eJournals

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2011
343-4
KODIKAS/ CODE Ars Semeiotica An International Journal of Semiotics Volume 34 (2011) No. 3-4 Themenheft / Special Issue Als Ob: Repräsentation als virtuelle Praxis Herausgegeben von Ernest W.B. Hess-Lüttich und Daniel Rellstab ARTICLES Ernest W.B. Hess-Lüttich & Daniel H. Rellstab Als ob: Repräsentation als virtuelle Praxis Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Simone Neuber Als ob’s Gefühle wären Warum auf Fikta bezogene und durch diese individuierte Gefühle dennoch keine als-ob-Gefühle sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Lars C. Grabbe Geld als virtuelle Praxis Georg Simmels Beitrag zu einer semiotischen Werttheorie des “Als-Ob” . . . . . . . . . . 235 Doris Schöps Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Klaus H. Kiefer Le Corancan - Sprechende Beine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Mara Persello The Rise and Fall of the Subcultural Hero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Ursula Stalder Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde Digitale Out-of-Home-Medien an der Schnittstelle zwischen konkreten Orten und virtuellen Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Sascha Demarmels Als ob die Sinne erweitert würden … Augmented Reality als neue semiotische Ressource in der multimodalen Kommunikation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Yixin Wu und Christian Trautsch Die Als-ob-Struktur von Emotikons im WWW und in anderen Medien . . . . . . . . . . . 343 Martin Siefkes How artefacts get meanings: Material culture and imagination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Dagmar Schmauks Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung Die zunehmende Virtualisierung tierischer Lebenspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Die Autoren / The authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Die Anschriften der Autoren / Addresses of the authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Publication Schedule and Subscription Information The articles of this issue are available separately on www.narr.de The journal appears 2 times a year. Annual subscription rate 124,- (special price for private persons 99,-) plus postage. Single copy (double issue) 78,- plus postage. The subscription will be considered renewed each year for another year unless terminated prior to 15 November. Besides normal volumes, supplement volumes of the journal devoted to the study of a specialized subject will appear at irregular intervals. © 2013 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG P.O.Box 2567, D-72015 Tübingen All rights, including the rights of publication, distribution and sales, as well as the right to translation, are reserved. No part of this work covered by the copyrights hereon may be reproduced or copied in any form or by any means - graphic, electronic or mechanical including photocopying, recording, taping, or information and retrieval systems - without written permission of the publisher. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Setting by: NagelSatz, Reutlingen Printed and bound by: ilmprint, Langewiesen ISSN 0171-0834 Als ob: Repräsentation als virtuelle Praxis Zur Einführung Ernest W.B. Hess-Lüttich & Daniel H. Rellstab Schon die Partikelverbindung “als ob” übe, wie der Kant-Forscher Hans Vaihinger zu Beginn des 20. Jahrhunderts treffend bemerkte, mit ihrer “geheimnisvollen Gedankenverschränkung” einen besonderen Reiz aus. Mehr noch als die Semantik dieser Konstruktion interessieren jedoch die Phänomene, die mit einem “als ob” eingeklammert werden. Die philosophische und zeichentheoretische Auseinandersetzung mit dieser spezifischen Sorte von Phänomenen ist keineswegs eine Mode-Erscheinung unserer Tage. Sie hat vielmehr eine lange Tradition und beginnt, kaum überraschend, in der westlichen Welt bereits in der Antike. Aber sie gewinnt gerade jetzt eine neue Aktualität und hat zur Folge, dass die Bestrebungen, “Als Ob”- Phänomene zu verstehen, heute intensiv fortgeführt werden. Der Philosophie kommt, wie jeder weiß, die Aufgabe zu, die grundlegenden ontologischen, metaphysischen, epistemologischen Fragen zu stellen und manchmal, im Glücksfalle, auch die eine oder andere vorläufige Antwort darauf zu liefern: Gibt es fiktionale Entitäten, und wenn ja, wie sollen diese beschaffen sein? Sind wir überhaupt in der Lage, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden, und wenn ja, wie genau soll das funktionieren? Oder ist diese Unterscheidung letztlich überhaupt relevant? Hans Vaihinger, der im Anschluss an Kant und Nietzsche eine Philosophie des “Als Ob” entwarf, dürfte die letztere Frage zumindest in handlungstheoretischer Hinsicht negiert haben, zeigt er doch, dass und wie Fiktionen in unserem Alltagsleben handlungsrelevant werden und uns auch als “bewußtfalsche” Vorstellungen in die richtige Richtung zu führen vermögen (Vaihinger 1922). Die Philosophie interessiert sich aber nicht nur für die fiktiven Entitäten und deren Seinsweisen, sondern auch für das “So Tun Als Ob”. Einige der in der Tradition der Sprechakttheorie und der analytischen Philosophie stehenden Ansätze versuchen, über die Analyse semantischer und pragmatischer Regeln dem auf die Spur zu kommen, was eine fiktionale Rede von einer alltagsweltlichen Rede unterscheidet, etwa eine, die auf den aktuellen amerikanischen Präsidenten Bezug nimmt (cf. Sainsbury 2005; Searle 1975). Ontologie, Metaphysik, Epistemologie, Sprachphilosophie stehen freilich nicht allein mit ihren Versuchen, das Wesen des Fiktiven und des “So Tun Als Ob” begrifflich zu durchdringen. Viele Auseinandersetzungen mit dem “Als Ob” fanden und finden auf dem Feld der Ästhetik und der Literaturtheorie statt (cf. Hess-Lüttich & Rellstab 2005). Das kommt nicht von ungefähr. Fiktionalität wurde lange als das Merkmal von Literatur schlechthin angeführt - was spätestens seit Gerard Genettes einflussreichen Essays in Fiction et Diction sicherlich nicht mehr statthaft ist (cf. Genette 2004). Die aristotelische Frage danach, was Literatur im Modus der Fiktion vermag, hat aber auch heute noch nichts von ihrer Faszination eingebüßt: Ist sie Täuschung, erzählt sie das Mögliche? Oder ist sie, wie Käte Hamburger in Abgrenzung K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Ernest W.B. Hess-Lüttich & Daniel H. Rellstab 210 von Vaihinger behauptet, vielmehr imaginäre Objektivität, in ihrer Terminologie nicht “als ob”, sondern vielmehr “als”, nämlich “Schein von Wirklichkeit” (cf. Scheffel 2006: 85-86)? Und wie tut sie das? Wie evoziert sie einen Raum des Fiktiven, und wie mischen sich Fiktion und Realität, wenn ein fiktiver Held durch ein faktisches Berlin oder ein imaginiertes Helsinki spaziert (cf. Hess-Lüttich 2011)? Und was tut ein Leser, der sich auf diese Fiktion einlässt? Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu Fragen, die auch die spezifische mediale Verfasstheit fiktionaler Texte - im weiteren Sinne - in den Blick nehmen (cf. Hess-Lüttich 2000). Funktioniert ein fiktiver literarischer Text gleich wie ein Bild, das mir eine fiktive Welt vor Augen führt? Sicherlich nicht. Denn es stellt uns das Objekt, ob nun wirklich oder fiktiv, vor Augen, transzendiert also unseren Wahrnehmungsraum und macht etwas anwesend, was vielleicht nicht nur abwesend, sondern vielleicht gar inexistent ist. Doch gibt es in dieser Hinsicht nicht entscheidende Unterschiede? Über die Existenz des abgebildeten Objekts sagt uns ein gemaltes oder gezeichnetes Bild nichts. Ihm fehlt jene Kraft der Indexikalität, die eine Verbindung zur Welt herstellen kann und die es uns ermöglicht zu überprüfen, ob das abgebildete Objekt real oder fiktiv ist (cf. Peirce EP2: 291). Eine Fotografie dagegen funktioniert, auch Peirce zufolge, als indexikalisches Zeichen (cf. Peirce EP2: 5). Wie Barthes schreibt, scheint sie pure Denotation zu sein, wenn auch eine spezifische, dokumentarische: Sie zeigt eine Realität, die gewesen ist (cf. Barthes 1977). Die Fotografie postuliert damit Realität - oder tat dies zumindest, bis sie digital wurde. Die suggestive Kraft der Bilder erleben wir heute im Kontext der Hypermedialisierung unserer Lebenswelten in zugespitzter Weise. Denn leben wir nicht in einer Welt, in welcher die Indices der Realität zunehmend verschwinden, so dass wir gar nicht mehr in der Lage sind zu unterscheiden, was wirklich ist und was Fiktion? Ist es nicht so, dass es uns neue und neueste Medien zunehmend verunmöglichen, zwischen Virtualität und Realität zu unterscheiden? Die virtuelle, digitale Welt ermöglicht uns gleichzeitig auch völlig neues Handeln im Modus des “Als Ob”; es lässt sich somit auf ganz neue Weise theoretisieren: Nicht mehr nur, wie bei Vaihinger, als erkenntniskritisch-handlungstheoretisches, sondern auch als medientheoretisch-philosophisches, aber auch als soziologisches Phänomen (Hess-Lüttich 1997). Zwar ist, wie Erving Goffman (1959) schreibt, das Handeln im öffentlichen Raum immer auch ein Handeln “Als Ob”: Auf der Vorderbühne des öffentlichen Lebens inszenieren wir uns sorgfältig und bringen das zum Ausdruck, von dem wir annehmen, dass es wohlgefällig ist. Dabei sind wir tunlichst darauf bedacht, die Hinterbühne vor neugierigen Blicken abzuschirmen. Selbstinszenierung als Inszenierung eines “Als Ob” ist also keineswegs an eine Medienrevolution gebunden. Doch potenzieren die neuen Medien die Möglichkeiten, sich auf Vorderbühnen öffentlichen Lebens in Szene zu setzen. Chatrooms, Facebook oder Google+ ermöglichen neue Formen der Selbstinszenierungen und machen die Grenzen zwischen realer und virtueller Identität noch durchlässiger. Die Zahl der Disziplinen, die sich mit dem “als ob” beschäftigen, wächst und mit ihr die Pluralität der Ansätze zu dessen Erforschung. Den verschiedenen Disziplinen und den diversen Ansätzen innerhalb der Fächer ist indes eines gemein, nämlich dass sie mit ihren Fragestellungen direkt ins Zentrum der Semiotik zielen. Sie alle beschäftigen sich mit Struktur, Besonderheit und Funktionsweise von Zeichen, und zwar nicht nur von Zeichen, die das Fiktive erschaffen; gleichzeitig und in Abgrenzung davon stellen sie die grundsätzliche Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von zeichenhandelndem Schaffen überhaupt. Sie alle fragen danach, wie Zeichen, die auf Fiktives verweisen oder Fiktives erschaffen, interpretiert werden, und setzen sich insofern mit dem komplexen Problemfeld der Zeichenre- Als ob: Repräsentation als virtuelle Praxis 211 zeption auseinander. Die Spannbreite der Zeichen, Zeichensysteme, Zeichenprozesse, die analysiert werden, ist zudem immens: Literarische Texte, die Gesten von Schauspielern, Bilder, zusammengesetzt aus Tausenden von Pixeln. Aber auch ein jugendlicher Passant kann bereits dann zeichenhaft Handelnder sein, wenn er nur mit schwarzer Lederkluft und grell gefärbter Irokesenfrisur auf der Bühne öffentlichen Raumes zum Ausdruck zu bringen hofft, dass er sich wenig schere um die Normen der Gesellschaft (oder zumindest so tut ‘als ob’). Denn die Bestätigung, dass dies auch der Fall sei, wird mit diesen Zeichen nicht geliefert, und zwar genauso wenig wie die Bestätigung, dass er auch wirklich Teil einer subkulturellen Gruppe sei. Vielleicht benutzt er ja nur ihre Zeichen, ohne ‘wirklich’ dazuzugehören? Solche und ähnliche Fragen standen am Anfang unserer Idee, für den 13. Internationalen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik 2011 in Potsdam ein Panel zum Thema “‘Als Ob’: Repräsentation als virtuelle Praxis” vorzubereiten. In dem hier vorgelegten Themenheft stellen wir nun eine Auswahl aus den bei dieser Gelegenheit gehaltenen Referaten in der Form von ausgearbeiteten Aufsätzen zur Diskussion, und zwar solche, die exemplarisch sowohl verschiedene Ansätze als auch unterschiedliche Mediensorten repräsentieren und dabei besonders interessanten Fragen im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem “Als Ob” nachgehen. S IMONE N EUBER exponiert in ihrem philosophischen Beitrag die Frage, ob auf Fikta bezogene und durch diese individuierte Gefühle bloße “Als Ob”-Gefühle, also Quasi-Gefühle, seien oder nicht. Ausgehend von einer kritischen Diskussion aktueller philosophischer Positionen zur Fiktionalität zeigt sie, dass es zwar notwendig sei, die besondere Natur fiktabezogener Gefühle insofern anzuerkennen als epistemische Zustände, die sich auf fiktive Entitäten beziehen, von epistemischen Zuständen, die sich auf reale Entitäten beziehen, unterschieden werden müssten. Dies heiße aber keineswegs, weist Neuber nach, dass sie bloße “Als Ob”-Gefühle” seien; die spezifische Relation zu fiktiven Entitäten degradierten die Gefühle selbst durchaus nicht zu Scheingefühlen. Ihr Beitrag figuriert damit zugleich als wertvolle philosophische Einführung ins Thema des Bandes. L ARS C. G RABBE rekonstruiert in seinem Aufsatz Georg Simmels Beitrag zu einer soziosemiotischen Werttheorie des “Als Ob”, wie sie in Simmels Philosophie des Geldes aus dem Jahr 1900 sichtbar wird. Grabbe argumentiert, dass Simmel in diesem Werk den Zusammenhang aus Wert, Tausch und Geld als semiotisches Relationsgefüge verstehe, das den Funktionswert des Geldes als Form eines virtuellen Zugriffs auf die Realität bestimme. Geld, so Grabbes Analyse von Simmel, führe einerseits zu einer Ausweitung der Machtsphäre des Subjekts, da Geld den Zugriff auf entfernte Objekte ermögliche. Als reine Potenzialität bilde Geld, oder vielmehr dessen Besitz, dem Subjekt aber auch die Möglichkeit zu einer psychologisch-ästhetischen Expansion. Laut Grabbe zeigen sich bei Simmel Gelderwerb, Geldbesitz und Geldnutzung “als Funktionselemente einer virtuellen Praxis, die sich erst durch eine ästhetische Bewusstseinsform vollständig realisiert”. D ORIS S CHÖPS stellt in ihrem Beitrag einen Ansatz zur Erforschung von Körperhaltungen in Spielfilmen vor. Im Gegensatz zu Gesten, die in eigens etablierten Forschungsbereichen seit längerer Zeit intensiv erforscht werden, wurden Körperhaltungen von der Gestenforschung bisher noch kaum beachtet, geschweige denn untersucht. Ausgehend von der Hypothese, dass Körperhaltungen im fiktiven Film deutlich stärker disambiguiert und damit semiotisiert werden als im wirklichen Leben, zeigt Schöps erstens, dass Körperhaltungen als Teil des kinesischen Zeichenrepertoires im Film eine eigenständige signifikative und kommunikative Funktion übernehmen können, und dass sie damit, zweitens, eine eigene virtuelle Zeichenpraxis bilden, die selbst auf der Figurenebene handlungsbestimmend werden kann. Ernest W.B. Hess-Lüttich & Daniel H. Rellstab 212 Mit der Sprache ganz bestimmter Körperteile, nämlich der Sprache der Beine, setzt sich K LAUS H. K IEFER auseinander. Ausgangs- und Zielpunkt von Kiefers Überlegungen zur Semiotik der Beine ist Nick Walkers Graffito “Le Corancan”, das im März 2010 einige Tage lang an einer Mauer im 20. Arrondissement von Paris zu sehen war. Es nimmt Bezug auf den Islamdiskurs, indem es sechs mit einem Niqab verschleierte Cancan-Tänzerinnen zeigt, die ihre rot-weiß-blauen Röcke heben und ihre Beine in die Luft werfen. Kiefer skizziert zuerst eine ‘Semiotik der Beine’, bevor er zu Walkers Graffito zurückkehrt und zeigt, welche paradoxen Interpretationsmöglichkeiten sich einer lectio difficilior dieser Körperbewegung und dieses Graffitos erschließen: Oszillierend zwischen islamistischer Drohgebärde und einer Entschleierung von unten. Das Spiel mit der Erotik im Modus des “Als Ob” ist beide Male zentral. M ARA P ERSELLO nähert sich dem Thema des Bandes ex negativo. Sie beschreibt das Phänomen des “Als Ob” als Problem bestimmter jugendlicher Subkulturen, in denen es zentral ist, gerade nicht “als ob”, sondern eben ‘authentisch’ zu sein, “real”, wie dies in der Subkultur des Hip-Hop heißt. Persello analysiert, wie in drei zu verschiedenen Zeiten entstandenen und unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen zuzuordnenden Konzeptalben das Problem subkultureller Authentizität und Unabhängigkeit und deren Verlust thematisiert wird. Sie zeigt damit auch, wie durch Musik, die als Medium des Erzählens von Geschichten vom Aufstieg und Fall subkultureller Helden eingesetzt wird, ein subkultureller Raum evoziert und gesichert wird, der durch Mainstream und Kommerz ständig bedroht wird: Fiktion, konstruiert im Lied, als Bewahrerin der Authentizität. U RSULA S TALDER analysiert und problematisiert in ihrem Beitrag die jüngsten Entwicklungen in der Werbe- und PR-Kommunikation. Hier kommen immer aufwendigere Installationen zum Einsatz, in denen im öffentlichen Raum neueste digitale Techniken geschickt placiert werden, die frühere technisch-mediale Restriktionen, wie sie sich etwa durch die Größe des Bildschirms ergaben, zu überwinden erlauben. Stalder zeigt anhand der Analyse und Diskussion von Installationen internationaler Marken wie Louis Vuitton und Hermès oder bedeutender NGOs wie Amnesty International und WWF, wie in medialen Arrangements Realität evoziert werde, wie den Betrachtern neue Erlebnisse ermöglicht würden und wie diese Installationen gleichzeitig versuchten, den Eindruck von Teilhabe zu wecken. Sie schließt ihre Analyse der sogenannten Out-of-Home-Medien mit der Prognose, dass wir in Zukunft in weit größerem Umfang als bislang auf diese indirekte Art beworben werden dürften - eine wohl realistische Annahme, wenn auch nicht jeden beglückende Perspektive. Auch S ASCHA D EMARMELS setzt sich mit neuesten Entwicklungen in der Medienwelt auseinander. Ihr Zugriff ist aber theoretischer Art. Sie interessiert sich vor allem für die Fragen, ob und inwieweit Augumented Reality, also computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, die oft in Out-of-Home-Medien eingesetzt wird und meist zwei oder mehrere Sinneskanäle betrifft, mit älteren Formen multimedialer Kommunikation gleichgesetzt kann. Was geschieht, wenn ein Bild, durch die Linse des eigenen Mobiltelefons betrachtet, plötzlich lebendig wird? Wie reagieren die Menschen, wenn sie sich in einem Bildschirm wiederentdecken, auf dem plötzlich ein Engel neben ihnen steht? In ihrer semiotischen Analyse unterschiedlicher Beispiele, in denen Augmented Reality zwecks Steigerung des semiotischen Potenzials eingesetzt wird, zeigt sie, dass Augmented Reality mehr Möglichkeiten der Sinnkonstruktionen biete als traditionell multimodale Kommunikation und dass Augmented Reality auf ganz neue Weise die Frage danach stelle, was Realität sei und was Virtualität. Als ob: Repräsentation als virtuelle Praxis 213 Y IXIN W U und C HRISTIAN T RAUTSCH widmen sich in ihrem Beitrag ebenfalls den Neuen Medien, und zwar interessieren sie sich für die “als-ob”-Struktur von sog. ‘Emoticons’ insbesondere im World Wide Web, aber auch in anderen Medien. Sie illustrieren zunächst, inwiefern sowohl die Form oder Syntax von Zeichen des Typs der Emoticons als auch deren Bedeutung oder Semantik und Pragmatik von der Erscheinung des realen Mienenspiels in alltagsweltlichen und soziokulturellen Kontexten abhängig ist. Dann arbeiten sie heraus, dass auf der indexikalischen und symbolischen Ebene praktisch unbegrenzt viele Mentefakte repräsentiert werden können, etwa in der Comic- und Fernsehkultur, indem sie eine Explikation der Repräsentation von Zeichentypen durch Emoticons, eine Klassifikation ihrer kommunikativen Funktion und eine Unterscheidung der Objektrelationen von Emoticons vorschlagen. Damit wird hier eine umfassende semiotische Klassifizierung von Emoticons und eine zeichentheoretisch fundierte Erklärung von deren Als-ob-Struktur vorgelegt, wie sie bislang fehlte. M ARTIN S IEFKES Aufsatz beschäftigt sich aus ähnlichem Hintergrund heraus und von abstrakter Position aus mit sehr konkreten Dingen, nämlich mit Artefakten des Alltags, um aus einer theoretischen Perspektive, die grundlegende semiotische Phänomene in den Blick nimmt, zu ihrer angemesseneren Beschreibung und Erklärung beizutragen. Siefkes geht von der Beobachtung aus, dass Artefakte im Alltag oftmals semantisiert würden, das heißt, dass sie nicht mehr länger nur als Gegenstände mit einer bestimmten Funktion betrachtet würden, sondern Zeichencharakter erhielten und damit eine bestimmte Bedeutung: Die Kettensäge assoziiere plötzlich ein Massaker, das Kapuzenshirt stehe für die Hip-Hop-Kultur und ihre Werte. Siefkes macht in seinem Beitrag auf fundamentale semiotische Praxen aufmerksam, vermittels derer wir unsere gesellschaftliche und soziale Umwelt mit Bedeutung versehen. Anders als bei codierten Bedeutungen sind diese Semantisierungsprozesse stark von unserer jeweiligen Vorstellungskraft und situativen Phantasie abhängig und damit viel weniger determiniert, als dies etwa bei der Sprache der Fall ist. Angesichts dieses Befunds könnte sich die Frage stellen, ob hier nicht vielleicht eher von “Als Ob”-Bedeutungen gesprochen werden müsste als von Bedeutungen strictu sensu, eine Frage, die der Autor aber nicht weiter verfolgt. Wie der Beitrag von D AGMAR S CHMAUKS zum Abschluss zeigt, ist es aber nicht nur der Mensch, der sich in virtuellen Welten bewegt und damit seine Sinne reizt. In Zoologischen Gärten, im Stall und zu Hause, aber auch in der freien Wildbahn erschüfen wir, argumentiert sie, auch für Tiere und Haustiere virtuelle Welten, und zwar aus unterschiedlichen Gründen: Damit sie sich wohlfühlen, damit sie sich fortpflanzen, damit wir sie besser jagen können. Schmauks kategorisiert in ihrem lehr- und aufschlussreichen Aufsatz aus semiotischer Perspektive die unterschiedlichsten Simulationen, die der Mensch für das Tier entwickelt habe. Sie schließt dabei die unterschiedlichsten und für den Laien erstaunlichen Phänomene ein: von ‘Aufziehmaus’ bis ‘Zuchtattrappe’ findet sich alles, und noch viel mehr … Literatur Barthes, Roland 1977: “Rhetoric of the Image”, in: id. 1977: Image - Music - Text. Essays selected and translated by Stephen Heath, London: Fontana Press (Harper Collins), 32-51 Genette, Gérard 2004: Fiction et diction. Précédé de Introduction à l’ architexte, Paris: Seuil Goffman, Erving 1959: The presentation of self in everyday life, New York: Anchor Books Ernest W.B. Hess-Lüttich & Daniel H. Rellstab 214 Hess-Lüttich, Ernest W.B. 1997: “Text, Intertext, Hypertext. Zur Texttheorie der Hypertextualität”, in: Josef Klein & Ulla Fix (eds.), Textbeziehungen. Linguistische und literaturwissenschaftliche Beiträge zur Intertextualität, Tübingen: Stauffenburg, 125-148 Hess-Lüttich, Ernest W.B. 2000: Literary Theory and Media Practice. Six Essays on Semiotics, Aesthetics, and Technology (= Pro Helvetia Swiss Lectureship 10), New York: The Graduate Center City University of New York Hess-Lüttich, Ernest W.B. & Daniel H. Rellstab 2005: “Zeichen / Semiotik der Künste”, in: Karlheinz Barck, Martin Frontius, Dieter Schlenstedt, Burkhart Steinwachs, Friedrich Wolfzettel (eds.) 2005: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, vol. 7, Stuttgart/ Weimar: Metzler, 247-282 Hess-Lüttich, Ernest W.B. 2011: “Spatial Turn: On the Concept of Space in Cultural Geography and Literary Theory”, in: Lexia. Rivista di semiotica 9-10 (2011): 23-42 [= Massimo Leone (ed.) 2011: Ambiente Ambientamento Ambientazione. Environment Habitat Setting, Roma: Aracne editrice, 23-42] Hess-Lüttich, Ernest W.B. 2012: Sign Culture Zeichen Kultur, Würzburg: Königshausen & Neumann Peirce, Charles Sanders 1998 [1893-1913]: The Essential Peirce: Selected Philosophical Writings, vol. 2. [= EP2+page], ed. Peirce Edition Project, Bloomington: Indiana University Sainsbury, R. [Richard] M. 2005: Reference without Referents, Oxford: Oxford University Press Scheffel, Michael 2006: “Wer spricht? Überlegungen zur ‘Stimme’ in fiktionalen und faktualen Erzählungen”, in: Andreas Blödorn, Daniela Langer & Michael Scheffel (eds.) 2006: Narratologia: Stimme(n) im Text. Narratologische Positionsbestimmungen, Berlin/ New York: Walter de Gruyter, 83-99 Searle, John Rogers 1975: “The Logical Status of Fictional Discourse”, in: New Literary History 6 (9175): 319-32 Vaihinger, Hans 1922: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus, Leipzig: Felix Meiner Als ob’s Gefühle wären Warum auf Fikta bezogene und durch diese individuierte Gefühle dennoch keine als-ob-Gefühle sind Simone Neuber My paper wishes to criticise the claim that epistemic states such as perceptions and emotions can be subject to modifications in the way suggested by pretence theorists. To do so, I will first map the terrain which is characterised by as if talk in order to highlight two dimensions which seem to be at stake: an abstention from evidential knowledge (a-modification) as well as an abstention from talking about full-fledged objectivity (g-modification). Both seem to and often do coincide but talk about fictional entities seems to be a realm where they don’t. This might make it attractive to eliminate g-modifications altogether in order to found such talk in pretence, as it has been suggested by Kendall Walton. To show why this does not really help, I will look at two different ways of pretence reference, intra-and extra-fictional, to point out that taking them to be merely continuous is problematic. At least some kind of epistemic intentional relation has to be acknowledged, even if it is not necessarily referential. But if we can agree on this somehow intentional relation, it should suffice to show why our ficta-directed emotions indeed are and cannot be modified. Reconsidering Walton’s cognitivist presuppositions, I hope to show that it is due to the nature of an emotion’s formal object that ficta-relative emotions cannot be but non-modified. Hamlet existiert so wenig wie die Schlümpfe. Sofern wir dennoch irgendwie Bezug auf derartige Fikta nehmen, liegt es nahe, davon auszugehen, dass es uns zumindest so scheint, als ob derartige Dinge existierten, wenn wir auch nicht die Überzeugung haben, dass es sie wirklich gibt, wie es etwa Angela Merkel gibt. Ihnen gebührt bestenfalls eine als-ob-Existenz, was auch immer das konkret implizieren mag. Ist dem aber so, dann gibt es gute Gründe davon auszugehen, dass auch unsere Relation zu diesen eigentümlichen Relata gegenüber dieser - mindestens modifizierten Existenzweise - nicht indifferent ist, denn mindestens scheidet ein psychophysischer Kontakt zu dem, was nicht ist, aus. Was nicht wirklich existiert, das ist eben kein Relatum einer wirklichen Relation. Das bedeutet aber, dass die Wirklichkeit unserer perzeptuellen und emotionalen Beziehungen zu fiktionalen Realität gerechtfertigt in Frage gestellt werden kann. So machen einige Theoretiker den Vorschlag, nicht, wie der common sense es nahe legen mag, davon auszugehen, dass wir Hamlet sehen, wenn wir seine Repräsentation perzipieren, sondern höchstens in einer quasi-perzeptuellen Beziehung stehen, deren echtes Perzept aber bestenfalls der Schauspieler ist. Alles andere ist Bezugnahme als-ob. Ähnliches gilt ihnen zufolge auch von unseren Gefühlen. Wo das wirkliche Relatum wissentlich fehlt, sind diese Gefühle ihrerseits Quasi-Gefühle oder als-ob Gefühle. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Simone Neuber 216 Das Ziel meines Beitrags ist eine kritische Prüfung dieser Annahme, also der Frage, ob wir dazu berechtigt sind, davon auszugehen, dass auch unsere epistemischen Bezugnahmen, vornehmlich Perzeptionen und Gefühle, eine als-ob-Modifikation erfahren. Hierzu werde ich zunächst (1.) die Geographie des als ob abstecken, um die Kategorie des als ob in ihrem wesentlichen Wahrheits - und Wirklichkeitsbezug anzusiedeln, dessen spezifische Modifikation sie darstellt. Unter Punkt 2. werde ich einen engeren Begriff der Rede des als ob ansprechen, um fiktive Präsenz als in einem bestimmten Sprechen-als-ob und Handeln-als-ob fundiert anzunehmen, ein Punkt, der in Teil drei hinsichtlich zweier Weisen der fundierenden Rede analysiert werden soll: das verschwörerische als ob (3.1.) und das mitwisserische als ob (3.2.). Letzteres bereitet dann den Boden für das eigentliche Problem, um das es hier geht, nämlich den Sinn und Zweck einer Ausdehnung der Rede des als ob auf unsere epistemischen Beziehungen zu und etwa auch unsere Gefühle gegenüber fiktionalen Entitäten. Ich werde dafür die hierzu paradigmatische Theorie von Kendall L. Walton in näheren Augenschein nehmen (4.1.), um in diesem Zusammenhang denn auch genauer auf kognitivistische Gefühlstheorien einzugehen (4.2.); es wird sich nämlich zeigen, dass kognitivistische Gefühlstheorien schwerlich davon ausgehen können, dass unsere Gefühle gegenüber fiktionalen Entitäten nicht ihrerseits als-ob-Gefühle sind. Dennoch will ich unter Punkt 5. zu einem konservativen Gegenprogramm anheben, das eine andere Form des Kognitivismus stark macht, ehe ich unter Punkt 6. die Frage stelle, ob es nicht problematisch ist, Fikta als genuine Erfahrungsobjekte zuzulassen. Hierbei wird die Fallibilität unserer fiktabezogenen Meinungen eine wesentliche Rolle spielen, die, so schlage ich vor, erlaubt, zumindest von einem schwundstufigen Objektivitätsbezug auszugehen. Unter Punkt 7. werde ich schließlich überlegen, welche Art der Modifikation Gefühlen gegenüber Fikta angesichts der Tatsache eignet, dass sie uns etwa nicht motivieren, und wie zu erklären ist, dass Emotionen ihrer Individuation durch Fikta gegenüber indifferent sind. 1 Präliminarien und die Dimensionen des als ob Um eine rudimentäre Geographie des als ob zu skizzieren: Die Rede vom als ob hat ihren Sinn und Zweck vor dem Hintergrund eines bestimmten Wirklichkeits- oder Echtheitsrahmens, auf welchen sie sich abgrenzend bezieht. Wer sagt, es sei, als ob p, der sagt, dass es aufgrund bestimmter Indizien so wirke, als ob p, dass es also den Anschein hat, dass p, dass er aber nicht glaubt, dass wirklich p, oder aber nicht wirklich glaubt, dass p, weil er etwa unsicher ist und nicht mehr artikulieren will als ein: es scheint, dass p. “Als ob” erscheint dergestalt als doppelte Abgrenzung, nämlich i. von der Überzeugung, dass wirklich p, ii. von der wirklichen bzw. genuinen Überzeugung, dass p 1 . Modifiziert ii. auf eine bestimmte Weise das Faktum der Überzeugung, 2 so modifiziert i. nicht das Faktum der Überzeugung, sondern deren Geltungsbereich. Dies kann auf zwei Weisen verstanden werden. Einerseits abgrenzend, dass ich eben nicht glaube, dass wirklich p, sondern etwa wirklich q, andererseits aber auch einschränkend, dass ich nicht glaube, dass wirklich p, wohl aber, dass es dennoch so scheint, als ob p. Uns soll es im Folgenden hauptsächlich um Modifikationen des Geltungsrahmens gehen, und zwar um einschränkende. Ich spreche hierbei von G-Modifikationen. Abgrenzende werden für das Folgende keine Rolle spielen, sofern sie eben Überzeugungen sind, dass etwas anderes als p der Fall ist. Sofern ich Modifikationen des Faktums der Überzeugung thema- Als ob’s Gefühle wären 217 tisiere, spreche ich von A-Modifikationen, wobei “A” für den epistemischen Anspruch steht, der hier eine Modifikation erfährt. 3 Die philosophisch signifikanten A-Modifikationen hat schon Aristoteles in seinen Überlegungen zur phantasia zum Thema gemacht, als er bemerkte, das Verb phainesthai werde dann verwendet, wenn wir bezüglich eines Anscheins nicht sicher wären 4 . Die Modifikation indiziert entsprechend eine Distanzierung von der veridischen Natur des Anscheins. Dies deutet an, dass es mit der gegenseitigen Unabhängigkeit von A- und G-Modifikation nicht weit her sein kann, sofern die Distanznahme vom Objektivitätsanspruch in der Tat einen besonderen Geltungsbereich, nämlich just jenen des subjektiven Anscheins, beschreibt, und somit jede A-Modifikation an eine G-Modifikation gebunden ist. Daran soll hier auch festgehalten werden. A-Modifikationen sind epistemische Rückzugsstrategien auf einen subjektiven Anschein, in denen sich, unter Abstraktion von Objektivitätsansprüchen, eine Dimension evidenter und infallibler (Selbst-) Gegebenheit sedimentiert. Wer sagt, es scheine ihm, dass er Schmerzen habe, der sagt, er habe Schmerzen und der hat dies auch. Wer sagt, es scheine ihm, als ob er blau sehe, der ist zwar noch nicht darin gerechtfertigt, dass er auch wirklich etwas Blaues sieht, wohl aber darin, dass es ihm eben so scheint. Artikuliert er also diesen Bereich des Anscheins, dann zieht er sich, metaphorisch gesprochen, auf sich selbst zurück. Dies lässt sich auch so ausdrücken: In diesem Minimalbereich, der sich in der a-modifizierten Rede artikuliert, artikuliert sich, sofern von Objektivitätsansprüchen abstrahiert ist, also eine Dimension der G-Modifikation vorliegt, der schwundstufige Bereich nichtobjektivierbarer Subjektivität selbst. 5 Wir können ihn abkürzend als das Mir des Anscheins fassen. Diese Dimension wird uns erst am Ende dieses Aufsatzes wieder beschäftigen, dennoch aber war es wichtig, sie hier einzuführen. Obschon, wie sich soeben gezeigt hat, jede A-Modifikation mit einer G-Modifikation einher geht, macht es dennoch Sinn, beide Dimension zu unterscheiden. Der Grund liegt darin, dass es Arten von g-modifizierter Rede gibt, die gerade nicht an der Infallibilität der amodifizierten Rede partizipiert. Das heißt aber, dass es Fälle geben muss, in denen es scheint, dass p, ohne dass es nur mir scheint, dass p, denn sonst wären G- und A-Modifikation koinzidierend. Es ist klar, was ich mit dieser Dimension der G-Modifikation im Auge habe: Es ist jene Dimension sich von singulärer Subjektivität ablösenden, sich also gleichsam objektivierenden, oder immerhin kollektivierenden Anscheins, die seit Platon die Philosophie vor Kopfzerbrechen stellt. Das Kopferzerbrechen ist darin fundiert, dass der Schein hier beansprucht, genuines Bezugsobjekt zu sein. Welche Probleme dies bereitet, wird die folgenden Absätze detailliert beschäftigen. Halten wir zunächst jedoch nochmals fest: Der Schein, um den es hier geht, umfasst all jene Anscheine, die nicht schiere subjektive Vorstellungschimären sind, sondern intersubjektiv zugängliche Anscheine, die dennoch keinen Anspruch erheben können, die Sache, als die sie anscheinen, selbst zu sein. Dass ich hierbei Illusionen noch nicht ausgegrenzt habe, ist durchaus gewollt, wenn sie auch im Folgenden keine Rolle spielen werden. Es geht hier nur um all jene Anscheine, die genau als repräsentationaler Gehalt ein Schein-Sein fristen, das durch einen auktorialen Akt, der sprachlicher Natur sein kann, nicht aber sein muss, initiiert wird. Die Art meiner Argumentation tendiert im Folgenden hauptsächlich in Richtung nichtsprachlicher Fikta, kann aber mit ein wenig Mühe auch auf sprachliche bezogen werden. Simone Neuber 218 2 Fiktive Präsenz und fiktives Sprechen und Handeln Bislang wurde die Rede vom als ob betrachtet, sofern es eine doppelte Abgrenzung leistet, nämlich einerseits vom epistemischen Anspruch, das Wirkliche ihm adäquat zu erfassen - das war die A-Modifikation -, andererseits, im Erfassen auf Wirkliches bezogen zu sein, was als G-Modifikation eingeführt wurde. Es liegt auf der Hand, dass auch die Rede von Fiktionalität abgrenzend ist, sofern sie einen negativ auf das Wirkliche bezogenen Gegenstandsbereich charakterisiert. Bezeichnet als ob also primär eine Modifikation der Haltung 6 , nämlich einerseits ihren epistemischen, andererseits ihren Geltungsanspruch, so charakterisiert “fiktional” den ontologischen Status einer Entität. 7 Fiktionale Existenz ist also nicht-wirkliche Existenz, mithin nicht wirkliche Existenz und das legt nahe: eben keine Existenz, sondern bloß scheinbare Existenz. 8 Sofern derartige Entitäten nicht wirklich existieren, kommen ihnen auch ihre Eigenschaften nicht wirklich zu bzw. keine wirklichen Eigenschaften zu. Um hier kontroverse, gegenstandstheoretische Überlegungen außen vor zu lassen, soll dies für unseren Kontext nur heißen, dass etwa Hamlet nicht wirklich ein dänischer Prinz ist, sondern bloß fiktionaliter, entsprechend Schlümpfe nicht wirklich blau sind, sondern bloß fiktionaliter, wobei “fiktionaliter” der ausbuchstabierte Fiktionalitätsoperator ist, der eben genau der G-Modifikation entspricht. Wer behauptet, Schlümpfe seien blau, der redet, sofern er sich auf Fiktionales bezieht, eben g-modifiziert und das heißt: mindestens abkürzend, sofern er eigentlich meint: Fiktionaliter: Schlümpfe sind blau. Diese Rede nun lässt sich auf eine zweifache Weise rekonstruieren: Wir können sie ontologisch inflationär als genuine Bezugnahme auffassen. Tun wir dies, dann gehen wir davon aus, dass mit unserer Rede ein besonderer Gegenstand gemeint ist, der einem besonderen Gegenstandsbereich entstammt. In diesem Fall der Betrachtung bleibt das Urteil in gewisser Weise gegenüber dem Bezugsobjekt indifferent, sofern es sich nur auf einen besonderen Gegenstandsbereich bezieht, obschon man in Rechnung stellen muss, dass fiktionalen Entitäten ihre Eigenschaften in anderem Sinne zukommen mögen als realen. 9 Die ontologisch deflationäre Lesart geht dagegen davon aus, dass es die Gegenstände dieses Gegenstandsbereiches nicht gibt, auch nicht als irgendwie geartete besondere, etwa bloß-intentionale Bezugsobjekte. Das heißt aber, dass sich das sich vermeintlich auf etwas beziehende Urteil gar nicht wirklich beziehen kann, womit sich die Frage stellt, wie mit derartigen vermeintlichen Bezugnahmen umzugehen ist, denn schließlich fällen wir Urteile wie “Schlümpfe sind blau”. Einer der einflussreichsten antirealistischen Ansätze, vertreten durch unter anderem Kendall Walton, geht davon aus, dass diese Urteile, die unmöglich Bezüge einschließen, da ihr Bezugsobjekt nicht existiert, genau den Status haben, den ihr vermeintliches Objekt gleichfalls hat: Sie sind fingiert. Anstatt also davon auszugehen, dass wir uns faktisch auf als-ob-Objekte beziehen, geht er lieber davon aus, dass es in solchen Fällen so scheint, als ob wir uns bezögen. De facto nehmen wir aber keinen Bezug, sondern praktizieren Sprache im Leerlauf. 3 Zwei Typen von prätentionsfundierter Existenz 3.1 Das verschwörerische ‘als ob’ Eben wurde festgestellt, dass unsere Bezugnahme auf Fikta auf eine doppelte Weise aufgefasst werden kann. Entweder beziehen wir uns im gewöhnlichen Sinne, wenn auch auf einen Als ob’s Gefühle wären 219 besonderen Gegenstandsbereich - diese Option wurde als Realismus dargetan und scheint prima facie mit der G-Modifikation zu koinzidieren -, oder aber wir beziehen uns auf modifizierte Weise, nämlich bloß scheinbar, womit gerade kein besonderer Gegenstandsbereich präjudiziert ist. Um den Unterschied nochmals zu verdeutlichen: Wer über etwas redet, das als-ob existiert, der redet wirklich über etwas, nur eben über etwas, was auf besondere Weise ist. Wer indes redet, als ob er sich auf etwas bezöge, der bezieht sich nicht wirklich auf etwas, sondern er redet nur so, als ob. Eine Dimension derartiger fingierter Bezugnahmen ist schnell ausgemacht: Sie eignet allen vermeintlichen Sprechakten, die innerhalb von repräsentationalen Gebilden im weiten Sinne statthaben, also etwa innerhalb von Filmen oder im Theater. 