Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2005
281-2
KODIKAS/ CODE Ars Semeiotica An International Journal of Semiotics Volume 28 (2005) No. 1-2 Special Issue / Themenheft Karl Bühler Herausgegeben von Achim Eschbach und Mark Halawa Achim Eschbach und Mark Halawa Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Karl Bühler Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Karl Bühler Der Zeichenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Karl Bühler What is a Sign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Karl Bühler Indicative Signs Crime, health and weather from the angle of semantics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Karl Bühler The Symptoms of Health and Illness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Karl Bühler Representative Signs A chapter on symbols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Gerold Ungeheuer Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Dieter Wunderlich Karl Bühlers Grundprinzipien der Sprachtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Kevin Mulligan The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks . . . . . . . . . . 71 Contents 2 Josef Krug Zur Sprachtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Jens Loenhoff Karl Bühlers Ausdruckstheorie: zu einer Sematologie des Nichtsprachlichen . . . . . . 109 Albert Wellek Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Vittorio Benussi Die Gestaltwahrnehmungen Bemerkungen zu den gleichnamigen Untersuchungen K. Bühlers, Bd. I. . . . . . . . . . . 129 Fiorenza Toccafondi De Karl Bühler à Karl R. Popper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Achim Eschbach und Gabi Willenberg Karl Bühler über Aphasieforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Quellennachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Publication Schedule and Subscription Information The journal appears 2 times a year. Annual subscription rate 98,- (special price for private persons 64,-) plus postage. Single copy (double issue) 54,- plus postage. The subscription will be considered renewed each year for another year unless terminated prior to 15 November. Besides normal volumes, supplement volumes of the journal devoted to the study of a specialized subject will appear at irregular intervals. © 2006 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG P.O.Box 2567, D-72015 Tübingen All rights, including the rights of publication, distribution and sales, as well as the right to translation, are reserved. No part of this work covered by the copyrights hereon may be reproduced or copied in any form or by any means - graphic, electronic or mechanical including photocopying, recording, taping, or information and retrieval systems - without written permission of the publisher. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Setting by: Nagelsatz, Reutlingen Printed and bound by: ilmprint, Langewiesen Printed in Germany ISSN 0171-0834 Einleitung Sematologie kennzeichnet für Karl Bühler (1879-1963) spätestens seit seiner Sprachtheorie (Bühler, 1934) dasjenige semiotische Forschungsprogramm, das er im Zuge seiner fortschreitenden Tieferlegung der theoretischen Fundamente der Psychologie erreichen wollte. Hatte Bühler sich in seiner Krise der Psychologie (Bühler, 1927) noch um den Beweis bemüht, daß die im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts konkurrierenden psychologischen Ansätze der Erlebnispsychologie, des Behaviorismus sowie der geisteswissenschaftlichen Psychologie ein vereinigendes Moment im Phänomen der Sprache finden können, was Bühler eindrucksvoll und prägnant in seiner dreigliedrigen Axiomatik der Krise der Psychologie niedergelegt hat (cf. Bühler, 1927: 50 f.), setzt er sich in seiner Sprachtheorie bereits eine Ausarbeitung der drei Bücher über die Sprache zum Ziel. Verifiziert hält Bühler die These von den drei Sprachfunktionen Darstellung, Ausdruck und Appell, “wenn alle drei Bücher über die Sprache, die das Organon-Modell verlangt, geschrieben sind” (Bühler, 1934: 33). Wir haben bereits 1987 in einem Beitrag für die Zeitschrift Conceptus (cf. Eschbach/ Willenberg, 1987) darauf aufmerksam gemacht, daß dies nicht als Bühlers abschließende Meinung angesehen darf, denn kurz bevor Karl Bühler von den Nazis in die Emigration getrieben wurde, plante er eine allgemeine Sematologie oder Lehre von den Zeichen im Sinne einer Logik der Geisteswissenschaften, die er im TS 90 als “die logische Heimat der Sprachtheorie” bezeichnet. Wörtlich heißt es in diesem Text weiterhin: “Meinen Vorschlag kennen Sie: Man vergleiche die Sprache mit anderen Darstellungsgeräten. Wären wir soweit und könnten eine allgemeine Zeichenlehre, eine ausgewachsene Sematologie vorlegen, so wäre unser Beitrag geleistet. Eine allgemeine Sematologie - das ist es, was zustande gebracht werden muß und hier werden von allen Seiten die heute noch getrennten Beiträge einmünden” (Bühler, TS 90: 4; Hervorhebungen im Original). Im Sinne dieser Zielsetzung haben wir uns bei der Textauswahl für den vorliegenden Band an solchen bislang unpublizierten Arbeiten aus der Zeit der Emigration orientiert, die dazu geeignet erscheinen, einen nachhaltigen Eindruck des Denkweges zu vermitteln, den Karl Bühler ab ca. 1940 vorgenommen hatte. Wir haben die Texte weitestgehend in dem Zustand belassen, wie sie uns im Nachlaß vorliegen. Lediglich bei den englischsprachigen Texten war eine stärkere Textedition erforderlich, die Herr Adam Christian von Wald dankenswerterweise erledigt hat. Der autobiographische Text “Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933” verlangte eine ausführlichere Auseinandersetzung, als sie in dieser Einleitung möglich ist. Karl Bühlers Essayfragment muß im Zusammenhang der rund 250 weiteren Beiträge gesehen werden, die das Preiskomitee an der Harvard University schließlich erreicht haben. Bereits im Septemberheft der Zeitschrift Character and Personality von 1941 haben Allport, Bruner und K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Achim Eschbach und Mark Halawa 4 Jandorf eine erste summarische Beschreibung der Essaybeiträge geliefert. Einen vollständigen Überblick über sämtliche Preisessays bieten Harry Liebersohn und Dorothee Schneider (2001) in ihrem Guide to a Manuscript Collection at Houghton Library, Harvard University. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn sich weitere Wissenschaftler wie Detlef Garz mit der Würdigung und Auswertung dieser ebenso beeindruckenden wie bedrückenden Sammlung befassen würden, damit nicht nur wenige separat publizierte Wettbewerbsbeiträge wie diejenigen von Karl Löwith (1986), Käthe Vordtriege (1999) und Eva Wysbar (2000) dem Vergessen entrissen werden. Was die Sekundärtexte zu Karl Bühler in diesem Band betrifft, so fußt ihre Auswahl auf dem von uns vertretenen Standpunkt, dass es sich bei ihnen durchweg um Beiträge handelt, die das Bühler’sche Werk in nach wie vor gewinnbringender Weise fruchtbar machen. Selbstverständlich wird dabei auch der ein oder andere Gedanke Bühlers kritisch in Augenschein genommen, was sich besonders gut bei Vittorio Benussis Ausführungen zu den gestalttheoretischen Beiträgen Bühlers nachzeichnen lässt. Gerold Ungeheuer unternimmt den Versuch, das von Bühler ins Spiel gebrachte Steuerungsprinzip im sprachlichen Kontakt miteinander als fundamentalen Bestandteil von Kommunikationsprozessen herauszuarbeiten. Anders als in vielen anderen Abhandlungen zu Bühlers Sprachtheorie, beruft sich Ungeheuer hier primär auf die von Bühler in seiner Krise der Psychologie eingeführte Dreieraxiomatik, die den “Ursprung der sprachlichen Semantizität”, wie Ungeheuer ausführt, an das Prinzip der Gemeinschaft, der Steuerung sowie die Einführung symbolischer Zeichen knüpft. In Bezug auf die 1934 publizierte Sprachtheorie stellt Ungeheuer ferner fest, daß sie sich nur im Zusammenhang zu besagter Axiomatik in der Krise von 1927 nachvollziehen lasse. Mit Dieter Wunderlich, Kevin Mulligan und Josef Krug konzentrieren sich gleich drei Autoren eingehend auf die Bühler’sche Sprachtheorie. Während Wunderlich die Grundprinzipien des Bühler’schen Sprachansatzes herauszuarbeiten versucht, bemüht sich Mulligan darum, Bühlers sprachanalytisches Denken mit dem Ludwig Wittgensteins zu vergleichen. Josef Krug schließlich analysiert und vergleicht die von Bühler entwickelte Dreiteilung der Sprachfunktionen Darstellung, Ausdruck und Appell mit dem von Alexius Meinong in die sprachwissenschaftliche Diskussion eingebrachten Begriffspaar Ausdruck und Bedeutung. Mit Jens Loenhoff beschäftigt sich ein Autor mit einem der Werke Bühlers, dem vergleichsweise geringe Beachtung geschenkt wurde - und das, obwohl es neben der Sprachtheorie, die sich primär dem Darstellungsaspekt zuwendet, um das zweite große Buch handelt, das als Konsequenz aus dem Postulat der drei Aspekte der Sprache zu verstehen ist. Die Rede ist von der Ausdruckstheorie, die, 1933 veröffentlicht, den Reflexionen zum menschlichen Ausdruckvermögen historisch anhand einer Würdigung und Kritik von Ausdruckstheoretikern wie Darwin, Bell oder Piderit nachgeht. Loenhoff betrachtet in seinem Beitrag nun die nichtsprachlichen Facetten des sozialen Miteinanders unter sematologischen (sprich: zeichentheoretischen) Gesichtspunkten. Albert Welleks Beitrag stellt, obgleich bereits 1959 publiziert, noch heute eine der klarsten und fruchtbarsten Einführungen zu Bühlers Krise der Psychologie dar. Aus heutiger Sicht interessant erscheint zudem Welleks Überzeugung, wonach sich aus seiner damaligen Sicht die aktuelle psychologische Forschung noch immer in einer Art “Methodenkrise” befinde, aus der seiner Auffassung nach gerade Bühlers kritische Reflexionen in der Krise einen Ausweg bereiten könnten. Bei Vittorio Benussis Ausführungen zu Bühlers 1913 erschienener Arbeit Die Gestaltwahrnehmungen handelt es sich um eine anerkennende und kritische Rezension zugleich. Einleitung 5 Fiorenza Toccafondi hingegen bemüht sich um einen Vergleich des Bühler’schen Werkes mit dem Denken seines Schülers Karl R. Popper. Ähnlich wie es Jens Loenhoff tut, befassen sich Achim Eschbach und Gabi Willenberg mit einem Thema, dem bis heute in der Bühlerforschung nur wenig Beachtung geschenkt wurde, nämlich Karl Bühlers Verdienste um die Aphasieforschung. Eschbach und Willenberg weisen dabei unter anderem anhand von autobiographischem Material aus dem Bühler- Nachlaß nach, daß Bühler während des Ersten Weltkrieges einerseits aktiv an Studien zum Aphasiephänomen teilnahm, er andererseits auch nach seinem Wechsel von der Medizin (Bühler war ausgebildeter Mediziner) in die Psychologie nie das Interesse an medizinischen Problemen und Fragestellungen verlor, sondern stets den Dialog mit seinen medizinischen Kollegen gesucht hat. Schließlich kommen mit Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden zwei Autorinnen zu Wort, die sich nicht direkt mit Karl Bühler, dafür aber mit seiner Frau Charlotte auseinandersetzen. Im Rahmen des vorliegenden Bandes erscheint dieser Beitrag besonders aus zwei Gründen interessant: Zum einen handelte es sich bei Charlotte Bühler um eine Wissenschaftlerin, deren Werk - im Vergleich zu dem ihres Mannes - innerhalb der Psychologie (hierin vor allem in der Entwicklungspsychologie) noch heute eine breitere Rezeption erfährt. Zum anderen gewähren uns Bürmann und Herwartz-Emden einen Blick hinter die Kulissen des Ehepaares Bühler. Unter anderem berichten sie etwa über die Rolle Charlottes bei der Befreiung Karl Bühlers aus der Gestapo-Haft nach dem Anschluß Österreichs an das deutsche Nazi-Regime 1938. Literaturverzeichnis Allport, G.W.; Bruner, J.S. and Jandorf, E.M.: “Personality Under Social Catastrophe: Ninety Life-Histories of the Nazi Revolution.” In: Character and Personality 10 (1941-42), 1-22. Bühler, Karl: Die Krise der Psychologie. Jena: Fischer, 1927. Bühler, Karl: Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: Fischer, 1934. Bühler, Karl: “Das synsemantische Umfeld.” Bühler-Editions-Projekt. Eschbach, Achim und Willenberg, Gabi: “Karl Bühlers neue Philosophie der Psychologie.” In: Conceptus 21 (1987), 103-114. Liebersohn, Harry und Schneider, Dorothee: “My Life in Germany Before and After January 1933”: A Guide to a Manuscript Collection at Houghton Library, Harvard University. In: Transactions of the American Philosophical Society, 91: 33 (2001). Löwith, Karl: Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht. Mit einer Vorbemerkung von Reinhard Koselleck und einer Nachbemerkung von Ada Löwith. Stuttgart: Metzler, 1986. Vordtriede, Käthe: “Es gibt Zeiten, in denen man welkt.” Lengwil: Libelle, 1999. Wysbar, Eva: “Hinaus aus Deutschland, irgendwohin.” Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Lengwil: Libelle, 2000. Essen, im März 2006 Achim Eschbach und Mark Halawa * Bei diesem Text liegt eine Ankündigung eines Preisausschreibens, die als Preisrichter Gordon W. Allport, Sidney B. Fay und Edward Y. Hartshorne nennt, und zur Einsendung eines Aufsatzes mit folgendem Titel bis zum 1. April 1940 aufruft: “Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933”. Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 * Karl Bühler Ich bin geboren in der Nähe von Heidelberg in Deutschland und jetzt 60 Jahre alt. Mein Leben spielte sich bis 1922 in Deutschland und dann durch 16 Jahre bis 1938 in Wien in Oesterreich ab. Was ich hier niederschreibe, sind Lebenserinnerungen, in denen sich das nationale Geschehen von 1914 bis 1938 spiegelt; ich versuche darin selbst darüber klar zu werden, wie einer unter den Vielen die Dinge, die über uns hereinbrachen, miterlebt hat. I. Der Weltkrieg 1914-1918. Am Entscheidungstage (31. Juli 1914) verließ ich nach dem Abendessen meine Wohnung in Schwabing (München, Georgenstraße 13) und ging die Ludwigstraße entlang auf die Feldherrnhalle zu und auf diesem Gang hörte ich das Ausrufen der Kriegserklärung durch Zeitungsträger, die das letzte Extrablatt verkauften. Extrablätter alle paar Stunden, das war damals vor dem Radio der Nachrichtendienst. Was ich erzählen und beschreiben will, ist der Eindruck, den das Ereignis auf mich machte. Jeder in Deutschland sah ihm entgegen durch Tage und Wochen, man war in dieser oder jener emotionalen Einstellung zum Krieg darauf vorbereitet und hatte das Schreckliche innerlich als kommendes Faktum übernommen, es war kein Blitzschlag aus heiterem Himmel, keine Überraschung. Und doch! Daß das Befürchtete in diesem Augenblick zu einem Definitivum geworden war, bedingte den Einschnitt. Viele haben Derartiges in anderen Dingen z.B. am Sterbensbett eines nächstverwandten Menschen erfahren. Mit dem Kriegsausbruch aber war es in vielen Punkten doch nicht dasselbe, sondern anders. Kriegszustand mit Frankreich! Wenn ich so genau als möglich angeben soll, wie mir es war, so sind einige Notizen am gleichen Abend meine Quelle. Es schoß etwas durch den Körper des Gehenden, seine Knie waren weich für einige Sekunden und dann war er automatisch in rascher Bewegung, im Trab, ohne von anderen angesteckt zu sein; erst später sah ich viele Straßengänger in derselben hastigen Bewegung. Das Ziel des Ganges war nicht verändert, ich kam auf den Platz vor dem Rathaus, las das Extrablatt und ging in eines der Caféhäuser dort am Platz. Und heute noch, wo ich das niederschreibe nach 21 Jahren kann ich ähnlich wie Eidetiker gleichgültige Einzelheiten innerlich wiederholen: den kleinen, runden, weißen Marmortisch, an dem ich Platz nahm und genau, wo er stand im Saal, den K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl Bühler 8 Ausdruck im Gesicht der Kellnerin (ein nichtssagendes Lächeln) u.s.w. Aber was innerlich in mir eingetreten war, das steht nur ganz unvollkommen in den Notizen am gleichen Abend. Darin kommt nur vor, daß das ‘Sie’ in der Anrede fremder Personen plötzlich unangebracht erschien, vielleicht hab ich sogar ‘Du’ gesagt ohne es zu wissen in den ersten Minuten. Es ist weiter notiert, das drängende ‘wenn ich jetzt nur vor meiner Klasse stände! ’ Kein Wort, was ich hätte sagen wollen. Doch ich will nicht weiter zitieren; ich war und blieb allein an diesem Abend, ging nach zwei Glas hellem Münchener Bier, das man aus hohen Bechergläsern dort trank, nach Hause. Alle Details sind vergessen, der eigentliche Charakter der Erinnerung bricht im Cafehaus selbst ab. Der psychologische Sinn oder Lebenssinn meiner inneren Reaktion auf die Nachricht des Kriegsausbruchs, den ich jetzt niederschreibe, ist Deutung aus dem Verhalten in den nächsten Tagen. Am frühen Morgen des 4. Kriegstages stand ich 35-jährig mit vielen andern als Freiwilliger auf dem zugewiesenen Platz, ich wurde für den Infanteriedienst ausgebildet; vier Wochen lang. Und das war alles selbstverständlich, der Entschluß zur Meldung und alles drum und dran ist völlig vergessen. Keine Rede von einer schlaflosen Nacht oder sonstigen Aufregungen in diesen Tagen, es ging alles im Charakter der täglichen Lebensroutine oder höchstens, wie man eine Ferienreise antritt, es war Semesterschluß und ich weiß nicht mehr, was ich für die Ferien vorhatte. Wir marschierten, wurden gedrillt, es waren viele Akademiker dabei, das alles steht nur fetzenhaft in der Erinnerung und ist in den Gefühlston von Augustsommern und Singen und lustigem Campleben getaucht. Warum bei allen dieselbe Unbekümmertheit und Selbstverständlichkeit? Ich nehme an, daß am gleichen Tag 90% der deutschen Bevölkerung die gleiche innere Umstellung wie ich durchgemacht hatten, aber nur für mich will ich versuchen, sie in nachträglicher Integration einigermaßen zu umreißen. An jenem Abend des 31. Juli muß wohl in dem psychologischen System, von dem ich spreche, etwas vorgefallen sein, was als Analogon zu den einfacheren und klareren emmergency-Reaktionen der Lebewesen zu bezeichnen ist. Ein Organismus erfährt mitten in einer Tätigkeit plötzlich heftigen Schmerz, es ist wie ein SOS Ruf des verletzten Körperteils und der Organismus tut, was der Augenblick erfordert. Wir hörten die Kriegserklärung und taten auch, was die Lage erforderte; d.h. die Individualinteressen des Alltags waren plötzlich nicht mehr, was das Leben bestimmte, sondern es […]. Aus dem Felde liegen Tagebuchnotizen und Briefe vor, auf die ich mich in den folgenden Schilderungen stützen konnte; ich war ungefähr 1 1/ 2 Jahre an der Westfront und später einmal für Kurzzeit in Mazedonien und diente im Ganzen vier Jahre und vier Monate bis Weihnachten 1918. Von 1916 bis 1918 war ich in München, Chefarzt der Kraftfahrer- Abteilung in München, deren Entmobilisierung ich bis Weihnachten 1918 leitete. 1. Oktober 1918 an der Westfront; ich war in wechselnden Stellungen als Arzt zuerst in einem Reservelazarett in Cambrai, leitete ein isoliertes Lazarett für Typhus Kranke (typhoid fever), war Chefarzt der ärzlichen Wachabteilung am Bahnhofsknotenpunkt in Cambrai, einige Wochen detachiert an die belgische Front zur Hilfe nach den schrecklichen Verlusten vor Jpern und Dixmuiden und dann Regimentsarzt eines bayrischen Pionierregiments (engineer corps), das der obersten Heeresleitung im Westen unmittelbar unterstellt war und auf der ganzen Strecke von Westende im Norden bis in die Gegend von … stets dort eingesetzt wurde, wo die augenblickliche Lage es erforderte. Durch diese ständigen Verschiebungen kamen wir in Berührung mit anderen Truppenteilen aus allen Gauen Deutschlands und ich erhielt ein ziemlich detailreiches Bild von dem Geist der Truppen. Über medizinische Dinge will ich nicht viel sagen: Wir waren in diesen ersten Kriegsjahren vorzüglich mit allem versehen und der ärztliche Dienst war der Lage nach voll- Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 9 kommen gewachsen. Ich habe es z.B. mit meinen Augen gesehen, daß die Typhusgefahr, welche nicht gering war am Anfang und immerhin eine erhebliche Anzahl von Tausenden von Patienten in die Lazarette lieferte, im Laufe der relativ ruhigen Monate an der Front (um die Jahreswende von 18/ 19) so gut wie vollständig beseitigt wurde. Das Gleiche gilt von der Amoeben-Dysenterie und den wenigen aus dem Osten kommenden Cholera-Fällen; ich hatte in meinem Be reich zehntausende von Soldaten im Feld und später in der Heimat gegen Cholera und Typhus zu impfen. Relativ machtlos war man als Bahnhofsarzt, der verantwortlich war für die Verladung der aus dem Feldlazarett abtransportierten Schwerverwundeten in die Lazarettzüge. Nichts als Nachblutungen kontrollieren, verschobene Verbände erneuern, Fiebernde und Sterbende herausnehmen - eine Tätigkeit, die mehr auf die Nerven ging als die Tätigkeit später unmittelbar an der Front. Im Norden war die Zahl der Kopfschüsse erschrekkend; wir hatten auch bei schlechten Aussichten auf den Befehl des leitenden Chirurgen zu trepanieren und waren durch einige Wochen mindestens 18 Stunden im Tage im Zeuge, um der Flut von Verwundeten Herr zu werden. Über alles Lob erhaben war das Verhalten dieser Jungen, die in ganzen Regimenten von Freiwilligen (Studenten, Kaufleute) aus dem Eisenbahnwagen weg eingesetzt wurden und dann oft nach wenigen Stunden lagen; sie konnten sich nicht tief eingraben, weil das Grundwasser in diesem Flachland zu hoch stand und hatten neben ihrer Kriegsbegeisterung nicht die geringste Felderfahrung. Sehen, wie sie schließlich wegstarben nach ihren Kopfschüssen und einiges zu ihrem Troste tun (z.B. einen letzten Brief für sie an Eltern schreiben) war der allzuhäufige Abschluß in diesem Feldlazarett vor Dixmuiden. Meine Pioniere waren aus Niederbayern, Messerstecher und Raufbolde daheim und auch manchmal im Ruhequartier, aber äußerst zuverläßige Kameraden, die nie einen Verwundeten vor dem Stacheldraht hilflos sterben ließen und wenn es auch noch so gefährlich war, ihn nachts hereinzuholen. Der alte Friedhof Suchez, durch den unser Graben ging, und die Lorettohöhe war eine Hölle, in die wir mehrmals zur Hilfe geschickt wurden. Meine Tätigkeit war gewöhnlich hinter der Front in irgend einem der halbzerschossenen Dörfer. Von dem Grabendienst, der dann und wann auf mich fiel, weiß ich kaum mehr, als daß es schrecklich langweilig war: die langen Nächte besonders ohne Beleuchtung in einem Unterstand mit stets denselben paar Offizieren, solche 16 und mehr Stunden aufgezwungener Ruhe waren schlimmer als der Tag. Erst viel später wurde es besser, als man elektrische Beleuchtung hatte und Bücher durch die Feldpost bekam zum Lesen. Zwei oder drei Dinge nun stehen Karl Bühler 10 lebhafter in meinem Gedächtnis; eine Verschüttung in einem von den Pionieren gegrabenen Stollen, es dauerte nach dem Artilleriefeuer der Franzosen (dem der erwartete Infanterieangriff glücklicherweise nicht folgte) immerhin etwa drei Stunden, bis die eigenen Leute uns vier ausbuddelten und eine Panik an einem Samstag Nachmittag in einer Kirche in Lille, wo ein Konzert für die dienstfreien Soldaten gegeben wurde, während die Engländer gegen alles Gewohnheitsrecht einige Granaten schickten. Die Kirche gesteckt voll und viel Etappenleute ohne Feuererfahrung darunter - ich konnte am eigenen Leib verspüren, wie die Unruhe ansteckt, es ist dann schließlich die Kirche doch ohne ernsten Unfall geräumt worden. Das dritte war die Explosion eines deutschen Munitionsdepots mitten in der dichtbevölkerten und dicht mit Einquartierung belegten Stadt Lille. Ganze Häuserblocks eingestürzt, in manchen Straßen die Fronten der Häuser aufgerissen, Tausende von Toten und Verwundeten, es mußte helfen, wer konnte. Das Leben hinter der Front in den acht- oder sogar 14-tägigen Ruhepausen unserer Truppe war idyllisch in Frankreich. Es war eine Freude zu sehen, wie sich der Landsturm mit den zurückgebliebenen Franzosen eingerichtet hatte, wie sie Essen austauschten u. sich mehr mit Gebärden als mit Sprache verständigten. Einmal zur Erntezeit 1915 sah ich sogar russische Kriegsgefangene, die neben dem Weibervolk der Franzosen unter der Anleitung deutscher Landstürmer arbeiteten. Diese tri-linguistischen Gruppen zu studieren, wäre interessant gewesen, wenn es für den Beobachter länger gedauert hätte. Ich habe es nie versäumt, in der Etappe durch den Maire verkünden zu lassen, daß ein Arzt da ist und Hilfe für die Bevölkerung bereit steht. Das wurde von den meisten benützt und einmal hab ich in der Nacht ein Franzosenbaby zur Welt gebracht, wo die Hebamme sich nicht zu helfen wußte. Ich kenne in der ganzen Welt keine feinfühligere Landbevölkerung als die in Nordfrankreich. März 1916 wurde ich von der Universität München angefordert, weil in meinem Fach niemand mehr war, der für die Frauen und kriegsuntüchtig gewordenen Männer unter den Studenten Vorlesungen halten konnte. Vormittags versorgte ich von nun an medizinisch meine Kraftfahr-Abteilung und nachmittags war ich Professor; es kam dann bald noch die Untersuchung und Behandlung von rekonvaleszenten Soldaten mit verheilten Kopfschüssen hinzu. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Kopfstation sind von Isserlin und seinen Schülern veröffentlicht, ich habe ein weniges mitgeholfen. Tauglichkeitsprüfungen an Rekruten für den Kraftfahrdienst waren, bevor ich nach München zurück kam, eingerichtet; ich habe den Betrieb übernommen und fortgeführt. Das Unternehmen war nicht großzügig genug, um faßbare praktische Ergebnisse zu zeitigen. Die Heeresverwaltung glaubte nicht an die Nützlichkeit der Psychologie und so geschah im Ganzen sehr viel weniger in Deutschland auf diesem Gebiet als anderwärts besonders in Amerika. Es war bei den Kraftfahrern unter den gegebenen Umständen nicht viel zu leisten; denn ich hab es selbst erlebt und mitgemacht, daß bei dem Mannschaftsmangel der letzten Kriegsjahre der Kraftfahrtruppe nur solche zugewiesen wurden, die für andere Waffengattungen untauglich waren. ‘Kriegstauglich für Kraftfahrer’ hieß nach den ausdrücklichen Instruktionen, daß der Mann z.B. eine leichte Tuberkulose durchgemacht hatte oder zu schwächlich war oder einen (sogar zwei) Klumpfüße hatte, also nicht marschieren konnte u.s.w. Wir erhielten in steigendem Maß Mannschaften in negativer Auslese und die mußten schlechthin alle fahren lernen. Es war auch danach. Nimmt man den Mangel an Gummibereifung mit all den unzulänglichen Ersatzversuchen (Stahlfedern u.dgl. an Lastwagen und Personenwagen anstelle von soliden Gummireifen oder Pneumatics), dann versteht man, daß und warum das deutsche Kraftfahrwesen dem seiner Gegner mehr und mehr unterlegen war. Praktisch dringender war die Flieger- Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 11 auslese und ich ging mit einem jüngeren Kollegen mit viel großem Elan an sie, als die Fliegerschule in Schleissheim bestürzt über den großen Prozentsatz von Unfällen zu uns kam. Die Aufgabe war neu, wir setzten mit sehr geringen Hilfsmitteln ein, doch als wir selbst lernend mit unserer Einrichtung soweit waren, daß nunmehr wirkliche Erfolge greifbar wurden, war es Sommer 1918 geworden und der Krieg für Deutschland verloren. Den ersten Bericht aus dem Großen Hauptquartier nach dem großen Frühjahrsangriff der Deutschen an der Westfront hörte ich auf einem Hügel bei Nesküp in Mazedonien. Dort war ein großer Mast für den Radioempfang errichtet und etwa 18 deutsche Professoren waren unter der Leitung von Offizieren aus einem Hauptquartier im Osten dort zur Besichtigung, als die Nachricht eintraf. Wir hatten einen Studenten- und Offizierskurs hinter der Front in Prilep hinter uns und waren auf der Rückreise in Nesküp. Dieser Vortragskurs von etwa drei Wochen war eine schöne Einrichtung. Man zog etwa 300 Studenten und Offiziere zusammen und gab ihnen anstelle eines Heimaturlaubs die Gelegenheit, in Ruhe Vorlesungen zu hören. Deutsche Professoren aus den verschiedensten Gebieten, z.B. der Physiker Nernst, der Biologe Hertwig, Historiker wie Finke, Literarhistoriker Ackerbaums, Techniker u.s.w. waren in der Gruppe, ich brachte ausgewählte Kapitel aus der Psychologie. Wir alle sagten, daß wir noch nie eine so geradezu andächtig lauschende Gruppe von Zuhörern erlebt hatten als diese geistig aufzufrischenden Studenten. Für uns Dozenten war es eine Orientreise, wir sahen den Ochridasee und andere Wunder des Ostens und hatten unter sachverständiger Führung in den Autos des Oberkommandos Gelegenheit, die Lage der Front dort und die technischen Arbeiten auf dem damals unerhört langen Etappenweg kennenzulernen: Wunder der Technik im Straßen-, Brücken-, Seilbahnbau oft von einfachen Soldaten erdacht und ausgeführt. Und jetzt auf der Rückreise in Nesküp der erste Kriegsbericht vom Westen; der lang vorbereitete Angriff begonnen. Er entsprach nicht den Erwartungen; die mitgeteilte Zahl von 30.000 Gefangenen täuschte die sachverständigen Offiziere keineswegs, ich sah zum ersten Mal besorgte Gesichter. Soll ich beschreiben, wie sich dieselbe Besorgnis und die wachsende Enttäuschung in München im täglichen Dienst in der Truppe und in der Bevölkerung ausbreitete? Es wäre falsch zu sagen, daß es rasch ging. Wir hatten vieles ertragen und hofften weiter. Es war der arge Rüben-Winter hinter uns, der harte Winter auch ohne Kohlen zum Heizen und der Frühling brachte die Hoffnung auf frisches Gemüse - wenigstens, wenn nicht, mehr Fleisch oder gar Butter. Mein erstes Kind, im Frühjahr 1917 geboren, hatte nach schwierigen Bemühungen ihre Milch regelmäßig erhalten und mit uns ihren ersten Winter gut überstanden, 1 Liter täglich, auch sie wurde frühzeitig mit Rüben gefüttert und hatte nur im Frühjahr 1918 ihren Spinat und bald auch gelbe Rüben. Ich habe den Einfluß der schlechten Ernährung auf den Gesundheitszustand und die Morale der deutschen Bevölkerung genau verfolgt und wage zu sagen, daß eine ganze Reihe von guten Wirkungen den schlechten nahezu die Waage gehalten hat. Es waren keine Fettbäuche mehr zu sehen, das Straßenbild der Münchener Bevölkerung war gründlich verändert und zwar im guten Sinn. Ein Umblick unter Bekannten stellt leicht und mit Sicherheit fest, daß die Mehrzahl gesünder war und sich wohler fühlte als früher. Das gleiche sagen alle praktischen Ärzte. So war es in München, einer großen Stadt (500.000 oder mehr) und die ärmeren Bevölkerungsschichten machten keine Ausnahme von dieser Regel; es gab keine Arbeitslosen und alle Kriegsfrauen, deren Männer draußen oder gefallen waren, hatten hinreichende Geldversorgung. Man fürchtete damals, der Hunger werde sich unheilvoll an den heranwachsenden Kindern auswirken, und es ist wahr, daß ihre blassen Gesichter uns alle mit Besorgnis erfüllten. Aber es ist ebenso wahr, daß in wenigen Jahren nach dem Kriege die Folgen kaum noch zu sehen waren und Karl Bühler 12 daß heute die damals jungen Kinder in kaum irgendeinem Punkt gesundheitlich schlechter dran sind, als ältere oder jüngere Generationen, mit denen sie verglichen werden können. Beobachtungen an den Gefängniswärtern Das Untersuchungsgefängnis, in dem ich war, unterstand dem Polizeipräsidenten von Wien und hatte einen Major als Direktor. Der war geblieben unter dem neuen Regime und ebenso das Personal, die Gefängniswärter. Einige ausgetauscht und durch neue ersetzt natürlich, aber im Ganzen keine großen Änderungen; das konnte man selbst erfahren und außerdem hatte ich den besten Gewährsmann dafür, Herrn Dr. Weiser, in meiner eigenen Zelle. Wie war die Haltung dieses Personals? Eine durch direkte Beobachtungen klar zu beantwortende Frage. Vorausgegangen war in der ersten Woche nach dem Einmarsch ein Versuch, der scheiterte. Die Nazis hatten SS-Leute in alle Gefängnisse geschickt und denen die volle Macht übergeben; darauf waren gehäufte Selbstmorde der Gefangenen vorgekommen und die Maßregel wurde zurückgezogen. Jetzt, als ich dort erschien, war auch noch eine Gruppe von SS-Leuten im Gefängnis, aber sie griff nicht mehr in den täglichen Dienst der Wärter ein. Der einzelne Gefangene blieb also den alten Wärtern überlassen und kam mit SS nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten in Berührung. Davon später mehr. Dies alte Wärterpersonal war durchaus menschenfreundlich; ich habe in den 6 1/ 2 Wochen nicht einen einzigen Fall von Rohheit oder körperlicher Mißhandlung eines Gefangenen gesehen. Natürlich, es war ein Gefängnis und die Behandlung jetzt eine Fortsetzung dessen, was solche Männer jahrelang mit den früheren Insassen gewöhnt waren. Die früheren waren Rechtsbrecher aus der Hefe der ganzen Bevölkerung; wenn die jetzigen, die aus der Elite Wiens stammten, ungefähr ebenso wie jene andere Klasse herumkommandiert wurden, so empfanden sie es persönlich hart. Aber das lag in der Natur der Dinge. Im Ganzen machte sich die Wohlerzogenheit und geistige Überlegenheit der Gefangenen im Verhalten der Wärter geltend. Psychologisch interessant sind nur die Ausnahmen von dieser Regel. Es gab auch unangestellte Wärter und einen oder zwei unter den alten, die sich rasch auf den neuen Wind eingedreht hatten und sich hervortuen wollten. Kleine Anzeichen von Sadismus würde man das nennen, wenn solch einer die kleine Gruppe meiner Zellengenossen am Morgen in Hast aus dem Waschraum trieb, bevor sich der letzte gewaschen hatte oder einem langsam essenden alten Mann das Eßgeschirr wegriß, bevor er seine Linsen ausgelöffelt hatte. Nebensächliche Dinge, natürlich. Aber sie deuten den Punkt an, wo die raffinierte Technik der Nazis im Großen angriff und erstaunliche Wirkungen erzielte. Ich meine die Auslese. […] Der Schock und seine Folgen Hitlers Taktik ist der Blitzschlag. Als er Oesterreich nahm, war alles peinlich genau auf Tod und Lähmung des Feindes vorbereitet. Ich weiß nicht, wieviele den physischen Tod erlitten, ich weiß nicht, wieviele nach Dachau ins Konzentrationslager kamen; auch das bedeutete eine Art von Tod. Dagegen kann ich eine Angabe machen über die Zahl derer, denen eine Schock-Lähmung zugedacht war, es waren in den ersten Wochen schon zwischen 30.000 und 60.000, d.i. ½ bis 1% der Bevölkerung. Der unschuldige Ausdruck dafür ist Schutzhaft; man Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 13 wird in ‘Schutzhaft’ genommen, es bleibt offen, ob das Individuum oder die Gemeinschaft vor dem Individuum beschützt werden soll. Die Angabe 30-60.000 ist eine Schätzung, die […]. Die Zwischenzeit Die Zwischenzeit zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg zerfällt für mich in drei ungleiche Teile: A. 4 Jahre in Dresden (Jan 19 - Sept 22) B. 16 Jahre in Wien (Herbst 22 - März 38) C. Das Schock-Erlebnis (März 38 Januar 39) Seit Februar 39 bin ich in America. Narr Francke Attempto Verlag Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Sarah Dessì Schmid Ernst Cassirer und Benedetto Croce Ein Vergleich ihrer Sprachtheorien 2005, 275 Seiten, € [D] 58,-/ SFR 98,- ISBN 3-7720-8137-1 Ernst Cassirer und Benedetto Croce - Zeitgenossen, idealistisch geprägte Philosophen, strenge Kritiker des Positivismus - führten jahrelang einen mehr oder weniger offenen, meist kritischen Dialog. Das vorliegende Buch ist die erste Monographie zum Verhältnis zwischen den beiden Denkern, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der menschlichen Kultur und Geschichte und der Sprache als ‚Aktivität des Geistes‘ widmeten. Die vergleichende Darstellung der beiden Philosophen bietet einen gründlichen Einblick in ihre Theorien und in das Profil der Zeit sowie eine kritische Rekonstruktion eines wichtigen Abschnitts der romanischen und der deutschen Sprachwissenschaft. Gleichzeitig behandelt die Arbeit wichtige allgemeine sprachtheoretische Probleme, die relevant für die aktuelle Diskussion sind: die Frage des kommunikativ-kognitiven Wesens der Sprache und ihrer Stellung in der Erkenntnis, die Frage des Verhältnisses von Sprache und Kultur und allgemeiner von Natur- und Kulturwissenschaften. Sprachwissenschaft Der Zeichenbegriff Karl Bühler Irgendwo am Anfang oder im Fortgang seines Unternehmens muß sich der Sprachtheoretiker um die rein logische Angelegenheit einer Analyse und Definition des Zeichenbegriffes bemühen, sonst läuft er Gefahr, in ein Dickicht von Mißverständnissen und Scheinproblemen zu geraten. Wir haben die Sphäre, in der sich unser Denken bewegt und umsieht durch freie Wahl festgelegt und werden auch hier jeder Versuchung, darüber hinauszugreifen, widerstehen. Noch einmal: der empirische Sprachforscher findet sich und was er untersuchen will zusammen in der Welt vor; wenn er Augen und Ohren auftut, so begegnet er sinnlich Wahrnehmbarem, das den Anspruch erhebt, nach seiner Zeichennatur betrachtet und wissenschaftlich bestimmt zu werden, weil es als Zeichen von den Produzenten in die Welt gesetzt und von den (“Verbrauchern” ist man versucht zu schreiben) Empfängern als Zeichen entgegengenommen wird. Was in diesem Anspruch beschlossen liegt, ist die einfache und einzige Frage, die wir stellen. Das hervorgehobene “weil” deutet noch einmal die frei gewählten Grenzen und den Rahmen des ganzen Unternehmens an. Das Umgehen mit Zeichen wird als Faktum vorausgesetzt; die Praxis der Zeichensetzung und der Zeichenhinnahme steht uns fest, bevor wir als Theoretiker zu reflektieren beginnen. Und wenn wir es tun, so richtet sich das ganze Bemühen darauf, den schlichten Sinn dieses Umgehens mit Zeichen logisch exakt zu bestimmen. Man sollte die Tragweite einer derart gestellten Aufgabe von Anfang an richtig einschätzen. Die sinngemäße Erledigung, die treffende und befriedigende Antwort, welche wir suchen, kann und darf nicht beginnen wie das Johannes-Evangelium mit irgend einem der auf unserem Gebiete denkbaren “Im Anfang war …” Wenn wir nur wüßten, was am Anfang war! Vielleicht der […], vielleicht hat Fichte recht und mit ihm Cassirer und es war die schöpferische Funktion (Energeia) der Zeichensetzung und Goethes Faust sollte zu deutsch schreiben “Im Anfang war die Tat”. Aber selbst wenn wir dies wüßten oder mit ganzer Inbrunst zu glauben bereit sind, so darf diese Antwort nicht in unseren Kontext geraten. Dieser Kontext sagt: Zeichenhaftes war in der Welt gefunden und aufgegriffen. Wer als Logiker darüber zu reflektieren beginnt, was das heißt, darf nicht als Erkenntnistheoretiker antworten. Hätte er das Glück, einen Inblick zu gewinnen, was und wie es “im Anfang” war, so muß er diese Erkenntnis vorläufig zurückstellen, einfach deshalb, weil seine Offenbarung in dem gegebenen Kontexte unverstanden bleiben müßte. Und das gilt nicht nur für jede positiv beglückende, sondern auch für jede negative Offenbarung; z.B. für diejenige, welche uns das “Zeichensein” von vornherein als Lug und Trug verkünden wollte. Das gibt es auch; es gab im Zuge des im Mittelalter erwachenden Nominalismus solch erste radikale Bilderstürmer und sie sind heute wieder auf der Bildfläche erschienen. Wir haben allen Offenbarungen gemeinsam vorerst nichts als die eine Bitte vorzutragen, man soll, bevor der Schleier endgültig K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl Bühler 16 weggezogen wird, dem naiven Auge gestatten, in Ruhe das zu bestimmen, was es vor jeder Enthüllung zu sehen vermeint. Man darf, man sollte auf keinem Gebiete die anspruchslose Priorität der reinen, d.h. erkenntnistheoretisch und ontologisch neutralen oder unwissenden “Phänomenologie” bestreiten. Außer dem Zeichenhaften gibt es noch vieles andere in der Welt, was mit vergleichbaren Ansprüchen auftritt als ein so uns so Gesetztes und Hingenommenes wissenschaftlich bestimmt zu werden. Wir suchen nach bewährtem Rezept ein genus proximum und die differentia specifica des Zeichenbegriffes und müssen uns zu diesem Zwecke mit einigem Vergleichbaren beschäftigen. Ein Logiker von heute weiß, daß er von sich aus den um die Erforschung von derartigem bemühten Einzelwissenschaften nicht eindeutig vorschreiben kann, zu welcher “Begriffspyramide” sie gelangen müssen und ist darauf gefaßt, im Schoße der Einzelwissenschaften mehr als ein einziges wissenschaftlich fruchtbares genus proximum zu finden. Wenn ein Chemiker den Diamanten als reinen Kohlenstoff, ein Mineraloge als Kristall und ein Juwelier als Edelstein (mit den und den Schmuckeigenschaften) bestimmt, so sind das für die formal logische Betrachtung zunächst einmal drei verschiedene und gleichberechtigte Klassifikationen, über deren sachbegründetes Verhältnis zueinander nicht er (der Logiker), sondern der naturwissenschaftliche Warum-Forscher weiter nachzudenken hat. Wir vermögen auf unserem Gebiete ein wissenschaftlich fruchtbares genus proximum, wir vermögen einen logisch einwandfreien Oberbegriff zu dem, was die nächstbeteiligten Einzelwissenschaften mit dem Namen ‘Zeichen’ treffen und fixieren wollen, namhaft zu machen. Wenn andere einen zweiten und dritten daneben stellen können, so wird es zuguterletzt die Aufgabe des geisteswissenschaftlichen Warum-Forschers sein, darüber nachzudenken, ob und wie die mehreren, einzelwissenschaftlich gleich fruchtbaren Oberbegriffe sachlich zusammenhängen und begründet sein mögen. Doch das ist und bleibt, soweit ich sehen kann, vorerst eine rein akademische Vorsicht, weil auf dem Gebiete der Sematologie noch keinerlei Wettbewerb von mehreren Oberbegriffen hervorgetreten ist. § … Die Stellvertretung als genus proximum des Zeichenbegriffes 1.) Die Scholastiker, welche einige Grundfragen der Sematologie scharfsinnig zu formulieren und zu beantworten verstanden, sagen kurz und bündig: aliquid stat pro aliquo, das sinnlich Wahrnehmbare an der Sprache steht für etwas anderes als was es selbst ist, es fungiert als Stellvertreter. Wilhelm von Ockham schreibt mit Vorliebe auch “supponere” dafür. 1 Wer sich umsieht, findet allerhand Modi der Stellvertretung in der Welt; die Sprachzeichen gehören zu mehreren von ihnen. Was ist das, eine Stellvertretung? Es läßt sich erstens überall, wo wir von Stellvertretung sprechen, eine Ordnung (ordo rerum) angeben, in welcher die beiden Konstituenten, der Vertreter und das Vertretene, den selben Platz einnehmen. Sie sind im Rahmen dieser Ordnung als platzidentisch zu bezeichnen. Und es gibt zweitens zu jedem Modus der Stellvertretung eine Art des wahrnehmbaren Geschehens, eine Art von Prozessen, in denen hic et nunc der konkrete Akt der Stellvertretung erfolgt. Wir wollen an einer Serie von Beispielen jeweils beides, die ideelle ordo rerum (und in ihr die Platzidentität der Konstituenten) und den realen Erfüllungsprozeß des Stellvertretens angeben. Dann erst Der Zeichenbegriff 17 soll die Aufgabe, das begrifflich allgemeine Schema der Stellvertretung schlechthin zu fixieren, weiter verfolgt werden. Anmerkung 1 Supponere pro aliquo gebraucht Ockham, wie dies nach Thurots Nachweis mindestens schon seit dem Jahre 1200 üblich war, in intransitivem Sinne gleichbedeutend mit stare pro aliquo. M. Baumgartner in Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie. II 10 S. 602. narr studienbücher Ulrich Schmitz (Hrsg.) Linguistik lernen im Internet Das Lehr-/ Lernportal PortaLingua narr studienbücher, 2004, 281 Seiten, div. Abb., € 19,90/ SFr 34,90 ISBN 3-8233-6073-6 PortaLingua ist das deutschsprachige Portal zum Lernen und Lehren von Sprach- und Kommunikationswissenschaft im Internet.Studienanfänger können sich damit eine vollständige Einführung erarbeiten, die große Teile des üblichen Kanons im Grundstudium an den meisten deutschen Universitäten abdeckt. Studierende in höheren Semestern und Examenskandidaten finden vielfältige Spezialitäten und umfangreiches Material für elektronische Repetitorien. Lehrende können PortaLingua-Bausteine mediendidaktisch gezielt in ihre herkömmlichen Lehrveranstaltungen integrieren. Das Buch stellt Konzept und Aufbau des Portals vor, führt in die Nutzung der umfangreichen Materialien ein und berichtet über praktische Erfahrungen im universitären Einsatz. Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de * Dies ist die TS-Fassung zu dem handschriftlichen ‘What is a Sign? ’, das im Original in Nijmegen liegt; CB hatte das handschriftliche Original an Paul Garvin ausgeliehen, worauf ein beiliegender Zettel sowie ein Briefumschlag hindeuten. Diese TS-Fassung ist möglicherweise die von Paul Garvin überarbeitete Fassung der uns im Original vorliegenden Handschrift. Copy editor: Adam Christian von Wald. What is a Sign * Karl Bühler The Way Toward a Definition 1. First of all, and above all, a sign is expected to be significant. A sign without significance is like a hollow husk. It is chaff without seed. Sign and significance are correlative terms like parent and child. Just as no one is a parent who has not begotten or borne a child so nothing which does not have significance can be a sign. On this point the English and the Latin words are self-explanatory. In English the words “sign” and “significance” contain the same root. In the Latin words “significans” - that which signifies - and “significatum” - that which is signified - the correlation is even more obvious. In German, however, there is no such ready evidence of the correlation in the terms themselves. Indeed at first blush the terms “Zeichen” and “Bedeutung” seem so unrelated that philosophers have felt themselves constrained to write volumes of explanations on the term “Bedeutung”. But precisely because the English terms are etymologically so closely related, a word of caution may not be entirely superfluous. The terms sign and significance are not mutually interchangeable. While it is true that signs have significance, not all things that have significance are signs in the proper and practical sense of the word sign. Words, bank checks, pictures, and symbols all have significance. Words as well as bank checks “stand for” something; pictures as well as symbols “represent” something. Words, bank checks, pictures, and symbols, however are heterogeneous things: a word as a symbol is a sign pure and simple, a check is a sign, but it is also more than a sign, it is money; a picture, however, is not a sign in the proper and practical sense of the word. Only a specific difference in this definition will keep the theoretical semanticist from overhasty generalizations about such heterogeneous things as words, bank checks, pictures, symbols and etc.. A much clearer delineation of the reasons why all these things are not the same will follow later. For the present, only a working definition of sign with a less refined but nevertheless fundamental differentiation is under consideration. 2. Detectives and judges know something about significant things. In their professions they deal with mixed masses of facts presented in documents, testimony and in circumstantial evidence. By carefully sifting the raw materials they separate the significant items from the K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl Bühler 20 irrelevant ones. In this way, they secure a basis upon which they can build a judicial proof. Judicial proof is a complex procedure involving inductive and deductive thinking. Signs enter into this process only at certain points. Such signs are fingerprints, traces, or any sort of exceptional, observable phenomena which has been recorded. In “one of the most notable trials which has ever taken place in any part of the world”, the Bayle Murder Case in New Zealand, there were 77 witnesses and 274 exhibits. “To deal with the exhibits alone a highly elaborate cross-indexing system of reference had to be devised and carried out”. 1 Such exhibits, like all autoptic proferences, are not a separate source of proof. “When a knife is presented or a book, and the tribunal sees it, the knife is and the book is.” “The tribunal, when it perceives, merely ‘finds’, i.e. adjudges with legal finality that the knife or the book exists.” 2 According to Wigmore the groundwork of proofs is the testimonial and circumstantial evidence which makes sense of such exhibits. There are sound reasons for such a view. “Nevertheless”, he adds, “since the tribunal is composed of human beings who are using their perceptive sense …” - here we continue in our own words - the tribunal should be shown everything that will prove helpful. Since all signs are perceptible things, many signs can be displayed before the court, at least in picture form. It is evident that a distinction must be made between signs and generalizations. Generalizations are used in connection with signs and have significance, but generalizations themselves are not signs. Thus the generalization that the accused regularly gets drunk on Saturdays and does violent things is in itself not a sign. Care must therefore be taken not to include generalizations among the perceptible things which function specifically as signs. To be perceptible to the senses is the second universal attribute of signs. 3. An offhand but very useful division can be made within the realm of signs. Such a division would form a third element in our working definition of signs. If signs are perceptible things then an enumeration of the senses by which they are perceived is possible. There are visible, audible, ‘smellable’, tastable and touchable things, that are significant and that are used as signs. The most numerous and the most important of these are the optic and the acoustic signs. The latter may not be true for certain animals. Ants, bees, and dogs may have a relatively larger number of non-optic and non-acoustic signs. But man’s eyes and ears are his most busy senses, registering significant impressions from far and near. Language was from the very beginning an acoustic system of signs. But the reading of eyes has encroached upon the acoustic system. Nevertheless, a substantial amount of verbal and non-verbal significant impressions are still received by the ear. Historically new are the telephone and the radio as additional sources of acoustic signs. It is most interesting to note the contest going on today between the radio and the printed page in the field of news and advertising. Acoustic signs have yielded much to optic signs on modern highways. The automobile horn is being reserved more and more for emergency situations. While odors still function as signs within the food branch of our biological interests, they probably have been on the retreat since the disappearance of a simple food gathering economy, most certainly since the decline of home cooking. Touch signs are still in evidence. Advertising experts hold “that few women can appraise any article without feeling and stroking it.” Modern touch analysis shows that furs, textiles, and many other materials are tested more accurately for significant qualities by means of the fingertips than by means of the eyes alone. There is another interesting form of testing by means of touch. In riding along in an automobile a person feels through the cushions definite road qualities. While these road and car feelings seem to be vague, they really are very accurate. What is a Sign? 21 * Die handschriftlichen Korrekturen für die vorletzte und letzte Zeile sind nicht lesbar. With reference to sense impressions another limitation becomes necessary in the realm of signs. All sense impressions cannot be included within the field of semantics. While it may be proper to consider any red color a sign in psychophysics, it is not proper in semantics. Red “means” a kind of wave-length in the strange and marvelous world of modern physics. The vowel a in father shows up in an oscillogram as a wave. The fact that all sense impressions have similar explanations does not warrant including all of them within the field of semantics. Such aided sense impressions are outside the field of semantics. They belong to psychophysics, which is a kind of microscopic analysis. Just as we cannot see microscopic things like molecules and modern atoms with the naked eye, so we do not hear the wave form of red. So far as signs (significans) are concerned there is no going beyond the senses in semantics. The semanticist is an extrovert - he looks out upon the world. In comparison to most scientists of today he is old-fashioned in his way of thinking and speaking, for he sees in “red” only red, not the wave-length phenomenon. Red and green, warm and cold, soft and hard, and such practical things as the table upon which he writes or at which he sits are all things which interest the semanticist just as they are […] * [a blind] man recognizes a table by actively testing it with moving fingertips; a man with unimpaired vision examines the same thing with scrutinizing eyes. When the two discuss the table’s qualities or “characteristics” an interesting situation develops. Characteristics form a basic class of signs. There will be occasion to give them further consideration in the chapter dealing with the analysis of language. Just as red and green in themselves are not signs, so too are sense impressions or sensations in themselves not signs. It is granted that the ordinary semanticist is not in a position to define the words “in themselves”, for that would be going beyond the senses. But he must know what “perceptible characteristics” are. They are simply discriminating or distinguishing qualities of a thing. The spoken word “put” is a thing and is a sign. Surrounding it is a collection of discriminating qualities: articulation of a vowel sound / u / preceded by an initial sound and followed by a concluding sound for the symbolization of which the letters p and t are used. The reader should not consider this as pedantic exactness, for a sign must be clear and must be easily recognizable - it must have a character all its own. 4. Men sometimes feel the need to distinguish things more definitely than nature has distinguished them. California fruit growers want to distinguish their oranges and their walnuts from other oranges and other walnuts. They therefore employ certain trade”marks” by which buyers can tell that the oranges or the walnuts they are buying are oranges and walnuts from California. The term “mark” is semantically important enough to deserve a remark or an annotation. The Germanic word mark originally meant border or boundary in the sense of the limiting lines or in the sense of the territory circumscribed by those borders. Thus in German there are such territorial designations as the Mark Brandenburg or such titles as Markgraf, the lord of a mark. Later mark was associated with the general meanings: trace, outline and sign. It was used for a fixed weight and value among the Anglo-Saxons, and it was the name of a coin in Scotland. It is still the name of a German coin, although I do fear that there is very little weight or value left to it. Important about these references is the fact that the very beginning mark was an artificial thing and not a natural thing. The observant Karl Bühler 22 person notes such modern uses of the word as trade-mark, earmark, flood-mark, high-water mark, and the newspaper headline: “Billion a Week Mark reached in Arms Output”. In the last three instances mark designates a decisive point in a scale. Despite the original artificial character of mark, ancient peoples did speak of birthmarks. That should not be disturbing, for men of old were superstitious and sign-minded. They read into such markings the influence of some magical or some providential force. Today, however, the borderline between artificial sign and natural sign is no longer so clear-cut in the use of the word mark. The newspapers stated recently that “discontent with Mussolini is more marked now than ever” and that “the repulse of the Japanese marked a turning-point in this dreary (! ) epoch”. These uses of mark imply natural signs. At least we ardently hope they do. Mark my words in this regard. Mark as a word is communicable. Other non-verbal marks are also communicable. A forester can cut a significant notch into a tree. Communicability, however, is not an essential quality of non-verbal signs. If non-verbal signs do have that added feature, they are so much more useful; for such communicable signs, like words, are not only known and understood within a community of users but are also easily reproduced. 5. Some afterthoughts. Let us suppose a law book in which the word “clock” is used without definition because at the time of its writing the legislators had not found it necessary to define such a common and well-known word. Let us suppose further that jurists now find a definition imperative. If a public competition were now held in which each citizen were allowed to give his definition of clock, and if I had anything to say about the winner, I would reward the prize to the one whose definition involved the use of clocks: “A clock shows and measures the time, or a clock keeps the time, or a clock enables one to be a timer or a timekeeper”. Such definitions describe the use of a clock and cover every conceivable clock from sundials, water clocks, sand clocks, and pendulum clocks, to imaginable clocks immune to gravitation. The focal point of the definition would be that a clock shows, keeps and measures time. No difficulties would arise until someone asks: But what is time? This question can be answered only in accordance with modern ideas, like of the theory of relativity. A similar situation is involved in the definition of the term sign. The sorts or kinds of things that are used as signs are infinite in number. The voluminous genuine Webster discloses ever so many names in English which are synonymous with sign. As long, however, as the definition of sign includes the vital words “having significance” every conceivable kind of sign is included. As with the word clock no difficulties would arise until someone poses the question: But what is significance? The answer to this question is beyond the field of semantics. Even among philosophers and psychologists there is as yet no common agreement on this point. Some annotations on the other criteria of signs may prove advantageous. In the phrase “perceptible things” the English word “thing” covers all perceptible data. A pencil is a thing; its color, its shape, all its essential and its non-essential qualities are things. Events which occur relative to the pencil, changes which take place to it, as well as its permanent and unchanged features, are things in this sense. Thus a dust covered pencil is indicative of inactive housekeeping. The pencil lying in the same place but pointing in a different direction is indicative of something (cf. of the cream can indications, p. …). The vigilant senses of an expert in search for circumstantial evidence subjects all relevant things to professionally rigid and specific scrutiny from every angle and viewpoint suggested by his cues. The investigator leaves no stone unturned, and as the situation may demand he permits no one to touch a What is a Sign? 23 single stone. The signs employed in introspection and the symbolic symptoms in dreams and neurosis must be left to experts in those fields, although there seems to be no reason why the present analysis cannot be enlarged to cover such fields of research as well. A study of the signs in use among criminals would be a very enticing one. Notes 1 The Anatomy of Murder. Famous crimes critically considered by members of the Detection Club. Mac Millan Co 1937 (p. 329). 2 H. Wigmore, The principles of judicial proof. Sec. ed. Boston 1931 (p. 645). Sprachwissenschaft A. Francke Preisänderungen vorbehalten Wilhelm von Humboldt Über die Sprache Reden vor der Akademie Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Jürgen Trabant UTB 1783 S, 1994, 277 Seiten, € 15,90/ SFr 28,50 UTB-ISBN 3-8252-1783-3 Die Reden über die Sprache, die Wilhelm von Humboldt nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politk ab 1820 vor der Berliner Akademie gehalten hat, dokumentieren die Entwicklung seines reifen Sprachdenkens und die ganze Spannweite und Tiefe seines philosophisch geleiteten „vergleichenden Sprachstudiums“. Dieser Versuch einer dialogischen Vermittlung von philosophischer Sprachreflexion und empirischer Sprachforschung ist heute wieder von besonderer Aktualität und Brisanz. „Die Verschiedenheit der Sprachen ist das Thema, welches aus der Erfahrung, und an der Hand der Geschichte bearbeitet werden soll, und zwar in ihren Ursachen und Wirkungen, ihrem Verhältniss zu der Natur, zu den Schicksalen, und den Zwecken der Menschheit.“ Wilhelm von Humboldt * copy editor: Adam Christian von Wald Indicative Signs * Crime, health and weather from the angle of semantics Karl Bühler 1. Modern semantics is in it’s pioneer stage. After staking and marking the range’s borderlines in a working definition, one needs a sound division from inside. Nowhere are there clear cut classes or species of signs; one should be prepared for a kind of factor analysis. Furthermore, one should be prepared to realize that a sign is what we make of it. Signs are for us and not we for signs. One and the same perceptible thing might be used either as a symptom or signal or symbol; or in all three (and even more) directions at once. This holds true for each living word in social contact (cf. the chapter on language in action). Nevertheless, there are some practical fields of sign usage where one or the other factor is obviously dominant. My idea is that field studies within those regions could be fruitful in general semantics. After all, it still holds true what Socrates in Plato’s dialog ‘Kratylos’ says in discussing ‘What is language? ’: ‘If you want to know’, he says, ‘what the make up of a piece of garment is you go to the weaver or you might even go to the carpenter who has constructed the weaver’s loom.’ Now, the following three field studies are not on language but on non-verbal signs. There is no danger that anyone of us has fallen to mysticism when he occasionally remarks that signs are ‘telling’ this or that, he means signification and nothing more. The reverse is true that ‘telling’ words behave and function in many respects as if they were non-verbal signs; revealing without or even against the speaker’s intention what he is really after. So, let us assume from the beginning that language is the most refined and complicated, the most airy and least stuffy, and the most flexible and keenest of them all. I mean: systems of signs in practical use. Sometimes some people prefer to say it ‘with flowers’. It isn’t exactly flowers one would start with but rather such things as circumstantial evidence in court rooms or symptoms of health and illness or even signs in matters of tomorrow’s weather. They have this in common: they are natural signs, marked as indicative and over centuries have been somewhat put together by practical experts. Colloquial language is careless with terms like ‘indication’. What does it mean from the angle of semantics? Examples picked out at random: There is smoke here - something seems to be burning; there are puddles all over the ground - looks like there has been a heavy rain; the barometer is rapidly going down - there will probably be a storm. In a formula: present perceptible things hint to either present, past or future facts, which at the moment are imperceptible. They make us infer ‘it probably is, or was, or will be’ and so on. Both “significans” K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl Bühler 26 and “significatum” are facts (at least in our samples). Should we then restrict at once the general concept ‘indication’ to concrete single facts I linked by cause and effect? One point is clear: that sort of ‘hinting’ goes back and forth in time and in other cases all over the map of reality. As to time, there is no reason to prefer or exclude either historians or those who venture to forecast from using presently perceivable things as signs. As to the map of reality, there is no reason to exclude astronomers who use perceptible things on earth to hint to how it probably looks or does not look on the surface of the planet Mars or somewhere else in the depths of the universe - provided of course, like always, they have data enough. General semantics as such is not interested in the material data. As to reality? Well, if a mathematician says: this characteristic of my equation indicates (hints to) this or that final solution of a genuine problem of mathematics, let him have it. Untroubled by keeping the concept ‘indicative signs’ pure and unconfused, such a mathematician means to say ‘it’s a kind of guess or hunch’. If his inference will be mathematically verified he should use a stronger word instead of ‘mere indication’. Whether or not pure mathematics explores exactly what we call reality will not distract us from minding our own business in semantics. Some formalists hold it’s all semantics in pure mathematics and not a bit of reality like in physics; and with logic it is the same. Alright; one also hears it the other way around. But all that belongs, if somehow to semantics at all, then certainly to the chapter on symbols. No problems arise from fictional stories; they summarily speak within the bracket ‘as if’ it were reality; why should a ‘symptom’ within this bracket change its nature to become a sign of reality? This is and remains after all the point that genuine indicative signs signify directly on the grounds of their own existence. Symbols are also perceptible things and enter reality, but don’t do what they do, th.i. represent something in the way of signs, they don’t do it directly on the grounds of their appearance here and now or out of the mouth of a speaker. Between the indigenous characteristics of a California orange, on the one hand, and the trade mark put on it, on the other hand, there is half-ways the same difference (the other half of the truth later). And what about falsifications? Let jurists answer; they speak of doing it first as semanticists and then explain how existing laws have dealt with an undisputable fact of semantics. That much is general. On circumstantial evidence. 2. There was an astounding regularity of habits in the life of the man whom Bayly murdered (cf p …) An idyllic life of a childless couple of dairy farmers. Each morning that man would come downhill from his farmhouse to the highway with cream cans on a sledge and put some cream cans on the road side for collection by the factory lorry. He always placed them near enough to the edge of the bank to enable the lorry-man to swing the cans aboard without leaving the vehicle. But on the fatal morning, though the cans were there as usual, they were placed a little farther back, with the result that the lorry-man had to get off the van and climb up on the bank to bring them forward’ (310/ 11). That’s all; yet the police said ‘foul play’ and they were right. The murderer was not familiar enough with that particular habit of his victim and made the slip of placing the cans some inches away from the edge. The lesson is: habits work (sometimes) with clocklike precision. After the lorry-man had testified it was the first time in years that he had to descend from his vehicle at this place, the police were right to guess ‘perhaps foul play’. If an unusual Indicative Signs 27 phenomenon like a comet in the sky appears, then primitive people call it a sign. Here the lorry-man was astounded and the police called it a sign. - Similar to this is a second incident within the same (indeed remarkable) murder case: The criminal wanted to make things look as if this farmer had murdered his own wife and disappeared. So the murderer removed the best brown suit and a pair of boots and two riffles from the wardrobe; in New Zealand, you know, a man never leaves his riffles behind. Alright; but the missing boots were not the victim’s boots at all. For, a neighbor who lived farther away from the highway to which there was only ‘an unmade clay road’ had formed the habit of leaving a pair of his boots at the victim’s house, so that when going to town he could travel clean shod’ (ibid.). Now, would a man running away choose a pair of boots not made for him? The police again suspected ‘foul play’, and they were right. Well, one must know an awful lot of details in order to deceive detectives. That is in a complicated murder case. F.W. Crofts, the detective analyzer of the quoted case says: ‘It is the simple crimes which are hard to detect. Bayly committed many errors. Probably any one of them alone would have hanged him’ (335). There would be no end of samples, if this were to be a textbook either for detectives or murderers or lovers of detective stories. Let us have two more specimens of circumstantial evidence for a later generalization, specimens of purely physical ‘traces’, a field where modern scientific analysis in police laboratories does wonders in completing the shrewdness of detectives. Traces are not only fingerprints and bloodstains but also such things as cuts on wood by a saw or knife. The murderer had removed some bloodstains from timber by paring or shaving the wood with his pocket knife and this pocket knife was found on him. Now, what followed in the police laboratory is typical and usually an easy task. I mean technically: to make enlarged photographs both of the scrapes on wood and the little irregularities of the knife’s edge, then to conveniently cut the wood picture and apply it to the cut-line of the knife edge picture in the right way. ‘The sergeant placed the two photographs together so that that of the wood scrapes was applied to that of the edge of the knife. Slowly he moved the former along the latter. And then suddenly he was rewarded for his trouble. At one point ridges and furrows exactly coincided! ’ (p. 321) Evidence: this individual knife and this individual piece of wood had met once before. In a trial, that is to be demonstrated to the seeing eyes of a jury. Usually there will be no demand for a complimentary demonstration showing that similar knife edges would not do the same trick and fit like this one does. In a parallel demonstration showing that an empty pea-rifle shell found in a pocket of the murderer’s Dungaree trousers was one that had been discharged in his own rifle - that complimentary test had to be presented. And was found to be satisfactory. So fitting tests provide an infinite variety of indicative signs and not only in judicial proofs, for that matter. 3. The context of evidence. There is a famous book “The microbe hunters”; well, detectives are evidence hunters. Results, if any, must be shaped into a judicial proof. General semantics is interested in how the mass of single indications gets organized into a ‘body of evidence’. Here one can learn something about the context of indicative signs. In the eventual trial the accuser proffers the collected items of evidence in a narration of what happened. Our question is in what way the significance of signs supports the definite accusation. Being compounded now those ‘mute and stubborn witnesses’ either corroborate or weaken one another or otherwise change the evidence entirely. We expect a compound to do that. One thing is sure: juries all over the world have brought in verdicts of guilty in spite of obvious gaps in evidence. As to the convincing force of united indicative signs it does not Karl Bühler 28 seem to be just a kind of sum total out of the single items; nor does is fully depend on how many paragraphs in the whole story are supported by the evidence. This last statement is more important from the angle of semantics. The whole matter of compound significance, however, shall be developed here on two trial cases. Both of them are outstanding because the accusation proffered unusual sum totals of circumstantial evidence and the two cases are different from one another in the following point. In the Bayly case evidence supported fairly well each paragraph of the accuser’s story and an abundant mass of circumstantial evidence was concentrated on the question: where is the corpse? In striking contrast this question had no answer at all in the Landru case. 4. Bayly succeeded in misleading the police for a while and hosts of farmers combed the countryside to find the man who had allegedly murdered his wife and run away. But then the cream cans! Significance: a third person was probably involved - or maybe more. This new ‘clue’ was solidified later on by the discovery of the error with the boots. With two more steps suspicion was fixed on Bayly: bloodstains found in the missing farmer’s woodshed and traces discovered of a sledge leading from the fence around the missing man’s farm toward Bayly’s house. They were unusual traces, of course. Now, where is he or his corpse? Testimonial evidence from two other neighbors: they had observed unusual clouds of smoke ascending in the sky from Bayly’s cowshed during the critical evening. One of them said: ‘He had never seen anything like it before, and so impressed was he that he called another man named Brooker, and they watched it together. At times they could scarcely see the shed for the smoke. Off and on Herbert looked at it until he went to bed some three-quarters of an hour later. During the whole of that period the smoke had continued to pour out’ (l: cp. 322). Significance: Something that produced an awful lot smoke was burned in Bayly’s cowshed at that time. Was it the corpse? Well, ashes and remnants of human bones and parts of a watch, and a cigarette lighter were found on the premisses. It was the victim’s watch; for it could be traced to a watchmaker by the number on the usual place inside, who had sold it to him years ago, according to the watchmaker’s account-book. The cigarette lighter had a wick in it of wool exactly like a strain of wool in his wife’s sewing-basket from which he had helped himself to after the original wick had been used up (one of the witnesses had watched him do this). Even parts of an artificial set of teeth were found in the high grass around Bayly’s house and identified by a dentist as having been the victim’s. These are only small selections out of the circumstantial evidence in Bayly’s case. We have selected and placed them in a certain order. The clever defenders of B. could easily point out those ‘gaps’ in the ‘chain’ of proofs, but only after retiring for 71 minutes the jury brought in a verdict of guilty and B. was hanged. The Landru case in Paris: Ten women and a boy disappeared between 1915 and 1919; Landru was accused of having murdered them and having ‘succeeded in concealing so completely the fate of his victims, that concerning it nothing can be declared with certainty’. Indeed, it is not too much to say that, in each case considered apart and by itself, conviction would have been impossible. No jury could have been asked to bring in a verdict of guilty had each case stood alone. No proof existed that the supposed victims were even dead, nothing to show they had not simply gone about their business, as Landru protested that they had, and were not, as his advocate suggested, quietly living somewhere or another ignorant even of the accusation brought against their supposed murderer and, therefore, not coming forward to show themselves and prove his innocence.’ 1 ‘No proof’ means that no traces of a struggle, bloodstains, remnants of the bodies or instruments of murder were found and no Indicative Signs 29 testimonial evidence to that effect either. But there was testimonial evidence that each of them had lived with him for a while, a lonely spinster or widow who had gone on a trip with him to a isolated country house of his outside of Paris. Then she was seen no more. He had disposed of their savings and sold their property and furniture. Furthermore, there was a collection of ‘such things as the false hair of women, who, according to Landru, had parted from him to go travelling in foreign countries; the identity papers of little servant girls who, according to Landru, had left him to seek for fresh posts they would have no chance of obtaining without those papers; the cherished trifles, china ornaments, and so on, elderly widows had clung to all their lives till now when, according to Landru, they had confided them to him before departing about their business; small pieces of family jewelry that had been the pride of equally elderly spinsters and their proof of social standing, but that now, too, had found their way to the garage where was stored this strange collection, almost every item once the property of a woman who had known Landru and now was known to none’ (123/ 4). And last but not least, there was Landru’s note-book wherein he had entered to a penny his expenses day for day during all these years. For example on April 4, 1918 amongst other items: Voiture, Invalides, 3.00, billets, 3.10 & 4.95 … 11.05 The tickets were for Madame and himself, as is explained; for himself tour-retour (4.95) for Madame one-way only (3.00), railroad tickets Paris-Gambais (his country-house), from where Madame left him to go about her business. ‘Every time you find a figure in my notebook, you call it an assassination’, he cries during the trial, and when told that his explanations are not simple, he answered: ‘You mean you do not take them simply’; or ‘I could hardly buy a return ticket for a lady’ (149). Police investigations searching for traces and remnants of bodies during the next two years were without any result. Psychologically the Landru case was also unique. There wasn’t a shadow of suspicion during those years; neither in Paris nor in his Gambais environment; nor were the victim’s acquaintances particularly alarmed when the women disappeared. Strange as it appears that could be explained by the social habits of these lonely women and the extraordinary wartime conditions in Paris. One more fact should be stressed that neither testimonial evidence nor Landru’s appearance and conduct during the trial unclosed the springs of murder. In spite of all that, ‘the jury … returned a verdict of guilty, adding, somewhat surprisingly, a recommendation to mercy that, equally surprisingly, the relatives of the murdered women signed as well. In fact, everyone seems to have signed except Landru himself, who refused with his usual aloof and cold indifference’ (151). Guilty or not guilty? Notes 1 E.R. Punshon in Anatomy of Murder p. 120. Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Aktuelle Linguistik Gertraud Fenk-Oczlon / Christian Winkler (Hrsg.) Sprache und Natürlichkeit Gedenkband für Willi Mayerthaler Tübinger Beiträge zur Linguistik 483, 2005, 261 Seiten, € 58,-/ SFr 98,- ISBN 3-8233-6119-8 Die Beiträge dieses Bandes befassen sich im Kern mit eigenständigen Schwerpunkten, von der Semiotik bis zur Typologie, von der Gebärdensprache bis hin zur formalen Grammatik. Dass sie dabei zumeist morphologische Fragestellungen aufgreifen, ist kein Zufall, gilt doch Willi Mayerthaler - ihm war der dem Band zugrunde liegende Workshop gewidmet - als Begründer der Natürlichen Morphologie. Alle Beiträge nehmen Bezug auf die Natürlichkeitstheorie, zum Teil aus mehr oder weniger kritischer Distanz. Damit repräsentiert der Band eine facettenreiche Bestandsaufnahme der Resonanz des Natürlichkeitskonzepts in der aktuellen Linguistik. * copy editor: Adam Christian von Wald The Symptoms of Health and Illness * Karl Bühler 1. Hippocrates. There is a score of reasons why physicians admire Hippocrates and call him the father of medicine. A holy oath formulating the moral and financial attitude of an ideal physician toward his patients is not the only feature which is admirable in the Hippocratic school of doctors. But leading more directly to our theme is the fact that out of this school sprang symptomatology as we know it. From where they lived, on the little island of Cos in the Mediterranean, these ancient Greek physicians could see the coast line of Asia minor, the habitat of other Greeks and of another school of physicians, the physicians on the peninsula of Knidos. Philosophers were the doctors there, Hippocrates was not. Epidauros was a third medical center on the main peninsula of Greece; Epidauros was a place of pilgrimage for patients. Inscriptions on excavated stones there now tell a vivid story of healings in temples. The doctors of Epidauros were not friends of Hippocrates though. A pamphlet of his, possibly written by one of his pupils, expresses better than anything else the background of his opposition against Epidauros. A pamphlet written about ‘epilepsy’; or better said, on mental diseases (the term being vague and by no means restricted to what we would call epilepsy). Even mental diseases were claimed a natural phenomena by Hippocrates. The very word ‘nature’ (physis) is his in the history of medicine; it is his as a specific idea and scientific term. Unlike philosophy, meaning the kind of philosophy which his colleagues in Knidos applied, or spiritism, the Hippocratic medicine was principally based on simple observation and the collection of facts at the patient’s bedside. These observations were the symptoms that one picks up with watchful eyes, ears, nose, touch and even taste at the bedside of a patient; Hippocrates did all this in a scientific way and trained his pupils to do likewise. If science is critical, purified, and organized (logically generalized) knowledge, then the Hippocratic physicians were striving for science in medicine. The other side of the ledger, however, was neglected by them, though this is also extremely important. On the under side of a sign, that which is perceptible, is always its significance. In the medical sense of the word ‘significant’ perceptible things are symptoms. Illnesses have had names, of course, since times immemorial; but Hippocrates was a revolutionary and image breaker (iconoclast) in matters of illnesses. By the ‘simple’ means of case studies and writing down case-histories his pupils learned to revise again and again the whole picture gallery of diseases; and this, one would think, once started should have gone on forever. But it has never been that simple in any sector of the history of science. It couldn’t happen this way for many reasons. One of them is that no iconoclast, after tearing down an K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl Bühler 32 old theory, could ever help but to erect a new picture gallery that would soon be fixed and then need to be torn down in it’s own time too. In matters of signs and signified things, symptoms and what they originally symptomized were unabridged and far apart from one another. What symptoms symptomize is that single something we have in mind when naming certain evil happenings of health. What is behind it’s perceptible symptoms? For instance in scarlatina? Well, the experts have ideas about it nowadays and since time immemorial have had their general ideas about illness and some more concrete ideas about this or that impressive group of them. The impressive group of acute, infectious diseases was given special attention by the Hippocratic physicians. It is generally known that they speculated on fever, finding more evidence for the belief that fever was a beneficial factor rather than a detrimental one in infectious diseases; though not (so they restricted) when the fever was excessively high. It is also generally known that the Hippocratic doctors were able to separate some acute diseases from one another in their diagnoses and that they had certainly noticed the critical days; for instance in pneumonia. But more important from the viewpoint of symptomatology are the following general ideas in their doctrine of illness. The difference between health and illness was looked upon and illustrated by things the Greeks were familiar with in nature. The Greeks studied harmony and disharmony in music and arts and gained some of the first mathematical insight into which combinations of tones were harmonious; furthermore, they speculated over a possible application of the law of harmony to other phenomena. The marvelous regularity in the movements of stars was seen as a kind of harmony. The ‘spheric harmony’ of the well-ordered cosmos (universe) above us was seen in contrast to many chaotic things one finds on earth. Now this same idea of harmony and disharmony, so dear to mathematically and art minded people, was applied by Hippocrates to the field of health and disease. Diseases are disorders while health means harmony, he believes. A fundamental assumption, no doubt; but beware of going further and filling it with more than it really was; it was a model conception and couldn’t have been more during Hippocrates’ time. Today we think in terms of mechanics and say the harmony of health is a kind of equilibrium, from which deviations (diseases) can be measured. The physics at that time provided no means for Hippocrates to take such a decisive step in his theories. He knew that fever arises in some bodily disharmonies from his hands-on treatment of patients; also breathing and pulse were within the realm of his observations. And sweating and those other observable things such as changes of urine in fever and characteristic profusions of shine. Taken all together one understands the second great concept developed by the father of medicine; it is the fluids of the body, he thought, where those disharmonies occur. Therefore, he payed attention to and studied the humors of the body and speculated so far on this ground that eventually even the phenomena of temperature in health or disease came under the headline of humors. In English humor is both a liquid or merriment (‘the tendency to look at things from the mirthful side’ according to Webster). Humor was both for Hippocrates as well or rather there was a connection between the two in his speculative medicine; he made no definite distinction between body and mind. It belonged, he thought, to human nature (physis in his words) even in healthy days to have a surplus either of blood, slime, bile or black-bile and that meant one had one of the four temperaments into which he divided his patients. What is physis? A word that came in handy but was not defined in the several volumes of pamphlets and fundamental works written by the master himself or one of Hippocrates’ The Symptoms of Health and Illness 33 family members/ pupils. Nowhere in this Corpus Hippocraticum of publications that were preserved and traditionally ascribed to him, is there a definition or elaborate discussion on what physis means. To say it meant the organism as a whole probably is the best interpretation. For, Hippocrates was the kind of a doctor to whom it seemed clear as the day that the whole frame is involved if somebody is earnestly ill. So he doesn’t explain what ‘physis’ means exactly, saying only what physis does. It’s physis that obviously heals in many cases; a good doctor is but the helper of physis. In another section Hippocrates says even more about it. Physis does, he teaches, the right thing when healing not due to experience, not after a special training and not by insight (apeiros, apaidendos, ouk ek dianoias are the words in Greek). Physis, according to this statement, was certainly not meant as a kind of little creature, ghost or homunculus within the patient; nor as the beneficial result of good or bad experiences. Furthermore, physis was not successful because a teacher had trained him as he does with children, or by reasoning as we adults. If Hippocrates, in giving this formula, had thought of animals and how they do things beneficent to themselves, we would say he speaks of instinct. But he certainly had his patients in mind, and not animals like Aristotle who learned from Hippocrates in many points and framed the term instinct (in Greek: horme). Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Kodikas / Code Supplement Ulf Harendarski Widerstreit ist zwecklos Eine semiotische Untersuchung zum Diskurs “Entführt von Außerirdischen” Kodikas/ Code Supplement 26, 2003, 340 Seiten, € 68,-/ SFr 115,- ISBN 3-8233-6011-6 Passieren kann es jedem: Es wird etwas erzählt, das ich nicht glauben kann, aber in der Situation kann ich unmöglich belegen, warum mir das Erzählte nicht wahr zu sein scheint. In täglichen Gesprächen kommt so etwas häufig vor, aber auch in medialen Diskursen. Dass da manche erzählen, sie würden von UFOs entführt, scheint unstrittig, wie aber kommen andere dazu, mit einer Haltung, die keinen Zweifel zulässt, zu behaupten, das sei wirklich geschehen? Mit den Mitteln der Semiotik und linguistischen Pragmatik untersucht Harendarski die indexikalische Einbettung dieser Behauptung in kulturelle Zusammenhänge. Mit seiner leitenden Frage, was derartig gewisse Behauptungen in der jeweiligen Situation als Rezeption fordern, geht der Autor der sonst kaum zu vermeidenden Wahrheitsfrage aus dem Weg und rückt die Mittel semiotischer Interpretationstheorien an ihre Stelle. Seiner spannenden Analyse konnte der Autor auch eine absolute Rarität zugrunde legen: authentisches Tonmaterial von Entführungserzählungen aus Hypnosesitzungen. Ausgezeichnet mit dem Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Semiotik * copy editor: Adam Christian von Wald Representative Signs * A chapter on symbols Karl Bühler 1. We are familiar with representative personages like those of delegates or lawyers representing their parties; congressmen in Washington are representatives and so are ambassadors abroad. We know also that pictures and statues represent something. And finally, we have and use representative signs and call them symbols. What sort of representation can one expect from people, pictures and signs respectively? A lawyer ‘personates’ his party and ‘plays his party’s part’. Congress personates the people in legislature and an ambassador personates the President. The official activities of those people are legally circumscribed and based upon the confidence of those whom they represent. Now, whatever such official activities may be, it is clear without saying that nothing of its kind is to be expected from representative signs. For, signs are impersonal things and not people who act; representative signs, therefore, can’t personate and play the part of what they represent. And yet, one feels that they have something in common with personal representatives. To say what they have in common will be easier at the end of this chapter; but this much is safe to say right at the beginning: Instead of exhibiting a thing itself, one sometimes exhibits a picture or a sign of it and sometimes, if a human being exhibits only a sign or picture, he wishes the thing itself could appear, i.e. ‘I wish I could show it to you’, he says. But, of course, the thing itself isn’t there. Many symbols cannot be exhibited because the represented thing is invisible and is never registered by the senses. Mathematical symbols like 1, 2, 3 and etc. may represent just so many apples or dollars and those apples or dollars could appear before the eyes, but what V-1 represents cannot. V, standing for victory, is a symbol that can be exhibited by people in Europe; the thing it represents cannot, or rather not yet, sometime it will appear, they hope, and fill their hearts and minds with joy in reality. Pictures (photographs, paintings and drawings) come nearest to symbols and often mix with them. Students speak of symbolism in the arts; or, the other way around, students speak of pictorial symbols, as the case may be. Things like the crescent moon of the Mohammedans or hammer and sickle of the Soviet Russians consist of pictorial elements while the whole in both cases is considered to be a symbol. And the other way around: symbolic elements may enter the picture of a painter. There need to be some studies in the field of arts to find the rules to which the experts usually judge and classify such things. And there need to be studies K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl Bühler 36 of another kind, that seek to find the basic principles of semantics from which they should receive a final clarification. There are pictures and pictures; paintings are not photographs, but both of them are pictures; and blue-prints are pictures too in their kind, and so are geographical maps. And within all those compositions one finds some roots and springs of some of the forms of symbolic representation. 2. Modern statistics is a very effective way of using representative samples of things. Just before the presidential election of 1940 the Gallup poll predicted 52 percent of the votes for Roosevelt; another poll (by Elmo Roper) published in Fortune predicted 55.2. Roosevelt received 54.6 percent. Each prediction was based upon the result of a trial poll with a relatively small but representative group of voters. Knowing precisely the decisive factors, statisticians can select a group of several thousands and predict the final result of millions; the sample being statistically conformed to the whole is representative. The variance of each prediction from the real result shows in figures how near they came to the goal of making the sample representative. When speaking of samples that represent a class or mass of things one can enlarge the horizon. Mother earth preceded modern industry in mass production. And human beings in hoarding and managing the wealth of things have learned better and better to make use of samples; the idea that a natural history museum has a world of things in samples while trade and commerce make practical use of samples. Each sample, we repeat, is due in its own way to represent a mass or class of things, be it for a scientific or for a practical purpose. Samples and symbols, in comparison, offer another opportunity to show what kind of representation we can expect from representative signs. Human things in museums and samples in commerce are marked and labeled, that means there are symbols on and around them. This bridges the disconnection between sample and the represented mass or class of things. There will be an opportunity later to show how samples from early human social life, without such symbols, can be put to work and how they demonstrate a very efficient means of communication - like the system amongst bees collecting nectar and pollen from flowers of a given plant species for the common store-room in the beehive. Here we shall be able to read facts and judge what the difference between samples used and symbols used (as a means of communication) means. 3. Representative things can be static or dynamic. A common photograph and a statue are static (they don’t move), while motion pictures and a play on stage are dynamic (something is going on and in moving represents something else). The actions of living things can be symbolic actions. What does that mean? We shall take pains to scrutinize and destroy one definite modern half-truth about symbolic actions. We don’t need an actor on stage or on the big screen to produce symbolic actions, we produce innumerable sorts of symbolic actions ourselves in ‘real’ life. There is a division, of course, between the fictitious world of theater and our so-called real life. There’s no doubt about the fact that stage, screen, statues and pictures are nothing but a world of shine; a fictitious world, that much is surely true. Fighting fists on stage don’t hurt and gunshots don’t kill. But there is a difference between ‘to be fictitious’ and ‘to be symbolic’, which we intend to make perfectly clear. Otherwise we would fail to understand a series of important facts. Pictures remain pictures and symbols are still signs if in a fictitious or in a real world. It is important to note that both stage and screen have produced and cultivated some new techniques in symbolization. Representative Signs 37 4. The members of a jury, that is the judges of evidence in a murder case, are not expected to be expert students of crimes. They are common citizens endowed with an average education. They have life experience, an average I.Q. and goodwill to do their duty as judges. They shall be unbiased and follow the common rules of trial procedure; they are expected not to be influenced by outside information (rumors, gossip and newspaper reports) but to follow the procedure, to take in the evidence and to judge. ‘The theory of judicial investigation requires that the juror keep his mind wholly free from impression, until all the facts are before him in evidence; and that he should then frame his conclusion from all these fact, taken together’. 1 The emphasis here is a warning against prejudice (hasty conclusion), in the literal sense of the word, and the positive advice to make the context of evidence the basis of the verdict. It must be common life experience that the institution of juries relies on; for otherwise one would make students of crime the final judges of evidence. I believe semantics is able to present some arguments in favor of juries in a general form. Two groups of people regularly feel stirred by doubts after trials like Landru’s; prescientific people on the one hand and over-scientific ones on the other hand. Those who are not thoroughly familiar with the role of probabilities in all quarters of science usually underestimate judicial ‘evidence’ by comparing it to principles of science like physics and chemistry. But exactly by making such a comparison they fail to recognize the specific character of a judicial proof. On the other hand those who are accustomed to measuring probabilities in science feel disquieted because juries say yes or no and nothing more. The additional announcement that the verdict of guilty was reached with eleven against one voice is different of course, from what they feel is missing in verdicts. If during the trial a marksman or a physician judges in matters of the validity or significance of circumstantial evidence, they usually try to estimate probabilities. But juries don’t even know the word probability or rather they are not expected to use it. They are only given the simple advice that evidence should be beyond a reasonable doubt; otherwise the decision has to be in favor of the defendant (in dubiis pro reo). We neglect here cases of civil law where the obligation of proof is specifically regulated in a different way. What semantics could do and hasn’t done yet is to develop general, purified, and systematic knowledge on how we do what juries do in everyday life - and do so without error. Such mistakes in our everyday life would be dangerous - a daily trial of whether to be or not to be. In matters of circumstantial evidence sometimes a member of the jury has to judge the validity of a single indicative sign, always the significance of each single sign and lastly the total context of evidence. Take the Landru case as an example: ‘Absolute proof is lacking’ says E.R. Punshon, ‘yet when with a monotonous and dreadful regularity it is shown that he was the last person with whom the missing individual was seen and after that was seen no more, then it may be claimed that complete certainty is achieved which is above all proof’ (p 120, the italics by me). What does that mean ‘above all proof’? Punshon says on the same page that ‘life, even in France, is more than either logic or law’, ‘in logic it is impossible to add eleven probabilities together and make one certainty’ as it seems to be here. This thing has puzzled many theoreticians; but it did not prevent the jury in Paris from bringing in a verdict of guilty. Punshon oversimplifies on purpose of course, in his lines quoted above; for that ‘dreadful regularity’ was not the only indicative sign. And if we add three more items of circumstantial evidence, what then? We add that L. had disposed of the valuable property of ‘the missing individuals, that his note book showed a similar ‘dreadful regularity’ in matters of the ticket expenses, and that he kept curious collections of little things in his garage. Karl Bühler 38 I think this context makes an impression upon the unsophisticated, average person and gives them a kind of certainty that is similar to some other certainties in our daily life. There is a variety of identification and fitting proofs from which we draw a similar kind of certainty. One modern form is the fingerprint identification. Another form of convincing fitting tests is what the sergeant of the police laboratory did in the Bayly case (cp. above p …). The ancient Greeks used the same fitting test in practical life: Break a specimen of earthenware in pieces; those irregularly broken pieces will fit exactly back together. Supposing now that a statesman or merchant in Athens wants to send a slave with an oral message to his allies in Sparta - it’s an oral message for good reasons, when the messenger could fall in the hands of enemies or competitors - in Sparta he, the slave, must prove where he comes from. Well, the Greeks were prepared for that; for those partners of a future correspondence had broken a tiny earthen plate into two pieces especially produced for that purpose and divided it amongst themselves. The messenger now brings the piece left in Athens with him and can thereby legitimize himself. Such a piece was called a symbolon (symbol); for the Greek verb symballein (or symballestai), meaning ‘to put together’. The context of circumstantial evidence in the Landru case fits exactly to one and not at all to the other of the two explanations. It fits exactly into the accuser’s and not at all into the defender’s explanation. The jury had to judge between the two alternatives. Their common knowledge of life in Paris refused the defender’s story and accepted the accuser’s as the truth. That’s all. 5. The judicial proof in the Landru case was obviously incomplete. There was no evidence on how this man had killed his victims; was it by means of poison, shooting, or strangling? Nor was there any indication of how he had disposed of the corpses. And yet he was convicted. Why are we convinced that he was guilty? If one likens the judicial proof in this extraordinary case to a fitting test, some doubts disappear. Imagine any other criminal case where the police find a fingerprint on a decisive place; but ‘this print is not well developed in all details, it has unprinted fringes and faded little spots within it. Yet otherwise the pattern is clear and unique enough for an expert’s diagnosis’. Or suppose there is a piece of broken earthenware that fits to the rest excepting some little edges of the piece which are missing; maybe they have crumbled away. In a fitting test even such a fragment can be convincing enough and ‘gaps’ might not spoil the test-proof. In the same way the whole context of evidence in a judicial proof can be convincing despite the ‘gaps’ in it. Furthermore, suppose that broken piece of earthenware is very irregular and shows an all around broken edge. Such a piece is ideal for a fitting test. And if there should be a score of pieces - the more the better. All that, particularly the generalization ‘the more the better’, applies to both a simple physical fitting test and the context of circumstantial evidence. The judicial proof in the Bayly case provides an illustration to the rule the ‘more the better’. For the majority of those 274 exhibits small particles of bigger pieces of the missing man’s body, clothes, watch, cigarette lighter etc. were collected. Of course, they were not exhibited in the courtroom for the purpose of a physical fitting test; for, nobody could have reconstructed the whole to which they as parts belonged. They were exhibited in order to corroborate one another as indicative signs. All together they indicated one and the same fact that the victim’s body had been destroyed on Bayly’s premisses. Sometimes in criminal cases detectives strike a whole layer (mine) of indications, and then there is no limit to the findings except the cost of procedure and the interest of having enough of them. If a Representative Signs 39 detective’s ‘clue’ has hit the truth, sometimes the rest of his business is a sort of exploitation, just like in a real mine. Another point: As things may be, sometimes the entire body of circumstantial evidence improves if the single facts are physically or mentally far apart from one another. So were four indications in Landru’s case, four very disparate facts: first the proof of opportunity that he had lived with the missing person and was seen with her just before she disappeared; secondly the notes of expenses in his notebook; thirdly the rarities collection in his garage; and lastly his disposal of her property. As a table stands on four legs at the corners, so this juridical proof stands on four indications. Maybe it wouldn’t have been enough in this case had there not been a fifth fact, namely the dreadful repetition in Landru’s case, repetition of practically the same network of events, ten times with women and once with a boy, who disappeared. Sometimes in criminal cases the proof is difficult and doubtful for the very reason that a small number of indications are not widespread enough and not physically or mentally independent enough from one another. An illustrative example of this kind is ‘The murder of Julia Wallace’, a masterful analysis of which is given by Dorothy L. Sayers. 2 Notes 1 Alexander M. Burrill, A Treatise on Circumstantial Evidence. 1868. p. 598 (the italics there). 2 Anatomy of murder p. 157-210. A. Francke Eugenio Coseriu Geschichte der Sprachphilosophie Von den Anfängen bis Rousseau Neu bearbeitet und erweitert von Jörn Albrecht Mit einer Vor-Bemerkung von Jürgen Trabant UTB 2266 M, 2003, XX, 410 Seiten, div. Tab., 24,90/ SFr 43,70 UTB-ISBN 3-8252-2266-7 Coserius breit angelegte Darstellung der Geschichte der Sprachphilosophie zeigt ein faszinierendes Panorama des sprachphilosophischen Denkens von den Anfängen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Auf grundsätzliche theoretische Erläuterungen folgt eine chronologisch geordnete Übersicht, die sowohl die wichtigsten Stationen markiert als auch die sprachphilosophisch relevanten Äußerungen der behandelten Autoren sammelt und interpretiert. Damit ist der Band eine unentbehrliche Textsammlung zur europäischen Sprachphilosophie. Das Spektrum der vorgestellten Autoren reicht von namhaften Vertretern der klassischen Antike bis zu den Philosophen der Aufklärung. »Hier ereignete sich tatsächlich die Vermählung der Philosophie mit der Philologie, die als › Liebe zur Sprache ‹ wieder Glanz, Weite und Tiefe bekam.« Süddeutsche Zeitung Die Geschichte des philosophischen Denkens über Sprache von der Antike bis zur Aufklärung * Der Aufsatz ist die ausgearbeitete und erweiterte Version eines Vortrags, der im September 1965 unter dem Titel “Aspectos cibernéticos en la teoria linguistica de Bühler” im “Centro de cálculo electrónico” der “Universidad autónoma de Mexico” in Mexico City gehalten wurde. Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler * Gerold Ungeheuer I Karl Bühler war einer der Psychologen, die sich in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts sehr intensiv mit sprachlichen Problemen beschäftigt haben. Sein Werk, vielen Linguisten unbekannt oder nur in Bruchstücken vertraut, ist, so scheint es mir, für die moderne Sprachwissenschaft aktuell geblieben. Freilich werden Bühlers Gedanken aus unterschiedlichen Gründen nicht in allen linguistischen Schulen Interesse finden. Um so wichtiger erscheint es daher, die Diskussion über seine sprachtheoretischen Überlegungen wieder in Gang zu bringen. Gewöhnlich erinnert man sich, wenn K. Bühler genannt wird, an sein Hauptwerk Sprachtheorie 1 und vergißt dabei, daß dieses Werk nicht schlechthin die Summe seiner wissenschaftlichen Arbeit darstellt, sondern zum Verständnis der darin dargelegten Gedankengänge frühere Veröffentlichungen Bühlers herangezogen werden müssen. Man mag dabei an die lange Reihe seiner sprachwissenschaftlichen Aufsätze denken, doch sind diese weniger entscheidend als das 1927 erschienene Buch Die Krise der Psychologie. 2 Dort findet man jene grundlegenden Ansätze, die Bühler zu einem der bedeutendsten Theoretiker nicht eigentlich der ‘Sprache’, sondern eher der sprachlichen Kommunikation machen. Mag manches darin von neueren Ergebnissen der Psychologie und Linguistik überholt sein, die Einsichten und theoretischen Entwürfe, die bleiben, sind bedeutsam genug, ihm diesen Platz zu sichern. Diejenige Konzeption Bühlers, die wohl am weitesten bekannt geworden ist, findet man als “Axiom A” unter dem Titel “Das Organonmodell der Sprache” in seinem Hauptwerk Sprachtheorie. Dort ist sie allerdings nicht zum erstenmal veröffentlicht; Vorstufen der endgültigen Formulierung sind in viel früher liegenden Publikationen enthalten. In diesem, sehr häufig mißverstandenen “Organonmodell” stellt Bühler in bündiger (auch graphischer) Form dar, wie die sprachlichen Schallsignale durch eine dreifache Funktion zum Zeichen erhoben werden. Auf die Zeichentheorie Bühlers soll hier nicht eingegangen werden. Entscheidend ist jedoch die Erkenntnis, daß dieses bekannteste Stück seiner Denkergebnisse einerseits nur verstanden werden kann, wenn man die Ausführungen seiner Krise der Psychologie hinzunimmt, und andererseits wenigstens als ergänzungsbedürftig angesehen werden muß. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Gerold Ungeheuer 42 Besonders die im Zeichenmodell enthaltene Hauptfunktion der “Darstellung von Gegenständen und Sachverhalten” bedarf nicht nur der näheren Erörterung, sondern muß auch von den Ansätzen her modifiziert werden, die Bühler selbst in seinem früheren Buch entworfen hat. 3 Den sprachlichen Fakten angemessen erscheint auch heute noch die in der Sprachtheorie vorgelegte Theorie des Verweisens, der sprachlichen Deixis. Aber auch sie ist nur eine Konsequenz der in der Krise angelegten Voraussetzungen. Dort, wo Bühler am Beispiel des sprachlichen Phänomens die damalige Problematik der europäischen Psychologie abhandelte, hat er die sozialpsychologischen Bedingungen gelegt, die auf sein ganzes späteres Denken eingewirkt haben, und von denen her seine zentralen Ideen erst in seinem Sinne gedeutet werden können. Sie gründen sich auf den Entwurf einer Theorie der sprachlichen Kommunikation, die in ihrer Konzeption viele moderne Überlegungen vorweggenommen hat. Mit diesem Teil des Bühlerschen Werkes beschäftigt sich dieser Aufsatz. Sein darin entworfenes Modell wird ‘kybernetisch’ genannt, da es bestimmte Eigenschaften besitzt, die heute allgemein kybernetischen Systemen zugesprochen werden. Daß dies auch den Ideen Bühlers entspricht, entnimmt man den Ausführungen in seinem letzten Buch, 4 wo der Terminus selbst gebraucht wird. Man kann hierüber auch die kurzen Bemerkungen Rohrachers nachlesen, die er als Geleitwort der dritten Auflage der Krise vorangestellt hat. II Es sei hier kurz skizziert, was im folgenden unter Kybernetik verstanden wird, und damit auch festgelegt, welche Erscheinungen kybernetisch genannt werden können. Die Kybernetik kann als diejenige wissenschaftliche Disziplin bestimmt werden, welche die dynamischen Systeme erforscht, in denen als konstitutive Elemente Prozesse der Selbstregulierung enthalten sind. Diese Definition ist enger als die zahlreichen neueren Vorschläge, in denen die Kybernetik als Systemwissenschaft schlechthin oder auch als allgemeine Kommunikationswissenschaft beschrieben wird, ganz zu schweigen von jenen extremen Entwürfen, in denen die Kybernetik als umgreifende moderne Wissenschaft konzipiert ist, die bis in die Philosophie hineinreicht. Diese Definitionsversuche sind sämtlich zu extensiv und zu unbestimmt, als daß sie von einem wohlumgrenzten Sachbereich her eine Wissenschaft begründen könnten. Die vorgelegte Definition hingegen ist spezifisch und nennt die wesentlichen Merkmale des Forschungsgegenstandes; die Spezifität zielt außerdem auf diejenigen Eigenschaften, die auch in den ersten kybernetischen Arbeiten Ausgangsbasis zur Entwicklung einer neuen Disziplin gewesen sind. Die vorgeschlagene Bestimmung bedarf einiger Erläuterungen: (1) Die Formulierung ‘dynamische Systeme’ soll auf Zusammenhänge und Verknüpfungen von Prozessen hinweisen; prozessuale Gebilde dieser Art sind von solchen zu unterscheiden, deren Relationen nicht den Charakter von Abläufen oder Vorgängen haben (sondern z.B. den von Zuständen). (2) Über die Natur der ‘dynamischen Systeme’ werden keine Einschränkungen gemacht. Sie können z.B. durch physikalische, psychische, oder soziale Prozesse realisiert sein, oder auch durch komplexe Verbindungen dieser. (3) Die Kybernetik muß es als eine ihrer Hauptaufgaben betrachten, die allgemeinen Struktureigenschaften solcher Systeme, soweit sie unabhängig von ihrem Realisie- Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler 43 rungsmodus sind, zu untersuchen. Die hierzu notwendigen Verfahren der Abstraktion und Formalisierung müssen jedoch immer die strukturellen Merkmale des Dynamischen und des Auto-Regulativen der Systeme als zentrale Momente beibehalten, damit eine Re-Interpretation nicht sachlich irrelevante Ergebnisse liefert. (4) Der Terminus ‘Selbstregulierung’ steht für eine ganze Klasse von retroaktiven Prozessen, unter denen gewöhnlich Steuerung und Regelung hervorgehoben werden. Wenn auch das Moment der Retroaktivität für die Kybernetik zentral ist, so müssen doch auch einfache Steuerungen und Regelungen ohne Rückwirkung im System als defektive Autoreflektierungen in die Untersuchung einbezogen werden. (5) Da im folgenden kybernetische Aspekte der sprachlichen Kommunikation erörtert werden sollen, sei noch darauf hingewiesen, daß die Gegenstandsbereiche von Kybernetik und Kommunikationswissenschaft zwar nicht identisch sind, sich aber doch überschneiden. Es wäre eine unzulässige Verallgemeinerung, wollte man die beiden Disziplinen in der einen oder anderen Weise in das Verhältnis der Subsumtion bringen. III Das besondere Problem, das hier mit Bühlerschen Gedankengängen analysiert werden soll, ist das des URSPRUNGS DER SPEZIFISCH SPRACHLICHEN SEMANTIZITÄT. 5 Dabei soll der historische Aspekt der Fragestellung als sekundär betrachtet werden: die Frage, aus welchen Verhaltensweisen in der phylogenetischen Entwicklung des Menschengeschlechts sich schließlich die Sprache entwickelt habe (eine Frage, mit der primär das Problem verknüpft ist, ob sie so sinnvoll überhaupt gestellt werden kann), ist nicht Thema dieser Untersuchung. Der Terminus ‘Ursprung’ in der Formulierung des Problems ist vielmehr zu verstehen in einem systematischen Sinne als jener Komplex menschlicher Verhaltensweisen, aus dem (1) die sprachlichen Erscheinungen in einer Theorie der sprachlichen Kommunikation begrifflich ableitbar sind, (2) dessen Strukturmerkmale in jedem konkreten Akt sprachlicher Kommunikation konstitutiv enthalten sind, und (3) der beobachtbar ist als Reduktionsform sprachlicher Kommunikation. Obgleich bei Bühler eine Unterscheidung nach historischer und systematischer Betrachtungsweise nicht durchgeführt wird, ist aus seinen Ausführungen doch deutlich herauszulesen, daß der systematische Aspekt des Problems auch in seinen Überlegungen dominiert. 6 Jener, der sprachlichen Aktivität menschlicher Individuen zugrunde liegende Verhaltenskomplex ist also kein früher phylogenetischer Zustand, der als Übergangsstadium in die volle Entfaltung der menschlichen Sprache geführt hat und heute als endgültig überwunden und vergangen oder, wenn noch im Repertoire menschlicher Aktivitäten auffindbar, außerhalb sprachlicher Bereiche liegend aufzufassen ist, sondern ein konstitutives Element des vollen sprachlichen Vollzugs, ja dessen elementare Basis. Das Spezifische der sprachlichen Semantizität wird nach der Zeichentheorie Bühlers, in nuce repräsentiert durch das Organon-Modell, als “Darstellungsfunktion” beschrieben, in der sich eben die menschliche Sprache von sprachartigen Kommunikationsmitteln etwa der Tiere unterscheidet. Die Frage nach der sprachlichen Semantizität ist also die nach der Konstitution sprachlicher Zeichen, wobei ‘Zeichen’ allgemein sich auf alle sinnbezogenen sprachlichen Einheiten bezieht (auf Wörter ebenso wie auf Sätze). Es wird sich herausstellen, daß diese Konstitution wesentlich kommunikativer Art ist, was natürlich nicht ausschließt, daß Sprache Gerold Ungeheuer 44 noch in anderen Funktionen verwendet werden kann. Das hier gestellte Problem ist nicht identisch mit der Frage nach den Formen, in denen Sprache in das Leben des Individuums und der Gesellschaft als unreduzierbare Wirklichkeit eingefügt ist. IV Auf S. 50/ 51 seiner Krise faßt Bühler in drei “Axiomen” die Beschreibung jener Grundsituation menschlichen Verhaltens zusammen, die oben mit Bühler “Ursprung der spezifisch sprachlichen Semantizität” genannt wurde. Sie lauten: I. Wo immer ein echtes Gemeinschaftsleben besteht, muß es eine gegenseitige Steuerung des sinnvollen Benehmens der Gemeinschaftsmitglieder geben. Wo die Richtpunkte der Steuerung nicht in der gemeinsamen Wahrnehmungssituation gegeben sind, müssen sie durch einen Kontakt höherer Ordnung, durch spezifisch semantische Einrichtungen vermittelt werden. Dies ist der Quellpunkt der Semantik bei Tier und Mensch. II. Soll der Eigenbedarf und die Eigenstimmung der an einem Gemeinschaftsakt beteiligten Individuen bei der gegenseitigen Steuerung zur Geltung gelangen, so müssen sie zur Kundgabe und Kundnahme gelangen. Dies eröffnet das Gebiet der Semantik dem Aspekt der Erlebnispsychologie und fordert ihn. Ich füge nun gleich das dritte Axiom hinzu: III. Durch Zuordnung der Ausdruckszeichen zu den Gegenständen und Sachverhalten gewinnen sie eine neue Sinndimension. Damit eine unabsehbare Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit als Kommunikationsmittel. Das eine durch das andere. Die Grundsituation ist entworfen im ersten Axiom. Der erste Teil nennt die sozialen und soziopsychischen Voraussetzungen, die im zweiten Teil auf diejenigen Merkmale eingeschränkt werden, die für das ‘Ursprungsproblem’ relevant sind. Paraphrasierend und die wichtigsten Elemente heraushebend lassen sich die beiden Teile des I. Axioms folgendermaßen explizieren: (a) Vorausgesetzt wird, daß menschliche Individuen in GEMEINSCHAFT leben. Menschliches Gemeinschaftsleben besteht aber in den allgemeinen Hauptzügen darin, daß sich die GEMEINSCHAFTSMITGLIEDER SINNVOLL BENEHMEN, d.h., ihr Verhalten hat nicht irregulären, sondern regulären Charakter, der sich aus Gebundenheit an oder Gerichtetheit auf soziale, gemeinschaftliche Zwecke herleitet (zweckgebundenes Verhalten im Sinne von Tolman). 7 Dieser Tatbestand setzt eine GEGENSEITIGE STEUERUNG des Verhaltens der Gemeinschaftsmitglieder voraus. (b) Die SOZIALEN STEUERUNGEN sind von sehr verschiedener Art. In jedem Falle aber funktionieren sie so, daß die Einflußnahme eines Individuums auf das andere nicht einfach nur abhängt von seiner Willkür. Sollen nämlich die aus den Steuerungen resultierenden Verhaltensweisen sinnvoll im oben beschriebenen Sinne sein, müssen sie sich an gesetzten RICHTPUNKTEN, die für die Gemeinschaft oder Teilgruppen gültig sind, orientieren. Nach der Natur dieser Richtpunkte lassen sich die sozialen Steuerungen klassifizieren. Für das vorliegende Problem ist nun derjenige komplexe Verhaltensablauf einer Gruppe von Individuen fundamental, für welche die Richtpunkte der Steuerung aus der GEMEINSAMEN WAHRNEHMUNGSSITUATION entnommen werden müssen. ‘Gemeinsame Wahrnehmungssituation’ meint die Tatsache, daß allen beteiligten Individuen derselbe Weltaus- Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler 45 schnitt in der Wahrnehmung zugänglich ist, worin enthalten ist, daß alle beteiligten Individuen sich gegenseitig wahrnehmen. Bühler stellt die These auf, daß in einer solchen Verhaltenssituation so etwas wie Sprache als Mittel der gegenseitigen Steuerung nicht notwendig ist: die Steuerungskontakte sind ‘niederer Art’, die jedoch in ihrer Struktur schon die Anlagen zu höheren sprachlich-semantischen Kontakten enthalten. Solche müssen dann entwickelt werden, wenn soziale Steuerungen die gemeinsame Wahrnehmungssituation transzendieren. Wie dies aus der Kontaktsituation in gemeinsamer Wahrnehmung geschehen kann, ist gerade das Problem, das aufgeworfen wird. Das System sozialer Steuerungen in gemeinsamer Wahrnehmungssituation, in dem die Richtpunkte aus dieser entnommen werden müssen, ist der fundamentale Verhaltenskomplex des ‘Ursprungs’, der oben allgemein eingeführt wurde. V Als erstes Hauptmerkmal des Bühlerschen Entwurfs muß der sozial-psychologische Ansatz, der genau beschrieben und konsequent durchgehalten wird, hervorgehoben werden. Wesentliche Eigenschaft des menschlichen Individuums ist es, Glied einer Gemeinschaft zu sein; die mit ihr verknüpften sozialen Wechselwirkungen sind aus einer rein individualpsychologischen Betrachtungsweise nicht ableitbar. Die sozialen Interaktionen sind es aber, aus denen sich Sprache entwickelt. Sie kann aus dem Verhaltensstatus isolierter Individuen nicht als durch Prozesse der Verfeinerung, der Vermittlung oder Generalisierung entstanden vorgestellt werden. Diese soziologische Fundierung wird von Bühler in ausdrücklichem Gegensatz zu dem individualpsychologischen Unternehmen Wundts gesehen, der versucht hatte, das Phänomen der Sprache auf menschliche Ausdruckshandlungen (Erlebnispsychologie! ) zurückzuführen. Individualpsychologisches findet man auch bei Jespersen (1922), der in seinem Buch Language, Its Nature, Development and Origin schreibt (zitiert nach 12. Auflage, 1964): “We get the first approach to language proper when communicativenes takes precedence of exclamativeness, when sounds are uttered in order to ‘tell’ fellow-creatures something, …” (437), und “Language, then, began with half-musical unanalyzed expressions for individual beings and solitary events.” (441). Andererseits gibt es einige wichtige Veröffentlichungen aus jenen Jahrzehnten, in denen Bühler an seiner Theorie arbeitete, die gleichfalls vom Menschen als dem ens sociale ihren Ausgang nehmen oder den soziologischen Aspekt mindestens erwähnen. Entgegen voreiligen Vermutungen sind die Publikation von De Saussure und Bloomfield nicht besonders ergiebig, obgleich sowohl im Cours de linguistique générale als auch in Language einige Abschnitte der sprachlichen Kommunikation als zwischenmenschlicher Beziehung gewidmet sind. Die Analyse des “circuit de la parole” 8 wird bei de Saussure nur soweit vorangetrieben, wie es zum Aufweis der langue als “partie sociale du langage”, als “fait social” im Sinne Durkheims, 9 notwendig ist. Bloomfield versucht in seinem Buch Language die sprachliche Kooperation zweier Individuen nach dem “stimulus-response”- Schema des frühen Behaviorismus zu zergliedern. Die Geschichte von Jack and Jill 10 dient ihm als Beispiel, aus dessen Analyse er vor allem seine Definition der Bedeutung herleitet: “We have defined meaning of a linguistic form as the situation in which the speaker utters it and the response it calls forth in the hearer.” (Lang., 139). Beide Autoren setzen also die Sprache in ihrer vollen Entfaltung voraus, analysieren sie unter bestimmten Leitgedanken, wobei allerdings der soziale Charakter des Phänomens als Gerold Ungeheuer 46 wesentliche Eigenschaft hervortritt. Bühler hingegen beginnt mit der Deskription von gewissen sozialen, vorsprachlichen, aber kommunikativen Verhaltensstrukturen und macht einsichtig, welche zusätzlichen Komponenten hinzukommen müssen, um Sprache entstehen zu lassen. Nur kurz kommt Bloomfield in die Nähe dieses Gedankenganges; so etwa in den Bemerkungen (28), die auf die soziale Funktion der Sprache eingehen und in dem Satze gipfeln: “The individuals in a human society co-operate by means of sound-waves.” Näher kommen einige andere, heute weniger bekannte Autoren an die Ideen Bühlers heran, ohne daß sie freilich ihre Erkenntnisse in ähnlicher Schärfe wie Bühler ins Zentrum ihrer Überlegungen gestellt hätten. So heißt es bei Dittrich (1913): 11 “Ist es doch nach alledem für uns von vornherein klar: die Minimalbedingung sprachlichen Geschehens, das Vorhandensein einer Zweiheit von Individuen, eines Sprechenden und eines Angesprochenen, hat den Ausgangspunkt aller und jeder sprachpsychologischen Erörterung zu bilden.” Der Gebrauch, den Dittrich allerdings von dieser Maxime macht, bleibt weit hinter der Gedankenarbeit Bühlers zurück. Im Einleitungskapitel zu seinem Buche freilich zeigt er in Zitaten, die bis zu Humboldt zurückgehen, wie im 19. Jahrhundert der Einfluß der sozialen Bedingungen auf die Sprachentwicklung gesehen wurde. Zwei Wissenschaftler, deren Intentionen sich auf ähnliche Zusammenhänge richteten, müssen jedoch besonders hervorgehoben werden. An erster Stelle ist hinzuweisen auf G.H. Mead, dessen Hauptwerk Mind, Self and Society im selben Jahr erschien wie Bühlers Sprachtheorie. 12 In ihm wird ein System von Gedanken vorgelegt, dessen wissenschaftliches Gewicht mindestens - wenn man überhaupt einen Vergleich wagen soll - an die Bedeutung der Bühlerschen Veröffentlichungen heranreicht, ja sie wohl an Geschlossenheit und Analysationstiefe übersteigt. Wie aus dem Mangel an Zitaten hervorgeht, hatten Bühler und Mead offensichtlich keine Kenntnis voneinander. Es ist daher besonders interessant zu sehen, wie beide an vielen Stellen zu nahezu denselben Ergebnissen gekommen sind. Im übrigen scheint Mead innerhalb der Sprachwissenschaft mit Bühler dasselbe Schicksal des vollständigen oder teilweise Unbekanntseins zu teilen. Neben Mead ist unter den amerikanischen Philosophen J. Dewey als einer derjenigen zu nennen, die sich ausführlicher mit kommunikationssoziologischen Problemen in Hinblick auf die natürlichen Sprachen auseinandergesetzt haben. 13 Ein weniger bekanntes Buch des Soziologen Markey mit dem Titel The Symbolic Process and Its Integration in Children (1928) enthält aus einer ontogenetischen Analyse des Erlernens von Sprache Ergebnisse, die den Bühlerschen Ansatz bestätigen. Markey kennt allerdings zu Zeit der Veröffentlichung seines Buches von Bühler nur dessen Werk Die geistige Entwicklung des Kindes. VI Was Bühler von allen seinen Vorgängern und Zeitgenossen, die mit ihm das sprachliche Phänomen als Entwicklungsprodukt sozialer Kooperation ansehen, unterscheidet, ist die klare und bestimmte begriffliche Durchgliederung seines Entwurfes. Dies ergibt sich besonders deutlich aus einer schärferen Analyse des ersten der drei zitierten Axiome von Bühler. Anlaß zu dem Krise-Buch war für Bühler das Zusammentreffen des amerikanischen Behaviorismus mit der in Europa geübten Psychologie, die überwiegend geisteswissenschaftlichen Charakter hatte. Der Eindruck des neuen Gedankenguts auf Bühler war groß. Grob gesprochen war das methodologische Ergebnis, das er in der Krise vorlegte, dies; man Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler 47 verwende die behavioristische Betrachtungsweise so weit als irgend möglich; wenn es die Sache erfordert, gehe man ebenso rigoros zu anderen Methoden über. Die eine wichtige Konsequenz aus dieser Forderung bestand für ihn darin, zwischen animalischen und menschlichen Verhaltensweisen keinen sprunghaften, sondern einen kontinuierlichen, allmählichen Übergang (nicht historisch gesehen, sondern deskriptiv) anzuerkennen. Was er, indem er die Problematik der damaligen Psychologie an dem ihm am besten bekannten Phänomen der Sprache abhandelte, besonders herausstellte, war die Tatsache, daß sowohl tierisches wie menschliches Verhalten sich zweckgebunden in Gemeinschaftsverbänden abspielt, und daß solcherart sinnvolles Sozialbenehmen nur möglich war durch interindividuelle Steuerung, die durch etablierte Kommunikationssysteme gewährleistet werden. Es gibt nun menschliche Kooperationen, in denen die Teilhandlungen der einzelnen Individuen durch Kommunikationsprozesse (Signale) koordiniert werden, die - wie es im animalischen Bereich immer der Fall ist - der wesentlichen sprachlichen Eigenschaft, nämlich der zuvor beschriebenen spezifischen Semantizität entbehren, oder prinzipiell entbehren können. Dies sind jene im ersten Axiom genannten sozialen Verhaltensabläufe, bei denen die Richtpunkte der gemeinsamen Wahrnehmungssituation entnommen werden. Von dieser Kategorie menschlicher Gemeinschaftshandlungen geht Bühler aus und versucht hieraus das höhere kommunikative Kontaktsystem der menschlichen Sprache abzuleiten. Dabei kommt es ihm nicht so sehr darauf an zu zeigen, aus welchen menschlichen Vermögen heraus eine solche Entwicklung zu verstehen ist, als vielmehr klarzulegen, welche Modifikationen an dem dort funktionierenden Kommunikationsapparat eingeführt werden müssen, damit das resultierende, höhere Kontaktsystem dieselben Eigenschaften besitzt wie die menschliche Sprache (womit er zugleich eine Ausgangsbasis zur Beantwortung der ersten Frage gewinnt). Beispiele für kooperative Verhaltensweisen in gemeinsamer Wahrnehmungssituation sind leicht zu finden. Das Enthaltensein der Richtpunkte der Steuerung in der gemeinsamen Wahrnehmungssituation demonstriert Bühler mit folgenden Worten: “Ein Chauffeur, vor dem ein Passant mit Scheuklappen, aber erkennbarer Marschrichtung die Strasse kreuzt, umsteuert einseitig das bewegte Hindernis; hier fehlt die rückwirkende Orientierung des Benehmens auf den Passanten. Chauffeure gegenseitig im Kontakt oder mit aufmerksamen und gewandten Passanten beim Ausweichen - hier besteht eine wechselseitige Steuerung, und hier wird die Situation regelmäßig dann gefahrvoll, wenn eine Zielmißdeutung oder eine unvorhersehbare Zieländerung eines Partners eintritt. Der handreichende Lehrling und der Meister am Gemeinschaftswerk oder die chirurgischen Assistenten und der Operateur - das Hand-in Hand-gehen der Tätigkeiten wird hier erreicht durch eine Steuerung auf das Sachziel im gemeinsamen Wahrnehmungsfeld.” (Krise, 40). Man kann aus eigener Erfahrung unbegrenzt weitere Beispiele anfügen, wobei diejenigen arbeitsteiliger Gemeinschaftshandlungen, wie sie bereits in der Tierwelt praktiziert werden, besonders eindrucksvoll sind. Zwei Momente sind es, die Bühler an solchen sozialen Kooperationen hervorhebt: einmal denjenigen Aspekt, der hier der kybernetische genannt werden soll, und zum anderen die Tatsache, daß die eingesetzten kommunikativen Mittel nicht sprachlicher Art sind oder es prinzipiell nicht zu sein brauchen. Um den kybernetischen Aspekt deutlich herauszuarbeiten, kann man den komplexen Handlungsablauf folgendermaßen beschreiben. Die kooperierenden Individuen agieren auf einer Szene, die allen überschaubar ist, so daß sie sich auch selbst gegenseitig wahrnehmen können. Das Ziel ihrer gemeinsamen Anstrengung ist ihnen vorgegeben, ihnen auch typisch als Ergebnis ihrer Aktionen wahrnehmbar. Jeder Akteur handelt zwar - im ungestörten Falle - auf dieses Ziel hin, aber nicht mit der Tabelle in der Hand, die ihm seinen individuellen Gerold Ungeheuer 48 Handlungsablauf in minimalen Teilaktionen genau vorschreibt, sondern im ständigen Kontakt mit seinen Handlungspartnern. Um das Gemeinschaftsziel zu erreichen ist zweierlei notwendig: eine gegenseitige Steuerung der Individuen und das Vorhandensein von Orientierungspunkten. Gegenseitige Steuerung wird auf zweierlei Weise bewirkt: entweder durch Beobachtung der handelnden Partner und darauf eingestellte Kooperation, oder durch Sendung und Empfangen von Signalen und Zeichen, die aufmerksam machen, hinweisen, und Handlung im Partner auslösen. Im ersten Falle geben die beobachteten Aktionen der Partner Richtpunkte ab, nach denen das eigene Handeln orientiert wird; im zweiten Falle werden die Elemente des verwendeten Kommunikationssystems (Signale, Zeichen) in ihrer Steuerfunktion aus dem Handlungsganzen und der gegebenen räumlichen Situation verstanden, wobei wesentliche Strukturmerkmale der Koaktion und feste Raumbeziehungen als Richtpunkte dienen. Das beschriebene koaktive Handlungsgefüge zeigt deutlich kybernetische Züge. Es ist ein System von agierenden Individuen und nicht nur eine Menge von einander isoliert handelnder Einzelner; es gibt ein Gemeinschaftsziel und nicht eine Menge von Individualzielen; 14 wesentlich für den Gesamtablauf sind die Rückwirkungen individueller Teilhandlungen auf diese selbst über die Reaktionen der Partner. Da die Strukturmerkmale dieses Modells sozialen Verhaltens in der Sprachtheorie Bühlers eine bedeutende Rolle spielen, erscheint es berechtigt, in diesem Ansatz die kybernetischen Grundlagen seiner Konzeption zu sehen. Die weitere Behauptung, daß die in den beschriebenen, kybernetischen Handlungsgefüge zur Steuerung etablierten Kommunikationsmittel grundsätzlich der sprachlichen Semantizität nicht bedürfen, lässt sich auf mehrfache Weise verifizieren. Zunächst erscheint es in einer Art Gedankenexperiment plausibel, daß die notwendigen Kommunikationsformen Kontakte sehr einfacher Art sein können. Wie kompliziert man sich auch eine Gemeinschaftshandlung der genannten Kategorie vorstellt, man wird darin keine Situation finden können, die mehr als zwei Signalklassen erfordert: Signale als Marken zur Identifikation konkreter Gegenstände oder Sachverhalte (Namen), und Signale des Verweisens (deiktische Zeichen), die raum- und handlungsgebunden interpretiert werden. In beiden Signalklassen ist nichts von dem zu finden, was gewöhnlich als sprachliche Bedeutung oder sprachlicher Inhalt bezeichnet wird. Hinzu kommt als weiterer Verifikationsschritt die analysierende Beobachtung von animalischen Kommunikationsformen, die, wie erläutert, für Bühler in diesem Punkte relevant sind (ein Standpunkt übrigens, der heute von vielen Forschern geteilt wird). Kommunikative Kontakte bei Tieren dienen immer kooperativen Handlungen der beschriebenen Art und ermangeln per se der spezifisch sprachlichen Semantizität. Für den weiteren Gang der Überlegungen sind sie jedoch deswegen wichtig, weil an ihnen positiv besonders deutlich beschrieben werden kann, welche Eigenschaften diese Kommunikationssysteme besitzen. Die Beschreibung der “tierischen Semantik” (Bühler) gibt einen Vergleichsmaßstab, an dem die Entwicklungskomponenten, die zur menschlichen Semantik führen, analysiert werden können. Die Gemeinschaftshandlungen, die im Säuglings- und frühen Kindesalter etwa zwischen Mutter und Kind beobachtbar sind, geben zusätzliches Beweismaterial für die Richtigkeit der Behauptung. Die an dieses Entwicklungsstadium gebundenen Kommunikationsformen lassen sich typisch in die beiden Aktionen des Benennens und Verweisens einordnen. Ganz allgemein ist natürlich die sprachliche Ontogenese für das vorliegende Problem von besonderer Bedeutung. Die besten Belege für die Richtigkeit der aufgestellten Behauptung liefert jedoch der alltägliche Gebrauch der sprachlichen Kommunikationsmittel selbst. Hält man sich streng an Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler 49 die Definition des Sprachbegriffs, so kann ein sprachlicher Kommunikationsakt erst dann als realisiert angesehen werden, wenn - in der Terminologie des Organon-Modells ausgedrückt - die Zeichenfunktion der Darstellung voll entfaltet beteiligt ist, d.h., wenn er durchgehend getragen wird von jener spezifisch sprachlichen Semantizität, die auf einer Vermittlung des Mitgeteilten durch sprachliche Bedeutungen (oder sprachliche Inhalte) beruht. Diese volle Verwirklichung sprachlicher Kommunikation, die impliziert, daß das Mitgeteilte allein aus dem Ganzen der Rede ohne Situationshilfen verstanden werden kann, ist jedoch, überblickt man die Vielfalt zwischenmenschlicher Kommunikationsformen sehr selten: man findet sie vielleicht in wissenschaftlichen Ausführungen oder Werken der Dichtkunst. Der übliche und weitaus häufigere Gebrauch sprachlicher Mittel findet, gemessen an dieser Vollsprache, in kommunikativen Reduktionsformen statt, die immer Reduktionen in Richtung auf jene zwischenmenschliche Kontakte sind, die wie oben beschrieben in gemeinsamer Wahrnehmungssituation vorkommen. Das Gemeinschaftsleben bietet zwischen den Extremen, nämlich zwischen der höheren Kommunikation voll entfalteter Sprache und der niederen Kontaktkommunikation direkter Steuerung vermittels Indikation und Markierung, einen kaum übersehbaren Reichtum solcher Reduktionsstufen und Rudimente rein sprachlichen Verkehrs. Das Vorkommen von sprachlichen oder sprachartigen Signalen (Sprachformen) allein darf den Beobachter nicht davon überzeugen, daß in allen Situationen Sprache im eigentlichen Sinne als Mittel der Kommunikation eingesetzt wird. Die Sprachsignale funktionieren hier, in ihrer sprachlichen Bedeutung abgeschwächt oder völlig entleert, als einfache Kontaktmittel. Es würde im Rahmen dieses Aufsatzes zu weit führen, die Merkmale solcher Klassen von Kommunikationsformen näher zu beschreiben. Anstatt dessen sei Mauthner zitiert, der in seiner Kritik der Sprache, 15 seinem Stil entsprechend in sehr pointierte Form, auf diesen Sachverhalt hinweist: “Die menschliche Sprache auf ihrer tiefsten Stufe ist deiktisch. “Geben Sie mir Leberwurst! ” Der Stumme zeigt mit den Fingern auf die Leberwurst mit dem gleichen Erfolg. Der Hund schnappt nach der Leberwurst mit noch schnellerem Erfolg. Die Sprache auf ihrer höchsten Stufe ist Kunstmittel. Goethe setzt Wort an Wort, wie Rafael Farbe an Farbe. Die Sprache im geselligen Verkehr nähert sich wie im Wirtshaus, im Handel, im Krieg und im Liebeskampf der Leberwursteinfachheit. Sie nähert sich in der feinsten Salonkonversation hervorragender, geschätzter Leute dem Kunstwerk. In der Mitte liegt Geschnatter, das tausend Millionen Menschen täglich stundenlang vollführen. …” VII Es muß nun gezeigt werden, wie Bühler die sprachliche Semantizität aus den in kybernetischer Funktion eingesetzten kommunikativen Kontakten bei Gemeinschaftshandlungen in gemeinsamer Wahrnehmungssituation herleitet. Zuvor sei jedoch hervorgehoben, daß er sich diese niederen Kontakte ebenso wie die spezifisch sprachliche Kommunikation aus der Notwendigkeit sozialer Steuerungen, aus ihren verschiedenen adaptiven Ausprägungen und aus ihrer Verknüpfung mit den Leistungen unserer Wahrnehmungssysteme entstanden denkt. Es ist erstaunlich, wie weit er zur Fundierung seiner Gedankengänge in dem Versuch vorstößt, mit kybernetischen Kategorien wie Steuerung, Regelung, Kontakttiefe, Stabilität sozialpsychologische Probleme zu lösen. Hier ist Bühler von einer Modernität der Ideen, die Gerold Ungeheuer 50 von keinem seiner Zeitgenossen in Europa übertroffen wurde. Auf eine Darstellung dieser allgemeineren Erkenntnisse muß jedoch verzichtet werden. Im folgenden sei die Entwicklungslinie nachgezeichnet, wie sie Bühler zur Lösung des sprachlichen Ursprungsproblems konzipiert hat. Zur besseren Übersicht sind die einzelnen Entwicklungsphasen durchnummeriert. (1) Die soziale Situation, von der ausgegangen werden soll, ist schon beschrieben worden. Ein Zitat aus der Krise möge sie noch einmal fixieren: “Sehen wir nicht die Handlungen von Menschen und Tieren in ungezählten Modifikationen wortlos und gestenlos ineinander greifen? Gewiß, nämlich in gemeinsamer Wahrnehmungssituation. Und das ist der Grundfall, von dem wir ausgehen müssen.” (39). Das kybernetische System der gegenseitigen Steuerung enthält in diesem Falle die beiden Momente der “Einstellung der Individuen aufeinander” und des “gegenseitigen Verstehens der Tätigkeit des anderen”. Die Einstellung ermöglicht den zur Steuerung notwendigen Kontakt und ist somit Bedingung eines Kommunikationssystems elementarer Art. Das Verstehen der Tätigkeiten des anderen setzt die Richtpunkte, an denen sich die Steuerungen orientieren. Kooperative Handlungen dieses Typus findet man im tierischen Bereich ebenso wie im menschlichen. Die in ihr ausgebildete Form der Kommunikation ist elementar insofern, als sie konstituiert ist durch ein Minimum an semantischen Einrichtungen. Da es hier nicht auf eine Definition der Semantizität ankommt, kann unter Annahme bestimmter Voraussetzungen auch gesagt werden, daß dieser Grundfall sozialen Verhaltens ohne zeichenhafte oder signalartige Kontaktmittel funktioniert. (2) Eine Verbesserung der Kommunikationsmittel wird dann notwendig, wenn sich der Horizont der Gemeinschaftshandlung so ausweitet, daß den Beteiligten jeweils nur noch Abschnitte des Schauplatzes der Aktion wahrnehmbar sind. Bei sozial höher organisierten Tieren wie den Ameisen oder Bienen lassen sich die Steuerungskontakte, die eine Kooperation auf Distanz notwendig machen, gut studieren. Ein Beispiel, auf das Bühler immer wieder eingeht, ist die Benachrichtigung eines Bienenschwarms durch einen Schwarmgenossen über den Ort eines Honiglagers und die Art des dort vorhandenen Honigs. Ohne daß auf Details eingegangen werde, spielt sich der Vorgang etwa folgendermaßen ab. Die einschwärmende Biene bringt vom Fundort eine Probe des Honigs mit; sie führt dann eine Art Tanz auf, dessen Symmetrie im Zusammenhang mit dem Stand der Sonne den Schwarmgenossen die Position des Fundorts angibt. An diesem Beispiel kann man eine zweifache Funktion des kommunikativen Kontaktes unterscheiden: einmal eine Markierung zur Identifikation des Honigs und zum anderen einen Hinweis vermittels des Tanzes. Die Kommunikationsmittel, die dabei verwendet werden, tragen die charakteristischen Merkmale, die alle Formen animalischer Kommunikation auszeichnen und die auch für viele zwischenmenschliche Kontakte charakteristisch sind. Man betrachte zunächst die Duftmarkierung des fernen Honiglagers vermittels der mitgebrachten Probe. Unerläßlich für die Identifikation ist offensichtlich eine Handlung, die der Wahrnehmung aller beteiligten Individuen den Stoff zugänglich macht, auf den der gesamte Handlungsablauf zielt; dies geschieht durch eine Stoffprobe. In dem Bienenbeispiel ist damit verknüpft eine weitere Eigenschaft, die in anderen Fällen auch unabhängig von der ersten auftreten kann: das zur Markierung verwendete Zeichen kann abgelöst von dem Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler 51 markierten Gegenstand seine Identifikationsfunktion nicht erfüllen. Am Beispiel eines Tieres, das mit Exkrementen die Grenzen seines Herrschaftsbereichs markiert, läßt sich diese spezielle Gebundenheit der Identifikationszeichen unabhängig von der zuerst genannten leicht demonstrieren. Diese beiden Eigenschaften seien in Anlehnung an die Terminologie von Bühler mit den Termini ‘Stoffgebundenheit’ und ‘Gegenstandsgebundenheit’ bezeichnet. Daß Kommunikationskontakte dieser Struktur auch im menschlichen Verkehr vorkommen, ist in Beispielen nicht schwer zu belegen. Bühler selbst nennt zur Verdeutlichung das Exempel des Rötelstrichs der Räuber Ali Babas (Krise, 53), der als gegenstandsgebundenes Lokalzeichen funktioniert; und der Flecken Kleiderstoff, den man im Kaufhaus vorzeigt, um mehrere Meter derselben Ware zu erstehen, ist sicherlich eine stoffgebundene Identifikation. Was nun den Bienentanz angeht, der dem Schwarm die Richtung und häufig auch die Distanz mitteilt, in der der Fundort zu finden ist, so liegt in diesem Kontaktmittel eine sehr feste Verknüpfung mit der physischen Situation. Die Bewegungen, welche die Biene als Tanz vorführt, zielen allein ab auf eine Orientierung beim Geschäft des Honigsammelns; sie können ihren Zweck nur erfüllen, wenn die anderen Bienen eine Reihe von Umweltfaktoren, die sie wahrnehmen (Sonnenstand, Windrichtung, usw.), in den kommunikativen Steuerungsprozeß einbauen. Unabhängig von diesen äußeren Voraussetzungen ist der Bienentanz ein sozial und kommunikativ sinnloser Vorgang. In den beschriebenen Kommunikationsformen werden die Zeichen, wie Bühler es nennt, symphysisch verwendet; erst das symphysische Umfeld legt die Grundlage zu ihrer Interpretation. (3) Die nächsthöhere Entwicklungsphase kann man mit Bühler im empraktischen oder sympraktischen Gebrauch der Kommunikationszeichen sehen. Sie gehört schon nahezu ganz dem menschlichen Bereich an; im animalischen Kontakt finden sich nur Rudimente empraktischer Zeichenverwendung. Das empraktische Umfeld, aus dem in dieser Kommunikationsklasse sich die Deutung der Zeichen ergibt, ist mit dem Handlungszusammenhang gegeben; der Handlungsraum mit seinen Gegenständen, Prozessen und Relationen ist auf die Zeicheninterpretation ohne Einfluß. Ein einfaches, immer wieder genanntes Beispiel beschreibt Bühler folgendermaßen: 16 “Wenn z.B. ein phonetisch als Grunzen zu bezeichnendes Geräusch mit Sicherheit als Morgengruß ‘verstanden’ wird, so ist das nur auf Rechnung der unzweideutigen Situation zu schreiben.” Der Gast, der im Kaffeehaus “einen Schwarzen” verlangt und der Passagier, der in der Straßenbahn “geradeaus” oder “umsteigen” fährt, sind weitere Beispiele, die sich beliebig vermehren ließen. Bühler hat sich bei der Analyse dieser Kommunikationsformen mit dem Gegenargument auseinandergesetzt, hierbei handele es sich lediglich um elliptische Redeweisen, wie sie auch beim Gebrauch von Sprache in ihrer vollen Funktion verwendet werden. Es würde zu weit führen, die gegensätzlichen Positionen in Einzelheiten zu erörtern. Doch seien die wichtigsten Überlegungen Bühlers angeführt. Die elliptische Rede erhält ihre Deutung aus einem synsemantischen Umfeld (Kontext; was später zu erläutern ist) nicht aus einem sympraktischen. Für die hierhergehörenden Kommunikationsformen ist es außerdem ohne Belang, ob sprachliche Signale oder andere den Steuerungskontakt herbeiführen oder nicht. Werden Sprachreste verwendet, so geschieht dies unter Verlust, zumindest aber unter Herabminderung jener wesentlichen Eigenschaft vollentfalteter Sprache, die als spezifische Semantizität bezeichnet wurde. Die Anschaulich- Gerold Ungeheuer 52 keit der Beispiele bestätigt nur das häufige Vorkommen von Sprachrudimenten in dieser Form. Grundsätzlich brauchen jedoch die empraktisch zu deutenden Steuerungssignale nicht reduzierte Sprachzeichen zu sein. Welcher Art aber sie immer auch sind, sie gehen nicht über die beiden Funktionen des Benennens und Verweisens, wie schon erläutert wurde, hinaus. Sie unterscheiden sich jedoch von dem rein symphysischen Zeichengebrauch dadurch, daß sie in den beiden Funktionen weder an den Stoff, dessen Identifikation sie herbeiführen, noch an den Gegenstand, auf den sie verweisen, gekettet sind, und da sie empraktisch verstanden werden, entfällt auch das Gebundensein an Merkmale des umgebenden Raumes. Es muß noch gefragt werden, welche Modifikation des Grundfalles der sprach- und gestenlosen Kooperation die Erfindung empraktisch funktionierender Kommunikationsmittel notwendig macht. Wie man den Beispielen entnehmen kann, handeln die Individuen in den beschriebenen Szenen nicht mehr in voller Übereinstimmung mit den Definitionsmerkmalen des Grundfalles. Dabei können verschiedene Defekte in Erscheinung treten: (a) Die Einstellung der Individuen aufeinander kann durch entgegenwirkende psychophysische Faktoren (Müdigkeit, Unachtsamkeit, mangelnde Konzentration, usw.) gestört sein. In diesen Fällen muß das aus der Kooperation ausbrechende Individuum vermittels Aufmerksamkeit heischende Signale auf seine Rolle in der Gemeinschaftshandlung hingewiesen werden. (b) Wenn das Ziel der Kooperation aus der wahrgenommenen Umfeldsituation nicht zwingend gegeben ist oder zu Beginn mehrere Handlungsabläufe, die von der Entscheidung eines oder mehrerer der Beteiligten abhängen, möglich sind, muß das Aktionsziel gesetzt werden. Dies kann entweder durch eine Benennung (Äußerung des Zielnamens) oder durch Hinweis vermittels sprachlicher Rudimente oder Gesten geschehen. Hierher gehören die Beispiele des Gastes im Kaffeehaus und des Passagiers in der Straßenbahn; aber auch die berühmte Geschichte Bloomfields von Jack und Jill gehört zu dieser Kategorie. Das von Jill produzierte Geräusch fixiert das Ziel und setzt zugleich die Gemeinschaftshandlung in Gang, die im übrigen (einschließlich bezeugter Dankbarkeit) sprachlos ablaufen kann. Diese Analyse führt im übrigen zu dem Schluß, daß aus derartigen Beispielen nur wenig über die Struktur voll ausgebildeter Sprachereignisse ableitbar ist. (c) Bei komplexen Gemeinschaftshandlungen kommt es sehr häufig vor, daß die beteiligten Akteure, obgleich potentiell der gemeinsame Wahrnehmungshorizont gewährleistet ist, dennoch in Phasen der Aktion nur Ausschnitte des Schauplatzes und nicht zu jeder Zeit alle Partner perzipieren. Gründe für solche Situationen gibt es in großer Zahl. Einer der wichtigsten dürfte darin bestehen, daß eine Teilhandlung des gesamten Geschehens die völlige Aufmerksamkeit eines Individuums verlangt, zugleich aber auch die Assistenz eines anderen Individuums erforderlich ist, dessen Aktionen gesteuert werden müssen, da ihm das Arbeitsfeld des ersten nicht überschaubar ist, wie es z.B. im Operationssaal jeden Tag geschieht. Auch hier werden Kommunikationskontakte notwendig, die über das im Grundfall funktionierende Steuerungssystem hinausgehen. (d) Es kann auch der Fall sein, daß zwar allen Beteiligten das Ziel, auf das sie hinarbeiten bekannt ist, nicht allen jedoch jede der erforderlichen Teilhandlungen verständlich ist. Jede Gemeinschaftshandlung von Lehrer und Lernendem ist ein Beispiel für diese Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler 53 Konstellation. Wenn der Lehrling dem Meister den Meißel statt des Hammers reicht, muß der Meister entweder mit dem Finger auf den Hammer hinweisen oder den Namen des gewünschten Werkzeugs nennen. (e) Als letzte Modifikation des Grundfalles, die zur Erfindung höherer Kommunikationsmittel führen kann, sei die Erkenntnis eines oder mehrerer Individuen genannt, daß bestimmte Gemeinschaftshandlungen vereinfacht werden können oder schneller ablaufen, wenn von dem elementaren Kommunikationssystem des Grundfalles abgegangen wird. Hier liegt die Modifikation allerdings nicht in der Struktur jener Elementarkooperation, sondern im Auftreten individueller Initiativen, die bisher nicht ausdrücklich in Rechnung gestellt wurde. (4) Die letzte Phase, die zu analysieren ist, wird gekennzeichnet durch die Erscheinungen der Sprache in ihrer voll entfalteten Funktion. Es sei zunächst dargelegt, welche Entwicklungsschritte notwendig sind von den zuvor beschriebenen Kommunikationssystemen bis in diesen voll-sprachlichen Bereich, und wie dabei die spezifisch sprachliche Semantizität zur Ausbildung kommt. Die in den ersten der drei zitierten Axiome Bühlers vorgetragene Behauptung war die, daß Gemeinschaftshandlungen, die den gemeinsamen Wahrnehmungshorizont der beteiligten Individuen transzendieren, Kommunikationsmittel von der Art der Sprache mit Notwendigkeit herbeiführen. Kooperationen, die auf solchen Fernkontakten und Fernsteuerungen beruhen, sind erforderlich, wenn gesellschaftliches Handeln möglich sein soll. Aber auch dann, wenn im Gespräch zwei Partner sich gegenseitig wahrnehmen, können in Bezug auf die zu erzielende Kooperation die Bedingungen des Grundfalles und seiner Modifikationen außer Kraft gesetzt werden, dann nämlich, wenn es sich um eine kooperative Verständigung über einen außerhalb der gemeinsamen Wahrnehmungssituation liegenden Sachverhalt handelt. Beide Formen des Hinausgehens über den gemeinsamen wahrnehmbaren Handlungsschauplatz erfordern Kommunikationsprozesse, in denen die verwendeten Zeichen weder symphysisch noch sympraktisch, sondern allein SYNSEMANTISCH interpretiert werden. Die sprachlichen Zeichen lassen sich auf dieser höchsten Stufe in Bezug auf den Grundfall und seine Modifikationen zunächst negativ bestimmen. Sie sind charakterisiert durch Entstofflichung und Ablösbarkeit vom indizierten Gegenstand; sie sind in ihrer Zeichenfunktion frei von Verkettungen mit dem realen Weltausschnitt, in dem die Individuen sich ihrer bedienen; das, was sie bedeuten (“darstellen” in der Terminologie Bühlers), ist unabhängig von dem Handlungsgefüge verstehbar, in welchem sie als Steuerungsmittel inkorporiert sind. Nichtsdestoweniger bedürfen auch die Sprachzeichen (Wörter) in Erfüllung ihres kommunikativen Zweckes einer wechselseitigen Erhellung und Verdeutlichung: das synsemantische Umfeld konkretisiert und präzisiert das Gemeinte, die Bedeutung, den Inhalt, den Sinn. Dieses Moment der funktionellen Abhängigkeit der Kommunikationsmittel von einem wie auch immer zu definierenden Umfeld haben alle zwischenmenschlichen Kommunikationsformen (und wohl auch die animalischen), die bisher betrachtet worden sind, gemeinsam. Es taucht die Frage auf, ob es nicht die Transformation dieser Zeichen-Umfeld-Beziehung auf einer immer höheren Stufe ist, welche schließlich zur sprachlichen Semantizität führt. Reduziert man den Handlungsablauf des Grundfalles auf eine Kooperation zweier Individuen, so kann die gemeinsame Wahrnehmungssituation, in der die Richtpunkte der Gerold Ungeheuer 54 gegenseitigen Verhaltenssteuerung enthalten sind, wie schon erläutert, in zweifacher Weise transzendiert werden: entweder sind den Partnern nur getrennte Wahrnehmungsräume zugänglich, so daß sie in keinem perzeptiven Kontakt stehen, oder aber die Orientierungspunkte sind Teil einer Situation, die sich außerhalb des Wahrnehmungsbereichs beider befindet. Beide Konstellationen sprengen die Bedingungen des Grundfalles und weiten ihn zu einer Aktion aus, die höhere kommunikative Kontakte notwendig macht. In ihnen ist der Wahrnehmungsraum der beteiligten Individuen, auch wenn er allen gemeinsam ist, nicht mehr identisch mit dem Handlungsraum, auf den sich die Kommunikationsprozesse beziehen. Im Hinblick auf die Funktion sprachlicher Zeichen kann man auf die Frage, welcher Art denn nun diese höheren Kontakte sind, die im Falle einer so extremen Differenz von Wahrnehmungs- und Handlungsraum die Steuerung übernehmen, folgendermaßen antworten: wenn eben der Handlungsraum nicht zugleich Perzeptionsraum ist, dann muß er kommunikativ im Bewußtsein und in der Vorstellung der Kommunikationspartner entworfen werden. Das bedeutet z.B., daß der kommunikativ dominierende Partner die Vorstellungen des anderen mit sprachlichen Mitteln so beeinflußt, d.h. steuert, daß die Szene der gemeinsamen Aktion ihm als PHANTASMA, um einen Begriff Bühlers zu gebrauchen, gegenwärtig wird. Der Begriff des Phantasma wurde von Bühler, in einem engeren Zusammenhang als freilich hier, eingeführt, um mit einem Wort den Bereich “der ausgewachsenen Erinnerung und konstruktiven Phantasie” unabhängig von den theoretischen Konnotationen, die mit den Termini Bewußtsein, Vorstellung, u.derg. immer verknüpft sind, benennen zu können. Er ist an dieser Stelle geeignet, einen Sachverhalt zu fixieren, der bei Bühler nur in wenigen Sätzen behandelt wird. Die höheren, rein sprachlichen Kontakte bauen also den Handlungsraum, in dem Kooperation sich abspielt, als Phantasma auf, und in diesem, nicht in einem der direkten Wahrnehmung unterliegenden Umfeld sind die Richtpunkte der Steuerung enthalten und finden die Akte der Verweisungen statt. Es ist dies eine verallgemeinerte “Deixis am Phantasma”, die Bühler für einen speziellen sprachtheoretischen Zusammenhang eingeführt hat. In ihr enthüllt sich die Sprache als ein “mediales Gerät”, das am Phantasma Welt vermittelt. Soll die Fixierung des Handlungsraums als Phantasma gelingen, müssen an die sprachlichen Kommunikationsmittel bestimmte Anforderungen gestellt werden. Unter ihnen ist die wichtigste die, daß das vermittelte Phantasma eindeutig bestimmt ist in den für die Kooperation wesentlichen Aspekten. In diesem Geschäft der Fixierung üben die sprachlichen Zeichen durch wechselseitige Spezifikation in einem verallgemeinerten Sinne die Funktion der Markierung, der Indikation aus, wie dies im engeren Sinne durch Namen geschieht. Die Verweisungen, die am Phantasma vollzogen werden, korrespondieren der Anaphora im syntaktischen Aufbau der vermittelnden Rede. Die Gemeinschaftshandlungen, die mit rein sprachlichen Steuerungen verwirklicht werden, besitzen im allgemeinen kaum noch die Merkmale praktischer Tätigkeiten. Nichtsdestoweniger sind es Kooperationen; sie treten in der Hauptsache als geistig-seelische Auseinandersetzungen in Erscheinung, die auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet sind. Die Gemeinschaftshandlung, in der Kommunikation als Vehikel der Steuerung eingesetzt ist, wird ‘Kommunikationshandlung’. Dies setzt voraus, daß die kooperierenden Individuen selbst in ihren Fähigkeiten so ausgebildet sind, daß sie den Status sprachlicher Kommunikation erreichen können. Das bringt nun, am Ende dieser Betrachtung, einen individualpsychologischen Gesichtspunkt ins Spiel, ohne den die Analyse des Problems nicht auskommen Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler 55 kann, der aber deswegen so lange zurückgehalten wurde, weil er, bei dem heutigen Stand der Diskussion, leicht die Bedeutung der sozial-psychologischen Voraussetzungen vergessen läßt. Es bedürfte noch langer Erörterungen, um von dem erreichten Punkte dieser Darstellung aus in das Reich der geläufigen linguistischen Kategorien vorzustoßen. Satz und Wort, Stamm und Affix, gesprochene Rede und geschriebener Text, Wortarten und andere grammatische Begriffe bleiben in ihrer Beziehung zu den beschriebenen Sachverhalten noch im Dunkel. Sie liegen jedoch außerhalb des Themas dieses Aufsatzes und vieles kann über sie in der Sprachtheorie Bühlers selbst nachgelesen werden. Eine letzte Bemerkung sei angefügt. In ihrer Geschichte haben sich die Menschen zu immer größeren gesellschaftlichen Verbänden zusammengeschlossen. Die im sozialen Leben zu realisierenden Gemeinschaftshandlungen sind in ihrer Zahl unabsehbar und zeigen alle Abschattierungen zwischen den vier geschilderten Modellsituationen. Im Hinblick auf die notwendigen Kommunikationskontakte können zur Schaffung der Kontaktmittel grundsätzlich zwei Wege beschritten werden. Entweder gibt es für jeden Fall ein System spezifischer Mittel oder es gibt ein universelles Kommunikationssystem, das für alle, jedenfalls aber für die weitaus meisten Situationen, tauglich ist. Die zweite Lösung ist offenbar ökonomischer als die erste, und sie ist in allen Gruppen menschlicher Individuen als Sprache verwirklicht worden. Die Universalität ihrer Verwendbarkeit, welche die natürlichen Sprachen auszeichnet, führte jedoch zu ganz bestimmten Strukturmerkmalen, unter denen an erster Stelle die Unterscheidung zwischen Wort und Satz, genauer zwischen Rede und Wort zu nennen ist. Innerhalb der dargestellten Theorie bezieht sich Rede immer auf ein spezifisches Phantasma. Ob das im Phantasma vermittelte als konkret außerhalb der Individuen existierend oder als nur denkbar oder phantasierbar vorgestellt wird, muß, wenn die Rede allein aus sprachlichen Mitteln schöpfen will, als vermitteltes Bestimmungsstück im Phantasma enthalten sein. Ein isolierter Satz ist nur dann ein sprachliches Ereignis, wenn das durch ihn vermittelte Phantasma aus sich selbst heraus verständlich ist; dasselbe gilt für Phrasen, d.h. Wortfügungen, die im üblichen Definitionssystem der Grammatiken nicht Sätze genannt werden. Die Inhalte oder Bedeutungen der einzelnen Wörter jedoch, aus denen Rede aufgebaut wird, sind aktuelle vor-sprachliche Ereignisse nur als Elemente der Rede. Isoliert gebraucht, können sie nur symphysisch oder empraktisch verstanden werden. Welche Inhalte ihnen als im strengen Sinne lexikalische Einheiten zuzuordnen sind, hängt in einem gewissen Maße von einer Definitionsentscheidung ab; diese Freiheit der Bestimmung wird eingeschränkt durch negative Abgrenzungen, wie sie de Saussure vorgeschlagen hat. Die Bemerkungen des vorhergehenden Abschnitts können natürlich nichts weiter als Andeutungen sein. Sie gehen zum Teil über das hinaus, was Bühler zu diesem Gegenstande gesagt hat. Aus den kybernetischen Grundlagen seiner Sprachtheorie heraus können sie jedoch mit bemerkenswerter Konsequenz abgeleitet werden. VIII Die sprachtheoretischen Gedankengänge Bühlers zeichnen sich durch einen konsequent durchgehaltenen, auf soziologische und sozialpsychologische Fakten beruhenden Ansatz aus. Dieses Fundament wird dargestellt als kybernetisches System, das allen Kommunikationskategorien als Wirkungsschema zugrunde liegt. Insofern kann in ihm unter einem systematischen Gesichtspunkt der Ursprung der spezifisch sprachlichen Semantizität gesucht werden. Gerold Ungeheuer 56 Neben diesem sozialen oder sozialpsychischen Fundament muß jedoch für die Entwicklung der Sprachen noch ein individualpsychischer angenommen werden, der in diesem Aufsatz wenig erläutert wurde. Denn nur solche Individuen sind zu höheren Kontakten der Sprache fähig, die eine bestimmte Konstitution auszeichnet. Stellt man diese in Rechnung, so muß man es mit allen Modi ihrer Aktualisierung tun. Für die Sprachtheorie ist von besonderer Bedeutung die Tatsache, daß es bereits im Bereiche des menschlichen Wahrnehmungsvermögens, aus dem kognitive Züge nicht verbannt werden können, in großer Mannigfaltigkeit Prozesse gibt, die den Charakter des Bedeutens tragen. 17 Von diesen Tatbeständen auszugehen, ist jede ernstzunehmende allgemeine Zeichen- Theorie gezwungen. Bei Bühler werden sie eher implizit als explizit berücksichtigt; sie sind jedoch in ihrer Wirksamkeit in jenem Grundfall der Gemeinschaftshandlung enthalten, in dem allein Wahrnehmungskontakte eine Rolle spielen. Selbst in seinem berühmten Prinzip der abstraktiven Relevanz zeigt sich die nachhaltige Wirkung der perzeptiven Grundlagen. Es möge nocheinmal darauf hingewiesen werden, daß es in den vorhergehenden Betrachtungen nicht darum ging, die Kommunikation als Hauptfunktion der Sprache nachzuweisen. Was Sprache für den Menschen als Einzelnen oder in Gemeinschaft mit anderen sein kann, was Kultur und Zivilisation, Weltanschauung und Weltbild der Sprache verdankt, bleibt unberührt von den gewonnenen Erkenntnissen. Doch gilt sicherlich dies eine, daß eine Sprache nur deswegen mehr als Kommunikationsmittel sein kann, weil sie als solches eine Ausbildung erreicht hat, durch die sie zu dieser Übersteigerung fähig wird. In der sprachwissenschaftlichen Literatur lassen sich zwei Topoi nachweisen, in denen sprachliche Kommunikation beschrieben wird. Der eine, der auch in der Umgangssprache üblich ist, ist der Topos des Transports. Nach ihm sind die verbreitetsten Formulierungen gebildet: ‘Mitteilung’, ‘Übertragung, Übermittlung einer Nachricht’, ‘Gedankenaustausch’, ‘Übertragung von Bedeutungen’, u.dgl. Der zweite ist der Topos der Steuerung, der seltener wirksam ist. Unter seiner Prägkraft stehen Äußerungen der folgenden Art: ‘Sprache als Einflußnahme eines Geistes auf den anderen’, ‘Sprache als Suggestion’ (z.B. Hellpach, 18 Bühler). Mauthner, der schon einmal zitiert wurde, stehe hier am Schluß mit einem zweiten Zitat, das zeigt, daß auch er unter dem Einfluß des Steuerungstopos steht: Der Zweck der Sprache ist also Beeinflussung, Willens- oder Gedankenlesen, mit einem Modewort: Suggestion. Die Wirkung der Sprache auf den anderen ist verschieden; der Zweck wird nicht immer erreicht. Unterwerfung unter die Suggestion oder Auflehnung kann die Folge sein. Diese Wirkung kann ebensogut durch Handlungen als wieder durch Sprache ausgedrückt werden. (Kritik der Sprache, II, 461). Die vorliegenden Betrachtungen suggerieren, daß der Topos der Steuerung sachliche Argumente auf seiner Seite hat. BONN Anmerkungen 1 Karl Bühler, Sprachtheorie: Die Darstellungsfunktion der Sprache (Jena, 1934; 2. Aufl., Stuttgart, 1965). 2 Karl Bühler, Die Krise der Psychologie (Jena, 1927; 3. Aufl., Stuttgart, 1965). 3 In der Sprachtheorie werden zwar diese früheren Ansätze auch angeführt (so schon im Vorwort), jedoch nicht in voller Ausführlichkeit und nicht mit dem Nachdruck, der ihrer systematischen Position entspricht. In der Fülle linguistischer Erörterungen können sie leicht als unwesentliche Betrachtungspunkte erscheinen. Im Vorwort zur Sprachtheorie verweist Bühler allerdings mehrfach auf die in der Krise angelegten Konzeptionen. Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler 57 4 Karl Bühler, Das Gestaltprinzip im Leben der Menschen und der Tiere (Bern-Stuttgart, 1960). 5 Zur Terminologie in dieser Formulierung des Problems siehe z.B. den Satz: “Wir folgen einem aus intimer Kenntnis der Dinge oft ausgesprochenen aber niemals methodisch restlos fruktifizierten Satz, wenn wir den Ursprung der Semantik (Unterstr. v. m.) nicht beim Individuum, sondern bei der Gemeinschaft suchen.” (Krisis, 1965, 38). 6 Siehe hierzu die folgenden Ausführungen in der Sprachtheorie: “Es gibt im Anwendungsbereich der menschlichen Sprachzeichen einen Befreiungsschritt, der vielleicht einmal im Werdegang der Menschensprache zu den entscheidensten gehörte. Wir vermögen ihn zwar nicht historisch zu rekonstruieren, wozu so gut wie jeder Anhalt in der Linguistik von heute fehlt, können ihn aber systematisch bestimmen (Unterstr. v. m.) als die Befreiung, soweit sie geht und möglich geworden ist, von den Situationshilfen; es ist der Übergang vom wesentlich empraktischen Sprechen zu weitgehend synsemantisch selbständigen (selbstversorgten) Sprachprodukten.” (Sprachtheorie, 1965, 366-67). 7 Der von Bühler verwendete Begriff “Benehmen” ist die Übersetzung des englischen ‘behavior’; heute ist es im Deutschen wohl üblicher, hierfür die Termini ‘Verhalten’ oder ‘Verhaltensweise’ zu verwenden (die auch bei Bühler vorkommen). 1932 erschien von E.C. Tolman das Buch Purposive Behavior in Animals and Man, das, wie er in der Sprachtheorie ausführt, mit den wichtigsten Überlegungen seiner Krise übereinstimmt. In der Krise selbst werden als frühe Behavioristen Lloyd Morgan und H.S. Jennings genannt, besonders aber scheint Bühler das Buch Animal Intelligence von Thorndike angeregt zu haben. In ironischer Form wird in der Sprachtheorie gegen den Extremismus des rigorosen Behaviorismus eines Watson und Stetson polemisiert; Watsons bekanntes Werk Behaviorism war zum erstenmal 1924 erschienen. 8 Cours, 27ff. 9 Die Konzeptionen des Soziologen Durkheim haben De Saussure nachhaltig beeinflusst; siehe hierzu E. Coseriu, Sincronia, diacronia e historia (Montevideo, 1958), 19-46. 10 “Jill is hungry. She sees an apple in a tree. She makes a noise with her larynx, tongue, and lips. Jack vaults the fence, climbs the tree, takes the apple, brings it to Jill, and places it in her hand. Jill eats the apple.” (Language, 22). 11 O. Dittrich, Die Probleme der Sprachpsychologie (Leipzig, 1913), 25. 12 G.H. Mead, Mind, Self and Society (Chicago, 1934). Unter seinen zahlreichen Aufsätzen sei besonders der folgende genannt: “A Behavioristic Account of the Significant Symbol”, J. Philos., 19 (1922), 157-163. 13 Es erübrigt sich hier, die Werke Deweys anzuführen, in denen er über Sprache und Kommunikation handelt. Ein Aufsatz sei jedoch genannt, da er als Reaktion auf den oben zitierten Artikel von Mead anzusehen ist: J. Dewey, “Knowledge and Speech Reaction”, J. Philos., 19 (1922), 561-570. 14 Die Differenz zwischen Gemeinschafts- und Individualziel müßte an dieser Stelle, wenn es um eine vorwiegend soziologische oder sozialpsychologische Problematik ginge, näher erläutert werden. Bei Gemeinschaftshandlungen vom Typus des Wettstreits scheinen nur Individualziele, aber kein Gemeinschaftsziel vorhanden zu sein. Diese Überlegung geht jedoch zu ausschließlich von den beteiligten Individuen aus. Aufs Ganze gesehen ist das Gemeinschaftsziel des Wettstreits dann erreicht, wenn der Sieger feststeht, und jeder der Wettstreitteilnehmer arbeitet auf dieses Ziel hin. Das individuelle Interesse jedes der Streitenden, den Sieg zu erringen, muß als eine besondere Klasse von Orientierungen aufgefaßt werden. 15 F. Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, I (Stuttgart, 1901), 47. 16 K. Bühler, “Über das Sprachverständnis vom Standpunkt der Normalpsychologie aus”, Ber. über den III. Kongr. f. exper. Psychol. in Frankfurt 1908 (Leipzig, 1909), 94-130, bes. 104. 17 Aus der Literatur zu diesem Problemkreis sei genannt: A. Gurwitsch, Théorie du champ de la conscience (Desclée de Brouwer, 1957). 18 W. Hellpach, Sozialpsychologie (3. Aufl., Stuttgart, 1951). András Kertész Philosophie der Linguistik Studien zur naturalisierten Wissenschaftstheorie 2004, 439 Seiten, € 68,-/ SFr 115,- ISBN 3-8233-6047-7 Bekanntlich spielten wissenschaftstheoretische Überlegungen bei der Entstehung der modernen theoretischen Linguistik eine fruchtbare und konstruktive Rolle. Heute dagegen sind die beiden Denkrichtungen durch eine tiefe Kluft voneinander getrennt: Während in der Wissenschaftstheorie radikale und progressive Veränderungen vor sich gehen, nimmt die theoretische Linguistik diese kaum zur Kenntnis und hält an Vorurteilen fest, die im Lichte heutigen wissenschaftstheoretischen Denkens nicht mehr zeitgemäß sind. Das vorliegende Buch setzt sich zum Ziel, diese Kluft durch eine Heuristik zu überbrücken, welche die Anwendung unterschiedlicher Ansätze zur Wissenschaftstheorie der Linguistik ermöglicht. Dabei wird die Leistungsfähigkeit u.a. wissenssoziologischer, kognitionswissenschaftlicher, pragmatischer, argumentationstheoretischer sowie logischer Ansätze anhand zahlreicher Fallstudien veranschaulicht. In der Summe ergibt sich so eine grundsätzliche Neubewertung vieldiskutierter Probleme in beiden Bereichen: in der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie ebenso wie in der linguistischen Theoriebildung. Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 75288 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Sprachwissenschaft * Aus Anlaß der Neuauflage von KARL BÜHLER: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Mit einem Geleitwort von FRIEDRICH KAINZ, Stuttgart, Gustav Fischer Verlag 1965, XXXIV, 434 Seiten. 