eJournals

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2001
243-4
KODIKAS/ CODE Ars Semeiotica �: �}ti; �i_: F3/ 4 An International Journal of Semiotics - - - - � I 1 • • 1 �- - - - - - -- �� =-- .- - ==- =-= =-.- ----�- Sp i, 1 Issu püesls A thefk digi aler Li eratur Aesthet es of digital iteratu1e Her u, n Fr' ri h W BI Chri t' n H ib, h nd KGrin Wi n gtl\:7 Gunter Narr Verlag Tübingen KODIKAS/ CODE Ars Semeiotica An International Journal of Semiotics Volume 24 (2001) · No. 3-4 Special lssue pOesls Ästhetik digitaler Literatur -Aesthetics of digital literature Herausgegeben von Friedrich W. Block, Christiane Heibach und Karin Wenz Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Introduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Von der Print-Literatur zur digitalen Literatur- Konvergenzen und Brüche Roberta Simanowski Hermeneutik der Tiefeninformation. Zur Psychologie des digitalen Bildes . . . . . . . . . 129 Friedrich W. Block Innovation or triviality? On the hypermedial 'translation' of modernism by example of the Elektronischer Lexikon-Roman 137 Markus Krajewski (Un)Tiefen elektronischer Textarchive: Zu Status und Produktionsbedingungen digitaler Literatur 143 Uwe Wirth Zwischen Answering Machine und Online-Chat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Hypertext - Text-Hype? Charakterisierungen eines Phänomens Emest Hess-Lüttich net art. Neue Aufgaben der Medienästhetik und Tele-Semiotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 BeatSuter Ein neues Literaturmilieu [zwischen Transfugalität und 'Event-ualität'] . . . . . . . . . . . 169 Gesine Lenore Schiewer KI-Forschung und Ästhetik digitaler Literatur: Zur Diskussion des Künstlichen . . . . 179 118 Contents Christiane Reibach Die unsichtbare Geschichte: Thesen zum Wesen der Netzliteratur 189 Anja Rau Time in digital fiction: Some temporal strategies of adventure games...... . . . . . . . 199 Joseph Wallmannsberger Virtual quills: Towards an aesthetics in the polemical mode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 The making of digital literature: Werkstattberichte Johannes Auer Frieder Rusmann: Fabrikverkauf [www.fabrik-ver-kauf.de] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 hei+Co@hyperdis.de Suchen und Verweisen: Digitale Autor-/ Leserschaften 223 Reinhard Döhl TanGo & Co. - Bericht über einige Stuttgarter IntemetProjekte 235 Florian Cramer Combinatory poetry and literature on the intemet 243 Addresses of authors ...... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Publication Schedule and Subscription Information The joumal appears 2 times a year. Annual subscription rate€ 82,- (special price for private persons € 56,-) plus postage. Single copy (double issue) € 48,-plus postage. The subscription will be considered renewed each year for another year unless terminated prior to 15 November. Besides normal volumes, supplement volumes of the joumal devoted to the study of a specialized subject will appear at irregular intervals. © 2002 · Gunter Narr Verlag Tübingen Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind Uiheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, sind vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendungen, im Magnettonverfahren oder ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den privaten Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Nagel, Reutlingen Druck und Verarbeitung: ilmprint, Langewiesen ISSN 0171-0843 ISBN 3-8233-9956-X Einleitung / Introduction KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) • No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen Friedrich W. Block, Christiane Reibach und Karin Wenz pOesls - Poetologie digitaler Texte Die ReihepOesls poetics of digital text wurde am 20. und 21. Oktober 2000 am Wissenschaftlichen Zentrum für Kulturforschung der Universität Kassel mit einer Tagung zum Thema "Ästhetik digitaler Literatur" eröffnet. Sie wurde begleitet von der AusstellungpOesJ s internationale digitale Dichtung im Kasseler Kunsttempel. Die Reihe findet in Kooperation der Universitäten Kassel und Erfurt sowie der Stiftung Brückner-Kühner (Kassel) statt. Sie wurde im September 2001 in Erfurt unter Beteiligung internationaler Gäste fortgesetzt. Die Symposien zur Poetologie digitaler Texte orientieren sich vorläufig an folgender Fragestellung: Sie wollen die spezifischen Leistungen und Funktionen einer Literatur erkunden und diskutieren, die für die digitalen Medien gedacht bzw. speziell für diese konzipiert wird. Als eine Literaturform, die im Spannungsfeld zwischen Innovation (den veränderten Bedingungen digitalen und vernetzten Schreibens sowie der Multimedialität) und Tradition (im Rückgriff auf die Tradition der literarischen Avantgarden) arbeitet, stellt sich gerade für die wissenschaftliche Arbeit die Frage nach der Einordnung und Behandlung dieser Literatur in medien- und literaturtheoretischer Perspektive. Diese beiden Aspekte bestimmten auch die Beiträge des Kasseler Symposions. Der Block Von der Print-Literatur zur digitalen Literatur - Konvergenzen und Brüche untersucht das Verhältnis von Printliteratur und digitaler Literatur unter verschiedenen Blickwinkeln, immer aber mit dem Fokus auf die Frage, inwieweit sich digitale Literaturformen auf historische Entwicklungen der literarischen Tradition und/ oder Avantgarde beziehen. Der Themenbereich Hypertext-Text-Hype? Charakterisierungen eines Phänomens dagegen konzentriert sich auf mögliche Beschreibungsformen der medienspezifischen Charakteristika digitaler Literatur in Abgrenzung von printliterarischen Vorbildem. Dass beide Richtungen in der künstlerischen Praxis in ganz unterschiedlicher Weise umgesetzt werden, zeigen die Werkstattberichte der Künstler und Autoren. Gerade auch der Diskurs der digitalen Literatur ist auf den engen Kontakt zwischen Theoretikern und Praktikern angewiesen, denn die technischen Vorgaben, die sich der Analyse, Kritik und Theoriebildung oft nicht leicht erschließen, vermitteln sich am besten über Einblicke in die 'Werkstatt für potentielle oder realisierte Literatur'. Andererseits können von wissenschaftlicher Seite Angebote synchroner urid diachroner Einordnung, poetologischer sowie medien- und kulturtheoretischer Kontextualisierung gemacht werden. So war es auch ein Ziel des Symposions, die Kommunikation zwischen dem wissenschaftlichen und künstlerischen Bereich zu intensivieren. Im ersten Teil dieses Bandes, Von der Print-Literatur zur digitalen Literatur-Konvergenzen und Brüche, werden ästhetische Dimensionen des semiotischen Wandels, Aspekte der Text- Bild-Beziehung im Rahmen der Digitalisierung, der hypermedialen Umsetzung von Buch- 120 Friedrich W. Block, Christiane Heibach und Karin Wenz vorlagen experimenteller Literatur, der Frage nach dem Hereinreichen digitaler Ordnungsmuster in gedruckte Literatur sowie nach Eigenheiten von Literatur als schriftlichem Gespräch am Beispiel von Chat-Foren im Netz diskutiert. Roberto Simanowski markiert in seinem Beitrag Hermeneutik der Tiefeninformation. Zur Psychologie des digitalen Bildes das digitale Bild als Element einer Dramaturgie des Spektakels. An einigen hypermedialen Beispielen werden spezifische Eigenarten des digital visualisierten Textes und des Bildes als Text skizziert. Dabei wird die doppelte Tiefeninformation des digitalen Bildes auf verschiedenen Ebenen der verdeckten Quellcodes erörtert. Simanowski bezweifelt, dass geläufige Auffassungen zum Bildbegriff den beobachteten Phänomenen noch gerecht werden. Im Beitrag Innovation oder Trivialität? Zur hypermedialen 'Übersetzung' der Modeme am Beispiel des Elektronischen Lexikon-Romans beschäftigt sich Friedrich W. Block kritisch mit zwei hartnäckigen Gerüchten: 1. mit digitaler Dichtung geschehe etwas radikal Neues, 2. das Elektronische sei das bessere Medium für die in der Modeme entwickelten poetischen Schreibweisen bzw. die eigentliche Einlösung ihrer Poetik. Insofern ist die Frage gestellt nicht nur nach der Spezifik, sondern auch nach dem ästhetischen Gewinn einer um hypermediale Formen erweiterten Dichtkunst. Diskutiert wird dies anhand der 1998 erschienen CD-Rom Elektronischer Lexikon-Roman, die die Vorlage von Andreas Okopenko (1970) hypermedial umbzw. über-setzt. (Un)Tiefen elektronischer Textarchive: Zu Status und Produktionsbedingungen digitaler Literatur ist das Thema von Markus Krajewski. Ausgehend von der Frage nach dem Status von Digitalität innerhalb der Literatur, wird diese nicht nur theoretisch sondiert, sondern ebenso auf programmtechnische Entsprechungen für literarische Prozesse jenseits des Copy&Paste-Prinzips in einer so genannten Textverarbeitung untersucht. Dass dabei das Datenbankprinzip der Textsammlungen nicht notwendigerweise auf den Computer angewiesen ist, sondern auch Kennzeichen printliterarischer Produktion sein kann, wie anhand von Kempowskis Echolot gezeigt wird, stellt für Krajewski das zentrale Argument dar, die Grenze zwischen digitaler und Buchliteratur brüchig werden zu lassen. Der Beitrag ZwischenAnswering Machine und Online-Chat von Uwe Wirth nimmt Bezug auf einige, auf dem Symposium biterSzene in Romainmoitier vorgestellte Chatprojekte von Gisela Müller, Tilman Sack und Susanne Berkenheger. Ausgehend von diesen Projekten stellt Uwe Wirth seine Vorüberlegungen zu einer Poetik des Chattens vor. Er sieht diese Form 'schriftlicher Mündlichkeit' im Zusammenhang mit der Poetik des Briefromans und der Praxis des Telefonierens. Der Chat als ein 'fernschriftlicher Dialog' nimmt das written to the moment der Briefromanpoetik wieder auf, indem er den Akt des Schreibens in einem bestimmten Rahmen dem Chatroom sichtbar macht. Das Themenfeld des zweiten Teils, Hypertext - Text-Hype? Charakterisierungen eines Phänomens, behandelt Beschreibungsformen digitaler Literatur. Hier wird davon ausgegangen, dass wir es im Bereich der digitalen Literatur durchaus mit neuen Erscheinungsformen zu tun haben, der die Wissenschaft auch mit veränderten Kategorien begegnen muss. Emest Hess-Lüttich beschreibt den semiotischen Wandel und die dadurch ausgelösten ästhetischen Veränderungen in seinem Beitrag net art. Neue Aufgaben der Medienästhetik und Tele-Semiotik. Hess-Lüttich analysiert neue ästhetische Genres wie zum Beispiel Netzliteratur, Hyperfiction, Computeranimationen im Film. Da diese Formen nicht mehr entlang altbekannter, traditioneller Kategorien klassifiziert werden können, fordert er neue Modelle, die die Hybridität dieser Formen berücksichtigen. Einleitung/ lntroduction 121 Beat Suter beschreibt digitale Texte als Ein neues Literaturmilieu [zwischen Transfugalität und 'Event-ualität' ]. Als Eigenschaften der 'Hyperfictions', 'Cyberfictions', 'Webfictions', der 'Netzliteratur' und der 'Welttexte' werden genannt: ein hohes Maß an Experimentalität, künstlerischer Gestaltungswille, der mehr als nur tradierte Formen transportieren will, Hybridität, narrative Eigenräumlichkeit, Nichtendgültigkeit, Streben nach Interaktivität und 'Event-ualität'. Diese Merkmale lassen sich nach Suter mit den Begriffen des 'Transversalen' und des 'Transfugalen' im Sinne von Wolfgang Welsch funktional beschreiben. Die Begriffe des Künstlichen und der Interaktivität stehen im Zentrum von Gesine Lenore Schiewers Beitrag KI-Forschung und Ästhetik digitaler Literatur: Zur Diskussion des Künstlichen. Espen Aarseths Interaktionsbegriffund seine Beschreibung von 'ergodischer Literatur' sowie Herbert A. Simons Rückbindung des Begriffs des Künstlichen an die Komplexität soll hier einer Ästhetik digitaler Literatur zugrunde gelegt werden. Dabei ist die Frage grundlegend,. ob es aufgrund der vielfältigen Lese- und Wahrnehmungsmöglichkeiten gelingt, den Rezipienten nicht nur auf eine spielerische Reise durch den Text zu schicken, sondern ihn zu einer eigenen Erkenntnisleistung zu veranlassen, so dass ihm seine Interaktionsmöglichkeiten ebenso bewusst werden wie die Gängelung und Beschränkung, die ebenfalls Merkmale digitaler Literatur sind. Christiane Heibach versucht in ihrem Beitrag Die unsichtbare Geschichte. Thesen zum Wesen der Netzliteratur Charakteristika der Netzliteratur im Unterschied zu digitaler, unvernetzter Literatur herauszuarbeiten. Dabei geht sie davon aus, dass die mediale Beschaffenheit des Internets auch die Erscheinungsformen von Netzliteratur und Netzkunst bestimmt. Das bedeutet v.a., dass Netzliteratur die Eigenschaften der technischen Vernetzung von Dokumenten und Nutzern, der Prozessualität der Softwareprogramme und der Computer und Internet zugrundeliegenden symbolischen Codes auf unterschiedlichste Weise widerspiegelt. Den einzelnen Thesen zur Spezifik der Netzliteratur werden in der Folge direkt Beispiele aus der ästhetischen Medienpraxis gegenübergestellt, die diese einerseits untermauern, andererseits deutlich machen sollen, dass die sehr unterschiedlichen Tendenzen dennoch bestimmte Gemeinsamkeiten aufweisen, die eine Kategorisierung erlauben. Anja Rau beschäftigt sich in 'Zeit in digitalen Fiktionen: Die zeitlichen Strategien von Adventure-Games mit einer ganz anderen Form digitaler Phänomene: den Computerspielen. Am Beispiel der Modellierung von Zeitstrukturen untersucht Rau, inwieweit durch den Einsatz von Multimedialität und programmbasierter Rekursivität 'chronozentristische' Erzählweisen aufgebrochen werden. An Beispielen demonstriert sie ihre These, dass Computerspiele und vor allem Adventure Games gezielt eine Subversion linearer Zeitkonzepte betreiben und diese als einen wesentlichen Aspekt ihrer Narrativität integrieren. Joseph W allmannsberger unternimmt in Virtual quills: Zu einer Ästhetik im Polemischen eine kritische Dekonstruktion einiger 'Mythen' des Digitalen. Die angebliche Offenheit elektronischer Texte, propagiert anhand der Überwindung der Leser-Autor-Grenze im Hypertext, wird demnach viel wirkungsvoller und tiefgreifender durch die Flexibilität von Datenbanken verwirklicht. Der zweite Mythos, die Erfüllung literarischer Träume in der Synästhesie virtueller Welten, erweist sich bei genauer Betrachtung als verkappte Geometrie und damit von hoher mathematischer Abstraktion. Ein solchermaßen veränderter Textbegriff, der Datenbanken und Codierungen berücksichtigt, führt damit schließlich zu einer Infragestellung des Literaturbegriffs, da die (kollektive) Arbeit am digitalen Code als poetische Praxis definiert werden kann. 122 Friedrich W. Block, Christiane Heibach und Karin Wenz The Making of Digital Literature: Werkstattberichte schließt diesen Band und führt die Theorie über in die ästhetische Praxis. Johannes Auer stellt mit Frieder Rusmann: Fabrikverkauf ein Projekt vor, das eine Schnittstelle zwischen Internet und Real-Life-Performance darstellt. Er nimmt die Begriffe 'community' und 'e-commerce' zum Anlass einer vom Nutzer selbst zu gestaltenden Kunstperformance, der [walking exhibition], bei der im Internet zu beziehende T-Shirts mit einschlägigen Aufdrucken an realen Orten getragen werden und dies wiederum im Netz als Performance angekündigt wird. Ziel ist es, die virtuellen Strukturen des e-commerce durch die [walking exhibition] zurück in den Alltagsvollzug zu übersetzen. Ein virtueller Geschäftsgang wird sichtbar gemacht und zugleich der Kunstkauf aus seiner rein kommerziellen Funktion befreit. hei+co@hyperdis.de thematisiert in seinem Beitrag Suchen und Verweisen: digitale Autor-/ Leserschaften den verschwindenden Autor im Netz. Intertextualität sowie freie Kopier- und Manipulierbarkeit von Dokumenten verhindern demzufolge die Authentizität der Urheberschaft, auf der die Printliteratur aufbaut. Auktoriale Zuschreibung verweigernd, diskutiert der Beitrag anhand zahlreicher anonymisierter Referenzen die Frage nach dem Verhältnis von Autor und Leser in Zeiten des Internets. Nicht nur inhaltlich, sondern auch in seiner Struktur ist der Beitrag experimentell die anonymisierten Verweise werden erst auf einer speziellen Seite im Internet aufgelöst. Damit wird die mediale Konvergenz und Differenz zwischen Print und Netz sowohl thematisiert als auch formal umgesetzt. TanGo & Co. - Bericht über einige Stuttgarter lnternetProjekte von Reinhard Döhl macht deutlich, dass die vorgestellten Internetprojekte in der Tradition früherer Stuttgarter Experimente (Computertexte und -grafik; konkrete und visuelle Poesie) zu sehen sind. Die reproduktiven und produktivenMöglichkeiten des Internets werden diskutiert und experimentell genutzt, indem einzelne Texte zu den Spielregeln, d.h. technischen Bedingungen des Internets eingegeben wurden. Stehen hier digitale Variationen der visuellen Poesie im Vordergrund, so stellt Martina Kieningers deutsch-uruguayisches TanGo-Projekt eine Art kooperative, interkulturell angelegte digital-literarische Anthologie dar. Deutsche und uruguayische Teilnehmer waren aufgerufen, zu den Themen 'Tango' (für Deutschland) und 'Schuhplattler' (für Uruguay) ihre Assoziationen spielen zu lassen. Die unterschiedlichen Darstellungsformen und die Kombinatorik der Perspektiven gipfeln schließlich in einer Ironisierung von kulturellen Klischees. In Kombinatorische Dichtung und Literatur im Internet vermittelt Florian Cramer schließlich am Beispiel seiner Website permutations, die historische und eigene in PERL programmierte Textmaschinen bereitstellt, einen alternativen und begrifflich strengen Ansatz digitaler Dichtung: Diese wird verstanden als die konzeptuelle Gestaltung von Codierung und Programmierung bzw. eine algorithmische, sich selbst ausführende ars combinatoria. Poetologisch bezieht er damit Stellung gegen einen auf die Schlagworte 'Hypertext', 'Multimedia' und 'Interaktivität' orientierten Zugang zu digitalen Texten. Die Vielfalt der Beiträge und auch. die unterschiedlichen Perspektiven fächern das breite .. Spektrum der Aspekte digitaler Literatur auf. Wir stehen offensichtlich erst am Anfang einer Entwicklung, die zur Zeit mehr Fragen produziert als Lösungen anbieten kann. Das Kasseler Symposion zeigte die Notwendigkeit, den fach- und theorieübergreifenden Diskurs weiterzuführen, um das Entwicklungspotential dieses Feldes weiterzuverfolgen. Den notwendigerweise vorläufigen Ergebnissen soll daher durch die Fortsetzung des Symposions eine gewisse Stabilität und Kontinuität der Diskussion zur Seite gestellt werden, die es ermöglicht, Sichtweisen und Beschreibungsformen zu überdenken und der aktuellen Entwicklung anzupassen. Einleitung/ Introduction 123 Allen, die die Bearbeitung dieses Problemkatalogs mit ihren Vorträgen und Diskussionsbeiträgen ein gutes Stück vorangetrieben und damit neue Horizonte des Diskurses für die kommenden Symposien eröffnet haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Unser besonderer Dank gilt unseren Förderern: der Universität Erfurt, der Universität Kassel, der Stiftung Brückner-Kühner und dem Kasseler Hochschulbund sowie namentlich auch Michael Giesecke und Winfried Nöth für ihre Projektbegleitung. Und last but not least danken wir Ernest Hess-Lüttich für die Möglichkeit zur Veröffentlichung in der Reihe Kodikas/ Code sowie Roberto Simanowski, der die Herausgabe der Tagungsbeiträge im e-joumal dichtungdigital (http: / / www.dichtung-digital.de/ Forum-Kassel-Okt-OO/ index.htm) ermöglicht und vorbereitet hat. pOesls - Poetics of digital text The series Poetics of digital text was launched on October 20th and 21st 2000 at the Center of Cultural Sciences (University of Kassel) with a symposium on the Aesthetics of digital literature. The conference was interconnected with the exhibition pOesls international digital poetry, which took place in the gallery Kunsttempel in Kassel. The series is acooperation of the Universities of Kassel and Erfurt and the Brückner-Kühner Foundation (Kassel). In September 2001 the series continued in Erfurt under the participation of international guests. The symposia on the poetics of digital text orient themselves along the following conceptual formulation: The intrinsic capacities and functions of a literature that is specificaily conceived for digital media shall be explored. As a literary form oscillating between innovation (the changed conditions ofdigital and networked writing) and tradition (with recourse to the traditions of the literary avant-garde) the question about classification and interpretation of this new kind of literature in media theory and literary criticism has to be solved. These two aspects dominated the Kassel symposium. The first group under the heading From print to digital literature convergence and disruption examines the relation between print and digital literature under different points of view, however, always with a focus on historical traditions ofliterature and/ or its relation to the literary avant-gardes. The scope of Hypertext- Text-Hype? Features of a phenomenon lies on the possibilities to describe media specifi.c features of digital literature compared to role models in the description of print literature .. The workshop reports of artists and authors demonstrate that both directions are followed but transposed in the artistic practice in different ways. Especially the discourse on digital literature is dependent on the close interchange between theory and practice. The technical demands, which are not easily grasped in analysis, critic, and the development of theory, are mediated at best through insights in the 'workshop for potential and realized literature'. However, theory may offer a synchronic and diachronic classification and a contextualization from a poetic, media theoretical and cultural point of view. Based on this presupposition it is the goal of our symposia to intensify the communication between theoreticians and artists working in the field of digital literature. The first part of our proceedings From print to digital literature convergence and disruption discusses the aesthetic dimension of semiotic change, aspects of text-image relations in the 124 Friedrich W. Block, Christiane Reibach und Karin Wenz frame of digitalization, the hypermedial transfer from a print version of experimental literature, the question of the influence of digital construction patterns in printed literature, and the features of literature as written discourse by the example of chat rooms on the Web. In his paper on Hermeneutics of in-depth information. On the psychology ofthe digital image Roberto Simanowski defines the digital image as part of a dramaturgy of the spectacle. Some hypermedial examples were chosen to mark the specific features of digital visualized text and the textual aspects of images. Thereby the double in-depth information of the digital image is discussed on different levels of the hidden source code. Simanowski questions that the common interpretation of images can grasp the new phenomena. Friedrich W. Block' s contribution Innovation or triviality? On the hypermedial 'translation' of Modernism comments on two persistent rumours: 1. We enter radically new spheres with digital literature. 2. The digital media would be better equipped to represent the modernist ways of poetic writing which have been developed, the digital media would be the late realization of modern poetics. Block argues that we have to take into consideration the specificity of digital literature and the aesthetic gain of a poetry that is extended by hypermedial forms. As an example to elucidate this problem, Block chose an interactive cd-rom, published in 1998, which transforms a novel of Andreas Okopenko (Lexikon-Roman 1970). The abyss of electronic text archives: On status and conditions of the production of digital literature is the topic of Markus Krajewski's contribution. The concept of digitality in literature is approximated theoretically and transferred to literary processes and their technical equivalents in word processing beyond mere copy and paste principles. The data base strategy of collections of texts is not necessarily limited to the computer but also a principle of the production of print literature. This central argument of Krajewski is demonstrated by the example of Kempowski's Echolot. Krajewski faces the border between digital and print literature and shows that this border has to be perceived as pervious. Uwe Wirth' s paper on Between answering machine and online chat refers to some chat projects presented on the InterSzene symposium in Romainmoitier by Gisela Müller, Tilman Sack, and Susanne Berkenheger. Proceeding on these projects, he developes some presuppositions towards a poetics of chatting. He sees this form of 'written orality' in relation with the poetic of the epistolary novel and the practice of telephoning. The chat as a 'long distance written dialogue' resumes the 'written to the moment' of the poetics of the epistolary novel, by making the act of writing visible in a specific frame: the chat room. The subject area of the second part Hypertext text-hype? Features of a phenomenon concentrates on forms of description of digital literature. Starting from the idea that we are dealing with new forms of appearance in the field of digital literature, research in this field has to develop new categories of description. Ernest Hess-Lüttich focuses on the semiotic change and its aesthetic impact in his paper on net art. New tasksfor media aesthetics and tele semiotics. Hess-Lüttich takes a closer look at new genres of aesthetics as e.g. net literature, hyperfiction, computer animation in film. As these forms cannot be classified along well-known traditional lines, he calls for new models which take the hybridity of these new genres into account. Beat Suter describes digital texts as A new literary environment [between transfugality and 'event-uality']. He names a high degree of experimentality, the desire for artistic design which is more than the transfer of traditional forms, hybridity, narrative spatiality, non-finality and the striving for interactivity and 'event-uality' as characteristics of 'hyperfiction', Einleitung/ Introduction 125 'cyberfiction', 'webfiction' and 'net literature'. Suter claims that these characteristics are best grasped functionally with Wolfgang Welsch's terms ofthe 'transversal' and the 'transfugal'. The artificial and interactivity are the key terms of Gesine Lenore Schiewer' s contribution on Research on AI and the aesthetics of digital literature. She approaches an aesthetics of digital literature by following Espen Aarseth' s definition of interaction, bis description of · ergodic literature and Herbert A. Simon' s idea of a relationship between the artificial and the complex. The central question of this paper is whether the multiple possibilities of reading and perceiving offer beside a playful journey through the text new insights to the recipients. These new insights should enable the recipient to be aware of his or her possibilities of interaction as weil as of the hidden guidance and restriction which are also features of digital literature. Christiane Reibach develops in her paper The invisible story: Theses on the nature ofnet literature the different characteristics of net literature in comparison to non-networked digital literature. Her theses can be summarized as: the medial quality of the intemet determinates the specifity of net literature and net art. Especially net literature mirrors in very different ways the specific properties of technically networked documents and users, of the processbased software and the symbolic codes that computer and intemet are based on. Tue theses are illustrated by artistic examples from the field of net literature and net art. How differentiated their tendencies seem to be at a first glance, they all share common features which make a categorization possible. Anja Rau' s Time in digital fiction: The temporal strategies of adventure games is concemed with a very different digital phenomenon: the computer game. She describes how the use of multi-mediality and programm-based recursivity changes ways of 'chronocentristic' storytelling. With several examples she demonstrates that computer games and especially the adventure game aim towards a subversion of linear time concepts. This subversion is integrated into computer games as a specific aspect of their narrativity. In Virtual quills: Towards an aesthetics in the polemical mode Joseph Wallmannsberger undertakes a critical deconstruction of some myths of the digital. The alleged openness of electronic texts, described as a transgression of the border between reader and author in hypertext, is reached much more effectively and profoundly by the flexibility of data bases. A second myth on the realization of literary dreams in the synaesthesia of virtual worlds tums out to be a hidden geometry and therefore of high mathematical abstraction. An extended understanding of text which involves data bases and coding, opens up an understanding of literature. Following Wallmannsberger the (collaborative) development of digital code can be described as poetic practice. The making of digital literature: Workshop reports closes this Kodikas number and transfers theory into aesthetic practice. Johannes Auer introduces his project Frieder Rusmann: Fabrikverkauf, which functions as an interface between the intemet and a real-life performance. He uses the terms 'community' and 'e-commerce' as starting point for an artistic performance which the user has to create himor herself in a [walking exhibition]. To participate the user has to order a graphically designed T-shirt online and has to wear it at a place and time in real life. This [walking exhibition] was announced on the intemet. lt is Auer' s goal to translate the virtual structures of e-commerce back into our everyday life. A virtual business is made visible and the buying of an art object is freed from its commercial function. 126 Friedrich W. Block, Christiane Heibach und Karin Wenz hei+co@hyperdis.de discusses in his contribution Searching and referring digital authorand readerships the disappearing author on the intemet. Intertextuality as well as copyand manipulation-practices of documents subvert the authenticity of authorship on which print-literature is based. Refusing auctorial identification, the paper discusses the question of the relationship between author and reader on the intemet, using numerous anonymized quotes. Not only in its message but also in its structure this paper is experimental the anonymized references can only be resolved by visiting a website. This practice demonstrates at the same time the medial convergence and the difference between print and intemet. TanGo & Co: A report on some intemetprojectsfrom Stuttgart by Reinhard Döhl clarifies that these projects have to be seen in the tradition of earlier experiments from Stuttgart (computer text and -graphic, concrete and visual poetry). The reproductive and productive possibilities of the intemet are used in so far as single texts have been added under the rules of the game, which is the technical condition of the intemet. These projects highlight digital variations of visual poetry, while Martina Kieninger' s German-Uruguayan TanGo-project can be described as a cooperative and intercultural digital-literary anthology. German and Uruguayan participants were asked to associate along the themes 'Tango' (for Germany) and 'Schuhplattler' (for Uruguay). The variety of presentations and the combinatory perspectives culminate in an ironic representation of cultural chliches. Finally, Florian Cramer follows a very strict view on digital literature, which he explains with his online-project permutations. The project combines historical and own examples of text machineries programmed in PERL. Cramer understands digital literature as a conceptual design of coding and progrartuning, an algorithmic, self-executing ars combinatoria. His perspective is opposed to the key terms of a digital poetics that focuses on hypertext, multimedia, and interactivity. The variety of the contributions and the different perspectives fans out the broad range of digital literature. Compared to print-literature we are just at the beginning of a development which raises more questions than it offers solutions.. The Kassel symposium shows the necessity of an interdisciplinary discourse to grasp the potential and the possibilities of the field. The first preliminary results shall be accompanied by a continuation of this discussion, which allows to review perspectives and forms of description and to consider at the same time the appearance of new developments. We want to thank all participants of the first pOesl s symposium who have strode ahead the development and thereby opened up new horizons for the coming discussions. This is the place and the time to show our appreciation for the generous support we have received from the University of Erfurt, the University of Kassel (and especially the Center of Cultural Sciences), the Brückner-Kühner Foundation, and the Kasseler Hochschulbund, and personally from Michael Giesecke and Winfried Nöth by their help and companion during the development of our project. Last but not least we are grateful to Emest Hess-Lüttich for the possibility to publish these proceedings in Kodikas/ Code and Roberto Simanowski who has made possible the publication of most of these contributions in his e-journal dichtung-digital (http: / / www.dichtung-digital.de/ Forum-Kassel-Okt-00/ index.htm). Von der Print-Literatur zur digitalen Literatur Konvergenzen und Brüche Karin Wenz Raum, Raumsprache und Sprachräume Zur Textsemiotik der Raumbeschreibung Kodikas/ Code Supplement 22, 1997, 257 Seiten,€ 42,-/ SFr 69,30 ISBN 3-8233-4313-0 Welches sind die semiotischen Beziehungen zwischen Raumkognition und textueller Raumrepräsentation? Der Titel Raum, Raumsprache und Sprachräume soll die Dimensionen dieses Themas verdeutlichen. "Raum" bezieht sich auf die Raumkognition, deren bloße Wahrnehmung bereits ein semiotischer Prozeß ist. "Raumsprache" umschreibt das zentrale Thema: die Sprache von Raum, die Repräsentation des Raumes durch Sprache in Texten. Das Stichwort "Sprachräume" verweist schließlich auf die Möglichkeit, daß Texte selbst ihre eigene Räumlichkeit entwikkeln, indem sie zu metaphorischen Räumen werden, in denen sich der Leser im Prozeß der Lektüre orientiert. Mit dem Thema Sprachräume wird die Diskussion der Textsemiotik auf Hypertext und Hyperkultur erweitert. Die gegenseitige Beeinflussung der Künste und die daraus resultierende Überschreitung der traditionell mit einem Medium verbundenen Grenzen der Darstellbarkeit erweitern den textuellen Raum auf eminente Weise und nehmen dadurch hypertextuelle Strukturen vorweg. Diese Arbeit liegt im Spannungsfeld von Semiotik, Erkenntnistheorie, kognitiver Linguistik und konstruktivistischer Medientheorie. Sie wurde als Preisschrift der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (1996) mit dem Förderpreis der DGS ausgezeichnet. ,Gunter Narr Verlag Tübingen Postfach 2567 • D-72015 Tübingen• Fax (07071) 75288 Hermeneutik der Tiefeninformation Zur Psychologie des digitalen Bildes Roberta Simanowski KODIKAS / CODE Ars Semei otica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen How does the hidden text in the html-source and image-files affect the image' s appearance and meaning? What is this text's role within the primary and secondary signification? How is one to develop a hermeneutic of hidden text and its included interaction? The paper approaches these questions from within the context of Schreiber's Epos of the Machine and Huppert's image animations. 1. Text als Bild Die Klage über die Visualisierung von Kommunikation und Wahmehmung ist ein immer wiederkehrendes Phänomen. Als Neil Postman 1985 dem Fernsehen eine unhintergehbare Grammatik der Zerstreuung unterstellte, war er damit schon nicht mehr der erste. Vor ihm hatte Günther Anders 1956 diesem Medium schlechte Noten ausgestellt und wiederum einige Jahrzehnte zuvor war es das Kino, dem man die Unterstützung der Zerstreuung bis hin zum Verderben der Sitten nachsagte. Die Bilderllut ist eine alte Gefahr, und immer wird sie diskutiert im Zusammenhang mit Zerstreuung, Amüsement oder Spektakel. Jochen Schulte- Sasse spricht 1988 in diesem Zusammenhang von einer "Dramaturgie des Spektakels", die "kaum noch der Sprache [vertraut], um ihre Ziele zu erreichen." (Schulte-Sasse 1988: 438f.) Die digitalen Medien erschienen da zunächst als Sachverwalter des Wortes und führten mit ihren grünen Zeichen auf schwarzem Grund zu einer regelrechten Renaissance des Entzifferns. Bekanntlich ist der Computer, trotz seiner abstrakten mathematischen Grundlage, diesem Text-Spartanismus längst entwachsen. Das Interface ist inzwischen handhabbar für jeden halbwegs pfiffigen Analphabeten, Websites ohne Images werden zur Seltenheit und sind schon als Zeichen des Widerstandes zu verstehen und mit der Flash-Technologie scheinen denn auch die digitalen Medien endgültig beim Spektakel angekommen zu sein. Die einst die neuen Techniken priesen, äußern sich angesichts des "breakout of the visual" (Bolter 1996: 258) nun ähnlich besorgt wie vormals Anders und Postman. So spricht Robert Coover, 1992 Prophet der Hyperfiction in der New York Times Book Review, Anfang 2000 vom "constant threat of hypermedia: to suck the substance out of a work of lettered art, reduce it to surface spectacle" (2000). 1 Es gibt freilich auch eine Visualisierung vor dem Bild, in der die Bedeutung des Textes durch die Art und Weise seiner Präsentation überlagert wird. Die Buchstaben erobern sich als materielle Zeichen den Raum, sie haben ihren Auftritt nicht mehr nur vor dem inneren Auge des Lesers, wollen vielmehr tatsächlich gesehen werden und verlören in der akustischen Realisierung mehr als ihre Schriftlichkeit. Dass es sich dabei nicht allein um die Übertragung der konkreten Poesie ins Reich des Digitalen handelt, liegt auf der Hand angesichts der Faktoren Zeit und Interaktion, die im vorliegenden Fall zusätzlich eine Rolle spielen. Beispiel 130 Roberta Simanowski dafür ist Urs Schreibers Epos der Maschine - Preisträger des-Arte Liter@turwettbewerbs 2000 -, an dem zugleich deutlich wird, dass die Visualisierung von Text auch im Modus des Digitalen eine über den Effekt seines Erscheinens hinaus gehende Bedeutung haben kann. In Schreibers aufwändig programmiertem Werk baut sich eine technikkritische Frage Wort für Wort in der Form eines Fragezeichen auf, wobei alle Wörter sich schließlich leicht hin und her bewegen, außer «Wahrheit», das als Punkt des Fragezeichens so starr ist wie im Text apostrophiert. Zu dieser Entfaltung des Textes in Zeit und Raum kommt nun die in der Interaktion. Klickt man auf das Zeichen «Wahrheit», verschwinden alle anderen Wörter hinter ihr, als suchten sie dort Zuflucht oder als verschlinge die Wahrheit das, was sie in Frage stellt. Bewegt man daraufhin die Maus, folgt «Wahrheit» dem Cursor, gefolgt von jenen anderen Wörtern, die wieder hervorkommen, der «Wahrheit» regelrecht 'auf den Fersen', wohin auch immer diese sich entzieht. Stoppt man die Maus, verschwinden alle Wörter erneut hinter «Wahrheit», bewegt man die Maus, tauchen sie wieder auf. Einmal aufgeworfene Fragenso die mögliche Lesart können nicht mehr einfach ausradiert werden, vorausgesetzt, es gibt Bewegung im Diskurs. Auch das Spektakel, so ist an dieser Stelle schon einmal festzuhalten, muss entziffert werden.2 Kommen wir zur Visualisierung mit Bildern. 2. Bild als Text Eine Betrachtung der Wort-Bild-Beziehungen muss zunächst drei Ebenen unterscheiden: 1. Die Anwesenheit des Bildes im Wort als bildlicher Sinnenschein des Gesagten. 2. Die Wechselbeziehung im Sinne des Austausches von Stoffen und Formen, wie etwa in den auf mythologischen Texten beruhenden Gemälden der Renaissance. 3. Die Vereinigung von Wort und Bild im einzelnen Artefakt, wie etwa im Emblem, in der Bildergeschichte oder im illustrierten Buch (Willems 1990: 414). Die dritte Variante, die einzig hier weiter interessieren soll, lässt sich wiederum dreifach perspektivieren. Auf der Ebene der äußeren Faktur sind Anteil und Verbindung von Wort und Bild zu diskutieren (Willems 1990: 419). Hierbei kann die verbale Äußerung in die bildlich-visuelle eingebettet sein, wie beim Comic-Strip, oder das Bild ist umgekehrt in den Text eingebettet, wie bei der Emblematik oder der Verwendung von Bildtiteln. Im ersten Fall dominiert das Bild die Textbedeutung durch Desambiguierung und Referentialisierung, im zweiten Fall erfolgt die Interpretation des Bildes in Abhängigkeit von der festgestellten Textbedeutung, besitzt der Text also einen "repressiven Wert hinsichtlich der Freiheit der Signifikate des Bildes" (Barthes 1990: 36). 3 Auf der Ebene des Inhalts ist zu fragen, welches Medium die Vorlage gab, welches Medium dem Rezipienten als Leitfaden dient und wie aus der Verbindung von Wort und Bild ein inhaltliches Ganzes erwächst. Im Hinblick auf den inhaltlichen Zusammenhang können Wort und Bild a) denselben Stoffjeweils mit ihren eigenen Mitteln wiedergeben (Bilderbibel des MA), b) sich einander wechselseitig kommentieren und auslegen, c) sich in den'Stoff teilen (Bildergeschichte Wilhelm Buschs). Auf der Ebene der inneren Faktur ist die "Gestaltung des Bilds mit Rücksicht auf das benachbarte Wort und die des Worts mit Rücksicht auf das benachbarte Bild" zu erörtern: z.B. Entlastung des Wortes vom anschaulichen Reden angesichts der im Bild gegebenen Anschauung, Entlastung des Bildes von der Entfaltung der Bedeutungszusammenhänge oder Verstärkung der Bedeutungsstrukturen des Bildes, um die Anknüpfungspunkte des Wortes zu erhöhen (Willems 1990: 420, 421). Hermeneutik der Tiefeninformation. Zur Psychologie des digitalen Bildes 131 Die Analyseperspektiven, die hiermit angerissen sind, finden freilich auch im Hinblick auf die Wort-Bild-Beziehung in den digitalen Medien Anwendung. Allerdings fügt die Digitalisierung der Wörter und Bilder dem Komplex weitere Aspekte hinzu. Um diese geht es mir in diesem Beitrag. Das Beispiel Epos der Maschine machte deutlich, wie die Transformation des Wortes in ein Bild sich in diesen Medien gegenüber den Printmedien unterscheiden kann. Das nächste Beispiel führt vor Augen, welch grundsätzlich neue Eigenschaften das Bild im Zeichen seiner Digitalität annimmt. Es gibt ein digitales Portrait von Leslie Huppert, das aus zwei verschiedenen farblichen Fassungen besteht, deren Abfolge an Andy Warhols serielles Marilyn Monroe-Porträt erinnert und doch davon prinzipiell verschieden ist. 4 Während man dort, so wie einst bei der seriellen Malerei und der seriellen Fotografie, von links nach rechts und von oben nach unten 'liest', tritt hier ein Bild an die Stelle des anderen. Statt den Blick bewegen zu müssen, wird das Bild bewegt. Dies geschieht allerdings anders als beim Film, wo das eine Bild das andere zur Seite schiebt, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, dass der stroboskopische Effekt entsteht, der die Momentaufnahmen zäsurlos als eine durchgängige Bewegung wahrnehmen lässt. Im vorliegenden Fall des digitalen Bildes gibt es dieses analoge, fürs menschliche Auge unsichtbare Zur-Seite-Schieben nicht, sondern einen Austausch, der im Zeichen der Digitalität faktisch nur den Zustand Bild 1 und Bild 1+n kennt. Bemerkenswert ist dabei, dass nicht mehr das materielle Medium bewegt wird, sondern das Dargestellte, nicht Zelluloid, das die Abbildung trägt, sondern gleich die Abbildung selbst: Ausgetauscht werden die Pixel, die die Abbildung sind. Entscheidend an diesem Verfahren ist, dass das Bild selbst die Information seiner Veränderung in sich trägt und nicht etwa ein Apparat, der es dem 24 Bilder/ Sekunde-Takt unterwirft. Im vorliegenden Fall wird Bild A nach 0,3 Sekunden durch Bild B ersetzt. Bild B wiederum, und hier stoßen wir auf einen anderen entscheidenden Unterschied, wird nach der gleichen Zeit durch Bild A ersetzt. Genauer muss es heißen: Die Bilddatei B wird durch die Bilddatei A abgelöst, und nicht durch Bilddatei C mit Bild A. Diese kleine Korrektur ist· entscheidend, denn sie drückt den Sachverhalt aus, dass im Reich des Digitalen die Sequenzen sich nicht auf ihr Ende hin bewegen wie bei der Filmrolle, sondern unendlich wiederholt werden können. Es gibt keine Dauer des Materials mehr, es gibt eine Dauer durch Programmierung. Im vorliegenden Fall wurden übrigens 1000 Loops programmiert. Da jeder Durchlauf nur zwei Dateien umfasst, die sich mit einer Geschwindigkeit von 30/ 100 Sekunden ablösen, benötigt jeder Loop nur 60/ 100 Sekunden, womit die Bewegung nach 600,6 Sekunden mit Datei B endet. Nach etwa 10 Minuten sehen wir nur noch Bild B, das dann wie ein normales Bild aussieht, vergleichbar einem der Monroe-Bilder aus Warhols Serie. Aber so wie jene Serie als Summe ihrer Teile ein Werk darstellt, das seinen Sinn erst in dieser Serialität erhält, so müssen wir auch im vorliegenden Fall jene anderen Bilder mitzählen, die nun nicht mehr zu sehen sind. Wie viele waren es? 1? 2001? Die richtige Zahl ist wohl die höhere, insofern nicht nur die Wiederholung des gleichen eine Aussage ist, sondern auch die desselben. Das Bild hat, so ist festzuhalten, eine Vergangenheit, die, vor Ablauf der 1000 Loops, einmal seine Zukunft war. Worauf will diese Überlegung hinaus? Das Bild, das wir sehen, ist eine Bilddatei, die im Quellcode als solche kenntlich wird. Diese Datei besteht selbst wiederum aus zwei Bilddateien, die im Quellcode nicht sichtbar werden, die sich aber extrahieren lassen, wenn man die Mutterdatei in ein Animationsprogramm lädt, mit dem sie zuvor aus den beiden Dateien 132 Roberta Simanowski erstellt wurde. In einem solchen Animationsprogramm werden die beiden Dateien in ein bestimmtes Verhältnis zueinander gesetzt, das sich im vorliegenden Falle auf der Ebene der Befehlsdaten in 30/ 100 Sekunden und 1000 Loops ausdrückt im ersten Fall gilt die Programmierung den einzelnen Bildern im zweiten ihrer Summe - und auf der sinnlich wahrnehmbaren Ebene gewissermaßen die serielle Malerei bzw. Fotografie aus dem Raum in die Zeit umsiedeln lässt. Diese Befehlsdaten sind die Tiefeninformationen, die zu einem digitalen Bild gehören. Sie bestimmen sein Verhalten, sie schaffen Änderung in der Zeit und geben dem Bild damit einen narrativen Charakter. Das gewichtet zum einen die Funktion des Bildes innerhalb einer wie auch immer gestalteten Text-Bild-Verbindung. Das führt zum anderen zur Frage, wie ein solches Bild dann strukturell noch vom Film zu unterscheiden ist. Die Antwort darauf hängt davon ab, ob man die Spezifik des Filmischen in der Narration sieht (Barthes 1990: 65), in der Montage (Schnell 2000: 99), in "Bewegtbildem" (Dom 1998, 201), im "Diskurs von Fotografien" (Flusser 1993: 124) oder in der Verbindung von Theater und Fotografie (Amheim 1979). Wahrscheinlich wird man das digitale Bild als ein Drittes zwischen Bild und Film auffassen müssen. Dies gilt zumindest dann, wenn der versteckte Text lnteraktionsbefehle beinhaltet, die es weder beim analogen Bild noch beim Film gibt. Ein weiteres digitales Bild von Leslie Huppert zeigt ein nacktes vier- oder fünfjähriges Kind, auf einer Stange zwischen vier Elefantenbeinen sitzend, wobei die Elefantenbeine in der Mitte gespiegelt wurden, so dass oben und unten jeweils Fußpartien zu sehen sind. Dass es sich hier nicht um ein Abbild mit Referenz in der Wirklichkeit, sondern um eine Fotomontage handelt, ist unumstritten; ob diese Montage völlig auf digitalem Wege entstanden ist oder ob sie zunächst analog vorlag, ist unwesentlich. Entscheidend und strittig ist die Frage, inwiefern es sich noch um ein Bild handelt. Da in diesem Fall keinerlei Veränderung der Szenerie vor sich geht, ist man zu einer schnellen Antwort versucht. Andererseits hat sich beim Aufbau der Site bereits gezeigt, dass dieses Bild aus mehreren Teilbildern besteht, die sich innerhalb einer HTML-Site zu einem Bild fügen. Dieser HTML-Site ist als Background wiederum ein Teil des Bildmusters zugeordnet, das automatisch so oft geladen und nebeneinander plaziert wird, bis der gesamte Bildschirm damit bedeckt ist. Und wie beim Tapetenkleben ist es so, dass sich bei professioneller Arbeit am Ende die Bahnen nicht mehr ausmachen lassen. Wie viele Bahnen geklebt werden müssen, liegt an der Größe der Wand: Der 12-Zoll-Monitor eines Laptops ist da freilich schneller gefüllt als der 20-Zoll-Monitor in einer Multimedia-Agentur. Die Endgestalt des Vorliegenden hängt auch vom Computer des Betrachters ab. Aber um diese rezeptionsseitige Tiefeninformation geht es gar nicht, sondern um jene werkspezifische, die im Vergleich zur vorher behandelten geradezu an der Oberfläche liegt: der Quellcode, den man sich im Browser mit zwei Klicks anzeigen lassen kann. Dort liest man schwarz auf weiß, dass das vorliegende Bild aus mehreren Bildern besteht und dass das eigentliche Bild mit Kind und Elefantenbeinen in ein Netz weiterer Befehlsdaten gestellt ist. Die Schlüsselwörter, die für viele nur kryptische Zeichen sein werden, lauten permanentpic, randornfx oder randomaudio. Was dies konkret heißt, erkundet man am besten auf der sinnlichen Ebene der Browseroberfläche. Sobald man das Terrain der zusammengesetzten Bilder in der Mitte des Browserfensters mit dem Cursor betritt, erscheint dort, auf dem zugrunde liegenden Bild, ein weiteres Image einmal ein Frauenkopf, ein andermal ein Phantasiekopf aus Knetmasse verbunden mit Sound. Das Bild lässt ein anderes Bild auftreten und Töne bzw. gesprochenen Text erklingen. Wie der wiederholte Versuch zeigt, lässt es an der immer gleichen Stelle die weitere Hermeneutik der Tiefeninformation. Zur Psychologie des digitalen Bildes 133 Erkundung zeigt, dass das Bild in vier vertikale Zonen mit je einer Kontaktstelle aufgeteilt ist immer andere Bilder und Töne erscheinen. Dies ist die Folge jener Wörter randomfx oder randomaudio, die dafür sorgen, dass auf den Maus-Kontakt hin aus den zur Auswahlgestellten vier Image- und drei Audio-Dateien jeweils eine nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird. Das anfangs recht überschaubare Bild erweist sich als "ein riesiges labyrinth der subjektiven beziehungsebenen eines menschen". 