10 Das wohl augenfälligste Beispiel ist der Wortkulissenbau eines Schauspielers, der, ins Leere deutend, den “wunderschönen Sonnenuntergang” preist. Freilich ist da kein wirklicher Sonnenuntergang, wohl aber fingiert er einen. De facto bezieht er sich dabei auf nichts; de jure aber, also fingiert-geltungsmäßig, bezieht er sich auf einen Sonnenuntergang und leitet uns durch sein Fingieren - Theaterkonventionen mögen hierbei eine beliebig starke Rolle spielen - an, es ihm gleich zu tun. Der Wortkulissenbau mag ein besonders augenfälliges Beispiel derartig fingierten Bezugs sein, sofern hier das Bezugsobjekt schlicht fehlt, doch zeigt sich rasch, dass es dabei nicht bleiben kann, sondern mindestens auch Fälle einbezogen werden müssen, da das Objekt nicht wirklich präsent, sondern etwa nur durch in einem Stellvertreter gleichsam anwesend ist. Ein wiederum augenfälliges Beispiel ist auch hier die spielinterne Bezugnahme, etwa jene des Schauspielers auf seine Schauspielerkollegin, die er mit “Oh fair Ophelia” ansprechen mag. Dass seine Bezugnahme nicht Ausdruck seiner Überzeugung ist, dass da Ophelia vor ihm steht, liegt auf der Hand. Viel eher spielt er, indem er sich auf Kollegin X bezieht, einen sich auf Ophelia Beziehenden, wobei natürlich sein Bezug auf Ophelia, wenn er auch über einem wirklichen Bezug auf Frau X superveniert, kein wirklicher Bezug auf Ophelia ist. Dass er dabei einem durch und durch ähnlich ist, der sich auf Ophelia wirklich bezieht, gehört zum Teil des Spiels, deutet aber nicht an, dass es wirklich Ophelia gibt, auf die er sich doch irgendwie bezöge. Diese Beobachtung scheint trivial, dennoch sei ihre Quintessenz hier festgehalten: Der schauspielernde Schauspieler ist keiner, der sich auf Scheinobjekte bezieht, sondern er ist einer, der sich scheinbar auf Objekte bezieht, und genau darin schauspielert er. Seine, sich freilich konventioneller Zeichen bedienende Rede, wie auch seine sich charakteristischer Bewegungen bedienenden als-ob-Handlungen haben eine Modifikation erfahren. Es liegt nun nahe, davon auszugehen, dass seiner sich etwa auf den fingierten Sonnenuntergang beziehenden Rede just die behauptende Kraft fehlt, doch wäre das zu einfach, denn der Bereich dessen, was hier modifiziert ist, deutet sich schon als weiter an. Das Zeigen des Schauspielers auf den Sonnenuntergang ist nicht minder ein modifiziertes Zeigen als sein scheinbarer Gruß des Vaters oder die Scheinfrage nach dem Sein oder Nichtsein Hamlets. Ja, alles spielinterne Sichverhalten ist ein modifiziertes Sichverhalten, und entsprechend liegt es nahe, die Modifikation, worin auch immer sie konkret bestehen mag, zumindest schon einmal als Binnendifferenz festzuhalten, die überhaupt allen intentionalen Handlungen, ob Behauptungen, Fragen, Sprechhandlungen oder sonstigem Verhalten, eignen kann. Alles, was schlicht gegenüber x geschehen kann, kann auch modifiziert gegenüber x* geschehen, nämlich genau dann, wenn x eben nicht existiert. Die Akte sind also scheinbar an x vollzogene Akte. Sie sind Spiel, sie tun, als wären sie die Akte, die sie darstellen, selbst. Husserl spricht vom Gegenbild 11 eines Aktes und dieser Rede mag man sich hier anschließen. Simone Neuber 220 Ohne allzu gravierende theoretische Voraussetzungen zu machen, kann man die konkrete Natur derartiger Gegen-Akte darin sehen, dass sie im weiten Sinne konstitutiv, nicht expressiv sind. Sie instantiieren keinen Fall der Gattung, dazu sie gehören, sondern stellen diesen dar. Sind sind nicht vollzogen, sondern als Bild eines Vollzuges in einem sie abbildenden schauspielernden Vollzug da. Fasst man die Gesamtheit dieser abbildenden Akte zusammen, so sind sie, metaphorisch gesprochen, durchaus so etwas wie weltbildende Akte. 12 Derartige Weltbildung kann nun rein privat geschehen, wenn man sich dem Tagträumen hingibt; sie kann aber auch intersubjektiv sein, und das ist der Fall bei der Interaktion mit Repräsentationen. Gemäß ihrer intersubjektiven Natur eignet derartigen Gegenakten eine besondere Anweisung an den Beobachter, Zuschauer oder Hörer, nämlich sie in ihrer weltbildenden Leistung aufzugreifen, um sich seinerseits genau darin in der Weltbildung zu engagieren, als er die dergestalt errichtete Welt gelten lässt. Weltbildenden Gegenakte sind dergestalt Geltungsansprüche, wenn auch besondere, nämlich solche, die im Anspruch das, was gelten soll, überhaupt erst etablieren. 13 3.2 Das mitwisserische ‘als ob’ Sofern diese weltbildenden Unternehmen mit dem Anspruch an den Zuschauer verbunden sind, sich seinerseits, nämlich geltenlassend, in diesem Spiel zu engagieren, kann man die hier in Frage stehende Modifikation, sofern sie weltbildend ist, als verschwörerisch, sofern sie auf die weltbildenden Akte Bezug nimmt, als mitwisserisch bezeichnen. Mitwisserische Bezugnahmen sind alle solchen Akte, die, in einem fingierenden Geltenlassen engagiert, auf eben das, was durch das Fingieren gilt, Bezug nehmen. Unser obiges Beispiel “Schlümpfe sind blau” ist ein solcher Fall der mitwisserischen Rede; sie lässt das gelten, was Peyo in die Welt gebracht hat. Ich greife hier die Metaphorik von Gareth Evans auf 14 , die andeutet, dass es schwer wird, zwischen innerfiktionaler und metafiktionaler Rede kategorisch zu unterscheiden, sofern ja auch unsere Rede über Fikta etwas zu Gegenstand macht, was nicht existiert. 15 Sofern es sich hier um ein verstehendes Geltenlassen handelt, liegt nahe, das dieser verschwörerischen Rede adäquate Verstehen in einem mitwisserischen Geltenlassen zu sehen. Sehen wir von illusionsgetäuschten Naiven ab, besteht der die Sachlage erschöpfende Verstehensakt in einem Durchschauen dessen, dass die Rede eben mit einem Augenzwinkern geschieht. Wer dies weiß, der denkt im entsprechenden Fall eben nicht an ein Objekt, das es ja nicht gibt, sondern der tut so, als dächte er an eins, das er etwa augenzwinkernd “Hamlet” nennt. Die mitwisserische Rede ist somit selbst Repräsentation, nämlich Bild der Rede, die wirklich Bezug nimmt. Wer sie richtig versteht und vollzieht, versteht und vollzieht sie gemäß fiktionalem Irrealismus als bloßes Bild der Bezugnahme und lässt sie eben bildhaft gelten. Diese Anmaßung an das Verstehen, das nur dann adäquat ist, wenn es den Bild-Status des fiktionalen Diskurses durchschaut, teilt diese Rede mit nichtsprachlichen Repräsentationen, denn auch sie werden erst dann als Repräsentationen vollständig und erschöpfend erfasst 16 , wenn sie als etwas darstellend, was sie gleichzeitig doch nicht sind, aufgefasst werden. 17 Stellt man die repräsentationsadäquate Rezeption also theoretisch in den Mittelpunkt, so liegt nahe, auch hier das Verschwörerische und Mitwisserische am Werke zu sehen. Auch hier geht es schließlich um Anleitungen, das zu sehen, was nicht wirklich da ist, um den Anschein gelten zu lassen. Dass in beiden Fällen von Mitwissertum eine Asymmetrie vorliegt, ist augenfällig. Wo die Rede, ob fiktionsbezogen oder genuin referierend, immer von sich weg, auf etwas hin leitet Als ob’s Gefühle wären 221 und darin verweisend ist, ist diese Verweisungsstruktur bei Perzepten eher die Ausnahme, womit - semiotische Bildtheorien machen dies zur Quintessenz - nichtsprachliche Repräsentationen strukturell eher sprachlichen Zeichen überhaupt denn nichtreferierenden ähneln. Ihr Problem ist dann aber gerade nicht die Frage, wie damit umzugehen ist, ob das Gemeinte nun existiert oder nicht, sondern eher, wie damit umzugehen ist, dass das wirkliche Perzept selbst nicht das ist, was durch es ansichtig wird. Das scheint recht trivial. Ich betone es dennoch, weil sich damit eine Schwierigkeit jener Ansätze andeutet, die semantische Probleme schlicht auf Repräsentationen übertragen. Das Problem, von einer scheinbaren Vermittlung, eben der fiktionalen Rede, zu imaginieren, dass sie eine genuin referierende sei, ist jedoch etwas anderes als von einer Sache zu imaginieren, dass sie eine andere sei. Der klassische Fall eines imaginierten Perzepts ist wohl schlicht gegenständliche Imagination, also jene, da wir uns etwas, das Wahrnehmungsobjekt sein könnte, vorstellen. In solchen Fällen ist die Perzeption imaginiert und nicht aktuell vollzogen. Entsprechend glauben wir auch nicht, die Sache zu sehen. Das scheint gerade bei visuellen Repräsentationen anders zu sein, denn hier scheint ein genuiner perzeptueller Bezug auf nicht nur den Bildträger, sondern auch das Bildobjekt vorzuliegen, wovon Selbstzuschreibungen wie etwa: “Ich sehe Hamlet” zeugen. Entsprechend liegt nahe, hier von einer irgendwie gearteten perzeptuellen Beziehung auf visuelle Repräsentationen auszugehen. Dass diese keine schlichte Perzeption ist, drängt sich angesichts des oben angesprochenen bildadäquaten Sehens auf, das immerhin einen besonderen Charakter aufweist. Um diesem Rechnung zu tragen, macht etwa Wollheim den Vorschlag, diesem genuinen Sehen durch eine spezifische doppelte Intentionalität - auf Bildträger und Bildgehalt - auf die Spur zu kommen, 18 ein Vorschlag, der an solche erinnert, die eine ikonische Differenz stark machen. Woran er jedoch festhält, ist, dass wir in der Tat von einer perzeptuellen und damit genuinen Bezugnahme ausgehen müssen, denn so sehr das Bild auch verweisen mag und so wenig dasjenige, darauf es verweist, auch existieren mag, so verweist das Bild doch irgendwie just auf sich, um selbst der Ort des Hineinsehens zu sein, in dem eine Sache sichtbar wird. Wollheims Ansatz hat jedoch ein Erklärungsproblem. Es besteht darin, dass seine Sonderform der Perzeption allerlei Abweichungen unserer gewöhnlichen Intuitionen bezüglich einer Wahrnehmungsbeziehung zulassen muss, die der formalen Nichtidentität von Ursache und intentionalem Objekt geschuldet sind. Eine unmittelbare Konsequenz ist etwa, dass die Symmetrie von Bezugnehmendem und Objekt der Bezugnahme (“ich sehe x”) gerade nicht gilt, also nicht automatisch eine x-bezügliche Wahrheit ist, dass x auch von mir gesehen wird. 19 Ferner betrifft die physische Distanz nur die Ursache, nicht das intentionale Objekt, was nicht minder perzeptionsatypisch ist. Dennoch scheinen viele fiktionale Wahrheiten gerade von dieser Asymmetrie zu leben. Denken wir etwa an Fälle, da etwas unbemerkt auf der Bühne geschieht, dass es Bühnengeheimnisse zwischen Zweien gibt, ohne dass wir stets mithörender Dritter im Bunde sind, oder dass Leute Tarnkappen tragen, die funktionieren*, auch wenn wir sie scheinbar sehen, was doch auf eine irgendwie geartete Sichtbarkeit und Gesehenheit hindeuten würde. Gegeben die Möglichkeit derartiger fiktionaler Wahrheiten, gegeben die Tatsache, dass wir nicht Teil der fiktionalen Welt sind, und gegeben die Tatsache, dass Perzeptionen als wirkliche Relationen nur zwischen Relata derselben ontologischen Ordnung (und in der korrekten kausalen Relation) bestehen können, wendet sich aber das Blatt und macht für einige Theoretiker, paradigmatisch hier Walton, die Überlegung attraktiv, das, was oben mit Bezug auf die Rede und fiktionsinterne Akte gesagt wurde, nun auch im Falle von allen Simone Neuber 222 epistemischen Rezeptionsformen am Werke zu sehen. Wozu Repräsentationen anleiten, ist nicht ein Sehen, sondern ein Spiel, das genau darin besteht, so zu tun, als sei man ein etwa Hamlet-Sehender, wo man doch tatsächlich nur den Schauspieler sieht. Die perzeptuelle Beziehung auf das Bildobjekt ist damit nicht weniger fingiert als das Bildobjekt selbst, und nur darum kann sie ihm ja eignen. Dass hierbei unsere faktische Perzeption des Bildträgers eine wesentliche Rolle spielt, anerkennt Walton wohl, wenn auch dem dreifachem Ausrufungszeichen, dass die Perzeption den Bildträger betrifft. Ihre Rolle für das fingierende Geschehen ist konkret, Requisit der fingierten Hamlet-Bezugnahme zu sein, darüber eben diese superveniert. Derartig den je eigenen Perzeptionsakt umfingierend, sind solche Repräsentationsbezüge wesentlich de se 20 , also das imaginierende Subjekt betreffend, dessen Leib gleichsam als Requisit dient. Es folgt, dass unsere Selbstzuschreibung perzeptueller Bezugnahmen auf das fiktionale Objekt (“ich sehe Hamlet”) nicht länger für bare Münze zu nehmen sind. Anstatt Ausdruck der perzeptuellen Bezugnahme zu sein, sind sie Teil unseres so Tuns, als ob wir ein Hamlet Sehender wären. Sie sind Akte mitwisserischen Sehens, eben als-ob-Perzeptionen. 4 Mitwisserische Gefühle 4.1 Vom Sinn und Zweck der Quasi-Gefühle Was Perzeptionen eignet, eignet Gefühlen nicht minder, denn wer sich Gefühle gegenüber Fikta zuschreibt, betritt nicht weniger den Bereich unmöglicher Bezüge. Der Theoretiker, der dies nicht anerkennt, unterliegt Walton zufolge nicht minder einer Illusion als jener, der glaubt, einen Schein-Seher vor sich zu haben, also einen, der Anscheine intendiert, wo er doch faktisch nur einen scheinbar Sehenden vor sich hat. 21 Damit komme ich zum eigentlichen Kernpunkt, mit dem Walton für eine hitzige Debatte gesorgt hat. Dass unser Mitleid mit Anna Karenina gespielt ist, will irgendwie nicht so recht einleuchten. 22 Was hinter den Quasi-Gefühlen, die Walton hier vorliegen sieht, steckt, und ob die Annahme berechtig ist, sei nun betrachtet. Es hat sich im letzten Absatz angedeutet, dass die Rede vom modifizierten Bezug im engen Sinne Akte betrifft, deren Gegencharakter gerade im mitwisserischen oder verschwörerischen Moment besteht. Es ist daher sinnvoll, davon auszugehen, dass dasjenige, was zur Modifikation beiträgt, der Sinn und Zweck des Aktes ist. Anstatt mit einer etwa ausdrückenden oder bezugnehmenden Absicht einher zu gehen, sind sie, zumindest die bislang betrachteten konstitutiven Akte, an eine - im weiten Sinne - geltenlassen-auffordernde Absicht gebunden. Es sei bemerkt, dass dies nicht Waltons Ansicht entspricht, sofern er den Quasi- Status des Aktes am ontologischen Status des intentionalen Korrelats bemisst, um sich notfalls Automatismen der Prätention zu bemühen, eine Ansicht, die ich nicht teile, gegen die ich hier aber nur am Ende indirekt argumentieren will. Teilt man meine Auffassung dessen, was möglicher Gegenstand von Modifikationen ist, so muss man sich an absichtsgeleitete Akte halten. Emotionen und Perzeptionen sind aber im engen Sinne gerade nicht absichtsgeleitete Zustände, und nur, wer einer vitiösen Mehrdeutigkeit von “intentional” und “Akt” aufsitzt, wird absichtsgeleitete Handlungsakte mit objektintendierenden (epistemischen) Zuständen in einen Topf werfen. 23 Walton vermeidet diese naive Konfusion zumindest dadurch, dass er diese Zustände genau in dem Maße in den Blick nimmt, als sie zugeschrieben sind. Damit kommt, so mag es scheinen, immerhin eine mini- Als ob’s Gefühle wären 223 male Absichtlichkeit ins Spiel, denn wenn schon Akte nicht mitwisserisch sein können, so können sie doch immerhin mitwisserisch zugeschrieben werden. Indes zeigt sich, dass eine theoretische Annahme Waltons diese feine Trennung von Zuschreibung des Zustands und Zustand selbst zu unterlaufen scheint, und diese Annahme ist mit der kognitivistischen Gefühlstheorie verbunden, der ich nun einen knappen Exkurs widmen will, weil überhaupt nur auf ihrer Basis fiktabezogene Emotionen zum Problem werden. 4.2 Der Kognitivismus als Kernaspekt der Quasi-Gefühle Der Kognitivismus, als hier ganz weit gefasste Theorie, zieht die Konsequenz aus einer schon von Cannon 24 vorgebrachten Kritik an reinen sensorischen feeling Theorien, denen zufolge Gefühle just im Quale bestehen. Ein solcher Ansatz hat jedoch mit dem Problem zu kämpfen, dass rein sensorische Zustände gar nicht hinreichend scheinen, ein Gefühl auch zu individuieren. Ist dem aber so und sind wir dennoch in der Lage, auf unsere Zustände Bezug zu nehmen, dann scheint ein weiteres, nämlich kognitives Kriterium gefordert, das ferner, um Probleme der logischen Privatheit zu vermeiden 25 , ein solches sein muss, das sprachlicher und damit intersubjektiver Bezugnahme eignet. Der Kognitivist bringt hierfür das in Anschlag, was man in Anlehnung an Kenny 26 als das formale Objekt der Gefühle fassen mag. Gefühle sind entsprechend gerade keine sensorischen und introspektiv zugänglichen Zustände, sondern intentionale Bezüge, die genau durch das Objekt, daran sie logisch gebunden sind, das Gefühl sind, das sie sind. 27 Genauer übernimmt das intentionale Objekt eine doppelte Funktion, sofern es einerseits Ursache, andererseits Individuationsmoment ist. Als Letzteres fungiert es als eine Art äußeres Kriterium für das Wissen um das Zumutesein. Gemeinhin wird davon ausgegangen, das formale Objekt werde adäquat durch eine Überzeugung charakterisiert, genauer, durch eine bestimmte Wertüberzeugung. Entsprechend scheinen die Möglichkeit einer Selbstzuschreibung mit einer Überzeugung, x betreffend, logisch verbunden, etwa derart, dass nur derjenige sich Neid gegenüber x zuschreibt, der x auch für erfolgreich etc. hält. 28 Gemäß dieser Korrelation von Gefühl und Werturteil deutet sich an, warum es so schwierig ist, dasjenige, was nicht existiert, zum legitimen Objekt derartiger Wertungen zu machen. Das logische Subjekt, das hier werttragend sein soll, existiert ja gar nicht, und damit ist die Bezugnahme auf es als Objekt, dem eine Werte zusprechende Zuwendung eignet, eben nicht möglich. Eine Lösung, die darauf hinweist, es gehe doch nur um die angenommene bzw. geglaubte Existenz des Gegenstandes, nicht um die faktische, kommt nicht wirklich weiter, denn in der Regel haben wir diese Überzeugung bezüglich Fikta gerade nicht. Schreiben wir uns aber im Wissen, dass diesen Tod keiner gestorben ist, Trauer zu, so ist das schlicht irrational, denn nichtgestorbene Tode beweint man rationaliter nicht. 29 Wollen wir die Rationalität dieser Zuschreibung retten - und genau das beabsichtig Walton -, dann liegt es nahe, hierin eben einen durch und durch rationalen Schachzug zu sehen, nämlich schlicht und ergreifend den mitwisserischen uptake eines verschwörerischen Geltungsanspruchs. Wir haben kein Gefühl, wir tun einfach so als ob. Unsere Selbstzuschreibung belegt entsprechend nicht das faktische Gefühl, sondern nur das Faktum, dass wir in einem Spiel engagiert sind, also modifiziert reden: The fact that Charles describes himself as “terrified” of the slime and that others do as well proves nothing [was für Ernstgefühle sprechen würde, S.N.] […] We do not take Charles literally when he says, “There was a ferocious slime on the loose. I saw it coming.” Why must we when he adds, “Boy, was I scared! ”? (Walton 1993: 197) Simone Neuber 224 Ich habe oben angeführt, dass es zu einer Komplexion der Trennung von Zuschreibung des Zustands und Vorliegen des Zustands komme, und sie zeigt sich hier. So sehr man nämlich meinen mag, Charles schreibe sich doch irgendwie sehr wohl etwas zu, was vorliegt, so darf man nicht übersehen, dass der Zustand ja durch ein Objekt individuiert ist, das gerade einem Akt der prätendierten Bezugnahme entsteigt. Sind aber Emotionen prätentionsbasiert individuiert, dann liegt nahe, diesen prätentionalen Status auch auf sie zu übertragen, es sei denn, es gibt gute Gründe, die dagegen sprechen. 30 Hiermit sollte hinreichend motiviert sein, warum es sich überhaupt lohnt, dafür zu argumentieren, dass auf Fikta bezogene und durch sie individuierte Gefühle keine prätendierten Gefühle sind, denn was dem common sense eine klare Sache scheint, erweist sich nun als echtes Problem. 5 Ein konservativer Vorschlag und kognitivistische Alternativen Der Kognitivismus, den Walton zentral setzt 31 , geht davon aus, dass Gefühle an bestimmte evaluative Urteile dergestalt gebunden sind, dass sie diese voraussetzen, und damit eben auch die Existenz des Objekts, das nur, weil es existiert, die Wertung auch genuin verdient. 32 Wer nun aber von dieser Option ausgeht, wird immer mit dem Problem konfrontiert, wie wir das, davon wir glauben, dass es existiert, rational auf dieselbe Weise bewerten und fürchten oder bemitleiden können wie das, wovon wir ausgehen, dass es nicht existiert. Unterschiedliche Ursachen sollten zumindest hier, wo die Rationalität des Fühlenden in Frage steht, unterschiedliche Wirkungen zeitigen, denn der, der sich von seiner Fürwahrnahme von x distanziert und dennoch auf x genau so reagiert, als habe er dies nicht getan, scheint durch und durch widersprüchlich zu fühlen. Indes ist dies nicht die einzige Spielart des Kognitivismus, die man ins Feld führen kann und angesichts der benannten Probleme ins Feld führen sollte. Die meiner Ansicht nach erfolgreichste Alternative geht davon aus, dass Emotionen nicht in Urteilen fundiert sind, sondern dass sie selbst eine irgendwie geartete Urteilsstruktur haben 33 und zwar eine solche, die genau die Wertigkeit der entsprechenden Anscheine relativ zu mir als Wertsubjekt betrifft. 34 Gemäß dieser Option fühlen wir nicht, weil wir glauben, dass etwas so und so ist, und ferner überzeugt sind, dass es wirklich existiert und daher diese Wertung auch wirklich verdient, sondern wir erfahren es auf Basis unserer emotionalen Regung als uns so und so angehend, und weil die Angelegenheit uns dergestalt betrifft, nehmen wir überhaupt erst ein Interesse an der Existenz des entsprechenden Gegenstandes. Dieser Lösungsansatz, der Gefühle nicht in Urteilen fundiert, sondern sie selbst zu Urteilen macht, ist zunächst erschreckend simpel. Hingegen scheint er nicht nur derartige Gefühle durch und durch irrational zu machen, sofern wir jetzt - wider besseres Wissen - Hunde, die wir gar nicht für wirklich halten, für gefährlich halten 35 , sondern auch die Tugenden von Waltons Ansatz einzubüßen, indem er davon ausgeht, dass es in der Tat einen genuinen Bezug auf dasjenige gibt, was doch gerade nicht existiert. Wie aber sollten wir an der Existenz dieses Hundes Interesse nehmen, wenn dieser Hund nicht existiert und entsprechend nichts da ist, an dessen Existenz wir Interesse haben könnten? Hierfür gibt es natürlich verschiedene Strategien, die unter anderem fiktionale Objekte oder Charaktere bemühen, die eine der Existenz von abstrakten Objekten analoge Quasi- Existenz fristen. Doch auch, wenn diese Strategien verfügbar sein mögen, so droht der hier skizzierten Option dadurch eine verschärfte Unplausibilität, dass sie nicht nur davon ausgeht, dass diese bloß-intentionalen Objekte eben mögliche intentionale Objekte, sondern auch Als ob’s Gefühle wären 225 noch, dass sie möglicher Gegenstand genuiner emotionaler oder auch perzeptueller Erfahrungen sind. Das scheint aber unseren Erfahrungsbegriff ins Bodenlose auszuweiten, der doch genau den Gegenstandsbereich der Wirklichkeit zu betreffen, ja, der geradezu als definiens des Wirklichen fungieren zu können scheint. Das Dilemma um Wahrheit, Wirklichkeit und Bezugnahme zeigt sich nun als ein Dilemma, das um den Erfahrungsbegriff oszilliert, der irgendwo zwischen subjektivem Erlebnis und objektiver Kenntnisnahme angesiedelt ist. Folgen wir etwa Kant darin, dass Erfahrung “das Urteil [ist], welches eine empirische Erkenntnis ausdrückt” 36 , wobei gilt: “In der Erfahrung und durch dieselbe werde ich vermittelst der Sinne belehrt; allein wenn ich ein Objekt der Sinne mir bloß willkürlich denke, so werde ich von demselben nicht belehrt und hänge bei meiner Vorstellung in nichts vom Objekte ab, sondern bin gänzlich Urheber derselben”, dann deutet sich an, dass sicherlich nicht jede beliebige Vorstellung (“das Bewusstsein, einen solchen Gedanken zu haben”) schon eine Erfahrung ist, “weil der Gedanke keine Erfahrung, Bewusstsein aber an sich nichts Empirisches ist”. Erfahrung heißt also: empirische Erfahrung und entsprechend empirisch muss der Gegenstand sein. Kants Ansatz ist hiermit keineswegs legitimiert. Wohl aber soll er als Plädoyer angeführt werden, dass gute Gründe dafür bestehen, genuine Kenntnisnahmen - und also solche sollen Gefühle hier verstanden werden - nicht auf jeden beliebigen phantastischen Akt auszudehnen, 37 sondern Erfahrungen im weiten Sinne immerhin noch an einen Bereich geteilter Objekte bzw. Objektitäten zu binden. Fikta sind sicherlich keine gewöhnlichen empirischen Objekte. Dennoch sind sie oft auch keine bloßen Vorstellungen. Immerhin spannen sie, obschon nicht einen Bereich genuiner raumzeitlicher Objekte, wohl aber einen Bereich intersubjektiver - wenn auch mitwisserischer - Geltung auf, in welchem, und das ist entscheidend, anders als im Falle bloßer Chimären, etwa auch Irrtumsanfälligkeit vorliegt. Ich schlage daher - gegen Walton - vor, dass all jene Fikta, die in einem prinzipiell intersubjektiv zugänglichen repräsentationalen Geschehen fundiert sind, in der Tat in einem gewissen Sinne Objekte möglicher Erfahrung sind, wobei freilich alles davon abhängt, was hier genau mit dem “gewissen Sinn” gemeint ist. 6 Fikta und ihre Erfahrbarkeit Walton schlägt eine Kontinuitätslinie imaginativer Interaktion vor, die von Kinderspielen bis zu Fikta reicht. Gemeinsam ist ihnen, die Bezugnahmen durch und durch zu fingieren, wobei repräsentationstragende Objekte bestenfalls Requisiten sind, davon etwas glauben gemacht wird. Es liegt nun in der Natur von Requisiten, mehr oder minder geeignet zu sein für das, wozu sie dienen sollen; der Idealfall des Requisit scheint zu sein, dasjenige, als was es im Spiel fungiert, auch wirklich zu sein, zumindest erleichtert es dem Zuschauer den Transfer, wenn das innerfiktionale Haarekämmen durch eine wirkliche Bürste inszeniert wird und nicht durch eine Gießkanne. Walton abstrahiert weitestgehend von dieser Dimension, und das ist zunächst konsequent: Wenn die Gehalte ohnehin nicht perzipiert, sondern imaginiert sind, dann kann das, was wir wirklich sehen, auch keine Rolle für das Imaginieren spielen, es bestenfalls noch erleichtern, nicht aber so, dass es selbst als genuiner perzeptueller Gehalt fungiert. Eine Beobachtung spielt ihm dabei zunächst in die Hände: Wenn etwa prinzipiell sowohl die Gießkanne als auch die Bürste eine Bürste repräsentieren kann, und wenn gilt, dass die Fürwahrnahme des Zuschauers in der Tat nicht entscheidend ist für das, was innerfiktional gilt, dann darf das gießkannengeleitete Haarekämmen prinzipiell keinen Unterschied Simone Neuber 226 zum bürstengeleiteten bedeuten, denn es kommt ja nicht auf das an, was wir de facto sehen, sondern auf das, was wir glauben machen. Würde diese Differenz in der Tat keinen Unterschied bedeuten, dann wäre Walton wohl zuzustimmen, doch scheint die Beobachtung schlicht falsch. Denken wir, um dies zu verdeutlichen, weniger an Bürsten und Gießkannen, sondern lieber an ein stark kubistisch überformtes Bild von Malevitch, etwa den Kopf einer jungen Bäuerin, im Gegensatz zu einem doch irgendwie lebensechteren Bild, etwa dem Brustbild einer Bäuerin von van Gogh oder gar eine Portraitfotografie. Was, um hier um der Sache willen, eine recht naive Perspektive einzunehmen, sie fundamental unterscheidet, scheint darin zu liegen, dass es uns im einen Fall ganz leicht fällt, die Bäuerin zu sehen, und sich der Anschein perzeptuell förmlich aufdrängt, das andere Mal es uns aber sogar schwer fällt, sie überhaupt in die gesehenen Formen zu imaginieren. Welche Rolle die Imagination in der künstlerischen Interaktion auch spielen mag, sie spielt wohl - sieht man von der Rolle, welche die Einbildungskraft in der Wahrnehmung spielt, einmal ab - kaum bei der Genese visueller Repräsentationen eine derart fundierende Rolle, wie Walton ihr zugesteht. In der Tat können wir das Desiderat, in Darstellungen (etwa einer Frau) ausgerechnet diese Konfigurationen als Frau zu imaginieren, überhaupt nur dann sinnvoll artikulieren, wenn wir das “dies da” je seinerseits spezifizieren können, und das scheint überhaupt nur durch Rekurs auf den visuellen Anschein möglich. Mit anderen Worten: Die Individuation dessen, davon glauben gemacht werden soll, dass es x sei, setzt schon voraus, es als x auch zu sehen. Indes muss mein Vorschlag offensichtlich erklären, wie wir mit dem “dies da” oder “diese Frau” umgehen, worauf wir vermeintlich perzeptuell bezogen sind, wenn es doch nicht existiert und wir eben auf nichts bezogen sind. Walton zufolge ist der auf das dies-da verweisende Akt eine Schein-Geste, die eben nicht impliziert, auch das Objekt des vermeintlichen Bezugs anzunehmen. Die hier vorgeschlagene Position scheint ontologisch inflationärer, doch lässt sich diese Inflation dann vermeiden, wenn wir uns just in diesem Punkt Walton und Evans darin anschließen, dass diese hinweisende Rede - was mit der Zuschreibung des Zustandes ist, wird gleich zu überlegen sein - in der Tat mitwisserisch ist. Indem wir sagen: “Dies da ist furchterregend” oder “dies da macht mir Angst”, nehmen wir faktisch Bezug auf den Repräsentationsträger, wir meinen ihn jedoch auf besondere Weise, nämlich als etwas, das aufgrund bestimmter rekognitionstragender 38 Merkmale, die es als Repräsentationsträger faktisch aufweist, erlaubt, als x erkannt und gesehen zu werden. Faktisch sind wir also nicht bezogen auf den Hund und wir meinen dies auch nicht wirklich, wenn wir sagen, “dieser Hund” sei etwa der von Baskerville. Wohl aber ist da etwas Perzeptionsgegebenes, das uns erlaubt, es als etwas aufzufassen, darauf wir uns eben vermittelt und bloß mitwisserisch beziehen können. Unsere deiktische Bezugnahme ist also in der Tat abkürzend und das “dies da”, das wir vermeintlich schlicht sehen, meint eigentlich ein: “Dies da erlaubt aufgrund bestimmter Merkmale, die es hat, als Hund gesehen zu werden” bzw. “dies da erlaubt aufgrund bestimmter Merkmale, die es hat, als furchterregend erschlossen zu werden”. Sofern die Erschließung indes genuin perzeptueller Natur ist und überhaupt nur auf deren Basis anhebt, handelt es sich in der Tat um eine irgendwie geartete perzeptuelle Bezugnahme auf den Anschein, wenn auch als dessen Begriff. Dasselbe gilt nun für unsere Gefühle, die nicht minder an bestimmte sie tragende Merkmale gebunden sind, kraft deren sie eben ein mögliches formales Objekt just dieser Emotion sind. Somit gilt: Wie wir etwas als etwas genuin rekognitional sehen können, auch wenn Als ob’s Gefühle wären 227 es nicht existiert, so können wir es als uns so und so angehend erfahren, wenn es nicht existiert. 7 Modifikationen und als-ob Bezugnahmen Hierbei ist natürlich darauf zu achten, den Bereich der möglichen Erfahrung nicht ad libitum auszudehnen, was so viel heißt wie: nicht seinen Bezug zu möglicher Kenntnisnahme ganz und gar zu kappen. Doch wurde schon darauf hingewiesen, dass repräsentationale Fikta, anders als bloße subjektive Chimären, eines zumindest aufweisen, was genuinem Objektivitätsbezug eignet: eine Dimension der Fallibilität der Bezugnahme. Wir können uns entsprechend nicht nur darin irren, dass “dies da” Hamlet ist, wenn wir die Schauspieler verwechseln, wir können uns auch in ihrer charakterlichen Einschätzung irren und etwa fälschlich Mitleid mit dem Bösewicht haben, was in Tagträumen ungleich schwerer ist. In dieser Loslösung vom bloß subjektiven Spielraum, scheint also eine Dimension zu liegen, der uns die ad-libitum-Ausweitung der Objekte ansatzweiser Erfahrung erspart. Reicht aber Fallibilität in der Tat schon aus, um genuine Objektivität zu fundieren? Spielt nicht viel eher die Tatsache eine Rolle, dass Fikta eben gerade kein Teil der Wirklichkeit sind, sofern sie eben keine raumzeitlichen Objekte sind? In der Tat darf man hier von einer bloß schwundstufigen Objektivität reden. Das ändert aber nichts daran, dass es genau der Erfahrung selbst geschuldet ist, dass diese Objekte den ontologisch schwundstufigen Status haben, den sie haben. Anstatt ihre Schwundstufigkeit also als Indiz ihrer Nichterfahrbarkeit zu sehen, schlage ich lieber vor, die Sonderform der Erfahrung, die Repräsentationen erlauben, zur Basis machen, darauf sich diese schwundstufige Form an Objektivität überhaupt erst einstellt. Hier ist nicht der Ort, die Natur dieser erfahrungsbasierten Abstufung darzulegen, doch halte ich die von Lambert Wiesing zu Recht hervorgehobenen Ansatzpunkte in Husserls Überlegungen zum Widerstreit für besonders wertvoll. 39 Sofern Repräsentationsbewusstsein als Moment konzipiert wird, das an eine besondere Erfahrung - etwa eine besondere Enttäuschung perzeptueller Erwartungen - gebunden wird, sollte es nicht schwer sein, genau diesen fundierenden Bereich genuiner Erfahrung zuzulassen. 40 Was sich dabei zeigt: Indem Repräsentationsträger aufgrund ihrer rekognitionstragenden Merkmale eine mögliche Erfahrung anheben lassen und sich dergestalt dem so und so Erfahrenwerden andienen, verabschieden sich derartige bloße Scheinobjekte aus der Erfahrungswelt genau dadurch, dass sie sich eben nur ansatzweise in sie integrieren lassen. Dass wir faktisch dabei auf den Repräsentationsträger bezogen sind, ändert nichts daran, dass er uns eine Bezugnahme erlaubt, die genuin perzeptuell ist, wenn auch durch und durch von dem gewöhnlichen Sehen abweichend, was eine Funktion der mehrfach angesprochenen Nichtidentität von Ursache und Objekt unserer Perzeption ist. Wichtig ist hier indes: Nur weil sich der perzeptionsbasierte Bezug auf das formale Objekt als derart asymmetrisch erweist, stellt sich so etwas wie Repräsentationsbewusstsein ein. Es verunmöglicht also nicht unsere perzeptuelle Bezugnahme, sondern nützt sie aus, um sich an ihr aufzuzehren. Man mag sich überlegen, wie man mit dem Bereich puren Anscheins umgeht, der hier als Bezugsrahmen angenommen wurde. Es liegt nahe, hier doch einen Rekurs auf irgendwie geartete Objekte anzunehmen, doch habe ich für eine Option plädiert, die dies vermeidet, indem sie derartige Fikta über realen Aspekten und Merkmalen supervenieren lässt, um die Bezugnahme auf “dies da” in der Tat als Form der mitwisserischen Bezugnahme aufzufassen. Welche Reifikation des Anscheins hierbei implizit sein mag, ist an anderer Stelle zu erörtern. Simone Neuber 228 Hiermit stellt sich freilich die Frage, was das für die Individuation der entsprechende Gefühle bedeutet. Lässt sich aus dem Faktum, dass dasjenige, was Gefühle individuiert, von derartiger Natur ist, nicht ein Argument filtrieren, dass die entsprechenden Gefühle eben doch irgendwie modifiziert sind? Und lässt sich die Trennung von Zuschreibung und Gefühl, wobei nur erstere Modifikationen erfahren kann, in der Tat aufrecht erhalten, wenn Gefühle etwas sind, was prinzipiell auch zuschreibbar ist und in der Regel zugeschrieben wird? Eine Antwort auf diese Frage tut gut daran, sich auf die eingangs gemachte Unterscheidung der beiden Modifikationen des als-ob zu besinnen, nämlich A- und G-Modifikationen. In den letzten Absätzen haben wir uns damit beschäftigt, wie uns die Entitäten, darauf die gmodifizierte Rede Bezug nimmt, erspart bleiben, um Waltons Lösung zu betrachten, der die g-modifizierte Rede gerade nicht als bereichsbeschränkt - denn den Bereich gibt es ja nicht -, sondern als modifizierten Bezug auffassen wollte, genauer: als fingierten Bezug, weshalb er natürlich auch die Möglichkeit dieser g-modfizierten Rede eliminiert. Was bei der Darstellung Waltons völlig aus dem Blick getreten ist und aus dem Blick treten konnte, sofern es ihm primär um Fragen und Probleme der Referenz ging, ist die eingangs angedeutete Affinität der beiden Dimensionen der Modifikation, deren Differenz genau darin fundiert wurde, dass nicht jede g-modifizierte Rede die Infallibilität der a-modifizierten Rede erbt, und ein Sonderfall schienen Fikta zu sein. Blicken wir aber nun auf das Verhältnis von Gefühlszuschreibungen und grespektive amodifizierter Rede, so zeigt sich, dass diese, zumindest in gewisser Hinsicht, ihrerseits amodifizierte Zuschreibungen sind. Wenn auch Differenzierungen vorzunehmen sind, so scheinen jedoch Gefühle als werterschließende Zustände in gewisser Weise die erstpersonale Evidenz von Schmerzzuständen zu teilen, die wir gerade als Paradigma dieses Bereichs gerne anführen. Wenn mir etwa etwas traurig scheint, dann habe ich schon individuationslogisch gute Gründe dafür; und dass es mich traurig stimmt, stimmt dann auch. Ich kann mich natürlich darin irren, dass es diese reaktionsfundierte Prädikation auch verdient, doch ist dies ein anderes Problem. Das scheint nun gerade Gefühle nicht von anderen epistemischen Zuständen zu unterscheiden, denn schließlich kann sich jeder Bezug auf Objektivität auf eine derartige Schwundstufe schieren Anscheinens zurückziehen. Entsprechend gehe ich auch davon aus, dass unsere epistemischen Zustände insgesamt in der Tat keine Modifikation erfahren können. Der Grund ist schlicht und ergreifend die oben bemerkte Engführung von a- und g-modifizierter Rede. Zwar wurde darauf hingewiesen, dass eine Trennung durchaus Sinn macht, sofern Rede über Fikta zumindest fallibel ist. Das heißt aber nicht, dass, sofern sich das Bezogensein selbst artikuliert, nicht auch eine Wahrheit ausgedrückt wäre, von der Walton abstrahiert und abstrahieren muss, weil seine Auflösung der möglichen G-Modifikation eben auch dieser Dimension der A-Modifikation ihren Status aberkennt und sie faktisch miteliminiert. Was diese Prävalenz von Referenzproblemen vor solchen der Intentionalität bedeutet, drückt Ryle an einer Stelle unverblümt aus: Make-believe is compatible with all degrees of skepticism and credulity, a fact which is relevant to the supposed problem, ‘How can a person fancy that he sees something without realising that he is not seeing it? ’ […] The fact that people can fancy that they see things […] without realising that it is nothing but fancy, is simply a part of the unsurprising general fact that not all people are, all the time, at all ages and in all conditions, as judicious or critical as could be wished. (Ryle 2011: 258) Als ob’s Gefühle wären 229 Was bislang gesagt wurde, eignet Perzepten tout court. Gefühle nun aber haben das Besondere an sich, dass sie, anders als andere epistemische Zustände, von dieser Rückzugsdimension gerade nicht abstrahieren können, ein Punkt, von dem die Debatte um die Natur der Werte zeugt, die Moore etwa aufgrund ihrer Subjektrelativität als queer entities abtut. Das heißt aber, dass derartige Prädikation immer nur über Gegenstände, sofern sie relativ zu mir erschlossen sind, gefällt werden, und sich hier das Subjekt des Anscheins auf eine Weise artikuliert, von der gerade nicht abstrahiert werden kann, was im Bereich von “Bäume tragen Blätter” als schier objektivem Faktum zumindest möglich scheint. 41 Solomon prägt für diese streng nichtreduzierbare Relation den Begriff der Surrealität 42 , womit er eine streng von subjektiven Werten abhängige und konstituierte Dimension der Realität anspricht, die bestenfalls über realen Eigenschaften superveniert, deren Salienzen und Wertobjekte jedoch nicht ohne Rekurs auf eben das Subjekt des Anscheins begründet werden können. Wichtiger als die Nomenklatur ist aber, was dies für unsere Zuschreibungen von Gefühlen gegenüber Fikta denn heißt. Teil des Problems um Repräsentationen ist, dass eine Sache mit sich identisch ist und eben nicht zugleich ein Schauspieler und Hamlet im selben Sinne ist. Just dieses Problem der Überdeterminiertheit betrifft nun aber auch Objekte, sofern sie Gegenstand von Wertungen sind. Ohne hieraus einen Wertirrealismus zu folgern, denn sicherlich ist es etwas am Objekt, was die Werte legitimiert, so kommt uns ein Moment dieser Ansicht zumindest entgegen: Wenn derartige Prädikationen ohnehin eine Dimension der Surrealität betreffen, die genau durch reale Merkmale fundiert ist, so lässt sich fragen, warum diese Surrealität nicht auch Fikta umfassen soll, deren Schein-Sein sich gerade solchen realen Merkmalen verdankt. So wenig also Fikta gewöhnliche empirische Gegenstände sind, so scheinen sie dennoch daher mögliche Objekte derartiger Zuschreibungen, weil sich eine starke strukturelle Affinität zwischen den Objekten von Wertungen allgemein und Gehalten von repräsentationalen Fikta auftut. Damit werden zwei Punkte attraktiv, die für eine schlechthin nichtmodifizierte Natur von Gefühlen zu sprechen scheinen. Zum einen sind Gefühle eben wesentlich Ausdruck von Subjektivität, was sie mit Wahrnehmungszuständen freilich teilen. Walton, das wurde gesagt, abstrahiert bei seiner Reduktion der g-modifizierten Rede auf als-ob-Rede hiervon. Eine solche Selbstartikulation kann aber gar nicht modifiziert geschehen, denn das würde bedeuten, dass sich das Subjekt des Anscheins modifiziert artikulieren kann, was einen starken Selbstbezug implizierte, der gerade diese Dimension strenger Subjektivität wiederum unterminieren würde. Ferner wurde aber gesagt, dass derartige formale Objekte ohnehin einen Bereich der Surrealität umschreiben, der von realen Merkmalen lebt, die jedoch relativ zum jeweiligen Subjekt des Anscheins salient werden. 