54,- DM. - Alle Seitenangaben im Text beziehen sich auf dieses Buch. - Einige der hier geäußerten Überlegungen wurden mit KLAUS BAUMGÄRTNER (Stuttgart) und HELMUT SCHNELLE (Berlin) erörtert, denen ich herzlich danke. Karl Bühlers Grundprinzipien der Sprachtheorie * Dieter Wunderlich Kaum eine sprachwissenschaftliche Publikation von Rang erscheint, in der nicht K ARL B ÜHLER erwähnt wird: wenigstens in diesem Sinne ist sein Werk heute bereits klassisch. Am bekanntesten ist B ÜHLERS “Organonmodell der Sprache” geworden; seine anderen sprachtheoretischen Prinzipien und Entwürfe sind dagegen oft vergessen. Zu unrecht: zwar mag die linguistische und psychologische Forschung inzwischen einige Details überholt haben, B ÜHLERS Darlegung der grundlegenden Prinzipien, der “regulativen Forschungsideen, welche die … sprachwissenschaftlichen Induktionen leiten” (S. 12), ist heute wie damals instruktiv und kaum eleganter denkbar. Vor allem hat B ÜHLER gezeigt, daß jede Sprachbeschreibung immer zugleich den beobachteten Fakten wie auch allgemeinen Annahmen über die menschliche Sprache Rechnung tragen muß; sie muß empirisch und theoretisch orientiert sein, sie muß induktiv und deduktiv vorgehen. Damals war das kein selbstverständliches Postulat: die Sprachwissenschaftler arbeiteten meistens ohne jedes genauer begründete methodologische Konzept, entweder spekulierten sie auf vager psychologischer Basis oder sie klassifizierten rein taxonomisch. Als sich der empiristische Behaviorismus in den USA gerade erst zu entwickeln begann, formulierte Bühler schon Gedanken, die geeignet waren, ihn eher zu überwinden. Er forderte eine allgemeine Sematologie, von der aus der soziale und zeichenhafte Charakter der sprachlichen Gebilde deutlich zu machen war. Seine Grundprinzipien oder “Axiome”, wie er sie nannte, betreffen ganz allgemein Struktur und Funktion der sprachlichen Kommunikationen, die sich unter den Mitgliedern menschlicher Gemeinschaften abspielen. Mit diesen Axiomen müssen alle ins einzelne gehende Erklärungen menschlicher Sprache im Einklang stehen. In diesem Sinne nennt B ÜHLER seine Axiomatik deduktiv. Freilich sollen die Grundsätze nicht aus der Luft gegriffen oder nur einfach aufgerafft werden. B ÜHLER beruft sich in seinem Vorgehen auf R USSELL und H ILBERT , auf die Axiomatiker in der Mathematik und mathematischen Logik, wenn er sagt, der Theoretiker habe seine Grundsätze “aus dem Bestände der erfolgreichen Sprachforschung … durch Reduktion zu gewinnen” (S. 20). Die Bezeichnung “Axiom” und der Hinweis auf die Mathematik erscheinen heute etwas unangemessen. Jedenfalls wäre die Aufstellung eines axiomatischen Systems in der Linguistik verfrüht, solange nicht das Inventar an strukturellen Beziehungen und Mecha- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Dieter Wunderlich 60 nismen und an sog. substantiellen Universalien, die den Grammatiken zugrundeliegen, näher bekannt ist. B ÜHLER selbst strebt auch nirgends Formalisierung an, auf deren Boden erst strenge Axiomatik sinnvoll und nützlich sein könnte, er präsentiert die “Axiome” in lockerer verbaler und anschaulicher Form. B ÜHLERS Bücher und Abhandlungen sind Musterbeispiele einer überall begrifflich klaren und lebendigen wissenschaftlichen Prosa. K ARL B ÜHLER (1879-1963) war linguistischer Außenseiter. Er hatte zunächst Medizin und anschließend Psychologie studiert und kam 1906 zur Würzburger Psychologenschule um O SWALD K ÜLPE . In jene Jahre fallen seine Auseinandersetzungen mit W UNDT , gegen dessen Assoziationismus und Psychologismus er sich wandte (1907 und 1908 im A RCHIV FÜR P SYCHOLOGIE ). Später, nach 1922, hatte Bühler seine fruchtbarsten Jahre als Lehrer in Wien, bis er 1938 über Oslo in die USA emigrieren mußte. Dort blieb er auch nach dem Krieg, ohne jedoch eine ihm angemessene Lehrposition zu finden. Enttäuscht von der vorherrschenden behavioristischen Psychologie trat er wissenschaftlich nicht mehr hervor. Seine Frau, C HARLOTTE B ÜHLER , konnte allerdings in Los Angeles eine sehr erfolgreiche psychologische und therapeutische Beratungspraxis betreiben, er selbst lehrte dort noch vorübergehend klinische Psychologie. Neben Problemen der Denk-, Wahrnehmungs- und Entwicklungspsychologie galt Bühlers Interesse von Anfang an auch sprachtheoretischen Fragen, zuerst mehr entwicklungsgeschichtlichen Themen (Aphasie, Kindersprache, Tiersprache), später der allgemeinen Axiomatik der Sprachtheorie. Seine erste größere Arbeit war die “Kritische Musterung der neueren Theorien des Satzes” 1 , in der bereits - in Auseinandersetzung mit H USSERL - das Organonmodell und die aus ihm abgeleiteten drei Sprachfunktionen konzipiert wurden. “Dreifach ist die Leistung der menschlichen Sprache: Kundgabe, Auslösung und Darstellung”, lautet der erste Satz des genannten Aufsatzes. Seitdem äußerte sich Bühler mehrfach, auf Kongressen, in Abhandlungen und Rezensionen. Intensiviert wurden seine Bemühungen im engen Kontakt mit T RUBETZKOY , der als Slavist in Wien wirkte und der Bühler auch mit dem Cercle Linguistique de Prague zusammenbrachte. Trubetzkoys wichtigste Entdeckungen 2 fielen eben in die Zeit, als auch Bühler seine fruchtbaren Modellvorstellungen entwickelte, die dann zusammengefaßt und vorläufig abgeschlossen wurden in der 1934 erschienenen “Sprachtheorie”. Vorangegangen war “Die Krise der Psychologie” 3 , die den für Bühler bestehenden Zusammenhang von psychologischen und kommunikationstheoretischen Fragestellungen besonders deutlich macht. In ihr werden Probleme der Erlebnis-, Ausdrucks- und Verhaltenspsychologie an Hand der Zeichenhaftigkeit und der sozial begründeten Semantizität der Sprache erörtert 4 . Bühlers “Axiomatik der Sprachwissenschaften” umfaßt 4 Grundprinzipien 5 : 1. Sprache ist ein mehrseitig verwendbares Kommunikationsgerät; das wird gezeigt im Organonmodell (Schema der Sprachfunktionen). 2. Sprache ist ein System von Zeichen. Die Zeichen sind durch das Prinzip der abstraktiven Relevanz definierbar (Schlüsselsatz von der Zeichennatur der Sprache). 3. Sprache ist unter vier Aspekten zu betrachten; diese werden zusammengefaßt im Vierfelderschema von Handlung - Akt - Werk - Gebilde (Sprechhandlung und Sprachgebilde). 4. Sprache ist der Struktur nach ein System, das aus zwei einander zugeordneten Klassen von Gebilden besteht, mit anderen Worten: Sprache ist ein Symbol-Feld-System; dieses Prinzip wird von Bühler auch “das Dogma von Lexikon und Syntax” genannt (Strukturmodell der Sprache). Grundprinzipien der Sprachtheorie 61 1. Das Organonmodell der Sprache Die Sprachzeichen dienen als “Werkzeug”: einer teilt dem anderen etwas mit über “die Dinge”. In jedem Sprechereignis kommen also drei Elemente zusammen: Sprecher, Angesprochener (oder Hörer) und die Gegenstände oder Sachverhalte, über die gesprochen wird. Sie werden durch ein viertes Element, das ist eine Folge von Zeichen, miteinander in Beziehung gesetzt. Mithin haben diese Zeichen (entsprechend den drei Relaten) auch drei Hauptfunktionen: - sie sind Symptom, indem sie Gefühle, Meinungen, Absichten usw. des Sprechers ausdrücken (kundgeben); - sie sind Signal, indem sie an den Hörer appellieren (bestimmte Verhaltensweisen des Hörers auslösen oder steuern); - sie sind Symbol, indem sie die Gegenstände oder Sachverhalts darstellen. Diese Funktionen kommen normalerweise miteinander vor; also eine Schimpfrede ist nicht nur emotioneller Ausdruck (wenn dieser auch dominiert), sondern nennt auch etwas und appelliert an den Hörer, etwa sich zu bessern; und ein Befehl ist nicht nur Appell, sondern drückt auch eine Absicht des Sprechers aus und gibt an, was vom Hörer verlangt wird. Ausdruck und Auslösung kommen auch bei Tieren vor. Die wesentliche Leistung der menschlichen Sprache ist die Darstellung oder Repräsentation von Gegenständen, Sachverhalten usw., die nicht notwendig im Wahrnehmungsraum präsent sind. Das Verdienst Bühlers ist, nachdrücklich auf die wechselseitige Bezogenheit von Zeichengeber und Zeichenempfänger hingewiesen zu haben und damit auch den Boden für die spätere informationstheoretische und kybernetische Betrachtung des Kommunikationsprozesses bereitet zu haben. “Der Ursprung der Semantik [ist] nicht beim Individuum, sondern bei der Gemeinschaft zu suchen.” 6 Unabhängig von Bühler und praktisch gleichzeitig mit ihm entwickelte A. G ARDINER 7 ein Zeichenmodell, das dieselben Grundelemente enthält, allerdings zusätzlich die inneren Vorstellungen, Erlebnisse usw. von den äußeren Gegenständen, Sachverhalten, usw. differenziert. (Diese sind aber nicht unabhängig voneinander: die internen und nichtsprachlichen kognitiven Gegebenheiten sind im wesentlichen nur komplexe Derivate der Erfahrungen von außen, und sie existieren kaum isoliert von einer Sprache, d.h. sie können nur in dem Maße organisiert und erinnert werden, wie eine Sprache zur Verfügung steht, sie zu explizieren. Genau dies ist eine der z.B. von F RIEDRICH K AINZ hervorgehobenen monologischen Funktionen der Sprache. 8 ) Gardiner greift darin, daß er innere und äußere Gegebenheiten voneinander trennt, auf das Zeichenmodell von O GDEN und R ICHARDS 9 zurück. Es enthielt die zum Dreieck angeordneten Elemente Symbol (Zeichen), Thought or Reference (Gedanke) und Referent (äußerer Gegenstand); seine entscheidende Schwäche war, den Hörer zu vernachlässigen und damit die soziale und dialogische Funktion der Sprache zu ignorieren. Eine Korrektur am Organonmodell deutet F RIEDRICH K AINZ in seinem Vorwort zur Neuauflage der “Sprachtheorie” an 10 : 1. Kainz sieht die Darstellung nicht als eine Funktion der Sprache unter anderen, sondern als ihr konstitutives Wesensmoment. 2. Er ist der Auffassung, daß sich die Sprachzeichen nicht direkt auf Wirklichkeit beziehen, sondern nur auf Bilder, die sich die Sprecher von ihr machen. Dieter Wunderlich 62 3. Er will neben die drei Elementarfunktionen eine vierte, nämlich die Frage, stellen. Er nennt die vier Funktionen kurz I-Funktionen: interjektiv (auf die Erlebnisse des Sprechers bezogen), imperativ (das Verhalten des Hörers steuernd), informativ-indikativ (den Sachverhalt darstellend), interrogativ (“auf Sprecher, Hörer und Sachverhalte gleicherweise bezogene Frage”). Bühler würde wohl nur den ersten Einwand gelten lassen. Er begegnet ihm dadurch, daß er von der “Dominanz der Darstellungsfunktion” spricht, was bedeutet, daß sie praktisch in jeder sprachlichen Äußerung irreduzibel enthalten ist, etwa in dem Sinn, daß jede Äußerung als Satz in einem logischen Aussagesystem repräsentiert werden könnte. Aber in der Aussagenlogik gibt es keine Sprecher und Hörer, und “Satz” steht dort auf einer ganz anderen Abstraktheitsstufe als “Äußerung”. Wenn daher ein bestimmter Sprecher in einer bestimmten Situation ein logisches Theorem äußert, etwa “Wenn jeder A ein B und wenn dieser C ein A ist, so ist dieser C ein B”, dann hat dieser Satz zunächst nur die Merkmale einer Äußerung, insbesondere hat er die Funktion, dem Hörer einen logischen Zusammenhang darzustellen (ohne daß dieser ihn auch akzeptieren muß). Er gibt aber auch etwas kund, nämlich - wenn er in dieser Form geäußert wird - daß der Sprecher seinen Inhalt akzeptiert. Er mag sogar ein Verhalten steuern, etwa wenn dem Hörer das ausgesprochene Theorem neu war und er es jetzt zur Grundlage seiner logischen Schlußweisen macht. Man sollte gut unterscheiden zwischen der darstellenden Funktion einer konkreten Äußerung und der im logischen Sinne repräsentierenden Funktion, die eine Äußerung dann bekommen kann, wenn man von ihr alle konkreten situativen Umstände, insbesondere die Personen des Sprechers und Hörers, abstrahiert. Bühlers sprachliche Funktionen sind eher Funktionen von Äußerungen in der parole. Erst nach hinlänglicher Abstraktion erhält man aus Äußerungen die Sätze auf der Ebene der langue. In der langue kommen möglicherweise Sätze vor, die tatsächlich gar nichts kundgeben, sondern nur darstellen. An einem kleinen Beispiel kann man sich leicht klarmachen, daß Äußerungen ganz andere Funktionen haben können, als die zugrundeliegenden im logischen Sinne genommenen Sätze. Der Satz “Entweder du kommst oder du kommst nicht” ist logisch gesehen eine Tautologie. Da aber in den meisten Situationen das Aussprechen von Tautologien wenig Sinn hat, kann eine entsprechende Äußerung je nach Fall (Betonung, Kontext usw.) auch andere Bedeutungen haben: 1. das Urteil einer Indifferenz kundgeben; 2. zur Entscheidung auffordern; 3. zur Beantwortung einer Alternativfrage auffordern. Der zweite Einwand von K AINZ ist nicht falsch; nur macht er es sich zu leicht. Er vergißt, daß eine Verständigung nur über innere Bilder aussichtslos wäre. Man muß schon konzedieren, daß in gleicher äußerer Umgebung irgendwie ähnliche Bilder zustandekommen; und daß das tatsächlich so ist, dafür sorgt meines Erachtens die ständige Rückkopplung zwischen den Bildern und den Erfahrungen und Erfolgen, die man mit ihnen macht: sie bewirkt sogar weitgehende Standardisierung der Wahrnehmungen innerhalb einer Gemeinschaft. “Die Konstruktion einer fensterlosen Monade ist groß und imponierend; es bleibt nur die Frage, ob in der ganzen Geschichte des abendländischen Denkens ein Monadologe ohne das Wunder der prästabilierten Harmonie je wieder auf den Plan der Soziabilität herausgetreten ist.” 11 Die Problematik der Deixis und der Demonstrativa ist mit der Bühlerschen Auffassung sicher einfacher zu bewältigen (und Bühler kennt ja auch eine Deixis am Phantasma, an inneren Bildern sozusagen, während gemäß Kainz jede Deixis am Phantasma erfolgen müßte). Grundprinzipien der Sprachtheorie 63 Der dritte Einwand bringt die illustrative Deutlichkeit im Bühlerschen Modell zum Verschwinden (den drei Relaten sollten genau drei Funktionen korrespondieren), womit das Modell im Grunde überflüssig wäre. Die Frage ist bei Bühler - und mir scheint das konsequent gedacht - eine Unterkategorie des Appells; sie ist ein Appell, der eine verbale Response verlangt. Übrigens läßt sich ein Fragesatz leicht durch einen Imperativsatz paraphrasieren bzw. dominieren (“Wohin gehst du? ” “Beantworte mir bitte, wohin du gehst! ”), während das Umgekehrte Schwierigkeiten zu bereiten scheint, wenn die Entschiedenheit des Imperativs gewahrt werden soll (“Schließe das Fenster! ” “Schließt du das Fenster? ” oder “Würdest du das Fenster schließen? ”). Bei dieser Gelegenheit muß aber vor der Annahme gewarnt werden, die Funktion einer Äußerung sei mit dem grammatischen Modus des Satzes identisch. Man kann jede Frage und jeden Imperativ auch in Aussagesätzen formulieren (“Ich frage dich, wohin du gehst” und “Ich verlange von dir, das Fenster zu schließen” oder “Du sollst das Fenster schließen”.) Das Organonmodell wurde auch sonst häufig mißverstanden, indem z.B. die drei sprachlichen Funktionen auf “Denkdimensionen” oder “seelische Grundphänomene” reduziert wurden. Damit war wieder eine monologische Ausgangssituation geschaffen, und man konnte dann die drei sprachlichen Funktionen mit der Trinität von Fühlen, Wollen, Erkennen identifizieren. Der Nachweis weiterer “Denkdimensionen” brachte das derart fehlgedeutete Organonmodell leicht zu Fall 12 . Für bedeutender halte ich eine Erweiterung des Organonmodells, die in dieser Form meines Wissens von R OMAN J AKOBSON stammt 13 . Jakobson sieht bei der verbalen Kommunikation sechs Faktoren wirksam: “The ADDRESSER sends a MESSAGE to the ADDRESSEE. To be operative the message requires a CONTEXT referred to (>referent< in another, somewhat ambiguous, nomenclature), seizable by the addressee, and either verbal or capable of being verbalized; a CODE fully, or at least partially, common to the addresser and addressee (or in other words, to the encoder and decoder of the message); and, finally, a CONTACT, a physical channel and psychological connection between the addresser and the addressee, enabling both of them to enter and stay in communication.” 14 Dementsprechend unterscheidet Jakobson auch sechs sprachliche Funktionen: emotive (oder expressive; sprecherbezogen), conative (hörerbezogen), referential (oder denotative, cognitive; kontextbezogen), phatic 15 (kanalbezogen), metalingual (oder glossing; kodebezogen), poetic (auf Form und Anordnung der Nachricht bezogen). Gegenüber B ÜHLER wird damit präzisiert, 1. daß zwischen Sprecher und Hörer ein sie verbindender Zeichenkanal oder Kontakt konstituiert werden muß, 2. daß die verwendeten Zeichen aus einem von mehreren möglichen Systemen (Kodes) ausgewählt werden müssen, und daß es unter den Zeichen solche gibt, die sich auf andere Zeichen desselben Systems oder auf Zeichen anderer Systeme beziehen (durch Relationen der Äquivalenz, Synonymität, Antonymität usw.), und 3. daß die ausgewählten Zeichen (die die Bedeutung konstituieren) noch auf verschiedene Arten kombiniert werden können. J AKOBSON illustriert die poetische Funktion, die auf der Anordnung innerhalb der Zeichensequenz beruht, durch folgenden kleinen Dialog: “‘Why do you always say Joan and Margery, yet never Margery and Joan? Do you prefer Joan to her twin sister? ’ - ‘Not at all, it just sounds smoother.’” 16 Die Phänomene “Stil” und “Poetizität” der Sprache hat B ÜHLER wahrscheinlich bewußt ausgeklammert. Die beiden anderen neuen Funktionen (den Bezug auf Zeichenkanal und Dieter Wunderlich 64 -kode) hat er gewiß übersehen. Der Grund ist wohl, daß der Kanal und ebenso der Kode von einer Anzahl außersprachlicher Faktoren signalisiert werden können und deshalb meistens als stillschweigend gegeben anzusehen sind. Im allgemeinen ist nämlich dem Hörer schon vor Kommunikationsbeginn bekannt, in welcher Sprache er sich verständigen, welche Rolle oder Einstellung er bei der Kommunikation annehmen wird, welcher Kanaltyp in Frage kommt: ob es sich um einen Roman oder Zeitungsartikel handelt, um einen Vortrag, eine Gedichtrezitation oder um die Diskussion mit einem Kollegen. Dieselben Momente werden trotzdem oft auch verbal vermittelt, besonders wenn innerhalb einer Situation auf einen anderen Kanal umgeschaltet werden soll, durch Wendungen der Art “stelle dir vor” (Beginn der Fiktion), “hiermit stelle ich zur Diskussion” (Beginn des Dialogs), “mir ist gestern folgendes passiert” (Beginn der Erzählung), “ich verlange folgendes von dir” (Beginn des Appells). Um sinnvoll eine Linguistik der Texte zu begründen, wird man vermutlich von solchen pragmatischen Faktoren der Einstellung zu einem Text und der Herstellung einer geeigneten Einstellung ausgehen müssen. Doch sind das Probleme, die den Linguisten eben erst als Probleme bewußt werden. 2. Das Prinzip der abstraktiven Relevanz 17 Mit welcher Berechtigung, fragt Bühler, können Symbol, Symptom, Signal zum Oberbegriff Zeichen zusammengefaßt werden? Was ist das Charakteristikum eines Zeichens? Es ist ein konkretes Etwas, das ein anderes Etwas (das selbst zwar konkret sein kann - man denke an die Eigennamen, die konkrete Einzeldinge benennen - aber nicht muß) in bestimmten Situationen ersetzt oder vertritt. Dies Konkrete, das etwas anderes vertritt, fungiert freilich nicht in der Gesamtheit seiner sinnlich wahrnehmbaren Materialeigenschaften als Zeichen. Diakritisch wirksam, d.h. für Bedeutungsunterscheidungen relevant, sind immer nur wenige (zumindest nur abzählbar viele) diskrete Merkmale einer sinnlich wahrgenommenen Mannigfaltigkeit. Nur wenn sich solche Erkennungsmale von einem verstehenden Wesen auch abstrahieren lassen, kann es sich um Zeichen handeln; und um festzustellen, ob etwas Zeichen ist, braucht man schon ein “psychophysisches System” nach Art des Menschen. Die abstraktive Relevanz ist also für die Zeichenhaftigkeit von Gebilden konstitutiv; und umgekehrt besteht die Relevanz nur in bezug auf menschliche Wesen. Bühler erläutert das Prinzip am Unterschied von Phonetik und Phonologie: aus der kontinuierlichen Mannigfaltigkeit von Klängen und Geräuschen, die der menschliche Stimmapparat zu erzeugen imstande ist (und die die Phonetik studiert), werden nur etwa 40 bedeutungsrelevante Merkmale, die Phoneme, ausgeprägt (die von der Phonologie untersucht werden). Alles andere ist für das Verständnis ohne Belang, es dient allenfalls sekundär als Anzeichen für Geschlecht, Alter usw. der redenden Person; diese Anzeichen sind individuell verschieden, und sie sind nur selten frei aus einem Repertoire gewählt. 3. Das Vierfelderschema Man kann nicht schlechthin von “Sprache” sprechen. Man muß jeweils präzisieren, ob man damit etwas energetisch-dynamisches oder etwas statisches, ein einzelnes Ereignis (oder eine Menge solcher Ereignisse) oder eine im Menschen angelegte Fähigkeit meint. H UMBOLDT hob den ersten Gegensatz durch das Begriffspaar energeia-ergon hervor, DE S AUSSURE den Grundprinzipien der Sprachtheorie 65 zweiten Gegensatz durch die Begriffe parole-langue (-langage). Beide Gesichtspunkte werden von Bühler zu einem Begriffsschema verschmolzen, das eine Überkreuzung der Oppositionen erkennen lassen soll: Handlung Akt Werk Gebilde 1. Sprechhandlung und -akt sind auf das Hervorbringen von Sprache bezogen. Sprachwerk und -gebilde sind auf das Produkt von Sprechen bezogen. 2. Sprechhandlung und Sprachwerk sind Begriffe niederer (individuumbezogener), Sprechakt und Sprachgebilde sind Begriffe höherer (gesellschaftbezogener) Abstraktionsstufe. Problematisch ist es, für den (von H USSERL übernommenen) Begriff des sinnverleihenden Akts als Träger irgendein transzendentales Ich anzunehmen (S. 67). Man kann freilich unter Akt auch die Kompetenz im Sinne C HOMSKYS verstehen, also die dem Sprecher eigenen operationellen Verfahren, solche Formen von Sprache hervorzubringen und zu verstehen, die durch die lange gesellschaftliche Praxis standardisiert, mit anderen Worten: grammatikalisch sind. Bei der obigen Unterscheidung von Äußerung und Satz war mit Äußerung etwas in einer konkreten Sprechhandlung Hervorgebrachtes gemeint, mit Satz ein Teil eines Sprachgebildes. Die Sprechhandlung umfaßt für Bühler nicht bloß die Performanz oder Aktualisierung von Sprache im engern Sinn. Zu einer vollständigen Klassifizierung der Sprechhandlungen gehört auch eine Bestimmung der jeweiligen Umfelder (d.h. der “Kontexte”). Bühler unterscheidet hier zwischen sympraktischen, symphysischen und synsemantischen Umfeldern (S. 154ff). Die ersten sind durch eine Situation gegeben. Sie machen es möglich, daß einzeln geäußerte Wörter oder Satzteile wie “geradeaus” (beim Lösen einer Buskarte), “ein Helles” (in der Gastwirtschaft) voll verstanden werden können - eben weil die Äußerungen nur Teil einer Gesamtsituation sind. Die zweiten sind solche Gegenstände, denen ihre Namen oder bestimmte Beziehungen, die für sie gelten (Namen des Herstellers, Grabinschriften usw.) direkt oder mittelbar (z.B. über Wegweiser) angeheftet sind. Synsemantisch schließlich sind erstens alle verbalen Kontexte, und zweitens auch die begleitenden Zeichen anderer Art, wie Bilder, Mimik und Gesten, Musik usw. 4. Das Zweiklassensystem Ein Flaggenkode hat nichts, was der Syntax einer Sprache entspricht: jede festgesetzte Aufeinanderfolge von Flaggen signalisiert eine globale Nachricht, und diese ist im Kodebuch (also dem Lexikon) verzeichnet, aber die einzelnen Flaggen signalisieren selbst nichts; eine Zusammensetzung von einfachen zu komplexeren Nachrichten gibt es also nicht. Von solchen einklassigen Kodes unterscheidet Bühler die Sprache: sie enthält erstens eine Anzahl Lexikoneinheiten, also Symbole, die jedes für sich etwas bezeichnen, und z.B. in sympraktischen Umgebungen auch in isolierter Form erfolgreich verwendet werden können, und zweitens die Möglichkeit, diese Einheiten schrittweise zu Satzteilen oder Sätzen zu kombinieren, damit neue Nachrichten zustandekommen. Von den Axiomen Bühlers ist dieses, daß Dieter Wunderlich 66 eine Sprache derart immer mit Inventar und Synthese arbeitet, mit Wörtern und Sätzen, mit lexikalischen Bedeutungen und Beziehungsbedeutungen, mit anderen Worten: daß die menschlichen Sprachen Feldsysteme sind, vielleicht am wenigsten neu. Wichtiger aber und vor Bühler kaum so deutlich gemacht ist die Überlegung, daß nur die zweiklassigen Systeme die Möglichkeit unbegrenzter Produktivität bieten: nämlich “mit einem beschränkten Schatz von Konventionen und dementsprechend von Sprachgebilden unbeschränkt Mannigfaltiges hinreichend differenziert und exakt zur Darstellung [zu] bringen” (S. 76). Eine Anhäufung immer neuer und isolierter Einzelzuordnungen würde sehr schnell die Kapazität des menschlichen Gedächtnisses sprengen. “Die Sprache aber hat das Problem dieser Erweiterungen mit einigem, was wir in ihr finden, gelöst und im entscheidenden Punkte kurz herausgesagt umgangen, d.h. aus der Welt geschafft. Denn wir alle können nicht darum praktisch ins Unabsehbare Neues und immer wieder Neues intersubjektiv verständlich sprachlich zur Darstellung bringen, weil wir und die anderen Akrobaten der Mnemotechnik wären, sondern weil dies bei einem Feldsystem vom Typus der Sprache gar nicht verlangt wird. Wir können auch Zahlen ins Unbegrenzte mit nur zehn Elementarzeichen und einer sehr einfachen, konventionell festgelegten >Syntax< symbolisieren.” (S. 77) Eine präzise Darstellung dieser Produktivität der Sprache ist erst innerhalb der generativen Grammatik gelungen, nachdem man über einen genauen Begriff des effektiv Berechenbaren oder rekursiv Aufzählbaren verfügen konnte, der in den 30er und 40er Jahren ausgearbeitet wurde. Außer der strukturellen Gliederung der Sprachen in Lexikon und Syntax ist noch eine weitere Schichtung hervorzuheben, die “double articulation” im Sinne M ARTINETS 18 : jede Sprache verfügt über eine phonemische und eine morphemische Ebene. Bühler gibt nirgends einen Hinweis darauf, ob die vier aufgezählten “axiomatischen Leitsätze” seiner Meinung nach ein vollständiges “Axiomensystem” bilden; jedenfalls sind bei ihm die genannten vier Axiome notwendige und unentbehrliche; es kann aber weitere geben. Nach dem einleitend Gesagten ist die Aufstellung eines linguistischen Axiomensystems im strengen Sinne heute sowohl verfrüht wie auch nicht wünschenswert (nicht wünschenswert, weil gar nicht abzusehen ist, welche Relationen für eine möglichst umfassende Sprachbeschreibung im einzelnen benötigt werden) - deshalb erübrigt sich die Frage nach der Vollständigkeit des Axiomensystems. Dennoch liegt der Gedanke nahe, weitere allgemeine Merkmale zu suchen, die im Prinzip allen Sprachen zukommen. E RWIN K OSCHMIEDER , der in vielem auf der Grundlage Bühlers fortfährt, schlug vor, das Bühlersche System durch ein Axiom der Dreidimensionalität zu ergänzen 19 : jede Sprache verfügt über 1. eine logische Dimension der Nennung (in den Eigennamen und Allgemeinnamen), 2. eine ontologische Dimension der Verzeitung (indem das Genannte in Beziehung gesetzt wird zu Raum und Zeit; erst dadurch entsteht das, was man Sachverhalt nennt), 3. eine psychologische Dimension der Leistungsdirektive (sie umfaßt die möglichen noetischen Akte, die sich auf die Sachverhalte beziehen - wie Freude, Ärger, Unbehagen, Wunsch, Mitteilung, Frage, Befehl, Verbot, Behauptung, Verneinung; Koschmieders noetische Akte lassen sich ohne Schwierigkeit zusammenfassen zu den drei Bühlerschen Kategorien Ausdruck, Appell und Darstellung). Im folgenden werden noch zwei weitere Prinzipien aufgeführt, die Bühler nicht ausdrücklich “Axiome” genannt hat, die aber ähnlich allgemein gelten sollen. Grundprinzipien der Sprachtheorie 67 Die Zweifelderlehre Zunächst vielleicht aus sprachgenetischen Überlegungen, später dann in der systematischen Untersuchung von Sprechhandlungen unterscheidet Bühler zwei Klassen von Konstruktions- oder Verständnishilfen in der Sprache, um den Einzelzeichen die von Fall zu Fall gewünschte “Bedeutungserfüllung und Bedeutungspräzision” (S. 80) zu geben: es sind dies das Zeigfeld und das Symbolfeld, oder der situationelle und der sprachliche Kontext. Erst innerhalb eines solchen Feldes entfalten die Zeichen ihren Feldwert und wird erst eine brauchbare Darstellung möglich. Völlig zu Recht setzt Bühler dabei an den Anfang seiner Untersuchung die referenzsemantischen Probleme der Deixis. Diese Abschnitte gehören zu den wichtigsten und heute noch gültigen Kapiteln seines Buches. Sie enthalten Überlegungen, die selten vorher angestellt wurden (Bühler konnte sich nur auf eine - im wesentlichen jedoch historisch ausgerichtete - Arbeit von K ARL B RUGMANN 20 stützen) und auch seitdem kaum Fortsetzung gefunden haben (zu nennen sind nur die Arbeiten des Kieler Romanisten K LAUS H EGER 21 ). Der Grund dürfte in folgendem zu suchen sein. In der Logik macht es große Schwierigkeiten, Sätze wie “ich habe Hunger” darzustellen, deren Wahrheitswert nicht ein für allemal feststeht, sondern davon abhängt, wer einen solchen Satz äußert und zu welcher Zeit. Man hat deswegen derartige Sätze entweder überhaupt nicht betrachtet, oder man hat versucht, sie auf Sätze mit festem Wahrheitswert zurückzuführen. (“Ich habe Hunger” enthält eine personale Deixis. Ganz vom selben Typ sind Sätze mit lokaler oder temporaler Deixis: “da ist das Buch”; “gestern hat es geregnet”.) Erst in jüngster Zeit hat man versucht, Äußerungen mit deiktischen Elementen (oder indexical expressions, mit einem Terminus von P EIRCE ) durch geordnete Paare aus Satz und außerverbalem Kontext zu repräsentieren, wobei die Kontexte in angemessener Weise beschrieben werden müssen (z.B. “derjenige, der den Satz äußert”, “derjenige, der angesprochen wird” usw.) 22 . Zurück zu Bühlers Behandlung der Deixis. Drei Modi des Zeigens sind bei ihm möglich (sie stammen genetisch alle vom ersten ab): die demonstratio ad oculos (durch Demonstrativa, Personalia usw. oder durch direkt hinweisende Gesten wird auf etwas verwiesen, das im gemeinsamen Wahrnehmungsraum von Sprecher und Hörer anwesend ist), die Deixis am Phantasma (die Orientierung erfolgt nicht mehr ad oculos, sondern durch Vermittlung des Gedächtnisses, im Raum der Erinnerungen oder der konstruktiven Phantasie - jede Erzählung, jede Fiktion bedient sich deiktischer Wörter, die nicht in einem konkreten äußeren, sondern in einem aufgrund von Erfahrung möglichen inneren Raum operieren) und die Anaphora (sie verknüpft Zeig- und Symbolfeld, indem sie an Vorerwähntes anknüpft, d.h. auf sprachlichen Kontext hinweist). Jedes Zeigen bedarf eines Fixpunktes, von dem aus es erfolgt, bzw. auf den es sich bezieht, d.h. Zeigen ist eine zweistellige Relation. Dieser Fixpunkt, oder die origo (der Ursprung) des jeweiligen Zeigfeldes wird vom Sprecher beim jeweiligen Sprechereignis entweder neu markiert oder indirekt gesetzt durch die Tatsache, daß er an einem Ort und zu einer Zeit etwas äußert (die hier-jetzt-ich-origo). Das Koordinatensystem des Hörers ist ein anderes als das des Sprechers (deswegen bezeichnen ich, du auch nur die wechselnden Sprecher-Hörer-Rollen der Gesprächspartner, und sind nicht Namen) - aber jeder Sprecher beherrscht diesen Koordinaten- oder origo-Wechsel im Gespräch mit Leichtigkeit (nur Kinder haben zuerst Schwierigkeiten). Aus der Tatsache, daß jede Deixis eine zweistellige Relation ist, ergibt sich eine wichtige Folgerung für die theoretische Behandlung (die Bühler so noch nicht zieht): beide Relate, Dieter Wunderlich 68 sowohl die origo, wie das, worauf verwiesen wird, müssen als geordnetes Paar zusammengenannt werden. So ist ich als Relation <Sprecher, Sprecher>, du als Relation <Sprecher, Angesprochener>, wir als Relation <Sprecher, Sprecher und weitere Personen> usw. zu beschreiben. Entsprechend die lokalen Adverbien hier, dort usw., die Zeitadverbien jetzt, neulich, demnächst usw. - während bei hierher, dorthin zur zweistelligen Deixis noch der bewegte Ort, bei seitdem noch die ablaufende Zeit als drittes Relat dazukommt. (neulich meint ein Zeitintervall, das eine gewisse Zeitspanne vor der Äußerung liegt, seitdem meint aber die gesamte Zeitdauer zwischen einem genannten Ereignis, das vergangen ist, und der Zeit der Äußerung.) Speziell für die zeitliche Positionierung haben die Sprachen neben Zeitadverbien und -konjunktionen noch das System der Tempora entwickelt. Auch sie gehören zum Zeigfeld und lassen sich relational beschreiben, z.B. das normale Präteritum als spezielle Vorgängerrelation zwischen der Zeit, während der sich der ausgesagte Sachverhalt ereignet hat, und der Zeit des Sprechereignisses 23 . Das Doppelfiltermodell Bühler hatte für dogmatisch verfochtene wissenschaftliche Ansichten immer nur wenig Verständnis. Er lehnte W UNDTS Psychologismus als eine Spielart des Naturalismus ab, aber ebenso die Auffassungen der orthodoxen Gestaltpsychologie (besonders der Berliner Schule). Trotzdem betonte er zeitlebens einige der mehr liberalen Grundsätze der Gestaltpsychologie; er verlangte nur, ihnen eine begründete Form zu geben. Aus solchen Überlegungen entsprang sein Organonmodell der Sprache, das das Sprechereignis als Ganzheit zu verstehen suchte. Bühler stand darum gleichzeitig auch im Gegensatz zum Behaviorismus. Er betonte, daß man das Kommunikationsmodell nicht auf Sprecheraktionen und Hörerreaktionen einschränken darf, vielmehr als integralen Bestandteil die kognitive Natur des Zeichens gelten lassen muß: auf Zeichen wird nicht nur äußerlich oder durch Produktion anderer Zeichen reagiert, Zeichen werden verstanden. Man muß “aus all dem, was man an Verhaltensweisen der Tiere und der Menschen mit den Sinnen wahrnehmen kann, die ›sinnvollen‹ auswählen, an denen allein das Interesse des Psychologen haftet” 24 . Deswegen kommen als Detektoren auch nur verstehende Wesen infrage, keine mehr oder minder mechanisch registrierenden Verfahren. Hier soll noch ein letztes Konzept Bühlers erwähnt werden, in dem seine gestaltpsychologische Grundeinstellung augenscheinlich wird: Bühler meint, daß sich dem Ehrenfelskriterium der Übersummativität bei Gestaltwahrnehmungen (E HRENFELS 1890, “Das Ganze ist mehr als die Addition seiner Teile”) ein weiteres, das der Untersummativität der Bedeutungsgefüge zur Seite stellen läßt, und daß sie gemeinsam fruchtbar werden können in einer semantischen Untersuchung des Kompositums und der Metapher 25 . Er formuliert das in dem Modellgedanken vom Doppelfilter oder der wechselseitigen Selektion (S. 348, S. 350). In beiden Fällen - im Kompositum und in der Metapher - kommen je zwei Komponenten zusammen, die im Gefüge einander modifizieren: einerseits fügen sie dem Partner Bedeutungen zu, andererseits löschen sie welche aus. Im Salonlöwen wird zum Salon die Sphäre des Löwen addiert, jedoch einige Eigenschaften des Wüstenbewohners, etwa seine Blutgier, werden “abgedeckt” bzw. subtrahiert. Diese Erklärung ist sicher in mancher Hinsicht problematisch, wenn sie nicht nur vage den Verstehensprozeß, sondern tatsächlich grammatisch-semantische Prozesse meint. Ohne Zweifel können sich die Komponenten einer Metapher, eines Kompositums, einer syntaktischen Verbindung wechselseitig beeinflussen, d.h. die beobachtbaren Kontextaktivitäten Grundprinzipien der Sprachtheorie 69 gehen selten nur von einer Seite aus, meistens von beiden. Die beschriebene Untersummativität ist aber ebensogut als Bildung einer Durchschnittsmenge oder eines tertium comparationis anzusehen; das Vorliegen einer Übersummativität bleibt bloße Behauptung: werden tatsächlich zum Salon neue Merkmale des Löwen addiert, die nicht schon potentielle Merkmale des Salons sind, wenn doch gleichzeitig alle nicht angemessenen Eigenschaften des Löwen “abgedeckt” werden? Man wird im Gegensatz zu dieser ganzheitlichen Auffassung von Bedeutungen (wenn man sie nicht syntaktisch begründen, d.h. Komposita auf zugrundeliegende Sätze zurückführen will 26 ) doch wahrscheinlich sehen müssen, wie weit man mit einer kombinatorischen Semantik kommt (bei der die Bedeutung von Gefügen aus der Bedeutung ihrer Elemente hergeleitet wird). Ob und wieweit sie sich durchsetzen wird, wo ihre Grenzen sind, ist heute nicht zu beantworten. Anmerkungen 1 INDOGERMANISCHES JAHRBUCH 6 (1918) S. 1-20. 2 TRUBETZKOY, Zur allgemeinen Theorie der phonologischen Vokalsysteme, TRAVAUX DU CERCLE LINGUISTIQUE DE PRAGUE 1 (1929) S. 39-67. 3 Jena 1927. 4 Zum Problem der Semantizität siehe z.B. GEROLD UNGEHEUER, Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler. In: TO HONOR ROMAN JAKOBSON. ESSAYS ON THE OCCASION OF HIS SEVENTIETH BIRTHDAY. The Hague, Paris 1967. S. 2067-2086 (in diesem Band). 5 In Klammern stehen die Termini aus dem gleichnamigen Aufsatz in den KANTSTUDIEN 38 (1933) S. 19-90. 6 KARL BÜHLER, Die Krise der Psychologie, Jena 1927, S. 38. 7 A. GARDINER, The theory of speech and language, Oxford 1932. 8 FRIEDRICH KAINZ, Psychologie der Sprache, Band I. Stuttgart 3 1962, S. 185ff. 9 C.K. OGDEN, I.A. RICHARDS, The Meaning of Meaning. London 1923. 10 Ebenso in Band 5, 1 seiner Psychologie der Sprache, Stuttgart 1965, z.B. S. 3 - unter Berufung auf G. RÉVÉSZ. Im 1. Band seines Werkes (1. Aufl. 1941) hatte KAINZ noch BÜHLERS Dreigliederung gutgeheißen. 11 KARL BÜHLER, Das Strukturmodell der Sprache. TRAVAUX DU CERCLE LINGUISTIQUE DE PRAGUE 6 (1936) S. 3-12, S. 4. - BÜHLER diskutiert diese Fragen auch im Zusammenhang mit MILL und HUSSERL in Sprachtheorie, S. 225ff. - Hinsichtlich des Streits zwischen der transzendentalen und der naturalistischen Auffassung des Kommunikationsprozesses verweise ich auch auf die Darlegung von ADAM SCHAFF, Einführung in die Semantik, Berlin 1966, S. 118-126. 12 So ist das Vorgehen von MORITZ REGULA, Grundlegung und Grundprobleme der Syntax, Heidelberg 1951, S. 20-23. 13 ROMAN JAKOBSON, Linguistics and Poetics. In: STYLE IN LANGUAGE, ed. THOMAS A. SEBEOK, MIT- Press 1960, Paperback Edition 1966, S. 350-377. Diese Erweiterung wurde wiederaufgenommen von THOMAS A. SEBEOK, The informational model of language: analog and digital coding in animal and human communication. In: NATURAL LANGUAGE AND THE COMPUTER, ed. PAUL L. GARVIN. New York 1963, S. 47-64. 14 s. Anm. 14, S. 353. 15 Dieser Terminus stammt von B. MALINOWSKl, The problem of meaning in primitive languages. In: C.K. OGDEN, I.A. RICHARDS, The Meaning of Meaning. New York, London 9 1953. S. 296-336. 16 s. Anm. 14, S. 356/ 357. 17 BÜHLER hat das Prinzip, angeregt durch TRUBETZKOY, zuerst in dem Aufsatz Phonetik und Phonologie, TRAVAUX DU CERCLE LINGUISTIQUE DE PRAGUE 4 (1931), S. 22-53, entwickelt. 18 ANDRE MARTINET, Grundzüge der allgemeinen Sprachwissenschaft, Stuttgart 1963, S. 21ff. 19 ERWIN KOSCHMIEDER, Die noetischen Grundlagen der Syntax. In: BEITRÄGE ZUR ALLGEMEINEN SYNTAX, Heidelberg 1965, S. 70-89. 20 KARL BRUGMANN: Die Demonstrativpronomina der indogermanischen Sprachen (= ABH. DER SÄCHS. GES. DER WISS. 22, Bd. 6), Leipzig 1904. Dieter Wunderlich 70 21 KLAUS HEGER, Die Bezeichnung temporal-deiktischer Begriffskategorien im französischen und spanischen Konjugationssystem. (= BEIHEFT 104 der ZS. ROM. PHIL.) Tübingen 1963; Personale Deixis und grammatische Person. ZS. ROM. PHIL. 81 (1965) S. 76-97; Temporale Deixis und Vorgangsqualität (“Aspekt” und “Aktionsart”) ZS. ROM. PHIL. 83 (1967) S. 512-582. 22 YEHOSHUA BAR-HILLEL, Indexical Expressions. MIND 63 (1954) S. 359-379. RICHARD MONTAGUE, Pragmatics and Intensional logic. SOUTHERN CALIFORNIA LOGIC COLLOQUIUM, 6. Jan. 1967. 23 Dieser Ansatz liegt bereits einem Aufsatz von KLAUS BAUMGÄRTNER und mir über die Semantik des Tempussystems im Deutschen zugrunde, der demnächst in der Zs WIRKENDES WORT erscheinen soll. Er wurde inzwischen noch weitergeführt. - Von dieser relationalen Auffassung her ergibt sich auch die wesentliche Kritik an den Arbeiten HEGERS, s. Anm. 22, denen ich sonst in vielem zustimme, der aber mit semantischen Oppositionen arbeitet der Art: Sprecher/ Nicht-Sprecher; Nichtsprecher unterteilt in: Angesprochener/ Nicht- Angesprochener, usw. Damit lassen sich aber speziell im Personalsystem solche Ausdrücke wie wir zunächst nicht darstellen, wir = <Sprecher, (Sprecher und Angesprochener) oder (Sprecher und Angesprochener und andere Personen) oder (Sprecher und andere Personen, nicht der Angesprochene)>. Hierauf hat auch schon HENRY VERNAY hingewiesen, La système logique comme cadre d’une étude comparative de deux structures, LA LINGUISTIQUE 1967, Heft 1, S. 39-62. 24 KARL BÜHLER: Die Krise der Psychologie. Jena 1927, S. 46. 25 Einen Versuch zur Anwendung der beiden Kriterien macht HANS JÜRGEN HERINGER für Funktionsverbgefüge, in seinem Buch, Die Opposition von “kommen” und “bringen” als Funktionsverben. Untersuchungen zur grammatischen Wertigkeit und Aktionsart, Düsseldorf 1968, S. 51. 26 So geht zum Beispiel WOLFGANG MOTSCH vor: Aufgaben und Form der Analyse von Komposita mit zweinominalen Elementen. In: ed. M. BIERWISCH, K.E. HEIDOLPH, Recent developments in Linguistics, The Hague, Paris (demnächst). The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks Kevin Mulligan A BSTRACT . - What is essential to language? Two thinkers active in Vienna in the 1930’s, Karl Bühler and Ludwig Wittgenstein, gave apparently incompatible answers to this question. I compare what Wittgenstein says about language and reference at the beginning of his Philosophical Investigations with some aspects of the descriptive analysis of language worked out by Bühler between 1907 and 1934, a systematic development of the philosophies of mind and language of such heirs of Brentano as Martinak, Marty, Meinong, Landgrebe and Husserl. R ÉSUMÉ . - Y a-t-il quelque chose qui est essentiel au langage? Deux penseurs actifs à Vienne dans les années trente, Karl Bühler et Ludwig Wittgenstein, donnent à cette question des réponses qui sont apparemment incompatibles. Je compare ce que Wittgenstein dit du langage et de la référence au début de ses Investigations Philosophiques avec quelques aspects de l’analyse descriptive élaborée par Bühler entre 1907 et 1934, un développement systématique des philosophies de l’esprit et du langage des héritiers de Brentano tels que Martinak, Marty, Meinong, Landgrebe et Husserl. 1. The Essence of Language Wittgenstein mentions at § 65 of the Investigations “the great question that lies behind all these considerations”. For he has not so far directly faced up to the question: what is essential to language? His direct answer to this question is that what we call language is a range of phenomena sharing no one thing in common but akin to one another in many different ways (cf. § 92). He appears, he says, to be skipping the question of the general form of propositions. At first glance, this answer contrasts sharply with an earlier Austrian account of language, the empirico-teleological view, due to Franz Brentano, Anton Marty, Eduard Martinak and the South German psychologist, linguist and philosopher Karl Bühler, Schlick’s colleague at the University of Vienna. Bühler thinks human languages are definitely characterised by his four “axioms” - see § 2 below - “… the semantic relations constitute the object ‘language’” (ST 58; cf. especially 141); “language is what fulfills the four axioms” (ST x). They display “the essential similarity of structure” of all human languages (iv), “the structure of human language in the singular” (ST 141). That is why Bühler is happy to speak of “the essence of language” (III, v; elsewhere he notes that his axioms are perhaps only necessary conditions for something to count as a natural language). The empirico-teleological view of language contrasts with yet another K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Kevin Mulligan 72 Austrian tradition, inaugurated by Bolzano and developed by Husserl in his Logical Investigations, which takes the specification of the formal structure, grammatical and semantic, of propositions to be prior to any account of language in terms of intentions and use. In what follows, I shall argue that all the examples brought forward by Wittgenstein in § 1-21 to cast doubt on the claim that language has an essence are explicitly provided for in Bühler’s analysis. If this is true then it provides one apparent reason for thinking that Wittgenstein fails to sustain his negative thesis. In § 5 I mention some other instances where, in spite of deep similarities between their analyses, Bühler and Wittgenstein arrive at apparently different conclusions. This leads us to the question whether Wittgenstein and his Austrian predecessors understood the very idea of describing language in the same way. In my brief sketch of Bühler’s account of language I provide only what is necessary in order to understand the very limited comparison between Bühler and Wittgenstein to which this paper is devoted. 2. The empirico-teleological account of language and Bühler’s analysis Fortunately, the initial assumptions of Bühler and Wittgenstein are sufficiently similar to make such a critical comparison worthwhile. The empirico-teleological view consists of a claim about the way language develops and is acquired which yields a number of familiar claims about the way it works. Language, it is claimed, develops by complex extensions of the uses of signs which are to all intents and purposes tools. These extensions are due to the intentions of individual speakers. But the complex processes of adaptation and selection governing meaning change and the production of spontaneous linguistic order are not the sort of thing of which an individual could have a bird’s eye view. From this genetic claim Marty and Bühler draw the conclusion that many words are family resemblance terms and that language contains misleading or fictitious “pictures”. From the claim that words are tools they infer the falsity of that variety of Platonism about meanings which makes the latter out to be language-independent. The nominalist and naturalist strands in their view of language lead to an analysis that stands in much the same relation to Husserl’s views as Wittgenstein’s views stand to those of Frege. Bühler indeed provides us with an account of language as a biological and social phenomenon: language is based on blind training (Dressur), instinct and two types of behaviour common to human and non-human animals - expression and steering or signaling. Actions, from the most primitive extensions of drives to reading and ordering, are inseparable from dynamic perception (GEK 317). Thus all interpretation is based on and often in accordance with behaviour, in particular expression and steering: “the function of representation” developed “from something more primitive” (GEK 299). Language develops by adding new levers or joints. Language is a “tool for orientation in community life” (ST 48). But, as a good Austrian, Bühler thinks that biologism and sociologism, and indeed any purely causal theory of mind and language, fail to take into account the pervasiveness of internal relations (Strukturgesetze). Four axioms or platitudes, we said, together with a variety of further specifications, are supposed to give the essence of language. These axioms are: A. There are exactly three basic linguistic functions, expression, representation and steering or appeal. The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks 73 B. There are exactly three basic (material) types of linguistic entity: symptoms (criteria, indicators), symbols and signals. C. Two levels of formalisation of both (A) and (B) must be distinguished: Sprechhandlung and Sprachwerk, Sprechakt and Sprachgebilde. The former are subjektsbezogen, or bound to subjects, the latter subjektentbunden, free or independent of subjects, but not of linguistic conventions. A linguistic act is a type or species of which linguistic actions are tokens. The result of such an action, a Sprachwerk, is a product (as Twardowski had pointed out). A linguistic structure or pattern or paradigm is a type of which products are tokens. D. The two basic sorts of Gebilde (structure) are words and fields, which are mutually dependent, that is, internally related. There are verbal and non-verbal fields. Verbal fields are sentential, non-verbal fields are deictic, or behavioural or physical (ST 2-6). By “expression” or “utterance” Bühler means the function of indicating mental and vital states, by “appeal” or “steering” that of influencing and guiding the behaviour of an interlocutor or other type of creature. Expression and steering occur in any linguistic interaction but they may also cooperate in non-linguistic interactions, as when an apprentice hands something to his master or foreman whilst both are engaged in a common task and share a visual field (Bühler, 1927, 40; cf. 90). Strangely enough, Bühler, like Wittgenstein, seems to have been almost completely blind to the variety and structure of the linguistic episodes first described by Reinach and now called speech acts (promising, ordering). What does he understand by “representation”? Bühler assumes that the primary function of names and sentences is to represent [darstellen] things and states of affairs. They stand in an ideal or ideational (ideell) relation to things or processes and to the states of affairs containing things and processes. This is the relation of assignation or coordination (Zuordnung), a mathematical term used in similar ways by Meinong, Martinak and Carnap as well as Wittgenstein. He also distinguishes within the class of names between two fundamental word kinds, names of things and names of processes and activities. As he points out, the case systems and prepositional systems of Indo-European languages, have emerged to make possible the description of activities by subjects involving objects of different kinds. Another kind of sentence, impersonal sentences, describes yet a different kind of episode. Since Hobbes, Locke and Hume, Bühler (1909, 105) points out, it has been usual to analyse the processes in the speaker and his interlocutor according to the model of associations of ideas. “The old view was based essentially on two assumptions that were internally connected. It was believed that the functions of language could all be traced back to the naming function of words: every word is a name for something, its Bedeutung, a view most clearly formulated by Hobbes. And it was thought that the sentence contains essentially of an aggregate [Inbegriff] of names. And in accordance with this first assumption the processes of language learning were made out to be a learning to name objects. Both claims are false; the function of naming is only one of several functions of words and the fact that language learning is not based only on acquisition of the naming function is being shown more and more by systematic observation of children. Matters are essentially more complicated than they seemed to the first simple theory; just how complicated they are cannot be somehow deductively inferred but must be grasped on the basis of systematic observation of concrete cases of linguistic comprehension” (Bühler, 1909, 107). Kevin Mulligan 74 A wider and even more fundamental distinction between word kinds is that between words that name without the help of perception and those, such as indexical signals, that require perceptual help. That all language signs must be symbols of the same kind is: “an axiom that is too narrow for the theory of language; for some of them, such as the deictic words, prove to be signals. But the same work must not be demanded of a signal as of a (pure) symbol because there is a sematological difference between the two” (ST 107). Like Wittgenstein, Bühler criticises unnamed logicians who confuse indexicals and proper names. They are doubtless thinking of Russell and Carnap respectively. The relation of coordination is to be distinguished from those of meaning and association. Coordination is a relation between words and things “within the province of the conventions of the linguistic community for which the lexicon was made, in which ‘one’ uses the word”. Association is a psycho-physical connexion within the province of the speech dispositions of an individual between the acoustic image of a word and the image of the corresponding thing. Meaning is a mental episode but is characterised in terms of coordination. “The object named by a name is intentionally aimed at and also more or less intentionally reached in concrete speech-experiences; this is the case every time a member of a linguistic community himself uses the name meaningfully and correctly as a sender, or correctly understands it as the receiver of a verbal message in which it is used” (ST 164). Although all three relations “belong together” they are not equivalent and “terrible confusion will inevitably be the result” of failing to distinguish them (164). Meaning [meinen] is not a relation of association (58-9). Bühler likes to use such Husserlian expressions as “meaning in one pulse” “with one blow” (mit einem Schlage ST 365, 292). The external criterion for the fact that a speaker has produced one sentence, meant something in one blow, is a certain type of intonation. Both acts of meaning and linguistic actions are to be distinguished from types of linguistic products, which are ideal entities with a history - for example the “genidentity” of the German word “Vater”, which is one word for the linguist (62). Lexical and formal products - such as “the infinitive” - constrain acts of meaning and understanding. Axiom (D) distinguished verbal and non verbal fields. Since there are two basic types of non-verbal fields, we have three fundamental types of context or Umfeld (surrounding field) for symbols. fields or contexts consisting of other words the synsemantic field fields consisting of behaviour the sympractical field fields consisting of physical objects the symphysical field Examples of sympractical (Bühler also uses “empractical”, cf. ST 159) naming or pointing using isolated linguistic signs are the typical utterances of the customer in a café who says “black” to the waiter, or of the tram passenger who says “one way” to the conductor (155), as well as the interjections used to address others such as “Hey! ” or “Hello! ” (300). Demonstratives are used sympractically since they combine with gestures to function as signals (31). A sympractical use of a sign belongs to a surrounding field which is a “praxis”, it is built into a practise (158-159). Names can be physically attached to what they name, as with brand names, place-names, book titles, names inscribed on memorials. The place-names on signposts naming the places The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks 75 these point to are “attachments at a distance” (159). Yet another variation on the simplest case is provided by the relation between the names of owners or makers on their property or artefacts and the relevant people. Real attachment is common to all symphysical uses of names. The different types of “suppositio” make use of the different types of field in which signs can occur (312). Thus mention of a word involves a symphysical field - the word mentioned is a physical part of the singular term; it involves a sympractical field - the quotation marks function indexically; and of course, mention of a word will often occur in the context of a synsemantic field. What sort of semantic relations do symphysical and sympractical signs stand in? Interjections such as “Hello! ” occur neither in symbolic fields like names nor can they be counted among the deictic words “without reservation” … “It would also probably not be wrong to rank them in the one-class system of human and animal calls, thus separating them more thoroughly from genuine words” which belong to the two-class system consisting of words and sentences (300). Of other sympractical signs Bühler writes: “On unbiased examination it seems to be quite unimportant whether such words are deictic particles or have a naming function. The passenger in the tram car can, if he pleases, make it clear what he wants by pointing to one of the two books of tickets in the conductor’s hand instead of saying ‘transfer’. Otherwise, the particle ‘geradeaus’ [straight on, hence simple ticket], which might be interpreted as an ‘adverb’ (or perhaps not), will be on a par with the verb ‘umsteigen’ [transfer, hence correspondence ticket]. By the same token, it seems that the accusative ‘einen schwarzen’ [black] is on a par with the nominative; sometimes it is enough to nod the head or say ‘yes’ when the other person begins of his own accord and with an inquisitive demeanour to take the appropriate action, or one says ‘the other one today’ if that is called for. Naming words remain what they are even in such usage, they name something” (156). What is essential to all empractical uses of language emerges, according to Bühler, if we reflect on what and why it is sometimes necessary to introduce language into non-verbal transactions: “In Vienna the passenger used to be spared saying ‘transfer’ for there was only one type of ticket. Whoever saw the familiar transaction of buying a ticket taking place between silent partners without a hitch, knew too the borderline case in terms of which most so called ‘elliptical utterances’ have to be understood: islands of language emerge from within the sea of silent but unequivocal communication at the places where a differentiation, a diacrisis, a decision between several possibilities has to be made, and easily can be made by interspersing a word. They emerge and are welcome just as names and arrows are welcome on signs at the crossings of paths that one takes” (ST 155-156). Closely related to the symphysical uses just considered is the case of baptism. “If I have a name such as Charles or Maria solemnly conferred upon a child at baptism, this is a convention that those participating in the ceremony and later others who are informed by the participants observe. In smaller circles this first name suffices as an individual sign … Regarded in terms of the regulations on coordination are these and other proper names on a par with ‘class names’? With Mill, I say decidedly not. For this coordination at baptism is by no manner or means equivalent to a definition, but rather, seen from a distance, equivalent to making the chalk mark on a house. The fact that the individual sign, the proper name, is not branded onto the forehead of the newly baptised child makes no difference to our question. The people involved make a note of it on their own and are able (with the passing of the years better and better) to discern the person named as an individual distinct from others. This individual already exists and has been brought to be baptized; it has no need of a definition. Indeed, baptism is not a Kevin Mulligan 76 definition but (here it is tempting to continue: a sacrament) - it is rather an assignment analogous to attaching it; it is a deictic name conferral. Proper names are distributed deictically; it is not exactly the symphysical surrounding field but something analogous that becomes relevant here” (235-236; cf. 226). Thus if Bühler is right, the context principles of Frege and Husserl and of much contemporary linguistics are too narrow: words do require a context in order to signify, but the context need not be a sentential context. A space or field and its attendant internal relations are necessary, but physical and behavioural fields must be allowed in addition to sentential fields. Hitherto we have mentioned cases where linguistic signs form unities with non-linguistic elements which are not themselves signs. There are also non-linguistic signs. The distinction between synsemantic and symphysical fields has wholly non-linguistic analogues. Colourcontrast can be read off from a symphysical field of coloured patches. “But the case of the ‘context’ of the pictorial values in a painting as a whole is substantially different.” One and the same grey pigment on the palette can be used to represent a shadow, a light-reflection and the colour of an object. “The context of the pictorial values in a painting is analogous to the context of linguistic signs; in both there is a synsemantic surrounding field” (165). Nonlinguistic symbols require fields just as linguistic symbols do. Examples of non-linguistic fields are the music-paper used by musicians, maps, pictorial fields, the stage which is the field of the actor and graphical representations of curves (179-185). Examples of similar fields inside language are the system of action, agent and patient expressed by word-order or cases in Indo-European languages (195, § 15), the system of events, places and times expressed by impersonal sentences (§ 25.4), the system of internal relations expressed by verbs and internal accusatives (§ 15.4), the system of nominal sentences and conjugations (195). Bühler’s descriptions of extra-linguistic representational tools are introduced in order to throw light on the structures of representational uses of language. As he points out, it is curious that this sort of comparison is so infrequent (§ 12). The alphabet, the written decimal system of numerals and the spoken numerals, for example, are intermediaries, “medial implements” which Bühler calls files or organizers, “they are called intermediaries because they are placed between things, and organizers because what they do is comparable to what material ordering implements such as the letterfile, which keeps our letters in order, catalogues and the like do” (193). They are “indirect, mediated coordinations” (192). Files play the same role as what Marty had called inner linguistic forms, but unlike these are always replaceable by external counterparts. They are indirect, mediated coordinations, in contrast to the direct coordinations considered above. Bühler gives the following simple example. Consider two ways of assigning letters to the corners of a polygon, arbitrarily or by following the order of the alphabet from A through to F. The second solution, unlike the first, introduces an element of mapping and this projection of the corners of the polygon on to the associational series of the letters of the alphabet provides a number of advantages. Thus “even when the object has been removed from the sphere of actual perception it is still possible to say much about it that can be immediately verificd with the associational series alone” (ST 192-193). The blind orders of the alphabet or the numerals are learnt by association. But once the convention that, for example, certain signs should have the import of one, tens, hundreds and so on from right to left, has been learnt, “structural insights become possible and can be made use of when dealing with the numerals, insights that could not be drawn from a blind associa- The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks 77 tional chain as such” (ST 194). Bühler attaches great importance to the ways inner linguistic forms of the sort just mentioned function. “It would”, he thinks, be easy enough to show “that within spoken language as a system of signs many associational chains and networks can be encountered which, seen from a psychological perspective, are on the same level as the alphabet chain, and which do us similar service in the extensive and comprehensive problem of the ordering of our knowledge of things and imparting this knowledge to others …” (ST 193). Symbolic fields, whether linguistic or not, are characterised by abstractive relevance. Their properties are due to conventions and tradition and are not physical properties. To fail to see this point is to be guilty of a stoffliche Entgleisung, of materially going off the rails: “A blank piece of paper in front of me is no field. By the same token, the raw succession in the sound stream of human speech is not yet a field; rather, something additional is needed in the succession of sounds, something that corresponds to the net of geographical coordination lines or the stave of five parallel lines on music-paper, in order to gain a field or fields from the temporal order” (ST 181). Failure to take into account the conventionally fixed, sematological internal relations leads either to the error that consists in overlooking all but the physical properties of signs or to a “magical” view of language which attributes mysterious properties to it. The two errors are combined in accounts of language that reduce the phenomena of abstractive relevance and internal relations to mysterious causal relations (cf. ST 46-47, Wittgenstein’s 1930-1931 manuscript TS 213, quoted by Hilmy 1987, 108). Yet another error would be the assumption that the internal relations necessary to language require Platonism. Internal relations emerge from and depend on contingent facts. For Bühler as for Husserl all sentences about objects in time are in one way or another deictic (ST 373). But the fact that language is a system consisting of two types of field, symbolic and deictic fields, with the former dependent on the latter, is, on Bühler’s view, itself rooted in the role of deixis in learning. He (ST 385) calls deixis in the ordinary use of language “object deixis” and its role in learning “learning deixis” (Lerndeixis, acquisitional deixis). Every speaker “has gathered the meaning [Bedeutung] of all naming words from things and states of affairs pointed out directly or indirectly and then retained it by practice” (383). The mechanism is the same when we are confronted with new symbols in logic or science: “‘Look at this: we use this sign written on the blackboard, on the page of the book before your eyes for this or that.’ That is how one goes about granting meaning to all symbols, and without these deictic clues it would in fact be impossible to give intersubjective currency to any symbolic system” (Bühler, 1934, 383). Granting or giving meaning, then, is not for Bühler, as it was for Husserl, something brought about by acts of meaning. It involves correlations between marks or sounds and perceptible, public objects. Since “acquisitional deixis continues to have effect always in our understanding of all sentences” (ST 385), whatever non-linguistic items are necessary to the acquisition of language, exemplars, colour patterns or colour tables, belong to language. Bühler’s “two-field theory claims that the several modes of perceptual pointing and presenting are just as much a part of the essence of natural language as are abstraction and the conceptual grasp of the world, and that they are equally close to the essence of language” (ST v). Kevin Mulligan 78 This is a claim that holds of both the way in which language is used and of the way it is learnt. Every linguistic act or action is embedded in an act-history which in turn is embedded in the speaker’s history which includes his learning history, the history of his acquisition of linguistic skills (Bühler, 1933, 51-52). Bühler’s account of the role of perception in making coordination possible is a revised version of Husserl’s realist and verificationist account of meaning and intentionality. But Bühler pushes such an account in the direction of nominalism and naturalism. In particular, there are three main twists that Bühler gives to earlier Austrian accounts of language. First, consider Husserl’s claim that singular reference depends on perception and that predication depends on the possibility of perceptual justification. Bühler clearly agrees with Husserl about the first claim although it is not clear whether he accepts the second part of Husserl’s (realistic) verificationism. On Husserl’s view the senses of expressions depend on their relations to perception. But on Bühler’s view expressions do not have senses. They are used meaningfully to the extent that they are internally related to perception and so to behaviour. Secondly, Bühler places linguistic rule-following firmly in the context of perception, behaviour and instinct: “all concrete speech is in vital union [im Lebensverbande] with the rest of a person’s meaningful behaviour; it is among actions and is itself an action” (ST 52). Natural perception and natural language are, for Bühler as for Scheler, the two central components of the one and only human form of life, the natural attitude of common sense. Finally, Bühler insists, against Husserl and Scheler, that the representative function of language is a tool-like function. But this claim does not lead him to say that language has a goal external to it, as does the activity of cooking. Marty’s account of language assimilates it to cooking: a speaker, he thinks, aims to modify the cognitive states of an interlocutor. To the extent that language is action, Bühler insists, this action must be conceived of as praxis in Aristotle’s sense. It is only to the extent that language use involves bringing about products and their types that the language of goals becomes appropriate (ST 52-53). The “semantic devices or relations” - expression, steering and representation - help constitute the life of human communities (KP 39). A great deal turns on the distinction between the proper functions of language and the goals of language use (cf. KP 123). If a type of linguistic use has no external goal, then its normative dimension is that of a categorical norm; if it has an external goal then its normative dimension is that of a hypothetical norm. This distinction emerges already in the crucial role of games in the acquisition of language and in other types of learning. If language is, to begin with, the result of an interaction between training and games (KP 208f.), the first such games are “Handlungsspiele” followed by “Werkspiele” (ST 53, GEK 220f, 467f) 3. Wittgenstein’s examples and distinctions As we shall now see, the opening of the Investigations illustrates the analysis of language just presented. Many readers of the Investigations are struck by the masterly way in which § 1 adumbrates the themes of Part I. But some are disturbed by the apparent disconnectedness of the examples and distinctions that multiply in quick succession. Someone who has followed my The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks 79 sketch of Bühler’s analysis of language has a good chance of experiencing a Gestalt switch - what Bühler called an “Aha-Erlebnis” - as he goes through the opening paragraphs of the Investigations. He may come to see a house where before he had seen only bricks, or a wood where before he had seen only trees. The Investigations begins with a quotation from Augustine in which a number of concepts such as “calling”, “indication”, “pointing”, “meaning to point out” and “understanding” are employed. Wittgenstein introduces three distinctions and a use of language. The first distinction is between learning and using language. The second distinction is that between a certain “picture” of language and a certain “idea”. The third is between kinds of words. The use of language is the first of many concrete descriptions of the way language works. According to the picture, words and objects stand in the naming relation and sentences are combinations of words. This picture is the root of the following idea: all words stand in the relation of coordination [Zuordnung] to, of standing for, meanings [Bedeutungen]. Later Wittgenstein goes on to introduce the related “semantic” terms “bedeuten, bezeichnen, benennen” and “sich beziehen auf”. In the detailed descriptions that follow of how words are and can be used we are presented with cases for which the picture is appropriate and it is suggested that the idea of language is an extreme oversimplification. The relation of coordination is later distinguished from two other relations. There is the associative connexion (§ 6), which is sometimes also presented by Wittgenstein as involving memory (§ 53; cf. 256, 508, 271). A third relation is mentioned at § 19: the relation of meaning [meinen] a thing with or without the help of a sign (§ 20). The counterpart of this is understanding a word “in one blow”. What is grasped in such cases is not the temporally extended “use” of a word (§ 138; cf. 139, 191, 197). The final distinction introduced in § 1 is between names of things and names of processes and activities and yet other types of words. Later, in § 8, Wittgenstein introduces indexical expressions which are yet later distinguished from names (PI § 38), and in § 15 from proper names. Functions and signs in context Consider the use of language described in § 1. Here a shopper takes a slip marked “five red apples” to the shopkeeper who opens the drawer marked “apples”, looks up “red” in a table and finds a colour sample opposite it and counts up to “five”, finally producing five red apples from a drawer. This use of language illustrates the three categories of organisers, sympractical and symphysical uses of signs. The signs “five, red apples” combine with a series of actions which form a field for them. The word “apples” attached to the drawer is an example of a word belonging to a symphysical field. Both the table containing “red” and colour samples as well as the series of cardinal numbers are organisers. One plausible aspect of organisation of the first sections emerges immediately. Having introduced examples of organisers, sympractical and symphysical signs, Wittgenstein goes on to consider these types of use singly and in different combinations. A second use of language (§ 2) is a sympractical use of language only. The builder, A, calls out “block”, “pillar”, “slab”, or “beam” and the assistant, B, “brings the stone which he has learnt to bring at such and such a call” (cf. Innis, 1988, 80; BB 77F; Waismann, 1965, 198f). Kevin Mulligan 80 A further use of language at 8 adds two organisers and two deictic expressions to the language of the builders. The deictic expressions are “there” and “this”. The first organiser is the series of letters of the alphabet, the second a number of colour samples. In a variant of the builder’s language-game, Wittgenstein mentions a symphysical use of language in which proper names are attached to objects, “the object signified is marked with the sign. Suppose that the tools A uses in building bear certain marks. When A shows his assistant such a mark, he brings the tool that has that mark on it” (PI § 15; that these marks are proper names is indicated at § 41; cf. Waismann, 1965, 198f). Wittgenstein says that: “The word ‘to signify’ [bezeichnen, designate], is perhaps used in the most straightforward way when the object signified is marked with the sign. […] It is in this and more or less similar ways that a name signifies and is given to a thing. It will often prove useful in philosophy to say to ourselves: naming something is like attaching a label to a thing” (PI § 15, cf. 26). Whereas Wittgenstein suggests that naming may consist in attaching a label to a thing, Bühler claims that such an attachment is a criterion for the obtaining of the naming relation: “When the optical name image is materially attached or connected to the perceptible thing named, that is, when there is a connection that under such circumstances must be interpreted in terms of an effective surrounding field, this visible attachment becomes an indication (Indizium) of an ideal coordination” (ST 164). The existence of a criterial relationship between physical contiguity and naming implies that the two relations are distinct. And this is indeed the case: “Real attachment is not sufficient to make a word a name of its bearer. After all print is physically attached to the page but is not a symphysical sign. The relation between the paper in books to the black figures on it is quite different from that of the product to the product name printed on it, and in general the relationship of every bearer to the language sign it bears when it displays it as its name or the like. In such a case attachment becomes the physical, sensibly manifest criterion of coordination” (ST 162). At § 37, Wittgenstein tells us that the naming relation may consist of a number of different things. He mentions three possibilities. The first has already been mentioned: it may consist in what Bühler calls symphysical naming. It may also consist in sympractical naming or even in association (cf. GEK 230). Tools and functions The functions of words in these examples are as varied as the functions of tools (§ 11-14). They are bound up with the activities of sending someone shopping, taking a slip to the shopkeeper (§ 1), communication, building, passing stones (§ 2), pointing (§ 8), orders (§ 2, § 8) and Wittgenstein mentions languages that might be imagined to consist only of orders and reports in battle or questions and yes/ no answers (§ 19). Although Wittgenstein cautions against such simplification, we might say that in all these cases signs are used as signals to steer an interlocutor. More controversially, we might say that the users of these signs indicate or express something. But it is a feature of Wittgenstein’s descriptions that they contain no reference to psychological states that are so expressed. The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks 81 At § 3 and § 17, Wittgenstein mentions an analogy which will become more and more important, between words and chess-men, between the description of language and the description of games. Wittgenstein likes to compare words to chess figures. Their properties are not only physical properties (PI § 108). They and the fields they belong to are to be characterised in terms of conventional properties. The use of a word or of the King in chess can only be explained to someone who already knows its “Platz” or position (PI § 31). The contrasts that, according to Bühler, are essential to such fields, to their different Plätze or field-values, and the values of elements in them, are often mentioned by Wittgenstein who nevertheless stresses the danger of supposing the psychological reality of possible contrasts (PI § 20). Fields and words in fields are not mysterious mental or Platonic entities. But their properties are not only physical properties. Similarly, when we describe the rules governing the uses of pieces in chess we are not describing the physical properties of the pieces (PI § 108, 31). The physical movement of a piece in chess is a move in chess only in the circumstances we call ‘playing a game of chess’ (PI § 33). To confuse physical and conventional properties is to adopt an analogue of what Bühler calls the phonetic approach to phonology. Non-verbal parts of language Wittgenstein says it is most natural and causes least confusion to reckon the colour-samples among the instruments of language (PI § 16). For if one says: Pronounce the word “the”, the second “the” counts as part of the sentence. The role it plays resembles that of the coloursample. This type of suppositio, mention, like the use of a colour-sample, makes use of a symphysical field. The field in question consists of words. There are many different sorts of patterns which, in non-linguistic fields, nevertheless belong to language, although not to the word language (PI § 50, 56, 72, 73). Colour tables and other organizers are the expressions of rules (PI § 53). Wittgenstein’s brief remarks here have a long history in his own thought (just as Bühler’s descriptions of the role of perception in language have their origins in Husserl’s account of the way simple linguistic sense is completed by perceptual content in indexical sentences). In “The Thought” Frege formulated an account of indexicals which, while it contains no explicit account of their sense and content, does contain an account of the representational media involved and of their Bedeutung. On this account an indexical singular term consists not only of a demonstrative pronoun but also of the accompanying circumstances. In other words, a deictic expression is not wholly linguistic and it refers to its non-linguistic part. Wittgenstein returns again and again to this distinction of Frege’s which he likes to mark by distinguishing between “Symbols” - which are not purely verbal - and “signs”. Bühler and Wittgenstein often describe many different types of deictic expression. The most basic type, nominal deixis, where “this” for example is completed by a perception of an object, exhibits many subtypes. There is also “so” deixis as when the reference is to a pattern exemplified by a proffered piece of behaviour (“Play it thus”). And in addition to the egocentric deictic field, the “origin” of which is the speaker, there are topomnestic fields in which a familiar object takes over the role of “origin”. Finally, deictic expressions can be replaced by names - for which Bühler coins the term “prodemonstratives” - although of course, this does not suffice to eliminate the functions of pointing and perception. Here as elsewhere Bühler finds a system in what Wittgenstein apparently presents as part of the inexhaustible variety of language. Thus nominal deixis exemplifies the category of Kevin Mulligan 82 symphysical naming; “so” deixis steers an interlocutor in a way that goes beyond the steering peculiar to nominal deixis in that the interlocutor must track the piece of proffered behaviour; topomnestic orientation depends on egocentric orientation. It is because of this structure, according to Bühler at least, that the “field values” of one deictic system are so easily translateable into those of another system. Learning and use In a community whose language was just the builder’s language an important part of the training of children will “consist in the teacher’s pointing to the objects, directing the child’s attention to them, and at the same time uttering a word” (PI § 6). Wittgenstein calls the teacher’s activity ostensive teaching of words. It “forms an important part of the training” and “can be said to establish an association between the word and the thing”. The ostensive teaching of words differs from giving ostensive definitions of words in that the latter are given to children capable of asking what the name of an object is whereas the former is provided before the child can ask, of the object pointed to, what its name is (cf. GEK 230, 397). We may perhaps say that ostensive teaching and the associations it establishes are more primitive than ostensive definitions. 4. Curing the ellipsis plague The distance between Bühler and Husserl, on the one hand, and between Wittgenstein and, say, Frege, on the other hand, emerges most clearly in the discussions by Bühler and Wittgenstein of the phenomenon of ellipsis. The label unfortunately prejudges the issue. As Bühler and Wittgenstein stress, many uses of words are easily regarded as elliptic or abbreviated expressions of thoughts and their full sentential expression. But easy though it is to take this step, the temptation should, they think, be resisted. There is, says Bühler, a temptation succumbed to by the “hardened adherent of the general idea of ellipsis” (ST 157) who reads into every isolated occurrence of a word or expression an implicit or unexpressed linguistic environment. Bühler opposes a persistent theoretical temptation, present in many approaches to sympractical and symphysical uses of words, to his own descriptive analysis. “The fact that” naming words in a sympractical field “sometimes march step in step with a variety of linguistic and non-linguistic signs […] can easily tempt the theoretician to give all cases the same summary interpretation. But he should proceed with caution” (156). Bühler admits to having succumbed to the temptation himself: “… that is how I first worked until I realized how arbitrary and forced my completions often were. Sometimes one feels one is behaving like a silly school boy or (perhaps more correctly) like a pedantic schoolmaster when one starts to theorize with sentence completions although naive practice is completely unequivocal” (ST 157). How is the temptation to be dealt with? “[T]he flood of ellipsis will be checked before it swells up if it can be shown that the [following] presupposition is wrong: all meaningfully used words must be situated in a synsemantic field, they must be borne by a [linguistic] context. That alone is the effective and radical cure for the ellipsis plague that has been with us now for two millenia.” (ST 167-168) The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks 83 The form the temptation takes according to Bühler is that of an overgeneralisation of a genuine phenomenon: “Of course there are ellipses. There are uncompleted buildings (think of medieval cathedrals) and all sorts of other human works that have come to a standstill in the course of realization, amongst them uncompleted utterances” (ST 166). To correctly recognize the facts of the sympractical and symphysical use of sound signs makes it possible for the theoretician to thoroughly depopulate the denizens’ ghetto (Metökendorf) around the sentence’s palace. Those evacuated live in their own right and do not need to be measured against the “full sentence”, that is, against synsemantically integrated and “completed” speech (ST 366). Contact which is sparing in the use of sound “must not be summarily and generally characterized as poor, primitive, incomplete speech. That would be just as false as regarding traffic in goods with little or no money as the expression of a primitive and imperfect economic order. Rather, both admit of much refinement. There is an advanced culture of ‘elliptical’ speech in which the field values of the situation are used to fulfil and make precise the meaning of the phonetic islands” (ST 88). Where there is no linguistic context the theoretician must, Bühler warns, take care to avoid general hypothetical constructions. It may be that “the speaker reproduces a part of a sentence and spares himself and the hearer the rest; that the linguist recognizes from this or that moment of form a determination of the sign’s syntactic position [Platzbestimmtheit]. What are we to make of this? Hardly much more than that the language sign as it was uttered in this case could also have occupied a definite position within a linguistic context and that as a rule it does”. The hardened adherent of the general idea of ellipsis takes these real possibilities to be everywhere true of occurrences of isolated words. But “it would be nothing other than a thorough misjudgement of the psychological conditions if this interpretation were to be regarded as necessary and sufficient for all cases” (ST 156-157). The hardened adherent “might point out that a sentence can always be constructed around the case of empractical naming. The answer is that his point cannot be denied but does not prove anything. An interpreter with a gift for language can indeed provide a more or less appropriate text for every phase of a completely silent communicative exchange; the right arm of the passenger raised holding the money in the tram car ‘says’ to the conductor, ‘Please give me a ticket’. Well of course, and the gesture says it about as unequivocally as the raised front paw of a whining, begging dog says to its master at a meal ‘Please give me a bit, too’” (ST 156-157). Wittgenstein, too, thinks that the question of the type of field or context required by words comes into sharp focus with the problem of “ellipsis”. His discussion of “ellipsis” at PI § 19-20 contains a decisive consideration against the tendency to assume that the use of a single word, such as “Slab! ” in the builder’s game is really an elliptic expression of a propositional thought or of a longer sentence. “Slab! ” “is surely a shortened form of the sentence ‘Bring me a slab! ’ […] - But why should I not on the contrary have called the sentence ‘Bring me a slab! ’ a lengthening of the sentence “Slab! ”? - Because if you shout ‘Slab! ’ you really mean ‘Bring me a slab! ’ - But how do you do this: how do you mean that while you say ‘Slab! ’? Do you say the unshortened sentence to yourself? ” (PI 19). Kevin Mulligan 84 Bühler appeals to the tool analogy to show that it is wrong to assume that we think in sentences and merely express these elliptically. “When the taciturn café customer says ‘black’, he is reproducing a handy chunk from among the linguistic dispositions in his memory, and thus behaves more or less like a practical person who wants to hammer a nail and grasps the next best object that he can get his hands on. It does not have to be a proper hammer, it can be a climbing boot, a pair of pliers, or a brick. In the situation imagined in the café, a choice must be made between a few equally likely drinks, and to this end the naming word ‘black’ or even the isolated preposition ‘without’ is enough” (ST 157). Witggenstein points out that a “sentence is ‘elliptical’, not because it leaves out something that we think when we utter it, but because it is shortened - in comparison with a particular paradigm of our grammar” (PI 20). Such a grammatical paradigm is an example of what Bühler calls a type of linguistic product, a “Gebilde” or structure (cf. PI 108). 