5 Dieses Labyrinth liegt allerdings nicht schon am Anfang der Rezeption vor, es ergibt sich erst in deren Prozess. Und zwar anders als beim Film erst in Folge der Erkundung durch den Leser. Der Rezeptionsprozess, darauf kommt es an, bestimmt die Präsentation. Anders gesagt: Das Bild wird erst im Prozess seiner Rezeption fertig gestellt. Dieses Prinzip der 'verteilten Autorschaft' ist vom Hypertext her bekannt (Simanowski 2001 ), dessen Gefahr bekanntlich darin liegt, dass der Autor die Navigationsweise des Lesers nicht voraussehen und damit nur begrenzt Aussageintentionen im Text manifestieren kann. Das führt in der Konsequenz zu einer Akzentuierung nicht der Botschaft, sondern der Interaktion und arbeitet im Grunde der Ästhetik des Spektakels zu (Simanowski 2002). Die Interaktion kann freilich· auch streng kalkuliert werden, womit der Autor die Kontrolle behält und der Leser zum Ausführenden einer angelegten Manifestation wird. Dies ist im vorliegenden Beispiel der Fall. Zwar basiert die Ausführung auf einem doppelten Zufall: nämlich der Mouse-Bewegung des Lesers und des programmierten Zufallsprinzips der Mouse-Over- Events. Trotzdem ist das Ergebnis der Interaktion durch die Autorin voraussagbar. Denn es kommt nicht auf die Reihenfolge der erscheinenden Bild- und Tondateien an, sondern auf das Stimmengewirr, das aus der quasi parallelen Abspielbarkeit der Tondateien entsteht und dessen Bedeutung sich im vorliegenden Kontext der Kindheitserinnerung leicht erschließt. Es sind diese Einflüsse, Aussagen und Ansprüche der Welt, denen das Kind ausgesetzt ist. Indem der User dieses Wirrwarr an Aussagen und Ansprüchen durch die Mausbewegung nun selbst erzeugt, gerät er in ein ambivalentes Rollenspiel. Als Betrachter der Szenerie tendiert er einerseits dazu, sich mit dem Kind zu identifizieren und dessen Perspektive auf die Außenwelt einzunehmen. Als Ausführender der programmierten Effekte ist er andererseits zugleich diese Außenwelt, die dem Kind gegenübertritt. Die eigentliche Botschaft könnte gerade in der Kopplung dieser beiden Rollen liegen, wobei die letztere in der vorliegenden Form weder im analogen Bild das nicht dynamisch ist -, noch im Film der nicht bidirektional ist vermittelt werden kann. 3. Anschlüsse Die vorgeführten Fälle der Visualisierung geben einen Eindruck davon, welch neue Eigenschaften das Bild im Zeichen seiner Digitalität annimmt. Es bleibt nachzutragen, dass das Bild sich nicht nur intern ändern kann, also innerhalb seines Rahmens, sondern dass ebenso dieser Rahmen auf dem Bildschirm verschoben werden kann. Die Programmierung der Veränderung außerhalb des Bild-Rahmens liegt auch außerhalb der Bild-Datei, nämlich im Quellcode der HTML-Site, die gewissermaßen als Meta-Rahmen das Bild neben anderen Elementen und Dateien aufnimmt und platziert. Hier wird z.B. das Verhalten von Layern programmiert, als deren Bestandteil die Bild-Datei festgelegt werden kann, etwa indem eine Ausgangs- und Endposition einer Zeitstruktur (Start und Geschwindigkeit der räumlichen Veränderung) unterstellt wird und somit Bewegungen auf der x-y-Achse des Bildschirms oder auf der Tiefenebene generiert werden. 6 134 Roberta Simanowsld Wenn digitale Bilder keine statischen Daten, sondern potentiell dynamische sind, hat dies wesentliche präsentationslogische Konsequenzen. Ganz gleich, ob die Veränderung des Bildes automatisch erfolgt oder aufgrund von User-Inputs, in beiden Fällen ist die Sichtbarkeit des Bildes nicht allein von dessen Oberfläche, sondern auch von dessen Untergrund zu denken. Relationslogisch argumentiert wird die Zeit zu einem Faktor des Strukturzusammenhangs des Bildes. Diskutiert man diesen Umstand innerhalb der Geschichte des Bildes, lässt sich sagen: Während das abstrakte Bild die Repräsentationslogik der Bilder durchbricht und keinen wiedererkennbaren Gegenstand mehr zeigt, durchbricht das digitale Bild die Präsentationslogik, indem es weniger etwas Abwesendes oder Gedachtes als anwesend präsentiert denn etwas Anwesendes als Zukünftiges. Es zielt nicht auf das, was es darstellt, sondern auf das, was es bereithält. Ist das abstrakte Bild ein Angriff auf das traditionelle mimetische Selbstverständnis, so ist das digitale einer auf das kinetische; es ist kein festgehaltener Moment mehr, es hat selbst seine eingeschriebenen Momente. Fragt man nach den Konsequenzen dieser versteckten Befehlstexte für die Semantik des digitalen Bildes, empfiehlt sich, zunächst die Signifikation im Rezeptionsprozess als solchem näher zu betrachten. Nach Michael Titzmann sind dabei zwei Schritte zu unterscheiden: die primäre der vorliegenden Zeichen und die sekundäre, die sich auf der Basis der primären konstituiert. Ein primäres Signifikat ist demnach "die von einem Text oder einem Bild dargestellte Situation" (1990: 376), in der Terminologie Barthes' also das Denotat bzw. die buchstäbliche Botschaft gegenüber dem Konnotat bzw. der symbolischen Botschaft (1990: 45). 7 Während die primäre Signifikation in sprachlichen Äußerungen auf diskreten, an sich schon bedeutungstragenden Elementen (Lexeme) beruht, besitzt sie in bildlich-visuellen Äußerungen eine weit geringere Kodiertheit, denn jedes wahrnehmbare Element (jede Linie, Form, Farbe) und deren Kombination kann bedeutungstragend sein, muss dies aber nicht. Das Bild ist im Gegensatz zum Text "ein Kontinuum nicht-diskreter Zeichen, das erst durch die Projektion hypothetisch angenommener Signifikate auf das Bild als eine Menge diskreter Zeichen strukturiert wird: was Zeichen ist, entscheidet sich in Funktion der Bedeutung" (Titzmann 1990: 378). Dass der Faltenwurf eines Gewandes so oder so verläuft, dass das Gewand blau ist und nicht rot, kann etwas bezeichnen, kann aber auch ohne tiefere Bedeutung sein. Wie Walter A. Koch in seinen Varia Semiotica 1971 festhält, besteht die 'Grammatik' des Bildes nicht aus einem festen Inventar konstanter Elemente, die sich in einer bestimmten Syntax zu komplexen Gestalten zusammensetzen: "Nur über das Modell des Gesamtbildes, den Text", resümiert Winfried Nöth Koch, "kann der Rezipient erkennen, welche Details wichtiger oder weniger wichtig sind, was im Bild differenzierend (wie das Phonem), was minimal bedeutungstragend (wie das Morphem) und was ein gestalthafter Komplex (wie das Wort) ist." (1985: 414) 8 Im Falle unseres Beispiels der versteckten Tondateien lassen sich nun zwei Abweichungen von der herkömmlichen Situation festhalten. 1. Nicht nur die sekundäre Signifikation muss vom Rezipienten erstellt werden, auch die primäre Signifikation ergibt sich erst im Prozess der Rezeption, denn die dargestellte Situation liegt nicht von Anfang an vor. Aufgrund dieser Prozeduralität gibt das digitale Bild sein traditionelles Kennzeichen der synchronen Zustandshaftigkeit auf und nimmt narrative Züge an. Innerhalb dieser Vollendung der primären Signifikation ergibt sich auch erst die Text- Bild-Relation, wobei der Text hier als gesprochene Sprache auftritt. Die verbale Äußerung ist, als Tiefeninformation des Bildes, auf ganz neue Weise in die visuelle eingebettet und übernimmt deren Kennzeichen der zumindest virtuell gegebenen Simultaneität der Elemente. Hermeneutik der Tiefeninformation. Zur Psychologie des digitalen Bildes 135 Zugleich ist die verbale Äußerung in die Rezeptionshandlung eingebettet, in der sie erst zur wahrnehmbaren Äußerung wird. 2. Die Erscheinung des Bildes und der in ihm eingebetteten Texte erlolgt nach den Kodierungsmerkmalen bildlich-visueller Äußerungen. So wie bildlich-visuelle Elemente nicht per se aus diskreten Zeichen bestehen und erst auf der Grundlage von Hypothesen zu solchen werden, so sind auch all jene Zeichen, die hier als Tiefeninformation vorgeführt wurden, nicht-diskrete Zeichen. 9 Das betrifft z.B. die Entfaltungsrichtung der Teleskopsätze in Schreibers Epos der Maschine, das betrifft die Anzahl und Dauer der Loops in Hupperts Doppelbild oder die Anordnung der Mouse-Over-Events in Hupperts Bild-Ton-Collage. Die Interpretation des digitalen Bildes schließt die Verwandlung dieser nicht-diskreten Zeichen in diskrete aufgrund projizierter Hypothesen notwendig ein. Das erlordert die Entwicklung einer entsprechenden Hermeneutik der Tiefeninformation, die eine Hermeneutik der Interaktion, als dem eingeplanten, zumeist nur vage oder gar nicht kalkulierbaren Faktor der Zeichenkonstituierung, einschließen muss. Unter den Fragen, die eine solche Hermeneutik an die beiden besprochenen Werke zu stellen hat, ist z.B. die, inwiefern die Eingabe von 1 000 Loops im ersten Fall etwas bedeutet und inwiefern im Original des zweiten Beispiels die Setzung eines Navigations-Button im unteren rechten Bereich des Bildschirms intendiert, dass die User sich mit der Maus von dort auf das Mittelbild zu bewegen und zwangsläufig zuerst das Mouse-Over-Event des rechten Teilbildes auslösen. Was die 1 000 Loops betrifft, lässt sich vermuten, dass sie den Eindruck der Endlosigkeit erwecken sollen, da kaum jemand die 10 Minuten abwarten wird, bis das Wechselspiel der beiden Bilder stoppt. Andererseits setzte Huppert als Wert 1 000 Loops ein und nicht unendlich, was dazu führt, dass nach 10 Minuten eben doch jenes Ende eintritt. Wie die Reihenfolge von Sprachzeichen - "veni, vidi, vici" zugleich ein Ikon der Rangfolge sein kann (Nöth 1985: 118), kann ebenso die räumliche und zeitliche Anordnung von (lnter)Aktionsbefehlen eine zusätzliche Botschaft vermitteln. Auch wenn die Nachfrage in solchenFällen oft ergibt, dass sich hinter der Entscheidung kein Konzept versteckt,ja dass die Entscheidung selbst gar keine bewusste war, muss doch die Rationalitätsvermutung aufrecht erhalten und eine Bedeutung der vorgefundenen Aktionsbzw. Interaktionssyntax zunächst vermutet werden. So wie man bei Bildern nach der Signifikanz bestimmter Farb- und Formentscheidungen fragt und bei Texten nach der Signifikanz von Wahl und Stellung eines bestimmten Wortes, ist die Frage zu stellen, inwiefern eine Entscheidung auf der Programmierebene zugleich eine Aussage inhaltlicher Art bezweckt, inwiefern also der versteckte Text Bedeutung auf der sichtbaren Fläche des Bildschirms erhält. Anmerkungen Zur Visualisierung vgl. Mitchell 1994, Bolter 1996 und 1997 und Stephens 1998; für eine ausführliche Diskussion im Umfeld digitaler Literatur und Kunst vgl. Simanowski 2002. 2 Dass Leser im Angesicht des Spektakels die hermeneutische Arbeit vernachlässigen, lässt ein Leserkommentar zum Epos der Maschine vermuten: "alleine der umgang schrift und typographie! ich brauche gar nicht mehr zu lesen! wie sich woerter ineinanderschieben und kreisen und erscheinen und verschwinden und und und und und! " (vgl. webring bla2.de) Zu einer ausführlichen Besprechung des Epos der Maschine vgl. Simanowski 2000. 3 VgL Titzmann (1990: 383): "Durch Metapropositionen des Textteils [... ]können primäre Signifikate des Bildes als sekundäre Signifikanten funktionalisiert und ihnen sekundäre Signifikate zugeordnet werden: in der umgekehrten Richtung, von dem Bild auf den Text wirkend, ist dieser Prozeß nicht möglich." 136 Roberto Simanowski 4 Dieses und das folgende Bild befinden sich online unter: <http: / / www.dichtung-digital.de/ Forum-Kassel-Okt- OO/ Simanowski> (Abschnitt 2 und 3). 5 So Leslie Huppert in einer privaten Email am 11. 10. 2000. Die angesprochenen Beziehungsebenen drücken sich v.a. in den Texten der Audiodateien aus: "Komm schon mit", "Trink, Brüderchen, trink", "Nein, ich bin keine Kuh, aber heilig", "Warte auf dein nächstes Leben". 6 Der Layer wird in den Bildschirm hineingeschoben oder, wenn Anfangs- und Endzeit der Aktion fast identisch sind, sofort an der vorgesehenen Stelle platziert, was den Eindruck entstehen lässt, er sei aus dem Nichts bzw. der Bildschirmtiefe aufgetaucht. 7 Es ist anzumerken, dass im Rezeptionsprozess selbst kaum eine klare Trennung zwischen beiden Signifikationsarten bzw. zwischen Analyse und Interpretation vorliegt, sondern Wahrnehmung immer auch schon als Bedeutungszuschreibung erfolgt. 8 Anders ist es bei 'sprechenden Bildern' wie den Emblernatiken der Frühen Neuzeit, die durch ihre tradierten, z.T. in Büchern festgelegten ikonographischen Codes (z.B. Wolf und Lamm als Allegorie für Laster und Tugend) eher wie Texte lesbar sind. 9 Der Begriff diskret bezieht sich im oben benutzten Sinne auf die Bedeutungskodierung eines Elements. Auf der Betrachtungsebene der Speicher- und Präsentationsfonn handelt es sich bei den digitalen Medien freilich immer um diskrete Zeichen. Vgl. dazu Hans H. Hiebels Begriff der "sekundären Digitalität" (Hiebel 1997: 8). Literatur Arnheim, Rudolf 1979 (1932): Film als Kunst, Frankfurt/ Main: Fischer. Arnold, Heinz Ludwig & Roberto Sirnanowski (ed.) 2001: Digitale Literatur, Text und Kritik, Heft 152. Barthes, Roland 1990: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Bolter, Jay David 1997: "Die neue visuelle Kultur. Vom Hypertext zum Hyperfilm", in: Telepolis 2: 84-91. Bolter, Jay David 1996: "Ekphrasis, Virtual Reality, and the Future ofWriting", in: Nunberg (ed.) 1996: 253-272. 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Insofern ist die Frage gestellt nicht nur nach der Spezifik, sondern auch nach dem ästhetischen Gewinn einer um hypermediale Formen erweiterten Dichtkunst Diskutiert wird dies anhand der 1998 erschienen CD-Rom Elektronischer Lexikon-Roman, die die Vorlage von Andreas Okopenko (1970) hypermedial umbzw. über-setzt. I. 'New' and 'better' and what should be thought of these values One stubborn rumor believes that digital literature is occuring as something radically new. You will hardly find any concept that can celebrate such a strong revival as the notion of the 'new'. The 'new media' make it possible. Poetic and academic discourses excessively use the term 'new'. Just one clear-cut example: Eduardo Kac's preface to bis anthology of so called New Media Poetry (which is now being prepared for an extended edition): "This is the first international anthology tö documenta radically new poetry, one that is impossible to present directly in books and that challenges even the innovations of recent and contemporary experimental poetics ... The poems discussed in this anthology ... state that a new poetry for the next century must be developed in new media, simply because the textual aspirations of the authors cannot be physically realized in print" (Kac 1996: 98f.). Besides the launched generic name, New Media Poetry, the anthology's title outlines the new two more times: "Poetic Innovations and New Technologies" (my stresses). We empirically have to realize an avant-garde consciousness in the area of digital aesthetics: an avant-garde consciousness which often reminds us of the style, the gesture, and the contents of historic manifestoes such as the Futuristic Manifesto of Mechanical Art from 1922: "By the machine andin the machine the drama of mankind is being staged. We, the Futurists, are forcing the machine to free itselffrom its practical functions in order to immerse into the mere mental life of art which is not bound to any purpose . . . All this is our new necessity and the principle of our new aesthetics while the traditional aesthetics are still feeding on legends and myths" (Caramel et al. 1990: 163, my transl.). With the focus on new media technologies, the most aggressive concept of time is being revived: the notion of progress. Isn't this an inscription into an extremely linear pattern? Isn't the estimated or wanted aesthetic 'surplus value' subject to the "logic of economical exchange" (Groys 1992: 138 Friedrich W. Block 63ff.)? Does the expression of a "literature for the new media" (e.g., Reibach 2000: 171ff.) not also mean that literature appears to promote the progress of media-technology? However, with the 'new' we paradoxically catch the oldest or most traditional idea developed by Modernity and Modernism: Being prepared by the "Querelle des Anciens et Modemes" iµ the middle of the 18 th century, the 'new' as an aesthetic value was explicitly connected to modernity by Baudelaire (1989) for the first time. The historical avant-gardes used 'new' in opposition to 'old' or 'traditional' as a basic difference. Another question is how to handle the difference of innovation and tradition in the digital discourse how do we want to have it? Really often in a way which reminds us of windmills: Gutenberg galaxy, books realized in print, linear narrative strategies, mono-dimensionality, depth of sense, finality, authority, etc.: all sorted out at the latest by Romanticism! However, an obviously more fruitful option would be to see 'tradition' as everything that can be read as the pre-history and the induction to the recent possibilities of digital literature. 2. This leads to a second rumor: Digital technology provides the better media for writing strategies developed by Modernism; concepts like multi-linearity, multiand intermediality, fragment, motion, chance, audience activity have 'arrived' at last. Bolter (1991: 132), for instance, states about the hypertext: "Topographie writing redefines the tradition of modemism for a new medium". And Phillippe Castellin' s editorial of Alire/ Docks (1997: 6f.) designs a great equation: on the left side of the equals sign we find a long list: poetry, individuality, intermediality, collage, cadavres exquis, permutation, poesie totale, synaesthesia, multisensory, Queneau, Schwitters, Joyce, Petronio, Hausmann, Zaum, etc. On the right side we only find one single world: "l' ordinateur": The computer puts Modernism completely into one bag. If tradition is positively taken, computer, Internet, or digital culture are sketched as simply as, on the other side, so called 'printed literature'. Taking this background into account, I want to argue for the concentration more on continuities than on the supposed hard breaks, more on the fine differences than on the sheer ruptures, more on extension and development than on progress. This would mean to check historically different concepts of digital aesthetics. This would also mean to observe the actual single text, network, project, or event in this perspective a poetological principle, too. In my view, for example, interesting for the criteria of multior hypermediality would be the concepts of 'Gesamtkunstwerk' and synaesthesia, or much better: of intermediality as coined by Dick Higgins for the art of Intermedia and Fluxus, as a conceptual fusion of forms of text, image, sound designed in visual or sound poetry, in text films, video or holographic poems. Interesting for the criteria of movement, motion, animation would be kinetic art, Actionism, Op-art as concentrated by Franz Mon some 40 years ago under the title "movens": a poetics of all genres of art inspired by the basic value of motion and movement. Movement not only of perceivable forms but also of the process of perception and thought themselves (Mon 1960). This focus on process already touches the criteria of interactivity. Concerning interactivity, also the activity of the audience has tobe taken into account as conceived in happenings, in conceptual art, or in reception aesthetics which outline the creative reading and viewing the concept of the co-author. But crucial is also the idea of the man machine coupling well known from Futurism, or from the "Literaturmetaphysik" (metaphysics of literature) of Max Bense and its concrete realizations since the S0's, or from the Turingpoetics of Oswald Wiener. On the whole, we still have to do with iriventions that were bom between the S0's and the 70's. Innovation or triviality? 139 IT. From "Lexikon-Roman" to ''Elex": a questionable transformation Interesting observation conditions arise if a concrete model, developed under the sketched modernist values, now becomes hypermedially processed and transformed. Such projects are not very well known. I can only remember a few of them: the Permutations from Florian Cramer, for instance, or the CD-Rom Ottos Mops (John & Quosdorf 1996) playing with poems ofEmst Jandl, or the transformation ofBorges' Forking Paths by Steward Moulthrop and of Nabokov' s Pale Fire by Ted Nelson. In 1998, the CD-Rom Elektronischer Lexikon-Roman (Electronic Lexicon-Novel, "Elex" for short) was launched by the Viennese group "Libraries of Mind" who worked for more than six years to transform the Lexikon-Roman of Andreas Okopenko, a book which was published by the Austrian Residenz-Verlag in 1970. The novel begins with a "Gebrauchsanleitung" (user' s manual): "Think of the first computer; extend the novel by means of your own links with stimulus-words, or even better: write a book which will nail my novel in its restrictedness" (Okopenko 1996: 7, my translation). Let's first·have a look at the result of nearly 30 years of thinking about the computer; the model will be investigated later. The CD-Rom presents a closed hypertext, which is worked from the material of the model and links the various fragments with keywords. Different ways of navigation are offered: An image-map suggests a linear selection 'along the Donau river', following the travel route of the main character. The lexias include links to other entries. A menu "A-Z" alphabetically lists the entries and, thus, presents links to the complete text material. And beyond, special preference allows listing every visited link, so individual paths may be followed. In addition, it is possible to search within the plain text and to make notes. Multi-medial extensions: various keywords or sites are linked to graphics and photos. The Author's voice can be heard with various fragments read by Okopenko. Finally, you can start the Lexikon-Sonate by Karl Heinz Essl: a so-called "interactive realtime composition for computer aided piano". The composition is created in real-time. There aren't any fixed lines of notes, rather only several historically grounded modules of co: mposition are given, which announced as so-called interactivitycan influence each other. This strategy is inspired by the random principles of the Lexikon-Roman. The Elex offers the opportunity to start the sonata composition, to let it run in the background, to hear, to observe or to stop it. Conclusion: we have to do with in a contemporary perspective a quite usual hypertext in the pattem of expanded books. Interactivity, multi-mediality, and necessity of navigation all this is present. But artistically, the project is not at all striking. Hence, a bad example but a good one to illustrate the problems. mentioned earlier: What may be technically advanced is not automatically convincing as a piece of art. Aspects of criticism can be mentioned: the various medial forms i.e. graphics, photos, voice, music, text exist next to each other and are never brought into a mutual intermedial dependence and condensation. Photos and graphics as well as the author' s voice are restricted to illustration why some text fragments are linked to these elements remains a mystery. More interest may be found in following the lexicon-sonata by a transfer to the text. But a comprehensive coupling of the reading activity with the structure of the composition would be expected. And besides that, photos and graphics are of markedly inferior quality compared to the sonata and the text. What about the original book, after which this was modeled? - This is an experimental narrative, which examines how strong the boundaries of text creation and narration can be 140 Friedrich W. Block stretched. Tue complete textual material is put into alphabetical order. This corresponds to the menu "A-Z"'of the electronic transformation, which is restricted to a list of entries and does not present a successive text. The text of the book mainly offers two ways of navigation: to follow successively the entries or to jump between the links, which are given in an entry as usual in a lexicon. Remember: the Elex, on the other hand, offers a bit more: bookmarks and especially so called "main entries", which are presented by a specific boldly marked navigation bar, andthird -which are linearly connected one after the other. This means that the end of every fragment only leads to the next main entry (marked hold). Thus, the Elex strongly forces one way of reading, whereas the book remains very open in this respect. The book integrates this sequence as a possibility but without suggesting it as a preferred structure. In its instruction, the Elex also gives advice about what was filtered here: the main narrative line. But the book provides nothing like that, it only explains for whom this structure may be helpful ..: . using clear ironic signals: "Das Gros folge mir gleich zum Anfang der Reise" (7), "Wen die tiefen Gründe des Erzählerwechsels nicht interessieren, der folge mir gleich zur_. Brücke" (12) {Tue crowd may follow me to the beginning of the journey / Those not interested in the deep reasons of the narrator' s change may just follow me to the ➔ bridge.} But I do not want to belong to the crowd, I am interested, I have withdrawn myself from the narrator and thus I lose the main narrative line. Both variants begin with the mentioned user' s manual. In Elex this inevitably leads to the "Anfang der Reise" (beginning of the travel). In the book I turn the page or I may have skipped the manual and I get to "A", where I read: "Sie sind es gewohnt, ein Buch unter Umgehung des Vorwortes von vom nach hinten zu lesen. Sehr praktisch. Aber diesmal schlagen Sie bitte zur Gebrauchsanweisung zurück, denn ohne die werden Sie das Buch nicht zum Roman machen" (9) {You are used to reading a bookafter skipping the preface from the beginning to the end. Very practical. However, this time go back to the user' s manual, which you will need in order to make a novel out of this book.} Or another well known reading habit you may first have a look at the end of the book, at the last entry ''Zz", where you read: "Sie sind es gewohnt, zuerst nachzulesen, ob sie sich kriegen, Napoleon und Desiree, oder der Bulle und der Kunde. Sehr praktisch. Diesmal aber erfahren Sie auf diese Weise nur, daß Zz bei den alten Apothekern Myrrhe, bei den neuen Ingwer bedeutet. Wollen Sie besser informiert werden, schlagen Sie, bitte, zur Gebrauchsanweisung zurück. Denn Sie selbst müssen dieses Buch erst zum Roman machen" (292) {You are used to first checking whether they get each other, Napoleon and Desiree or cop and client. Very practical. However, this time you will only leam that Zz means myrrh in old chemistry and ginger in modern. To be better informed please go back to the manual, because it is up to you to make a novel out of this book.} On the CD-Rom the staging of the beginning and the end as well as the ironic play with reading habits get lost. Often the book also provides "Raum für einschlägige Erinnerungen des Lesers" {space for relevant notes of the reader}, but the typography of this invitation itself already paradoxically blocks this space. In Elex on the other hand, I have the charming possibility to leave notes. And when the book is quoted one to one therefore without any transformation the chance of irony (1 can't make any note at this place, unless I write. on the screen) is very much like Friederike Kempner' s humor. Innovation or triviality? 141 A lot of similar examples could be mentioned. Therefore, let' s sum up without further ado: The book ironically reflects its own medium and its use while Elex totally eliminates this function by translating and quoting, remaining blind of its own digital media. However, which program did the producers of the CD-Rom follow? An 'about' text provides some information: The predecessor of hypertext were to be translated no more leafing through a book, shivering boundaries between different ways of expression by a simple mouse click. This was supposed to stimulate the imagination of the observer without bossing him or her around. The reader would not have to fear losing himor herself: This shall be guaranteed by the narrative mainline represented as a map which could freely be left, and to which, however, one could always return the computer as a bookmark. This explanation, as well as the whole concept, lay contrary to the experience, which the book makes possible and which is required by the manual here and there. The CD-Rom proves to be didactic. lt lavishly illustrates against its own concept some possible ways öf reading and creates some more or less associative realizations of Okopenko's model. This means: the CD-Rom explicates but, in opposing the book, it doesn't exemplify the reading. m. Conclusion We are dealing here with a general problem of medial translation: No translation can realize a constant sense. And besides, medial transposition always creates something different. This makes media competition obvious, which again aesthetically provokes to concentrate on what is not transformable. Friedrich Kittler (1995: 314) has inspiringly shown this fact concerning the competition between film and literature: After film took over several functions of literature, literature has referred itself to 'material justice': to the art of the word, the sound, the writingand Okopenko's novel focuses exactly on this poetic principle. Accordingly, digital literature in the sense of Lexikon-Roman or of experimental writing would not be well advised just to translate modernist writing strategies. Interesting examples (see www.pOesls.net) are not only a literature for the new media, they also deconstruct them and effect a reflection about them. These examples should not 'redefine' modernism, but at the most, project forward and extend modernist programs while concentrating on their specific spectrum of artistic means as well as connected ways of perception und communication. The 'new' just becomes relative when the discourse is abstracted from pure technologye.g. in the sense of an artistic communication ofmateriality serving the 'materialjustice'. In this perspective, it is interesting to ask how the art (literature) of Modernism is surpassing itself in staging the reflection of the media and the experiment with perception and communication concerning the development of information technology being provoked also by art itself. lt should be observed how the medially caused syndromes of crisis are constantly worked on, in always different and exciting ways. This also means digital poetry cannot be the better medium for artistic results, which have already been realized. At the most, digital poetry could simulate earlier forms, which then could affect a self-description ex negativo or didactics. Moreover, digital poetry must examine and use up its own conditions and possibilities in order to catch up to the state of quality already reached by literary tradition. 142 Friedrich W. Block References Baudelaire, Charles 1989: "Der Maler des modernen Lebens", in C.B.: Sämtliche Werke/ Briefe in acht Bänden. Hg. von Friedhelm Kemp & Claude Pichois in Zusammenarbeit mit Wolfgang Drost, vol. 5: Aufsätze zur Literatur und Kunst 1857-1860, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft: 213-258. Bolter, J. David 1991: Writing space. The computer, hypenext, and the history ofwriting, Hillsday, Hove, London: Erlbaum. Cararnel, Luciano, Enrico Crispolti & Veit Loers (eds.) 1990: Italiens Modeme. Futurismus und Rationalismus zwischen den Weltkriegen, Milano: Mazzotta. Castellin, Philippe 1997: L'esprit, genese, In: DOC(K)S/ ALIRE 3. 13-16: 4-7. Groys, Boris 1992: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, München: Hanser. Reibach, Christiane 2000: Literatur im Internet. Theorie und Praxis einer kooperativen Ästhetik, Berlin: dissertationen.de. John, KP Ludwig & Bertram Quosdorf 1996: Ottos Mops. Auf der Suche nach dem land/ , München: Verlag für neue Medien (CD-Rom). Kac. Eduardo (ed.) 1996: New Media Poetry. Poetic Innovation and New Technologies, Visible Language 30.2. Kittler, Friedrich 1995: Aufschreibesysteme 1800/ 1900, 3 rd ed., München: Fink. Libraries ofthe Mind 1998: Elex. Elektronischer Lexikon-Roman einer sentimentalen Reise zum Exponeunrejfen in Druden, Wien: Verlag Mediendesign (CD-Rom). Mon, Franz (ed.) 1960: movens. Dokumente und Analysen zur Dichtung, bildenden Kunst, Musik, Architektur, Wiesbaden: Limes. Okopenko, Andreas 1996: Lexikon-Roman einer sentimentalen Reise zum Exponeurtrejfen in Druden, Wien: Deuticke. KODIKAS / CODE Ars Semei otica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen (Un)Tiefen elektronischer Textarchive Zu Status und Produktionsbedingungen digitaler Literatur Markus Krajewski This article describes tbe metbod of production of Das Echolot by Walter Kempowski, a 'collective diary' which contains on more tban 3200 pages plenty ofletters, war reports, diaries, forces' post cards, etc. The particular feature of Das Echolot lies in its composition as a result set of a digital database to which all tbe texts have been added to before. The paper tben focuses on tbe interface between text and database, in order to retrieve this mode of composition as a general as well as fundamental property of digital literature. "Es ist wie bei den Filmemachern, sie wissen, daß die Form, der Schnitt das Wichtigste ist", bemerkt Walter Kempowski, 'Herr der Tagebücher', eifriger Sammler von Ritterburgen und akribischer Archivar des zweiten Weltkriegalltags. "Das Echolot wäre ungenießbar, wenn man alles nur so aneinanderreiht. Man muß eingreifen" (Hetzel 1995). Gemäß diesem Imperativ erscheint 1993 auf 3200 Seiten Kempowskis erstes Echolot, ein Versuch, anhand von Briefen, Tagebüchern, Feldpost, Wehrmachtsberichten, Pressemeldungen, Augenzeugenberichten das Reale des Zweiten Weltkriegs nicht in Form·des Films, der zu jener Zeit nur wenigen Auserwählten als Dokumentar- und Propaganda-Instrument zur Verfügung stand, sondern in Form eines sog. kollektiven Tagebuchs zu rekonstruieren. Das Echolot I sondiert die ersten acht Wochen des Jahres 1943, einen Zeitabschnitt also, in den so folgenreiche Wendungen wie beispielsweise die Entscheidung um Stalingrad fallen. Das Echolot sondiert, um diesen Moment zu vermessen mit der Gleichzeitigkeit und dem Nebeneinander der verschiedensten Stimmen, darunter bekannte wie etwa die von Leutnant Jünger oder Thomas Mann, vornehmlich jedoch mit der Kakophonie der unbekannten und vergessenen Zeitgenossen. Von einem Vorwort im ersten Band abgesehen enthält das gesamte Echolot-Projekt einschließlich der 1999 erschienenen Bände über vier Wochen zu Beginn des Jahres 1945 kein einziges selbst geschriebenes Wort des 'Autors'. Kempowski ist nichts als die Schnittstelle, d.h. der Mann am Regler. Sein Eingriff regelt die Auswahl aus dem Fundus der versammelten Archivalien, ordnet die Stimmen gemäß ihrer Chronologie und arrangiert sie zu einzelnen Tagen, die ihrer zeitlichen Abfolge entsprechend zusammengestellt werden. Das Resultat erscheint in aller Konventionalität als Buch in jeweils vier Bänden. "Wenn man Wind darstellen will, kann man das nur im Kornfeld, wo Millionen von Halmen hin und her gewiegt werden. Der einzelne Halm ist nicht genug" (Philipp 1999). Demzufolge beginnt Kempowski ungefähr ab 1980 systematisch Tagebücher, Leserbriefe von Augenzeugen, zeitgenössische Korrespondenzen sowie Photographien des zweiten Weltkriegs in seinem Haus bei Bremen anzuhäufen, um das Material in seiner Diversifizität nebeneinander bereitzuhalten. Inzwischen beläuft sich die Sammlung auf ca. 5.800 Registratur- 144 Markus Krajewski nummern für Texte neben ca. 300.000 Abbildungen als Photographien in Alben oder als unsortierte Konvolute bzw. Einzelbilder. So versammelt sich seit zwanzig Jahren im Haus Kreienhoop in einem Archiv über Tausende von Seiten hinweg das Kleinste, das im Moment noch wichtig erscheint, um einen real aufzeichnenden Blick auf die Nebensächlichkeiten des Zweiten Weltkriegs im Schatten der Großereignisse freizulegen. Aufgrund eines Aufrufs in großen deutschen Wochen- und Tageszeitungen in den 80er Jahren erreichten täglich bis zu einem dutzend Pakete das Echolot-Archiv, ein bis heute ununterbrochen andauernder Poststrom. Die eingehenden Dokumente werden nach dem bibliothekarisch bewährten Numeruscurrens-Verfahren registriert, d.h. in der Ordnung des Eintreffens aufgestellt und inhaltlich auf Karteikarten im Format DIN A6 erschlossen. Die Karten werden wiederum in Karteikästen alphabetisch sortiert und bilden damit gleichzeitig ein Schlagwortregister. Das in dieser Weise denkbar traditionell und nach herkömmlichen Grundsätzen der unelektronischen Archivwissenschaft versammelte Material wird jedoch anschließend entsprechend der Schlagworte selektiert, um sodann sowohl Manuskripte sorgfältig abschreiben als auch die gedruckten Texte mit einem OCR-Verfahren in digitale Formate überführen zu können. Daraufhin werden die Texte nach Tagen sortiert und in Dateien für die jeweiligen Tage abgelegt. Frage eines Interviewers: "Sie stoßen doch wohl immer noch auf neue Aufzeichnungen. [Kempowski: ] Wir haben das alles im Computer gespeichert. In acht Jahren, (lacht: ) wenn ich da noch lebe, wird das ganze Projekt abgeschlossen sein, und alles wird im Internet jederzeit mit entsprechenden Ergänzungen abrufbar sein die wiederum können aber nur über Nachträge erfolgen, sonst müßte alles neu collagiert werden, weil die Texte bereits sorgfältig aufeinander bezogen wurden. Massen-Bewegungen sind ja schwer zu collagieren. Es ist wie bei einem Zollstock, den man zu weit ausziehen kann. Wenn man dies und das noch unterbringen will, läuft die Sache Gefahr zu kippen. Der Sog muß aber erhalten bleiben. Dieser Sog hat mitunter den eigenartigen Effekt, als würde ein Individuum in viele Einzelteile zersplittern" (Philipp 1999). Erst unter Bedingungen eines digitalisierten Textarchivs beginnt das eigentliche Arrangement, die Auswahl und Zubereitung der Schnittstellen der einzelnen Texte, denen nun ein sie einender Faden eingewoben wird, damit sich Textfragment an Textfragment fügt. Kempowski und ein Mitarbeiter bilden nunmehr ein elektronisches Aufschreibesystem. "Wir haben da einen Simultancomputer, ich sitze links, er rechts, und wenn es ans Collagieren geht, dann sage ich ihm, wie ich das haben möchte." Mit dem Übergang von der unelektronischen in eine digitale Variante des Textfundus ereignet sich ein qualitativer Statuswechsel des Materials, der überhaupt erst die Handhabung des so weit verzweigten wie disparaten Materials ermöglicht. Es soll hier weniger um die möglicherweise dringenden Fragen und Problematiken des Arrangements, der Schnitt-Stelle, der geschliffenen Kante gehen, mit der sich die Textbausteine folgsam aneinander reihen. Dies sei einer literaturwissenschaftlichen Analyse des Echolots vorbehalten. Statt dessen sollen hier die Produktionskontexte in den Blick geraten, auf die ein so umfangreiches Buchstabeneinlese- und Textverschiebungs-Projekt wie das Echolot vertraut und angewiesen ist. Doch bleibt festzuhalten, dass erst der wohlgesetzte Schnitt, die Diskontinuität im Lesefluss, der Ausstieg aus einer vorgeformten Linie von diskreten Zeichen kaum zufällig an hypertextuelle Schriftformen erinnert, wobei die. vorgefertigte Verschaltbarkeit von unterschiedlichen Textfragmenten vielleicht sogar als das Charakteristikum des Hypertexts gelten kann. (Un)Tiefen elektronischer Textarchive 145 Eingriff in den Text? Vorgabe der Schnittstellen? Beziehungen knüpfen zwischen einzelnen Textstellen? Dies alles sind Phänomene, die dem hypertextgeschulten Leser und Schreiber keineswegs unbekannt sind. Ziel soll es hier nicht sein, das Echolot gleichsam als einen Hypertext apres 1a lettre zu entdecken, sondern es geht darum, die performativen Charakteristika herauszustellen, vor die ein Rezipient des Echolots ebenso gestellt ist wie ein surfender Leser. Eine strukturelle Ähnlichkeit beider Leseanforderungen konstatierend, das Echolot also gleichermaßen wie einen Hypertext betreffend, soll weiterhin gefragt werden, inwieweit das Echolot trotz seiner scheinbar konventionellen und unaufregenden Form als ein Text anzusehen ist, dem der Status digitale Literatur nahezu zwangsläufig zukommen muss. Die These lautet daher, dass diese hypertextuellen oder vielleicht allgemeiner digitalen Charakteristika auf bestimmte rechnergestützte Prädispositionen angewiesen sind, die konventionellen Texten abgehen - und zwar auch, wenn sich diese Texte bisweilen selbst als sog. Hyperfiktionen ausweisen, nur weil sie im Internet oder auf CD-ROM abrufbar warten. Daher gelte zunächst ein Blick der Frage, was denn nun digitale Literatur ist, wobei die Betonung bei diesem Terminus selbstredend auf 'dem Digital' liegt und nicht bei der unendlichen Frage verweilen darf, was Literatur sei. Der Vorschlag einer Antwort kann nur provisorisch sein. Er möge als heuristischer Versuch gelten, um vielleicht als Diskussionsvorschlag zu dienen. Sog. Netzliteratur, der Name sagt es bereits, ruht einem Netzwerk jenseits eines textuellen Gewebes auf. Digitale Literatur vertraut also auf ein Medium als Basis, das hochintegrierte Verknüpfungen von sich aus bereitstellt. Dieses Medium ist weniger das Format, in dem die Literatur späterhin erscheint, also Internet, Buch oder CD-ROM, sondern vielmehr die Ansammlung von Daten, aus der heraus der Text entsteht. Kurzum, digitale Literatur ist auf eine Datenbank als Prädisposition und Ausgangsform angewiesen, aus der heraus der Text abgerufen werden kann. Zu fragen ist also nach den zusammenfügenden oder auch entkoppelnden digitalen Prozessierungen, den Übertragungen und Speicherungen, die digitale Literatur konstituieren. Digitale Literatur ist also eine Textstruktur, deren Entstehung unabdingbar auf den Dreischritt von Speichern, Übertragen und Verarbeiten von Daten, hier also von Buchstaben- Mengen, in und mit digitalen Zuständen angewiesen ist. Dabei kommt es weniger darauf an, in welcher Form diese Literatur schlussendlich wieder vorliegt, d.h. in welcher Weise sie veröffentlicht wird; eine Publikation als Buch oder in digitaler Form ist schließlich nichts als ein Derivat, eine Kopie der Stammdaten, die Kopie also einer zuvor anderenorts fixierten, d.h. digital gespeicherten Ausgangsdatei. Entscheidend bleibt jedoch jenseits der Frage der Speicherung die Prozession und Übertragung von Daten, und zwar in und mit einer Form, die Kontingenz ermöglicht. Eine Datenbank liefert ein solches Modell, das Verknüpfungen aus sich heraus anbietet und damit im Gegensatz zu der viel gescholtenen linearen Poetologie eine Varietät und Auswahlmöglichkeit der eingelesenen Textfragmente produziert. Dabei ist es weniger entscheidend, ob die Daten als 'flatfiles' oder gar in differenzierter Form von relationalen Verknüpfungen organisiert sind. Entscheidend bleibt das Potential von Verschaltbarkeit, die vorgegebene Schnittstelle eines jeden Textbruchstücks, die unterschiedlichste Anschlussmöglichkeiten für nachfolgende Textabschnitte ebenso wie für Datenbankabfragen bereithält. Die digitale Datenbank ist die unabdingbare Organisationsstruktur, das flüchtige Durchgangsstadium für Buchstabenmengen, durch das sich die Literatur im Status der Digitalität konfiguriert. Diese Unterscheidung ließe sich nun anhand der einschlägigen Literatur-Projekte der vergangenen Monate kurz durchspielen. Ein Blick auf die Organisation etwa von <www.ampool.de> oder aber Thomas Hettches Null-Projekt zeigt, dass die Stimmen schon allein weil 146 Markus Krajewski es ihrer viele sind einen weitläufigen Datenraum konstituieren. Nun lässt sich gleich einwenden, dass damit mitnichten schon Literatur entsteht, wie sich an den oftmals banalen, manchmal kryptischen Einträgen im pool etwa zeigen ließe. Doch ebenso finden sich Textstellen, deren Erscheinen mit alten Maßstäben gemessen eine Anthologie zieren würde. Und manchmal ereignen sich an eben jenen Stellen auch gegenseitige Bezugnahmen: Jüngst etwa entwickelte sich beiläufig eine kollektive Kommentargeschichte zu Tom Tykwers Film Der Krieger und die Kaiserin. Um aus der Fülle der Einträge nunmehr gezielt die entsprechenden Stellen auszuwählen, bietet sich dem Rezipienten statt des Blättems oder Scrollens die String-Suchfunktion eines jeden Browsers, um unabhängig von gesetzten Hyperlinks unumständlich zu den relevanten Einträgen zu gelangen. Bei Hettches Null-Projekt verläuft der Zugriff graphisch gesteuert, der Lese-Effekt könnte jedoch der gleiche sein; wenngleich von gegenseitiger Verknüpfung eher selten Gebrauch gemacht worden ist. "Man freute sich, wenn man dem Geisterfahrer von Dagmar Leupold dann auch bei Judith Kuckart begegnete, insgesamt aber scherte sich keiner viel um das, was der andere schrieb mit Ausnahme der Diskussion um den Kosovo-Krieg, die von April bis Juli wirklich ein Netz an Meinungen sichtbar machte" (Simanowski 2000). Vermutlich verwundert es kaum noch, dass sich die Stimmen gleich Kempowskis Echolot ausgerechnet beim Krieg rückkoppeln. Und auch Rainald Goetz' Abfallfür alle käme das Prädikat digitale Literatur zu, unabhängig davon, dass das Resultat letztendlich in gewohnter Suhrkamp-Form erschien. Denn sein Ein-Autoren- Projekt, das Internet-Tagebuch über die Dauer eines Jahres, versammelt seinerseits disparate Textkorpora, deren Verknüpfungsleistung an den Leser delegiert wird und damit eine Datenbank gleichsam im Rohformat darstellt. Als eine nicht nur technische, sondern vielmehr beispielhafte Besonderheit bleibt das Projekt 23: 40 <http: / / www.dreiundzwanzigvierzig.de/ > zu erwähnen, das gekoppelt an die kontingente Zeit des Lesezugriffs, dem Rezipienten ein Sample aus dem Fundus der Datenbank liefert. Doch nicht zuletzt um die einleitenden Passagen dieses Textes zu rechtfertigen, steht das Echolot aufgrund seiner Prädisposition in kontingenten digitalen Datenansammlungen ganz vom auf der Liste der Texte, die man als digitale Literatur bezeichnen könnte. Eines der Lektüre-Ziele des Echolots besteht nämlich darin, "durch die Durchbrechung der Chronologie (in der parallelen Anhäufung zeitgleicher Dokumente) den Leser zum 'intellektuellen Zappen' zu animieren, ihn zu bewegen, im Lesen gedankliche Nebenwege zu legen, abzudriften, selbst vom Alltag des Kriegsgeschehens, Assoziationen zu ermöglichen, assoziatives Denken gar zu schulen" (Koch-Schwarzer 2000). Dieser Anspruch ähnelt kaum zufällig den einschlägigen Formulierungen zum Mehrwert des Hypertexts gegenüber herkömmlichen Textstrukturen. Warum, so bleibt schließlich zu fragen, unternimmt Kempowski dann noch den Versuch, einen Text zu schaffen, den es nach eigener Auskunft von vorne bis hinten durchzulesen gilt? Warum vollzieht der Herr der Tagebücher nicht den Verzicht auf das sorgfältige Arrangement, weil es der hypertextgeschulte Leser unter hochtechnischen Bedingungen und dem Paradigma der Interaktivität inzwischen ohnehin versteht, die Beziehungen selbst je nachdem weit oder eng zu knüpfen, seine eigene Autorität über dem Text immer wieder neu zu manifestieren und aus der vorgegebenen Ordnung einfach auszusteigen? Vielleicht bleibt dieses Festhalten einem letzten Anspruch, weniger als 'Arrangeur' denn als 'Autor' zu gelten, geschuldet. Immerhin erscheint das kollektive Tagebuch noch unter dem Namen einer Person und zumindest in den ersten beiden Teilausgaben auch noch in konventioneller Form eines Buchs. Es ist also nur konsequent zu fordern, dass für das Echolot in Buchform schon bald und fortan ein Korrelat im WWW bereit stehen wird. Und tatsächlich zeichnet sich eine rein (Un)Tiefen elektronischer Textarchive 147 elektronische Variante zumindest als Pilotprojekt ab. Eine Woche lang, vom 2. bis 8. Oktober 2000, hat Walter Kempowski E-Mails gesammelt, um diese gemäß der erprobten Echolot- Praxis zu einem kollektiven Tagebuch des zehnten Jahrestags der Deutschen Einheit zusammenzustellen (online unter <www.zdf.de>). Als bemerkenswert bleibt indes hinzuzufügen, dass abgesehen von 23: 40, in dessen Zentrum tatsächlich ein schlichter Algorithmus mit einer Datenbank arbeitet, offenbar keines der erwähnten expliziten Netzliteratur-Projekte früher oder später auf eine Druckfassung für die Gutenberg-Galaxis verzichtet hat, vermutlich nicht zuletzt aus verlags- und vermarktungsrelevanten Erwägungen. Doch eine Unterscheidung digitale/ nichtdigitale Literatur nützt in diesem Falle nur, wenn sie auch Ausschlüsse produziert. Das bisweilen selbst erteilte Attribut 'digital' wäre demnach einer Literatur auch abzusprechen, beispielsweise der angeblich ersten deutschen Hyperfiktion, Die Quotenmaschine von Norman Ohler aus dem Jahre 1995. Dieser Text entstand in denkbarer Linearität und lag bereits vollständig als abgeschlossenes Typoskript vor, bevor Ohler die Textfassung wieder zerstückelte, in kleinere Häppchen aufteilte, in das HTML- Format konvertierte und lange vor der Publikation der konventionellen aber ursprünglicheren Druckfassung effektvoll als Hyperfiktion bzw. Netzroman inszenierte. Das Label digitale Literatur greift hier nicht, weil der Text sich gerade nicht aus heterogensten Fragmenten, aus in loser Kopplung miteinander verschalteten Elementen einer digitalen Datenbank/ Datenansammlung fügt. Vielmehr wurde er aus seiner festen Fügung wiederum gelöst und 'künstlich' fragmentiert, um den vermeintlichen Anforderungen des Netzes gemäß zu erscheinen. Zur weiteren Abgrenzung muss schließlich noch ein Wort zum Wortprozessor namens Textverarbeitung fallen. Der Computer offeriert in einer seiner einfachsten Anwendungen die Simulation einer Schreibmaschine, die in Form sog. Textverarbeitungen zwar bisweilen so schöne Ergebnisse zeitigen wie etwa Gedichte von Durs Grünbein (der hier nur genannt ist, weil von den Gedichten bekannt ist, dass sie mit dem Laptop entstehen). Aber sofern die Textverarbeitungen zu nichts weiterem dienen, als Text in einer ersten linearen Reihung aufzunehmen und digital zu speichern sowie wenn man Mausklick-Manipulationen von Text bereits als eine Form der Verarbeitung betrachten möchte den eingegebenen Text innerhalb seiner Grenzen noch zu verschieben erlaubt, so lange lässt sich dieser Vorgang schwerlich als Arbeit an digitaler Literatur begreifen. Denn es fehlt in diesem Fall die digitale Übertragung, der Transfer von einem Format zum anderen, von einem Textbaustein zum nächsten, die Auswahl und Verschiebung einer Systemstelle aus der Datenbank in ein neues Gefüge, nämlich den zu schreibenden Hypertext, eine Übertragung also, die weit über die Copy&Paste-Funktion hinausgeht. Erst die Vielfalt der Anschlüsse, die Mannigfaltigkeit der vorgegebenen Schnittstellen wie sie eine Datenbank produziert, ermöglicht wiederum hochgradig nichtlineare Textgewebe. Der oftmals genannte Vorwurf an die sog. Netzliteratur, die Linearität des Textes nicht oder zu wenig zu durchbrechen, betrifft also viel weniger das letztendliche Textresulat in Buch- oder Netzform, als viel mehr das Medium seiner Entstehung. Es lohnt also vielleicht die Frage nach der Herkunft des Textes aufzuwerfen, die Frage, ob er einer beschränkten Textverarbeitung (Schreibmaschine) entstammt oder einer lose gekoppelten, gleichwohl hochintegrierten, weil verknüpfenden Datenbank. Ein digitaler literarischer Text, so lautet der Diskussionsvorschlag, ist bei seiner Produktion unabdingbar auf die Dreieinigkeit der computertechnischen Grundoperationen Speichern, Übertragen und Verarbeiten angewiesen. Digitale Literatur zeichnet also weniger das Format oder Medium aus, in dem sie schließlich erscheint, als denn die Form ihrer Entstehung. Das Plädoyer gilt dem Charakteristikum der digitalen Datenbank, dem elektronischen Textarchiv, 148 Markus Krajewski also mithin einer Software, die jenseits von üblichen sogenannten Textverarbeitungen den Argumenten, Formulierungen und heterogenen Textbausteinen Anschlüsse liefert, einer Datenbank also, die darüber hinaus bisweilen selbst Verk: nüpfungen zu schaffen in der Lage ist, um somit dazu beizutragen, der Linearperspektive der Texte entgegen zu stehen. Literatur Koch-Schwarzer, Leonie 2000: " ... vom täglichen Schreiben. Exkursion nach Nartum und Cloppenburg", in: VOKUS, Nr. 1, <http: / / www.uni-hamburg.de/ Wiss/ FB/ 09NolkskuiffexteNokus/ 2000-l/ excursl.html> Hetzel, Peter M. 1995: ''Der Schrifsteller als Komponist", in: Die Welt vom 17.5.1995. Manovich, Lev 1998: "Database as Symbolic Form", <http: / / www.nettime.org/ Lists-Archives/ nettime-I-9812/ msg00041.html> Philipp, Claus 1999: "'Wenn man Wind darstellen will ... ' Katastrophe und Eigensinn. Ein gigantisches Ausnahmeprojekt als literarische, historische Herausforderung", in: Der Standard, 18./ 19. Dezember, S. A2. Simanowski, Roberto 2000: "Poeten-Pinnwand digital. NULL. Thomas Hettches Netz-Projekt als Buch", <http: / / www.dichtung-digital.de/ 2000/ Simanowksi/ 30-Sep/ index.htm> KODIKAS / CODE .Ars Semeiotica Volume 24 (2001) • No. 3-4 G.unter Narr Verlag Tübingen Zwischen Answering Machine und Online-Chat Uwe Wirth Tue article tries to elucidate the relation between oral and scriptural elements of communication in Online Chats. Tue "written to the moment" of Online Chats is comparable to the "spoken to the moment" -of telecommunication. In both cases the very fact that communication can take place is a symptom of a moment of transmission. Tue 'performativity' of artistic, and poetic online projects derives from the poetic framing of this moment of transmission. Im folgenden möchte ich einige Überlegungen zur poetischen Dynamik des Online-Chats anstellen und diese mit der des Briefs und des Telefongesprächs vergleichen. Dabei werde ich drei Punkte berühren: Interaktion, Transmission und Edition. 