43 Das heißt aber, dass derartige Bezugnahmen auf das Objekt, sofern es Grundlage der Individuation des Gefühls ist, dieses formale Objekt betreffen, sofern es surreal, also etwas ist, das gerade nur über Momenten superveniert, nicht aber eine vollständige physikalische oder objektive Entsprechung hat. “Dies macht mir Furcht” ist dergestalt sowohl genuin referentiell als auch Ausdruck einer konstitutiven Beziehung, nämlich auf dies als Objekt, das gerade in der Beziehung auf Subjektivität furchterregend ist. Genau diese teils referentielle, teils konstitutive Beziehung eignet nun aber Fikta, wenn auch hier das “dies” in seiner referentiellen Dimension mitwisserisch ist. 44 Nicht minder als das wertprädikative “dies”, welches Bezug auf das formale Objekt nimmt, hat es aber ein fundamentum in re, so dass wir auch hier genuin auf Objektivität bezogen sind, obschon wir diese mitwisserisch interpretieren. Was dies heißt: Es ist in der Tat der Bereich der de dicto Bezugnahme, also des Rahmens des Mitwisserischen, der das Objekt der Emotionsindividua- Simone Neuber 230 tion beschreibt; es sind aber nicht nur reale Momente, die dieses konstituieren, sondern formale Objekte sind auch noch in einer Art und Weise gegeben, dass sie just in der Liga fiktionaler Objekte zu spielen scheinen, was nahe legt, letztere, sofern sie intersubjektiv zugängliche Repräsentationsgehalte sind, in der Tat als Objekte der emotionalen Erschließung zuzulassen und zwar einer solchen, die gar nicht von der Natur des Objekts affiziert werden kann, denn davon abstrahiert sie ja, sofern sie Bezug auf ausgerechnet formale Objekte nimmt, die, das hat sich gezeigt, “surreal” sind. Dies soll nicht bedeuten, dass Gefühle gar nicht von der Natur ihres Objektes beeinflusst werden. Es spielt durchaus eine Rolle, ob diese surrealen Momente letztlich auf “dies da”, wie es ist, oder “dies da”, wie es bloß mitwisserisch scheint bezogen werden, 45 und dies zeigt sich etwa daran, dass wir gegenüber fiktionalen Entitäten keine Handlungen vollziehen, selbst dann, wenn sie uns in leidenschaftliche Wut versetzen mögen. Um diesem Moment Rechnung zu tragen, ist es nicht nötig, hier nun doch die Kategorie der Quasi-Gefühle zu bemühen. Es reicht aus, auf praktische Rationalität zu rekurrieren, die eben weiß, an welchen Objekten gerechtfertigt Handlungen vollzogen werden können und an welchen nicht. Fikta sind aufgrund ihres ontologischen Status schlicht keine möglichen Kandidaten, an denen wir Handlungen vollziehen. 46 Müssten wir aber, wenn es doch echte Gefühle wären, nicht mindestens Handlungswünsche haben? Das gilt nur dann, wenn in der Tat alle Emotionen auch derartig motivierend sind, was umstritten ist. Ich will hier aber eine andere Strategie einschlagen und einfach darauf hinweisen, dass wir in der Tat gegenüber Fikta genuine Handlungswünsche haben, wenn auch der Form, die nicht Bezug auf mich selbst als Handlungssubjekt nimmt. Wir haben den Wunsch, dass irgendwer an unserer statt, die Handlung an Ophelia vollbringe, und spüren also eine value pull emotion 47 , nicht aber einen blinden desire push, der uns selbst zum Handeln drängte. Der Wunsch nach einer Handlung und die Hoffnung, dass sie geschehe, mögen sich so als recht eng erweisen, was aber vom Thema wegführte. Fazit Es ist, dafür wurde plädiert, durchaus möglich und auch nötig, die besondere Natur der fiktabezogenen Gefühle anzuerkennen, ohne davon auszugehen, dass es sich hierbei um Gefühle im Modus des als ob handelt. Der Vorteil, der mit diesem Ansatz zu verbuchen ist, liegt darin, dass er den kernigen Begriff der als-ob Modifikation wahrt, der darin besteht, dass es sich eben nicht um eine Modifikation handelt, die einem theoretischen Desiderat entspricht, wie es bei Walton der Fall scheint, sondern einer Intention des Sprechers, sich in einem verschwörerischen Geltungsgeschehen mitwisserisch zu engagieren. Unsere epistemischen Zustände, kraft deren sich derartige fiktionale Entitäten als dasjenige konstituieren, als was sie anscheinen, sind dabei nicht ihrerseits modifiziert und können es nicht sein, weil dieser Dimension der A-Modifikation keine eigene Modifikation eignet. Warum dies keine ontologische Inflation mit sich bringt, wurde damit begründet, dass wir einerseits auf Reales, nämlich den Repräsentationsträger, perzeptuell bezogen sind, und die darüber supervenierende, ausgesagte Bezugnahme in der Tat als mitwisserische verstanden werden kann. Warum diese mitwisserische Bezugnahme nicht dazu führt, dass die Zustände ihrerseits modifiziert sind, wurde auf die Tatsache zurückgeführt, dass Gefühle - a-modifiziert, wie derartige Zuschreibungen ihrer Natur nach sind - primär und zunächst eben Artikulationen von Anscheinen sind. Als ob’s Gefühle wären 231 Literatur Aristoteles 1995: Über die Seele. Einleitung, Übersetzung und Kommentar von Horst Seidl (nach W. Theiler), Hamburg: Meiner Boruah, Bijoy 1988: Fiction and Emotion. A Study in Aesthetics and the Philosophy of Mind, Oxford: Clarendon Press Budd, Malcolm 1992: “On Looking at a Picture”, in: Jim Hopkins, Anthony Savile (eds.): Psychoanalysis, Mind and Art. Perspectives on Richard Wollheim, Oxford: Blackwell: 185-215 Cannon, Walter 1929: Bodily Changes in Pain, Hunger, Fear and Rage, New York: Appleton Carroll, Noël 1978: “The Nature of Horror”, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 46 (1978): 51-59 Currie, Gregory 1990: The Nature of Fiction, Cambridge: Cambridge University Press Evans, Gareth 1982: The Varieties of Reference, herausgegeben von John McDowell, Oxford: Oxford University Press Falk, Hans-Peter 2011: Wahrheit und Subjektivität, herausgegeben von A.F. Koch, Freiburg: Alber Feagin, Susan 1995: “The Pleasures of Tragedy”, in: Neill, Alex und Aaron Ridley (eds.): Arguing About Art, McGraw Hill: Routledge: 204-217 Greenspan, Patricia S. 1981: “Emotion as Evaluations”, in: Pacific Philosophical Quarterly 62 (1981): 158-169 Greenspan, Patricia S. 1988: Emotions and Reasons: An Inquiry into Emotional Justification, New York: Routledge, Chapman and Hall Helm, Bennett 2001: Emotional Reason: Deliberation, Motivation, and the Nature of Value, Cambridge: Cambridge University Press Helm, Bennett 2002: “Felt Evaluations: A Theory of Pleasure and Pain”, in: American Philosophical Quarterly 39 (2002): 13-30 Husserl, Edmund 1980: Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung (= Husserliana XXIII), herausgegeben und eingeleitet von Edurad Marbrach, Den Haag: Nijhoff Kant, Immanuel Kant 1913: “Beantwortung der Frage: Ist es eine Erfahrung, daß wir denken? ”, in: Artur Buchenau / Ernst Cassirer (eds.): Immanuel Kants Werke (= Schriften von 1783-1788. Bd. IV), Berlin: Bruno Cassirer Kenny, Anthony 1963: Action, Emotion and Will, London: Routledge & Kegan Koch, Anton Friedrich 2006: Versuch über Wahrheit und Zeit, Paderborn: Mentis Lamarque, Peter 1981: “How Can We Fear and Pity Fictions? ” in: British Journal of Aesthetics 21 (1981): 291-304 Lamarque, Peter und Stein H. Olson 1994: Truth, Fiction, and Literature: A Philosophical Perspective, Oxford: Clarendon Lopes, Dominic 1996: Unterstanding Pictures, Oxford: Oxford University Press Meinong, Alexius 1902: Über Annahmen: Leipzig: Barth Moran, Richard 1994: “The Expression of Feeling in Imagination”, in: The Philosophical Review 103 (1994): 75-106 Mulligan, Kevin 1998: “From Appropriate Emotions to Values”, in: The Monist 81 (1998): 161-188 Mulligan, Kevin 2009: “Was sind und was sollen die unechten Gefühle? ” in: Ursula Amrein (ed.), Das Authentische. Referenzen und Repräsentationen, Zürich: Chronos Verlag: 225-242 Nanay, Bence 2005: “Is Twofoldness Necessary for Representational Seeing? ”, in: British Journal of Aesthetics 45 (2005): 248-257 Neill, Alex 1991: “Fear, Fiction and Make-Believe”, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 49 (1991): 47-56 Nussbaum, Martha 2001: Upheavals of Thought: The Intelligence of Emotions, Cambridge: Cambridge University Press Reicher, Maria E. 2011: “Gegenstände des Als-ob”, in: Gertrud Koch und Christiane Voss (eds.) 2011: Es ist als ob. Fiktionalität in Film und Medienwissenschaft, Paderborn/ München: Fink: 49-68. Roberts, Robert C. 1988: “What an Emotion is: A Sketch”, in: Philosophical Review 97 (1988): 183-209 Roberts, Robert C. 2003: Emotions: An Essay In Aid of Moral Psychology, Cambridge: Cambridge University Press Ronen, Ruth 1994: Possible Worlds in Literary Theory, Cambridge 1994: Cambridge University Press Ryle, Gilbert 11 2002: The Concept of Mind, Chicago 1 : University of Chicago Press Schiffer, Stephen 1996: “Language-Created Language-Independent Entities”, in: Philosophical Topics 24 (1996): 149-167 Searle, John 1975: “The Logical Status of Fictional Discourse”, in: New Literary History 6 (1975): 319-332 Sidney Shoemaker 1968: “Self-Reference and Self-Awareness”, in: Journal of Philosophy 65 (1968): 555-567 Simone Neuber 232 Solomon, Robert 1993: The Passions. Emotions and the Meaning of Life, Indianapolis: Hacket Stocker, Michael 1987: “Emotional Thoughts”, in: American Philosophical Quarterly 24 (1987): 59-69 Thomasson, Amie L. 2009: “Fictional Entities”, in: Jaegwon Kim, Ernest Sosa & Gary Rosenkrantz (eds.) 2 2009: A Companion to Metaphysics, London: Blackwell: 10-18 Vendrell-Ferrán, Íngrid 2010: “Literatrische Fiktion und Fiktionale Gefühle”, in: Gertrud Kuch et al. (eds.) 2010: Die Mimesis und ihre Künste, Paderborn: Fink: 91-108 Walton, Kendall L. 1993: Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of Representationalist Art, Cambridge/ MA: Harvard University Press Wiesing, Lambert 1995: “Phänomenologie des Bildes nach Husserl und Sartre”, in: Phänomenologische Forschungen 30 (1995): 255-281 Wiesing, Lambert 2000: Phänomene im Bild, Paderborn/ München: Fink Williams, Bernard 2 1999: “Imagination and the Self”, in: ibid., Problems of the Self, Cambridge: Cambridge University Press: 26-45 Witasek, Stefan 1904: Grundzüge der allgemeinen Ästhetik, Leipzig: Barth Ludwig Wittgenstein 1984: “Das Blaue Buch”, in: Werkausgabe Band 5, Frankfurt am Main: Suhrkamp: 15-116 Wollheim, Richard 2 1980: “Seeing-as, Seeing-in, and Pictorial Representation”, in: Art and its Objects. With Six Supplementary Essays, Cambridge: Cambridge University Press: 205-226 Yanal, Robert J. 1994: “The Paradox of Emotion and Fiction”, in: Pacific Philosophical Quarterly (1994): 54-75 Yanal, Robert J. 1999: Paradoxes of Emotion and Fiction, University Park: Pennsylvania State University Press Zemach, Eddy M. 1996: “Emotion and Fictional Beings”, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism, 54 (1996): 41-48 Anmerkungen 1 Was der internen und der externen Negation entspricht, die beide eine negative Abgrenzung von “ich glaube, dass p” bedeuten, nämlich in Form von: ich glaube, dass nicht-p, das andere mal von: ich glaube nicht, dass p. Für uns ist hier entscheidend, das “ich glaube, dass nicht-p” nicht als “ich glaube, dass q” zu lesen, sondern als: ich glaube, dass nicht wirklich p, wohl aber scheinbar. 2 Das Modifizierte ist also das “ich glaube wirklich”. 3 Ich erlaube mir, die Abkürzungen “A” und “G” in der Schreibung dem Folgewort anzupassen, spreche also von a-modifizierter Rede. 4 “Sodann sagen wir auch nicht, wenn wir unsere Wahrnehmungstätigkeit genau auf das wahrnehmbare Objekt richten, dass dieses uns als Mensch erscheine, sondern eher, wenn wir es nicht klar wahrnehmen, und es dann entweder wahr oder falsch ist.” Über die Seele, III.3.: 12ff. 5 Vgl. dazu Wittgenstein 1984: 106, Shoemaker 1968. Ich folge hier recht eng den Überlegungen in Falk 2011. 6 Vgl. dagegen Reicher, die von “Gegenständen als ob” redet. Das kann man daher tun, weil sie ja durch ein als ob Spiel getragen werden. 7 Ich klammere hier Fragen aus, ob Napoleon, sofern er in einer Fiktion vorkommt, identisch ist mit dem wirklichen Napoleon. Vgl. dazu die detaillierten Überlegungen in Lamarque und Olson 1994. 8 Oder bestenfalls Existenz in einer möglichen Welt. Vgl. dazu etwa Zemach 1996. Zum Verhältnis möglicher und fiktionaler Welten vgl. Ronen 1994. 9 Vgl. dazu Reicher 2011: 62. 10 Zu derartigen Sprechakten vgl. als locus classicus Searle 1975, dem zufolge fiktionale Akte prätendierte Sprechakte sind. Einen anders gearteten sprechakttheoretischen Ansatz vertritt Currie, der nicht von prätendierten Sprechakten ausgehen will, sondern von genuinen Akten, die jedoch zur Prätention einladen. Ich führe hier der Einfachheit halber beide Theorien recht eng, um, von Searle ausgehend, über Curries Ansicht in Waltons Ansatz zu münden, sofern sich Currie Walton ohnehin verpflichtet sieht. 11 Vgl. Husserl 1977 Text 2, b. 12 Auf die Art der Genese mit Bezug auf Charaktere geht etwa detailliert ein Schiffer 1996. 13 Vgl. diesbezüglich Currie 1990. 14 Der indes nur die mitwisserische Verwendung anführt. Vgl. dazu Evans 1982: 353-63. Verschwörerisch ist also mein Gegenbegriff. 15 Zur Problematik vgl. komprehensiv, wenn auch inflationär, Reicher 2011. Als ob’s Gefühle wären 233 16 Was kein notwendiges Kriterium ist, denn Illusionen sind möglich. Dass durchaus ein legitimer derartiger Anspruch gestellt werden kann, zeigt sich indes daran, dass unser fikta-adäquates Verhalten entscheidend von diesem Repräsentationsbewusstsein abhängt. Wer versucht, in einem Landschaftsbild Blumen zu pflücken, macht etwas falsch. 17 Wobei das Mitwisserische hier in je einem Besonderen besteht: Die mitwisserische Rede ist dann verstanden, wenn sie als sich nicht beziehend verstanden wird, also nur als sozusagen Bild eines bezugnehmenden Aktes; die Repräsentation ist dann richtig gesehen, wenn sie als nicht die Sache selbst, sondern als Bild der Sache gesehen ist. 18 Zur twofold attention vgl. Wollheim 1980. Diese mit dem Typus des in-Sehens verbundene Form ersetzt Wollheims früheren Ansatz des als-Sehen, wie ihn etwa auch Budd 1992 stark macht. Zur Kritik an Wollheims Konzeption vgl. Nanay 2005. 19 “The audience at such a play are spectators of a world they are not in. They see what they may well describe as, say, Othello in front of a certain palace in Venice; and they see that from a certain point of view […] But they are not themselves at any specifiable distance from that palace; unlike Othello who may be […] It is just because of these failures of identity that we can sensibly say that we are, as spectators, at a crtain distance from the senery and the actors, but not from the palace or from Othello; if identity held, we should, in being 150 feet from Sir Laurence, be just that distance from Othello.” (Williams 1999: 35f) 20 So Walton 1993: 30. 21 Zu ähnlichen Ansätzen vgl. Meinong 1902, Witasek 1904, an einigen Stellen der theoriewandlungsfreudige Husserl 1980, Ryle 2002, sowie Mulligan 2009. 22 Vgl. dazu die Legion an Literatur zum Paradox der Fiktion, wobei als Kritiker Waltons vornehmlich zu nennen Neill 1991, Feagin 1995 und 1996, Moran 1994, Lamarque 1981, Yanal 1994 und 1999, Carroll 1978, Boruah 1988. 23 Wobei auch Husserls affine Neutralitätsmodifikation gerade von allem Willentlichen absehen will. Dies bedürfte weiterer Überlegungen. 24 Cannon 1929. 25 Vgl. Wittgensteins Privatsprachenargument. 26 Kenny 1963. 27 Wobei x für ein gewöhnliches Objekt, p für einen Sachverhalt steht. Ich unterscheide hier der Einfachheit halber nicht zwischen objektualen und propositionalen Intenta. 28 Ein “Who is Who among the Passions” in Gestalt einer klassifikatorischen Übersicht versucht Solomon 1993: 222-308. 29 So schon die vielsagende Definition von Nico Frijda, die ich hier Vendrell Ferrán 201: 94 entnehme: “emotions are elicited by events appraised as real, and their intensity corresponds to the degree to which this is the case.” 30 Ein weiteres, von diesen theoretischen Überlegungen unabhängiges, wohl aber deren Konsequenz stützendes Indiz ist natürlich die fehlende motivierende Kraft, die fiktabezogene Gefühle haben, und auch diese führt Walton zum Wohle seiner Überlegungen argumentativ an. Gegeben, dass Gefühle nicht nur physiologisch sich niederschlagende, sondern auch entschieden motivationale Zustände sind, so scheint doch auffällig, dass wir auf fiktionale Szenarien gerade nicht wirklich handelnd reagieren, was wir wohl tun würden, wären die Szenarien real. Entsprechend konstatiert Walton: “Fear emasculated by substracting its distinctive motivational force is not fear at all.” Walton 1993: 202. 31 Ich vernachlässige hier den Alternativansatz der Gedankentheorie, als deren Vertreter etwa Lamarque, Boruah, sowie Carroll zu nennen sind. 32 Vgl. die erfolglosen versuche Boruahs, die Wertung von Existenzüberzeugungen zu lösen. 33 Zu Gefühlen als einer Art Urteil vgl. Nussbaum 2001, Solomon 1993. Moderater, wenn auch in eine ähnliche Richtung tendierend: Helm 2001 und 2002, sowie Roberts 1988 und 2003. Ich werde diese umstrittene Position hier nicht verteidigen, wenn ich auch denke, dass dies - gegeben freilich eine genaue Bestimmung dessen, was sich hinter der urteilsartigen Struktur verbergen mag - gelingt. Zur Kritik am zu eng gefassten Urteilsbegriff vgl. Greenspan 1981 und 1988, sowie Stocker 1998. 34 Vendrell Ferrán plädiert für annahmebasierte Gefühle, um Waltons fiktionalistische Position zu attackieren; auch hiervon weiche ich ab. 35 Ich verzichte auf ein Argument gegen diesen Punkt, gegen den ich an anderer Stelle vorgehe. 36 Kant 1913: 519f. Simone Neuber 234 37 Wobei durchaus eine Imaginationsprojekte in der Tat derartige Erschließungen ermöglichen mögen. Man denke hier etwa an die entscheidungsfindenden Vorstellung als phantasia bouleutikê vgl. in Aristoteles’ Über die Seele: III.7. 38 Zu einer ähnlichen Strategie vgl. Lopes 1996. 39 Vgl. dazu die frühen Passagen in Husserls Auseinandersetzungen zum Bildbewusstsein, wenn sich auch Husserl im Laufe seiner Lehre von modifizierten Akten von der Relevanz des Widerstreits distanziert. 40 Dieser Ansatz scheint an einen Illusionismus gebunden, doch ist dem nicht so. Ich zeige dies an anderer Stelle. 41 Vgl. dagegen die Subjektivitätsthese, die Koch 2006 vorschlägt. 42 Solomon 1993: 128, 148. 43 Ich folge hier Roberts. 44 Vgl. ähnlich Lamarque und Olson, die von einer nicht rein denotativen Funktion auch der extrafiktionalen Namen ausgehen. Etwa Lamarque und Olson 1991: 81. 45 Eine Einflussnahme wurde mit Bezug auf den Kognitivismus bereits angesprochen, nämlich die Sensitivität von Gefühlen gegenüber Überzeugungen bezüglich ihres Objekts. Zwar haben wir dafür plädiert, dass Gefühle ihrerseits überzeugungsartig sind, das heißt aber nicht, dass sie nicht indifferent gegenüber guten Gründen wären. Kenntnisnahmen führen hier naheliegend zu einer Modifikation des Gefühls, schlicht, weil sich durch die Kenntnis bezüglich x eben der Charakter von x ändert. 46 Aber, so ein möglicher Einwand: Widerspricht die Hypostasierung dieser Wünsche nicht der Tatsache, dass wir oft enttäuscht sind, wenn der Held denn wirklich gerettet wird, weil etwa dann das Stück “kitschig” endet und unsere ästhetischen Erwartungen enttäuscht? Nein, das tut es nicht, und der Grund hat sich bereits angedeutet, denn es kommt hier nicht zu einem moralischen Konflikt von Wünschen, sondern bestenfalls zu einem Konflikt von moralischen Wünschen und ästhetischen Erwartungen. 47 Ich folge hier terminologisch der Unterscheidung von Mulligan 1998. Geld als virtuelle Praxis Georg Simmels Beitrag zu einer semiotischen Werttheorie des “Als-Ob” Lars C. Grabbe Georg Simmels transcendental theory of money is closely connected with a sociosemiotic theory of value and the “As-If” as an inherent concept. In this orientation his precise analysis of the condition of the possibility of money is a valid connection of his philosophical and formalsociological theory. Exactly this connection, against the background of a transcendental theory of subjective consciousness, enables him to establish an extensive philosophy of society. His concept of society is a process-related construct of reciprocity and human interaction that develops a systemic-relational “entireness”. These “entireness” turns into a real social “unity” if individual meaning, interests and purposes form a mediatised relationship of “togetherness”. In this perspective the concept of “soul” is a phenomenon of contact and social diffusion and a frontier incident of the inner world and outside world: more precisely the “soul” is defined as flow of imagination that creates inner representations. That forms the background for the ontology of virtual contingency, which is constructed by the flow of imagination, and designates “soul” as a process-driven element of interactive sociality. In his Philosophy of Money (1900) he develops a semiotic relationship of value, exchange and money to combine it with the concept of an aesthetic condition of the modern individual. He elaborates the symbolic dimension of subjective cognition and a modern form of aesthetics as rational principle of comprehension. Because of the complex correlation of transcendental consciousness and phantasmatic-imaginary cognition the function value of money demonstrates a mental and virtual access to reality, allows the modulation of consciousness by a sublime feeling of superiority and the ownership of money constitutes an aesthetic expansion of subjective existence. The obtainment, ownership or use of money, are elements of a virtual practice that is fully realised by an aesthetic form of consciousness. The main parameter of aesthetic consciousness is the synthesis of active cerebration and creative phantasy. With the concept of phantasmatic-imaginary cognition Simmel develops the “As-If” as the main condition of the possibility of social reality, acceptance and feeling of value and the ontology of contingency in the concept of money. 1 Vorbemerkungen Georg Simmels (1858-1918) transzendentale Geldtheorie zeigt sich als eng verknüpft mit einer soziosemiotischen Werttheorie und dem darin enthaltenen Konzept des Als-Ob. In dieser Orientierung präsentieren sich Simmels präzise Analysen der Bedingungen der Möglichkeit des Geldes als valide Verbindung seiner philosophischen wie auch formal-soziologischen Theorie. Es ist genau diese Verbindung soziologischer und philosophischer Theorie, K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Lars C. Grabbe 236 vor dem Hintergrund einer transzendentalphilosophischen Theorie subjektiven Bewusstseins, die es Simmel ermöglicht das Konzept einer “[…] Philosophie der Gesellschaft […]” (Simmel 1992: 41) zu etablieren: Das Subjekt ist bei Simmel Bedingung der Möglichkeit von Gesellschaft als Träger des Wissens um die Vergesellschaftung. Aber das Subjekt ist diese intellektuelle Bedingung […] als realontisches Element, als realer Wirkfaktor, und die Gesellschaft ist Wissenstatsache nicht als Erkenntnisgegenstand, sondern als Sein. Damit ist die formalkategoriale Apriorität des subjektiven Bewusstseins zugleich sozialontische Priorität (Lieber; Furth 1958: 45). Der Gesellschaftsbegriff zeigt sich demnach als prozessuales Konstrukt, in welchem “[…] mehrere Individuen in Wechselwirkung treten” (Simmel 1992: 17) und eine systemischrelationale Ganzheit ausbilden. Das Initialmoment von Wechselwirkungen basiert auf individualpsychologischen Trieben und Zwecken, so dass ein Individuum “[…] in ein Zusammensein, ein […] Gegeneinander-Handeln, in eine Korrelation der Zustände mit anderen tritt, d.h. Wirkungen auf sie ausübt und Wirkungen von ihnen empfängt” (Simmel 1992: 18). Damit allerdings Ganzheit als eine gesellschaftliche Einheit ermöglicht wird, müssen sich diese individuellen Sinn- und Zweckhorizonte zu einem medialen Verhältnis des Füreinander ausformen: Die Vergesellschaftung ist also die, in unzähligen verschiedenen Arten sich verwirklichende Form, in der die Individuen auf Grund jener - sinnlichen oder idealen, momentanen oder dauernden, bewussten oder unbewussten, kausal treibenden oder teleologisch ziehenden - Interessen zu einer Einheit zusammenwachsen und innerhalb deren diese Interessen sich verwirklichen (Simmel 1992: 19). Da sich Gesellschaft als eine “[…] objektive Form subjektiver Seelen” (Simmel 1992: 41) konstituiert, kommt dem Begriff des Seelischen eine besondere und keinesfalls mystischtheologische Bedeutung zu: Die Konzeption der Seele bzw. des Seelischen weist sich als ein “[…] Berührungs- und Durchdringungsphänomen” (Mack & Röttgers 2007: 48) aus, welches ein “[…] Grenzphänomen zwischen Innenwelt und Außenwelt” (Mack & Röttgers 2007: 48) darstellt. In dieser Perspektive markiert sie ein spezifisch mediales Feld, welches das Verhältnis von subjektiver Vorstellung und Gesellschaft als ein mediales Verhältnis zu beschreiben ermöglicht. Der Zusammenhang zwischen Gesellschaft, Seele und subjektiver Vorstellung wird von Simmel über eine Symbolfunktion hergestellt. Zuallerst ist das Seelenleben definiert durch die “[…] Bewegung von Vorstellungen […]” (Simmel 1992: 854) die dynamisch verschiedene Kombinationen einnehmen können. Die Kombination von Vorstellungen ist hierbei ein notwendiger mentaler Differenzierungsprozess, durch den “[…] ein kontinuierlich fließender Prozess in hart gegen einander abgesetzte Elemente zerlegt […]” (Simmel 1992: 854) wird. Diese Elemente sind in der Form des subjektiven Bewusstseins gegeben und werden, weil sie in eine mental-kognitive Bedeutungshierarchie überführt werden, zu “[…] gewissermaßen substanziellen, mit Energien ausgestatteten Wesen, die von sich aus wirken und leiden” (Simmel 1992: 854). Da es sich bei den Vorstellungen um interne Repräsentationen handelt, hebt Simmel explizit hervor, dass hier nicht die “[…] unmittelbare Beschreibung des Vorhandenen” (Simmel 1992: 854) gemeint sein kann. Vielmehr wird das Seelenleben, als Bewegung von Vorstellungen, “in ein Symbol und Bild gefasst und unter Kategorien gebracht, die mit ihm selbst noch nicht gegeben sind” (Simmel 1992: 854). Hier zeigt sich bei Simmel eine Ontologie des virtuell Möglichen, die durch die Vorstellungsbedingtheit des Bewusstseins konstituiert wird, und die Seele als prozessuales Element einer interaktiven Sozialität ausweist: Geld als virtuelle Praxis 237 Die Menschen unsrer Umgebung bilden unsere erste und uns im Wesentlichen interessierende Welt: es liegt nahe, dass wir die Form der Umschriebenheit, der Selbständigkeit, der Wechselwirksamkeit, in denen ihre Elemente uns mit überwältigender Bedeutung entgegentreten, zur Organisierung und Veranschaulichung der Welt in uns verwenden, dass wir die in uns gefühlten Bewegungen so einteilen, von so für sich seienden Elementen getragen meinen, wie wir es in dieser äußeren, aber seelisch bestimmten Welt vor uns sehen (Simmel 1992: 854). 2 Werttheorie und Als-Ob Georg Simmel betont explizit die zentrale Rolle des Werts innerhalb seiner soziologischen und philosophischen Theorie, denn “[…] stellt man sich die Gesellschaft als rein objektives Schema vor, so zeigt sie sich als eine Ordnung von Inhalten und Leistungen, die nach Raum, Zeit, Begriffen, Werten aufeinander bezogen sind […]” (Simmel 1992: 57). Das Konstrukt des Werts zeigt sich hier als psychologisches Moment der subjektiven Sphäre und soziales Moment innerhalb der gesellschaftlichen Wechselwirkung und objektiven Einheit: Wertstrukturen und subjektiven Wertgefühlen kommt innerhalb Simmels Philosophie der Gesellschaft ein besonderer Stellenwert zu, denn diese werden als “[…] Praxis den Dingen gegenüber […]” (Simmel 1989: 10) gekennzeichnet. Wertstrukturen werden in Bezug auf eine “[…] Ordnung der Dinge […]” (Simmel 1989: 23) untersucht, die jedem Ding ein äußeres Bild und ein inneres Bild zuerkennt. Das äußere Bild der Dinge entspricht dabei ihrem physikalischen Wesen, durch welches sie innerhalb der Wirklichkeit zu verorten und klassifizierbar werden. Dies bezeichnet er als das “[…] naturwissenschaftliche Bild der Dinge […]” (Simmel 1989: 23), das unter gewissen Umständen durch das Subjekt neu geordnet werden kann. Diese Neuordnung hat dann nicht die Einheit der Gegenstände als mentalen Zielvektor vorgegeben, sondern die “[…] Rangierung nach Werten” (Simmel 1989: 23). Diese kann bei einer Vielzahl von Gegenständen, Gedanken und Geschehnissen (vgl. Simmel 1989: 23) vorgenommen werden, ist prinzipiell ein künstlicher und mentaler Akt des Subjekts und “[…] von einer der tiefstgehenden Zerlegungen unseres Denkens getragen” (Simmel 1989: 25). Dass Objekte demnach als wertvoll empfunden werden können, konstituiert das innere Bild der Dinge: Das ist aus ihrem “[…] bloß natürlichen Dasein und Inhalt niemals abzulesen; und ihre Ordnung, den Werten gemäß vollzogen, weicht von der natürlichen aufs weiteste ab” (Simmel 1989: 23). Eine Wertvorstellung setzt prinzipiell einen mentalen Differenzierungsprozess voraus, durch welchen sich die subjektive Sphäre des Individuums und die objektive Sphäre eines wertvollen Objekts konstituieren: Subjekt und Objekt werden in demselben Akt geboren, logisch, indem der rein begriffliche, ideelle Sachgehalt einmal als Inhalt des Vorstellens, ein anderes Mal als Inhalt der objektiven Wirklichkeit gegeben wird - psychologisch, indem das noch ichlose, Person und im Indifferenzzustande enthaltende Vorstellen in sich auseinandertritt, und zwischen dem Ich und seinem Gegenstand eine Distanz entsteht, durch die jedes von beiden erst sein vom anderen sich abhebendes Wesen erhält (Simmel 1989: 23). Die im Zitat erwähnte Distanz wird demnach einerseits als Modus beschreibbar, in dem durch die Differenzierung von Ich und Vorstellungsinhalt die Sphäre von Subjekt und Objekt konstituiert wird, andererseits führt diese Distanzierung zur psychologischen Bedingung der Wertkategorie. Auf Basis dieser Grundannahme lassen sich vier Charakteristika des Werts bestimmen. Lars C. Grabbe 238 2.1 Die erste Wertcharakteristik Die erste Charakteristik bezieht Georg Simmel auf ein Wert empfindendes bzw. genießendes Subjekt, bei dem sich vom rohen Trieb (vgl. Simmel 1989: 33) bis zum gesteigerten ästhetischen Genuss (vgl. Simmel 1989: 33) differenzierte Wert-Genuss-Momente einstellen können. Für diese Charakteristik ist entscheidend, dass sich eine sehr dominante Empfindung im genießenden Moment des Subjekts einstellt, welche “[…] weder ein Bewusstsein eines uns gegenüberstehenden Objekts als solchen, noch ein Bewusstsein eines Ich enthält, das von seinem momentanen Zustande gesondert wäre” (Simmel 1989: 33). Dies trifft dann auf den gesteigerten Trieb zu, dem es nur um exzessive Befriedigung geht, als auch auf den intellektualistisch-ästhetischen Genuss, bei dem sich das Ich im Modus symbolischer Entäußerung befindet. 2.2 Die zweite Wertcharakteristik Die zweite Charakteristik beschreibt den neu einsetzenden Bewusstseinsprozess, der die Distanzierung und Differenzierung von Subjekt und Objekt ermöglicht. Zentrales Moment ist hier das Begehren, wobei das Begehren eine mentale Spannung stabilisiert, “[…] die die naivpraktische Einheit von Subjekt und Objekt auseinandertreibt und beides - eines am anderen - erst für das Bewusstsein erzeugt […]” (Simmel 1989: 33). Das Begehren impliziert zwei Bedingungen, so darf das begehrte Objekt noch nicht in unserem Besitz für uns sein und wir dürfen es nicht bereits durch Genuss oder rohen Trieb verwerten. Es muss eine “[…] Distanz des Nochnichtgenießens […]” (Simmel 1989: 34) erhalten bleiben: “Das so zustande gekommene Objekt, charakterisiert durch den Abstand vom Subjekt, den dessen Begehrung ebenso feststellt wie zu überwinden sucht - heißt uns ein Wert” (Simmel 1989: 34). 2.3 Die dritte Wertcharakteristik Die dritte Charakteristik bezieht sich auf ein wertendes Subjekt, wobei der zentrale Aspekt des Werts hier zwar in Korrelation zum Differenzierungsprozess des Begehrens steht, dennoch aber über das Begehren hinausführt. Die Dichotomie von Begehren und Genuss bildet eine erste basale Dimension, in der sich ein intentionaler Vektor zwischen Subjekt und Objekt manifestiert. Um den Wert aus dem Spannungsfeld von Begehren und Genuss zu lösen und in eine höherstufige Bedeutungsstruktur zu überführen, integriert Georg Simmel das an Immanuel Kant (1724-1804) entlehnte Konzept des Als-Ob: Simmel nutzt dieses und richtet sich gegen die Auffassung, welche die Kategorie des Als-Ob als Fiktion bzw. bewussten Selbstbetrug klassifiziert. Vielmehr hebt er explizit den Vorteil des Als-Ob hervor, als ein “[…] “heuristisches” oder “regulatives” Prinzip […]” (Simmel 1997: 25) zu fungieren, da eine subjektive Idee einen ähnlichen Wirkungshorizont aufweist, wie eine objektive Realität. Die Kategorie des Als-Ob ist damit nicht ausschließlich der subjektiven oder objektiven Wirklichkeit zuzuordnen: Das Als-Ob gehört zu einer “[…] dritten, in diese beiden nicht aufteilbaren Schicht an, es ist eine selbständige synthetische Einheit beider […]” (Simmel 1997: 25). Die Kriterien, nach denen sich das Als-Ob als richtig oder falsch zeigt, “[…] erwachsen aus seinem eignen, unvergleichlichen Wesen und Zweck, nicht aber aus dem des Subjektiven für sich oder des Objektiven für sich” (Simmel 1997: 25). Das Als-Ob manifestiert gewissermaßen die Annerkennung des Werts innerhalb der Philosophie des Geldes: Der Wert verfügt über eine “[…] Form […] als Forderung oder Anspruch” (Simmel 1989: Geld als virtuelle Praxis 239 37), d.h. der Wert, um überhaupt generiert werden zu können und zu existieren, “[…] verlangt es, anerkannt zu werden” (Simmel 1989: 37). Diese Anerkennung modifiziert den Wert in den Modus einer komplexen und autonomen Selbständigkeit die nicht länger nur der subjektiven oder objektiven Sphäre zuzuordnen ist: “[…] in Wirklichkeit ist es eine dritte, aus jenen nicht zusammensetzbare Kategorie, gleichsam etwas zwischen uns und den Dingen” (Simmel 1989: 37). Der Wert fungiert durchaus als heuristisches und regulatives Prinzip (durch seine enthaltene subjektive Idee) und hat die “[…] praktische Wirkung auf uns, die er als objektive Realität haben würde” (Simmel 1997: 25). Die Anerkennung des Werts im Modus des Als-Ob impliziert zwei bewusstseinstheoretische Aspekte, die ihrerseits in Wechselwirkung stehen. Zuerst ist hier die Wert-Vorstellung zu nennen, die prinzipiell autonom verlaufen kann, so dass der Wert autonom und unabhängig vom subjektiven Vorstellen - als existent - zu denken ist. Diese Wertvorstellung involviert dann zusätzlich eine Wert-Empfindung: “[…] so empfinden wir Dingen, Menschen, Ereignissen gegenüber, dass sie nicht nur von uns als wertvoll empfunden werden, sondern wertvoll wären, auch wenn niemand sie schätzte” (Simmel 1989: 35). Jeder Wert ist demnach abhängig von einer differenzierten Wert-Vorstellung und kann geprägt sein durch Gefühle, “[…] allein, was wir mit diesem Gefühl meinen, ist ein an und für sich bedeutsamer Inhalt […]” (Simmel 1989: 35). Wert-Vorstellung und Wert-Empfindung prägen damit eine Rangierung nach Werten durch das Subjekt, die sich immer am offenen Maßstab möglicher Bedeutungen orientiert. Die äußerst bedeutsame Wertstruktur, die gerade in der Perspektive des Als-Ob “[…] jenseits des Dualismus von Subjekt und Objekt steht […]” (Simmel 1989: 38), wird von Simmel als eine metaphysische Kategorie (vgl. Simmel 1989: 38) beschrieben. Innerhalb dieser Kategorie erfährt der Wertbegriff gerade deshalb eine “[…] metaphysische Sublimierung […]” (Simmel 1989: 38), da der Wert in diesem Sinn nicht als objektives Element gedacht werden kann: So ist dieser für sich seiende, an sich geltende Wert nichts Objektives, weil er gerade von dem Subjekt, das ihn denkt, unabhängig gedacht wird, innerhalb des Subjekts zwar als Forderung des Anerkanntwerdens auftritt, aber auch durch die Nichterfüllung dieser Forderung nichts von seinem Wesen einbüßt (Simmel 1989: 38). In dieser sublimierten Wertvorstellung verkörpert sich ein hoch komplexes System von Sinndeutungen und Sinnzuschreibungen. Als Beispiele für diese komplexen Werte führt Simmel Symbole an, die ihren Wertmaßstab durch die Erweckung religiöser Gefühle entfalten, erwähnt das System sittlicher Forderungen und Normen, dass “ […] zu revolutionieren oder bestehen zu lassen, […] weiterzuentwickeln oder zurückzubilden […]” (Simmel 1989: 37), eine jeweilige Wertintensität bestimmt. Auch nennt er pflichtartige Empfindungen bezüglich bevorstehender Ereignisse, durch die ein Wert durch rein innerliche Reaktionen im Vorhinein geweckt wird, und ästhetische Würdigungen, durch die ein Wert entsteht, indem das sinnlich Anschauliche durch Gefühle und Gedanken ergänzt und eben “[…] nicht einfach hingenommen […]” (Simmel 1987: 37) wird. 2.3.1 Das Als-Ob als formal-soziologisches Apriori In formal-soziologischer Bestimmung entwickelt Simmel ein Klassifikationsschema, bestehend aus drei soziologischen Apriori, um “das Bewusstsein, Gesellschaft zu bilden […]” (Simmel 1992: 41) präzise beschreiben zu können. Die Apriori beinhalten eine dualistische Bedeutungsstruktur: Sie bestimmen einerseits die Vergesellschaftungsprozesse “[…] als Funktionen oder Energien des seelischen Verlaufs […]” (Simmel 1992: 46), und andererseits Lars C. Grabbe 240 bilden sie die Grundvoraussetzung der “ […] perfekten, wenngleich in dieser Perfektion vielleicht niemals realisierten Gesellschaft […]” (Simmel 1992: 46). Obwohl sie praktisch orientierte Seinszustände charakterisieren, lassen sie sich ebenfalls in erkenntnistheoretischer Perspektive fassen. Die formal-soziologisch und philosophisch relevanten Apriori werden zur notwendigen Beschreibungskategorie einer Erkenntnistheorie der Gesellschaft (vgl. Simmel 1992: 47), die explizit die “[…] apriorisch wirkenden Bedingungen oder Formen der Vergesellschaftung […]” (Simmel 1992: 47) in den Blick nimmt. Das erste Apriori thematisiert die Möglichkeit intersubjektiven Verstehens innerhalb sozialer Interaktion. Das zweite Apriori beinhaltet die Verhältnisbestimmung des Vergesellschaftet-Seins und des Nicht-Vergesellschaftet-Seins und dessen charakterologischer Konstitution einer Privatperson. Das dritte, und an dieser Stelle relevante Apriori, konstatiert das Als-Ob als notwendige Bedingung der Möglichkeit von Gesellschaft. Es kennzeichnet die konkrete “[…] “Möglichkeit”, einer Gesellschaft zuzugehören […]” (Simmel 1992: 59) und geht von der Annahme aus, “[…] das jeder seinen Platz in der Gesellschaft finden kann” (Helle 1988: 127). Da Gesellschaft als eine dynamische und auf Wechselwirkung basierende “[…] Verwebung qualitativ bestimmter Erscheinungen” (Simmel 1992: 58) zu bezeichnen ist, ist das Integrieren in diese Gesellschaft von der Prämisse des Als-Ob abhängig: Es strukturiert gewissermaßen einen mentalen Platz innerhalb der Gesellschaft, als virtuell vorhandene Möglichkeit, “[…] sozusagen in einer - nur vorgestellten - prästabilierten Harmonie zwischen dem Individuum und dem Ganzen” (Aulinger 1999: 77). Das Als-Ob ist Voraussetzung des subjektiven Erkenntnislebens und damit des gesellschaftlichen Lebens. In dieser Perspektive ist es als Apriori der sozialen Existenz eines Individuums zu bezeichnen, als “[…] durchgehende Korrelation seines individuellen Seins mit den umgebenden Kreisen […], - so weit es dieses Apriori nicht realisiert oder realisiert findet, ist es eben nicht vergesellschaftet […]” (Simmel 1992: 59). Ohne dieses Apriori wäre die Gesellschaft dann nicht die “[…] lückenlose Wechselwirksamkeit, die ihr Begriff aussagt” (Simmel 1992: 59). Die zentrale Konsequenz des Als-Ob, für das mentale Potential des Subjekts, liegt in der individuellen Bewusstseinstätigkeit begründet. Es gibt “[…] dem Bewusstsein des Individuums die Form, die es zu einem sozialen Element designiert” (Simmel 1992: 61). 