5. Conclusion The examples of ways of using words given by Wittgenstein in the opening paragraphs of the Investigations neatly illustrate the taxonomy of language provided by Bühler. In order to determine the exact relation between Bühler’s account of the essence of language and Wittgenstein’s denial that there is any such thing it would of course be necessary to consider the relations between the empirico-teleological account as a whole and what Wittgenstein says elsewhere about language and mind. Thus at least the following questions would need to be considered. Wittgenstein’s opening paragraphs deal with relations between words and referents that are perceptually given. But what is the relation between such cases and cases where we talk about objects that are not so given? Wittgenstein merely implies at 15 that there is a similarity between the two cases. What is the relation between the accounts of Husserl, Bühler and Wittgenstein of the ways in which perception fixes not only the reference of indexicals and demonstratives but also the reference of those proper names whose sense is not simple? Just how much weight attaches to Wittgenstein’s claim that “the meaning (Bedeutung) of a name is sometimes explained by pointing to its bearer” (§ 43)? What is the relation between the accounts given by Bühler and Wittgenstein of the ways in which perception determines the use and meaning of predicates and their analyses of criteria and indicators, as distinct from symptoms (cf. Mulligan, 1990)? What is the relation between Wittgenstein’s views on this matter and verificationism, for example the realist verificationism of Husserl? Bühler and Wittgenstein suggest, as we have seen, that the internal relations between language and perception, particularly between language and exemplars, are brought into being via learning. But, as they both realised, any such account must deal with the problem of the acquisition of superordinates, the tree structures characteristic of most concepts. What is the relation between Wittgenstein’s account of the interrelations between “rule”, “same” and “agreement” (PI § 241-242, § 355, § 429, § 224-225) and the empirico-teleological account of “agreement in judgement”? Martinak (1901, 43) argues (and Bühler agrees) that “agreement with a norm” and the type of “sameness” this involves require judgements, The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks 85 and above all dispositions thereto, about coordinations between words and, for example, perceptually presented objects. Such judgements are definitions, ostensive and verbal. Were there no such judgements, he argues, mere associative connexions would not yield the stable connexions essential to language. What is the relation between such judgmental definitions, ostensive teaching or acquisitional deixis, and Wittgenstein’s agreements in definitions, in judgements, in opinions, in language and in form of life? A part of the answer to these questions is provided by Bühler’s attempt to understand rule awareness and rule following by bringing Husserl’s theory of categorial intuition down to earth. A question more fundamental than any of these concerns the conception of “essence” that Wittgenstein had in mind in denying that language has one. Perhaps Bühler and Wittgenstein use “essence” in different ways. Wittgenstein seems to have thought that the sense of “essence” in which language does not have one is related to a conception of analysis as something that leads to simples. But as Bühler points out, echoing Husserl, it is important to distinguish analysis as it is practised by the butcher (ST 58) from analysis that makes morphologically correct divisions (ST 153, Bühler, 1933, 36). Perhaps, after all, Wittgenstein did think he could describe the essence of language, that it is only the notion of a hidden essence that he wanted to reject (cf. PI § 92). Descriptive analysis in the Brentanian tradition also aims at making explicit something that is not hidden, not there to be discovered, in the sense in which one can make empirical discoveries, but is rather difficult to get into focus (cf. Mulligan, 1993). But what exactly is the relation between Wittgenstein’s understanding of morphological description and that common amongst his contemporaries in Austria-Hungary? 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Toccafondi, F. 1995: I Linguaggi della Psiche.Teoria della Mente, della Percezione e del Comportamento da Würzburg a Vienna, Milan, Guerini. Kevin Mulligan 86 Waismann, Fr. 1965: The Principles of Linguistic Philosophy, London, Macmillan. Wittgenstein, L. 1968: Philosophical Investigations, Oxford, Blackwell (PI). - 1972, The Blue and the Brown Books, Oxford, Blackwell (BB). Zur Sprachtheorie Josef Krug Karl Bühlers Sprachtheorie gründet sich in der Hauptsache auf die Feststellung, daß der menschlichen Lautsprache drei voneinander wohl unterscheidbare Leistungen zukommen. Die Sprache vermag, erstens Erlebnisse des Sprechers kundzugeben, zweitens seelische Vorgänge im Hörer und dadurch auch Handlungen in ihm auszulösen, drittens Sachverhalte der gegenständlichen Welt darzustellen. Der Umstand, daß die sprachlichen Gebilde absichtlich und unabsichtlich hinsichtlich dieser drei Möglichkeiten der Kundgabe, Auslösung und Darstellung, unbeschadet deren Verflechtung im entwickelten und verwickelten Sprachgebrauch, in ziemlich weitgehendem Ausmaß unabhängig voneinander variierbar sind, daß es vollends Fälle gibt - darunter welche von besonderem phylogenetischen und ontogenetischen Interesse -, in denen eine oder zwei dieser Funktionen fehlen oder wenigstens gegen Null limitieren, rechtfertigt es, von drei Richtungen, Dimensionen oder Koordinaten der Sprache zu reden. Diesen Befund von den drei aufeinander nicht reduzierbaren Leistungsdimensionen der Sprache hat Bühler zum erstenmal in der Abhandlung “Kritische Musterung der neueren Theorien des Satzes” 1 andersartigen sprachtheoretischen Auffassungen, die mit einer oder mit zwei Dimensionen das Auslangen zu finden versuchen, in prägnanter Fassung gegenübergestellt. Als Vorläufer hierzu kommen in Betracht eine kritische Besprechung Bühlers von Martys Sprachphilosophie 2 und sein Sammelreferat “Über das Sprachverständnis vom Standpunkt der Normalpsychologie aus” 3 . Die Fruchtbarkeit der neuen Auffassung für die Kinderpsychologie hat Bühler in dem einschlägigen Kapitel “Die Entwicklung der Sprache” schon in der 1. Auflage seines Werkes “Die geistige Entwicklung des Kindes” 4 erkennen lassen. In der Abhandlung “Vom Wesen der Syntax” 5 hat Bühler von seiner Konzeption im Dienste eines speziell sprachwissenschaftlichen Themas Gebrauch gemacht. Der Begriff der sprachlichen Darstellung erfuhr in dem Aufsatz “Über den Begriff der sprachlichen Darstellung” 6 eine schärfere Beleuchtung. In einem zweisemestrigen Kolleg an der Wiener Universität 7 wurden nicht nur die Grundzüge, sondern auch viele Einzelheiten der inzwischen weiter gediehenen Sprachtheorie den Hörern vorgetragen. Neuerdings hat Bühler in seinem letzten Werke “Die Krise der Psychologie” 8 die Prinzipien dieser Lehre nochmals schärfer formuliert und eingehender begründet; zugleich wurden die am Phänomen der Sprache gewonnenen drei Aspekte psychologischer Betrachtung als vorbildlich und unentbehrlich für die Bearbeitung anderer psychologischer Problemgebiete aufgezeigt. In diesem Buche hat uns Bühler auch das Erscheinen eines nahezu vollendeten Buches “Theorie der Sprache” als Ergebnis seiner über zwei Jahrzehnte zurückreichenden Beschäftigung mit diesem Thema in Aussicht gestellt. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Josef Krug 88 Schon nach dem Eindruck der bisher in die Öffentlichkeit gelangten Teile steht zu erwarten, daß die ausgeführte Sprachtheorie Bühlers, wenn sie einmal zur Gänze vorliegen wird, nicht allein für die Psychologie als solche, sondern vor allem auch für die Sprachwissenschaft von hervorragender Bedeutung und Wirkung sein wird. Zweifellos wird dann auch mit der Erkenntnis ihrer Bedeutung das Bedürfnis fühlbar werden, über die von Bühler selbst schon gegebenen oder noch zu erwartenden Anregungen und Andeutungen hinaus den mannigfachen Beziehungen nachzugehen, die zwischen der Bühlerschen Auffassung und der anderer Sprachtheoretiker bestehen, und insbesondere die Übereinstimmungen und Abweichungen der neuen Theorie gegenüber früheren Forschern möglichst genau herauszuarbeiten. Angesichts der fast unübersehbar gewordenen, sprachspychologischen und sprachphilosophischen Literatur dürfte eine historischkritische Beleuchtung der neuen Sprachtheorie vielleicht die Kräfte eines einzelnen übersteigen und auf die Zusammenarbeit und Ergänzung mehrerer gestellt werden müssen. Doch hätte ein solches gewiß reizvolles und dankenswertes Unternehmen vor allem die schon erfolgte Publikation des Bühlerschen Sprachwerkes zur notwendigen Voraussetzung. Als bescheidener Beitrag zu einer solchen der Zukunft vorbehaltenen Arbeit sei im folgenden der Versuch gemacht, die grundlegenden Positionen der Sprachtheorie von Karl Bühler mit den einschlägigen Anschauungen von Alexius Meinong zu konfrontieren, in der Absicht, durch diese Gegenüberstellung zur näheren Kennzeichnung der beiden Standpunkte und damit auch etwas zur sachlichen Klärung der vorliegenden Probleme beizusteuern. Die Rechtfertigung dafür, unter den zahlreichen Autoren, die sich zum Problem der Sprache geäußert haben, gerade Meinong herauszugreifen, nehmen wir aus den Worten Bühlers, der in der “Krise der Psychologie” am Schlusse seiner knappen historischen Skizze 9 erklärt hat, daß “seiner eigenen Theorie die Bemühungen Meinongs am nächsten kommen” und daß Meinong selbst ihm diese “Übereinstimmung” brieflich bestätigte. Es dürfte demnach der hier unternommene Versuch, den Grad dieser Übereinstimmung festzustellen, nicht als ein abwegiges Beginnen erscheinen. Im besonderen wird es sich darum drehen, die von Bühler und Meinong vollzogene Parallelisierung der Begriffspaare, “Kundgabe” und “Darstellung” einerseits, “Ausdruck” und “Bedeutung” andererseits, auf ihre Berechtigung zu prüfen. Zunächst muß betont werden, daß das Problem der Sprache in keiner der zahlreichen Veröffentlichungen Meinongs im Mittelpunkt der Betrachtung steht, daß vielmehr Meinong nur gelegentlich, sozusagen im Vorübergehen, zu gewissen Seiten der sprachlichen Phänomene Stellung genommen hat. Eine scheinbare Ausnahme hiervon bildet das zweite Kapitel seines Buches “Über Annahmen” 10 , das die Überschrift “Zur Frage nach den charakteristischen Leistungen des Satzes” trägt. Was sich hier und an einigen anderen Stellen, besonders gegen Schluß des Buches 11 , findet, darf in der Tat als die wichtigste und ergiebigste Quelle für die sprachtheoretischen Ansichten Meinongs, insbesondere für seine Unterscheidung von “Ausdruck” und “Bedeutung” bei sprachlichen Zeichen, gelten. Aber selbst da handelt es sich für Meinong nicht vorzugsweise um eine Aufhellung sprachlicher Probleme, sondern um eine zuerst vorbereitende und später weiter auszuführende Charakterisierung des Unterschiedes zwischen “Urteil” (Ernsturteil) und “Annahme” (Phantasieurteil), indem gezeigt wird, daß ein “Satz” zwar sowohl das psychische Erlebnis eines Urteils als auch das einer Annahme “auszudrücken” vermag, daß er hingegen allemal den von dem Urteilserlebnis bzw. dem Annahmeerlebnis erfaßten Gegenstand - d.i. ein “Objektiv”, einen Sachverhalt - “bedeutet”. Hiermit hat Meinong das, was er früher einmal 12 in einer kurzen Bemerkung in anderem Zusammenhange über das Auseinanderhalten von Ausdruck und Bedeutung bei Vorstellungen gesagt hatte, auf das Gebiet der anderen intellektuellen Erleb- Zur Sprachtheorie 89 nisse übertragen und erweitert. Von allgemeineren Darlegungen des Annahmenbuches, soweit sie sich auf Sprachliches beziehen, verdient als wichtig hervorgehoben zu werden die an E. Martinaks “Psychologische Untersuchungen zur Bedeutungslehre” 13 anknüpfende Betrachtung über die Natur der Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem; hier wird konstatiert, daß das Verhältnis zwischen sprachlichem Zeichen und dem dadurch gegebenen Erlebnisausdruck ein anderes ist als das zwischen sprachlichem Zeichen und seiner gegenständlichen Bedeutung. Im übrigen liegt auch in den sprachpsychologischen Ausführungen dieses Buches entsprechend seiner Aufgabe, das bis dahin nicht genügend beachtete psychologische Tatsachengebiet der Annahmen in möglichst helles Licht zu rücken, fast aller Nachdruck auf der Feststellung, daß in derselben sprachlichen Formulierung, also in demselben Satz, ebensogut ein Urteil (ein von Überzeugung oder wenigstens von Vermutung getragenes Erfassen eines Sachverhaltes) wie eine Annahme (ein bloß betrachtendes Erfassen eines Sachverhaltes) Ausdruck finden kann. Ein Satz wie z.B. “Die Erde ist eine Scheibe”, wenn er außerhalb jeglichen Zusammenhanges steht, läßt nicht erkennen, ob durch ihn ein Urteil oder eine bloße Annahme ausgedrückt ist. Für das “Verstehen” eines solchen Satzes ist keineswegs notwendig, daß der Hörer oder Leser dieses Satzes den untatsächlichen Sachverhalt, daß die Erde eine Scheibe ist, auch glaubt, also urteilsmäßig erfaßt, sondern es ist nach Meinong für das Verständnis ausreichend, wenn der Hörer diesen Sachverhalt in einem Annahmeerlebnis erfaßt, auch wenn der Satz ein wirkliches Urteil des Sprechers oder Schreibers ausdrücken sollte. Für das Verständnis eines Satzes ist also nach Meinong die denkende (aber gleichgültig, ob urteilende oder bloß annehmende) Erfassung seiner “Bedeutung” allein wichtig und wesentlich. Dies und die Erörterungen darüber, daß Annahmeerlebnisse vermöge ihrer besonderen Rolle beim unanschaulichen und indirekten Vorstellen außer in eigentlichen Sätzen auch schon in isolierten Wörtern und Wortkomplexen ihren Ausdruck finden können, sind die hauptsächlichen Ergebnisse der sprachtheoretischen Exkurse in dem Meinongschen Buche über Annahmen. Was einige andere, nicht unwesentliche Einzelheiten einschlägiger Art betrifft, die sich noch in diesem Buche aufzeigen lassen, so muß gleich hier bemerkt werden, daß sie nur mit Vorsicht aufzunehmen und zu interpretieren sind, aus dem einfachen Grunde, da sie einem Standpunkt entsprungen sind, den Meinong in späteren Veröffentlichungen aufgegeben hat. Da es zu weit abführen würde, zugleich eine ausführliche Entwicklungsgeschichte der Meinongschen Psychologie zu bieten - einiges davon wird später zur Sprache kommen - und wir uns darauf beschränken müssen, hauptsächlich die ausgereiften Produkte der Gedankenarbeit Meinongs zum Vergleich mit Bühlers Sprachtheorie heranzuziehen, sei hier nur darauf hingewiesen, daß Meinong zur Zeit der Abfassung des Annahmenbuches nur den intellektuellen Erlebnissen (den Vorstellungen und den Gedanken) eigene intentionale Gegenstände (nämlich Objekte und Objektive) zuerkannt hat, hingegen den emotionalen Erlebnissen (den Gefühlen und den Begehrungen) keinerlei andere Gegenstände als die der sie begleitenden oder ihnen zugrunde liegenden intellektuellen Erlebnisse. Genauer: Meinong stand damals auf dem Standpunkt, “daß es einerseits Erlebnisse gibt, in deren Natur es liegt, dem Denken, wenn es nur irgendwie funktioniert, Gegenstände zu präsentieren, andererseits solche, bei denen dies nicht der Fall ist” 14 , und daß eben den emotionalen Erlebnissen zum Unterschied von den intellektuellen die Fähigkeit, dem Denken eigene Gegenstände zu präsentieren, abgeht. Dies führte zusammen mit der Erklärung, daß “ein Wort etwas bedeutet, sofern es ein präsentierendes Erlebnis ausdrückt, und der durch dieses präsentierte Gegenstand die Bedeutung ist” 15 , zur Aufstellung und Begründung der Behauptung, daß es zwar “keine Bedeutung ohne Ausdruck” gibt, daß aber, “was Ausdruck ist, darum noch durchaus nicht Josef Krug 90 Bedeutung haben muß” 16 . Insbesondere wird den “Ausdrücken für zunächst emotionale Erlebnisse, z.B. ‘ach’, ‘pfui’, ‘halloh’ u. dgl.” 17 lediglich Ausdruck zugebilligt und eine Bedeutung abgesprochen, “solange man von Bedeuten immer nur im nämlichen Sinne redet wie bisher”, d.h. im Sinne des Hinweisens auf einen dem Denken präsentierten Gegenstand und nicht etwa bloß von “Bedeutung im weiteren Sinne, wie sie dem Zeichen als solchem zukommt, und damit eine gewisse Wichtigkeit, Beachtungswürdigkeit oder wie man sonst sagen mag, eignen kann” 18 . Doch hat Meinong diese Behauptung vom Vorkommen bedeutungsloser Ausdrücke sogleich etwas modifiziert. Der Umstand, daß emotionale Erlebnisse, wenn sie auch dem Denken keinen eigenen Gegenstand präsentieren können, doch ebenso wie auch intellektuelle Erlebnisse sich selbst der inneren Wahrnehmung darbieten können, bringe es mit sich, daß “Ausdrücke, die von Haus aus bedeutungslos waren, sozusagen nachträglich auch Bedeutung gewinnen” 19 ; eine derartige Beziehung emotionaler Ausdrücke auf psychische, durch “ Einwärts Wendung” erfaßbare Tatbestände verleihe den primär bedeutungslosen Ausdrücken eine “sekundäre Bedeutung”. Diese “Fälle sekundären Bedeutens” stellt Meinong gegenüber den Fällen “sekundären Ausdrucks” 20 : Sagt jemand etwa “ich habe Kopfschmerz” 21 , so ist dieser Satz zunächst Ausdruck eines Urteilserlebnisses und hat einen bestimmten Sachverhalt zur Bedeutung; da aber “der die Bedeutung ausmachende Gegenstand dem Gebiete innerer Wahrnehmung angehört” und dem Satz “zugleich zu entnehmen ist, daß der Redende den Schmerz wirklich hat”, drückt der Satz auch ein Gefühl aus, “aber gleichsam auf einem Umwege und in diesem Sinne sekundär” 22 . Auf diese Weise gewinnt ein sprachliches Gebilde unter Umständen neben dem primären Ausdruck überdies noch einen sekundären Ausdruck. “Es erweist sich der sekundäre Ausdruck gleichsam auf eine Bedeutungstatsache gebaut” 23 , während - wie wir hinzufügen wollen - die sekundäre Bedeutung auf eine Ausdruckstatsache gebaut ist. Es liegt nahe, gerade aus den soeben vorgeführten Stellen des Annahmenbuches eine weitgehende Übereinstimmung der Auffassungen Meinongs mit denen Bühlers herauszulesen. Speziell die Fälle bedeutungslosen Ausdrückens wie “ach”, “pfui”, “halloh” u. dgl. erinnern sehr an die Fälle, die Bühler als “reine” Kundgabe oder als “reine” Auslösung (halloh), d.h. ohne Darstellung, bezeichnet hat. Leider müssen wir mit guten Gründen, wie sich später zeigen wird, einen solchen Schluß auf die Konkordanz Meinongs und Bühlers zunächst für vorschnell halten, selbst dann, wenn die Gültigkeit dieses Schlusses bloß für den damaligen Standpunkt Meinongs in Anspruch genommen wird. Die Einstellung, die Meinong den Sprachphänomenen gegenüber einnimmt, war schon damals eine andere als die Bühlers und hängt aufs innigste mit der Präsentationslehre Meinongs zusammen. In dem Maße, als sich diese Lehre von der Präsentation verändert oder vielmehr weitergebildet hat, verschiebt sich zwar der Standpunkt Meinongs, verbleibt aber trotzdem, wie aus unseren Ausführungen deutlich werden soll, gewissermaßen in derselben Ebene, während Bühler von Anfang an eine andere Stellung bezogen hat. Leider hat Meinong später nicht mehr eine Gelegenheit ergriffen, nochmals ausführlicher auf seine sprachtheoretischen Auffassungen, wie sie in seinem Annahmenbuche entwickelt worden sind, zurückzukommen und sie seiner späteren Entwicklung gemäß darzustellen. Für den Kenner der weitergebildeten Meinongschen Psychologie besteht kein Zweifel, daß er nach Abschluß seiner Abhandlung “Über emotionale Präsentation” 24 , in der er auch den emotionalen Erlebnissen die Fähigkeit zur Präsentation von spezifischen Gegenständen zuerkannt hat, mancherlei an seinen früheren Aufstellungen zu verbessern gewußt hätte. Man kann mit größter Wahrscheinlichkeit sagen, daß Meinong bei einer solchen Revision dem Satz “Keine Bedeutung ohne Ausdruck” einen Satz “Kein Ausdruck ohne Bedeutung” an die Zur Sprachtheorie 91 Seite gestellt hätte. Aber, wenn es auch zu bedauern ist, daß Meinong, mit anderen, hauptsächlich werttheoretischen Problemen beschäftigt, nirgends - von einer Stelle 25 in der “Emotionalen Präsentation” abgesehen - ausdrücklich die Konsequenzen seiner weitergebildeten Präsentationslehre für die Sprachpsychologie gezogen hat, so ist dafür die neue Präsentationslehre in den letzten Veröffentlichungen Meinongs so ausführlich dargestellt und bietet einen dermaßen übersichtlichen Aufbau, daß es nicht allzu schwer fällt, diese sprachtheoretischen Folgerungen im Sinne Meinongs zu ziehen und die vorliegenden, teils unvollständigen, teils überholten Ausführungen über “Ausdruck” und “Bedeutung” zu ergänzen und auf den neuesten Stand zu bringen. In der immerhin ein wenig mißlichen Lage, die Legitimität und Bündigkeit unserer nachfolgenden Darlegungen vorwiegend auf der persönlichen Einsicht in die innere Struktur der Meinongschen Psychologie letzter Fassung basiert zu sehen, vermag uns nur noch eine kurze Bemerkung in der Selbstdarstellung Meinongs 26 eine gewisse Stütze zu bieten. Es heißt da: “Jedes innere Erlebnis, mindestens jedes ausreichend elementare, hat einen … Gegenstand, und sofern das Erlebnis zum Ausdruck gelangt, also zunächst in den Wörtern und Sätzen der Sprache, steht solchem Ausdruck normalerweise eine Bedeutung gegenüber und diese ist jederzeit ein Gegenstand”. Ich glaube, diese Bemerkung Meinongs so interpretieren zu dürfen, daß Ausdruck und Bedeutung eines sprachlichen Gebildes ständig gekoppelt sind. Die gewissen Einschränkungen, welche der zitierte Satz der Deutung noch offen läßt, halte ich für unwesentlich, ja sogar für nur scheinbar; sie erklären sich in ungezwungener Weise daraus, daß in dem Zusammenhange dieser Stelle, die auf das Wesen der Gegenständlichkeit und auf die Unabhängigkeit der Gegenstände vom Psychischen abzielt, ein genaueres Eingehen auf Sprachphänomene nicht beabsichtigt ist. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß von Meinong selbst die Auswirkung seines letzten psychologischen Systems auf das speziell sprachliche Problem nicht in allen Einzelheiten verfolgt wurde und daß er sich daher hier mit einer mehr unverbindlichen Formulierung begnügt hat. Die Rechtfertigung unserer Behauptung, daß Ausdruck und Bedeutung im Sinne Meinongs stets miteinander gekoppelt sind und schon deshalb nicht ohne weiteres mit den Bühlerschen Begriffen Kundgabe und Darstellung für identisch gehalten werden dürfen, kann erst im Laufe weiter ausholender Überlegungen erbracht werden. Wir müssen zu diesem Zwecke Meinongs Lehre von der Präsentation und die damit verbundene Lehre vom Gegenstand, Inhalt und Akt psychischer Erlebnisse genauer betrachten. Eine Anknüpfung für die nun unerläßliche gedrängte Darstellung psychologischer Grundpositionen Meinongs 27 bietet die auf Franz Brentano zurückgehende und außer von Meinong auch von mehreren anderen Psychologen übernommene Charakterisierung des Psychischen durch das Merkmal der Intentionalität. In ausreichend allgemeiner Fassung des Begriffes der Intentionalität dürfte diese als Charakteristikum alles Psychischen in dem Sinne, daß jegliches aktuelle psychische Erlebnis irgendwie auf etwas gerichtet oder bezogen ist, das selbst außerhalb dieses aktuellen psychischen Erlebnisses liegt, kaum einem ernstlichen Widerspruch begegnen. Daß alles Psychische zwar einerseits im Ich wurzelt, aber andererseits über sich selbst hinauszielt, gewissermaßen eine Brücke vom Ich zum Nicht-Ich schlagend, dürfte letztlich auch den Grund für die Leistungsfähigkeit und Lebenswichtigkeit des Psychischen enthalten. Der Dissens beginnt erst, wenn versucht wird, den zunächst etwas farblosen Begriff der Intentionalität genauer zu umreißen, das Wesen dieses Bezogenseins alles Seelischen und das der Gegenstände, auf welche die einzelnen Arten seelischer Erlebnisse gerichtet sind, schärfer zu kennzeichnen. Es muß konstatiert werden, daß Meinong den Gedanken der Intentionalität oder Gegenstandsbezogenheit im Laufe seiner Entwicklung unablässig weitergebildet und mit beispielloser Konsequenz zu Ende gedacht hat. Josef Krug 92 Meinong war ursprünglich der Ansicht, daß unter den von ihm angenommenen vier Grundklassen seelischer Elementarerlebnisse (Vorstellen, Denken, Fühlen, Begehren) nur den Vorstellungen (den Wahrnehmungs- und Phantasievorstellungen) die Fähigkeit zukomme, Gegenstände direkt zu ergreifen, und daß die Vorstellungen die von ihnen ergriffenen Gegenstände den anderen psychischen Erlebnissen zu weiterer Stellungnahme oder Verarbeitung darbieten oder “präsentieren”, so daß den Denkerlebnissen, den Gefühlen und den Begehrungen nur eine indirekte oder vermittelte Gegenstandsbezogenheit eigne. In der damaligen Entwicklungsphase (etwa bis 1902) schrieb also Meinong den Gedanken, Gefühlen und Begehrungen zwar auch Gegenstände zu, aber - um schon jetzt eine spätere Terminologie 28 Meinongs zu gebrauchen - keine spezifischen Eigengegenstände, sondern nur angeeignete Gegenstände, eben die durch Vorstellungen präsentierten Gegenstände. Demzufolge seien auch die Gedanken, Gefühle und Begehrungen zwar eigenartige, aber unselbständige Erlebnisse, da sie alle der Vorstellungen als psychologischer Voraussetzungen bedürfen. An dieser Lehre, daß nur durch Vermittlung von Vorstellungen den anderen seelischen Erlebnissen, insbesondere auch dem denkenden Erfassen, Gegenstände präsentiert werden können und müssen, hat Meinong zuerst dadurch eine Modifikation vorgenommen, daß er für die innere Wahrnehmung, also für das denkende Erfassen des seelischen Geschehens selbst, eine gewisse Ausnahme gelten ließ; um innere Erlebnisse wahrzunehmen oder zu erinnern, wozu Urteilserlebnisse notwendig sind, bedürfe es nicht erst einer Vermittlung durch das Vorstellen dieser Erlebnisse, sondern die inneren Erlebnisse bieten sich durch “Einwärtswendung” der inneren Wahrnehmung selbst und als Ganzes dar. Zum Unterschiede von solchen Fällen von “Selbst- und Totalpräsentation des Psychischen” bezeichnete Meinong in späteren Zusammenfassungen 29 die den Vorstellungen zufallende Rolle, anderen Erlebnissen Gegenstände vermittels des “Vorstellungsinhalts” zu präsentieren, als “Fremd- und Partialpräsentation”. Das ausschließliche Vorrecht der Vorstellungen, anderen seelischen Erlebnissen gegenüber als Fremd- und Partialpräsentanten von Gegenständen zu fungieren, wurde zuerst erschüttert durch die Entdeckung, daß den Denkerlebnissen, als deren elementare Formen Meinong die Urteils- und Annahmeerlebnisse anführt, spezifische eigene Gegenstände entsprechen, die dem bloßen Vorstellen unzugänglich sind und daher auch nicht von diesem dem Denken präsentiert werden können. Vorstellungsgegenstände wie z.B. “Baum” oder “grüner Baum” mögen zwar den Urteilen “da ist ein Baum” bzw. “der Baum ist grün” zugrunde liegen, aber doch nur als entferntere oder angeeignete Gegenstände. Der Baum wird zwar beurteilt, aber nicht geurteilt. Die spezifischen Urteilsgegenstände in den vorliegenden Beispielen, also das, was geurteilt wird, sind vielmehr stets “Sachverhalte”, das Dasein (die Existenz) des Baumes oder ein bestimmtes Sosein (das Grünsein) desselben. Analoges liegt vor nicht nur bei den Ernsturteilen, in denen ein Sachverhalt (das Dasein, das Bestehen oder das Sosein eines Objektes) wirklich geglaubt wird, sondern auch bei den Phantasieurteilen, die von Meinong vorzugsweise mit dem Terminus “Annahmen” bezeichnet werden, in denen ein Sachverhalt bloß denkend betrachtet wird. Die Sachverhalte als die den Urteilen und Annahmen zukommenden Eigengegenstände wurden von Meinong zum Unterschiede von den Objekten, den Eigengegenständen der Vorstellungen, als “Objektive” benannt. Die Objektive sind zwar keine realen Gegenstände, keine Dinge, sondern “ideale Gegenstände höherer Ordnung”; sie werden aber durch das Denken nicht etwa erzeugt, sondern sind dem Denken vorgegeben, sie werden vom Denken vorgefunden und durch das Denken erfaßt. Dies gilt sogar für den Fall, daß die erfaßten Objektive untatsächliche Sachverhalte und daher die erfassenden Urteile falsch sind; doch rührt dies schon an Probleme, die nicht eigentlich Zur Sprachtheorie 93 die Psychologie, sondern die Erkenntnistheorie und Logik angehen. Für uns genügt es festzuhalten, daß nach der soeben kurz entwickelten Auffassung Meinongs außer den angeeigneten Vorstellungsgegenständen oder Objekten allen Denkerlebnissen noch Objektive als Eigengegenstände intentional gegenüberstehen, die sie nicht nur anderen, sich überlagernden Denkerlebnissen, sondern auch den Gefühlen und Begehrungen als anzueignende Gegenstände zu weiterer Stellungnahme präsentieren können und auch wirklich präsentieren. Gegenüber den intellektuellen Phänomenen des Vorstellens und Denkens behaupteten bei Meinong die emotionalen Phänomene des Fühlens und Begehrens längere Zeit noch ihre Sonderstellung, derzufolge ihnen die Fähigkeit, Eigengegenstände zu ergreifen und zu präsentieren, versagt blieb. Die besondere Subjektivität, die dieser Gattung von Erlebnissen, insbesondere den Gefühlen, nach allgemeiner Überzeugung anhaftet, schien es geradezu zu verbieten, den von Meinong betretenen Weg, jeder Sorte von Elementarerlebnissen als besondere Erfassungsmittel für spezifische Gegenstände aufzufassen, auch in das Gebiet des Emotionalen weiter zu verfolgen. Jeder, der die vorsichtig abwägende Art Meinongs zu philosophieren kennen gelernt hat, kann sich vorstellen, wie lange er gezaudert haben mag, etwa “dem Gefühle die Fähigkeit zuzutrauen, Dinge oder Geschehnisse nach ihren objektiven Eigenschaften zu charakterisieren” 30 , und daß ihn nur gewichtige Gründe veranlaßt haben konnten, auch diesen Schritt entgegen weitverbreiteter Vormeinung doch zu tun. Es kann hier nicht versucht werden, die in der Abhandlung “Über emotionale Präsentation” enthaltenen Gründe im einzelnen darzulegen und nachzuprüfen. Wir müssen uns fast ganz auf eine dürftige Aufzählung der hauptsächlichen Resultate beschränken. Die sehr beachtenswerte Abhandlung 31 weist auch den emotionalen Erlebnissen spezifische Eigengegenstände zu, die den intellektuellen Erlebnissen ursprünglich unzugänglich sind. Die intellektuelle Erfassung dieser emotionalen Eigengegenstände gelingt erst, wenn sie durch emotionale Phänomene dem Intellekt präsentiert werden. Die Eigengegenstände der Gefühle nennt Meinong “Dignitative”, die der Begehrungen “Desiderative”. Auch die Dignitative und Desiderative sind, wie die Objektive, ideale Gegenstände höherer Ordnung oder Superiora, die auf den durch intellektuelle Erlebnisse präsentierten und von den emotionalen Erlebnissen angeeigneten Gegenständen, den Objekten und Objektiven als Inferiora, fundiert sind; auch sie werden durch Erlebnisse nicht erzeugt, sondern vorgefunden, wenngleich nur “die berechtigten Emotionen” als wirkliche Erkenntnismittel der Erfassung tatsächlicher Dignitative und Desiderative dienen. Meinong zeigt des weiteren, wie sich von hier aus ein Zugang zu einer nicht-subjektivistischen Werttheorie eröffnet, worauf wir hier nicht einzugehen brauchen. Als Grundklassen der Dignitative nennt Meinong das Angenehme, das Schöne, das Wahre und das Gute nebst ihren Gegensätzen, als Grundklassen der Desiderative das Sollen und den Zweck (letzterer wird von Meinong auch als Für-Sollen bezeichnet und näher charakterisiert), ohne eine Gewähr für die Vollständigkeit dieser Klassen zu übernehmen. Nähere Angaben hierüber müssen wir uns hier, weil außerhalb des gestellten Themas liegend, versagen. Doch dürfte es sich für den vorliegenden Zweck einer ersten Kennzeichnung des neuen Standpunkts, zugleich aber auch als letzter, noch nicht behandelter Beitrag Meinongs zum Sprachproblem, empfehlen, auszugsweise eine der Ausgangsüberlegungen Meinongs wiederzugeben, die u.a. gerade auch darauf hinausläuft, an Adjektiven wie “schön”, “hässlich”, “angenehm” u. dgl. neben der Ausdrucksfunktion auch eine besondere Bedeutungsfunktion aufzuzeigen. Anknüpfend an die verbreitete Interpretation solcher Ausdrücke, daß sie lediglich der Reflexion auf unsere Gefühlserlebnisse entspringen, sagt Meinong 32 : “Demgegenüber erscheint nun aber die Frage unvermeidlich, wie es dann mit der so augenfälligen Analogie zwischen ‚der Himmel Josef Krug 94 ist schön’ und ‘der Himmel ist blau’ bewandt sei. Ab und zu begegnet man ja freilich der Meinung, daß, wer emporblickend den Himmel blau findet, damit ‚eigentlich’ sagen wolle, er habe eine Blauempfindung, die durch den Himmel verursacht werde. In der Regel pflegt man aber doch nicht zu verkennen, wie das auf Wahrnehmung gegründete, evtl. durch die Wahrnehmung ganz direkt ausgemachte Urteil weder von einem Erlebnis des Urteilenden, noch von einem Kausalnexus handelt, sondern eben vom Himmel und dessen Eigenschaft der Bläue. Und ist man darin unzweifelhaft im Rechte, dann wird eine Andersbehandlung des Satzes ‘der Himmel ist schön’ angesichts der Erfahrung ebenfalls nicht wohl angehen. In der Tat dürfte von einer Reflexion auf ein Gefühl auch hier meist nichts anzutreffen sein und vom Erfassen eines Kausalzusammenhanges ebensowenig. Dennoch wäre namentlich der letztere Tatbestand auffällig genug, daß sich nicht glauben läßt, er könne demjenigen entgehen, der mit einiger Aufmerksamkeit sich von seinen Erlebnissen Rechenschaft zu geben versucht. Die Parität ist nun aber leicht herzustellen, wenn man auch im Falle des Gefühles darauf verzichtet, ganz gegen die direkte Empirie den Gedanken an Kausalität und inneres Erlebnis zu interpolieren, dem Gefühle des Gefallens aber eine ähnliche Beziehung zum Gegenstande Himmel zuerkennt, wie die ist, die der Vorstellung ‘blau’ nach allgemeiner Meinung eignet. Im Sinne solcher Parität darf man also auch dem Gefühle die Eignung zutrauen, unter günstigen Umständen als Inhaltspräsentant von Gegenständen zu fungieren.” Nach Abweisung einiger Bedenken und einem kurzen Exkurs, in dem die “Gefühlsempfindungen” von C. Stumpf - ein in den Augen Meinongs mißglückter Versuch, die sinnlichen Gefühle den Empfindungen, also den einfachsten Wahrnehmungsvorstellungen im Sinne Meinongs und somit den von vornherein präsentationsfähigen intellektuellen Erlebnissen beizugesellen - immerhin als ein Zeugnis dafür in Anspruch genommen werden, “daß es den Gefühlen trotz ihrer Eigenart auch nicht an jeder Verwandtschaft mit intellektuellen Erlebnissen fehlt, ein quasi-intellektuelles Funktionieren derselben also nicht unter dem Gesichtspunkte völliger Verschiedenheit a limine abgelehnt werden müsste”, fährt Meinong fort: “Daß solcher Präsentation beim Fühlen der Charakter der Inhalts- oder Partialpräsentation nicht minder zukommt wie beim Vorstellen, versteht sich. Wer aber in betreff des Auftretens dieser Gefühlspräsentation, was ihre Häufigkeit anlangt, einen ersten Überschlag versuchen wollte, müßte noch einen Umstand ausdrücklich in Rechnung ziehen. Um die Tatsache einer Inhaltspräsentation beim Gefühle glaublich zu machen, dazu war ein sprachliches Paradigma wie ‘schön’ um vieles günstiger als z.B. ein Paradigma wie ‘wohlgefällig’, weil die Bedeutung dieses Wortes ausdrücklich auf das Gefühlserlebnis des ‘Wohlgefallens’ Bezug nimmt und dadurch die oben abgelehnte Kausalauffassung um vieles näher legt, als dies beim Worte ‘schön’ der Fall ist. Nun ist aber klar, daß, wenn einmal die Präsentationsauffassung für gewisse ausnehmend deutliche Fälle sichergestellt ist, sie mindestens als Eventualität auch für Fälle in Betracht kommt, wo die Kausalauffassung etymologisch nähergelegt sein mag. Das wird besonders durch Worte beleuchtet, bei denen die auf Kausalität hinweisende Etymologie zwar noch leicht erkennbar ist, ohne sich darum dem Sprachgefühle eigentlich noch aufzudrängen. Den Gegensatz zu ‘schön’ pflegt ‚häßlich’ auszudrücken, und etymologisch wird dies doch wohl Ähnliches wie etwa ‘hassenswert’ zu bedeuten haben, sonach etwas bezeichnen sollen, sofern es unseren Haß oder wenigstens unser Mißfallen wachruft. Dennoch kann jeder aus seiner Erfahrung bestätigen, daß er bei ‘häßlich’ normalerweise so wenig an sein Erleben (sein ‘Hassen’ od. dgl.), dagegen ebenso ausschließlich an eine Eigenschaft des Gegenstandes denkt wie bei ‘schön’. - Die Sachlage ist im allgemeinen nicht schwer zu übersehen, wenn man … an einem Worte (resp. Satze) das, was es ausdrückt, also den Ausdruck, von dem, was es bedeutet, also der Bedeutung unterscheidet. Das in diesem Sinne Ausgedrückte ist ein Erlebnis, die Bedeutung ein Gegenstand. Fragt man, was eigentlich das Wort mit dem seine Bedeutung ausmachenden Gegenstande verbinde, so ergibt sich dort, wo das Wort eine Vorstellung ausdrückt, die einfache Antwort: Da die natürliche Funktion einer Vorstellung darin besteht, dem Erfassen eines ihr vermöge ihres Inhaltes zugeordneten Gegenstandes zu dienen, so schließt sich unter Vermittlung dieser Vorstellung das Wort, das sie ausdrückt, mit dem Gegenstande, den sie erfassen hilft, als mit seiner Bedeutung zusammen. Daß dann eine Bedeutung auch Zur Sprachtheorie 95 solchen Wörtern nicht fehlt, die, wie etwa ‘Lust’, ‘Schmerz’, Erlebnisse ausdrücken, die von Natur nicht einfach als Hilfsmittel für intellektuelle Operationen betrachtet werden können, das ist wohl darauf zurückzuführen, daß sie doch jedenfalls der Selbst- und Fremdpräsentation als Totalpräsentanten dienen, nur daß da für ein gegebenes Wort Ausdruck und Bedeutung leicht zusammenfallen können. Wenn nun aber ein so ausdrückbares Erlebnis einmal ausnahmsweise auch als Partialpräsentant funktioniert, so läßt sich verstehen, daß eine solche Ausnahmsleistung dem betreffenden Worte durchaus nicht jedesmal auch zu einer neuen Bedeutung verhelfen muß. Man wird darum aber auch nicht aus dem Mangel an einer festen Bedeutung dieser Art darauf schließen dürfen, daß das betreffende Erlebnis sich nicht ganz wohl auch als Partialpräsentant betätigen könne. Daraufhin können so ziemlich alle der oben 33 aufgezählten Gefühlsausdrücke, und nicht minder noch viele andere, auf Gefühlspräsentation gedeutet werden, wo der sonstige Aspekt den Kausalgedanken und die Reflexion auf innere Erlebnisse unwahrscheinlich macht.” - Einiges an dieser Stelle, die in der Abhandlung leider die einzige ist, in der Meinong bei Sprachlichem etwas verweilt, und die im Rahmen des Ganzen doch nur eine vorbereitende Rolle spielt, wird später (S. 243ff.) noch zu besprechen sein. Die im vorstehenden skizzierte, spätere Fassung der Präsentationslehre Meinongs verlangt zu ihrer Ergänzung mindestens noch eine rasche Bezugnahme auf das von Meinong oft und eingehend behandelte Problem der Unterscheidung von Akt, Inhalt und Gegenstand eines psychischen Erlebnisses. Da der Gegenstand zwar den Richtpunkt des Erlebnisses abgibt, nicht aber eigentlich dem Erlebnis selbst angehört - schon aus dem einfachen Grunde, da er, von Fällen der inneren Wahrnehmung abgesehen, gar nichts Psychisches ist -, so erhebt sich zunächst die Frage, was ihm als realer psychischer Bestandteil im Erlebnis entspricht und ihn daselbst gleichsam vertritt. Diese Rolle spielt nach Meinong der Erlebnisinhalt. Ob das Verhältnis zwischen Inhalt und Gegenstand als eine Art Abbildung, vergleichbar etwa dem Verhältnis einer Photographie zu deren Originalgegenstand, oder als bloße Zuordnung aufzufassen ist, darüber hat sich Meinong nicht näher ausgesprochen. Eine Verständigung über den Inhalt eines Erlebnisses kann nur vermittels des dem Inhalt entsprechenden Gegenstandes erfolgen. Wichtig ist, daß der Inhalt als Präsentant der Gegenstände, und zwar als Fremd- und Partialpräsentant derselben, fungiert. Der Inhalt ändert sich, bzw. bleibt konstant, wenn der entsprechende Gegenstand sich ändert, bzw. konstant bleibt. Da es aber auch vorkommt, daß sich verschiedene psychische Erlebnisse demselben Gegenstand zuwenden - so z.B. wenn dasselbe Objekt zuerst in einer Wahrnehmungsvorstellung und hernach in einer Phantasievorstellung erfaßt wird, oder wenn dasselbe Objektiv das eine Mal geurteilt und das andere Mal nur beannahmt wird -, muß sich im realpsychischen Geschehen der Erlebnisse neben dem Inhalt noch ein zweiter Bestandteil auffinden lassen, dessen Veränderungen für die verschiedenen Arten der Erlebnisse bei gleichem Gegenstand und entsprechend gleichem Inhalt charakteristisch sind. Als dieser zweite Erlebnisbestandteil gilt bei Meinong der Akt. Doch sind Akt und Inhalt eines Erlebnisses keine real abtrennbaren Teile desselben, sondern nur unterscheidbare Seiten, da es ja weder einen psychischen Akt ohne Inhalt noch einen Inhalt ohne Akt gibt 34 . Neben der generischen Aktverschiedenheit, wie sie den vier einzelnen Grundklassen von Elementarerlebnissen schon im Hinblick auf ihre spezifische Eigenständlichkeit eigen ist und die nur noch durch die vorwiegende Aktivität oder Passivität der betreffenden Erlebnisart zu kennzeichnen ist, hat Meinong noch eine durchgreifende Aktverschiedenheit insofern angenommen, als innerhalb jeder der vier Erlebnisklassen noch ein Unterschied zwischen Ernst- und Phantasieerlebnissen besteht. Unter diesem Gesichtspunkt hat Meinong nicht nur die Reproduktionen und Kombinationen von Wahrnehmungsvorstellungen als Phantasievorstellungen den Wahrnehmungsvorstellungen als Ernstvorstellungen, sondern auch die Annahmen als Phantasieurteile den Ernstur- Josef Krug 96 teilen und analog die Phantasiegefühle und Phantasiebegehrungen den Ernstgefühlen und Ernstbegehrungen gegenübergestellt; erinnerte und vorgestellte Gefühle und Begehrungen sind keine Vorstellungen von emotionalen Erlebnissen, sondern eigenartige Erlebnisse emotionaler Natur. Als zusammenfassende Übersicht über die Klassifikation psychischer Elementarphänomene ergibt sich aus den letzten Veröffentlichungen Meinongs folgende 35 : Elementare Erlebnisse: intellektuelle emotionale passiv Vorstellungen aktiv Gedanken passiv Gefühle aktiv Begehrungen im Akt unterscheiden sich: Ernsterlebnisse Wahrnehmungsvorstellungen (Empfindungen und Empfindungskomplexe) Urteile (Gewißheits- und Vermutungsurteile) Ernstgefühle Ernstbegehrungen (Wollen und Wünschen) Phantasieerlebnisse Phantasievorstellungen Annahmen Phantasiegefühle Phantasiebegehrungen den Erlebnisinhalten entsprechen als Eigengegenstände: Objekte Objektive Dignitative Desiderative Es ist hier nicht der Ort, zum Wahrheitsgehalt der Meinongschen Psychologie kritische Stellung zu nehmen, noch weniger, der Verflechtung dieser Psychologie mit dem philosophischen System Meinongs, das von ihm selbst gelegentlich als “Objektivismus” 36 bezeichnet worden ist, nachzugehen oder dessen Verwurzelung in der Persönlichkeit seines Schöpfers aufzuzeigen, dessen gesamtes Lebenswerk als ein unermüdlicher Kampf gegen die Hydra des Psychologismus, Subjektivismus und Relativismus angesehen werden kann. Der Auszug aus Meinongs Psychologie, in dem begreiflicherweise viele Einzelheiten unterdrückt werden mußten, soll lediglich den Leser, wenn er uns so weit gefolgt ist, instand setzen, auf Grund dieser Überschau selbst zu urteilen, was Meinong schließlich, d.h. in der letzten Phase seiner Entwicklung, mit den Begriffen “Ausdruck” und “Bedeutung” bei sprachlichen Gebilden und über das wechselseitige Verhältnis beider Begriffe gemeint haben mag. Hiermit sind wir zum Kernpunkt unseres Themas vorgedrungen, zu dessen Erledigung es nur noch notwendig ist, die Konsequenzen aus dem vorgelegten Material zu ziehen. Den Satz “Keine Bedeutung ohne Ausdruck”, genauer: “Ein sprachliches Gebilde, das Bedeutung hat, muß zugleich auch Ausdruck eines inneren Erlebnisses sein”, der sich schon in dem Annahmenbuche findet, hat Meinong später nirgends zurückgenommen oder abgeändert, weshalb wir zunächst bei ihm nicht zu verweilen brauchen. Es sei nur noch darauf hingewiesen, daß Meinong ausdrücklich 37 gegenüber nominalistischer Auffassung auch für die Bedeutungen von Begriffswörtern Begriffserlebnisse reklamiert hat, trotz der wenig prägnanten und der inneren Wahrnehmung schwer zugänglichen, von Meinong als “schattenhaft” bezeichneten Natur dieser psychischen Vorgänge; der Begriffsgegenstand als Zur Sprachtheorie 97 Wortbedeutung ist zumeist ein “unvollständiger” und darum unanschaulicher Gegenstand, bei dessen Erfassung die Mitwirkung von Annahmen als Präsentanten unerläßlich ist. Wie steht es aber mit den “Ausdrücken ohne Bedeutung”, deren Vorkommen Meinong früher behauptet hat? Etwa mit den “bedeutungslosen” Interjektionen, wie “ach”, “pfui”, “halloh” u. dgl.? Wir erinnern uns, daß Meinong diesen Ausdrücken deshalb die Bedeutungsfunktion aberkannt hat, weil sie emotionalen Erlebnissen entspringen, denen außer den schon durch die begleitenden Vorstellungen und Gedanken präsentierten Gegenständen keine Eigengegenstände entsprechen und die nur durch eine gewisse innere Zuständlichkeit über ihre Voraussetzungserlebnisse hinausragen. Mit der späteren Korrektur dieser Ansicht entfällt auch das Hindernis, den in Rede stehenden Interjektionen auch eine Bedeutung, und zwar eine primäre Bedeutung im Meinongschen Sinne zuzuschreiben. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Meinong für sich auch diese Folgerung gezogen hat oder wenigstens gezogen hätte, wenn er darauf aufmerksam geworden wäre. Die Bedeutung dieser Interjektionen ist völlig ebenbürtig der sonst angenommenen primären Bedeutung von Ausdrücken für intellektuelle Erlebnisse. In der Tat entsprechen den emotionalen Erlebnissen, die in Wörtern wie “ach” und “pfui” ihren adäquaten Ausdruck finden, nach der endgültigen Auffassung Meinongs bestimmte Dignitative, und zwar bei “ach” wahrscheinlich ein hedonisches Dignitativ der Reihe “angenehm - unangenehm”, bei “pfui” entweder ein solches oder ein ethisches Dignitativ der Reihe “gut - schlecht”. Bei “halloh” als Ausdruck eines Begehrungserlebnisses kommt ein bestimmtes Sollen, etwa das Hören-Sollen, das Stehenbleiben-Sollen oder das Aufmerken-Sollen des Angerufenen, als erfaßtes Desiderativ in Betracht. Es erübrigt aber noch, eines Falles besonders zu gedenken, den Meinong öfters 38 in Betracht gezogen, aber kaum bis in seine letzten Auswirkungen auf seine Deutung der Sprachphänomene verfolgt hat. Dieser Fall liegt vor, wenn ein emotionales Erlebnis zum Ausdruck gelangt, das sich gegenüber dem Bewußtsein doch nicht als Partialpräsentant seines Eigengegenstandes betätigt. Hierzu ist zunächst als Nachtrag zu unserem Bericht über Meinongs Psychologie zu bemerken, daß nach den Anschauungen Meinongs über emotionale Präsentation für emotionale Erlebnisse zwar die Möglichkeit gesichert ist, als Präsentanten ihrer Eigengegenstände zu fungieren, aber keineswegs auch die Notwendigkeit besteht, immer als solche fungieren zu müssen. Mit anderen Worten: es kommt vor, daß der spezifische Gegenstand eines Gefühles oder einer Begehrung dem Bewußtsein doch nicht präsentiert wird, oder daß etwa diese Präsentation unbeachtet bleibt und sonstwie von ihr kein Gebrauch gemacht wird. Im Hinblick auf diese nicht seltene Eventualität bestehe die schlechte Meinung, die man gemeinhin von der minderen Leistungsfähigkeit der Gefühle und Begehrungen als Erfassungs- und Erkenntnismittel gegenüber den intellektuellen Phänomenen hat, gewissermaßen zu Recht. Sagt jemand z B., er freue sich, betrübe sich über dies oder er wolle jenes, so treten die Eigengegenstände der betreffenden Emotionen oft gegenüber den angeeigneten Gegenständen ganz zurück und außer diesen bleibt nur noch die innere Zuständlichkeit des Subjektes etwa als Aktqualität im Blickpunkt des Bewußtseins. Es ist vielleicht sogar nicht ausgeschlossen, daß unter Umständen ein Satz wie “dieses Bild ist schön” doch nichts anderes besagen soll als “dieses Bild gefällt mir”, daß also echte, nicht nur vermeintliche Synonymie beider Sätze vorliegt, wenngleich Meinong in diesem von uns fingierten Beispiel den Satz “dieses Bild ist schön” schwerlich als adäquaten Ausdruck für ein nicht-fremdpräsentierendes Erlebnis angesehen hätte. Dieser Tatbestand liegt im wesentlichen auch schon bei einzelnen Wörtern vor, wenn z.B. jemand in irgendwelchem Zusammenhang von seiner “Lust”, seinem “Schmerz”, seinem “Wunsch” u. dgl. spricht. In allen diesen angedeuteten Fällen, in denen die emotionalen Erlebnisse nicht als Präsentanten außerpsy- Josef Krug 98 chischer Gegenstände auftreten, sondern sich selbst als Ganzes der inneren Wahrnehmung darbieten (Selbst- und Totalpräsentation), hätte Meinong früher den betreffenden sprachlichen Gebilden nur eine sekundäre, d.h. eine auf dem Ausdruck sich gründende, Bedeutung zugesprochen. Wie aus der oben (S. 239) zitierten Stelle 39 hervorgeht, hat Meinong diesen Standpunkt später schon insofern etwas abgeändert, als er nun sagt, daß in solchen Fällen “Ausdruck und Bedeutung leicht zusammenfallen können”. Wir können aber selbst dies nicht für ein letztes und unwiderrufliches Wort hinnehmen, wenn wir dagegenhalten, was Meinong bei anderen Gelegenheiten über Selbstpräsentation des Psychischen und über innere Wahrnehmung 40 ausgemacht hat. Die Wahrnehmungserlebnisse, in denen eine innere Wirklichkeit erfaßt wird, sind im wesentlichen Urteilserlebnisse, die einen seelischen Sachverhalt zum Gegenstande haben und die sich von den Erlebnissen der äußeren Wahrnehmung hauptsächlich dadurch unterscheiden, daß sie nicht wie diese auf präsentierende Vorstellungen von äußeren Objekten angewiesen sind, sondern sich den selbstpräsentierenden seelischen Erlebnissen direkt zuwenden können. Aber die Erfassungserlebnisse der inneren Wahrnehmung sind mit den erfaßten psychischen Sachverhalten nicht identisch, sie sind sogar nach Meinong nur in einem praktisch außer Betracht bleibenden Grenzfall gleichzeitig. Wenn nun dem so ist, so ist nicht einzusehen, daß in einem Satz wie “ich bin traurig” Ausdruck und Bedeutung zusammenfallen sollen. Dieser Satz drückt doch ein Urteil (ein Urteil der inneren Wahrnehmung) aus und bedeutet den von diesem Urteil erfaßten (psychischen) Sachverhalt. Spricht jemand von seiner “Lust”, so drückt auch hier konsequenterweise das Wort “Lust” das Erfassungserlebnis (das keineswegs “lustig” ist) aus, während es die erfaßte Lust bedeutet. Daß es hier den emotionalen Erlebnissen, wenn sie sich der inneren Wahrnehmung selbst präsentieren, nicht anders ergeht wie den intellektuellen, ist klar; Sätze wie z.B. “ich denke”, “ich bin überzeugt”, “ich zweifle” u. dgl. oder Wortverbindungen wie etwa “meine Vorstellung”, “meine Vermutung” u. dgl. drücken ebenfalls erfassende Erlebnisse aus und bedeuten die erfaßten Erlebnisse, aber diese beiden Erlebnisse sind nicht identisch, selbst wenn sie beide intellektueller Wesenheit sind. Daß vollends Begriffswörter, wie “Lust” (schlechtweg, ohne Rücksicht auf ein konkretes Erlebnis) oder “Wunsch”, nicht anders dastehen wie “Baum” oder “Würfel”, daß sie Begriffserlebnisse ausdrücken und den Begriffsgegenstand bedeuten, darüber kann doch wohl kein Zweifel sein; freilich auch, daß solche Begriffswörter, wenn sie in einem konkreten Fall von fremdpräsentierender Emotion Anwendung finden, nicht ohne weiteres schon in ihrer neuen speziellen Bedeutung verstanden werden müssen 41 . Da Meinong unbewußte psychische Erlebnisse nirgends in den Kreis seiner Betrachtung gezogen hat, so ergibt sich als Zusammenfassung folgendes. Ein bewußtes Erlebnis ist entweder ein Erlebnis, das einen außerhalb seiner selbst liegenden Gegenstand dem Bewußtsein präsentiert, oder eines, das sich selbst dem Bewußtsein in der inneren Wahrnehmung präsentiert. Im ersteren Falle ist das sprachliche Gebilde Ausdruck des präsentierenden Erlebnisses und hat den präsentierten Gegenstand zur Bedeutung; im letzteren Falle bringt das sprachliche Gebilde das innere Wahrnehmungserlebnis zum Ausdruck und hat den wahrgenommenen seelischen Tatbestand zu seiner Bedeutung. Da nach Meinong jedem seelischen Erlebnis ein Gegenstand zukommt und da kein seelisches Erlebnis sich selbst zum Gegenstand haben kann, so muß bei einem sprachlichen Gebilde, wenn es Ausdruck eines Erlebnisses ist, diesem Ausdruck auch eine Bedeutung zur Seite stehen und es muß auch Ausdruck und Bedeutung voneinander verschieden sein. Wir folgern also aus der Meinongschen Lehre, wenn sie konsequent zu Ende gedacht wird, auch den Satz “Kein Ausdruck ohne Bedeutung”. - Es sei noch bemerkt, daß man auf diesen Satz auch geführt wird, wenn Zur Sprachtheorie 99 man von der Umkehrung “Keine Bedeutung ohne Ausdruck” ausgeht, die Meinong selbst ausdrücklich zugestanden hat. Da sich nämlich unschwer zeigen läßt, daß allen von Meinong seinerzeit angeführten “bedeutungslosen Ausdrücken” doch eine gegenständliche Bedeutung, zum mindesten ein psychischer Sachverhalt als Bedeutung zukommt - und psychische Sachverhalte fallen doch auch in den Bereich der Meinongschen Gegenstände - und die so aufgezeigte Bedeutung nach dem Zugeständnis Meinongs nicht ohne Ausdruck vorkommen kann, so erweist sich auch bei den Wörtern und Sätzen, die das Vorkommen von Ausdruck ohne Bedeutung hätten belegen sollen, Ausdruck und Bedeutung als miteinander gekoppelt. Kurz, man mag die Sache drehen und wenden, wie man will, man gelangt zu dem Resultat, daß es keine Bedeutung ohne Ausdruck und keinen Ausdruck ohne Bedeutung gibt, oder kürzer: Ausdruck und Bedeutung eines sprachlichen Zeichens sind nach der Lehre Meinongs korrelativ. Diese Korrelation geht letzten Endes zurück auf die Korrelation zwischen psychischem Erlebnis (Akt + Inhalt) und seinem intentionalen Gegenstand. Das sprachliche Gebilde bringt das psychische Erlebnis zum Ausdruck und bedeutet den von diesem psychischen Erlebnis erfaßten Gegenstand. Die Meinongsche Auffassung von der doppelten Funktion sprachlicher Gebilde läßt sich in folgendem Schema festhalten. Indem wir nochmals feststellen, daß wir es hier nicht als unsere Aufgabe betrachten können, den Wahrheitsgehalt der Meinongschen Psychologie zu überprüfen, und daß wir nur durch Vereinigung und folgerichtigen Ausbau einzelner Meinongscher Thesen zu dem oben angegebenen Resultat gekommen sind, gehen wir nun daran, einige Folgerungen abzuleiten, wobei wir selbst gleich zugeben wollen, daß diese Folgerungen wohl manchem auf den ersten Blick recht befremdlich erscheinen können. Zunächst ist klar, daß ein Satz wie “Kein Ausdruck ohne Bedeutung” oder “Was Ausdruck ist, muß auch Bedeutung haben”, wiewohl er vorerst nur auf sprachlichen Ausdruck bezogen wurde, nicht leicht nur auf Sprachliches wird beschränkt bleiben können. Kommt ein inneres Erlebnis irgendwie anders als sprachlich zum Ausdruck, so wird dieses Geschehen, sofern es eben ein inneres Erlebnis - das immer auf einen Gegenstand bezogen ist - zum Ausdruck bringt, diese Gegenstandsbezogenheit als gegenständliche Bedeutung irgendwie mit übernehmen müssen. In der Tat dürfte die gegenständliche Deutung von “Ausdrucksbewegungen” (im weiteren Sinne) keinen ernstlichen Schwierigkeiten begegnen. Nicht nur hinweisende und nachahmende Gebärden, auch schon Mienen und Gesten des Behagens, des Erstaunens, des Abscheus, des Erschreckens usw. drücken einerseits innere Erlebnisse aus und weisen andererseits auf den Gegenstand dieses Erlebnisses hin; das vergnügte Gesicht bedeutet etwas Angenehmes und zwar etwas Bestimmtes, der hinweisende Finger bedeutet “Hier ist es”, das Kopfnicken bedeutet “Ich bin einverstanden”, die heranwinkende Gebärde bedeutet “Du sollst herkommen”, usw. Aber wir brauchen nicht beim Menschen Halt machen, sondern können noch weiter gehen. Wenn das Josef Krug 100 Seelenleben der Tiere dem des Menschen auch nur einigermaßen verwandt und ähnlich ist, so müssen wir dem seelischen Geschehen im Tier doch wohl auch das Hauptmerkmal des Psychischen, seine Intentionalität oder Gegenstandsbezogenheit, zugestehen. Ich glaube nicht, daß Meinong sich dagegen verwahrt hätte, obwohl er sich darüber nicht geäußert hat. So dürfte denn auch nichts im Wege stehen, den tierischen Lautgebärden (dem Warnungspfiff des Wächters in einer Tierhorde, dem Lockruf der Henne usw. bis herab zum Quaken des Frosches), aber auch den anderen semantischen Einrichtungen im Tierreich (etwa den Werbetänzen der Bienen, den Trillerbewegungen der Ameisenfühler usw.) neben ihrem Ausdruck auch eine Bedeutung im Sinne Meinongs zuzusprechen, auch dann, wenn wir ihre Bedeutung nicht kennen. Durch diese Interpretation rückt die Meinongsche Auffassung in die Nähe der allgemeinen Theorie der Ausdrucksbewegungen von Wundt, der zufolge die Lautsprache nur einen Sektor im Gebiet der gesamten Ausdrucksbewegungen bildet. Doch darf die Ähnlichkeit wieder nicht als zu groß veranschlagt werden. In Wundts Darstellung der Sprachentstehung und Sprachentwicklung tritt die Bedeutungsfunktion der Sprachzeichen spät und wie ein Deus ex machina (beim menschlichen Aussagesatz 42 ) auf, woraus man auch bei wohlmeinender Auslegung nicht leicht schließen kann, daß Wundt die notwendige Verbundenheit von Ausdruck und Bedeutung für selbstverständlich gehalten hat. Auch dürfte “das Parallelenaxiom von der durchgehenden Bindung wahrnehmbarer Körperbewegungen an alle seelischen Regungen” 43 , das Bühler als eine unbewiesene und unfruchtbare Hypothese ablehnt, kaum die Zustimmung Meinongs gefunden haben. Die Formulierung “Jedes innere Erlebnis, sofern es zum Ausdruck gelangt …” 44 , läßt doch auf die Ansicht Meinongs schließen, daß ein inneres Erlebnis zum Ausdruck gelangen kann, aber nicht muß. Zur weiteren Verdeutlichung des Wesens der Meinongschen Begriffe “Ausdruck” und “Bedeutung” sei folgende Fiktion erlaubt. Wir denken uns einen Menschen, der bei einigen bestimmten seelischen Erlebnissen E 1 , E 2 , … E n , die auf entsprechende Gegenstände G 1 , G 2 , … G n bezogen sind, absichtlich bestimmte Bewegungen B 1 , B 2 , … B n ausführt, die sonst gar keinen Zweck haben, als höchstens eben den, die betreffenden Erlebnisse auszudrücken. Es sei auch niemand da, der diese Bewegungen verstände; wenigstens zu Anfang nicht, bevor also der Schlüssel für diese Zuordnung von Erlebnissen und Bewegungen vom Zeichengeber verraten wird oder etwa durch behavioristische Einstellung entdeckt wird. Es muß übrigens die Zuordnung keine eindeutige sein; es können dabei auch “Äquivokationen” (gleiche Bewegungen bei verschiedenen Erlebnissen) und “Synonymien” (verschiedene Bewegungen bei gleichen Erlebnissen) vorkommen. Auch auf die Absichtlichkeit und Willkürlichkeit dieser Zuordnung könnten wir noch verzichten, wenn wir uns ein entsprechend organisiertes Lebewesen denken, das von seinen Artgenossen nicht verstanden wird. Selbst unter solchen Umständen würde eine Bewegung B i Ausdruck des Erlebnisses E i sein und den Gegenstand G i bedeuten. Was wir damit sagen wollen, ist, daß die Meinongschen Begriffe “Ausdruck” und “Bedeutung” auch dann noch nichts an ihrem Wesen einbüßen, wenn ein solches Tripel E i , G i , B i aus dem natürlichen Zusammenhang, in dem es sonst steht, herausgelöst und für sich betrachtet wird, wenn nur die spezifischen Bindungen zwischen E i und G i einerseits und E i und B i andererseits aufrecht bleiben. Jedenfalls gehört ein verstehendes Auffassen der Ausdrucksbewegung als Anzeichens eines bestimmten Erlebnisses oder die Erfassung ihrer gegenständlichen Bedeutung nicht zu den Wesensmerkmalen der Begriffe “Ausdruck” und “Bedeutung”. Ein Lebewesen könnte auch Ausdrucksbewegungen mit gegenständlicher Bedeutung haben, wenn es keine Resonanz fände. Zur Sprachtheorie 101 Dieses auf den ersten Blick wohl überraschend anmutende Ergebnis läßt aber gerade das erkennen, worauf es uns schließlich ankommt. Die Begriffe “Ausdruck” und “Bedeutung” entspringen einer ganz bestimmten psychologischen Grundeinstellung. Es ist die introspektive Einstellung, die Einstellung auf das seelische Erlebnis; noch genauer: innerhalb dieser eine vorwiegend analytische oder, wie ich sagen möchte, statisch-phänomenologische Betrachtungsweise seelischer Erlebnisse. Daß man durch sie zu richtigen und wichtigen Erkenntnissen gelangen kann, darüber kann kein Zweifel bestehen. Und man wird auch die Unterscheidung von Ausdruck und Bedeutung bei sprachlichen Gebilden zu ihnen rechnen dürfen. Doch kann man durch diese Einstellung allein dem Phänomen der Sprache nicht in allen seinen Belangen gerecht werden. Meinong hat dies wohl selbst gefühlt und ist bei seinen sprachtheoretischen Überlegungen mitunter dem von ihm bevorzugten Standpunkt untreu geworden, ohne sich darüber auch Rechenschaft abzulegen. Was ihn vielleicht gehindert haben mag, seine sprachtheoretischen Ansätze konsequent zu Ende zu führen, mag außer in seiner Inanspruchnahme durch andere Probleme auch daran liegen, daß ihm unbemerkt zumal in seinen ersten Aufstellungen verschiedene Gesichtspunkte durcheinander gerieten. Es ergaben sich so einige Interferenzerscheinungen. Zu diesen rechne ich außer den “bedeutungslosen Ausdrücken” vor allem auch seine Bemerkungen über das Verstehen sprachlicher Zeichen. Von den drei psychologischen Aspekten Bühlers 45 , unter denen man sich den sprachlichen Erscheinungen zuwenden kann, ist es in überwiegendem Ausmaß der Erlebnisaspekt gewesen, der Meinong vorschwebte. Der geisteswissenschaftliche Aspekt, die Betrachtung von den Gegenständen her, so sehr sie auch von Meinong in seiner übrigen Psychologie angestrebt wird, kommt gerade bei seiner Untersuchung der Sprache nicht eigentlich zur Auswertung. Es wird lediglich die gegenständliche Bedeutung sprachlicher Gebilde hervorgehoben und von deren Ausdrucksfunktion geschieden, unter Hinweis auf die Tatsache, daß eben allen psychischen Erlebnissen ein intentionaler Gegenstand entspricht 46 . Aber nicht nur die Bedeutungsfunktion, sondern auch die Ausdrucksfunktion der Sprache wird nicht aus ihrer Verbindung mit den inneren Erlebnissen losgelöst und auf ihre besonderen Leistungen hin untersucht. Meinong sagt zwar an einer Stelle 47 , es sei “nicht frei von aller Gewaltsamkeit, zur ‘psychischen Umgebung’ eines inneren Erlebnisses auch dessen sprachlichen Ausdruck zu zählen”; aber er behandelt die Sprache doch vorzugsweise unter diesem Gesichtspunkt, als ob sie nur eine “Umgebung” der Erlebnisse, eine Begleiterscheinung, ein Anhängsel, oder, wie man auch sagen könnte, ein Sekundär- oder Epiphänomen der inneren Erlebnisse wäre. Daß die Sprache auch besonderen Zwecken dient, wird kaum irgendwo zu einem leitenden Gesichtspunkt. Meinong sagt einmal geradezu 48 : “Ob der Redende seine Gedanken auch ausdrücken will oder gar wider seinen Willen verrät, ob schließlich wirklich jemand da ist, der von dem, was die Worte erkennen lassen, auch wirklich Kenntnis nimmt, das sind Details, die hier ohne Schaden außer Betracht bleiben können”. Nur ein einziges Mal bricht der Gedanke an die Leistungen der Sprache durch, in einem Kapitel, in dem Meinong “das Verstehen bei Wort und Satz” 49 behandelt. Hier betrachtet er die Sprache “statt vom Standpunkte des Redenden nun auch vom Standpunkte des Hörenden aus”, als “Verständigungsmittel”. Dieser Verstoß gegen die Stilreinheit, wie man fast zu sagen versucht ist, erweist sich auch sofort als fruchtbar. Meinong erkennt sofort, daß das Verhältnis von sprachlichem Gebilde und ausgedrücktem Erlebnis einerseits, zwischen sprachlichem Gebilde und bedeutetem Gegenstand andererseits in seiner Wirkung auf den Hörer und dementsprechend das Verstehen von Ausdruck und von Bedeutung nicht auf gleicher Stufe stehen. Da das sprachliche Zeichen mit dem ausgedrückten Erlebnis in realer Josef Krug 102 Verknüpfung steht, kann der Hörer aus dem Bemerken des sprachlichen Zeichens auf das Stattfinden eines mit ihm verknüpften Erlebnisses im Sprecher schließen. Das Sprachzeichen wird beim Verstehen von dessen Ausdruck als Anzeichen oder als Symptom eines psychischen Erlebnisses gedeutet. Das Bemerken eines bestimmten Zeichens fungiert als Erkenntnisgrund für die Erfassung des Daseins eines bestimmten Erlebnisses als Erkenntnisfolge. Daß hingegen die gegenständliche Bedeutung eines sprachlichen Gebildes auf andere Weise und ganz direkt erfaßt wird, ohne daß immer erst ein Umweg über das Verstehen des Ausdruckes eingeschlagen werden müßte, wird von Meinong ausdrücklich hervorgehoben; er findet es “auffallend, wie sehr die Person des Redenden zumeist in den Hintergrund zu treten pflegt, wenn man Mitteilungen mit Verständnis entgegennimmt … Noch auffälliger ist dies, wo die Person des Redenden schon von vornherein gar nicht zur Geltung kommt, wenigstens äußerlich nicht: so in der Regel beim Autor eines Druckwerkes … Man ersieht aus Tatsachen dieser Art, daß es, auch wo es sich um das Verstehen handelt, eben doch nicht angeht, die Leistungen der Sprache dem allgemeinen Begriffe der Funktion des Zeichens kurzweg zu subsumieren” 50 . Unter Funktion des “Zeichens” versteht Meinong hier die Funktion des “Anzeichens” im Sinne Bühlers. Hier liegt also in der Tat eine Antizipation der Bühlerschen Unterscheidung von “Anzeichen” und “Ordnungszeichen” 51 vor. Wichtig für uns ist aber hier vor allem, daß Meinong in seiner Betrachtung über Verstehen einen entscheidenden Standpunktwechsel vorgenommen hat und daß Meinong gar nicht bemerkt, daß das sprachliche Gebilde, das vordem und sonst nur als Annex eines inneren Erlebnisses in einem isolierten Individuum auftritt, erst dadurch seine Funktion als Zeichen gewinnt, daß es als sinnvolles Geschehen in einem sozialen Gefüge gleichorganisierter Lebewesen auftritt. Die Ausdrucksfunktion, die vordem nur eine Verbindung mit den inneren Erlebnissen des Sprechers aufwies, tritt nun auch in eine Beziehung mit den inneren Erlebnissen des Artgenossen als Hörer. Sie gewinnt erst dadurch neben dem einen Pfeil zum Sprecher noch einen zweiten Pfeil zum Hörer. Die Korrelation zwischen Sprecher und Hörer ist damit gegeben. Dadurch tritt aber ganz von selbst auch die Bedeutungsfunktion eines sprachlichen Zeichens, die ja nach Meinong mit der Ausdrucksfunktion gekoppelt ist, in eine Beziehung zum Hörer; daß diese Beziehung von etwas anderer Art sein muß als die des Ausdrucks zum Hörer, leuchtet wohl ein, wenn in Betracht gezogen wird, daß auch schon das Verhältnis eines sprachlichen Gebildes zu seiner Bedeutung ein anderes, ein komplizierteres und vermitteltes, war als das zwischen sprachlichem Gebilde und seinem Ausdruck. Durch den dargelegten Aspektwechsel verändert sich das früher (S. 247) gegebene Schema für Meinongs sprachtheoretische Auffassung, oder vielmehr es gestaltet sich aus zu folgendem: Zur Sprachtheorie 103 Hiermit ist im wesentlichen schon eine dreiaspektige Einstellung zur Sprache erreicht, freilich nur im Keim, wie noch zu zeigen sein wird. Es wäre immer noch ein Irrtum, diese Einstellung mit der Bühlers schon schlechtweg zu identifizieren. Karl Bühler steht den sprachlichen Phänomenen von vornherein in einer andersartigen Betrachtungsweise als Meinong gegenüber. Daß sie sich als eine Vereinigung der drei einander ergänzenden Aspekte psychologischer Forschung erweist, hat sich für Bühler nach seinem eigenen Geständnis erst später herausgestellt, nachdem er schon vorher seine dreidimensionale Sprachtheorie in ihren Grundzügen konzipiert hatte. Ich möchte sie zum Unterschiede von der Meinongschen Einstellung, die ich als eine statisch-phänomenologische bezeichnet habe, eine dynamisch-biologische nennen. Man kann sie vielleicht am raschesten und markantesten charakterisieren, wenn man auf die Art verweist, wie Bühler den Ursprung, das Wesen und die biologischen Leistungen des Intellektes zum Unterschiede von Instinkt und Dressur aufzeigt und verständlich zu machen sucht 52 . Ganz ähnlich wie dem Intellekt steht Bühler auch den Erscheinungen der Sprache gegenüber. Er faßt sie zunächst als sinnvolles und zweckhaftes Geschehen im Dienste des Lebens. Was die Sprache alles leistet und leisten kann, steht im Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Wir haben da ein Individuum, ihm steht gegenüber das Gefüge der Welt, in dieses eingebettet - aber als ausgezeichneter Punkt - der Artgenosse, das Du. Nach diesen drei Fundamentalpunkten ist jede Tätigkeit des Lebewesens orientiert. Jede Tätigkeit ist im Hinblick auf eines der drei Verhältnisse, des Ich zu sich selbst, des Ich zum Du, des Ich zur übrigen Welt, zu fassen und begreifbar zu machen. Daraus ergibt sich wie von selbst die Frage, ob und auf welche Weise die Sprache sich im Dienste eines oder aller dieser Verhältnisse betätigen kann. Die drei Sprachdimensionen Bühlers stehen vor uns: Kundgabe, um die eigenen Erlebnisse auszudrücken; Auslösung, um das Verhalten des Artgenossen zu steuern; Darstellung, um das Gefüge der gegenständlichen Welt mit Hilfe stellvertretender Zeichen in Gedanken zu durchdringen und zu meistern. Daß diese drei Betätigungsmöglichkeiten in weitem Ausmaß voneinander unabhängig variieren können, daß die Sprache für jeden der drei Zwecke auch eigene Einrichtungen und Veranstaltungen haben wird, das sind naheliegende Gedanken, deren Berechtigung und Ergiebigkeit zu prüfen der Sprachpsychologie als spezielle Forschungsaufgabe zufällt. Man sieht, während Meinong die Sprachphänomene gewissermaßen als ein Sein oder als einen ruhenden Zustand lediglich innerhalb der Individuen behandelt, ist für Bühler die Sprache vor allem eine Tätigkeit, und zwar eine sinnvolle Tätigkeit im Dienste des Lebens. Sprachbedürfnis, Sprachabsicht, Sprachzweck, die bei Meinong so gut wie keine Rolle spielen, treten bei Bühler in den Vordergrund. Nicht nur das Sprechen als solches, sondern auch das Sprechenkönnen, Sprechenwollen und Sprechenmüssen werden nun zu Problemen, von deren Lösung Entscheidendes für die Sprachtheorie abhängt. Nun wird wohl klar, daß die Begriffe “Kundgabe”, “Auslösung” und “Darstellung” nicht dasselbe sind wie die Meinongschen Begriffe “Ausdruck” und “Bedeutung”. Kundgabe, Auslösung und Darstellung sind zunächst sinnvolle Tätigkeiten des Sprechers und werden erst mittelbar auch zu Merkmalen der Sprachprodukte, während Ausdruck und Bedeutung von Haus aus nur zuständliche Merkmale der Sprachgebilde sind. Daß die sprachtheoretischen Ansichten Meinongs wegen der Einseitigkeit des Standpunktes, auf dem sie gewonnen sind, deswegen doch nicht falsch sein müssen, daß sie im Gegenteil einen sehr beachtenswerten Beitrag zum Ganzen der Sprachtheorie bringen, sei zum Abschlüsse in folgender Erwägung dargetan. Versinnlichen wir uns die von einem Individuum während einer gewissen Zeit tatsächlich gesprochenen sprachlichen Gebilde als dreieckige Scheiben, die wir entsprechend ihrer zeitlichen Abfolge aufeinandergeschichtet Josef Krug 104 denken, so ist das Sprechen als Tätigkeit durch die stattfindende Aufschichtung der Scheiben zu einer Säule veranschaulicht. In jeder Scheibe denken wir uns - gemäß dem oben gegebenen Schema für Meinongs Auffassung - die eine beiderseits bepfeilte Seite als Symbol der Ausdrucksfunktion und die dazu normale einseitig bepfeilte Dreieckshöhe als Symbol der Bedeutungsfunktion im Sinne Meinongs. Die Aufschichtung der Scheiben erfolge so, daß die durch Pfeile angedeuteten Richtungen übereinander zu liegen kommen. Während sich die Meinongschen Funktionen (Ausdruck und Bedeutung) allein in den horizontalen Ebenen abspielen, spielen sich dagegen die Bühlerschen Funktionen sprachlicher Zeichen (Kundgabe, Auslösung, Darstellung) in den vertikalen Ebenen ab, die von lauter gleichgerichteten Pfeilen durchzogen sind. Dieses Bild, dessen Gewagtheit mir durchaus bewußt ist, vermag auch zur Anschauung zu bringen, daß sich ein gut Teil von Kundgabe, Auslösung und Darstellung zwischen den isolierten Sprachgebilden - in Rhythmus, Lautstärkeverhältnis u. dgl., nicht zuletzt in dem, was sie “weise verschweigen” - ereignet. Bühlers Kundgabe, Auslösung und Darstellung sind eben mehr als Meinongs Ausdruck und Bedeutung. Je nachdem sich in den drei Ebenen der Kundgabe, Auslösung und Darstellung zwischen den in ihnen eingelagerten Ausdrucks- und Bedeutungsgehalten der sprachlichen Gebilde Strukturen ausbilden oder nicht, dementsprechend wird im Sinne der Sprechtätigkeit die Kundgabe, die Auslösung oder die Darstellung überwiegen oder zurücktreten 53 . Sprecher und Hörer können je nach ihrer Einstellung der einen oder anderen Struktur in ihrer Hervorbringung bzw. Beachtung ein größeres oder geringeres Gewicht verleihen. Daß es schließlich übergeordnete Gestalten geben wird, die sich in alle drei Ebenen erstrecken, dürfte beim Menschen wenigstens der Normalfall sein 54 . Die tierische Semantik, die auf Kundgabe und Auslösung beschränkt sein dürfte, können wir uns dann so vorstellen, daß die Bedeutungsgehalte der Zeichen, obwohl auch sie in jedem Zeichen nach Meinong vorliegen, unverbunden bleiben und sich zu keiner Darstellung zusammenschließen; die gemeinsame Wahrnehmungssituation, in der sich die tierische Semantik betätigt und die bei gleichorganisierten Lebewesen die gegenständliche Bedeutung ohne weiteres erkennen läßt, macht eben die Darstellung überflüssig. - Durch Hinzunahme einer neuen Richtung eröffnet die Bühlersche Auffassung für die Ausdrucks- und Bedeutungsfunktion sprachlicher Zeichen gewissermaßen Ebenen, in denen sie sich betätigen können. Das Meinongsche Schema belebt sich eben erst, wenn der Strom des Lebens hindurchgeleitet wird. Andererseits können die Meinongschen Ausdrucks- und Bedeutungsfunktionen als Keimformen oder Kümmerformen der Bühlerschen Kundgabe-, Auslösungs- und Darstellungsfunktionen gelten. Es ist kein Zufall, daß beide Forscher für Verschiedenes, wenn auch Verwandtes, verschiedene Benennungen vorgeschlagen und verwendet haben. Unter Verzicht auf Einzelheiten läßt sich auch das Wesentliche über das Verhältnis von Meinongs und Bühlers Auffassung in folgendem Schema festhalten: Zur Sprachtheorie 105 Meinongs Schema (geteilt und punktiert gezeichnet, rechts und links) liegt demzufolge in einer anderen Ebene und schimmert durch die Einstellung Bühlers gleichsam hindurch. Man dürfte unseren Darlegungen entnommen haben, daß das Verhältnis von Meinong und Bühler in der Sprachtheorie keineswegs so einfach ist, daß man kurzweg von “Übereinstimmung” reden könnte. Doch bestehen mannigfache und bemerkenswerte Beziehungen, deren Aufhellung auch zur sachlichen Klärung des Problems etwas beigetragen haben möchte. Fassen wir die Hauptergebnisse unserer Ausführungen nochmals kurz zusammen, so ergibt sich: Das Begriffspaar Meinongs “Ausdruck und Bedeutung” und die Begriffstrias Bühlers “Kundgabe, Auslösung und Darstellung” entspringen verschiedenen psychologischen Einstellungen gegenüber den sprachlichen Phänomenen. Meinong untersucht die sprachlichen Gebilde vorzugsweise unter abstrahierender Loslösung von dem Lebenszusammenhang, in den sie eingebettet sind. Ausdruck und Bedeutung eines sprachlichen Gebildes sind korrelative Merkmale, deren Verhältnis der Korrelation zwischen psychischem Erlebnis und seinem Gegenstand entspricht. Bühler betrachtet die Sprache als sinnvolle Tätigkeit im Dienste des Lebensprozesses. Kundgabe, Auslösung und Darstellung entsprechen den drei Hauptrichtungen der Stellungnahme des Individuums, zu sich, zum Artgenossen und zur übrigen Welt, und werden dadurch auch zu Leistungsdimensionen der sprachlichen Gebilde. Die Auffassungen Meinongs und Bühlers sind verträglich. Ausdruck und Bedeutung können als Angriffspunkte und zugleich als elementare Produkte der kundgebenden, auslösenden und darstellenden Tätigkeit des Sprechers angesehen werden. Anmerkungen 1 Indogerman, Jahrbuch, Bd. 6. Berlin 1919. 2 Göttinger Gel. Anz. 1909. 3 Bericht üb. d. 3. Kongreß f. exp. Psychol., Leipzig 1909. 4 1. Aufl., Jena 1918, 5. Aufl., 1929, 4- Kap., §§ 17-20. 5 Festschr. für Karl Voßler, Heidelberg 1922. 6 Festschr. für Joh. v. Kries, Ztschr. Psycholog. Forschung, 3. Bd., Heft 3, Berlin 1923. 7 In den beiden Wintersemestern 1924/ 25 und 1925/ 26. 8 Jena 1927. 9 s. 61f. 10 1. Aufl., Leipzig 1902; 2. Aufl. 1910, S. 21-41. - Die Paragraphen dieses Kapitels haben folgende Überschriften: § 3. Vom Zeichen und seiner Bedeutung. § 4. Ausdruck und Bedeutung beim Worte. Sekundärer Josef Krug 106 Ausdruck und sekundäre Bedeutung. § 5. Der Satz als Urteilsausdruck. § 6. Unabhängige und abhängige Sätze, die nicht Urteile ausdrücken. § 7. Das Verstehen bei Wort und Satz. 11 § 62. Die Annahmen und die Sprache. Noch einmal das Verstehen. S. 359-366. 12 “Über Gegenstände höherer Ordnung”, Ztschr. f. Psychol., Bd. 21, 1899, S. 188. - Auch in Ges. Abhdlgn. v. Meinong, Bd. 2, Leipzig 1913, S. 385. 13 Leipzig 1901. 14 Annahmen, 2. Aufl., S. 28. 15 Ebenda, S. 28. 16 Ebenda, S. 27 17 Ebenda, S. 27. 18 Ebenda, S. 27. 19 Ebenda, S. 29 20 Ebenda, S. 26. 21 Ebenda, S. 28. 22 Ebenda, S. 26. 23 Ebenda, S. 27. 24 Sitzungsber. d. Akademie d. Wissensch. in Wien, Philos.-hist. Klasse, Bd. 183, Wien 1917, 183 Seiten. 25 S. 34ff. - Diese Stelle ist weiter unten (S. 237ff.) auszugsweise wiedergegeben. 26 Die deutsche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. I, Leipzig 1921, S. 103 bzw. S. 13 des Separatabdruckes. 27 Für eine rasche Orientierung über die Psychologie Meinongs gibt der Abschnitt D “Zur Psychologie” in der oben erwähnten Selbstdarstellung (S. 118ff. bzw. 28ff.) eine knapp zusammenfassende und authentische, freilich nicht ganz leicht lesbare Grundlage. Die angegebenen zahlreichen Verweise auf die Originalstellen der einzelnen Veröffentlichungen ermöglichen dem Leser auch ein genaueres Studium von Einzelheiten. 28 Emot. Präsent., S. 53. 29 Emot. Präsent., S. 27; Selbstdarstellung, S. 112 bzw. S. 22. 30 Emot. Präsent., S. 33. 31 Meinong hat diese Abhandlung für seine bedeutsamste Arbeit gehalten. - Vgl. das Vorwort seiner Gattin zu dem posthum erschienenen, letzten Werke Meirongs “Zur Grundlegung der allgemeinen Wertlehre”. Graz 1923. 32 Emot. Präsent., S. 34ff. 33 Meinong spielt hier auf eine frühere Stelle an, wo “von angenehmem Bade, frischer Luft, drückender Hitze, lästigem Geräusch, schöner Farbe, lustiger oder trauriger, langweiliger oder unterhaltender Geschichte, erhabenem Kunstwerk, wertvollen Menschen, guten Vorsätzen u. dgl.” die Rede ist (Emot. Präsent., S. 32f.). 34 Für die Unterscheidung von Akt, Inhalt und Gegenstand psychischer Erlebnisse ist für Meinong von besonderer Wichtigkeit die Monographie von Kasimir Twardowski, “Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen” (Wien 1894) gewesen, auf die er wiederholt ausdrücklich Bezug nimmt. - Für den Historiker einer dreidimensionalen Sprachtheorie dürfte folgende Stelle aus dieser Schrift von Interesse sein; es heißt da S. 10: “Den drei Momenten der Vorstellung, dem Akte, Inhalt und Gegenstand, entspricht eine dreifache Aufgabe, die jeder Name zu erfüllen hat. Erstens gibt er kund, daß der den Namen Gebrauchende etwas vorstellt. Zweitens erweckt er im Hörenden einen bestimmten psychischen Inhalt; dieser Inhalt ist es, den man unter der Bedeutung eines Namens versteht. Drittens die Nennung eines Gegenstandes, der durch die von dem Namen bedeutete Vorstellung vorgestellt wird”. 35 Diese Übersicht findet sich in ziemlich gleicher Form in dem Nachruf “Alexius Meinongs philosophische Arbeit” von E. Mally in “Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus”, Bd. 2, Heft 2, Erfurt 1921. 36 Selbstdarstellung, S. 134 bzw. S. 44. 37 Selbstdarstellung, S. 120 bzw. S. 30. 38 Z.B. auch in der oben (S. 237ff.) auszugsweise wiedergegebenen Stelle, Emot. Präsent., S. 34ff. 39 Emot. Präsent., S. 38. 40 Vgl. insbes. “Über die Erfahrungsgrundlagen unseres Wissens”. Berlin 1906, § 15. Psychologisches über Einwärtswendung. - Hier (S. 73) heißt es u.a.: “Wenn ich mir eines Gefühles ‘bewußt’ bin, muß dieses ‘Bewußtsein’ durchaus darin bestehen, daß ich über das Gefühl urteile? Reicht es nicht völlig aus, wenn ich das Gefühl eben habe, wenn ich es also erlebe? Innerlich wahrnehmen hieße dann soviel als erleben, und man hätte genauer zu sagen: eine innere Wahrnehmung gibt es eigentlich gar nicht; man hat hier das Objekt, weil man es erlebt, für Wahrnehmung des Objektes genommen. Es ist in erster Linie die außerordentliche Einfachheit, was diese Auffassung so sehr empfiehlt, und um des willen sie auch hier nicht unerwähnt bleiben durfte. Aber Zur Sprachtheorie 107 sie teilt, soviel ich sehe, mit vielem anderen Einfachen das Schicksal, für die Tatsachen eben doch zu einfach zu sein …” 41 Vgl. die oben (S. 237ff.) auszugsweise wiedergegebene Stelle aus Emot. Präsent., gegen Ende. 42 Vgl. hierüber Bühler, Krise S. 49. 43 Krise S. 31f. 44 Selbstdarstellung, S. 103 bzw. S. 13; oben S. 232 vollständig zitiert. 45 Krise, S. 29ff. 46 Meinong kommt über diesen allerersten Ansatz kaum hinaus und gelangt eigentlich weder zu einer “gegenständlichen”, noch zu einer “physiognomischen” Betrachtung der Sprache, etwa im Sinne der “Theorie des objektiven Geistes” von Hans Freyer, 1. Aufl., Leipzig 1923, S. 29ff. - Die Theorie Freyers ist letzten Endes auch auf die Tatsache der Intentionalität alles Psychischen (S. 18) und auf die Unterscheidung von “Ausdruck” und “Bedeutung” basiert; diese Unterscheidung wird nicht nur auf alle Gebilde des objektiven Geistes, sondern sogar schon auf “jede Handlung eines lebenden Wesens” (S. 30) ausgedehnt, ähnlich wie in der von uns oben (S. 247f.) vertretenen Meinong-Interpretation. Es ist aber beachtenswert, wie sich Freyer über den statischen und beinahe solipsistischen Standpunkt Meinongs erhebt, wie er den objektiven Geist nicht nur “als Sein”, sondern auch “als Prozeß” betrachtet und durch eingehende Berücksichtigung der Prozesse des Verstehens und Schaffens eine Fülle allgemeiner Ideen über geistige Objektivationen (wenn auch nicht speziell auf sprachtheoretischem Gebiete) entwickelt. 47 Annahmen, S. 359. 48 Annahmen, S. 24. 49 Annahmen, § 7, S. 38ff. 50 Annahmen, S. 39. 51 Diese Unterscheidung wurde von Bühler im wesentlichen schon getroffen in der Abhandlung “Kritische Musterung der neueren Theorien des Satzes”; es wurde da (S. 2ff.) das reale Verhältnis des Zusammenhanges bzw. der Abhängigkeit dem ideellen Verhältnis der Zuordnung gegenübergestellt. Die Termini “Anzeichen” und “Ordnungszeichen” finden sich in der eingangs (S. 226) erwähnten Abhandlung Bühlers “Über den Begriff der sprachlichen Darstellung”, S. 290; ferner auch in der “Krise”, S. 62. - Daß die richtige Deutung eines Anzeichens und somit speziell auch das Verstehen von sprachlichem Ausdruck “bei weitem nicht immer in der Sphäre regelrechten Schließens erfolgt, sondern der Hauptsache nach in derjenigen des primären Miterlebens, der primären Resonanz, die man als Einfühlung zu bezeichnen pflegt”, hat Bühler schon in “Sprachl. Darstellung”, S. 291, gegenüber einer allzu rationalistischen Auffassung, wie sie hier auch Meinong zu vertreten scheint, angemerkt; eine eingehende Betrachtung des “seelischen Kontaktes und des Kontaktverstehens” brachte dann ein eigener Abschnitt in der “Krise”, § 9, S. 82ff. 52 Vgl. Bühler, Geistige Entwicklung des Kindes, 8. Kapitel. 