1. Die Interaktion betrifft das mediale und zeitliche Verhältnis von Frage und Antwort im Brief, im Telefongespräch und im Chat. 2. Die Transmission bezieht sich auf die Form der Übertragung und der Archivierung von Briefen, Telefongesprächen und Online-Chats. 3. Die Edition thematisiert die Rahmenbildung, also das 'performative Editing', durch das Briefe, Telefongespräche und Chats als Sprachereignisse dokumentiert bzw. inszeniert werden. Das Internet ist - Brechts Radiotheorie lässt grüßen nicht mehr nur ein distributives, sondern ein interaktives Medium. Es radikalisiert damit ein Konzept, welches das Radio als Wunschkonzert - 'Bei Anruf Musik' bzw. als 'call-in-Sendung' praktiziert. Das Medium der Interaktion ist hier, wie beim Internet, die telefonische Verbindung. Das Internet verbindet die Eigenschaft der 'call-in-Sendung' beim Rundfunk: einer ruft an, alle hören zu, mit der Eigenschaft des privaten Telefongesprächs einer ruft an, einer hört zu. Dadurch wird der Internetnutzer in den Stand versetzt, Sendestation nicht nur für beliebige Einzelpersonen, sondern auch für beliebig dimensionierte 'News-Gi'oups' zu sein. Der Online-Chat bewegt sich irgendwo zwischen diesen beiden Möglichkeiten unter telefonischen Aspekten betrachtet, ist er eine Art von Konferenzschaltung, ein Rundruf, bei dem der Zeitpunkt der Sendung festgelegt sein muss, die Anzahl der Teilnehmer, also der 'Sender' und die 'Empfänger' dagegen unbestimmt bleiben kann. Doch auch mit Blick auf herkömmliche Radiokonzepte besteht eine Analogie: Der Zeitpunkt des Chattens wird wie ein Radio-Programm festgelegt, damit die Teilnehmer 'erreichbar' sind. Zu fragen wäre nun, worin die 'neue Form' der Interaktivität liegen könnte, die das Internet ermöglicht. Sei es als Möglichkeit, Emails zu senden und zu empfangen, sei es als Teilnahme an 'kollaborativen Mitschreibprojekten' oder an Online-Chats. 150 Uwe Wirth Brief und Erreichbarkeit: Chat und Brief Die dialogische Struktur von Emails, ebenso wie die poetische Struktur von Mitschreibprojekten, ist nichts Neues. Der Briefroman des 18. Jahrhunderts, ebenso wie Der Roman der 12 zu Anfang unseres Jahrhunderts, belegen dies. Das Neue an Emails, kollaborativen Mitschreibprojekten und Online-Chats liegt, so meine These, in der Technik der Übertragung, insbesondere in der zunehmenden Übertragungsgeschwindigkeit. Dadurch wird der Online- Chat zu einer dem Telefonieren analogen Form, die eine interaktive, zeitlich unverzögerte Fernschriftlichkeit ermöglicht. Während der Aspekt der Übertragungsgeschwindigkeit den Blick auf das Telefon lenkt, verweist der Ausdruck 'Fernschriftlichkeit' auf den Brief. Die Inszenierung des Chats, besitzt eine Qualität, die zu einer Radikalisierung der Ästhetik des Briefromans führt. In Richardsons berühmtem Briefroman Clarissa (1747) heißt es im Postscript des "Editors to the Reader", die veröffentlichten Briefe seien "supposed to be written by the Parties concerned, as the circumstances related, passed" (v), und zwar mit dem Ziel, "ein Bild der menschlichen Natur zu malen". Was die Briefromanästhetik des 18. Jahrhunderts postulierte nämlich, dass der Brief 'written to the moment' sei, das gilt wenn auch in anderer Hinsicht für das Chatten im Netz. Im Kontext brieflicher Kommunikation kann 'written to the moment' zweierlei bedeuten: Entweder, der Schreiber fordert den künftigen Leser auf, sich in seine, des Schreibers, Situation zurückzuversetzen, also den Moment des Schreibens zu vergegenwärtigen - oder umgekehrt, der Schreiber versetzt sich in die Situation des Empfängers, in den Moment des Lesens. Letzteres entspricht der antiken Tradition des Briefschreibens, bei der sich die Intention des Schreibers "erst beim Lesen des Briefes durch den Empfänger verwirklicht" (Vosskamp 1971: 84). Dagegen bringt die 'moderne' Briefpoetik des 18. Jahrhunderts den Moment des Schreibens, genauer: der Empfindung beim Schreiben, ins Spiel. Der empfindsame Briefroman lässt den Brief zu einem Porträt der intimen Gefühlslage des Schreibers werden, er inszeniert die Briefkommunikation als Physiognomie der Seele und als "eine freye Nachahmung des guten Gesprächs", wie es bei Gellert heißt, bzw. als "Rede eines Abwesenden, von denjenigen Angelegenheiten, die ihm am Herzen liegen" (Gottsched, zit. nach Vosskamp 1971: 83). Der Brief hat also sowohl indexikalisch-symptomatischen als auch dialogischen Charakter. Die Aufgabe des Briefs insbesondere im Kontext des Briefromans besteht darin, die Mitteilbarkeit von Empfindungen beim Schreiben zu demonstrieren. Mitteilbarkeit impliziert Erreichbarkeit. Zum einen die Erreichbarkeit der eigenen Empfindungen, damit diese aufgespürt und ausgedrückt werden können. Zum anderen die Erreichbarkeit des anderen, damit dieser die Mitteilungen über die eigenen Empfindungen empfängt und verstehend 'nachempfindet'. Dieses Problem der 'Erreichbarkeit' und der Herstellung einer 'Verbindung' ist das wissen alle, die mit Handys, Anrufbeantwortern und ausgefallenen Uni-Servern leben müssen das eigentliche 'Wunder der Telekommunikation'. Das telekommunikative 'spoken to the moment', bzw. das gechattete 'written to the moment' ist immer auch Indiz dafür, dass der Moment der Verbindung stattgefunden hat. Es geht also nicht mehr nur um die Message, sondern auch um die Übertragungswege - Stichwort 'magische Kanäle' bzw. um die Übertragungsgeschwindigkeit der Message. Dabei ist das Problem telekommunikativer Übertragbarkeit verknüpft mit dem zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit changierenden Charakter des Telefonats, bzw. der Aufzeichnung des Telefonats durch den Anrufbeantworter. Zwischen Answering Machine und Online-Chat 151 Telefon und Anrufbeantworter Rüdiger Campe zufolge leitet das Telefonat "vom mündlichen zum schriftlichen Verkehr über" (Campe 1986: 69ff.), es hält "die Mitte zwischen dem Rendezvous und dem Liebesbrief' (ebd.), wobei die 'sekundäre Mündlichkeit' der Stimme am Telefon "weder (primär) mündlich noch schriftlich" ist (ebd.). Allerdings fehlt dem Telefonat gegenüber der Schrift "die zurückbleibende Spur, das Dokument" (ebd.). Erst der Anrufbeantworter verleiht der aufgezeichneten Mündlichkeit den gleichen Spurcharakter wie die Schrift. Da nicht mehr nur die schriftliche Fixierung im Brief, sondern auch die phonographische Aufzeichnung der 'flüchtigen gesprochenem Rede' möglich wird, kann man mit Hilfe des Anrufbeantworters 'mündliche Briefe' senden. Der Anrufbeantworter verleiht dem mündlichen Anruf Schriftcharakter, indem er ihn aufzeichnet, speichert und wieder abrufbar macht. Wie der Brief besitzt der Anrufbeantworter eine indexikalische und eine dialogische Funktion. Indexikalisch, weil er anzeigt, dass jemand angerufen hat. Dialogisch, weil die zeitliche Trennung von Ansage und Anruftext, glaubt man Nickel und Seutter, für den "Dialogcharakter des Gesamttexts" keine Rolle spielt (Nicki und Seutter 1995: 266). Wie beimBriefbleibtjedoch unklar, in welcher Hinsicht die hinterlassene Nachricht 'spoken to the moment' ist. Handelt es sich um den Moment des Abhörens der Nachricht oder um den des Aufsprechens? Die Rhetorik der Anrufbeantworterkommunikation verknüpft beide Momente und wirkt sich zugleich auf die Rhetorik des elektronisch übertragbaren Briefeschreibens aus eine typische Email ähnelt stilistisch betrachtet, nur selten dem empfindsamen Brief des 18. Jahrhunderts, sondern vielmehr der Anrufbeantworter-Nachricht. Überhaupt bekommt das Problem der Erreichbarkeit durch den Anrufbeantworter eine neue, eine technische Dimension. Das Manko der Nichterreichbarkeit bekanntermaßen die größte Todsünde der Telekommunikation wird durch die Verbindung mit der answering machine ausgeglichen. Der Anrufbeantworter ersetzt also den momentan nicht einlösbaren Anspruch auf Erreichbarkeit durch die Verbindung mit einem Aufzeichnungsautomaten. Dabei fungiert der Anrufbeantworter nicht nur als vorgeschaltetes Sekretariat seines Besitzers, sondern er ist auch der Sekretär des Anrufenden. Er zeichnet auf, was ihm vom Anrufer diktiert wird. Er ist somit der Diener zweier Herren: Des Anrufers, dessen Nachricht er verschriftlicht und dadurch wiederholbar macht und des Empfängers, der den Moment bestimmt, an dem er die Nachricht 'abruft'. Betrachtet man den Anrufbeantworter wie den Briefroman als performativen Rahmen, so lässt sich feststellen, dass die aufgezeichneten Nachrichten nicht nur der Charakterisierung dessen dienen, der sie aufgesprochen hat, sondern als Ensemble betrachtetauch ein Porträt des Empfängers liefern. Dann nämlich, wenn der Anrufbeantworter 'auf die Bühne gestellt' wird. Eben dies ist das Anfangsbild von Martin Crimps Theaterszenen Angriffe auf Anne: Auf leerer Bühne wird ein Anrufbeantworter abgespielt. Die darauf gespeicherten Nachrichten vermitteln dem Zuschauer und Zuhörer ein rätselhaftes Bild der angerufenen Protagonistin: "'Montag 11 Uhr51' piep ... Oh. Hallo? Hier ist Mama ..." '"Montag 13 Uhr 05' piep .... Anne? Hallo? Hierist Mama. (Pause) Deine Postkarte ist da (Pause) Sieht ja sehr schön aus. (Pause) Und das Foto. Bist das wirklich du? (Pause) Prima, dass du schon Freunde gefunden 152 Uwe Wirlh hast und alles. (Pause) Es ist nur so, Anne, dass wir dir leider kein Geld schicken können. Ich habe mit Papa gesprochen, und er sagt, nein, auf gar keinen Fall. (Pause) (im Hintergrund hörl man die Stimme eines Mannes: 'Keinen Pfennig mehr. Dass du ihr das klipp und klar sagst.' Mama antwortet: 'Ich sag's ihr ja, ich sag's ihr ja.' Dann wieder in den Hörer: ) Es tut mir wirklich leid, Anne, Liebling, aber wir können das doch nicht bis in alle Ewigkeit tun. (Wieder die Stimme des Mannes: 'Wenn du's ihr nicht sagst, rede ich verdammt noch mal mit ihr. ') Hör zu, Liebling, ich muss auflegen. Papa lässt dich ganz lieb grüßen. Ja? Gott schütze dich." '"Montag 13 Uhr 06' piep Hallo, hier ist Sally von Coopers. Wollt Thnen nur kurz Bescheid sagen, daß das Fahrzeug jetzt im Ausstellungsraum steht. Sie können es abholen. Danke" '"Montag 13 Uhr 32' piep Wir wissen, wo du wohnst, du dreckige Schlampe. Du bist so gut wie tot. Was du verdammt noch mal getan hast. (Pause) Du wirst dir noch wünschen, du wärest nie geboren worden." Die widersprüchliche Vielfalt der Nachrichten für Anne wird, als Ganzes gesehen, zu einer Spur, einem symptomatischen Zeichen, das uns hilft, eine Vorstellung von dieser Person zu entwickeln, die so kurz hintereinander bemuttert, benachrichtigt und bedroht wird. Der Anrufbeantworter als Rahmen dieses Ensembles übernimmt eine Funktion, die im Briefroman der fiktive Herausgeber innehatte nämlich die Funktion eines 'editeur automatique'. Keine andere Funktion hat übrigens die digitale Mailbox. Auch sie speichert Nachrichten, sei es in Schriftform, oder sei es als digitalisierte Sounddatei. Im Gegensatz zum Brief, der auf dem Papier des Senders geschrieben wird und im Gegensatz zur Nachricht auf Anrufbeantworter, die auf der akustischen Tafel des Empfängers aufgezeichnet wird, bedarf die digitale Mail eines Speicherplatzes, der sich 'zwischen' Sender und Empfänger befindet, zu dem aber beide via Telefon, Modem und Mailprogramm Zugang haben, d.h. eine Verbindung herstellen können. Der Unterschied zwischen Mailbox und herkömmlichem Anrufbeantworter besteht also darin, dass sich der Ort des Speicherns der Nachricht nicht mehr beim Empfänger, sondern beim Server befindet, zu dem jeder jederzeit eine telekommunikative Verbindung herstellen kann. Ab dem 'moment of connection', dem Moment der Verbindungsherstellung, sind wir 'online'. Und damit bin ich beim Online-Chat. Chat und Anrufbeantworter Der Online-Chat ist gewissermaßen die Heilung jener Krankheit, mit der der Anrufbeantworter das 'lebendige Telefongespräch' infiziert hat: Während der Anrufbeantworter den Anspruch der Telekommunikation auf unmittelbare Erreichbarkeit pervertiert, indem er die übertragene Stimme speichert, den lebendigen Dialog des Gesprächs verschriftlicht und in den halben Dialog der Briefkommunikation verwandelt, ermöglicht der Online-Chat einen quasi-mündlichen Dialog im Medium der Schrift. Beschrieb ich den Anrufbeantworter als 'mündlichen Brief, so ist der Online-Chat ein 'schriftliches Telefonat'. Dank schneller Übertragungswege erlaubt der Chat eine nicht mehr zeitversetzte 'Fernschriftlichkeit'. Bei diesem fernschriftlichen Telefonat wird die Homepage zur Bühne. Das ,'written to the moment' ähnelt nicht mehr der Poetik des Briefromans, dem es um die Momentaufnahme der Gefühlslage des Schreibers geht, sondern das 'written to the moment' betrifft den Akt des Zwischen Answering Machine und Online-Chat 153 Schreibens selbst, genauer, die Schreibbereitschaft der Chatter. Der ästhetische Reiz des Online-Chats als Performance liegt in den Beschleunigungseffekten, die durch eine unverzögerte fernschriftliche Übertragung hervorgerufen werden. Im ersten Moment erscheint eine Schrift-Nachricht auf dem Bildschirm, im nächsten Moment wird sie gelesen, im übernächsten Moment beantwortet. Der Chat inszeniert einen diskursiven Schlagabtausch, wobei der ästhetische Reiz nicht durch den propositionalen Gehalt der Nachricht, sondern durch das Ereignis ihrer Übertragung bestimmt wird. Ähnlich dem 'Kanonenfieber', das Goethe anlässlich der Kanonade von Valmy beschrieb, bei dem das Pfeifen der sich herannahenden Kugeln die zuhörenden Soldaten - und am meisten natürlich Goethe selbst in einen merkwürdigen Rausch versetzte, gibt es heute, wie mir scheint, so etwas wie das 'Modemfieber'. In Erwartung von Botschaften, die sich unhörbar pfeifend mit großer Geschwindigkeit herannahen, röten sich die Chatter-Bäckchen. Rums! "Sie haben Post! " Oh! ! Das Modemfieber ist gleichsam die Metapher für die Gefahren schneller Erreichbarkeit. Während das Kanonenfieber sein jähes Ende findet, sobald einen tatsächlich einmal eine Kugel erreicht hat, liegt die Gefahr des Chats darin, dass einem auf die Schnelle keine schlagfertige, originelle Antwort einfällt. Der Chat ist insofern eine Inszenierung der Gefahren fernschriftlicher Erreichbarkeit. Falls das Ausdenken einer schlagfertigen Antwort zu lange dauert, wird aus dem schriftlichen Telefonat des Chattens eine Anrufbeantworterkommunikation, bei der die Botschaften zeitverzögert, als 'halbe Dialoge' gesendet werden. Die Short Messages sind ein Beispiel für diese fließenden Übergänge. Bliebe zu fragen: was passiert, wenn man SMS-Nachrichten auf die Bühne stellt? Eben hierin besteht kurz gesagt Giesela Müllers Projekt SM-Services. Hier die Beschreibung: "SMServices ist ein Spiel um mobile Texte, um die Inspiration des Momentes und überraschend überspringende Funk(w)e(lle)n. SMServices ist ein Spiel um Großstadt-Nomaden im Zeitalter der Erreichbarkeits-Sklaverei. Text on Demand, Künstler an der digitalen Leine: Vier Wochen lang lassen sich zahlreiche Autoren und Autorinnen auf die unmittelbare Rückkopplung mit ihren Lesern ein. In festgelegten Zeitabschnitten können Ausstellungsbesucher der Rathausgalerie in München Textemacher ihrer Wahl über die Schnittstelle einer Webpage am Mobiltelefon kontaktieren und deren literarische Kreativität initiieren. Leser werden zu Musen und das Handy überträgt den Kuss. Der Autor, die Autorin dankt es mit einem als Short Message versandten Text. Short Prosa, Mobile Writing, Kurzgedichte von höchstens 160 Zeichen Länge.(... ) Hier auf der Webpage werden die Texte dann automatisch nach Absender geordnet abgelegt. In der Abfolge und im möglichen Zusammenspiel der Texte ergibt sich so ein literarischer Zustands- und Bewegungsbericht, in dem Besucher surfen und schmökern können" (www.schlampe.de). Eine dieser 'Autoren on Demand' firmiert unter dem Pseudonym 'Schlampe'. Hier einige ihrer Antworten auf zuvor eingegangene KurzMusenKüsse: [28.06. 19: 11) das blaue Wunder von Tschibo, die enthüllungen von Fatima (www.vatican.va); der verkauf geht weiter [28.06. 18: 45] i wish you would write me a long long letter [28.06. 18: 33] quatsch, poesie! wozu sie taugt kannst du dir selber einen reim drauf machen 154 Uwe Wirth [28.06. 18: 24] Schund sind die Blättchen die wir Kreativlinge so gerne wenden. [28.06. 18: 15] GUERTELROSE wirst du vergeblich suchen, ich poesie in deiner message auch! Dieses Projekt verbindet auf eigentümliche Weise die Eigenschaften von Brief-, Anrufbeantworter- und Chatkommunikation. Wie bei einem Briefroman wird hier nur ein halber Dialog dargestellt, nämlich die Reaktionen der Autoren. Zugleich weist das editoriale Setting von SM-Services den Autoren die Funktion von 'poetischen Anrufbeantwortern' zu, die jedoch nicht jederzeit verfügbar sind, sondern nur zwischen 14 und 16 Uhr Schreibbereitschaft haben. SM-Services dient dabei nicht nur der Inszenierung der Gefahren der Erreichbarkeit, sondern zeichnet auch ein Bild der diskursiven Konsequenzen, die der Zwang zur Kürze hat. Die auf 160 Zeichen begrenzten Übertragungsmöglichkeiten des SMS-Formats sind die Rückkopplung, die die oben erwähnte Beschleunigung der Übertragung auf Form und Inhalt der gesendeten Nachricht hat. Schluss Abschließend könnte man fragen, welche 'performative Rolle' die Initiatoren von kollaborativen Schreibprojekten, Chats und MUDs übernehmen, ob es sich dabei nicht um die netzdiskursive Funktion des Herausgebers handelt. Womöglich erlebt die Funktion Autor über den Umweg des Herausgebers ihren re-entry ins Netz? Der Herausgeber wäre dann 'der erste Leser' von bereits Geschriebenem, das er als 'zweiter Autor' im performativen Akt des Herausgebens rahmt, indem er als Skriptor kommentierend und arrangierend 'etwas dazu schreibt'. Das 'Problem der Autorschaft im Netz, ebenso wie das des 'authentischen Ereignischarakters' von Chats oder dem korrigierenden Eingreifen bei kollaborativen Mitschreibprojekten, würde dann in der Frage nach dem Herausgeberrahmen und den technischen Rahmenbedingungen des 'performativen Editing' kulminieren - Was ist ein Rahmen? Was ist ein Herausgeber? -womit wir wieder beim Briefroman wären. Ich schließe mit Rousseau, der im Vorwort der Nouvelle Heloise hinsichtlich seines Status als Autor schreibt: Literatur "Ich habe die Sitten meiner Zeit gesehen und diese Briefe herausgegeben. Warum lebte ich doch nicht in einem Jahrhundert, wo ich sie hätte verbrennen müssen! Wiewohl ich hier bloß des Herausgebers Namen führe, habe ich doch selbst mit an dem Buch gearbeitet und mache daraus kein Geheimnis. Habe ich es darum ganz verfertigt, und ist der ganze Bi; iefwechsel erdichtet? Weltleute! Was liegt euch daran? " (Rousseau 1988: 5). Beißwenger, Michael 2000: "Kommunikation in virtuellen Welten: Sprache, Text und Wirklichkeit, Stuttgart: ibidem. Böhler, Michael & Beat Suter (eds.) 1999: Hyperfiction, Frankfurt: Stroemfeld .. Campe, Rüdiger 1986: "Pronto! Telefone und Telefonstimmen", in: Kittler, Friedrich, Manfred Schneider & Samuel Weber(eds.) 1986: 68-93. Crimp, Martin 1998: "Angriffe auf Anne. 17 Szenerien f"tir das Theater'', in: Tabert, Nils (ed.) 1998: 263-339. Zwischen Answering Machine und Online-Chat 155 Derrida, Jacques 1982: Die Postkane. Von Sokrates bis an Freud undjenseits. 1. Lieferung, Berlin: Brinkmann und Bose. Kittler, Friedrich 1986: Grammophon Film Typewriter, Berlin: Brinkmann & Bose. Kittler, Friedrich, Manfred Schneider & Samuel Weber (eds.) 1986: Diskursanalysen 1. Medien, Opladen: Westdeutscher Verlag. Münker, Stefan & Alexander Roesler (eds.) 1997: Mythos Internet, Frankfurt: Suhrkamp. Münker, Stefan & Alexander Roesler (eds.) 2000: Telefonbuch, Frankfurt: Suhrkamp. Nickl, Markus & Konstanze Seutter 1995: ''Technik als Kommunikationspartner" in: Muttersprache 3: 258-273. Richardson, Samuel 1998: Published Commentary on "Clarissa" 1747-65, London: Pickering & Chatto. Rousseau, Jean Jacques 1988: Julie oder Die neue Heloise, München: dtv. Tabert, Nils (ed.) 1998, Playspotting, Reinbek: Rowohlt. Vosskamp, Wilhelm 1971: "Dialogische Vergegenwärtigung beim Lesen und Schreiben. Zur Poetik des Briefromans im 18. Jahrhundert", in: DVJS 45: 80-116. Wirth, Uwe 1997: "Literatur.im Internet. Oder: Wen künunert's wer liest? " in: Münker, Stefan & Alexander Roesler (eds.) 1997: 319-337. Wirth, Uwe 1999: "Wen kümmert's wer spinnt? Gedanken zum Lesen und Schreiben im Hypertext'\ in: Böhler, Michael & Beat Suter (eds.) 1999: 29-49. Wirth, Uwe 2000: "Piep. Die Frage nach dem Anrufbeantworter", in: Münker, Stefan & Alexander Roesler (eds.) 2000: 161-184. Wirth, Uwe 2001: "Der Tod des Autors als Geburt des Editors", in: Simanowski, Roberto (ed.), Digitale Literatur, Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur, Bd. 152, S. 54-63. Wirth, Uwe 2002: "Schwatzhafter Schriftverkehr. Chatten in den Zeiten des.Medienfiebers", in: Münker, Stefan & Alexander Roesler (eds.) 2002, S. 208-231. Elke Donalies Die Wortbildung des Deutschen Ein Überblick Studien zur Deutschen Sprache 27, 2002, 190 Seiten,€ 39,-/ SFr 64,50 ISBN 3-8233-5157-5 Dieses Buch bietet einen kompakten Überblick über die Wortbildung des Deutschen. Die zugrunde liegende Sprachtheorie ist mit den üblichen grammatischen Kenntnissen und den üblichen Denkweisen der Logik leicht nachzuvollziehen. Genau beschrieben wird, wie Wortbildung funktioniert, aus welchen Einheiten und mit welchen Verfahren Wörter gebildet werden. Vorschriften werden dabei nicht gemacht. Dieses Buch ist problemorientiert und forschungsnah. Es setzt sich mit wesentlichen Termini und Begriffen auseinander und diskutiert die verschiedensten traditionellen, aktuellen und revolutionären Erklärungsmodelle der Wortbildungslehre. Es soll für ein präzises Sprechen über Sprache sensibilisieren. Weil es zudem materialreich und nah an der Sprachrealität ist, ist es anschaulich und vergnüglich bei höchstmöglicher wissenschaftlicher Ausrinuung. Gunter Narr Verlag Tübingen Postfach 2567 • D-72015 Tübingen• Fax (07071) 75288 Hyptertext-Text-Hype? Charakterisierungen eines Phänomens Eugenio Coseriu Geschichte der Sprachphilosophie Von den Anfängen bis Rousseau Neu bearbeitet und erweitert von Jörn Albrecht Mit einer Vor-Bemerkung von Jürgen Trabant UTB 2266 M, 2003, XX, 410 Seiten, div. Tab.,€ 24,90/ SFr 42,- UTB-ISBN 3-8252-2266-7 Coserius breit angelegte Darstellung der Geschichte der Sprachphilosophie zeigt ein faszinierendes Panorama des sprachphilosophischen Denkens von den Anfängen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Auf grundsätzliche theoretische Erläuterungen folgt eine chronologisch geordnete Übersicht, die sowohl die wichtigsten Stationen markiert als auch die sprachphilosophisch relevanten Äußerungen der behandelten Autoren sammelt und interpretiert. Damit ist der Band eine unentbehrliche Textsammlung zur europäischen Sprachphilosophie. Das Spektrum der vorgestellten Autoren reicht von namhaften Vertretern der klassischen Antike bis zu den Philosophen der Aufklärung. »Hier ereignete sich tatsächlich die Vermählung der Philosophie mit der Philologie, die als >Liebe zur Sprache< wieder Glanz, Weite und Tiefe bekam.« Süddeutsche Zeitung A. Francke net art. KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen Neue Aufga: tJen der Medienästhetik und Tele-Semiotik Emest W. B. Hess-Lüttich Discourse studies have recently turned their attention to changes in language use caused by changes in the media environment. They analyse, for instance, the impact of technical innovation on the resources of daily information, the new design of poly-coded texts and their functions in science and education, the development of traditional media such as press or television from the age of industry to that of digital information, the visualisation of linguistic content in other codes, the transfer of knowledge and production of meaning with modern machines of communication. But among their manifold interests is also the aesthetic dimension of semiotic change influenced by the typological expansion and technological innovation of the media system as a whole. The role of the author is put into question, when looking at new forms of literary production on computer screens. The automat defines the textual structure of their works, which they create jointly on the net. Routines of perception will change audio-visual structures of literature competing with film, television, video, hypertext. The project of media aesthetics will be complementedby a yet tobe drafted tele-semiotics of audio-visual media and digital art. This chapter aims to take a closer look at new gemes of aesthetics: net literature, hyperfiction, computer animation in film, interface design of video games, electronic novel, etc. They ask for new models of reading which are to be designed and investigated with new methods of textual analysis and comparative tools across all the media of aesthetic expression and across all cultures of verbal art. In den Text-, Kommunikations- und Medienwissenschaften gewinnt in jüngster Zeit ein Thema an Resonanz, das von den Medien selbst längst schon vorgegeben wurde: Sprachwandel im Zeichen des Medienwandels. Den damit einhergehenden und teilweise wohl auch dadurch bedingten Veränderungen in den Gepflogenheiten unseres kommunikativen Gebarens im Alltag gilt daher, beispielsweise, das Interesse der Beiträge zu dem Sammelband Medien, Texte und Maschinen (Hess-Lüttich ed. 2001 a), der die ersten Umrisse einer zu entwick~lnden Angewandten Mediensemiotik zu zeichnen strebt. Zu ihren Aufgaben gehören freilich nicht nur die Sichtung der dort vorgestellten theoretischen Ansätze, terminologischen Vereinbarungen, methodischen Instrumentarien, nicht nur die Beobachtung der Konsequenzen technischer Innovationen für den Umgang mit den gewohnten Ressourcen täglicher Information, nicht nur die Analyse der neuartigen Gestalt polycodierter Texte und ihrer Funktionen in Bildung und Wissenschaft, nicht nur die Rekonstruktion von Entwicklungslinien traditioneller Medien etwa der Presse oder der Werbung im Übergang vom Industriezum Informationszeitalter, nicht nur die Veranschaulichung versprachlichter Gehalte in anderen Codes, nicht nur die Entfaltung von Perspektiven des Wissenstransfers durch Computervisualistik oder der Sinnkonstruktion an den modernen Maschinen der Kommunikation. Zu den Aufgaben einer solchen Angewandten Mediensemiotik gehört zweifellos auch die Reflexion auf die ästhetische Dimension des Zeichenwandels unter dem Einfluss der ty- 160 Ernest W.B. Hess-Lüttich pologischen Expansion und technologischen Innovation des Mediensystems (cf. Hess-Lüttich 2000). Die Rolle der Autoren steht in Frage bei neuartigen Formen der Literaturproduktion am Bildschirm des Computers; die Automaten bestimmen die Textur ihrer Werke, an denen sie gemeinsam arbeiten im Verbund der Netze; ihre Wahrnehmungsgewohnheiten verändern die Audiovisionen in der Konkurrenz von Literatur, Film, Fernsehen, Video, Hypertext. Deshalb wurde dem oben genannten Sammelband ein zweiter zur Seite gestellt, in dem die Autoren für die Fortschreibung des Projekts einer Medienästhetik (Schnell 2000) plädieren, die auch den neuen Aufgaben einer noch zu entwerfenden Tele-Semiotik audiovisueller Medien und digitaler Kunst Rechnung trägt (Hess-Lüttich ed. 2001 b). Aus den einleitenden Bemerkungen zu diesem Band sollen im folgenden einige Anregungen zusammengefasst werden, um den neuen Genres germanistische Neugier zu widmen: Netzliteratur, Hyperfiction, Computeranimation im Film, Bildschirmästhetik im Fernsehen, Interface- und Textdesign und E-Book-Roman, denn all dies erfordert neue Lektüre-Modelle, zu deren Entwurf und theoretischer Grundlegung es einer textwissenschaftlich systematischen Erforschung der vielfältigen und sich wechselseitig befruchtenden Formen künstlerischen Ausdrucks in allen Medien und über die kulturellen Grenzen hinweg bedarf (cf. Knoblauch & Kotthoff eds. 2001). Print oder Pixel? Von Autoren, Lesern und Leser-Autoren Für eine bekennende Leserin wie die erfolgreiche Autorin Elke Heidenreich (2001: 3) sind die Prioritäten klar: ''Zuerst kommt das Sprechen, dann kommt das Lesen, dann kommt alles Elektronische ohne Lesen auch kein Internet", schreibt sie in ihrem engagierten Plädoyer für das schon ältere Medium Buch, dem das Kursbuch (Nr. 133 v. September 1998) ein viel beachtetes Themenheft widmete. Sie dachte dabei vornehmlich an das literarische Buch, dessen Fortbestehen als Massenmedium nicht wenige in Frage stellen in Zeiten immer knapperer Zeitbudgets, die für das herkömmlich 'kulinarische' Lesen als Teil des täglichen Medienkonsums in einem rasch expandierenden und sich ausdifferenzierenden Mediensystem noch zur Verfügung stehen (SPIEGEL Spezial 10/ 1999). Die Statistiken des Buchhandels (der allein in Deutschland zur Zeit noch jeden Tag weit über zweihundert Bücher auf den Markt wirft, Tendenz steigend) lassen die Sorge einstweilen verfrüht erscheinen; und die Möglichkeit der Lektüre literarischer Texte am Bildschirm des E-Book scheint selbst wohlwollende Tester wie Peter Glotz (1999) oder Uwe Timm (1999) noch nicht recht überzeugt zu haben. 1 Doch immer häufiger stellen Autoren Literatur 'ins Netz'. Seit die Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT 1996 den 1. Internet-Literaturwettbewerb im deutschsprachigen Raum veranstaltete, drängen immer mehr Literaten ins neue Medium, um den Lesern die Produkte ihrer kreativen Anstrengung in 'Echt-Zeit' zu präsentieren (Stöbener 1999). Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz lehrte die neue Kunst im Netz; anerkannte Buchautoren wie Joseph von Westphalen, Matthias Politycki oder Ilija Trojanow beteiligten sich 1998 am Novel-in-progress-Projekt, das die Redaktion der Kultursendung des ZDF Aspekte ins Leben rief; Rainald Goetz ließ seine Leser via elektronischem Tagebuch, das er unter dem Titel Abfall für alle. Mein tägliches Textgebet ins Netz stellte, an seinem Leben teilhaben: als Buch gedruckt (1999 bei Suhrkamp erschienen) wirkte es seltsam banal. Im Gemeinschaftsprojekten wie Am Pool oder NUU fanden sich junge Autoren wie Christian Kracht, Elke Naters, Georg M. Oswald, Moritz von Uslar oder Alban Nikolai Herbst zusammen und füllten ihre Internet-Seiten täglich mit fortlaufenden Texten, die mal net art. Neue Aufgaben der Medienästhetik und Tele-Semiotik 161 mehr, mal weniger Bezug aufeinander nahmen. 2 Als Leser den Zugangscode zu Am Pool knackten und Texte unter den Namen der Autoren beisteuerten, wäre das fast niemandem aufgefallen, wenn diese das nicht höchst 'uncool' gefunden und die eingeschleusten Hacker- Texte schnell wieder gelöscht hätten. Das fand der Internet-Autor Alban Nikolai Herbst, der unter 15 verschiedenen Namen und Identitäten im Netz präsent ist, seinerseits wiederum kleinlich, weil gerade die Durchlässigkeit der Autor-Leser-Rollen das ästhetisch Interessante sei an der Netz-Literatur. Nicht nur die Rolle des Lesers wandle sich also, sondern auch die des Autors. Die Netzwerk-Struktur des elektronischen Textes, heißt es (cf. Rieger 1994), erlaube dem Leser, bei dessen Lektüre den vom Autor in den Text eingeschriebenen Verknüpfungsinstruktionen zu folgen oder eben nicht oder auch selbst zum Autor zu werden, indem er neue Verknüpfungen herstelle und Knoten der Datenbasis manipuliere oder ergänze oder neu kreiere. Die Verknüpfungen oder Verweisfunktionen könnten zudem über mehrere Ebenen hinweg erfolgen und zu einem assoziativ verzweigten Lektüreprozess führen, der den Leser wie beim Blättern in einer Enzyklopädie möglicherweise weit vom Ausgangstext fortführe. Je nach Verweisebene entscheide der Leser selbst über seine Lesestrategie nach Maßgabe seiner Interessen und Prioritäten. So kann er beispielsweise auf der Internet-Seite des renommierten DuMont-Verlages das von demjungen Autor und Robert-Walser-Preisträger Thomas Hettche betreute NULL-Projekt anklicken und dort unter Autoren wie John von Düffel, Burkhard Spinnen, Dagmar Leupold, Thomas Meinecke, Judith Kuckart oder Helmut Krausser wählen, deren oft in Briefform verfasste Texte und Fragmente von den Herausgebern 'vernetzt' wurden und auch hin und wieder aufeinander Bezug nehmen. Der Autor wird hier so etwas wie "ein Reiseleiter in künstlichen interaktiven Umgebungen, der die Navigation durch thematische Räume anleitet und Orientierung bietet während des Aufenthalts in einem Tableau von Erlebnismöglichkeiten", zitiert der schweizerische Schriftsteller und Informatiker Emil Zopfi (2001: 1) aus einem Essay von Wolfgang Neuhaus in Telepolis, dem "Magazin der Netzkultur" (www.heise.de/ tp). Mittlerweile beteiligen sich so viele Leser-Autoren an solchen virtuellen Schreibwerkstätten wie, zum Beispiel, dem deutschen "Webring" (www.bla2.de), daß Oliver Gassner schon Ende 1999 mehr als 4000 Einträge bzw. Links zu Autoren von Amman bis Zopfi zu einem literarischen Reiseführer von über 800 Seiten versammeln konnte; heute ist die Sammlung mit dem Namen "Carpe" das größte deutschsprachige Literaturverzeichnis im Internet (Stillich 1999: 41). Die Gemeinde der "Online-Literaten" wächst. Die Leser-Autoren experimentieren mit den neuen Formen der Chats und Textbausteine, der Zitate und Verknüpfungen, der Text-Bild- Collagen und eingebauten Video-Animationen. Etliche elektronische Literaturzeitschriften bieten für die Diskussion der neuen ästhetischen Formen ein intensiv genutztes Forum. 3 Die 23. Solothurner Literaturtage vom 23. bis 25. Mai 2001 haben ihren Themenschwerpunkt der Netz-Literatur gewidmet. Der Deutsche Taschenbuch Verlag (dtv) hat den Literaturpreis "Literatur.digital 2001" ausgelobt (www.dtv.de,), der im Jahre 2002 erneut stattfinden soll. Nicht immer freilich fördert die 'Entmachtung des Autors' und die 'Geburt des Lesers als Ko-Autor' die Lust am Lesen. Den wenigsten vom 'Zwang zum linearen Erzählen• befreiten Hypertext-Romanen (wie Autopol von Ilija Trojanow) war anhaltender Erfolg beschieden. Literatur im Netz ist zudem nicht dasselbe wie Netzliteratur: die Experten unterscheiden da genau zwischen Texten, die genauso gut am Bildschirm wie im Buch gelesen werden könnten, und solchen, die medienspezifisch konzipiert und strukturiert sind. "Netzliteratur" im eigentlichen Sinne sei nicht druckbar, sondern "flüchtig wie die Pixel auf dem Schirm", erläutert Zopfi (2001: 1), sie sei eher ein Angebot an die Leser als ein fertiges Produkt, eine 162 Ernest W.B. Hess-Lüttich Einladung, "sich beim Surfen durch eine Struktur von verlinkten Wörtern, Textbausteinen, Bildern und Klängen die Geschichte selbst zu bauen" (ibid.). Manchmal auch eine Aufforderung zum Mit-Schreiben wie beim "Assoziations-Blaster" von Alvar Freude und Dragan Espenschied. In solchen 'kollaborativen Schreibprojekten' wie jenen der Berliner Netz- Autorin Claudia Klinger (Human Voices, Missing Link), sind die mit-schreibenden Autoren die hauptsächlichen Leser, räumt die schweizerische Netz-Autorin Regula Erni unbefangen ein (www.star-net.ch/ schreibstuben). Die Entwicklung kam bekanntlich nicht über Nacht. Sie bahnte sich seit langem an und hat historische Vorläufer. Medien wurden seit jeher immer auch ästhetisch genutzt (Hiebel et al. 1999). Nach der Erfindung des Buchdrucks zur Verbreitung der Bibel wurden alsbald auch Flugschriften und Dramen gedruckt. Nach der Entwicklung des Radios zur Verbreitung von Nachrichten schrieben literarische Autoren Hörspiele für das neue Medium. Bei den Telefondiensten der Post konnte, wen danach dürstete, unter einer speziellen Service-Nummer professionell deklamierten Gedichten lauschen. Gedichte finden sich nicht nur in Anthologien, sondern auch auf den Plakatwänden der Londoner U-Bahn. Und im April 2001 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben zur Prämierung des besten literarischen Textes, der auf dem Display eines Handy (160 Buchstaben) Platz findet. Literarische Texte sehen sich am Anfang des neuen Jahrhunderts einer zunehmenden Konkurrenz zu den neuen Medien ausgesetzt. Für Kunst als Ware erzeugen sie einen hohen Anpassungsdruck man denke nur an das eher ökonomische als ästhetische Kriterium der 'Verfilmbarkeit' von Büchern, an die Buch-zum-Film-Projekte des Verlegers Eichhorn oder die multimediale Mehrfachverwertung literarischer Stoffe als Buch, als Film, als CD-Rom, als Hypertext und wieder zurück (wenn Kunstfiguren von Computerspielen wieder zu Helden von Filmen werden wieLara Croft in The Tomb Raider 2001). Die klassischen Grenzen zwischen den Medien beginnen in solchen Fällen zu verschwimmen, die Hybridisierung von Kino und Computer schreitet voran: computergenerierte Kino- Helden erfüllen den Maschinentraum des Publikums von jenen digitalisierten Kunstwelten, die von den Computerspielen her vertraut sind; traditionelle Spielfilme enthalten immer häufiger die Tricks des 'computer-generated imagery' (CGI), das nicht nur die Welt der Saurier wiederbelebt (Jurassic Park) oder künstliche Wellen auftürmt (Der Sturm) und historische Bomberangriffe simuliert (Pearl Harbour), sondern die Fälschung zum Standard erhebt. Synthetische Schauspieler, die sog. 'synthespians' (synthetic thespians), ersetzen in Großproduktionen wie Titanic (1997) oder Gladiator (2000) mühelos teure Statistenheere und stehen neuerdings gar als Cyborg-Stars im Mittelpunkt von Phantasy- und Science-Fiction- Filmen (Shrek, Final Fantasy, A.I. etc.). Dabei geht es selten um die Erfindung neuer Welten des so noch nie Gesehenen, oft wird nur das aus den 'alten Medien' Vertraute technologisch neu ausstaffiert. Die Erzählmuster folgen zäh auch im neuen Medium meist den Bahnen der gewohnten Lektüre-Routinen. Aber nicht selten wirken die Erkundungen der Autoren im neuen Medium der Automaten kreativ zurück auf die Erzählweisen im alten des Buches. Einer kritischen Medienästhetik wachsen hier neue Aufgaben zu in der genauen Analyse intermedialer Wechselwirkungen zwischen Literatur und Film, Fernsehen und Video, Computer und Internet (cf. Müller 1996; Helbig ed. 1998; Schnell 2000). Semiotisch und ästhetisch sind die neuartigen Kommunikationsformen für moderne Literatur insofern stets Leitgrößen gewesen, als moderne Autoren ihre Schreibstrategien häufig an den Codes und Wirkungsweisen der neuen Medien gemessen und ausgerichtet haben. Schon die Montageformen des modernen Großstadtromans bieten dafür ein anschauliches Beispiel (cf. Löser 1999). net art. Neue Aufgaben der Medienästhetik und Tele-Semiotik 163 net art: Hypertext - Hyperfiction - Hypermedia Seit Theodor Holm Nelsons opus magnum über die Literary Machines (1987) erschien, gewinnen die Stimmen an Kraft und Gehör, die für die literaturtheoretische Fundierung des Hypertext-Konzepts plädieren (z.B. Bolter 1991; Delany & Landow eds. 1991; Landow 1992). Dabei wird zuweilen in amerikanischer Unbefangenheit ins Volle gegriffen und Heterogenes großzügig zusammengerührt. Ob Roland Barthes in den beschaulich PC-freien 60er Jahren viel von den Rechnern verstand oder nichtantizipiert habe er sie jedenfalls, als er Texte sah, soweit das Auge reicht ("as far as the eye can reach", Barthes 1974: 11; cf. Bolter 1991: 161; Landow 1992: 3). Nach der Erfindung der Schrift, das muss er gespürt haben, stehe nun die zweite geistesgeschichtliche Revolution bevor, die alle traditionellen Vorstellungen von Kultur, Literatur oder Gesellschaft über den Haufen werfe (Bolter 1991: 233ff.). Kühn wird der Bogen geschlagen von der jüdischen Mishnah bis zur literarischen Avantgarde (Landow 1992), von der ars poetica des Horaz zur ars combinatoria des Hypertext, vom Mythos der Antike zur Maschine der Modeme (cf. Bolter 1991: 35ff.), wenn es gilt, Hypertext als "an essentially literary concept" zu erweisen (Slatin 1988: 112) und dafür Vorläufer zu benennen und Parallelen zu (er-)finden. Gemach, möchte man sagen, aus alteuropäischer Sicht. Landow hat sich die Poetik des Aristoteles vorgenommen - und siehe da: Hypertext setze sie außer Kraft. Nichts mehr von ''fixed sequence, definite beginning and ending, a story's 'certain definite magnitude', and the conception of unity or wholeness" (Landow 1992: 102). Nun sind die Regeln der aristotelischen Poetik schon häufiger verletzt worden, auch von Autoren, die sich beim Verfertigen ihrer Texte noch des Federkiels bedienten. Sie gehören zur schnell wachsenden Gemeinde der "Vorläufer" von Hypertext. Laurence Steme's Tristram Shandy wird hier gern genannt mit seiner Kunst der Digression oder James Joyce's Ulysses und erst recht Finnegans Wake mit seinen enzyklopädisch verzweigten Assoziationsketten und subtilen Verweisungsnetzen (cf. Eco 1987: 72; id. 1990: 138), Alain Robbe-Grillet oder Jorge Luis Borges oder Vladimir Nabokov: Ihre Werke seien Belege für den Versuch der Autoren, "to divorce themselves from imposing a particular reading of their texts on their readers, attempting to eliminate linearity oftexts" (Ledgerwood 1997: 550). Genau dies war das literarästhetische Programm französischer Autoren wie George Perec oder Raymond Queneau und anderer, die sich in der ÜULIPO (OUvoir de la Lltterature POtentielle) zusammengeschlossen hatten und Texte darboten, deren Sinn sich dem Leser erst erschloss, wenn er die nicht-linearen Textteile selbst zu einem kohärenten Ganzen verschmolz. Queneaus Cent mille milliards de poemes etwa bedürfe eines aktiven Lesers, der sich als Co-Autor verstünde (cf. Fendt 2001: 107). Zugegeben: Bücher im landläufigen Sinne haben einen Anfang und ein Ende, aber zwingt uns das zur Linearität der Lektüre? Waren es nicht gerade die reputablen Schriften alter Kulturen, die uns aus diesem Zwang entließen, die Zeichen des Lao Tse, die Qumran-Rollen, der Talmud, die Bibel der Christen? Wurden für graphische 'Benutzeroberflächen' nicht längst mittelalterliche Vorbilder ausgemacht (Clausberg 1994; Coy 1994)? Man vergegenwärtige sich nur einen Traktat aus dem Talmud, die Seite kunstvoll gestaltet mit Kopfzeile und Fußnote, mit dem Text der hebräischen Mishnah in der Mitte, eingerahmt vom Kommentar der aramäischen Gemara, erweitert durch erläuternde Haggadah, assoziativ angeschlossene Parabeln und rnnemo-technisch hilfreiche Merkworte und Wortspiele, Querverweise auf andere Textstellen, auf die Bibel oder mittelalterliche Schriften, Einschübe, Marginalien, Korrekturen, Kommentare aus Jahrhunderten angelagert so entstand im Laufe der Zeit "ein 164 Ernest W.B. Hess-Lüttich dichtes Geflecht von Texten über Texte, mit unzähligen Verweisen und Beweisführungen, das gerade durch die verschiedenen Lesarten, konkretisiert in den zahlreichen Kommentaren, zu immer neuer, 'unendlicher' Interpretationsarbeit auffordert" (Fendt 1995: 93; cf. id. 2001: 106f.). Was sich im verständigen Umgang mit Handschriften wir haben die klösterlichen Skriptorien des Mittelalters vor Augen über die Jahrhunderte an Spuren ihres kritischen Gebrauches niederschlug und in Interlinear- oder Randglossen sedimentierte, zeuge von der Pluralität einer anonymen Autorschaft, die beitrug zum Werden und Wachsen des Textes. Nicht anders, im Prinzip, verführen die user von Hypertext, wenn sie Fenster um Fenster öffnen und sehen, was Autoren, über die Zeit und weit verstreut, zu seinem Ausgangspunkt zusammengetragen haben. So werde das 'Textgedächtnis' fortgeschrieben und erweitert ins Unermessliche und vielleicht Undurchschaubare, und es finde seine Grenzen nur in denen des Speichers. Wer sich verläuft im Irrgarten der Texte, erinnert sich vielleicht zum Troste, gebildet wie er (sie) hoffentlich ist, der seit der Antike beliebten und im 17. Jahrhundert zur Blüte reifenden Gattungs-Tradition der Text-Labyrinthe, durch die der Ariadnefaden linearer Lektüre keineswegs immer sicheres Geleit verhieß. Mehr-Linearität, Leser-Aktivität, lntertextualität, Pluralität der Lesarten und Offenheit der Lesewege: für jedes dieser Merkmale von Hypertext ließen sich unschwer literarische Vorbilder finden, resumiert Fendt (1995: 108; id. 2001: 107) die einschlägigen Bemühungen, Texte von Autoren, die "das Experimentieren mit literarisch-ästhetischen Mustern zum Programm erhoben [haben] und in einer erstaunlichen Fülle der Kriterien, die auch für Hypertext gelten, aufihre Texte" anwenden. Andererseits unterläuft den Jüngern der postmodernen "Literary Theory" im Überschwang auch die eine oder andere metaphorische Ungenauigkeit, wenn sie mit Derrida oder Bataille oder auch Sebeok die 'unlimited semiosis in the semiotic web' beschwören. Die chunks und links im Hypertextsystem sind immerhin bezifferbar; die Zahl möglicher Verknüpfungen stößt an physikalische Grenzen der Rechnerkapazität (und physische Grenzen der Perzipierbarkeit); jemand muss die Verbindungen herstellen zwischen von ihnen definierten und selegierten Texteinheiten im Rahmen der Möglichkeiten des Programms; die Einheiten (Texte, Knoten, chunks) müssen sinnvolle (nicht notwendigerweise vom Erstautor als solche intendierte) Anschlussstellen für weitere Verknüpfungen enthalten; mit der Zahl der Verbindungen verliert die Rede vom Text als einer semantischen Funktionseinheit an Sinn; nicht alle Verbindungen sind von gleicher Plausibilität, es sei denn, man verstummt vor der Einsicht vieler Intertextualitätstheoretiker, nach deren schwer widerlegbarem Befund alles mit allem zu tun habe, und lauscht der Polyphonie der Stimmen im 'chambre d'echos' der 'Bibliotheque generale' (Barthes). Wären alle Verbindungen gleich gültig, würden sie gleichgültig gegenüber dem Anspruch ihrer Rechtfertigung. Gegen diese Beliebigkeit hat Eco (1990) die Grenzen der Interpretation markiert und gegen Derrida oder Bataille Plausibilitätsansprüche geltend gemacht. Unter Rückgriff auf Peirce erinnert er daran, dass auch bei theoretischer Unbegrenztheit potentieller Verbindungen gegebener Interpretanten mit Zeichen(komplexen) die Zahl der faktisch gewählten Verbindungen endlich und begrenzt sei. Nicht alle Metatexte zu Texten seien gleich-wertig, einige setzten sich durch, andere würden mit Fug verworfen, bestimmte Verbindungen machten mehr Sinn als andere, manche Wege führten auch in Sackgassen. Dies gilt es bei der Fortentwicklung nicht nur der Literaturtheorie, sondern auch von Maßstäben ästhetischer Wertung im Zeitalter elektronischer Medienkonkurrenzen im Auge zu behalten. Hinter der neuen Genre-Bezeichnung 'Hyperfiction' verbirgt sich ja in noch laxer Redeweise durchaus Unterschiedliches: neben den oben beschriebenen kollaborativen Schreibnet art. Neue Aufgaben der Medienästhetik und Tele-Semiotik 165 projekten, zu denen Autoren-Leser ('Wreader') gemeinsam ihre linear konzipierten Textbausteine zusammentragen, werden darunter oft auch noch die multilateralen Dialog-Rollenspiele der so genannten Chats oder MUDs (Multi User Dungeons bzw. Dimension) verstanden, in denen im schnell geschriebenen Gespräch so etwas wie ein gemeinsamer Text entsteht, der mit der dazu nötigen Geduld linear sich verfolgen ließe. Von 'Hyperfiction' im engeren und strengeren Sinne dagegen kann eigentlich erst dann die Rede sein, wenn sie den medienspezifischen Regeln der hypertextuellen Textproduktion und Textkonstitution folgt, also systematisch Gebrauch macht von den neuen Möglichkeiten des Mediums zur Vernetzung von Textblöcken durch entsprechend markierte digitale Hyperlinks. Sie sind die konstitutiven Einheiten von Hyperfiction, mittels deren die narrativen Pfade geschlagen werden durch den Dschungel des Corpus im Speicher. Diese Pfade können verschlungene Wege sein mit immer neuen Verzweigungen, die dem Leser Entscheidungen abverlangen, aber auch gerade Einbahnstraßen, die ihn lähmend leiten, oder eben auch Sackgassen, die ihn zur Rückkehr zwingen und zu neuem Versuch. Der Autor verwebt die Fäden der Textur und behält, im Glücksfalle, die Übersicht; der Leser knüpft sie neu, nach eigenem Gusto, und montiert sich so den ihm vielleicht gemäßen Text. Die Montage bleibt freilich im vom Autor definierten Rahmen des Programms, dessen Beschreibung und Bewertung einer neuen "Narratologie holistischer Textualität" obliegt (cf. Hess-Lüttich 1999a). Es ist zugleich eines der entscheidenden Kriterien für die Beurteilung einer literarischen Gattung, deren Qualität sich durch Sprache und Stil allein nicht mehr verbürgt. Hinzu treten Kriterien des gefälligen Textdesigns (Bucher 1996; Hess-Lüttich 1999c; Lobin ed. 1999) und der stimmigen Integration polycodierter Textelemente (Hess- Lüttich 1994) wie Grafiken und Tabellen, Töne, Geräusche, musikalische Sequenzen, Photos, Bilder, Videos, multimodale Animationen. Erst aus der Summe solcher Kriterien ergibt sich das Spezifische des neuen Gemes und der komplexere Maßstab seiner Beurteilung. Es überschreitet zugleich die Grenzen des Literarischen. Roberto Simanowski, der das online-Magazin für digitale Dichtung (www.dichtung-digital.de) ediert, hat deshalb zu Recht für eine Erweiterung des ästhetischen Instrumentariums zu seiner Beschreibung plädiert (hier zit. n. Mazenauer 2001: 2; cf. Simanowski 1996): Die Ästhetik der digitalen Literatur ist in hohem Masse eine Ästhetik der Technik, denn die künstlerischen Ideen müssen in die Materialität des Stroms überführt werden, ehe sie auf der Ebene sinnlicher Vernehmbarkeit erscheinen können. Die erfordert vom Autor eine weitere bisher nicht notwendige Qualifikation: neben der ästhetischen - und zwar multimedial ist die technische nötig. Sind die polycodierten Hypermedia noch Literatur? Wird das ästhetische Vergnügen an der Kunst sprachlicher Gestalt überlagert, ja verdrängt von dem am Raffinement der Textüberfläche? Das 'Oberflächliche' so mancher Versuche digitaler Literatur ist ja nicht zufiillig Gegenstand pointierter Kritik von am hergebrachten Kanon geschulten Experten. 