2.4 Die vierte Wertcharakteristik Die vierte Charakteristik bezieht sich auf das Objekt eines Wertprozesses (vgl. Simmel 1989: 32), wobei hier zwischen alltäglichem Nützlichkeitswert von Sachdingen (zweckrational eingebunden in das ökonomische Tausch- und Geldsystem) und ästhetischem Wert unterschieden wird. An dieser Stelle wird ausschließlich die ästhetische Wertbestimmung fokussiert, da diese für die folgenden Überlegungen zur transzendentalen Geldlogik von Bedeutung ist. Der ästhetische Wert entwickelt sich im Modus einer rezeptiv-ästhetischen Betrachtung, die für Simmel “[…] am gründlichsten die Schranke zwischen dem Ich und den Objekten […]” (Simmel 1989: 441) beseitigt. Die Form des Wert-Genusses modifiziert sich zum spezifisch ästhetischen Genuss: Dieser lässt “[…] dem Bewusstsein eben jenen freien Spielraum […], ohne Vergewaltigungen und Dementierungen durch die Wirklichkeit - wie es alles dem ästhetischen Genießen eigen ist” (Simmel 1989: 442). In Bezug auf den ästhetischen Wert findet sich eine Anlehnung an die Ausführungen zur zweiten Charakteristik des Werts, da sich das Objekt hier aus seinem konkreten Verhältnis zum Subjekt löst und “[…] erst Geld als virtuelle Praxis 241 durch eine gewisse Distanzierung, Abstraktion, Sublimierung die Metamorphose […]” (Simmel 1989: 47) zu einem ästhetischen Objekt erfährt. Simmel erklärt, dass der ästhetische Wert, “[…] der Beschaffenheit der Dinge selbst fremd und eine Projektion des Gefühles in sie hinein […]” (Simmel 1989: 45) ist. Dieser Tatbestand evoziert jedoch eine paradoxe Situation, da diese Projektion vollkommen in das Objekt eingeht und eine Modifikation an diesem vollzieht. Der Gefühlsinhalt modifiziert das Objekt und generiert “[…] eine dem Subjekt mit eigener Norm gegenüberstehende Bedeutsamkeit […], als etwas, was der Gegenstand ist” (Simmel 1989: 45). Die Modifikation des Objekts, mittels Attribuierung des ästhetischen Werts, hebt es aus einem zweckorientierten Nützlichkeitsverhältnis hinaus. Für Simmel erklärt sich hier die ästhetische Freude bzw. der Schönheitswert, den man an ästhetisch modifizierten Objekten erfährt. Denn es geht nun eben nicht länger um eine konkrete Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, sondern um dessen “[…] bloßes Anschauungsbild” (Simmel 1989: 46) in thematischer Orientierung an Arthur Schopenhauers Konzeption der Welt als Wille und Vorstellung: Diese echoartig anklingende Freude trägt einen ganz eigenen psychologischen Charakter, der dadurch bestimmt ist, dass wir jetzt nichts mehr von dem Gegenstand wollen; an die Stelle der konkreten Beziehung, die uns vorher mit ihm verband, tritt jetzt das bloße Anschauen seiner als Ursache der angenehmen Empfindung; wir lassen ihn jetzt in seinem Sein unberührt, so dass sich unser Gefühl nur an seiner Erscheinung, nicht aber an das knüpft, was von ihm in irgendeinem Sinne konsumierbar ist (Simmel 1989: 45). Die ästhetische Freude dient Simmel einerseits als Element um den “Kern der ästhetischen Verfassung” (Simmel 1993: 88) eines Individuums nachzuweisen, andererseits liegt darin die spezifisch ästhetische Modifikation eines Objekts begründet. 3 Die transzendentalphilosophische Geldtheorie Geld zeigt sich in einer ersten und ökonomisch relevanten Annäherung als abstrakter Vermögenswert, der über einen materialen Träger verfügt (z.B. Münzen, Goldstücke, Banknoten, Muschelwährung etc.) und seine “[…] ganze Bedeutung für uns aber nur in der inneren Vorstellung hat, die er trägt oder symbolisiert” (Simmel 1989: 122). Die Symbolik des Geldes liegt in einem selbständigen Ausdruck des Tauschverhältnisses von Objekten, so dass Geld die “[…] Tatsache dieses Verhältnisses herausdifferenziert […] und jenen Gegenständen gegenüber eine begriffliche - und ihrerseits an ein sichtbares Symbol geknüpfte - Existenz gewinnt” (Simmel 1989: 122). Der individuelle Wert des Geldes (z.B. 10$) strukturiert dann das Maß der Tauschbarkeit. Geld unterscheidet sich allerdings von Alltagsdingen die deswegen gelten, weil sie einen Inhalt haben, denn Geld bezieht seinen Inhalt aus dem reinen Gelten an sich. Es wird in dieser Perspektive beschreibbar als das zur “[…] Substanz erstarrte Gelten, das Gelten der Dinge ohne die Dinge selbst” (Simmel 1989: 124). Da es demnach das Symbol des Tauschverhältnisses der Objekte darstellt, wird es von Simmel als “[…] Sublimat der Relativität der Dinge […]” (Simmel 1989: 124) beschrieben, welches gleichzeitig “[…] als der ruhende Pol den ewigen Bewegungen, Schwankungen, Ausgleichungen derselben gegenübersteht” (Simmel 1989: 124f.). Innerhalb einer Ordnung von alltäglichen Nutz- und Sachdingen und ästhetischen Objekten bekleidet Geld einen komplexen symbolischen Platz: Einerseits besitzt Geld einen konkreten sichtbaren und ökonomisch-institutionellen Wert (z.B. 5-Cent-Münze, Lars C. Grabbe 242 1-Dollar-Schein). Andererseits drückt Geld die Wertrelation von Objekten untereinander aus, obwohl es diesen dennoch gegenübersteht, und ermöglicht als Generalnenner aller Werte eine universelle Funktion, losgelöst von einem eigenen Substanzwert. Diese Universalität entbindet das Geld von einer eigenen Individualform des Werts, da es als “[…] Träger und Ausdruck der Tauschbarkeit als solcher, das unindividuellste Gebilde unserer praktischen Welt ist” (Simmel 1989: 128). Geld ist rein fungibel, da es jeden sich im Tauschprozess befindlichen Gegenstand ersetzen kann, aber nicht individuell, da man den charakteristischen “[…] Mangel jenes spezifischen Wertes an einem Ding nicht schärfer ausdrücken [kann LCG], als dass man seine Stelle durch sein Geldäquivalent ausfüllen lässt, ohne eine Lücke zu empfinden” (Simmel 1989: 128). Dennoch liegt in dieser Funktionalität die spezifische Fähigkeit des Geldes begründet die “[…] Kontinuität der wirtschaftlichen Ereignisreihe” (Simmel 1989: 129) zu gewährleisten. Dieses Kontinuitätspotential kommt ihm aufgrund einer Doppelrolle zu. Einerseits ist es innerhalb der wirtschaftlichen Reihe ein realer Faktor und institutionell garantierter Funktionsträger, andererseits steht es außerhalb der wirtschaftlichen Reihe, bedingt durch eine mental-ideelle Struktur: Denn es könnte doch wohl nicht jedes einzelne Objekt aufwiegen und zwischen beliebig diskrepanten die Brücke sein, wenn es selbst ein “einzelnes” Objekt wäre; in die Relation, in deren Gestalt sich die Kontinuität der Wirtschaft vollzieht, kann es mit absoluter Zulänglichkeit ergänzend und ersetzend nur eintreten, weil es, als konkreter Wert, nichts ist als die zu einer greifbaren Substanz verkörperte Relation der Wirtschaftswerte selbst (Simmel 1989: 130). Die Doppelrolle des Geldes manifestiert sich ebenfalls in Bezug auf das oben erwähnte Distanzparadigma. Geld verkörpert demnach Distanz, weil es als Mittel eingesetzt wird, um Objekte zu erlangen. Diese Mittelstellung rückt nun erstens die Objekte in Distanz zum Subjekt, weil diese erst im Umweg über das Geld erlangt werden können, und zweitens das Geld in Distanz zum Subjekt, weil dieses wiederum nur als Mittel zum Zweck der Beschaffung von Objekten eingesetzt wird. Werden die Objekte schließlich erhalten, so nur unter der Bedingung, dass das Geld die Objekte gleichsam aus der ökonomischen Sphäre abzieht. Die “[…] reinste Wechselwirkung hat in ihm die reinste Darstellung gefunden […]” (Simmel 1989: 137). Am Geld zeigt sich demnach die “[…] Greifbarkeit des Abstraktesten […]” (Simmel 1989: 137), weil Geld seinen Sinn aus der Übereinzelheit (vgl. Simmel 1989: 137) bezieht. Geld ist für Simmel präziser Ausdruck der produktiven Entwicklung des menschlichen Geistes und damit direkt bezogen auf die Entwicklung der Kulturgeschichte. Zeigt sich in den Anfängen des Geldverkehrs noch ein Primat des Substanzwerts, z.B. die Substanz Gold als Wertmaßstab der Goldmünze, so entwickelt sich aus dieser unmittelbaren Wertbeziehung eine für die Moderne typische ideelle Wertbeziehung. In der modernen Ökonomie ist Geld als solches dann kein wertvoller Gegenstand, denn: “[…] aus der Form der Unmittelbarkeit und Substanzialität, in der es diese Obliegenheiten zuerst erfüllt, geht es in die ideelle über, d.h. es übt seine Wirkungen als bloße Idee, welche sich an irgend ein vertretendes Symbol knüpft” (Simmel 1989: 165). Da es sich demnach in eine “[…] tiefgelegene Kulturtendenz […]” (Simmel 1989: 165) einordnet, ist es direkt abhängig von der “[…] Fähigkeit des ausgebildeten Geistes […]” (Simmel 1989: 164). Dieser vergeistigten Kulturtendenz ist eine gleichzeitige und parallel verlaufende Entwicklung symbolischer Prozesse inhärent. Simmel zufolge wächst die Symbolisierung der Realitäten (vgl. Simmel 1989: 166) innerhalb der Moderne, bedingt durch eine Steigerung und Intensivierung der Lebensmomente. Um dieser Reizsteigerung adäquat begegnen zu können, denn eine unmittelbare Beziehung zur komplex Geld als virtuelle Praxis 243 gewordenen Objektwelt erscheint erschwert, wird es nötig, “[…] mit Zusammenfassungen, Verdichtungen und Vertretungen ihrer in symbolischer Form” (Simmel 1989: 167) zu operieren. Demnach impliziert das Primat lebensweltlicher Idealität notwendigerweise eine Symbolik, “[…] die auf den niederen Lebensstufen so oft Umweg und Kraftvergeudung ist, […] auf den höheren gerade einer die Dinge beherrschenden Zweckmäßigkeit und Kraftersparnis” (Simmel 1989: 167) dient. Diese Symbolik ist durch eine Form der symbolischen Quantifizierung geprägt, die eine “[…] symbolische Behandlung der Dinge” (Simmel 1989: 169) erleichtert. Geld wird beispielsweise nicht länger, bedingt durch die Entsubstanzialisierung, auf die Qualität des eigenen Werts bezogen, sondern auf ein reines Wertquantum in numerischer Form. Durch diese Quantifizierungstendenz lassen sich dann Tauschrelationen, Abstraktionen, Durchschnitte und Zusammenfassungen einsetzen, um eine Kraftersparnis des modernen Subjekts zu erreichen. Die Entwicklung des Geistes zeichnet die Bedingung vor, durch die das Geld seinem Eigenwert gegenüber gleichgültig und zum reinen Symbol (vgl. Simmel 1989: 175) wird. In dieser Wechselbestimmung liegen die kulturphilosophischen und anthropologischen Zusammenhänge begründet, die das Geld “[…] auf seinen reinen Begriff zu und von seiner Fesselung an bestimmte Substanzen abführen” (Simmel 1989: 199). Geld zeigt sich als Bestandteil der Entwicklung des menschlichen Geistes, ist ein Symbol für die abstrakte Wertrelation, fungiert als Teilaspekt der Kulturströmungen und wird Initial kulturell-ökonomischer Entwicklungsprozesse. In dieser Perspektive bezeichnet Simmel die Geldtheorie als eine transzendentalphilosophische Geldtheorie, da es ihm explizit um die Erkenntnis geht, dass “[…] jegliches Objekt, körperhafter oder geistiger Art, für uns nur besteht, insofern es von der Seele in ihrem Lebensprozess erzeugt wird, oder genauer: insofern es eine Funktion der Seele ist” (Simmel 1989: 208). Die transzendentalphilosophische Implikation wird dem Tatbestand gerecht, dass das “[…] Wesentliche des Geldes Vorstellungen sind, die, weit über die eigene Bedeutung seines Trägers hinaus, in ihm investiert sind” (Simmel 1989: 245). Die kulturelle Entwicklung führt notwendigerweise zu einer Vergeistigung des Geldes (vgl. Simmel 1989: 246), da sich die Substanzkategorie als völlig ungeeignet für eine mentale Entwicklungsdynamik zeigt. Simmel betont, dass Geld erst dann wirklich zu Geld werden kann, wenn die Substanz zurücktritt und sich die reine Symbolik des Geldes offenbart (vgl. Simmel 1989: 246f.). Nur dann wird es “[…] zu jenem wirklichen Ineinander und Einheitspunkt wechselwirkender Wertelemente, der nur die Tat des Geistes sein kann” (Simmel 1989: 246). Seinen spezifischen Sinn bezieht das Geld in der “[…] völligen Auflösung in Bewegung und Funktion […]” (Simmel 1989: 212), d.h. in der Verkörperung des Tauschs unter sozial interagierenden Individuen. Da sich die ökonomische Kultivierung bis in internationale Kreise ausdehnt und die sozialen Kreise immer komplexere Verbindungen annehmen, schlussfolgert Simmel, dass in diesem Tatbestand eine weitere Grundlage dafür zu finden ist, dass “[…] der Substanzwert des Geldes immer geringer [wird LCG] und immer vollständiger durch seinen Funktionswert ersetzt werden kann” (Simmel 1989: 221). Da die heutige Geldform nicht länger dadurch gekennzeichnet ist “[…] was das Geld ist, sondern wozu es ist […]” (Simmel 1989: 251), gewinnt es auf der Ebene der semiotischen Funktionsbedeutung auf höherer Stufe etwas zurück, was es auf der Stufe des Substanzwerts aufgegeben hat. Durch die ontosemiotische Verschiebung der Substanzbedeutung hin zur Funktionsbedeutung entwickelt sich die Ontologie der Vorhandenheit zu einer Ontologie des Möglichen im Funktionswert des Geldes. Da sich das Geld als absolutes Mittel stabilisiert, verkörpert es, wie Simmel explizit hervorhebt, die “[…] praktische Stellung des Menschen […] zu seinen Willensinhalten” Lars C. Grabbe 244 (Simmel 1989: 265). Daher ist die Form des Geldes geeignet, um den Kern der Grundmotive des Lebens aufzudecken und diese durch die eigene Form des absoluten Mittels zu repräsentieren. Gleich dem Leben lässt sich Geld nicht auf einen alleinigen Zweck reduzieren, sondern es steht vielmehr in Beziehung “[…] zu der Gesamtheit der Zwecke” (Simmel 1989: 267). In ihm manifestiert sich die komplexe “[…] Möglichkeit der nicht vorausgesehenen Verwendung auf ihr Maximum […]” (Simmel 1989: 267) und stabilisiert das Potential einer prinzipiell unbegrenzten Einsetzbarkeit. Das Geld hat demnach nicht nur die Möglichkeit, sondern ist die Möglichkeit als virtuelle Funktion. Diese Virtualität führt zu einer Entscheidungsfreiheit der Geldverwendung für die es “[…] innerhalb des Waren- und Arbeitskreises kaum annähernde Analogien gibt” (Simmel 1989: 268). Zu dem Wert einer gegebenen Geldsumme, die gleich dem Wert des erlangten Objekts ist, tritt dann zusätzlich das Plus der Wahlfreiheit: Die virtuelle Funktion konstituiert einen Zusatzwert, das Wertplus des Geldes (vgl. Simmel 1989: 268). Dieses Wertplus konstituiert eine unbegrenzte Sphäre zwischen Subjekt und Objekt, so dass sich das Geld weit über das Subjekt hinaus erstrecken kann. In dieser Sichtweise ist das finanzielle Vermögen von einem “[…] Umkreis zahlloser Verwendungsmöglichkeiten umgeben, wie von einem Astralleib, der sich über seinen konkreten Umfang hinausstreckt” (Simmel 1989: 276). Um dieses Argument zu legitimieren begreift Simmel das ökonomische Vermögen als “[…] das Können, das Imstandesein schlechthin” (Simmel 1989: 276), welches sich grundsätzlich innerhalb der subjektiven Wirklichkeit manifestiert. Alle im Wertplus des Geldes enthaltenen Möglichkeiten werden durch das Subjekt psychologisch reflektiert (vgl. Simmel 1989: 276) und stabilisieren eine mentale Handlungsoption. Diese Option wird beschreibbar als einheitliche “[…] Macht- und Bedeutungsvorstellung […]” (Simmel 1989: 276) die durch eine “[…] reine Potentialität, die das Geld darstellt […] verdichtet […]” (Simmel 1989: 276) wird. Demgemäß sind diese Vorstellungstypen psychologisch wirksam und werden in ein konkretes Empfinden transponiert, welches “[…] zugunsten des Geldbesitzers wirksam wird” (Simmel 1989: 276). Simmel vergleicht diesen psychologischen Effekt mit dem ausgelösten Reiz eines Kunstwerks, welcher ebenfalls weit mehr beinhaltet als die sachlich notwendigen Reaktionen des ersten Eindrucks, sondern auf ein komplexes System von “[…] zufälligen, individuellen, indirekten Gefühlskombinationen […]” (Simmel 1989: 277) angewiesen ist. Strukturiert die Wahlfreiheit des Geldes die virtuelle Funktion des Wertplus’, so konstituiert die psychologisch wirksame Macht- und Bedeutungsvorstellung ein “[…] Superadditum des Geldbesitzes […]” (Simmel 1989: 281). Dieses wird als Form des metaphysischen Wesens des Geldes klassifiziert, welches explizit die “[…] Möglichkeit aller Werte als den Wert aller Möglichkeiten zur Geltung bringt” (Simmel 1989: 281). Die reine Potentialität, die das Superadditum in der subjektiven Sphäre verankert, ist ein Fundament für eine mögliche psychologisch-ästhetische Expansion (vgl. Simmel 1989: 293) des Subjekts. Aus diesem Grund vergleicht Simmel die Möglichkeits-Form bzw. virtuelle Form des Geldes mit der ideellen Gottesvorstellung und attestiert diesen Konzepten eine bedeutsame Beziehung. Die Gottesvorstellung manifestiert eine psychologisch wirksame Idee in der “[…] alle Fremdheiten und Unversöhntheiten des Seins […] ihre Einheit und Ausgleichung finden” (Simmel 1989: 305). Der Effekt dieser Idee wird durch das Subjekt empfunden und als Seelenfrieden oder Sicherheit reflektiert. Die durch Geldbesitz evozierten Empfindungen sind mit denen durch die Gottesvorstellung nun vergleichbar, weil die Form des Superadditums ebenfalls zu einer “[…] Erhebung über das Einzelne […]” (Simmel 1989: 305) führt. In dieser Weise konstituiert es ein “[…] Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Prinzips […]” (Simmel 1989: 305) und führt zu einem sublimierten Machtgefühl. Simmel denkt die Konzepte Macht und Geld als Modi des Geld als virtuelle Praxis 245 Könnens, in denen sich mögliche Elemente der Zukunft in der “[…] Form einer objektiv vorhandenen Gegenwart […]” (Simmel 1989: 313f.) sammeln. Können bedeutet hier allerdings nicht ein bloßes zeitliches Vorwegnehmen einer möglichen Zukunft, sondern einen sich einstellenden modifizierten Zustand der Wirklichkeit, in welchem Spannkräfte und physisch-psychische Koordinationen, als zielgerichtete Elemente, bereits vorhanden sind. Da sich die reine Form des Geldes nun explizit durch die virtuelle Funktion des unbeschränkten Zugriffs auf mögliche Objekte realisiert, ist die Einheit des Subjekts die notwendige Kategorie um die quantitative Möglichkeitsform des Geldes in Qualität der Wertempfindung zu überführen: “[…] die Beziehung auf die Einheit einer Person verwirklicht die Quantität des Geldes als Qualität, seine Extensität als Intensität, die aus dem bloß summierenden nebeneinander seiner Bestandteile nicht erzielbar wäre” (Simmel 1989: 360). 4 Geldform und Besitzform Geld löst gewissermaßen die Verbindung von Sein und Haben, weil seine Funktion als absolutes Mittel auf keine reale Sachnutzung der eigenen Geldsubstanz angewiesen bleibt, sondern gerade auf die Erlangung verschiedener Objekte abzielt. In dieser Perspektive bietet Geld eine Form der Erweiterung innerhalb der Ordnung der Dinge, denn das bloße Eigentum des Geldes ist die “[…] sozial garantierte Potenzialität der vollständigen Nutznießungen eines Objekts” (Simmel 1989: 413), wobei Geld dann die “[…] Möglichkeit der Nutznießung unbestimmt vieler Sachen” (Simmel 1989: 413) verkörpert. Die Möglichkeitsform des Geldes führt dann in aller Konsequenz zu einer “[…] Potenz des allgemeinen Eigentumsbegriffes” (Simmel 1989: 413). Beispielsweise ermöglicht ein agrarökonomischer Landbesitz neben Nutzungsrecht oder Nutzungspflicht der Bewirtschaftung auch den Genuss des erwirtschafteten Ertrags. Das Geld hingegen garantiert dem Besitzer, dass er für sein “[…] Geld Getreide, Holz, Wild usw. sich aneignen kann. […] Es legt also von sich aus nicht seine weitere Ausnutzung und Fruktifizierung fest, wie einseitig bestimmte Objekte es tun” (Simmel 1989: 413f.). Die zweckorientierten Besitzformen von Sachgegenständen, die eben nicht über den Funktionswert des Geldes verfügen, stellen demnach spezifischere Forderungen an das Subjekt und implizieren statische Wirkungsweisen als “[…] Determination oder Fesselung […]” (Simmel 1989: 415). Geldbesitz hingegen evoziert, im Kontext von Forderung und Wirkung, “[…] wenigstens unterhalb einer sehr hoch gesteckten und sehr selten erreichten Grenze, nach beiden Seiten hin volle Freiheit” (Simmel 1989: 415) und damit Potential für die dynamische Entwicklung der Persönlichkeit. Durch den Funktionswert des Geldes kann sich das moderne Individuum von der Determination des Sachbesitzes lösen und die Greifbarkeit und quantitative Bestimmtheit des Geldes nutzen, um “[…] einen gewissen Halt und psychische Erlösung gegenüber dem Schwanken und Fließen qualitativer Lebenswerte” (Simmel 1989: 417) zu generieren. Geld fehlt demnach eine Beschaffenheit, die dem Subjekt Grenzen zu setzen vermag, denn es fügt sich jedem Zweck als ein absolutes Mittel und reine Funktion. Es gewährt dem Subjekt die “[…] entschiedenste und restloseste Art, sich in ein Objekt hinein auszuleben” (Simmel 1989: 437) und mögliche Grenzen oder Hemmnisse entstammen “[…] nur aus den Dingen, die hinter ihm stehen […]” (Simmel 1989: 436). Die virtuelle Funktion des Geldes manifestiert eine scheinbar paradoxe Struktur die am deutlichsten im Vergleich mit Sachgegenständen zu Tage tritt. Simmel hebt hervor, dass ein Objekt nur etwas sein kann, wenn es selbst etwas für sich ist, “[…] nur also, indem es unserer Freiheit eine Grenze setzt, gibt es Lars C. Grabbe 246 ihr Raum” (Simmel 1989: 437). Geld hingegen ist formal nachgiebig, da es durch absolute Leerheit (vgl. Simmel 1989: 437) gekennzeichnet ist, und zugleich formal unnachgiebig, da wir es durch dessen Leerheit bereits absolut besitzen und ihm “[…] sozusagen nichts weiter entlocken” (Simmel 1989: 437) können: […] es ist mehr für uns, als irgend ein Besitzstück, weil es uns ohne Reserve gehorcht - und es ist weniger für uns, als irgend eines, weil ihm jeglicher Inhalt fehlt, der über die bloße Form des Besitzes hinaus aneigenbar wäre. Wir haben es mehr als alles andere, aber wir haben weniger an ihm, als an allem anderen (Simmel 1989: 437). Die psychologische Expansion am Konstrukt Geld ist ebenfalls paradox, da es einerseits die vollständigste Ausdehnung bis in den Bereich des nur Möglichen erlaubt, und andererseits die beschränkteste Ausdehnung zum Ausdruck bringt, weil es “[…] jegliche Form annimmt, keine aber sozusagen in sich selbst ausprägt, sondern jede Bestimmtheit derselben erst von dem umschließenden Körper erhält” (Simmel 1989: 439). In der virtuellen Funktion und psychologischen Expansion liegt das sublimierte Machtgefühl des Geldbesitzes begründet, denn es baut eine: “[…] Brücke zwischen dem so empfindenden Menschen und den Dingen, über die hinschreitend die Seele den Reiz ihres Besitzes auch dann empfindet, wenn sie zu diesem selbst gar nicht gelangt” (Simmel 1989: 440). Da es folglich direkt in der Funktion aufgeht, attestiert Simmel der Freude am Geldbesitz eine Ähnlichkeit mit der ästhetischen Freude (ästhetischer Wert), da in beiden Aspekten am gründlichsten die “[…] Schranke zwischen dem Ich und den Objekten […]” (Simmel 1989: 441) beseitigt wird. Durch den reinen Funktionswert stabilisiert es die von der sinnlichen Unmittelbarkeit entfernteste Sphäre des Möglichen, so dass die Freude am Geldbesitz ausschließlich durch einen “[…] Prozess des Denkens und der Phantasie […]” (Simmel 1989: 443) realisiert werden kann. Die Freude am Geldbesitz zeigt sich dann in Korrelation zur Möglichkeitsform des Geldes, so dass der Prozess von Denken und Phantasie die Expansionsfähigkeit des Subjekts erweitert. Sachobjekte bilden selbst die Grenze aus, an der die ästhetische bzw. psychologische Expansion des Ich nicht mehr weiterreichen kann, das Geld hingegen unterstützt eine komplexe Ich- Expansion: Durch die Fernwirkung des Geldes kann das Ich seine Macht, seinen Genuss, seinen Willen an entferntesten Objekten ausleben, indem es die nächstgelegenen Schichten vernachlässigt und übergeht […]. Die Expansionsfähigkeit des Subjekts, die durch seine Natur selbst beschränkt ist, zeigt dem bloßen Gelde gegenüber eine größere Weite und Freiheit als an jedem anderen Besitz (Simmel 1989: 445). 5 Schlussbemerkung Georg Simmel erarbeitet in seiner Philosophie des Geldes (1900) ein zeichentheoretisch orientiertes Relationsgefüge aus Wert, Tausch und Geld, um dieses mit dem Konzept einer ästhetischen Verfassung des neuzeitlichen Individuums zu kombinieren. Es gelingen ihm präzise Analysen der symbolischen Dimension subjektiver Erkenntnisfähigkeit und eine als rationales Prinzip des Verstehens fungierende Konzeption des Ästhetischen. Durch die komplexe Korrelation von transzendentalphilosophischer Bewusstseinform und phantasmatisch-imaginärem Erkenntnispotential manifestiert der Funktionswert des Geldes eine Form des virtuell-mentalen Zugriffs auf die Realität, ermöglicht die Modulation des Bewusstseins durch ein sublimiertes Machtgefühl und funktionaler Geldbesitz konstituiert Geld als virtuelle Praxis 247 sich als ästhetische Erweiterung der subjektiven Seins-Sphäre. Gelderlangung, Geldbesitz und Geldnutzung zeigen sich als Funktionselemente einer virtuellen Praxis, die sich erst durch eine ästhetische Bewusstseinsform vollständig realisiert. Zentrale Bestimmungsgröße der ästhetischen Bewusstseinsform, die gleichsam apriorische Voraussetzung der spezifisch symbolischen Erkenntnisfähigkeit des Menschen, bildet die Synthese aus produktivem Denken und schöpferischer Phantasie. Durch diese konstituiert Simmel das mentale Prinzip des Als-Ob als eine Bedingung der Möglichkeit sozialer Wirklichkeit, Wertanerkennung und Wertempfindung und einer Ontologie des Möglichen im Konstrukt des Geldes. Literatur Aulinger, Barbara 1999: Die Gesellschaft als Kunstwerk. Fiktion und Methode bei Georg Simmel, Wien: Passagen Bauer, Isidora 1961: Die Tragik in der Existenz des modernen Menschen bei Georg Simmel, Dissertation, München: Universität Blumenberg, Hans 1976: “Geld oder Leben. Eine metaphorologische Studie zur Konsistenz der Philosophie Georg Simmels”, in: Hannes Böhringer & Karlfried Gründer (eds.) 1976: Ästhetik und Soziologie um die Jahrhundertwende: Georg Simmel (= Studien zur Philosophie und Literatur des 19. Jahrhunderts 27), Frankfurt/ Main: Vittorio Klostermann, S. 121-134 Cassirer, Ernst 1989: “Dingwahrnehmung und Ausdruckswahrnehmung”, in: id. 1989: Zur Logik der Kulturwissenschaften. Fünf Studien, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 34-55 De Monthoux, Pierre G. & Strati, Antonio 2002: “Modernity/ art and Marketing/ aesthetics - a Note on the Social Aesthetics of Georg Simmel”, in: Consumption, Markets and Culture 5.1 (2002): 1-11 Grabbe, Lars Christian 2011: Georg Simmels Objektwelt. Verstehensmodelle zwischen Geschichtsphilosophie und Ästhetik, Stuttgart: ibidem Helle, Horst J. 1988: Soziologie und Erkenntnistheorie bei Georg Simmel (= Erträge der Forschung 259), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Lieber, Hans-Joachim & Furth, Peter 1958: Zur Dialektik der Simmelschen Konzeption einer formalen Soziologie, in: Gassen, Kurt & Landmann, Michael (eds.) 1958: Buch des Dankes an Georg Simmel. Briefe, Erinnerungen, Bibliographie. Zu seinem 100. Geburtstag am 1. März 1958, Berlin: Duncker & Humblot, S. 39-59. Mack, Wolfgang & Röttgers, Kurt 2007: “Gesellschaftsleben und Seelenleben. Anknüpfungen an Gedanken von Georg Simmel”, in: Hubig, Christoph & Jüttemann, Gerd (eds.) 2007: Philosophie und Psychologie im Dialog, vol. 1, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Menzer, Ursula 1992: Subjektive und objektive Kultur. Georg Simmels Philosophie der Geschlechter vor dem Hintergrund seines Kultur-Begriffs (= Feministische Theorie und Politik 8), Pfaffenweiler: Centaurus Metzinger, Thomas 1999: Subjekt und Selbstmodell. Die Perspektivität phänomenalen Bewusstseins vor dem Hintergrund einer naturalistischen Theorie mentaler Repräsentation, Paderborn: mentis Mörchen, Hermann 1970: Die Einbildungskraft bei Kant, Tübingen: Niemeyer Rieger, Stefan 2003: Kybernetische Anthropologie. Eine Geschichte der Virtualität, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Simmel, Georg 1978: “Der Begriff und die Tragödie der Kultur”, in: id. 1978: Das individuelle Gesetz. Philosophische Exkurse, ed. Landmann, Michael, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Simmel, Georg 1989: Philosophie des Geldes (= Gesamtausgabe 6), ed. David Frisby & Klaus C. Köhnke, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Simmel, Georg 1992: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung (= Gesamtausgabe 11), ed. Otthein Rammstedt, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Simmel, Georg 1993: Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908 (= Gesamtausgabe 8), ed. Allessandro Cavalli & Volkhard Krech, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Simmel, Georg 1997: Kant (Gesamtausgabe 9), ed. Guy Oakes & Kurt Röttgers, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Ziemann, Andreas 2000: Die Brücke zur Gesellschaft: Erkenntnistheoretische und topographische Implikationen der Soziologie Georg Simmels, Konstanz: UVK [Universitäts-Verlag Konstanz] Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Monika Schwarz-Friesel Sprache und Emotion UTB M 2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2013 XIV, 410 Seiten €[D] 24,99/ SFr 34,70 ISBN 978-3-8252-4039-4 Emotionen sind für das menschliche Leben und Erleben konstitutive Phänomene: Sie bestimmen maßgeblich unsere Bewusstseins-, Denk- und Handlungsprozesse. Mittels der Sprache werden Emotionen ausgedrückt und benannt, geweckt, intensiviert oder generiert. Das vorliegende Buch zeigt, wie vielfältig die sprachlichen Möglichkeiten sind, unserer Gefühlswelt Ausdruck zu verleihen. Emotion wird zunächst als mehrdimensionales Kenntnis- und Bewertungssystem definiert und es wird ein integrativer Ansatz vorgestellt, demzufolge Sprache, Kognition und Emotion relevante Schnittstellen haben. Anhand innovativer Fallstudien werden die textuellen Manifestationen zentraler Gefühle erörtert, die eine besonders intensive Symbiose von Emotion und Sprache aufweisen: Angst, Trauer, Liebe, Verzweiflung und Hass. Die Neuauflage wurde ergänzt und umfassend aktualisiert. Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm Doris Schöps Während semantisierte Körperbewegungen (Gesten) mittlerweile ein etablierter Forschungsbereich sind, wurden semantisierte Körperhaltungen bisher nur randständig erforscht. Im vorliegenden Beitrag werden Grundlagen einer Körperhaltungsforschung vorgestellt. Dazu wird zunächst eine semiotische Klassifikation von Haltungs- und Bewegungstypen eingeführt, die sich auf die Merkmale statisch, konventionalisiert, semantisiert und kodiert stützt. Aufbauend auf der von Roland Posner entwickelten Klassifikation grundlegender Zeichentypen (Posner 1996) wird im Anschluss eine Hierarchie von komplexen Zeichenhandlungen entwickelt, die in der Lage ist, die mit Körperhaltungen verbundenen Zeichenprozesse von einfachen Signalen bis hin zur Kommunikation zu erfassen. Schließlich werden die ausdrucks- und inhaltsseitigen Klassifikationssysteme auf zwei Beispielsequenzen, die bekannten DEFA-Filmen entnommen wurden, angewandt. Während im Alltag oft nur relativ vage Zuschreibungen möglich sind, wird gezeigt, dass Körperhaltungen im Film aufgrund von kinematographischen Mitteln stärker semiotisiert und disambiguiert sind. Unter Bezug auf Darstellungstraditionen in Ikonographie und Alltagskultur wird aufgezeigt, wie es zu Semantisierungen bei Körperhaltungen im Film kommen kann. 1 Semiotische Klassifikation von Körperhaltungen und Körperbewegungen In diesem Beitrag 1 wird ein semiotischer Ansatz zur Untersuchung von Körperhaltung vorgeschlagen, methodisch ausgearbeitet und in Beispielanalysen angewandt. Ein semiotischer Zugriff auf Körperhaltung ermöglicht insgesamt zu verstehen, (a) was den Zeichencharakter von Haltungszeichen ausmacht; (b) welche Rolle Körperhaltungen als körperliche Zustandsereignisse in einem “Signifikations- und Kommunikationsrahmen” (Eco 1987: 64) einnehmen. Abbildung 1 stellt eine Klassifikation vor, die Körperhaltungen und Körperbewegungen mit Hilfe der Merkmale statisch, konventionalisiert, semantisiert und kodiert einteilt und benennt: 2 K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Doris Schöps 250 Abb. 1: Klassifikation von Körperbewegungen und Körperhaltungen Körperhaltungen und Körperbewegungen werden durch anatomisch-motorisches Verhalten, das im Wachzustand gegen die Schwerkraft gerichtet ist, bewirkt. Während der Vollzug einer Körperbewegung die Folge von unmittelbar ortsverändernder Muskelbewegung und -koordination ist, wird eine Körperhaltung durch örtlich fixiertes Z u s t a n d s v e r h a l t e n - muskuläre Haltetätigkeit durch Wechselwirkung von muskulären Agonisten und Antagonisten sowie Gelenkstellungen als auch Körperspannung (Muskeltonus) - eingenommen. Auf der ersten Ebene der Klassifikation wird das Merkmal +/ -statisch angewandt, um Körperbewegungen (-statisch) von Körperhaltungen (+statisch) zu unterscheiden. Jede Veränderung des körperlichen Zustands durch Veränderung der Gelenkstellungen und/ oder der Positionierung im Raum ist eine Körperbewegung. Als statisch sollen nur solche Körperzustände bezeichnet werden, die mindestens für kurze Zeit bei Ausbalancierung des Körpergleichgewichts gehalten werden können; dies setzt voraus, dass die Körperhaltung anatomisch stabil eingenommen werden kann - auch unter Zuhilfenahme von Abstützungen. Momentane Anordnungen des Körpers im Raum, die nicht “statisch” im definierten Sinn sind, kommen häufig als Ausschnitt einer Körperbewegung vor (sie erscheinen beispielsweise auf Fotos oder im Stroboskoplicht in einer Disko); sie werden hier nicht zu den Körperhaltungen gezählt. Auf der zweiten Ebene der Klassifikation lassen sich im zur Diskussion stehenden Verhaltensbereich über das Merkmal +/ -konventionalisiert Teilmengen an Bewegungs- und Haltungsvorkommnissen bestimmen: Körperbewegungen und Körperhaltungen, die eine prägnante Einheit der Form (eine Gestalt) bilden, werden als “Bewegungsfigur” (-statisch, Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 251 +konventionalisiert) respektive “Haltungsfigur” (+statisch, +konventionalisiert) bezeichnet. 3 Diese sind von “Bewegungskonfiguration” und “Haltungskonfiguration” zu unterscheiden, die nicht konventionalisiert sind. Die fünf bekannten grundlegenden Verhaltenstypen des Verharrens an Ort und Stelle, nämlich Stehen, Liegen, Sitzen, Hocken und Knien, sind wichtige Haltungsfiguren. Sie haben sich im Laufe der Evolution (etwa im Fall der Bipedie) sowie der kulturellen Entwicklung des Menschen (etwa im Fall der Sitzkulturen, die Sitzstellungen auf Stühlen hervorgebracht haben) als die anatomische “Materie” (anatomische Beschränkungen; vgl. Hjelmslev 1974) überformende Praktiken mit unterschiedlichen Zwecken herausgebildet. Die Haltungsfigur des Hockens unterscheidet sich unter anderem vom Knien dadurch, dass der Fuß die Hauptlast trägt (Vogel 2003: 30). Beim Knien trägt sie dementsprechend das Knie. Beide Haltungsfiguren kommen ebenso wie das Sitzen innerhalb eines Haltungssyntagmas vor, bei dem Knie- und Hüftgelenk angewinkelt sind. Hocken wiederum wird auf verschiedene Arten in Kulturen bevorzugt. Die Haltung des “Zehenspitzenhockens” auf dem Ballen (die Füße sind gestreckt und die Fersen haben keinen Bodenkontakt mehr, Hände und Oberarme sind auf den Oberschenkeln abgestützt) vollziehen ausgewachsene Europäerinnen und Europäer. Aufgrund des erhöhten Balanceaufwands ist sie jedoch nur kurzzeitig durchführbar. Die strukturell vergleichbare Haltung des “Fußsohlenhockens” mit Fersen-Boden-Kontakt und eng am Gesäß anliegenden Waden, die sehr lang gehalten werden kann, wird demgegenüber in nicht-westlichen Kulturen bevorzugt und weist dort die Inhaltsform, ‘Ruheposition’ zu sein, auf (Vogel 2003: 31). Auf der dritten Ebene der Klassifikation wird das Merkmal +/ -semantisiert eingeführt, um die Kategorie der “Figur” auf beiden Seiten weiter zu bestimmen. Es wird dabei von einer weiten Auffassung von Semantik ausgegangen, die auch vage und kontextabhängige Zeicheninhalte einschließt. 4 Bei den Körperbewegungen wird zwischen “Adaptor” 5 (-statisch, +konventionalisiert, -semantisiert) und “Geste” (-statisch, +konventionalisiert, +semantisiert) unterschieden. Ein Beispiele für einen Adaptor wäre das Berühren des eigenen Kinns im Gespräch, das einen rein physiologischen Zweck erfüllt. Beispiel einer Geste ist das Öffnen beider Hände 6 im Gesprächsverlauf. Für uns relevanter ist jedoch die Unterscheidung in “Pose” (+statisch, +konventionalisiert, +semantisiert) und “Position” (+statisch, +konventionalisiert, -semantisiert) im Bereich der Haltungsfigur. Als Beispiel für eine Pose sei das Strammstehen eines Rekruten der Armee genannt, dem die Zeicheninhalte ‘Disziplin’ und ‘Konzentration’ zugeordnet werden können. Beispiele für Positionen sind etwa das Sitzen mit verschränkten Beinen oder das Liegen mit ausgestreckten Armen. Auf der vierten Ebene der Klassifikation wird das Merkmal +/ -kodiert eingeführt. Kodierte Zeichen weisen stabile Form-Inhaltsbezüge auf, die sich in einer Zeichenbenutzergemeinschaft herausgebildet haben; sie haben eine feste (= kontextunabhängige) Bedeutung oder eine begrenzte Zahl alternativer Bedeutungen (Polysemie). Nicht-kodierte Gesten werden als “Bewegungssymptome”, kodierte Gesten als “Gestenembleme” 7 bezeichnet. Ein Beispiel für ersteres ist das Sich- Durch-die-Haare-Fahren, das im entsprechenden Kontext ein Anzeichen für ‘Nervosität’ ist; ein Beispiel für letzteres ist die Daumen-hoch-Geste, mit der man seinem Gegenüber ‘Alles bestens’ anzeigt. Parallel zu den Gestenemblemen haben im Bereich des Zustandsverhaltens “Posituren” (= Haltungsembleme) feste Bedeutungen, nicht-kodierte Posen werden dagegen als “Haltungssymptome” bezeichnet. Ein Beispiel für ersteres ist das starke Abspreizen des gestreckten rechten Arms durch einen Fahrradfahrer, das ‘rechts abbiegen wollen’ anzeigt, ein Beispiel für ein Haltungssymptom ist das Sitzen mit aufgestütztem Ellbogen und in die Hand gelegtem Kinn, das ‘Nachdenken’ ausdrückt. Doris Schöps 252 2 Unterschiedliche Zeichentypen Für eine pragmatische Analyse von Zustands- und Bewegungsverhalten kann das Modell von Posner (1996) zugrunde gelegt werden. Es definiert ein großes Spektrum von Zeichenprozessen und erfasst diese in ihren Zusammenhängen systematisch. Es reicht von den grundlegenden Zeichenprozess-Typen bis hin zu den Kommunikationsakten (illokutionären Akten), wie sie von Searle (1982) definiert wurden. Es ermöglicht daher die Analyse des gesamten Spektrums von Zeichenvorkommnissen und ist für die Analyse nicht-sprachlicher Zeichen im Bereich von Bewegungs- und Zustandsverhalten geeignet. 2.1 Glauben, Tun, Intendieren Seiner Struktur nach bindet das Modell den Gebrauch von Zeichen in unterschiedlich komplexe kognitive Prozesse ein, die auf Glauben, Bewirken und Beabsichtigen 8 beruhen. Das Prädikat G(b,p) beschreibt einen Glauben (Wissen, Annehmen) der Person b mit dem Inhalt p; das Prädikat T(b,f) beschreibt das Herbeiführen (Tun) des Sachverhalts f durch b; das Prädikat I(b,f) beschreibt das Beabsichtigen (Intendieren) des Sachverhalts f durch b. In der resultierenden Schreibweise lassen sich die Intentionalitätsgrade von Verhaltensweisen und Handlungen beschreiben: (1) etwas tun (Verhalten) T (b,f) Der Ausführende b tut f (im hier untersuchten Bereich handelt es sich bei f um Körperbewegungen bzw. Körperhaltungen) (2) etwas bewusst tun (bewusstes Verhalten) T (b,f) & G(b, T(b,f)) b tut f und ist sich bewusst, dass er es tut (3) etwas absichtlich tun (Handlung) T (b,f) & I(b, T(b,f)) b tut f und hat die Absicht, es zu tun (4) etwas absichtlich bewusst tun (bewusste Handlung) T (b,f) & G(b, I(b,T(b,f)) b tut f und weiß um die Absicht es zu tun (5) ostentativ: Jemanden (eine Handlung) glauben machen wollen T (b,f) & I(b, G(a, I(b,T (b,f)))) b tut f im Beisein einer Person a und beabsichtigt, dass die adressierte Person a an die Absicht von b, f zu tun, glaubt. Abb. 2: Intentionalitätsgrade von Verhaltensweisen und Handlungen. Während die kognitiven Zustände (1) bis (4) nicht notwendigerweise zeichenhaft sind, aber Interpretanten im Zeichenempfänger bilden können, indem sie Anzeichen für etwas sind, spielt sich (5) in einem Bereich ab, der die Operation des Anzeigens umfasst. Man will die adressierte Person glauben machen, dass man an einen bestimmten Sachverhalt glaubt, in einem bestimmten Zustand ist oder dass man im Begriff ist, etwas Bestimmtes zu tun. Dabei spielt es keine Rolle, ob man selbst an den Sachverhalt glaubt, sich wirklich in dem angezeigten Zustand befindet oder das Angezeigte tatsächlich tun will. Nur ein Zustands- und Bewegungsverhalten, das Anzeige-Handlungen umfasst, wird als ostentativ (lat. ostentare: ‘hinweisen’; ostentativ: ‘gewollt zur Schau gestellt’) definiert. Es bildet den Ausgangspunkt Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 253 für weitere reflektierte Zeichenhandlungen eines Senders gegenüber einem Adressaten mittels Posen und/ oder Gesten. 