53 Was im besonderen die “Darstellung” anbelangt, so ergeben die Bedeutungsgehalte oder Nennfunktionen der einzelnen Wörter, solange sie unverbunden bleiben, noch keine Darstellung eines Sachverhaltes, ähnlich wie etwa einzelne Ringe als Zeichen für Städte noch keine Darstellung einer Landschaft, noch keine Landkarte ausmachen. Die Bedeutungsgehalte der einzelnen Wörter sind lediglich die Elemente, Materialien oder Bausteine, die sich im Bewußtsein des Sprechers und des Hörers zu einer Struktur zusammenfinden können und auch zusammenfinden müssen, wenn sprachliche Darstellung erreicht werden soll. Dies meint auch Bühler, wenn er sagt: “Die hörbaren Gebilde weisen im Satzverbande kraft der an sie geknüpften ‚Bedeutungen’ auf Gegenstände hin und geben Anweisungen, wie an diesen Gegenständen der Sachverhalt zu konstituieren, zu entnehmen sei” (Sprachl. Darstellung, S. 292). Bühler hat für das, was wir hier als die Rollen von “Element” und “Struktur” auseinanderhalten, zuerst die Bezeichnungen “Erfüllung” und “Prägung” (Sprachl. Darstellung, S. 294) eingeführt. - Daß die menschliche Lautsprache verschiedenartige, freilich meist ineinandergreifende Möglichkeiten, wie sich die Elemente zu Strukturen zusammenschließen können, ausgebildet hat und im Dienste des Darstellungsgeschäftes nebeneinander und ineinander verwendet, dürfte im wesentlichen das sein, was Bühler mit dem später vorgeschlagenen Begriffe des “Darstellungsfeldes” (vgl. Krise, S. 59) meint und einer weiterführenden Theorie der sprachlichen Darstellung zugrunde legt. Innerhalb der “Darstellungebene” unserer Figur (S. 255) lassen sich eben noch mehrere Strukturmöglichkeiten aufzeigen, die sich als “Darstellungsfelder” übereinander lagern. 54 Man braucht sich nur vorzustellen, ein wie reichgegliedertes Ganzes aus Kundgabe-, Auslösungs- und Darstellungselementen etwa in einem mündlichen Vortrag, in einem lyrischen Gedicht oder dgl. vorliegt. Sprachwissenschaft A. Francke Preisänderungen vorbehalten Katja Kessel Sandra Reimann Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache UTB 2704 M, 2005, XII, 278 Seiten, zahlr. Abb., [D] 14,90/ SFr 26,80 UTB-ISBN 3-8252-2704-9 Wussten Sie, dass Polysemie keine Krankheit ist und dass Komposition nichts mit Biomüll zu tun hat? Auch Spitzenstellungstests finden Sie nicht in Assessment Center für angehende Führungskräfte. Das Einführungsbuch beschäftigt sich unter anderem mit diesen sprachwissenschaftlichen Grundbegriffen. Es wendet sich an Studienanfänger der Germanistik, die die deutsche Gegenwartssprache im wissenschaftlichen Sinne durchschauen und unter analytischen Gesichtspunkten kennen lernen wollen. Gegenstand sind die wichtigsten Teilbereiche und Methoden der neueren deutschen Sprachwissenschaft. Besonders ausführlich werden die komplexen Kapitel Syntax und Wortbildung behandelt, die zum Kanon der meisten sprachwissenschaftlichen Prüfungen gehören. Didaktisch gut aufbereitete Kapitel leiten die Studienanfänger zu konkreten Analysen an. Jedes Kapitel enthält Übungen mit Lösungen und weiterführende Literatur, sodass die Studierenden auch die Möglichkeit haben, sich den Stoff selbstständig zu erarbeiten und ihre Kenntnisse zu überprüfen. Der Transfer in die Analysepraxis steht stets im Vordergrund. Das Buch ist als Begleitmaterial für Seminare und zum Selbststudium bestens geeignet, auch für den Studiengang Deutsch als Fremdsprache. Karl Bühlers Ausdruckstheorie: zu einer Sematologie des Nichtsprachlichen Jens Loenhoff I. Als die Ausdruckstheorie 1933 in der ersten Auflage erscheint, sind in Deutschland bereits jene an der Macht, deren Verständnis des menschlichen Körpers und seiner Merkmale noch Millionen das Leben kosten sollte. Bühler selbst konnte diesem Morden nur durch seine Emigration entkommen. Neben der programmatischen Publikation Die Krise der Psychologie (1927) und der Sprachtheorie (1934) gehört die Ausdruckstheorie, obgleich bis heute wenig rezipiert, zu dessen wichtigsten Publikationen. Von der ein Jahr später erschienenen Sprachtheorie getrennt, mit der sie ursprünglich zu einer Publikation zusammengefaßt werden sollte, bildet die Ausdruckstheorie zusammen mit den beiden anderen Monographien diejenige Einheit, die schließlich Bühlers hinlänglich bekanntes “Organon-Modell” und seine dreistellige Relation von “Appell”, “Ausdruck” und “Darstellung” repräsentiert. 1 Wie schon Die Krise der Psychologie ist auch die Ausdruckstheorie durch den Versuch geleitet, Erlebnispsychologie, empirische Verhaltensforschung und geisteswissenschaftliche Ansätze des Sinnverstehens zusammenzuführen und aufeinander beziehbar zu machen. Dabei richtet sich Bühlers Kritik gegen eine Metaphysik des Ausdrucks, die er durch den Einsatz nüchterner, bereits durch moderne Technologien gestützter Verhaltensbeobachtung zu überwinden sucht. Gegenüber dem seit der Antike, dann aber über Humanismus und schließlich durch die Aufklärung forcierten Projekt wissenschaftlicher Menschenkenntnis verhält sich Bühler eher indifferent und ordnet seine Ansprüche unspektakulärer, zugleich aber präziser ein. Diese Präzisierung erfolgt durch eine vor allem für die Theoriebildung fundamentale Vorentscheidung, nämlich a) durch die Bestimmung der Erkenntnisinteressen bzw. einer genauen Problemstellung und b) die Besinnung auf eine entsprechende Erfahrungsbasis, an der die gestellten Fragen zu beantworten sind. Bühlers Problemstellung (a) lautet so einfach wie überzeugend: Was sind die Bedingungen, Formen und Funktionen menschlicher Ausdrucksbewegungen für die wechselseitige Koordination von Handeln und Verhalten? Und wie sind diese theoretisch zu bewältigen? Als Erfahrungsbasis (b) gelten Bühler dabei sowohl die extern beobachtbaren Handlungsvollzüge in ihren jeweiligen Kontexten als auch die Zwecksetzungen der Akteure, ohne die alle Ausdrucksbewegungen unverstanden bleiben müssen, da schließlich nur jene Ereignisse als “ausdruckshaltig” gelten sollen, die von Momenten der Innerlichkeit ihres Erzeugers mitbestimmt bzw. mitgestaltet sind. Das damit eingeführte Kriterium des Sinnverstehens bzw. die Frage nach der Sinnbündigkeit der Phänomene verdeutlicht denn auch, inwiefern Bühler sich von einem simplen Behaviorismus abgrenzt. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Jens Loenhoff 110 Seit der Programmatik der Krise der Psychologie ist klar, daß Bühler sich die Bearbeitung dieser Problemstellung nur im Rahmen einer breit angelegten Lehre von Kommunikationsmitteln und ihrem Gebrauch, mithin von einer allgemeinen “Sematologie” vorstellen kann, deren spezifisches Erkenntnisinteresse hinsichtlich menschlicher Expressivität eine Axiomatik der Ausdruckslehre sein muß. II. Daß die kritische Musterung der Problemgeschichte der Ausdruckstheorie bei Physiognomik und Pathognomik beginnen muß, in der griechischen Antike also, und ihre z.T. noch metaphysisch gestimmten Vergleiche von Mensch und Tier, schließlich die ganze abendländische Philosophie- und Geistesgeschichte streift, über Goethe, Lavater, Carus, den großen Skeptiker und vehementen Kritiker der Physiognomik Lichtenberg, ist für Bühler selbstverständlich und doch nur von partiellem Interesse. Vielmehr gilt seine Aufmerksamkeit jenen Texten, in denen Systementwürfe, axiomatische Fundamente oder halbwegs gesicherte empirische Befunde angeboten werden. 2 So läßt Bühler die Geschichte der neueren Ausdruckstheorie mit dem Spätaufklärer Johann Jakob Engel beginnen, dessen Ideen zu einer Mimik (1785/ 86) “[…] den ersten modernen Systemversuch im Bereich der Pathognomik” (1933: 32) darstellen, enthalten sie bereits den Versuch einer Axiomatik der Ausdruckslehre. Noch unberührt von der sich erst später etablierenden naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise entwirft Engel eine “Aktionstheorie der Pantomimik” (1933: 36), die in Umrissen Mimik und Gestik als Kommunikationsmittel entdeckt. 3 Deren Funktion unbefangen im Blick, trennt Engel nüchtern-aufklärerisch alle morphologisch-physiognomischen Fragen ab und entwirft eine Axiomatik der Mimik, in deren Zentrum die Ausdruckshandlungen selbst stehen. Dabei diskutiert er das Verhältnis von verbaler und nonverbaler Kommunikation nicht (nur) unter dem Gesichtspunkt ihres Zusammenspiels, sondern kompetitiv nach potentiellen Überlegenheitsaspekten. Als “Aktionstheoretiker des Ausdrucks” sieht Engel nämlich Positionen des Körpers als Hinweise auf Motivationslagen, in denen die “[…] sichtbare Aktionsbereitschaft des körperlichen Vollzugsorgans” (1933: 43) zum Ausdruck kommt. Solchen affektiven Grundbezügen des Ausdrucks, etwa eine positive Hinwendung, eine negative Abwendung oder eine negative Hinwendung bzw. Aggression, für die Bühler den Terminus “Bezugswendungen” prägt (1933: 41), korrespondieren beobachtbare Anzeichen, sog. “Initien”, aus denen “[…] die kommende Handlung und das aktuelle Erlebnis des Handelnden erkannt werden [soll]. Das ist wie mir scheint, einer der Hauptsätze, welche in jeder Ausdruckslehre vorkommen und vom Theoretiker des Ausdrucks diskutiert werden müssen.” (1933: 43) 4 Erfahrungsbasis der Engelschen Überlegungen ist indessen das Theater und die Schauspielkunst, wobei es gerade hier darauf ankommt, Ausdruck darzustellen. So erwächst seinen Beschreibungen auch schnell die Erkenntnis, daß der Differenz vom “malenden” und “ausdrückenden Gebärden” für die kommunikative Funktion von Gestik und Mimik eine konstitutive Bedeutung zukommt. Nicht nur sieht Engel, daß hinweisende Gesten fundamentale Formen kommunikativer Handlungen sind, sondern daß Handlungsmomente ausdruckshaltig sind, weil ihnen eine Funktion als Kommunikationsmittel zukommt. Auch wenn der streng der externen Beobachtung verpflichtete Engel noch vor Unterscheidungsproblemen steht, wie z.B. der Schwierigkeit, verschiedene Motive aus denselben Ausdrucksgestalten zu differenzieren, bleibt es für Bühler weitgehend unverständlich, “[…] warum ein derart abgerundetes Lehr- Karl Bühlers Ausdruckstheorie: zu einer Sematologie des Nichtsprachlichen 111 gebäude in den Händen der medizinisch vorgebildeten Analytiker wieder zerfiel; warum das System der ENGELschen Ideen wieder abgetragen und in seine Bauelemente zerlegt wurde.” (1933: 51) Aus einer ganz anderen Perspektive, gleichwohl aber durch die Frage nach dem Verhältnis von Ausdruck und Affekt motiviert, behandeln die Arbeiten des Mediziners und Biologen Charles Bell (1774-1842) das Problem. Als vordarwinistischer Entwicklungstheoretiker, dessen vergleichende Anatomie des Nervensystems schon zu seiner Zeit ein hohes Ansehen genoß, entwickelt Bell in den Essays on the Anatomy and Philosophy of Expression (1806) einen Ansatz, den Bühler in seiner Rekonstruktion als “Respirationstheorie der Mimik” (1933: 53) bezeichnet, da Bells Interesse vorrangig der Struktur des emotionalen Reaktionssystems im Zusammenhang mit der Sauerstoffversorgung und den Atmungsorganen gilt. Einer modernen biologisch-medizinischen Betrachtungsweise verpflichtet, kommt Bell zu der Differenzierung dreier neuronaler Systeme, die sich nicht nur anatomisch, sondern auch funktional unterscheiden, nämlich a) einem Grundsystem neuronaler Verbindungen, die die sensorischen Systeme, die Bewegungsorgane und das Zentralorgan zusammenschließen, b) einem respiratorischen System, dem auch die Steuerung der Gesichtsmuskulatur (Mimik) und der Atmung zufällt und schließlich c) einem sympathetischen System, das die Steuerung organischer Funktionen und des Stoffwechsels übernimmt. Vor allem mit den unter b) zusammengefaßten Befunden, die die mit der Lautproduktion verbundene Mimik betreffen, lassen Bell die Bedeutung der Atmungsaktivität für den Kommunikationsprozeß erkennen. Die einmalige evolutionäre Herausbildung spezifischer Muskelgruppen zur ausschließlichen Ausdruckserzeugung - vor allem die wesentlich feineren Differenzierungen der Muskulatur um Mund und Augen - eröffnen dem Menschen spezifische Möglichkeiten der Expressivität, über die subhumane Organismen nicht verfügen. Bestimmte Bewegungen der Gesichtsmuskulatur, vor allem die typischen Geschmacksreaktionen (auf süß, sauer, bitter etc.) bilden die Anfänge von kommunikativ relevanten Ausdrucksbewegungen, die Bell in einen Zusammenhang mit der Herausbildung des aufrechten Gangs, dem Freiwerden der Hände und der damit verbundenen Entlastung der Mundregion für kommunikative Funktionen stellt. Seien Bells Erkenntnisse anatomisch mitunter etwas verworren, so ist seine funktional systemtragende Betrachtung für die Ausdruckstheorie ausgesprochen fruchtbar. Einen ersten Schritt in Richtung der für eine Ausdruckstheorie wesentlichen “Synsemantik” sieht Bühler allerdings erst in den Beiträgen des noch stark unter dem Einfluß Engels stehenden Arztes Theodor Piderit (1828-1912). Dessen 1858 erschienene Grundsätze der Mimik und Physiognomik beinhalten nämlich ein “Lexikon der fruchtbaren Momente mimischen Geschehens” (Bühler 1933: 72), das ganz bewußt nach dem formalen Vorbild des sprachlichen Lexikons konzipiert ist und Angaben über das semantische Umfeld der lexikalisch gefaßten Symptome enthält. Die darin beschriebenen “[…] pathognomische(n) Valenzen des menschlichen Blickes” (1933: 78) interpretiert Bühler als Modi visueller Aufmerksamkeit, die stets im Verhältnis zu einem bestimmten sozialen Kontext stehen. Gerade ein bestimmtes Blickverhalten, etwa spezifisch visuelle “Techniken des Sichentziehens” (1933: 212), bearbeiten ja das Problem, gegen die präsente Aufmerksamkeit eines anderen operieren zu müssen. Aufgrund deren hoher Situationsabhängigkeit müßten die betreffenden Ausdruckserscheinungen im Kontext gedeutet und nicht zum Zwecke ihrer Katalogisierung aus diesem herausgelöst werden: “Es wäre unsachlich, das wohlbekannte Faktum dieses Wechselspiels begrifflich stümperhaft auf dieser oder jener Stufe des technischen Raffinements fixieren zu wollen. Daß ein faux pas des meist flüchtigen Hinblickens auf einen Gegenstand mitten in einem Gesamtverhalten, in dem dieser Hinblick nicht gewachsen sein kann, vom Jens Loenhoff 112 detektivisch wachsamen Beobachter eben als faux pas erhascht und gedeutet wird, ist alles, was allgemein über den ‘versteckten’ Blick gesagt werden darf. So produziert ihn unter angebbaren Umständen das soziale Verhalten.” (1933: 85). Vor allem aber sind es die “Sukzessionsgestalten” (1933: 81) im Ausdruck, die in der konkreten sozialen Situation handlungsrelevant werden. Ihnen korrespondiert eine in den rekonstruierten Ansätzen jedoch fast vollständig vernachlässigte, auf Ausdrucksdeutung angelegte Wahrnehmung. Daß die Symptome überhaupt deutungsfähig sind, liegt in ihrer “diskreten Mannigfaltigkeit” und der “unerläßlichen Diakrise” (1933: 80), wobei Bühler scharfsinnig auf die bei Piderit noch nicht geschiedenen sematologischen Differenzen aufmerksam macht, die die synsemantischen Anzeichen des versteckten Blicks von den autosemantischen Anzeichen etwa senkrechten Stirnfalten, unterscheiden. 5 An Bühlers Auseinandersetzung mit Charles Darwin (1809-1882) und dessen Schrift The Expression of Emotions in Man and Animals aus dem Jahre 1872 zeigt sich besonders deutlich seine Skepsis hinsichtlich phylogenetischer Erklärungsansprüche. 6 Darwins Versuch, die Expressivität des Menschen im Rekurs auf dessen Gattungsgeschichte zu klären, ist für Bühler nämlich der ideale Anlaß, das zentrale Problem der ausschließlich naturwissenschaftlich verfahrenden Ausdrucksforschung aufzuzeigen: “Dem großen Naturforscher ist da eine wissenschaftstheoretisch interessante Verwechslung passiert. Seine allgemeinen Sätze sind keine Axiome der Ausdruckslehre in dem üblichen Sinne des Wortes, sondern etwas anderes. Denn sie sagen im Grunde genommen über die konstitutive Relation im Ausdruck - manifeste Symptome: Innerlichkeit des Ausdrückenden - überhaupt nichts oder jedenfalls nichts Direktes aus.” (1933: 96) 7 Dem Umstand, daß die Dezendenztheorie aufgrund ihres Naturalismus die “[…] Unterstreichung des sozialen, des Kontaktmomentes” (1933: 95) vernachlässigen muß, entspräche durchaus - so Bühler in einer produktiven Analogie - der Differenz zwischen Phonetik und Phonologie. Darwin liefere lediglich eine der Phonetik vergleichbare “Materialanalyse”, die nicht nur jene diakritischen Momente ausklammere, die dem Ausdruck Prägnanz und damit Funktion im Verhalten sicherten, sondern auch alle Funktionen des Ausdrucks als “soziale Appell- und Resonanzmittel” ignoriere. 8 Deshalb könne auch kein biologisches Trägheitsgesetz die Persistenz spezifischer Ausdrucksgestalten erklären, sondern nur ihr Funktionswechsel: “Der vermittelnde Begriff heißt dann Aktion; denn Handlung ist das eine Ganze (Schutzreaktion) ebenso wie das andere (die Ausdrucksbewegung).” (1933: 104) So wie die Phoneme als elementare Diakritika in der Lautsprache fungierten, bedürften Ausdrucksbewegungen einer ebensolchen Diakrise und Prägnanz. Berücksichtige man dies, so seien Darwins Überlegungen trotz ihrer beeindruckenden phänomenalen Deskription eine eher “magere Ernte” (1933: 94). Inwiefern und mit welcher Genauigkeit bereits lange vor einer modernen nonverbalen Kommunikationsforschung der Bezug von Ausdrucksbewegungen zu funktionalen Momenten des Kontaktgeschehens hergestellt und klassifiziert worden sind, zeigt Bühler noch anhand eines anderen Entwurfes. Pierre Gratiolet (1815-1865), ein Zeitgenosse Darwins, hatte in seiner Publikation Conférence sur la physionomie en général et en particulier sur la théorie des mouvements d’expressions (1865) unterschiedliche Typen potentiell ausdruckshaltiger Körperbewegungen zu differenzieren und diese in der von ihm so benannten “Cinéséologie” in vier Klassen zusammenzufassen versucht (die zudem eine fortschreitende Rangfolge bilden), nämlich a) prosbolische: Körperbewegungen, die mit der die Sinnesorgane betreffenden Aufmerksamkeitssteuerung zusammenhängen, b) sympathische: Körperbewegungen, die durch das Zusammenspiel verschiedener Partien (vor allem bei Lust- oder Angstzuständen) konstituiert werden, c) symbolische: Körperbewegungen, die bestimmten Karl Bühlers Ausdruckstheorie: zu einer Sematologie des Nichtsprachlichen 113 inneren Erlebnisprozessen, vor allem Phantasieren, Erinnern etc., korrespondieren und diese nach außen hin erkennbar machen und schließlich d) metaphorische: Körperbewegungen, an denen rationale Denk- und Urteilsprozesse, tiefere Einsichten etc. ablesbar sind (bzw. sein sollen). Im Gegensatz zu den assoziationspsychologischen Ansätzen von Darwin und später Wundt wird bei Gratiolet im Ansatz schon berücksichtigt, was Bühler den “[…] Verkehrswert einzelner Ausdrucksbewegungen” (1933: 102) nennt. Mit Wilhelm Wundt (1832-1920) diskutiert Bühler einen Autor, der schon in seinen früheren Publikationen Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen war. So verdankt etwa Die Krise der Psychologie ihre argumentative Grundarchitektur einer umfangreichen Wundt- Kritik, durch die Bühler dessen Erlebnispsychologie endgültig zu überwinden versucht. So bilden die Einlassungen gewissermaßen die Fortsetzung dieser Diskussion, freilich nicht ohne die Kritik an den ausdruckstheoretischen Überlegungen der Wundtschen Völkerspsychologie (1900) zu verschärfen. Erneut kritisiert Bühler an Wundt dessen sensualistisch gesinnte und monadologisch konzipierte Erlebnisanalyse, die lediglich eine “Psychophysik des Ausdrucks” erlaube, “[…] einer Idee vom Verhältnis des Erlebens zu den ‚körperlichen Begleitvorgängen’, die ursprünglich nicht für den ‚Ausdruck’, sondern ‚für den Eindruck’ (kurz gesagt) ersonnen war und dann erst spiegelbildlich sozusagen auch dem Ausdruck übergeworfen worden ist.” (1933: 10) Demgegenüber ist nach Bühlers Überzeugung die “[…] psychische Atmosphäre sozusagen in jeder Situation sozialen Kontaktes und sozialen Geschehens […] an ein subtiles (oder manchmal auch recht grobklotziges) Spiel wechselseitigen Ansprechens und Antwortens der mimischen und pantomimischen Organe der Kontaktpartner gebunden […] Wundt sieht an all dem so vollständig vorbei” (1933: 136). Zwar konzediert Bühler, daß Wundt offenbar über rein physiologische Erörterungen und rein erlebnistheoretische Analysen zu einer Aktionstheorie des Ausdruck gelangen wollte, doch sei Wundts Ausdruckstheorie aufgrund ihres psychophysischen Parallelismus nicht mehr als “[…] ein Selbstgespräch des Diogenes im Faß mit seinen eigenen Gedanken” (1933: 137). Und von diesem führe kein Weg in die unhintergehbar gesellschaftliche Genese aller Kommunikationsmittel, einerlei ob es sich dabei um sprachliche oder nichtsprachliche Zeichenprozesse handele. 9 Mit Ludwig Klages (1872-1956) schließlich, seinem einzigen Zeitgenossen unter den diskutierten Autoren, weiß sich Bühler hinsichtlich der gemeinsamen Kritik am darwinistischen Erbe in der Ausdruckstheorie verbunden. Vor allem in seiner Arbeit Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft (1913) bemühe sich Klages um die Substitution eines bloß dynamischen, naturwissenschaftlichen Bewegungsbegriffs durch einen teleologischen, der Ausdruck stets in Relation zur Handlung bestimmt. Begrüßt Bühler diese Überlegung als richtiges methodisches Prinzip, so stellt er dennoch Klages romantisch gesinnte “Gleichnistheorie des Ausdrucks” (1933: 13), die ihre Verwandtschaft mit den Ideen Herders kaum verleugnet, unter einen generellen Metaphysikverdacht. Einerseits würdigt Bühler im typischen Stil seiner Wissenschaftsprosa die Leistungen Klages als “[…] umsichtig, korrekt und klar gewähltes Hochlager eines Gipfelstürmers” (1933: 169), beurteilt andererseits aber dessen Strukturschema von Ausdruck, Willkürbewegung und Darstellung insgesamt als zu arm an Faktoren und dessen Ausdruckstheorie eher als “[…] reich an halben Wahrheiten” (ibid.). Seine Kritik an “logischen Entgleisungen” und semiotischen Verwechslungen beziehen sich denn auch auf das begrifflich nicht hinreichend durchgearbeitete Problem der Darstellung als Zuordnungsrelation, die ja auch die Darstellung von Ausdruck umfaßt. Mithin stelle sich ein Begriffsproblem, das nur abstraktiv gelöst werden könne, wie Bühler unter Verweis auf seine als gestalttheoretisch-sematologisch verstandenes Basistheorem zu Jens Loenhoff 114 zeigen versucht, das er als Prinzip der abstraktiven Relevanz bezeichnet. Dieses sei nämlich dadurch bestimmt, daß es an den Ausdrucksbewegungen nicht weniger erwiesen werden könne als an der Lautsprache (1933: 155). Richtig sei zwar, “[…] daß im aktuellen Sprechen die Steuerung im Hinblick auf den Ausdruckswert dem Willen weitgehend entzogen ist. Allein das ist doch nur eine grobstatistische Regel und nicht mehr. Wo bliebe die ganze Kunst des Schauspielers und des Redners, wenn man nicht genau so fein wie die Darstellung auch den Ausdruck willentlich und wissentlich abzuwägen und zu gestalten vermöchte? ” (1933: 179) Klages überdeutliche Scheidung von Ausdruck und Darstellung und die damit verbundene These, daß alles, was den Weg über das Bewußtsein und über die reflektierte Mittelwahl zur Erreichung von Handlungszielen genommen hat, nicht als Ausdruck zu behandeln sei (einschließlich konventionalisierter Gesten), übersieht indessen, daß mit jeder Willkürbewegung eine persönliche Ausdrucksform einhergeht, die mit dieser notwendig zusammenfällt, weshalb das damit aufgeworfene sematologische Begriffsproblem besser unter Bezug auf das Prinzip der abstraktiven Relevanz gelöst werden könne. 10 III. Der Rückblick auf diese Problemgeschichte und die Bewertung ihrer Empirie ergibt für Bühler eindeutig, “[…] daß ein gut Teil der Ausdruckserscheinungen Handlungsinitien sind” (1933: 196), woraus sich für die zeitgenössische Forschung die Teilaufgabe ergibt, aus solchen Initien Prognosen zu stellen, die aus dem Einsatz einer Handlung die Vorhersage ihres Gesamtverlaufs erlaubt. Genau diese Perspektive bildet den logischen Ort des von Bühler favorisierten gestalttheoretischen, zugleich aber (in seinem Sinne) auch “behavioristischen” Ausdrucksbegriffs: “Wer Handlung nicht nur sagt, sondern auch denkt, meint bestimmte Geschehenseinheiten. Das und das einer Aktionstheorie des Ausdrucks sind Fragen und Antworten über den Ganzheitscharakter der Handlung. Der Beobachter muß sich klar werden darüber und Rechenschaft ablegen, wie und warum er imstande ist, aus dem Fluß des sichtbaren Geschehens dies und das als Ganzheit aufzufassen; das ist das (methodische) . Und zu guter Letzt werden Antworten verlangt auf die Frage nach dem Realgrund der Einheitlichkeit eines Geschehens, das wir als Handlung bezeichnen; das ist das (sachliche) . Und dazwischen gibt es noch allerhand anderes zu erwägen.” (1933: 197) Daß und warum Bühler sich mit dem, was er unter “behavioristischer Analyse” versteht, deutlich von einem Black-box-Behaviorismus Skinnerscher Prägung abgrenzt, hat er bereits in der Krise der Psychologie verdeutlicht. Schon bei der Frage nämlich nach der unter a angesprochenen Handlungseinheit ist ohne ein Minimum an Sinnverstehen, ohne ein Verstehen von Absichten und Zwecken der Leistungswert einer Bewegung überhaupt nicht zu begreifen. Aber dort, wo die Frage auftaucht, “[…] ob ein gegebenes (wahrnehmbares) Phänomen faktisch als Kommunikationsmittel fungiert im sozialen Kontakte, da sind Beobachtungen im Stile der Behavioristen am Platze und das einzige, was zu Entscheidungen führt” (1933: 198). So kommt das theoretische und methodologische Credo der Ausdruckstheorie, mithin Bühlers Verständnis eines empirisch brauchbaren sematologischen Ausdrucksbegriffs in folgender Textpassage besonders prägnant zum Ausdruck: “Der Kontaktpartner B spricht auf etwas an, was am Partner A geschieht. Allein es gehört nur die empirisch kontrollierbare Zwischenannahme dazu, daß das produzierende psychophysische System A die Daten der gegebenen Situation ebenso für sich (in eigener Regie sozusagen) wie in Hinsicht auf die Gemeinschaftsbelange sinnvoll, d.h. lebensangepaßt verarbeitet. Dann drückt die appellierende Karl Bühlers Ausdruckstheorie: zu einer Sematologie des Nichtsprachlichen 115 Sendung gleichzeitig aus. Sie drückt kurz und anthropomorph gesprochen aus, wie der Sender die Lage sieht. Und soweit das psychophysische System des Empfängers B ebenso lebensangepaßt anspricht und reagiert, können Schlüsse auf den Gehalt des Ausdrucks aus den festgestellten, gesetzmäßigen Reaktionen gezogen werden; bei erforderlicher Umsicht und Sachkenntnis, wie sich von selbst versteht. Noch einmal: Die Resonanz des Empfängers auf den Sender ist bei dieser Art von Ausdrucksforschung das Faktum, welches der Beobachtung direkt zugänglich ist, welches wissenschaftlich am Ausgang steht. Es soll niemand wundern, daß man von da aus im Fortgang des Denkens nicht exakt auf denselben Ausdrucksbegriff gelangt wie von der Erlebnisanalyse her.” (1933: 198f.) Im Gegensatz zum “Erlebnisanalytiker” und zum reinen Phänomenologen, der zu keiner Analyse solcher Bezugswendungen gelangen kann, begreift der “Aktionstheoretiker” das Ausdrucksgeschehen vom “Zweckstreben” bzw. von den praktischen Handlungserfordernissen her, gewissermaßen als eine Pragmatik menschlicher Expressivität, deren Situationsgebundenheit die “[…] Präzisierung der Valenzen durch die konkreten Lebenssituationen” (1933: 210) erfordert, zumal die “[…] Momente des mimischen Geschehens […], wo immer sie das Leben erzeugt, in einem semantischen Umfeld [stehen]; ihre pathognomische und physiognomische Valenz ist kontextgetragen.” (1933: 214) Durch die skeptische Musterung der sog. geisteswissenschaftlichen Ausdrucksforschung zieht sich als roter Faden nicht nur die Kritik an der Unsicherheit der Rückschlüsse auf innere Zustände, auch erlaubt die in zahlreichen Untersuchungen notorische Ablösung der Ausdrucksgestalten von der Situation und ihrer Funktion kaum zuverlässige Aussagen über deren Handlungssinn. 11 Als valides Differenz- oder Bezugsschema, anhand dessen die Semiotisierung des Expressiven zu bewältigen ist, favorisiert Bühler aus guten Gründen weder das Begriffspaar Zeichen/ Bezeichnetes noch die Unterscheidung von Innen/ Außen, sondern ein Sender-Empfänger-System bzw. die kommunikativen Rollen von Sprecher und Hörer. Alle Erklärungen werden deshalb im Kontext eines kommunikationstheoretischen Bezugsrahmens entfaltet, insbesondere in dem in der Krise der Psychologie und ihrer Axiomatik herausgearbeiteten Steuerungsparadigma, das sämtliche Erscheinungen im Zusammenhang einer “Kontaktsituation” als mögliche Funktionen für die wechselseitige Steuerung von Handeln, Verhalten und Erleben behandelt. 12 Die hier konsequent verfolgte Rezipientenorientierung, die stets nach der “Resonanz des Empfängers auf den Sender” (1933: 198) fragt, ermöglicht schließlich erst die Einsicht in interaktionsrelevante “Initialsymptome”, “Verlaufsmomente” und Funktionszusammenhänge, wie sie allein durch die Rekonstruktion von Abstammungsverhältnissen, externer Beobachtung anatomisch-physiologischer Mechanismen oder dem verstehenden Nachvollzug individueller Befindlichkeiten, von denen man unterstellt, sie kämen am Körper zum Ausdruck, überhaupt nicht erschlossen und begriffen werden können. Weil Bühler weniger eine abgekoppelte bzw. eigenständige Theorie nichtsprachlichen Handelns im Auge hat, sondern vielmehr die nichtsprachlichen Dimensionen der wechselseitigen Handlungssteuerung, deren spezifische Semantizität mit eben jener der sprachlichen Kommunikationsmittel die Einheit dieses Prozeßgeschehens bildet, erweist sich auch jedes noch so sorgfältig erstellte Lexikon isolierter Ausdrucksformen allein als vollkommen insuffizient, wenn die Berücksichtigung der Valenz des semantischen Umfeldes der Ausdruckssymptome unterbleibt. Bühlers erkenntnisleitendes Motiv bleibt der semantologischen Grundeinsicht in die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Erfassens der Ausdrucksphänomene verpflichtet (Eschbach 1981; Camhy 1984). 13 Die zu entwickelnde “Synsemantik” als eine konsequent kommunikative, also auf funktionale Aspekte des Geschehens zwischen Sprecher und Hörer ausgerichtete Betrachtungsweise, stünde indessen ganz in der Nähe einer soziolo- Jens Loenhoff 116 gischen Handlungstheorie: “[…] systematisch aufgreifen müßte die Dinge der Soziologe und Ernst machen mit der Aufgabe einer umsichtigen wissenschaftlichen Analyse des menschlichen Kontaktgeschehens.” (1933: 213) Andererseits zeigt Bühler ebenso deutlich, was im Bezugsrahmen soziologischer Theoriebildung kaum Interesse finden kann, daß nämlich zu einer brauchbaren Ausdruckstheorie die Einsicht in ihre neurologischen, anatomischen und psychophysischen Fundamente gehört, weshalb in seiner Darstellung auch die Rezeption der Arbeiten von Bell, Duchenne und Gratiolet Berücksichtigung findet, die Bühler vor allem auch als studierter Mediziner sachkundig zu erfassen und zu beurteilen versteht. IV. Als historiographische Arbeit und als Rekonstruktion des ausdruckstheoretischen Diskurses seit seinen Anfängen in der griechischen Antike ist die Ausdruckstheorie mehr als ein Stück deskriptiver Wissenschaftsgeschichte, sie ist im besten Sinne das, was man “Problemgeschichte in systematischer Absicht” nennen kann. Bühlers hier exemplarisch in Anschlag gebrachte Methode, an “[…] gescheiterten großen Systemversuchen nachzuweisen, woran sie letzten Endes gescheitert sind” (1933: 11), ermöglicht mehr als enzyklopädische Wissenschaftsgeschichtsschreibung, denn sie versteht sich als Beitrag zur aktuellen Theoriebildung ihrer Zeit. Bühlers Ausdruckstheorie erweist sich am ehesten als “kritische Historiographie”, wie sie Nietzsche einmal unter Ablehnung einer monumentalischen und einer antiquarischen Geschichtsschreibung und ihrer “[…] blinden Sammelwuth, eines rastlosen Zusammenscharrens alles einmal Dagewesenen” (1988: 268) im Auge hatte. 14 Zu einer solchen kritischen Historiographie gehört auch und gerade, den ausdruckstheoretischen Diskurs nicht ohne Bezug zu sozialen Strukturen und gesellschaftlichem Wandel zu rekonstruieren. Denn wenn Diskurse Sinnbewirtschaftung leisten, indem sie auf sozial produzierte Kontingenzen reagieren, dann ist ganz jenseits wissenschaftsinterner Wandlungs- und Lernprozesse die Frage aufschlußreich, auf welche gesellschaftlich-historischen Zustände derartige Diskurse eine Antwort zu geben versuchen. Eine solche Frage beträfe etwa die von Bühler geäußerte Vermutung, im Verhältnis zur mimischen und gestischen Praxis vergangener Zeiten sei eine zunehmende Subtilisierung im Ausdruck, ein Vermeiden des spezifisch Pathetischen im kommunikativen Alltag wie auch in der Schauspielkunst zu beobachten, welche wiederum erhöhte Anforderungen an die Deutungskompetenzen von Sprechern und Hörern stelle (1933: 50). Ob Bühler selbst diesen Befund als Effekt sozialer Differenzierung deutet oder ob man ihn als Indikator für die grundsätzliche Historizität von Interaktionssystemen interpretiert, bleibt noch offen. Insgesamt aber überwiegen in der Argumentation internalistische Motive, interpretiert sie doch den ausdruckstheoretischen Diskurs fast ausschließlich aus der Dynamik der aufeinanderfolgenden Entwürfe selbst und nicht externalistisch aus gesellschaftlich-historischen Bedingungen, unter denen jede Wissenschaftsgeschichte zwangsläufig steht. Dieses Verfahren ermöglicht Bühler andererseits aber jenen systematischen Ertrag, der durch externalistische, primär auf gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen setzende Erklärungen, kaum zu leisten gewesen wäre. Die alltägliche Suche nach Rückhalt an den Merkmalen des Körpers und die Hoffnung auf den Leib als Evidenzquelle zur Erschließung fremden Bewußtseins stehen oft quer zum Projekt einer wissenschaftlich begründeten Ausdruckstheorie, und erst recht zu einer historischen Anthropologie und den von ihr identifizierten epochetypischen Menschen- und Körperbildern. Andererseits bildet sie genau jene Erfahrungsbasis, auf der eine allgemeine Karl Bühlers Ausdruckstheorie: zu einer Sematologie des Nichtsprachlichen 117 Sematologie, will sie das Ganze kommunikativer Sinnverarbeitung in den Blick nehmen, aufbauen muß. Wie weit man damit kommt, trifft man nur die richtigen Vorentscheidungen, hat Bühler mit seiner Ausdruckstheorie gezeigt. Seine Überzeugung, man könne dieser, “[…] gestützt auf gute Gründe, eine günstige Prognose” (1933: 14) stellen, erweist sich heute als kontrafaktisch, hat doch die Kategorie “Ausdruck” in den meisten handlungswissenschaftlichen Ansätzen ihre epistemologische Ortlosigkeit offenbar nicht überwinden können. Der von Bühler beklagte Abriß der Kontinuität zwischen der Geschichte der physiognomischen Systeme seit der Antike und der zeitgenössischen Kommunikationsforschung hat mit nur wenigen Ausnahmen keinen erneuten Anschluß gefunden. Literatur Argyle, Michael; Ingham, R. / Alkena, F. / McCallin, M., 1981: The Different Functions of Gaze, in: Adam Kendon (ed.): Nonverbal Communication, Interaction, and Gesture. Selections from Semiotica, The Hague: Mouton Publishers, S. 283-296. Bell, Charles, [1833] 1979: The Hand. Its Mechanism and Vital Endowments as Evincing Design, Brentwood: Pilgrims Press. Bell, Charles, 1806: Essays on the Anatomy and Philosophy of Expression, London: John Murray. 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Ungeheuer, Gerold, 1984: Bühler und Wundt, in: Achim Eschbach (Hg.): Bühler-Studien, Bd. 2, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 9-67. Anmerkungen 1 Wurde die Ausdruckstheorie nach ihrem Erscheinen noch in den einschlägigen Fachzeitschriften besprochen (Kamp 1984: 285f.), so berühren in den von Eschbach herausgegebenen Bühler-Studien (1984) lediglich einige verstreute Bemerkungen die Thematik, da das Interesse der Autoren eher der spezifischen Semantizität sprachlicher Kommunikationsmittel gilt. Eine Ausnahme bilden lediglich die Einlassungen Ungeheuers (1984), der die Ausdruckstheorie im Zusammenhang mit Bühlers Verhältnis zu Wundt erwähnt. 2 Dabei ist ein nicht unerheblicher Teil der Auswahl der eher assoziativen Erwähnung in Wundts erstem Band seiner Völkerpsychologie (1900) geschuldet, wie Ungeheuer (1984: 22) anmerkt. 3 Gerät die “körperliche Beredsamkeit” des Schauspielers erstmals in der Barockzeit ins Blickfeld, so ist die darauf folgende Krise des Theaters und des mit ihr verbundenen Wandels der Rolle des Schauspielers, die z.B. Lessing in seinen Theaterschriften zu bewältigen versucht, für den weiteren Gang des ausdruckstheoretischen Diskurses symptomatisch. Bühler sieht, wie er insbesondere am Beispiel von Engels Mimik zeigt, das seit dem 18. Jahrhundert gesteigerte Interesse am Ausdruck als Suche nach diesbezüglich neuen Formen und als “Quellpunkt” einer fruchtbaren theoretischen Bewegung, die das Schauspiel als epistemologisches Modell zur Bestimmung menschlicher Expressivität favorisiert. Siehe dazu auch die Darstellung von Käuser (1989). 4 Welche Funktion dies insbesondere für die Gesprächsorganisation hat, ist im Kontext gesprächsanalytischer Forschung herausgearbeitet worden (Argyle et al. 1981, Duncan/ Niederehe 1974, Erb-Sommer/ Schmitz 1989, Kendon 1967 und Schmitz 1998). Zur Reflexivität des Wahrnehmens und seiner Funktion für den Kommunikationsprozeß siehe auch Loenhoff (2001, 2003). 5 Zur Darstellung der Pideritschen Physiognomik und deren Deutung durch Bühler siehe auch Braungart (1995: 156ff.). 6 In dieser Tradition stehen z.T. immer noch die Arbeiten von Ekman (1980) und Ekman/ Rosenberg (1997). 7 Bühler hat diesen Irrtum an anderen Stellen (1965: 46f., 2000: 192ff.) treffend als “Stoffdenken” oder “Stoffentgleisung” bezeichnet. 8 Siehe dazu auch Bühler (1930, 1965). Obgleich die Differenzierung zwischen Ausdruck und Darstellung im Bereich der gesprochenen Sprache deutlich schärfer als im Bereich der Mimik und der Gestik hervortritt, ist die Karl Bühlers Ausdruckstheorie: zu einer Sematologie des Nichtsprachlichen 119 Geschichte der Ausdruckstheorie im wesentlichen eine Geschichte der Bestimmung visuell wahrnehmbarer Ausdrucksphänomene. Die symptomatische Dimension von Schall- und Klanggestalten und die “physiognomischen Valenzen der Sprechstimme” (1933: 35), die Bühler in seinem Wiener Institut an zahlreichen Experimenten mit z.T. modernen Aufzeichnungsverfahren zu ermitteln versucht hat, sind in der Wissenschaftsgeschichte entweder randständig oder nur wenig beachtet worden (wie z.B. auch die Arbeiten von Rutz oder Sievers). Siehe dazu etwa Gessinger (1994) und Meyer-Kalkus (2001). 9 Zu Bühlers Argumentation siehe vor allem die Ausführungen in der Krise der Psychologie (Bühler 2000: 71f. u. 117ff.). Für das grundsätzliche Verhältnis von Bühler und Wundt aufschlußreich sind darüber hinaus die Überlegungen von Ungeheuer (1984). 10 In welcher Weise sich Ausdruck nicht nur am Körper zeigt, sondern auch an der Handschrift als dessen unmittelbarer Spur, hat Klages als routinierter Graphologe in zahlreichen Publikationen zu plausibilisieren versucht. Obgleich Manuskripte relativ einfache und quantitativ erfaßbare Momente im Ausdrucksgeschehen anzeigen, führt die Zuordnung je unterschiedlicher innerer Zustände zu denselben Symptomen allerdings zu diversen semiotischen Verwechslungen, die umgehend Bühlers Mißbilligung finden. Darüber hinaus kann das alles entscheidende Problem der “Bezugswendungen”, die als “dynamische Bewegungscharaktere” (Klages) am Körper des Erlebenden manifest werden, nicht aber ohne weiteres auch an dessen Handschrift. Bühler sieht dieses Problem in der Graphologie Klages’ als nur unzureichend gelöst an. 11 Ganz ungeachtet dessen besteht das Problem, solche Innerlichkeit zu erschließen, auch deshalb, weil etwa Gebilde, deren Schaffung durch innere Handlungen motiviert ist, wiederum auf diese Innerlichkeit selbst zurückwirken: “Wer weiß, was es auszudrücken übrig bliebe, wenn man den Menschen der Fiktion, der Maske und des Rollenspiels in jeder Form entwöhnen könnte.” (Bühler 1933: 203) 12 Die sich u.a. in der Bühler-Tradition wissenden Überlegungen von Ungeheuer (1987) und Schmitz (1994) haben diesen Ansatz als “Eindrucksmodell” gekennzeichnet und ihn von einem sprecherorientierten “Ausdrucksmodell” abgegrenzt. Zu Bühlers diesbezüglicher Argumentation siehe auch Loenhoff (2000b). 13 Dies könnte man auch heute noch einer nicht unerheblichen Zahl von Studien zu nonverbalem Verhalten ins Stammbuch schreiben. Der auch heute noch gängige Isolationismus in der psychologischen Forschung, die stereotypen und unzulässigen Verallgemeinerungen von Merkmalen und Bedeutung menschlicher Körperhaltung, Gestik und Mimik, der in Kommunikationstrainings bis in die Kolumnen der Boulevardpresse kursierende und von dort wieder ins Alltagswissen einsickernde Unsinn über die sichere Erkennung von Emotionen, mentalen Zuständen und anderem mehr - all diese vorsätzlichen oder bedenkenlosen Behauptungen würden durch die Lektüre der Ausdruckstheorie eines besseren belehrt. 14 Daß eine so verstandene Wissenschaftsgeschichte im Zeitalter eines Aktualitätsfetischismus, der jeden beliebigen gesellschaftlichen Trend sofort mit “neuen” Theorien meint überholen zu müssen, unter einen totalen Sinnlosigkeitsverdacht gerät, wird übrigens gerade dort, wo man die internationale Wissenschaftselite vermutet, am wenigsten verstanden. Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 752 88 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de KODIKAS / CODE Supplement Sabine Marienberg Zeichenhandeln Sprachdenken bei Giambattista Vico und Johann Georg Hamann KODIKAS / CODE Supplement 27, 2005, 192 Seiten, ca. € [D] 49,-/ SFR 84,- ISBN 3-8233-6166-X Seit Goethe auf die geistige Verwandtschaft zwischen Giambattista Vico (1668-1744) und Johann Georg Hamann (1730-1788) hingewiesen hat, sind beide Autoren immer wieder miteinander assoziiert worden. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich die Nähe vieler ihrer Formulierungen vor Augen führt, allen voran diejenige zwischen Vicos These, daß die ersten Menschen Poeten gewesen seien und in ‚ poetischen Charakteren‘ gesprochen hätten und Hamanns Auffassung von der Poesie als ‚ Muttersprache des menschlichen Geschlechts‘. Das Entscheidende an ihren Ansätzen ist jedoch, daß sie die Dynamik der sprachlichen Vermittlung zwischen Körper und Geist, Natur und Kultur, Hervorbringen und Erkennen akzentuieren, indem sie einerseits Sprache als Handlung verstehen und andererseits Handlungen als etwas betrachten, das als Zeichen ‚ lesbar‘ sein kann. Dies macht beide nicht nur zu originellen Denkern angesichts der philosophischen Hauptströmungen ihrer Zeit, sondern rückt sie auch in die Nähe jüngerer Überlegungen zur Konstruktivität des Weltbezugs und zum gemeinsamen Ursprung von praktischem Können und theoretischem Erkennnen. Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” Albert Wellek Ein prononcierter Neo-Behaviorist aus New England - nach amerikanischer Einteilung ein “rat-man” - war vor einigen Jahren eine Zeitlang an einer Universität des alten England tätig und erzählte damals voll Humor, welchen populären Fehlerwartungen er sich dort als Psychologe, wie andere Psychologen auch, ausgesetzt sah. So passierte es ihm in London, daß eine dortige Gesellschaftsdame ihn begeistert ansprach mit den Worten: “Oh, you are a psychologist? Can you read my mind? ” Wozu er bemerkte: “I could not, even if she had one.” Und ich: “I could, even if she had none.” 1 In diesem Aufeinanderprallen einer naiven Laienmeinung und zweier ob auch ironischer “fachmännischer” Stellungnahmen aus entgegengesetzten “Aspekten” der Psychologie erhellt schlaglichtartig das Dilemma, in dem sich diese Wissenschaft im Bezug auf ihre Selbstdefinition, ja schon auf den Begriff ihres Gegenstandes heute wie vor Jahrzehnten befindet. Zuerst der Laie, für den die Realität der “Seele” sich von selbst versteht und der vom Seelenwissenschaftler einen quasi prophetischen Einblick in diesen selbstverständlichen Gegenstand erwartet, ähnlich wie vom Arzt in den Körper und die Krankheit des Körpers. Auf der anderen Seite der “streng naturwissenschaftlich” arbeitende Behaviorist, der am Menschen als Menschen unmittelbar gar nicht interessiert ist, sondern nur indirekt, auf dem Wege über seine Tierversuche, dem obersten Tier mit seiner “Psyche” beizukommen gedenkt - für den dementsprechend diese Psyche bestenfalls ein konventioneller Verständigungsbegriff ist und jedenfalls als solche keine Realität besitzt; ein Forscher demnach, der die Laienerwartung völlig enttäuscht und dies mit aller Selbstzufriedenheit feststellt, indem er sie lächerlich findet. In dieser seiner Ablehnung unterstellt er dann aber doch, wenn auch bloß ironisch, den populären Seelenbegriff in seiner Wendung zum “moralischen” Charakterbegriff - also so, daß man Seele haben könne oder auch nicht. Und hier wiederum hakt der am Ideal der “verstehenden Psychologie” orientierte Charakterologe ein, indem er sich, wiederum ironisch, bereit erklärt, die populäre Erwartung zu übertreffen, nämlich den (“psychologischen”) Charakter auch dann zu erkennen, wenn er im Sinne des “moralischen” Charakters fehlt. Wer indes Karl Bühlers “Krise” - vor einem Menschenalter geschrieben - und wer die jüngst wieder aufgelebte Diskussion um eine Methoden- und das heißt Problemkrise der Psychologie sich vor Augen stellt, wird zugeben, daß diese gegensätzlichen Möglichkeiten der Definitionen, der Fragestellung und der Methode wohl die Extreme markieren, aber die K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Albert Wellek 122 Buntheit des Bildes noch nicht einmal ahnen lassen, geschweige erschöpfen. Das Stichwort von einem “Rückfall in die Methodenkrise der Psychologie” konnte und mußte gerade in der jüngsten Gegenwart in die Diskussion geworfen werden, um diese jüngste Situation zu charakterisieren. Der Kürze wegen sei es gestattet, auf des Verfassers Darlegungen zu und unter diesem Titel zu verweisen 2 , zumal auf die dort erörterte internationale Literatur. In einem Hauptpunkte der Bühlerschen “Krise” schien bald nach deren Erscheinen eine endgültige Klärung erreicht, der Sieg für die revolutionäre Partei erfochten: wir meinen die Revolte unter der Losung “Ganzheit, Gestalt, Struktur” gegen den traditionellen Assoziationismus, das heißt Atomismus und Mechanismus (das 2. und 4. “Axiom” nach Bühlers Vorwort zur 2. Auflage, 1929). Hier ging die Woge vorerst sogar über das wenige hinweg, was Bühler und seine Schule sozusagen zur Ehrenrettung der Assoziationslehre geltend zu machen versuchten. Indes blieben alle physiologisch und tierpsychologisch vergleichend ansetzenden Richtungen im Grunde mechanistisch, selbst wenn und soweit sie, wie sogar Pawlow, zuweilen den Begriff “Ganzheit” im Munde führen und den Mechanismus der Theorie nach verwerfen. Aber auch bei den Instinktforschern, die die Instinkthandlungen - wohl selbst der staatenbildenden Insekten - als bloße “Reflexketten” ansprechen zu können glauben, meldet sich, wie zuzeiten ausdrücklich bei Konrad Lorenz, ein entschlossener Atomismus wieder zu Worte. Andere Autoren wiederum erklären “Ganzheit” im Psychischen heute für eine Selbstverständlichkeit - offensichtlich zu dem Zweck, um von diesem Gedanken keinen Gebrauch zu machen. Nicht minder ist in der Persönlichkeitsforschung in deren faktorenanalytischer Richtung die von Krueger und vor allem Spearman inaugurierte ganzheitlich-hierarchische Sichtweise vorerst wieder zurückgedrängt und bei Thurstone durch einen provisorischen, bei Eysenck vollends durch einen robusten Atomismus wiederersetzt worden. Die Einigung im Zeichen der Teleologie, die Bühler (S. 22, 65) voraussagte, ist noch immer gefordert, nicht erreicht. Wohl ist das Konzept der Anpassung von vornherein ein teleologisches oder sogar, als “Einpassung”, ein ganzheitlich-strukturelles - letzten Endes. Aber in der mechanistischen Orientierung der (auch “Neo-“) Behavioristen wird auch Anpassung kausalistisch mißverstanden als eine ursächliche Einwirkung von Umweltreizen auf das (letztlich passive) Lebewesen. Ganz ähnlich wird auch in der Motivationslehre immer wieder das Motiv mit allen seinen Sinnbezügen als (mechanische) Ursache des Handelns oder Verhaltens mißverstanden, das vorschwebende Ziel der “Determination” als von hinten anschiebende wirkursächliche Kraft (die nur in der Vorstellung vor uns liegt) interpretiert - so bei N. Ach, so aber auch bei Freud. Das Selbstmißverständnis der Psychoanalyse als einer kausal erklärenden statt einer “verstehenden” Psychologie ist von Jaspers, ihre Verwechslung zwischen Sinnzusammenhängen und Kausalzusammenhängen von Scheler und Allers schon früh klargestellt worden 3 . Auch die von Bühler erwartete Überwindung des “Physikalismus” in der Psychologie (S. 70) ist inzwischen nicht allgemein gelungen. Im Gegenteil, die in Bühlers Wiener Jahren neben ihm in Wien entwickelte dogmatische “Einheitswissenschaft”, der im wesentlichen die Berliner “Gestalttheoretiker”, aber auch ein eigener Schüler Bühlers wie Egon Brunswik gefolgt sind, setzte den Physikalismus, teils in physiologistischer Verkleidung, teils ohne diese, programmatisch fort. Die letzte Zuspitzung erfährt diese Entwicklung gerade bei Brunswik, indem er (1952) für die Psychologie zwar einen “thematischen Physikalismus” ablehnt, um aber nun erst recht einen “methodologischen Physikalismus” zu fordern. Hand in Hand damit geht das “hochaktuell” gewordene “Kybernetik”-Werben: die (vorerst) letzte Raffinesse des “Maschinenmodells” des Menschen, die zunächst gar nicht Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” 123 psychologisch gemeint war, aber von Physikalisten sogleich begeistert aufgegriffen wurde. Vorweg in Österreich die empirisch physiologisch ansetzende Hirntheorie von H. Rohracher, die insofern zum mindesten methodisch im Vorteil ist, als sie eben empirisch fundiert bleibt. Aber auch manche der inzwischen modern gewordenen Schichtentheorien sind von einem physikalisch orientierten Biologismus getränkt. Zum mindesten das physikalisch Raumhafte des geologischen “Aufschichtungs”-Modells ist von Kritikern wiederholt beanstandet worden. Vollends das Baconistisch-pragmatistische Vorurteil (bei Bühler S. 19 apostrophiert), wonach Wissenschaft dazu da ist, zu verändern und für solche Veränderung Voraussagen zu machen, - dieses Vorurteil hat sich seither entschieden weiter vorgeschoben. Zwar setzt es wieder eine Teleologie und zudem explizite axiologische Setzungen voraus, operiert aber im Prognostizieren wiederum weitgehend kausalistisch - bestenfalls “vektorenanalytisch” im Sinne von Lewin. Ein Vektor aber ist nur dann ein Vektor, wenn er als kausal angreifende Kraft interpretiert werden kann - was ja wohl auch die Meinung ist. Das eigentliche Herzstück von Bühlers Krise: die Drei-Aspekten-Lehre, hat sich als ein Ei des Kolumbus erwiesen. Zu ihrer bleibenden Bedeutung und Fruchtbarkeit hat sich zum Beispiel Lersch 1951 und 1953 noch einmal ausdrücklich bekannt, um zugleich in seinem “Aufbau der Person” den Begriff des Aspekts, dem Wortsinn folgend, auf die verschiedensten perspektivischen Beziehungen auszuweiten. Daß man dem behavioristischen Radikalismus endgültig stattgeben und den Erlebnisaspekt - den horribile dictu “subjektiven” - aus der Wissenschaft bannen und verbannen könne und müsse, hatte nur vorübergehend Wahrscheinlichkeit. Vor allem im Laufe des jüngsten Jahrzehnts wurde auch in den USA das Bewußtsein und das Erleben wissenschaftlich in den verschiedensten Formen und Zusammenhängen “wieder entdeckt” und “reconsidered” (so wörtlich zum Beispiel McClelland und David Bakan). Und selbst in der Tierpsychologie und der ausdrücklich so genannten “Verhaltensforschung” tauchen Rückschlüsse auf die “subjektive” Seite des tierischen Verhaltens zögernd wieder auf - wie dies zum Beispiel Felix Krueger und Hans Volkelt noch 1937 energisch verfechten, Konrad Lorenz u.a. eher stillschweigend wieder oder weiter tun. Die negative Formulierung dieser Möglichkeit begegnet in der spitzen These Arnold Gehlens (1940, S. 203): “Es gibt keine Psychologie, sondern nur eine Biologie von innen.” Die drei Aspekte Bühlers begründen sich vom Inhaltlichen, ja regelrecht vom “Stoff”, das heißt vom Erkenntnisgebiet oder Erkenntnisgut her; sie sind “Aspekte” insofern, als sie die möglichen Ausgangsbasen der psychologischen Erkenntnis bezeichnen, nach denen man hinblickt, nicht von denen man ausblickt. Quer dazu stellen sich inzwischen, rein formalmethodisch verlaufend, mindestens zwei mal zwei weitere Aspekte, hier also nicht im Sinne des Anblicks für den Psychologen, sondern des Ausblicks des Psychologen auf das Erblickte, das Material. Es sind dies: 1. Der alte Methodendualismus von Physiologischer und Völkerpsychologie im Sinne Wundts, das heißt von experimenteller und nicht-experimenteller Verfahrensweise, in Parallele zur Dilthey-Sprangerschen Alternative von natur- und geisteswissenschaftlicher Psychologie. Die letztere sollte nach Bühler als dritter seiner 3 Aspekte eingefangen werden; doch kennt sowohl Spranger auch ein Experiment in der geisteswissenschaftlichen Psychologie (zum Beispiel Denkpsychologie und Intelligenzforschung) als auch umgekehrt Bühler ein nicht-experimentelles Verfahren in der Erlebens- und Verhaltenspsychologie. Hier bestehen also keine vollen Deckungen. Neu formuliert und stärker formalisiert erscheint der Gegensatz allerjüngst (1957) bei Lee J. Cronbach in dem Albert Wellek 124 nordamerikanischen “Schisma” von experimenteller und “korrelationeller”, das ist im weitesten Sinne vergleichender Psychologie. Letzteres läßt sich auf die Kruegersche Gegenüberstellung von Phänomenologie im engeren Sinne und Strukturtheorie, daß heißt Beschreibung und ontologischer Reduktion hinausführen oder eigentlich erweitern. Hier hat der anthropologische oder (allgemeiner) “philosophische” Aspekt seinen Ort, welch letzteren Lersch an 4. Stelle zu den Bühlerschen Aspekten hinzugenommen wissen will. Da es sich hier aber nicht so sehr um ein neues (viertes) Stoffgebiet als um einen Standpunkt und eine Sicht- und Verfahrensweise handelt, so wird es zweckmäßiger sein festzuhalten, daß der strukturell-anthropologische ebenso wie der primär phänomenologische Aspekt als zwei formal-methodische Aspekte gleicherweise durch alle drei Bühlerschen Materialaspekte (Erleben, Verhalten, Werk) hindurchschneiden. 2. Die von Eduard May im Anschluß an Nicolai Hartmann und die Scholastik formulierten “Intentionen”, nämlich “intentio recta” und “obliqua”. Hier zeigt sich, daß die Nichtanerkennung der ersten Erkenntnisrichtung - der intentio recta - auch die Durchsetzung der Bühlerschen Trias gefährdet. Wird nämlich der “subjektive” oder Erlebnisaspekt als der intentio obliqua unzugänglich, ja unannehmbar verworfen, so bleibt als einziges “Behavior = Leistung” zugelassen, das heißt Verhaltens- und Werkaspekt ineinsgesetzt. Die Eigenart und Eigenständigkeit des letzteren, als des “geisteswissenschaftlichen” Aspekts, wird dann gar nicht gesehen. Und doch liegt gerade hier die Stelle, wo ein wesentlicher “Fortschritt” im Sinne der Ausweitung und zugleich Vertiefung der wissenschaftlichen Psychologie erzielt werden konnte. Nur durch die Wiedergewinnung der intentio recta konnte die Ausdruckskunde, zumal im Sinne von Klages, nur durch die strukturell ontologische Reduktion die Charakterkunde und mit dieser die sogenannte Tiefenpsychologie in das System der Psychologie hereingenommen oder diesem zurückgewonnen werden. Das “Unbewusste” ist ein ontisch Strukturelles, das Strukturelle (im Sinne Felix Kruegers) ein Unbewußtes. Auf dieser Ebene kann die sogenannte Tiefenpsychologie verwissenschaftlicht, nämlich der Charakter- und Persönlichkeitstheorie eingegliedert werden. Das “Unterbewusstsein” ist Struktur, die Tiefenpsychologie ist, wie die Charakterologie, Strukturpsychologie und insofern ein Teil der Charakterologie. Von den vier “Axiomen” der “klassischen” Psychologie des ausgehenden letzten Jahrhunderts, wie sie Bühler im Vorwort zur Neuauflage der “Krise” formuliert, wurden drei (das atomistische, das sensualistische und das mechanistische) durch die Ganzheitspsychologie, das erste (das subjektivistische) durch den Behaviorism widerlegt. Wie an anderer Stelle vom Verfasser dargelegt 4 , blieb als weiteres (5.) Axiom das “objektivistische” zu nennen, das heißt die “Konstanzannahme” im Sinne Wolfgang Köhlers, das aus dem atomistischen und mechanistischen erfließt und mit diesen beiden durch die Gestalt- und Ganzheitspsychologie widerlegt wird. Und schließlich impliziert das erste, das “subjektivistische”, ein 6. (und letztes) Axiom, das “phänomenalistische”, welches die Existenz der Seele wissenschaftlich ausschließt, das heißt eliminiert (als “Psychologie ohne Seele”). Dieses ist durch die “anthropologische Wende”, das heißt durch die Strukturpsychologie im Kruegerschen Verstande, und schon durch die bloße Möglichkeit einer Charakterologie und Tiefenpsychologie überwunden. Die methodologische Arroganz, die zu Bühlers “Krisen”-Zeit noch nicht so stark im Vordergrunde stand wie heute, gruppiert sich nunmehr um drei für manche Kreise überwertige Ideen: Behavior, Objektivität, Voraussetzungslosigkeit. Die letztere segelt neuerdings Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” 125 bevorzugt unter der Flagge des “Operationismus”. Daß der Alleinanspruch des Verhaltensaspektes selbst dort, wo er herkam und Mode war, überwunden ist, ist schon gesagt worden. Daß es Voraussetzungslosigkeit in der Psychologie nicht gibt, wird gleichfalls mehr und mehr eingesehen, seit die Voraussetzung von der Voraussetzungslosigkeit der reinen, “exakten” Naturwissenschaften erschüttert, das heißt als ihrerseits voraussetzungsvoll erkannt worden ist 5 . Bleibt die Gleichsetzung des Begriffs der Objektivität mit der Alleingeltung einer einzigen - der mathematischen - Methode: eine Ausschließlichkeit, die in der kontinental-europäischen Psychologie niemals aktuell gewesen ist und in der nordamerikanischen wahrscheinlich nicht mehr lange aktuell sein wird - nach bestimmten neuen “Krisen”-Zeichen zu urteilen. Der Gegensatz von phänomenologischer, das heißt eigentlich psychologischer Methode und operationeller, das heißt eigentlich nicht-psychologischer Methode in der Psychologie ist eine Spezifizierung der allgemeineren Alternative von intentio recta und obliqua und wie diese nur in der Bejahung beider, das heißt in der Synthese zu lösen, worauf - im Anschluß an den Verfasser - neuestens besonders dessen Mitarbeiter Theo Herrmann hingewiesen hat 6 . Als Fazit dieser knappen Rück- und Überschau ergibt sich, daß in der Geschichte einer Wissenschaft ein Dritteljahrhundert doch recht wenig auszumachen scheint. Die 4 Axiome der “klassischen” Psychologie ergänzen sich durch zwei weitere. Das Bühlersche 2.-4. Axiom bildet unter sich und mit dem 5. (“objektivistischen”) eine Einheit und ist durch die Ganzheitspsychologie, soweit - und nur soweit - diese sich durchgesetzt hat, widerlegt. Das 1. (subjektivistische) wird durch ein sechstes (das “phänomenalistische”) Axiom vertieft; das 1. ist durch den Behaviorism und durch die Strukturpsychologie, das 6. allein durch diese überwunden. Dank letzterem ist die Einbeziehung der Charakterologie samt der “Tiefenpsychologie” in das System der Psychologie möglich geworden. Bühlers Lehre von den 3 Material-Aspekten der Psychologie hat sich im wesentlichen durchgesetzt. Quer dazu treten 2 formal-methodische Aspekte, die, jeder in seiner Weise, durch alle 3 Material-Aspekte hindurchschneiden: a) intentio recta und obliqua; b) der phänomenologische und der ontologisch-strukturtheoretische Aspekt. Der Gegensatz von natur- und geisteswissenschaftlicher Psychologie, soweit noch aktuell, reduziert sich auf den der beiden ersten Materialaspekte gegenüber dem dritten. Hinter dem Schlagwort “Naturwissenschaftliche Psychologie” verbirgt sich zuletzt nur noch eine wissenschaftlich-weltanschauliche Überzeugung, nämlich der Positivismus - nicht mehr eine rein methodischthematische Gebietsabgrenzung wie zuvor. “Geisteswissenschaftliche Psychologie” ist sodann, was per exclusionem übrigbleibt, also alle nicht-positivistische Psychologie. Alle diese Klärungen sind indes noch nicht endgültig ausgefochten, etliche eben erst angebahnt und zukünftigen Bemühungen anempfohlen. Dazu mag in unserm besonderen Falle das politische Unheil der letzten Jahrzehnte beigetragen haben, das eine viel schlimmere Auseinanderentwicklung der Nationen und Kontinente auf einem philosophisch-weltanschaulich so voraussetzungsvollen Gebiete zur Folge hatte als in weniger voraussetzungsvollen Wissenschaften, und als unter der hypothetischen Bedingung zu erwarten gewesen wäre, daß kein 2. Weltkrieg auf Jahre hinaus alle Verbindungen zerrissen hätte. Wie dem auch sei: so viel ein Bühler vor allem durch die 3- Aspekten-Lehre zur Klärung beigetragen und an Anstößen gegeben haben mochte - wir stehen in der Mehrzahl der Perspektiven noch vor den gleichen Problemen, ohne daß wir uns rühmen könnten, mit irgendeinem endgültig fertiggeworden zu sein. Tröstlich hinzuzusetzen, daß auch negative Entscheidungen nicht endgültig durchgedrungen sind. Verbotstafeln aufzurichten, deren sachliche Grausamkeit Bühler 1927 noch kaum ahnen konnte, ist seither Albert Wellek 126 mit verstärktem Aufwand versucht worden und doch nicht für Dauer gelungen. Auf dem alten Kontinent hat es kaum einen Psychologen von Bedeutung gegeben, der die Notwendigkeit der Integration und Synthese der Aspekte und Methoden nicht erkannt, in ihr nicht das Mittel gesehen hätte, eine fatale Vereinseitigung, ja Verkrüppelung der Psychologie als Wissenschaft abzuwenden. Im Lande des großen Gegenspielers aber sind mächtige Verbündete aufgestanden, die gleicherweise fordern, die Psychologie aus jeglichem “Schisma” herauszuführen. Das Schisma ist die Krise, die selbstkritische Einsicht in das Schisma aber die Überwindung der Krise der Psychologie. Zusammenfassung Ein Menschenalter nach Bühlers epochemachendem Buche “Die Krise der Psychologie” ist ein Rückfall in die Methodenkrise zu verzeichnen. Erst mit dessen Überwindung, die sich anzubahnen scheint, wird die Krise als endgültig überwunden gelten können. Dazu haben die von Bühler gebotenen Klärungen, zumal seine Lehre von den “drei Aspekten”, Entscheidendes beigetragen und weiter beizutragen. Summary One generation after Bühler’s epoch-making book, “Die Krise der Psychologie”, a relapse into the crisis of methods is to be registered. Only after its overcoming which seems to be initiated, the crisis will finally pass for conquered. To this overcoming, the clarification offered by Bühler, especially his doctrine of the “three aspects”, have been decisive contributions. Résumé Une génération après la parution du livre célèbre de K. Bühler (La Crise de la Psychologie), on doit constater une rechute dans la crise des fondements et des méthodes. Ce n’est qu’au moment où cette rechute aura été vaincue qu’on pourra dire que la crise aura été complètement surmontee. A ces progrès, les clartés apportées par Bühler, et notamment sa théorie des trois aspects auront eu une part décisive, et conserveront toute leur importance à l’avenir. Anmerkungen 1 O, Sie sind ein Psychologe? Können Sie in meiner Seele lesen? - Ich hätte es nicht gekonnt, selbst wenn sie eine gehabt hätte. - Und ich hätte es gekonnt, selbst wenn sie keine gehabt hätte. 2 Der Rückfall in die Methodenkrise der Psychologie als Ausdruck der Divergenz der Menschenbilder. Bericht über den 21. Kongreß der Deutschen Gesellschaft f. Psychologie in Bonn 1957, Göttingen 1958, 23-39. Selbständig (erweitert und kommentiert): Göttingen, Hogrefe, 1959 (34 S.). 3 Daß andererseits auch der Zweckzusammenhang nicht bloß mehr und anders ist als der bloße Kausalzusammenhang, sondern zugleich weniger und anders als der Ganzes-Glied-Zusammenhang, hat F. Krueger gegen Dilthey und O. Spann gegen die Scholastik geltend gemacht. Dazu Wellek: Verstehen, Begreifen, Erklären. Jahrbuch f. Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” 127 Psychologie u. Psychotherapie, 1, 1953, S. 401f.; Das Problem des seelischen Seins, 2 Meisenheim-Wien 1953, S. 42. - Spann: Kategorienlehre, Jena 2 1939, S. 22f.. 50. Hier das witzige Bild: “Der Zweck ist … die psychologische Ursache, die gleich einer Gebirgslokomotive von hinten anschiebt.” 4 Die Entwicklung der Grundannahmen der Psychologie und die Überwindung des Phänomenalismus und Psychologismus. Jahrb. f. Psychol. u. Psychother. 4, “1956” (1957), S. 211ff. 5 Dazu mein Vortrag “Die Anschauung vom Menschen in der modernen Psychologie” in: Das ist der Mensch, Stuttgart (Kröner) 1959, S. 58 6 Wellek: Mathematik, Intuition und Raten, Stud. gen. 9. 1956, S. 541ff. Th. Herrmann: Der Methodendualismus in der Psychologie. Jahrb. f. Psychol. u. Psychother. 5, “1957” (1958), S. 182ff. Sprachwissenschaft Simone Roggenbuck Die Wiederkehr der Bilder Arboreszenz und Raster in der interdisziplinären Geschichte der Sprachwissenschaft 2005, 382 Seiten, div. Abb., gebunden, 68,-/ SFr 115,- ISBN 3-8233-6140-6 “Ordnung ist das halbe Leben” - für die Wissenschaften und ihre komplexen Zusammenhänge gilt dies ganz besonders. In einem interdisziplinär-wissenschaftsgeschichtlichen Kontext fragt diese Arbeit danach, wie Bilder der Wissenschaft dabei helfen, ihre Erkenntnisse zu ordnen, und wie sie den Erkenntnisfortschritt beeinflussen. Dies wird am Bild des “Baumes” untersucht, der den Wissenschaften seit Jahrhunderten zur Gliederung von Wissen in Stammbäume, klassifikatorische Arboreszenzen usw. dient. Die Thesen werden aus geisteswissenschaftlicher Sicht vertreten und ausführlich am Beispiel der Geschichte der Sprachwissenschaft belegt, aber auch mit Rückgriffen auf Philosophie, Biologie, Kunstgeschichte u.a. Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 752 88 Internet: http: / / www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Die Gestaltwahrnehmungen Bemerkungen zu den gleichnamigen Untersuchungen K. B ÜHLERS , Bd. I. Vittorio Benussi I. Nach einigen Erwägungen allgemeinen Charakters zur Theorie des Gestalterfassens 1 wird von Bühler Lipps Theorie der Kräfteeinfühlung besonders und eingehender besprochen. Einerseits mit dem Hinweis auf die mechanischen Unmöglichkeiten, zu denen Lipps Auffassung notgedrungen führt, andererseits durch Vorführung einiger Beispiele, aus denen der zu große Erklärungswert der Lippschen Theorie, den schon Schumann hervorgehoben hatte, neuerdings herausgearbeitet wird; beides an der Hand sog. geometrisch-optischer Täuschungen. Bekanntlich scheinen in der gegebenen Umgebung a 1 a 2 b 1 b 2 einer scheinbaren, zu der von m 1 m 2 n 1 n 2 entgegengesetzten Krümmung verlagert zu sein. Nach den Gesetzen der Mechanik müßte hingegen zwischen a 1 a 2 und m 1 m 2 , zwischen b 1 b 2 und n 1 n 2 eine Ausgleichung stattfinden, denn “wo in aller Welt sollen wir im Bereich des mechanischen Geschehens erfahren haben, daß ein gerader Stab, von einer Kraft getroffen, die im Sinne der Durchbiegung einwirkt, sich kraft seiner Elastizität entgegengesetzt durchbiegt”? Zum zweiten Punkte hebt B. gleichfalls richtig folgendes Beispiel hervor: sekundäre Kräfte können nach L IPPS die primären nicht überwinden, wirken also sekundäre Kräfte einerseits auf eine Vertikale, welche infolge ihres Streckungsbestrebens länger erscheint, andererseits auf eine ihr objektiv gleiche Horizontale, welche sich einfühlungsmäßig zusammenzuziehen scheint und daher an Ausdehnung für den Beobachter einbüßen soll, so muß noch immer die Vertikale länger erscheinen als die Horizontale. Ergänzt man nun die Horizontale zu einer Müller-Lyerschen Figur des von mir sog. a-Typus (Nebenlinien nach außen gerichtet) die Vertikale aber umgekehrt zu einem e- Typus, dann erscheint diese kürzer als jene: die sekundären Kräfte haben also die primären überwunden; - außer man bezeichnet u.d.U. die Nebenlinien als die Träger der primären Kräfte, was eben wie die ganze Lippsche Deutung, willkürlich wäre. Es sei mir gestattet, auf einige eigene vor Jahren mitgeteilte, B. offenbar unbekannte Beispiele hinzuweisen, die gleichfalls gegen die Lippsche Auffassungsweise sprechen: 1. “Stellen die Nebenlinien etwa der e- und der a-Figur Kräfte, die nach einwärts bzw. auswärts streben, dar, so kann die Helligkeit dieser Nebenlinien für die Wirkung der K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Vittorio Benussi 130 entsprechenden … Kraft … Vorstellungen keine Bedeutung haben; denn für die Assoziation (genauer “Einfühlung”) müßte die durch die Nebenlinien gegebene Gestalt, nicht aber deren Farbe maßgebend sein. Die Täuschung müßte daher bei zu- oder abnehmender Helligkeit konstant bleiben.” “Dies tritt aber nicht ein.” (“Zur Psychol. des Gestalterfassens” [1904] S. 218, 404 u. bes. 446.) 2. “Aus gleichen Täuschungswerten verschiedener e-Figuren (d.s. solche, bei denen die Mittellinie fehlt) müßte man im Sinne der Lippschen Theorie auf assoziierte Vorstellungen von gleichstarken Kräften zurückschließen. Setzt man nun dem Einfluß gleichstark wirkender Kräfte eine konstante Hauptlinie (d.i. diejenige, die die zwei Scheitelpunkte verbindet) aus, so müßte man auch hier wieder das gleiche Resultat erzielen. Ergeben eine graue und eine weiße e-Figur denselben Täuschungswert, so dürfte man bei e-Figuren, für graue Nebenlinien mit weißer Hauptlinie und für weiße Nebenlinien mit weißer Hauptlinie berechtigterweise denselben Täuschungswert erwarten. Dies trifft aber nicht zu. Die zuzweit angeführte Figur ergibt vielmehr einen viel größeren Wert als die zuerst genannte” (ebd. S. 351ff. u. 446). Der Grund, weshalb es sich so verhält, liegt, wie ich gezeigt habe darin, daß durch gegebene Helligkeitsverschiedenheiten einzelne Gestaltkomponenten für sich erfaßt waren, d.h. darin, daß an Stelle einer einheitlichen Auffassung (G-Reaktion) eine analysierende, oder wie B. sagt, isolierende tritt. So wie in den von B. angeführten Beispielen die Dehnbarkeit der Lippschen Theorie zu einer Umkehrung in der Verteilung primärer und sekundärer Kräfte ihre Zuflucht ergreifen kann, so kann sie im gegenwärtigen Falle darauf appellieren, daß das Isolierte leichter als das Minderbeachtete zu Einfühlungen in Kräfte führen könnte; die prinzipielle Rolle, die das Gestalterfassen spielt, wäre aber hierdurch nicht beseitigt oder als untatsächlich erwiesen, da zwischen diesem Momente und dem Hervortreten von Täuschungen eine eindeutige nicht nach Bedürfnis umzukehrende Beziehung besteht. Die Beachtung dieses Momentes, nämlich der Gestaltauffassung führt nun mit sich, daß ein weiteres von B. vorgeführtes Beispiel nicht für alle Leser seiner interessanten Ausführungen gleich zwingend erscheinen dürfte. Er stellt nebeneinander zwei Müller-Lyersche Figuren des e-Typus (die eine mit vertikal, die andere mit horizontal liegender Hauptlinie) und zwei entsprechend zusammengestellte Figuren mit nach auswärts gerichteten Schenkeln (a-Typus) und meint, die zwei Vertikalen scheinen größer zu sein als die zwei entsprechenden Horizontalen. Für mich gilt bei ungezwungener Beobachtung (d.h. ohne isolierende Absicht) nur die zweite Ungleichung, d.h. die Vertikale der a-Figur scheint mir länger zu sein als die der ihr gleichen Figur mit horizontaler Hauptlinie. Dagegen ist die vertikale Hauptlinie der einen e-Figur scheinbar kleiner als die ihr gleiche horizontal liegende. Der Grund wird durch Selbstbeobachtung ohne weiteres klar: Sobald ich solche Figuren nebeneinander betrachte, gewinnt für mich die Horizontale an Auffälligkeit, sie isoliert sich, wenn auch wenig, aus dem gebotenen Komplex. Die hierdurch gegebene Verminderung der Einheitlichkeit sämtlicher Linien in der unmittelbaren Anschauung (es wird dabei bloß gewusst 2 , daß die gebotenen Linien eine bestimmte Gestalt ergeben) läßt die scheinbare Verkürzung der Horizontalen durch die schrägen weniger stark zur Geltung kommen. Die Gestaltwahrnehmungen 131 II. Die Ausführungen des nächsten § (S. 46ff.) sind der Widerlegung der Position E. Machs, wonach das Wiedererkennen einer Gestalt durch Gleichheit der Raumempfindungen, “welche die physiologisch-optische Ähnlichkeit der Gestalten charakterisieren”, auf “Gleichheit der Richtungen” zurückgeführt wird. B. weist mit Recht auf den später zu untersuchenden Proportionseindruck und den damit zusammenhängenden Eindruck der Schlankheit (an Vierecken) hin, welcher sich ohne jede Auffassung von Richtungsverhältnissen einstellt und ein sicheres Erkennen kleinster Proportionsverschiedenheiten vermittelt. Ferner zeigt es sich, daß, während es kaum möglich ist, die Parallelitätsverhältnisse an einem Komplex verschieden gerichteter Linien gleichzeitig zu erfassen (z.B. bei zwei nebeneinanderliegenden kongruenten Dreiecken), sich der Eindruck der Gestaltgleichheit (oder Ähnlichkeit) nichtsdestoweniger beim ersten Blick einstellt. Desgleichen ist ein Richtungsvergleich bei sukzessiver Darbietung so gut wie ausgeschlossen, trotzdem aber möglich, auf diesem Wege mit großer Präzision Gestaltähnlichkeiten oder- Verschiedenheiten zu erfassen. Schließlich ergibt sich aus der Erkennung von Gestaltähnlichkeiten bei Figuren mit gekrümmten Konturen zum Überfluß, daß der Richtungsvergleich (begründet auf die Auffassung der Parallelität homologer Seiten) hierbei keine Rolle spielen kann. Nach Exposition des Planes seiner folgenden Untersuchungen, die sich mit der Analyse des Geradheits-, Krümmungs- und Proportionseindrucks in erster Linie zu beschäftigen haben werden, bespricht B. den Unterschied, dem gegebene Gebilde im Hinblick auf ihre ästhetische Wirksamkeit ausgesetzt sind, je nachdem sie durch “isolierende Beobachtung” erfaßt werden oder nicht, und stützt diese meinerseits wohl nicht zu bezweifelnde Behauptung auf die Tatsache, daß geometrisch-optische Täuschungen schwinden, “wenn exakt isolierend beobachtet wird”, während “ein gedankenloses, verlorenes Darüberhinwegblicken für ihre Entstehung günstig” ist. Ich vermisse hier einen Hinweis auf meine Untersuchungen “Zur Psychologie des Gestalterfassens” (in Unters. zur Gegenstandstheorie und Psychol., herausg. von A. Meinong, Leipzig 1904, Nr. 5), wo ich m.W. wohl als erster den experimentellen Beweis erbracht habe, daß die einheitliche Auffassung zu einem Täuschungsmaximum, die analysierende zu einem Täuschungsminimum führt; daß beide Verhaltungsweisen übbar sind und daß alle Momente, in erster Linie verschieden auffällige Farben, die eine einheitliche Auffassung erleichtern, täuschungsfördernd wirken und umgekehrt. Im allgemeinen aber habe ich bereits gegen Heymans und Auerbach, deren Ausführungen B. ins Auge zu fassen scheint, dort selbst hervorgehoben, daß nicht die “Gedankenlosigkeit”, und jetzt kann ich hinzufügen “die Verlorenheit des Blickes”, sondern die hierdurch erleichterte Gestaltauffassung die Täuschung erhöht oder deutlicher hervortreten läßt: deswegen, weil unter solchen Umständen die für das Gestalterfassen günstigeren Verhältnisse einer beiläufigen Auffälligkeitsgleichheit der Gestaltkomponenten erreicht, bzw. bedingt wird. III. In den Ausführungen des nächsten § berührt nun B. die Beziehungen zwischen Gestaltungsprozessen und geometrisch-optischen Täuschungen und kann diese letztere Bezeichnung entgegen der Meinung H. Ebbinghaus’ nicht unzutreffend finden. Auch hier entbehre ich einen Literaturhinweis und zwar auf meine Arbeit “Experimentelles über Vorstellungsinadäquatheit, I: “Das Erfassen gestaltmehrdeutiger Komplexe” (in Zeitschr. f. Psychol. 42, Vittorio Benussi 132 S. 22ff., 1906). Es heißt daselbst (S. 25, A. 1): “Weder der Zusatz ‚geometrisch’ noch der weitere Zusatz ‘optisch’ (besagt) etwas für die gegebene Sachlage Charakteristisches, sofern mit dem ersten nur eine Gruppe von besonders leicht untersuchbaren Fällen von Vorstellungsinadäquatheit bezeichnet werden kann, der zweite aber der Tatsache keine Rechnung zu tragen vermag, daß jene Anomalien, die beim Gestalterfassen auf Grund optischer Eindrücke anzutreffen sind, auch dann hervortreten, wenn gegebene Gestalten auf Grund von akustischen oder haptischen Eindrücken erfaßt werden und sich das Subjekt, was seine Gestaltreaktion anlangt, bei den verschiedenen Sachlagen gleich verhält.” Damals schwebten mir namentlich die Versuche Robertsons (“Geom.-opt. Illusions in Touch” [Psychol. Rev. 9, 549ff.] vor, heute kann ich auf Untersuchungen von Koffka und von mir aus dem Gebiete der Zeitauffassung (vgl. meine Psychol. der Zeitauffassung S. 130ff., 441,470, 479 usw. und 163ff.: “Zeitmittenbest. bei optischer Zeitbegrenzung”) sowie auf die von mir festgestellten kinemato-haptischen Erscheinungen (vgl. Arch. f. d. ges. Psychol. 29, S. 385) hinweisen. Ob Ebbinghaus durch meine Ausführungen zu seiner Betrachtungsweise bestimmt wurde, weiß ich nicht; die Abneigung aber, die auch er gegen die herkömmliche Bezeichnung spürte, scheint mir sachlich durchaus begründet zu sein. Doch ist die Angelegenheit von nebensächlicher Bedeutung. Im folgenden weist B. auf die Erklärungstragweite hin, die den Bestimmungen über Proportionserlebnisse in Sachen der Streckenkontrasttäuschungen zukommen dürfte, worin ich ihm ohne weiteres zustimme, und wendet sich nunmehr abschließend einer Erwägung des Prinzipes zu, wonach die Träger vieler geometrisch-optischer Täuschungen in der “unscharfen Abstraktion und der Verwechslung der eigentlich gemeinten mit anderen Momenten an den räumlichen Komplexen” zu suchen wären, und nimmt gegen die “Evidenz der subjektiven Verschiedenheitsurteile” Stellung. “Denn ein Verschiedenheitsbewußtsein kann tatsächlich durch andere Momente oder durch Stücke eines Komplexes verursacht werden als die, auf die es der Erlebende im Urteil bezieht. Das scheint mir bewiesen zu sein durch zahlreiche Fälle aus den Proportionsversuchen.” “Die Tatsache dieser Verschiebbarkeit eines Reaktionserlebnisses von den kausierenden Momenten auf andere, scheint mir für die Erklärung sehr vieler Irrtümer und Fehlschlüsse, die uns beim Denken unterlaufen, von Wichtigkeit zu sein.” “Dagegen dürfte die Untersuchung dieses generellen Irrtumprinzipes bei den optischen Täuschungen weit überschätzt worden sein.” In einer Anmerkung zu diesem letzteren Satze wird hervorgehoben, daß ich (Arch. f. d. ges. Psychol. 9) “die Möglichkeit einer Substitution derjenigen Eindrücke, die zu vergleichen sind, durch solche, die nicht zu vergleichen sind”, ausdrücklich anerkannt und erörtert habe. Ich glaube etwas mehr getan zu haben: auf S. 408ff. meiner von B. angeführten Abhandlung wird “zur weiteren Rechtfertigung dafür, daß sich das Vergleichen u.U. auch gegen unseren Willen nach den auffälligeren statt nach den wirklich zu vergleichenden Merkmalen richtet” ein Versuch über Lokalisationsvergleichungen mitgeteilt, aus dem sich ergibt, daß unter Umständen Raumverhältnisse nach den mitgegebenen Zeitverhältnissen beurteilt werden. In meiner zweiten Abhandlung “Zur experimentellen Analyse des Zeitvergleichs” (dasselbe Archiv 13, S. 71ff., 1908) habe ich nun zur experimentellen Begründung obigen Satzes, (also nicht bloß zur Begründung seiner rein theoretisch erfaßten Wahrscheinlichkeit), auch einen Versuch mitgeteilt, der auch sonst einige Bedeutung für sich beanspruchen und einer genauen Weiterführung würdig sein dürfte, nämlich einen Versuch über die Rolle, die der Auffälligkeit bezüglich der Determination einer Aussage innerhalb des Gegensatzes von “Ähnlichkeit und Verschiedenheit”, zukommt. Außerdem habe ich in der ersten Abhandlung (Arch. f. d. ges. Psychol. 9, S. 375f.) zu zeigen versucht, daß der auch von B. angegriffene Die Gestaltwahrnehmungen 133 Satz nur für die “Gegenstände” gilt, während wir den Vorstellungen dieser Gegenstände nicht ansehen können, daß sie zum Entstehen eines Verschiedenheitsbewußtseins beigetragen haben. Was die ins Auge gefaßte Sachlage anlangt, so meinte ich: “es findet hier statt einer Bestimmung der Verschiedenheitsvorstellung durch die zu vergleichenden Eindrücke, umgekehrt eine … Anpassung von Eindrücken … zu einer Verschiedenheitsvorstellung … statt”; “die Vergleichsaussage kann unter Voraussetzung, daß die uneigentlichen Vergleichsgegenstände auffälliger seien als die eigentlichen, durch jene statt durch diese bestimmt werden, - bezogen wird sie aber vom Subjekte immer auf das vermeintlich Verglichene” (S. 379). Bezüglich der Beziehungen zwischen Gestaltvorstellungen oder allgemein auch Beziehungen und deren Grundlage hatte ich (Zeitschr. f. Psychol 29, S. 387, 1902) bemerkt: “Manche Schwierigkeit unserer Gedankenarbeit wäre uns erspart, wenn eine solche Beziehung wie zwischen Inferioren und Superius” (gemeint ist die Verschiedenheit, die mit Notwendigkeit zwischen dem Verschiedenen besteht) “auch zwischen den Vorstellungen derselben bestünde”. Weitergeführt in experimenteller Hinsicht habe ich diese Gedanken in meiner “Psychologie der Zeitauffassung” mit dem besonderen Hinweise darauf, daß wir nur auf diese Weise uns die Tatsache erklären können dürften, daß Verschiedenheitseindrücke entstehen, ohne daß uns die Richtung der Verschiedenheit klar wäre. 3 Aus alledem geht hoffentlich hervor, daß mein Verlangen nach einer ausdrücklicheren Berücksichtigung durch B. und zwar namentlich nicht bloß bezüglich der Gedanken über eine Möglichkeit sondern bezüglich der Versuche über eine Tatsächlichkeit ein berechtigter ist. Da unsere Arbeitsweise; eine maximalverwandte und unsere theoretische Auffassung größtenteils erfreulichst übereinstimmend ist, wird man wohl meinen Bemerkungen keinen anderen Anlaß zuschreiben wollen als das Bestreben nach sachlicher, richtigstellender Ergänzung. - Eine solche möchte ich auch bezüglich des letzten Absatzes von § 6 nicht unterlassen haben, indem ich meinem Befremden darüber Ausdruck gebe, daß in Sachen “gegen die Empfindungstheorien” nur v. Kries angeführt wird. Klar dargestellt und auf unterscheidende Momente zurückgeführt wurde meines Wissens das Für und Wider in Sachen empfindungsmäßiger Auffassung von Täuschungen, näher von optischen Täuschungen zuerst in meiner Arbeit “Zur Psychologie des Gestalterfassens” (§ 17: Sinnes- und Produktionsvorstellung; Sinnes- und Produktionstäuschung 4 [1904]). Diese dürfte B. entgangen sein. IV. Im zweiten Hauptabschnitt seines Werkes werden nun von B. die geraden und die gekrümmten Linien, sofern sie Gestaltkomponenten sind, nach ihrer spezifischen gegenständlichen (phänomenologischen) Eigenart und nach der Entstehungsart der ihnen zugeordneten Eindrücke untersucht. In diesem Zusammenhange wird zunächst richtig darauf hingewiesen, daß die Dicke einer Krummen für den Eindruck des Gekrümmten nicht belanglos ist. Desgleichen, fügt B. hinzu, ist auch der Längeneindruck “von der Liniendicke merkbar abhängig, das zeigt sich bei gewissen optischen Täuschungen” (S. 66). Hier wäre m.E. ein Hinweis darauf am Platze gewesen, daß beim “täuschenden” Längeneindruck die Liniendicke oder genauer die Differenz der Dicke einzelner Gestaltkomponenten nur mittelbar in Betracht kommt, indem hierdurch eine “isolierende” Betrachtungsweise erleichtert oder erschwert wird. Die mittelbare Wirkung dieses Faktors dürfte aus meinen Versuchen an der Müller-Lyerschen Täuschung wohl als erwiesen zu betrachten sein. Darauf, nämlich auf die Bedeutung der Liniendicke Vittorio Benussi 134 kurzweg, hat als erster m.W. Auerbach (“Erklärung der Brentanoschen optischen Täuschung” in der Zeitschr. f. Psychol. 7, S. 152ff.) hingewiesen. In meinen Untersuchungen “Zur Psychologie des Gestalterfassens” S. 424ff. habe ich versucht, die Bedingungen darzulegen, unter welchen dieses von mir als mittelbar betrachtetes Moment zur Geltung kommt. Die Analyse des Linieneindrucks führt B. ferner zur Anerkennung von drei variablen Momenten; die Krümmung (mit dem Grenzwerte Geradheit), die Größe und die Richtung. Der Geradheitseindruck läßt sich nicht auf den Eindruck der Richtungsgleichheit der Teilstrecken zurückführen. Statt Richtung würde ich wohl lieber Lage sagen. - Es folgen nun Bestimmungen der Geradheitsschwellen mit Zuhilfenahme eines sinnreichen Konstrukstionsverfahrens nach Weitgenböck (S. 72). Die Geradheit ist gegenüber der Richtung (Lage) das psychisch Primäre (S. 78). Was B. in Sachen der Entstehung von Aussagen über Geradheit gegen Helmholtz’ Auffassung beibringt, scheint mir einwandfrei zu sein. Was die Beteiligung von Augenbewegungen als Grundlage des Geradheitseindruckes anlangt, schiene mir von Bedeutung, Nachbilder zu Hilfe zu nehmen, in der Weise, in der sie E. Becher bei seinen Untersuchungen über umkehrbare Zeichnungen mit Erfolg benützt hat, oder in der von Zimmer eingehaltenen Art (vgl. Becher “Über umkehrbare Zeichnungen”, Arch. f. d. ges. Psych. 