'Net art', Netz-Kunst ist deshalb vielleicht in der Tat das unverfänglichere Gefäß für 'Werke' wie die von Jenny Holzer oder Barbara Kruger, in denen Sprache, Bild und Ton sich stimmig vereinen und die ein Terrain sondieren, auf dem wir das Gedeihen neuer Kunst-Formen jenseits der bewährten (auch bewehrten zuweilen und verbissen verteidigten) Schutzwälle tradierter Feldverteilung und Gebietsansprüche beobachten können. Das Vergnügen an der Lektüre von Büchern im gewohnten Verstande steht dabei einstweilen nicht ernsthaft in Gefahr. Die Technik garantiert ja nicht schon von selbst ästhetische Qualität, die schöpferische Kraft heischt und eine ordnende Hand. Entsprechend gelassen äußert sich der Hamburger Verleger (und zeitweilige Staatsminister für Kultur in Berlin) 166 Emest W.B. Hess-Lüttich Michael Naumann im SPIEGEL-Gespräch mit Stephan Burgdorff und Johannes Saltzwedel (SPIEGEL Spezial 10/ 1999: 30-34): mit den elektronischen Stilmitteln des Hypertextes werde versucht, "das Gehirn des Lesers auszuräumen und zu ersetzen durch alle vorstellbaren Assoziationsketten bis hin zu Absurditäten. Es ist der vergebliche Versuch, Phantasie durch Technik zu ersetzen, letztlich ein Verlust von Freiheit im Namen von Vielfalt." Die von den Hypertext-Apologeten behauptete Aufhebung der Herrschaft des Autors halte er ungefähr für so naiv "wie das alte Renaissance-Ideal, jeder könne sein eigener Autor sein". Und die Mit- Entscheidung des Lesers darüber, wie ein Handlungsfaden weitergesponnen werden solle, habe es schließlich auch schon bei Charles Dickens gegeben, der seine frühen Romane als Zeitungsserie veröffentlichte. Im übrigen kann sich nicht nur der Leser leicht verirren in den Labyrinthen des Netzes ('lost in cyberspace'), sondern auch der Autor: Harold Brodkey etwa hinterließ in seinem Rechner gut 36000 Seiten seines Romanprojekts The Runaway Soul, die sich nicht mehr zu einem Manuskript sortieren ließen er habe sich, sagt Naumann, "in seinem Computer verlaufen, wie Robert Musil in seinem Mann ohne Eigenschaften sich in der Überfülle der Notizen verloren hat." Entsprechend reserviert bleibt die etablierte Literaturkritik gegenüber den ihr bislang präsentierten 'Werken': in Solothurn stellte die Internet-Autorin Susanne Berkenheger unter dem gewiss interessierte Anteilnahme weckenden Titel HILFE! einen "Hypertext für vier Kehlen" vor, der nach dem harschen Urteil des in der Schweiz renommierten Literaturkritikers Charles Linsmayer (in DER BUND 152.122 v. 27.5.2001: 5) "sprachlich-inhaltlich allen interaktiven Collage-Möglichkeiten zum Trotz die Stufe eines (schlechten) Pennäler- Aufsatzes nicht überstieg." Die sonstigen Präsentationen digitaler Literatur ('Lesungen' passt ja nicht mehr recht für das Genre, und über die Namen gehen wir gnädig hinweg) vermochten ihn jedenfalls ebenso wenig zu überzeugen wie die theoretischen Reflexionen der Experten für experimentelle Poesie auf den Podien der Literaturtage, denn, resümiert er ohne Umschweife, "wenn aus der heillosen Verwirrung in Sachen Hyperfiction überhaupt etwas Berichtenswertes hervorging, dann die Tatsache, dass die Hyperfiction ein neues Leseverhalten erfordert, dass von einer Konkurrenzierung der geschriebenen Literatur derzeit noch keine Rede sein kann und dass aus einem missglückten Text durch die Transponierung in eine Hyperfiction noch lange kein geglückter wird" (ibid.). Umso nachdrücklicher wäre demnach die Literaturwissenschaft gefordert. Aber die hat sich bislang auffallend bedeckt gehalten. "Warum interessieren sich die Literaturwissenschaftler nicht für das Internet? ", fragt der Netz-Autor Dirk Schröder, "die haben doch die Aufgabe, Literatur aufzuspüren, wo es geht" (Stillich 1999: 42). Nur scheinen die in ihrer überwiegenden Mehrheit einstweilen noch eher ratlos. Der Geschäftsführer des schweizerischen Schriftstellerverbandes Peter A. Schmid hält eine Diskussion der neuen ästhetischen Formen von Netz-Literatur, von digitaler Dichtung, von Hyperfiction oder Cyberfiction für dringend geboten. Es gebe ja nicht einmal Kriterien dafür, ob die Online-Literaten überhaupt als Schriftsteller zu gelten hätten und etwa in den PEN oder in den Schriftstellerverband aufzunehmen wären. Freilich habe sich "bisher auch noch keiner darum bemüht" (zit. n. Zopfi 2001: 2). Mit Studien wie den in diesem Themenheft versammelten wird das sicher bald anders werden. net art. Neue Aufgaben der Medienästhetik und Tele-Semiotik 167 Anmerkungen 1 Aktuelle Links zum Thema E-Book (2001): www.rocket-ebook.de, www.openebook.org, www.eink.com, 2 Mittlerweile erschien eine Auswahl als Buch: Sven Lager & Elke Naters (eds.) 2001: The Buch: Leben am Pool, Köln: Kiepenheuer & Witsch. 3 Neben Internet Foren wie dem von Roberto Simanowski betreuten online-Magazin für digitale Ästhetik (www.dichtung-digital.de) oder der kommentierten Database über Hyperfiction-Projekte (www.cyberfiction.ch) oder dem aktuellen Wegweiser durch das mittlerweile unüberschaubar gewordene Literatur-Angebot im Internet (www.netz-literatur.ch) oder anderen (www.carpe.com, www.claudia-klinger.de, www.hyperfiction.de, www.netz-literatur.de, www.bla2.de.) cf. zu dieser Diskussion auch die CD-ROM pegasus 1998 mit den Beiträgen des Internet-Wettbewerbes von DIE ZEIT, ARD, IBM und Radio Bremen 1996-98 oder das CD-ROM Archiv der Ausgaben von dichtung-digital von Juni 1999 bis November 2000 sowie das Projekt von Johannes Auer & Reinhard Döhl 2000: 'kill the poem '. Digitale visuell konkrete Poesie und Poem Art, Zürich: update. Verwiesen sei außerdem auf Suter & Böhler (eds.) 1999 und Suter 2000. Literatur Barrett, Edward (ed.) 1988: Text, ConText, and Hypertext. Writing with andfor the Computer, Cambridge/ Mass.: MIT Press. Barthes; Roland 1974: s/ z, New York: Hili & Wang. Bolter, Jay David 1991: Writing Space: The Computer, Hypertext, and the History of Writing, Hillsdale/ NJ: Lawrence Erlbaum. Bolz, Norbert 1990: Theorie der neuen Medien, München: Raben. Bucher, Hans-Jürgen 1996: "Textdesign - Zaubermittel der Verständlichkeit? Die Tageszeitung auf dem Weg zum interaktiven Medium", in: Hess-Lüttich et al. (eds.) 1996: 31-58. Clausberg, Karl 1994: "Gummiband und Gummilinse: Mittelalterliche Vorbilder für graphische Benutzungsoberflächen", in: Zeitschrift für Semiotik 16.1-2 (1994): 5-9. Coy, Wolfgang 1994: "Gutenberg & Turing: Fünf Thesen zur Geburt der Hypermedien", in: Zeitschrift für Semiotik 16.1-2 (1994): 69-74. Delany, Paul & George P. 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The most compelling features of this new culture and literary environment ought to be described with the terms 'transversality' and 'transfugality' which will be layed out in this article. A look into textuality finds that hyperfiction rather qualifies for a complete new way of reading than a new type of text. This performative reading dramatically alters the roles of author and reader. Einleitung Dass ein Medium ein neues Genre erzeugt, ist nichts Ungewöhnliches, eher schon eine Begleiterscheinung der medialen Auseinandersetzung. Dies lässt sich in der Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts immer wieder beobachten: Das Radio erzeugte das Hörspiel, das Kino den Spielfilm, den Experimentalfilm, den Dokumentarfilm und das Fernsehen beispielsweise die Serien, die Krimis und den Fernsehfilm. Wenige dieser Genres haben auf Anhieb eingeschlagen und sofort ihr Publikum gefunden. Der Spielfilm brauchte dazu Jahrzehnte, das Hörspiel hat auch heute nur eine kleine Fangemeinde und selbst diverse Fernsehgenres haben sich erst nach Jahren wirklich durchsetzen können. Neue Formen haben es grundsätzlich nicht leicht in einer gewohnheitsorientierten Kultur- und Medienwelt. Meist ist nur ein kleiner Teil des potentiellen Publikums bereit, sich dem Neuen wirklich vorurteilslos zu öffnen. Wer sich noch nicht an ein neues Medium gewöhnt hat, der reagiert zumeist selbst wenn er keine große Skepsis hegt dem Neuen gegenüber zuerst einmal mit viel Ratlosigkeit und einem unsicheren Gespür der Einschätzung. Die Geschichte einiger Genres wie die des Films und des Hörspiels zeigt dies sehr deutlich: So die öffentliche Vorführung eines der ersten Filme durch die Gebrüder Lumiere 1895 in Lyon. Der Film hieß Vue No. 653: Arrivee d'un train a la Ciotat und brachte einige Zuschauer dazu, in Panik vor dem auf sie zufahrenden Zug aus dem Kinosaal zu flüchten. Die Realität und ihre Abbildung in einem neuen Medium konnten im ersten Augenblick nicht auseinander gehalten werden. Deutlicher noch trat die Unsicherheit des unerfahrenen Publikums beim berühmten Hörspiel von Orson Wells zu Tage, das 1938 uraufgeführt wurde. Die Adaption von H. G. Wells Roman War ofthe Worlds hatte die im Roman geschilderten Angriffe der Marsmenschen mit riesigen Robotermaschinen (The Coming of the Martians) zu einem Hörspiel verarbeitet, das Nachrichten-Beiträge und Live-Berichte von Angriffen in New Jersey simulierte und vor dem Hintergund einer weltpolitisch sehr unsicheren Situation zahlreiche Menschen in New York in Panik versetzte. 170 BeatSuter Avantgarde und Entvertikalisierung Eine Frage, die sich viele Literaturwissenschafter sehr bald stellen, wenn sie auf ein neues Phänomen wie Hyperfiction stoßen, ist jene nach Qualität und Originalität im Vergleich zu bereits kanonisierten Texten und Genres. Doch ob nun die Verfasser von Hyperfiktionen die Avantgarde der Literatur von morgen sind, die nach Erweiterungsmöglichkeiten literarischer Gestaltungs- und Ausdrucksformen mit neuen Mitteln sucht, oder ob sie die Arrieregarde der Literatur von gestern darstellen (Schmundt 1996: 49), die bekannte und bewährte Sprach- und Textspiele epigonal im neuen Medium reproduziert, erscheint vorerst nicht wichtig zur Einschätzung des Phänomens. Oder wie Johannes Auer beziehungsweise sein Künstler-Alter- Ego Frieder Rusmann es mit einer limitierten Ausgabe seiner art wear in Form eines T-Shirts ausdrückt, das die Käufer zu Kunstprodukten macht: "Avantgarde is wurscht! " (Rusmann 1999) ; <; .•: -~, .,.,. r: << 11ho thet fuck is rusmenn? .... ~r.t.! mitlf! l [fig. 1: Avantgarde is ... schön wurscht! ] Die Frage nach Avant- und Arrieregarde ist sogar sehr problematisch, denn k: ultursoziologisch betrachtet zerfällt die Gegenwartskultur in viele unterschiedliche Kulturmilieus, die sich nicht mehr hierarchisch aufeinander beziehen, sondern sich nebeneinander entwickeln. Der Soziologe Gerhard Schulze beschreibt dies mit dem Begriff der 'Entvertikalisierung der Alltags- Ein neues Literaturmilieu 171 ästhetik' (Schulze 1993: 166ff.). Anschaulich ist das besonders im Bereich der Musik, wo sich in den letzten 20 Jahren Dutzende von sehr soliden Szenen in verschiedensten Musikrichtungen herausgebildet haben, die nebeneinander weiter existieren. Aber mittlerweile hat diese "kulturelle Segmentierung" (Schulze 1993: 171f.) auch andere Kunstbereiche erfasst. So können heute Kunstprodukte nicht mehr unbedingt im Verhältnis zu anderen Kunstprodukten - .beispielsweise nach dem Kriterium neu/ alt beurteilt werden, sondern nach der ihnen eigenen Ästhetik. Michael Böhler, Mitherausgeber des Buches Hyperfiction: Hyperliterarisches Lesebuch (Suter/ Böhler 1999) folgerte aus diesem Umstand, "dass eine neue avantgardistische Kunstpraxis nicht mehr notwendigerweise in ein bestehendes Kulturmilieu integriert wird als deren 'Neues', sondern dass sie ein neues Kulturmilieu bildet." Träfe dies tatsächlich zu, so Böhler weiter, "wäre Internetliteratur als Literaturpraxis und Kulturmilieu sui generis zu betrachten und nicht als Fortschreibung eines Alten mit neuen Mitteln." (Suter/ Böhler 1999: 8f.) Die Eigenschaften der neuen Literatur Internetliteratur als neues Kulturmileu? Kann man das so formulieren? Trotz der Unsicherheit bei der Einschätzung des Phänomens lässt sich feststellen, dass in den letzten Jahren ein neues Milieu für Literatur entstanden ist, das sich (nicht ganz freiwillig) außerhalb der etablierten literarischen Welt angesiedelt hat und seine eigenen Entwicklungswege geht. Autoren und Künstler haben sich im Netz einen neuen sozialen Raum geschaff(? n. Ihre Produkte, die man als Hyperfictions, Cyberfictions, Web: fictions, Netzliteratur oder Welttexte bezeichnet, zeichnen sich aus durch ein hohes Maß an Experimentalität, durch künstlerischen Gestaltungswillen, der mehr als nur tradierte Formen transportieren will, durch Hybridität, die neue Formen entstehen lässt, durch narrative Eigenräumlichkeit, durch Nichtendgültigkeit, durch Streben nach Interaktivität und durch 'Event-ualität'. Der Begriff der 'Event-ualität' ist vielleicht etwas irritierend, doch er versucht einen Aspekt zu fassen, der beinahe alle Sparten und Segmente der Kultur sowie sämtliche Szenen durchdringt. 'Event-ualität' heisst Kunst mit Ereignischarakter, Geschwindigkeit, Rastlosigkeit, Punktualität, dauerndes Weitergehen, Aufmerksamkeit, Bühne, Performanz, Spiel. Obwohl die meisten Hyperfictions über mehrere dieser Aspekte verfügen, lassen sich die einzelnen Merkmale doch besonders gut anhand bestimmter Hyperfictions zeigen, die einzelne Eigenschaften besonders markant herausgearbeitet haben. So zeichnen sich die spielerischen Textetango rgb und noise 99 von Oliver Gassner (Gassner 2003) sowie die der Konkreten Poesie nahestehenden 'Poem Art' -Projekte von Johannes Auer in kill the poem (Auer/ Döhl 2000) durch ein besonders hohes Maß. an Experimentalität aus. Den künstlerischen Gestaltungswillen, der mehr als nur tradierte Formen transportieren will, findet man beispielsweise in den Projekten von Olia Lialina wie My Boyfriend Came Back From the War (Lialina 1996) und Heavenfrom Hell (Lialina 1998), sie haben vor allem in der Netzkunst- Szene Bekanntheit erlangt. Ein gutes Beispiel für Hybridität, die neue Formen entstehen lässt, liefert die Aaleskorte der Ölig von Frank Klötgen und Dirk Günther (Klötgen 2003), die den Leser zum Regisseur eines Films macht, der sich bei der Präsentation wandelt. Durch die Erschließung eigener narrativer Räume mittels Umsetzung neuer, einfacher Formen beeindruckt vor allem die Hyperfiction Hilfe! Ein Hypertext aus vier Kehlen von Susanne Berkenheger (Berkenheger 2000), die gleichermaßen auf Chat und Theater aufbaut. 172 BeatSuter [fig. 2: Hilfe! Die Fensterchen reden ... ] Dem Aspekt der Nichtendgültigkeit nehmen sich beispielsweise die lyrischen Projekte von Robert Kendall an (Kendall 1996), in einem weniger großen Maße aber auch die bekannten Storyspace-Hyperfictions Afternoon, a story von Michael Joyce (Joyce 1991) und Victory Garden von Stuart Moulthrop (Moulthrop 1991). Das Streben nach Interaktivität lässt sich in vielen Projekten sehr deutlich wahrnehmen, unter anderem in 23: 40 das kollektive Gedächtnis von Guido Grigat (Grigat 1999), an der Rapmaschine Looppool von Bastian Böttcher (Böttcher 1998), im kollaborativen Projekt gvoon von Heiko ldensen (ldensen 1996) sowie in .diversen Mitschreibeprojekten. Den beschriebenen Aspekt der 'Event-ualität' schließlich findet man in Projekten wie der Aaleskorte der Ölig (Klötgen 2003) oder im populären Assoziationsblaster (Freude/ Espenschied 1999) von Alvar Freude und Dragan Espenschied, der eine neuartige Kombination von Zufall, Wahrscheinlichkeit und Ereignis mit Partizipation darstellt. Transversal Die hervorstechenden Merkmale dieses neuen Kultur- und Literaturmilieus können aber wohl am einprägsamsten mit den beiden Begriffen des 'Transversalen' und des 'Transfugalen' umschrieben werden (Suter/ Böhler 1999: lOf.). Ein neues Literaturmilieu 173 Als 'transversal' hat Wolfgang Welsch in seiner Philosophie der zeitgenössischen Vernunftkritik allgemeine Denk- und Gestaltungsformen der Gegenwartsgesellschaft bezeichnet. "Pluralitätsbewusstsein und Übergangsfähigkeit" (Welsch 1996: 774) stehen dabei im Mittelpunkt. Schreiben und Denken im Netz, beziehungsweise im World Wide Web sind als solche praktische Vollzüge transversaler Vernunft, die im Kontext von Internetliteratur dank der möglich werdenden Überkreuzungen und Verflechtungen durch Hypertext, Multimedia, interaktive Kommunikation und Datentransfer strukturbildenden Charakter haben. Immer aber steht dabei das Streben nach neuen adäquaten Formen im Vordergrund. Schreiben und Denken im Netz sind, das stellt beispielsweise auch Mike Sandbothe fest, nicht zu trennen von der kreativen und ästhetischen Gestaltung der einzelnen Projekte. Schreiben und Denken im Netz heißt kreatives Installieren von Hyperlinks, ästhetisches Gestalten des Designs von Webseiten, geschickter und einfallsreicher Umgang mit Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop und multifunktionalen Editoren wie Go Live oder Dreamweaver beziehungsweise geschicktes Programmieren mit HTML, DHTML, XML, JavaScript, Applets, Flash, ASP, SQL etc. Der Künstler muss sein Spektrum erweitern und sich gewisse Progammierer- und Gestalterqualitäten erarbeiten. "Das alles sind praktische, d.h. künstlerisch-handwerkliche Vollzüge, durch die der Schreibende aus der Position eines reinen Beobachters herausgerissen und in konkrete Handlungszusammenhänge eingebunden wird" (Sandbothe 1997: 82). Die auffallende Bereitschaft, die neuen Denkformen der Verflechtung, Verkreuzung und Vernetzung unterschiedlicher Codes zu erproben, die Welsch in der Sphäre der Kunst in sogenannten Hybridformen entdeckt, lässt sich in der praktischen Arbeit an Hypertexten und Multimedia beobachten und ohne Einschränkung auch auf das neue literarische Genre der Hyperfictions übertragen. "Manche künstlerischen Gestaltungen lassen sich als Darstellungsexperimente von Pluralität und Transversalität auffassen. Dies gilt insbesondere für Hybridformen, wie sie in der gegenwärtigen Kunst und Architektur in den Vordergrund treten" (Welsch 1996: 776). Die sogenannte 'Doppelcodierung', Komplexität (und Widerspruch) sowie Hybridbildung, wie sie sich vor allem die postmoderne Architektur zu erschließen mühte (Vgl. Venturi 1978), war den Hyperfiktionen dank des integralen Nutzens der Computer- und Netzwerktechnik von Beginn an inhärent. Grenzüberschreitungen und fließende Übergänge sind dabei automatisch Bestandteil der kreativen Prozesse geworden. Welsch stellt fest: Mit den "Denkformen des Gewebes" wird statt der "alten Denkweisen sauberer Trennung und unilinearer Analyse" die sogenannte "Übergängigkeit zwischen den Codes zur Elementarverfassung der Gestaltung und zur Bedingung ihrer Rezeption" (Welsch 1996: 776). Das Transfugale Der Begriff des 'Transfugalen' (Vgl. Suter/ Böhler 1999: lOf.) dagegen umschreibt den Tatbestand der transitorischen Flüchtigkeit, der die neue Literaturform gleich in mehrfacher Hinsicht bestimmt. Zentral ist dabei die durch die Internet-Technologie eröffnete Möglichkeit des Transfers jeglicher Art von Daten und Objekten zu jeder Zeit überallhin. Die transitorische Flüchtigkeit lässt sich grob in drei Aspekte einteilen: 174 BeatSuter 1. Jeder Autor ist sein eigener Herausgeber. 2. Die relative Flüchtigkeit des materialen Datenträgers, bzw. der binären Datenspeicherung auf unterschiedlichsten, schnell veraltenden Datenträgern. 3. Unbegrenzte Eingriffsmöglichkeit über die Funktionen 'Speichern' und 'Löschen' sowie anderer Manipulationen. Unbegrenzter Datentransfer überallhin. Im Grunde genommen brauchen diese drei Aspekte keine weiteren Erläuterungen. Im Umgang mit Computer und Netzwerken sind sie uns selbstverständlich geworden; doch gerade deswegen vergessen wir meist auch, wie grundlegend sie für die neuen Phänomene wirklich sind. Aspekt 1 weist darauf hin, dass Hyperfiktionen Texte sind, welche die traditionellen Produktionsschritte für Literatur zu überspringen vermögen. Alle vermittelnden Instanzen von Lektorat, Produktion, Marketing, Handel und Verkauf, die für 'Papierliteratur' unerlässlich sind, können ausgeschaltet werden. Der Autor wird damit zum Herausgeber, der alle vermittelnden Instanzen selbst übernehmen muss oder sich dafür entscheiden kann, zu Gunsten einer schnellen Veröffentlichung im Netz verschiedene der Produktionsschritte zu überspringen. Aspekt 2 weist darauf hin, dass auf der Ebene des materialen Datenträgers die elektronische Basis der Texte in Form binärer Datenspeicherung und die generell kontrollierte Unkontrollierbarkeit des Mediums Internet sowie die rasante Geschwindigkeit der Datenüber-. mittlung zur Folge haben, dass die einzelnen elektronischen Texte und Werke ebenfalls einen sehr flüchtigen Charakter annehmen. Diese transitorische Flüchtigkeit übt einen nachhaltigen Einfluss auf die neue Literaturform aus. Beweise dafür, dass einzelne ältere Datenträger zerfallen, häufen sich mittlerweile - und dies nicht nur bei audiovisuellen Dokumenten auf Film und Tonband. Chemische Prozesse lassen Filme schrumpfen und ausbleichen, Schallplatten werden spröde und splittern, Magnetbänder entmagnetisieren sich trotz sorgfiiltigster La,gerung, Disketten ebenfalls und bei CDs ist man sich nicht sicher, wieviele Jahre sie wirklich hinhalten. Hinzu kommt selbstverständlich, dass Spulen, Kassetten, Disketten und Festplatten ihren Inhalt nur dann preisgeben, solange noch Lesegeräte und Leseprogramme dafür vorhanden sind. Ein Beispiel: Die N asa stellte fest, dass über 20 Prozent der Informationen, welche die Marssonde Viking auf ihrer Reise durchs Sonnensystem 1976 gesammelt hatte, nicht mehr gelesen werden können. Darunter sind zahlreiche Satellitenaufnahmen von Brasiliens Amazonasbecken aus den 70er Jahren, die man heute für verschiedene Forschungsgebiete äußerst gerne auswerten würde. Jene Aufnahmen sind aber auf Bändern gefangen, die der Markt längst vergessen hat. 25 Jahre später gibt es keine Lesegeräte mehr für die Bänder. Die Nasa hat bis anhin keine Mittel gefunden, die Daten wieder zugänglich zu machen. Aspekt 3 beschreibt die veränderten Manipulationsmöglichkeiten der Daten, die einem Projekt (Text) zugrunde liegen: 'Speichern' und 'Löschen' bestimmen über Verfügbarkeit oder Verlust, über Präsenz oder Absenz der elektronisch gesicherten Daten, die den Text der elektronischen Werke konstituieren. So sind viele der Texte, welche die ersten Gehversuche der Hyperfictions repräsentierten, schon jetzt wieder von den Server-Computern gelöscht, mithin aus dem Raum der Internetliteratur verschwunden und einer weiteren Rezeption unwiderruflich entzogen. Ein Beispiel dafür lieferten die Wettbewerbsbeiträge der ZEIT- und Pegasus-Wettbewerbe von 1996 bis 1998, die Anfang des Jahres 2000 von einem der Sponsoren vom Server gelöscht wurden; ein Akt, der die ganze Netzliteraturgemeinde verärgerte. Erst eineinhalb Jahre später, nach zahlreichen Protesten und einer längeren internen Suche Ein neues Literaturmilieu 175 nach dem Backup-Band, konnte das wertvolle Archiv (Sadigh 2001) wieder aufgeschaltet werden. Allerdings sind zahlreiche Links zu Beiträgen von 1998, die auf eigenen Homepages publiziert waren, nicht mehr aktiv und diese Beiträge heute schwer oder teilweise gar nicht mehr auffindbar. Die bereits getilgten Texte hinterlassen zwar im Netz meist Spuren, doch eine komplette Regenerierung erweist sich wenn die Texte nicht auf einem sicheren separaten Datenträger gespeichert wurden oft als nicht mehr möglich. Dies mussten auch Doris Köhler. und Rolf Krause erfahren, deren beispielhaftes Projekt Interstory bei einem Systemwechsel im Rechenzentrum der Universität Hamburg 1998 aus Versehen vollständig gelöscht wurde und unwiderruflich verloren ist (Vgl. Köhler/ Krause 1995/ 1996). Diese drei Aspekte verdeutlichen, dass der Internetliteratur der prekäre Status des Flüchtigen eingeschrieben ist: eine stete Fluchtbewegung durch das Medium Internet hindurch, das sie gleichsam nur temporär passieren; im Sinne von Deleuze ließe sich auch von einem andauernden Prozess der 'Deterritorialisierung', der temporären 'Reterritorialisierung' und erneuten 'Deterritorialisierung' sprechen (Vgl. Deleuze/ Pamet 1980: 45/ 52ff.). Dieser Prozess verdeutlicht sich beispielsweise in der kollaborativen Schreibumgebung nie-las von Rene Bauerund Joachim Maier (Vgl. Bauer/ Maier 1998 - 2001 ). Anders als in allen kollaborativen Netzliteratur-Projekten und anders als in vielen kollaborativen Schreibumgebungen ist in nielas das Heraufladen, Löschen, Verändern und Manipulieren von eigenen und fremden Daten in Form von Text, Bild, Film etc. für jeden Teilnehmer und Besucher möglich. Die Dokumen- . te können in eine bestehende Struktur eingeordnet werden, welche ebenfalls verändert oder neu aufgebaut werden kann. Nie-las ist ein funktional stark erweiterter kollektiver digitaler Zettelkasten, der verschiedenen Teilnehmern dazu dient, gleichzeitig an verschiedenen Objekten zu arbeiten, miteinander zu kommunizieren und an den Dokumenten zusammen weiterarbeiten zu können. Nie-las ist "offen konzipiert und ermöglicht eine Anpassung der Strukturen an die jeweiligen Bedürfnisse" (Bauer/ Maier 1998-2001). Weiter thematisiert diese kreative Schreibumgebung auch das Manipulieren, Speichern und Löschen ganz explizit, indem einzelne von den Teilnehmern gelöschte oder modifizierte Daten und Objekte auf einmal aus einem sogenannten 'Deleuze'schen Unbewussten' (verschiedene gelöschte, modifizierte und aktuelle Dokumente werden angezeigt) oder einem 'Freud' sehen Unbewussten' (nur Gelöschtes wird an die Oberfläche getragen) wieder auftauchen können. Der in diesem Abschnitt beschriebene Aspekt der 'Durch-Flucht' zeigt, dass nicht nur auf der materialen Ebene des Mediums das Konstitutionsmoment des Transfugalen gilt; es bestimmt auch die Modalitäten des Umgangs, der Produktion und der Rezeption, ebenso wie der Textstruktur. Performatives Lesen Doch schließlich ist Hyperfiction weniger eine neue Textsorte als eine neue Lektüreweise: Wichtiges Merkmal von Hyperfictions bzw. des neuen Literaturmilieus ist das peiformative Lesen. Der Leser wird vom Autor ins Stück miteinbezogen und kann eine mehr oder weniger aktive Rolle annehmen. Auf dem Theater ist dieser Umstand nichts Neues, in einer Literaturinszenierung auch nicht, in der direkten Beziehung zwischen Text und Leser aber schon eher. Denn die Beteiligung des Lesers an einem Text spielt sich normalerweise im eigenen Kopf ab. Man liest und imaginiert das Gelesene und knüpft dabei die Fäden im eigenen Kopf zusammen. Der Hyperfiction-Leser dagegen muss seine Rolle wahrnehmen und sei dies auc~ nur über die Entscheidung, einen Link anzuwählen und den andern sein zu lassen denn wenn er nichts tut, entwickelt sich auch keine Story. 176 BeatSuter Das heißt aber, dass der Prozess des Imaginierens in Hyperfictions externalisiert wird. Es entsteht ein virtueller Raum, in dem der Leser mehr oder weniger eingeschränkt je nach Hyperfiction entscheiden und handeln, ja manchmal sogar konkret mitschreiben kann. Der Leser wird also zu einem Mit-Arbeiter am Text. Zwar ist auch das Lesen und Interpretieren eines Buchromans immer ein nicht zu unterschätzendes Stück Arbeit und Mitarbeitdies soll überhaupt nicht in Abrede gestellt werden-, das Neue an vielen Hyperfictions ist jedoch die Möglichkeit, diese Mit-Arbeit ganz konkret in einem eigens dafür konstruierten bzw. fingierten Raum leisten zu können. In diesem virtuellen Raum kann sich der Leser mittels Navigationshilfen bewegen. Das heißt, der Benutzer bewegt sich in diesem Raum, wie wenn er ein Schiff übers Meer steuert. Dabei ist das Virtuelle entgegen dem Realen ein Imaginäres, ein erzeugbares Mögliches. Mit der Übersetzung des elektronischen Innenlebens eines Computers in Text und Bild über ein Interface wurde Computer-Virtualität überhaupt geboren. Dabei geht es um die technisch oder narrativ erzeugte Vision eines Raumes, jedoch nicht um die eigentlichen Datenräume, sondern um einen künstlichen Raum, "den unser Gehirn aus den sinnlich ermittelten Daten erstellt, über den sich unser Bewusstsein sozusagen 'erhebt' und an den wir als einen wirklichen gerne glauben möchten" (Krapp/ Wägenbauer 1997: 7f.). Einen solchen virtuellen Raum stellt man sich am besten als dreidimensionales Spielfeld oder eben als Meer vor, auf welchem man sich mehr oder weniger gut je nach technischer Implementierung mittels einer Steuerung (z.B. der Navigation eines Schiffes) bewegen kann. Dabei gibt es zur Steuerung zahlreiche Zwischenstufen von der einfachen Richtungswahl per Pfeil bis zum Ganzkörper-VR-Anzug, der einen Beteiligten vollkommen in eine neue Realität integriert. Die komplexen virtuellen Welten werden so für den Benutzer zu einer immersiven Welt, einer zweiten Realität, in der er soziale Entscheidungen fällen und Handlungen vollziehen kann. Literatur Auer, Johannes & Reinhard Döhl, 2000: "kill the poem'' (=Edition Cyberfiction 2), Zürich: Update Verlag. Bauer, Rene & Joachim Maier, 1998-2001: "Nie-las", Nie-las. <http: / / www.nic-las.com> (29.08.2001). Berkenheger, Susanne 2000: Hilfe! Ein Hypertext aus vier Kehlen (Edition Cyberfiction 1), Zürich: Update Verlag. Böttcher, Bastian 1998: Looppoolein Hyperpoetry-Clip, <http: / / www.looppool.de> (29.08.2001). Deleuze, Gilles & Claire Pamet, Espenschied, 1980: Dialoge, Frankfurt a. Main: Suhrkamp. 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Von den Sprachen im Plural der Vielfalt handeln in differenzierender Betrachtung die Kapitel zu den Wörterbüchern, zum Sprachverkehr der Fach- und Wissenschaftssprachen und zur europäischen Sprachenpolitik. So kommt in diesem Buch das Allgemeine der Theorie zusammen mit dem Besonderen der Empirie gleichrangig zur Anschauung. Der zweite Teil des Buches umfaßt das Verzeichnis der wissenschaftlichen Schriften des Autors. "Die Gebildeten Deutschlands kennen ( ... ) Harald Weinrich, weil er Sprachwissenschaft für Sprecher betreibt und weil er diese Wissenschaft in lesbaren Büchern urban und elegant, also für kluge Leser, darstellt ( ... ). Zum 75. Geburtstag dieses Sprachmeisters legt der Narr-Verlag eine Sammlung von Arbeiten Weinrichs vor( ... ), die nicht nur die zentralen Themenbereiche dieser Sprach-Wissenschaft für Sprecher und kluge Leser dokumentiert, sondern auch die Eleganz seiner wissenschaftlichen Prosa und damit die Schönheit des Deutschen als Wissenschaftssprache. Weinrichs Überlegungen zu Sprache und Wissenschaft und seine Gedanken zur europäischen Sprachpolitik sollte man flotten deutschen Kulturministern auf den Schreibtisch legen, die das Deutsche als Wissenschaftssprache und ernstzunehmende Kultursprache leichtfertig verabschiedet haben. Von ausgesuchter Urbanität ist die Tatsache, dass nicht die Leser ihm, sondern dass Harald Weinrich seinen Lesern mit diesem Band ein Geburtstagsgeschenk macht." Süddeutsche Zeitung Gunter Narr Verlag Tübingen Postfach 2567 • D-72015 Tübingen• Fax (07071) 75288 KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen KI-Forschung und Ästhetik digitaler Literatur: Zur Diskussion des Künstlichen Gesine Lenore Schiewer The artificial and the interactive are the topics discussed in this article. Following Espen Aarseths description ofinteractivity and his definition of 'ergodic literature' Herbert A. Simon' s term of the artificial is related to complexity and discussed under a new perspective. On this basis an aesthetics of digital literature is anticipated. The leading question should be, if the new multiple possibilities of reading and perceiving still enable the reader to develop new and appropriate insights. Besides a playful and interactive approach towards literature he or she should gain an awareness aboutthe control and limitation which is inherent in digital literature at the same time. Einer der Pioniere interaktiver Computerkunst 1, Myron W. Krueger, sieht Aufgabe und Relevanz zeitgenössischer Kunst darin, mit der neuen Technik nicht traditionelle Kunstwerke zu schaffen, sondern der Einzigartigkeit der durch den Computer eröffneten Möglichkeiten gerecht zu werden die Frage, warum es zuwenig Dichtung im Netz gibt, die ihrem Medium entspricht, ist noch jüngst gestellt worden. 2 Dieser Ansatzpunkt war für Krueger grundlegend für die Hervorhebung der ästhetischen Bedeutung von Interaktivität, die er umreißt im Rückblick auf seine ersten Überlegungen in den späten sechziger Jahren: "Ein von einem Computer kontrolliertes Kunstwerk würde seinen Betrachter wahrnehmen und in Echtzeit auf sein Verhalten reagieren können. Reaktion war das Medium! " 3 Kruegers Auslotung solcher Installationen im Bereich der darstellenden Kunst .hatte zum Ziel, völlig neue Formen von ästhetischer Erfahrung möglich zu machen und sich von früherer Kunst dadurch zu unterscheiden, dass der Künstler das Kunstwerk nicht abschließt. Es soll seine Vollendung finden im einzigartigen Verhalten jedes Individuums, das mit ihm interagiert. 4 In einer knappen Skizze umreißt Krueger 1983 Möglichkeiten der Übertragung dieses Kunstprinzips auf literarische Werke. Er nennt verschiedene Formen der Einbeziehung des Rezipienten, wie z.B. das Einbringen eigener Wörter in Gedichte oder die Auflösung der Linearität von Zeit- und Handlungsverlauf in Prosastrukturen, womit zur Aktivität im Umgang mit Kunst veranlasst werden soll. 5 1997 nimmt Espen J. Aarseth vergleichbare Erwägungen vor. Er bemerkt, dass beim Cybertext als einem Instrument zur Herstellung einer Auswahl von Ausdrücken 6 das Medium ein wichtiger Teil des literarischen Prozesses sei, bei welchem der Leser in hohem Maß integriert werde. Er nehme nicht nur rein gedanklich teil; vielmehr handle er auch in 'extranoematischem Sinn', indem er in einem beachtlichen Maß Wahlentscheidungen treffen müsse, um einen Text überhaupt rezipieren zu können. Aarseth spricht daher von 'ergodischer Literatur' . 7 Die Rezeption eines solchen Textes erinnere beständig an die ungenutzten Möglichkeiten und die nicht beschrittenen Wege. Jede Entscheidung mache Teile des Textes 180 Gesine Lenore Schiewer mehr, andere weniger zugänglich; die genauen Ergebnisse einer Entscheidung d.h., was ausgelassen wirdseien aber nicht bekannt. 8 Dieses Entscheidungspotential des Lesers eines Cybertextes bezeichnet Aarseth ebenfalls als Form der Aktivität. 9 Aarseth betont die Komplexität entsprechender Text-Systeme 10 und die Unvorhersagbarkeit ihrer Entwicklung, ausgehend von einer anfänglichen Menge einfacher Elemente. 11 Aarseth verweist hier auf Untersuchungen der Künstlichen Intelligenz-Forschung. Seine kritische Diskussion vorliegender Konzepte bezieht sich aber auf den Begriff der Interaktivität. Aarseth wendet sich gegen die Annahme, dass technische Innovation der Grund sozialer Verbesserungen sowie politischer und intellektueller Befreiung sein könne. Er kritisiert vor diesem Hintergrund die mit dem Begriff oftmals verknüpfte Vermutung einer Aufhebung der Unterscheidung von Autor und Leser. 12 Weiterhin betont er, dass die ideologische Implikation des Begriffs in der Annahme bestehe, dass Menschen und Maschinen vergleichbare Kommunikationspartner seien. 13 Bisherige Definitionen berücksichtigten nicht, dass der Beitrag des Verwenders dazu führe, dass der Gegenstand, das Thema, im voraus nicht bekannt respektive Veränderungen unterworfen sei. 14 Aarseth bezieht sich dabei bestätigend auf Umberto Ecos Beschreibung von "Kunstwerken in Bewegung", die ausgezeichnet sind durch die "Fähigkeit, verschiedene unvorhergesehene, physisch noch nicht realisierte Strukturen anzunehmen". 15 Ohne hier auf die Diskussion von Für und Wider der Begriffe der Interaktivität und der 'interactive fiction' einzugehen 1 6, soll die Offenheit des Ergebnisses entsprechender Kunstformen aufgrund des Entscheidungspotentials des Rezipienten genauer beleuchtet und Aarseths beiläufigem Verweis auf die Künstliche Intelligenz-Forschung nachgegangen werden. Der schon für Myron W. Krueger zentrale Aspekt der Neuheit von Erfahrungen hat Herbert A. Simon hervorgehoben für die Herausbildung veränderter Kriterien auch im Bereich der Kunst. Hierauf bezieht sich sein Stichwort "Entwerfen ohne endgültige Ziele". Die Nähe des Entwerfens zu dem Komplex des Künstlichen begründet Simon damit, dass künstliche Phänomene nur deshalb sind "wie sie sind, weil ein System durch Zwecke oder Ziele in die Umgebung, in der es lebt, eingepasst ist." 17 Es gehe nicht um das Notwendige, sondern den Freiheitsspielraum, um Aussagen über Systeme, die unter anderen Bedingungen anders wären, als sie gerade sind; also wie sie sein könnten, und das heißt, um Design. 18 Von zentraler Bedeutung sind hier komplexe Systeme, so dass die Themen von Künstlichkeit und Komplexität Simon zufolge untrennbar miteinander verbunden sind. 19 Ergänzt wird der Ansatzpunkt der Komplexität durch den Gegenbegriff der Einfachheit: "Ein Mensch, betrachtet als System mit bestimmtem Verhalten, ist recht einfach. Die scheinbare Komplexität seines Verhaltens in der Zeit spiegelt weitgehend die Komplexität der Umgebung wider, in der er sich befindet." 20 Der Begriff des Künstlichen wird von Simon damit auch auf den Menschen bezogen 21 : "DieAdaptivität des menschlichen Organismus, die Leichtigkeit, mit der er neue Strategien erwirbt und sich in hochspezialisierten Umgebungen zurechtfindet, macht aus ihm ein schwer faßbares und faszinierendes Ziel unserer wissenschaftlichen Untersuchungen - und den wahren Prototyp des Künstlichen." 22 Das Künstliche wird so zu einem konstitutiven Faktor von Entwurfsprozessen mit den Vorgängen des Urteilens, Entscheidens, Auswählens und Erschaffens unter anderem in künstlerischen Bereichen. 23 Bei dem erwähnten "Entwerfen ohne endgültige Ziele" geht es nicht darum, dass die späteren Entwicklungsstufen mit den ersten übereinstimmen und die ursprünglichen Entwürfe verwirklicht werden. Vielmehr entsteht auf jeder Stufe eine neue Situation, ·die dann Ausgangspunkt für eine neue Entwurfstätigkeit wird. Dabei hat die Entwicklung komplexer KI-Forschung und Ästhetik digitaler Literatur 181 Entwürfe 24 , welche lange Zeit zu ihrer Durchführung brauchen und im Verlauf der Durchführung ständig verändert werden, Simon zufolge viel mit der Ölmalerei gemeinsam. Denn hier ist der Malvorgang ein Prozess zyklischer Interaktion zwischen Maler und Leinwand: "Bei der Ölmalerei schafft jeder neu auf die Leinwand aufgetragene Farbtupfer einen Zusammenhang, der für den Maler zu einer kontinuierlichen Quelle neuer Ideen wird." 25 Vergleichbar weist Espen J. Aarseth hin auf die Möglichkeiten des Autors, an einem Netztext Veränderungen und Ergänzungen vorzunehmen: Ein Netztext sei der Malerei vergleichbar, in der der Künstler sein Werk in einem jahrelangen Prozess verändern kann. Bei literarischen Texten hingegen sei nach der Publikation eine Überarbeitung nicht üblich und werde wenn überhaupt meist nur einmal vorgenommen. Der Netztext könne dahingegen täglich mit geringem Aufwand mehrfach abgeändert werden. 26 Zwischen Simons in der zitierten Passage verwendetem Interaktionsbegriff und den Charakteristika einer 'ergodischen Literatur' lassen sich somit Bezüge erkennen. Simons Rückbindung des Begriffs des Künstlichen an die Komplexität kann einer Ästhetik digitaler Literatur zugrunde gelegt werden, da in die Entwicklung von Entwürfen die Möglichkeit stufenweiser Entscheidungen bei offenem Ergebnis einbezogen wird.2 7 1991 hat Massimo Negrotti darauf hingeweisen, dass neben diesem Ansatz Herbert A. Simons aus dem Jahr 1969 kein wesentlicher Versuch unternommen worden ist, den Begriff des Künstlichen zu klären. 28 Er knüpft hier mit verschiedenen Publikationen an, zuletzt Negrotti 1999, The Theory of the Artificial. Negrotti bezieht abweichend von Simon den Begriff des Künstlichen auf Objekte, Prozesse und Maschinen, welche bestehende natürliche Objekte oder Prozesse mittels anderer Materialien und Abläufe reproduzieren. 29 Das Künst-. liehe oszilliert seinem Ansatz zufolge zwischen Gegebenheiten der Realität und dem auswählend-erfindenden menschlichen Denken. 30 Negrotti verbindet seine Überlegungen daher mit der Frage nach dem Einfluss äußerer Gegebenheiten auf das Denken. 31 Er hofft, mit der Ausbildung einer theoretischen Basis für den Begriff des Künstlichen eine Grundlage für die Beschreibung der Beziehung von Mensch und Welt zu schaffen. 32 Auch Negrotti hebt den Prozess der Verfertigung des Künstlichen mit seinen stufenweisen Entscheidungsmöglichkeiten hervor, die zu einem vom ursprünglichen Plan abweichenden Ergebnis führen können. 33 Bereits der Prozess des Entwurfs soll aus einer Reihe von Wahlentscheidungen bestehen, die wegführen von dem natürlichen ·Beispiel und ein zunehmend spezifisches künstliches System hervorbringen. 34 Auch in der Auseinandersetzung mit der Realität selbst ist der Mensch nach Negrotti zur Selektion gezwungen. 35 Diskussionen des Künstlichen im Umfeld der KI-Forschung fokussieren damit unter anderem das Entwerfen im Rahmen komplexer Systeme ohne zwingend von Beginn an gegebene Zielvorstellung. Massimo Negrotti umreißt darüber hinaus erkenntnisorientierte Gesichtspunkte vor dem Hintergrund seiner Eingrenzung des Künstlichen in Bezug auf ein in der Natur gegebenes Beispiel. Der Begriff des Künstlichen wurde jedoch auch in ganz anderem Umfeld diskutiert. Um 1800 hat Novalis ihn im Rahmen seines poetologischen Programms erwogen. Er bezieht sich auf das Künstliche in den Fragmenten und Studien 1799-1800 im Sinn einer ''Opposition des Einfachen[,] Natürlichen und popularen gegen das Zusammengesezte[,] Künstliche und Individuelle " 36 und verknüpft ihn in derselben Fragmentsammlung mit seinen poetologischen Vorstellungen: "So muß auch die Poesie schlechthin bloß verständig künstlich erdichtet -Fantastisch! etc. seyn." 37 Das Wesen der Poesie sei ''unendlich zusammengesezt und doch einfach" 38 , wobei es "auf die künstlerische Wählungs und Verbindungskunst" 39 ankomme. In den etwas früheren Vermischten Bemerkungen und Blüthenstaub aus dem Jahr 1797 notiert 182 Gesine Lenore Schiewer Novalis: "Man versteht das Künstliche gewöhnlich besser, als das Natürliche. Es gehört mehr Geist auch zum Einfachen, als zum Complicirten aber weniger Talent." 40 Diese Oppositionen von natürlich künstlich, einfach kompliziert, Geist - Talent verweisen auf die Enzyklopädistik und Wissenschaftslehre Novalis', der an die Bestrebungen um Fundierung des Enzyklopädie-Gedankens des 18. Jahrhunderts anknüpft. 41 In aller Kürze seien die Grundannahmen Novalis' angeführt: In seinen Vorüberlegungen zur Enzyklopädistik fordert er die "poetische Behandlung der Wissenschaften" 42 , um einer Zersplitterung der Erkenntnisse der im 18. Jahrhundert noch eng miteinander verschränkten Bereiche in Einzelwissenschaften entgegenzuwirken. Vorrang wird der Poesie gegenüber der Philosophie und den übrigen Wissenschaften eingeräumt, da die Trennung der Wissenschaften zurückzuführen sei auf die mangelnde Fähigkeit, die unter ihnen bestehenden Beziehungen zu erkennen. Das Ungenügen reiner Verstandestätigkeit in der Verbindung entfernter Gedanken ist Novalis zufolge unter Zuhilfenahme des poetischen Genies zu beheben. Dieses unterstützt den Philosophen, da die Einbildungskraft als das Organ der Poesie die Kombination von Ideen ermöglicht. 43 Kombinatorik soll die Verbindung 'gegebener Kenntnisse' der 'Gedächtnißwiss[enschaften]' d.h. der Erfahrungsdaten der empirischen Wissenschaften, welche auf die sogenannten 'niederen' Erkenntniskräfte verweisen mit 'gemachten (erworbenen)' der 'Vernunftw[issenschaften]' den allgemeinen Begriffen der theoretisch-abstrakten Wissenschaften erlauben. Diese für eine Erkenntnis der 'vollen Wahrheit' erforderliche Verknüpfung wird in der Literatur geleistet. 44 Auf der Verbindung von gegebenen mit abstrakt erschlossenen Kenntnissen gründet der Anspruch der Enzyklopädistik, ein System aller Wissenschaften durch die Kombination von Einzelerkenntnissen darzustellen. Diese Verknüpfung erfasst Novalis in dem Begriff der Kritik. 45 Den im Rahmen seiner Enzyklopädistik entwickelten Kritik-Begriff verbindet Novalis mit der Idee der Kunst. Kritik heißt hier, von Gegebenem ausgehend selbständig und folgerichtig weiterzudenken, um zu immer wieder neuen, potentiell unendlichen Erkenntnissen zu gelangen. 46 Es soll daher vermieden werden, dass das Kunstwerk als eine abgeschlossene und allgemeine Aussage verstanden werden kann, da es in diesem Fall nicht mehr kritisiert werden könnte. 47 Diesem Kritik-Begriff zufolge soll der Leser Dichtung zur Grundlage eines eigenen Denk- und Erkenntnisprozesses machen. 48 Es ist zu fragen soll all das nicht nur ein historischer Exkurs sein -, inwiefern diese Reflexionen im Zusammenhang einer Ästhetik digitaler Literatur eine Rolle spielen können. Hier soll angeknüpft werden an die Auseinandersetzung der aktuellen Enzyklopädistik mit einer von Edward Feigenbaum vertretenen Ansicht. Sie bezieht sich darauf, dass es mit der Expertensystemtechnik möglich geworden sei, dem Anspruch der Enzyklopädistik des 18. Jahrhunderts zu entsprechen. Gegeben sei sowohl die Sammlung von Beobachtungen oder das empirisch fundierte 'Gedächtniswissen' die Daten als auch die Generierung abstrakter Fakten oder das 'Vernunftwissen' d.h. die Erzeugung von Wissen durch Produktionsregeln sowie die Kombination von Daten und Fakten in der Integration beider Aspekte, der Kritik. Bezugnehmend auf die Enzyklopädistik d' Alemberts und Diderots sowie insbesondere des Novalis spricht Peter Matussek daher von einer "Aufhebung der Enzyklopädie im Expertensystem".49 Matussek erinnert jedoch daran, dass erst die Einbeziehung des pragmatischen Adressatenbezuges der enzyklopädischen Idee gerecht werde. Sie lasse sich nicht ausschließlich auf das jeweilige Medium beziehen, sondern lebe von der impliziten Spannung zwischen Dokumentation und Interpretation. Es sei der dialektische Gegensatz zwischen Werk und Wissen, Kl-Forschung und Ästhetik digitaler Literatur 183 der den Wert einer Enzyklopädie bestimme: "Erst der Rezipient verwandelt tote Daten in lebendiges Wissen, indem er sie auf seine individuellen Interessen und Erwartungen bezieht, aus den transitorischen Aspekten des Wirklichen Einsichten in das Mögliche gewinnt." 50 Gerade weil jedoch die Künstliche Intelligenz den mechanischen Aspekt des Enzyklopädismus wesentlich effizienter erfülle als das Buch, bestehe die Gefahr, dass der 'Stimulus des Unvollkommenen' schwinde und die menschliche Intelligenz verkümmere: "Beruhigend zuverlässige Wissensbasen anästhesieren die Gedächtnisaktivität. Neugier, Spontaneität und Eigeninitiative werden beschäftigungslos[ ... ]." 51 Daher sei das Ungenügen amstatus quo der Daten und Fakten auch in der Expertensystem-Technik wach zuhalten und die Eigeninitiative des Benutzers zu fördern. Diese Stellungnahme bei der der erhobene Zeigefinger nicht ganz zu übersehen ist wird implizit ausdifferenziert von der Kunsthistorikerin Söke Dinkla in ihrer Studie Pioniere interaktiver Kunst von 1970 bis heute, erschienen 1997. Sie sieht drei verschiedene Grundeinstellungen gegenüber der Computertechnologie und spricht von einem technologischen Idealismus, einer fatalistischen und sozialkritischen Haltung sowie einem Fortschrittsskeptizismus. 52 Der technologische Idealismus soll von dem Gedanken geprägt sein, dass die Konstruktion von Systemen möglich sei, die neue, noch nicht erprobte Verhaltensweisen initiierten; er gründe auf der Annahme, dass eine Entwicklung der Technik auch sozialen Fortschritt bedinge. 53 Das entsprechende System soll als Dialogpartner akzeptiert werden, wobei dem Rezipienten das Gefühl vermittelt werde, dass er der Kontrollierende sei. Dies birgt Dinkla zufolge jedoch die Gefahr, dass internalisiertes soziales Regelverhalten affimiert werde. Espen J. Aarseths Kritik an dem Begriff der Interaktivität zielt auf eine solche Position ab. Demgegenüber mache eine fatalistische und zugleich sozialkritische Haltung in der Nachstellung sozialer und psychologischer Regelsysteme deutlich, dass die Möglichkeiten zum selbstbestimmten Handeln nach noch nicht erprobten Mustern zum Scheitern verurteilt seien. Die dritte, von Dinkla als Fortschrittsskeptizismus bezeichnete Variante gehe hinaus über das Prinzip jeder interaktiven Kunst, latent unvollendet zu sein und erst in der Rezeption realisiert zu werden. Denn es würden Strategien entwickelt, die eine intellektuelle Partizipation des Rezipienten am Werk zuließen. Der Rückgriff auf gewohnte Verfahren der Bedeutungszuschreibung werde verunmöglicht, so dass die Eigenleistung in besonderem Maß herausgefordert sei. Es gehe nicht wie bei der ersten Variante um einen künstlichen Dialogpartner, sondern um einen "unaufhörlichen Prozess der Rekombination angebotener Elemente nach noch nicht etablierten Regeln". 54 Eine Kritik an der Annahme, dass Technik mit sozialem Fortschritt verbunden sei, folge aus der Erkenntnis des Rezipienten, dass er an einem System teilhabe, in dem er zugleich Kontrolleur und Kontrollierter sei. Es geht Dinkla zufolge nicht darum, die Handlungsspielräume des Anwenders möglichst weit zu halten, denn das kybernetische Prinzip des Computers mache es dem Rezipienten unmöglich, eine prinzipiell externe Rolle einzunehmen. Sie hebt jedoch hervor, dass der Computer das einzige künstlerische Medium sei, mit dem diese Kritik überzeugend angebracht werden könne, ohne in erster Linie fortschrittsfeindlich zu sein. Aufgrund dieser Kategorisierung ist für eine Ästhetik digitaler Literatur die Frage grundlegend, ob es gelingt, den Rezipienten nicht nur auf den selbst zu suchenden Weg durch den Text zu schicken, sondern ihn zu einer eigenen Erkenntnisleistung zu veranlassen, so dass 184 Gesine Lenore Schiewer ihm seine Position in ihren aktiven Handlungsmöglichkeiten und gleichzeitig bestehenden Beschränkungen bewusst wird. Eine Übertragung des von Dinkla vorgeschlagenen Rasters auf digitale Literatur lässt sich so formulieren: Bei der Form des technologischen Idealismus geht es um Varianten, die den Rezipienten schlicht beschäftigen mit dem Spiel seiner Interaktionsmöglichkeiten. Z.B. sind bei der digitalen Fassung von Andreas Okopenk: os 55 Lexikon-Roman ELEX (CD-Rom) die angebotenen Bausteine als solche von zentralem Interesse. Das Ziel, aus diesen "einen Roman zu basteln", ist vorgegeben. Der fatalistischen und sozialkritischen Haltung sind Varianten zuzurechnen, die den Rezipienten gewissermaßen "ins offene Messer laufen" lassen, das heißt ihm zum Bewusstsein bringen, dass das System ihm keinen eigenen Spielraum lässt. So kann er sich im Fall von Antonio Muntadas' File Room mit dem Thema "Zensur" aufgrund der Systembeschränkungen seinerseits zensiert fühlen. Auf einen Fortschrittsskeptizismus beziehen sich hingegen Beispiele, die gegenwärtig als Extremformen der Netzkunst aufgefasst werden können. Sö nennt Christiane Reibach das System Oss des Künstlerduos Jodi und beschreibt, wie hier der Benutzer vollständig die Kontrolle über seine Browserfenster verliert, selbst nachdem er das Internet verlassen hat. Dennoch kann er in gewissem Maß auf deren sich verselbständigende Bewegungsabläufe Einfluss nehmen: "Durch den Zustand der Hilflosigkeit, in dem der Benutzer sich befindet, lernt dieser [ ... ] einiges über sein eigenes Verhalten gegenüber dem Computer ihm wird deutlich gemacht, wie viele Prozesse unkontrolliert und unbeeinflusst ablaufen und wie hilflos er einem (hier nur scheinbaren) Fehlverhalten der Programme gegenübersteht. [ ... ] Die Ironie dieses Projekts besteht darin, dass erst die Resignation und die Aufgabe des Willens zur Kontrolle den Genuss möglich macht hat man z.B. den Fenstertanz erst mal akzeptiert, findet man auch Vergnügen daran und fängt an, mit möglichen Einflussnahmen auf die Performance zu experimentieren. Somit ist Oss mehr als nur eine Verfremdung der Computerwerkzeuge es ist ein Verhaltensexperiment, das mit dem Benutzer gemacht wird, ein Werk, das zur Reflexion und Veränderung der eigenen Reaktionen gegenüber dem Computer auffordert." 