Ausführungsweisen mit hohem Streitpotential. Beispiele hierzu sind das DBVMerkblatt zu Sichtbeton, die relativ ausführlichen Ausführungshinweise zu Natursteinmauern im Eurocode 6 oder die Merkblätter des Industrieverband Fugendichtstoffe zur Ausbildung sogenannter dauerelastischer Fugen zu nennen. Teilweise werden darüber hinaus zwar interne Spezifikationen niedergelegt, deren Verbreitung jedoch in Einzelfällen bewusst eingeschränkt, da allgemein bekannte Standards ggf. den Wettbewerbsdruck durch unerwünschte ggf. sogar artfremde Wettbewerber erhöhen könnte. Liegen lediglich schriftliche Spezifikationen mit geringen Verbreitungsgrad vor oder ist die Arbeits- oder Verarbeitungsweise nicht oder nur in wenigen Fundstellen dokumentiert, ist der Nachweis, dass es sich hier um Techniken handelt, die durchaus als Anerkannte Regel der Technik anzusehen sind, sehr schwierig, insbesondere, wenn es sich um gerichtsanhängige Auseinandersetzungen handelt. Ausdrücklich soll betont werden, dass Anwendungs- oder Ausführungsmerkblätter von Baustoffherstellern zu Einzelprodukten hierbei eher nicht hilfsweise als Beleg für den „Stand der Technik“, geschweige denn als „Anerkannte Regel der Technik“ herangezogen werden können. Dies gilt allenfalls dann, wenn sich die entsprechenden Ausführungshinweise auch in den Merkblättern der Mitbewerber in gleicher oder ähnlicher Weise wiederfinden lassen. Besser geeignet sind hier schon die entsprechenden Lehrmaterialen oder Lehrbücher, die zur Schulung von Auszubildenden im Handwerk verwendet werden. Hier lässt sich ggf. eher plausibel herleiten, dass bestimmte Ausführungsweisen eine langjährige Tradition mit entsprechender Verbreitung und allgemeiner Kenntnis der Ausführenden ausweisen. 4. Zusammenfassung Im vorliegenden Aufsatz wird aus dem Blickwinkel des Bautechnikers der unbestimmte Rechtsbegriff „Anerkannte Regel der Technik versucht zu beleuchten. Hierzu werden der Aufbau und die Bewertungskriterien dieser Technikklausel erläutert. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf den technischen Inhalten, mit den dieser Rechtsbegriff zu füllen ist. Es soll hier insbesondere das Bewusstsein geschärft werden, dass diese Ausgestaltung ureigene Aufgabe der Techniker ist und erst nach der Ausgestaltung als Werkzeug der Juristen zur Verfügung steht. Aufgrund der aufgezeigten vielfältigen Unsicherheiten bei den entsprechenden Festlegungen und Beurteilungen, die in konkreten Einzelbeispielen in den jeweilig erläuterten Sachzusammenhängen benannt werden, kann das geschärfte Bewusstsein der erläuterten Abhängigkeit der juristischen Auslegung von technisch zu liefernden Vorgaben für Betroffene im Streitfall hilfreich sein. 5. Quellennachweise [1] Zöller. M.; Boldt, A.: Anerkannte Regeln der Technik; Inhalt eines unbestimmten Rechtsbegriffs, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, 2017 [2] Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.): Vergabeu. Vertragsordnung für Bauleistung, Ausgabe 2019, Beuth Verlag, Berlin Wien u. Zürich 2019 [3] H. Tebbe: Betonbau in der Landwirtschaft (Teil1): in: DBV-Heft 33, S. 19-43 DBV (Selbstverlag); Berlin 2014 [4] Schießl. P.; Gehlen Ch, Sodeikat, Ch.: Dauerhafter Konstruktionsbeton f. Verkehrsbauwerke, Betonkalender 2004; S. 157-220 [5] Fingerloos, F., Litzner H.-U.: Erläuterung zur praktischen Anwendung der neuen DIN 1045, Betonkalender 2005; S. 377-445 [6] Rheinhardt H.-W.: Beton, Betonkalender 2001; S. 6-145 [7] Deutsche Bauchemie: Kombinationsbauweise „Außenabdichtung aus PMBC mit Übergang auf eine WU-Bodenplatte“, Frankfurt, interne Mitteilung von 01.10.2019 [8] Deutsche Bauchemie (Hrsg.): Richtlinie zur Planung und Ausführung von Abdichtungen mit polymermodifizierten Bitumendickbeschichtungen (PMBC), Ausgabe 12.2018, Selbstverlag Frankfurt a. M., 2018 Buch IB.indb 339 11.02.20 12: 54