16, S. 397ff. [1910]; Zimmer “Die Ursachen der Inversion usw.” in der Zeitschr. f. Psychol Abt. II, 47, S. 106ff.). Doch stehen mir keine eigenen Beobachtungen in dieser Angelegenheit zur Verfügung. Auch gelegentlich der Besprechung des Anteiles von Augenbewegungen am Zustandekommen des Geradheitseindruckes weist B. auf Täuschungen hin, aus denen sich ergeben soll, daß Augenbewegungen teils günstig teils ungünstig die Auffassung der Geradheit beeinflussen können. Bei den Täuschungen des Poggendorffschen Typus 5 sind es m.E. nicht die Blickbewegungen, die zu inadäquaten Auffassungen führen, sondern das Beachten von Linien, die neben den in Wirklichkeit geradlinig verbundenen sichtbar sind; je nachdem man die objektiv in einer Gerade liegenden Teile in der Auffassung isoliert, also von einer lebendigen anschaulichen Auffassung jener Gestalt absieht, die durch sämtliche gebotenen Linien gebildet wird, oder nicht, tritt die Scheinverlagerung zurück oder hervor. Darin ist m.E. der Grund auch dieser Täuschungen zu suchen. Außerdem kommt aber auch ein zweiter Faktor in Betracht, nämlich die Berücksichtigung der Lage einer Nebenlinie. Die untere Begrenzungslinie a eines Sektors scheint m.E. deswegen nicht in der Verlängerung von a 1 zu liegen, weil man beim Erfassen des Komplexes von dem Eindruck beherrscht wird, daß a tiefer liegt als a 1 , welcher Nebeneindruck auch noch durch die auffällige Zusammengehörigkeit von a mit b verstärkt wird. Es sind hier uneigentliche Vergleichsmomente im Spiele, welche die Aussage beeinflussen, wiewohl diese Aussage nicht ihnen selbst gilt und sich für uns als durch dieselben unbeeinflußt und unberührt darstellt. In dieser Angelegenheit muß ich noch auf Übereinstimmungen hinweisen, die sich auf meine Bemerkungen (Zeitschr. f. Psychol. 34, S. 310ff., 1903) zu Blix’ Arbeit (Skandinav. Arch. f. Physiol. 13, S. 193ff., 1902) beziehen. Es liegt also auch hier eine erfreuliche Übereinstimmung zwischen mir und Bühler vor, welche um so erwünschter erscheint als B. offenbar meine eben angeführten Bemerkungen nicht gekannt hat. Nun gibt es noch weitere, durch unvoreingenommene Betrachtung und Analyse der Tatsachen bedingte Berührungspunkte zwischen B. und mir. Es handelt sich diesbezüglich in erster Linie um eine Erscheinung, die ich 1912 im Arch. f. d. ges. Psychol. veröffentlicht habe. 6 Die Gestaltwahrnehmungen 135 Ich hatte mir die Aufgabe gestellt, zu untersuchen, ob die Scheinveränderungen etwa der Mittellinie einer Müller-Lyerschen Figur zu Scheinbewegungen (S) der Scheitelpunkte Anlaß geben, wenn man durch stroboskopisch (nunmehr auch kinematographisch) vorgeführte, geeignete Vorlagen, die eine Müller-Lyersche Figur, nämlich die mit den Nebenlinien nach innen gewendet, in ihr Gegenteil, Nebenlinien nach außen gewendet, scheinbar kontinuierlich überführt. So beschaffene S-Scheinbewegungen treten in der Tat ein. Dabei zeigt sich, und das ist für die Theorie besonders wichtig 7 , daß diese Scheinbewegungen (S) durch die Scheinveränderungen der Mittellinienlänge schwinden, sobald man den gebotenen Linienkomplex so auffaßt, daß die sich scheinbewegende Schenkel als selbständige Gegenstände oder Erscheinungen erfaßt werden; - wodurch eben gezeigt wird, daß das Empfindungsmaterial den Eindruck des Abstandes zwischen den zwei Scheitelpunkten nicht eindeutig bestimmt. Auf S. 53 der hier in Rede stehenden Abhandlung (“Stroboskopische Scheinbewegungen und geometrisch-optische Gestalttäuschungen” [Arch. f. d. ges. Psychol. 24, S. 31ff.]) habe ich nun weiter die Tatsache konstatiert, “daß die Auffassung der Gestalt, die bei Berührung der Schenkel mit dem Mittelpunkt entsteht (es handelt sich hier um eine Variante der Müller- Lyerschen Figur, bei welcher zwei Winkelschenkel aus zwei Punkten herauszuwachsen, eine Gerade in deren Mittelpunkt treffen und wieder zu je einem Punkte sich zusammenzuziehen scheinen), eine Zeit erfordert, die größer ist als jene, während welcher die Schenkel mit dem Mittelpunkte “in Wirklichkeit” vereinigt sind … da ich an anderer Stelle über ‘Gestaltzeiten’ ausführlich zu berichten haben werde, begnüge ich mich hier mit diesem kurzen Hinweise” (gemeint ist hier eine vor zwei Jahren begonnene experimentelle Untersuchung über das ‘Ansteigen der Gestaltvorstellung’, die demnächst zur Veröffentlichung gelangen wird). 8 Über ähnliche Erscheinungen berichtet nun auch B. Die Übereinstimmung in sachlicher Beziehung ist um so bedeutender, als B. von meinen Feststellungen keine Kenntnis hatte. 9 Er berichtet über folgende Beobachtung: Zeichnet man auf ein Blatt Papier die Strahlenbündel einer Heringschen Figur, legt man es hinter ein zweites Blatt, auf dem die zwei Parallelen gezeichnet sind, und hinter dieses ein undurchsichtiges Papier, so kann man, wenn man das Ganze gegen das Licht hält, abwechselnd die ganze Heringsche Figur (wenn man das undurchsichtige Blatt wegnimmt) oder nur die zwei Parallelen sehen. Mit diesem Wechsel geht ein Sichkrümmen der Parallelen Hand in Hand. Ist der Wechsel zu rasch, so kommt es vor, daß diese sonst periodisch und daher mit dem Scheine der Bewegung auftretende Schein-Krümmung ausbleibt. Daraus die Folgerung, daß die Auffassung der Gesamtgestalt eine gewisse Trägheit besitze (S. 95ff., besonders S. 98): Die Täuschungsmotive brauchen eine meßbare Zeit, um wirksam zu werden (S. 99). Wie man sieht, stimmen diese Beobachtungen und Folgerungen mit meinen in der berührten Arbeit angeführten überein. Wären B. meine Arbeiten nicht entgangen, so hätte er jedoch vielleicht selbst konstatieren können, daß das Schwinden der Täuschung unter den von ihm angegebenen Umständen einen anderen Grund hat: Ist der Wechsel (Erscheinen und Schwinden der Strahlenbündel) ein rascher, so gewinnt das Ganze einen subjektiv kontinuierlichen Charakter und die zitternden Strahlenbündel verlieren für den Beobachter an Auffälligkeit. Hierdurch isolieren sich aber die Parallelen aus dem Strahlenbündelkomplex: eine solche Isolierung, also eine nicht einheitliche Auffassung der Parallelen mit ihren “Täuschungsmotiven” hat die Reduzierung oder gar den Ausfall der Täuschung selbst zur Folge (vgl. meine “Psychologie des Gestalterfassens”: Ergebnisse S. 430ff.). Belehrend ist in dieser Hinsicht auch eine von B. nicht mitgeteilte Wiederholung des B.schen Versuches bei Umkehrung der Reihenfolge der Vittorio Benussi 136 zwei Figurenblätter. Sobald die Parallelen im durchfallendem Lichte und somit relativ heller als die Strahlenbündel gesehen werden, tritt infolge der hierdurch begünstigten Auffälligkeit der Täuschungsmotive die Scheinkrümmung weit deutlicher hervor. Es gilt eben, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, der Satz: Alle Momente, die im Sinne einer Auffälligkeitserhöhung der Täuschungsmotive wirken, wirken, was ja im Grunde selbstverständlich ist, täuschungsfördernd und umgekehrt; jedoch nur so lange, als hierdurch die Einheitlichkeit der Auffassung nicht gestört oder gehemmt wird. So kann durch geeignete Versuchsbedingungen und entsprechende künstlich erzielte Auffälligkeitsverteilung die Richtung einer gegebenen anfänglichen Täuschung umgekehrt werden (man vgl. meine Arbeit: “Experimentelles über Vorstellungsinadäquatheit, II: Gestaltmehrdeutigkeit und Inadäquatheitsumkehrung” in der Zeitschr. f. Psychol. 45, S. 188ff., 1907). Die Verkennung dieser Beziehungen hat bereits zu handgreiflichen Deutungsfehlern geführt; ich erwähne nur Lehmanns Zurückführungsversuch der verschobenen Schachbrettfigur auf Irradiationswirkung (im Arch. f. d. ges. Physiol. 103, S. 81ff.) und beschränke mich hier bezüglich dessen restloser Widerlegung (auf experimenteller Grundlage) auf den Hinweis auf folgende Arbeiten: Benussi-Liel, “Die verschobene Schachbrettfigur” (in Unters. z. Gegenstth. u. Psychol., herausg. von A. Meinong, Leipzig 1904, Nr. VI), meine Besprechung der Lehmannschen Arbeit in der Zeitschr. f. Psychol. 4, S. 201ff., und meine Untersuchungen über “Stroboskopische Scheinbew. und geom.-opt. Gestalttäuschungen” (Arch. f. d. ges. Psychol. 14, S. 39f., 1912). Nebenbei ist in diesem Zusammenhange noch auf eine andere Tatsache hinzuweisen, ich meine das Verhalten der sog. geom.-opt. Täuschungen gegenüber der momentanen, tachistoskopischen Darbietung. Im allgemeinen treten die Veränderungen der scheinbaren Länge an einer Müller-Lyerschen Figur unabhängig von deren Expositionsdauer hervor (Einthoven in Pflügers Arch. f. d. ges. Physlol. 71, S. 34ff.). Diese Beziehung scheint mir darauf hinzuweisen, daß die Entstehung der Täuschung nur dann eine sog. Trägheit aufweist, wenn das erfassende Subjekt durch eine eigene psychische Arbeitsleistung die Bedingungen erst schaffen muß, welche zu einer Täuschung Anlaß geben, nämlich die Vereinheitlichung mehrerer Erscheinungen (hier Linien) zu einer einzigen neuen Gestalterscheinung. Durch die simultane tachistoskopische Darbietung aller Komponenten wird keine einzige von ihnen in ihrer Auffälligkeit begünstigt oder benachteiligt; der Vorgang der einheitlichen Auffassung kann sich daher unter sehr günstigen Bedingungen u.U. am Nacheindruck entfalten. Es sind also nicht die Täuschungsmotive die eine gewisse Trägheit besitzen; diese Trägheit betrifft vielmehr eine bestimmte Art der Auffassung der “Täuschungsmotive” mit den übrigen Bestandstücken; diese Auffassungsart ist die “Vereinheitlichung”. Nun ist in Sachen geom.-opt. Täuschungen abschließend noch auf einen Punkt hinzuweisen: B. wendet sich gegen die Zurückführung der Heringschen Täuschung auf die Überschätzung spitzer Winkel und meint, es müsse sich um eine sehr “verborgene” Schätzung handeln, wenn die Selbstbeobachtung davon nichts zu entdecken vermag. Nun, so naiv ist jedoch die Überschätzungsauffassung nicht; wohl ist aber die Bezeichnung “Überschätzung” irreführend. Es handelt sich beim Erfassen eines spitzen Winkels nicht darum, daß man ihm innerhalb eines Winkelgrößenkontinuums eine Stelle zuweise, ihn also darin einordne und sich dabei eben dahin täusche, daß man ihm eine inadäquat vom Nullpunkt zu weit entfernte Stelle zuweise. Es handelt sich vielmehr darum, daß man die Lage der Winkelschenkel inadäquat erfaßt, und zwar so, als ob der Winkel tatsächlich ein größerer wäre. Man faßt die Winkelschenkel bezüglich ihrer Lage anders auf als sie sind, wie man etwa eine graue Farbe auf rotem Grunde eben als grünlich “sieht”. Dazu braucht keine Schätzung, auch Die Gestaltwahrnehmungen 137 keine noch so verborgene postuliert zu werden. Faßt man den Terminus Schätzung so auf wie eben angedeutet, dann sehe ich nicht ein, was gegen die Zurückführung der Heringschen Täuschung auf diese Art von Überschätzung einzuwenden ist. Daß nun eine Verlagerung der Winkelschenkel durch die Auffassung der Winkelgestalt für uns tatsächlich eintritt, kann nicht bezweifelt werden: versucht man zu einem Winkelschenkel eine Parallele zu ziehen oder eine bewegliche Linie etwa in 1 cm Abstand parallel einzustellen, indem man keiner der Winkelseiten einen in der Beachtung isolierenden Vorzug zuteil werden läßt, so überzeugt man sich sehr leicht davon, daß die zwei scheinbaren Parallelen gegen den Scheitelpunkt hin konvergieren. V. Im Abschnitte II, § 5 und 6 beschäftigt sich B. mit der Unterschiedsschwelle für Krümmungsgrade und untersucht, auf welche Weise Krümmungseindrücke entstehen und mit Zuhilfenahme welcher inneren Hilfskonstruktionen Kreisbögen auf ihre Krümmungsgrade hin miteinander verglichen werden. Dabei wird die Tatsache konstatiert, daß Sehnen gleicher Länge bei verschiedener Bogenhöhe ungleich lang erscheinen: Bei größerer Bogenhöhe erscheint die Sehne relativ kürzer. Jener Bogen wird als der schwächer gekrümmte erfaßt, dessen Sehne länger erscheint. Maßgebend ist also hier “die Proportion von Bogenhöhe und Sehnenlänge”, “die außer den Winkeln beim Vergleichen wirksam wird” (S. 105, 113). Dieses (indirekte) Kriterium des Verhältnis-(Proportions-)Eindruckes ist jedoch von B. erschlossen. Die Vp. glaubt immer, sich nur nach der Sehnenlänge zu richten. Im allgemeinen wird die Bogenkrümmung nach der Höhe und den Sehnenwinkeln “erfasst”. Doch versichern einzelne Vpn., daß “sie derartige (gedankliche) Konstruktionen nie ausführen”. “Einzelne Kurvenstücke (erfahren) eine isolierte Beachtung” (S. 107). “Dieses Verfahren dürfte einfach auf eine Sehnenkonstruktion an kleineren Teilen der Kurve hinauslaufen” (S. 108). Da nun die Versuche über die Bestimmung der Schwellenwerte beim Krümmungsvergleiche im Hinblick auf die Beziehung zwischen der Größe dieser Schwellenwerte und Sehnenbogenwinkel nicht eindeutig ausgefallen sind, so erscheint noch zweifelhaft, ob das oben berührte Proportionsmoment oder die Sehnenkonstruktion in erster Linie den Krümmungseindruck bestimmt, sobald (möchte ich hinzufügen) zwei Krümmungen miteinander zu vergleichen sind, - denn die obigen Bestimmungen betreffen in erster Linie wohl nur den Vergleich von Krümmungsgraden nicht aber die Eindrücke der Krümmung selbst. Was nun den Krümmungseindruck anlangt, bemerkt B.: “wenn jemand erklärt: … er (der Krümmungseindruck) ist eine neue (absolute) Qualität, so vermag ich ihm dagegen nichts einzuwenden” (S. 116). Ich auch nicht: gegenständlich ist der Eindruck der Kurve ebenso unableitbar wie der des Intervalles gegenüber den Tönen. Im nächsten § bespricht B. eine ästhetische Anwendung der Krümmungsanalyse. Warum gefällt eine Sinus-, warum mißfällt eine Pseudosinuskurve (S. 121ff.)? Gegen die Auffassung Lipps, wonach jede Störung in der natürlich (bzw. gefordert) erscheinenden ‘Bewegungs’- Fortsetzung ein Mißfallen bedingen soll, weist B. mit Recht auf Beispiele hin, für welche dieses “Gesetz” offenkundig nicht gilt. “Die Mißfälligkeit der Pseudosinuskurve und die Knicke, die immer entstehen, wenn zwei entgegengesetzt gekrümmte Kreisbogen zusammengefügt werden, erklären sich … aus den Sehnenkonstruktionen … die wir … bei der Krümmungsauffassung verwenden. Es kommt zu dem Eindruck, als ob der Bogen erst rascher der Sehne sich abwende und dann wieder stärker sich ihr zubiege” (S. 123). Das ist zweifellos Vittorio Benussi 138 richtig, kann aber m.E. die Mißfälligkeit wohl nicht erklären. Die Krümmungszunahme bei Sehnenkonstruktion scheint mir doch mit der “Überschätzung” spitzer Winkel zusammenzuhängen; wenn auch freilich nicht in der Weise, wie B. die Überschätzung auffaßt, sondern in der oben präzisierten Form, wonach eine Scheinverlagerung der Schenkel in der erfaßten Winkelgestalt zum Vorscheine gelangt. Nach meiner Erfahrung würde ich zu der Vermutung neigen, die Pseudosinuskurve erwecke deswegen einen zunächst unbefriedigenden und hierdurch mißfälligen Eindruck, weil sie in uns das Bewußtsein einer gestörten Einheitlichkeit erweckt. Wir isolieren einerseits die oberen und die unteren Halbkreise zu je einer Gruppe (dazu verleitet uns sicher die berührte Knickung); da wir aber andererseits eine kontinuierliche Linie erfassen, entsteht in uns der Eindruck von etwas Ungereimten, indem wir zugleich zu einer einheitlichen Auffassung und zu einer Isolierung zweier Gruppen gedrängt werden. In dieser Richtung scheint mir die Erklärung der Mißfälligkeit gesucht werden zu müssen. In dieser Richtung wären auch mit Erfolg ästhetische Versuche anzustellen. Eine Stütze finde ich für die eben angedeutete Erklärung darin, daß für mich die Mißfälligkeit der Pseudosinuskurve zurücktritt, sobald man für obere und untere Halbkreisreihe verschiedene Farben verwendet, oder einen minimalen Zwischenraum an den “Übergangsstellen” freiläßt. VI. Hiermit sind wir zu dem wichtigsten Teil der B.schen Untersuchungen angelangt: zum Proportionseindruck und Proportionsvergleich. Eingeleitet werden die Bestimmungen hierüber durch Erwägungen über die Natur und die Entstehung des Größeneindruckes. In diesem Zusammenhange wird zunächst darauf hingewiesen, daß wir auf eine sehr unvollkommene Weise krumme Linien hinsichtlich ihrer Größe miteinander vergleichen können und hieraus richtig gefolgert, daß es sich doch nicht so verhalten würde, wenn der Größeneindruck “überhaupt auf einem Summationseffekt” auf der “Menge der gereizten Netzhautelemente” beruhen würde (128). Immerhin ist aber zu berücksichtigen, daß “Größeneindrücke auch an anderen Ordnungsreihen zu gewinnen wären, wenn wir das nur ‘gelernt’ hätten.” Hierauf wird die Helmholtzsche Position der Deckung der Netzhautbilder als Substrat jedes Raumvergleiches erwähnt und gegen dieselbe Stellung genommen: die Vergleichung von nebeneinander tachistoskopisch gebotenen Linien läßt ja die Realisierung einer Deckung gar nicht zu. Was nun den Größeneindruck anlangt, so ist auch die konstitutive Beteiligung der Objektentfernung zu berücksichtigen: man weiß, wie schwer es ist, das Größenverhältnis von verschieden entfernten Objekten genau zu erfassen. Das Moment des Entfernungsfaktors ist nun für das Verständnis von Größentäuschungen von besonderer Bedeutung. B. führt das Behauptete an der Hand einer Müller-Lyerschen Täuschungsfigur näher aus: “Zur Erklärung der Müller-Lyerschen Täuschung braucht weder angenommen zu werden, daß die primären Ortswerte der Streckenpunkte … eine Verschiebung erfahren haben müssen, noch daß wir eigentlich die Strecken gar nicht verschieden groß ‘empfinden’, sondern nur einer Urteilstäuschung unterliegen. Wir haben allen Grund, jene Lokalzeichen den gereizten Netzhautstellen eindeutig … zugeordnet zu denken und können trotzdem der Tatsache gerecht werden, daß die Verschiedenheit anschaulich an den unmittelbaren Größeneindrücken haftet.” Ein einfacher Versuch zeigt, daß die Linien selbst (einer M.-L.-Figur) es Die Gestaltwahrnehmungen 139 sind, die die bekannten (Schein-)Veränderungen erleiden (132). Zeichnet man auf der einen Seite eines Papierblattes eine in der Mitte geteilte Linie, auf der anderen Seite die schrägen Linien eines M.-L.schen Musters, so daß im durchfallendem Lichte eine M.-L.-Figur gesehen werden kann, dann kann man die Tatsache beobachten, daß die zwei Linienteile ihre Größe verändern (sich zu dehnen und sich zu verkürzen scheinen) sobald die im durchfallenden Lichte allein sichtbaren Schrägen auftauchen. So richtig wenn auch einseitig diese Beobachtung ist, so wenig vermag ich zwischen ihr und dem, was B. durch sie nachweisen will, eine Verbindung herzustellen. Die auch von B. angeführte Beobachtung 10 besagt ja nur, daß zwei objektiv gleiche Gerade verschieden erscheinen, sobald die Täuschungsmotive erfaßt werden. Daß aber eben diese zwei Linien es sind, die verändert erscheinen, das wird nicht erst durch den berührten Versuch gezeigt. Nur wenn ich an meine Theorie (1904) bezüglich der Entstehung dieser Täuschung denke, wird mir ein Zusammenhang zwischen dem von B. angeführten Versuche und seiner Ablehnung der Empfindungs-, sowie der Urteilstheorie der g.-o.-Täuschungen klar. Da B. jedoch diese Theorie nicht anführt, muß ich selbst auf sie neuerdings kurz hinweisen. Vorausgeschickt seien einige Worte über die von B. angeführte Beobachtung selbst. Läßt man die schrägen Linien in gewissen zeitlichen Abständen erscheinen und verschwinden, so kann sich dreifaches ereignen: erstens ein, auch von B. angegebenes, Sichdehnen und -Zusammenziehen der zwei Linien, zweitens ein Hin- und Herrücken des Mittelpunktes, drittens ein bloßes Hinzuerfassen der erschienenen Schrägen ohne jede Veränderung der einzelnen Linienhälften. 11 Ich habe diese Scheinbewegungserscheinungen in meiner 1912 erschienenen Arbeit über stroboskopische Scheinbewegungen und geom.-opt. Gestalttäuschungen beschrieben und deren theoretische Bedeutung zu präzisieren versucht. Ich glaubte dort im Anschluß an meine früheren Ausführungen auf die Rolle hinweisen zu müssen, die der einheitlichen Gestaltauffassung für die Entstehung von scheinbaren Größenveränderungen zukommt, denn sobald die eben in Erinnerung gerufene dreifache 12 Erscheinung trotz eines konstanten Sinnesmaterials hervorzurufen ist, ist auch erwiesen, daß alle Sinnesmomente, Lokalzeichen inbegriffen, für diese Erscheinungen belanglos sein müssen. Nun beweist aber der B.sche Versuch durchaus nicht, daß die Lokalzeichen der Endpunkte einer Linie unverändert bleiben, wenn sich diese bezüglich ihrer Größe (scheinbar) verändert. Es ist denkbar, daß für die Qualität eines Lokalzeichens das Gegebensein von ihn sozusagen umgebenden Lokalzeichen von Belang sei. Beweisend für die Indifferenz der “Lokalzeichen” ist meines Erachtens nur die von mir konstatierte Beziehung zwischen Täuschung und Auffassungsart. Noch vor kurzem mußte ich einräumen 13 , daß der Hinweis auf die Abhängigkeit zwischen Gestaltauffassung und Täuschung wohl die Hauptbedingung für die Entstehung dieser letzteren trifft, eine Erklärung derselben jedoch noch lange nicht darzustellen vermag. Gegenwärtig würde ich im Anschluß an die Tatsache, daß die Auffälligkeits-Zu- oder Abnahme einer Verschiedenheit äquivalent ist mit einer Verschiedenheitsvergrößerung oder -Verkleinerung, vermuten 14 , daß die Müller-Lyersche Täuschung bei nach einwärts gerichteten Schenkeln auf eine Herabsetzung, bei nach auswärts gerichteten Schenkeln auf eine Erhöhung der Auffälligkeit der Hauptlinie durch die Umgebung zurückzuführen wäre. Nur auf diese Weise geht man der Unzulänglichkeit jeder sinnesphysiologisch begründeten Erklärung, sowie jeder anderen als Hypothese einer Urteilstäuschung sich bezeichnenden Auffassung aus dem Wege. Ich glaube in den einschlägigen Ausführungen W. Wirths (Die exper. Analyse der Bewußtseinsphänomene) eine ähnliche Auffassung vorzufinden, die um so erwünschter erscheint, als ja Wirth von ganz anderen theoretischen Voraussetzungen Vittorio Benussi 140 ausgeht. Zugunsten der oben dargestellten Auffassung sprechen alle Beziehungen, die zwischen Täuschungsgröße und äußere Variationen der Figur (Farbe, Größe usw.) von mir und anderen bei vorschriftsloser Auffassung konstatiert werden konnten, auf das deutlichste; nicht zuletzt die Tatsache, daß bei minimaler Auffälligkeit der Scheitelpunktdistanzen, wenn also die Verbindungslinie, die verkürzt oder verlängert erscheint, ausbleibt, die Figur mit einwärts gerichteten Schenkeln ein Maximum, die mit nach auswärts gerichteten aber ein Minimum an scheinbarer Größenveränderung aufweist (vgl. “Zur Psychologie des Gestalterfassens” S. 362ff., Leipzig 1904). Es kann sein, daß ich die Ausführungen B.s, auf die sich das eben Erwähnte bezieht, mifsverstanden habe; - verhält es sich so, dann wird das von diesem Forscher Gemeinte möglicherweise durch das, was ich an unberücksichtigt gebliebenen Erfahrungen eben in Erinnerung gebracht habe, ergänzt und gestützt. Das, was ich eben dargestellt habe, dürfte im übrigen kaum auf Widerspruch seitens B.s stoßen, da er selbst im Größeneindruck etwas von reinen sinnesphysiologischen Momenten Unabhängiges, nämlich ein Gestaltmoment erblickt (S. 133). Genauer müßte man freilich statt Größeneindruck der “Gegenstand ‘Größe’ als Gestalt” und statt Gestaltmoment “Vorstellung außersinnlicher Provenienz” oder “produzierte Vorstellung” sagen. Doch braucht hier auf derlei Details, welche erst im Hinblick auf die von B. nicht streng eingehaltene Unterscheidung zwischen Inhalt und Gegenstand Sinn und Bedeutung beanspruchen können, nicht eingegangen zu werden. Somit sind wir zu dem eigentlichen Proportionsversuche angelangt. VII. Der Eindruck, “in dem wir die Größe des Quotienten anschaulich erfassen”, nennt B. den Proportionseindruck. Dieser ist “dasjenige, was uns befähigt, über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Gleichung a: b = c: d anschaulich Aufschluß zu gewinnen” (S. 135 A. 1). Zu dieser Bestimmung hätte ich nur eine schließlich mehr unwesentliche Bemerkung zu machen: die Erfahrung scheint mir das Bewußtsein eines Quotienten durchaus nicht zu bieten, ebensowenig das Bewußtsein einer Division oder sonst einer mit der Quotientengewinnung beim Rechnen in Analogie zu setzenden geistigen Operation. Ich würde daher den Proportionseindruck lieber lediglich im Hinblick auf das Verschiedenheitsbewußtsein charakterisieren, wobei natürlich mit A. Meinong “Verschiedenheit” genau zu unterscheiden ist von “Unterschied”, d.i. Differenz. Um nun dem Proportionseindruck eine gewisse Exklusivität oder Vorherrschaft gegenüber eventuellen Differenzeindrücken zu sichern, wählt B. statt drei, vier Eindrücke (genauer Gegenstände) und geht somit nicht von der Aufgabe aus, zu einem a und einem c sei ein b zu finden oder herzustellen, welches die Mitte zwischen jenen darstellt, sondern verlangt, daß ein d bestimmt wird, welches sich zu einem c so verhält wie zu einem a ein b. Es muß hier jedoch gleich bemerkt werden, daß diese Vierheit, sofern ich aus meiner Erfahrung schließen darf, in Wirklichkeit subjektiv in eine Zweiheit umgewandelt wird. Sobald ein sog. Proportionsvergleich sich so vollzieht, daß eine Verschiedenheit oder Gleichheit der Raumgestalten unmittelbar zum Bewußtsein gelangt, so ist wohl die Grundlage für den Gedanken geboten, die zwei “als Gestalten” für gleich erklärten Gebilde verdanken diese ihre Gleichheit einer Proportionsgleichheit, die Proportionen selbst werden aber dabei nicht verglichen, d.h. es werden nicht die zwei Seitenpaare oder auch nur eines davon in bezug auf das Größenverhältnis beachtet und im Hinblick auf dieses Größenverhältnis nunmehr intellektuell mit Die Gestaltwahrnehmungen 141 dem am zweiten Rechteck gewonnenen Verhältniseindruck in Beziehung gesetzt. Sobald die qualitative Eigenart der Gestalt des gebotenen Liniengebildes zur Geltung kommt, liegt ein Fall vor, der m.E. von der subjektiven Seite her, also abgesehen von der Natur der Gegenstände, demjenigen entspricht, der gegeben ist, wenn etwa zwei Helligkeiten oder zwei Strecken kurzweg miteinander verglichen werden sollen. (B. selbst bemerkt auf S. 155, daß die Verschiedenheiten der Schlankheit ebenso sicher erfaßt werden, wie die der Schwere.) Da nun die Verschiedenheit der Gestalten leichter aufgefaßt werden können mag, als die von Strecken, ist die Tatsache, daß die Schwelle für eine Linienproportion kleiner ausfallen kann als die für zwei Linien wohl wichtig, aber durchaus nicht befremdend. (Auf S. 153 formuliert B. das Ergebnis zweier Vpn. in dem Satze: die Schwellenwerte sind beim Rechteckvergleich kleiner als beim Streckenvergleich). Auch Einheitlichkeitsgrade können bezüglich ihrer Verschiedenheit auffälliger sein als Zeitdistanzen, so daß dort, wo sie im Bewußtsein prävalieren, wie etwa bei absolut genommen kleinen Zeiten, die (Zeitvergleichs-)Schwelle sinkt (vgl. meine “Psych. der Zeitauffassung”, Heidelberg 1913, S. 99-172). Die Vierheit der Gegenstände ist also mit etwas Vorsicht zu behandeln, denn sie ist gegenständlich nur insofern vorhanden, als sie die Grundlage jener Gestaltgegenstände abgibt, die zu vergleichen sind. Subjektiv ist sie nur insofern da, als ohne die diesen vier Bestandstücken zugeordneten Eindrücke auch nicht die zwei Gestaltvorstellungen entstehen könnten. Sobald aber die vergleichende Absicht, bzw. Arbeit nicht daran anknüpft, sondern nur die Vorstellungen der zwei Gestalten benutzt, ist die Vierheit irrelevant und ein eigentlicher direkter Proportionseindruck doch nicht vorhanden. Die Selbstbeobachtung sagt mir ganz deutlich, daß, wenn ich eine Proportion erfasse, ich dies mit Zuhilfenahme eines Beziehungsgedankens tue, der zu einem Ergebnisse führt, woran nichts Anschauliches, Bildmäßiges zu entdecken ist, während ein anschauliches Bild immer vorliegt, dem Subjekte vorschwebt, wenn die räumliche Gestalt erfaßt wird, die auf eine objektive, und eben als solche gegebene, Proportion beruht; diese Proportion selbst aber wird nur aus jenem Bilde erschlossen oder mit ihm auf Grund früherer Erfahrungen assoziiert. Ein solcher Beziehungsgedanke kann vollständig klar sein, er trifft aber nichts Anschauliches und ist in diesem Sinne als unanschaulich zu bezeichnen. B.s Bestreben die Einmischung von Differenzauffassungen fernzuhalten, hat m.E. nicht auch eine Begünstigung der Verhältnis- oder Proportionsauffassung in ihrer direkten Entfaltung zur Folge gehabt. Das was seine Versuchsanordnung erreicht, ist die Erweckung von Aussagen, die im Hinblick auf die Beurteilung von Proportionen gut verwendbar sind, die aber nicht aus der Auffassung der Proportion selbst, sondern vielmehr aus der Auffassung von räumlichen Gestalten entstanden sind, deren Variation in konstanter gesetzmäßiger Beziehung zur Proportion steht; die Aussagen gestatten immer einen Schluß auf Proportionen; das Vorhandensein solcher und deren Beziehungen zueinander sind aber nicht aus dem Bewußtsein, Proportionen (Verhältnisse) miteinander zu vergleichen, gewonnen. Dies schiene mir nur auf die Art realisierbar, daß man für den Einzelversuch etwa vier Strecken benutzt, a, b, c und d, die die Bedingung a: b = c: d erfüllen, jedoch einzeln hintereinander gezeigt werden, damit a und b einerseits, c und d andererseits nicht leicht zu einem neuen Gegenstande zusammengefaßt werden können. Sorgt man nicht für die gestaltliche Selbständigkeit der einzelnen Glieder, so wird die Grundlage der geforderten Vergleichung eine mehrdeutige, indem sowohl Beziehungsals auch Gestalteindrücke in nicht kontrollierbarer Vermengung der Aussage zugrunde gelegt Vittorio Benussi 142 werden können. (Über die prinzipielle Bedeutung der Eindeutigkeit der Vergleichsgrundlage sind meine Ausführungen in “Psychologie der Zeitauffassung” S. 59ff. zu vergleichen.) Die subjektive Reduktion der vier Proportionsglieder zu zwei Gestaltgegenständen wird nun auch dadurch erleichtert, daß B. Aussagen über Grade der Schlankheit und Plumpheit (S. 141) und nicht über Beziehungen zwischen Verhältnissen verlangt. Schlankheit und Plumpheit sind aber subjektiv gar nicht an das Erfassen einer Beziehung gebunden, sie sind Eigenschaften von räumlichen Gestalten, die eben dann zum Bewußtsein kommen, wenn diese Gestalten erfaßt werden: Die anschauliche Erfassung einer Gestalt setzt gar nicht eine klare gedankliche Auffassung der Beziehungen ihrer Bestandstücke voraus. Die Gestalt als Gegenstand ist wohl ohne jene Beziehungen unmöglich, die Vorstellung der Gestalt ist aber gar nicht an den Gedanken an Beziehungen gebunden. Verlangt man also Aussagen über Schlankheitsgrade, so kann man Aufschlüsse nur über den Vergleich von solchen erwarten. Daß jede Aussage über Schlankheit einen Schluß auf die Proportion gestattet, berechtigt aber nicht, ein Proportionsbewußtsein als Grundlage solcher Aussagen anzusehen und diese daher für Aussagen über Proportionen zu halten. VIII. Dies vorausgesetzt, sollen im folgenden die durchaus interessanten Bemerkungen über die inneren Hilfen, die sich einzelne Vpn., um mit Erfolg die gestellte Aufgabe zu lösen, zurechtlegen, erwähnt werden. Für die Sache selbst ist ja irrelevant, ob sie für die Auffassung von Proportionen oder von Eigenarten räumlicher Gebilde (Gestalten) in Betracht kommen. Wie B. selbst bemerkt, handelt es sich um die Feststellung dessen, “was in unseren Vergleichungen als Äquivalent für ein Meß- und Rechenverfahren auftritt” (S. 156). “Der Versuch einer Abschätzung irgendwelcher Strecken nach Zentimetern kam nie vor.” Das gesuchte Äquivalent ist “eine sukzessive Beachtung zweier Längen, die einen ‘Verhältniseindruck’ oder eine ‚Verhältniseinstellung’ zur Folge hat” (157). Zu dem typischen Verfahren zur Gewinnung eines solchen Eindruckes “gehört nun, daß erst eine vertikale und dann eine horizontale Seite des Rechteckes Beachtung findet” (158). Oft gleitet der Blick “an zwei parallelen Seiten gleichzeitig entlang” (159). Da man hierbei den Abstand der Parallelen sowie ihre Länge erfaßt, so genügt dies zur Gewinnung eines bestimmten Schlankheitseindruckes. Andere Beziehungen wie etwa die, daß die “Winkel rechte und einander gleich, daß je zwei gegenüberliegende Seiten einander gleich sind” kommen nie besonders zur Geltung. Eine senkrechte und eine horizontale Gerade genügen zur Gewinnung des verlangten Eindruckes. Die zwei anderen Linien sind auch in einigen Versuchsreihen weggelassen worden. Die Beachtung zweier Geraden ist immer erforderlich. Dies geschieht so, “daß (die) eine von ihnen wie selbstverständlich hingenommen wird, während (die) andere als (die) zu bestimmende erscheint” (160). “Nicht durch Aufeinanderlegen wird die eine Seite mit der anderen gemessen, aber es bleibt in der Auffassung die funktionelle Verschiedenheit. Es ist nicht möglich gewesen, hier weiter vorzudringen” (160). 15 “In der Vp. entsteht ein Eindruck. Sie weiß recht gut, wann er da ist und wann er fehlt.” Die Hauptbedingung scheint nun darin zu liegen, daß “ein individueller Schlankheitseindruck gebildet und verwertet wird” (161). Der Eindruck nun, der durch den ‘Hauptreiz’ hervorgerufen wurde, wird dem Vergleichsreiz entgegengebracht “und geht in die (Vergleichsreiz-)Auffassung ein” (163). “Bemerkenswert ist für uns, daß das bei unserem Vergleichsvorgang so bleibt, trotz der Verwicklung, die er dem Vergleich einfacher Qualitäten … gegenüber enthält.” Die Gestaltwahrnehmungen 143 Nebenbei muß ich hierzu bemerken, daß ich darin nichts Befremdendes erblicken kann: sobald eine äußere relativ komplizierte Mannigfaltigkeit so erfaßt werden kann, daß das Subjekt den Eindruck eines Gegenstandes erlebt, etwa, wie ich für den gegenwärtigen Fall vermute, den eines Verschiedenheits- oder den eines Gestaltgegenstandes, ist subjektiv keine nennenswerte Verwicklung mehr gegeben. Die Einmischung von Nebeneindrücken ist natürlich hier ebenso gegeben wie sonst bei jedem Vergleiche. Was nun die Eindrücke des ‘Plumpen’ und ‚Schlanken’ anlangt, die bei den Versuchen B.s eine Hauptrolle spielen, finden wir folgende Angaben: Meistens ist der Eindruck des Schlanken, genauer die Aussage “schlank”, an dem Eindruck der Länge, den die Horizontale erweckt, gebunden. Bei einer anderen Vp. beruht die Schlankheitsaussage auf dem Eindruck der Kürze der Vertikalen. Der Eindruck, den eine Seite (ein Stück) des Rechteckes allein hervorruft, scheint also die Aussage zu bestimmen. Diese Daten erscheinen mir nicht ganz verläßlich: soweit ich aus eigener Erfahrung reden kann, habe ich den Eindruck, daß das Hervortreten einer Geraden, also der Senkrechten oder Wagerechten, sich wohl als eine Folge, nicht aber als eine Bedingung des Schlankheits-, bzw. Plumpheitseindruckes in unserem Bewußtsein abspiegelt. Sowohl die längere als auch die kürzere Seite, bemerkt nun weiter B., kann im Bewußtsein besonders hervortreten; ein Eindruck des Sichdehnens oder des Zusammenschrumpfens beim Erfassen des zweiten Rechteckes kam nur selten vor (165). Solche Eindrücke würde ich als Vorstufen, als unklar ausgebildete Scheinbewegungseindrücke ansprechen. So wie bei einer bestimmten optimalen zeitlichen Folge in der Exposition zweier Gegenstände, diese (ungenau ausgedrückt) als die Bewegungsphasen eines einzigen erscheinen, so kann sich bei einer von der optimalen eventuell weit entlegenen Folge etwas Verwandtes, eine unvollständige oder “schlechte” Bewegung, wie sich solche Bezeichnungen bei den Vpn. M. Wertheimers (Zeitschr. f. Psychol 61, S. 162ff.) bei Einzeldarbietungen vorfinden, ereignen. Daß der Eindruck des sich Ausbreitens, der nahezu immer beim plötzlichen Erscheinen einer Linie oder Fläche vorliegt, mit den eben berührten Erscheinungen nicht zu vermengen ist, hebt B. mit Recht hervor (166). 16 Seine das Vergleichsergebnis betreffenden Beobachtungen faßt B. auf S. 173 in folgendem Satz zusammen: “Die sukzessive Beachtung zweier Stücke an dem Rechteck, gefolgt von einem Eindruck, der sich nur an eines von ihnen heftet, das ist der reguläre Vorgang der Urteilsbildung”. Gegenüber diesen Bestimmungen, die ich, größtenteils aus eigener Erfahrung, als richtig beschrieben betrachten muß, erhebt sich m.E. nur ein Bedenken: ob nämlich der Eindruck des Schlanken und des Plumpen nicht selbst, als Eigenart einer Raumgestalt 17 , dasjenige sei, was, wie bereits flüchtig erwähnt wurde, das Hervortreten, die subjektive Betonung der “Kürze” oder “Länge” einer Seite, oder der “Größe” oder “Kleinheit” der Ausdehnung nach einer bestimmten Dimension, bedingt. Ist man sicher, da” der Hinweis darauf, bzw. das Bewußtsein davon, daß eine Seite zu kurz oder zu lang ist, die Grundlage des Gestalteindruckes, und nicht vielmehr eine Beschreibung der im erlebten Eindrucke präsentierten Raumgestalt ist? Ich für meinen Teil kann diese Frage durch Selbstbeobachtung nicht sicher entscheiden, muß aber, wie berührt, gestehen, daß die Selbstbeobachtung mir eher für die zweite Auffassung zu sprechen scheint. Mit anderen Worten: zuerst muß eine bestimmte räumliche Gestalt erfaßt werden; ihre Plumpheits- oder Schlankheitsfärbung steht in einer konstanten Beziehung zur Auffälligkeit, zum Sichaufdrängen der Höhe oder Breite; das aber, was als plump oder schlank bezeichnet wird, muß bereits als eine Gestalt erfaßt worden sein. Vittorio Benussi 144 Daß übrigens der Eindruck des langen oder kurzen eher als eine Folgeerscheinung eines bestimmten Gestalteindruckes zu betrachten wäre, als umgekehrt, scheint mir aus der von B. selbst registrierten und nahezu eine Regel darstellenden Beobachtung hervorzugehen, daß eine Vp., die einen Plumpheits- oder einen Schlankheitseindruck bzw. den Eindruck einer erhöhten oder verminderten Schlankheit oder Plumpheit erlebt, jene Seiten am betrachteten Viereck für modifiziert hält, die objektiv unverändert geblieben sind. Wir neigen freilich dazu, irgend etwas, was uns an einem Erlebnis mit relativer Anschaulichkeit auffällt, für die Grundlage eines Erlebnisses hinzunehmen, welches als solches auf keine anschaulich erfaßbaren Gegenstände, zum Beispiel auf Beziehungen, hinweist. Unsere Aufmerksamkeit bleibt ja immer an Dingen haften, die uns auf Grund unserer Bilder zugänglich gemacht werden. Sobald die Selbstbeobachtung nun auf derartiges stößt, wird in uns eine Neigung begründet, die Bedeutung dieser bruchteilmäßigen Beobachtung weit zu überschätzen und das, was nur erst aus dem Eindruck einer Gestalt entnommen werden kann, für die Grundlage der Eigenart dieser Gestalt zu halten. Ginge z.B. die Schlankheit auf Auffälligkeit der Vertikalen zurück, so müßte ein plumpes Viereck, dessen eine Seite, die längere, der Farbe nach die auffälligere wäre, nicht plump, sondern schlank erscheinen. In der Verkennung dieses Sachverhaltes ist eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle enthalten, die tunlichst eingeschränkt werden muß. Die Abhängigkeit zwischen dem Eindruck des Schlanken und dem der Länge einer Seite (bei B. der Horizontalen) scheint mir für die Beziehung zwischen Auffälligkeit einer Distanz und subjektivem Größeneindruck von Bedeutung zu sein; wird an einem gegebenen, liegenden Rechteck die Vertikale soweit verlängert, bis die Gestalt plumper erscheint, dann hält man diesen Eindruck teilweise als durch eine Verkürzung der Horizontalen hervorgerufen, genauer: der Eindruck des Plumpen stützt sich auf einen inneren Nachdruck der Vertikalengröße, die Horizontale tritt im Bewußtsein zurück und man hält sie für verkleinert. Ihre verminderte Auffälligkeit wäre als Äquivalent mit einer Verkürzung zu betrachten. Was nun den eigentlichen Vorgang der Proportionsauffassung anlangt, erlaube ich mir im folgenden zunächst einige eigene Selbstbeobachtungen mitzuteilen. Sie sind aus Versuchen gewonnen, die ich absichtlich vor der Lektüre der einschlägigen Mitteilungen Bühlers (S. 155ff.) zum Zwecke der völlig unbeeinflußten und daher auch sicher unvoreingenommenen Kontrolle angestellt habe. Es war mir dabei nicht um langwierige Schwellenbestimmungen, sondern um die direkte Kenntnisnahme der Vorgänge, die beim Proportionsvergleich auf Grund der Bühlerschen Versuchsanordnung im Spiele sein mögen, zu tun. Ich fasse nun meine Beobachtungen zusammen und bringe sie dann zu den Bestimmungen Bühlers in Beziehung. IX. Wenn ich Gebilde von der Art betrachte und vergleiche, wie sie B. bei seinen Versuchen verwendete, so finde ich, daß ich mich auf zwei ganz verschiedene Weisen verhalten kann. Ich kann von der Betrachtung der Seiten ausgehen, indem ich sie einzeln isoliere und zwei davon durch einen bestimmten, von anderen inneren Ereignissen klar zu unterscheidenden Beziehungsgedanken, also durch einen von jeder neuen Vorstellung freiem Zustande, verbinde; wobei, wie auch B. hervorhebt, der Nachdruck, mit dem die einzelnen Seiten in diesem Beziehungsgedanken vertreten sind, nicht für beide gleich ist, so daß wir ganz naturgemäß sagen können, dieser Beziehungsgedanke treffe a im Hinblick auf b oder Die Gestaltwahrnehmungen 145 umgekehrt. Wenn ich das tue, so befinde ich mich in dem Besitze eines neuen Phänomenes eines neuen Gegenstandes, wiewohl ich keine neue Vorstellung, kein neues Bild in mir vorfinde, der eine ebenso “handgreifliche” Entsprechung außerhalb von mir hätte, wie z.B. die Linienvorstellung die Linie. Dieser neue Gegenstand ist die Verschiedenheit der zwei Linien bezüglich ihrer Größe. Ich erkenne dies daran, daß ich an diese Verschiedenheit nicht mit Zuhilfenahme einer Streckenvorstellung denke, wie ich dies tue und tun muß, sobald ich an Stelle der Verschiedenheit, den Unterschied, die Differenz der zwei Linien erfasse. Der Unterschied teilt immer die Natur des Unterschiedenen, die Verschiedenheit nicht. An den Unterschied zweier Strecken denke ich mit Zuhilfenahme einer Streckenvorstellung, ich treffe diesen Gegenstand, indem ich an eine Strecke denke; wenn ich aber an die Verschiedenheit denke, so ist das Erfassen dieses Gegenstandes vorstellungsfrei. Soweit die eine direkte Beobachtung; ob man nun diese zuzweit genannte Verhaltungsweise im Gegensatz zur ersteren als zu einem Vorstellungserlebnis, ein Akterlebnis nennen will oder nicht, das ist lediglich eine Nebensächlichkeit des Übereinkommens. Was die Verschiedenheit sei, ist im besonderen ebensowenig zu beschreiben, wie es unmöglich ist zu beschreiben, was eine Farbe, eine Farbenvorstellung oder schließlich ein Verschiedenheitsgedanke ist. Zu verwechseln sind aber diese Dinge trotzdem nicht. Neben diesem Verschiedenheitseindruck oder Verschiedenheitsgedanken, welcher mir sozusagen die direktere Weise der Auffassung einer Proportion darzustellen scheint, finde ich in mir, wenn ich geometrische Gebilde auf ihre Proportion hin miteinander in Beziehung zu setzen bestrebt bin, noch eine andere weniger direkte Auffassungsweise. Sie geht von der Vorstellung der Gesamtgestalt aus, also von etwas durchaus Anschaulichem, das mir zunächst ebenso sinnfällig vorzuliegen scheint wie eine Farbe oder ein Ton, und benützt eine besondere Eigenart dieser Gestalt als Symptom, als Kriterium, als Zeichen für etwas anderes, nämlich für die Proportion, die als solche nicht direkt aus dem Anblick der gebotenen Linien erfaßt, sondern aus der Auffassung der Gestalt, die sich aus der räumlichen Ordnung dieser Linien ergibt, erschlossen wird, oder mit der Auffassung dieser Gestalt in assoziativer Verknüpfung auftritt. Versuchen wir nun diese Gestalt zu beschreiben, so sagen wir, daß uns ihre Ausbreitung in der Vertikalen oder Horizontalen besonders auffällt. Die erfaßte Gestalt wird aber nicht als schlank erlebt, nachdem uns etwa eine sozusagen an nichts haftende Länge als absolut groß aufgefallen ist; der Eindruck der Länge ruft nicht den Eindruck des Schlanken hervor, sondern an der vorgestellten schlanken und als schlank vorgestellten Gestalt finden wir ein Prävalieren der Ausbreitung in einer Dimension. Alle Aussagen nun, die solche Prävalenzen hervorheben, besagen m.E. wohl nichts im Hinblick auf die Frage, wie ein Plumpheits- oder ein Schlankheitseindruck entsteht, sondern nur, was an dem erfaßten Gegenstände, den wir als plump oder schlank bezeichnen, in besonderem Maße auffällt. Diese Aussagen beziehen sich also auf die erfaßten Phänomene, aber nicht auf die Art und Weise, wie diese Phänomene erfaßt werden. Verhält man sich nun unwillkürlich so, daß die Qualitäten des Plumpen oder Schlanken in den Vordergrund des Bewußtseins treten, so kann von einem Proportionsvergleich gar nicht die Rede sein, denn Proportionen werden dabei ja gar nicht erfaßt. Beim Anblick des zweiten Rechteckes erlebt man bloß einen zum früheren passenden oder nicht passenden Schlankheits- oder Plumpheitseindruck. Dieser entstammt nicht der Auffassung einer Beziehung der Seiten zueinander, sondern gestattet erst einen Gedanken daran, enthält einen brauchbaren Hinweis auf eine als solche nicht erfaßte Beziehung. Vittorio Benussi 146 Das, was ich nun tue, wenn ich mir vornehme, Rechtecke zu vergleichen, das hängt teilweise von einer Ausgangsdetermination ab: wenn ich mir vornehme, Schlankheitsqualitäten der Gestalt oder Verschiedenheiten der Seiten (Horizontalen und Vertikalen) zu erfassen, so gelingt es mir auch sehr oft, wirklich nur das Eine oder nur das Andere zu leisten. Dabei scheint mir für die Auffassung und Vergleichung von Qualitäten der Schlankheit oder Plumpheit eine willkürliche Aufmerksamkeitsdiffusion in der Erwartungszeit günstig zu sein; dagegen begünstigt eine Art Vordetermination zur Auffassung von Linien, von Bestandstücken im ausgiebigsten Maße, für mich wenigstens, die eigentliche Verschiedenheitsauffassung. Es wäre von Interesse, diese Reaktionen getrennt zu untersuchen und zu schauen, ob die für jede einzelne in möglichst reiner Form erhaltenen Schwellenwerte einander entsprechen. Da der innere Vorgang, der zur Auffassung einer Beziehung führt, klar genug als verschieden von jenen zu erkennen ist, welcher zur Vorstellung einer Gestalt führt, müßte es möglich sein, durch zwei verschiedene Determinationen, durch zwei verschiedene Formen des Vorhabens eine Trennung wie die eben erwähnte durchzuführen. Jedenfalls ließen sich die Daten, die auf Grund der einen Reaktion gewonnen wurden, getrennt von jenen behandeln, die der anderen entstammten, auch wenn man die Reaktionen selbst nicht getrennt untersuchen könnte. Daß die Beachtung der Schlankheitsqualität zu unsichereren Resultaten (S. 174) führe, scheint mir nicht ohne weiteres festzustehen. Mit all dem glaube ich mich wohl nicht im Gegensatze zu B. zu befinden, im Gegenteile scheint mir hierdurch eine Verschiedenheit in den Verhaltungsweisen des Subjektes beim Gewinnen von Proportionsaussagen, die ich bei B. nicht hinreichend scharf herausgearbeitet finde, sich schärfer präzisieren zu lassen, - ich meine die Verschiedenheit zwischen einer echten oder direkten Proportions- oder Verschiedenheitsauffassung und einer unechten oder indirekten Proportionsauffassung, d.h. die direkte Auffassung eines Symptomes für Proportionsgleichheit oder Verschiedenheit also für das Ergebnis eines nicht vollzogenen Proportionsvergleiches. Bei B. scheinen die zwei Gegenstände Gestalt und Beziehung, sowie die Verschiedenheit der ihnen zugeordneten Auffassungsvorgänge nicht hinreichend auseinandergehalten zu werden. (Vgl. S. 178.) X. Daß meine Beobachtungen mit den Hauptbestimmungen B.s durchaus nicht im Gegensatze stehen, ergibt sich aus der Beachtung folgender Feststellungen: Auf S. 174 der Untersuchungen B.s wird von einer “simultanen” Auffassung gesprochen im Gegensatz zum konstruktiven Verfahren bei sukzessiver Beachtung der einzelnen Linien. Besonders wird nun von B. betont, daß sich eine Seite als “zu lang” hervordrängt ohne “bewußten Vergleich”: “die Proportion wird wirksam, bevor die Komponenten einzeln aufgefaßt sind” (175). Will man nur dann von Vergleichung reden, wenn der Beziehungsaussage eine besondere, isolierende Beachtung der Relationsglieder vorangeht, dann liegt freilich in dem Fall, in dem die Aussage auf Grund des Gesamteindrucks des einheitlich erfaßten Komplexes von Linien erfolgt, kein Vergleich vor. Aber nur soweit man diese terminologische Bestimmung einhält. Ebenso wird niemand behaupten wollen, daß eine isolierende Einzelbeachtung der Bestandstücke der Auffassung einer Gestalt vorausgehen müsse. Es genügt, daß die Bestandstücke dem Bewußtsein gegenwärtig sind. Die Gestaltwahrnehmungen 147 Ich vermute, daß überall dort, wo wir eine Beziehung zweier Bestandstücke eines Komplexes sozusagen der Gesamtgestalt entnehmen, sie von dieser “ablesen”, der Fall realisiert ist, von dem behauptet werden kann, daß das Beziehungsbewußtsein (als größer, kleiner usw.) keinem eigentlichen Vergleiche entstamme. (Man vergleiche hierüber den Abschnitt “Vergleichen und Zeitvergleichen” in meiner “Psychologie der Zeitauffassung”, wo auch die Ausführungen A. Brunschwigs über “das Vergleichen und die Relationserkenntnis” berücksichtigt werden.) An Stelle der eigentlichen Vergleichung tritt in einer Art vikariierender Funktion die Auffassung der Gestalt auf: Wer zwei Rechtecke im Hinblick auf ihre Proportion, also das Verhältnis von Höhe und Breite miteinander vergleichen will, wird sehr bald bemerken, daß die Art und Weise, in welcher die Beziehung zwischen Höhe und Breite erfaßt wird, eine auffallend andere ist, als diejenige, in welcher die Beziehung der zwei Proportionen ihrerseits zur Auffassung gelangt: in diesem letzteren Falle allein liegt normalerweise ein Vergleichen vor, wenn auch in der Form, daß das zweite Vergleichungsglied während einer an dem ersten haftenden gedankliche Richtung erfaßt wird, - worauf jenes eigenartige Erfassen des einen Vergleichsgegenstandes “im Hinblick” auf den anderen zurückgehen dürfte. Dieses “Erfassen im Hinblick” kann sich aber in ein wiedererkennendes Verhalten umwandeln: man hat dann beim Anblick des zweiten Viereckes den Eindruck des Passens oder Nichtpassens zum früheren. Sucht man nach dem Grunde dieses Nichtpassens, dann drängt sich die eine oder andere Komponente eben als unpassend auf; sobald man dies tut, verhält man sich, soweit ich sehe, wirklich “vergleichend”; denn diese nicht passende Komponente wird als zu groß oder zu klein bestimmt. Wir können uns auch so ausdrücken: Vom ersten Viereck behalten wir eine Art gedanklichen Proportionsmodells, beim Anblick des zweiten merken wir zunächst, ob es zu diesem Modell, ob es in dieses Gerüst paßt, ob es sich darin einfügt oder nicht. Beim Anblick des an zweiter Stelle gezeigten Gegenstandes kommt es natürlich auch zu einem “Zurückgreifen auf den Hauptreiz” (179), doch nicht immer mit Zuhilfenahme einer Vorstellungsreproduktion. Nur das Resultat der Auffassung des Hauptreizes, der Verhältnis- oder Schlankheitseindruck wird reproduziert. Mit Recht hebt B. hervor, daß “für die Theorie der Proportionswahrnehmung von größter Bedeutung (wäre), wenn sich zweifelssicher ermitteln ließe, ob bei der Auffassung eines Rechteckes wirklich ein Bewußtseinsinhalt entsteht, der sich ohne das Bild reproduzieren läßt.” Aus eigener Erfahrung kann ich das Gegebensein solcher “Bewusstseinsinhalte” als sicher vorgegeben betrachten. Nur würde ich sie, da ihnen jede Anschaulichkeit, jedes Bildmäßige fehlt, nicht “Inhalte”, sondern “Beziehungsgedanken” nennen. Doch glaube ich, daß man auch hier zwischen einem bildmäßigen Schlankheitseindruck und einem bildfreien Beziehungs- (oder Verhältnis- oder Verschiedenheits-)Eindruck unterscheiden muß, wovon nur der erstere in der direkten Auffassung von einer ästhetischen Resonanz - wie auch Vp. Kü. bei B. beobachtete (S. 180) - überhaupt begleitet erscheint. Die von mir vertretene ästhetische Indifferenz der Beziehungen (vgl. Archiv f. d. ges. Psych. 17, S. 91-101) scheint mir auch hier deutlich zur Geltung zu kommen. Ebenso wie die erwähnten Feststellungen spricht nun auch noch folgende Beobachtung für das Gegebensein eines unabhängigen Beziehungseindruckes: die Vp. kann sich zu diesem Beziehungseindruck räumliche Gebilde verschiedener, trotzdem aber passender Dimensionen denken (180). Die Theorie der Vorstellungsproduktion bzw. der Vorstellungen außersinnlicher Provenienz kennt die hier berührten Tatsachen schon lange: es handelt sich um jene Eindrücke, die gegeben sein müssen, damit eine Melodie trotz der Verschiedenheit der Tonart als eine Vittorio Benussi 148 bestimmte erkannt wird, um jene Eindrücke, die uns gestatten, Ähnlichkeiten zwischen Gegenständen zu finden, die kein einziges Bestandstück gemeinsam haben oder zwei Gestalten als gleich zu erkennen trotz der Verschiedenheit der Größe ihrer Abbildungen (man vergleiche außer Meinong, Zeitschr. f. Psychol. 2, 245ff. u. 21, 81ff., meine Psychol. der Zeitauffassung, S. 229-232). Die Beobachtungen B.s sind eine erfreuliche Bereicherung unseres Wissens über die Angriffsstellen der eben berührten Erscheinungen. Daß weiter der Proportionsvergleich unabhängig von der Qualität des in Proportion Stehenden sei, daß also ebensogut Raumgestalten als auch Strecken oder Zeitdistanzen im Hinblick auf deren Proportion miteinander verglichen werden könnten, ist gleichfalls im Sinne der Theorie der außersinnlichen Vorstellungen selbstverständlich, wie für jede Theorie, welche für den Eintritt von Verhältnis- und Gestalteindrücken zentrale Vorgänge postuliert und die tatsächliche Ordnungsverschiedenheit der Gegenstände erkannt hat. Ich habe als experimentellen Beweis hierfür unter anderen die Übertragung der geom.-opt. Täuschungen auf haptischem Gebiete, sowie die Indifferenz der Rhythmuserlebnisse gegenüber einer akustischen, haptischen oder optischen sinnlichen Vermittlung hervorgehoben, und kann nunmehr auch für die Scheinbewegungen darauf hinweisen, daß sie ebensogut auf Grund optischer wie auch haptischer Eindrücke erlebt werden können (vgl. Arch. f. d. ges. Psych. 30, S. 99ff.). Der Nachweis, daß außersinnliche Eindrücke beim Vergleiche wirklich wirksam sind, ist also nicht erst durch B.s Versuche geliefert worden, wie dies aus der Anmerkung auf S. 215 hervorgehen würde; wohl aber zeigen auch die Versuche dieses Forschers, daß man mit solchen Eindrücken rechnen muß. Die Psychologie des Gestalterfassens, deren experimentelle Anfänge kaum ein Jahrzehnt zurückliegen, hat allen Grund, sich über die nunmehr vorliegende Arbeitsgemeinschaft mit B. zu freuen und mit gespanntem Interesse auf den zweiten Band der “Gestaltwahrnehmungen” zu warten. (Eingegangen am 10. März 1914.) Anmerkungen 1 Ich behalte mir einige Bemerkungen hierüber für eine spätere Gelegenheit, d.h. für eine Besprechung des noch nicht erschienenen II. Bandes von Bühlers Untersuchungen über Gestaltwahrnehmungen vor. Im Augenblick scheint mir angemessener nur die Tatsachen und zwar in womöglich theoriefreier Form in Erwägung zu ziehen. Ist man gewohnt, von Wahrnehmung nur dort zu sprechen, wo es sich um die Auffassung einer Wirklichkeit handelt, so wird man dem Terminus Gestaltvorstellung gegenüber der Bezeichnung Gestaltwahrnehmung den Vorzug geben. Gestalten sind ja unwirkliche, ideale Gegenstände höherer Ordnung; wirklich sind deren Inhalte, d.h. jene Seite des psychischen Erlebnisses, hier einer Vorstellung, von dessen Beschaffenheit es abhängt, ob die gegebene Vorstellung den einen oder anderen Gegenstand präsentiert. Die Darstellung, die Bühler in seinem theoretischen Einleitungskapitel von den Gestaltproblemen gibt, leidet im allgemeinen unter der mangelhaften Auseinanderhaltung von Inhalt und Gegenstand, sowie mangelhafter Kenntnis der dem Problem der Ordnungsverschiedenheit gewidmeten Untersuchungen A. Meinong. Doch betrachte ich vorderhand die theoretische Angelegenheit als die unaktuellere Seite der gegenwärtigen Forschungsrichtung. Wichtig ist in erster Linie die Tatsache, daß nunmehr auch außerhalb der “Grazer Schule” stehende Arbeitskräfte die Bedeutung der Gestaltprobleme eingesehen und ihrerseits durch genaue Untersuchung die Fruchtbarkeit der experimentellen Gestaltanalyse erwiesen haben. 2 Man vergleiche meinen Göttinger Kongreßvortrag (April 1914) über “Versuche zur Bestimmung der Gestaltzeit”. 3 Übereinstimmendes finde ich nunmehr auch in der schönen Arbeit von Moede “Zeitverschiebungen bei kontinuierlichen Reizen” (Psych. Stud., herausg. von W. Wundt, Bd. VIII, S. 327ff. bes. S. 369ff. [1913]). 4 Eine Zusammenfassung der Ergebnisse meiner Arbeiten über das inadäquate Erfassen von Gestalten findet man nunmehr im Archiv f. d. ges. Psychol. 32, S. 396ff. (Gesetze der inadäquaten Gestaltauffassung). Die Gestaltwahrnehmungen 149 5 In allerletzter Zeit hat W. Hasserodt (“Gesichtspunkte zu einer experimentellen Analyse geom.-opt. Täuschungen”, im Archiv f. d. ges. Psychol. 28, S. 336ff. [1913]) versucht, die Poggendorffsche Täuschung aus “gehemmten” Blick- (oder Aufmerksamkeits-)Bewegungen zu erklären. Man vergleiche darüber meine Besprechung in dieser Zeitschrift 69, S. 121f. 6 Vor einigen Monaten ist über dieses Thema eine Untersuchung von Koffka und Kenkel (diese Zeitschrift 67, S. 353-449) unter dem Titel “Beiträge zur Psychologie der Gestalt- und Bewegungserlebnisse” erschienen. Zu der Fußnote 2 auf der S. 356 habe ich zu bemerken, daß das Ms. meiner Arbeit “Stroboskopische Scheinbewegungen und geom.-opt. Täuschungen” dem Herausgeber des Archivs f. d. ges. Psychol. Prof. W. Wirth am 21. April 1912 zugegangen ist. Die tatsächlichen Ergebnisse von K. K. enthalten eine Bestätigung der von mir zuerst beschriebenen Erscheinungen. Bezüglich der theoretischen Divergenz vergleiche man meine Besprechung der Arbeit K. K.s im Archiv f. d. ges. Psychol. 32, S. 50ff. des Lit.-Ber. 7 und ist von seiten K.K. unberücksichtigt geblieben. 8 Vgl. einstweilen meinen Göttinger Kongreßvortrag “Versuche zur Bestimmung der Gestaltzeit” (Bericht über den VI. Kongreß für exp. Psychol., Leipzig Barth, 1914, S. 71f.) 9 Dies hat mir B. auch brieflich mitgeteilt. 10 Sie knüpft an W. Wundts Projektionsmethode zur Darstellung geom.-opt. Täuschungen, an. 11 Diese dreifache Erscheinungsweise ist auch Koffka-Kenkel (a. a. 0.) entgangen. Die Behauptung K.-K.s, die einschlägigen Erscheinungen seien komplizierter als sie mir erschienen (vgl. im übrigen meine bereits erwähnte Besprechung der Untersuchungen dieser Autoren), scheint mir daher nicht gerade mich zu treffen, sondern viel eher die Urheber dieser Bemerkung selbst. 12 In meiner oben angeführten Arbeit werden zunächst die zwei letzten Erscheinungen ins Auge gefaßt. 13 “Stroboskopische Scheinbewegungen und geom.-opt. Gestalttäuschungen” (Arch. f. d. ges. Psychol 24, S. 31ff. [1912]). 14 (Vgl. hierüber meine “Psychologie der Zeitauffassung” in ‚Psychologie in Einzeldarstellungen Bd. 6’, S. 258-264 [Heidelberg 1913]),sowie die im Arch. f. d. ges. Psychol. 17, S. 9ff. (1910) mitgeteilten Versuche über das Vergleichen von Verschiedenheiten, bei denen das von G.E. Müller konstatierte Moment der “Kohärenz” von Eindrücken in seiner Bedeutung für die subjektive Verschiedenheitsgröße unter besonders günstigen Verhältnissen untersucht wird. Es sei hier auch darauf hingewiesen (zu Bühler S. 135-135), daß beim Verschiedenheitsvergleich nahezu immer das Bewußtsein eines “Sich-Verhaltens” gegeben ist; wenn auch als Grundlage, Kontrolle und Stütze hierfür die Nebeneindrücke der “Kohärenz” oder wie ich mich ausdrückte, die “Zusammengehörigkeitseindrücke”, verwertet werden. Dies war bei meinen Versuchen so konstant der Fall, daß ich gar nicht für nötig gehalten habe, die Bezeichnung Verschiedenheitsvergleichung näher zu erläutern. Ich vermute daher, daß jener Zustand, den Bühler als Proportionseindruck bezeichnet, sich (soweit er nicht die Raumgestalt zum Gegenstande hat) mit dem in meinen Versuchen als Verschiedenheitsbewußtsein hingestellten, deckt. Ich erläuterte auch sonst immer die von der Vp. geforderte Leistung mit dem Hinweise auf Strecken, die gleiche Differenzen (Unterschiede) gegenüber solchen, die gleiche Verschiedenheiten (das gleiche Verhältnis) zueinander aufweisen. Im übrigen ist auch der Umstand nicht außer Acht zu lassen, daß dort, wo es sich um Farben (Helligkeiten) handelt, ein Differenz-Eindruck ja überhaupt nicht zu erreichen ist, es wäre denn durch ganz entlegene Vergleichungen mit den Stellen eines räumlich vorgestellten Farbenkontinuums: was von J. Fröbes auch hin und wieder konstatiert wurde. 15 Die Beschreibung stößt also hier auch für B. auf eine letzte Tatsache: die Gewinnung des Verhältniseindruckes oder des Schlankheitseindruckes. Dies ist deswegen hervorzuheben, weil B. sowohl in seinem Einleitungsabschnitt (“Die theoretische Diskussion usw. . . .”) als auch gegenüber den Tatsachenfeststellungen in Sachen des Gestalterfassens als eines eigenartigen Vorganges, die vor ihm von anderer Seite erfolgt sind, den Gesichtspunkt vertritt, das wichtigste sei die Bestimmung und Analyse der Entstehung solcher Vorgänge. (Vgl. auch “Bericht über den V. Kongreß f. Psychol.” Leipzig, Barth. 1912.) 16 In allerletzter Zeit sind diese Scheinbewegungen auch von Koffka und Kenkel erwähnt worden. Sie dürften eine rein physiologische Grundlage haben und sollten an Objekten, die gleichhell aber verschiedenfarbig sind gegenüber dem Grunde, auf dem sie kurzdauernd sichtbar werden, näher untersucht werden. 17 In diesem Zusammenhange ist auf folgende Beobachtung hinzuweisen: beim Vergleichen von Vierecken wurde gerade die Horizontale, die objektiv unverändert blieb, für die normalerweise von Fall zu Fall veränderte Größe gehalten, während die objektiv variierte Vertikale subjektiv als die konstante erschien (169). Die Beobachtung weist unzweideutig darauf hin, daß der Gesamteindruck der Linienkombination, also das einheitliche Gestaltelement im Vordergrund der Beachtung stand. Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 · D-72015 Tübingen · Fax (07071) 75288 Narr Studienbücher Peter Burleigh / Paul Skandera A Manual of English Phonetics and Phonology narr studienbücher, 2005, X, 169 Seiten + Audio CD, € 19,90/ SFR 34,90 ISBN 3-8233-6125-2 A Manual of English Phonetics and Phonology is intended for students of English language in undergraduate university courses in the German-speaking region. It is entirely self-explanatory and requires no prior knowledge of linguistics. The book starts with a short overview over the various branches of linguistics and locates phonetics and phonology in this context. As the Manual progresses, terminology and knowledge are advanced in a carefully staged manner. It is divided into 12 lessons and exercises which can easily be managed in a university term. Special attention is given to areas the authors have experienced as challenging for students, such as the difference between phonetics and phonology, inconsistencies in terminology, and different transcription conventions. The Manual combines an introduction to the theory of phonetics and phonology with the practice of transcription. Exercises at the end of each lesson give students the opportunity to put the theory into practice and constitute a fully integrated course in phonetic transcription. All spoken texts are provided on an accompanying CD. Thus A Manual of English Phonetics and Phonology presents the teacher with a valuable class-ready resource, and the student with a stimulating, attainable, and insightful introduction to the study of phonetics and phonology. De Karl Bühler à Karl R. Popper Fiorenza Toccafondi R ÉSUMÉ : Popper a passé sa licence sous la direction de Bühler en 1928. Affirmer que Popper a été profondément influencé, non seulement par la théorie du langage de Bühler, mais aussi par sa psychologie, ne correspond pas à l’opinion courante. Le deuxième chapitre de Die beiden Grundprobleme der Erkenntis montre clairement que Karl Bühler a représenté l’un des points de départ les plus importants de la théorie de l’esprit de Popper. Selon Popper, dans l’épistémologie de Carnap, il y a un «préjudice inductif»: afin de rétablir une opinion neutre et adopter une épistémologie qui soit indépendante de la psychologie, il est nécessaire de démontrer que, dans la psychologie aussi, le déductivisme est possible et concevable. Popper donne des exemples très clairs de psychologie déductive et cite la théorie de Kant, Johannes Mueller, l’École Wuerzburg (surtout à travers Bühler et Otto Selz) et Ernst Mach. Le choix de tels exemples est significatif afin de comprendre la nature de la formation de Popper. En particulier, il est important de souligner l’absence de la «psychologie de la Gestalt» ou de ses penseurs, tels que Wertheimer, Koehler, Koffka, etc. En effet, Bühler s’opposait fortement à la psychologie de la Gestalt de l’École Wertheimer et, entre l’Institut Bühler de Vienne et les psychologues de la Gestalt à Berlin, il y avait une véritable rivalité. Popper - qui est normalement considéré, de façon simpliste, comme étant «un psychologue gestaltiste» - a tout à fait adopté l’idée de Bühler. A BSTRACT : Popper graduated under Bühler’s direction in 1928. It’s not part of the common view to say that Popper was strongly influenced, not only by Bühler’s theory of language, but also by his psychology. The second chapter of Die beiden Grundprobleme der Erkenntnis shows clearly that one of the fundamental starting points for Popper’s theory of mind was Karl Bühler. According to Popper, an «inductive prejudice» is contained in Carnap’s epistemology: to restore a neutral point of view and to adopt an epistemology independent of psychology, it is necessary to show that, within the psychology, the deductivism is also possible, or thinkable. Popper provides some clear examples of deductive psychology and cites Kant’s outlook, Johannes Mueller, the Wuerzburg’s school (particularly by Bühler and Otto Selz) and Ernst Mach. The choice of such examples is very important for the understanding of the nature of Popper’s training. It is significant, in particular, the absence of the Gestaltpsychology or of its exponents, such as Wertheimer, Koehler, Koffka etc. In fact, Bühler was in sharp contrast with the Gestaltpsychology of Wertheimer’s school and between the Bühler’s Vienna Institute and the Berlin Gestalt-psychologists there was a real rivalry. Popper - who by the standard view is simplistically considered «a gestaltist psychologist» - adopted completely the Bühler’s point of view. Dans son Autobiographie, Popper propose une vaste rétrospective de sa formation intellectuelle 1 . Comparé à d’autres indications contenues dans certains de ses ouvrages antérieurs (en premier lieu dans Conjectures and Refutations et dans Objective Knowledge), le compterendu de Popper est apparu «decevant», car le développement des problèmes et des idées de K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Fiorenza Toccafondi 152 fond de son parcours de formation manque de «références au domaine relatif à la psychologie et à la philosophie de la science de cette période». Pour cette raison, certaines des «racines», des origines et certains des facteurs qui ont contribué à stimuler la pensée de Popper demeurent assez «vagues» 2 ; ainsi se heurte-t-on souvent à des auteurs qui introduisent sa pensée en la reliant directement à d’éminentes théories de l’histoire de la philosophie, en la présentant comme une formulation qui, «dans un certain sens, ne faisait que puiser, encore une fois, à la tradition de l’hypothético-deductivisme, dont […] certains éléments remontent jusqu’à l’Antiquité» 3 . C’est cette situation qui a poussé à rechercher les «dettes» que Popper a confessées seulement de façon partielle. Par exemple, il y a plus d’une vingtaine d’années, W.W. Bartley III a déterminé la source de l’utilisation hypothetico-déductiviste de la philosophie kantienne par Popper: Popper était un «psychologue gestaltiste», «à l’esprit façonné de maniére décisive [par la pensée] de Bühler, de Külpe, et par celle des autres psychologues gestaltistes» 4 . En Italie, dans la même lignée, certains ont proposé l’idée d’un Popper qui, «sous l’impulsion du gestaltisme, parvint à une position kantienne», et la thése selon laquelle «le gestaltisme qui conduisait Popper au kantisme était l’antithése de cet associationnisme psychologique qui, à l’inverse, menait à l’empirisme ou à l’idealisme de Berkeley et de Mach, qui fut typique des premières formulations néopositivistes» 5 . De I’interprétation de Bartley, on partage sans aucun doute l’idée que l’on doit rechercher les racines de la philosophie de Popper dans la formation psychologique menée sous la direction de Karl Bühler 6 , ainsi que l’idée que cette période a exercé une influence beaucoup plus importante que celle explicitée par Popper. Pour être plus precis, l’influence exercée par Bühler devrait être expliquée non seulement (comme c’est déjà le cas) par rapport au fait que «beaucoup d’idées de Popper apparemment révolutionnaires sont des applications directes de la philosophie de la psychologie évolutive et de la théorie du langage de Bühler» 7 , mais aussi par rapport à la théorie de l’apprentissage et à l’utilisation de la perspective kantienne d’un point de vue hypothético-déductiviste. La théorie hypothético-déductiviste de Popper est si connue que nous pourrions la croire évidente pour tous, mais il vaut peut-être la peine de rappeler ses traits essentiels de façon synthétique. Ce qui conduit Popper à critiquer le néopositivisme est l’idée kantienne selon laquelle «notre intellect ne tire pas ses lois de la nature, mais impose ses lois à la nature». La leçon que donne Kant à la tradition inductiviste réside dans le fait qu’il a montré qu’il n’existe ni observation pure, ni hypothèses, ni croyances, ni théories qui dérivent d’un stade de simple recueil des informations. Dans la théorie de Popper, l’apprentissage a lieu à partir d’un ensemble inné ou inconscient de réactions et d’expectatives, d’un mécanisme biologique en vertu duquel chaque animal est confronté à son propre milieu; les observations, elles, s’insèrent dans cet horizon inné d’expectatives, de réactions innées. Lorsque les observations font constater l’insuccès, l’échec des mécanismes de réaction innés, (et cela vaut pour les mythes préscientifiques comme pour les théories scientifiques), l’organisme (animal ou humain), produit de nouvelles solutions provisoires qui peuvent se présenter sous la forme de mutations organiques ou de nouvelles hypothèses. Chaque accroissement de connaissance consiste ainsi en la modification ou la correction de quelque phase de connaissance antérieure, «et donc, en dernière analyse, de quelque connaissance innée» 8 . À ce stade, les observations servent à sélectionner des essais adaptés à la situation, parmi ceux produits librement par l’organisme. De cela découle l’hypothético-déductivisme de Popper; à partir des hypothèses, on peut déduire de façon logique (sous la forme du modus tollens de la De Karl Bühler à Karl R. Popper 153 logique classique) des assertions empiriques de contrôle en mesure de corroborer ou de falsifier cette théorie. Mais même lorsqu’elles s’avèrent corroborées, les théories scientifiques conservent un caractère hypothétique, parce qu’elles contiennent des généralisations qui ne peuvent être justifiées, qui ne peuvent être ramenées à des assertions singulières. Pour en revenir au rapport avec Bühler, Popper, dans Replies to my Critics, répond très significativement à Victor Kraft à propos de la possibilité que le Cercle de Vienne, et en particulier Die Grundformen der Wissenschaftlichen Methoden (1925), aient influencé son anti-inductivisme. Cette oeuvre, dans laquelle Kraft développe une méthodologie de la science de matrice clairement déductiviste, s’avère être citée deux fois dans Logik der Forschung. L’intéressé répond ainsi à la provocation de Kraft : «En ce qui concerne les influences, je pense avoir été influencé bien plus par Karl Bühler, psychologue et représentant de l’école de Külpe, que par n’importe quel membre du Cercle» 9 . Cette réponse, bien qu’extrêmement brève, presque fulgurante, est hautement révélatrice des influences - pour la plupart inexpliquées et restées dans l’ombre - de la formation de Popper, en ce qui concerne ce qui peut être considéré comme le véritable pivot de sa perspective. Concernant les années 1929-1930 (quand la rencontre avec Herbert Feigl lui fournit l’opportunité de publier ses idées sous la forme d’un livre), l’affirmation suivante mérite d’être soulignée: «Pendant cette période, j’avais l’habitude de penser que la critique que je faisais au Cercle de Vienne était le simple résultat de la lecture de Kant, et du fait que j’avais compris certains points particuliers de sa théorie» 10 . En mettant en relation les deux affirmations, on doit conclure, comme le suggère Bartley, qu’il y eut une corrélation effective entre l’activité et les réflexions psychologiques menées sous la direction de Bühler et l’utilisation de la perspective kantienne de façon déductiviste. Cependant, face à l’interprétation de Bartley, et surtout face à celle que nous pourrions appeler sa «received view», nous viennent deux considérations spontanées. La première, c’est que le fait de définir Karl Bühler comme un psychologue gestaltiste démontre que la connaissance de sa pensée n’est proportionnelle ni à sa célébrité ni à l’importance qu’on lui attribue. La seconde, c’est que l’on ne peut pas ne pas donner raison à Gaetano Kanizsa lorsqu’il affirme que, dans la Gestaltpsychologie (par cette expression, on entend l’école de Max Werthteimer), sont en vigueur certains «lieux communs courants», qui souvent se révèlent être imprécis, voire faux dans certains cas 11 ; le fait qu’il ait adhéré à des solutions de type kantien est précisément l’une de ces simplifications: en effet, le fait que les principes proposés par l’école de Wertheimer aillent dans une direction totalement opposée à ce qu’une telle affirmation devrait signifier (c’est-à-dire la reconnaissance de la fonction fondamentale de l’esprit dans l’organisation perceptive et théorique de la donnée) fut même l’un des arguments pour lesquels elle fut critiquée par de très éminents censeurs, Bühler en tête 12 . De ce point de vue, Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie - la version originale, qui, après des versions abrégées et les impitoyables coupures de Walter Schiff (l’oncle de Popper), parut sous le titre de Logik der Forschung - est un texte emblématique; en effet, il permet de comprendre comment l’interprétation de Kant par Popper se place au sein d’une conception dont l’inspiration de fond se posait en net contraste avec les positions adoptées par la Gestaltpsychologie de Wertheimer. Dans Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, bien plus que dans Logik der Forschung, c’est la solution d’un des thèmes charnières des réflexions du Cercle (l’indépendance de la théorie de la connaissance face à la psychologie de la connaissance, la nécessité de distinguer entre la façon dont naissent les théories scientifiques et leur validité), qui est fondamentalement mise en cause à travers le recours à la psychologie, recours, tient Fiorenza Toccafondi 154 à expliquer Popper, qui ne signifie pas ouvrir la porte au psychologisme mais démasquer le «préjugé inductiviste» qui se cache derrière les positions néopositivistes. Les prémisses qui donnent naissance au raisonnement de Popper sont aussi incontestables que fondamentales. La façon dont on découvre de nouvelles connaissances est une question de fait, et, par conséquent, nous sommes dans le domaine des jugements synthétiques. Contrairement aux jugements analytiques, ces derniers ne reposent pas sur le principe de contradiction, puisqu’un jugement synthétique peut être nié sans qu’on obtienne pour autant une proposition contradictoire: le negatum d’un jugement synthétique est toujours logiquement possible 13 . Selon Popper, parmi certains représentants éminents du Wiener Kreis est présente l’idée que l’inductivisme représente l’unique explication possible relativement à la découverte de nouvelles connaissances (et donc relativement à une question de fait). L’explication d’une question de fait est donc transformée en quelque chose de «conceptuellement nécessaire» 14 . Popper affirme: «Si […] l’on admet que dans la question relative à la découverte des connaissances, rien d’autre que ce qu’affirme l’inductivisme ne peut entrer en jeu, alors, par conséquent, on doit aussi admettre que dans la question mentionnée ci-dessus ce ne sont pas les simples faits qui décident; ce sont les raisons logiques ou épistémologiques» 15 . Mais de cette façon, la confusion consécutive entre questions de fait et questions de valeur entraîne la disparition de la démarcation nécessaire entre théorie et psychologie de la connaissance (en substance, la distinction entre ce qui deviendra célèbre avec Hans Reichenbach sous le nom de «contexte de la découverte» et «contexte de la justification» des hypothèses scientifiques), et donc l’indépendance de la seconde par rapport à la première. La cible polémique des critiques de Popper est sans doute Der logische Aufbau der Welt de Carnap, comme le confirme une affirmation significative contenue dans Conjectures and Refutations où Popper affirme, à propos de Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie: «Ma critique s’adressait principalement à deux oeuvres de Carnap, Der logische Aufbau der Welt, et Scheinprobleme in der Philosophie, mais également à certains de ses articles parus dans «Erkenntnis»» 16 . Nous en arrivons donc à la cible des critiques de Popper: Der logische Aufbau der Welt de Carnap. 2 C’est bien connu, Carnap choisit comme base de son système le champ psychique propre, sous la forme du «solipsisme méthodologique». À ce propos, il n’est pas de notre intérêt de nous arrêter sur le phénomène dit de l’Aufbau, ni sur les discussions qu’il a provoquées à l’intérieur du Cercle. Ce qui nous intéresse, c’est de montrer à partir de quels fondements et avec quels arguments Carnap parvient, en partant d’une base subjectiviste, à la constitution d’une connaissance objective, universellement valide et intersubjective; c’est de montrer de quelle façon - selon ses propres paroles - il résout le problème de savoir comment «atteindre l’objectivité de la connaissance, en adoptant également cette forme systématique», «éviter le danger du subjectivisme», et garantir l’indépendance du système de constitution de toute contamination possible à caractère psychologique 17 : en somme, tous des objectifs que Popper partage entièrement, et auxquels il estime que le système de Carnap n’a pas satisfait, parce que ce système est entaché d’un préjugé inductiviste qui se reflète, de la psychologie de la connaissance, dans sa proposition épistémologique. La classification qui caractérise la construction de Carnap est établie sur la «erkenntnismässige Primarität» des objets, c’est-à-dire sur le fait que d’un objet (qui, pour cette raison, est défini comme étant «cognitivement primaire») résulte (logiquement et non De Karl Bühler à Karl R. Popper 155 psychologiquement) la condition nécessaire à la connaissance d’un autre objet (qui est appelé, pour cette raison, «cognitivement secondaire»). Par exemple, les objets physiques sont cognitivement secondaires par rapport aux objets psychiques, parce que les premiers se construisent sur la base des seconds; les objets de la psyché des autres sujets sont, à leur tour, cognitivement secondaires par rapport aux objets physiques, parce que la psyché des autres sujets est intelligible uniquement à travers des objets physiques, c’est-à-dire au moyen des mouvements expressifs, des réactions et des comportements des autres sujets. C’est précisément en vertu de ce type de classification, parce que le système de constitution «exige» de tenir compte de «l’ordre cognitif des objets», de ce qui est «cognitivement primaire» et «cognitivement secondaire», que la base, le degré le plus bas du système de constitution, se situe dans les Erlebnisse, dans les données vécues, sous-entendues «dans leur totalité et dans leur unité de conscience». Cela veut dire que l’on considère «le champ psychique propre» simplement comme on nous le donne, et non pas comme il devient par la suite dans «l’analyse psychologique»: les «atomes psychiques», tout comme les sensations, ne sont pas un fait primaire, mais des abstractions obtenues à partir de la donnée globale; ils sont quelque chose de cognitivement secondaire. Ainsi, par exemple, dans la perspective adoptée par Mach dans Die Analyse der Empfindungen, «ce n’est pas la donnée elle-même qui est considérée comme l’élément fondamental, mais les abstractions obtenues à partir de cette dernière, et donc quelque chose de cognitivement secondaire». Par cela, Carnap se réfère à la psychologie de Cornélius et à l’école gestaltiste de Köhler et de Wertheimer, auteurs qui soulignent que «dans la perception, c’est l’impression globale qui est primaire, et que, à l’inverse, les sensations, les sentiments particuliers, etc. sont uniquement le résultat d’une analyse à caractère abstractif». «L’accord, affirme Carnap, est primaire à l’égard du son particulier, l’impression du champ visuel global est primaire à l’égard des particularités qu’il renferme […], les formes qui se trouvent dans le champ visuel sont primaires à l’égard des points colorés du champ visuel dont ces formes sont «composées»» 18 . La première conséquence fondamentale de cette option consiste en la difficulté qu’il y a à déterminer, dans les données vécues, une base solide et univoque non soumise au caractère arbitraire des contenus subjectifs, des courants individuels des vécus. Une telle base, un tel point de départ du système de constitution (dans lequel on devra réduire les concepts scientifiques) est identifié par Carnap dans les «relations fondamentales» entre les vécus élémentaires, et ce, parce que si les vécus se trouvaient les uns à côté des autres sans relations, aucun progrès constitutionnel ne serait possible à partir de ces vécus: «Ce sont ces relations fondamentales, et non pas les éléments fondamentaux, qui forment les objets fondamentaux […] dont sont constitués tous les autres objets du système. Du point de vue de la constitution, les relations fondamentales sont primaires par rapport aux éléments fondamentaux qui sont les membres de celles-ci» 19 . À côté de cela, on trouve également l’idée que «la science est, par essence, science de la structure», et que tous ses objets de connaissance «ne sont pas contenu, mais forme». La connaissance scientifique se sert en effet de descriptions de rapport (qui indiquent quel type de relations subsistent entre les objets), et non de descriptions de propriété (qui indiquent les qualités de chaque objet). Les descriptions de rapport et les descriptions de structure, c’est-à-dire l’ensemble des propriétés formelles des rapports qui existent entre les éléments d’un champ, permettent à Carnap de sortir de l’individualité des données vécues et du «danger du subjectivisme» auquel sa perspective semblait s’exposer à cause de la «base psychique propre» choisie comme fondement de tout le système 20 . À la base de l’ordre objectal du système de Carnap se trouvent également la distinction entre «la valeur logique et la valeur cognitive» des assertions apportées et l’affirmation Fiorenza Toccafondi 156 consécutive que chaque assertion qui entre dans le système subit nécessairement (pour des raisons logiques) une «transformation constitutionnelle» qui fait abstraction de sa valeur cognitive, psychologique et mentale; Carnap affirme qu’en ce qui concerne les rapports entre les objets, les assertions et les fonctions propositionnelles, «la méthode constitutionnelle […] prend exclusivement en considération la valeur logique, et non pas la valeur cognitive; une telle méthode est purement logique, et non pas psychologique». Ainsi, dès le choix des relations fondamentales mises à la base du système, la «erkenntnismässige Primarität» s’applique au système de constitution exclusivement et ne doit pas être confondue avec «la valeur cognitive» des objets, qui se réfère à l’ordre psychologique concret. Le système de constitution fait abstraction du fait que, dans le processus cognitif, un rapport soit ou non fondamental 21 : «Il arrive, affirme Carnap, qu’un état de fait précis des choses soit certainement fondamental, du point de vue psychologico-cognitif, et ne renvoie pas à des états de fait plus simples, mais que, logiquement, il dépende d’autres états, de façon à pouvoir être constitué par ceux-ci, faisant ainsi en sorte qu’il n’est pas nécessaire que précisément celui-ci soit considéré comme rapport fondamental» 22 . Tout en prenant acte des propos rassurants de Carnap, il s’agit cependant de voir de quelle façon il procède pour déterminer ces «propriétés structurelles» qui permettent de sortir du psychique propre et de garantir l’objectivité et l’intersubjectivité des formations du système. Comme il s’agit d’unités non décomposables, Carnap adopte un instrument particulier pour le traitement des vécus et la description conséquente de leurs relations; il dérive du «principe d’abstraction» de Russell. Parce que les données vécues se présentent justement comme des unités non décomposables, elles sont appelées «quasi-analyses», «quasi-caractéristiques» ou «quasi-ingrédients» se référant respectivement au procédé et aux formations que l’on obtient à partir d’un tel procédé. En second lieu, par rapport à l’«analyse authentique», la «quasi-analyse» d’un vécu n’invalide pas l’unité du vécu de départ, car elle l’insère dans une pluralité de connections d’affinité avec les autres «quasi-parts» d’autres vécus. De telles connections ou relations d’affinité peuvent consister soit en la concordance d’au moins un des quasi-ingrédients, (et donc en une égalité partielle), soit en une concordance seulement approximative d’au moins un des quasi-ingrédients (et donc en une similarité partielle). Ainsi se constituent des «cercles de similarité» en rapport avec de telles relations, et donc des classes, ainsi que des relations entre les classes 23 . Cependant, les deux relations indiquées (d’égalité partielle et de similitude partielle) ne peuvent pas être considérées comme un fondement essentiel; en effet, il existe une autre relation sur laquelle toutes deux reposent, une espèce de pierre angulaire, la clé de voûte de toute l’organisation du système de Carnap, sur la base de laquelle peuvent se constituer des cercles de similarité et donc des classes et des relations entre ces classes. Ce véritable pivot du système - qui complète, ou plutôt est à la base du cadre théorique que Popper prend pour cible - est appelé par Carnap le «souvenir de similarité». Pour qu’à la fois la relation d’«égalité partielle» et celle de «similarité partielle» soient possibles, il est nécessaire qu’une «représentation souvenir» soit présente. Pour ces motifs, Carnap est convaincu que «les relations fondamentales» (ou «catégories» du système de constitution) ne peuvent logiquement dériver que d’une unique relation fondamentale. «Le nombre des catégories […] est très restreint, et il n’y a probablement qu’une unique catégorie». Une telle catégorie, une telle relation fondamentale est précisément le «souvenir de similarité». Cependant, sur cette question, Carnap laisse échapper deux affirmations extrêmement significatives; la première est que le fait que la similarité partielle découle du souvenir de similarité doit être compris comme «une constitution de forme non rigoureuse». La seconde est que le souvenir de De Karl Bühler à Karl R. Popper 157 similarité «est plus important également du point de vue cognitif». Mais que signifient, dans ce contexte, «constitution de forme non rigoureuse» et «également du point de vue cognitif»? Il est fondamental de se poser cette question, car à ce propos, on a la nette impression que Carnap remet en cause la «valeur cognitive» de la question, le point de vue psychologicocognitif en plus du logico-cognitif. Pour déterminer une relation de similarité ou une relation d’égalité partielle entre deux vécus élémentaires x et y, également du point de vue cognitif (psychologico-cognitif), il faut la «représentation souvenir» de ce qui précède les deux vécus, il faut que x et y soient reliés à travers le souvenir de similarité: en somme, c’est cela que Carnap semble suggérer. Mais en faisant cela, Carnap finit par accorder à ce qui n’est rien d’autre qu’une thèse psychologique une valeur incontestable ; il finit par lui reconnaître un caractère indubitable égal à celui qui est le propre des vérités logiques: c’est-à-dire que par rapport à un phénomène psychologique bien précis (celui de la reconnaissance de ce qui est semblable), Carnap se réfère à un seul type d’explication, en tenant pour sûr qu’il n’y a pas d’alternatives 24 . 