56 Dieses Beispiel kann als Anregung zur Auseinandersetzung mit dem Medium betrachtet werden, in der die ambivalente Position des Anwenders anschaulich wird. Es illustriert daher die skizzierte Auffassung einer Differenzierung des Begriffs der Interaktivität. Denn dieser enthält ein kritisches Potential, welches Netzliteratur entfalten kann, wenn sie die speziellen Bedingungen des Mediums nicht nur nutzt, sondern auch zu Bewusstsein bringt. Anmerkungen 1 Vgl. Rötzer/ Weibel 1993, 368. 2 Vgl. Cramer 2000, These 2. 3 Krueger 1993, 290f. 4 Vgl. Krueger 1993, 296f. 5 1983 hat Myron W. Krueger in seiner Monographie Anificial Reality den Aspekt der Aktivität des Rezipienten beschrieben: ''The traditional arts usually presuppose a passive audience that bears witness to the creativity of the artist. There is no denying that the audience may invest emotional energy in this process, but nothing in the work itself demands it. However, the possibility exists for creating [ ... ] poems, and novels that require audience involvement and induce a more active aesthetic experience. [ ... ] The best way to integrate the computer and the arts is to focus on the aesthetic process rather than on producing a finished work of art." Krueger 1983, 186f. 6 Vgl. Aarseth 1997, 24. Kl-Forschung und Ästhetik digitaler Literatur 185 7 "During the cybertextual process, the user will have effectuated a semiotic sequence, and this selective movement is a work of physical construction that the various concepts of 'reading' do not account for. This phenomenon I call ergodic, using a term appropriated from physics that derives from the Greek words ergon and hodos, meaning 'work' and 'path'. In ergodic literature, nontrivial effort is required to allow the reader to traverse the text." Aarseth 1997, 1. 8 Vgl. Aarseth 1997, 3. 9 Vgl. Aarseth 1997, 4. Jedoch ist ein Cybertext nicht per se ein literarischer Text, sondern bezieht sich auf die kommunikativen Möglichkeiten dynamischer Texte im allgemeinen. Vgl. Aarseth 1997; 5. 10 Aarseth diskutiert hier Möglichkeiten semiotischer Konzepte, den Begriff des Cybertextes zu fassen, hält sie jedoch nicht für zielführend. 11 ''Tue crucial issue here is how to view systems that feature what is kuown as emergent behavior, systems that are complex structures evolving unpredictably from an initial set of simple elements." Aarseth 1997, 29. 12 "In the context ofliterature, this has led to claims that digital technology enables readers to become authors [ ... ] and that the reader is allowed to create his or her own 'story' by 'interacting' with the computer''. Aarseth 1997, 14. 13 "[ ... ] that hunians and machines are equal partners of communication, caused by nothing more than the machine' s simple ability to accept and respond to human input." Aarseth 1997, 48. 14 Vgl. Aarseth 1997, 49. 15 Beo 7 1996, 42. Entsprechende Phänomene erklärt Aarseth zum Gegenstand seiner Untersuchung, vgl. Aarseth 1997, 51. 16 Vgl. Aarseth 1997, 47ff., der die Diskussion seit Beginn der achziger Jahre kritisch skizziert; siehe aber beispielsweise auch die Verwendung des Ausdrucks "interactive art on the internet" bei Eduardo Kac und anderen. 17 Simon betont: "Wenn natürliche Erscheinungen, in ihrer Bindung an die Naturgesetze, eine Aura von 'Notwendigkeit' um sich haben, so zeigen künstliche Phänomene, in ihrer Verformbarkeit durch die Umwelt, eine Aura von 'Unabhängigkeit'." Simon 1994, VII. Einen Überblick über Aspekte des Begriffs der Künstlichkeit in der Kunst gibt Frieder Nake, vgl. Nake 1989. Jüngst hat Manfred Faßler das Desiderat einer Klärung des Verhältnisses von Kunst und Künstlichkeit betont, vgl. Faßler 1999, 218. 18 Vgl. Simon 1994, VII und Vill. Die Einpassung eines künstlichen Systems in eine Umgebung macht es zu einem Punkt der Begegnung oder einer Schnittstelle zwischen einer 'inneren' Umgebung, der Substanz und inneren Gliederung des Artefakts selbst, und einer 'äußeren' Umgebung, der Umwelt in der es operiert. Vgl. Simon 1994, 6. 19 Vgl. Simon 1994, IX. 20 Simon 1994, 47. Im Rahmen aktueller KI-Forschung zum Planen wird unter der Bezeichnung 'Agenten' dieser Ansatzpunkt Simons als 'Ameisenprinzip' einbezogen, vgl. Görz/ Rollinger/ Schneeberger2000, 490f., 994f. Das Paradigma, das intelligentes Verhalten in der verteilten Tätigkeit vieler kleiner Systeme ("Agenten") begründet sieht, wird aufMarvin Minskys Society ofMind, 1986, zurückgeführt, vgl. Görz/ Rollinger/ Schneeberger 2000, 9. "Mit diesem Buch will ich zu erklären versuchen, wie Geist funkrioniert. Wie kann Intelligenz aus Nicht- Intelligenz entstehen? Um diese Frage zu beantworten, werde ich zeigen, wie man Geist aus kleinen Teilen zusammensetzen kann, die jedes für sich ohne Geist sind. Ich nenne diesen Entwurf 'Mentopolis', [ ... ] da ihm zufolge jeder Geist aus vielen kleineren Prozessen entstanden ist. Diese Prozesse nenne ich Agenten. Jeder mentale Agent ist für sich allein genommen nur zu einfachen Tätigkeiten fähig, die weder Geist noch Denken erfordern. Wenn wir diese Agenten jedoch auf eine ganz bestimmte Weise zu Gesellschaften zusammenfassen, ist das Ergebnis echte Intelligenz. [ ... ] Eine Schwierigkeit besteht darin, daß diese Ideen eine Menge Querverbindungen besitzen. [ ... ] Ich wünschte, ich hätte Sie, meine Leser, geradewegs zum Gipfel empor geleiten können, auf geistigen Stufen; Schritt für Schritt. Statt dessen werden Sie sich in einem vertrackten Spinnennetz gefangen finden. [ ... ] ich neige dazu, der Natur des Geistes die Schuld zu geben: Er scheint seine Macht zum großen Teil der ungeordneten Art zu verdanken, in der seine Agenten Querverbindungen herstellen." Minsky 1990, 17. Dieses Paradigma hat die Konzipierung einer 'Verteilten Künstlichen Intelligenz' angeregt. Sogenannte Multi- Agenten Systeme stellen den Aspekt der aufgabenbezogenen Kooperation im Wettbewerb unabhängiger Teilsysteme (Agenten) heraus, bei welchen kein Agent eine globale Sicht des gesamten Problemlöseprozesses innehat, also keine zentrale Systemsteuerung vorliegt, vgl. Görz/ Rollinger/ Schneeberger 2000, 9. Ein Beispiel ist die Steuerung von flexiblen Fertigungsanlagen: Die Umwelt ändert sich fortwährend durch neue Aufträge und den zeitweiligen Ausfall von Maschinen. Gesucht sind Planungsverfahren für den optimalen Betrieb. Es 186 Gesine Lenore Schiewer geht weniger um die einmalige Berechnung eines optimalen Plans, sondern vielmehr um die ständige optimale Anpassung an veränderte Bedingungen, vgl. Görz/ Rollinger/ Schneeberger 2000, 944. 21 Vgl. Simon 1994, 67. Er geht dabei davon aus, daß es nur wenige 'intrinsische' Eigenschaften der inneren Umgebung des denkenden Menschen seien, welche die Anpassung des Denkens an die Form der Problemumgebung beschränkten. Alles übrige beim Denken und Problernlöseverhalten sei künstlich; es sei erlernt und könne durch Erfindung besserer Entwürfe und Speicherung derselben im Gedächtnis weiterentwickelt werden. Vgl. Simon 1994, 48. Dieser Ansatz setzt voraus, "daß wir den Kokon von Information, den der Mensch in seinen Büchern und in seinem Langzeit-Gedächtnis spinnt, einschließen in das, was wir seine Umgebung nennen. Diese Information, gespeichert in Form von Daten und von Prozeduren und mit einem reichhaltigen Register versehen, das zugänglich ist, wenn die geeigneten Stimuli vorliegen, stattet die einfachen Grundprozesse mit einem sehr großen Informations- und Strategierepertoire aus, und sie erklärt die Komplexität ihres Verhaltens. Die innere Umgebung, die Hardware, ist einfach. Komplexität entsteht aus dem Reichtum der äußeren Umgebung, sowohl der durch die Sinne erfahrenen Welt als auch der im Langzeit-Gedächtnis gespeicherten Information über die Welt." Simon 1994, 93f. 22 Simon 1994, 94. 23 "Jeder ist ein Designer, der Abläufe ersinnt, um bestehende Situationen in erwünschte zu verwandeln." Simon 1994, 95. Vgl. auch Simon 1994, ll7ff. Neben entworfenen gibt Simon zufolge jedoch auch 'gewachsene' künstliche Systeme wie z.B. die Architektur mittelalterlicher Städte, die eine in sich geordnete Strnkur aufweisen, ohne daß sie von einem einzelnen Planer entworfen wurden, sondern vielmehr in Reaktion auf unzählige individuelle menschliche Entscheidungen entstanden seien, vgl. Simon 1994, 29. Grundsätzlich kann daher ein Artefakt entstehen aufgrund des Entwurfs eines Schöpfers oder in sich entwickelnder Reaktion auf eine selektive Kraft, vgl. Simon 1994, 38. 24 Simon versteht unter einem komplexen System "ein System, das aus einer großen Zahl von Teilen zusammengesetzt ist, wenn diese Teile nicht bloß in der einfachsten Weise interagieren. In solchen Systemen ist das Ganze mehr als die Summe der Teile nicht in einem absoluten, metaphysischen Sinn, sondern in dem wichtigen pragmatischen, daß es keine triviale Angelegenheit ist, aus den gegebenen Eigenschaften der Teile und den Gesetzen ihrer Wechselwirkung die Eigenschaften des Ganzen zu erschliessen." Simon 1994, 145. 25 Simon 1994, 139f. "Die Vorstellung von Endzielen läßt sich mit unserer beschränkten Fähigkeit zu Vorhersage oder Festlegung der Zukunft nicht in Einklang bringen. Die eigentlichen Resultate unserer Handlungen sind die neuen Anfangsbedingungen für die nächstfolgende Handlungsstufe. Unsere 'Endziele' sind in Wahrheit Kriterien zur Auswahl jener Anfangsbedingungen, die wir unseren Nachfolgern hinterlassen werden." Simon 1994 140. 26 "The ontology of the Web text is close to that of a painting, where the artist may modify and revise the same work in a process that may take many years. With novels, revision after publication is not common, and happens, when it does, only once in most cases. But the Web text may be modified many times a day, with little effort." Aarseth 1997, 8 l. 27 Vgl. Simon 1994, 4. 28 Vgl. Negrotti 1991, Preface. "But we are particularly emphasising the need, which is completely avoided by definition in the AI field, to go deep into the concept and the phenomenology of 'the artificial', conceived as a field of things and facts different from the natural, but rationally understandable and adaptable to human needs andinterests." Negrotti 1991, 2. "Foryears we have inquired 'what is intelligence? ' but we never asked what the artificial is." Negrotti 1999, 40. 29 Vgl. Negrotti 1999, 1. Seine Prämisse besteht darin, daß der Mensch artifizielle Dinge herstelle, indem er etwas in der Natur Existierendes als Beispiel betrachte: "'The concept of the artificial, in this work, denotes the final product of a human beings's action to reproduce his own representations ofthe world, whether it is external or internal to him." Negrotti 1999, 15. 30 "The inexorable destiny of the artificial places it in a necessary oscillation between the inseparable wholeness ofreality and the selective and inventive attitude ofhuman reason." Negrotti 1999, 6. 31 "[ ... ] the future of AI[ ...] is seen as linked to a deeperunderstanding ofthe relationship between what we could call 'non-perturbed intelligence', i.e. the ability to follow formal rules and algorithms, and the external environment with its variety and fluctuations which 'perturb' our clarity of reasoning." Negrotti 1991, 3. 32 Negrotti 1999, l. Er geht aus von einem 'funktionalen Dualismus' der philosophischen Positionen von Empirismus und Rationalismus, der keine Priorität von Materie oder Geist annehme, vgl. Negrotti 1999, 7 und 10. 33 "lt is not uncommon that sudden events and side performances exhibited by the artificial persuade the artificialist to follow new plans which are inducedjust from that unexpected phenomena or behaviour." Negrotti 1999, 49. KI-Forschung und Ästhetik digitaler Literatur 187 34 ''The entire process of ideation and of design consists, therefore, in a series of increasingly narrow inclusive selections that take us far from the exemplar as a whole; they describe in some way and measure how we enter into reference systems which are more and more specific and cogent." Negrotti 1999, 59. 35 Vgl. etwa Negrotti 1999, 74. Als ein Anwendungsbeispiel erwähnt Negrotti Erzählungen von persönlichen Erlebnissen, die niemals eine vollständige Schilderung eines Ereignisses darstellen können. Dennoch betont Negrotti, "the chain of selections operated by A, when combined with the precariousness ofB' s ability to decode the message, makes the success of the enterprise unpredictable." Negrotti 1999, 90. 36 Novalis 1968, III, Nr. 512, 640. Diese Belegstelle ist im Registerband V irrtümlich ausgewiesen als II 640. 37 Novalis 1968, III, Nr. 695,691. Phantasie versteht Novalis als Erfindungskraft, vgl. Novalis 1968, III, Nr. 611, 670. 38 Novalis 1968, III, Nr. 690,690. 39 Novalis 1968, III, Nr. 549,649. 40 Novalis 1965, II, Nr. 86, 450/ 452. 41 Auf Zusammenhänge von Netzliteratur und Enzyklopädie hat schon Heiko Idensen hingewiesen, vgl. Idensen 1996. S. auch Idensen 1991, 379f. 42 Novalis 1965, II, 316. 43 Den Ansatz einer poetischen Behandlung der Wissenschaften bezeichnet Hans-Joachim Mähl als die Wurzel der Idee einer Enzyklopädistik bei Novalis. Novalis 1965, II, 316. 44 Vgl. Novalis 1968, III, Nr. 327,298 und Nr. 331,299. 45 Den Begriff der Kritik bezeichnet Novalis als Lehre von der "Construction der Aufgabe [ ... ] als Wissenschaft", Novalis 1968, III, Nr. 488,347. Eine 'Aufgabe' umfaßt die vier Bestandteile der Frage, ihrer Auflösung, dem Beweis oder der Kritik dieser Auflösung und ihrer Probe. Kritik und Probe sind somit einander ergänzende Vorgehensweisen und erlauben die Herstellung einer Verbindung zwischen Frage und Auflösung bzw. zwischen einem besonderen Erfahrungssatz und einer allgemeinen Vemunfterkenntnis. Wenn das Anliegen der Enzyklopädie-Konzeption nach Herbert Uerlings aufgefaßt werden kann als eine Synthese von Vorstellung und Beobachtung, Idee und Erfahrung, dann ist dies zu verstehen als eine systematische Erfassung von Wirklichkeit, die der Mensch vermöge seiner sinnlichen Empfindungen wahrnimmt, und die Anwendung abstrakten Wissens auf die konkrete Welt, vgl. Uerlings 1991, 193, Schiewer 1993 und Schiewer 1996, 239ff. 46 Diese Dimension des Kritik-Begriffs wird von Novalis auf die grundsätzliche Bedeutung von Dichtung übertragen und diese damit in menschliche Erkenntnisprozesse eingebunden. 47 Der hier implizierte Grundsatz von der Unkritisierbarkeit des Schlechten stellt nach Walter Benjamin eine der charakteristischsten Ausprägungen der romantischen Konzeption der Kunst und ihrer Kritik dar. Vgl. Benjamin 1973, 73. 48 Verbunden mit dem postulierten Aspekt von Freiheit als Voraussetzung jedes selbständigen und kritischen Denkprozesses sowie der Einbindung der Dichtung in ein erfabrungsgebundenes Erkenntnismodell ist eine Relativierung dogmatischer Normen in der Kunstproduktion und -rezeption. Die konkreten literarischen Konsequenzen, die Novalis skizziert, sind in diesem Zusammenhang durchaus erwähnenswert: "Die Schreibart des Romans muß kein Continuum es muß ein in jeden Perioden gegliederter Bau seyn. Jedes kleine Stück muß etwas abgeschnittnes begränztes-ein eignes Ganzes seyn." Novalis 1968, III, Nr. 45, 562. "Dramatische Darstellung in einzelnen unabhängigen Capiteln. Unbequemlichkeiten einer chronologisch fortschreitenden Erzählung." Novalis 1968, III, Nr. 532, 645. "Der wahre Leser muß der erweiterte Autor seyn. Er ist die höhere Instanz, die die Sache von der niedem Instanz schon vorgearbeitet erhält. Das Gefühl, vermittelst dessen der Autor die Materialien seiner Schrift geschieden hat, scheidet beym Lesen wieder das Rohe und Gebildete des Buchs - und wenn der Leser das Buch nach seiner Idee bearbeiten würde, so würde ein 2ter Leser no.ch mehr läutern, und so wird dadurch daß die bearbeitete Masse immer wieder in frischthätige Gefäße kömmt die Masse endlich wesentlicher Bestandtheil - Glied des wircksamen Geistes." Novalis 1965, II, Nr. 125, 470. 49 Vgl.Matussek 1988, 57. 50 Vgl. Matussek 1988, 69f. 51 Matussek 1988, 71. 52 Vgl. Dinkla 1997, 227ff. 53 Dinkla ordnet solche Arbeiten der Tradition der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts zu, vgl. Dinkla 1997, 227. 54 Dinkla 1997, 228. 188 Gesine Lenore Schiewer 55 Deutlich wird der Ansatz in der Gebrauchsanweisung der schriftlichen Romanfassung: "Aus dem Lexikon sind Tonen auch die Hinweispfeile bekannt (-> ), die Tonen raten sollen, wie Sie am besten weiterghen, wie Sie sich zusätzlich informieren oder wie Sie vom Hundertsten ins Tausendste gelangen können. Wie im Lexikon haben Sie die Freiheit, jeden Hinweispfeil zu beherzigen oder zu übergehen. (Selbst übergangene Pfeile geben dem Reizwort ja eine gewisse räumliche Tiefe.)" Okopenko 1996, 5. 56 Reibach 2000, 253f. Literatur Aarseth, EspenJ. 1997: Cybertext. Perspectives ofErgodic Literature, Baltimore/ London: Johns Hopkins University Press. Benjamin, Walter 1973: Der Begriffder Kunstkritik in der deutschen Romantik, Frankfurt am Main: Suhrkamp. 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Tue basic thesis is the inherent correlation between the technical structure of the intemet and the artistic practice of intemet-art and -literature. The properties of net literature (i.e. literature that is des1gned for the medium intemet) mirror the properties of its medium in different ways. Analyzing a wide range of seemingly very heterogeneous examples shows that there are some basic characteristics for all projects that can be lead back to the technical structure of the intemet Die Diskussion um den Begriff 'Netzliteratur' gibt es, seit das Internet als Medium für die ästhetische Produktion entdeckt wurde, also quasi seit der Entstehung computerbasierter Netzwerke. Eine eindeutige Definition dieses Begriffes gibt es nach wie vor nicht, wie die Dokumentation zweier aktueller Foren zeigt: einer Diskussion.der Mailingliste Netzliteratur, als Hypertext aufbereitet in Dichtung Digital,1 sowie das Diskussionsforum Netzkunst von IASL-Online 2• Die große Unsicherheit in bezug auf die Begriffsdefinition scheint mir dabei einerseits der nicht geklärten Positionierung von Computer und Internet im Feld der elektronischen Medien geschuldet zu sein, andererseits aus der Missachtung von Marshall McLuhans ontologischer Medienbestimmung (kurz umfasst mit dem Schlagwort "Das Medium ist die Botschaft" eine griffige Formulierung, der aber de facto in den Analysen selten Rechnung getragen wird) zu resultieren. Dieser Beitrag geht von einem ontologischen Ansatz aus, indem er versucht, 'Netzliteratur' aus der spezifischen Struktur, also dem 'Wesen' des Internets heraus zu bestimmen. Daher werden den einzelnen Thesen in der Folge direkt Beispiele aus der ästhetischen Medienpraxis gegenüber gestellt, die die Theorie einerseits untermauern, andererseits deutlich machen sollen, dass die sehr unterschiedlichen Tendenzen dennoch bestimmte Prognosen zulassen, die zum Abschluss skizziert werden. These 1: Netzliteratur arbeitet mit dem Unsichtbaren der Vernetzung von Daten und Menschen. The lmpermanence Ageni3 von Noah Wardrip-Fruin et. al. (1999) ist in erster Linie eine Software, die den Benutzer beim Surfen begleitet. Eine leichte Veränderung der Browsereinstellung bewirkt, dass der Benutzer bei seiner Tour durch das Internet nun von einem Agenten begleitet wird, der Elemente aus den besuchten Seiten kompiliert und zu einer fiktionalen Geschichte zusammenstellt. Ausgangspunkt ist eine vorgegebene Erzählung, die nach und nach Bilder und Textteile aus den Surfstationen integriert und somit auch ihren Inhalt verändert. Schließlich erhält der Benutzer eine ästhetisierte Dokumentation seiner Surfspuren in Form seiner ganz persönlichen Erzählung. The Impermanence Agent materialisiert damit 190 Christiane Heibach die Vernetzung in einem literarischen Produkt, das an sich niemals vollendet ist und sich theoretisch unbegrenzt weiter verändern kann. These 2: Netzliteratur erzählt nicht mehr (nur) in Worten, sondern versucht, Spuren der Vernetzung und der technischen Ebenen des Mediums deutlich zu machen. Der Web Stalker 4 von I/ O/ D/ (1997) ein Klassiker der Netzkunst ist eine Art 'alternativer Browser'. Er interpretiert zwar die Webseiten des Internets -wie es die Standardbrowser auch tun allerdings in einer ganz anderen Art und Weise. Er visualisiert nur den Text (mit den HTML-Tags) der Webseiten, bietet aber vor allem Features, die in erster Linie die Vernetzung der Dokumente darstellen. · Der Web Stalker ist damit vor allem ein Dekonstruktionsinstrument im \Vahrsten Sinne des Wortes: Er entkleidet die Webseiten ihrer schönen glatten Oberfläche und zerlegt sie in ihre Einzelteile, zeigt sie als das, was sie letztlich sind: eine Kombination semiotischer Systeme, die nur aufgrund der elektronischen Impulse zur Darstellung gelangen. Damit konzentriert er sich nicht auf den 'Inhalt' der Webseiten, sondern auf die Prozesse und Verbindungen des Internets. Er macht deutlich, dass gerade durch die Immaterialität der computerinhärenten Prozesse Darstellung und Kontrolle von Daten von einer Interpretationsarbeit abhängig sind, die der Endbenutzer nicht mehr beeinflussen kann. Dessen Sichtweise und Verhalten im Umgang mit dem Computer wird insofern enorm durch die für ihn zugänglichen Programme (und damit von deren Entwicklern) geprägt. Der Web Stalkerreflektiert damit gleichzeitig die etablierten Wahrnehmungs- und Handlungsgewohnheiten in bezug auf das Medium Computer. These 3: Die Darstellung konzentriert sich weniger auf -wie auch immer geartete narrative Repräsentation innerer und/ oder äußerer Welten, sondern auf de: ! n Einsatz von Software und die Reflexion des Mediums, das neue Darstellungsformen erlaubt und verlangt. The Great Wall of China 5 von Simon Biggs (1998) basiert auf einer (unvollendeten) Erzählung von Franz Kafka, Beim Bau der Chinesischen Mauer, deren gesamter Text in eine Datenbank eingegeben wurde. Per Textgenerator und mittels eines komplexen Syntaxprogrammes werden aus dieser Kafka-Datenbank nun neue Satz-Kombinationen generiert. Fährt man mit der Maus über den Text, verändert sich das Bild mitsamt den daneben stehenden Sätzen und den chinesischen Schriftzeichen in der Mitte. Bewegt man die Maus über dem rechten Textblock, so verändert dieser seine Typographie und seinen Aufbau es werden ständig neue Sätze generiert, die Positionen gewechselt, die Schlüsselwörter ausgetauscht. Lesen kann man den Text, wenn man mit der Maus aus dem Text herausgeht erst dann kommt er zur Ruhe. Ähnlich wie bei der automatisch erzeugten Lyrik werden hier aus einem vorgegebenen Textkorpus neue Versionen erzeugt, die aber erst durch die Intervention des Benutzers entstehen, vor dessen Augen dann diese Texttransformation abläuft. Im Unterschied zur frühen Computerlyrik wird hier der Prozess, nicht das Ergebnis in das Zentrum des Interesses gerückt. Weder gibt es eine endgültige Textversion, noch scheint das Lesen die adäquate Reaktionsweise auf die Struktur des Projektes zu sein. Es ähnelt eher einem Spiel, das beim Benutzer die Lust an der Bewegung hervorruft. Die Wahrnehmung der Textveränderung steht sehr viel mehr im Mittelpunkt dieses Projektes als das 'sinnsuchende' Lesen einer Version. Die unsichtbare Geschichte 191 These 4: Vor diesem Hintergrund können auch nicht-textuelle Dokumente zur Literatur gezählt werden sie erzählen nämlich Geschichten über die Vernetzung und über die Mensch-Maschine- und Mensch-zu-Mensch-durch-die-Maschine-Beziehung. BEAST 6 von Jacques Servin ist das bisher einzige mir bekannte wirklich hypermediale Projekt, hypermedial in dem Sinne, dass Bild, Text und Ton einander in der Generierung beeinflussen. 7 Der Benutzer steht zunächst machtlos den sich unabhängig von seiner Kontrolle transformierenden semiotischen Systemen gegenüber, die miteinander in Interaktion treten. Die Dynamik des Projekts entwickelt sich beginnend mit einem Textfeld, das sich selber fortschreibt, meist in einer Geschwindigkeit, die ein gründliches Lesen unmöglich macht. Begleitet wird diese 'Textrolle' vonverschiedenen Tonelementen, die ebenfalls einen gewissen Bezug zum Thema vermuten lassen. Nach einer gewissen Zeit öffnet sich ein navigierbares zusätzliches Fenster mit 'floating images' - Symbolen, deren Generierung von den Inhaltsschwerpunkten der bisher erschienenen Texte abhängt. Jedem Symbol ist wiederum ein Tonelement zugeordnet klickt der Benutzer auf eines der Symbole, fixiert er es und löst damit gleichzeitig das dazugehörige akustische Feature sowie die Generierung eines thematisch mit dem Symbol korrelierten Textsegments aus; gleichzeitig erscheint eine 'Karte', die das Symbol erklärt. Die programmgesteuerte Text-, Bild- und Tongenerierung ist somit reziprok in Abhängigkeit voneinander gekoppelt, wobei diese Hypermedialität den Rezipienten zunächst einmal einerseits durch den Transformationsprozess, andererseits durch die Interaktion kognitiv überfordert, zumal er gleichzeitig mit (fingierten) Systemmeldungen unter Druck gesetzt wird, die Computercrashs androhen, falls er nicht selber in Aktion tritt. Erst nach und nach erschließen sich ihm die Steuerungsmöglichkeiten, die dieses auf einer hochaufwendigen Programmierarbeit basierende Projekt ihm übrig lässt. Deutlich wird hier auch eine weitere Konsequenz der Computerbasiertheit: Semiotische Systeme können nun in direkte Interaktion miteinander treten, wodurch der Text damit seine Bedeutungsdominanz verliert. Bei BEAST wird der Bedeutungsraum von den einzelnen semiotischen Systemen abgekoppelt und aus deren Oszillationsbewegung und Transformationspotentialen eine neue umfassende Interpretationssphäre geschaffen, die sich auf das Wahrnehmungs- und Aktionsverhalten des Betrachters erstreckt. These 5: Insofern verschreiben sich diese Projekte der "Repräsentation zweiter Ordnung" 8 d.h. der Darstellung von Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen dem Medium gegenüber sowie deren Veränderungen durch das Medium - "The medium is the message" lautet das Motto. Oss9 von J odi ( o. J.) ist eigentlich eine Software. Sobald man die Seite des Projektes aufsucht, verselbständigt sich der eigene Browser: Er vervielfältigt sich in kleine Browserfenster, die auf dem eigenen Desktop einen wilden Tanz aufführen, der mit der Zeit immer schneller wird. Der Benutzer verliert zunächst völlig die Kontrolle über diese Fenster, die ihre Performance auch dann munter weiterführen, wenn man die Internetverbindung getrennt hat. Überwindet manjedoch den ersten Schrecken (der von dem durch Virenwarnungen und Computerabstürze sowieso schon sensibilisierten Umgang mit unkontrollierbaren Vorgängen sehr leicht hervorgerufen wird), stellt man fest, dass man teilweise die Optik des Tanzes verändern kann, indem man Fenster schließt oder vergrößert, Fenster wieder öffnet etc. Der Browser selbst allerdings wird in seiner Funktion verfremdet die Fenster bleiben schwarz und verweigern sich jeder Darstellungspflicht. Durch den Zustand der Hilflosigkeit, in dem der Benutzer sich befindet, 192 Christiane Heibach lernt dieser dabei in erster Linie einiges über sein eigenes Verhalten gegenüber dem Computer ihmwird deutlich gemacht, wie viele Prozesse unkontrolliert und unbeeinflusst ablaufen und wie hilflos er einem (hier nur scheinbaren) Fehlverhalten der Programme gegenübersteht. Die Ironie dieses Projekts besteht darin, dass erst die Resignation und die Aufgabe des Willens zur Kontrolle den Genuss möglich macht. Hat man z.B. den Fenstertanz erstmal akzeptiert, findet man auch Vergnügen daran und fängt an, mit möglichen Einflussnahmen auf die Performance zu experimentieren. Somit ist Oss mehr als nur eine Verfremdung der Computerwerkzeuge es ist ein Verhaltensexperiment, das mit dem Benutzer gemacht wird, ein Werk, das zur Reflexion und Veränderung der eigenen Reaktionen gegenüber dem Computer auffordert. These 6: Gleichzeitig erzeugen diese Projekte durch Einsatz von Software neue Formen der Bedeutung und der Existenz, die zwar eng an unsere Weltenkonstruktion anschließen, aber die Gestaltungsspielräume der Programmierung zur Modifikation unserer Wirklichkeitsvorstellungen nutzen. Golem@home 10 (2000) nennt sich ein Projekt, das die elektronischen Impulse in Nahrung für künstlich erzeugte Lebewesen umwandelt. Die Screensaver-Software erzeugt künstliches Leben, das sich über das Netz weiterverbreitet. Die aus der digitalen Nahrung des 'Geburtscomputers' erzeugten Lebewesen suchen sich eine neue Heimat auf einem vernetzten Computer mit derselben Software; sie bewahren sich aber den 'genetischen Code' ihres Ursprungsortes. So entwickelt sich künstliches Leben jenseits von menschlicher Kontrolle, rein softwaregesteuert und durch die Vernetzung topographisch verteilt die Golems sind Computer-Vagabunden. These 7: Virtualität ist damit das vorherrschende Thema von Netzliteratur. Virtualität in dem Sinne, dass mittels Algorithmen Bedingungen erzeugt werden, die durch Nutzung des geschaffenen Rahmens zu einer sozialen Realität werden können: 11 durch Modifikation unserer Wirklichkeitswahrnehmung (vgl. These 6 und 8), aber auch in der topographisch verteilten Kommunikation, der Kommunikation in Kunstwelten, oder durch die Grenzüberschreitung von Kunst und Kommerz. Third Voice 12 ist eine Software, die eine Art 'Metanetz' erzeugt. Sie erlaubt es dem Benutzer, Kommentare und Bemerkungen auf Webseiten zu hinterlassen, die wiederum nur von Third- Voice-Benutzern gelesen werden können. Insofern verliert der Webseitenbesitzer dadurch die Kontrolle über die Daten seiner Webseite -ein Effekt, der bei der Einführung der Software einen Sturm der Entrüstung entfachte. Third Voice unterstreicht die Loslösung der Kommunikation von der Präsenz an einem bestimmten Ort, der jegliche technisch vernetzte Kommunikation kennzeichnet. Conversation with Angels 13 der finnischen Gruppe meetfactory (1998) nutzt die topographisch verteilte Kommunikation als Kern ihres Kunstprojektes. Der Benutzer findet sich inmitten von comicartig dargestellten Figuren wieder, mit denen er sich unterhalten kann. Während er die Welt entdeckt und durchwandert, erzählen die Protagonisten Details über sich und ihre (fiktive) Biographie. Auf diese Weise entstehen Geschichten, die gleichzeitig in den Avataren repräsentiert sind. Die 'Autoren' haben dafür Geschichten realer Personen und Ereignisse aus Zeitungen und Zeitschriften als Basis genommen und ihren fiktiven Geschöpfen so 'reale' Biographien verliehen, die der Besucher durch seine kommunikativen Die unsichtbare Geschichte 193 Aktionen zu erfahren versucht. Gleichzeitig kann er sich selber fiktionalisieren, indem er eine andere Identität annimmt und für diese eine Biographie erfindet. Jeder Besuch in dieser Welt verläuft anders, jedesmal werden durch die Interaktion der Benutzer neue Geschichten entwickelt, die nur so lange bestehen, wie die Besuche andauern. Hier also wird der Besucher tatsächlich zum Mitautor, auch wenn er sich in einem vorgegebenen Rahmen bewegt. Was sich an Narrativitäten letztlich wirklich 'realisiert' und wie diese verlaufen, liegt zumindest zum Teil in seiner Hand. Toywar 14 der Schweizer Künstlergruppe Etoy ist das Resultat einer konkreten wirtschaftlichen Attacke durch eine Internet-Firma namens eToys, die. elektronische Spielwaren herstellt. Aus einem Rechtsstreit um den Domain-Namen www.etoy.com wegen der angeblich verwirrenden Ähnlichkeit mit der Firmendomain www.etoys.comging eine komplexe Protestaktion gegen die schließlich gerichtlich erwirkte Schließung der Künstlerdomain hervor. Über tausend Menschen beteiligten sich an dieser Aktion, die von Etoy auf der Domain www.toywar.com in ein virtuelles Schlachtfeld umgesetzt wurde. Die eigentlichen Aktionen liefen v.a. über E-Mail-Proteste an die Firmenleitung, über für die Firma schädliche PR-Aktionen und die Webseite angreifende Virtual Sit-Ins (die es der ausschließlich über das Internet agierenden Firma eToys ausgerechnet vor dem großen Weihnachtsgeschäft zeitweise unmöglich machte, Bestellungen aufzunehmen). Etoy visualisierte diese Aktionen martialisch in Form von Legomännchen-Truppen, virtuellen Schlachtfeldern und einem Seegrab für gefallene Soldaten (Soldaten, deren Leben aufgrund zu geringer aktiver Beteiligung schließlich erlosch). Die Protestaktionen liefen im wesentlichen über Text, auch der Virtual Sit-In nutzte die Computer-Kommunikation, um über die zu exzessive Anwahl der Firmenwebseite den Server zum Zusammenbruch zu bringen. Eingesetzt wurden also die symbolischen Ebenen des Computers: die Kommunikation von Mensch zu Mensch, die nach wie vor hauptsächlich über Schrift funktioniert einerseits, die Kommunikation der vernetzten Computer über Protokolle andererseits. Etoy selber erklärte diese Aktion zu einem•Kunstwerk, und sie mag sich tatsächlich auch eher in die Tradition politkünstlerischer Aktionen einreihen. Die Hauptwaffe jedoch war der Text bzw. der Einsatz semiotischer Systeme, so dass zumindest eine Überschneidung zwischen Literatur und Kunst zugestanden werden muss. Die Toywar- Aktion stellt in jeder Hinsicht also ein Netzkunstwerk dar: Sie ging aus dem Zusammenschluss von räumlich entfernt lokalisierten Personen hervor und nutzte die technische Vernetzung für ihre Zwecke. These 8: Virtualität erlaubt der Fiktion, die Maske der Realität überzustmpen. Der Wegfall des "metakommunikativen Rahmens" ( Bateson 1983: 543) 15 im Internet ermöglicht Fakes, die als solche auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind und damit die kritische Wahrnehmung der Benutzer herausfordern. Tyrell.Hungary 16 der ungarischen Künstlergruppe EastEdge (1998) dagegen spielt mit der Realisierung zukünftiger Möglichkeiten. Der Name ist der Replikanten produzierenden Firma aus dem Film Blade Runner entnommen, und so stellt sich Tyrell.Hungary als Biotechnologiefirma vor, die mit Gen-, aber auch mit Informationsmanipulationen genetischer und kognitiver Art arbeitet. Der Kunde kann den eigenen genetischen Code verändern lassen, andere Lebensformen ausprobieren, sich in Zeiten der Rezession einen komplett neuen Kundenstamm für seine Firma erzeugen lassen, neue Seuchen ordern, für deren Bekämpfung erfolglose Mediziner dann öffentliche Gelder beantragen können; alles, wovon die Genforschung und die freie Marktwirtschaft bisher nur träumen können. Neben einem persönlichen, 194 Christiane Heibach nach eigenen Wünschen programmierbaren Sklaven wird auch eine Selbstdefinitions-Maschine angeboten, die einem die Suche nach der eigenen Identität abnimmt, oder eine Software, die das Eindringen in das Denken von anderen ermöglicht. Das Projekt Tyrell.Hungary lebt in erster Linie davon, daß es in einem vernetzten Raum existiert, in dem Reales nicht leicht von Fiktionalem getrennt werden kann. Dadurch erhält es eine Intensität, die auf ganz andere Art und Weise wirkt als z.B. der als Fiktion ausgewiesene Roman Schöne neue Welt von Aldous Huxley. Es lässt die Utopie als möglich, sogar nicht· fern von der Realisierung erscheinen, erzeugt also eine Unmittelbarkeit, die der expliziten Fiktionalität verwehrt bleibt. Erst die Vernetzung erlaubt solche Spiele: Da die Grenzen zwischen Kunst und Realität nicht mehr klar durch räumliche Verortung (an Galerien, Museen oder zwischen Buchdeckeln) gekennzeichnet ist, können Projekte wie Tyrell.Hungary mit der Konsumgier der Benutzer spielen. These 9: Virtualität ist aufgrund ihres Status als 'realisierbarem Möglichen' daher ebenso gekennzeichnet durch eine freie Transformierbarkeit; die Existenzformen sind nicht mehr festgelegt. Dies betrifft sowohl die semiotische Gestaltung als auch die Festschreibung sozialer Identitäten. Verbarium 17 von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau erklärt den Text zum 'Dünger' für einen Urwald. Jede Texteingabe in einem Feld führt zum Wachstum einer Pflanze und im Ganzen gesehen zur Expansion eines urwaldähnlichen Biotops. Dieser Transformationsprozess führt dazu, dass die Gestalt von Zeichen nicht mehr festgelegt ist beliebige Metamorphosen sind möglich und eröffnen neue Darstellungsformen, zeigen aber auch, dass wir uns in Zukunft mit neuen Bedeutungsvermittlungssystemen auseinanderzusetzen haben, die nicht mehr nur mit den traditionellen semiotischen Systemen arbeiten. Das Programm MetaSynth 18 erlaubt es dagegen, Töne in Graphik und Graphik in Töne umzuwandeln. Die Zeichensysteme können reibungslos ineinander transformiert werden, der Benutzer kann beide Systeme - Bild und Ton manipulieren, so dass sich im jeweils anderen Bereich entsprechende Änderungen ergeben. Ähnliches praktiziert die Software Earshot 19 , die beim Surfen im Netz die HTML-Tags einer Webseite als Töne wiedergibt. Wenn nun alle akustischen, textuellen und graphischen Zeichensysteme untereinander transformierbar sind, verschwimmt die Funktionszuweisung für die Bedeutungsvermittlung, aus der Transformation können neue bedeutungsvermittelnde Systeme entstehen. INCorpos 20 spielt mit den Transformationsmöglichkeiten auf sozialer Ebene. Das Projekt arbeitet mit einem fingierten Meetingpoint ähnlich dem eines Chats nur werden die Benutzer mit Bildern realer Menschen repräsentiert, um die Illusion einer realen Präsenz zu erzeugen. Gleichzeitig wird dazu aufgefordert, Photographien einzusenden, die nach Wunsch fragmentiert werden, so dass nur noch einzelne Körperteile zu sehen sind. Diese können zu einem neuen Gesicht zusammengesetzt werden, das allerdings durch seine patchworkartige Unproportioniertheit einen extremen Verfremdungseffekt erzeugt. Die Freiheit, im Netz in beliebige Rollen zu schlüpfen, wird damit als Teil einer multiplen Persönlichkeit visualisiert. Im Unterschied zu Bodieslnc. 21 von Victoria Vesna, das dem Benutzer ermöglicht, sich einen Avatar aus einem breiten Angebot an beliebig kombinierbaren Körperteilen zusammenzusetzen und käuflich zu erstehen, erzeugt INCorpos durch den Authentizitätsbezug von Photographien, die plötzlich in einen völlig anderen Kontext gestellt werden, eine seltsame Spannung zwischen dem, was möglich ist und dem, was tatsächlich ist. Die unsichtbare Geschichte 195 Versuch eines Fazits Virtualität, verstanden als erzeugbares Mögliches oder, wie Derrick de Kerckhove es fasst, als "Intervall zwischen dem Projekt und seiner Realisierung" (Kerckhove 1995: 183) entsteht bei all diesen Projekten aus der Nutzung der technischen Möglichkeiten des Computers. Zwei große Tendenzen lassen sich dabei extrahieren: ■ Die Nutzung der Vernetzung in einerseits technischer und andererseits kommunikativer Hinsicht für prozedurale Projekte, die sich ständig verändern und nie abgeschlossen sind. Zur technischen Gruppe gehören der Impermanence Agent, der die Intertextualität des Netzes für die Erzeugung von Geschichten fruchtbar macht, der Web Stalker, der die intertextuelle Vernetzung visualisiert und die textuellen Symbolebenen des Computers freilegt, und Golem@home, das die Erzeugung und Migration von künstlichem Leben im Netz jenseits der Kontrolle des Benutzers ermöglicht. Conversation with Angels, das seinen literarischen Charakter aus der Kommunikation räumlich entfernter Benutzer bezieht und Toywar, das die technische Vernetzung zum Kern einer politkünstlerischen Protestaktion machte, nutzen die vernetzte Kommunikation für ihre Zwecke. ■ Die zweite große Gruppe beschäftigt sich mit dem Transformationspotential des Computers und des Internets: entweder mit kontinuierlicher textueller Ersetzung wie The Great Wall of China, oder graphisch wie Jodi, hypermedial wie BEAST, oder durch die freie Transformation von einem semiotischen System in ein anderes wie Verbarium, Metasynth und Earshot, bzw. von einer Identität in eine andere (oder mehrere andere) wie bei INCorpos. Tyrell.Hungary dagegen nutzt den Wegfall jeglicher definierenden Rahmenbedingungen und transformiert damit Fiktion in eine scheinbare Realität. Alle Projekte entstehen letztlich aus der Homologie zwischen ganz verschieden gearteten Bereichen: Die technischen Möglichkeiten des Computers und des Internets, denen Prozess und Transformation zueigen sind, finden sich im Bereich vernetzter sozialer Handlungsformen und kognitiver Verarbeitung wiedersie werden gemäß dem Medium, das sie nutzen, modifiziert. Das Differenzdenken wird unterminiert, die Ambivalenzen kultiviert, indem Grenzüberschreitungen praktiziert und bewusst gemacht werden, die in den realen sozialen Räumen nicht möglich sind. Instabilität der Formen in der Transformation (von Zeichensystemen und Identitäten), Entfaltung kritischen Potentials durch Wegfall der Raumabgrenzungen, neue soziale Interaktion durch spielerische und ephemere Kommunikation führen dabei zur Reflexion und Revision der durch die traditionellen Medien konditionierten Wahrnehmungsmodi. Insofern ist die Virtualität ganz klar eine Form der Realität wir haben es mit realen Handlungen, Reaktionen und Effekten in einem algorithmisch erzeugten Möglichkeitsrahmen zu tun. Allen Projekten ist gemeinsam, dass sie die Prozesse durch Programmierung vorgeben (der enger oder weiter gefasst ist), die Arten der Realisierung aber den Nutzern überlassen. Sie legen damit die Abläufe fest, nicht aber die Resultate (so es überhaupt solche gibt). Damit wird Virtualität als technische Möglichkeit zu einer Form der Realität, sobald wir mit ihr inter- und in ihr agieren (Wooley 1994: 258). Virtualität als das erzeugbare Mögliche ist damit allen hier beschriebenen Projekten zueigen: Sie nutzen das technische System, um in unterschiedlicher Weise neue oder modifi- _zierte Formen sozialen Handelns und psychischer Wahrnehmung zu erzeugen. Dabei arbeiten sie meistens mit Effekten, die da sie auf Prozess und Transformation beruhen nicht speicherbar, nicht lokalisierbar, damit auch nicht mehr sichtbar und auch nicht vorhersehbar 196 Christia,ne Heibach sind. Ausgebend von der These, dass wir es bei all diesen Projekten mit Literatur zu tun haben denn darauf zielen meine Thesen in erster Linie ab müssen wir uns wohl darauf gefasst machen, dass die Veränderungen für den Literaturbegriff noch viel gravierender sind, als wir es bisher ahnen. Die kategorische Erklärung, hier hätten wir es ja nicht mit Literatur zu tun, greift nichtgerade die Frage, inwieweit Literatur- und Textbegriff einander überschneiden, wird mit der ästhetischen Praxis in digitalen Medien wieder neu gestellt. Denn mit Text sind wir allemal konfrontiert sowohl in der Kommunikation als auch in den tieferen Schichten der Programmiersprachen. Dies zur Erklärung meiner Schlußthese, die lautet: These 10: Netzliteratur erzählt damitwie jede Literatur die Geschichten der Menschen in neuer Form und unter veränderten Bedingungen: die erweiterten Möglichkeitsfelder führen zu einer Realität, die neue, technisch erzeugte bedeutungstragende Sphären entwickelt. In deren Umsetzung stehen wir noch ganz am Anfang. Anmerkungen 1 <http: / / www.dichtung-digital.de/ 2000/ Mailinglist> (24.09.2001) 2 <http: / / iasl.uni-muenchen.de/ discuss/ lisforen/ netzkun.htm> (24.09.2001) 3 <http: / / www.impermanenceagent.com/ agentl> (24.09.2001) 4 <http: / / bak.spc.org/ iod/ > (24.09.2001) 5 <http: / / hosted.simonbiggs.easynet.co.uk/ wall/ wall.htm> (24.09.2001) 6 <http: / / home.earthlink.net/ ~jservin/ Beast/ > (24.09.2001) 7 'Hypennedialität' ist im Unterschied zur Multimedialität, bei der verschiedene Zeichensysteme nebeneinanderstehen, durch genau diese gegenseitige Abhängigkeit geprägt. Vgl. auch Hall/ Lowe 1999: 6. 8 Vgl. zu einer ausführlicheren Entwicklung dieses Begriffs: Heibach (2000: 47-52). 9 <http: / / oss.jodi.org/ > (24.09.2001) 10 <http: / / go1em03.cs-i.brandeis.edu/ > 11 Diese Definition von Virtualität lehnt sich an das an, was ursprünglich unter diesem Begriff verstanden wurde: Aristoteles definierte Virtualität (dynamis) als Potentialität (in Abgrenzung zur Aktualität, der energeia) in bezug auf die Wesensbestimmung des Menschen. Realität (Aktualität) kann sich nur auf der Basis dessen ausformen, was möglich ist. Damit gehören aber Virtualität und Realität zur selben Ordnung. Die Realität ist die Aktualisierung der Virtualität (Welsch o.J.). Eine ähnliche Situation haben wir, wenn wir mit dem Computer arbeiten: Die Programmierung öffnet weit größere Spielräume (im wahrsten Sinne des Wortes}, als es in unserer Alltagsrealität der Fall ist. Sobald wir diese nutzen, haben wir es aber immer mit Realität zu tun allerdings einer Realität, die nur durch die Nutzung des Internets ermöglicht wird. Von diesen Realitäten ist hier die Rede. 12 <http: / / www.thirdvoice.com> (24.09.2001) 13 <http: / / angels.kiasma.fng.fi/ index.html> (24.09.2001) 14 <http: / / www.toywar.com> (24.09.2001) 15 Bateson bezieht sich mit dem Begriff des 'metakommunikativen Rahmens' auf Träume, in denen die Elemente fehlen, die uns normalerweise die Einordnung von Ereignissen und Objekten erlaubt, wie es z.B. bei einem Theaterstück der Fall ist. So signalisiert die Theaterbühne und das Vorhandensein von Schauspielern, dass es sich bei dem Wahrgenommenen um ein Theaterstück handelt. Für die Literatur ist die Existenz eines 'metakommunikativen Rahmens' die Bedingung jeder Kategorisierung, auch der grundlegenden, nämlich sagen zu können, dass etwas Literatur ist. 16 <http: / / tyrell.hu> (19.07.2002) 17 <http: / / www.fondation.cartier.fr/ verbarium.html> (z.Zt. nicht zugänglich, 19.07.2002) 18 <http: / / www.uisoftware.com/ PAGES/ ms_presentation.html> (24.09.2001) 19 <http: / / www.deepdisc.com/ earshot/ > (24.09.2001) Die unsichtbare Geschichte 20 <http: / / wawrwt.iar.unicamp.br/ incorposl> (24.09.200 l) 21 <http: / / www.bodiesinc.ucla.edu/ > (24.09.2001) Literatur 197 Bateson, Gregory 1983: "Redundanz und Codierung", in: ders. Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Hall, Wendy & David Lowe 1999: Hypermedia & the Web. An Engineering Approach, Chichester: Wiley. Reibach, Christiane 2000: 'Tue Process Appears. Representation and Non-Representation in Computerbased Art", in: Ascott, Roy (ed.f Art, Technology, Consciousness -mind@large, Bristol/ Portland: Intellect: 47-52. Kerckhove, Derrick de 1995: Schriftgeburten. Vom Alphabet zum Computer, München: Fink. Welsch, Wolfgang o.J.: Virtual to begin with? < http: / / www.urii-jena.de/ welsch/ PapersNirtualTBW.html> (19.07.2002) Woolley, Benjamin 1994: Die Wirklichkeit der virtuellen Welten, Basel: Birkhäuser. Projekte Biggs, Simon (1998): The Great Wall ofChina, <http: / / hosted.simonbiggs.easynet.co.uk/ wall/ wall.htm> EastEdge (1998): Tyrell.Hungary, < http: / / tyrell.hu/ > Etoy (1999/ 2000): Toywar, <http: / / www.toywar.com> Fuller, Matthew / Pope, Simon/ . Green, Colin (I/ 0/ D) (1997): Web Stalker, <http: / / www.backspace.org/ iod/ > Donati, Luisa Paraguai: INCorpos (2000), <http: / / wawrwt.iar.unicamp.br/ incorpos/ > Freeman, Andy/ Skeet, Jason (1999): Earshot, <http: / / www.deepdisc.com/ earshot/ > Lipson, Hod / Pollack, Jordan P. 