3 Cet entrecroisement symptomatique entre l’ordre logico-cognitif et l’ordre psychologicocognitif n’échappe pas à Popper, qui voit dans cette véritable articulation du système de Carnap la proposition pure et simple d’une formulation psychologique tout à fait reconnaissable: «Elle admet que, en partant de chaque expérience vécue - et en particulier des expériences vécues de la perception - on parvient à nos connaissances, c’est-à-dire à nos expériences, à travers la généralisation de telles expériences vécues; que nous ordonnons les expériences vécues en fonction de leurs ressemblances […], et nous obtenons ainsi les «cercles de ressemblance», et les «classes-abstractions» (Carnap). En procédant ainsi dans la direction inductive, du particulier au général, nous arrivons en dernier lieu aux concepts et aux connaissances propres à la science.» 25 . Popper est très clair lorsqu’il affirme que le foyer de sa critique ne porte pas sur l’inclination légitime pour une orientation psychologique aux dépens d’une autre. Par exemple, dans Theorie und Erfahrung in der Physik (1929), Herbert Feigl manifeste son penchant pour les raisons du déductivisme dans le cadre de la psychologie de la découverte tout en soutenant pourtant une perspective inductiviste en matière épistémologique. À ce propos, Popper n’est pas intéressé par l’idée de mettre en lumière le contraste de fond entre sa pensée et une solution de ce genre. Ce qui lui tient à coeur, c’est de montrer que la neutralité de la théorie de la connaissance ne peut que passer par la reconnaissance de la légitimité du déductivisme, dans le cadre de la psychologie de la connaissance, par-delà le fait que, dans le domaine épistémologique (comme pour Feigl), on opte pour une perspective inductiviste. Le cas est différent en ce qui concerne Carnap, qui, selon Popper, est tellement conditionné par la tradition psychologique inductiviste qu’il la considère comme étant l’unique solution possible. Sous le couvert d’un langage délicieusement logique, ce qui n’est rien d’autre qu’une théorie concernant la psychologie de la découverte prend l’aspect de quelque chose de «conceptuellement nécessaire», de quelque chose qui n’admet pas d’alternatives 26 . De cette façon, la boucle est bouclée, mais ces conséquences vont miner tout le système de Carnap, car les deux pôles de la démarcation kantienne du quid facti et du quid juris se superposent littéralement. Une question de fait (celle de savoir si, dans la découverte de nouvelles connaissances, on utilise ou non des procédés inductivistes qui appartiennent à la psychologie de la découverte) est substantiellement transformée en une question de valeur, Fiorenza Toccafondi 158 annulant ainsi l’indépendance de la théorie de la connaissance face à la psychologie de la connaissance; ainsi, c’est le projet même d’une reconstruction rationnelle de la science qui vacille, celui d’une reconstruction indépendante du contexte de la découverte, de la manière dont on y parvient, de la manière dont on produit une nouvelle théorie, et de la question de savoir quels processus de pensée interviennent dans celle-ci 27 . Sans que Carnap en soit conscient, le préjugé inductiviste qui se trouve à la base de son système possède aussi un néfaste élément aggravant: il introduit l’épineux problème de l’induction, l’idée implicite - logiquement inadmissible - d’une vérification inductive des théories, des assertions générales sur la réalité, à travers leur simple réduction à des propositions empiriques particulières; et tout cela sans que Carnap ne mentionne jamais le problème de l’induction, avec cependant l’objectif de procéder à la constitution d’une épistémologie empiriste, bien sûr, mais également légitimée par un choix logique des concepts, des thèses, et des assertions utilisées. Pour rétablir un point de vue neutre et indépendant par rapport à la psychologie, pour combattre le préjugé inductiviste dont est entaché le système de Carnap, c’est justement à la psychologie qu’il faut avoir recours; en effet, pour montrer que l’inductivisme psychologique n’est pas conceptuellement nécessaire, il faut montrer que le déductivisme psychologique est pensable et que, par conséquent, les thèses de l’inductivisme peuvent être niées sans que l’on obtienne comme résultat des propositions contradictoires, logiquement impossibles. Ensuite, ce sont les faits qui décident, affirme Popper, qui cependant ne manque pas de souligner que, selon lui, les faits «militent parfaitement bien» en faveur du déductivisme 28 . Contrairement à ce qui transparaît dans le texte de Carnap, pour chaque solution proposée par l’inductivisme, des solutions de type déductiviste sont possibles et tout aussi légitimes. La reconnaissance de ce qui est commun à des situations différentes, comme nous l’avons déjà vu, est expliquée par l’inductivisme comme un cas classique d’apprentissage par la répétition: les réceptions de ce qui est semblable sont reliées par association, à travers le «souvenir de similarité». À l’inverse, le déductivisme renverse les termes de la question en affirmant la suprématie génétique des expectatives, du bagage de réactions inné, de ce qui est «préformé subjectivement». Dans ce cadre, la stimulation se présente comme «la condition matérielle de la réaction», dans le sens qu’elle détermine sa réalisation mais pas les «conditions formelles de son cours»: «Selon la conception déductiviste, nous ne parvenons pas à notre savoir empirique par abstraction ou par généralisation des perceptions sensibles; nous y parvenons en mettant à l’épreuve des anticipations qui sont provisoirement coordonnées au «matériel» des réceptions. C’est la valeur biologique qui décide si ces anticipations seront ou non abandonnées par la suite». Sur la raison pour laquelle nous sommes portés à croire en des régularités ou en des lois de la nature, le contraste est analogue. Dans l’optique inductiviste, cette forme de croyance est déterminée par la répétition régulière de certains phénomènes: la répétition est donc en mesure de faire naître de nouvelles connaissances, en l’occurrence, la croyance que, dans la nature, il existe des régularités. Pour le déductivisme, à l’inverse, «la répétition ne génère rien». La recherche de régularité et l’attribution de régularité à des phénomènes appartiennent au bagage inné des expectatives; elles sont des réactions, des anticipations préformées subjectivement, avec l’aide desquelles nous «faisons« nos expériences »(mais dont nous ne sommes pas faits)»; elles ne sont pas obtenues à partir des réceptions, mais les précèdent. La répétition, et avec elle l’habitude qui en découle, sont en mesure d’accélérer, de perfectionner la mise à exécution de nos réactions, mais pas de les produire 29 . De façon générale, le modèle de psychologie déductiviste que Popper a en tête, que nous pourrions appeler l’idéal type, est proposé par la perspective de Kant, et cela bien que le bilan général des solutions kantiennes soit, selon Popper, «insatisfaisant» pour une série de motifs De Karl Bühler à Karl R. Popper 159 bien connus: pour la façon dont il résout le problème de l’induction dans «l’Analytique Transcendantale», pour avoir considéré l’a priori comme étant nécessairement valide et vrai, indépendamment de l’expérience, et, enfin, pour «l’ambiguïté de l’expression a priori, du point de vue épistémologico-psychologique», pour cette confusion entre genèse et validité à laquelle Kant s’expose malgré lui dans Kritik der reinen Vernunft. Et cependant, malgré ces points de désaccord, Popper s’oppose «à ce qu’on dévalorise Kant, qui, aujourd’hui, recueille l’unanimité», et s’applique à défendre la pensée de Kant, non seulement concernant sa méthode (c’est-à-dire concernant la distinction entre quid facti et quid juri, et celle entre connaissance scientifique et connaissance non scientifique), mais concernant également «d’importantes parties des solutions qu’il propose» 30 . On a déjà souligné que la philosophie de Kant doit être considérée comme un facteur déterminant dans la définition du profil général de la formulation de Popper, en premier lieu concernant ce que l’on appelle l’hypothético-déductivisme et la critique de l’idée selon laquelle l’observation devrait être considérée comme le fondement solide et indubitable, la suprême autorité, pour justifier les théories scientifiques. Dans l’optique de Popper, la grande leçon donnée par Kant à l’empirisme consiste précisément dans l’affirmation que la donnée, l’expérience, l’observation, sont toujours imprégnées d’expectatives et de théorie, qu’il n’existe ni pure observation, ni expérience passive, ni comportements dérivant d’associations faites passivement à partir des impressions 31 . Mais on sait tout aussi bien, comme cela apparaît dans tous les textes autobiographiques de Popper, que l’élan qui le poussa vers une telle formulation hypothético-déductiviste se développa sur un terrain différent du terrain épistémologique; en effet, il jaillit directement de l’intérêt de Popper pour la psychologie de la découverte et pour les processus d’apprentissage. Et, en fait, dans Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Popper veut réévaluer, dans la perspective kantienne, «le point de vue déductiviste» opposé à celui, «inductiviste», du point de vue épistémologique et soutenu en particulier par Russell, Schlick, Wittgenstein et Carnap; mais il veut surtout réévaluer cette psychologie de la connaissance - «pour laquelle on n’a pas eu grande estime jusqu’à ce jour» - qui découle d’une lecture de type génético-psychologique de la perspective kantienne. Selon Popper, si l’on entend par a priori, non pas ce qui est «valide, indépendamment de toute expérience», mais ce «qui n’est pas généré sur la base de l’expérience», et si l’on comprend, de la même façon, la notion kantienne d’intellect comme «faculté des règles» 32 , alors la loi de l’énergie spécifique des nerfs de Johannes Müller (comme von Helmhotz l’avait déjà souligné), la perspective de l’école de Würzburg d’Oswald Külpe (et en premier lieu celle réalisée par Karl Bühler et Otto Selz), et celle des «psychologues proches à la biologie», peuvent être considérées comme d’importantes «confirmations expérimentales». Parmi ces psychologues se distingue le nom d’Ernst Mach 33 . Sur la présence du nom de Mach, une clarification s’impose. En effet, le fait qu’il soit présent dans cette brève liste peut surprendre, surtout si l’on se réfère au Mach que l’on trouve dans les pages des néopositivistes, c’est-à-dire à l’image du Mach sensualiste et empiriste, partisan d’une sémantique phénoménaliste des théories scientifiques, centrée sur les sensations, sur les données du sens 34 . Popper est parfaitement au fait de cette image, étant donné qu’il reproche fermement à Mach sa vision de la conscience comme «pur et simple faisceau de sensations» 35 . Mais cela n’empêche pas que Popper subisse profondément le charme de l’idée, développée par Mach, du caractère évolutionniste, biologique, de la connaissance; cela ne l’empêche pas non plus d’opposer explicitement au Mach sensualiste et inductiviste un Mach déductiviste 36 , en mettant en lumière les aspects de sa pensée que l’histoire de la critique n’a soulignés que récemment avec l’emphase qui s’imposait 37 . En Fiorenza Toccafondi 160 substance, il s’agit du Mach (parallèle au Mach sensualiste), qui accorde une position prééminente au système réactif, à l’ensemble des réactions propres à l’organisme (qu’il soit biologique ou psychique), dans les processus de la connaissance et de la pensée. De telles réactions (puisqu’elles sont innées) sont provoquées par des stimulations et des situations, mais leurs caractéristiques et leur progression dépendent du sujet, elles ne découlent pas de l’expérience. Parmi les différentes réactions dont dispose l’organisme, celle qui s’avère gagnante du point de vue biologique est coordonnée de façon stable à la stimulation, à la situation ambiante. Cette théorie occupe une position importante, surtout dans Die Prinzipien der Wärmelehre. Historisch-kritisch entwickelt, où c’est justement au sein de cette dynamique que Mach détermine les «fondements psychologiques du concept»: concepts et hypothèses scientifiques sont donc une évolution, une transformation du savoir instinctif, dans l’effort constant que nous faisons pour résoudre les problèmes que l’environnement nous pose 38 . Selon Popper, nous nous trouvons clairement en face d’un modèle psychologique déductiviste et «déjà au premier coup d’oeil, on s’aperçoit qu’il contredit le sensualisme» 39 : l’affinité qui existe entre les idées de Mach et la perspective hypothético-déductiviste de Popper est en fait considérable. À présent que l’on a fermé la parenthèse concernant Mach, il faut revenir aux considérations que j’ai esquissées dans les premières pages de mon exposé et se poser la question suivante: Dans un des rares contextes où transparaît clairement l’importance de la formation psychologique de Popper, et où la critique du «préjugé inductiviste» de Carnap se développe précisément à travers le recours à la psychologie, pourquoi, parmi les psychologies partisanes de la perspective déductiviste, dont la formulation kantienne représente l’idéal type, la Gestaltpsychologie (c’est-à-dire l’école berlinoise de Wertheimer) n’est pas citée au côté de noms tel que J. Müller, Külpe, Selz, Bühler et Mach? À mon avis, cette absence significative s’explique simplement par le fait que, chez Popper, la corrélation Gestaltpsychologie-kantisme est totalement absente et que ce fut plutôt la pensée de Bühler, antagoniste déclaré de Wertheimer, W. Köhler, et K. Koffka, qui contribua énormément à lui faire utiliser la perspective kantienne dans la direction indiquée. Comme nous l’avons vu, Bartley soutenait, il y a plus de vingt ans, que la pensée de Popper devait «être comprise comme la pensée d’un psychologue gestaltiste, en premier lieu, maître d’école et néo-kantien». L’ambiguïté et la simplification corrélationnelles de la définition de Popper comme «un psychologue gestaltiste» continuent lorsqu’on lit que Popper fut« façonné de façon décisive »par la pensée« de Bühler, de Külpe, et des autres psychologues gestaltistes» 40 . Bartley parle, uniquement de façon secondaire (et sans expliquer les raisons de la divergence), de discordances et de désaccords entre la perspective de Bühler, et la Gestaltpsychologie de Wertheimer, mais cela ne suffit pas à clarifier la question de manière satisfaisante. Les versions encore plus simplistes de ce qu’a affirmé Bartley sont encore plus fausses; dans ces versions, Bühler devient «un psychologue de la Gestalt» 41 tout court, ou encore, on peut lire que «sur le chemin qui porte au gestaltisme Popper« parvint à une position kantienne»» 42 . Le défaut (et la confusion) de ces interprétations vient du fait que l’on parle de psychologues de la Gestalt et de psychologues gestaltistes comme de quelque chose d’indifférencié. Mais le fait de définir Bühler comme étant un psychologue de la Gestalt est, dans le même temps, en partie juste et en partie profondément incorrect. C’est juste, car Bühler fut l’un des pionniers dans l’étude expérimentale des Gestalten 43 . Et c’est incorrect, car «psychologue de la Gestalt» signifie trop de choses, trop d’écoles de pensée profondément distantes entre elles, à tel point que Bühler fut en conflit constant avec la De Karl Bühler à Karl R. Popper 161 perspective de l’école de Wertheimer, c’est-à-dire la perspective que l’on désigne conventionnellement par l’expression Gestaltpsychologie. D’autre part, c’est la substance même de ce conflit qui montre que, alors que le binôme Bühler-kantisme est entièrement défendable, le binôme kantisme-Gestaltpsychologie l’est beaucoup moins. À ce sujet, comme on parle de philosophie autrichienne, on pourrait aussi bien parler d’une Gestalttheorie autrichienne, qui comprendrait l’«école viennoise» de Bühler 44 , et l’école de Graz de Alexius Meinong. La chose peut sembler paradoxale si l’on considère l’attitude fermée et méfiante réservée à la philosophie kantienne par la tradition autrichienne, mais ces deux écoles se rapprochèrent par les distances prises par rapport à la plus éminente version allemande de la Gestalt (la Gestaltpsychologie de Berlin ou l’école de Wertheimer), et ce, pour se rapprocher de ce que devrait généralement vouloir dire être en harmonie avec la perspective kantienne: la mise en évidence du caractère actif et productif de l’esprit. Il serait long d’énumérer en détail tous les points de désaccord entre Bühler et les représentants de la Gestaltpsychologie de Berlin (qu’il appelle «monistes structurels») 45 . Mais s’arrêter, même brièvement, sur les caractères essentiels d’une telle discontinuité permettra de faire apparaître ce qui se cachait derrière la perspective de Bühler (et donc, à travers lui, derrière celle de Popper), c’est-à-dire les stimulations, les suggestions, et les solutions de l’école de Würzburg d’Oswald Külpe, dont Bühler fut (avant d’aller à Bonn, et donc à Vienne) un éminent représentant. 4 Dans l’interprétation de Bühler, par rapport à laquelle Popper se montra un fidèle disciple, la Gestaltpsychologie était partisane d’un «nouveau physicalisme» car, à l’aide une conception purement «structurelle» de la stimulation et de la dynamique perceptive, et avec «l’aide d’un concept de structure défini de manière physicaliste», elle finissait par annuler le rôle du sujet et l’activité interprétative de ce dernier dans le processus perceptif. Ainsi dans l’optique de Bühler, toute la théorie du gestaltisme de Berlin gravite autour des conditions structurelles de la stimulation, des lois de l’organisation du champ perceptif (lois bien connues de ségrégation, de voisinage, de la bonne forme, etc., énoncées pour la première fois par Wertheimer dans Untersuchung zur Lehre der Gestalt (1922)). De cette façon, la stimulation est comprise comme un ensemble de conditions qui, par le biais de sa propre configuration, conditionne la structure des processus physiologiques et, à travers ces derniers (selon le principe gestaltiste de l’isomorphisme), la forme phénoménale 46 . À l’isomorphisme psychophysique, Bühler oppose une hypothèse physiologique centrée entièrement sur l’activité nerveuse centrale, et donc, par le biais de cette dernière, sur le «moment central du contrôle», sur le rôle actif exercé par le sujet 47 . Par le biais d’une forte accentuation des aspects sémiotico-pragmatiques de la prestation perceptive (les données sensorielles sont des «indices» des propriétés des choses) 48 , Bühler propose ainsi une théorie de la perception entièrement centrée autour de l’activité interprétative du sujet qui perçoit et en contraste total avec une théorie (celle de l’école de Wertheimer) qu’il considère comme le «physicalisme de la marque la plus récente en psychologie», et dans laquelle il discerne «des affinités […] avec le vieux spinozisme» et «la tendance à un réalisme aristotélicien et préaristotélicien totalement ingénu» 49 . En synthétisant au maximum, on peut affirmer que la lecture de Bühler se présente, en tout point, en net contraste avec l’idée que la Gestaltpsychologie a cherché «à démontrer que la théorisation, l’organisation [théorique], était une fonction Fiorenza Toccafondi 162 fondamentale de l’esprit humain […]» et donnait «la priorité à l’activité d’organisation de l’esprit […]» 50 . En fidèle disciple de Bühler, Popper adhéra totalement à cette interprétation de la Gestaltpsychologie, soutenant les raisons du maître et celles de son opposition à la formulation de l’école de Wertheimer dans certains ouvrages et critiques de textes à caractère psychologique et pédagogique, mais également dans sa recherche sur l’habilitation à enseigner (Gewohnheit und Gesetzerlebnis, 1927), et dans Zur Methodenfrage der Denkpsychologie, son mémoire de maîtrise soutenu en 1928. Dans cette recherche (dont Bühler fut le rapporteur, et Schlick, le corapporteur), Popper discerne une étroite similitude entre la perspective réductionniste soutenue par Schlick dans Allgemeine Erkenntnislehre et celle déterminée par la Gestaltpsychologie, qu’il considère fondamentalement comme une exemplification de la première en milieu psychologique. Pendant ses années de pleine maturité, l’affinité qui existait avec la perspective de Bühler demeura évidente, à travers l’aversion que Popper montrait à l’égard de la solution isomorphiste proposée par Köhler en 1920 51 , de même qu’à travers sa proposition de la théorie (socratique et platonique) de l’esprit comme «mécanisme de contrôle», «comme capitaine d’un bateau» 52 . Mais pour en revenir à Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, d’où nous sommes parti, il faut souligner que c’est surtout sur l’interprétation de la notion kantienne d’«a priori» comme «anticipatif» de régularité que l’influence de Bühler se fait sentir. En effet, l’importance de l’interprétation bühlerienne du schématisme kantien, contenue dans Tatsachen und Probleme zur einer Psychologie der Denkvorgänge (1907), est évidente; cette oeuvre, rédigée pendant sa jeunesse et grâce à laquelle il obtint, à Würzburg, sa Privatdozentur, représente l’une des meilleures oeuvres qui ait été produites de toute la Denkpsychologie. Arrêtons-nous un instant sur la question du kantisme. Il est bien connu que la philosophie et la tradition kantienne furent accueillies en Autriche avec une méfiance et une hostilité évidentes (comme ce fut le cas, par exemple, pour Bolzano et la phénoménologie de Brentano), ou un désintérêt considérable. L’un des mérites historiques de Bühler, Viennois par adoption, lorsqu’il présenta les idées les plus fécondes de l’époque de Würzburg, a été d’avoir introduit, dans le contexte autrichien, une relecture de la perspective kantienne qui se révélait décidément plus proche de la sensibilité autrichienne car substantiellement réinterprétée à la lumière de la leçon de Brentano. C’est en effet par le biais de l’école de Würzburg que l’approche descriptive de l’étude des processus psychiques de la psychologie empirique de Brentano commence à être considérée comme faisant partie de la psychologie expérimentale au sens propre. La suggestion faite par Brentano concernait aussi bien la méthode que le sujet. En ce qui concerne la méthode, la perception intérieure, destinée à la description des actes psychiques et véritable pivot de la psychologie phénoménologique ou «psychognose» exposée par Brentano, est transformée en instrument scientifique et expérimental sous la forme de la révolutionnaire «introspection contrôlée» (une opération critiquée durement, cette fois, par Wundt et son école). En ce qui concerne les solutions théoriques, en particulier dans les oeuvres et les réflexions de Bühler et d’Otto Selz (victime de la barbarie nazie à Auschwitz), cette version expérimentale de la perception intérieure fournissait un modèle général totalement similaire à celui de Brentano, c’est-à-dire centré autour de l’intentionnalité de la conscience, autour du fait que cette dernière ne se place pas passivement face au monde, mais s’adresse à lui de manière active, à travers ses propres actes et ses opérations. Chez Bühler, une partie importante de ce modèle actif de l’esprit est spécifiée précisément par le recours à la théorie kantienne du schématisme et au principe kantien selon lequel l’intellect doit être défini De Karl Bühler à Karl R. Popper 163 comme «la faculté des règles». La partie la plus réussie et la plus intéressante des Tatsachen est en effet celle qui théorise la centralité de la «conscience d’une règle» (Regelbewußtsein) pour la solution des problèmes, mais aussi celle de la notion de schème en tant que règle utile à la structuration du contexte sensoriel et cognitif 53 . Dans le cas des problèmes cognitifs, qui sont au centre des Tatsachen, le schème s’objective à travers la conscience d’une méthode, qui sert à résoudre un ensemble précis de tâches: les éléments d’un champ sont donc organisés de manière corollaire à un tel schème. Concernant les concepts perceptifs, Bühler aura recours, dans son oeuvre suivante, à la notion de schème pour expliquer les phénomènes de la constance perceptive lors du changement des conditions externes et internes. Dans ces cas précis, c’est le schème qui nous permet de percevoir les éléments invariants des contenus sensoriels, d’en négliger les aspects secondaires, ce qui est contingent et imputable à la variation des conditions de l’environnement; et c’est lui qui nous permet, au contraire, de mettre en valeur ce qui est discriminant, afin de reconnaître dans la donnée sensorielle un objet défini, une couleur définie, une forme définie 54 . Comme le rappelle lui-même Popper, après Bühler, ce fut Otto Selz qui souligna que l’utilisation de schèmes se révélait fondamentale pour les opérations mentales mises à exécution par le sujet. Le schème permet d’interpréter une situation sensorielle ou cognitive problématique en l’intégrant, en la complétant, sur la base d’une idée structurelle dont elle est justement une cohérence interne définie. Cette opération, que Selz appelle intégration d’ensembles (Complexergänzung), est, selon lui, à la base des processus de la connaissance et de la reconnaissance. La fonction d’un autre type de schème, le schème à caractère anticipant (das antizipierende Schema), par lequel la conscience est comme guidée par un «savoir» anticipé, n’est pas différente. Grâce aux schèmes, se forment ainsi des «aptitudes de conscience» (Bewusstseinsanlagen), dans lesquelles est comprise la connaissance avec laquelle nous interprétons et faisons face aux situations 55 . Dans le cas de Selz également, l’étroite affinité avec l’hypothético-déductivisme de Popper est éclatante. À ce stade, le moment est venu de faire le bilan. Dans Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Popper rappelle, non sans sarcasme, l’hommage que Neurath rendit à Brentano pendant le premier congrès pour la science unifiée qui s’est tenu à Prague en 1929, pour «nous avoir épargné l’intermède kantien» 56 . Dans Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, presque simultanément à la référence à Neurath qu’il vient de faire, Popper donne la preuve du rôle important qu’a joué Kant dans sa formation en lui offrant le terrain et les instruments à partir desquels critiquer le néopositivisme, et se sent dans l’obligation de «souligner de façon indélébile sa reconnaissance envers Kant» 57 . Bühler propose, en Autriche, une relecture de la perspective de Kant à la lumière de la leçon donnée par Brentano, la rendant ainsi plus agréable aux yeux d’une tradition (l’autrichienne), qui s’était toujours montrée profondément hostile envers Kant. Entre ces trois choses, je pense qu’il existe un lien qui a échappé à l’attention de la littérature critique 58 . À la lumière de ce qui a été dit, je crois pouvoir affirmer ce qui suit: (1) il existe une grave lacune dans la reconstruction de la formation intellectuelle de Popper; (2) cette lacune concerne une articulation fondamentale pour la compréhension des racines de sa perspective théorique; (3) cette lacune ne peut être comblée par la formule conventionnelle qui dit que Popper parvient à Kant par le chemin du gestaltisme; (4) cette dernière formule s’avère aussi générale que fausse, et dangereusement réductrice. C’est pourquoi, pour mieux comprendre les composantes et les stimulations qui ont joué dans la formation de Popper, on souhaite qu’une plus grande attention soit portée à la période de cette formation qui coïncide avec la seconde moitié des années 20 («années extrêmement Fiorenza Toccafondi 164 importantes», nous dit Popper dans son Autobiographie). Un approfondissement de cette période balaierait certains malentendus sur la nature et les caractéristiques de la formation psychologique de Popper. Dans cette optique, le premier pas ne peut être que la publication de son mémoire de maîtrise et (comme cela a été le cas pour ceux qui furent publiés dans Erkenntnis) des articles et des textes critiques publiés entre 1925 et 1932 dans Die Quelle et dans Schulreform, les deux principales revues du mouvement de réforme scolaire d’Otto Glöckel. Ces deux revues, nous dit Bartley, furent mises sous clé pendant la période de la censure nazie, mais, ajoute-t-il, elles sont aujourd’hui encore inaccessibles au grand public 59 . 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Lord Morgan et, enfin (mais de façon plus secondaire), de sa fréquentation du Psychologische Institut dirigé par Karl Bühler; c’est à ces auteurs et à ces expériences en particulier que Popper attribue une grande importance dans le processus de sa formation intellectuelle (cf. Popper, 1974, p. 20, 35-36, 39, 42, 55, 62). 2 Wettersten, 1988, p. 327-329. Fiorenza Toccafondi 166 3 Oldroyd, 1986, p. 389. 4 Bartley, 1974, p. 13, 50-51. 5 Pera, 1981, p. 239. 6 En qualité d’étudiant, Popper commença à fréquenter Bühler vers le milieu des années vingt. Cette période marquera l’aboutissement de son mémoire (Zur Methodenfrage der Denkpsychologie), dont la soutenance eut lieu en 1928; Bühler en fut le rapporteur, et Moritz Schlick, le corapporteur. 7 Weimer, 1979, p. 286. Cf. egalement Donadon, 1987. 8 Popper, 1974a, p. 54. 9 Popper, 1974b, p. 975-976. 10 Popper, 1974a, p. 86. 11 Kanizsa, 1984, p. XI. 12 Outre Bühler, cf. par exemple Goldstein, 1934, p. 328; Musatti, 1934, p. 8; Bruner et Postman, 1948, p. 17-118; Piaget, 1968, p. 84 et suivantes, et p. 99. 13 Popper, 1979, p. 13. 14 Ibid., p. 30. 15 Ibid., p. 21. 16 Popper, 1974c, p. 433. 17 Carnap, 1928, p. 181. 18 Ibid., p. 156, 163-164, 183-184, 199. 19 Ibid., p. 182. 20 Ibid., p. 93-100, 181, 182. 21 Ibid., p. 182, 198 et 198-199. 22 Ibid., p. 158-159, 199. 23 Ibid., p. 186, 189, 192-195. 24 Ibid., p. 201-204, 213. 25 Popper, 1979, p. 20. 26 Ibid., p. 30. 27 Ibid., p. 20-23. 28 Ibid., p. 21, 23. 29 Ibid., p. 26-27 et 28-29. 30 Ibid., p. 19-20, 30-32. En ce qui concerne l’utilisation de l’expérience a priori par Kant, voir ibid., § 11. 31 Popper, 1974a, 46-51, 61. On peut aussi lire, dans Die beiden Grundprobleme, «[…] la raison non dernière pour laquelle le positivisme échoue, c’est parce qu’il ne prête pas attention au concept kantien de connaissance» (Popper, 1979, p. 79). Cf., sur cet argument, ibid., p. 76-78 et § 44. 32 Ibid., p. 20. 33 Ibid., p. 25, 30-31. 34 Pour avoir une idée de l’importance de cette interprétation de Mach dans les années décisives de la formation du Cercle de Vienne, voir, par exemple, Frank, 1961, p. 21 et suivantes. 35 Popper, 1979, p. 65. 36 Ibid., p. 503 note 6. 37 Cf. par exemple Wolters, 1992, et Luccio, 1983. 38 Mach, 1896, p. 415, 422. Il soutient une position similaire dans 1900, chap. XIV. 39 Popper, 1979, p. 25. 40 Bartley, 1974, 13, 50-51; les mots ne sont pas en italique dans le texte original. 41 Corvi, 1993, p. 30. 42 Pera, 1981, p. 239. Il faut préciser que Popper lui-même est en partie responsable du malentendu, étant donné que, dans son Autobiographie, il définit Bühler comme «l’un des premiers psychologues de la Gestalt» (Popper, 1974a, p. 30). 43 Cf. Bühler, 1913. 44 Par «école viennoise de Bühler», on désigne les auteurs (dont les premiers sont E. Brunswik, L. Kardos, P.Lazarsfeld, et F. Kainz) qui gravitent autour du Psychologische Institut, dirigé par Bühler de 1922 à 1938. L’activité théorique et expérimentale de ces auteurs a été considérable; pour s’en faire une idée, on peut consulter la Zeitschrift für Psychologie de la fin des années 20, et l’Archiv für die gesamte Psychologie du début des années 30. La mention «école viennoise de Bühler» a été utilisée sans grand succès dans la littérature spécialisée et est tombée en désuétude de façon prématurée, même si Musatti (c’est un cas plutôt isolé) l’utilise De Karl Bühler à Karl R. Popper 167 encore dans un article des années 50 (Musatti, 1953, p. 541). Dans la littérature contemporaine, Mitchell Ash et Barry Smith l’ont, à juste titre, remise en circulation (cf. Ash, 1987 et 1988, et Smith, 1988, p. 229). 45 Bühler, 1927, p. 159, 132. 46 Ibid., p. 87, 123-132. Cf. aussi Bühler, 1926. 47 Bühler, 1927, p. 128 et suivantes, p. 132. 48 Ibid., p. 109, 87-91. 49 Ibid., p. 129. Concernant la théorie physiologique de Bühler, voir Bühler, 1913, p. 291-297, Bühler, 1927, p. 124 et suivantes, Bühler, 1960, p. 53-59, 92 et suivantes, 120. 50 Bartley, 1974, p. 27-28. 51 Cf. Popper, 1977, p. 37-38. 52 Ibid., p. 143, 132, 203. 53 Bühler, 1907, p. 339 et suivantes. 54 Bühler, 1927, p. 52-53, 95, et 1934, p. 305-308. 55 Selz, 1913, p. 314 et suivantes. Cf. également Selz, 1922. 56 Popper, 1979, p. 335, et Neurath, 1930, p. 120. «L’Autriche se soustrait à l’intermède kantien» deviendra également le titre du second chapitre de Neurath, 1935. 57 Popper, 1979, p. 336. 58 L’influence exercée par Bühler pendant les seize années qu’il passa à Vienne fut décisive pour Popper, mais également pour d’autres auteurs. Parmi ceux-ci, on trouve bien sûr Wittgenstein, Egon Brunswik (représentant, après son émigration aux États-Unis, du mouvement pour la Unity of Science) et Konrad Lorenz. La philosophie du langage de Bühler et ses conséquences d’un point de vue perceptif furent marquants pour Wittgenstein (cf. Mulligan 1990 et 1997). En ce qui a trait à Brunswik, l’influence de Bühler concerna en particulier la notion d’intentionnalité (cf. Toccafondi, 1995, p. 243 et suivantes.). Enfin, eu égard à l’éthologie de Lorenz, il serait sûrement nécessaire d’approfondir l’influence des concepts de «déchaînement» (Auslösung) et de «relevance abstractive» développés par Bühler dans le cadre de sa théorie du langage (ibid., p. 250). 59 Bartley, 1974, p. 22. UTB Literaturwissenschaft A. Francke Preisänderungen vorbehalten Hans-Werner Ludwig Arbeitsbuch Lyrikanalyse UTB 2727, 5., erw. und aktual. Auflage, 2005, 280 Seiten, € 16,90/ SFr 30,10 UTB-ISBN 3-8252-2727-8 Das Arbeitsbuch Lyrikanalyse ist konzipiert als Lehr- und Nachschlagebuch, das zur literaturwissenschaftlichen und linguistischen Forschungsliteratur im Bereich der Lyrik hinführt. Es stellt wichtige Forschungsansätze dar, liefert sodann auf dieser Basis Grundlageninformationen zur »Textsorte« Lyrik in den Bereichen Metrik (Versanalyse), Gedichtund Strophenformen (u.a. Ballade, Elegie, Ode, Sonett), Klangbeziehungen (u.a. Endreim, Alliteration), Rhetorik (u.a. Wiederholungsfiguren), poetische Syntax und Bildlichkeit, die an einer Fülle von Beispielen aus der englischen, deutschen und französischen Literatur exemplifiziert und illustriert werden. Eine nach Sachgebieten geordnete aktuelle Bibliographie und ein Schlagwortregister erlauben einen schnellen Zugriff auf die gesuchte Information. Das Arbeitsbuch Lyrikanalyse ist aus dem Hochschulunterricht heraus entstanden und in unzähligen literaturwissenschaftlichen Pro- und Hauptseminaren mit Studierenden erprobt worden. Es eignet sich als Begleitbuch zu Seminaren ebenso wie als Lern- und Nachschlagebuch zur Examensvorbereitung von Studierenden. Darüber hinaus kann es außerdem im Literaturunterricht der gymnasialen Oberstufe eingesetzt werden und an Lyrik interessierten Lesern und Leserinnen Grundlageninformationen und Anregungen für die eigene Lektüre geben. * Vortrag beim 2. Internationalen Bühler-Symposium in Wien am 27. Mai 1989 (Stadtsenatssaal der Wr. Stadtregierung). Karl Bühler über Aphasieforschung * Achim Eschbach und Gabi Willenberg 0. “Die wenigsten Tierpsychologen von heute haben eine hinreichende Sachkenntnis von dem erstaunlich komplexen Instrument der menschlichen Sprache. Der beste Lehrgang, den man ihnen empfehlen könnte, wäre nicht im Laboratorium der Normalpsychologie, sondern bei den Neurologen und Psychiatern, wäre bei den intimen Kennern der zentralen Sprachdefekte und Sprachstörungen des Menschen zu absolvieren. Ich selbst ging als Mediziner, der ich war, von diesem Gebiete aus; das war noch vor der entscheidenden Wendung, welche die Aphasielehre dem Eingreifen von Forschern wie Head, Gelb und Goldstein, Isserlin, Poetzl u.a. verdankt. Heute ist es eine meiner Hoffnungen, daß es gelingen wird, die Quintessenz der linguistischen Sprachanalyse in wechselseitig fruchtbaren Kontakt zu bringen mit den Ergebnissen aus der Betrachtung jener andersartigen Analyse, jener unbarmherzigen Realauflösung des menschlichen Sprachvermögens, das die Pathologen studieren. Es war einstweilen das Gebot einer methodischen Reinheit des Vorgehens und sonst nichts, was mich veranlaßte, von einer Bezugnahme auf die moderne Aphasielehre in diesem Buche abzusehen. Ähnliche Gründe sprachen gegen den Versuch einer systematischen Ausbeute der Einsichten in den Sprachaufbau, die wir der Kinderforschung verdanken.” (ST: XXVI) Dies lesen wir in der Einleitung zur Sprachtheorie, dem Hauptwerk Karl Bühlers über die Sprache. Wenngleich Karl Bühler die Sprachpathologie auch in keiner anderen Arbeit eigens zum Thema erhoben hat, so finden wir im Bühlerschen Werk doch eine Reihe weiterer Bemerkungen zur Aphasieforschung und allgemeiner zur sprachpathologischen Forschung. Diese Bemerkungen und einige biographische Anhaltspunkte wollen wir heranziehen, um einen bislang nahezu unbeachteten Aspekt von Bühlers Forschertätigkeit aufzuzeigen. Karl Bühler selbst hat - soweit uns dies heute bekannt ist - nur spärliche biographische Aufzeichnungen hinterlassen; wir sind deshalb ebenso wie seine früheren Biographen zunächst einmal auf die Darstellungen seiner Frau Charlotte angewiesen. Danach hat es allen Anschein, als sei das Interesse Karl Bühlers an eher medizinischen Fragen sehr bald nach Abschluß seines Medizin-Studiums von anderen Fragestellungen verdrängt worden. Dies steht nicht nur in Widerspruch zu der Bemerkung Lebzelterns: “Für Karl Bühler ergab sich, schon infolge seiner medizinischen Vorbildung beinahe von selbst ein enges Verhältnis zum K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Achim Eschbach und Gabi Willenberg 170 Psychiatrischen Institut der [Wiener] Universität. Wagner-Jauregg, ganz besonders aber Otto Pötzl und später auch Hans Hoff schätzten Bühler sehr. Sie hatten manche Schüler gemeinsam und hielten vielfach ihre Seminare gemeinsam ab.” Es wird auch durch eine Reihe von Fakten widerlegt, ja man könnte sogar die These vertreten, daß sich das medizinische Interesse wie ein Ariadne-Faden, ein Ausdruck Bühlers, durch sein Forscherleben zieht. Dies mag zunächst befremden, wenn wir uns daran erinnern, daß einer der wesentlichen Kritikpunkte Bühlers an Freud lautet, daß die Psychologie nicht vom kranken, sondern vom gesunden Menschen auszugehen habe - dazu später mehr. I. “Karl Bühlers medizinische Vorbildung.” Ein erster Abschnitt sei dem vornehmlich Biographischen gewidmet: Seine wissenschaftliche Ausbildung begann Karl Bühler im Medizinischen Institut in Freiburg, wo er im Sommer 1903 das medizinische Staatsexamen ablegte und die Approbation erhielt. Detaillierte Informationen über die Studieninhalte entnehmen wir dem Studien- und Sittenzeugnis für Karl Bühler, das im Freiburger Universitätsarchiv erhalten ist: danach hat Bühler seit Beginn seines Studiums die Veranstaltungen des berühmten Physiologen Johannes von Kries besucht, in dessen Institut er am Ende seiner Studienzeit auch die Untersuchungen für seine Staatsarbeit durchgeführt hat. Über letztere berichtet er unter dem Titel “Über den Einfluß tiefer Temperaturen auf die Leitfähigkeit der motorischen Froschnerven” im Archiv für Anatomie und Physiologie, Physiologische Abteilung: Archiv für Physiologie, Jg. 1905, 239-252. Wenig später, im August 1903, dissertierte er, ebenfalls bei von Kries, mit den “Beiträgen zur Umstimmung des Sehorgans”, einer Untersuchung über das Zustandekommen von optischen Empfindungen - beim gesunden Menschen. Nicht durch Briefe, Dokumente oder Berichte Dritter bestätigt, aber durchaus anzunehmen, sind Kontakte Bühlers zu zwei weiteren bedeutenden Physiologen, zu Maximilian von Frey während der Würzburger Zeit (1906-1909) und zu Max Verworn während der darauffolgenden Jahre in Bonn (1909-1913). Von Frey war ein enger Freund des Hauses Külpe, und wir dürfen vermuten, daß Bühler über seinen Lehrer in Kontakt zu diesem Würzburger Gelehrten gekommen ist; der Bonner Physiologe Verworn war Mitherausgeber des “Handwörterbuchs der Naturwissenschaften”, für welches Bühler - vermutlich auf Vermittlung Külpes hin - mehrere Artikel geschrieben hat. Daß Karl Bühler nach Abschluß seines Medizinstudiums kurze Zeit als Arzt praktiziert hat, entnehmen wir einem Lebenslauf, den er anläßlich seiner bevorstehenden Habilitation in Würzburg am 2. März 1907 verfaßt hat. Wir konnten jedoch bisher nicht in Erfahrung bringen, an welchem Ort, für wie lange und - vor allem - in welchem medizinischen Teilgebiet er die ärztliche Praxis ausgeübt hat. Einen Beleg dafür, daß Bühler als Arzt praktiziert hat, haben wir erst aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Seit September 1914 war er als Unterarzt an der Westfront eingesetzt, schon einen Monat später avancierte er zum Oberarzt auf Kriegszeit. Über seine ärztliche Tätigkeit in den ersten beiden Jahren des Ersten Weltkriegs berichtet er selbst und relativ ausführlich. Der knappen Vortragszeit wegen wollen wir jedoch gleich zu den Jahren 1916-18 springen, die im vorliegenden Zusammenhang wichtiger sind: “März 1916 wurde ich von der Universität München angefordert, weil in meinem Fach niemand mehr war, der für die Frauen und kriegsuntüchtig gewordenen Männer unter den Studenten Vorlesungen halten konnte. Vormittags versorgte (ich) von nun an medizinisch meine Kraftfahr- Karl Bühler über Aphasieforschung 171 Abteilung und nachmittags war ich Professor; es kam dann bald noch die Untersuchung und Behandlung von rekonvaleszenten Soldaten mit verheilten Kopfschüssen hinzu. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Kopfstation sind von Isserlin und seinen Schülern veröffentlicht, ich habe ein weniges mitgeholfen.” Während wir über Bühlers Tätigkeit in der Kraftfahr-Abteilung dank einer Akte des Kriegsarchivs in München gut unterrichtet sind, waren Unterlagen, die detailliertere Angaben über die medizinische Betreuung der hirnverletzten Soldaten, also über Bühlers Zusammenarbeit mit Isserlin, enthielten, auch dort nicht zu ermitteln. Für diese letztgenannte, im vorliegenden Zusammenhang wichtigste Tätigkeit Bühlers während seiner Militärzeit müssen wir also tatsächlich die Ausführungen seines Kollegen Isserlin und dessen Schüler zu Rate ziehen. Das Interesse Bühlers an Fragen der Sprachpathologie dürfte allerdings schon Jahre früher geweckt worden sein. Von Kries, der Freiburger Physiologe, der neben August Weismann als der wichtigste Lehrer Bühlers während seiner Freiburger Studienzeit gelten kann, war einer der Kritiker der Leitungslehre bzw. des Leitungsprinzip, das in der Aphasieforschung eine nicht unbedeutende Rolle spielt (vgl. Pick 1913). Inwieweit Karl Bühler direkt durch von Kries in dieser Frage beeinflußt wurde, ist jedoch nur indirekt zu beantworten. Da uns keinerlei Vorlesungsmitschriften Karl Bühlers vorliegen, müssen wir uns auf die Ausführungen stützen, die von Kries in seinen Schriften macht. Auch Benno Erdmann, bei dem Bühler im Sommersemester 1905 studierte, hat sich nach Pick (1913) zu Fragen der Aphasie und deren Bedeutung für die Psychologie geäußert. Wir können auch hier nur annehmen, daß Bühler diese Ausführungen Erdmanns nicht entgangen sind. Als Bühler im Herbst 1905 zu Külpe nach Würzburg kam, stand die Problematik der Aphasie sicher nicht im Vordergrund der Forschungen der Würzburger Schule. Doch zeigt Pick (1913) auf, daß in verschiedenen früheren Arbeiten der Würzburger Schule die Bedeutung der Aphasieforschung für die Psychologie angesprochen wird. Er verweist beispielsweise auf die herausragende Arbeit von Gätschenberger, eine Würzburger Dissertation aus dem Jahr 1901. Diese Dissertation wird offenbar wegen ihres nicht-experimentellen Charakters in den Bibliographien der Würzburger Schule meist nicht erwähnt, obwohl sie zweifellos nachhaltigen Einfluß auf die späteren Würzburger Arbeiten gehabt hat. II. “Der Einfluß der Würzburger Arbeiten zur Denkpsychologie auf die Aphasieforschung.” Zu einer ersten direkten Begegnung Bühlers mit der Problematik der Sprachpathologie kommt es im Jahr 1908. Das erste große Papier, das Karl Bühler zur Sprachpsychologie verfaßt und auf dem dritten Kongreß für experimentelle Psychologie in Frankfurt unter dem Titel “Über das Sprachverständnis vom Standpunkt der Normalpsychologie aus” vorgetragen hat, ist ein Co-Referat zu einem Papier von Arnold Pick (Prag) mit dem fast gleichlautenden Titel “Über das Sprachverständnis vom Standpunkt der Pathologie aus”. Wie Pick in den einleitenden Bemerkungen zu seinem Vortrage betont, ist sein Vortrag auf Einladung des Vorstandes der ‚Gesellschaft für experimentelle Psychologie’ entstanden. Ganz offensichtlich gab es eine Absprache, wenn nicht zwischen Pick und Bühler selbst, so zumindest zwischen Pick und dem Programmkomitte einerseits und letzterem und Bühler andererseits. Ob es schon vor diesem Kongreß im Jahr 1908 tiefergehende Kontakte zwi- Achim Eschbach und Gabi Willenberg 172 schen Pick und den “Würzburgern” gegeben hat, wissen wir - bislang - nicht. Die fünf Jahre später erschienene Monographie von Pick (1913) jedoch zeigt eine so gründliche Informiertheit über die in Würzburg durchgeführten denkpsychologischen Studien und eine so intensive Auseinandersetzung mit ihren Ergebnissen, daß die Vermutung einer engeren Kooperation naheliegt. Picks Auffassung ist es, daß von der neuen Psychologie, damit meint er die Denkpsychologie, aber auch von anderen Nachbardisziplinen wie z.B. der Sprachwissenschaft, wesentliche Impulse für die nach anfänglichen Erfolgen ins Stocken geratene Aphasieforschung zu erwarten sind. Sein Ziel besteht darin, diese Ergebnisse der Nachbarwissenschaften den Sprachpathologen verfügbar zu machen. Hiermit ist übrigens ein Ziel genannt, das sich - wie wir noch hören werden - auch die später von Otto Pötzl und Karl Bühler in Wien geleitete seminaristische Arbeitsgruppe gesetzt hat. Einige Ansatzpunkte, die die auch heute noch gültige Modernität der Pickschen Auffassung verdeutlichen, möchten wir besonders hervorheben: die Zugrundelegung der gesprochenen anstelle der geschriebenen Sprache und derer Eigenheiten, die Berücksichtigung von Sprecher und Hörer, die Berücksichtigung der Situation bzw. des Kontextes und - neben anderem - insbesondere die Tatsache, daß er den Satz anstelle des Wortes als Sinneinheit des Denkens (und Sprechens) zugrundelegt. Letzteres stützt sich unmittelbar auf die Erkenntnisse Bühlers, wie dieser sie in seiner Habilitationsschrift dargelegt hat. Während es Picks vorrangiges Anliegen ist, die Aphasieforschung durch Heranziehung der Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften zu bereichern, erhofft Bühler - in entgegengesetzter Richtung - eine Bereicherung der Psychologie durch die Aphasieforschung. Hier kommen wir auf einen oben schon angesprochenen Punkt zurück. Wir wissen, daß Bühler Freud - der ja nebenbei bemerkt auch, und zwar zeitlich vor Bühler, über Aphasie geschrieben hat - vorwirft, die Psychologie vom verkehrten Ende, vom kranken Menschen aus zu konstruieren, was zunächst einmal in Widerspruch zu Bühlers Interesse an der Sprachpathologie zu stehen scheint. Bühlers Weg zeichnet sich im Gegensatz zu dem Freuds dadurch aus, daß Bühler zunächst die Erkenntnisse sammelt, die am gesunden Menschen zu gewinnen sind, um auf dieser Basis seine Theorie zu entwickeln. Doch auch bei dieser Vorgehensweise ist die Verwertung pathologischer Tatsachen nicht gänzlich ausgeschlossen. In einem relativ weit fortgeschrittenen Stadium der Theoriebildung läßt Bühler - quasi zur Bestätigung oder Ergänzung seiner Erkenntnisse - es zu, die Pathologie zu Rate zu ziehen. Genau dieses Vorgehen spiegelt sich in zahlreichen Äußerungen zur Aphasieforschung. Dazu einige Beispiele: 1. Gesicherte Ergebnisse der Sprachpathologie zieht er heran, um eine mit normalpsychologischen Mitteln gewonnene Auffassung zu stützen: Der Kontext: Es geht darum, daß bei dem Ausdrückenwollen schwieriger Gedanken oft die Wahl einer Satzform vorausgeht bzw. daß dem Verstehen schwieriger Sätze oft ein Wissen um die grammatische Struktur vorausgeht, wie er selbst es bereits 1907 formuliert hat. “Dazu hat Pick Beobachtungen an Sprachkranken in Fülle gesammelt und in seinem Buche “Die agrammatischen Sprachstörungen” (I. Teil 1913) theoretisch ausgedeutet; das Beobachtete ist also auch psychopathologisch bestätigt und ergänzt worden.” (ST: 254) 2. Er stützt die Widerlegung einer seiner Ansicht nach irrigen Auffassung mithilfe pathologischer Erkenntnisse: Karl Bühler über Aphasieforschung 173 “Schon das genügt, um die generelle Resonanzhypothese der radikalen Motoriker als überspannt und unzulänglich zu erweisen. Völlig kraß aber kommt ihre Insuffizienz an den Tatsachen der zentralen Sprachstörungen zum Vorschein, wo die Beobachtung des Unterschiedes von wesentlich sensorischen und wesentlich motorischen Störungen zu den primitivsten gehört, die man machen kann.” 1 (ST: 270) 3. Er regt Forschungen im Bereich der Sprachpathologie an, um Aufschlüsse über Fragen zu erhalten, die mit den Mitteln der Normalpsychologie nicht zugänglich sind: “Ein Elliptiker hätte den Beweis zu erbringen, daß die empraktisch verwendeten isolierten Nennungen ohne ein irgendwie mitgedachtes (vom Sender und Empfänger mitgedachtes) Satzschema unfähig wären, als eindeutige Verkehrszeichen zu fungieren. Und dieser Beweis wird ihm weder aus dem Bereich der Vorgänge im psychophysischen System gesunder Sprecher noch aus dem Bereich der Vorgänge im psychologischen Systeme von Patienten mit zentralen Sprachstörungen gelingen. Von den letzten aus wäre wohl, wenn’s nötig und lohnend sein sollte, der treffendste Gegenbeweis zu erbringen. Genauer gesagt: es wäre zu beweisen, daß in Fällen, wo die Fähigkeit, grammatisch wohlgebaute Sätze zu bilden, weitgehend gestört ist, die empraktische Verwendung von Nennwörtern nicht in gleichem Ausmaße herabgesetzt sein muß. Es gibt Aphasien und Apraxien, wie man weiß, und die Störungen gehen keineswegs derart parallel, sie kovariieren nicht so gesetzmäßig einfach, wie es die generelle Ellipsenidee voraussetzt.” (ST: 158) Während Bühler den Beweisgang auf dem Gebiet der Sprachpathologie nur skizziert, führt er ihn an einem zweiten Beispiel, der kindlichen Sprachentwicklung, aus. Anstatt aber im einzelnen seine Argumentation wiederzugeben, wollen wir das Augenmerk darauf richten, daß die Aufgaben, die er einerseits der Entwicklungspsychologie und andererseits der Psychopathologie zuschreibt, parallel gehen; beide sollen die Erkenntnisse, die am gesunden, erwachsenen Menschen gewonnen sind, bestätigen bzw. ergänzen. 4. Erwartet Bühler im vorausgehenden Fall von den Sprachpathologen gleichermaßen wie von der Entwicklungspsychologie Aufschlüsse über Fragen, die mit den Mitteln der Normalpsychologie nicht zu erbringen sind, so parallelisiert er im folgenden Beispiel die Funktion der Sprachpathologie mit der der vergleichenden Sprachforschung: Es würde zu weit führen, wollten wir den Kontext des folgenden Zitats ausführlich rekonstruieren; da auch aus dem Zitat allein die Parallelisierung der Funktionen von Sprachpathologie und vergleichender Sprachwissenschaft zu erkennen ist, sei der Zusammenhang nur kurz skizziert: Die Passage bezieht sich auf die Deixis am Phantasma, genauer gesagt auf den dritten Hauptfall (Berg-Mohammed): “Der dritte Hauptfall erweist sich als ein additives Ganzes oder anders ausgedrückt als eine Superposition aus zwei Lokalisierungen, deren eine dem ersten, deren andere dem zweiten Hauptfall begrifflich einzuordnen sind.” (ST: 137) “Wieweit man zu superponieren oder sonstwie zu kombinieren vermag, bleibt vom rein Psychologischen her eine offene Frage. Wir erwarten Aufklärung darüber von den Kennern der Sprachen und den zentralen Sprachstörungen.” (ST: 138) Achim Eschbach und Gabi Willenberg 174 III. “Der Hamburger Sprachtag.” Karl Bühlers Bemühungen, die von der Psychologie herausgearbeiteten Prinzipien der Sprache den Forschern aus anderen mit der Sprache befaßten Disziplinen vorzustellen, beschränkten sich nicht allein auf seine Publikationstätigkeit: Ein erstes Forum, das die Möglichkeit eines interdisziplinären Austausches bieten sollte, war der Hamburger Sprachtag. Zu einem Zeitpunkt, als Karl Bühler das Manuskript für seine Sprachtheorie wenn nicht schon zur Drucklegung beim Verlag eingereicht, so doch sicher in weiten Teilen fertiggestellt hatte, fand 1931 im Rahmen des 12. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychologie ein sogenannter Sprachtag statt. Wir müssen annehmen, daß die Anregung zu diesem im Rahmen eines Psychologenkongresses neuartigen Unternehmen von Karl Bühler selbst ausging, zumal er selbst damals Vorsitzender der Psychologen-Gesellschaft war; hören wir eine Passage aus seiner Ansprache zur Eröffnung des Kongresses: “Ganz neu auf dem Programm ist der Sprachtag. Die menschliche Sprache erschien uns mehr als irgend etwas anderes geeignet, einmal zum Gegenstand einer gemeinschaftlichen Aussprache der Psychologen mit den Vertretern anderer Disziplinen erhoben zu werden. Wird der Kontakt und das Wechselverhältnis, so wie es uns vorschwebt, erreicht zwischen den Sachverständigen der Sprache aus den verschiedenen wissenschaftlichen Heimatgebieten, Linguistik, Medizin, Philosophie, Psychologie, die sich zu unserer Sprachdiskussion treffen, dann dürfen wir uns Erhebliches versprechen von ihr.” (Ansprache des Vorsitzenden, 1932: 5) und er fährt fort: “Heute sind wir [die Psychologen] die Einladenden zu dem Sprachtag im Rahmen unseres Psychologenkongresses und werden außer den engeren Fachgenossen eine Reihe von Gastrednern, Philosophen, Linguisten, Soziologen und die besten Kenner des neubelebten Forschungsgebietes der zentralen Sprachstörungen hören.” (Das Ganze der Sprachtheorie, ihr Aufbau und ihre Teile, 1932: 95) Anstatt auf die Vielfalt der erörterten interdisziplinären Aspekte einzugehen, wollen wir an dieser Stelle allein herausarbeiten, welchen Beitrag die Sprachpsychologen von den Sachverständigen der Sprache aus dem Forschungsbereich der Medizin erwarten: In der Einleitung zu seinem eigenen, den Sprachtag eröffnenden Vortrag zeigt Bühler die verschiedenen Aspekte auf, die aus naheliegenden Gründen von den einzelnen wissenschaftlichen Gebieten ins Auge gefaßt werden: “Wenn der Linguist das Lautsystem einer gegebenen Sprache, ihren Wortschatz, ihren Satzbau bestimmt, so sind es Sprachgebilde, wovon die Rede ist. Wenn der Psychologe im Gefüge des sinnvollen Verhaltens des Menschen Sprechereignisse findet, so erfaßt und bestimmt er diese Ereignisse wie anderes, was ihm in derselben Sphäre begegnet, als Handlungen des Menschen, als Handlungen einer besonderen Art oder Klasse. Und wenn der Soziologe unter den Phänomenen und Konstituenten des Gemeinschaftslebens Sprachliches erfaßt und bestimmt, so ist einer der nächstgelegenen Oberbegriffe, unter die er sie bringt, der des Kontakt- und Verkehrsmittels.” (Das Ganze der Sprachtheorie, ihr Aufbau und ihre Teile, 1932: 96) Dann geht Bühler auf den uns im vorliegenden Zusammenhang besonders interessierenden Bereich ein: “Ich habe in meiner Aufzählung noch nicht die Sachverständigen aus dem Gebiet der zentralen Sprachstörungen und der Sprachphilosophie genannt. Jene würde ich in unserem Parlamente den Psychologen [also denjenigen, die sich mit dem sinnvollen Verhalten des Menschen, mit seinen Karl Bühler über Aphasieforschung 175 (Sprach-)Handlungen befassen] anreihen und für diese [die Sprachphilosophen] eine Ehrenstellung am Ministertische vorschlagen, so wie es schon Platon in seiner Staatsordnung vorgesehen hatte.” (Das Ganze der Sprachtheorie, ihr Aufbau und ihre Teile, 1932: 97) Wir sehen also zunächst einmal, daß die medizinische Sprachforschung von der Psychologie ganz eng neben die Sprachforschung gestellt wird. Während Bühler in seinem eigenen Vortrag über dies hinaus nicht näher darauf eingeht, welche Bedeutung der medizinischen Sprachforschung im Rahmen einer umfassenden Sprachtheorie zukommt, wird in einem zusammenfassenden Ergebnisprotokoll des “Sprachtags” hervorgehoben, daß die Psychopathologie insbesondere die Möglichkeit bietet, die Gegenstandsbildung in der Sprache zu untersuchen. Man hatte sich folgende Frage gestellt: “2. Wie weit ist die Empirie imstande, etwas von der Beziehung der Sprache zu ihrem Gegenstand zu sagen, oder welche Quellen gibt es, welche Zugänge für den Erfahrungswissenschaftler, sich dem Problem “Sprache und Gegenstandswelt” zu nähern? ” Neben der Möglichkeit von Versuchen mit sinnlosen Silben (die Ach ins Gespräch brachte) sowie der Untersuchung von Taubstummen (die Schole propagierte) kam man überein, daß gerade in dieser Frage von der Psychopathologie Aufschlüsse zu erwarten seien: “Der erwachsene Mensch ist im Kategoriensystem, das durch Sprache und andere Steuerungsmomente gebildet ist, so verfangen, daß er nicht heraus kann und sein Denken darin verharrt, auch wenn das Material, das ihm geboten wird, kein (zumindest primär) sprachlich durchgebildetes ist. Die Entwicklungspsychologie ist der eine und wichtigste Zugang zu diesem Problem. Das Auftreten und die Entfaltung der “Darstellungsfunktion” 1) und die wechselseitige Steuerung können als Beleg und Prüfmaterial für sprachtheoretische Befunde gelten. Die zweite Quelle, die Psychopathologie, kann hier besonders einsetzen und die Präzision der durch die Kinderpsychologie erreichten Resultate durch eine Querschnittsbetrachtung erhöhen (K. Bühler, Ch. Bühler, Cassirer, Goldstein, Strauß).” IV: “Aphasieforschung und Forschung zu anderen Defekten der Sprache im Verein für angewandte Psychopathologie und Psychologie in Wien” Ein ständiges Forum für regelmäßigen interdisziplinären Austausch zwischen Medizinern und Psychologen sollte der Verein für angewandte Psychopathologie und Psychologie in Wien bilden. Nicht weniger als zwanzig Jahre nachdem Arnold Pick versucht hatte, mit seiner Schrift “Die agrammatischen Sprachstörungen” den Pathologen und Neurologen, die im Bereich der Aphasieforschung tätig sind, die Ergebnisse der Nachbarwissenschaften, insbesondere die Ergebnisse der Psychologie und im noch engeren Sinne diejenigen der Würzburger denkpsychologischen Schule nahezubringen, wurde im Sommersemester 1934 eine seminaristische Arbeitsgemeinschaft zwischen der von Karl Bühler geführten psychologischen Schule und der von Otto Pötzl geführten psychiatrisch-neurologischen oder hirnpathologischen Schule mit dem Namen “Verein für angewandte Psychopathologie und Psychologie in Wien” gegründet. Wir wollen im Rahmen dieses Vortrags allein auf die Tätigkeit des Vereins im ersten Jahr seines Bestehens eingehen; der Genauigkeit halber sei jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß man sich nicht allein mit sprachpsychologischen bzw. sprachpathologischen Gegenständen befaßte, sondern daß beispielsweise im zweiten Vereinsjahr (SS 1935 und WS 1935/ 36) die Klinik und Pathologie von Thalamus und Hypothalamus zum Achim Eschbach und Gabi Willenberg 176 Thema des Vortragszyklus ausgewählt wurde - übrigens auf Anregung von Karl Bühler (vgl. WmS 1937: 878). Weiter möchten wir anmerken, daß die Zusammenarbeit Karl Bühlers mit den Medizinern der Wiener Universität nicht erst im Jahr 1934 begann. Als der “Verein für angewandte Psychologie und Psychopathologie” gegründet wurde, konnte Karl Bühler bereits auf eine mehrjährige Kooperation mit dem von studentischer Seite organisierten “Akademischen Verein für medizinische Psychologie” zurückblicken. Von jeher, d.h. seit dem Gründungsjahr 1925 hatte Karl Bühler diesen studentischen Verein “in allem und besonders auch durch eigene Vorträge” gefördert (Moszkowicz in WmS 1930: 911). Ein zweites Beispiel für die lange vor der Vereinsgründung erfolgte Zusammenarbeit ist ein Vortrag Karl Bühlers auf der “I. Internationalen Tagung für angewandte Psychopathologie und Psychologie”, die im Sommer 1930 in Wien stattfand und neben anderen von den Wiener Medizinern P. Federn, H. Hartmann, M. Pappenheim und E. Stransky organisiert wurde. (Aus dem sehr knappen Autoreferat des Vortragenden ist leider nur zu entnehmen, daß unter dem Titel “Der Zeichenverkehr beim Menschen und bei den Tieren” über die Bedeutung der Signale im Dienste des Gemeinschaftslebens und über die Symbole bzw. die Darstellungsfunktion als spezifisch menschliches Zeichengerät gesprochen wurde.) Verschiedenenorts, selbst von Charlotte Bühler, die übrigens 1917 in München mit einer sprachbzw. denkpsychologischen Arbeit promoviert hatte, wurde behauptet, daß Karl Bühler seine in Würzburg begonnenen Arbeiten zur Denkpsychologie nicht weitergeführt habe. Es trifft wohl zu, daß Karl Bühler einige der damaligen Würzburger Standpunkte korrigiert hat, daß er aber gänzlich von dem Würzburger Programm der Denkpsychologie abgerückt sei, ist einerseits durch seine eigenen Bemerkungen in der Sprachtheorie zu widerlegen, wo er uns darauf hinweist, daß seine Gedanken um das Phänomen Sprache kreisen, seitdem er wissenschaftlich zu denken vermag; er selbst datiert den Anfang seiner sprachtheoretischen Überlegungen auf das Jahr 1907, das Jahr seiner Habilitation in Würzburg (1934: XXVIII), was auch inhaltlich nachzuweisen ist. Andererseits hat er bis in seine Wiener Zeit immer wieder Dissertationsthemen zu denkpsychologischen Fragen vergeben. Anstatt zu behaupten, daß Bühler die Denkpsychologie aufgegeben habe, vertreten wir daher die an anderer Stelle noch eingehend zu belegende These, daß Bühlers Sprachtheorie eine konsequente Weiterführung des Würzburger Ansatzes ist. Wir können also sagen, daß hier in Wien im Jahr 1934 mit der von Seiten der Klinik vorgeschlagenen Thematik der Aphasie (vgl. WmS 1935: 234) für den ersten Vortragszyklus genau die Idee aufgegriffen wurde, die Pick zwei Jahrzehnte zuvor realisieren wollte. Ein nicht unbedeutender Vorteil für die 1934 gegründete Wiener Forschergruppe allerdings war es, daß Karl Bühler seine Sprachtheorie in der Zwischenzeit erheblich ausgestaltet und schriftlich niedergelegt hatte, so daß sie als Diskussionsbasis genutzt werden konnte. Nachdem wir oben gehört haben, daß Pick sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg um eine Vermittlung der Erkenntnisse der neueren Psychologie an seine Fachkollegen aus der Medizin bemüht hatte, sollten wir annehmen, daß der in Wien neu gegründete Verein bereits auf umfangreiche interdisziplinäre Vorarbeiten zurückblicken konnte. Offenbar war aber der gewünschte Erfolg von Picks Schrift ausgeblieben, denn am 30. April 1934, in der ersten Sitzung, führte Pötzl über die Ziele des neuen Vereins folgendes aus: die Sprachpsychologie und die Pathologie der Sprache hätten sich bis zu diesem Zeitpunkt getrennt voneinander, selbständig entwickelt, nun aber sei es an der Zeit, daß die Vertreter beider Fachkreise zusammenkämen, um ihre Erfahrungen und Ergebnisse einander mitzuteilen. Dazu sollten die Seminarabende Gelegenheit geben. Zweck des Seminars sei es aber auch, gemeinsam zu Karl Bühler über Aphasieforschung 177 studieren. Dabei dürfte sich eine gegenseitige Förderung schon dadurch ergeben, daß einerseits das reiche Material der Klinik den Psychologen zugänglich gemacht wird, andererseits versucht wird, die von den Psychologen ausgearbeiteten Methoden und Ergebnisse an das klinische Material heranzubringen (nach WmS 1935: 234). Leider ist es uns bislang nicht gelungen, die Akten des Vereins für angewandte Psychologie und Psychopathologie zu finden. Um etwas über die Inhalte der einzelnen Arbeitssitzungen zu erfahren, müssen wir daher auf die von Auguste Flach und Karl Theo Dussik in der “Wiener medizinischen Wochenschrift” erstatteten Berichte zurückgreifen. Zweifelsfrei entnehmen können wir aus diesen Berichten, daß es einen regen Austausch zwischen den beide Wissenschaftlergruppen, den Medizinern auf der einen und den Psychologen auf der anderen Seite gegeben hat und daß beide Seiten sehr daran interessiert waren, die vorgestellten Ergebnisse der jeweils anderen Gruppe für ihr eigenes Forschungsgebiet nutzbar zu machen und, soweit dies erforderlich schien, auf ihrem Gebiet zu prüfen. Im Wechsel wurde über pathologische Erscheinungen und über die Ergebnisse der normal-psychologischen Forschung referiert; besonders im zweiten Halbjahr beobachten wir eine Interpretation der von den Klinikern vorgestellten Fälle mit dem Werkzeug der Normalpsychologen, hauptsächlich mit dem Rüstzeug, das Karl Bühler in der Sprachtheorie geliefert hat. Wissenswert wäre es, welche sprach- und denkpsychologischen Erkenntnisse in erster Linie das Interesse der Sprachpathologen fanden. Die - wie schon gesagt - einzigen uns bislang zugänglichen Berichte über die Arbeitssitzungen des “Vereins für angewandte Psychopathologie und Psychologie in Wien” in der Wiener Medizinischen Wochenschrift sind jedoch außerordentlich knapp gehalten; vielfach handelt es sich bei den wiedergegebenen Diskussionsbeiträgen um kurze Kommentare oder Anregungen für mögliche Forschungen, ohne daß dazu näheres ausgeführt würde. Um nicht einen Bericht der Berichte mit weiteren Verkürzungen zu geben, wollen wir hier lediglich mit wenigen Stichwörtern skizzieren, welche der Bühler’schen Erkenntnisse als besonders anregend für die Aphasieforschung erachtet wurden: da ist zunächst die Unterscheidung der verschiedenen Arten des sprachlichen Zeigens: Demonstratio ad oculos, anaphorisches Zeigen und Deixis am Phantasma mit den Unterarten des dramatischen und epischen Zeigens (WmS 1935: 236) zu nennen; dann Bühlers Ausführungen zu den Einwortsätzen, Ellipsen, die erst unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Umfeldes (symphysisch, sympraktisch bzw. synsemantisch) verständlich werden (WmS 1935: 236); die Unterscheidung zwischen dem Klanggesicht und dem phonematischen Signalement der Wörter (WmS 1935: 236); das Prinzip von Lexikon und Syntax (WmS 1935: 942); die Einsicht in die Stellvertreterfunktion der Zeichen (WmS 1935: 942); das Konzept der Bedeutungssphären bei der Wortfindung (WmS 1935: 1000) u.a. V. “Karl Bühlers Zusammenarbeit mit den Wiener Medizinern im Spiegel der Akten der Rockefeller-Foundation.” Trotz eindringlicher Warnungen vor der ungesicherten Authentizität ist in der Vergangenheit ein Text wenigstens drei Mal abgedruckt worden, der mit “Lebenslauf” überschrieben und mit “Heil Hitler! Karl Bühler” unterfertigt ist. Wir haben verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, daß u.E. Grund zu der Annahme besteht, mit diesem Text äußerst delikat umzugehen, da er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von Karl Bühler selbst verfaßt worden ist. Wir lassen uns vielmehr von der Annahme leiten, daß der äußerst fehlerbehaftete und Achim Eschbach und Gabi Willenberg 178 maschinenschriftlich abgefaßte Text Karl Bühler am Ende seiner Haftzeit zur Unterschrift vorgelegt worden ist, die er jedoch verweigerte. In dem sogenannten Lebenslauf ist die Rede von einem Forschungsprogramm, in dessen Mittelpunkt eine Charakterologie stehen solle, wie sie z.B. in der Militärpsychologie erforderlich geworden ist (cf. Lebenslauf). Wir haben ausführlich und immer wieder darüber nachgedacht und debattiert, ob wir diese Programmatik nicht doch Karl Bühler letztlich zusprechen müssen und vielleicht damit entschuldigen sollen, daß ein Häftling mit opportunistischen Äußerungen das Wohlwollen der Machthaber zu erlangen versucht. U.E. spricht kaum etwas für diese Lesart! Ganz im Gegenteil scheint Karl Bühler in seiner Haftzeit seine menschliche Haltung und seinen Sprachwitz bewahrt zu haben, denn wenn wir schon einräumen, daß dieser sogenannte Lebenslauf auf der Grundlage von Verhörprotokollen zusammengeschrieben worden ist, so kann man es doch nur als bitterste Ironie verstehen, wenn man in unmittelbarem Anschluß an die zuvor erwähnte Forschungsprogrammatik liest: “Das Programm für die Zukunft ist wesentlich gefördert und ausgebaut worden in den Wochen, die ich in Schutzhaft verbrachte” (ibid.). Sigmund Freud, von dem Karl Bühler durch so vieles getrennt war und mit dem er letztlich so vieles teilte, hatte sich bei den Nazischergen in ähnlich artiger Weise bedankt, wie bei Ernest Jones nachzulesen ist: “Den komplizierten Formalitäten, denen sie [die Mitglieder der Familie Freud] sich unterziehen mußten, begegnete Freud mit der ihm eigenen Ironie. Als eine der Bedingungen für ein Ausreisevisum mußte er ein Dokument folgenden Wortlauts unterschreiben: ‚Ich, Professor Freud, bestätige hiermit, daß ich nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich von den deutschen Behörden und im besonderen von der Gestapo mit der meinem wissenschaftlichen Ruf gebührenden Achtung und Rücksicht behandelt wurde, daß ich meiner Tätigkeit ganz meinen Wünschen entsprechend frei nachgehen konnte und nicht den geringsten Grund zu einer Beschwerde habe.’ Als der Nazikommissar das Papier brachte, erhob Freud natürlich keinen Einwand, seine Unterschrift zu erteilen; aber er fragte, ob er einen Satz beifügen dürfe: ‚Ich kann die Gestapo jedermann aufs beste empfehlen.’” 2 (Jones, 1984: III: 267f.). Eine völlig andere Perspektive eröffnet sich, wenn ein nun allerdings authentischer Forschungsantrag zu Rate gezogen wird, den Karl Bühler unter dem Titel “A new Viennese research programm in psychology” an die Rockefeller-Foundation gerichtet hat; dieser Forschungsantrag wirft im übrigen auch einiges Licht auf den umfassenden Rahmen der Kooperation Karl Bühlers mit den medizinischen Psychologen der Wiener Universität. Karl Bühler stellt folgende Gesamteinschätzung an den Anfang seines Rockefeller- Antrages: “What psychology especially needs today is collaboration. Not one, but many psychologies exist today: behaviorism, Gestaltpsychology, Psychoanalysis and so on. These differences in the theoretical point of view can be partly attributed to the nature of psychology and partly to its history and, for the time being, cannot be fully overcome. It is, however, uneconomical when the same phenomenon is investigated and ascertained by three or four scientists, each of whom is unaware of the other’s work. They live in different worlds, give the same fact different names. Consequently, their results are at first glance very often not comparable. One who investigates more closely and who knows the various terminologies, realizes with astonishment that not different but the same facts have been investigated.” (Karl Bühler, Vienna, 5th of March 1935) Seinen Beitrag, das Problem der psychologischen Sprachverwirrung, die Krise der Psychologie zu überwinden, sieht er in einer allgemeinen Inventur (general inventary), einem Vergleich der Resultate der verschiedenen psychologischen Schulen, wie er es für die Teilbereiche der Ausdrucks- und Sprachtheorie bereits vorgelegt hatte. Karl Bühler über Aphasieforschung 179 “After thorough discussions with a great many assistants (especially the promissing young scientists in Vienna) I decided to devote the coming years fully to the new plan and to work out the consequences in the whole field of psychology. We have already begun and have been working two semesters in the psychiatry clinic with Professor Poetzl and his assistants on a new investigation of aphasia and schizophrenic phaenomena of speech.” (Karl Bühler, Vienna, 5th of March 1935) Daneben verweist er aber auch auf die Zusammenarbeit im Rahmen eines anderen medizinischen Projektes zur Erforschung der psychologischen Faktoren der nervösen Regulationen (psychological factors of nervous regulations), an dem Professor Durig großes Interesse hat, und das im Übrigen eine Anknüpfung an seine eigenen frühesten medizinischen Forschungen darstellt. Ferner betont er, daß bereits zu den jüngeren Mitgliedern der Wiener psychoanalytischen Schule Kontakte geknüpft worden seien. Über das bereits Aufgezeigte hinaus war für das Projekt eine Kooperation mit den wichtigsten psychologischen Instituten in Europa und Amerika angestrebt. Die Rockefeller Foundation hat den Antrag für dieses umfangreiche Projekt jedoch nur in sehr eingeschränktem Rahmen bewilligt, d.h. im Grunde hat die Stiftung nur einzelne, bereits begonnene Arbeiten weiter gefördert, nicht aber eine Finanzierung des neuen Unternehmens in Aussicht gestellt. Eine eingehende Analyse, aus welchen Motiven die Rockefeller Foundation der Förderung des neuen Projektes nicht positiv gegenüberstand, würde hier jedoch zu weit führen. Kommen wir deshalb zurück auf die Problematik der Aphasieforschung! Zur Beziehung zwischen der Wiener Aphasieforschung in den 30er Jahren und der heutigen Beurteilung von Bühlers Einfluß. Die knappen Berichte über die Arbeiten und Diskussionen im Verein für angewandte Psychologie und Psychopathologie in Wien geben leider keine Anhaltspunkte, ob bzw. welchen Anregungen, die in den Sitzungen des Vereins gewonnen wurden, in eigenständigen Forschungsprojekten nachgegangen worden ist; auch erfahren wir nicht, ob die von Bühler an der Normalsprache abgelesenen Prinzipien von den Kollegen der medizinischen Fakultät auf ihre Brauchbarkeit im Bereich der Sprachpathologie geprüft wurden. Während wir einen Bericht darüber, welche Früchte diese interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft in Wien hervorgebracht hat, vorläufig noch schuldig bleiben müssen, möchten wir abschließend aufzeigen, welche Bedeutung die aktuelle Aphasieforschung den Arbeiten Bühlers beimißt: In einer zusammenfassenden Darstellung über den heutigen Stand der Aphasieforschung erwähnt Angela Friederici, daß vornehmlich durch Pick und in dessen Folge ein Gedanke Bühlers aufgegriffen worden sei, nämlich das Prinzip von Lexikon und Syntax, die Auffassung, daß nicht die isolierten Wörter, sondern die Sätze, Wörter im Satzverband, in Betracht zu ziehen seien, und daß dieser Gedanke gerade heute auch im Rahmen neuerer Grammatiktheorien wieder aktuell ist. Einen Schritt weiter noch geht A.R. Luria, der die Forschungen im Bereich der Neuro- und Psycholinguistik in den 60er und 70er Jahren nachhaltig beeinflußt hat, wenn er als Verdienst Karl Bühlers und der Würzburger Schule nicht nur die Erweiterung des Blickfeldes auf das Satzverständnis, sondern auf das Verständnis ganzer semantischer Texte hervorhebt. “Classical studies were made by Bühler (1908, 1909, 1934) and Bartlett (1932), […] and the work of other representatives of the Würzburg school, carried out in the first decade of this century, is also well known. Achim Eschbach und Gabi Willenberg 180 These studies by members of the Würzburg school, including Bühler, were devoted directly to the analysis of the understanding of complex, abstract sentences and communications, and they established the fact that perception and memorizing of thoughts take place independently of the perception and memorizing of the separate component elements.” (Luria 1976: 178). Während er einige jüngere Untersuchungen anführt, die sich mit der Frage des Verständnisses einzelner Sätze befaßt haben, muß er für die von den “Würzburgern” aufgeworfene und von Karl Bühler in der Sprachtheorie unter den Kapiteln Zeigfeld und Symbolfeld erörterte Fragestellung konstatieren: “the understanding of whole semantic texts and of their general and inner meaning is almost totally unrepresented in the literature.” (Luria 1976: 178). Anmerkungen 1 P. Menzerath & A de Lacerda: Koartikulation, Steuerung und Lauterzeugung. 1933. bes. S. 59. 2 [Jones, Ernest: Sigmund Freud. Leben und Werk. 3 vols. München: dtv 1984.] Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin des 20. Jahrhunderts Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden Im folgenden Artikel werden Leben und Werk der Wissenschaftlerin Charlotte Bühler (1893-1974) vorgestellt und in ihrer Verwobenheit mit der wissenschaftlichen Entwicklung ihrer Disziplin und den zeitgeschichtlichen Bedingungen ihrer Biographie analysiert. Ihr inhaltlicher und methodischer Pioniergeist, ihr ganzheitlicher Zugriff auf den menschlichen Lebenslauf, ihre Beziehung zur Psychoanalyse sowie ihre Position als Frau in der Wissenschaft sind wichtige Ansatzpunkte für die Einschätzung von Leben und Werk. In die Würdigung ihrer wissenschaftlichen Gesamtleistung sind die widersprüchlichen und ambivalenten Aspekte ihres Werkes einbezogen. Ausgangspunkt und Perspektiven Charlotte Bühler wurde am 20. Dezember 1893 in Berlin geboren und verstarb am 3. Februar 1974 in Stuttgart. 1993 jährt sich ihr 100. Geburtstag. Sie hat auf den Gebieten der Kinder-, Jugend- und Lebenslaufpsychologie richtungsweisende Forschungsarbeiten verfaßt und ist sowohl für die Psychologie als auch für die Erziehungswissenschaft von Bedeutung. Das erste große empirisch fundierte Werk zum Jugendalter und zur wissenschaftlichen Entwicklungspsychologie in deutscher Sprache wurde von Charlotte Bühler verfaßt; sie beeinflußte damit ganze Generationen von Psychologen, Pädagogen und Philosophen. 1 Sie publizierte von 1918 bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts; einige ihrer Arbeiten erreichten ungewöhnlich hohe Auflagen in verschiedenen Sprachen und werden noch heute verkauft und gelesen. 2 Ihr Ziel war es, eine allgemeine Anthropologie des menschlichen Lebenslaufs zu begründen. Wenn eine Perspektive ihr Werk auszeichnet, so ist diese mit dem Stichwort “ganzheitlich” zu umfassen, denn Charlotte Bühler hat sich immer bemüht, Komplexität zu erhalten, auch in ihrer empirischen Forschung. Der Bühlersche Forschungsansatz, der in der europäischen wissenschaftlichen Tradition zu Beginn dieses Jahrhunderts zu verorten ist, wird neuerdings in einigen Ansätzen der Sozialisations- und Jugendforschung rehabilitiert. 3 Hier greift man auf Perspektiven und Fragestellungen der “alten” Entwicklungspsychologie zurück, um so den Interpretations- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 182 rahmen zu erweitern und eine Folie für das Verständnis seelischer Entwicklungen zu gewinnen. Charlotte Bühler legte ihren Schwerpunkt auf die Reifungsprozesse des Menschen, die interne Organisation und Struktur des Seelenlebens im Zusammenhang mit den Entwicklungsverläufen des Gesamtlebenslaufs. Hieraus begründete sie eine Theorie bzw. ein Modell der optimalen, zielgerichteten menschlichen Entwicklung. Dabei hat sie neben der allgemeinen und biologisch verankerten Entwicklungsrhythmik den Gedanken der individuellen Unterschiede im Entwicklungsverlauf und den eigenen aktiven Gestaltungsaspekt zu einem Zeitpunkt berücksichtigt, zu dem dies durchaus neu und ungewöhnlich war. Eine wichtige und einflußreiche Position hatte Charlotte Bühler darüber hinaus in der Humanistischen Psychologie 4 , deren Begründung sie mitinitiierte und deren Bewegung sie bis ins hohe Alter hinein mittrug. Ihre gemeinsam mit Melanie Allen verfaßte Einführung in die Humanistische Psychologie ist ein Standardwerk und enthält wichtige Grundgedanken dieses Ansatzes. Ihre Bemühungen um die Analyse von Gesamtlebensläufen sind in das Themenspektrum der Humanistischen Psychologie dauerhaft (vgl. ebd. S. 27) eingegangen und können überdies als Vorläufer und Impulsgeber für eine Ausweitung der Entwicklungspsychologie auf die gesamte Lebensspanne betrachtet werden. 5 Im folgenden wird zunächst dargestellt, welche Person Charlotte Bühler war und worin ihre biographischen Bedingungen, ihr sozialer und familiärer Hintergrund und die Verhältnisse ihrer Zeit bestanden. In diesem Zusammenhang halten wir eine Einschätzung der Beziehung zwischen Karl und Charlotte Bühler für notwendig, und zwar in privater und wissenschaftlicher Perspektive. Diese Zusammenschau bietet somit einen Beitrag zum Verhältnis von Wissenschaft, Alltag und Gesellschaft. Die Bühlersche wissenschaftliche Leistung ist vielfach gebrochen durch die deutsche Geschichte - Charlotte Bühler war Jüdin und mußte, um ihr Leben zu retten, emigrieren. Ihr Schicksal (ebenso wie das ihres Mannes als Nicht-Jude) und die - dennoch unglaubliche - Produktivität und Flexiblität ihrer wissenschaftlichen Existenz steht exemplarisch für die Lücke, die der Naziterror durch die Auslöschung bzw. Vertreibung der jüdischen Intelligenz in der deutschen Wissenschaft hinterlassen hat. Die Beschreibung und Würdigung ihres wissenschaftlichen Werkes geschieht im Hinblick auf die Stationen ihres Lebens und in bezug auf die wichtigsten Strömungen ihrer Disziplin, wie sie sich zeitgleich mit ihrer Forschungstätigkeit darstellten. Den Abschluß der Ausführungen bildet eine Analyse der Nachrufe sowie eine Einschätzung ihrer Position als Frau in der Wissenschaft. Ergänzend wird eine von uns erstellte Werkbibliographie angefügt. Die frühe Biographie 6 Elternhaus und Kindheit in Berlin Charlotte Bühler wurde am 20. Dezember 1893 in Berlin-Charlottenburg geboren. Sie stammt aus einer assimilierten jüdisch-polnischen Familie, die sich in Berlin niedergelassen hatte und sehr reich war. Charlotte Bühlers Vater, Herrmann Malachowski, war Regierungsbaumeister und Architekt im damaligen Berlin und baute an großen Aufträgen. So war er an der Erstellung des architektonisch bedeutenden ersten deutschen Warenhauses von A. Wertheim beteiligt. Ihre Mutter, Rose Malachowski, war eine sehr gebildete Frau. Sie Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 183 hatte in ihrer Jugend Latein und Griechisch studieren wollen, was ihr allerdings an den preußischen Universitäten nicht möglich war. Stattdessen absolvierte sie eine Ausbildung in Gesang und Klavierspiel. Es gelang ihr später, als Gasthörerin in Paläontologie und Archäologie zugelassen zu werden, da die Antike sie besonders interessierte. 7 Der Mutter, die selbst unter ihrer mangelhaften Ausbildung und der für sie unzureichenden “Mädchenbildung” litt, kam das Verdienst zu, die Tochter rechtzeitig für das Gymnasium angemeldet zu haben. Beide Eltern betrachteten es als selbstverständlich, so Charlotte Bühler, daß ihre beiden Kinder studieren würden (vgl. ebd., S. 13). Charlotte Bühler hatte einen fünf Jahre jüngeren Bruder Walter, welcher jedoch mit 25 Jahren, ein Jahr nach seiner Promotion in Nationalökonomie, verstarb. Beide Kinder hatten nicht die musikalische Begabung der Mutter und teilten nicht die künstlerischen Interessen ihrer Eltern. Der Vater, so Charlotte Bühler, war tief enttäuscht, als sie im letzten Schuljahr die Absicht äußerte, Psychologie und Philosophie zu studieren. Ihre Beziehung zu den Eltern wird von Charlotte Bühler (vgl. ebd., S. 11) damit gekennzeichnet, daß sie meint: “Unsere Eltern standen uns Kindern nicht nahe …”. Die Mutter war mit ihren Studien beschäftigt, die Eltern häufig gemeinsam auf Reisen. (Die Kinder wurden selbstverständlich von Gouvernanten betreut.) Dennoch wird der ungeheuer vielfältige, kulturell und künstlerisch anregungsreiche Charakter des Elternhauses von Charlotte Bühler detailliert erinnert und in den Konsequenzen für ihre Entwicklung interpretiert. Rose Malachowski, die Mutter, führte um die Jahrhundertwende im Elternhaus einen Salon. 8 Der Vater hatte über die architektonischen Interessen hinaus eine umfassende künstlerische Bildung und sammelte Kunstgegenstände. Die Familie unternahm zahlreiche Reisen und brachte die Kinder schon sehr früh in die großen Museen verschiedener Länder. Studium und Beginn der akademischen Laufbahn Charlotte Bühler verbrachte ihr erstes Semester in Freiburg mit dem Studium verschiedener Fächer. Sie entschied sich aber dann, nach ihrem zweiten Semester Medizin in Berlin und dem Schwanken zwischen geisteswissenschaftlicher oder naturwissenschaftlicher Ausrichtung ihres Studiums, für Psychologie als Hauptfach. Charlotte Bühler beschäftigte sich bereits, ihrer Selbstdarstellung zufolge, als 17jährige Gymnasiastin mit dem Thema “Denken” (vgl. ebd., S. 10). Zu diesem frühen Zeitpunkt entwickelte sie ein kleines Denkexperiment, das sie später an der Universität weiterentwickelte. 1914 stieß sie auf den Namen Karl Bühler, der, so Charlotte Bühler, offensichtlich etwas ähnliches wollte wie sie selbst. Schenk-Danzinger zufolge 9 beabsichtigte Charlotte Bühler frühzeitig, Karl Bühler als denjenigen Wissenschaftler kennenzulernen, der zum damaligen Zeitpunkt an erster Stelle in Deutschland über Denken und zur Denkpsychologie gearbeitet hatte. Charlotte Bühler studierte in Berlin bei Karl Stumpf, der ihr sehr bald eine Dissertation anbot und eine Stelle als Assistentin. Bei Stumpf hätte sie allerdings über Gefühlsempfindungen promovieren müssen - deshalb entschied sie sich dagegen (vgl. ebd., S. 17). Stumpf empfahl sie daraufhin nach München, zu Oswald Külpe. Charlotte Bühler ging 1915 mit einem Empfehlungsschreiben von Karl Stumpf nach München, um bei Külpe zu promovieren. Dieser unterstützte sie sogleich und überließ ihr einen Experimentierraum. Külpe verstarb im gleichen Jahr unerwartet, Karl Bühler vertrat seinen Lehrstuhl und erbte gewissermaßen die junge Charlotte als Doktorandin. Bereits zwei Wochen nach der Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 184 Bekanntschaft der beiden machte Karl, 37, der 22jährigen Studentin einen Heiratsantrag. Er sah, so Charlotte Bühler (vgl. ebd., S. 19), in der jungen Studentin eine Frau, die mit ihm seine Interessen teilen könne und ein entsprechendes geistiges Niveau habe. 10 Am 4. April 1916 heirateten die beiden in Berlin in der evangelischen Kirche an der Friedrichstraße. (Karl Bühler selbst war katholisch). Zwei Jahre nach der Heirat mit Karl Bühler (1918) promovierte Charlotte, und zwar zu dem Thema “Denkexperimente”, einem Forschungsthema, das von Karl Bühler seit längerem erfolgreich bearbeitet wurde. Vor Beendigung der Dissertation schrieb sie auf Karls Anregung hin eine kleinere Arbeit über: Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Charlotte und Karl Bühler gingen zu Anfang ihrer Ehe nach Dresden, wo Karl Bühler an der TH Dresden eine außerplanmäßige Professur erhalten hatte. In Dresden begann Charlotte Bühler ihre psychologische Laufbahn, sie wurde hier 1920 zur Privatdozentin (der ersten in Sachsen) ernannt. Ihre Habilitationsschrift schrieb sie über die Entdeckung und Erfindung in Literatur und Kunst - eine psychologische und nicht literarische Studie (vgl. ebd., S. 21). 1917 bekam Charlotte Bühler ihr erstes Kind, Tochter Ingeborg; 1919, während der Vorbereitung auf ihre Habilitation, ihr zweites, Sohn Rolf. Sehr bald danach zogen die Bühlers gemeinsam nach Wien, da Karl Bühler einem Ruf an die Universität Wien gefolgt war. Das Ehepaar Bühler Die Wiener Jahre Das Ehepaar Bühler lebte und arbeitete die folgenden 16 Jahre, bis 1938, in Wien. Karl Bühler war Ordinarius für Psychologie, unterrichtete zusätzlich in Lehrerfortbildungskursen Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 185 am Pädagogischen Institut der Stadt Wien und befaßte sich mit pädagogischen Problemen. Karl und Charlotte Bühler entfalteten gemeinsam, aber mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten, eine breit angelegte Forschungstätigkeit, die im nachhinein als WIENER SCHULE bekannt wurde. Unter Mitarbeit einer ständig anwachsenden Gruppe von Assistenten und Studenten aus aller Welt und mit großzügiger finanzieller Unterstützung durch die Rockefeller Foundation bauten sie das Psychologische Institut auf, das damals als eine der bedeutendsten Einrichtungen weltweit angesehen werden konnte. “Karls Hauptvorlesung über ‘Allgemeine Psychologie’ galt als ein gesellschaftliches Ereignis und wurde von bis zu 1.000 Studenten besucht. Die Seminare waren bis auf den letzten Platz mit hervorragenden wissenschaftlichen Mitarbeitern und Doktoranden aus aller Welt besetzt. 1937 nahmen Studenten aus 18 Nationen an diesen Veranstaltungen teil.” (Ch. Bühler, 1984) 11 Zu den Schülern von Karl und Charlotte Bühler gehörten herausragende Psychologen und Mediziner ebenso wie bekannte Psychoanalytiker und Psychiater. Als frühe Schüler nennt Charlotte Bühler selbst: Hildegard Hetzer, Lotte Schenk-Danziger, Else Frenkel, Käthe Wolf, Rene Spitz, Paul Lazarsfeld, Marie Jahoda, Herta Herzog und den Hauptschüler Karl Bühlers, Egon Brunswick (Ch. Bühler, 1965, S. 190). Als Dissertanten der Periode 1922-1938 und später bekannt gewordene Österreicher und Deutsche nennt sie - außer den bereits genannten - Paul Bergmann, Fritz Redl, Liselotte Frankl, Edith Weisskopf-(Joëlson), Ernst Dichter, Liselotte Fischer, Hedda Bolgar, Hans Zeisl, Peter Hofstätter, Wally Reichenberg (Hackett), Anna Brind. Die ersten Studienjahre verbrachten ihr zufolge bei den Bühlers: Marianne Frostig, Viktor E. Frankl, Rudolf Ekstein und Fritz Redlich. Ihre Doktoranden kamen aus aller Welt nach Wien; Charlotte Bühler erwähnt, daß sie anläßlich eines Kongresses 1937 in Paris feststellte, daß ihre Doktoranden aus 18 Nationen stammten (vgl. ebd., S. 190). Sie erhielten ihre Grundausbildung bei Karl und Charlotte Bühler oder nahmen an deren Seminaren teil und promovierten z.T. bei ihnen. Charlotte Bühler selbst hatte ab 1929 in Wien eine außerplanmäßige Professur, die sie bis zur Emigration des Paares im Jahre 1938 inne hatte. Charlotte Bühler (1965) schreibt selbst über ihre Wiener Jahre: “Die Faszination Wiens für uns lag nicht nur in der Stadt, sondern in der ungeheuren psychologischen Begabung unserer Schüler - jener psychologischen Atmosphäre, aus der auch die Psychoanalyse und andere psychologischen Richtungen hervorwuchsen. Ein Phänomen, das im jetzigen Augenblick ähnlich in Amerika zu beobachten ist, nämlich der Anteilnahme der gesamten gebildeten Bevölkerung an Problemen der Psychologie, war damals nur in Wien zu erleben. Es war eine Atmosphäre, in der Schüler zu Mitarbeitern und Freunden und andererseits Freunde zu Schülern wurden, und in der eine ungeheure wechselseitige Anregung bestand.” 12 Diese wechselseitige Anregung bestand ganz offenbar auch zwischen den Ehepartnern Karl und Charlotte Bühler. Charlotte erwähnt Karl in vielen ihrer Arbeiten. Wieweit Karl seinerseits auf die theoretischen Überlegungen und methodischen Ansätze seiner Frau einging, ist uns nicht bekannt. Er widmete Charlotte sein berühmt gewordenes (in den siebziger Jahren neu aufgelegtes) Buch Die Krise der Psychologie (1927). Es gibt Hinweise darauf, daß die junge Charlotte Bühler von ihrem Mann sehr gefördert und gerade in ihrer durchaus eigenständigen Entwicklung unterstützt worden ist. 13 Beide Ehepartner bezogen die Beobachtungen an ihren Kindern in ihre entwicklungspsychologischen Arbeiten mit ein 14 und haben über sie ein Entwicklungstagebuch verfaßt (nicht veröffentlicht). Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 186 Das Ehepaar Bühler hat ein entfaltetes gesellschaftliches Leben geführt. Zumindest für die frühen Wiener Jahre bis 1938 ist belegt, daß sie einen fast herrschaftlichen Haushalt führten mit vielen gesellschaftlichen Ereignissen. 15 Die Kinder wurden weitgehend von einem Kindermädchen aufgezogen, das bereits in Charlottes Familie tätig war. Der Wiener Haushalt war ein gesellschaftlicher Glanzpunkt, Karl und Charlotte Bühler fuhren in den 20er Jahren z.B. einen Packard - ein teures Auto, das sich ein “normaler” Professorenhaushalt nicht leisten konnte. 16 Charlotte Bühler war auch von der äußeren Erscheinung her offensichtlich eine bemerkenswerte Persönlichkeit, die immer äußerst modisch und elegant, mit großen Hüten und viel Schmuck gekleidet war. 17 Sie war eine leidenschaftliche Tänzerin. Karl Bühler, der aus einer eher kleinbürgerlichen bzw. bäuerlichen Familie stammte und nur mit Unterstützung kirchlicher Stipendien studieren konnte, war im Vergleich zu Charlottes souveränem und gesellschaftlich gewandtem Auftreten etwas zurückhaltender und bescheidener. Karl Bühler war gut aussehend und wird in den Erinnerungen eines Freundes und Schülers 18 als sprühender Geist und als äußerst charmanter, unterhaltender und inspirierender Mann dargestellt. Während Karl Bühler als das geistige Zentrum des Freundeskreises dargestellt wird, weist Eschbach auf Charlottes Funktion als “road manager” für Karl hin. Die Wiener Jahre sind für Charlotte Bühler zusammenfassend zu charakterisieren als eine Zeit, in der sie sich als Frau eines berühmten Mannes in vielerlei Hinsicht entfalten konnte, ohne in seinem Schatten zu stehen. Flucht aus Wien und Auswanderung Das Leben in Wien war für das Ehepaar Bühler mit dem Jahre 1938 (Anschluß Österreichs) abrupt beendet. Karl Bühler wurde von den Nazis verhaftet, während sich Charlotte zufällig in London aufhielt. Sie versuchte mit allen Mitteln, ihn aus dem Gefängnis zu holen. Nach Aussagen Charlotte Bühlers warfen die Nazis Karl Bühler vor, er habe die austro-katholische Regierung des Kanzlers Schuschnigg unterstützt und sei sowohl in seinem Privatleben als auch in der Verwaltung seines Instituts philosemitisch gewesen. 19 Eschbach zufolge war Karl eher sozialreformerisch und reformpädagogisch orientiert, d.h. politisch eher “links” als “rechts” einzuordnen und sei von daher als Person konservativen Kreisen ebenso wie den Nazis unliebsam gewesen. 20 Mit Hilfe norwegischer Freunde gelang es Charlotte Bühler letztlich, Karl aus der Haft zu befreien, so daß er und Ingeborg nach Norwegen ausreisen konnten, während Rolf nach England flüchtete. Das Ehepaar Bühler befand sich ab 1940 in den USA. 21 Zu Anfang ihres USA-Aufenthaltes waren sowohl Karl als auch Charlotte Bühler darauf angewiesen, an einem College zu unterrichten. Sie war Mitglied des Lehrkörpers am St.-Catherine-College und er am St.- Thomas-College in St. Paul, Minnesota. Karl Bühler war psychologischer Berater an dem “Cedars of Lebanon Hospital” und klinischer Assistenzprofessor für Psychiatrie an der medizinischen Abteilung der Southern California University. Charlotte Bühler hatte ab 1945 eine Stellung als klinische Psychologin an einer Klinik in Los Angeles (Kalifornien) und arbeitete seitdem vor allem auf dem Gebiet der klinischen Psychologie. Das Leben in der Emigration Charlotte Bühler schreibt rückblickend über ihre gemeinsame Zeit nach der Emigration: “Und leider muß ich nun berichten, daß, während meine eigene Entwicklung Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 187 einen neuen Aufstieg nahm, die von Karl einem Abstieg entgegenging.” (Selbstdarstellung, S. 37). Das Ehepaar Bühler mußte demnach mit der Emigration neben vielen anderen Schwierigkeiten auch eine starke Veränderung ihrer Rollen in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit verarbeiten. Daß dies nicht ohne Krisen erfolgte, zeigen Hinweise darauf, daß Karl mit Depressionen zu kämpfen hatte (vgl. ebd., S. 35). Karl war zum Zeitpunkt der Emigration bereits 59 Jahre alt 22 (das Ehepaar verließ Europa 1938); er führte allerdings laut Eschbach in den USA seine rege Forschungstätigkeit weiter, hatte aber im Gegensatz zu seiner Frau offenbar Mühe, seine Arbeiten, die außerhalb herrschender Trends lagen, zu publizieren. 23 Charlotte Bühler gelang es demgegenüber, und das ist durch ihre Arbeiten ebenso wie durch zahlreiche Äußerungen von Zeitgenossen belegt, eine eigene Existenz, eine ganz eigene Forschungstätigkeit und eine (wirtschaftlich sehr erfolgreiche) 24 psychotherapeutische Praxis aufzubauen. Ihr Mann begleitete ihre Tätigkeit nun eher im Hintergrund: Charlotte berichtet, Karl habe Behandlungsprotokolle aus ihrer Praxis ausgewertet und später bei der Arbeit an ihrem Buch Psychologie im Leben unserer Zeit jedes Kapitel mit ihr durchgesprochen (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 40). So dürfte es nicht nur eine pietätvolle Geste, sondern eine sehr beziehungsreiche Handlung sein, daß Charlotte eines ihrer letzten Bücher ihrem 1963 verstorbenen Mann widmete, der mit der Frage der Lebenserfüllung in seinen späteren Jahren sehr gerungen haben dürfte. Das dem Andenken Karl Bühlers gewidmete Buch trägt den Titel: Wenn das Leben gelingen soll (1969, nur in deutscher Sprache erschienen). Sie selbst schreibt über das Erleben des Todes von Karl Bühler: “In gewisser Weise war dies auch für mich das Lebensende. Unser Zusammenleben von 47 Jahren hatte uns trotz vieler Stürme und mancher Konflikte zu tief vereinigt, um mir das Alleinleben erträglich erscheinen zu lassen.” (Vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 39). Die Jahre nach Karls Tod waren für Charlotte Bühler dennoch weiterhin von wissenschaftlicher Produktivität geprägt, immer mehr zentriert auf Grundfragen an den menschlichen Lebenslauf (Ziele, Werte) und auf Vermittlung psychologischer Lebenshilfe an eine breitere Öffentlichkeit. Die langjährige Ehezeit der Bühlers war, wie teilweise auch belegt ist, sicherlich nicht frei von Krisen und Konflikten, und man sollte sich hüten, ein wissenschaftliches “Traumpaar” zu konstruieren, wie es gelegentlich, z.B. in Lebzelterns Karl Bühler-Biographie, nahegelegt wird. Gleichwohl haben die Bühlers offenbar zeitlebens in wissenschaftlichem Dialog, persönlicher Liebe und Achtung in unterschiedlichen, stark wechselnden Rollen aufeinander Bezug genommen, ohne ihre Eigenständigkeit einzuschränken. Charlotte bringt die Unterschiede ihres wissenschaftlichen Ansatzes auf die Formel, Karl sei mehr an Strukturen, sie selbst mehr an Prozessen interessiert gewesen. 25 Angesichts des Zeitkontextes und auch des Altersunterschiedes der Ehepartner kann diese Eigenständigkeit durchaus Erstaunen hervorrufen. Wenn in dieser Ehe auf berufliche Entwicklungswünsche der Partner Rücksicht genommen wurde, dann war es insgesamt wohl eher Karl Bühler, der zugunsten Charlottes verzichtete: Die Ablehnung eines Rufes nach Harvard, den Karl im Jahre 1930 erhielt, und den man im nachhinein für seine weitere Karriere (angesichts der Vertreibung aus Wien) als folgenschweren Fehler ansehen muß, geht ebenso auf den ausdrücklichen Wunsch Charlottes zurück, in Wien zu bleiben wie der Verzicht auf die Rückkehr nach Wien im Jahre 1945. 26 Auf der anderen Seite war wiederum Charlotte die entscheidende psycho-soziale Stütze für Karl. So heißt es im Nachruf Rohrachers für Karl Bühler: Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 188 “In Frau Charlotte hatte Bühler eine Gefährtin, die ihm den größten Teil der Sorgen um das tägliche Leben abnahm. Mit unbezwinglichem Optimismus, unermüdlicher Aktivität und dauerndem höchstem Einsatz ihrer Arbeitskraft gelang es ihr, durch praktisch-psychologische Tätigkeit neue Existenzgrundlagen zu schaffen. Jeder, der das Schicksal der Familie Bühler verfolgen konnte, weiß, daß Karl Bühler ohne die ständige Fürsorge seiner Frau und ohne die ermunternde Atmosphäre, die sie um ihn zu schaffen wußte, die Phasen der Verdrossenheit, die er zu durchkämpfen hatte, wahrscheinlich nicht überstanden und kaum das Alter von 84 Jahren erreicht hätte.” (Zitiert nach Lebzeltern, a.a.O., S. 63). Die Notwendigkeit der Emigration war maßgeblich, wenn auch nicht ausschließlich (s.o.) bedingt durch Charlotte Bühlers jüdische Abstammung. Für Karl Bühlers Schaffen, seine Resonanz in der Wissenschaft und seine persönliche Befindlichkeit hat sie einen Einbruch bedeutet, von dem er sich nie wieder ganz hat erholen können. So hat er unter den Schicksalsfolgen dieser Ehe stärker zu leiden gehabt als Charlotte, “deren Stern”, wie Eschbach es ausdrückt, “in Amerika erst richtig aufging”. 27 Aber auch für Charlotte Bühler war die Emigration ein tiefer und schmerzlicher Einschnitt: Die ersten Jahre waren durch die Notwendigkeit des Geldverdienens geprägt, zwangen das Ehepaar zu zeitweiliger räumlicher Trennung und führten auch bei Charlotte zu einer vorübergehenden Reduzierung ihrer Publikationstätigkeit, die sie allerdings für eine produktive Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse zu nutzen vermochte (s.u.). Entwicklung der wissenschaftlichen Fragestellungen Die Wiener Arbeiten Für Charlotte Bühler waren die Wiener Jahre insofern fruchtbar, als sie ihre Interessen, die sie bereits sehr früh zur Kinder- und Jugendpsychologie geführt hatten, weiterverfolgen konnte, und zwar in größeren experimentellen Untersuchungen. 28 Sie führte in Wien eine große Anzahl von Untersuchungen zur Kinder- und Jugendpsychologie durch, sowohl unter Einbeziehung von Verhaltensbeobachtungen, als auch unter Berücksichtigung von Jugendtagebuchmaterial. Gemeinsam mit Hildegard Hetzer entwickelte sie z.B. in diesen frühen Jahren bereits eine Methode zur Verhaltensbeobachtung von Säuglingen, mit Hilfe derer sie ihre Theorie über menschliches Verhalten im allgemeinen und die dynamischen Prinzipien des menschlichen Lebenslaufs begründete. Mit Hildegard Hetzer schuf sie auch die ersten, dem Kleinkindalter angepaßten Entwicklungstests. Charlotte Bühler gab in den Jahren 1925 bis 1938 die Wiener Arbeiten zur pädagogischen Psychologie heraus; ebenfalls in den Jahren 1928 bis 1938 die Quellen und Studien zur Jugendkunde. Bemerkenswert an diesen frühen Arbeiten ist das methodisch reflektierte Bemühen um die Abgrenzung von Beobachtungseinheiten, die weder nur atomistisch wie bei den Behavioristen noch nur interpretativ (und damit empirisch weitgehend unbrauchbar) sein sollten. Nicht unbeeinflußt von Karl Bühlers Denken entwickelten Charlotte Bühler und Hildegard Hetzer die Kategorie der Sinneinheit und beobachteten Verhaltenssequenzen von ihren elementarsten Sinnsegmenten aus (vgl. Ch. Bühler & H. Hetzer, 1927, S. 134f.). Die Erfahrungen aus den Kleinkindbeobachtungen, die sie in natürlichen Situationen und rund um die Uhr durchführten, brachten sie zu Erkenntnissen über Reifungsschritte und Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 189 Entwicklungsverzögerungen und wurden in Testmaterialien für Kleinkinder vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr standardisiert. Die Testbereiche umfaßten folgende Dimensionen: sinnliche Rezeption, Körperbeherrschung, Sozialität, Materialbeherrschung, Lernen, geistige Produktion (vgl. Hetzer, 1982, S. 197). Wie Hildegard Hetzer betont, liegt in der Ganzheitlichkeit dieser Testbereiche ein Vorzug, den Praktiker bis heute schätzen (vgl. ebd., S. 198). Hauptwerke dieser Zeit sind: Das Seelenlehen des Jugendlichen (Jena, 1922); Kindheit und Jugend (1928); Kleinkindertests (Entwicklungstests vom 1. bis 6. Lebensjahr, 1. Aufl. 1932); Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (1. Aufl. 1933); Praktische Kinderpsychologie (1938). Die letztgenannte Arbeit stellt eine Zusammenfassung ihrer frühen empirischen Studien zum Kindesalter unter pragmatischem Gesichtpunkt dar und kann somit als ihr erster “Ratgeber” angesehen werden, eine Literaturform, die sie später immer wieder aufgreift, und in der sich ihre Tendenz, einen Überblick zu geben und Zusammenhänge darzustellen, verbinden ließ mit ihrer Neigung, wertend Stellung zu nehmen und Ratschläge zu erteilen. 29 Charlotte Bühler hielt sich wiederholt in Amerika auf und holte sich zweifellos für ihre methodischen Überlegungen und Experimente immer wieder Anregungen aus der damals vorherrschenden Psychologie des Behaviorismus, zu der sie jedoch in kritischer Distanz blieb. Zugleich entwickelte sie ein hartnäckiges, nie enden wollendes Interesse für allgemeine Fragen der Entwicklungspsychologie, die sie über die kognitiv akzentuierten Studien von Karl Bühler hinaus 30 auf alle Bereiche des menschlichen Lebenslaufs und auf komplexe seelische und emotionale Phänomene und Prozesse ausdehnte. Die frühen kinder- und jugendpsychologischen Arbeiten, die, wie Hildegard Hetzer betont, in dem überaus kurzen Zeitraum von nur ca. acht Jahren entstanden sind, 31 werden unabhängig von der Bewertung ihres Gesamtwerkes durch Charlotte Bühler selbst heute als ihre wissenschaftsgeschichtlich unumstrittenste Leistung eingeschätzt (vgl. u.a. die Nachrufe im folgenden). Mit der Lebenslaufforschung, die sie in den dreißiger Jahren beginnt, ist sie eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die sich dem Lebenslauf als Ganzem systematisch zuwendet. Sie versucht, auch diese Konzeption wiederum empirisch zu untermauern, indem sie eine Vielzahl von (Auto-)Biographien und biographisches Material auswertet. Die Arbeit Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem betrachtet sie selbst als die für ihre persönliche Fragestellung entscheidendste (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 41). Die Fragestellung bezieht sich in dieser Etappe ihrer Lebenslauf-Forschung bereits auf Kriterien für die Feststellung von Erfüllung oder Nichterfüllung eines Gesamtlebens. Sie sieht diese vor allem in der Äquilibrierung unterschiedlicher Strebungen, besonders der Bedürfnis- und der Aufgabenorientierung. Im Lebensverlauf bedeutet dies, daß ein “Dominanzwechsel” von “Bedürfnis” zu “Bestimmung” (d.h. über die eigene Existenz hinausweisende Tätigkeit “für etwas”) vollzogen werden muß. In dem von ihr entwickelten Stufenmodell der Entwicklung geht sie zunächst von einem biologischen Phasenschema aus, das mit Aufbau-, Abbau- und mittlerer “Plateau”-Phase symmetrisch gegliedert ist. Ihrem Verständnis nach schließt sich an die Aufbauphase eine von vitalen Prozessen weitgehend unabhängige und über die vitale Existenz hinausweisende mentale Wachstums- und Produktivitätsmöglichkeit an. Der Gedanke einer gestuften Entwicklung hat sich trotz vielfältiger Kritik im entwicklungspsychologischen Denken überall dort gehalten, wo im theoretischen Ansatz die biologischen Reifungsprozesse eine Rolle spielen. Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 190 Die Arbeiten in der Emigration Die Notwendigkeit, in den USA als klinische Psychologin Geld verdienen zu müssen, hatte für Charlotte Bühler keineswegs nur negative Auswirkungen. Ihre klinischen Erfahrungen kamen ihren Lebenslaufforschungen zugute; sie bereicherten ihre Fragestellung, veränderten den theoretischen Rahmen und lieferten eine zusätzliche, erfahrungsorientierte empirische Fundierung. (Fortan gewann belegendes Fallmaterial zunehmende Bedeutung in ihren Schriften.) Sie verfolgte weiterhin ihr Lebenswerk, nämlich den gesamten menschlichen Lebenslauf in seiner psychologischen Dynamik zu erfassen. Insbesondere drückte sich diese lebenslaufbezogene Forschungstätigkeit in der Veröffentlichung von drei größeren Werken aus, 1. einer stark überarbeiteten Neuauflage der Arbeit: Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (zuerst erschienen in Leipzig 1933), in den USA erschienen in Los Angeles 1959; 2. in dem monumentalen Sammelband, den sie gemeinsam mit Fred Massarik herausgab: The Course of Human Life. A Study of Goals in the Humanistic Perspective. New York 1969 (dt. 1969. Lebenlauf und Lebensziele. Studien in humanistisch-psychologischer Sicht. Stuttgart.); 3. in dem populärwissenschaftlich und als Ratgeber konzipierten Werk: Wenn das Leben gelingen soll. Dieser Band ist in deutsch geschrieben und auch nur in Deutschland erschienen und zwar in München/ Zürich, 1969. Auf der Basis ihrer klinischen Tätigkeiten in Kalifornien gewann sie Kontakt zu den amerikanischen Kreisen, die mit der vorwiegend psychoanalytisch orientierten Psychotherapie unzufrieden waren und die sich erst recht von der dominanten, am Behaviorismus orientierten, experimentell und rein forschungsorientierten Psychologie abwenden wollten. Diese Psychologengruppen schlossen sich 1962 auf einem denkwürdigen programmatischen Kongreß zur “Gesellschaft für humanistische Psychologie” zusammen. Charlotte Bühler war eine der Initiatoren und Organisatoren dieses Kongresses und der Gründung dieser Gesellschaft. Fortan kann sie als energische Verfechterin dieser Richtung in der Psychologie bezeichnet werden. Auf diese Weise vollzog sie selbst noch einmal programmatisch und auch wissenschaftspolitisch eine Kritik und Auseinandersetzung, die ihr Mann im Wien der zwanziger Jahre theoretisch entfaltet und sehr differenziert in seinem Buch Die Krise der Psychologie (1927) geführt hat. In ihrem letzten Buch bemüht sie sich um eine theroretische Erläuterung und Präzisierung der Humanistischen Psychologie. 32 Insbesondere geht es ihr darum, dieser Sammelbewegung von z.T. sehr unterschiedlichen amerikanischen und vor allem klinisch orientierten Psychologen durch Rückbesinnung auf humanistische Positionen und Traditionen in der europäischen Geistesgeschichte historische Fundierung zu verleihen. Ferner stellt sie die grundsätzliche lebenspraktische Bedeutung der Psychologie heraus und betont deren Verantwortung für die Zukunftsgestaltung der Menschheit. Die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte Charlotte Bühler zum Teil mit Vortragstätigkeiten in Europa und Reisen in der alten Heimat, Besuchen bei ihren Kindern und, in den letzteren Jahren, der Planung für eine mögliche Rückübersiedlung nach Deutschland. Aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes, der Charlotte Bühler weitgehend an den Rollstuhl zwang, verbrachte sie die letzten Jahre ihres Lebens in der Nähe ihres Sohnes in Stuttgart. Inwieweit sie ihr eigenes Alter, ihr Leiden im Alter und ihre Gebrechlichkeit zu einem Aspekt ihrer Auffassung vom menschlichen Lebenslauf verarbeiten konnte, ist nicht bekannt. Ebenso ist offen, wieweit es ihr gelang, ihr Leiden seelisch zu verarbeiten. 33 In jedem Fall Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 191 (so vermuten wir) muß ihre Hilfsbedürftigkeit im Alter ihrer “faustischen” Lebenshaltung extrem zuwider gelaufen sein. 34 Charlotte Bühler starb am 3. Februar 1974 in Stuttgart. Ihr wissenschaftliches Werk - Anspruch auf Selbstverwirklichung Um das Lebenswerk von Charlotte Bühler darzustellen, läßt sich einleitend festhalten, daß sie in bezug auf ihre wissenschaftlichen Arbeiten große Ambitionen und einen großen Anspruch vertrat. Dieser Anspruch wird z.B. darin deutlich, daß sie sich vornahm, den menschlichen Lebenslauf als Ganzes zu erfassen, in allen Aspekten, die ihn gestalten und die für das Individuum zu bewältigen sind, von den Strukturtendenzen bis zu Zielen und Werten, die einen Lebenslauf bestimmen. Die wissenschaftliche Analyse wird von der Ambition geleitet, sowohl die Biologie, also die naturwissenschaftliche Seite, sowie die Geisteswissenschaften, speziell die Philosophie, als Analyseinstrumente einzubeziehen. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch erstaunliche methodische Vielfalt und inhaltliche Breite aus. Der Charakter ihrer Arbeit ist ebenfalls sehr vielfältig, er reicht von Werken mit empirisch naturwissenschaftlichem Anspruch bis zu den bereits erwähnten Tests und dann in den späten Jahren bis zu einer Reihe von Büchern, die eher geisteswissenschaftlich geprägt sind, und solche, die in der Tradition psychologischer Ratgeber mit pragmatischer Orientierung stehen. Ihr mehrdimensionaler Anspruch ist einerseits imponierend und bewunderungswürdig (ihr Werk zeugt auch von großer Energie, Tatkraft und Arbeitswut), andererseits, so meinen wir, übernimmt sie sich gelegentlich mit diesem Anspruch. Bis in die 60er Jahre nimmt sie wenig explizite Reduktionen vor und vermeidet in der Regel eine Auseinandersetzung mit den Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten für das von ihr gewählte hochkomplexe Forschungsgebiet, den menschlichen Lebenslauf. 35 Ebenso vermeidet sie jegliche kritische Selbstreflexion und damit auch ein Gewahrwerden eigener Bedingtheiten. 36 Der speziell Charlotte Bühlersche wissenschaftliche Stil besteht u.E. darin, daß sie einerseits hartnäckig an ihrer Grundfragestellung, nämlich der Erforschung von Faktoren und strukturellen Gesetzmäßigkeiten, die die menschliche Entwicklung und den menschlichen Lebenslauf als Ganzes bestimmen, festhält und in immer neuen Werken behandelt. Andererseits reagiert sie auf die Herausforderung durch neues und anderes tendenziell mit der additiven und zugleich unbekümmert selektiven Aufnahme dieser fremden Gedanken in das Spektrum ihrer Gesichtspunkte. Das Gigantische und Hartnäckige neben dem Unbekümmerten und mitunter Ungenauen, das wir feststellten, führte bei unserer Auseinandersetzung mit ihrer Arbeitsweise zu widersprüchlichen Bewertungen: Wir schwankten immer wieder zwischen Bewunderung und Kritik. 37 Modifikationen in den späteren Lebenslaufarbeiten Die 2. Auflage des Werkes “Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem” (1959) zeichnet sich dadurch aus, daß Charlotte Bühler hier (ohne dies zu erwähnen) eine wichtige Modifikation ihres früheren Zugangs vornimmt und die vier “Grundtendenzen” des Lebens(laufs) theoretisch entwickelt. Sie nennt diese: Bedürfnisbefriedigung, selbstbeschränkende Anpassung, schöpferische Expansion, Aufrechterhaltung der inneren Ordnung. Diese Kategorien, so meint sie, seien sowohl zur Charakterisierung von Individuen und zum Verständnis ihrer Störungen geeignet - insoweit seelische Gesundheit einen Zustand des Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 192 Fließgleichgewichts zwischen diesen vier in Spannung befindlichen Polen darstelle -, als daß sie zur Analyse des Lebensverlaufs dienen könnten, da sie in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich dominant seien. Gleichwohl verwendet Charlotte Bühler diese Kategorien bei der Untersuchung und Beschreibung von Lebensläufen und -konflikten nur gelegentlich; sie erweisen sich offenbar für die Analyse der Problematik einzelner Fälle als zu allgemein. Die Annahme der vier Grundtendenzen bestimmt aber fortan ihr Menschenbild; sie behält sie bis in ihre letzten größeren Arbeiten bei und vertritt sie auch in zahlreichen Aufsätzen. Eine weitere Modernisierung in dieser Neuauflage besteht darin, daß Charlotte Bühler in der Einleitung einen Überblick über den Stand der entwicklungspsychologischen Forschung ihrer Zeit versucht; ein Überblick, der u.E. ein Dokument angestrengten Bemühens um eine souveräne Gesamtschau darstellt, während sie die Auseinandersetzung mit bedeutenden konkurrierenden Ansätzen (z.B. Eriksons Entwicklungsmodell) nicht bzw. nur sehr oberflächlich führt (vgl. Anmerkung 42). Eine Modifikation liegt auch in der Verwendung des zugrundeliegenden empirischen Materials vor: Sie reduziert ihr Lebenslaufmaterial insofern, als sie anstelle der bedeutenden europäischen Lebensläufe (wie noch 1933) Lebensläufe von repräsentativeren ‘Durchschnittsmenschen’ stärker berücksichtigt (1959). 38 Zehn Jahre später nimmt sie einen weiteren Anlauf, den menschlichen Lebenslauf zu analysieren, und zwar mehr bezogen auf den Gesichtspunkt der Lebensziele. Bezeichnenderweise stellt dieses Werk einen Sammelband verschiedener Autoren dar, nicht mehr eine eigene einheitliche Gesamtdarstellung. Die Arbeit, die sie gemeinsam mit Fred Massarik herausgibt, trägt den Titel: Lebenslauf und Lebensziele. Studien in humanistisch-psychologischer Sicht. Offensichtlich hat hier eine Reduktion zweier Ansprüche stattgefunden. Sie delegiert einen Teil ihres Monumentalanspruches aus dem früheren Werk an andere Wissenschaftler; dadurch gewinnt ihr Zugang an Wissenschaftlichkeit und Präzision. Zudem sind alle Beiträge auf den Aspekt der Entwicklung des individuellen Zielsetzungsprozesses und des Verständnisses seiner Dynamik fokussiert; sie erfahren damit eine Eingrenzung. Andererseits verlangt der Gesichtspunkt der Zielsetzung eine erstaunliche Vereinheitlichung von Fragestellungen, die dem Buch angesichts der Vielfalt gerade der methodischen Ansätze der verschiedenen Autoren eine für Sammelbände ungewöhnliche Dichte und Verbindlichkeit verleiht. Das Ringen um eine multiperspektivische Sicht des menschlichen Lebenslaufs wird präsent. Im selben Jahr erscheint in deutscher Sprache das Buch Wenn das Leben gelingen soll 39 , ein mit vielen Fallbeispielen und Bildmaterial angereicherter Versuch, einer breiteren Öffentlichkeit Einblick in die Zusammenhänge zu verschaffen, die aus Charlotte Bühlers Sicht Erfüllung und Nichterfüllung von Lebenserwartungen bedingen und zugleich die Fähigkeit anregen, Selbstaufklärung über Ziel- und Wertentscheidungen zu betreiben. Letztlich sieht sie die Selbstgestaltungs- und Entscheidungsfähigkeit des Menschen als die wesentlichen Kräfte an, zu deren Aktivierung eine Humanistische Psychologie beizutragen hat. Die determinierenden Faktoren und die Frage der Störbarkeit und Behinderung von Entwicklungsprozessen treten demgegenüber bei ihr eher in den Hintergrund. Charlotte Bühlers Verhältnis zu Freud und zur Psychoanalyse Marie Jahoda beschreibt in ihren Erinnerungen das Wiener Institut und das intellektuelle Leben an diesem Institut folgendermaßen: Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 193 “Eine ganze Reihe von uns haben ein intellektuelles Doppelleben geführt. Im psychologischen Institut der Bühlers hat Freud kaum existiert. Der Bühler hat gelegentlich eine Vorlesung gehalten, in der er Freud angegriffen hat. Im Prinzip war die akademische Psychologie unbeeinflußt von der Analyse. Und in den kleinen, intensiven Seminaren, die wir bei den Bühlers gehabt haben, wäre es uns allen schlecht ergangen, wenn wir die Psychoanalyse verteidigt hätten. So haben wir sie halt nicht verteidigt. Aber im Privatleben sind viele von den Studenten im Institut in Analyse gewesen, und wir haben es durchaus diskutiert. Es war ein wirkliches intellektuelles Doppelleben, das wir geführt haben.” (1989, S. 109) 40 Dieses Zitat belegt in pointierter Weise, daß das Wiener Psychologische Institut bzw. die Wiener Schule der Psychologie (wie Charlotte Bühler sie später apostrophiert) in seinen/ ihren Grundzügen zu verstehen ist als Antithese bzw. als Negation der Freudschen Lehre und des am gleichen Ort befindlichen Freudschen Institutes (das Wiener Psychoanalytische Institut). Zwei soziale und geistige Einheiten existierten unmittelbar nebeneinander - so muß man sich das vorstellen - und hatten lediglich durch Personen vermittelte, indirekte Kontakte und inspirierende Wirkungen (wobei diese Wirkung eher einseitig war, denn Freud hat Charlotte Bühler und das Bühlersche Institut offenbar überhaupt nicht zur Kenntnis genommen). Der Bühler-Biograph Lebzeltern betont, daß Freud damals gesellschaftlich verfemt war und wissenschaftlich noch nicht ernst genommen wurde, während die Bühlers bewundert und hochgeachtet waren, so daß kaum jemand auf die Vermutung gekommen wäre, Freud könnte nach seinem Tode bekannter werden als Bühler (a.a.O., S. 38). Und er zitiert Hofstätter: “Noch in den zwanziger Jahren, nachdem die Hauptwerke Freuds schon sämtlich vorlagen, gehörte es beinahe zum guten Ton, deren Existenz entweder ganz zu verschweigen oder mit einer kurzen, aber kraftvollen Widerlegung zu quittieren.” (Lebzeltern, S. 41) So ist Siegfried Bernfelds polemische Kritik an Charlotte Bühler, die sich in ihren Schriften zum Jugendalter ganz in dem von Hofstätter charakterisierten Habitus gegenüber Freud äußert und zugleich seine Schriften ignoriert, zu verstehen als ein Aufbegehren gegen die Arroganz der wissenschaftlich Etablierten im Umgang mit Freud. Die brillant formulierte und mit berechtigter Kritik untermauerte Verhöhnung von Charlotte Bühler (besonders hinsichtlich ihres Souveränitätsgestus, aber auch ihres methodischen Vorgehens wegen) ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie ein engagierter Psychoanalytiker erzürnt ist darüber, wie die Bedeutung Freuds verkannt und verleugnet wird. Freud wird von Charlotte Bühler, so Bernfeld, gleichzeitig unqualifiziert herabgewertet und dennoch - unverschämt oder unbewußt? - als Quelle für das eigene Denken ausgeschlachtet. Hinsichtlich ihrer Verwendung von Jugendtagebüchern (einem Thema, dem Bernfeld später eine eigene Arbeit gewidmet hat) 41 wirft er ihr Naivität im Umgang mit unbewußten Prozessen vor: Im Tagebuchmaterial läge, so Bernfeld, eine Transformation, nicht eine Dokumentation seelischer Prozesse vor. Eine Reaktion ihrerseits auf Bernfelds Kritik ist nicht überliefert. 42 Charlotte Bühler schreibt selbst rückblickend über ihre Auseinandersetzungen mit Freud folgendens: “Es war und bleibt Bühlers Überzeugung [die durch ähnliche Anlässe und Untersuchungen von Charlotte Bühler bestärkt wurde], daß das Lebewesen primär unter der Perspektive dieses Kreativitätsprinzips verstanden werden muß, d.h. im Hinblick auf die Fähigkeit, neue Formen auszubilden, während die dynamische Psychologie das Leben im wesentlichen als eine Überwindung von Störungen im Interesse einer Wiederherstellung des Gleichgewichts betrachtet. Dieses letztere Prinzip, dem für das Verständnis und die Behandlung von Neurosen grundsätzliche Bedeutung zukommt, reicht nach Bühlers Meinung nicht für das Verständnis von fundamentalen Lebensprozessen aus.” 43 Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 194 In ihrer Selbstdarstellung bedauert sie dann allerdings die überwiegend negative Beziehung von Karl und ihr selbst zu den Psychoanalytikern in Wien ausdrücklich und betont für ihre Person: “Erst in Amerika, wo die extrem einseitige Betonung der Sexualität abgelehnt wurde, wo Fallstudien mit kritischen und undogmatischen Überlegungen zugänglich wurden, wo speziell unter Heinz Hartmanns Führung die Rolle bewußter Ichprozesse in Abhebung von unbewußten Prozessen und Regressionen in den Vordergrund trat, wo ferner theoretisch wissenschaftlich befriedigendere Formulierungen wie etwa von Lawrence Kubie und anderen vorlagen, erst hier fand ich es möglich, den theoretischen Kern der Analyse für mich klarzustellen und Stellung dazu zu nehmen.” (A.a.O., S. 30.) Gleichwohl vermittelt ihre in der späten Lebensrückschau vorgenommene Selbstzuordnung in die Nähe der Ich-Psychologen und speziell auch zu Karen Horney den Eindruck einer gewissen nachträglichen Glättung eines auch noch in Amerika durchaus zwiespältigen Verhältnisses zur Psychoanalyse, das sich nicht zuletzt im programmatischen Eintreten für eine “dritte Kraft” in der Psychologie gerade auch in Abgrenzung zur Psychoanalyse ausdrückt. Auf jeden Fall aber verändert Charlotte Bühler ihre Einschätzung der Psychoanalyse nach der Emigration ganz wesentlich. Aus dem Zwang heraus, als Psychologin nun zunächst außerhalb von Universitäten praktisch und d.h. klinisch arbeiten und Geld verdienen zu müssen, macht sie völlig neue Erfahrungen, die sie später als sehr bedeutsam einschätzt: “Ich wußte bereits in Europa, daß ich ohne tiefere praktische Einblicke sowie theoretische Einsichten in Motivationsprozesse mit meiner Lebens- und Entwicklungspsychologie nicht weiterkommen würde … Deshalb wurden für mich die Stellungen als klinischer Psychologe im Minneapolis und Los Angeles General Hospital, der Klopfersche Rorschach Kurs 44 und ein Jahr psychoanalytischer Erfahrung zu Lehrjahren, die ich konstruktiv ausnutzen konnte. Für mich lag die Schwierigkeit der Entwicklung der Psychologie in Amerika nicht darin, daß Prozesse in den Vordergrund geschoben wurden, sondern nur in der spezifischen Festlegung auf die Psychoanalyse. Mit dieser konnte ich mich trotz meiner Bewunderung für das Prinzip der tiefenpsychologischen Exploration als solcher, im Hinblick auf die theoretische Deutung von Lebensprozessen nicht identifizieren. 45 Sieben Jahre später charakterisiert sie dieselbe Phase rückblickend noch einmal und gibt dabei auch Hinweise auf das von ihr selbst praktizierte “undogmatische” therapeutische Vorgehen: “Inzwischen arbeite ich mich durch die Psychoanalyse, theoretisch und praktisch. Soweit es nur möglich war, diese Durcharbeit zu verwirklichen, erlebte ich an mir selbst die ungeheure Bedeutung der Tiefenexploration. Obwohl undogmatisch im Hinblick auf Komplexe und Freudsche Mechanismen, so bediente ich mich selbst zunehmend einer Art von Tiefenuntersuchung, die sich in Amerika in weiten Kreisen herausgebildet hat. Es ist eine Befragung, die dem ‘Warum’ bis zu ehrlicher Selbstdurchdringung von Beweggründen und Zielen nachgeht, ohne weitgehende Umdeutungen vorzunehmen. Der Exploration folgt dann jedoch, wenn Freiheit von emotionalen Verzerrungen der Motivation erreicht ist, eine Untersuchung von Zielen und Werten des Lebens, die bis dahin in dieser Weise nie in die Psychotherapie einbezogen gewesen waren.” 46 Die von ihr vollzogene Integration von Aspekten des psychoanalytischen Vorgehens (weniger der psychoanalytischen Theorie) findet u.E. eine Art Erläuterung in ihrer populärwissenschaftlichen Arbeit Psychologie im Leben unserer Zeit (1962). 47 Dort unterscheidet sie die “vorfreudianische” von der “nachfreudianischen” Persönlichkeit, die nebeneinander an- Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 195 zutreffen seien, und die sich dadurch unterschieden, daß bei letzteren die Annahme unbewußter Strebungen ins Alltagsbewußtsein eingegangen sei. So ist Charlotte Bühler vielleicht auch selbst als “nach-freudianische” Psychologin zu verstehen, die sich gleichwohl weiterhin von Freud abgrenzt. Ein Rest der von Bernfeld zornig aufgegriffenen Widersprüchlichkeit im Umgang mit der Psychoanalyse bleibt noch in Amerika bestehen. In ihren späten Arbeiten 48 rückt sie sich selbst dann wiederholt und gern in die Nähe der Ich-Psychologen, die in der Tat ähnliche Fragestellungen aufgreifen, wie sie selbst. Die Unterschiede zwischen ihrem Ansatz und dem der Ich-Psychologen lassen sich wiederum am Stellenwert der Freudschen Lehre (insbesondere der Libidotheorie) für die Theoriebildung festmachen, zu der Charlotte Bühler zeitlebens in einem Spannungsverhältnis bleibt. 49 Ihre eigene Tätigkeit als Psychotherapeutin hat Charlotte Bühler in ihrer 1962 erschienen Arbeit Values in Psychotherapy 50 reflektiert. Sie stellt sich darin die Frage, wie weit der Therapeut in den Wert- und Zielentscheidungsprozessen seiner Patienten selbst Stellung beziehen darf oder wie weit auch hier eine therapeutische Abstinenz einzuhalten sei. Offenbar setzt sie sich hier mit ihrer eigenen, auch in vielen anderen nichttherapeutischen Arbeiten festzustellenden Tendenz, Werturteile zu fällen, auseinander. Sie vertritt in dieser späten Arbeit den Standpunkt, daß eine Therapie ohne wertende Stellungnahme des Therapeuten grundsätzlich nicht möglich sei, daß es aber vehemente Unterschiede in der impliziten oder expliziten Deutlichkeit dieser Haltung gebe. Die Ziel- und Wertklärungsarbeit als zweiten Teil des therapeutischen Prozesses sieht sie, wie aus dem letzten Zitat hervorgeht, als ihren originären Beitrag zur Psychotherapie an. Die Nachrufe Gemessen an der Bedeutung Charlotte Bühlers für die Psychologie und die Entwicklungspsychologie unseres Jahrhunderts finden sich erstaunlicherweise in der uns heute zugänglichen Literatur nur wenige Nachrufe. Die uns zugänglichen Nachrufe stammen von Robert Havighurst, Hans Thomae, Gertrud Meili-Dworetzki und Lotte Schenk-Danzinger. Ihr Tod fiel in eine Zeit, in der die Rezeption ihrer Werke in Europa stark nachgelassen hatte. Um den Eindruck zusammenzufassen, den die genannten Nachrufe vermitteln, läßt sich sagen, daß in den ersten drei Nachrufen das Frühwerk Charlotte Bühlers gewürdigt wird, ihre populärwissenschaftlichen Arbeiten erwähnt werden, aber ihre Arbeiten nach der Emigration nur mit Erwähnung ihres populärwissenschaftlichen Werks aufgegriffen werden. In bezug auf die Persönlichkeit Charlotte Bühlers bleiben die Nachrufe von Thomae und Meili- Dworetzki sehr distanziert, der Nachruf von Havighurst klingt teilweise freundschaftlich, macht aber auch deutlich, daß Charlotte Bühler eine Persönlichkeit verkörperte, zu der man u.U. besser Distanz einhalten sollte bzw. die es einem nahe legen konnte, auf Distanz zu gehen. Schenk-Danzinger klingt ihrer Lehrerin gegenüber wesentlich freundlicher und bewundernder. Offensichtlich sind Stil und Aussagekraft der Nachrufe auch als Reflexe auf die persönliche Erfahrung der einzelnen Autoren mit der Verstorbenen zu verstehen. Der persönlichste der Nachrufe stammt von Robert Havighurst, der Charlotte Bühler als “indomitable woman” kennzeichnet. Havighurst selbst schreibt, daß diese Bezeichnung sehr viel von dem erklärt, was ihre Persönlichkeit gewesen sei. 51 Darüber hinaus kennzeichnet Havighurst Charlotte Bühler folgendermaßen: “Nobody who knew Charlotte Bühler would call her a ‘shrinking violet’. She believed in herself and let other people know it.” Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 196 Ihre Werkbiographie charakterisiert Havighurst mit dem Satz: “She has come through many difficult trials, always a winner, and always a first-class scientist.” In der Einschätzung ihres wissenschaftlichen Werkes bezieht Havighurst sich zum einen auf Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem, zuerst erschienen im Jahre 1933, zum anderen auf Die Psychologie im Leben unserer Zeit, erschienen 1962. Havighurst bedauert, daß dieses späte Werk von Charlotte Bühler nie ins Englische übersetzt worden sei. Für ihn bietet dieses Werk einen meisterhaften Überblick über die Entfaltung der Entwicklungspsychologie als Disziplin und stellt gleichzeitig eine reife Ausformulierung der Entwicklungspsychologie des gesamten Lebenslaufs dar. Der Nachruf von Hans Thomae 52 wird damit eingeleitet, daß Charlotte Bühler eine seltene Fähigkeit besaß, Phänomene der Entwicklung und Dynamik menschlichen Erlebens zu sehen und diese Sicht vielen Menschen evident zu machen. 53 Thomae stellt Bühlers Leistung in den Zusammenhang einmal ihrer Zeit, d.h. der sozialen, biographischen und persönlichkeitsspezifischen Konstellationen, die sich in Wien der Jahre 1922 bis 1938 ergaben, sowie in die Zusammenarbeit mit bedeutenden Schülern von Karl und Charlotte Bühler. Er würdigt ihre frühen Arbeiten als Beitrag zur Klärung entwicklungspsychologischer Probleme im frühen Kindesalter, sowie im Jugend- und Erwachsenenalter. Als wichtigste Arbeit bezeichnet Thomae ihr Buch Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (1933 1 , 1955 2 , 1959 3 ). Seiner Meinung nach wird hier zum ersten Mal in fundierter Weise die These vertreten, “daß menschliche Entwicklung ein Problem der gesamten Lebensspanne sei”, so daß Bemühungen einer “life-span-developmental psychology” letzten Endes auf diese Arbeit zurückzuführen seien. Thomaes Nachruf zeichnet sich dadurch aus, daß Charlotte Bühler als Person nicht lebendig wird, und ihre wissenschaftliche Arbeit nur insofern gewürdigt wird, als er sich auf die frühen Arbeiten vor der Emigration bezieht. Für die Zeit in den USA ist für Thomae lediglich Charlotte Bühlers Bemühung um eine “Gesellschaft für humanistische Psychologie” wichtig. Der Nachruf von Meili-Dworetzki bleibt der Person Charlotte Bühlers gegenüber eigentümlich distanziert. 54 In bezug auf ihre wissenschaftliche Arbeit klingt ihr Nachruf ähnlich wie Havighursts, sie würdigt als letzte große Leistung Charlotte Bühlers ihre Psychologie im Leben unserer Zeit (1962). Diese Arbeit bietet ihrer Meinung nach eine Überschau über die Ergebnisse der Psychologie heute, “die dem interessierten Laien den Nutzen der Psychologie für das persönliche Leben nahe bringen soll, aber auch als Einführung in die Psychologie dienen kann”. Die Leistung Charlotte Bühlers als Wissenschaftlerin wird von Meili-Dworetzki reichlich geschmälert, ihrer Meinung nach hat die Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie Charlotte Bühler lediglich “manchen Denkanstoß zu verdanken”. Lotte Schenk-Danzinger, eine der ehemaligen Assistentinnen Charlotte Bühlers der Wiener Zeit, schreibt als Nachruf eine kenntnisreiche Darstellung ihres gesamten Lebens und Werkes. 55 Sie stützt sich neben ihrer persönlichen Erfahrung vor allem auf Charlotte Bühlers Selbstdarstellung von 1972. Über die Zusammenarbeit in Wien schreibt sie: “In dieser Synthese von Freiheit zur individuellen wissenschaftlichen Entfaltung und Gebundenheit an einen übergeordneten Forschungsplan lag das Geheimnis der Produktivität des von Charlotte Bühler geleiteten Arbeitskreises.” (S. 206f.) Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 197 Bezüglich der Bedeutungen der Wiener Forschungen hebt sie das Inventar der Verhaltensweisen im 1. Lebensjahr als Arbeit “mit der größten Langzeitwirkung” besonders hervor. Sie betont den unermüdlichen Schaffensdrang Charlotte Bühlers und verweist auf einen Brief kurz vor ihrem 80. Geburtstag, in dem es heißt, “daß sie nicht ans Aufgeben denke und an zwei neuen Büchern arbeite” (ebd., S. 208). Im Schlußsatz ihres - eigentlich als Würdigung zum 80. Geburtstag konzipierten - Nachrufes klingt Bühlersche Terminologie zur Analyse von Lebensläufen an: “Ein reiches Leben hat sich erfüllt. Ihr Werk, bis zuletzt auf der Höhe der Forschung, wird sie überdauern.” (ebd., S. 208). So scheint der Nachruf fast mehr von der Bühlerschen “Innensicht” und den Akzentsetzungen der Selbstdarstellung geprägt zu sein, als daß er eine Außensicht darstellt. Gleichwohl hebt er sich mit seiner detaillierten Würdigung von Leben und Werk Charlotte Bühlers und durch seinen ungleich höheren Informationsgehalt von den anderen Nachrufen deutlich ab. Frau und Wissenschaftlerin Charlotte Bühler erwähnt die Tatsache, daß sie als eine der ersten Frauen in die Domäne der Psychologie eingedrungen ist, selbst in kaum einer ihrer Äußerungen. Sie studierte in einer Zeit, in der weibliche Studenten in Preußen erstmals in die Universitäten Eintritt fanden und in der weibliche Lehrstuhlinhaber eine utopische Vision waren - woraus zu schließen ist, daß sie ebenso wie andere Frauen eigentlich auf entsprechende Schwierigkeiten stoßen mußte, als Studentin und aufstrebende junge Wissenschaftlerin ernst genommen zu werden. 56 Solche Schwierigkeiten scheinen nicht ihr Thema gewesen zu sein. In ihrer Selbstdarstellung, die sie im Alter verfaßt, erwähnt sie über den Anfang ihrer wissenschaftlichen Arbeit in Berlin lediglich sehr positiv, daß es für sie eine ungewöhnliche Ehrung war, daß Karl Stumpf ihr eine Stelle als Assistentin anbot, so kurze Zeit nach der Öffnung der Studienmöglichkeit für Frauen an der Berliner Universität (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 17). In dieser Selbstdarstellung geht sie auch auf ihre Intentionen als studierende Frau ein: “Die damals in Deutschland vertretene Auffassung, daß Frauen niemals schöpferisch tätig wären, fand ich unakzeptierbar. Ich wußte, daß ich schöpferisch würde sein können, wenn mir Gelegenheit geboten würde und ich eine angemessene Ausbildung hätte.” (Selbstdarstellung, a.a.O., S. 15). Charlotte Bühler plante zu Anfang ihres Studiums ein Lehrerinnenexamen, um im Notfall einen Broterwerb zu haben. Ihr eigentlicher Plan war jedoch, das Fach Psychologie mit der Hoffnung auf eine Universitätsprofessur zu studieren - und nur, falls diese Laufbahn für sie verschlossen bleiben sollte, Gymnasiallehrerin zu werden. Offensichtlich wurde sie in diesem Anspruch von ihrem Vater unterstützt, mit dem sie sich (lt. Selbstdarstellung) stark identifizierte; dieser hielt nichts von einem Lehrerinnenexamen. Die junge Studentin legte ihr Lehrerinnenexamen in Kiel ab und kehrte 1914 sogleich nach Berlin zu ihrem Studium der Psychologie zurück. Sie promovierte 1918, und 1920, als in Deutschland die ersten Frauen zur Habilitation zugelassen wurden, habilitierte sich Charlotte Bühler als eine der ersten (bis 1933 waren es 148). 57 In einem der wissenschaftlichen Artikel der Wiener Jahre (1929) äußert sich Charlotte Bühler zu den Entwicklungsproblemen junger Mädchen 58 in einer Weise, die deutlich macht, daß sie für sich persönlich durchaus die Problematik gesehen hat, die traditionellen Bereiche der Frau mit ihren geistigen und beruflichen Interessen zu vereinbaren. Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 198 Sie weist aber auch auf eine Lösungsmöglichkeit hin - insofern, als sie diejenige Lebenseinstellung des jungen Mädchens beschreibt, welche die meisten Aussichten hat, einer Lösung entgegenzugreifen. 59 “Dieses Mädchen verleugnet nicht ihre natürlichen weiblichen Bedürfnisse, stellt nicht naturvergewaltigende Ansprüche an sich, wie wir es unter den Frauen der Frauenbewegung so vielfach beobachtet haben, sie sucht nicht, wie die Amerikanerin es tut, unter Aufgabe des weiblichen Hingabewillens sich nun ganz auf die Leistung zu stellen - sie sitzt aber auch umgekehrt nicht mehr einfach da, die Hände im Schoß, darauf wartend, bis das Leben und der Bräutigam zu ihr kommen oder nicht, sondern sie geht vorwärts und arbeitet und lernt, entschlossen im Leben so oder so nützlich zu sein, wie ihre Liebe, ihre Kraft für Menschen fruchtbar zu machen. Sie wird die Frau werden, die ohne Selbstvergewaltigung wie auch ohne unproduktive Passivität aus dem eigensten weiblichen Wesen heraus schöpferische Kräfte entfalten wird, die in Ehe oder Beruf oder beiden aus Hingabewilligkeit Leistung gestalten wird.” (Ebd., S. 176f.) Charlotte Bühler ging demnach durchaus davon aus, daß es so etwas wie ein weibliches Wesen gebe, das es zu erhalten gelte, dem sie allerdings schöpferische Kräfte zuordnet und die Fähigkeit, diese einzusetzen. Daß sie persönlich in ihrem Lebensweg versucht hat, sich als Frau und Mutter und Wissenschaftlerin durchzusetzen, ist deutlich. Wie in einem Porträt aus dem Jahre 1935 geschildert wird (von einer niederländischen Journalistin aufgrund eines Besuchs und Interviews in Wien verfaßt) 60 , widersprach sie zudem in ihrem Auftritt und in ihrem Aussehen allen gängigen Klischees über Frauen, die sich der Wissenschaft widmen. Charlotte Bühler war keineswegs eine graue Maus, die sich fern der Welt hinter den Büchern verkroch, sondern eine elegante, gutaussehende, lebenslustige, selbstsichere und weltgewandte Person (vgl. ebd., S. 276f.). Sie stellt sich der Journalistin gegenüber als eine Frau dar, die Glück hatte und zwar das Glück, gesund und kräftig zu sein, eine ausgezeichnete Pflegerin für ihre Kinder zu haben und einen Mann, bei dem sie stets Verständnis für ihre wissenschaftliche Arbeit gefunden habe (vgl. ebd., S. 289). Probleme der Vereinbarkeit ihrer divergenten Lebensbereiche scheinen für sie zu diesem Zeitpunkt (zumindest in dieser Außendarstellung) nicht drängend gewesen zu sein oder für sie nicht existiert zu haben. Nach Beschreibung der Journalistin beeindruckte ihre Fähigkeit, ihre Umwelt für sich zu gewinnen und in ihren Bann zu ziehen, und dennoch bei ihrer Arbeit (zu diesem Zeitpunkt die Beobachtung von Säuglingen) vollkommen sachlich zu sein. “Diese schöne, weibliche Frau ist bei der Arbeit, als Wissenschaftlerin, vollkommen ‘männlich’ eingestellt, denn sie schließt jedes Gefühl aus, solange sie mit ihren wissenschaftlichen Vorführungen beschäftigt ist.” (Ebd., S. 281) Wie sich für Charlotte Bühler die Arbeitsbelastung und die strukturellen Widersprüche zwischen den beiden Lebensbereichen, die sie zu bewältigen hatte, darstellten und wie sie für sich persönlich eine Lösung fand, wird von ihr ebenfalls erst im Alter, in der Selbstdarstellung thematisiert: Dort beschreibt sie den Zwiespalt, sich immer zwischen der Zeit für die Kinder und der Zeit für den Beruf entscheiden zu müssen. 61 Für die Wiener Jahre schildert sie den ungeheuren Reichtum des persönlichen und wissenschaftlichen Lebens, wie sie es mit Karl gestaltete, aber auf der anderen Seite auch das Opfer, das ihre Arbeit verlangte (z.B. in Form der Trennung von Mann und Kindern aufgrund eines zehnmonatigen USA-Aufenthaltes) (vgl. ebd., S. 25). Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 199 Charlotte Bühler hatte, wenn man ihren Lebensweg als Frau und Wissenschaftlerin beurteilen will, sicher das Glück, aus einem Elternhaus zu stammen, das ihr den notwendigen Rückhalt verschaffte, ihren geistigen und schöpferischen Impulsen zu folgen. Sie hatte zudem eine materielle Ausstattung von zu Hause, die es ihr von Beginn ihrer Ehe an gestattete, Hauspersonal einzustellen (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 22). Das kulturelle Niveau und der geistige Anspruch ihres Elternhauses mag ihr zudem eine weitere Basis gewesen sein, ihre expansiven Tendenzen in ihrem eigenen Leben auszuleben und nicht “Professorenfrau” (als Gattin Karl Bühlers) zu werden. Außerdem war sie von ihrer Persönlichkeit her geneigt, immer offensiv auf Herausforderungen zu reagieren. Sie wollte schon als junges Mädchen die Welt erkennen und den Sinn des Lebens erforschen und war immer der Überzeugung, daß sie dazu in der Lage war. (Insofern charakterisiert Charlotte Bühler sich in dem idealen Mädchen ihres Artikels von 1929 selbst.) Charlotte Bühlers persönlicher Aussage zufolge wollte sie immer beides, Wissenschaftlerin und ganz Frau sein, wollte heiraten und Kinder haben (vgl. ebd., S. 286). Die Vereinbarkeit von Säuglingspflege mit schöpferischer geistiger Arbeit war für sie ein Entwicklungsgang, ein Teil ihrer Menschwerdung (vgl. ebd., S. 288). Sie wußte immer schon, daß sie sich wissenschaftlich nur dann ganz entfalten könne, “wenn ich auch mein Frauenleben ganz leben konnte” (ebd., S. 289). 62 Zudem habe sie bereits in früher Jugend als Lebensgesetz erkannt, daß die Originalität weiblichen Schaffens aus spezifisch weiblichen Erlebnissen hervorgehen müsse (vgl. ebd., S. 290f.). Sie sei schon von Jugend an daran interessiert gewesen, Menschenkenntnis, Lebenskenntnis zu erwerben, das wirkliche Wesen der Menschen, ihre Charaktere, ihre Eigenschaften kennenzulernen (vgl. ebd., S. 286). 1929 schrieb sie bereits fast programmatisch zu diesem Thema: “Die es wagt, wird mehr leiden als jene, aber sie wird es sein, und sie ist es bereits, welche Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Erziehung wieder zur Besinnung auf das zurückführt, was sie insgesamt schon fast aus dem Auge verloren, das, zu dessen Dienst sie ursprünglich berufen war: Lebenswert nämlich und das Leben selbst.” (S. 176) Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird zu einem wesentlichen Impuls ihrer Lebenslaufforschung; ihr ganzheitlicher Ansatz, den sie in allen ihren Forschungen verfolgt, bleibt ein Charakteristikum ihres Wissenschaftsverständnisses. In den Ratgebern, die sie im Laufe ihres Lebens mehrmals verfaßt, kommt überdies ein Hilfsimpuls zum Ausdruck: Sie möchte den Menschen auch sagen, wie sie es besser und richtiger machen können. In ihren frühen Lebenslaufstudien und in den Ratgebern des Spätwerks läßt sich ihre Tendenz feststellen, bei der Beurteilung von Entscheidungskonflikten in den untersuchten weiblichen Lebensläufen auf einer Integration von Berufs- und Familienorientierung zu bestehen, um den analysierten Frauenleben Erfüllung zu attestieren: Ohne Partner- und Familienorientierung gibt es, so geht aus ihren Wertungen immer wieder (direkt und indirekt) hervor, für eine Frau keine wirkliche Lebenserfüllung (anders offenbar als für Männer). In einer späten Äußerung zu diesem Thema (1967) 63 wendet sie sich aber auch gegen eine bloße Familienorientierung der Frau: In ihrer Wiedergabe der amerikanischen Diskussion um die Position der Frau macht sie eine Schriftstellerin geradezu lächerlich, die sich für das einkommenslose Hausfrauenleben stark machte. Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 200 Charlotte Bühler vertritt vehement die Notwendigkeit einer ökonomischen Selbständigkeit der Frau - eine Position, die sie selbst immer gelebt hat. (Sie hat erheblich zum Einkommen und zum Wohlstand der Familie beigetragen). Trotz ihres Verhaftetseins in Vorstellungen über das “eigentliche” weibliche Wesen, die sie auch im Laufe ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht revidiert, ist für sie klar, daß Frauen einen Anspruch darauf haben, schöpferisch zu sein, in der wissenschaftlichen Welt präsent zu werden, entsprechende Positionen einzunehmen und Einfluß zu haben. Dennoch: Beim genaueren Hinsehen sagen Charlotte Bühlers Lebens- und Karrieredaten, daß sie - trotz aller Erfolge und trotz ihrer Berühmtheit - auch schon in Europa nie eine ordentliche Professur innehatte (im Gegensatz zu Karl Bühler). In Wien hatte sie eine außerplanmäßige Professur ohne Gehalt, in den USA war sie in verschiedenen Positionen, die sie bekleidete, in der Regel auf dem Status einer Assistenzprofessorin tätig. Ein weibliches Schicksal? Andererseits: Sie hatte großes Geschick darin, sich personelle Unterstützung in ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu organisieren und im Forschungsteam ihre Intentionen zu delegieren. In der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und in den für sie maßgeblichen Kreisen hat sie es immer geschafft, Gehör und Anerkennung zu finden. Charlotte Bühler hat sich ihren Platz erobert - jenseits aller Statushierarchien. Nachbemerkung Eine einheitliche Einschätzung der Person und des Werkes ist uns schwergefallen, wir schwankten selbst oft zwischen Bewunderung und Ablehnung. Insofern bleibt dieser Beitrag vielfältig in seinen Perspektiven - wir haben nicht versucht, zu glätten, was in der Person und im Lebenswerk selbst in aller Widersprüchlichkeit vorhanden war und gelebt wurde. Mit der Frage beginnend, ob wir wohl auf eine verkannte Wissenschaftlerin gestoßen waren, wurden wir neugierig auf Charlotte Bühler und ihr Werk. In unserer Beschäftigung mit ihr, in vielen Gesprächen und Recherchen, tat sich sodann allerdings eine Persönlichkeit für uns auf, die selbst schon zu Lebzeiten gut dafür gesorgt hatte, bekannt zu werden. Die Ganzheitlichkeit und Komplexität ihres Werkes und das Fundamentale der von ihr behandelten Fragestellungen läßt uns trotz mancher Kritik vermuten, daß es an ihr und ihrem Werk auch zukünftig immer wieder etwas “neu” zu entdecken geben wird. Summary This article presents the life and work of the scholar Charlotte Bühler (1893-1974) in the field of developmental psychology, which are analysed in its interweavings with the scientific development of her discipline and the historical conditions of her biography. An outstanding pioneer in her field in terms of both subject matter and method, Bühler had an holistic approach to the study of people’s lives. Her relationship to psychoanalysis as well as her position as a woman in science are important aspects for an appraisal of her life and work. By assessing the entirety of her scholary achievements, the article includes an analysis of the contradictory and ambivalent aspects of her work. Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 201 Werkbibliographie 64 Bühler, Ch. (1918). Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Zeitschrift für Angewandte Psychologie, 17. Bühler, Ch. (1919). Über Denkprozesse. Zeitschrift für Psychologie, 81. Bühler, Ch. (1919). Über die Vorgänge bei der Satzbildung. Zeitschrift für Psychologie, 81. Bühler, Ch. (1922). Das Seelenleben des Jugendlichen. Jena: Fischer. Neuauflage 1991. Stuttgart: G. Fischer. Bühler, Ch. (1922). Tagebuch eines jungen Mädchens. In Ch. Bühler (Hrsg.), Quellen und Studien der Jugendkunde, 1. Jena: Fischer. Bühler, Ch. (1924). Erfinden und Entdecken. Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 15. Bühler, Ch. (1925). Zwei Knabentagebücher. In Ch. Bühler (Hrsg.), Quellen und Studien zur Jugendkunde, 3. Jena: Fischer. Bühler, Ch. & Haas, J. (1925). Gibt es Fälle, in denen man lügen muß? In Wiener Arbeiten zur pädagogischen Psychologie, 1. Wien. Bühler, Ch. (1926). Kunst und Jugend (auch: Kunst und Pubertät). Zeitschrift für Ästhetik und Kunstwissenschaft, 20. Bühler, Ch. (1926). Die Schwärmerei als Phase der Reifezeit (auch: Über die Schwärmerei von Jugendlichen). Zeitschrift für Psychologie, 100. Bühler, Ch. (1926). Der 6jährige in psychologischer Betrachtung. In Handbuch für den Anfangsunterricht, 1, 1-14, Wien. Bühler, Ch. (1927). Die ersten sozialen Reaktionen des Säuglings. In Ch. Bühler (Hrsg.), Quellen und Studien zur Jugendkunde, 5. Jena: Fischer. Bühler, Ch. (1927). Jugend und Arbeit in ihrem psychologischen Verhältnis. In Giese (Hrsg.), Handbuch der Arbeitswissenschaft. Halle. Bühler, Ch. (1927). Das Problem des Instinkts. Zeitschrift für Psychologie, 103. Bühler, Ch. (1927). Vergleich der Pubertätsreifung von Knaben und Mädchen. In E. Stein (Hrsg.), Handbuch der Sexualpädagogik. Berlin. Bühler, Ch. (1927). Zwei Mädchentagebücher (2. erw. Auflage von Ch. Bühler, Hrsg., Tagebuch eines jungen Mädchens). Jena. Bühler, Ch. & Hetzer, H. (1927). Das Inventar der Verhaltensweisen im 1. Lebensjahr. In Ch. Bühler et al. (Hrsg.), Soziologische und psychologische Studien über das erste Lebensjahr. Jena: Fischer. Bühler, Ch. et al. (1927). Soziologische und psychologische Studien über das erste Lebensjahr. In Ch. Bühler et al. 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(1928). Das Seelenleben des Jugendlichen. Jena; Bühler, Ch. (1928). Kindheit und Jugend. Genese des Bewußtseins. Leipzig. 2 So ist ihre Arbeit Das Seelenleben des Jugendlichen im Jahre 1991 mit einem Vorwort von R. Oerter in 7. Auflage (Stuttgart, 1991) als UTB Nr. 1523 neu erschienen. 3 Vgl. Fend, H. (1990). Vom Kind zum Jugendlichen, Bern und die Würdigung R. Oerters in seiner Einleitung zur Neuauflage: Das Seelenleben des Jugendlichen, a. a. O. Fußnote 1. 4 Vgl. z.B. Völker, U. (1980). Grundlagen der Humanistischen Psychologie. In U. Völker (Hrsg.), Humanistische Psychologie. Ansätze einer lebensnahen Wissenschaft vom Menschen (S. 13-37). Weinheim/ Basel. 5 Vgl. die Einschätzung von H. Thomae im Nachruf auf Charlotte Bühler, siehe im folgenden. 6 Wir stützen uns im folgenden auf eine Menge von mündlichen Informationen, die uns der Herausgeber der Bühler-Studien und Verwalter des Bühler-Archivs, Prof. Dr. Achim Eschbach, Universität Essen, zukommen ließ. 7 Bühler, Ch. (1972). Charlotte Bühler. In L. J. Pongratz et al. (Hrsg.), Psychologie in Selbstdarstellungen (S. 9-42). Bern. Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 205 8 Was ein solches Elternhaus an Anregungen für ein heranwachsendes Kind bzw. Jugendlichen bietet, wird in den Schilderungen von Nicolaus Sombart über seine Jugend in Berlin plastisch deutlich (vgl. Sombart, N. (1984). Jugend in Berlin, München/ Wien). 9 Schenk-Danziger, L. (1963). Die Grundideen und die theoretischen Fragestellungen in Charlotte Bühlers Lebenswerk. In L. Schenk-Danziger & H. Thomae (Hrsg.). Gegenwartsprobleme der Entwicklungspsychologie. Festschrift für Charlotte Bühler (S. 9-18). Göttingen. 10 Nach den Recherchen des Bühler-Forschers Eschbach soll man sich das Zusammentreffen der beiden nicht so vorstellen, daß Karl Bühler als Professor mit leichter Hand seine Doktorandin eroberte, sondern seiner Meinung nach spricht einiges dafür, daß Charlotte Bühler sich aktiv Karl Bühler genähert hat und mit Erfolg seine bis dahin langjährige Freundin oder Verlobte verdrängt hat. Charlotte Bühler stellt diese Begegnung demgegenüber so dar, daß sie vom Werben Karls um sie äußerst überrascht und zunächst überfordert war (vgl. Selbstdarstellung, S. 19). 11 Bühler, Ch. (1984). Karl Bühler. Eine biographische Skizze. In Eschbach, A. (Hrsg.), Bühler-Studien, Bd. 1 (S. 25-30). Frankfurt/ Main. 12 Bühler, Ch. (1965). Die Wiener Psychologische Schule in der Emigration. Psychologische Rundschau, 187-196, 189. 13 Ihre Dissertation über Denkexperimente steht offenbar noch stark im Einfluß von Karls eigenem Forschungsansatz. Charlottes erste Publikation: Das Märchen und die Phantasie des Kindes geht auf Karls Anregung zurück und das mehrfach aufgelegte entwicklungspsychologische Werk Kindheit und Jugend von 1928 entsteht als Resultat eines von Karl an Charlotte weitergegebenen Forschungsauftrags (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 23). 14 1918 erschien Karl Bühlers vielbeachtetes Buch Die geistige Entwicklung des Kindes. 15 Hier stützen wir uns auf die mündlichen Informationen A. Eschbachs aufgrund seiner Interviews mit Zeitzeugen. 16 Die finanziellen Ressourcen waren zu einem großen Teil auf Charlottes Familie zurückzuführen; die Familie Malachowski hat sehr viel zu der Lebensführung des Bühlerschen Haushaltes beigesteuert. 17 Vgl. das von uns geführte Interview mit dem Bühler-Forscher Eschbach (1991) sowie die distanzierenden Bemerkungen Hildegard Hetzers in ihrer Autobiographie (S. 44): Hetzer, H. (1988). Eine Psychologie, die dem Menschen nützt. Mein Weg von Wien nach Gießen. Göttingen. 18 Kardos, L. Erinnerungen an Karl Bühler. In A. Eschbach (Hrsg.). A.a.O. (S. 31-39). 19 Vgl. Bühler, Ch. Karl Bühler. A.a.O., S. 27. 20 Nach Eschbach war Karl Bühler keineswegs der ebenso unpraktische wie total unpolitische Gelehrte, wie er bspw. von Lebzeltern (aber auch tendenziell von seiner Frau) dargestellt wird. 21 In unmittelbarem Zusammenhang des Kriegsgeschehens in Europa sind auch zwei Aufsätze mit politischer Fragestellung entstanden, in denen Charlotte Bühler sich mit den psychologischen Grundlagen des deutschen Faschismus auseinandersetzt: Bühler, Ch. (1945). What to do About Germany? In M. Gardner (Hrsg.), Human Nature and Enduring Peace. Cambridge, Mass.: Houghton Miflin Co., sowie Bühler, Ch. (1943). Why do Germans so Easily Forfeit their Freedom? The Journal of Abnormal and Social Psychology, 38, 149-157. 22 Er war somit fast am Ende eines universitären Arbeitslebens angelangt und konnte kaum erwarten, noch einen Lehrstuhl zu erhalten. 23 Nach Auskunft des Bühler-Forschers und Archivverwalters A. Eschbach werden genauere Angaben über diese Arbeiten Bühlers bis zur Editions-Reife zurückgehalten. 24 Die Bühlers haben auch in den ersten Jahren der Emigration keine wirkliche Not leiden müssen, obwohl sie sicher um ihre Existenz kämpfen mußten (vgl. Lebzeltern, G. (Hrsg.) (1969). Karl Bühler: Die Uhren der Lebewesen und Fragmente aus dem Nachlaß. Wien). Ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit war für Charlotte Bühler von großer Bedeutung (vgl. im folgenden). 25 Vgl. Bühler, Ch. Die Wiener Psychologische Schule in der Emigration. A.a.O., S. 191. 26 Rohracher, der Nachfolger auf Karl Bühlers Wiener Lehrkanzel, bot ihm nach Kriegsende an, auf diese zurückzukehren (vgl. Lebzeltern, a.a.O., S. 58f.). Lebzeltern betont, daß die Absage entscheidend davon bestimmt war, daß es für Charlotte dort keine Stelle gegeben hätte. 27 Was dieser Einbruch im Schaffen Karl Bühlers für einen wissenschaftlichen Verlust darstellt, wird in seinem ganzen Ausmaß deutlich angesichts einer sich im letzten Jahrzehnt neu entwickelnden Karl Bühler-Forschung, die deutlich macht, auf wie vielen Gebieten der Psychologie wie der Sprachforschung der Bruch in der Kontinuität der Bühler-Rezeption problematische Folgen auch für die Entwicklung der jeweiligen Disziplinen gehabt hat. So kann man heute eine neue Aktualität des Bühlerschen Werkes feststellen. (Eschbach bereitet auch eine Karl Bühler-Gesamtausgabe vor.) Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 206 28 Das Ausmaß dieser Forschung wäre ohne die großzügige Unterstützung der Rockefeller Foundation nicht denkbar gewesen. 29 Charlotte Bühlers erste Veröffentlichung erschien bereits 1918 mit dem Titel Das Märchen und die Phantasie des Kindes, später wurde aus diesem ersten Artikel, ergänzt um einen Aufsatz von Josefine Bilz, ein Buch, das bis heute im Buchhandel (Springer Verlag) erhältlich ist. Auch andere Werke von Charlotte Bühler aus dieser frühen Wiener Zeit sind bis heute im Buchhandel erhältlich bzw. werden z. T. wieder neu aufgelegt. Käuflich sind z.B. der Kleinkindertest, Das Seelenleben des Jugendlichen in 7. Auflage 1991, Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Ein späteres Werk, Die Rolle der Werte in der Psychotherapie ist ebenfalls noch im Buchhandel erhältlich. Das gleiche gilt bis vor kurzem für die mit Melanie Allen gemeinsam verfaßte Arbeit Einführung in die humanistische Psychologie, zuletzt erschienen bei UTB als Taschenbuch. 30 Vgl. Die geistige Entwicklung des Kindes. 31 Hetzer, H. (1982). Kinder- und jugendpsychologische Forschung im Wiener Psychologischen Institut von 1922 bis 1938. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie XIV (3), 175-224, 185. 32 Bühler, Ch. & Allen, M. (1972). Einführung in die humanistische Psychologie. Monterey, Kalifornien. 33 Noch auf ihren späten Portraitfotos, die sie offenbar auch als Autogrammkarten benutzt hat, erscheint sie mit ausgeschnittenen Kleidern, stark geschminkt und mit viel Schmuck. 34 Havighurst charakterisiert ihr Werk als von “faustischer” Fragestellung geleitet, (vgl. dessen Nachruf auf Charlotte Bühler, 1974. Human Development, 27, 399-400). 35 Eine Auseinandersetzung, wie sie bspw. ihren Zeitgenossen und Fachkollegen in Harvard, den Persönlichkeitstheoretiker G. W. Allport auszeichnet. 36 Die Reflexion eigener Bedingtheiten ist, um einen weiteren bedeutenden Zeitgenossen und Fachkollegen zu nennen, für den Psychoanalytiker und Entwicklungstheoretiker E. H. Erikson geradezu konstitutiv. 37 Bernfelds Verriß ihrer frühen Arbeit über das Seelenleben des Jugendlichen von 1922 unter der Überschrift Unkenntnis und Kühnheit bezeichnet treffend, wenn auch bitter ironisch, etwas von diesem spezifischen und frappierenden Nebeneinander von Größe (oder Größenanspruch) und gelegentlicher Begrenztheit bei Charlotte Bühler. In S. Bernfeld (1927). Die heutige Psychologie der Pubertät. Kritik ihrer Wissenschaftlichkeit. In S. Bernfeld (1970). Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse (S. 727-742). Meisenheim. 38 Charlotte Bühler benutzt diesen Terminus Durchschnittsmensch selbst. 39 Dieses Buch erreichte bis 1977 eine Auflage von über 60.000 Exemplaren. 40 In M. Greffrath (1989). Die Zerstörung einer Zukunft. Gespräche mit emigrierten Sozialwissenschaftlern (S. 109). Frankfurt/ Main. 41 Bernfeld, S. (1978). Trieb und Tradition im Jugendalter. Kulturpsychologische Studien an Tagebüchern. Frankfurt/ Main (Reprint der Ausgabe von 1931). 42 Daß Charlotte Bühler auch sonst gelegentlich mit konkurrierenden psychoanalytischen Denkansätzen nicht allzu sorgfältig umgeht - das meint Bernfelds Begriff der “Unkenntnis” - läßt sich auch für den Umgang mit E. H. Eriksons Entwicklungsmodell zeigen, das sie keineswegs angemessen darstellt und sich mit dem bloßen Hinweis auf den psychoanalytischen Charakter seines Ansatzes eine Auseinandersetzung erspart. Vgl. ihre wirklich ignorante Einschätzung (1959) von Eriksons Entwicklungsmodell. In Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (2. Auflage, S. 71). 43 In Ch. Bühler. Karl Bühler. A.a.O. (S. 30). 44 Unter dem Einfluß dieser Fortbildungen entwickelte Charlotte Bühler in den vierziger Jahren als Abkömmling des von Lowenfeld in die Kinderpsychiatrie eingeführten Weltspiels den standardisierten “World-Test” (einen projektiven Spieltest zur Diagnose geistiger und emotionaler Störungen bei Kindern), der in Deutschland von H. Hetzer und E. Höhn in den fünfziger Jahren adaptiert wurde und beachtliche Verbreitung fand (vgl. auch die vielen Titel hierzu in der Werkbibliographie). 45 In Chr. Bühler. Die Wiener Schule in der Emigration. A.a.O. (S. 191). Nicht geklärt ist bis heute, inwiefern Charlotte Bühler nicht bereits in ihren Wiener Jahren mehr teilnehmendes Interesse für die Psychoanalyse entwickelt hat als in ihren Schriften deutlich wird. (Eschbach vermutet, daß nicht nur viele ihrer Schüler ein Doppelleben führten - wie Marie Jahoda es nannte -, sondern Charlotte Bühler selbst ein intellektuelles Doppelleben geführt habe.) Belegt ist, daß sie eine leidenschaftliche Beziehung zu dem Psychoanalytiker Oswald Schwarzcz, einem Freudschüler, unterhielt, die bis zu Scheidungsplänen ihrerseits führte. So mag ihre Beziehung zur Psychoanalyse konstant durch Ambivalenz geprägt sein, und nicht so sehr durch Standortwechsel charakterisierbar. 46 Selbstdarstellung, a.a.O., S. 37. Der zweite Teil dieser Ausführung erinnert stark an existenzanalytisches Vorgehen, wie es von Viktor Frankl entwickelt wurde. Charlotte Bühler selbst allerdings, die schon zu Lebzeiten Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 207 in den Zusammenhang mit Frankl gestellt worden ist, betont Originalität mit dem Hinweis, “daß Frankl jahrelang nach mir seine dementsprechenden Veröffentlichungen machte” (Die Wiener Psychologische Schule, a.a.O., S. 194). Frankls Ärztliche Seelsorge erschien allerdings bereits 1946. 47 Dieses Buch ist das am weitesten verbreitete Werk Charlotte Bühlers. Es erreichte bis zum Jahre 1972 eine Auflage von 170.000. (Eine weitere, höchst erfolgreiche Arbeit ist Das Seelenleben des Jugendlichen. Es wurden im Laufe dieses Jahrhunderts über 100.000 Exemplare verkauft.) 48 Lebenslauf und Lebensziele, Selbstdarstellung. 49 Für ihre Auseinandersetzung mit Freud gibt Charlotte Bühler selbst die in den fünfziger Jahren erschienenen ersten Aufsätze nach der Emigration als wichtigste Positionsbestimmungen an. Vgl. Bühler, Ch. (1952). The Reality Principle. In American Journal of Psychotherapy und Bühler, Ch. (1952). Maturation and Motivation. In Dialectica. International Review of Philosophy of Knowledge. Zürich. 50 In deutscher Sprache erschienen (1965) unter dem Titel: Die Rolle der Werte in der Entwicklung der Persönlichkeit und in der Psychotherapie. Stuttgart. 51 Dem Sinn nach kann der Begriff übersetzt werden mit: “Eine Frau, die sich nicht kleinkriegen läßt”. Der Nachruf Havighursts (1974) ist erschienen in der Zeitschrift: Human Development, 17, 399-400. 52 erschienen (1974) in Psychologische Rundschau, 15, 149f. 53 Thomae bezieht sich damit auf eine Würdigung G. Reinerts auf dem 2. Kongreß der “International Society for the Study of Behavior Development” in Ann Arbor 1973. 54 erschienen (1974) in der schweizerischen Zeitschrift Psychologie, 33, 189f. 55 erschienen (1974) in Erziehung und Unterricht, 124, 205-208. Eine weitere Darstellung Werk und Bedeutung von Charlotte Bühler findet sich in Albert, D. (1985). Bericht über den 34. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Wien 1984, Göttingen; vgl. auch ihren Artikel in der Festschrift für Charlotte Bühler: Die Grundideen und die theoretischen Fragestellungen in Charlotte Bühlers Lebenswerk, a.a.O., S. 9-18. 56 Die Experimentalphysikerin Liese Meitner darf z.B. nur wenige Jahre früher ihr Institut in Berlin, in dem sie ihren Arbeitsplatz hat, nur durch einen Nebeneingang betreten und sich in den oberen Räumen, in denen sich Studenten aufhalten, nicht zeigen (vgl. Feyl, R., 1981. Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft, Berlin/ DDR, S. 166). 57 Die ersten ordentlichen Professorinnen an deutschen Universitäten wurden 1923 berufen, in Botanik und Erziehungswissenschaften. 58 Bühler, Ch. Beruf und Familienorientierung - Entwicklungsprobleme junger Mädchen. Neu erschienen in Brinker-Gabler, G. (1978). Zur Psychologie der Frau, Frankfurt/ Main, S. 169-177. 59 In ihrer Arbeit Drei Generationen im Jugendtagebuch (Jena, 1934) analysiert sie als Übergangstypus diejenige Generation von Mädchen, denen die Ausbildung zu irgendeinem Beruf bereits eine Selbstverständlichkeit geworden sei (1883-1890 geborene Mädchen); und zu Beruf und sachlichen Interessen bestehe eine völlig andere Beziehung als bei den nur wenige Jahre älteren Mädchen. Der Übergangsperiode entsprechend sei zunächst hauptsächlich der Lehrberuf als der frühest zugänglich gewordene Frauenberuf vertreten (vgl. ebd., S. 31). 60 Vgl. Ammers-Küller, J. von (1935). Charlotte Bühler. In Bedeutende Frauen der Gegenwart (S. 269-300). Bremen. 61 Ihre Kinder warfen ihr später vor, nicht genügend Zeit mit ihnen verbracht zu haben (vgl. Selbstdarstellung 1972, S. 22). Die Kinder hatten eine Gouvernante, die bei der Familie Bühler lebte. Nach Eschbach wurden auch die Assistentinnen, z.B. Hildegard Hetzer, für Charlotte Bühlers persönliche Entlastung eingesetzt; er geht so weit zu sagen, daß sie “wie Sklavinnen gehalten” wurden. 62 In ihrer späten Arbeit Psychologie im Leben unserer Zeit, die sie ihren Kindern und Enkelkindern widmet, schreibt sie im Vorwort, daß sie es ihnen widme, “die Wesentlichstes zur Erfüllung meines eigenen Lebens beitrugen und denen es in ihrer Zukunft gedanklich und menschlich beistehen möge.” (Bühler, Ch., 1962. München/ Zürich, Vorwort, S. 18). 63 Bühler, Ch. (1991). Neue Tatsachen und Gedanken zum Seelenleben des Jugendlichen. In Ch. Bühler. Das Seelenleben des Jugendlichen. Vorwort zur 6. Auflage. In 7. Auflage, Stuttgart, S. 13-42. 64 Wir danken an dieser Stelle Marianne Ganseforth und Elke Martin für ihre Unterstützung. Katja Kessel / Sandra Reimann Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache UTB 2704 M 2005, XII, 276 Seiten, zahlr. Abb., € [D] 14,90/ SFR 26,80 ISBN 3-8252-2704-9 Das Einführungsbuch beschäftigt sich mit sprachwissenschaftlichen Grundbegriffen. Es wendet sich an Studienanfänger der Germanistik, die die deutsche Gegenwartssprache im wissenschaftlichen Sinne durchschauen und unter analytischen Gesichtspunkten kennen lernen wollen. Gegenstand sind die wichtigsten Teilbereiche und Methoden der neueren deutschen Sprachwissenschaft. Besonders ausführlich werden die komplexen Kapitel Syntax und Wortbildung behandelt, die zum Kanon der meisten sprachwissenschaftlichen Prüfungen gehören. Didaktisch gut aufbereitete Kapitel leiten die Studienanfänger zu konkreten Analysen an. Jedes Kapitel enthält Übungen mit Lösungen und weiterführende Literatur, sodass die Studierenden auch die Möglichkeit haben, sich den Stoff selbstständig zu erarbeiten und ihre Kenntnisse zu überprüfen. Der Transfer in die Analysepraxis steht stets im Vordergrund. Das Buch ist als Begleitmaterial für Seminare und zum Selbststudium bestens geeignet, auch für den Studiengang Deutsch als Fremdsprache. Sprachwissenschaft A. Francke Quellennachweise Benussi, Vittorio: Die Gestaltwahrnehmungen. Bemerkungen zu den gleichnamigen Untersuchungen K. Bühlers. In: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, 69. Band (1914), S. 256-292. Bürmann, Ilse und Herwartz-Emden, Leonie: Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin des 20. Jahrhunderts. In: Psychologische Rundschau, 44 (1993), S. 205-225. Eschbach, Achim und Willenberg, Gabi: Karl Bühler über Aphasieforschung. In: Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik. 15. Jahrgang, 1. Heft (1990), S. 5-24. Krug, Josef: Zur Sprachtheorie. In: Beiträge zur Problemgeschichte der Psychologie: Festschrift zu Karl Bühlers 50. Geburtstag. Jena: Fischer, 1929, S. 225-258. Loenhoff, Jens: Karl Bühlers Ausdruckstheorie: zu einer Sematologie des Nichtsprachlichen. Originalbeitrag. Mulligan, Kevin: The Essence of Language: Wittgenstein’s Builders and Bühler’s Bricks. In: Revue de Métaphysique et de Morale. Avril-Juin 1997 - No. 2, S. 193-215. Toccafondi, Fiorenza: De Karl Bühler à Karl R. Popper. Philosophiques 26/ 2, Automne (1999), S. 279-300. Ungeheuer, Gerold: Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler. In: To Honor Roman Jakobson. Essays on the Occasion of his Seventieth Birthday. Vol. III; Mouton: Den Haag, (1967). S. 2067-2086. Wellek, Albert: Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie”. In: Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie 6: 1, (1959), S. 109-117. Wunderlich, Dieter: Karl Bühlers Grundprinzipien der Sprachtheorie. In: Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache, 79. Jahrgang (1969). Bibliographisches Institut: Mannheim, Zürich, S. 52-62. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen