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Tab., € 19,90/ SFr 33,50 UTB-ISBN 3-8252-2182-2 Das Buch vermittelt einen breit angelegten kritischen, ideengeschichtlichen Überblick darüber, wie in Vergangenheit und Gegenwart unterschiedlichste Disziplinen aus dem Bereich der Sprach- und Kommunikationswissenschaften den Körper in ihre Untersuchungen mit einbezogen haben; dabei wird ,Körper' entweder als kommunikatives Ausdrucksmittel oder als Organisationsprinzip für die Sache selbst gesehen. Berücksichtigt werden einschlägige Beiträge aus der Rhetorik, den Konversations- und Anstandslehren, aus Sprachphilosophie und Evolutionstheorie, aus Sozialpsychologie, Neurologie und Linguistik. Die lebendige und gut verständliche Form der sprachlichen Darstellung wird durch eine Fülle von Beispielen und bildlich-graphischen Illustrationen ergänzt und ermöglicht nicht nur Fachwissenschaftlern und Studenten, sondern auch interessierten Laien einen leichten Zugang zu einem hochaktuellen Thema. A. Francke Time in digital fiction: KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen Some temporal strategies of adventure games Anja Rau Zeit ist im Begriff, Raum als Schlüsselkonzept für die Auseinandersetzung mit digitaler Literatur wenn nicht komplett abzulösen, so doch notwendig zu supplementieren. Die meisten Ansätze bleiben jedoch einem traditionellen, linear gerichteten und damit deterministischen Zeitbegriff verhaftet~ obwohl digitale Literatur seit der Entstehung des Genres im Kontext von Liberalismus und Freizügigkeit verortet wird, was sich nicht nur in Mehrstimmigkeit oder Pluralität, sondern auch in Achronizität niederschlagen kann. Der folgende Aufsatz untersucht, mit welchen Mitteln digitale Literatur chronozentrische Erzählstrukturen aufbrechen kann und stellt fest, dass dem Computerspiel und vor allem dem Adventure weitaus effektivere Methoden zur Verfügung stehen als sowohl Buch und Film einerseits und Hyperfiction andererseits. Zwei der wichtigsten Zeitkonzepte in Spielen, relative, modulierbare Zeit und die Umkehrung des Zeitpfeils, werden anhand von Beispielen im Detail vorgestellt Computerspiele, so ist die Schlussfolgerung, sind auf dem Weg zu einem differenzierten Genre, das in der Lage ist, ein zeitgenössischer Physik und Philosophie verpflichtetes Verständnis von Welt literarisch abzubilden. Introduction After an early preoccupation with space, labyrinths, topological maps and the like, for two or three years now, time seems tobe a favorite playground for those studying digital text. A trigger-text here is Michael Joyce's Nonce Upon Some Times (1997) where the revisitation and rereading of nodes in a hypertext is still conceptualized via spatial metaphors but nonetheless rooted in the temporality of the reader' s sense-making endeavors. After all, the link not only connects distant pieces of text, it also defers parts of an ongoing text in time. Later papers, like Robert Kendall' s Time: The Final Frontier (1999) or Marjorie Luesebrink' s Play On: Plot and Pause Points in Hypermedia Narrative (2000) are concemed with pacing the reader' s progress through the text, identifying techniques much like those used in alphanumerical or visual text to give the impression of speed or slowness. But the focus has also shifted to the clashing of player-time, game-time and event-time in digital text, as sketched by Espen Aarseth in his paper on The Temporality of Ergodic Art (1999) or Jesper Juul in Play time, Event time, Themability (2001). Common to these approaches is that they concede time' s tendency to deposit in a linear, unidirectional progression: "Die Struktur für Lesungen ist[... ] rückwärts linear und vorwärts verzweigt." (Anderson and 0hrstrl1)m 1994: 61) This limitation may still determine hyperfiction but is broken and transcended by computer games, eventually freeing the player of temporal determinism as a necessary frame of mind. 200 Anja Rau Time and freedom The conception of digital literature and especially hyperfi.ction has always been connected to a politics of liberation and empowerment granting the communicating masses access to the means of communication and publication and freeing the reader from the text-creator's authority. Ted Nelson's Xanadu is a political as weil as a technological vision. Hypertext theory after Nelson has merged this vision with the anti-authorial strategies of postmodernism in order to create a text into which no author has inscribed a message and from which no reader has to extract a preset meaning, texts that not merely state but enact the reader' s empowerment. Approaches like those of Jay Bolter, George Landow or Janet Murray however remain decidedly spatial: they allow only for the three-dimensional projection of the labyrinthine text into a literature of parallel worlds as a contentual manifestation of liberty in and from the text. But the topological web of the digital text is traversed in time as weil as space and an aesthetics of temporality might weil achieve the subversion of narrative and conceptual closure, while interactivity, multivocality and plurality of meaning are increasingly dismissed as un: fit to meet this demand traditionaily placed on digital text. In bis 1994 Narrative and Freedom (which, admittedly, concentrates on 19th Russian novels), G.S. Morson links the temporal strategies employed by a certain novel to the concept of personal and social liberty it transports. According to Morson, the established literary techniques of foreand backshadowing force the narrative into a linear causality that is in its final effect historically deterministic and eventually totalitarian. "Chronocentrism and backshadowing come most readily to groups that imagine they possess wisdom inaccessible to their contemporaries and superior to that of their own predecessors." (Morson 1994: 274) To see one' s present point in history as the outcome of an inevitable and logical development in time both stabilizes the position of those in power and make it impossible for the disempowered to see an opportunity for change. As an at least narrative way out, Morson offers his concept of sideshadowing: the representation of alternative outcomes and that means alternative times on one level with the eventually privileged plot of a narrative. "The imagination of sideshadows [ ... ] may expand our temporal horizons and make us more attentive to historical opportunity. Time is open and will always be open." (Morson 1994: 282) Openness (or the entailments of a lack of closure) is a key-concept of hypertext-theory and Morson's liberation through temporal openness maps neatly onto the unending, indeterminate, parallel and looping text of hyperfi.ction. From Michael Joyce' s I may have seen my son die this morning (1996) to Emily Runbird dead one node and alive the next (Moulthrop 1991) to the weaving and interweaving of relationships in Quibbling (Guyer 1992) hyperfi.ctions can be described in terms of parallel, forking paths as well as times. However, as Anderson and 0hrstrj1im have shown, as soon as a hypertext is being read, the four-dimensional potential plot flattens out into a temporally if not narratively linear path. The reader assembles a hyperfi.ction one node after another and for her, the text unfolds along the same unidirectional time-arrow on which she herself rides towards the end of her reading-session. At first, computer games seem to be even more determined and due to their basis in causality and logic less temporally multidirectional. However, computer games offer a wide range of unorthodox temporalities that undermine traditional, chronocentric concepts of time far more efficiently andin a far more timely manner than traditional 'static' or non-immersive media can. The qualitative difference between playing computer games and playing real-life games, reading books or watching films is the integration of passing time into the text (Janet Time in digital fiction 201 Murray's procedurality). Time does not only pass in an objectively measurable way around the player, the experience of time passing constitutes the perception of the text (a dull book that takes ages to read, a stimulating conversation that seems to fly by) as well as the text itself. Based on this double-function, computer games can contain concepts of time that provide an adequate representation of a world shaped by modern physics and postmodern politics alike. Relative time, time as infinitely malleable, and reversible time are among the most compelling temporal effects in computer games and both contribute to an undermining of our conventional impression of time as predetermined as well as determining. Such effects of unorthodox temporalities can be best seen in adventure games which contain a sufficient amount of narrativity tobe compared to and contrasted against the concepts of time the reader is used to from traditional text-media like book or film. Relative time Traditional forms like book or film know of various techniques to achieve this temporal relativity-effect, which games have little or no recourse to. The techniques of alphanumeric, narrative text, from sentenceor paragraph-length to foreshadowing and flashback for books or slow-motion and high-speed for film, are impossible to map onto even explicitly narrative games and as soon as they are being used, the game switches from interactive into moviemode. This shift always brings the act of playing the game to a halt, tears the player from her accustomed position towards the text and forces her to assume a new role. The movie scenes may of course be fast and action-laden or slow and descriptive, but this does not immediately translate into equal game-time. On the one hand, a fast-paced cut-scene may work as a retarding elementlike the wolf-fights in Gabriel Knight II on the other, a slowly unfolding sequence may wrap up loose ends or provide key information and thus speed up the game considerablylike the overheard conversation between king and legate in The Final Curse. While not a central feature of games, the use of film and its temporal techniques contributes to the fragmentation and disruption of the game' s time-line. Interestingly enough, this effect is not reached through the application of intra-medium techniques but through the combination of different media (film and interactive text) that is a constituent of multimedia, thus appearing tobe a medium-inherent technique. Besides this crossover of fast and slow speeds, we also find extreme time-squeezes in games that stretch beyond the conventional clashes of telling-time and tale-time (game-time and event-time) that serve to invalidate time as a pace-maker for our understanding of the world. Agame can use the temporal clashes a novel can: highspeed, verbal clues ("10 years later", slow-motion and so forth, but computer games also dispose of and regularly employ a technique Scott McCloud (1994: 94-97) has identified as an inherent feature of comics (or of pictorial art in general): the representation of movement within a single paneJ/ image/ screen. In comics, there are not only speed-lines, ticking clocks or verbal descriptions that symbolize passing time, but also the fact that the actions depicted in any one panel or the sound of the words in a speech balloon, take up time as well time that passes within the narrative of the comic (or painting) as well as in the outside world of the readers/ viewers whose eyes move in time to take in the signs on the page. In a book or a film, the reader' s/ viewer' s time would correspond directly to an amount of space taken up by the text. A picture, however, remains still while its story unfolds. This effect adds a third temporal realm to taleand telling time, the time of the medium. 202 Anja Rau A similar though not identical effect occurs in computer games with more or less static rooms that have tobe explored by the player. In non-real-time-games or those that do not work with timers for their puzzles, game-time does not pass when stiils are explored the player might as weil have dashed down to the supermarket for more ramen and coffee (in which case, the game-time would be standing still as weil). More often, the player will be busy solving a puzzle or taking in game-related information, both thinking and clicking. Time passes for the player and only for her, not for the game and thus has the qualities of point and period at once. But time also passes for the narration that unfolds in the playing of the game and on this level it can be subject to the distortions of taleand telling time, too. A dyadic and familiar relationship (1: n, like scanning a painting) is suddenly expanded when n turns into in a clashing of time zones no other genre provides. Tue other end of the spectrum is the so-called real-time game which keeps track even of time spent waiting, where narrative time passes by an idle or even absent player. While in agame like The Day ofthe Tentacle, the character Bemard starts picking his nose when the player is presumably not watching, the player has to pause The Last Express, to make fresh coffee or the character Robert Cath has been arrested and the game is over by the time she retums. In this scenario, a player' s time of value Omaps onto an expanse of game-time which again maps onto an expanse of narrative time that can amount to anything between O and n. With this oscillation, time in adventure games becomes inherently unstable and certainly loses the inexorable measuring quality it had for early arcade-games that translated quarters into game-time. According to Jesper Juul (2000), the computer's capacity to keep pace is a distinctive feature of computer games and indeed, time is a crucial paramter for the intemal workings ofthe computer, like multiplexing, video-indexing/ timecoding or real-time-operations. But the potential to break pace seems to be even more characteristic, at least for adventure games which not only use relative time as a formative features but can go so far as to turn time from pacer to pacee by offering the player tools like speed-toggles. Digital fictions contain the unique possibility to employ as formative parts of the text what traditional, especially print-media usually dismiss as paratexts. "Tue information contained in these texts is vital to and often also part ofthe 'main' text presented within the [interface]. [ ... T]he reader reads the text of the textblocks, but she also reads the text of the link-structure and assembles the final text from both of them, while the link-structure describes the text on a level besides that of content." (Rau 1999: 119) Manipulation of the shell can also be used to achieve effects of temporal instability. Tue one example that comes to mind readily is Space Quest I which offers a unique cross-over between system-time and event time that serves to destabilize time even further than the familiar divergence between game-time, eventtime and player' s time would. At one point in the game, space-hero Roger Wilco has to pass under a cave-ceiling dripping with acid that would inadvertently eat into his head if the player tries to move Wilco along through the drops. There may be other ways to solve this puzzle, but the most convenient one I found was to call up the menu-bar and toggle the speed option. In fastest mode, Wilco had no problem outrunning the deadly drops and could continue on his way unharmed. A game like Space Quest that allows the player to modulate its event-time creates an impression of time as inherently unstable and thus deconstructs our notion of time as given; subject only to the laws of physics, beyond our control. Time in digital fiction 203 Reversible time The above temporal unorthodoxies are all still indebted to a traditional, linear conception of time. Stretched or squeezed or even unstable time always passes along a unidirectional arrow. The reversal of time seems to be the final frontier, inconceivable to us whose bodies are rooted in linear time. Certain branches of modern physics have started to speculate about time-travel, about a means for going back in time, but as far as digital text is concemed, researchers seem to have said good-bye to the possibility: be it categori~ally (like Espen Aarseth's response to Gunnar Liestjlil: "'[L]linearity of time' is a pleonasm and is useless as a categorical description, since there can be no 'nonlinearity oftime'." (1997: 43)) or logically (like Anderson and 0hrstrjlim). This may be true for hyperfictions which always materialize linearly with every choice made and turn taken. But computer games seem to dismiss the unidirectionality of the time-arrow in their use of 'death'. Unlike the narrative death we know from the novel ( or from the plotline of agame), death in a computer game is never an ending or pivotal point. lt functions much like being thrown in a board game, as a sort of penalty go back to start (only, nicely, computer games allow the player to 'restart' at a point further on in the game) and try again. Thus 'death', but also the player' s decision to reload a saved position, takes the player back and forth in a zigzag path through the 'story' of the game seemingly able to 'turn back the clock'. However, the narrative of the game ignores this reversal the player' s input changes with her advanced knowledge of the game' s workings, but most games react to this input as to prior interactions, without taking notice of the restarts and reconsidered approaches. Inthe text-experience of the player, the loops caused by reloading and restarting stretch along a single line, pointing forward to the end of the game. Reload is conceptualized not as changing events in the past with the help of insights gained in the future, but as a teleological learning process. After all, going back to a saved game or a position determined by the game, the player loses all items collected between this point and the figure's 'death'. A game's reload-function may be the first place to look for unorthodox behavior of time but it is in fact one of the elements of an adventure game that supports traditional temporality. Of course Aarseth is right, in a way, when he rejects any notion of 'nonlinear' time. The player is always physically rooted in a time that is ticking off more or less quickly down a singular, unidirectional arrow. For a real reversal of time, she would need a time-machine, not a computer game (although acombination ofboth might turn out tobe a top-seller). However, there are games that force the player to at least think time backwards a hard enough feat as it is. One such game is The Day of the Tentacle (DOTI), which contains complex and repeated time-travel during which the player has to use reverse reasoning to solve certain puzzles. What makes this game different from narratives of time-travel with achronological events is that narratives once more deposit in a linear progression while in agame at least the player' s mind has to work backward against established time. On the narrative level, DOTI' establishes a distinct and traditional time-line from past to present to future while a majority of the puzzles supports reasoning that follows everyday causality. If the player accepts the temporal order the game establishes through narrative, then, in order to solve certain puzzles, she has to draw conclusions backward. This disrupts the expected time-experience up to a final questioning if not negation of linear time as a basis for human decision-making. Interestingly enough, DOTI' also features a plot that contradicts the logic of most time-travel games and tums against a deterministic world-view in Morton' s terms. 204 AnjaRau DOTI' starts out much like a typical time-travel adventure: Purple Tentacle drinks from a polluted river, mutates, grows arms and a will to power and sets off to conquer the world (not without pushing over a couple of cows on his way). Tue teenage heroes Bemard, Hoagie and Laveme quickly decide they have to go back in time in order to prevent the ecocatastrophe andits entailments. This, however, fails, theirtime-machine breaks down, catapulting the kids to the past, present and future, respectively, and the biggest part of the game is spent in the attempt to meet up again in the present. To this end, objects have to be manipulated and sent back and forth between the times. Usually, this is done past to (present to) future. For example, Laveme lands in the future where she is stuck in a tree. Although distributed across time, the setting of the game is always the same, a house with surrounding lawns and trees, so that Laveme' s tree is the same kumquat Hoagie sees outside the house in the past. In order to free Laveme and be able to use her character, the player has to find red paint (in the past), paint the yellow kumquat red and get George Washington to feil what he thinks is a cherry tree. This effects the disappearance (or rather non-existence) of the tree in the future and Laveme's landing on the lawn from where she can be moved. After this has been achieved, the player is able to switch freely between all three characters and all three epochs. Tue distance in time takes on the semblance of a spatial distance the traversal of which would not clash with a current everyday understanding of solid-state physics. But the narrative clearly names time, not space as the crucial parameter, andin fact, modern physics treat time and space as merely two ways of looking at the same phenomenon. But the logical next step, the multidirectional travel not only in space but in time, is still the stuff science fiction stories are made of, not real-life vacation plans. So, by letting the player switch among characters not in different rooms but in different times, DOTI' departs from a traditional, directed concept of time and leaves chronocentrism behind for an however enclosed universe without determinism rooted in temporal constraints. Tue game goes a step further still in that it confronts the player with puzzles that can only be solved when the direction of time is thought backwards, when the player uses reverse reasoning. For example, one of the sub-tasks is to get Hoagie' s time-machine going again and to send him back to the present. For this, he needs a battery. Bemard sends him a not quite scientific-looking construction-plan from the present. This is the game's first and easiest puzzle (the player is told what to do) and establishes reversed reasoning from the very beginning: a vital object has come into existence some time in the future of the moment when it is actually used. In the next step, the player has to create such an object herself, actively creating a backward-causality. To build the battery, Hoagie needs vinegar but the only object to be found is a bottle of wine. Tue player has to combine the bottle with a timecapsule that figures in the game in the past (Hoagie is stranded in the time of the founding fathers about to draw up the constitution), and is still to be found in the future in a historical exhibit that can be accessed by Laveme. If the player then combines a can-opener from Laveme's inventory, she finds that the wine has tumed into vinegar over timea perfectly temporally linear development. This vinegar has then to be sent back to Hoagie in the past where it functions in the battery although in a unidirectional time-frame it would still be only wine. Back to Morson's concept oftemporal freedom. The farewell to chronocentrism inDOTI' is not merely a gimmick to make the puzzles harder. Back in the present, there is still Purple Tentacle to be taken care of. lt soon transpires that Purple Tentacle conquered the world by taking over the world and thus achieving a position where he could multiply himself to a sufficient number to go back to the present and take over the world. Tue game adds cyclical Time in digital fiction 205 to bidirectional time. Tue tentacles return once more to keep the kids from going back to the past once more and prevent the pollution of the river after all. Tue player can kill Tentacle there and then, no time-lines needed. DOTT is not the only adventure game to distort time like this: Discworld (1995) has not only reverse reasoning, but also supports the concept of at least bidirectional time narratively, for example with the story of reannual wine which is pressed first and then planted and which one drinks the night after an awful hangover. In Discworld, too, the trick of going back to the past in order to right a wrong is at first offered by the game as a useful way to save the world. But what seems to be bound to happen happens no matter what, if one triggering event is forstalled, there will be another way. lt's the Grandmother Paradox: If you go back in time and kill your grandmother, "your mother would have never been born, and you would never have been born; if you were never born, you could never go back in time, and so you could not kill your grandmother." (Gott 2001: 11) The paradox can be solved with the rule of selfconsistency: "[T]ime travellers don't change the past because they were always part of it." (Gott 2001: 16). Or, for the purpose of Discworld: if there is tobe a dragon in the game's present tense, then preventing it from being summoned in the past merely leads to it coming into being by some other means consistent with the plot' s development so far. In Time Travel in Einstein's Universe, J.R. Gott tackles the problem that "[s]elf-consistency seems contrary to the common sence notion of free will." (Gott 2001: 17) Gott deflates this problem by pointing out that "[f]ree will did never allow one to do something logically impossible," (17) implying that there are and always will be certain limits to freedom. After all, freedom is also always the freedom of others . . . In a narrative setup like that of Discworld, the rule of self-consistency that changing the past does not change the present but makes it into what it was before the traveller leftonly puts the player in a position where she has to realize that she needs to confront and defeat the threat to her game-world in the present. This means that no situation is the necessary outcome of actions long completed but that every situation is always up for renegotiation. So instead of reinforcing determinism in a fictional text, self-consistency can be employed to undermine it. Conclusion Truth be told, the majority of adventure games on the computer (not to mention simulations, role-playing games and other genres) stick with the traditional concept oftime, perpetuating temporal determinism. Certain achronic techniques like the relativizing of time up to its utter destabilization or the reversal of time seem to be inherent in the setup of adventure games on the computer; they are not, however, so formative to the genre that no traditional temporalities are possible. Computer games seem to be better equipped than books or film to represent world-views shaped by contemporary physics and politics not of necessity, but consciously. This opens up possibilities for the development of a diverse fictional genre in the digital medium that can leave behind its all too obvious roots in the toybox and live up to the promises formulated first for the high-brow digital genre of hyperfiction. References Aarseth, Espen 1997: Cybertext: Perspectives on Ergodic Literature, Baltimore and London: Johns Hopkins UP. 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', sondern versucht den Aufweis, dass gerade in der virtuellen Multimedialität das immer schon Schriftliche strengster Observanz das dominante Moment abgibt. Es werden drei Tropen elektronischer Ästhetiken einer dekonstruktiven Lektüre unterzogen: Zunächst wird die postulierte radikale Offenheit elektronisch mediatisierter Textualität diskutiert, wobei die fetischistischen Subtexte herausgearbeitet werden. Eine weitere Thematik findet sich in den Mythologien von Virtualität und Multimedialität als ein Jenseits-der-Schrift, das sich als unhintergehbar skriptural erweist. Der dritte polemisch-ästhetische Vorschlag findet die eigentliche digitale Literatur in der Praxis der Programmiererinnen, die als grammatologische Spurenkunst gelesen wird. 1. Digital projections Meditative silence in the library, no more. The solitary reader immersed in the tome in her hands, a subject of the past. The citizens of the new literary republic operate to the tunes of machines turned to füll volume: the implied reader (Iser 1995) of literary texts in the age of digitally generated virtual environments finds herself in the fictional equivalent of life in the Los Angeles corridor, following the trajectory of carnivalesque bodily configurations on Venice Beach, the synaesthetic postmodernity of always-already virtual Tinseltown, getting as real as it gets in some version of Blade Runner (Bukatman 1997) territory in South LA. Alright, this may be overstating the case somewhat at this particular point in time, but electronic literature, when it manages to come to its own, will be the fast moving, multimedia driven synaesthetic hyperevent the digerati have been promising us for quite a while. A possible beginning, no doubt. Electronic literature under this interpretation would aspire to being recruited as an important agent in bringing about the revolution of the dawning information age (Kurzweil 2000). We are currently witnessing remarkable convergences of big business, information technology, and creative practices of communication. Bill Gates (1999) getting all worked up at a Comdex presentation about interactive television, allowing, well, not viewers, but rather interactants, to decide on the development of the plot, shows a welcome interest in fictional genres (the CEO emeritus of Microsoft does have a humanistic streak in him, not only parting with considerable sums for Codex Hammer, but striving to make operating system code design into a form of helles lettres, denounced by cynics as vapourware). The more daring and avant-garde versions ofthis convergence can be found at 208 Joseph Wallmannsberger places like MIT' s Media Lab (Brand 1987), where, rumour has it, the e-poetics group is in the early stages of implementing a coat that will electronically model your emotional states and produce corresponding texts on its surface making it that much easier for the nerdier types to successfully communicate also with the opposite sex, which accounts for the code name of E- Cyrano given to the project. In a European context, the electronic literary revolution has adopted a more pedestrian pace, with electronic poets conducting their not too experimental experiments in the niche markets of academia and the art world. There is little doubt, however, that European electrobards, provided appropriate funding from Brussels is made available, will do virtual reality caskets, data gloves, and distributed creativity modules (Rheingold 1992) in the not so distant future. Humanists in literature and language departments will welcome the opportunity to engage in critical discussion and commentary of these developments. We are thus positioned at the end of a beginning, a possible beginning, no doubt. The present paper will take a different point of departure and adopt a critical agenda deconstructing a number of the fundamental assumptions present in current discussions of the structure, function, and social consequences of electronic textuality, more specifically the set of institutions, agents and practices taking creative writing into virtual environments. Some words are in order about the polemical (Arditi and Valentine 1999) thrust of the arguments put forward in this paper: polemics is brought into play here as a heuristic (Ulmer 1999) instrument in deconstructing theoretical options regarded as misguided in the discussion of electronic textuality; this move does not imply wholesale rejection of proposals or their proponents, aiming on the contrary at bringing into play a dialectics of alternative agendas. Specifically, the aesthetic polemic will target three interdependent theoretical orientations I take to be at the centre of impasses at theorizing more forcefully the sphere of electronic logos. First, the postulated openness (Strano 1998) of electronic textuality as opposed to traditional print based versions has tobe radically deconstructed, in view of its constant danger ofturning into fetishistic reifications of virtual vs. physical modes of information. Second, the idea of virtual realities doubling as a brave new world of synaesthetic pleasure, thus finally fulfilling the promise of literature. The third step, in turn, will have the most far-reaching implications by deconstructing the idea of literature, electronic or otherwise, by defining a set of social, cognitive, and verbal practices as literary that have hitherto been excluded from theories of literary production and reception (Butler 1998). The polemical aesthetics proposed in this paper will contribute, it is hoped, to theories of the electronic word both intellectually relevant and useful for creators and agents in digital environments, allowing the theorist to not only describe, but critically reflect on and intervene in the domain of inquiry. The aesthetic (Bredin and Santoro-Brienza 2000) moment in the polemics will make for a comprehensive approach not limited by conventional disciplinary boundaries. The theory and practice of perceiving the always-already perceivedthe particular version of aesthetics adopted here cuts across the more limited agendas and methodological inventories that have in the context of electronic textualities proved to be of limited fruitfulness. 2. Fetishes of aperture deconstructed The problem with Gutenbergian books is taken tobe their solidity as objects in the real world, Manichaeistically restraining the flights of the virtual literati in the prison house ofpaper or Virtual quills 209 parchment; there is a Hamletian (Act I, Scene 2) undercurrent to attempts at creating digital literature, reinterpreting the prince' s melancholic disposition to the constraints of the only here and only now along the lines of, if this all too solid paper would melt. The desired free flow of uninterrupted signi: fication infonns a number of digital literary strategies, focussing variously on degrees of freedom in the medium, the author or the reader. All three approaches have tobe theorized against the intellectual short-cuts ofreification and fetishism. The degrees of freedom offered by electronically mediated textual environments at a technical level are clearly evident, and no attempt will be made here to argue against the crucial relevance of technical innovation in the domain of the digital word. By the same token, the new materialities of the sign (Gumbrecht and Pfeiffer 1988) have to be put into a specific context, if we want to steer clear of the pitfalls of techno kitsch propaganda found in places such as Wired magazine or the public relations gigs of information technology businesses. Three aspects of the digital medium will have to be of major concem here, namely random-access storage, generalized pointer models and strategies of disturbed text and knowledge processing. 2.1 Random access and control Random access storage defines the epistemological and technological rupture (Bachelard 1971) between the old and new textual economies, also known as analog vs. digital or continuous vs. discrete processing. The leading metaphor in the ancien regime of infonnation management has been, going there. Listening to a track on an audio cassette means first going there: the fast forward button makes the manreuvre more practical, but the fact of the matter remains that one has to make a move before the music plays, very literally so. In the digital domain, however, you will be taken there right away, not postponed wishes and desires in terms of the technological set-up. Not only will random-access memory technologies get the user there in no time, but at this privileged site of always-already (Ronell 1992) there, she will be in füll control of operations. The effects are most direct and ubiquitous in digital audio and video environments, with tracks of sound and image being configured at the user' s pleasure. Processing of textual, and by extension literary material follows the same principles, however. The digital literary text does not have to be read, processed or digestedany and all of the topoi of textual incorporation (Crary 1992) will do in linear fashion: the implied reader of electronic literature is given access to all locations in the text at all times. Given the constraints of canonical westem ontologies and standards of average mental health, the reader will not technically be present everywhere at a particular point in time (Deleuze and Guattari 1980), but the material condition of the signifier allows potential and strategic omnipresence. Random-access memory' s nom de plume in humanistic circles is hypertext (Landow 1997): non-linear development and articulation of chains of signification. The basic plot of this story of technical revolution can be put into a nutshell: the reader supposedly is no longer required to read a book from the first page to the last, but creates networks of lexias and events at her own will. Before we address the more far-reaching implications of this technological innovation of the electronic word (Lanham 1993), we will take into account two related aspects of the new economies of the sign, namely the generalized pointer approach and the database model of textuality. The argument has to be developed in steps with a view to getting a fuller grasp of what is at stake with mythologies of radical aperture in digital textual modes. 210 Joseph Wallmannsberger 2.2 Pointers of signification Pointers in computer science (Chaitin 1998) parlando provide a basic method of linking chunks of information on the fly. If a particular piece of information is needed in computational processing, there is no need to provide the real thing, a link to where it can be found being perfectly adequate. Tue analogy of the book index works reasonably weil for the purpose at hand: the entry will not itself define the meaning of a given term, but provide a reference in the form of a page number containing the expression. Readers of traditional books, not only the more scholary tomes, but also biographies, travel guides, or how-to manuals, have come to appreciate an expertly designed index as the via regia to the cognitive networks of print-based docuverses. Tue generalized pointers of electronic information processing go beyond the index model by allowing dynamically growing reference points and the cascading of possible targets. Tue technicalities of these systems need not concem us here; basically the pointer model provides the tools necessary to dissociate the content of information from the manipulation thereof, by allowing the delivery in what might be called a just-in-time scheme. Random-access memory and pointer technologies defme the basic modules of the leading idea underlying digital information processing, namely the database paradigm. 2.3 Database paradigms If an attempt was made to bridge the two cultures gap (Lepenies 1985) and explain to physicists and computer scientists, what the impact of digital literature was all about, the text as database model would prove to be a helpful heuristic. Tue database strategically separates information content from rules of processing (Connolly 1990). In mathematical terminology, a database can be characterised as a set of objects with a set of operations defined over them. Conceptualising databases as set theoretic entities may seem somewhat unfamiliar for both humanities scholars and information technology practitioners alike. In the context of a discussion of digital literature, it is inspiring to note that the essential technological innovations in electronic information management are not due to the ingenuity of experts in electric and electronic engineering. What lies at the heart of the database paradigm is the purest and most abstract form of writing, the art of mathematical prose (Davis and Hersh 1995). We will retum to the ideological implications of this state of affairs in intellectual history; at this point we will focus on key elements of database theory, to prepare a deconstructive approach to topoi of radical openness in digitally mediated texts. The division of content and processing in databases makes possible radical and comprehensive recon: figurations of the structures at hand. Not only is it possible to extend the set of informational entities tobe includedthis will simply guarantee openness in a limited, quantitative manner but also to redefine the set of operations possible with the basic units in the collection. Provided a formally precise and explicit method of what the operations are supposed to do is available, there are no constraints on what can count as a possible operation. The world of the database is the universe of facts and relations, a Wittgensteinian cosmos of everything that can be said in a precise manner. Much of the bravura of current experimentation in digital literary modes is motivated by a wholesale adoption of the database model for creative writing. Writers of hypertext tend to get their best clues from friends who have taken lo 1 courses in database theory, among them dynamic reconfigurations and multiple views of data sets. In canonical form: hypertext is Virtual quills 211 database. Who then is the implied reader of a database? We make use of databases, integrate them into office and work environments, why would anyone want to read a database? Experimentalist modes in literary writing have prepared avant-garde readers to develop catholic expectations about what configurations of signifiers count as writing in the literature game: dadaist collages of tidbits from newspapers and posters are most certainly in, as are verbatim reports of conversations at public toilets, but databases (Rasula 1999)? Do we want to accept databases as bona fide players in the literary field? Stanley Fish's (1980) classic question of "Is there a text in this class? " invites extensions and variations of the following kind: Does the graduate school database assigning students and professors to this particular class count as part of the canon? Habitues of salons in literary theory will, with some ennui maybe, enlighten us that excerpts from New York City's telephone directory have made successful claims to being literary texts, so why would one possibly want to reject print-outs from IRS databases, the Amtrak electronic timetables or Playboy magazine's data wa/ e/ o(a little Derridadaist fist, excusez moi, dear reader)rehouse from the domain of literature. Radical eclecticism of this kind would take out some of the nervousness and pathos not infrequently present in discussions of digital literature, surely a welcome move. The crux of the matter is, however, more complex. The 'weak version' of experimentalist orientations is willing to change the set of permissible objects in the literary domain, while the question of how the set of possible operations over this set will be defined does not even occur. What is at stake with the advent of database driven forms of digital literature is the idea of reading per se, not only what may be fit to print in a work of literature. The problems faced by the reader of hypertext, literary or otherwise, reflect the trials and tribulations ofbecoming literate in the database mode (Poster 1990). Hotly debated issues in hypertext theory, such as 'getting lost in hypertext' or 'information overload', have to be restated in terms of the implications of writing and reading the database. The two-cultures game may be instructive in this respect: practitioners of 'hard styles' of information management, such as scientists and engineers, have rieb experience in dealing with massive sets of data, while some humanists have developed virtuosity in coming to terms with fuzzy and analogical semiotic environments. The database model provides a site of convergence, stimulating theories and practices of electronically mediated textuality (Mowitt 1992) not constrained by disciplinary traditions andrituals. As an immediate practical consequence, talk of the radical openness of digital literary texts will be put into perspective and lose most of its mantric dynamism. Hypertexts make it possible to freely move from one set of lexias to another, one thing leading to another being the name of the game. This allows for degrees of openness not usually associated with print-based texts, suggesting a fundamental difference between Gutenbergian and Turingian (Turing 1987) texts. Add to that a humanistic penchant for turning matters of fact into broad general statements, preferably with deep ontological and metaphysical infrastructures, and one ends up with mythologies of textual aperture in its age of electronic mediation. This is not to deny that the problematics of aperture and closure of textual events is a crucial one, both in terms of its theoretical import and its practical implications in electronic environments. The theories tend to be much improved, however, by a transformation well established in intellectual history, namely being tumed from their heads to their feet. The epistemological rupture of digital literature is not driven by the ghosts of experimentalist writing, venerable as the ghosts may otherwise be, but by the innovation of database exegesis into the field of textuality. Humanists then may be tempted to look for answers to the problems of digital writing from practitioners of hard styles of information 212 Joseph Wallmannsberger processing, such as computer scientists and information technology wizards. Ironically, the virtuosos of database how-to are unlikely to provide the desired insights, instrumental reason not being inclined to talk about itself. Fruitful answers will take the form of creating discursive sites of convergence and conflict, a table of all tables (a logician' s SQL to the humanist' s drama of puns). 3. Counter reformist iconophilia: multimedia and its discontents We will retum to the tables and tabulations of eletronic texts and discuss the broader intellectual and social implications of database scriptoria after an intermezzo devoted to mythologies of multimedia and the end of scriptural writing. There has been a plethora of proposals in varying forms and contexts inaugurating the end of the Gutenberg galaxy, heralding the advent of brave new worlds of image, sound and multimedially driven synaesthesia. Research by educationalists indicating massive decline of time spent by children reading, and at the same time ever increasing periods spent watching television, has been taken to be an indication of industrial societies moving into a phase of multimedia enhanced secondary orality (Postman 1996). Television under this view is construed as a rather crude first attempt at creating virtual environments immersing viewers, users, or interactants in digitally produced reality equivalents. Virtual reality as currently advertised focuses on video helmets supplying 3D-visual input and data gloves connecting the cyberian to rich collages of objects with varying degrees of realness. Would the programme of VR, if and when it is realized, mean the end of literature? Should we think of literature as the alchemy of virtual reality chemistry? Taking the power of imaginary evocation to be at the centre of what literary texts are all about, we would be hard put not to accept virtual reality systems as literary devices of the information age. The usual agitation of cultural pessimists - Shakespeare as a technological gadget, horribile dictu: "little Latine and lesse Greek" still functioning as the hallmark of the culturati does not solve the fundamental problem at issue here. Why should one semiotic system not supersede another, orally transmitted epics fmding their way into manuscripts, and helles lettres in turn being transformed into virtual reality streams? The theory of digital literature would then have to double as the theory of the dispositif of virtual reality. The critical wars about the ontological status and theoretical implications of virtual reality may be fun, but there simply is no real battle here. Virtual reality systems as the most systematic and comprehensive implementations of multimedia may appear to be the ultimate triumph of iconophilia, what with the rich visual, acoustic, and haptic environments provided for the user. lt is indeed ironical that virtual reality really is the most radically literalist and scripturalist semiotic environment ever designed: what the interactant interacts with is a stream of worlds made of letters, literally so. Virtual reality fundamentally is not about video chips or data gloves, what is at the heart of the project is analytic geometry coming into its own. Descartes' (1637) analytic geometry allows objects to be moved in virtual space, transformed and repositioned, the objects being configurations of letters..Tue transformations are as real as it gets, engineers design bridges using these mechanisms, and we tend not to have ilßY philosophical qualms walking over them (the bridges, that is). There is a new kind of writing that comes into play at the beginning of the 17th century, whose long term consequences we are beginning to feel in today' s VR caves. Tue idea of digital geometry as a form of digital literature articulates yet another aspect of the central question at issue here: Who is doing the writing anyway? Virtual quills 213 4. Codes of literary programming Deconstructing ideologies of literary aperture and digitally induced synaesthesia, we have prepared the ground for making constructive proposals for the articulation of an aesthetics of writing in the electronic mode. The proposal is polemical insofar as conventionally accepted disciplinary boundaries (Mowitt 1992) between different kinds of writing will be questioned Digital literature under this view is to be located in domains clearly distinct from the social subsystem of 'literature' as defined in contemporary westem societies. The development of plot, strategies of interactive fiction and navigation in literary docuverses are relevant problems in the context of academic literary debate; the real challenge of writing in the digital mode is of a different nature. Thus redrawing the boundaries between social practices will imply a reappraisal of writing, communication and creativity in electronically mediated semiotic systems. Tue theoretical approach here advanced resonates with echoes of death of literature debates, arguing that currently available forms of digital 'literature' are not in fact the sites for the development of literary, that is poetic and self-referential, functions öf language. Tue poetic function in the electronic domain operates out of area .. A number of recent contributions have discussed the problems and challenges of creative electronic writing, focussing on the aesthetics, poetics, and pragmatics of writing the electronic word. The essential aesthetic and epistemological rupture involved in the development of globally distributed networks of collective poesis, however, has gone largely unnoticed. The almost exclusive focus on the surface structures of electronic textuality, the linking of lexias and hypertextual navigation, has tended to blind us to the fact that writing globally networked code is the supreme literary, that is poetic event informing the digital domain. In a Gramscian (Strano 1998) vein, one-may define writers of code as the organic intellectuals and poets of the information age. Humanists will have noticed, if only in passing, initiatives such as the Free Software Foundation, the Linux community or TeX and the literary programming movement, but the impact of these practices on the fundamental question, What is poetic writing in electronic environments all about ? , has not been theorized. This may be due, at least in part, to lack of expertise in programming on the part of most scholars in the humanities, but equally to a fundamental reluctance to go beyond traditional conceptions of what literary language use is all about. Currently accepted literary canons, with their emphasis on fictional texts, support ideologies of literariness excluding a wide spectrum of genres, such as technical and scientific treatises, from discussion; ironically, Ancient and Medieval definitions ofliterature bad been more liberal, encompassing special language treatises like Vergil' s instructions on agriculture or the atomistic meditations of Lucretius. We are thus ill prepared for a radical reconfiguration of social practices focussed on the poetic function of language (Jakobson and Pomorska 1983). Tue collective poetics of code writing takes two interrelated theorems as its point of departure, namely creating literate programmes and the social manufacture of poetic structures. The literate programming approach (Knuth 1992) starts from the radical premise that code has to be designed in such a fonn as to be readable by both woman and machine; this approach may seem counterintuitive at first, since even neophytes of computer science know that the binary codes necessary for efficient processing by the machine are impossible to digest for a human use, while even high-level programming language code cannot be applied directly to the computer, but has tobe tumed into machine language first. Knuth' s revolutionary innovation is based on the strategic choice that for the binary codes to be efficient, they have to be generated from a textual environment that is a direct reflection of the creative 214 Joseph Wallmannsberger process. The distinction between actual code and commentary is discarded in favour of a fully integrated view of the poetic development of prograrnming ideas, devices, and implementations. When Knuth talks of the similarities between a good programme and a novel, he does not intend to express some loose analogy, but offers a technically precise model for designing more efficient code. The commentary in the code serves the dual purpose of making the intemal logic transparent and to guide the design process by way of providing a powerful heuristics. Tue writer, or more often the group of writers, is guided by the plot outline and character development, as it were, of the literate programme, making the running commentary · an integral part of the design process itself. The art of programming, the title of Donald Knuth' s (2000) axiomatic foundation of computer science, again has to be taken in the most literal sense: art and programming converge into a site of poetic activity that hitherto had gone unnoticed and unnamed. Tue paradigm of literate programming is thus relevant not only as an avantgarde and efficient code design methodology, whose specific advantages become most dramatically evident with large scale, distributed projects, but also a metatheoretical theory-cum-practice mobilizing the resources of both verbal and formal intelligence in creative semiotic environments. Tue influence ofliterate programming in communities and cultures of writing code has been so pervasive that some of the innovations of this particular approach are now simply taken for granted. The priority given to documentation and modularity in the most advanced code architectures available today is motivated in ! arge measure by Knuth' s attempt to transcend the boundaries of the two cultures, namely the hard science formalists and the humanistic verbalists. The signal distinction of literate prograrnming has to be located in allowing this convergence to operate on a precisely circumscribed technical level: no cheap metaphors or analogies here, the formal and verbal aspects of the programme as a piece of art have tobe integrated with a view to making the logico-verbal hybrid both an executable algorithm and an interpretable text. Literate programmes qua programmes have proved tobe a successful innovation in computer science and engineering quarters; the humanists' response to and exegesis of literate programmes qua texts has so far remained a project largely unfulfilled. Tue advent of digital literature is the kairos for a reappropriation of sign systems fundamentally philological in nature (a philology, projected as interest in and passion for all aspects of verbal signs, possibly very different from the academic institutions going by that name). Tue writer of code is the poet of the information age. Again we have to make an attempt at being both technically precise and philosophically daring. A simple analogy, in the sense of, okay the mathematics and logic buffs also have a creative streak in them, will not do. The de: finition provocation to some parties on both steies of the two cultures divide will have tobe motivated and elaborated. Jakobsonian (Jakobson and Pomorska 1983) models ofthe poetic function of language are instructive in making the proposal both explicit and plausible. In everyday referential use of language, speakers create text-world-correlates coupling signifier and signified in representational configurations. Tue intellectual history of critiques of the representational paradigm has made it abundantly clear that unabashedly realistic versions of semantics are fraught with difficulties and contradictions, it is true, but this will not have any direct import for the discussion at hand. We will contrast the text-world-correlates with contexts where language clearly does not and is not meant to refer to anything outside, recursively tuming on itself as it were. Most if not all cultures have produced serniotic practices of this type, including play, poetry, and art. Tue focus will be on the poetic function of language, in its narrow sense comprising verbal systems of expression. In poetry Virtual quills 215 words specifically refer to other words, a situation quintessentially captured by Hamlet' s (Act II, Scene 2) answer to what he is reading: words, words, words. Experimentalist and avantgarde traditions in literature have made us aware of the inherently self-referential nature of creative writing, poetic agendas being based not on ideas, spirit, or emotions, but most radically on words (Rasula 1999). lt is against this background that the poetic function of literate programming becomes clear. The literate programme is not primarily a set of rules to be executed by a machine, nor a text to be read and interpreted by humans, but a poetic and artistic construct whose elements and components recursively and self-referentially keep processes of signification in motion. Wallace Stevens' s (1957) Anecdote of a jar (placed in Tennessee) as the closest equivalent in traditional literature of a literate programme? Possibly. The second aspect of current practices of code writing that is of immediate relevance to the project of digital literature is the collective and distributed communities sharing in the creative process. Gutenbergian literature has played a pivotal role in implementing regimes of individuality, the solitary reader serving as the role model of the autonomous subject. Attempts to overcome the power structures inherent in enforced individuality through collaborative writing environments have so far not proved to be unqualified successes. Meaning fundamentally being implicated with power struggles, this may hardly come as a surprise. Even the more anarchic and anti-authoritarian communities of writers tend to find it difficult to keep the dialectics of individual impulse and communal focus in balance. In the electronic domain, we do, however, find groups, initiatives and subcultures successfully integrating antagonistic tendencies. Members of the Free Software Foundation or the Linux development community have relied on ethos, self-organisation, and the technical opportunities afforded by electronic media to create environments of unlimited personal creativity and clear focus on the common project. GNU (Stallman 1986) as the epos ofthe information age? Yes, but. 5. After the end of literature The aesthetic polemics here advanced locates the discursive site for. the articulation of a programme for digital writing at the end of literature. Announcements variously of the death of the author, the end of the book, or the dawning of post-Gutenbergian galaxies do not shock habitues of literary and critical salons over the last few decades: a sense of an ending has proved to be the most reliable beginning for most discussions. Literature may be defined dead, but then it would find itself in first-class company, necrophilia having recruited God, the Nation, the Proletariat, and most ofthe other Actors in the grand narratives. The specific difference of my polemical proposals is to be found in their lack of metaphysical infrastructure: ideas, ·theorems, or world views are cheap to come by in debates about electronic writing, while theories with a focus on the materiality of the word in its age of electronic textuality are a clear minority interest. The idea of digital literature will be all the richer for daring to think the unthinkable: literature is in the programmes now. Would this mean that language and literature scholars will have to immerse themselves in the interpretation and exegesis ofprogrammes? Polemically and logically, the answer has to be yes. Would this mean that the poet in the information will have to write code instead of text? Recursively, back to square one. Poetically, she has been writing code all along. 216 Joseph Wallmannsberger References Arditi, Benjamin & Jeremy Valentine 2000: Polemicization, Edinburgh: Edinburgh University Press. Bachelard, Gaston 1971: Epistemologie, Paris: Presses universitaires de.France. Brand, Steward 1987: The media lab, New York: Viking. Bredin, Hugh & Liberato Santoro-Brienza 2000: Philosophies of art and beauty, Edinburgh: Edinburgh University Press. Bukatman, Scott 1997: Blade Runner, London: British Film Institute. Butler, Christopher 1998: Interpretation, deconstruction and ideology, Oxford: Clarendon Press. Castells, Manuel 2000: The infonnation age. Volumes 1-3, Oxford: Blackwell. 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Vollis Ansatz versteht sich weder historisch noch philologisch, es geht ihm explizit nicht darum, ein starres theoretisches Lehrgebäude zu vermitteln; vielmehr möchte er allen Interessierten ein Instrumentarium zur Analyse von Texten zur Verfügung stellen ob es sich dabei nun um literarische Werke, Bilder, audiovisuelle Produktionen, Kunstobjekte, Alltagsgegenstände, Werbung, Politik, zwischenmenschliche Beziehungen oder Massenmedien handelt. Die besondere Leistung Vollis besteht darin, die verschiedenen Verfahren der einzelnen semiotischen Richtungen in einer komplexen aber einheitlichen Analysemethode zu bündeln, die es jenseits aller Unterschiede und Polemiken erlaubt, auch vereinzelte essayistische Beiträge in effiziente Werkzeuge zur Textanalyse zu überführen. Iwar Weden Sprachliche Relativität Eine problemorientierte Einführung UTB 2319 S, 2002, X, 339 Seiten, € 19, 90/ SFr 33,50 UTB-ISBN 3-8252-2319-1 Die Sprachen der Welt sind verschieden. Wie aber wirkt sich diese Verschiedenheit aus? Denken Sprecher des Chinesischen gleich wie Sprecher des Deutschen? Oder prägen die verschiedenen Sprachen auch verschiedene Arten des Denkens? Nach dem Prinzip der sprachlichen Relativität ist diese letzte Frage zu bejahen, mit der sich nach einer längeren Zeit der skeptischen Distanz empirische Linguisten wieder zu befassen begonnen haben. Sie gelangen zu neuen Sichtweisen des Prinzips der Relativität und stellen gängige universalistische Positionen in Frage. Wie es zu diesen neuen Sichtweisen kam, wie das Prinzip der sprachlichen Relativität in der amerikanischen Linguistik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts formuliert wurde und welches seine Wurzeln in der idealistischen Philosophie des 18. Jahrhunderts sind das ist der Gegenstand des Buches. Es stellt damit zugleich einen wesentlichen Teil der Sprachwissenschaftsgeschichte seit Wilhelm von Humboldt dar. A. Francke Frieder Rusmann: KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen Fabrikverkauf [www.fabrik-ver-kauf.de] Johannes Auer In my opinion the product-cycle, the hype, of e-commerce as cause or material of a net-artproject has come to an end; as a theme for a new product it has wom itself out and cannot be reflected on any more. This was different one year ago when the New Economy was still booming, when enormous toy-wars had razed enormous dot-com companies. So let me take you back to the golden age of autumn 1999, when [Fabrikverkauf] was bom and when "startup" was still a magic word, when e-commerce was the wand. Die Vorbemerkung [kommerziell] E-commerce als Anlass oder Material eines Netzkunstprojektes hat seinen Produktzyklus, seinen Hype meines Erachtens hinter sich, ist als Thema für ein neues Projekt verbraucht und ausreflektiert. Anders als vor drei Jahren, als die New Economy noch im vollen Glaubenssafte stand, als noch keine großen Spielzeugkriege riesige dot-com Konzerne geschleift hatten. Lassen Sie sich also von mir mitnehmen ins goldene Zeitalter des Herbsts 1999, der Geburtsstunde von [Fabrikverkauf], als Startup noch ein Zauberwort undE-Commerce der Zauberstab war. [Fabrikverkauf] (www.fabrik-ver-kauf.de) nimmt die Affirmation von 'community' und 'e-commerce' zum Anlass einer vom Nutzer selbst zu gestaltenden Kunstperformance, der [walking exhibition]. Dazu muss der Kunde via Internet im E-Shop von [Fabrikverkauf] ein T-Shirt bestellen, das mit von mir entworfenen Kunstmotiven bedruckt ist. Mit Lieferung des T-Shirts erhält der Käufer gleichzeitig ein Passwort, mit dem er sich auf der Web-Site von [Fabrikverkauf] einloggen kann, um dort öffentlich zu machen, wann und wo er das T-Shirt, tragen wird, wo die von ihm am Leib getragene Kunst, die Ausstellung, die er damit durchführt, also sein Termin der [walking exhibition] zu besichtigen ist. Die [walking exhibition] umfasst bisher über 120 Ausstellungstermine weltweit. Die Familienbande [historisch] Wer ist für dieses Projekt mitverantwortlich, welche Familienbande sichern es historisch ab? Taufpate ist natürlich Andy Warhol. Verkauf von seriell gefertigten populären Fertigprodukten wird auf immer mit seinem Namen verbunden sein. Ich zitiere Beat Wyss aus seinem passend genannten Buch Die Welt als T-Shirt: ''Täglich ereignet sich die Epiphanie von Andys Geist in allen Supermärkten (bitte E-Shops gedanklich ergänzen, J.A.) der Welt: Die mystische Einheit von Ware, Werbung und Kunstform 220 Johannes Auer in Realpräsenz! Die Prophetie der Avantgarde hat sich erfüllt: Kunst ist lebend geworden und wohnt jetzt mitten unter uns." (Wyss 1997: 117) Und so ist [Fabrikverkauf] ein namentlicher Kniefall, na sagen wir Knicks vor Andys Factory. Knicks, weil wir in Andys Familiengeschichte natürlich sofort auf seinen Großonkel treffen, von Beat Wyss, wie eben zitiert, die "Prophetie der Avantgarde" genannt. - Prophet Marcel für Beat - Großonkel Duchamp für Andy prophetischer großer Patenonkel Marcel Duchamp für [Fabrikverkauf]. Danke, Onkel, fürs ready-made! Auch wenn's die Aura verloren hat. Recht hat Großpate Benjamin: wenn's technisch reproduziert wird, geht beim Kunstwerk die Aura flöten auch bei einem T-Shirt. Und das ist schlecht fürs Geschäft. Wer will sich schon ein auraloses Mehrfachkunststück ins Haus holen und dafür auch noch bezahlen? Sorry Walter, da müssen wir ein wenig trixen und an die Aura des T-Shirt Trägers ran. · Und da bist du selbst Schuld: Hast du, Walter, nicht gesagt, dass ich zitiere dich wörtlich - ''jeder heutige Mensch einen Anspruch vorbringen (kann), gefilmt zu werden" (Benjamin 1991: 493), mit anderen Worten das Recht hat, für 15 Minuten ein Star zu sein, wie es Andy griffiger formulierte? Also: Wird nicht durch das Tragen des T-Shirts die Aura des reproduzierten Kunstwerks wiederbelebt, indem sie quasi parasitär an der Infusion der temporären Star-Einzigartigkeit des Trägers hängt, an die dieser natürlich fest glaubt? Der T-Shirt-Träger, das ist der Trick, macht ja erst die Kunst, wenn er die [art wear], also das T-Shirt, in der [walking exhibition] zur Schau stellt. Und so ein getragenes T-Shirt, das liegt ja direkt auf der Haut, streichelt und massiert sie sanft mit jeder Bewegung, gerade so wie das Stiefonkel Marshall McLuhan gesagt hat: "the medium is the massage". Wir wissen vori dieser genealogischen Beziehung Dank eines Hinweises von Reinhard Döhl. Zum familiären Abschluss noch im Vorbeiflug ein Blitzbesuch bei Lieblingsonkel Beuys. Der macht es uns leicht: seine anglisierte Namensanmutung (buys) bindet ihn eh dicht ans Projekt. Außerdem hat er uns die soziale Plastik geschenkt. Und da wollen wir uns ganz artig mit der [walking exhibition] bedanken. Obwohl die Geschichte nun schon fast geklärt ist und beinahe alles erklärt hat, hat sie uns auch ein gesichertes Fundament gegossen, und auf diesem wollen wir nun den Direktkontakt mit [Fabrikverkauf] wagen. [Fabrikverkauf] ist ein hybrides Projekt: Es findet als E-Shop und Community-Plattform im Internet statt und hat eine starke real life-Komponente in der [walking exhibition]. Diese ist sozusagen der traditionelle Ausstellungsarm des Projektes. Und Ausstellungen werden herkömmlich mit Einladungskarten beworben und mit Reden eröffnet. Folglich wurde auch für [Fabrikverkauf] ein Einladungskärtchen entworfen, gedruckt und verschickt. Passend zu einem e-commerce-Vorhaben in Form eines Dollars und natürlich dem Projekt entsprechend überarbeitet. Die Rede zur Ausstellungseröffnung besorgte Reinhard Döhl, ohne zu reden, denn sein Text wurde, wie auf der Einladungskarte angekündigt, taggerecht, am 21.11.99 im Internet veröffentlicht. Seither läuft der Verkauf, und die [walking exhibition] zeigt kontinuierlichihre Exponate. FriederRusmann: Fabrikverkauf [www.fabrik-ver-kaufde] 221 Noch eine kleine Anmerkung zum Schluss: Wie einleitend erwähnt, halte ich e-commerce als Netzkunst-Material für ausgereizt. Andererseits ist [Fabrikverkauf] auch als e-commerce- Projekt erfolgreich und schreibt unverhofft schwarze Zahlen. Wird nun die Netzkunst zum reizvollen Anschauungsmaterial für Erfolgschancen im e-commerce? Die Links [sprunghaft] [Fabrikverkauf], http: / / www.fabrik-ver-kauf.de Reinhard Döhl: Rede zur Ausstellungseröffnung der [walking exhibition], http: / / www.fabrik-ver-kauf.de/ doehl.htm (18.6.2002) Ulrike Knöfel: Karaoke fürs Auge, DER SPIEGEL, U2000: 176, http: / / www.spiegel.de/ spiegel/ 0,1518,66180,00.html (18.6.2002) Websites http: / / www.das-deutsche-handwerk.de/ rusrnann/ (18.6.2002) http: / / www.s.netic.de/ auer/ (18.6.2002) Literatur Benjamin, Walter 1991: "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit", in: ders., Gesammelte Schriften 112, Frankfurt a.M.: Suhrkamp: 431-508. Wyss, Beat 1997: Die Welt als T-Shirt, Köln: DuMont. Jörg Roche Interkulturelle Sprachdidaktik Eine Einführung narr studienbücher Jörg Roche Interkulturelle Sprachdidalctilc Eine Einführung narr studienbücher, 2001, VI, 248 Seiten, div. Abb. u. Tab.,€ 19,90/ SFr 33,50 ISBN 3-8233-4984-8 Die Einführung skizziert verschiedene Facetten der Beziehung zwischen Sprache und Kultur beim Spracherwerb und Sprachunterricht. Jörg Roche erörtert zunächst die theoretischen Grundlagen eines interkulturellen Ansatzes zum Spracherwerb aus linguistischer, psycholinguistischer, hermeneutischer und didaktischer Perspektive. Auf dieser Basis entwickelt er eine interkulturelle Didaktik, die er dann im Rahmen einer entsprechenden Methodik umsetzt und mit konkreten Vorschlägen für die Unterrichtspraxis anreichert (Texte, graphische Darstellungen, Übungs- und Aufgabentypen, Checklisten und Unterrichtssequenzen). Darüber hinaus werden einschlägige Lehrwerke sowie die Einsatzmöglichkeiten und Probleme der neuen Lerntechnologien beim Fremdsprachenlernen dargestellt und diskutiert. Glossar, Register und eine umfangreiche Bibliographie schließen diesen Band ab, der Theorie und Praxis der interkulturellen Sprachdidaktik auf innovative Art kombiniert. Gunter Narr Verlag Tübingen Postfach 2567 · D-72015 Tübingen· Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de • E-Mail: info@narr.de KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen Suchen und Verweisen: Digitale Autor-/ Leserschaften oder: Von den praktischen und theoretischen Schwierigkeiten, ohne Autornamen 1 zu schreiben (und zu lesen) hei+Co@hyperdis.de http: / / www.hyperdis.de "Man wird vielleicht einmal in Massen schreiben, denken und handeln" (www. verweis4) automatic access addressability after again allocations alone approximately archiving associative author authorless becomes beginning between blogging book both boxes but carriers center certain changes classical coding commentary complete computer-based conditions constellations contents context copyright culture data design different digital digitalization discourse document dynamic edges electronic emphatically end engineering even exchange explanations fictions finally form format functions fundamental glossary holds hybridizing hypertextual if imaginations immersive in infinite inputs inside interface intuitive investigations keywords linkage lists manuscripts material medieval medium meeting meta most move networking new nonlinear note one only Opens operations or out over parody participating passages permanently perspectives possibilities practice procedures process production projects publications quotation reader reading recipient recorder reference relies remarks reproduction request reception saine sender sense side similar situated storage surface system systems tables techniques text theory transfer transitions understands unique user various way write writing 2 Text als Schnittstelle Jeder Text ist Bestandteil verschiedener textproduktiver und -rezeptiver Prozesse: Sprachspiele, Auf- und Entladungen, Referenzen, die sich aufbauen, abbrechen, vertiefen und vernetzen ... Differenzen und Wiederholungen von Lese- und Schreibakten. "Die Netzkritik sollte Websites machen, statt zu kritisieren. Oder aber Netzkritik wie Websites machen. Ihre Staerke, als sie Netzkritik machten, bestand darin, dass es keine Kritik war. Sie sprachen als Programmierer ueber die Websites anderer Programmierer" 3 ••• sagt Anonymus alias Rolux in seinem Text Einfü.hrung in eine wahre Geschichte des Internet, in dem er den klassischen Text Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos von Anonymus aus dem Jahre 1980 'umschreibt' größtenteils mit der Funktion 'suchen und ersetzen'. Ein paar Worte und Satzteile werden ausgetauscht - und somit wird der subversive Subtext vom Kontext 'Kino' auf den Kontext 'Internet' verschoben. Diese Technik und Schreibweise ist dem Medium und dem Thema gleichermaßen angemessen: Eine wahre Geschichte des Kinos bzw. des Internets kann man nicht schreiben. Das Kino bzw. Internet besteht aus bewegten Bildern, Tönen, aus Texten, die hin- und hergeschickt werden, die vervielfältigt, verändert, umkodiert, übersetzt, umgedreht ... werden. (www.verweis5) 224 hei+Co@hyperdis.de Solche simplen Maskierungen und Verkleidungen, solche Sprachspiele und generativen Texttransformationen lassen den eigentlichen Ort textschöpferischer Produktivität leer-eben jene berühmte und berüchtigte 'Leerstelle des Textes', die in wechselseitigen Text- Rezeptions- und -Produktions-Prozessen immer wieder neu besetzt wird. Auch schon in frühen Reflexionen zu Textualität und Autorschaft klafft diese Lücke, diese Leerstelle, der slash zwischen Signifikat und Signifikant, den die Modeme/ Postmoderne dann so wild und emphatisch bearbeitet hat der Zwischenraum zwischen den Texten. Wie wird die Autorenschaft in kollaborativen Schreibprojekten kulturell kodiert? Wie repräsentieren sich kollektive Äußerungsgefüge und welche Optionen finden sich in den Interfaces, in der Software4, in den Netzprotokollen? Mit Fernbedienung, Internetanschluss, Digitalkamera, Scanner, Texterkennungs- und Textverarbeitungssoftware ausgestattet, ist heutzutage prinzipielljeder User/ Empfänger/ Leser in der Lage, in diesem Raum zwischen den Texten zu operieren: abweichende Dekodierungen, Bedeutungs-Umdrehungen und Neu-Zusammenschnitte an jedwedem Material vorzunehmen sei es aus Spaß, aus Verdruss, aus Langeweile, als Bastelei, als ein künstlerischer oder politischer Akt oder eine Intervention im Sinne einer 'semiologischen Guerilla': "mp3 isfree -why not txt? " (www.verweis6) " ... den fixierten Sinn der Sätze zerschneiden ... gedankenlose Touristen des Wortes einer Vibrations-Massage unterziehen ... das Medium ist Massage ... das Wort fällt ... und mit ihm das BILD dessen, was es bezeichnet, Durchbruch im grauen Raum ... " (www.verweis8) Schreib/ Lese-Interfaces: Oberflächen des Denkens Beginnen wir mit der Dekonstruktion des Autorenbegriffes, bzw. besser gesagt, fahren wir fort mit dieser Bewegung, die seit 1968 verstärkt angefangen hat, auf den verschiedensten Ebenen kultureller Systeme zu wirken ... (www. verweis8) Eine Vernetzung und Digitalisierung von Dokumenten verändert sowohl das Format der Dokumente, das Interface des Zugriffs, die Medialität der Übertragung, Speicherung und Archivierung als auch die grundlegenden Bedingungen von Autorschaft, die sich ja auch im Sinne des Copyrights auf materielle Träger, eindeutige Reproduktionsverfahren und eindeutige Adressierbarkeit stützt. Wie vollziehen sich ganz konkret 'digitale Autorschaften', über welche Authentifizierungsverfahren werden' digitale Signaturen' und Einschreibungen von Automamen realisiert, wie sind die Interfaces für die Produktion von Autorschaften, welche Eingabefelder, Oberflächen, Datenbankfelder ... etc. stehen zur Verfügung? Wie unterschiedlich sich die Konstruktion von Autorschaft in verschiedenen Medien abspielt, soll zunächst an verschiedenen Beispielen untersucht werden, um im Anschluss daran einige diskurstheoretische Konsequenzen zu diskutieren: Copyright-Hinweis zu Writing Space Die diskurspolitischen Auseinandersetzungen zu den Themen Copyright/ Nutzungsrechte/ Softwarelizenzen finden einen ganz praktischen und deutlichen Niederschlag in den Copyright-Hinweisen und Disclaimem der entsprechende Produkte etwa in der elektro- Suchen und Verweisen 225 nischen Version von Anonymus Writing Space, einem der frühen Schlüsseltexte hypertextueller Diskurstheorie: Hier finden sich Eiweiterungen zum Text der Buchfassung als Hypertext5; ausdrücklich wird dem User das Manipulieren und die elektronische Weiterverarbeitung dieser digitalen Text-Kommentare gestattet. Der Leser wird sogar gebeten, diese Änderungen an den Autor per Post zurückzuschicken, der verspricht, dieses Feedback in späteren Versionen des Hypertextes zu berücksichtigen. Diese Praxis wird dann vom Autor emphatisch als eine neue Form des elektronischen Schreibens gefeiert, die an die Randbemerkungen mittelalterlicher Manuskripte anknüpfe und dem Leser endlich die Möglichkeit eröffne, am "Ende des Buches" und der Buchkultur noch einmal neu anzufangen und selbst am unendlichen Prozess des Lesens und Schreibens teilzunehmen eine Aufforderung an die Leser, sich von den Rändern des Buches ins Zentrum zu bewegen ... (www.verweis9) Diese freie Kopier- und Veiwendbarkeit gilt allerdings nur für das digitale Medium jeglicher Ausdruck auf Papier wird ausdrücklich untersagt. Hier scheint also, trotz aller emphatischer Zuschreibungenin Writing Space 6 , das digitale Medium als diskursives Medium (noch) nicht ganz ernst genommen zu werden: Die digitalen Dokumente erscheinen mehr oder minder als eine Art 'private Angelegenheit' mit dem Status einer 'Print-Vorstufe'. Selbst Texten im Netz wird oft ein solcher Charakter des 'Pre-Publishing' unterstellt: Unkorrigierte Versionen eine Weitergabe, Veröffentlichung sowie ein Zitieren seien untersagt, im Zweifelsfall gelte die gedruckte Version (www.verweis10). 1 Lesen und Schreiben in kollaborativen Schreibprojekten Das kollaborative Mitschreibeprojekt Assoziationsblaster 8 nivelliert durch sein einfaches ganz auf eine Animation zum Weiterschreiben aufbauendes - Interface den Unterschied zwischen Lese- und Schreib-Oberfläche: Die Website ist vor hellblauem Hintergrund einerseits horizontal in ein dunkelblaues Ausgabe-Feld, in dem in gelber Schrift der Text zu einem Stichwort angezeigt wird, und andererseits in ein blau umrandetes Eingabe-Feld geteilt, in das die Leserin selbst eine Assoziation zu dem betreffenden Stichwort 'entladen' soll. Das mit der Bezeichnung "Dein Name" versehene Feld für den Autorennamen erfüllt nur eine beiläufige diskursive Funktion: dieser frei wählbare Name des Schreibenden wird zusammen mit Datum und Uhrzeit lediglich über dem jeweils fett hervorgehoben Stichwort in kleiner Schrift angezeigt. Als Verknüpfungs- und Referenzkritierium fungieren lediglich die Stichworte9, die nach der Eingabe eines Textes auf der darautbin neu erstellten Seite durch eine Fülle von automatisch generierten Links sofort ins Auge springen, den Vernetzungsgrad des eben geschriebenen Textausschnittes anzeigen und die multiplen Zusammenhänge der Stichwort-Assoziationen untereinander organisieren. In dem Tree-Fiction Inteiface des Gvoon-Servers 10 erfüllt der Automarne dagegen wichtige diskursive und kommunikative Funktionen: Es ist eine Perspektive auf den Text- Baum nach Autorennamen spezifiziert möglich 11 , und durch eine optionale Eingabe einer email-Adresse sind die Autorinnen auch direkt adressierbar. (www. verweis] 1) nie-las (www.nic-las.com) stellt im Netz eine frei konfigurierbare Informationslandschaft zur Verfügung, die sich neben vielen Kommunikations- und Recherche-Tools als ein persönlicher Zettelkasten zur Organisation und Verknüpfung von Materialien eignet, und auch hervorragend auf die Bedürfnisse kollaborativer Arbeitszusammenhänge, Forschergruppen und Wissens-Communities zugeschnitten ist. Die Benutzermetapher und das Interface zum Arbeiten sind nicht rein desktop- oder editor-orientiert 12, sondern beruhen als Grund- 226 hei+Co@hyperdis.de operation auf allen Arbeitsebenen auf der ebenso einfachen wie in höchstem Maße adaptiven grundlegendsten systemtheoretischen Operation: eine 'Unterscheidung' anzulegen. Verschiedene Autorinnen schreiben nicht nur zeitversetzt an demselben Dokument, tauschen nicht nur ihre Zettelkästen 13 , Zitatdatenbanken oder Referenzen aus oder annotieren, kommentieren und ergänzen feststehende Texteinheiten, sondern entwerfen verschiedene Perspektiven, konstruieren Ein-, Aus- und Übergänge zwischen allen möglichen Arten ,von Dokumenten (Texten, Bildern, Sounds, Websites, emails, Links ... ) und re- und dekontextualisieren ihre Eingaben dabei permanent: Der Text wird zu einer 'Oberfläche', zu einer 'Schnittstelle' für die Begegnung von Leser und Schreiber, Anbieter und Nutzer, Sender und Empfänger. Von den Optionen dieser Differenzierungsmöglichkeiten ist eine Indexierung nach Personenbzw. Autornamen nur eine unter einer Fülle von Selektionsmöglichkeiten, kooperative und webbasierte Operationen stehen im Vordergrund des nie-las-Interfaces: "im gegensatz zu anderen kollaborativen netzliteratur-projekten, und anders als in vielen kollaborativen schreibumgebungen, ist in nie-las das heraufladen," löschen, verändern und manipulieren von eigenen und fremden daten in form von text, bild, film etc. möglich. nie-las thematisiert das manipulieren, speichern und löschen ganz explizit, indem gelöschte daten aus einem unterbewussten auf einmal wieder auftauchen und die jüngst gelöschten objekte in den news sichtbar werden können. man darf sich auch als reaktionen auf diese (anregenden) verunsicherungen eingeladen fühlen, weitere differenzen [new dift1 und objekte [new object] einzubringen. [...]basierend auf der systemtheorie von Anonymus liegen die basisoperationen in vielfältigen nicht-linearen verknüpfungsmöglichkeiten von textstellen und zitaten (automatische verknüpfungen nach keywords ebenso wie ein differenziertes meta-auszeichnungssystem etwa für personen- und sachregister oder zuordnungen und zugriffsrechte für verschiedene autorinnen) und in dynamischen diskursiven und kommunikativen operationen (wie intuitive und assoziative annotationen und kommentierungen). gerade diese verbindung von hierarchischen und rhizomatisch-unkontrollierten organisationsoptionen ermöglicht eine intertextuelle praxis des schreibens mit konstruktiven verunsicherungseffekten zwischen lesen und schreiben." 14 Wenn man hypertextuelle Diskursformen nicht allein in computerbasierten digitalen Texten sucht, sondern als eine medienübergreifende Kulturtechnik begreift, die in den verschiedensten Medienkonstellationen Operationen des Schreibens und Lesen bereithält, dann können Analysen von analogen Aufschreibesystemen und Diskurstechniken Aufschlüsse geben über die anstehenden Hybridisierungen zwischen Form und Inhalt, zwischen Text und Kontext, zwischen Produktion und Rezeption, zwischen Autorfiktionen und Leserimaginationen in digitalen Diskursen. Lektüre-Arbeit als Pfad durch die Texte: ergodic literature? Ein nicht anonymer Philosoph fordert schon seit geraumer Zeit, dass die Zusammengehörigkeit der Geschichte des Weges und der Geschichte der Schrift genetisch und strukturell untersucht werden müsse ... (www. venveisl3) Im amerikanischen HyperTextTheorien ist neben Hypertext, Intertext, Hyperfiction, Cybertext ... und anderen Begriffsneuschöpfungen als weitreichender Begriff für medienübergreifende dynamische Text-Konzepte (vom I-Ging, konkreter Poesie, Computerspielen, Textadventures, Textmaschinen ... bis hin zu kollaborativen Internet-Projekten, Muds ... ) der Begriff der 'ergodic literature' 15 ins Spiel gebracht worden: Suchen und Verweisen 227 "A reader, however strongly engaged in the unfolding of a narrative, is powerless. Like a spectator at a soccer game, he may speculate, conjecture, extrapolate, even shout abuse, but he is not a player [...] he is not free to move the tracks in a different direction. He cannot have the player' s pleasure of influence: [...] The reader' s pleasure is the pleasure of the voyeur. Safe, but impotent. The cybertext reader, on the other hand, is not safe, and therefore, it can be argued, she is not a reader. The cybertext puts its would-be reader at risk: the risk ofrejection. The effort and energy demanded by the cybertext ofits reader raise the stakes of interpretation to those of intervention [...]." 16 Solche Interventionen in, über, durch und mittels Texten hat es sowohl in experimentellen künstlerisch-literarischen Schreibweisen als auch in diskursiven Theorie-Experimenten quer durch die Literatur- und Kulturgeschichte immer wieder gegeben: Commonplace-Books, sympoetische Konversationsformen, Sprach- und Konversationsspiele, Poesie- und Philosophiemaschinen, Crossreadings, Montage- und Collagetechniken, automatische Schreibweisen, Wissensbäume, Kommentar- und Annotations-Techniken, Zettelkästen ... Ein Beispiel, das viele der hier angeführten Praktiken veranschaulicht, hat Anonymus 1974 mit Glas vorgelegt: Ein 'ergodischer', offener, unlesbarer-aber schreibbarer Text, der an Collagetechniken, an typographische Experimente der visuellen Poesie ebenso anschließt wie an komplexe intertextuelle Kommentar- und Dialog-Techniken: Ein Experimentieren mit neuen hybriden wissenschaftlichen Schreibweisen, eine Theorie-Fiktion, ein Essay in 'postcriticism', dessen fluider Stil und abrupte Montage von Sprachbrocken aktive und umfassende, ästhetische Lektüre-Operationen verlangt, zuweilen auch ein lautes Vorlesen, weil mit Klangassoziationen gespielt wird: Der Akt des Lesens und Interpretierens vollzieht sich weniger als eine lineare Lektüre, sondern vielmehr wie das Aufführen eines Musikstücks: Die Lesebewegungen schweifen nach der Art eines 'philosophischen Crossreadings' über das in Doppel-Spalten gesetzte und mit vielen Brüchen und Einfügungen durchsetzte Schrift-Bild ... (www.verweisl4) 17 Hier werden praktische Konsequenzen aus einer radikalen Diskurskritik 18 gezogen das klassische Modell des Buches und der wissenschaftlichen Schreibweise wird dekonstruiert. Mittels typographisch-struktureller Textoperationen wird eine Vernetzung einzelner Lexien (www. verweis15) inszeniert: Zwei parallel laufende Diskurse (zwischen einem Philosophen und einem Schriftsteller) entfalten sich in dem zweispaltigen Text-Umbruch, der ständig durch weitere Einfügungen, Umleitungen, Einschübe etc. unterbrochen wird. Der Leser wird zu permanenten Abschweifungen angeregt, wodurch hierarchische Text-Repräsentationen und logozentrische Text-Beziehungen vermieden werden das Randständige, die Übergänge zwischen den Texten sollen vom Leser entdeckt werden: ''Doppelte Absichten [...]erfordern[...] einen doppelten Diskurs, eine doppelte Schrift, machen es erforderlich, zwei Texte zugleich zu schreiben; sie erfordern außerdem einen doppelten, tiefdringenden, stereoskopischen Blick: eine Lektüre, bei der man schielt [...]; jede Abgrenzung, Einschneidung, Vorherrschaft, Hierarchie wird dadurch verhindert, dass man die Linien, die einen Text vom anderen trennen, annulliert und durcheinanderbringt. [...] Zwischen all diesen Texten besteht nicht die Beziehung Modell-Kopie, sondern es bestehen Beziehungen der Zitation, des Plagiats, der Vernarrtheit, des Transfers, der Neuauflage[...]. Jeder Text ist, Glas zufolge, eine Maschine mit zahlreichen Leseköpfen für andere Texte, die auf diese Weise miteinander in Verbindung stehen, sich überwachen, einander antworten [...]." 19 228 hei+Co@hyperdis.de Lese- und Schreibprozesse: digitale Schreib- Lesbarkeit Einige Philosophen, Diskursanalytiker, Schriftsteller u.a. haben inzwischen wohl die Möglichkeiten hypertextueller Diskurse entdeckt und simulieren allenthalben in ihren Texten eben eine solche neue Schreibweise. (www. verweis17) Und die Leser fühlen sich beim Lesen dieser Texte genauso, als seien sie gerade online, im Netz, nur irgendwie im falschen Medium dieses 'schwimmende Gefühl' in den Texten wird flankiert und unterstützt von (Hyper-) Klagen seitens der Schreibenden, die nicht selten im Text monieren, sie bewegten sich hier auf der Druckseite leider im falschen Medium, eigentlich solle sich die Leserin einen Computer vorstellen, auf dem sie durch den Text surfe usw .... 20 Sind 'digitale Autoren' also nur modifizierte 'analoge Autoren', die endlich das tun, was sich die Avantgarde der Künstler, Literaten, Wissenschaftler schon immer erträumt haben: Netzwerke 21 aufzubauen, lnteraktionsweisen mit Zuschauern, Lesern, Rezipienten zu eröffnen, Transformationsprozesse in Gang zu setzen und zu unterstützen eben im weitesten Sinne Verknüpfungen herzustellen? 22 In diesem Sinne würden digitale Diskurse zum Modellfall für kulturwissenschaftliches Arbeiten schlechthin (www.verweisl8)-die Frage nach dem Verhältnis von Schreiben und Lesen allerdings bleibt weiterhin ein wunder Punkt: Blieben im gesamten diskursiven System die Machtverhältnisse und die Zugriffsweisen auf die 'Produktionsmittel' 23 unangetastet, dann könnte ein 'digitaler Autor' die Macht über den Text, bis hin zur vollständigen adaptiven Kontrolle des Leseaktes 24 noch vergrößern und eine kritische Hypertextwissenschaft müsste nun dazu aufrufen, auch die Hypertexte zu dekonstruieren und sich zu fragen: ''Wer legt welche Links? Nach welchen Maßstäben wird entschieden, welche Verknüpfungen wichtig sind, welche Einheiten miteinander verbunden werden? Wie kann festgelegt werden, was zu verstehen ist? Welche Wünsche impliziert die Anmaßung, über den gesamten Kontext verfügen zu können? Wer kontrolliert die Adressverwaltung der Hypertexte? Wie lässt sich lesen, was der Computer lesen kann? " (WWW. verweis] Bb) Ist denn jetzt der Autor im Zentrum des digitalen Textes, die Spinne im Netzwerk der Links und texuellen Verknüpfungen - oder ist er marginal geworden, zu einem Transformator intertextueller Verweise und Bedeutungsfelder - und werden statt dessen die digitalen Leseakte die entscheidenden sinnproduzierenden Praktiken? Rein technisch jedenfalls wird der Moment des Abschlusses eines Textes im digitalen Raum, von dem man sagen könnte, dass dort die Texte im Gegensatz zu jedem anderen Wissenssystem überall und gleichzeitig sind, unendlich hinausgezögert und verschoben: Die sprachlichen Einheiten sind keineswegs angehalten und-wie auf dieser Druckseite zum Monument erstarrt und fixiert, sondern mobil und permanent veränderbar: als ein fluides Netzwerk von Verweisen und Querverbindungen. (www.verweis19) · Das Verhältnis Schreiben/ Lesen bleibt zutiefst ambivalent: Der digitale Leser hält sich (fast) schon für einen Autor, während der digitale Autor nichts anderes als ein Leser2 5 zu sein scheint ein gegenseitiges Versteck- und Rollenspiel, wie wir es von der ganzen Debatte um die Postmoderne nur allzugut kennen auch die cultural studies pflegen zuweilen solche Formen der Unentschiedenheit und 'Hybridität': Der Alltag sei die Kunst, ·die Akte des Konsums seien die eigentlichen produktiven Momente ... (www.verweis20) Suchen und Verweisen 229 Immaterielle Arbeit: Netzwerke neuer Produktionsweisen Nirgends treten diese hybriden Widersprüche der postindustriellen Gesellschaft deutlicher zutage als in der sehr ambivalenten Figur des 'immateriellen Arbeiters': Ein Ensemble von Tätigkeitsmerkmalen, die in der Modeme dem Autor, dem Künstler oder dem Intellektuellen zugedacht waren, vollzieht sich jetzt über die 'Schnittstelle' des immateriellen Arbeiters, der von dem absurd anmutenden Verhältnis bestimmt wird, gleichzeitig Produzent und Konsument, Autor und Leser, Kapitalist und Arbeiter, Subjekt und Objekt zu sein. Dieses Ineinanderlallen und Überlagern der Produktionsprozesse (von Wissen, Gedanken, Bildern, Tönen, Sprache, Programmen und Organisationsweisen) und deren Kommunikation, Verbreitung, Verwertung und Konsumption schließt materielle und ästhetisch-wissenschaftliche Produktionsweisen kurz: Die klassischen Autmfunktionen werden industriell-organisierten Produktionsprozessen unterworlen, während die Rezipienten, Konsumenten und Adressaten durch produktive Rezeption zum aktiven Bestandteil des Verwertungsa und Reproduktionskreislaufes werden. Genau an dieser Schnittstelle, dieser kreativen Austauschbeziehung liegen die entscheidenden Möglichkeiten der neuen Produktionsverhältnisse: "Diese immaterielle Arbeit konstituiert sich unmittelbar kollektiv, ja man könnte sogar davon sprechen, dass sie nicht anders als in Form von Netzwerken und Strömen existiert." (www.verweis21) Genau auf der Basis solcher virtuellen, vernetzten Arbeits- und Lebenszusammenhänge vollziehen sich die neueren Operationsweisen digitaler Autor- und Leserschaft: Information, Kommunikation und Wissen fungieren als die grundlegenden Produktionsparameter, wobei die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Kooperationsformen und Gruppenprozesse selbst zu maßgeblichen Produktionsfaktoren werden. Prozesse des Lesens und Schreibens werden gleichermaßen zu Produktionsformen, die nicht mehr als gegensätzliche, funktional getrennte Kulturtechniken praktiziert werden, sondern vielmehr ein Ensemble bilden, eine Kooperation, ein Netzwerk.· Hier kündigt sich ein grundlegender Paradigmenwechsel des gesamten Wissenssystems an ein Prozess, in dem immer wieder ein wunder Punkt umkreist wird: Die Interaktionsprozesse, die im Kopf der Leserin bzw. auf dem Bildschirm des Users mittels der aufgenommenen Strukturen der Texte angeregt werden, und mittels derer erst die Sinnstrukturen rekonstruiert und zum Leben erweckt werden. Dieser Akt des Lesens hat Ereignischarakter ebenso wie der oberflächliche Schreibakt der 'Schreiber' im Netz: ein Prozess des sinnlichen Anschließens und Kurzschließens zwischen Text- und Leserkörper, während die Schreibenden auf vielerlei Art und Weise mit dieser Lust am (Hyper-)Text als Animationstechnik für die Leser spielen. "Solche Rekontextualisierung funktioniert nur im Medienverbund und bedeutet eine neue Art von Diskursverflechtung jenseits des Monographien produzierenden wissenschaftlichen Autors. Ende des achtzehnten Jahrhunderts, als die Aufklärer die Vermittlungsformen der Öffentlichkeit zu reflektieren begannen [...] keimten Zweifel an der Tragfähigkeit der als Effekt einer spezifischen Buchkultur durchschaubaren Autorenrolle auf. 'Journale sind eigentlich schon gemeinschaftliche Bücher' heißt es in einem Text des Anonymus von 1798, und weiter: 'Das Schreiben in Gesellschaft ist ein interessantes Symptom das noch eine große Ausbildung der Schriftstellrey ahnden läßt. Man wird vielleicht einmal in Masse schreiben, denken und handeln[ ...]'." (www. venveis22) Im Netz sind also die Wissensformen selbst systemisch ausgerichtet, sozialisiert, kollektiviert. Es geht gar nicht mehr darum, einzelne isolierte Wissens- und Texteinheiten eben 230 hei+Co@hyperdis.de Singularitäten zu produzieren oder zu rezipieren, sondern gerade die Zusammenhänge, die Anschlüsse, die Referenzen sind der entscheidende Produktionsfaktor: Also genau das, was zwischen den Texten, Wissenssystemen und Diskurseinheiten passiert: die lntertextualität (www.verweis23), d.h. das Weiter- und Umschreiben, das Wiederverwenden, De- und Rekontextualisieren und Transformieren von Texten auch das Remedialisieren. Autoren und Leser eine Kampffront: Anfänge offener Texte (open content) Wohin führt uns nun dieses Spiel mit der Namenlosigkeit, die Mediatisierung der Autor/ Leser-Debatte, die Übertragung solcher zunächst kulturtheoretischer Auseinandersetzungen auf hypertextuelle Kulturtechniken? Der epistemologische Bruch, der sich angesichts digitaler Interaktionsformen mit Texten, Bildern und Tönen in den kulturellen Wissenssystemen vollzieht, liegt weniger in diesen Interaktionsformen als solchen begründet derui Texte wurden und werden schon immer mittels derjeweiligen medialen Aufschreibsysteme traktiert, umgeschrieben, zerschnitten und wieder neu zusammengeklebt2 6 -, als vielmehr in den Ausformungen dieser Interaktionsformen. D.h. die Art und Weise, wie sich diese Interaktionen im Netzwerk digitaler Diskurse vollziehen, ihre freie Gestalt- und Verfügbarkeit, ist der springende Punkt. Die Unterscheidung zwischen Schreiben und Lesen, genauer gesagt zwischen den Akten des Schreibens und Lesens, ist in digitalen Umgebungen zunächst einmal medial verschoben: Wir können im Netz direkt auf jede Seite schreiben, ohne noch irgendwelche Werkzeuge wie Schere, Bleistift, Druckerpresse hinzuziehen zu müssen, weil eben genau diese Schreib-Werkzeuge als Tools und Programme, als Client Plug-Ins, Server-Programme in derselben Medienkonfiguration ausführbar sind, die auch schon für das Anzeigen der Seite verantwortlich sind. Der vom Dekonstruktivismus endlos durchkonjugierte Bruch, dass alle Texte aus anderen Texten zusammengeschnitten sind, dass in jedem Buch ein weiteres steckt, das heraus will, dass die Texte nicht bei den Lesern ankommen, sondern sich als aktive Rezeptionsprozesse genau um die Leerstellen der Texte, Bücher und Diskurse herum neu konstituieren, ist jetzt bei den digitalen Diskursen in den Code selbst eingeschrieben: Die Texte, Strukturen, Index-Systeme, Meta-Informationen, Verknüpfungsstrukturen zwischen den Texten ebenso wie ein Großteil der 'sozialen Software' 27 liegen als 'open source' im Netz bereit: und warten darauf, gelesen, kritisiert, weitergeschrieben, angewendet, übertragen . . . zu werden. Sicherlich wäre es verfehlt, diese Gebrauchsweisen von Texten als Interface für kulturelle, soziale und ökonomische Datenströme, Austauschprozesse und Kommunikationsweisen schon selbst für eine utopische Verwirklichung der Träume und Konzepte von offenen Kunstwerken, für eine 'Verwirklichung' ästhetischer Utopien zu halten aber sie stellen sicherlich Momente der Öffnung dar, durch die hindurch Textrevolutionen und Utopien der verschiedensten künstlerischen und sozialen Bewegungen neue Antriebe und Anwendungsfelder bekommen - und vor allem neue Modelle und Strukturen außerhalb rein ästhetischer oder literarischer Kontexte praktiziert werden können. Durch solche Synergieeffekte nehmen Prozesse, die vielleicht als Text-Kollaboration im Netz beginnen, wiederum Einfluss auf die 'Gestaltung' gesellschaftlicher Felder (virtuelle Arbeit, virtuelles Geld, virtuelle Wissenschaft, direkte Demokratie ... ). 28 ... denn die Texte im Netz sind niemals geschlossen, finden kein definitives Ende, keinen Schlusspunkt wie dieser Text ... 29 (www.verweis25) Suchen und Venveisen 231 Anmerkungen Dem Text gehen entsprechende Suchläufe in <Www.google.de> voraus. Können Texte ohne Unterstützung ihrer Autoren im Netz zirkulieren, so wie es schon als phonozentrische Fundamentalopposition gegen die Schrift antike Philosophen befürchteten? Um die diskursiven Auswirkungen solcher Prozeduren in diesem Drucktext zu simulieren, wird ein Vorschlag eines 'maskierten Philosophen' von 6.4.1980 aufgegriffen: "Warum ich Tonen nahegelegt habe, dass wir die Anonymität benutzen? Aus Sehnsucht nach der Zeit, in der da ich völlig unbekannt war das, was ich sagte, einige Chance hatte, Gehör zu finden. Die Berührungsquelle mit dem möglichen Leser war nicht vorgezeichnet. Die Wirkungen des Buches tauchten an unerwarteten Orten auf, und es zeichneten sich Formen ab, an die ich nicht gedacht hatte. Ich schlage ein Spiel vor: das des 'Jahres ohne Namen'. Ein Jahr lang würde man Bücher ohne Autorennamen veröffentlichen. Die Kritiker hätten mit einer rein anonymen Produktion klarzukommen. Aber vielleicht wie mir gerade einfällt hätten sie nichts zu sagen: alle Autoren würden das nächste Jahr abwarten, um ihre Bücher zu publizieren." (www.verweisl) Unter der Netzadresse <http: / / www.hyperdis.de/ autorschaften/ > findet das schöne Spiel dann sein Ende bzw. eine Fortsetzung auf einer anderen Ebene und es dürfen dort (im Netz a.a: O.) wieder fröhlich alle Namen genannt werden. Also doch eindeutige Adressierbarkeiten? Der Link als generalisierte Fußnote? Mehr noch: Dort findet auch die Leserin einen möglichen Ort, um ihre Kritiken, Kommentare, Randbemerkungen, Abschweifungen zu adressieren. Also doch: Die Geburt des Lesers aus dem Tod des Autors? Es klingt so, als hätte ich das alles schon einmal gehört. Von wem? Wer spricht? Wen kümmert' s wer spricht? (www. verweis2) So wie es schwierig ist, Sätze ohne Subjekt zu bilden, so fällt es auch schwer, ohne die Nennung von Autornamen theoretische Texte zu schreiben, die offensichtlich übervoll sind von Referenzen mit namentlicher Autorschaft. Ganz im Gegensatz zum Kodikas-Stylesheet und den gängigen Standards wissenschaftlicher Kodierungen wird bei Verweisen im Text ein anonymer Platzhalter benutzt, wie es ja auch an der bekannten Stelle Anonymus (1994: 221-223) (www. verweis3) vorgeschrieben ist. Dieses Verschweigen der Autornamen soll aber auch nicht überbewertet werden .... Bleibt also kein Rest? Ein Nullsummenspiel? Bleibt nichts in der Schwebe? Dann wäre das Lesen (und Schreiben) im Cyberspace ebenso unsinnig (oder sollte ich sagen 'sinnlos') geworden wie in Büchern, Zeitschriften, Tagebüchern, auf Wänden, im Sand, auf der Haut, im genetischen Code. Ich? 2 English translations of different texts by hei+co@hyperdis.de: <http: / / www.hyperdis.de/ gb/ > 3 <http: / / www.rolux.org/ starship> 4 Alternative Lizenzmodelle von Software greifen auch auf historische soziale Praktiken des Allgemeinguts zurück ("Wissensallmende") Vgl. <http: / / waste.informatik.hu-berlin.de/ Grassmuck/ texts.html> (Die Nennung eines Autorennamens in einer Internetadresse hier verschleiern zu wollen, hieße, den Teufel mit dem Belzebub austreiben. Kein Wunder, dass gerade um die Vergebung von domain-Namen heiße Kämpfe toben: Hier entscheiden sich die Basis-Adressierungen im Netz. Vgl. die künstlerisch-netzpolitischen Interventionen unter <Www.namespace.org>) Vgl. Monty Cantsin <cantsin@neoism.net> Anti-Copyright in künstlerischen Subkulturen: <http: / / userpage.fuberlin.de/ --cantsin/ homepage/ writings/ anticopyright/ anticopyright.html> 5 Vertrieben als Storyspace-Reader (für Macintosh) auf einer Diskette, die für 10 $ beim Verlag angefordert werden kann (www. verweislO) 6 Besonders etwa am Ende des Textes: "Readers who obtain the diskette will see, that the hypertext cheerfully violates the constraints imposed by the medium of print. The hypertext does not possess a single hierarchicallinear structure. lt does not confront the reader with a single persona: instead, it speaks in several, sometimes contradictory voices." Vgl. auch die Exzerpte aller Stellen, die auf eine Dekonstruktion des Autors bzw. eine aktive Leser-Rolle anspielen in: (www. verweislO) 7 Praktische Anleitungen Hinweise zum Publizieren im Netz finden sich unter Zitieren und Bibliografieren aus dem Internet: <http: / / www.websprache.net/ zitat/ index.htm> 8 <http: / / www.assoziations-blaster.del> 9 Anders stellt sich die Sachlage bei den Suchmaschinen dar: Hier fungieren Autornamen immer noch als ein wichtiges Suchkriterium, das auch "zuverlässige Ergebnisse" liefert, während eine Stichwort- oder Keywortsuche zumeist Datenmüll produziert. Hier zeigt sich aber auch, dass systemisch für das Netz entwickelte Programmierkonzepte auch einen anderen Zugang eröffnen können: So lässt etwa das Konzept von Google durch eine Sortierung der Findestellen auf der Basis von Verknüpfungshäufigkeit auch eine sinnvolle Stichwortsuche zu und gerade die Kombination verschiedener Schlagworte führt zu interessanten Querschnittsmengen von Dokumenten aus dem Netz ... 232 hei+Co@hyperdis.de 10 Der Gvoon-Server (http: / / www.gvoon.de) beinhaltet verschiedenste kollaborative Kunst-Projekte u.a. einen "Hypertext-Tree" mit verzweigten Geschichten, die an jedembeliebigen Zweig von den Lesern erweitert werden können. 11 z.B. zum kollaborativen Science-Fiction Odysseen im Netzraum: <http: / / www.gvoon.de/ cgi-bin/ lit_Jwaechst_/ hypertextree.pl? area=story&which=Q_autoren>Einstiegspunkte und Verknüpfungen von verschiedenen Schreiboberflächen zu diesem Projekt finden sich unter: <http: / / www.hyperfiction.de/ gvoon/ > Vgl. auch den Artikel in Dichtung Digital über gemeinschaftliches Hypertext-Schreiben im und als Science Fiction: Odysseen im Schreibraum. Utopien, Abgründe und Möglichkeiten des Schreibens im Netz. ... aus der Werkstatt zweier kollaborativer Schreibprojekte: <http: / / www.dichtung-digital.de/ Forum-Kassel-Okt-OO/ Idensen> 12 ... mit den Standard-Operationen: copy/ paste/ link herstellen ... 13 Vgl. auch die spannenden Arbeiten von Anonymus zu den Luhmannschen Zettelkästen: Käptn Mnemo. Zur hypenextuellen Wissensspeicherung mit elektronischen Zettelkästen: <http: / / infosoc.uni-koeln.de/ synapsen/ MnemoNet/ MnemoNet.html>. 14 Ein kollaboratives Text-Konglomerat, in das mehrere Autorlnnen eingegriffen haben. (www.verweisl2) Die automatischen Verlinkungsoperationen von nie-las sind komplexer als die rein stichwort-basierte des Assoziationsblasters, da sich verschiedene Ebenen der Verknüpfung definieren lassen (auch Synonyme, Labels etc.), was sich am besten nachvollziehen lässt, wenn man etwa in der Enzyklopädie (http: / / www.hyperdis.de/ enzyklopaedie/ ) nach 'Rhizom' sucht. Auch sind inzwischen neue features hinzugekommen, die einerseits das Arbeiten mit Dokumenten im Netz unterstützen (es lassen sich Kommentare und Annotationen zu bestimmten sites anlegen) und andererseits die Dokumente in der Datenbank noch dynamischer aufeinander beziehen (z.B. mittels einer tracing-Funktion). 15 Eine hybride Wortschöpfung aus dem Griechischen von 'ergon' (Arbeit) und 'hodos' (Weg, Pfad) die eben nicht nur den räumlichen, verschlungenen, labyrinthischen, topographischen Aspekt von Hypertexten berücksichtigt, sondern gerade auch die Arbeit und die Produktivität des Lesers, Users, Spielers zum zentralen Dreh- und Angelpunkt offener Textfonnen erklärt die immer spezifischer Aktivitäten seitens der Leser bedürfen ... und gleichzeitig den Mediendeterminismus vieler Hypertext-Theorieansätze zu überwinden sucht, indem hier ausdrücklich auch nicht-digitale Narrationen und Diskurstechniken berücksichtigt werden. · 16 <http: / / www.hf.uib.no/ cybertext/ default.html> und (www.verweis]3b) 17 hn Netz finden sich vielerlei Materialien und Diskussionsforen zu diesem ansonsten gerade im deutschsprachigen Raum sehr vernachlässigten .philosophischen 'proto-Hypertext'. Vgl. Glasweb: <http: / / www.hydra.umn.edu/ derrida/ glas.html>; Anonymus: Lesegruppe Glasweh, in: Verstärker Nr.1: <http: / / www.culture.hu-berlin.de/ verstaerker/ vsOOl/ krapp_glas.html> 18 "Es geht nicht darum, der Buchhülle noch nie da gewesene Schriften einzuverleiben, sondern endlich das zu lesen, was in den vorhandenen Bänden schon immer zwischen den Zeilen geschrieben stand. Mit dem Beginn einer zeilenlosen Schrift wird man auch die vergangene Schrift unter einem veränderten räumlichen Organisationsprinzip lesen. [ ... ] Was es heilte zu denken gilt, kann in der Form der Zeile oder des Buches nicht niedergeschrieben werden." (www.verweis16) 19 (www.verweis14b) 20 Eine Sammlung dieser Klagen schreibender Hypertext-Arbeiter ist zum Weiterschreiben versammelt im Assoziationsblaster unter dem Stichwort "Hyperklage": <http: / / www.assoziations-blaster.de/ a-blast.plx? begr=hyperklage> 21 Eine Fülle von experimentellen Theorie-Hypertexten ist zu finden unter den Kursen der Brown-Universität: Hypertext, Critical Theory, and Notions of Authorship: <http: / / www.scholars.nus.edu.sg/ cspace/ theory/ theoryov.html> 22 Eine dezidierte Auseinandersetzung zu diesen Frage mit Bezügen zu sowohl den klassischen Texten kulturwissenschaftlicher Hyper/ Text/ Theorie als auch zu einigen aktuellen Aufsätzen spielt sich in der web-extension dieses Aufsatzes ab, auch mit ausführlichen Zitatmaterialien und Verweisen zu den im Netz verfügbaren Quellen: <http: / / www.hyperdis.de/ autorschaften/ > 23 ... d.h. nicht nur die einzelnen Medien wie Computer, Scanner, digitale Kameras, Sampler etc. sondern eben auch die daran anschließenden Distributions-, Abrechnungs- und Kontrollsysteme. 24 Wie es bisweilen in hypermedialen und auch netzwerkunterstützten Lehr- und Lernsystemen als vollständiges Kontrollsystem entworfen wird. Suchen und Verweisen 25 Vgl. Anonymus: Wen kümmen's, wer spinnt? Gedanken zum Schreiben und Lesen im Hypenext: <http: / / www.update.ch/ beluga/ digital/ 99/ wirth.htm> (www.verweis24) 233 26 Die Imaginäre Bibliothek zeigt einer Palette solcher Prozesse aus den Bereichen antike Philosophie, visuelle Poesie, experimentelle Literatur, Science Fiction: <http: / / www.hyperdis.de/ pool/ > (www.verweis23b) 27 Vgl. transmediale.01, Berlin "Soziale Software": <http: / / www.transmediale.de/ Ol/ de/ conf_social.htm> und einen Artikel mit vielen Links zur Konferenz in telepolis: <http: / / www.telepolis.de/ deutsch/ inhalt/ konf/ 4893/ l.html> 28 So ist es auch kein Zufall, dass gerade die Macher des Assoziationsblasters sich engagieren für die "Freiheit von Links" im Netz und zur gemeinschaftlichen Durchsetzung ihrer Forderungen Instrumente für "online Demonstrationen" (http: / / www.online-demonstration.org/ ) entwickelt haben. Auch die längst fällige Ausdehnung der Ansätze freier Software auf den Inhalt der im Netzwerk zirkulierenden Dokumente ("open content") verweist auf die Entwicklung vielfacher Anschlüsse zwischen Initiativen und Projekten aus den verschiedensten Bereichen (etwa im Projekt Open Theory: <http: / / www.opentheory.org/ > oder textz.com: <http: / / textz.com> Vgl. Anonymus: Die Wissensalmende: <http: / / mikro.org/ Events/ OS/ interfaceS/ wissens-almende.html> So nähern sich im Netz auch ästhetisch-künstlerische Arbeit und netzpolitische Arbeit einander an. 29 ... der im Netz kritisiert, ergänzt, weitergeführt, kommentiert ... werden kann unter: <http: / / www.hyperdis.de/ autorschaften/ > Karl-Richard Bausch/ Herbert Christ/ Hans-Jürgen Krumm (Hrsg.) Handbuch Fremdsprachenunterricht UTB 8042/ 8043 L, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, 2003, 700 Seiten, geb.€ 59,-/ SFr 97,50 UTB-ISBN 3-8252-8042-X kart. € 39,90/ SFr 66,- UTB-ISBN 3-8252-8043-8 Das Handbuch Fremdsprachenunterricht ist seit seiner ersten Auflage im Jahre 1989 zu einem unentbehrlichen Arbeitsmittel für alle geworden, die sich mit Konzepten, Aufgaben und Methoden des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen befassen. Die 4. Auflage erscheint als völlig neu bearbeitete Ausgabe. Sie will den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen, die sich seit der 3. Auflage (1995), sowohl international als auch in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz, eingestellt haben. In 140 Beiträgen werden Fakten, Positionen und Perspektiven des Lehrens und Lernens fremder Sprachen in den verschiedenen Alters- und Lernstufen, in schulischen und außerschulischen Einrichtungen dargestellt und Forschungsmethoden sowie Entwicklungstendenzen aufgezeigt. Ein detailliertes Verweissystem, weiterführende Literaturhinweise sowie ein ausführliches Sach- und Personenregister erleichtern die Arbeit. "(... ) ein wertvolles Referenzwerk, das eine rasche Orientierung liefert und nicht zuletzt durch die zitierte Literatur eine gezielte Weiterarbeit ermöglicht. Darüber hinaus vermittelt der Band ein eindrucksvolles Gesamtbild des heutigen Fremdsprachenunterrichts in all seinen relevanten Facetten. Da man sich auch im Vergleich mit anderen auf dem Markt befindlic4en Publikationen ähnlicher thematischer Ausrichtung -kaum eine umfassendere Informationsquelle vorstellen kann und zudem das Preis/ Leistungsverhältnis hier als sehr gut bezeichnet werden muß, sollte der vorliegende Band im Bücherschrank eines jeden Fremdsprachenlehrers unbedingt seinen Platz haben." Fremdsprachen und Hochschule A. Francke TanGo & Co. KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen Bericht über einige Stuttgarter InternetProjekte Reinhard Döhl TanGo & Co: a report on some intemet projects from Stuttgart clarifies that the projects described here have tobe seen in the tradition of earlier experiments from Stuttgart (computer text and -graphic, concrete and visual poetry). The reproductive and productive possibilities of the intemet are used in so far as single texts have been added under the rules of the game, which is the technical condition of the intemet. These projects highlight digital variations of visual poetry, while Martina Kieninger's German-Uruguayan TanGo-project can be described as a cooperative and intercultural digital-literary anthology. German and Uruguayan participants have been asked to associate along the themes 'Tango' (for Germany) and 'Schuhplattler' (for Uruguay). The variety ofpresentations and the combinatory perspectives culminate in an ironic representation of cultural cliches. Der Tod eines Fauns IPietistentango IWorm Applepie IPoemchess 1 Kill the Poem IAnmerkungen Als sich 1994 auf dem Stuttgarter Symposium Max Bense Wissenschaftler und Künstler trafen, ging es retrospektiv um die internationalen Wechselbeziehungen der Stuttgarter Gruppe/ Schule (1). Aber Johannes. Auer und ich begannen infolge dieses Symposiums auch, in der Tradition früherer Stuttgarter Experimente (Computertexte und -grafik; konkrete und visuelle Poesie) die reproduktiven und produktiven Möglichkeiten des Internets zu diskutieren, indem wir einzelne Texte dieser Art zu den Spielregeln, d.h. technischen Bedingungen des Internets eingaben, wobei erstens für uns nahe lag, vom Gedanken der poetischen Korrespondenz, der poetischen Vernetzungen auszugehen, wobei uns zweitens der bewusste Verzicht auf technisches Überziehen vorrangig war zu Gunsten präziser experimenteller Reflexion der grundlegenden Möglichkeiten von Computer, Netz und Literatur. Ich habe dies unter anderem dargestellt in Vom Computertext zur Netzkunst (2) und rekapituliere nur ein paar mir in diesem Zusammenhang wichtige Punkte: Grundsätzlich unterschieden und unterscheiden wir zwischen im Netz lediglich veröffentlichten und Texten, die nicht für das Netz geschrieben, aber für eine Realisierung im Netz geeignet sind, und in ihrer Fortführung schließlich Netztexten, also Texten, die mit Hilfe des Computers zu den Bedingungen des Internets erstellt werden. 236 Reinhard Döhl Dabei gingen und gehen wir aus vor allem von visuellen und akustischen Texten nicht nur der konkreten Poesie, wie sie bereits um 1920, insbesondere in den 50er und 60er Jahren praktisch und theoretisch auch in Stuttgart erprobt wurden. Diese lassen sich nach unserem Verständnis nicht nur im neuen Medium fortführen, sondern scheinen sogar als Beispiel nenne ich die Permutation wie jede Art von Textaleatorik für diese Möglichkeit der Realisierung geradezu prädestiniert, ob nun als reine Hypertextstruktur, als animiertes GIF, als Java-Applet oder -skript. Die Möglichkeiten sind hier bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Inzwischen haben wir, um unsere These zu überprüfen, dass diese früheren Experimente, Strukturen und Traditionen die ästhetischen Spielmöglichkeiten des Internets bereits antizipieren, einzelne Texte dieser Art zu den Spielregeln, d.h. technischen Bedingungen des Internets eingegeben: als permutationellen Text den Tod eines Fauns (3), 1997, als konkrete Texte Teile aus Das Buch Gertrud (4), 1996, als visuelle Texte im Rahmen des TanGo-Projekts (5) von Martina Kieninger den Pietistentango (6) und Kill the Poem (7), 1998, und als aleatorischen Text Makkaronisch für Niedlich (8), 1997. Ich gebe zunächst ohne weiteren Kommentar als Beispiel die Permutation Der Tod eines Fauns (3), die, ursprünglich als zweisprachiger Kommentar zu Pinselzeichnungen entstanden, mein umfangreiches Mailarme-Projekt von 1989/ 1990 abschloss (9). Dieser und andere in unseren Augen bereits produktive, mit Stuttgart verbundene Internetbeiträge entstanden wie unsere größeren Internetprojekte oft aus aktuellen Anlässen: dem 75.Geburtstag (10) und plötzlichen Tod (11) Helmut Heißenbüttels, dem 50. Todestag Gertrude Steins (12), dem 70. Geburtstag des Buchhändlers Wendelin Niedlich (8) - oder zum Tode Ernst Jandls (13). Projekte, die wir z.T. mit Ausstellungen verbanden [Epitaph Gertrude Stein (12)/ Memorial Gertrude Stein (14)] oder die den virtuellen Teil (15) z.B. der Ausstellung Kunstraum/ Sprachraum/ Internet (16) bildeten. Ohne konkreten Anlass realisierte sich unter Stuttgarter Beteiligung Martina Kieningers TanGo-Projekt (17), über dessen Stuttgarter Beiträge ich vor allem zu sprechen habe. Zum TanGo-Projekt allgemein verweise ich auf Martina Kieningers Arbeitsbericht, Vom Schreiben auf glatten Oberflächen. Zur Geschichte des MehrautorenProjekts Tango und über Schwierigkeiten bei der Realisation eines mehrsprachigen Projekts (18). Über die Ausgangsseite des TanGo-Projekts ebenfalls leicht erreichbar ist ein weiterer hier einschlägiger Essay Johannes Auers, Der Leser als DJ oder was Internetliteratur mit HipHop verbindet (19). Ein Teil dieser Beiträge ist mit anderen Stuttgarter Internetproduktionen auch in Beat Suters edition cyperfiction auf der CD kill the poem. digitale visuell-konkrete poesie und poem art (20) leicht zugänglich, und damit gewissermaßen auf die Festplatte (zurück)gewandert. Wozu ich anmerken möchte, dass unserer Auffassung nach die Hervorbringungen neuer Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der CD das gemeinsame Aufzeichnungsmedium gefunden haben. Die gelegentlich vertretene These, eine solche Möglichkeit der Aufzeichnung spräche gegen die Originalität eines richtig verstanden nur im und durch das Netz relevanten Netztextes/ relevanter Netzkunst, greift unserer Auffassung nach zu kurz. Ich will jetzt versuchen, einige dieser Stuttgarter Produktionen etwas ausführlicher vorzustellen. Die Produktion des Pietistentango (6), wie das ganze TanGo-Projekt war von einer mailart-Aktion begleitet, die anlässlich der Projektvorstellung im Dezember 1998 im Goethe- Institut in Montevideo dokumentiert wurde (21). In meinem Fall enthielten die Karten an TanGo & Co. - Bericht über einige Stuttgarter IntemetProjekte 237 Johannes Auer alle möglichen sinnvollen Buchstabenkombinationen des Worts 'Pietisten': z.B. ist, piste, pisten, stein, steine, niest, nest, pest, pein, pst, psi, sein, ein, nie, ei, niete und so fort. Diese Buchstabenkombinationen treten in der Realisation in 6 Spielfeldern, die den 6 Silben des Wortes Pietistentango entsprechen, zu wechselnden Konstellationen zusammen, und zwar in einem Rhythmus, der dem Schritt, Schritt, Wiegeschritt des Tango entspricht. Gleichzeitig sind die 6 zwischen Schwarz und Weiß wechselnden Spielfelder besetzt mit den Wörtern urbs (2mal), niger, umbra, umbrae und vitae, die von oben nach unten gelesen folgende Kombinationen ergeben: - Links 'urbs niger', was natürlich Stuttgart meint und mit Nikodemus Fiischlins bekannterem Stuttgart-Gedicht, genauer der Zeile "urbs jacet ad Nicri colles in valle reducta" spielt. - Rechts zitiert 'umbra vitae', die nachgelassene, von Freunden zusammengestellte und dabei textlich manipulierte, düster gestimmte Gedichtsammlung Georg Heyms, mit der er posthum populär wurde. - Die in der Mitte plazierte 'urbs umbrae' verbindet beides. Wenn man so will, laufen beim Pietistentango also zwei Texte gegeneinander, die sich kommentieren, die sich aber auch, wenn man versucht, lediglich den Vorgang auf dem Bildschirm wirken zu lassen, unambitioniert als kinetische Kunst auffassen lassen. Ähnliches gilt für das Ziegenballett (22), dem eine von mehreren Collage-Folgen zugrunde liegt, die mit einer Fabel-Illustration Gustave Dores, Les deux chevres, spielen. Das Ziegenballett besteht aus mehreren Orten, die nacheinander besichtigt werden wollen. In der gedachten Reihenfolge wäre dies zunächst ein virtueller 'Ziegenstall', der aus zwei Abteilungen besteht, der Originalbesetzung und einer bereits farbig manipulierten Zweitbesetzung, die dann drittens das Ballett tanzt. Das Ziegenballett leugnet seine Herkunft aus bildender Kunst und über sie vermittelter Literatur nicht, führt beides aber in doppelter Hinsicht fort, wobei die 32 Collagen der Originalbesetzung mit Methoden erarbeitet wurden, die einer Grafik-Bearbeitung am Bildschirm bewusst analogisiert sind, z.B. dem Zerlegen des Bildes, dem Spiegeln und Drehen seiner Teile usw. Les deux chevres illustriert eine Fabel, die von zwei Ziegen erzählt, die aus lauter Rechthaberei und Dickköpfigkeit nicht aneinander vorbei kommen (was von La Fontaine mit einem historisch/ politischen Fingerzeig ausgestattet wird: "so, denk' ich, war' s, als mit dem Großen Ludwig schritt Spaniens Philipp der Vierte weiland nach jenem Konferenzeneiland" [zit. in der Übersetzung von Ernst Dohm]. Meine 'Fortführung' (diesen Begriff im Verständnis der Stuttgarter Gruppe) besteht nun darin, dass ich die Ziegen aneinander vorbeikommen lasse. Das Ballett wird also von artifiziellin Freiheit gesetzten Ziegen getanzt, oder anders gesagtvon Ziegen, die sich gegenüber der ihnen in der Fabel zugeschriebenen Rolle die Freiheit nehmen wiederum freilich in einer ihre Bewegungen festlegenden Choreographie. Ich möchte hinzufügen, dass dies von mir, im Vertrauen darauf, dass der Benutzer den historisch/ politischen Fingerzeig La Fontaines erinnert, durchaus auch politisch gedacht ist. Und ich gestehe zugleich, dass ich hier misstrauisch sein sollte, gewarnt durch das flachsinnige Verständnis, das meinen Apfel nun schon seit über dreißig Jahren begleitet, das allenfalls den Wurm im Apfel sieht und dabei nicht einmal die Bedeutung der zuständigen Redewendung reflektiert, geschweige denn gegenwärtig hat, dass Apfel, Wurm und/ oder Schlange in der Mythologie in der Regel Verhängnisvolles zur Folge zu haben pflegen. 238 Reinhard Döhl Wenn in Johannes Auers Worm Applepie (23) der vollgefressene Wurm sich zu seiner ursprünglichen Größe zurückverdaut, hat er auch diese Vergesslichkeit mehr als eine Wiederkehr des ewig Gleichen im Sinn. Dass Johannes Auer das andere auch und zustimmend gesehen hat, kann ich hier nur mit dem Hinweis auf eine einschlägige Postkarte (mailart) mit der Einschrift Drei Stunden später begann der dritte Weltkrieg belegen (24). Mit Textspielen haben wir in Stuttgart in den verschiedensten Formen experimentiert, mit Spielen, die sich reproduktiv spielen lassen, und solchen, die produktives Mitarbeiten der Benutzer verlangen, damit sie glücken. Für den ersten Typus nenne ich das in der Tradition japanischer Kettengedichte konzipierte Poemchess (25), das sich auf verschiedene Weise spielen lässt: einmal mit Hilfe der bereitgestellten Figuren Dame, Turm, Läufer, Springer und ihren Bewegungsmöglichkeiten, aber auch, indem man z.B. nach berühmten Endspielen die Schachfelder anclickt und so ein reales Schachspiel in einen internationalen virtuellen Text übersetzt. - Dieses Poemchess ist dialogisch und international (Schwäbisch, Deutsch, Französisch, Tschechisch, Russisch, Japanisch, Türkisch und Englisch). Zwischen den Dialogen seiner Autoren stellt der LeserAlsSchachspieler mit seinen den Regeln entsprechenden Zügen weitere mehrsprachige Dialoge und damit seinen multilingualen Text her. - Das ergibt praktisch zwei sich überschneidende Dialoge, einen ersten Autordialog aus 8 Kettengedichten, der das Grundtextgerüst des Schachspiels herstellt, - und einen zweiten zwischen diesem Grundtext und dem Leser, der individuell und variabel nach den Regeln des Spiels seinen Text, seine Texte herausliest. Dass dieses Unternehmen Marcel Duchamp gewidmet ist, versteht sich beinahe von selbst. Andere 'Textspiel' -Experimente, die wir angestellt haben, verlangen vom Benutzer produktive Mitarbeit, d.h. er kann und muss einen vorgegebenen Text in Zeilen/ feilen oder zur Gänze verändern. (Auch dies in der Stuttgarter Tradition der Forifü,hrungen). In diesem Fall haben wir wiederholt Texte zum Verändern in Echtzeit bereitgestellt: anlässlich der Ausstellung virtuelle verrueckungen (26) - oder des Stuttgarter Multimedia Avantgarde-Festivals Filmwinter (27) und eben auch zum TanGo-Projekt. In seinem fäll hatten wir drei Basistexte zur Auswahl (28), eine visuell sehr festgelegte Permutation über Das Verschwinden des Tangos im Internet, die wegen ihrer visuell-typografischen Festlegung ebenso ausschied wie der Vorschlag von Tango-Tankas, weil wir nicht darauf vertrauen wollten, dass der/ die Mitspieler sich in der 5-7-5-7-7 Struktur des japanischen Tanka auskennen. So blieb als Textvorgabe schließlich ein einfaches Akrostichon [=TANGO PROSPEKT]: Tanga oder Paris Anfang November Gehen die Uhren nach Oder Tango TanGo & Co. - Bericht über einige Stuttgarter lntemetProjekte Paris das Reimt sich wie Orte und Treibsand Südlich der Milchstraße Paris meine Liebe Einmal nochc'est Kif-kifnoch einmal Tango im Tanga 239 Dieses Gedicht ist von Frank Arnos so eingegeben, dass wir nicht nur die Namen der Mitschreiber und oft auch ihre Adressen haben, sondern dass die Textzustände dokumentiert bleiben und abgerufen werden können (29). Ich zitiere als Beispiel einen der meiner Meinung nach spannendsten Textzustände einschließlich seiner realen oder (meist) fingierten Autoren: TangoTanga 28.04.'98 hab sonne im herzen und volhnond überm bärensee. mehr wäre dazu nicht zu sagen am horizont erscheint verführerisch der m01: genstem tango im tanga keine hoffnung auf donnerstag freitags fisch die schwänze sind auch nicht mehr was sie leipzigeinundleipzig mal waren überhaupt zählen rücklage und rückschritt eher zu den fußnoten im brehm und zum kleinen einmaleins konsperativ [sie, RD.] im Ursprung wie sonne im herzen aber sie dreht sich doch und das bei diesen temperaturen caesar flaischlen fred wiesen helmut heißenbüttel derselbe die heiligen drei könige melusine freitag melusine lichtenberg sächsischer biederkopf der pfuinanzminister güntereich hilbert detlef biehn caesar flaischlen doris ernst wetterfrosch Dass der vorgegebene Text im Laufe der Zeit im positiven wie mehr im negativen Sinne den Anspruch wechseln würde, war uns bewusst. Spannend blieb, was die Veränderungen ablesen ließen. Ich darf hier einige unserer Beobachtungen zusammenfassen. In vielen Fällen unterschieden sich die Textveränderungen nur geringfügig von überall anzutreffenden Graffiti-Elaboraten. Andere Leser/ Mitschreiber wollten sich nicht auf den Text einlassen, sondern eigene Meinungen (nicht nur politischer Art) loswerden. Wenn auch inhaltliche Anspielungen verstanden und aufgegriffen wurden, die ursprüngliche Akrostichonstruktur des Textes blieb unentdeckt oder wurde einfach nicht beachtet. Gelegentlich ich habe beim Textzustand vom 28.4.98 deshalb auch alle von den Einsendern angegebenen Namen genannt kam es aber zu vergnüglichem Spiel im Spiel, wurde Literatur zitiert: Heißenbüttel, einmal authentisch, einmal fingiert, Günter Eich, Lichtenberg, wenn man sein Fragment von Schwänzen kennt, oder der Robinson Crusoe mit dem Eintrag "keine hoffnung auf Donnerstag" und dem fingierten Einsender "Freitag". Ähnlich wird der in einem früheren Textzustand Klopstock zugewiesene Vollmond 240 Reinhard Döhl überm Bärensee jetzt dem unbedarften Herausgeber eines Stuttgarter Wochenblatts zugeschrieben usw. Trotz solcher Ausnahmen haben uns die Erfahrungen mit diesen 'Textspielen' das anfängliche Vertrauen in eine kollaborative Autorschaft gründlich ausgetrieben, so dass wir heute, ähnlich übrigens wie Susanne Berkenheger, vom 'gesteuerten Leser' ausgehen. Es liegt im Willen des im Internet veröffentlichenden Autors, wie weit er dem Leser bei der Lektüre freie Hand geben will, was die Frage nach der vielbeschworenen 'Interaktivität', die wir lieber 'Dialog' nennen würden (30), mit einschließt. Ich nenne wiederum Stuttgarter Belege: Das Poet's corner'le (31), ein work in progress aus Texten aller in Stuttgart geborenen und/ oder verstorbenen, kurzfristig oder länger anwesenden aber auch vertriebenen Autoren, als eine offene und variable Anthologie der Stuttgarter Schriftkultur, offen, weil die Autoren/ Texte ständig um neue ergänzt und soweit möglich vernetzt werden können, variabel, weil die eingegebenen Texte jederzeit auf Wunsch der Autoren, der Leser oder der Herausgeber ausgetauscht werden können und sollen, interaktiv, weil ein Dialog zwischen Leser und Texten in ihrer Vernetzung stattfindet. Ich nenne noch einmal Frieder Rusmanns bereits vorgestellten Fabrikverkauf [art-wear] [walking exhibition] (32), der die Affirmation von 'community' und 'e-commerce' subversiv zum Anlass einer vom Nutzer selbst zu gestaltenden Kunstperformance, eben der [walking exhibition] nimmt. Ich nenne drittens die von Klaus Schneider angezettelten Kettenmailsausderbadewanne (33) als ein Textunternehmen zu e-mail-Bedingungen: In ihnen findet der Dialog zwischen einem Ausgangstext und einem Leser/ Autor statt, der mit seinem Text auf die Vorlage reagiert und seine Version einem weiteren Leser/ Autor zur Reaktion und Redaktion überlässt, der undsoweiter. Wobei es sicher richtig ist, hier an den Briefroman und seine Spielformen zurückzudenken, in deren Tradition sich diese Kettenmails auch lesen ließen, wie überhaupt das Netz die Chance einer neuen Briefkultur böte, was im Verlaufe der Diskussion bereits ebenso angesprochen wurde wie die denkbare Tradition einer Fußnotenprosa, Zettelkastenpoesie oder der Collage-Technik. Und ich nenne noch einmal und viertens das in der Tradition japanischer Kettengedichte konzipierte Poemchess. Dienten das Poemchess und die offenen 'Textspiele' dazu, Texte mit Hilfe der Benutzer zu verändern und variabel zu halten, zielt ein letztes Beispiel aus dem TanGo-Projekt, Johannes Auers Kill the Poem (7), auf Text-Zerstörung und Infragestellung des Autors. Gegeben ist erstens ein permutationeller Text: "keine faxen mit tango ist ernst kein tango ist ernst mit faxen keine faxen ist tango mit ernst mit tango ist ernst ohne faxen mit ernst sind faxen ohne tango mit tango ist faxen ohne ernst mit faxen ist ernst[ ... ]." Gegeben ist zweitens die _Möglichkeit, mit martialischem Gestus schrittweise einzelne Wörter aus diesem Text herauszuschießen, zunächst 'faxen', dann ich fasse zwei Schritte zusammen die Wörter 'ohne' und 'mit', dann ich fasse wieder zwei Schritte zusammen die Wörter 'kein(e)' und 'ist/ sind', dann 'ernst' und als letztes 'tango', bis schließlich der ganze Text abgeschossen ist, mit der Möglichkeit freilich, ihn danach neu zu laden. TanGo & Co. - Bericht über einige Stuttgarter InternetProjekte 241 Was Johannes Auer dem bildschirmaktiven Leser demonstrieren will, was der Leser bei seinem Tun erkennen soll, ist, wenn ich es recht verstehe, dasselbe, was ich mit dem 'Verschwinden des Tangos im Internet' wollte, einmal die Demontage eines Artefakts und zugleich die Demonstration seiner Unzerstörbarkeit. Wir sind jedenfalls davon überzeugt, dass auch Kunst sterben darf und zugleich wieder aufersteht, und fordern dies sogar als ihr Grundrecht (34). Das lässt sich in Kürze nicht weiter ausführen. Ich verweise stattdessen auf eine uns wichtige Parallele aus der Kunstgeschichte, den Moment nämlich, als Hans Arp vorschlug, Laokoon zu klistieren, um ihm ''nach tausendjährigem Ringkampf mit der Klapperschlange" endlich das Austreten zu ermöglichen, wichtiger noch, als Marcel Duchamp die Mona Lisa mit Bärten und der Subscriptio "L.H.O.O.Q" [Elle a chaud au cul] ausstattete, um dies 1965 mit einem "L.H.O.O.Q. rasee" zurückzunehmen (35). Arps Purgierungsaktion, Duchamps ready made, zielen dabei nur vordergründig auf das Portrait Leonardo da Vincis, die Laokoongruppe, im Grunde haben sie deren Rezeption, eine sich an ihr orientierende Kunstauffassung und-produktion im Visier. Entsprechend fordert Kill the Poem den Leser nicht nur zu ikonoklastischer Tat auf, sondern bietet ihm die Möglichkeit, seine Tat zumindest äußerlich ungeschehen zu machen. Er sollte aber auch angeregt werden, seine spontane Bereitschaft zu inkonoklastischem Tun zu reflektieren. Wobei interpretatorisch nicht unwichtig ist, dass hier kein literaturgeschichtlich sanktionierter Text, kein zur Anbetung aufbereiteter Künstler zum Abschuss bereitgestellt ist, sondern ein Text in der Tradition des konkret permutationellen Gedichts mit nur geringer Autorpräsenz. [Kassel 21.10.2000] Anmerkungen 1) Als Stuttgart Schule machte. http: / / www.das-deutsche-handwerk.de/ s/ stuttgarter_schule.htm 2) http: / / www.netzliteratur.net/ computertext_netzkunst.htm 3) http: / / www.reinhard-doehl.de/ faun/ faun.htm 4) http: / / www.reinhard-doehl.de/ gertrud/ gertrud.htm 5) http: / / www.textgalerie.de/ tango/ 6) http: / / www.s.netic.de/ auer/ pietist/ ptango.htm 7) http: / / rhizome.org/ artbase/ 224 l/ killpoem.htm 8) http: / / www.s.netic.de/ auer/ wendelin/ niedlich.htm 9) Ja mort d'un faun/ der tod eines fauns. une edition de l'apfelpresse/ eine edition der apfelpresse. [Amiens/ Stuttgart] 1991. Zum Mallarme-Projekt vgl. http: / / reinhard-doehl.de/ pd_rnateriall.htm 10) http: / / www.reinhard-doehl.de/ hhh/ h_h_h.htm 11) http: / / www.reinhard-doehl.de/ hhh/ heissenb.htm 12) http: / / www.s.netic.de/ auer/ epitaph/ spielreg.htm 13) http: / / www.reinhard-doehl.de/ jandl.html 14) http: / / www.reinhard-doehl.de/ steinmem.htm (in gekürzter Fassung auch http: / / www.s.netic.de/ auer/ epitaph/ epistein.htm) 15) http: / / www.s.netic.de/ auer/ du/ kunstraum/ 16) http: / / www.netzliteratur.net/ kuspraum.html 17) http: / / www.textgalerie.de/ tango/ 242 Reinhard Döhl 18) http: / / www.netzliteratur.net/ martina_vortrag.htm. Druck in Beat Suter / Michael Böhler (eds.) 1999: Hyperfiction. Hyperliterarisches Lesebuch: Internet und Literatur. Basel, Frankfurt/ M.: Stroemfeld, S. 183ff. 19) http: / / www.netzliteratur.net/ dj.htm. Druck in Suter/ Böhler (vgl. Anm. 18), S. 173ff. 20) edition cyberfiction, 2. Zürich: update verlag 2000 21) Mail Art. Dance? Collages entre Stuttgart y Montevideo 1998. Goethe-Institut Montevideo 14.-22.12.1998 22) http: / / www.textgalerie.de/ tango/ s/ ballett/ 23) http: / / www.s.netic.de/ auer/ wonn/ applepie.htm 24) Joachim Kuolt, Rüdiger Stratmann 2000: Reinhard Döhl und Freunde. Mailart 1959-1999 Stuttgart, S. 15. 25) http: / / www.s.netic.de/ auer/ poemchess/ pochess.htm 26) Die Texte sind zugänglich über http: / / www.reinhard-doehl.de/ gelegenheitpalais.htm 27) Wie Anm. 26 28) Wie Anm. 26 29) http: / / www.stuttgart.de/ stadtbuecherei/ tango/ textspiel/ index.php3 30) Ansätze und Möglichkeiten künstlerischen Dialogs und dialogischer Kunst. http: / / www.netzliteratur.net/ wien.htrn und http: / / www.reinhard-doehl.de/ dialog.htm 31) http: / / www.reinhard-doehl.de/ poetscomer/ 32) http: / / www.fabrik-ver-kauf.de/ 33) http: / / www.das-deutsche-handwerk.de/ friends/ klaus/ kettenmail/ kettenmails.htm 34) Für den natürlichen Tod des Kunstwerkes. http: / / www.kunsttot.de/ 35) Vgl. Döhl: "Narrenspiel und Maulwürfe oder Unsinn der Kunst gegen Wahnsinn der Zeit" http: / / www.uni-stuttgart.de/ ndll/ unsinn.htrn KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen Combinatory poetry and literature on the internet Florian Cramer Der Beitrag stellt meine WebsitePennutationen vor, die kombinatorische Textspiele der Antike, Frühneuzeit und Modeme als Computerprogramme nachbildet. Ich verstehe sie nicht als digitalen Historismus, sondern als Plädoyer für eine andere Poetik digitaler Netzliteratur; eine Poetik, die sich nicht mehr mit Schlagwörtern wie 'Hypertext', 'Multimedia' und 'Cyberspace' aufhält. Interessante Netzdichtung, so meine These, spielt mit menschlicher und maschineller Sprachverarbeitung. Sie nutzt den Computer nicht nur als typographisches Interface und Netzwerke nicht nur als Distributionskanal. Permutations, a website This paper will first tel1 what the site Permutations is about and then address the issues it might bring up for the discussion of a poetics of digital text. Tue website (http: / / userpage.fu-berlin.de/ --cantsin/ index.cgi) consists of a number of server-side computer programs written in the Perl programming language, each of them reconstructing and thereby re-inventing one of a few dozens of combinatory poems written between 330 A.D. and today by, among others, Optatianus Porphyrius, Jean Meschinot, Julius Caesar Scaliger, Georg Philipp Harsdörffer, Quirinus Kuhlmann and Tristan Tzara. Although it is difficult to distinguish a combinatory literature from other forms of literature ever since linguistics defined language as a combinatory system itself, combinatory poetry nevertheless could be formally defined as a literature that openly exposes and addresses its combinatorics by changing and permuting its text according to fixed mies, like in anagrams, proteus poems and cut-ups. Frequently, written combinatory literature does not denote the generated text itself, but only a set of formal instructions with perhaps one sample permutation. Since the poems of Scaliger, Harsdörffer, Kuhlmann, and Tzara fall into this category, they turn into something profoundly different as soon as their algorithms are being transcribed from book pages into computer software. Tue website therefore is an open experiment for finding out what might be lost and gained from such a transcription. Permutations is, in my view, not an art project, but rather pataphysics and gay philology. 1 On the most simple level, the website shows that the history of algorithmic and permutational literature is much older than avant-garde modernism, let alone computer poetry proper. Tue classical rhetorical figures of chiasm and hyperbaton, the latter also known as 'permutatio', are among the earliest Western prototypes of combinatory poetry. 2 The oldest permutational text adapted in Permutations is Optatianus Porfyrius' Carmen XXV (1973, vol. 1: 99) from the fourth century A.D.: I Ardua componunt felices carmina Musae II dissona conectunt diversis vincula metris III scrupea pangentes torquentes pectora vatis IV undique confusis constabunt singula verbis. 244 Florian Cramer All words printed in the first and the fourth column of the poem and all words in the second and third make up two sets of words which can be arbitarily shuffled with each other. The words in the fifth column are fixed, thereby ensuring that the poem will remain hexametric despite its words shuffling. There are 1.62 billion possible permutations of the text. In the computer adaption, the poem randomly permutes each time a button is pressed. In its initial notation, or state, the poem tells of dysharmonic junctions, uneven meters, rough tones, and confused words tormenting the singer. Optatianus Porfyrius, an important formal innovator of European pattem poetry, 3 makes his poem an aesthetic self-reflection which, jumbling its own words, performs and confuses itself simultaneously. Optatianus' Carmen XXV became paradigmatic for poetry when Julius Caesar Scaliger coined the term "Proteus verse" for word permutation poems in his Poetices (1561: no page numbering), and made them a canonical poetical form for the century to come. Scaliger's example line, "Perfide sperasti divos te fallere Proteu" ("Wickedly you hoped to deceive the gods, Proteus"), was the prototype of countless poems in the 17th century whose lines, written either in Latin or in one of the new national languages, contained words tobe shuffled. Not unlike Optatianus' Carmen XXV whose permutability was restrained through the fixed words in its fifth column, Scaliger' s line can not bejumbled at will if the hexameter is paid attention to. The poetical permutation of the six words therefore doesn't map the mathematical permutation of six (6! = 720). Tue difference between poetical and mathematical laws of permutation was abolished in the 17th century when the perception of Scaliger coincided with a renewed interest in the 'ars' of Raimundus Lullus and the Christian Kabbalah. While Lullus used combinatorics to generate ontological and theological statements, 17th century science rewrote Lullism into a generative systematics of encyclopedic knowledge. Thomas Lansius, Georg Philipp Harsdörffer, Quirinus Kuhlmann were at once scholars, language researchers and writers of Proteus poetry. Aside from two Proteus poems (both of which are adapted in Permutations), the 17th century poet Georg Philipp Harsdörffer wrote a morphological word generation machine he called Fünffacher Denckring der teutschen Sprache (Fivefold Thought Ring of the German La,nguage). 4 Each of its five concentric circles contained at set of morphemes which, in their combination, were supposed to cover all existing and potential words of the German language. Harsdörffer' s Denckring not only expands on Lullus, but also on the 17th century linguist Justus Georg Schottelius who considered the combinatorics of one-syllable 'base . words' ('Stammwörter') the principle ofthe German language. Schottelius anti-nominalistically conceived of them as words which "mean their thing right away" and believed them to be derived immediately from the Hebrew and divine language. While the Proteus poetry of the 17th century employed combinatorics as a means of calculation and control, the artistic avant-gardes of the 20th century reinvented same or similar poetic forms as part of a poetics of indeterminacy and chance. Tristan Tzara proposed to create Dada poetry by cutting out the words of a newspaper article, shuffling them in a bag and writing them down in the accidental order they had been pulled out. 5 Despite the anti-art gesture, Tzara's instruction to select, break up and permute a group of words exactly conforms to Julius Caesar Scaliger' s definition of the Proteus verse. Between Scaliger and Tzara, there however is not only a shift from determination to chance, but also from closure to openness of the system. All pre-20th century permutation poems shuffle a fixed set of data directly inscribed hard-coded into themselves, but Tzara' s Dada poem merely denotes a process which can be fed with arbitrary data. By allowing to take any web page as the input data, the computer adaption of the poem even radicalizes this difference; the process now Combinatory Poetry and Literature an the Internet 245 involves a bigger repository of text, happens in real time and, by algorithmic automation, doesn't require any manual work or skills on behalf ofthe reader. Permutations finally include some self-invented automata, such as Here Comes Everybody, a processor of James Joyce's Finnegans Wake which algorithmically mimics the portmanteau word poetics of the novel. Hyphenating its text and recombining the syllables according to stochastic probability, the program perpetually creates new texts with newly generated portmanteau words from the novel. John Cage's radio play Roaratorio. An Irish Circus on Finnegans Wake formally processes the novel in order not to expand, but to reduce the volume of text. 6 Language combinatorics and computer text Without doubt, it is philologically incorrect or problematic at least to rewrite pre-digital combinatory poetry into computer programs. The transcription potentially blurs the difference between an anti-nominalist, theologically and hermetically influenced linguistic thinking of the Renaissance on the one band and the concept of language as arbitrary material in avantgarde modernism on the other. Juxtaposing both discourses, the website however shows that any contemporary perception of the Renaissance texts is inevitably triggered and filtered through the knowledge of avant-garde literature, computer poetry and literary theory. Ifboth traditions therefore influence each other, the opposite conclusion must be drawn as well: Any concept of digital literature which does not reflect language combinatorics and algorithmically processed language is severely restrained. On a purely formal level, the combinatory poetry of both the Renaissance and the 20th century has a common set of features which as well seem to be relevant for a poetics of literature in computer networks: 1. Densification: A compact source code (instruction set) generates an abundance of text. 2. Micro-grammar: Reproducing the linguistic mechanisms of word and sentence creation, combinatory poetry is a generative reflection of language. 3. Filtering: Combinatory poetry uses formal methods to process language and transform text. lt thereby shows that the poetic potential of computing machines is not limited to transmitting ready-made signs. Computers are not merely transport devices, but potential senders and receivers, writers, and readers of text as well. Since a computer can act at any point of the communicative process, it is not simply a medium i.e. an instance between a sender and a receiver -, but an universal semiotic machine. Misreading the computer as a mere medium, humanities have wrongly assumed that their studies of the computer have tobe 'media studies' (instead of semiotics). Likewise, computer art has been misunderstood as so-called 'media art'. A result of this misreading is, as it seems, that concepts and methods developed by media studies since Kracauer and McLuhan for analyzing film, television, radio, and video were plainly reapplied to computers and the intemet. As a consequence, notions like 'multi-media', 'interactivity', and 'nonlinearity' have been mapped from TV and video onto digital literature. While it is of course useful to distinguish a movie as linear form (of a reel whose time and sequence of display can be exactly determined) from a computer game as a nonlinear form, the same distinction fails to describe a literary text whose perception might be rather linear or rather not 246 Florian Cramer depending on the way an individual reads it. While 'new media' notions derived from film, TV, and video made little to no sense in literary theory and studies of digital code, the conceptual confusion they have left still persists and continues to obstruct critical debates. From the viewpoint of a computer programmer, the text generators that make up Permutations may be primitive. But making their algorithms transparent, they make readers pay attention to the fact that any digital text and any digital poetry is potentially machineexecutable, a sequence of signifiers which, beyond merely relying on computer systems, actually sets them up. I thus consider the website a modest statement against equating network computers with simple transmission media and typographical interfaces, against mistaking the web browser for the net and against restraining computer network literature to so-called 'hypertext' and so-called 'multi-media'. While it might seem that, in comparison to the latter, generative text has remained a marginal form of digital literature, a more thorough consideration should take into account, for example, machine-generated invoices, automated bank statements and official letters, intemet search engines, 'personalized' portals and homeorder catalogues, not to speak of fully automated control and regulation systems in industry production, aviation and on the stock market. They all exemplify how efficaciously algorithmically manipulated writing has intervened into everyday language and culture; a status quo which the concepts of 'hypertext' and 'multimedia' don't reflect at all. Instead, computer viruses like Melissa and I LOVE YOU, small bits of text written in computer control code, strike me as perhaps the most dense and interesting examples of contemporary literature on the intemet. Viruses at once follow and extend the combinatory design principle to create an abundance out of few signifiers by infection, self-replication, and mutation of code. They could make other writers on the intemet aware that the mere syntax of the code they use is of explosive virulence, all the more when global technical infrastructures depend on it. This should make it clear why 'hypertext' is anything but an exhaustive or general concept of digital textuality. Nevertheless, 'hypertext' used to be both the coded format and the aesthetic program of much if not most literature on the intemet. 7 While it would be aesthetically müve of course to expect all digital literature to be written in program code, it seems reasonable to expect from net literature that it conceptually and aesthetically reflects the semiotic and technological conditions of the system in which its signifiers flow. Until recently, this expectation was rather met by poets who didn't call themselves poets, but 'net.artists', rooting themselves in conceptual art rather than in literature. 8 Recently, the 'codeworks' poetry of mez (Mary Arm Breeze), Alan Sondheim, Ted Warnen and others has taken up impulses from Net.art by incorporating ready-made bits and syntax from programming languages, binary machh.e code, network protocols and markup conventions of interpersonal network communication. 9 Contrary to expectations that net literature would increasingly become multimedia, these codeworks circulate as plain e-mail. Not being algorithmic in a strict sense, they nevertheless play with the fact that they might be read as (potentially harmful) machine code, and achieve densification, micro-grammar, and filtering by hybridizing human and machine languages. If codeworks could thus be called a post-combinatory poetry, I hope the gay philology of Permutations provides material against which the 'post' prefix may be matched. Combinatory Poetry and Literature on the Internet 247 Notes 1 In its technical implemention, the website is equally simple. Since all programs run on a server and produce the lowest common denominator of text-only H1ML code, it can be read without plugins or additional software in any web browser on any operating system even over slow internet connections. 2 As described by Liede (1966, vol. 2: 160-162). 3 A comprehensive history of pattern poetry is given in Jeremy Adler and Ulrich Ernst (1987). 4 Reprinted in Harsdörffer (1990, vol. 2: 517). 5 Reprinted in Tzara (1975, vol. 1: 382). 6 The method to expand text through stochastic algorithms has been frequently used since the 1950s when Theo Lutz and Max Bense produced computer-generated variations of Kafka' s prose, as described by Reinhard Döhl (1998: no page number). Markov chains have been prominently used in poetry by the literary scholar Hugh Kenner and the British poet Charles 0. Hartman. They are also employed in the computer program POE by the Austrian poet Franz Josef Czernin as de&cribed by Czemin ( 1997) andin Ray Kurzweil' s Cybernetic Poet. 7 The implication of 'hypertext' as a hypertrophy of 'text' is not only questionable, it all the more contradicts the fact .that the 'hypertextnal' World Wide Web just forms the utmost and least general code level ofthe internet. 8 Such as jodi.org, UOID, Mongrel, Heath Bunting, the ASCII Art Ensemble and 0100101110101101.org. Comprehensive material about net.art is available in Baumgärtel (1999) and Weibel/ Druckrey (2000). 9 The term 'codeworks' was coined by Alan Sondheim. The American Book Review, vol. 22, no. 6, features a selection of critical essays on codeworks. References Adler, Jeremy & Ulrich Ernst 1990 (1987): Text als Figur. Visuelle Posie von der Antike bis zur Modeme, Weinheim: VCH. Baumgärtel, Tilman 1999: net.art, Nürnberg: Verlag für moderne Kunst. Czernin, Franz Josef 1997: (untitled and unpublished manuscript about the computer prograrn POE). Döhl, Reinhard 1998: . Von der ZUSE Z 22 zum WWW, <http: / / www.netzliteratur.net/ zuse/ zuse.www.htm> Harsdörffer, Georg Philipp 1990 (1636): Mathematische und philosophische Erquickstunden, Frankfurt: Keip. Liede, Alfred, 1992 (1963/ 66): Dichtung als Spiel, Berlin and New York: De Gruyter Porfyrius, Publilius Optatianus 1973: Publilii Optatiani Poifyrii Cannina, Torino: Corpus ScriptonimLatinorurn Paravianum. Scaliger, Julius Caesar 1964 (1561): Poetices libri septem, Stuttgart: Friedrich Frommann. Tzara, Tristan 1975: <Euvres completes, Paris: Gallimard. Weibel, Peter & Timothy Druckrey (eds.) 2000: net.condition, Carnbridge/ Mass.: MIT Press. Adressen der Autoren / Addresses of authors Johannes Auer Arndtstr. 35 70197 Stuttgart Friedrich W. Block Stiftung Brückner-Kühner Hans-Böckler-Str. 5 D-34121 Kassel fwblock@uni-kassel.de Florian Cramer Freie Universität Berlin Seminar für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft Hüttenweg9 14195 Berlin Reinhard Döhl Lindpaintnerstr. 59 70195 Stuttgart Christiane Reibach Universität Erfurt Vergleichende Literaturwissenschaft/ Medien Postfach 900221 99105 Erfurt christiane.heibach@uni-erfurt.de hei+Co@hyperdis.de http: / / www.hyperdis.de Ernest W.B. Hess-Lüttich Universität Bern Institut für Germanistik Länggass-Straße 49 CH-3000 Bern 9 ernest.hess-luettich@germ.unibe.ch Markus Krajewski Käthe-Niederkirchner-Straße 36 10407 Berlin Markus.Krajewski@berlin.de Anja Rau Ebersheimstr. 5 60320 Frankfurt Gesine Lenore Schiewer Institut für Germanistik Universität Bern Länggassstr. 49 CH - 3000 Bern 9 Roberto Simanowski Philipp-Jacob-Rauch-Str. 11 12559 Berlin Beat Suter Bachstrasse 2 CH-5430 Wettingen Schweiz Joseph Wallmannsberger Universität Kassel Georg-Forster-Straße 3 D-34127 Kassel Karin Wenz Universität Kassel IAG Kulturforschung 34109 Kassel wenz@uni-kassel.de Uwe Wirth Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main "Buch und Medienpraxis" Institut für Deutsche Sprache und Literatur II Postfach 111932 60054 Frankfurt am Main U.Wirth@lingua.uni-frankfurt.de