2.2 Vier elementare Zeichentypen Das Posner’sche Modell postuliert vier elementare Zeichentypen: Signal, Anzeichen 9 , Ausdruck, Intentionsausdruck. Ausgehend vom Signal ist jeder Zeichentyp nun ein Spezialfall des vorherigen. Die sich aus dieser Einteilung ergebenden elementaren Zeichenprozesse unterscheiden sich dabei in der Komplexität ihrer Reaktionsstruktur gemäß Wissen, Bewirken und Beabsichtigen. So sind beispielsweise Anzeichen-Prozesse nach dem Muster “E(f) G(a,p)” 10 , die zu einem Glauben im Empfänger führen, Spezialfälle von Signalprozessen nach dem Muster “E(f) T(a,r)” 11 (Posner 1996: 1663), die einfache Verhaltensreaktionen (die keines Glaubens an p bedürfen) umfassen. Insgesamt bewegen wir uns mit der erwähnten Unterscheidung noch immer im nicht-ostentativen Bereich. Ein Körperzustand kann also zum Signal, zum Anzeichen, zum Ausdruck und zum Intentionsausdruck für einen Zeichenempfänger a werden, der den Interpretanten bildet. Abbildung 3 veranschaulicht dies: Signal Ein Ereignis f verursacht ein Reaktionsverhalten r im Empfänger a E(f) T(a,r) Anzeichen Ein Ereignis verursacht den Glauben des Empfängers a an einen bestimmten Sachverhalt p. E(f) G(a,p) Ausdruck Ein Ereignis verursacht im Empfänger a einen Glauben an einen bestimmten Zustand Z des Senders b. E(f) G(a,(Z(b))) Intentionsausdruck Ein Ereignis verursacht im Empfänger einen Glauben daran, dass der Sender b beabsichtigt etwas Bestimmtes f zu tun. E(f) G(a,(I (b,T(b,f)))) Abb. 3: Elementare Zeichentypen (nach Posner 1996). 2.3 Reflektierter Zeichengebrauch durch ostentatives Verhalten Die vier elementaren Zeichentypen können ostentativ durch einen Sender ausgeführt werden, um dem Empfänger etwas zu signalisieren (Signal), um einen Sachverhalt anzuzeigen (Anzeichen), um einen inneren Zustand auszudrücken (Ausdruck) oder um sich auf ein beabsichtigtes Verhalten selbstfestzulegen (Intentionsausdruck). Es ergeben sich insgesamt Anzeige-Handlungen unterschiedlichen propositionalen Gehalts. Diese sind wiederum selbst aufeinander projizierbar: Anzeige-Prozesse können durch Einbettungen in Prozesse des Glaubens, Bewirkens, Beabsichtigens an Komplexität zunehmen. So lässt sich beispielsweise dem Empfänger gegenüber etwas signalisieren durch die Anzeige des Signalisierens selbst. Posner führt für diese Einbettungen den Terminus “Reflexionsstufen” ein und unterscheidet drei Ebenen, auf denen sich Anzeige-Handlungen bewegen können. Sie können von “Manipulationen” über “Simulationen” bis hin zu kommunikativen Akten reichen. Abbildung 4 verdeutlicht die Einbettung der Zeichentypen in verschiedene Grade ostentativen Anzeigens, wobei in der untersten Zeile die elementaren Zeichentypen und in der obersten die daraus resultierenden Typen an Kommunikationsakten stehen. Doris Schöps 254 Direktiv Assertiv Expressiv Kommissiv 2b com Kommunikation zum Rückzug auffordern (Rückzugs-verhalten durch Signalisieren, dass man den Rückzug verlangt, bewirken wollen) Gefahr besteht mitteilen (den Glauben, dass eine bestehende Gefahr angezeigt wird, bewirken wollen) traurig sein offenbaren (den Glauben, dass der Zustand von Traurigkeit beabsichtigt ist, bewirken wollen) gehen wollen zusichern (den Glauben, dass die Absicht zu gehen besteht, bewirken wollen) 2b Simulation Rückzug bewirken wollen anzeigen Gefahr-Anzeige anzeigen Traurigkeit ausdrücken anzeigen gehen wollen selbstfestlegen anzeigen 1b Manipulation Rückzug bewirken wollen (= signalisieren) Gefahr besteht anzeigen traurig sein ausdrücken gehen wollen selbstfestlegen Signal (I) Anzeichen (II) Ausdruck (III) Intentionsausdruck (IV) Abb. 4: Vier Posen, die jeweils die Zeicheninhalte ‘Rückzug’, ‘Gefahr’, ‘Traurigkeit’ sowie ‘gehen wollen’ anzeigen, eingebettet in verschiedene Grade des Glaubens, Bewirkens und Beabsichtigens seitens eines Senders. Die oberste Zeile der Tabelle in Abbildung 4 entspricht den von Searle (1982) postulierten Sprechakten “Direktiv”, “Assertiv”, “Expressiv” und “Kommissiv” (vgl. Abbildung 5), die sich damit als komplexere Spezialfälle der einfachen Zeichentypen “Signal”, “Anzeichen”, “Ausdruck” und “Intentionsausdruck” erweisen. 12 Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 255 Sprechakt Ausrichtung Illokutionärer Akt Direktiv Welt-auf-Wort/ Geist: ! W (H tut h) - Aufrichtigkeitsbedingung: Wollen W - der Hörer H vollzieht eine künftige Handlung h Beabsichtigung eines Verhaltens des Adressaten (z.B. Bitte, Befehl, Frage) Assertiv Wort/ Geist-auf-Welt: G (p) ‘Glauben, (dass p)’ Mitteilung über den Zustand der Welt (z.B. Behauptung) Expressiv keine Ausrichtung, die zum Ausdruck gebrachte Proposition wird als wahr vorausgesetzt Mitteilung über einen Zustand des Senders (z.B. Einstellungen, Gefühle mitteilen) Kommissiv Welt-auf-Wort/ Geist: K A (S tut h) - Aufrichtigkeitsbedingung: Absicht A - der Sender S vollzieht eine künftige Handlung h Festlegung des Senders auf ein zukünftiges Verhalten (z.B. Versprechen, Drohung) Abb. 5: Vier Sprechakttypen (nach Searle 1982: 31ff). Das Modell von Posner (1996: 1666) in der hier dargestellten, vereinfachten Form kann auch als Analyseinstrument verwendet werden, um Posen (semantisierte Körperhaltungen) und deren Zeichengebrauch in direkter Interaktion genauer zu analysieren. Dies wird im folgenden Abschnitt anhand von zwei Beispielen aus Filmen gezeigt. Mit Hilfe der Zeichenklassifikation wird dort gezeigt, dass Körperhaltungen nicht nur Zeicheninhalte haben, sondern sogar einem ganzen Spektrum unterschiedlicher Zeichentypen zugeordnet werden können. 3 Darstellung und Inszenierung von Posen im Film 3.1 Ebenen der Semiotisierung im Film Im Folgenden werden Posen in ihrer filmischen Darstellung untersucht. Es lassen sich zwei Ebenen bestimmen, entlang derer die Semiotisierung von Körperhaltungen verläuft. Die erste besteht in der Inszenierungsebene. Sie speist sich aus den jeweils vorherrschenden theatralischen Kodes (Fischer-Lichte 2007) und deren überzeitliche notwendige Bestandteile - Bühnenraum, Requisite, Ausleuchtung, Kostüme und Maske sowie der stimmlichen und sprachlichen, körperlichen und räumlichen Präsenz der agierenden Darsteller. Die bei der Umsetzung des Drehbuchs von den Schauspielern produzierten kinesischen Zeichen - Mimik, Gestik, Haltung, Proxemik - sind ein wichtiger Teil der Choreografie vor der Kamera zur Erzeugung einer fiktiven Realität. Die gespielten Körperbewegungen, Haltungen und Gesichtszüge werden durch den inszenatorischen situativen Rahmen in ihrem Zeichengehalt verstärkt und disambiguiert. Der situative Kontext einer Sequenz, insbesondere Kostüm und mithin verkörperte Rolle, tragen entscheidend zur Semantisierung bei. Die Verkörperung von sowohl individuellen als auch typisierten Charakteren greift zudem auf stereotypes Wissen um außerfilmisch semantisierte Bewegungs- und Haltungsfiguren zurück. Auf der zweiten Semiotisierungsebene tragen die filmischen Mittel, also diejenigen Elemente, die den Film zum Film machen, zur Konstituierung von Haltungsfiguren bei. Sequentialität, Blicklenkung und Rahmung mittels Kameraführung, Kamerafahrt, Kamera- Doris Schöps 256 perspektive, Be-/ Entschleunigung, Zoom, (Un-)Schärfe in den Einstellungen, Montagetechniken sowie Mittel zur Herstellung einer akustischen Atmosphäre sind an der Konstruktion szenischer, bildrhetorischer und klanglicher Verfahren beteiligt (Kanzog 2001: 88ff). Diese haben Einfluss auf die Dekodierung des vor der Kamera angezeigten Körperverhaltens. Anschnitte, Ausschnitte rücken etwa vereinzelte Haltungskonfigurationen oder Gesichtsfelder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So kann beispielsweise die extreme Draufsicht in einer Kameraeinstellung dafür sorgen, dass eine gebückte Haltung, die eine Filmfigur ihrem Vorgesetzten gegenüber einnimmt, in ihrem Ausdruck verstärkt wird, so dass die betreffende Person uns ‘duckmäuserisch’ erscheint. Überdies gilt: “Kinese oder Körpersprache ist grundsätzlich ein metonymisches Index- System der Bedeutung” (Monaco 2001: 174) im Film, bei dem Teile für das Ganze oder einzelne Exemplare (Token) für eine Klasse (Typ) stehen. Filmische und theatralische kinesische Zeichen wie “ein Gesicht, ein Nacken, eine Auge, ein Mund [können für] eine ganze Menschengruppe, einen Stand, eine Klasse” 13 stehen. Insbesondere die genuin filmischen Verfahren semantisieren situative Körperzeichen dort, wo es im alltäglichen Kontext an semantischem Gehalt mangelt oder wo die Zeicheninhalte vage bleiben. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Präsenz einer Kamera und die vielfältigen Regieanweisungen zum Rollenverhalten ein Sich-betont-Gebärden verstärken, was Verhaltensänderungen zum unbeobachteten Verhalten bewirkt, und seien sie noch so minimal. (Schauspieler wissen um dieses Problem und haben die Fähigkeit, ‘Natürlichkeit im Auftreten’ vor der Kamera zu spielen, professionalisiert). Das Wissen um den permanenten Blick der Anderen wirkt jedoch auch bereits im Alltag und trägt entscheidend zum Aufbau von Fremd- und Selbstbildern bei. Goffman (2011) hat das Phänomen der Selbstdarstellung (‘impression management’) eingehend untersucht. Die bisher dargestellten theoretischen Unterscheidungen werden im Folgenden anhand von zwei Beispielanalysen demonstriert. Dafür werden zwei kurze Filmsequenzen untersucht, die den Filmen Berlin - Ecke Schönhauser (Regie: Klein/ Kohlhaase 1957) sowie Paul und Paula (Regie: Carow 1973) entnommen sind. In den Analysen wird zunächst eine formseitige Analyse der Körperhaltung vorgenommen. Dabei wird demonstriert, dass die ostentative Durchführung einer Haltung der Schlüssel für die Zuschreibung von intentionalen Zuständen (Annahmen und Absichten) beim Haltungsausführenden ist. Die inhaltsseitige Analyse stützt sich auf die semiotische Zeichenklassifikation, die oben entwickelt wurde, und stellt die Analyse der intentionalen Prozesse in den Vordergrund: Dabei soll gezeigt werden, dass die Zuschreibung von komplexen intentionalen Zuständen für das Verständnis der jeweiligen Szenen eine wichtige Rolle spielt. 3.2 Beispielanalyse 1: Berlin Ecke Schönhauser Hauptschauplatz des Films Berlin Ecke Schönhauser aus dem Jahre 1957, in der Zeit nach dem Volksaufstand und vor dem Bau der Mauer, ist das damalige Arbeiterviertel Prenzlauer Berg im sowjetischen Sektor von Berlin. Der Film “bewegt sich durchweg im staatspolitischen Kanon und bedient bewährte Ost-West-Gut-Schlecht-Schemata” (Löser 2006: 21). Seine Stärke liegt aber für damalige Verhältnisse in seinem neorealistisch anmutenden ästhetischen Stil (etwa die Drehorte auf den Straßen Berlins statt im Studio) und in der Darstellung unangepasster ‘Halbstarker’, die der Forderung nach sozialistischen Vorzeigejugendlichen nicht entgegenkommen. So treffen sich die Protagonisten allabendlich unter der U-Bahnbrücke, um hier ihre Clique zu treffen und für öffentliche Erregung zu sorgen. Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 257 Insgesamt werden neben Tanzvergnügen, Flirt, Rangeleien und familiären Problemen auch Ausflüge mancher der Jugendlichen in die Westberliner Sektoren thematisiert. Dort kommt es zu Verwicklungen in kleinkriminelle Unternehmungen wie dem Diebstahl von Ausweisen, um über deren Verkauf an Zwischenhändler an die begehrte D-Mark zu kommen. Konflikte mit den Gesetzeshütern lassen daher nicht lange auf sich warten. Eine Filmszene zeigt nun eine Situation, in der ein Kommissar der Volkspolizei einem jungen Arbeiter namens Dieter Fragen stellt (siehe Abbildung 6). Die Situation spielt sich auf der Polizeiwache ab. Eine junge Frau hatte Dieter der Mittäterschaft beim Stehlen von Ausweisen in einer Diskothek beschuldigt. Dieters Freund Karl-Heinz, der eigentliche Schuldige, ist allerdings entkommen. 1 Kommissar “Wer war der Junge [Karl-Heinz] mit dem du [Dieter] die Mädchen abgeklatscht 14 hast? ” 2 [Schweigen, Stille] 3 Dieter: “Den könn’ Se in Frieden lassen. Der hat damit nichts zu tun.” 4 [Dieter schweigt] Kommissar im Off: “Womit hat er nichts zu tun? Na, sag schon! ” 5 [Dieter schweigt; Haltungswechsel] 6 [Dieter schweigt] Kommissar im Off: “Du musst nicht glauben, … 7 … dass ich dich für einen Verbrecher halte.” [Dieter schweigt] 8 [Schweigen, Stille] 9 [Schweigen, Stille] Abb. 6: Screenshots des Polizeiverhörs aus Berlin Ecker Schönhauser 1957 (0: 30: 52-0: 30: 59) Doris Schöps 258 Die Sequenzen (Screenshot 1-9) in Abbildung 6 sind Teil eines Verhörs. Dieses ist getragen von der prototypischen Figurenkonstellation Verhörte(r)-Ermittelnde(r). Frage und Antwort werden hier im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren (vgl. Hickethier 1996: 59) miteinander kombiniert. Die Kameraeinstellung präsentiert Dieter in Halbnah 15 von der Hüfte an aufwärts, seine Beinhaltung sehen wir nicht, sein Oberkörper steht daher pars pro toto für das Körperganze. Dieses Stilmittel der Bildrhetorik kann als Synekdoche bezeichnet werden (Monaco 2001: 173f). Dadurch kommt Dieters Haltung als Ausdrucksmittel zur Geltung. Die leichte Draufsicht auf seine Person kann als Point-of-View-Shot des stehenden Polizisten, der die Gesprächsführung inne hat, gedeutet werden. Darüber hinaus verstärkt sie die Wahrnehmung des ‘Gekrümmt-Seins’ in Dieters Haltung. 3.2.1 Eine Pose des Sich-Abwendens Wie lässt sich der Zustand, in dem Dieter während des ganzen Verhörs bis auf wenige Ausnahmen verharrt, beschreiben? Er sitzt auf einem Stuhl bei unveränderter Körperausrichtung, Brust-, Bauch- und Hüft-Bereich sind der Kamera (und damit wohl auch dem Kommissar) zugewendet. Wie man in Screenshot 2 sieht, sind Kopf und Rumpf leicht gebeugt und nach links hinten gedreht. Der linke angewinkelte Arm ist auf dem Arbeitstisch aufgelegt und trägt hauptsächlich Dieters Gewicht, das linke Handgelenk ist leicht gebeugt und hängt über der Tischkante ohne Spannung, zum Boden hin orientiert, so dass der Zuschauer (der Polizist) Dieters Handrücken zu sehen bekommt. Sein rechter, im Ellbogen nur minimal gebeugter Arm, ist leicht angezogen und verharrt zunächst ohne Spannung parallel zum Rumpf. Innerhalb des situativen Rahmens Verhör haben schräge Körperhaltung und Kopf-und-Rumpf-Orientierung des jungen Mannes die Funktion, den Blickkontakt zum Kommissar zu meiden. Nur einmal (vgl. Screenshot Nr.3) wendet Dieter den Kopf zum Kommissar, um ihm zu antworten. 16 Prägnant sind in dieser Szene jedoch Dieters Blickvermeidung und das Verharren in einer fast stoisch anmutenden Haltungsfigur über mehrere Sekunden (Screenshot 6-9). Die Komponenten dieser Figur (die unter semiotischem Gesichtspunkt den Zeichenausdruck bildet) können über die Kombination von mehreren Prädikaten wie folgt paraphrasiert werden: 17 - SITZEN + ANGELEHNT (Stuhl) - GEBEUGT zum Tisch (Rumpf) - GESENKT + GEDREHT hinten (Kopf), - ABGESPREIZT hinten + ANGEWINKELT (linker Arm) - AUFGESTÜTZT (linker Arm, Tischplatte) - GEBEUGT (linke Hand) - AUFLIEGEND (linkes Handgelenk, Tischkante) - ANGEZOGEN + GEBEUGT leicht (rechter Arm) - DEFAULT (Beine) Abb. 7: Kombinatorik des Zeichenausdrucks 3.2.2 Die inhaltlichen Deutungsmöglichkeiten der Pose im Kontext des Verhörs Die dargestellte Zustandsfigur ist für den Kommissar bzw. für uns Filmschauende als die Zeichenempfänger zunächst einmal ein Anzeichen. Eine Rezipientenbefragung 18 legt die Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 259 Annahme nahe, dass die von Dieter ausgeführte Haltungskonfiguration im Zusammenhang mit seinem Schweigen eine Pose ist. Für deren semantische und pragmatische Einordung ergeben sich unterschiedliche Konstellationen: Die Pose verweist (a) auf Dieters Schweigen (Index). Sie kann daher metonymisch als ein Symptom der ‘Verweigerung’ gedeutet werden, was wiederum (b) auf Dieters unkooperatives Verhalten (Signal) der Polizei gegenüber schließen lässt. Ferner verweist sie für manche Befragte (c) auf Dieters Einstellung, nämlich dass er sich für unschuldig hält und damit (d) auf die Absicht Dieters (Intentionsausdruck), gar nichts weiter mehr zu sagen, um seinen Freund zu decken. Die folgende Tabelle enthält eine Übersicht, wie Dieters Pose und die ihr zugeschriebenen kognitiven Zustände und Verhaltensmuster in den Begriffen des Glaubens, Beabsichtigens und Bewirkens systematisiert werden kann. Für den Kommissar (den Empfänger a) nimmt Dieters Pose dabei jeweils den in der linken Spalte stehenden Zeicheninhalt an. Die freien Nennungen in der Rezipientenbefragung lassen sich sieben unterschiedlichen Zeichentypen zuordnen: Aufgrund der Körperhaltung von Dieter (f) glaubt der Kommissar (a), dass Dieter E(f) 1 - schweigt. G(a, T(b,f)) (Anzeichen eines Verhaltens) 2 - absichtlich so lange schweigt. G(a, I(b, T(b,f))) (Anzeichen einer Handlung) 3 - geflissentlich schweigt. G(a, I(b, T(b,f)) & G(b, T(b,f)))) (Anzeichen einer bewussten Handlung) 4 - sich zurückzieht. - die Zusammenarbeit verweigert. - in Ruhe gelassen werden möchte. G(a, T(b,r)) (Signal) 5 - dem Kommissar nichts weiter sagen wird. - nicht vorhat, mit ihm zu kooperieren. - seinen Freund schützen will. G(a, I(b, T(b,g))) (Intentionsausdruck) 6 - unschuldig ist. - schuldig ist. - stur wirkt. G(a, Z(b)) (Ausdruck) 7 - will, dass der Kommissar versteht, dass er unschuldig ist. - mitschuldig ist, aber will, dass der Kommissar ihn für unschuldig hält. G(a, T(b,f) & I(b, G(a, I(b,T (b,f))))) (Anzeichen einer Ausdrucks-Handlung) Um die Darstellung mit Hilfe der vorgeschlagenen formalen Notation zu ermöglichen, müssen die Feinheiten des sprachlichen Ausdrucks ignoriert und die beschriebenen Zeicheninhalte vereinfacht werden. Der jeweilige propositionale Gehalt spielt zudem in der Klassifikation keine Rolle: Nennungen, die einen unterschiedlichen propositionalem Gehalt postulieren (etwa Z(b): “Dieter ist schuldig” versus Z(b): “Dieter ist unschuldig” in Zeile 6), werden bei struktureller Gleichheit demselben Zeichentyp zugeordnet (Ausdruck). In Abschnitt 2 war ausgeführt worden, dass sich Zeichentypen auf unterschiedlichen Reflexionsstufen befinden können: Interpretiert beispielsweise der Empfänger eine Pose als Doris Schöps 260 Ausdruck eines propositionalen Gehalts Z(b) (“Dieter ist unschuldig”), wie in Zeile 6, ist dies etwas anderes, als wenn er sie als Anzeichen einer Ausdrucks-Handlung desselben propositionalen Gehalts empfindet, wie in Zeile 7: In letzterem Fall nimmt der Zeichenempfänger an, dass der Ausführende seine Unschuld mit der Pose ausdrücken will, während er sie im ersteren Fall (Zeile 6) als Anzeichen für Dieters Unschuld interpretiert. Solche Annahmen erfolgen im Normalfall nur dann, wenn subtile Anzeichen in der Ausführungsweise der Pose erkannt werden, die auf ein Zeichenhandeln hinweisen: Beispielsweise wenn die Pose besonders auffällig ausgeführt wird, wenn sie langsam und betont eingenommen wird oder wenn sie in betonter Hinwendung zum Empfänger erfolgt. Wenn solche Anzeichen für eine höhere Reflexionsstufe vorliegen, sprechen wir von einer ostentativen Ausführungsweise der Pose. Die Bezeichnung “ostentativ” wird also für jene Aspekte von Posen höherer Reflexionsstufen verwendet, die diese auf der Ausdrucksseite kennzeichnen. In der Tabelle liegt nur bei dem in Zeile 7 dargestellten Zeichentyp eine höhere Reflexionsstufe vor: Man kann daher annehmen, dass die Befragten, die sich entsprechend geäußert haben, die Ausführungsweise der Pose Dieters als “ostentativ” gegenüber dem Kommissar empfunden haben. Ein Vergleich der Formeln in Zeile 6 und 7 zeigt einen wichtigen Unterschied, der sich durch die Interpretation einer Pose als ostentativ ergibt: Nun wird durch den Empfänger nicht mehr angenommen, dass die Pose ein bestimmter elementarer Zeichentyp (hier ein Ausdruck) ist, sondern vielmehr, dass durch den Ausführenden (Dieter) beabsichtigt ist, dass sie vom Empfänger (Polizist) als dieser Zeichentyp (hier also als Ausdruck) interpretiert wird. Die Ausführung einer Pose mit dieser Absicht entspricht der Formel: T(b,f) & I(b, G(a, I(b,T (b,f)))), die auch als “Manipulation” bezeichnet wird (P OSNER 1996: 1666). Der Kommissar nimmt jetzt also die Haltung Dieters nicht mehr als Ausdruck der Unschuld des Ausführenden wahr, sondern als Anzeichen für eine Manipulation durch diesen, der ihn von seiner Unschuld überzeugen möchte. Es lässt sich zusammenfassen, dass mit dem Beispiel aus dem Film Berlin Ecke Schönhauser eine semantisierte Haltungsfigur, also eine Pose, vorliegt, diese aber überwiegend nicht auf höheren Reflexionsstufen angesiedelt wird: Die Pose wird als Anzeichen, Signal, Ausdruck oder Intentionsausdruck gewertet, es wird jedoch in der Mehrzahl der Nennungen nicht ausgedrückt, dass der Empfänger a (der Kommissar) an ein Zeichenhandeln des Senders (b) glaubt. Im letzten Fall der Übersicht nimmt der Kommissar eine ostentative Ausführungsweise der Pose an, die er als Anzeichen für eine nonverbale Ausdrucks-Handlung interpretiert: Er nimmt an, dass Dieter durch seine widerständige, entschlossene und doch ihm zugewandte Pose ihn glauben machen will, dass er unschuldig sei. Dies führt zu einer anderen Interpretation des Verhältnisses zwischen den beiden Figuren. 3.3 Beispielanalyse 2: Paul und Paula Das zweite Beispiel ist dem Film Die Legende von Paul und Paula (1973) entnommen, einer Liebesgeschichte mit romantischen und tragikomischen Zügen, die in Ostberlin in den 1970er Jahren spielt. Bevor die beiden Protagonisten sich begegnen, durchleben beide Charaktere Episoden, die zunächst in eine ‘falsche’ PartnerInnenwahl münden. Abbildung 8 zeigt das Sequenzprotokoll einer Szene, worin der eher schüchterne Protagonist, Paul, sich von Ines, der Tochter eines Schießbudenbesitzers, und ihrer nicht gerade raffinierten Verführungskunst in den Bann ziehen lässt. Im Laufe der Einstellungen 1 bis 23 (Abbildung 8) spricht Paul nur ein einziges Mal, und zwar vor sich hin. Auch die Frau äußert Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 261 Abb. 8: Screenshots aus Paul und Paula 1973 (0: 11: 47-0: 12: 20) Doris Schöps 262 nur ein Wort. Ansonsten verläuft die Flirtsituation der beiden, die auf einer Parkbank nebeneinander sitzen, über Blicke, Augenaufschlag, Körperhaltung und Körperbewegung von Ines. Bewährte theatralische und filmische Mittel inszenieren auf einer ersten semiotischen Stufe das Auftreten der Frau gemäß des traditionellen Rollenbildes, demzufolge Frauen ihr Interesse bei der Werbung nicht direkt ausdrücken dürfen, sondern den Mann zur Annäherung bringen müssen. Daran beteiligt sind unter anderem: Kostüm, Ausleuchtung und Kontrast des weißen Kleides von Ines zur der sie umgebenden dunklen Kulisse. Hinzu kommt die relativ geschlossen wirkende Bildkomposition, die durch die parallele Anordnung der Figuren auf einer Bank erreicht wird, was den statischen Gesamteindruck verstärkt. Kleinste Bewegungen sowie Bewegungslosigkeit im Sitzen werden durch verschiedene Verfahren hervorgehoben: sich abwechselnden Einzeleinstellungen bei den Figuren, Fragmentierung des Körpers der Frau durch Halbnah- und Naheinstellung, eine Kamerafahrt aus der Sicht Pauls (die zugleich die Zuschauer/ innen eingenommen haben) in Detaileinstellung entlang der Beine, Rumpf, Busen bis zum Gesicht der Frau (12-20). Von Paul sehen wir, im Kontrast zum Körper von Ines, die meiste Zeit nur den Kopf und dessen Drehungen bei der Zu- und Abwendung sowie sein fast regungsloses Gesicht in Großaufnahme. 3.3.1 Der körperliche Ausdruck der Frau (Ines) in der Filmszene Maske und Kostüm der Frau - lange blondierte Haare, roter Lippenstift, figurbetontes Kleid mit Schnürcoursage, kniehohe rote Lackstiefel - kennt man als modische Attribute, die teilweise bereits einen erotischen Fetischcharakter haben, zusammengenommen die Schablone eines bestimmten Bildes von Weiblichkeit in der Vorstellung generieren und dadurch indexikalisch auf die Situation der sexuellen Annäherung verweisen. Die genannten modischen Attribute beeinflussen die Haltung direkt, zum Beispiel indem das Sitzen im Kleid nur einen geringen Radius an Beinöffnung ermöglicht (vgl. Morris 2002); darüber hinaus rahmen sie das körperliche Verhalten. Die Haltungskonfiguration, die Ines vollzieht, soll nun näher ins Auge gefasst werden. Der Zeichenausdruck, auf den es hier ankommt, umfasst folgende Komponenten: Abb. 9: Kombinatorik des Zeichenausdrucks - SITZEN + ANGELEHNT (Bank) - AUSGEDREHT leicht (linke Schulter) - ABGESPREIZT + ANGEWINKELT (linker Arm) - AUFGESTÜTZT (linker Ellbogen, Banklehne) - BERÜHRT (linke Zeigefinger, Wange/ Haar) - GEBEUGT leicht (rechter Arm) - GEBEUGT leicht (rechte Hand) - BERÜHRT leicht (rechte Fingerkuppen, rechtes Knie) - GESTRECKT + GEDREHT leicht (Rumpf) - VERSCHRÄNKT (Oberschenkel) Konsultiert man Standardwerke von Verhaltensforschern, beispielsweise Desmond Morris (2002), und die sie zum Teil rezipierenden populärwissenschaftlich und kommerziell ausgerichteten Ratgeber zur ‘Körpersprache’ wie zum Beispiel Pease und Pease (2004), dann erfährt man, dass die aufgelisteten nonverbalen Verhaltensmodi anscheinend zu einem ganzen Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 263 Katalog an erotischen Triggersignalen gehören, die im Kontext einer Flirtsituation oder eines Rendezvous der Frau zugeordnet werden. Hier einige Beispiele: - Berührung im Halsbereich: “When a woman slowly and sensually strokes her […] neck or throat it infers that, if a man plays his cards right, he may be able to touch her in these same ways.” (Pease und Pease 2004: 297) - Verschränkte Oberschenkel: “Durch Verschränken der gestreckten Beine wird deren Länge und Schlankheit besonders betont. Ein solches Verhalten lässt sich in der Mehrzahl der Fälle bei Frauen beobachten, die eine ebenfalls anwesende männliche Person ins Visier genommen haben.” (Quilliam 1995: 142) - Haltungswechsel der Beine: “Wenn eine Frau zum Beispiel in Gegenwart eines Mannes wiederholt die Beine so oder anders übereinander schlägt, tut sie mehr als nur zwischen zwei geschlossenen Haltungen abzuwechseln - in Wahrheit [zieht] sie damit die Aufmerksamkeit auf ihre Beine. Ihr Motiv ist ihr meist gar nicht bewusst.” (Collett 2004: 266) - Umfassen des Oberschenkels: “Sitting with the hands clamped to the thighs is far less obvious as an ‘infantile comforter’, and yet, for some reason, males also keep away from this form of self-contact. There may be an erotic element here that can explain the difference. During fondling, in courtship sequences, it is the male who is more likely to move his hand to the female’s thighs, and so, during moments of Self intimacy, it is the female who is more likely to recreate this form of body contact.” (Morris 2002: 146) - durchgestreckter Rücken: “[D]urch verführerische Signale [werden] in erster Linie die sekundären Geschlechtsmerkmale betont. […] Wenn eine Frau […] den Rücken durchdrückt […] betont sie damit die physischen Attribute ihres Geschlechts.” (Collett 2004: 254) - Abspreizen eines oder beider angewinkelter Arme: “This is usually the first display a woman will use when she’s around a man she fancies. […] This also lets her expose her armpit, which allows the ‘sex perfume’ known as pheromone to waft across to the target man.” (Pease und Pease 2004: 295) - Reduzierte Körperbewegung: “Um feminin zu erscheinen, bewegt [die Frau] sich gern langsam, ihre Gestik ist gebremst, die Beine bleiben geschlossen und sie kultiviert den Eindruck, nicht mehr, sondern weniger Raum für ihren Körper zu brauchen. (…) Viele der Illuminationen im […] Verhalten - wie […] Berühren des Gesichts [sind] zugleich auch Unterwerfungssignale.” (Collett 2004: 255) Doris Schöps 264 Der vorliegende Beitrag beabsichtigt nicht, diese und ähnliche Aussagen über nonverbale weibliche Verführungssignale auf ihre empirische Gültigkeit zu überprüfen. Die genannten Werke reflektieren das Vorhandensein kulturell reproduzierter Genderstereotypen meist wenig und verzichten auf den empirischen Nachweis dafür, dass die beschriebenen Verhaltensweisen nur in den genannten Kontexten vorkommen und dass die behaupteten Zeicheninhalte tatsächlich im Alltag wahrgenommen werden. Zugleich findet durch die Breitenwirkung gerade der populärwissenschaftlichen Literatur (etwa Pease und Pease 2004), die oft in hohen Auflagen verkauft werden, eine Rückwirkung auf die kulturelle Wahrnehmung von Körperhaltungen statt. Unabhängig von der Nachweisbarkeit in Alltagskontexten gilt jedenfalls, dass in bildmedialen Inszenierungen kulturell präsentes stereotypes Wissen über Körperverhalten verwendet wird, und gerade dieses Wissen ist es, das in der zitierten Literatur beschrieben wird. Die oben skizzierten Haltungskonfigurationen gehören somit zum Repertoire von Posen, die in Film, Fernsehen, Werbefotografie und Magazinen inszeniert werden. 3.3.2 Die Abspreizung der Arme und ihre Darstellungstradition Das weite Abspreizen eines Arms oder beider Arme beinhaltet anatomisch, dass die Oberarme in eine waagrechte Stellung gebracht und dadurch die Achselhöhlen freigelegt werden. Das Ellbogengelenk kann wiederum stark gebeugt sein, so dass sich die charakteristische Gestalt eines zur Seite ausgestellten spitzen Winkels zwischen Ober- und Unterarm ergibt. Das Schulterblatt wird nach hinten bewegt und die Brustmuskeln gedehnt. Die skizzierte Armhaltung wird in der Filmszene von Paul und Paula in einer abgeschwächten Variante von Ines vollzogen, bei der der Arm abgespreizt und abgewinkelt, aber nicht über den Kopf gehoben wird. Dennoch kann sie als eine Formvariante des Typs derjenigen Armhaltung gelten, die in der Humanethologie als “Axilla-Präsentation” (Grammer 2004) bekannt ist. Für diese nehmen Verhaltensforscher einen geschlechtsbedingten Unterschied an. Das Haltungsmerkmal wird zum einen dem Kontext des “Werbeverhaltens” der Frau und damit den “sexuellen Signalen” zugeordnet, weil “das Signal als solches Körperformen zur Schau stellen [würde], die mit dem Reproduktionserfolg zu tun haben” (Grammer 2004: 3469). Wird dieselbe Pose allerdings von einem Mann artikuliert, dann sei sie ein Anzeichen für “Dominanz” (Scheflen 1972). Grammer hat demgegenüber differenzierter belegen können - auch wenn Faktoren wie Alter, Homosexualität oder Transgender nicht berücksichtigt wurden -, dass Frauen “beide Bedeutungen benutzen: sie zeigen dieses Signal, wenn sie völlig uninteressiert an einem Mann sind […] und ebenso im anderen Extremfall, wenn sie hohes Interesse an einem Mann haben” (Grammer 2004: 3469). Fest steht jedenfalls, dass die “Axilla- Präsentation” Bestandteil einer langen ikonographischen Tradition ist, wie die Abbildungen 10 bis 14 verdeutlichen. Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 265 Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13 Abbildung 14 Abb. 10-14: Verschiedene Darstellungen des Haltungstyps “Axilla-Präsentation”. Abb. 10: Ausschnitt aus dem Gemälde Liegende Quellnymphe, Lukas Cranach d. Ä., 1518, Museum der Bildenden Künste Leipzig. Abb. 11: Barockskulptur, Nymphenbad, Dresdner Zwinger, Plastik aus der Werkstatt von Balthasar Permoser, 18. Jahrhundert. Abb. 12: Gemälde Die Nymphe der Düssel, Eduard Steinbrück, Düsseldorf, 1837. Abb. 13: Aktfoto (Fotograf unbekannt). Abb. 14: Filmszene aus A Serious Man, Joel & Ethan Coen, 2009. Ströter-Bender (1994) arbeitet in ihrer kunsthistorisch ausgerichteten Abhandlung “Liebesgöttinnen. Von der Großen Mutter zum Hollywoodstar” heraus, dass das “erotische Motiv der gehobenen Arme” und die damit verbundene Öffnung des weiblichen Körpers inklusive Darbietung der entblößten Brust auf das 5. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht. Sie weist nach, dass das Bild dieser Haltungsfigur im Zusammenhang mit der mythologischen Darstellung der aus dem Meer steigenden Aphrodite erstmals belegt ist. Trimborn (1997) demonstriert in seiner filmwissenschaftlichen Untersuchung mit umfangreichem Material, dass die an- Doris Schöps 266 gehobene, angewinkelte Armkonfiguration eine der vielen Posen ist, die als Inszenierungsmittel der Sexbombe im amerikanischen Film der fünfziger und sechziger Jahre dienen. Er nimmt zudem auf die Integration der kunstgeschichtlichen Tradition in die Filmwerke Hollywoods Bezug. Zum Beispiel führt Marilyn Monroe in dem Film The Seven Year Itch von 1955 diese Pose aus, wobei diese dadurch funktional motiviert wird, dass die durch Monroe verkörperte Figur einen Fön hält und sich die Haare trocknet. Die Abbildung 15 zeigt Varianten des Zeichenausdrucks des Achseln-Präsentierens mit der Bedeutung ‘verführerisch sein’. Wie man sieht, gibt es viele Varianten: wenig oder hoch über Kopf gehobene Arme oder nur ein Arm, der gehoben wird. Die Hände sind im Nacken verschränkt (vgl. die Pose Marylin-Monroes, Abbildung 15 links), spielen mit den Locken, mit Haarsträhnen oder kehren diese aus dem Gesicht. Das lange Haar wird am Hinterkopf hochgehalten (vgl. die Pose Brigitte Bardots, Abbildung 15 Mitte). Die Hand streift die Wange, berührt den Hals, der Kopf ist leicht geneigt oder nach hinten gestreckt, so dass der Hals präsentiert wird. Der gehobene Arm hält Gegenstände (zum Beispiel einen Drink, siehe Abbildung 14). Die Arm-über-Kopf-Haltung kann im Liegen ausgeführt werden (wie auf dem Gemälde von Cranach in Abbildung 10). Die Bedeutung der Pose wird durch Mimik und Blickverhalten verstärkt, eingeschränkt oder verschoben: Während die Nymphe in Abbildung 12 selbstvergessen vor sich hin blickt, schaut die Frau auf dem Pin-up rechts in Abbildung 15 den Betrachter direkt an, wodurch der erotische Gehalt der Pose - neben Dessous, Nylonstrümpfen und Beinhaltung - verstärkt wird. Im Stehen wird die Pose mit nach oben angewinkelten Armes in Illustrierten auch gern mit der Standbein-Spielbein-Haltung der Beine kombiniert, was ein für Ausgewogenheit sorgendes “chiastisches Kompositionsschema” ergibt (T RIMBORN 1997: 83). Arme über Kopf gehoben, Arme abgespreizt und angewinkelt, Ellbogen nach vorn oder seitwärts orientiert / Hände im Nacken oder Hinterkopf verschränkt beziehungsweise zusammengehalten. Ein Arm über Kopf gehoben, abgespreizt und (leicht) angewinkelt, Handteller bedeckt Kopf bzw. deutet ‘sich durchs Haar fahren’ an oder umfasst den Nacken. Ein Arm waagerecht abgespreizt in Höhe von Schulter oder Gesicht, Ellbogen ist angewinkelt, Unterarm ist aufgestellt / aufgelegt oder über eine Lehne geneigt, Hand berührt Gesicht / Haar oder Dekolleté. Abb. 15: Formvarianten der Pose “Axilla-Präsentation”. Links: Marilyn Monroe. Mitte: Brigitte Bardot (in dem Film: Et Dieu … créa la femme, 1956, Regie: Roger Vadim). Rechts: Pin up. 19 Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 267 3.3.3 Inhaltliche Deutungsmöglichkeiten der Pose im Kontext von Paul und Paula Das Werbeverhalten der Frau gegenüber dem Mann wird in der zitierten verhaltensbiologischen Literatur in der Regel als unwillkürlich und unbewusst eingestuft, also als einfaches Verhalten, das seitens eines aufmerksamen (männlichen) Beobachters dekodiert werden kann. Bei den im Film inszenierten Posen von Ines könnte man also annehmen, dass es sich um elementare Zeichentypen (Signale, Anzeichen, Ausdrücke) handelt. Doch ist dies eine angemessene Beschreibung unserer Filmszene? Wie oben bereits erwähnt, sind vor allem die Posen, die die Frau (Ines) absichtlich ausführt, um den Mann (Paul) zu verführen, in der filmischen Situation handlungsbestimmend. In der folgenden Tabelle werden verschiedene mögliche Zeichentypen aufgeführt, um die es sich dabei handeln könnte: Die Pose von Ines (b) bewirkt, dass E(f) A Paul (a) auf Ines aufmerksam wird (f). T(a,f) Signal Die Pose von Ines (b) bewirkt, dass E(f) B 1 - Paul (a) glaubt, dass sie mit ihm flirtet (r). - Paul glaubt, dass sie ihn verführt (r). G(a, T(b,r)) Anzeichen eines Verhaltens B 2 - Paul glaubt, dass sie begehrenswert / attraktiv / sexy ist. G(a, Z(b)) Ausdruck C 1 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er sich ihr annähert / mit ihr flirtet / sie anspricht. G(a, T(b,f) & I(b, E(f) T(a,r))) Signalisieren C 2 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er glaubt, dass sie an ihm interessiert ist. G(a, T(b, f) & I(b, E(f) G(a,Z(b)))) Anzeichen eines Ausdrückens Ines (b) führt eine Pose (f) mit der Absicht aus, dass T(b,f) & I(b, E(f) D 1 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er sie anschaut. - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er sie anspricht / mit ihr flirtet. G(a, T(b,f) & I(b, E(f) T(a,r)))) Anzeige eines Signalisierens D 2 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er glaubt, dass sie ihn mag / an ihm interessiert ist. G(a, T(b,f) & I(b, E(f) G(a,Z(b))))) Anzeige eines Ausdrückens D 3 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er glaubt, dass sie beabsichtigt, ihn zu verführen. G(a, T(b,f) & I(b, E(f) G(a,I(b(T(b,g)))))) Anzeige des Ausdrückens einer Intention Doris Schöps 268 Im Fall A liegt die einfachste denkbare Zeichenrelation im Zusammenhang mit einer Pose vor: Die Körperhaltung von Ines bewirkt, dass Paul auf diese aufmerksam wird; sie wird zu einem Signal. Im möglichen Fall B 1 dagegen glaubt Paul an ein bestimmtes Handeln von Ines, etwa dass sie gerade mit ihm flirtet. In B 2 hält Paul Ines aufgrund ihrer Pose für begehrenswert oder sexy. Während die Fälle A und B einfache Anzeichenprozesse beschreiben, mit dem Unterschied, dass mit dem Eintreten von B 1 und B 2 spezifische Verhaltensreaktionen und Zuschreibungen innerer Zustände verbunden sind, nimmt in den Fällen C und D Paul die Pose von Ines als ostentativ wahr: Er nimmt an, dass sie mit der Absicht ausgeführt wurde, ihm ein Zeichen zu geben. Im Fall C 2 handelt es sich bei diesem Zeichen um ein Signal: Er nimmt an, dass sie erreichen möchte, dass er sich ihr annähert oder sie anspricht. In C 2 handelt es sich um einen Ausdruck: Er nimmt an, dass sie ausdrücken möchte, dass sie an ihm interessiert ist. Noch komplizierter wird der Sachverhalt in D: Hier wird nun angenommen, dass es sich um ein Senderzeichen handelt. Der stattfindende Zeichenprozess wird also ausgehend von Ines interpretiert. Sie führt eine Pose mit der Absicht aus, dass diese Paul dazu bringt, etwas zu glauben, dessen Inhalt unterschiedlich sein kann: In D 1 glaubt er, dass sie ihm mit ihrer Pose ein Signal gibt (etwa sie anzuschauen oder anzusprechen), in D 2 glaubt er, dass sie etwas ausdrückt (etwa dass sie ihn mag), und in D 3 glaubt er, dass sie ihm eine Intention zu verstehen gibt (etwa dass sie beabsichtigt, ihn zu verführen). Dies sind jedoch nicht alle Möglichkeiten; es können durchaus noch komplexere angenommen werden, bis hin zu nonverbalen Kommunikationsakten. Die obige Tabelle beschränkte sich auf einige Fälle, die besonders plausibel erscheinen. 20 Empirische Untersuchungen sind notwendig, um genau sagen zu können, welche dieser Zeichentypen von Betrachtern des Films tatsächlich wahrgenommen werden. 5 Fazit: Posen als virtuelle Praxis Zu Beginn dieses Beitrags wurde eine merkmalsbasierte Klassifikation vorgestellt, die verschiedene Typen körperbezogenen Verhaltens voneinander abgrenzt (Abb. 1). Körperhaltungen wurden dort mittels des Merkmals +/ -statisch von Körperbewegungen getrennt. Im vorliegenden Beitrag wurde überwiegend das Vorliegen der Merkmale konventionalisiert und semantisiert für verschiedene Körperhaltungen diskutiert; liegen beide Merkmale vor, handelt es sich um eine “Pose”. Im Anschluss wurde eine auf dem Modell von Posner (1996) basierende Notation vorgestellt, die für die Analyse der pragmatischen Seite von Körperbewegungen und Körperhaltungen verwendet werden kann. Mit ihrer Hilfe wurden zunächst Intentionalitätsgrade grundlegender Verhaltens- und Handlungstypen unterschieden (Abb. 2), elementare Zeichentypen (Abb. 3) und schließlich komplexere Zeichentypen mit verschiedenen Reflexionsstufen (Abb. 4) dargestellt. Diese theoretischen Grundlagen wurden schließlich anhand zweier ausführlicher Beispielanalysen angewandt (Abschnitt 3), die zeigen, wie unterschiedlich eine gegebene Pose als Zeichen angewandt und gedeutet werden kann. Der Bezug auf Filmmaterial und Ikonographie in den Beispielanalysen beruht auf der Hypothese, dass Körperhaltungen im bildmedialen Bereich eine stärkere und oft eindeutigere Semantisierung erfahren als im Alltag. Während sich Semantisierungen im alltäglichen Körperverhalten nur bei relativ wenigen Körperhaltungen feststellen lassen, haben sich bildliche und filmische Konventionen herausgebildet, die die semantischen Zuschreibungen Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 269 Abb. 16: Ein Foto aus der Serie Red Light, White Sands, Black palms (2002-2007), in der Stefan Panhaus Film- und Werbeklischees im realen Leben aufgreift. 21 alltäglicher Haltungskonventionen aufgreifen, verstärken oder modifizieren. So ist das Präsentieren der Achseln bei gehobener Armhaltung über Kopf bei einer Filmfigur nicht nur ein ikonographischer Rückgriff auf die Bildtradition einer erotischen Pose der Nymphen, Sirenen und Liebesgöttinnen. Eine solche Pose kann innerhalb der filmischen Realität auch unterschiedliche Funktionen erfüllen: ‘verlokkend sein’ ausdrücken oder ‘Begehren’ vortäuschen, einen direktiven oder indirekten Sprechakt (z.B. ‘jemanden zu einer erotischen Handlung auffordern’ bzw. ‘jemanden verführen’) durchführen oder simulieren oder auf das kulturelle Schema ‘Weiblichkeit’ Bezug nehmen. Der These zufolge gibt es also mehr und eindeutigere Posen innerhalb von Bildern und Filmen als außerhalb. Das bildmedial vermittelte Körperverhalten wirkt dabei wieder in den Alltag zurück, wenn Menschen sich nach Konventionen, die in der Ikonographie und Fotografie entstanden sind und über Filme, Modefotografie und Werbung popularisiert werden, selbst inszenieren. Ein Beispiel dieser Rückwirkung sind die Fotografien des zeitgenössischen Künstlers Stefan Panhans (geboren 1967). Die von ihm ohne Mitwissen der Fotografierten gemachten Aufnahmen von Menschen in der urbanen Öffentlichkeit - im Supermarkt, auf der Rolltreppe, in Cafés und Geschäften - wirken auf den ersten Blick wie gestellte Fotos, auf denen die unbekannten jungen Frauen und Männer sich wie vor einer unsichtbaren Kamera ostentativ zu Schau stellen (vgl. Abbildung 16). Seine Protagonisten haben offensichtlich nicht nur die Kleidung, sondern auch die Gestik und Mimik [und Posen; D.S.] ihrer medialen Vorbilder übernommen […]. Sie bewegen sich auf den Bühnen kommerzialisierter Großstädte und agieren, als wäre das Leben ein Film, in dem sie die Hauptrolle spielen (Berns et al 2005: 116). Speziell für den Film ist zusammenfassen: Körperhaltungen als Teil des kinesischen Zeichenrepertoires können hier eine eigenständige signifikative und kommunikative Funktion erlangen. Sie bilden eine virtuelle Zeichenpraxis. Sequenzanalysen des nonverbalen Auftretens in Spielfilmszenen konnten zeigen, dass Körperhaltungen kontextabhängig zum Zeichen werden, die eine oder mehrere Zeicheninhalte aufweisen (und somit Posen sind). Die ausgewählten Filmszenen machen deutlich, inwiefern Posen über ihren Anzeichen-Charakter hinaus auf der Figurenebene handlungsbestimmend sind. Denn ebenso wie mit der Produktion sprachlicher und gestischer Äußerungen können mit der Einnahme von Körperhaltungen und mit dem Vollzug von Haltungswechseln verschiedene Intentionen einhergehen. In filmwissenschaftlichen Untersuchungen können durch die Analyse der Zeichenfunktionen des Doris Schöps 270 Zustands- und Bewegungsverhaltens der fiktiven Akteure Einsichten in deren Annahmen, Absichten und Erwartungen gewonnen werden, die bei der Konzentration auf die sprachlichen Dialoge allein nicht erkennbar werden. Die Zeichenprozesse, die sich auf nonverbaler Ebene zwischen Akteuren in Filmen abspielen, sind schwer eindeutig zu erfassen; dennoch ergeben sich durch ihre Berücksichtigung zusätzliche Deutungsmöglichkeiten für die Figurenkonstellationen innerhalb des filmischen Geschehens. Literatur Berns, Jochen Jörg, Lutz Ellrich & Fritz Emslander 2005: Film. Ist und Als-ob in der Kunst, Nürnberg: Verlag für moderne Kunst Bundeszentrale für politische Bildung (ed.) 2006: Parallelwelt Film. Ein Einblick in die DEFA, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung Collett, Peter 2004: Ich sehe was, was du nicht sagst. So deuten Sie die Gesten der anderen - und wissen, was diese wirklich denken, Bergisch Gladbach: Lübbe Dascal, Marcelo et al. (eds.) 1996: Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, 2. Halbband, Berlin etc.: de Gruyter Eco, Umberto 1987: Entwurf einer Theorie der Zeichen, München: Fink Ekman, Paul & Wallace V. Friesen 1969: “The repertoire of nonverbal Behavior: Categories, origins, usage and coding”, in: Semiotica 1.1 (1969): 49-98 Fischer-Lichte, Erika 5 2007: Semiotik des Theaters, vol. 1: Das System der theatralischen Zeichen, Tübingen: Narr Goffman, Erving 9 2011: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München: Piper Grammer, Karl 2004: “Körpersignale in menschlicher Interaktion”, in: Posner, Robering & Sebeok (eds) 2004: 3448-3487 Hickethier, Knut 1996: Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart: Metzler Hjelmslev, Louis 1974: Prolegomena zu einer Sprachtheorie, Stuttgart: Hueber Kanzog, Klaus 2001, Grundkurs Filmrhetorik, München: diskurs film Löser, Claus 2006: “Arbeit und Alltag, Berlin Ecke Schönhauser”, in: Bundeszentrale für politische Bildung (ed.) 2006: 18-21 Monaco, James 3 2001: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien, Hamburg: Rowohlt Morris, Desmond 2002: People Watching. The Desmond Morris Guide to Body Language, London: Vintage Müller, Cornelia 1998: “Forms and uses of the Palm Up Open Hand. A Case of a gesture family? ”, in: Müller & Posner (eds.) 2004: 233-256 Müller, Cornelia & Roland Posner (eds.) 2004: The semantics and pragmatics of everyday gestures (= Proceedings of the Berlin Conference April 1998), Berlin: Weidler Pease, Allan & Barbara Pease 2004: The Definite Book of Body Language, London: Orion Posner, Roland 1996: “Sprachphilosophie und Semiotik”, in: Dascal et al. (eds.): 1658-1685 Posner, Roland, Klaus Robering & Thomas A. Sebeok (eds.) 2004: Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, vol. 4, Berlin etc.: de Gruyter: 3448-3487 Quilliam, Susan 1995: Körpersprache erkennen und verstehen, Niedernhausen: Bassermann Scheflen, Albert E. 1972: Body Language and Social Order. Communication as Behavioral Control, Englewood Cliffs NJ: Prentice-Hall Searle, John R. 1982: “Eine Taxonomie illokutionärer Akte”, in: Searle (ed.) 1994: Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 17-50 Ströter-Bender, Jutta1994: Liebesgöttinnen. Von der großen Mutter zum Hollywoodstar, Köln: DuMont Trimborn, Jürgen 1997: Die Pose als Inszenierungsmittel der Sexbombe im amerikanischen Film der fünfziger und sechziger Jahre (= Magisterarbeit Universität Köln), Köln: Leppin Vogel, Günter 2003: Nehmen Sie Platz. Humanbiologische und kulturgeschichtliche Betrachtungen zu menschlichen Körperhaltungen, Mainz: Logophon Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 271 Anmerkungen 1 Der Artikel ist in ähnlicher Form erschienen unter dem Titel “Semantik und Pragmatik von Körperhaltungen im Spielfilm” in: Semiotik. Themenheft zu Image 16 (2012). 2 Die Einteilung in Abbildung 1 ist in Zusammenarbeit mit Roland Posner im semiotischen Forschungskolloquium an der TU Berlin entwickelt worden. 3 Die Verwendung des Terminus “Figur” in der vorgeschlagenen Klassifikation ist lose an Hjelmslevs Zeichenmodell angelehnt (1974; vgl. auch Eco 1987: 79ff). Bei Hjelmslev heißen abstrakte Einheiten der Form “Ausdrucksfiguren” oder auch “Keneme”; dies sind abgrenzbare Einheiten der Ausdrucksform, denen noch kein Inhalt zugeordnet ist. Demgegenüber sind Inhaltsfiguren (Plereme) abgrenzbare Einheiten der Inhaltsform. Im Gegensatz zu Hjelmslevs Verwendungsweise wird hier der Terminus “Figur” als Überkategorie eingesetzt, die als Unterkategorien sowohl semantisierte als auch nicht semantisierte Körperhaltungen und -bewegungen umfasst; daraus ergibt sich zugleich, dass es sich (wiederum im Gegensatz zu Hjelmslev) nicht notwendig um elementare (d.h. kleinste abgrenzbare) Einheiten der Ausdrucksebene handelt. Gemeinsam mit Hjelmslev haben die hier definierten ‘Figuren’, dass sie unabhängig von eventuellen Inhalten konventionalisiert sind. Diese nur formseitige Konventionalisierung lässt sich auch auf Umberto Ecos “S-Codes” beziehen: “S-Codes sind Systeme oder ‘Strukturen’, die auch unabhängig von jeglicher Signifikations- und Kommunikationsabsicht bestehen können […]. Sie bestehen aus einer endlichen Zahl von Elementen, die oppositionell strukturiert sind und von Kombinationsregeln beherrscht werden, die sowohl endliche als auch unendliche Ketten dieser Elemente generieren können.” (Eco 1987: 64). Die hohe Anzahl denkbarer (Bewegungs- oder Haltungs-)Konfigurationen, die aufgrund einer Kombinatorik aller anatomisch-motorisch veränderbaren Parameter des menschlichen Skelett- und Muskelapparates möglich ist, zeigt sich in der Empirie als eingeschränkt auf bestimmte Varianten, die (für eine bestimmte Kultur) zuverlässig in bestimmten Kontexten auftreten, ohne dass sich damit immer schon Bedeutungen verbinden ließen. In diesem Sinn ist “konventionalisiert” hier zu verstehen. 4 “Semantisiert” und “bedeutungstragend” werden hier nicht synonym verwendet. Mit “semantisiert” beziehe ich mich auf das, was Ausdruckspsychologen gemeinhin als den informativen Gehalt bestimmen, den ein nonverbales Signal (Verhaltensdisplay) für den Zeichenempfänger im gegebenen Kontext hat (vgl. etwa Morris 2002). Eine “Bedeutung” haben dagegen nur kodierte Zeichen; im vorliegenden Schema also Gestenembleme und Posituren. 5 Die Bezeichnung geht auf Paul Ekmans und Wallace V. Friesens (1969) einflussreiche Klassifikation nonverbalenVerhaltens zurück. Deren typologische Bestimmung richtet sich nach semiotischen (coding), sozialpsychologischen (usage) und ethologischen (origin) Gesichtspunkten. Neben den Adaptoren unterscheiden Ekman/ Friesen (1969) Illustratoren, Regulatoren, Affekt-Displays sowie Gestenembleme. 6 Die redebegleitende Geste und ihre formseitigen Varianten haben einen semantischen Kern, und zwar “ein (Gesprächs)Angebot zur Übereinstimmung intensivieren” (Müller 2004: 254). 7 Der Emblem-Begriff geht auf Ekman und Friesen (1969) zurück. 8 Posner bestimmt sie als die zentralen Begriffe, die innerhalb des Axiomensystems intensionaler Logik aufeinander beziehbar sind. (Posner 1996: 1659) 9 Posner (1996: 1664) weist darauf hin, dass der Terminus ‘Anzeichen’ innerhalb seiner Theorie nicht mit Indexzeichen im Sinne von Peirce verwechselt werden darf. Bei Anzeichen besteht eine Kausalbeziehung zwischen dem Auftreten des Zeichenträgers und dem Interpretanten (also dem Glauben an die Botschaft), wobei offen bleibt, wie dieser Glauben zustande kommt. Bei Indexzeichen besteht dagegen eine Kausalbeziehung zwischen dem Auftreten des Zeichenträgers und der Botschaft selbst. 10 Lies: Das Eintreten des Verhaltensereignisses f bewirkt, dass a (der Empfänger) die Proposition p glaubt. E ist dabei ein einstelliger Prädikator, der die Eigenschaft bezeichnet, dass das von Argumentterm f bezeichnete Ereignis (zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort) vorkommt (Posner 1996: 1660). Der Pfeil ‘ ’ ist ein zweistelliger Satzoperator, der ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis bezeichnet. 11 Lies: Das Eintreten des Verhaltensereignisses f bewirkt, dass a (der Empfänger) r tut. ‘T(a,r)’ ist dabei eine Reaktion (= Interpretant), die sich im Empfänger vollzieht. 12 Auf eine Veränderung gegenüber der in Posner (1996) vorgenommenen Klassifikation von Zeichentypen sei hingewiesen: Dort wird eine weitere Spalte (auf der linken Seite) angenommen, die auf dem grundlegenden Ursache-Wirkungsverhältnis E(f) E(e) in der untersten Zeile aufbaut und den fünften Searleschen Sprechakt, die Deklaration, in der obersten Zeile enthält. Diese kann weggelassen werden, da es bei Körperhaltungen wohl keine Deklarationen gibt. Doris Schöps 272 13 Herbert Iherings Rezension in der Berliner Zeitung vom 4. September 1951 zur Premiere des DEFA-Films Der Untertan (Regie: Wolfgang Staudte), zitiert nach Jacobson (2004: 366). 14 ‘Abklatschen’ bedeutet die Aufforderung zum Tanz, wobei man dem vorigen Tanzpartner die Hand auf die Schulter legt. Hier steht sie im Kontext einer Taktik des Beklauens: Während der eine Junge ein Mädchen zum Tanzen auffordert, entwendet der andere Junge ihren Ausweis aus ihrer Jacken- oder Handtasche, die am Platz zurückgelassen wurde. Im vorliegenden Fall lehnte Dieter jedoch die Komplizenschaft im Vorfeld des Tanzabends ab. 15 Eine Halbnah-Einstellung “ermöglicht noch eine Aussage über die unmittelbare Umgebung, stellt das Situative in den Vordergrund, zeigt vom Menschen zumeist auf den Oberkörper und das Gesicht bezogenen Handlungsraum” (Hickethier 1996: 59). 16 Hier dienen zudem Dieters aggressive Intonation, der von ihm geäußerte Direktiv (‘Den könn’ Se in Ruhe lassen …’) und sein angespannter Gesichtsausdruck als Anzeichen für seine Verweigerung gegenüber den Forderungen des Kommissars. 17 Die Prädikatenschreibweise umfasst einstellige und mehrstellige Prädikate, die Teilaspekte von Körperhaltungen (etwa Grundhaltungen wie ‘Sitzen’, Gelenkstellungs-Konfigurationen wie ‘abgespreizt’ oder Kontakt-Konfigurationen wie ‘angelehnt’) beschreiben. Zur einfacheren Notation können Prädikate, die sich auf dieselben Argumente beziehen, durch ‘+’ kombiniert werden: P + Q(x) = def P(x) & Q(x). Die zweistelligen Prädikate A UFGESTÜTZT (x, y) und A UFLIEGEND (x, y) fordern jeweils als erstes Argument ein Körperteil und als zweites Argument einen Artefakttyp. Hochgestellte Ergänzungen der Prädikate spezifizieren Untertypen des Prädikats (etwa Ausführungsweisen wie ‘leicht’ oder räumliche Orientierungen wie ‘hinten’). 18 Eine informelle Befragung wurde in einem Kolloquium im Mai 2011 an der TU Berlin durchgeführt. Die freien Nennungen wurden zunächst danach klassifiziert, inwieweit sie Zuschreibungen von Annahmen und Absichten enthalten (linke Spalte). Soweit dies der Fall war, wurden sie mit der in Abschnitt 2 skizzierten Formelschreibweise vereinfacht ausgedrückt (rechte Spalte). Da es hierbei nur um die Zuordnung zu unterschiedlichen Zeichentypen und Reflexionsstufen geht, konnten weitere Aspekte der Nennungen (etwa Qualifikationen wie ‘so lange’ in Zeile 2) unberücksichtigt bleiben. 19 Internetquellen der Abbildungen: http: / / thisisshangrila.files.wordpress.com/ 2011/ 08/ marilyn-monroe-1277.jpg (Bild links), http: / / www.gala.de/ asset/ Image/ 2011/ bilderstrecken/ kw05/ star-frisuren-bardot-pa.jpg (Bild Mitte), http: / / www.turistamalemolente.com.br/ wp-content/ uploads/ 2011/ 08/ estilo-pin-up-fotos-roupas4.jpg (Zugriff am 3.02. 2012). 20 Sie ergaben sich in Diskussionen in einem Kolloquium im Mai 2011 an der TU Berlin; eine Überprüfung durch Rezipientenbefragung ist geplant. 21 Internetquelle: http: / / www.stefanpanhans.com/ photo3.html. (Zugriff am 3.2.2012). Le Corancan - Sprechende Beine Klaus H. Kiefer (München) Mit den Mitteln der Körper- und Kleidersprache nimmt Nick Walkers Graffito Le Corancan 2010 Stellung zur “loi anti-burqa” Frankreichs. Die mit einem Niqab verschleierten Tänzerinnen schwingen nach Art des French Cancan die Beine, wobei sie Dessous in den französischen Nationalfarben enthüllen. Die abgespreizten “naturnahen” Beine durchkreuzen die beiden opponierenden Kulturen. Integrieren oder negieren sie diese? Erweist sich die zur Schau gestellte Sexualität der Musliminnen als Bedrohung, oder liegt hier ein emanzipatorischer Akt der Entschleierung vor? - Nick Walker lässt die Zeichen tanzen. Er verkoppelt die elementaren Reiz-Reaktionsmuster des Geschlechtsverkehrs mit ideologischen Fragestellungen, und er lenkt dabei auch den Blick auf die Entstehung des Cancan zurück. Dieser mutierte vom anarchischen Volksvergnügen (das bis zu primitiven Stammestänzen zurück zu verfolgen ist) zum “infernalischen Schlussgalopp” in Offenbachs Orphée aux enfers und dann zum voyeuristischen Amüsement des dekadenten Bourgeois im Moulin Rouge. - Der Cancan hat mit dem Paradeschritt, der im Deutschen “Stechschritt” heißt, im Englischen aber “goose step”, im Französischen “pas de l’oie” (beides bedeutet “Gänseschritt”), nicht nur das geschwungene gestreckte Bein gemeinsam, das die anatomisch bedingte Gangart der Gänse und Enten imitiert. Etymologisch rührt “Cancan” selber vermutlich vom kindersprachlichen “cancan” - für “canard” (frz. Ente) - her. Zwischen Monty Python-Komik, sexueller Konnotation und militärischer Ästhetik entfaltet die prostitutive Geste vor den Alpha-Männchen oder solchen, die sich dafür halten, nach wie vor ihre Wirkung. Using body and apparel language, Nick Walker’s graffito Le Corancan tackles the subject of “loi anti-burqa” in France in 2010. It shows women dancers masked with niqabs, swinging their legs in the French cancan fashion, displaying their underwear made of the French national flag colours. The splayed “natural” legs, stretching from either side of the focus, straddle the opposing cultures. Do they integrate or do they separate these? Is the visual sexuality of the Muslim ladies a threat or is it an emancipatory unveiling? - Nick Walker just lets the symbols dance. He couples the elementary stimulus-and-reaction pattern of sexual copulation with ideological questions, thus linking the mind to the origin of the cancan. This developed from anarchistic entertainment of the ordinary people (traceable to primitive tribal dances) to the “infernal final gallop” in Offenbach’s Orphée aux enfers and then to the voyeuristic amusement of the decadent bourgeois in the Moulin Rouge. - The most typical element of the cancan is what is known in German as the “Stechschritt” (literally: “stab step”), but “goose step” in English and “pas de l’oie” in French. The last two expressions both refer not only to the swinging of the stretched leg that imitates anatomically the pace of a goose and a duck but also indicate the etymological derivation from the French child word “cancan” - for “canard” (Fr. duck). As a mixture of Monty Python humour, sexual connotation and military aesthetics the prostituting gesture still causes excitement in front of an alpha male-audience - or one that considers itself as such. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Klaus H. Kiefer 274 Abb. 4: Héla Fattoumi: Manta Abb. 3: Niqabitch Abb. 1 Abb. 2: Nick Walker: Le Corancan 1. “Semiotische Liebesheirat” Eine “semiotische Liebesheirat” (Drees 2010: 11) zwischen Pop und Burka bzw. zwischen “Coran” und “Cancan” (Abb. 1) feierte November 2010 das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Ästhetisches Interesse, das “geschlossene Zeichen” 1 des islamischen Schleiers zu öffnen, bekundete nicht nur der britische Straßenkünstler Nick Walker (Abb. 2), 2 dessen bei einem Pariser Arbeitsbesuch entstandenes Graffito dem SZ-Bericht beigegeben war, sondern auch ein französisches Tandem, das sich “Niqabitch” nennt (Abb. 3), 3 oder die Tunesierin Héla Fattoumi, deren Entschleierungstanz, Manta, in Paris und Berlin zu sehen war (Abb. 4). 4 Der politische Kontext dieser Aktivitäten war die “loi anti-burqa”, die im Frühjahr 2011 in Frankreich in Kraft getreten ist. Doch will ich weder über Sinn oder Unsinn dieses “pädagogischen Gesetzes” handeln, noch die genannten Beispiele en détail interpretieren. Auch die Verwechslung von Burka und Niquab übergehe ich. 5 Ich konzentriere mich ganz auf Walkers überlebensgroßes, ca. 4 m breites Graffito am Quai de Valmy, das mit Hilfe von Schablonen gefertigt wurde, aus dem Blickwinkel der sog. Körpersprache. “Le Corancan” - Sprechende Beine 275 Abb. 5: Tiller Girls Abb. 6: Monty Python: Ministry of Silly Walks Da Graffiti, wie auch Walkers Werk, in der Regel nicht autorisiert und des Vandalismus verdächtig sind, bewahrt sie die photographische oder filmische Dokumentation sowie die Verbreitung im Netz vor ihrer meist baldigen Zerstörung. 6 Zu Le Corancan gibt es ein assoziationsreiches, auch musikalisch untermaltes Entstehungsvideo, das eigens interpretiert werden müsste (Wicks 2011). 7 Dieses Zusammenwirken von Internet und Graffiti, aber auch anderer Formen der Street Art, ist signifikant (Meier 2009). 2. Körper und Kulturen in Bewegung Gerade bei Walkers Graffito ist der Begriff der Körpersprache problematisch, denn zwei Drittel der weiblichen Körper sind ja bedeckt. In der Tat, mit Joanne Entwistle (2000: 6) zu sprechen: “The social world is a world of dressed bodies.” Obwohl der Schleier den weiblichen Körper der öffentlichen Kommunikation entziehen soll, 8 wie der Prophet es (angeblich) befahl, 9 treten Körper und Kleidung in ein rhetorisches Verhältnis: untereinander und in Bezug auf die gesellschaftliche Öffentlichkeit. 10 Das, was gezeigt oder verhüllt wird, provoziert Aufmerksamkeit beim Gegenüber; klassisches Beispiel: das Décolleté. Aus dieser Sicht erscheinen Niqab und Burka nicht nur als befremdlich “overdressed”, sondern geradewegs als kommunikativer Affront in einer aufgeklärten Gesellschaft. 11 Nick Walker wiederum produziert einen doppelten Verfremdungseffekt, indem er die Kleiderordnung zweier Kulturen “durcheinander” bringt und Körperteile entblößt, die hier wie dort nur in ganz besonderen Fällen entblößt werden dürfen. (Umgekehrt gilt das natürlich auch für Verschleierung oder Maskierung.) Aber wenn auch Minirock, Hot Pants oder Stringtanga das weibliche Bein u.a.m. weitestgehend entblößen, so ist doch das hoch geschwungene nackte Bein - auch in der offenen Gesellschaft - dem Sport oder dem Tanz vorbehalten (Abb. 5). Ansonsten wirkt es komisch, wie es Monty Python erschöpfend demonstriert (Abb. 6). Im Frauenfußball stellt das allerschönste gestreckte Bein im übrigen nicht eine ästhetische Norm, sondern ein Foul dar. Klaus H. Kiefer 276 Abb. 8: Gustave Doré: Vision des “Galop infernal” Abb. 7: Werbung für Renault (Teil 1) 3. Mimesis Bei Walkers Graffito handelt es sich um die bildliche Nachahmung einer konkreten Handlung, die wir dank einiger Indices auch begrifflich identifizieren könnten, selbst wenn uns der Titel nicht weiterhülfe. Das hoch geschwungene Bein ist Kennzeichen des Cancan (Price 1998), 12 wobei dieser tänzerischen Figur selber eine elementare Bedeutung innewohnt, über die noch zu sprechen ist. Körpersprachliche Zeichen generieren sich aus dem natürlichen Repertoire bzw. figurativen Potential der Bewegungen, zu denen die menschliche Anatomie fähig ist. 13 Den anthropologischen Grundbedingungen erlegt die jeweilige Kultur, die Epoche und der Tanzstil gewisse, und sehr unterschiedliche, Formen auf, die in der Regel auch vestimentäre Codes einschließen (Abb. 7). 14 So ist z.B. beim Cancan das Schwingen der Beine mit einem Heben und Wedeln des Rockes verbunden, 15 was wiederum Einblicke in die weibliche Anatomie ermöglichte, denn die Damen trugen im 19. Jahrhundert keine oder im Schritt offene Unterwäsche (Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg 2011: 38, 58 u.ö.). Man hielt das für hygienischer; Hosen galten zudem als maskulin. Dank des “galop infernal”, der den Abschluss von Jacques Offenbachs Orphée aux enfers bildet (Abb. 8), 16 wurde der Cancan als Bühnenschautanz ritualisiert, zu allererst vom Moulin Rouge, dem bekannten Pariser Variété, und diesen tänzerischen Topos zitiert auch Nick Walker. Er hat auch mehr übernommen, entweder aus erster Hand, dem seit 2009 gespielten Programm des Moulin Rouge, Féerie, oder aber aus dem französischen Fernsehen, France 2, wo anlässlich des 120-jährigen Jubiläums ein Ausschnitt aus eben diesem Programm gezeigt wurde (Abb. 9). “Le Corancan” - Sprechende Beine 277 Abb. 10: Toulouse-Lautrec: Plakat Abb. 9: Moulin Rouge: Féerie Abb. 11 Man sieht nun auch, woher aller Wahrscheinlichkeit nach 17 die Farbgebung zumindest der Unterröcke der Corancancaneuses stammt; es sind die französischen Nationalfarben, die nota bene “liberté” (weiß), “égalité” (blau) und “fraternité” (rot) bedeuten. Anders als Toulouse- Lautrec (Abb. 10) wirbt Nick Walker nun keineswegs für das Moulin Rouge und eine der größten Cancan-Tänzerinnen seiner Zeit, La Goulue, sondern er erfindet ein Kostüm, das es in Wirklichkeit so nie gegeben hat. Dieses vestimentäre “Mischwesen” 18 demonstriert einen “clash of civilizations” (Huntington 1996), der sich ikonographisch aus drei Provenienzen speist: Der Niqab gehört der islamischen Kultur zu, die hochgehobenen Röcke, jedenfalls durch ihren trikoloren Innendekor der “civilisation française”, und die mit Strapsen und Schuhen nur spärlich kultivierten Beine - deren Farbe Silvio Berlusconi als “bronzato” bezeichnen würde - opponieren als Natur den beiden gegensätzlichen Kulturen, genauer: sie durchkreuzen sie. Man kann die Strukturanalyse noch weiter treiben als Roland Barthes (1964: 214f.), um ihn selbst zu zitieren: “L’homme structural prend le réel, le décompose, puis le recompose; c’est en apparence fort peu de chose […].”Man kommt auch über die nonverbale “Textgrammatik” Hartwig Kalverkämpers (2003: 276ff.) hinaus, die noch relativ statisch wirkt, indem man Körper und Kleid mit Hilfe der von Hans Glinz schon 1952 entwickelten “Proben” (s. Gornik 2003: 817f.) dynamisiert. Die “Verschiebeprobe” macht deutlich, dass das Heben des Rocks und das Schwingen der Beine bedeutungstragend sind. Die Austauschprobe betont die Signifikanz der Trikolore. Niqab könnte zwar mit Burka getauscht, aber nicht weggelassen werden. Völlige Entkleidung der Tänzerinnen wäre Striptease, aber kein Cancan. Sie wäre auch nicht Mode, wie es der Modedesigner Hussein Chalayan in seiner Frühling/ Sommer-Modeschau 1998 provokativparadox gestaltet hat (Abb. 11). Klaus H. Kiefer 278 Usw. Was die Wahrnehmung in einem “prägnanten Moment” (Goethe MA 4.2: 78ff.) erfasst, 19 erscheint nunmehr als Aussage bzw. als Bündel ikonischer Aussagen, 20 die einer Diskussion unterzogen werden können. Der Hermeneutiker nennt es ein “Gespräch” (Gadamer 1965). 4. Cancan? Damit komme ich zur Titelfrage meines Vortrags: Können Beine sprechen? Hat es 2006 in der Berliner Kunstbibliothek eine Ausstellung zum Thema “Sprechende Hände” (Evers 2006) gegeben, so ist die “Sprache” von Füßen und Beinen bislang eher stiefmütterlich behandelt worden. 21 Zwar sind Beine - mit denen ich mich weiter ausschließlich 22 beschäftige - tragendes Fundament des “aufrechten Gangs” des Menschen, der diesen Johann Gottfried Herder (1989: 114) zufolge erst zum Menschen macht, die unteren Extremitäten sind aber weniger artikulationsfähig als die oberen. Arme und Hände können ein ganzes Spektrum von - meist positiven - Bedeutungen oder Kommentaren ausdrücken. Hände etwa assoziiert man gerne mit “Beten” und “Arbeiten”, Beine fallen eher in den Bereich der Erotik, ja der Pornographie. 23 Das macht, weil die längsten Beine “gegen’s Ende” sich doch kriegen 24 - so ein Schlagertext aus Zeiten, als das Wort “Sex” noch nicht in aller Munde war. Das Faszinosum war umso größer, als die Damenoberbekleidung noch weit über das Fin de siècle hinaus knöcheltief reichte (Loscheck 1994: 436f.) und nur bei den bewussten “kicks” von Cancan- Tänzerinnen die “unaussprechlichen” Geheimnisse lüftete. Die aus der Notwendigkeit, bei hohen Beinschwüngen den hinderlichen Rock zu raffen, gewonnene Beinfreiheit (aber warum müssen die Damen dabei wedeln? ) war ein wesentlicher Beitrag zur weiblichen Emanzipation (Fleig 2001: 489). Damit riss natürlich auch so mancher “schöne Wahn” entzwei (Kiefer 2007). Doch es geht um mehr. Selbst Heinrich Heine, der à propos du Cancan ansonsten nicht mit illustren Vergleichen geizt - Tanz der Salome, Bacchanalien, Walpurgisnacht etc. (DHA 3/ 1, 30; DHA 9, 70; DHA 13/ 1, 155, 158; DHA 15, 26) -, zeigt sich erschrocken über die “cancaniere” 25 “Umwertung aller Werte”. 26 Dieter Borchmeyer (2008: 149) zufolge sieht Heine im Cancan das “Symbol einer heimlichen Revolution der ‘untern Classen’”. 5. Analogie und Als Ob Ich bezweifle, dass Nick Walker das weiß. Auf jeden Fall hat er die Provokation von Zucht und Ordnung, die sich vordem im emanzipatorischen Beinschwung des Cancan manifestierte, wieder aufgegriffen, und zwar dadurch, dass er die mittlerweile ja eingespielten Konventionen des Revuetheaters außer Kraft setzt, indem er die kulinarische Entblößung mit einer neuerdings provokanten Verhüllung kombiniert. Die Frage stellt sich, ob dieser Widerspruch bzw. diese Hybridisierung Sinn macht, und wenn ja: wieviele… Wie schon angedeutet, ist der Ursprung der Körpersprache anatomiebedingt. Die Natur wollte es, dass die Beine im Geschlecht zusammenlaufen, so dass das Heben oder auch Spreizen der Beine der Frau - für den Mann - grundsätzlich einen “Sexappell” signalisiert, 27 - mit Umberto Eco (2003: 176ff.) wäre hier ein “semiotisches Primitivum” konstatieren. Dieser Appell ist beim Tanz freilich nur “gespielt” 28 und dient auf der Bühne dem bloßen Voyeurismus (außerdem: Irren ist männlich). Auch der Tango Argentino, der nach wie vor Paartanz ist (Elsner 2000: 242), 29 simuliert die geschlechtliche Paarung (Abb. 12). “Le Corancan” - Sprechende Beine 279 Abb. 12: Tango Argentino Abb. 13: Hochzeitstanz der Nuba Im Falle eines Hochzeitstanzes der Nuba (Abb. 13), 30 den Leni Riefenstahl noch in den 1960er Jahren fotografierte, schwingt die junge Frau dem Auserwählten das gestreckte Bein über die Schulter. Ist das der ethologische Ernstfall, 31 so war das “Als-ob” den Cancan-Tänzern, -Zuschauern und -Kontrolleuren 32 durchaus bewusst, und als Augenzeugen dieser “uralten […] Pantomime” könnte ich nochmals Heine (DHA 5, 231) zitieren. Kein anderer als Richard Wagner (2005: 65), der Heine 1841 in Paris begegnete, hat aber ebenfalls beobachtet, “daß selbst im glühendsten spanischen Tanze doch nur die Liebeswerbung symbolisiert wird, während im Pariser Cancantanze sich der unmittelbare Akt der Begattung symbolisch vollzieht”. 33 Skeptiker werden sagen: Schwingen ist nicht Spreizen, und es geht vielleicht auch anders. Nun, das ist eben die Rhetorik der Körpersprache. Beim Ersatz des Spreizens durch das Schwingen handelt es sich um einen Grenzverschiebungstropus (Lausberg 1967: 66f.), wobei, wie gesagt, das Heben des Rockes das vestimentäre Komplement darstellt. Der Cancan, der von spitzen Lustschreien begleitet wird, endet in der Regel mit einem Längsspagat. Die sexuelle Interaktion wird partiell angedeutet und zugleich hyperbolisch ästhetisiert. 34 6. Ententanz und Gänseschritt Auch beim “Mängelwesen” Mensch dient der Körper primär den lebensnotwendigen Funktionen. Die dabei beteiligten Teile nennt Kalverkämper (2003: 270)”Korporeme”. Dass gerade das hochgeschwungene gestreckte Bein beim Cancan eine vorrangige Rolle spielt - es wird ja auch im Wechsel mit der Streckung angewinkelt usw. -, erscheint zunächst als ästhetische Willkür, die allerdings ihre tierischen Ursprünge nicht verleugnen kann. Die Etymologie von “Cancan” ist zwar unsicher; 35 mir erscheint aber am wahrscheinlichsten die Herkunft aus dem kindersprachlichen “cancan”, womit die Ente, frz. “canard”, bezeichnet wird. Deren Anatomie (Abb. 14) ermöglicht nur eine Fortbewegung mit gestrecktem Fuß, weil das Kniegelenk, das den Zweibeiner Mensch aufrecht gehen, marschieren und eben auch tanzen lässt, zu hoch am Rumpf sitzt. Was die Ente nach vorne schleudert, ist der sog. Laufknochen (Tarso- Klaus H. Kiefer 280 Abb. 14: Skeletts des Huhns Abb. 15: Stechschritt metatarsus), der aus Fußwurzel- und Mittelfußknochen zusammengewachsen ist. 36 Der Cancan ist demnach ein “Ententanz”… Ich habe nicht zufällig das Wort “marschieren” ins Spiel gebracht. Nicht nur stammt der Begriff der Revue, der die Formation der Cancaneuses bedingt, aus dem Militärwesen, das bis ins 20. Jahrhundert hinein beim Tanz imitiert und auch parodiert wurde. Der im Deutschen mit “Stechschritt” bezeichnete Paradeschritt (Abb. 15) 37 heißt im Französischen weniger martialisch “pas de l’oie” und im Englischen “goose step”, also “Gänseschritt”. Der Grund ist wie beim Cancan die Anatomie der Ente bzw. hier der Gans. Bei der Parade zum 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China 2009 lässt sich studieren, wie die Rocklänge der weiblichen Milizionäre den “aufrecht” geschwungenen “Gänsebeinen” angepasst wurde (Abb. 16). 38 7. “Moulin Rouge meets burka” 39 Walkers Graffito ermöglicht je nach Kombination und Perspektivierung seiner Teile verschiedene Aussagen. Der Künstler selbst äußert sich enigmatisch: “Islamic veil + French Tradition = the Corancan + ? ” 40 Eindeutig wird der männliche Blick nur von der zur Schau gestellten “partie honteuse” der Tänzerinnen angezogen. Doch jenseits des bloßen Reiz- Reaktionseffekts gibt es eine lectio difficilior, genauer gesagt: mindestens zwei. 41 Diese sind konträr. Demographisch interessant wird der Blickwinkel - erstens - deswegen, weil die unteren Extremitäten, wie bekannt, am Ort der sexuellen Reproduktion zusammenlaufen. Dank des finsteren Niqabs wirkt der Cancan-Kick in diesem Fall als Drohgebärde gegenüber dem europäischen Voyeur. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes Vural Öger hat das Problem auf den Begriff gebracht: Was mit militärischer Gewalt - vor Wien - nicht gelang, geschehe nun durch die “Kraft der Lenden” der Muselmannen und -frauen. 42 Zweitens: Statt der schleichenden Okkupation der Grande Nation - um den Blick wieder nach Frankreich zu wenden - durch den Islam, kann man das Flaggezeigen freilich auch als staatsbürgerliches Bekenntnis verstehen, ja als einen ersten Schritt zur emanzipatorischen Entschleierung (“von unten her” à la Niqabitch). Dieser Lesart zufolge erscheint der Corancan als “danse progréssiste”, 43 als Beispiel einer “intégration réussie”. 44 Diese Variante “Le Corancan” - Sprechende Beine 281 Abb. 17: Martin Mayer: Olympia Triumphans Abb. 16: Aufrechter Schritt chinesischer Miliz kann sowohl anti-islamisch als auch anti-staatlich sein: “L’humour et la dérision sont peutêtre plus efficace qu’une loi! ” 45 Walkers graphische Rhetorik gehört dem genus deliberativum an, es ist in diesem Sinne “beratschlagend” (Ueding & Steinbrink 1986: 238) - nur: was gibt im visuellen, nonverbalen Medium den semantischen Ausschlag? Hier sprechen die Beine, indem sie, wie eingangs schon bemerkt, die (bi-) kulturelle Kategorisierung “durchkreuzen” - was aber keine Negation, eher eine Verbindung (durch Blickführung) herstellt. Verabsolutiert man einen Teil, wird die Botschaft verfälscht. Die “einladende” Geste der Beine typisiert aber per analogiam das Corancan-Oxymoron als zustimmungsfähig. 46 Man muss nicht soweit gehen, die gespreizten Beine als Victory-Zeichen zu lesen, da dieses zwar dem Gegenwartskünstler, nicht aber dem Erfinder des Cancan bewusst war. Auch wäre das Zeichen um 90° in die Vertikale zu drehen. 47 Martin Mayers auf dem Münchner Olympia-Gelände aufgestellte Skulptur Olympia Triumphans (Abb. 17) 48 ist da nicht zuletzt dank des Titels eindeutig, auch wenn die weibliche Figur eine kosmische Vereinigung nicht ausschließt. Aber es ist nota bene das Tanzbein, das beim Corancan Attacke wie Assimilation transzendiert. Der Tanz als Spiel besitzt Qualitäten der Gestaltung (Anz & Kaulen 2009). Vorbemerkung Als Vortrag gehalten auf dem 13. Internationalen Semiotik-Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik, Org.: Eva Kimminich, 13.-15. Oktober 2011 in Potsdam: Repräsentation - Virtualität - Praxis. Sektion 1: “Als Ob”: Bildliche Repräsentation als virtuelle Praxis, Mod.: Ernest W.B. Hess-Lüttich u. Klaus Sachs-Hombach. Literatur, Medien, Quellen Anz, Thomas & Heinrich Kaulen (eds.) 2009: Literatur als Spiel. Evolutionsbiologische, ästhetische und pädagogische Konzepte, Berlin u. New York: de Gruyter (spectrum Literaturwissenschaft / spectrum Literatur. Komparatistische Studien/ Comparative Studies 22) Barthes, Roland 1964: “L’activité structuraliste”, in: ders.: Essais Critiques, Paris (Coll. Tel quel): 213-220 Klaus H. Kiefer 282 Berndt, Christina 2011: “Ethikrat warnt vor Mischwesen. Wissenschaftler fordern ausdrückliches Verbot, dass tierische Embryonen von Menschen ausgetragen werden”, in: Süddeutsche Zeitung 224 (28. September 2011): 1 Borchmeyer, Dieter 1992: Die Götter tanzen Cancan. Richard Wagners Liebesrevolten, Heidelberg: Manutius Borchmeyer, Dieter 2008: “Heines Götter”, in: Harry … Heinrich … Henri … Heine. Deutscher, Jude, Europäer, Grazer Humboldt-Kolleg, 6.-11. Juni 2006, Dietmar Goltschnigg, Charlotte Gollegg-Edler, Peter Revers (eds.) , Berlin: Schmidt (Philologische Studien und Quellen 208): 141-150 Brandstetter, Gabriele & Sibylle Peters (eds.) 2002: de figura. Rhetorik - Bewegung - Gestalt, München: Fink Drees, Stephanie 2010: “Das Keuchen unter dem Schleier. Eine semiotische Liebesheirat: Der Pop entdeckt die Burka”, in: Süddeutsche Zeitung 271 (23. November 2010): 11 Eco, Umberto 1972: Einführung in die Semiotik, Jürgen Trabant (ed.), München: Fink (UTB 105) Eco, Umberto 2003: Kant und das Schnabeltier, übers. v. Frank Herrmann, München: dtv Elsner, Monika 2000: Das vier-beinige Tier. Bewegungsdialog und Diskurse des Tango argentino, Frankfurt/ M. u.a.: Lang (Europäische Hochschulschriften 24: Ibero-Romanische Sprache und Literaturen 59) Endres, Johann 2005: “Einführung: Texturen der Opazität”, in: Ikonologie des Zwischenraums. Der Schleier als Medium und Metapher, ders., Barbara Wittmann, Gerhard Wolf (eds.), München: Fink (Bild und Text): 3-7 Entwistle, Joanne 2000: The Fashioned Body. Fashion, Dress and Modern Social Theory, Cambridge, UK: Polity Evers, Bernd 2006: Sprechende Hände, Kat. zur Ausst. Sprechende Hände, Kunstbibliothek Staatliche Museen zu Berlin, 24. Februar - 17. April 2006, Berlin: Staatliche Museen zu Berlin - Stiftung Preußischer Kulturbesitz Fleig; Anne 2001: “Sinnliche Maschinen. Repräsentationsformen der Beine in der Moderne”, in: Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Claudia Benthien & Christoph Wulf (eds.), Reinbek/ H.: Rowohlt 2001 (rowohlts enzyklopädie): 484-499 Gadamer, Hans-Georg 2 1965: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen: Mohr Gattermann, Rolf (ed.) 2 2006: Wörterbuch zur Verhaltensbiologie der Tiere und des Menschen, München: Elsevier Spektrum Akademischer Vlg. Goethe, Johann Wolfgang: “Über Laokoon”, in: ders.: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, Karl Richter in Zus.arb. m. Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauder (eds.), 4.2: Wirkungen der Französischen Revolution 1791-1797, Klaus H. Kiefer u.a. (eds.), München: Hanser 1986: 73-88 (zit. MA) Gornik, Hildegard 2003: “Methoden des Grammatikunterrichts”, in: Didaktik der deutschen Sprache. Ein Handbuch, Ursula Bredel u.a. (eds.), Paderborn u.a.: Schöningh: 814-829 Hartmann, Annette 2002: “Doing Tango - Performing Gender. Zur (De-) Konstruktion von Geschlechtsidentitäten in Literatur und Tanz”, in: Tanz Theorie Text, Gabriele Klein & Christa Zipprich (eds.), Münster: Lit: 367-381 Heine, Heinrich: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Manfred Windfuhr in Verb. m. d. Heinrich-Heine- Institut (ed.), Hamburg: Hoffmann u. Campe 1973-1997 (zit. DHA) Herder, Johann Gottfried 1989: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in: ders.: Werke in zehn Bänden, 6, Martin Bollacher u.a. (eds.), Frankfurt/ M.: Deutscher Klassiker Vlg. Huntington, Samuel P. 1996: The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York: Simon u. Schuster Kalverkämper, Hartwig 1994: “Die Rhetorik des Körpers: Nonverbale Kommunikation in Schlaglichtern”, in: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch 13: Körper und Sprache: 131-169 Kalverkämper, Hartwig 2003a: “Textgrammatik der Körpersprache - eine Perspektive”, in: Am Anfang war der Text. 10 Jahre “Textgrammatik der deutschen Sprache”, Maria Thurmair & Eva-Maria Willkop (eds.), München: iudicium: 259-284 Kalverkämper, Hartwig 2003b: “Nonverbale Kommunikation”, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Gert Ueding (ed.), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 6: 307-337 Kalverkämper, Hartwig 2003c: “Physiognomik”, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Gert Ueding (ed.), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 6: 1083-1190 Kiefer, Klaus H. 1978: Wiedergeburt und Neues Leben. Aspekte des Strukturwandels in Goethes Italienischer Reise, Bonn: Bouvier (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte 280) Kiefer, Klaus H. 2004: “Die famose Hexen-Epoche” - Sichtbares und Unsichtbares in der Aufklärung. Kant - Schiller - Goethe - Swedenborg - Mesmer - Cagliostro, München: Oldenbourg (Ancien Régime, Aufklärung, Revolution 36) Kiefer, Klaus H. 2007: “Mit dem Gürtel, mit dem Schleier...” - Semiotik und Dialektik der Ver-/ Enthüllung bei Schiller, Fontane und Picasso”, in: Kodikas/ Code. Ars Semeiotica. An International Journal of Semiotics 30, “Le Corancan” - Sprechende Beine 283 3-4: “Kartographie des Verhüllten. Brückenschläge zwischen Natur- und Kulturwissenschaften / Carthography of the Disguised. Bridging Science and Humanities”: 259-273 Kiefer, Klaus H. 2011: Die Lust der Interpretation - Praxisbeispiele von der Antike bis zur Gegenwart, Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren Lausberg, Heinrich 3 1967: Elemente der literarischen Rhetorik. Eine Einführung für Studierende der klassischen, romanischen, englischen und deutschen Philologie, München: Hueber Loscheck, Ingrid 3 1994: Reclams Mode- und Kostümlexikon, Stuttgart: Reclam Maierl, Johann, Hans-Georg Liebich, Horst Erich König 2001: “Beckengliedmaßen (Membra pelvica)”, in: Anatomie und Propädeutik des Geflügels. Lehrbuch und Farbatlas für Studium und Praxis, König u. Liebich (eds.), Stuttgart u. New York: Schattauer: 55-73 Meier, Stefan 2009: “Graffiti meets Web 2.0 - Politik und Synenergie zweier kollaborativer Netzwerke”, in: Utopien, Jugendkulturen und Lebenswirklichkeiten. Ästhetische Praxis als politisches Handeln, Eva Kimminich (ed.), Frankfurt/ M.: Lang (Welt - Körper - Sprache 7): 221-239 Nietzsche, Friedrich: Ecce homo, in: ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Giorgio Colli & Mazzino Montinari (eds.), München: dtv 1980, 6: 255-374 (zit. KSA) Nöth, Winfried 2 2000: Handbuch der Semiotik, Stuttgart u. Weimar: Metzler Offenbach, Jacques 1997: Orphée aux enfers, Dir. Marc Minkowski, Reg. Laurent Pelly, Opéra National de Lyon, DVD: Arthaus Posner, Roland 2002: “Alltagsgesten als Ergebnis von Ritualisierung”, in: Ritualisierte Tabuverletzung, Lachkultur und das Karnevaleske, Matthias Rotheu & Hartmut Schröder (eds.), Frankfurt/ M.: Lang: 395-421 Price, David 1998: Cancan! , London: Cygnus Arts Riedel, Katja 2011: “In die Luft wachsen. Bildhauer Martin Mayer, Schöpfer der Olympia Triumphans, wird diesen Sonntag 80”, in: Süddeutsche Zeitung 11 (15./ 16. Januar 2011): R 18 Riefenstahl, Leni 1976: Die Nuba, Frechen: Komet Robert, Paul 1967: Dictionnaire alphabétique & analogique de la langue française, Paris: Société du Nouveau Littré (Le Petit Robert) Schwingenheuer, Eva 2 2009: Burka, Frankfurt/ M.: Eichborn Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg (ed.) 2011: Reiz & Scham. Kleider, Körper & Dessous. 150 Jahre zwischen Anstand und Erotik, Kat. Swift, Jonathan 1975: Gulliver’s Travels (1726), eingel. v. Clive T. Probyn, London - Melbourne - Toronto: Everyman’s Library Ueding, Gert & Bernd Steinbrink 2 1986: Grundriß der Rhetorik. Geschichte - Technik - Methode, Stuttgart: Metzler Voß, Rudolf 1869: Der Tanz und seine Geschichte. Eine kulturhistorisch-choreographische Studie. Mit einem Lexikon der Tänze, Berlin: Seehagen Wagner, Richard 2005: “Erinnerungen an Auber”, in: ders.: Gesammelte Schriften und Dichtungen, o. O.: Adamant Media Corporation (Elibron Classics; Faks. d. Ausg. Leipzig 1873), 9: 51-73 Wicks, Matthew (Reg.) 2011: Nick Walker paints Paris, Le Corancan. Official video of British street artist, Nick Walker, hitting up Paris to coincide with the French election and in response to Sarkozy’s political pressure to ban the muslim veil, a.k.a. [= also known as] the burka, in: http: / / www.apishangel.com Wolf, Gerhard 2001: “Verehrte Füße”, in: Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Claudia Benthien & Christoph Wulf (eds.), Reinbek/ H.: Rowohlt (rowohlts enzyklopädie): 500-523 Abbildungen Alle Internetquellen wurden August/ September 2011 überprüft; nur in einem Fall (Tiller-Girls, Schnappschuss aus dem Film Scala total verrückt von 1958, Reg. Erik Ode, in: http: / / www.casttv.com/ video/ lOotbr1/ tiller-girls-londonin-scala-total-verrckt-1958-video) war die Quelle nicht mehr auffindbar. Beim Vortrag wurden die Abbildungen ggf. als kurzer Filmausschnitt gezeigt. Hierfür stehen jetzt Schnappschüsse. Abb. 1: “Bringt die Zeichen zum Tanzen: Nick Walkers CoranCan [sic] an einer Pariser Mauer”; Ausschnitt (Drees 2010: 11), Photo: Sipa Press Abb. 2: Nick Walker: Le Corancan (18. März 2010); Graffito, Paris, Quai de Valmy, in: http: / / www.woostercollective.com/ 2010/ 03/ nick_walkers_coran_can.html (19. März 2010) Klaus H. Kiefer 284 Abb. 3: Niqabitch, in: http: / / www.youtube.com/ watch? v=2-SvxEYLFTM Abb. 4: Héla Fattoumi (Choreographie zus. m. Eric Lamoureux): Manta, in: http: / / www.youtube.com/ watch? v=t6SDAwydLc (17. Juni 2010) Abb. 5: Tiller-Girls, Photo 1924, in: http/ / www.digischool.nl/ ckv2/ moderne/ berlijn/ tiller2.jpg Abb. 6: Monty Python: Ministry of Silly Walks, in: http: / / www.youtube.com/ watch? v=IqhlQfXUk7w Abb. 7: Was ist Stil? , in: Der Spiegel 27 (28. Juni 2004): 41 Abb. 8: Gustave Doré: Vision des “Galop infernal” (1858), in: http: / / www.operetta-research-center.org Abb. 9: Michel Drucker (m. Didier Bourdon & Christian Clavier): Vivement Dimanche (Spéciale “Cage aux folles”), France 2, 20. September 2009 mit dem Cancan aus dem Moulin Rouge-Programm 2009 Féerie, in: http: / / www.youtube.com/ watch? v=38B3MhDM4jU Abb. 10: Henri de Toulouse-Lautrec: Plakat, in: http: / / www.de.wikipedia.org/ wiki/ La_Goulue Abb. 11: Ellen McIntyre: Eastern delights or fundamentalist fashion? (undat.), in: http: / / ellenmcintyre.co.uk/ fashion/ eastern-delights-or-fundamentalist-fashion Abb. 12: Tango Argentino, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 17 (22./ 23. Januar 2011): R 8 Abb. 13: Leni Riefenstahl: Die Nuba, Frechen: Komet 1976, o. S. Abb. 14: Schematische Darstellung des Skeletts des Huhns (Lateralansicht), in: Maierl, Liebich, König 2001: 55-73, Abb. 1.10 u. 4.4 Abb. 15: Stechschritt: in: http: / / www.youtube.com/ watch? v.=XrCQJxpXjXA&feature=related Abb. 16: Militärparade zum 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China, 1. Oktober 2009, in: http: / / www.youtube.com/ watch? v=1vA4T1wfJLE Abb. 17: Martin Mayer: Olympia Triumphans, Photo: ders., in: Riedel 2011: R 18 Anmerkungen 1 Drees (2010: 11) beruft sich auf die nicht unumstrittene Philosophin Isolde Charim (“Repräsentantin des Austroschwurbeltums”, in: http: / / campcatatonia.org/ article/ 190/ texte-die-wir-mit-beachtenswerterregelmaessigkeit-nicht-verstehen). 2 Zum Corancan kursieren zahlreiche unterschiedliche Photographien im Netz. Auf einigen sind auch “Kontexte” zu sehen: links, z.T. übermalt bzw. abgeschnitten: “Un graffiti [sic] / c’est la liber[té] / [de? ] conscience S[? ]”, und rechts: “Nique la pol[ice]” (dt. Ärgere die Polizei”), in: http: / / virginia-castro.photoshelter.com/ usr/ usraccount. 3 Zu Niqabitch wiederum kursieren Fassungen mit unterschiedlicher Hintergrundsmusik: Chanson, Rap und Kölner Karnevalsschlager. In der Tat gehört dieses Werk eher der leichteren Muse an, auch wenn es aus Sicht gläubiger Moslems skandalös ist. 4 Uraufführung von Manta angeblich 2009, nachgewiesen 6.-16. April 2010 im Théâtre de la Cité internationale, der Pariser Studentenstadt; Berliner Aufführung im Palais Podewil, 21. August 2010; Ausschnitte in: http: / / www.arte.tv/ de/ Videos-auf-Arte-TV/ 2151166/ CmC=3147292.html. Zu Beginn der Arte-Reportage wird Nick Walker gezeigt, wie er an seinem Werk den Titel Le Corancan anbringt. Die SZ (Drees 2010: 11) schreibt fälschlicherweise “Mantra”. “Manta” kommt vermutlich aus span. “manta”, wie dt. “Mantel” < lat. mantellum = Ganzkörper-Umhang (frz. mante); frz. “manteau” = Mantel, Uniform ist aus dem Frz. ins Pers. (Farsi) entlehnt worden (hier arab. geschrieben), kann sich also auch auf den religösen Umhang beziehen. Die “mante religieuse”, das Insekt, das dt. “Gottesanbeterin” heißt (mantis religiosa), bezieht - anders als der Manta-Rochen, dessen sprechender Name wiederum aus dem Span. stammt - ihre Bezeichnung aus dem Griech., wo “mantis” = “der Seher”, “mante” “die Seherin,” “die Prophetin” bedeutet. Dadurch erhält der Titel des Tanzes eine islamkritische Konnotation, die ernst gemeint ist: Die Prophetin, die sich entschleiert, wendet sich manifest gegen den Propheten. 5 S. Abb. Bekleidungsformen muslimischer Frauen, in: http: / / www.20min.ch/ dyim/ 5d0837/ B.M600,100o/ images/ content/ 1/ 6/ 4/ 16489236/ topelement.jpg. Der schwarze Niqab lässt nur einen Augenschlitz frei; die meist blaue Burka vergittert auch noch den Sehschlitz. Bei der sog. Nuttenburka ist der Schlitz weiter unten angebracht, s. Schwingenheuer 2009: o.S. 6 Ich danke hier Jacqueline von der Galerie Apishangel, die mir am 4. November 2011 mailt: “The Le Corancan piece was painted over after a week or two. […] Anything seen to be remotely anti Sarkozy was removed from the walls.” Die Galerie bietet nun eine Druckfassung des Corancan an (70 x 100cm, 450 £). “Le Corancan” - Sprechende Beine 285 7 Eingangs wird ein Pariser Quartier unter dem Ruf des Muezzin gezeigt. Dann eilt der Künstler mit seinem Einkaufstrolley herbei, in dem er seine Utensilien mitzuführen pflegt. Der zweite Teil stellt einen Verschnitt aus Bildassoziationen (Cancan u.a.), Walkerschen Werkzitaten und dem eigentlichen Schaffensakt dar, untermalt von einem popmusikartig verfremdeten Cancan-Rhythmus. Gezeigt werden auch Reaktionen von Passanten. 8 Hartwig Kalverkämper (2003b: 311) hat mehrfach betont, dass Paul Watzlawicks kommunikationstheoretisches Axiom, dass man nicht nicht kommunizieren könne, gerade auch für die Körpersprache gilt. 9 Die mehr als dubiosen Belege aus dem Koran verzeichnet die Bundeszentrale für politische Bildung, in: http: / / www.bpb.de/ themen/ IYRYVB,0,0-7,0. 10 S. Kalverkämper 2003b: 308ff. An anderer Stelle nennt der Verfasser (2003c: 1086) treffend das Gesicht “den sozial relevantesten Ort des Körpers”. Kalverkämper (1994: 132f.) hat auch minutiös die Verbindung zur antiken Rhetorik hergestellt (Ciceros Orator und Quintilians Institutio oratoria). Wenn schon Quintilian das Vorbild der Schauspielkunst benennt, wie viel mehr muss in der gegenwärtigen Mediengesellschaft die Körpersprache Berücksichtigung finden. 11 Johann Endres (2005: 3) zufolge hat “die europäische Aufklärung im Schleier einen ihrer größten Opponenten gesehen”; vgl. Kiefer 2004. 12 Vgl. auch http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Quadrille_(Tanz): “Die […] Quadrille, die zu den wilden Rhythmen Offenbachs getanzt wurde, war weder schön noch strukturiert. Die rhythmische Präzision dieses historischen Tanzes, der in den 1950er-Jahren als Cancan durch Kino und Theaterbühnen bekannt wurde, entwickelte sich erst im 20. Jahrhundert und hat keinerlei Ähnlichkeit mit der Urform der Quadrille. Ursprünglich war die ‘Quadrille naturaliste’ ein anarchischer, improvisierter Tanz, eine akrobatische, ekstatische Verrenkung der Glieder […].” 13 Dieses natürliche Repertoire wird von “Spezialisten”, Tänzern, Akrobaten, Sportlern perfektioniert und transzendiert; vgl. Brandstetter & Peters 2002. 14 Die Seite weist sich erst auf der übernächsten Seite als Teil einer Autowerbung aus: “Schwer zu erklären. Leicht zu erkennen. / Der Renault Scénic. Stil hat man. Oder nicht.” Die (unbekannte) Werbeagentur hat allerdings noch nichts von einem Individualstil gehört, den beide Damen haben. 15 Nick Walker konstruiert das Motiv des gehobenen (entmystifizierten) Rocks auch bei seinem Graffito Moona Lisa, in: http: / / flickr.com/ photos/ magnera/ 3586723304/ set-72157617257667287. Auch zu diesem Graffito gibt es ein Entstehungsvideo; das Werk wurde auch als Druck verbreitet. 16 Dieses “satanische Spektakel”, wie Heine schreibt (DHA13/ 1, 158), wird auf ganz unterschiedliche Weise choreographiert, abhängig davon, wie wieviel tänzerische Kondition die Sänger mitbringen bzw. wie das Zusammenspiel von Ballett und Sänger organisiert ist; vgl. Offenbach 1997. 17 Wo und wann die Nationalfarben zuerst den Unterleib der französischen Nation (La France! ) bedeckten, ist nicht nachzuweisen - das Internet bietet jedenfalls für das deutsche Publikum auch Cancan-Röcke in schwarz-rotgold. 18 Bereits in der antiken Mimesis gibt es “unwahrscheinliche” Mischwesen, wie z.B. den Kentaur. Sie waren meist aus natürlichen Formen zusammengesetzt. Heute sind solche Mischwesen (Chimären) offenbar genetisch herstellbar; vgl. Berndt 2011: 1. 19 Ich habe mich schon sehr früh mit diesem medientheoretischen Mustertext auseinander gesetzt, s. Kiefer 1978: 266ff. Goethes Studie erscheint semiotisch viel einsichtiger als die immer wieder zitierte Lessing’sche Abhandlung. 20 Dieser von Umberto Eco (1972: 242ff.) übernommene Begriff ist ein Notbehelf; wir könnten aber ohnehin nicht von Ikonen oder Hypoikonen handeln, wenn wir nicht die visuellen Zeichen der Körpersprache ins Symbolsystem der verbalen Sprache übersetzten. Wir wären an die Akademie von Lapuda versetzt, s. Jonathan Swift 1975: 198: “[...] if a man’s business be great, and of various kinds, he must be obliged in proportion to carry a greater bundle of things upon his back, unless he can afford one or two strong servants to attend him.” 21 S. Nöth 2000: 298; im Kapitel “Gestik” werden nur Arme, Hände und Kopf erwähnt. Im Grunde ist jeder Körperteil artikulationsfähig. - Außer Betracht bleibt in meinem Beitrag das klassische Ballett mit seinen “überstilisierten” Figuren. 22 Zu den Füßen s. Wolf 2001. 23 Daher gibt es zahllose Bein-Witze, aber kaum Hände- oder Arme-Witze. 24 Theo Lingen: “Ach Luise! ”, in: http: / / www.golyr.de/ theo-lingen/ songtext-ac. 25 Diese eine Etymologie von “cancan” (< lat. quanquam) bezeichnet ein “bavardage calomnieux” (Robert 1967: 220). Der Begriff war auch Heine (DHA 15, 18) nicht unbekannt. Klaus H. Kiefer 286 26 Friedrich Nietzsche (KSA 6: 365) schreibt “Umwerthung aller Werthe” gesperrt. Heine zufolge (DHA 13/ 1, 158) persifliert der Cancan “nicht bloß die geschlechtlichen Beziehungen […], sondern auch die bürgerlichen, sondern auch alles was gut und schön ist, sondern auch jede Art von Begeisterung, die Vaterlandsliebe, die Treue, den Glauben, die Familiengefühle, den Heroismus, die Gottheit.” 27 Ich unterscheide hier zwischen “Signal” im tierischen Funktionskreis, der beim Menschen in seinen Reiz/ Reaktionsmechanismen nur noch rudimentär vorhanden ist und “Zeichen” im eigentlichen Sinn. 28 Das Spiel ist die pragmatische Version der Fiktion; vgl. Kiefer 2011: 18f. u.ö. 29 Vgl. Hartmann 2002: 368: “Im Tanz treffen Körper, Geschlecht und Bewegung aufeinander und konstruieren Modelle von Weiblichkeit und Männlichkeit.” 30 Zum “Liebestanz” der Nuba s. Riefenstahl 1976: 429. 31 Elementare Funktionen werden ritualisiert; vgl. Gattermann 2006: 269 u. Posner 2002: 397: “Das Verhaltensmuster erhält […] eine Doppelrolle: / - Es ist Mittel zur Verwirklichung des Handlungsziels und zugleich / - Mittel zu dessen Mitteilung.” 32 Zu den “Cancaninspectoren”, die die “zu üppig Tanzenden” zur Rechenschaft zogen, s. Voß 1869: 70. Auch Heine spricht von ihnen (DHA 13/ 1, 157). 33 Den Hinweis danke ich Borchmeyer 1992: 116. 34 Dasselbe Prinzip vollzieht sich beim Ersatz von Körpergerüchen, die dank Körperpflege und Hygiene getilgt werden, durch künstliche Parfums. 35 Vgl. Price 1998: 25 u. Robert 1967: 220: “du nom enfantin du canard (1808)”. 36 Sportler üben beim Training den sog. Entengang, der allerdings seine Bezeichnung zu unrecht besitzt, denn die Ente watschelt nicht mit dem Unterschenkel, sondern mit dem Laufknochen. 37 Der Wehrmachtsoffizier (? ) nähert sich grüßend Adolf Hitler; die ursprüngliche Quelle des Films war nicht zu ermitteln. Die Aufnahme in Youtube (Reg. unbekannt) versteht sich als antifaschistisch. Das Darbieten des gestreckten und gehobenen Beins des Mannes vor dem Alpha-Männchen mag Kraft und Disziplin symbolisieren, bleibt aber dennoch eine weiblich/ weibische Geste der Werbung und Unterwerfung. 38 Auf Chinesisch heißt der Paradeschritt wörtlich “aufrechter Schritt”. Die beiden Offizierinnen kommandieren: “Die Augen rechts! ” Darauf antwortet die Abteilung, um gleichzeitig in den Stechschritt zu fallen: “Eins - Zwei! ” Der Kommentar handelt davon, wie sehr die Milizionärinnen ihre Uniform mögen. Die Auskunft danke ich meiner Doktorandin Shan Cao. 39 http: / / www.backyardconservative.blogspot.com. 40 Nick Walker, zit. in: http: / / creepingsharia.wordpress.com/ 2010/ 03/ 23/ corancan-graffiti-libel-the-french-burqa…; in einer anderen französischen Fassung oder Übersetzung fehlt allerdings der zweite Teil der Analogie: “voile islamique + tradition française = Le Corancancan [sic]” (http: / / cret.blogspirit.com/ archive/ 2011/ 08/ 10/ corancancan-une-campagne-intelligente-contre-le-voile.html. 41 Ohne Zweifel erfüllt jede ostentative Bewegung von bekleideten oder unbekleideten Körperteilen auch ästhetische u.a. Funktionen. 42 Genaues Zitat aus Hürriyet nach Bild (26. Mai 2006) s. http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Vural_%C3%96g. Öger bezieht sich auf die erste Belagerung Wiens durch Sultan Süleyman 1529. 43 http: / / www.dailymotion.com/ …/ xcmpxs_voile-islamique-tradition-française_ne... 44 http: / / www. jaidesmots.com/ 2011/ 03/ 31/ a-quand-le-french-corancancan [sic]; der Verfasser setzt hinter seine These allerdings ein Fragezeichen. 45 http: / / www.defouloir.org/ t11662-lecorancan-vous-connaissez#175583. 46 Vgl. Kalverkämper 2003b: 317: “Die kommunikativen Wirkungen nonverbalen Verhaltens werden konstituiert durch analoge, d.h. abbildende Zeichen, die direkten, gleichsam nachahmenden Bezug zu dem haben, was sie bedeuten (‘per Analogie zur Wirklichkeit derWelt’) […].” 47 Dem Briten Walker wäre auch das beleidigende V-Zeichen mit der dem Gegenüber zugewandten Handfläche bekannt. 48 “Olympia”, ursprünglich ein Ortsname, wird hier nicht nur personifiziert, sondern auch feminisiert. The Rise and Fall of the Subcultural Hero Mara Persello What follows is the analysis of the lyrics of three concept albums of different eras, backgrounds, success, connected with different subcultures. My hypothesis is that there is at least a common theme that subcultures share, namely the theme of authenticity. To define the subculture I will use the model of the lotmanian semiosphere as organizational structure determining center, periphery, boundaries and “other semiotics” (Lotman 2005: 213). The subcultural identity needs boundaries and enemies to manifest itself, and the central myth told in the lyrics here presented functions as a meta-language to set the value of authenticity as founding for the definition of the subcultural being. The three albums I present are: “The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars”, David Bowie, 1972; “Ein kleines bisschen Horrorschau”, Die Toten Hosen, 1988; “Searching for a Former Clarity”, Against Me! , 2005. The considered points are: (1) how subcultures are structured after the lotmanian model (2) why subcultures are so interested in the theme of authenticity (3) how the message is spread (4) the theory of actants of Greimas as applied to the analysis of the social body. The lyrics here analyzed compare the loss of authenticity with death and illness. Authenticity may thus be defined as an embodied truth, an essential value for the subcultures. Losing authenticity means losing the body itself. As subculture lives primarily through the bodies of its members, texts like the ones I present are to be seen as closely connected to the practices. 1 The structure of a subculture The term and definition of subculture developed by the CCCS has been discussed and criticized from the post-modernists, who, parallel to the transformations in the nature of the subcultural forms, suggested new definitions as tribe, post-subculture, scene (which can be local, translocal or virtual) (Bennett 2006: 222f). More than relying on a definition, meant to bound cultural phenomena from an external point of view, it is interesting to understand how the social actors themselves draw the limits of their cultural territory. Instead of on its boundaries, I will focus on the internal system of subcultural constitution. The scheme developed by the sociologists Hitzler, Bucher and Niederbacher (2005) tries to graphically express the internal structure of the scene (fig. 1): Während sich innerhalb von Gruppen Kommunikation verdichtet, ist diese zwischen den Gruppen vergleichsweise niedrig. Dennoch macht gerade die Kommunikation zwischen den Gruppen die Szene aus. Szenemitglieder kennen sich nicht mehr notwendig persönlich (wie das innerhalb von Gruppen der Fall ist), sondern erkennen sich an typischen Merkmalen und interagieren in szenespezifischer Weise (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2005: 25). K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Mara Persello 288 Fig. 1 Fig. 3 Fig. 2 As in the definition of Peterson and Bennett (2004), the scene doesn’t need to be geographically circumscribed, the membership doesn’t require a face-toface interaction: this is nowadays obvious, as Internet allows to share music, opinions and self-representations. This was also possible before, through other media as television, fanzines 1 and radio. If we assume that subcultural scenes have always been also music scenes (Moore 2006: 231f), we have to recognize music as a powerful connective and normative tool: through the lyrics of the pop songs, through the behavior of the rock or pop stars, their way to dress and act, to describe themselves and their lives and visions of life in interviews and biographies, the subcultural message is spread, and the geographically distant groups get connected sharing the same contents, even before having personal contacts. Hitzler, Bucher and Niederbacher describe then a more complicated multi-level internal organization of each group (fig. 2), composed of a central core of “experts”, holders of a deep subcultural knowledge and active in the scene, surrounded from a wider group of friends and “heavy users” and then, in a more external section of this concentric system, the sympathizers (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2005: 27). Fox (1987), in her observation of the social organization of Punks in 1986, listed almost the same typologies, avoiding, anyway, the concentric scheme: Hardcore Punks, Softcore Punks, Preppie Punks and spectators. For Hitzler, Bucher and Niederbacher, the actors at the core of the scene are the “motors”, creative producers of the subcultural contents, but they are not necessarily the contact to other groups: the connection with members of other groups can be situated at every level (fig. 3). The Rise and Fall of the Subcultural Hero 289 Lauenburg (2008) criticizes this structuring, and argues with Goffman that responsible for the development of the subcultural values are not only the core-members of the subculture: every member of the subcultural area, regardless of his position in the subcultural hierarchy, can bring a contribution to the whole system: jeder Szenegänger gestaltet und verändert seine Szene, aber eben auch nicht nur seine eigene Szene. Zwei feindlich sich gegenüberstehende Jugendszenen orientieren sich in ihrer Abgrenzung eben nicht an einzelnen Szenegängern, sondern am Gesamtkonstrukt dieser Szene (2008: 30). If we consider the social body as a text, it is then possible to draw a parallel between the concept of subculture presented by Lauenburg, Hitzler, Bucher and Niederbacher and the semiosphere of Lotman, that can be useful to systematize their theories in a single structural concept to describe subcultures. The subculture can be seen as a semiosphere, defined by Lotman in these terms: “The semiotic universe may be regarded as the totality of individual texts and isolated languages as they relate to each other” (2005: 208). Beyond the metaphoric intuition of the semiosphere, what is important in Lotman is the nature of relations that are at stake inside this semiotic universe: Semiotic space is characterised by the presence of nuclear structures (frequently multiple) and a visibly organised more amorphous semiotic world gravitating towards the periphery, in which nuclear structures are immersed. If one of these nuclear structures not only holds a dominant position, but also rises to a state of self-description, thereby separating itself from the system of meta-languages, with the help of which it describes not only itself but also the peripheral space of a given semiosphere, than the level of its ideal unity creates a superstructure which itself is above the irregularity of a real semiotic map (2005: 213). This is what happens in the definition of scene made by Hitzler, Bucher and Niederbacher, too. In the semiosphere, due its isomorphic quality, every part is its own whole; even if Lotman never precisely explains the nature of this isomorphism (Lorusso 2010: 76), he suggests it with a poetic image: “It is also like a face, which, wholly reflected in a mirror, is also reflected in any of its fragments, which, in this form, represents the part and yet remains similar to the whole mirror” (2005: 215). The theoretic postulate can be used to reinforce the critic of Lauenburg, that every member of the scene, and not only a subcultural elite, is responsible for its development. Since all levels of the semiosphere - from human personality to the individual text to the global semiotic unity - are a seemingly inter-connected group of semiospheres, each of them is simultaneously both participant in the dialogue (as part of the semiosphere) and the space of dialogue (the semiosphere as a whole) (2005: 225). With an annotation: the subcultural world is not as rigid as described in Hitzler, Bucher and Niederbacher. Lauenburg correctly observes that every member of the subculture can be part of the creative process of the semiosphere; nonetheless, as Lotman (2005: 213) specifies, the new idea has to reach the center of the semiosphere, has to have the chance to gain the attention of the other members and to be able to develop a form of self-reflection to have an influence on the whole subculture. The point of view of Hitzler, Bucher and Niederbacher is opposite to Lotman’s creativity theory: new meanings are not developed in the core of the system, which is, on the contrary, inflexible and immobile because of the rigid rules it has formulated in its selfdescription, but Mara Persello 290 in the periphery, where ideas are still open because not systematized by rules, there is much more flexibility and creative activity. The point made by Lauenburg, that every member of the scene is also responsible for the development of other scenes, brings us a step further in the description of the characteristics of the semiosphere. Lotman is fascinated by the boundaries of the cultural space, aware of the fact that a culture can never exist on its own, and that the boundary is the place where culture is constantly revitalized. On the other hand, boundaries define us, because, as Eco recently reaffirmed, we need an enemy, as there is no “us” without “them”. Avere un nemico è importante non solo per definire la nostra identità ma anche per procurarci un ostacolo rispetto al quale misurare il nostro sistema di valori e mostrare, nell’affrontarlo, il valore nostro (2011: 10). Barbarians are created by Romans: “culture creates not only its own type of internal organization but also its own type of external disorganization”(Lotman 1990: 142). Distinguish and connect: there is a constant exchange with the universe of the enemy, and we always share at least one common language. At least, says Lotman, to be able to declare each other war. The work of Lotman is more focused on the boundaries and the possibilities of cultural translation and creolization. For the analysis of the structure of the subculture we must move back to the center of the system, to understand how the subcultural capital (Thornton 1995) is generated. 2 Subculture as defined from its members: the value of authenticity Mitch Douglas Daschuk, drawing on the concept of cultural capital of Bourdieu, describes the field of cultural production as a restricted group of subcultural actors (artists and critics) “involved in the creation, distribution, and legitimization of artistic works” (2011: 609). This core-group of the subcultural scene, the organizational elite (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2005: 27), has distinctive characteristics: they usually have been part of the scene for a longer time, are more active than other in organizing and producing for the scene (Hitzler, Bucher, Niederbacher 2005: 27), possess authenticity, which is “founded largely upon one’s perceived possession of ‘privileged’ cultural knowledge and capacities, function to ensure the value of an actor’s cultural capital” (Daschuk 2011: 608). The idea of a shared cultural capital of Bourdieu, as used in Daschuk, needs an adjustment: it is correct to say that the possession of a cultural sensibility is legitimated by notions of authenticity, but the definition of authenticity as rare value owned only by the core creative members of the group, as in the example of Bourdieu, works for the artistic field, but doesn’t fit in the structure of a subculture, where authenticity is supposed to be a value shared by all members, and is constantly negotiated through dialectic and mutual adjustments. There are respected and admired members of a subculture, that enjoy obviously an higher status; nevertheless, nobody has the power to make the rules, and every subcultural subject has to represent himself at every moment to everybody else as member of the subculture, not only with a discursive but also through a performative identity. While staging himself, the subcultural member reproduces and produces the subcultural semiosphere all the time (Müller et al. ²2009: 139); there is no fixed rule, dress-code or position that can’t be transformed: there is a Weltanschauung that has to be internalized and through which everything else, from personal style to political opinion, has to be interpreted. The Rise and Fall of the Subcultural Hero 291 For this reason, the description of a subcultural “look” is never provided from subcultural members themselves, but only from outsiders. As Driver remarks “Indeed, the young people I interviewed were reluctant to make any comments at all regarding style in terms of subcultural fashion, instead preferring to concentrate on more behavioral aspects” (2011: 980), he then mentions an interesting extract: D: it doesn’t really have anything to do with the way [scene members] look. I mean, it just depends how they act and how they give themselves off to other people - attitude (2011: 980). The persons recently interviewed by Driver during his fieldwork in Australia give the same answers that Fox collected in the United States in 1986: There’s been so much pure bullshit written about punks. Everyone is shown with a safety pin in their ear or blue hair. The public image is too locked into the fashion. That has nothing to do with punk, really … for me, it is just my way of life (1987: 352). The subcultural world can’t be described through style attributes or specific behavioral schemes, because to join a subculture means to find out who one really is, to unveil a natural attitude. Authenticity “is partly dependent on warranting claims not to have been influenced by others” (Widdicombe and Wooffitt 1995: 212) “The authentic self is one that commits to a personal life project and is not controlled by outside influence” (Williams 2006: 178). punk didn’t influence me to be the way I am much. I was always this way inside. When I came into punk, it was what I needed all my life. I could finally be myself (Fox 1987: 353). It makes no difference if those who are talking are Hardcore fans, Punks or Riot Grrrls members, they share this same worldview: “BECAUSE every time we pick up a pen, or an instrument, or get anything done, we are creating the revolution. We are the revolution. (as quoted in Kearney 1998, 155, 161)” (Moore 2007: 463). Subcultural identity is about being and “feeling”: this knowledge cannot be learned or taught; more than that, “trying too hard” (Thornton 1995) is “indicative of one’s lack of authenticity” (Driver 2011: 980). And it is because of this personal physical and autobiographical commitment to subculture that there is no external control system, everyone has to prove constantly one’s authenticity to oneself, acting coherently to one’s cultural beliefs, and to others, maintaining a recognizability, a consistency in social public and private life. Soziale Anerkennung als Voraussetzung für soziale Inklusion wird in Jugendkulturen und szenen in Prozessen der Authentifizierung, also der ‘Echtheits(er)klärung’ gewonnen und ist ständig aufs Neue zu legitimieren. Subjekte sind nie per se authentisch, vielmehr wird ihnen entsprechend des jeweiligen jugendkulturellen Selbstverständnisses Authentizität zugeschrieben (oder nicht) (Müller et al. 2009: 139). Giving boundaries to social phenomena can be challenging, but only for those who research this field from the outside. For insiders boundaries are very clear. 3 The myth of authenticity Authenticity is a central value for the subculture, because, being the subculture a bricolage 2 of meanings and symbols constructed in a dialectic relationship to the mainstream, the risk of misunderstandings and co-option is a potential destructive threat. Mara Persello 292 From rock and roll to the hippies to the punks, the collective identities of deviant youth cultures have depended on their ability to provoke authorities and ‘straight’ people. When commercialization brings alternative culture to the mass market, young people who have developed an identity based on their opposition to mainstream society experience what I have called a liquidation of subcultural capital. Their claims to be indipendent of media hype and consumer conformity are threatened, and so they defend their subcultural capital by distinguishing between the authentic originators and the posers who hopped on the bandwagon (Moore 2006: 249). The authentic members of a subculture are those that have always been like that and define themselves through the bricolage made picking up suggestions found in the mainstream and translated into subcultural terms, in an appropriation that becomes embodiment. For them subculture is a tool to express their true inner self. As mentioned in the interviews collected by Fox, the subcultural members construct a narrative that gives credit to their identity, a founding myth explaining the origins and the state of the subcultural world. The fragmented and incoherent aspects of life that a subject experiences are revised and modified to compose a plot that guarantees identity. “The semantic coherence of narrative segments is what forms plot, and plot is as much the law of a narrative text as syntagmatic ordering is the law for correct speech” (Lotman 1990: 223). Leaving aside the linguistic parallelism, what remains, in the constant revision of memories and personal backgrounds, is the plot as set of rules meant to coherently explain the past and to give a direction to future decisions. In this resettlement, every portion of narration, discourse (Alasuutari 1995) or experience floating in the semiosphere can be useful to our personal bricolage. These pieces are for many subcultural members to be found in the pop-music medium, that, through its emotional value and the narrative scheme of the lyrics, offers a powerful source for identification. 3.1 The concept album The lyrics of songs are one of the innumerable texts at disposal in the semiosphere, ready to be used in the bricolage of everyone’s construction of the self. The association with music, with its suggestive emotional effect, reinforces the connection to the bodily reception of the message. We have then, as a result, a double appropriation of a song. On one side, if we see the lyrics as a useful piece to be taken and resettled in our bricolage to define our world, we have the feeling of being part of the story, because the power of the myth resides in its capability of addressing: “every mythological narration is perceived as intimate, the myth says always something about me” (Lotman 1990: 151ff). On the other hand, the fruition of music is a bodily experience, involving feelings and physical reactions. 3 Not every musician deserves the same respect in the subcultural context, and has the needed qualities to become a trustworthy medium of the subculture. He has to prove to be authentic 4 through the coherence of his music, lyrics, public behavior and interviews (which can already be seen as a metadescription of the subculture: as in Lotman (1990 and 2005), the capability of self-description is peculiar of those cultural systems belonging to the central core of the semiosphere). The artists authors of the three concept albums here listed enjoyed different fortunes: from very well known on a mainstream level, to very obscure, to respected from a small but affectionate fan base. Despite their different fortunes, they have always been perceived as authentic. The Rise and Fall of the Subcultural Hero 293 A concept album, as defined in the pop-music, is a collection of songs unified by a narrative theme, with all songs contributing to the development of a story. Concept albums are traditionally bound to the progressive metal scene of the seventies, as pop tried to reach the quality and virtuosity of classical music (McNeil, McCain 1997). In the glam and punk scene (to whom the artists here mentioned belong), where high musical technical and composition skills, even if present, are not explicitly required, concept albums are very seldom. They are not very common in the pop production also for practical reasons: from early days, artists would mainly produce singles, as pop music had its main distribution channel in radios (and later in music dedicated television channels), that couldn’t allow themselves such a length as for concept albums. The choice to compose a concept album is, then, already a statement: the time-element is central in the production and fruition, and the stories told fit this format, they cover years, describe a development, and, very often, they have some moral intent. The narrator needs time to tell, so the listener is expected to take time to listen and reflect. 3.2 Corpus Composed in different eras, from different backgrounds and of different success, the three albums I present have a story in common, they share the same plot: they all tell about a person slowly moving from a position of self-assertion to a condition of weakness and insecurity and then to the loss of their self. Two of the three stories display events in first person, while Die Toten Hosen use the third person. For this reason, I will not follow the chronological order, but the stylistic one, so that this album will be analyzed last, because the different perspective gives a particular moralistic tone. Anyway, all three albums deal with the object-value of authenticity and with the same opponent, the fame and success in the mainstream, as we will see in the actant analysis (Greimas 1986). The first concept album presented is quite famous: “The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars”, released by the English author David Bowie in 1972. The story told is about a rock star called Ziggy Stardust, an alien on earth that hears the news of the world ending. In “Five Years” Ziggy refers to some kind of Noah’s ark where he tries to store and rescue humanity, after having been on this planet to gain information: I heard telephones, opera house, favorite melodies I saw boys, toys electric irons and T.V.’s My brain hurt like a warehouse, it had no room to spare I had to cram so many things to store everything in there And all the fat-skinny people, and all the tall-short people And all the nobody people, and all the somebody people I never thought I’d need so many people In “Moonage Daydream”, Ziggy presents himself as a “space invader” and a rock star, and asks for attention. He then in “Starman” tries to warn people, not to give up and to find a way out of the catastrophe, and introduces the presence of a star man wanting to meet humanity, which could be the last hope before the end of the world. Ziggy has to be the intermediary, because the world is not ready yet for such a wonder: There’s a starman waiting in the sky He’d like to come and meet us But he thinks he’d blow our minds There’s a starman waiting in the sky Mara Persello 294 He’s told us not to blow it Cause he knows it’s all worthwhile The last song of side A 5 is “It Ain’t Easy”: here Bowie covers a song of the American country musician Ron Davies, who says “It ain’t easy to get to heaven when you’re going down”. We have then basically a comparison between the future offered by the starman and the paradise, and maybe between the starman and God. Such a cover-song is a good example of intertextuality, suggesting a connotative meaning. In “Lady Stardust” the alien-rock star, once laughed at but now famous and getting finally some attention, enthusiastically thinks he can save the world: “I could make it all worthwhile as a rock & roll star”. But Ziggy is distracted from his mission by fame and success. When the parties described in “Hang on to Yourself” are eventually over, someone of his band takes the word in the next song to say that Ziggy got lost in the stardom madness: He took it all too far but boy could he play guitar Making love with his ego Ziggy sucked up into his mind Like a leper messiah When the kids had killed the man I had to break up the band. At the end comes the “Rock’n’roll Suicide”: the alien rockstar has lost himself, the party is over, now the silence is deafening. He feels alone, he has no audience anymore, and he failed to accomplish his mission: No matter what or who you’ve been No matter when or where you’ve seen All the knives seem to lacerate your brain Nothing about death is said in the album, even though this last song suggests Ziggy’s desperation, but David Bowie “killed” his alter ego on stage on the last date of the Stardust Tour, at the Hammersmith Odeon in London, a year later (Pegg 2005). The “rise and fall” depicted in this album show how losing the coherence between beliefs and actions makes the personal world collapse, and Ziggy shows us that the connivance with fame deprives the hero of his authenticity. More recent album composed on the topic of loss of authenticity is “Searching for a Former Clarity”. The Florida punk band Against Me! released it in September 2005 as third full-length album with an independent record label, before signing with a major in December same year. The mistrust and doubts of the band relating their musical career to come are clearly recognizable in the lyrics. They had been playing in squats and dealing with political topics in their lyrics since 1997, now they find themselves in a new situation they can’t really anticipate. 6 The offices of the major where the contract negotiation took place are in Miami: We charge into danger. No guarantees or safe places. No one can be trusted, everyone is a suspect. […] Sharks circling for the feeding. All hope has been abandoned, like ballots drifting into the ocean. […] All the public is buying, it’s business as usual, and the business is capitalizing on your fear, your greed, your perversions and vices. The Rise and Fall of the Subcultural Hero 295 Mistrust on one side, and sense of guilt on the other, as actually most of their fans criticized their decision in “Mediocrity Gets You Pears (The Shaker)” Vampires! We’re only in it for the money. Diluted! We took the movement to the market. So fuck us! We totally sold out the scene.[…] It’s packaged! It’s just fashion and rebellion. Mainstream! It was better in the basement. In the band’s forum and everywhere in internet 7 where the songs and lyrics of the band are to be seen, there’s the same disappointment, here just an example: If you’ve ever felt a sense of camaraderie singing along to songs, knowing that you too were going to one day absolve yourself from the capitalist society you were stuck in at the time, and become something more than a nine to five worker for some corporation that doesn’t do anything worth, then maybe you could understand why some ex fans feel so betrayed. It’s disappointing. It’s like the disillusioned child who grows up and finds out people aren’t as good as they were told they are. What happens when our favorite bands who reinforced our decision not to let our lives be run by consumerism sell out to the same system they used to (and we still) oppose? 8 The lyrics of “Unprotected Sex with Multiple Partners” compare in a metaphor the dealing with the entertainment industry with dangerous sexual behavior that can eventually lead to a severe contagious disease. The only hint to this metaphor is in the title, the lyrics themselves just repeat typical phrases as heard in the music industry. Coordinate the marketing, label, publicity, touring. Consult on, timing and presentation. Go ahead put this in context. It’s 3 points on production, 15% to management, 10% to the agent, 5% to legal representation. We call it our insurance plan to stretch the inevitable as far as we can. Gotta make your money while you got the chance, do whatever it takes to sell this. We’re completely irrelevant on LP and compact disc. The narrator realizes that he is “completely irrelevant”, in this context his identity is lost, as he lost his authenticity, his truth to himself. He tries to find a way to give sense to this new situation, but he’s living a life that doesn’t belong to him, like a “menschmaschine” (we will find this definition in Die Toten Hosen). Now I wake up around 4 or 5. Eat, shower, and get dressed in about an hour’s time. I’m sick of feeling like I’m losing my mind. Sick of doing the same things most nights after night. Sick of self-loathing and self-absorption, self-destructive narcissism. I’m sick to death of being constantly fucking sick of. I don’t know who I can trust. Thought there was us, but no, there is no one. The narrator doubts about himself: this happens because there is no coherence between his worldview and his actions. He has to abandon his “self”, and become a machine, or a clown, Mara Persello 296 act as someone else. The clown (comedian) is in the following song, and acts like a machine, repeating Standing here like a comedian, I repeat what I say, again and again and again until the meaning has become an imitation of itself The narrator knows, he’s losing touch with reality. (the next song bares the title “Don’t Lose Touch”). At the end, the consequences of “unprotected sex with multiple partners” (dealing with the entertainment industry) lead to diseases, and while ill, the narrator looks backwards to the days, as the world still made sense, and basically gives up. In the end, will you be all alone? As the disease spreads slowly through your body, pumped by your heart to the tips of your arms and your legs, your greatest fear was that your mind wouldn’t last, your coherency and alertness would be the first things to fade, as your hair thinned, as the weight fell off, as your teeth blackened, as the lesions spotted your skin, as you fell to your knees in the center of the stage, as you offered witness to mortality in exchange for the ticket price, as the lights blended into the continuing noise, as all hope was finally lost. Let this be the end. Let this be the last song. Let this be the end. Let all be forgiven. Selling out is compared to a sexual transmitted disease. Here, like in Ziggy Stardust, the last song is desperate. The moral of the two albums is the same, and it is quite obvious: selling out to the mainstream leads to illness, madness, and eventually death. It is not possible to deal with both social environments, the mainstream and the subculture, without jeopardizing the identity. The consequence, as the coherence of ideas and actions is granted by the social body, is the decay of the body itself. The last album I present is Ein kleines bisschen Horrorschau, released by the German punk band Die Toten Hosen as sixth full lenght in 1988, inspired by the movie Clockwork Orange 9 directed by Stanley Kubrick in 1971. The reference is also to be found in the album cover, where Beethoven (whose 9 th Symphony is the main theme of the movie) is depicted. Even if the band is well known in Europe, the choice of the German language for the lyrics restricts the audience. The lyrics in this album, other that in the other two of the sample, are not telling a personal story, but describing the events Alex (the main character of the movie and of the novel) goes through. The narrator shares the sadness of the story told, but he’s not involved. The album begins with “Hier kommt Alex”: in a narcotized world the only way to feel alive is through aggressiveness. Auf dem Kreuzzug gegen die Ordnung und die scheinbar heile Welt zelebrieren sie die Zerstörung, Gewalt und Brutalität. The Rise and Fall of the Subcultural Hero 297 But after “Ein Schritt zuviel” Alex gets caught because he went too far. In “Keine Ahnung”, Alex, confronted with the value system of the mainstream, is disoriented. Keine Ahnung, was ich dir sagen soll, keine Ahnung und keinen Plan. Frag mich nicht nach jedem Unterschied, ob es Gut und ob es Böse gibt. Was Erfolg und was Versagen ist, wer die Regeln für das Spiel bestimmt. […] Ich kann selber nur noch Nebel sehen, kann mein eigenes Wort nicht mehr verstehen, verliere Tag für Tag den Überblick, weiß nicht, auf welcher Seite ich stehe. […] keine Ahnung, vielleicht bin ich zu dumm. Alex can’t put his ideas in practice anymore, faces a set of values that doesn’t compare with his own, and begins to doubt, most of all about himself (“vielleicht bin ich zu dumm”). This is the moment when his authenticity dissolves. The same happened to the narrator of the lyrics of Against Me! , as he said, in “How Low”, he thought he could at least trust himself, but he can’t (“I don’t know who I can trust / Thought there was us, but no, there is no one”). The worldview he had constructed, after which he had been living so far, is now incoherent with the new situation he’s living in. He doesn’t know anymore what the truth is: is he true or are his perceptions of this new world real? He starts doubting about himself, because he can’t act and react following his usual pattern. Practices and texts are connected, and the change in one of the two creates a sort of disjunction between body and mind, with catastrophic consequences for the equilibrium of the individual. Everything loses its meaning, there are no definite objects, everything is undistinguished, the world makes no sense anymore. Gray is the color of the indefiniteness, the opposite of distinguishing, understanding: the opposite of meaning: Draußen dreht sich die Welt und sie fragt nicht mal nach dir […] Grau ist die Farbe, die dein Anzug hat. Grau ist die Farbe deiner Zellenwand. Grau ist die Farbe der ganzen Strafanstalt. In the following “180 Grad” begins the re-programming of the outsider. Schmidt defines in “Kalte Faszination” the culture as program for the social binding, communicative and collective interpretation of the model of reality. 10 Keiner entkommt unserem Intensiv-System, in jedem Supermarkt läuft unsere Weichspül-Melodie. An jeder Häuserwand ein Verhaltensbefehl, wir polen alles um, was in die falsche Richtung geht. In Mehr davon Alex is ready to leave behind every qualification of himself as person ich geb dir alles, was ich noch hab. Meinen Charakter, meinen Selbstrespekt, jedes letzte Gefühl von Moral. Mara Persello 298 Fig. 4 to join the object value of the new mandant, the mainstream: Mehr Sex! Mehr Geld! Mehr Speed! Mehr Hass! Mehr Ruhm! Mehr Macht! He has become a “menschmaschine” and spent his life as “free man” working in a factory for 35 years. He’s not the same person, he is actually not a person at all anymore, and the lyrics of “Bye bye Alex” say goodbye to what he used to be: Der große Rebell von gestern sagt nun für immer “JA! ” zum bürgerlichen Leben und den Dingen, gegen die er war. […] Hey, bye bye Alex! Nur noch ein Clown, traurig anzuschaun. This is the fall of the hero, who lost his interior coherence between what he thinks and what he does, and has therefore become a clown, a mask, whose appearance is everything we know about him, while his authenticity is hidden, or, in this case, lost: Alex is “only” a clown, a comedian, playing a part and not expressing his true self. In the subcultural interpretation, the image of Alex as a victim is a warning for those who think they can trust the mainstream. Alex is what the mainstream does to outsiders. Subculture means building an alternative program because the cultural program offered by the mainstream didn’t suit the reality as perceived by the subject. 4 Analysis Whatever a culture or subculture may be, we have no culture or subculture without actors getting involved, without someone doing something for some reason, without a story. To center my argumentation on the subcultural actor as embodied enunciation, I will refer to the actantial model of Greimas (1986) (fig. 4), who, after Propp, developed the roles played in a narrative process focusing on the actants and their reciprocal relations: The Actant-Sender and the Actant-Receiver of Information. The Actant-Subject and the Actant-Object of Action. The Actant-Supporter and the Actant-Oppositionist of Volition. The Rise and Fall of the Subcultural Hero 299 The Information level is the moment in which the value of the object is negotiated. To see this phase just as the origin of a story doesn’t do it justice. This is the level of the proper semiosis, where the object gets his meaning, and through the object the sender and the receiver are bound in a contract, an interaction. This is where the often quoted “web” Geertz talks about is spun. 11 Once the Actant-Receiver has accepted the mission and thereby the value system of the Sender, he moves forward to the Action level, where he has to get the object whose value is now acknowledged. As of the second pair, it describes the relation between subject and object. From a cultural and semiotic point of view, objects don’t exist without a subject giving them meaning. The action phase is where a meaningful practice takes place. By doing, “acting”, the contract with the sender goes from virtual to active. Objects exist only in the intersection of a network, and they disappear when the connecting routes are broken (Ponzio 1990: 17). The value of the object is always a relational one: […] value, fixed in this location called object and there to manifest that object, is in a relation with the subject. Indeed, to the extent that the elementary utterance can be defined as an oriented relation that engenders two end terms - the subject and the object - the value invested in the object in question in a way semanticizes the whole utterance, and thereby becomes a value of the subject that meets it upon seeking the object. The subject is, therefore, semantically determined through its relation with the value (Greimas 1987: 87). The third level is that of competences. In the fairy tales analyzed by Propp, the hero, at the beginning of the story, doesn’t possess the required competences (a sword to fight against the dragon, a horse to reach the castle …) to accomplish his mission, and the weaving of the fairytale expands through the apparition of helping figures and secondary trials meant to provide the hero of the key competences. This leads to an indefinite series of possible narrative sub-programs, in the model elaborated by Greimas. What is interesting for us, in the case of subcultures, is that the value system, the contract between sender and receiver, collapses because of the lack of competences of the hero. The mainstream, acting as actant-sender in our story, delivers a pattern of rules and values to the individual, whose task is to agree with these rules and act accordingly in order to receive recognition. The mainstream as actant-sender persuades the subject with the promise of social acknowledgment. 12 Accepting these conditions, the subject provides himself with a competence, an identity that will guide his actions. Inside the semiosphere the central ruling system is represented by the mainstream. Those unable to gain the required competences are pushed towards the periphery, where they will try to build an alternative cultural program through an original bricolage. The subcultural program arises when the system of values given by the mainstream is perceived as incoherent with that experienced by the subject, or the performance required is impracticable because the subject doesn’t own the suitable competence. We have, then, two possibilities when confronted with the value proposal of the mainstream. We can either accept this task, or we can break the pact, and look around for something that will fit us better. Subcultures don’t collaborate with the mainstream in the construction of a certain reality, because they see or feel that it’s wrongly depicted. They find a different reality in their environment, they build a different system, usually very loose and without stable rules, through a bricolage of objects and behaviors and ideas they find at the periphery of the semiosphere. This different system is much more coherent to their experience of life, and prevents them from frustration while giving new meanings. Subcultural actant-receivers start Mara Persello 300 mistrusting the actant-sender, that becomes an enemy, the one who wanted us to agree with false statements and a false reality. Subcultures, then, live between two worlds: they don’t accept the reality they are living in, and develop a virtual world where they can feel free to express themselves and their beliefs as they want; but on the other hand they are not a separated different world. They use those materials at hand within the semiosphere, renaming and deforming them. For this reason subcultures (like all cultures, in the communication between semiospheres) keep a constant connection with their enemy, with whom they share texts, and whose media they take advantage of to spread their message. 13 The maintenance of a constant authenticity, in opposition to the enemy, is the battle to the delimitation of the self. The myth of the subculture spreads through media and uses media. These myths set a system of rules and give directions for the practice. Because of their nature, not structured to an institutional level, practices are to be considered the most important aspect of the subcultural emergence, as subcultures can only be embodied. If subculture can only be presented through the body, it is now clear why, while losing their authenticity, the subcultural heroes of the concept albums here presented lose their lives. The lesson taught to the subcultural members is, then, to beware of the mainstream value proposal, whose acceptance can have mortal consequences, and to protect their authenticity, threatened by the enemy. 5 Conclusions The delimitation of the subcultural space, as in the lotmanian description of the semiosphere, is fuzzy; the relation with the mainstream/ enemy is under different aspects very tight, and this can become a threat for the very existence of the subculture. The mainstream as actant-sender offers an authenticity that is incoherent with the experience of the subcultural member, and whose application leads to social schizophrenia or frustration. The actant receiver needs, therefore, a new definition of himself, and constructs an alternative form of identity. His authenticity fits, as balances coherently his Weltanschauung and his actions. The three concept albums here presented show the consequences of losing this laboriously constructed authenticity, falling back in the frustrating mainstream system, under the illusion of having eventually gained the required competences. As the authenticity is incarnated in the bodies, when it dissolves, the consequence is not only a simple peaceful return to the mainstream, the consequence can be madness (losing the mind) or death (losing the body). Appendix I: Track listing David Bowie 1972: The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars Side A: Five Years, Soul Love, Moonage Daydream, Starman, It Ain’t Easy Side B: Lady Stardust, Star, Hang on to Yourself, Ziggy Stardust, Suffragette City, Rock ‘n’ Roll Suicide Die Toten Hosen 1988: Ein kleines bisschen Horrorschau Hier kommt Alex, 1000 gute Gründe, Ein Schritt zuviel, Keine Ahnung, Die Farbe Grau, 180 Grad, Mehr davon, Zahltag, 35 Jahre, Musterbeispiel, Testbild, Bye, bye Alex Against Me! 2005: Searching for a former Clarity Miami, Mediocrity Gets You Pears (The Shaker), Justin, Unprotected Sex with Multiple Partners, From Her Lips to God’s Ears (The Energizer), Violence, Pretty Girls (The Mover), How Low, Joy, Holy Shit! , Even at Our Worst We’re Still Better Than Most (The Roller), Problems, Don’t Lose Touch, Searching for a Former Clarity The Rise and Fall of the Subcultural Hero 301 Appendix II: Figures Fig 1: Hitzler, Ronald, Thomas Bucher, Arne Niederbacher ²2005: 25 Fig 2: Hitzler, Ronald, Thomas Bucher, Arne Niederbacher ²2005: 27 Fig 3: Hitzler, Ronald, Thomas Bucher, Arne Niederbacher ²2005: 28 Fig 4: Greimas 1986: 180. References Alasuutari, Pertti 1995: Researching culture: qualitative method and cultural studies, London [etc.]: Sage Bennett, Andy 2006: “Punk’s not dead: The Continuing Significance of Punk Rock for an Older Generation of Fans”, in: Sociology 40.2 (2006): 219-235 Côté, James E. 2002: “The Role of Identity Capital in the Transition to Adulthood: The Individualization Thesis Examined”, in: Journal of Youth Studies 5.2 (2002): 117-134 Daschuk, Mitch Douglas 2011: “The significance of artistic criticism in the production of punk subcultural authenticity: the case study of Against me! ”, in: Journal of Youth Studies 14.5 (2011): 605-626 Driver, Christopher 2011: “Embodying hardcore: rethinking ‘subcultural’ authenticities”, in: Journal of Youth Studies 14.8 (2011): 975-990 Eco, Umberto 2011: Costruire il nemico. E altri saggi occasionali, Milano: Bompiani Fox, Kathryn Joan 1987: “Real Punks and Pretenders: The Social Organization of a Counterculture”, in: Journal of Contemporary Ethnography 16.3 (1987): 344-370 Geertz, Clifford 1973: The Interpretation of Cultures. Selected Essays, New York: Basic Books Greimas, Algirdas Julien, Joseph Courtés & Paolo Fabbri, (ed.) 1979: Semiotica. Dizionario ragionato della teoria del linguaggio, Firenze: La casa Usher Greimas, Algirdas Julien 1986: Sémantique structurale: recherché de method, Paris: Presses Universitaires de France Greimas, Algirdas Julien 1987: On Meaning. Selected Writings in semiotic Theory, Minneapolis: University of Minnesota Press Haenfler, Ross 2004: “Rethinking Subcultural Resistance: Core Values of the Straight Edge Movement”, in: Journal of Contemporary Ethnography 33.4 (2004): 406-436 Hebdige, Dick “Subculture: The Meaning of Style”, in: Michael Ryan (ed.) 2008: Cultural Studies: An Anthology, London: Blackwell, 000-000 Hitzler, Ronald, Thomas Bucher & Arne Niederbacher ²2005: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute, Wiesbaden: VS Verlag Lauenburg, Frank 2008: Jugendszenen und Authentizität. Sebsdarstellung von Mitgliedern aus Jugendszenen und szenenbedingte Authentizitätskonflikte, sowie ihre Wirkung auf das (alltäglich) Szene-Leben, Berlin: LIT Lévi-Strauss, Claude 1968: The savage mind, Chicago: University of Chicago Press Lorusso, Anna Maria 2010: Semiotica della cultura, Bari: Laterza Lotman, Jurij M. 1990: Universe of The Mind. A Semiotic Theory of Culture, London, New York: Tauris Lotman, Jurij M. 2005: “On the semiosphere” (translated by Wilma Clark), in: Sign Systems Studies 33.1 (2005): 205-229 McNeil, Legs & Gillian McCain 1997: Please kill me. The uncensored Oral History of Punk, London: Abacus Moore, Ryan 2006: “Alternative to what? Subcultural capital and the commercialization of a music scene”, in: Deviant Behaviour 26.3 (2006): 229-252 Moore, Ryan 2007 “Friends Don’t Let Friends Listen to Corporate Rock : Punk as a Field of Cultural Production”, in: Journal of Contemporary Ethnography 36.4 (2007): 438-474 Müller, Renate et al. ²2009: “Identitätskonstruktion mit Musik und Medien im Lichte neuerer Identitäts- und Jugendkulturdiskurse”, in: Mikos, Lothar, Dagmar Hoffmann & Rainer Winter (ed.) ²2009: Mediennutzung, Identität und Identifikationen. Die Sozialisationsrelevanz der Medien im Selbstfindungsprozess von Jugendlichen, Weinheim/ München: Juventa, 000-000 Pegg, Nicholas 2005: The Complete Bowie, Roma: Arcana. Peterson, Richard A. & Andy Bennett (ed.) 2004: Music scenes: Local, trans-local and virtual, Nashville, TN: University of Vanderbilt Press Ponzio, Augusto 1990: Man as a Sign: essays on the philosophy of language, Berlin: DeGruyter Mara Persello 302 Schuegraf, Martina ²2009: “Authentizität im S(ch)ein der Starwelt des Musikfernsehens am Beispiel von Fallrekonstruktionen”, in: Mikos, Lothar, Dagmar Hoffmann, Rainer Winter (ed.) ²2009: Mediennutzung, Identität und Identifikationen. Die Sozialisationsrelevanz der Medien im Selbstfindungsprozess von Jugendlichen, Weinheim und München: Juventa, 000-000 Thornton, Sarah 1995: Club Cultures. Music, Media and subcultural Capital, Cambridge: Polity Press Violi, Patrizia 2008: “Beyond the body: towards a full embodied semiosis”, in Roslyn M. Frank, René Dirven, Tom Ziemke and Enrique Bernardez (eds.) 2008: Body, Language and Mind, vol. 2: Sociocultural Situatedness, Berlin: Mouton de Gruyter,. 1-27. Widdicombe, Sue & Robin Wooffitt 1995: The Language of Youth Subculture, Brighton: Harvester Williams, Patrick J. 2006: “Authentic Identities. Straightedge Subculture, Music, and the Internet”, in: Journal of Contemporary Ethnography 35.2 (2006): 173-200 Willis, Paul et al. 1990: Common Culture. Symbolic Work at Play in the Everyday Cultures of the Young, Milton Keynes: Open Univerity Press Winter, Rainer 1995: Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozeß, München: Quintessenz Notes 1 A fanzine is a non-professional magazine published by fans of a particular scene, whose circulation is usually circumscribed to the other members of the same scene. 2 Hebdige defines bricolage after Levi-Strauss as “placing [commodities] in a symbolic ensemble which served to erase or subvert their original straight meanings”. (2008: 592). For Lévi-Strauss, the bricolage is the practical aspect of the mythopoesis (1968). 3 “Semiosis begins in the body and in its perceptive and proprioceptive processes” Violi 2008: 56. 4 Respected artists, nonetheless, don’t need to be underground. In my opinion the conclusions of Daschuk (2011) are hurried. Against me! (see later on) are accused of selling out not because being underground is per se a quality all punks are supposed to share; more than that, Against me! , signing for a major, acted manifestly against what they themselves declared in their lyrics and interviews. 5 In the Seventies music was still mainly printed on vinyl. Therefore Side A and Side B were conceived as internally concluded already during the composition. 6 After this experience with a major, harshly criticized by the fans, the band recently started its own record label. 7 The critics to this that was perceived by the fans as a sudden change in the politics of the band is described in the work of Daschuk, 2011. 8 Octavius on 12-17-2006 http: / / www.songmeanings.net/ songs/ view/ 3530822107858555351/ [accessed 20.12.2011]. 9 This whole concept album is an intertextual translation of the well known movie, which has a huge importance in the construction of the subcultural imagery, at least of the punk scene. An example: an highly respected English punk band, the Adicts, shows up in Alex-costumes, and so do the fans at their concerts. Dressing like Alex before his re-programming expresses freedom and authenticity. In 2009 the Brazilian Heavy Metal band Sepultura also dedicated a concept album to Clockwork Orange, bearing the title “A-lex”, an homage to the main character of the movie but also a play on words meaning without law. 10 “Das Programm für diese sozial verbindliche kommunikative Gesamtinterpretation des Wirklichkeitsmodells einer Gesellschaft nenne ich Kultur Schmidt 2000: 35. 11 “The concept of culture I espouse […] is essentially a semiotic one. Believing, with Max Weber, that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs, and the analysis of it to be therefore not an experimental science in search of law but an interpretative one in search of meaning” Geertz 1973: 5. 12 ‘Sanzione’ in Greimas, Courtes 1979: 293. 13 Here comes at mind, once again, Lotman, as he reminds that we need to build a relation with our enemy, at least to declare war. Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde Digitale Out-of-Home-Medien an der Schnittstelle zwischen konkreten Orten und virtuellen Welten. Ursula Stalder Die Verbreitung digitaler Medien im öffentlichen Raum hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Nachdem nun auch das Mobiltelefon mit mobilem Internetzugang und Interfaces aller Art ausgestattet wurde, wird ihnen eine rasante Entwicklung prognostiziert. In einem merkwürdigen Gegensatz dazu steht der Mangel an innovativen Gebrauchsweisen. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich deshalb primär mit der Frage, wie das Dispositiv dieser Medien genauer bestimmt werden kann. Dabei spielt das besondere Zuschauer-Bilder-Verhältnis eine zentrale Rolle. An Beispielen grosser Marken und ihrer zunehmenden räumlichen Arrangements, die auf Realitätseindruck, Erlebnisqualität und die Suggestion von Teilhabe abzielen, werden die Vermittlungs-, Aneignungs- und Nutzungsweisen dieser digitalen Medien im öffentlichen Raum skizziert. 1 Ausgangssituation Als Hybride aus Technologie, Film und Architektur erobern digitale Out-of-Home-Medien heute schnell immer mehr urbanen Raum. Ihre Bilder sind aus Orten, resp. Räumen 1 wie Fussgängerzonen in den Innenstädten, Einkaufszentren und Sportarenen, Bahnhöfen und Flughäfen nicht mehr wegzudenken. Ein wesentlicher Teil dieser Bilder sind Werbebilder. Sie inszenieren mittels medial bespielbarer Architekturen, fassadengrosser Projektionen oder hoch auflösender Displays die Kommunikation zwischen “Sender” und “Empfänger” in einer Weise, die sich grundlegend von den Inszenierungen klassischer Medien unterscheidet. Die digitalen Medien im öffentlichen Raum sind in erster Linie Bildmedien: Ihre dominante Ausdrucksform ist das bewegte Bild 2 . Damit reihen sie sich in eine Entwicklungslinie ein, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts begonnen hat 3 , und “mit der Digitalisierung dürfte der Vorsprung [des Bildes, Anm. us] gegenüber der Schrift immer grösser werden.” (Doelker 2002: 16). Hintergrund dieser Entwicklungen ist die zunehmende Durchdringung des öffentlichen Raums 4 mit digitalen und vernetzten Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und die steigende Verfügbarkeit pervasiver Technologien 5 bei gleichzeitiger Erosion der Investitions- und Betriebskosten. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Verknüpfung von stationären Infrastrukturen (Screens, IP-Kameras, Sensoren, Anzeigesysteme etc.) mit mobilen internetfähigen Geräten (Smartphones, Tablets, usw.) sowie die Einbindung von Objekten mittels RFID- oder NFC-Tags. So sind Infrastrukturen entstanden, auf denen immer mehr verschiedene Medien - kommerzielle und private, stationäre und mobile - basieren. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Ursula Stalder 304 Guido Zurstiege unterscheidet drei Typen von Medienangeboten, die typisch für postindustrielle Städte, resp. Gesellschaften sind: Erstens die Werbemedien, die “die Besucher in Wunscherfüllungs-, Verwandlungs- und Veränderungsgeschichten verstricken”, zweitens Medien wie Zeitungen, Zeitschriften und Bücher sowie drittens Informationen und Vorschriften, die diese Orte darbieten und dadurch definieren (Zurstiege 2008: 126ff.). Georg Franck weist auf einen vierten Medientyp hin: Die Überwachungskameras. Während die “Invasion der Marken” die Städte in Werbeträger verwandelt habe, verwandelten die “Invasion der Kameras” den öffentlichen in einen überwachten Raum; die Werbung besetze die “Schauseite” des Erlebnisraums, die Überwachung leuchte seine “Schattenseite” aus (vgl. Franck 2005). Der städtische Raum transformiert sich nicht nur im Physischen und Sichtbaren, sondern auch auf einer Ebene, die viel weniger sichtbar ist: Er wird zum zunehmend dichten Datenraum, in dem über Radiowellen, Bluetooth-Verbindungen oder andere kabellose Technologien ein permanenter Austausch von Daten stattfindet (vgl. Jaschko 2007). Beispielsweise gehört eine flächendeckende Videoüberwachung längst nicht mehr nur in Einkaufscentern und Flughäfen zum Alltag, die Überwachung ganzer Innenstädte ist heute bereits Realität. Die Kanäle ergänzen sich perfekt und stellen eine lückenlose Verbindung zwischen der realen Welt der Konsumenten und der virtuellen Welt des Internets her. Dabei begünstigt die Digitalisierung eine Integration von Text, Bild, Video, Sound, wodurch neue hybride Medienformate entstehen. Die Werbe- und Überwachungsmedien basieren dabei auf denselben digitalen vernetzten Infrastrukturen; Technologien der Information und Kommunikation, der Interaktion und Identifikation sind zunehmend nahtlos integriert. Mit neueren Kameralösungen und Bildanalysesoftware können nicht nur Besucherfrequenzen in Echtzeit gemessen und das Passantenverhalten analysiert werden, mit ihnen können die Bilddaten mittels Gesichtserkennungsverfahren ausgewertet und mit andern Datenbeständen adhoc abgeglichen werden 6 . Dreidimensionale Darstellungstechnologien wie 3D-Plakate, -Displays oder Holografien sowie dreidimensionale architektonische Projektionen (“Architectural Mapping”) entgrenzen und verflüssigen die verschiedenen Erfahrungsebenen weiter. In einem merkwürdigen Gegensatz zur immensen Ausbreitung und Durchdringung steht der Mangel an innovativen Gebrauchsweisen. Und entsprechend unergiebig verlaufen auch die Diskussionen zum Thema “digitale Out-of-Home-Medien” 7 : Die eine Gruppe möchte alle Medialisierungen zum Schutz der Stadt und ihrer BewohnerInnen verbieten, die andere Gruppe überhöht die Medialisierung, um mittels eher diffuser Wirkungs- und Effizienzargumente ihre meist ziemlich konventionellen Entwicklungsprojekte fortschrittlicher erscheinen zu lassen. Die dritte Gruppe der Kulturschaffenden sucht nach neuen Argumenten und Modellen um möglichst viele und möglichst grosse Fenster in den privatwirtschaftlich finanzierten Darstellungsflächen zu ergattern. Denkt man an frühere medientechnologische Entwicklungen, spricht zum jetzigen Zeitpunkt einiges für die Annahme, dass sich das spezifische “Dispositiv” dieser digitalen Medien im öffentlichen Raum bisher noch nicht herausgebildet hat. Grosse Potenziale sind noch nicht realisiert. Weithin dominieren Anwendungen, die vermutlich Übergangsphänomene darstellen. Gleichzeitig weisen diese Medien - nicht zuletzt wegen ihrer Fundierung in pervasiven Technologien - eine Reihe von Aspekten auf, die erhebliche quantitative Sprünge und neue Qualitäten dieser Kommunikation im öffentlichen Raum annehmen lassen. Beispiele dafür sind die Schnelligkeit, mit der durch das Internet grosse Mengen von Daten übermittelt werden können, die Integrationskraft der Systeme, die die Produktions- und Serviceketten unterbruchlos zusammenschliessen, oder weitreichende Möglichkeiten von Individualisierung Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 305 und Personalisierung der Information durch die Speicher-, Retrieval- und Darstellungslogiken digitaler Daten. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich deshalb primär mit der Frage, wie diese digitalen Out-of-Home-Medien genauer bestimmt werden können, um die Potenziale für die Kommunikation besser zu erkennen. Im Zentrum steht das Herauswachsen der Bilder in den urbanen Raum, im dem das besondere Zuschauer-Bilder-Verhältnis dieser Medien manifest wird. Der Fokus liegt dabei auf kommunikativen (weniger auf narrativen) Strukturen, also auf dem “Wie? ” der Vermittlung, des Zeigens und Ausdrückens (und weniger auf dem “Was? ” des Vermittelten, Dargestellten, Repräsentierten). Zur Veranschaulichung sind derzeit insbesondere die Inszenierungen grosser Marken ergiebig, da sie immer wieder räumliche Arrangements schaffen, die auf Realitätseindruck, Erlebnisqualität und die Suggestion von Teilhabe abzielen und die Wahrnehmung wesentlich bestimmen. Hintergrund und Rahmen der Überlegungen bildet das in der Medialitätsforschung 8 fundierte Modell des Mediendispositiv 9 , da es sich für die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Technik, Rezeption und Wahrnehmungsverhalten besonders gut eignet 10 . 2 Die Mittel der digitalen Out-of-Home-Medien Während sich die Aussenwerbewirtschaft bisher vor allem auf die massenmediale Kommunikation, die eine “one-to-many”-Kommunikation darstellt, konzentrierte und Werbeformate wie beispielsweise Ambient Media oder Digital Signage nicht zu ihrem Kerngeschäft zählte, beschäftigt sich die Konsumforschung zwar nicht besonders intensiv, aber immer wieder mit andern Formen der Werbekommunikation im sogenannten “Out-of-Home”-Bereich. Aus dieser Perspektive stellen die neuen digitalen Medien im öffentlichen Raum Manifestationen zweier sich kreuzender gesellschaftlicher Dynamiken dar: Des gesellschaftlichen Wandels von einer güter- und dienstleistungsorientierten zu einer postindustriellen, erlebnisorientierten Ökonomie und des Prozesses der Medialisierung der Alltags. So gesehen sind sie sowohl Phänomene der Mediengesellschaft als auch Ausdruck einer postindustriellen Erlebnisgesellschaft, in der primär für die Gefühle beim Konsumerlebnis (sowie die entsprechenden Erinnerungen) und erst sekundär für ein greifbares Gut bezahlt wird 11 . Für die Unternehmenskommunikation verkörpern diese digitalen Medien im öffentlichen Raum eine neue Phase marken- und kommunikationspolitischer Aktivität (vgl. Bruhn 2006). Sie bieten die Chance zur differenzierenden Visualisierung von Marken und der Greifbarmachung ihrer Werte, die von hohem Wert ist in Zeiten vielfältiger und zunehmend homogener Markenangebote, einer zunehmenden Bedeutung der Kommunikation im Marketingmix und eines wachsenden Kommunikationswettbewerbs (Pasquier et al. 2004, Calder/ Malthouse 2005). Entsprechend breit sind die Inszenierungsstrategien: Als komplementärer Kanal für die Image- und Absatzkommunikation, als zusätzliche “Touchpoints” zwischen Marke und Kunde, vor allem aber auch als eine Chance, durch speziell konzipierte Szenografien und Architekturen im urbanen Raum Präsenz zu markieren. Servicequalität kann so erlebbar gemacht und der Markenanspruch sinnlich verankert werden. Insofern lassen sich die neuen digitalen Out-of-Home-Medien als Mediengruppe verstehen, die dem klassischen Plakat bei der “Kommunikation zwischen Marke und Konsument im öffentlichen Raum” Konkurrenz macht: Die - stark normierte - “Plakatkultur” ist mittlerweile einer Pluralität von unterschiedlichen “Vermittlungskulturen” im öffentlichen Raum gewichen. Ursula Stalder 306 Die Vielfalt verdeutlicht, dass “alte” Kommunikationsbedürfnisse teilweise in die neue Medienformen “umgelenkt” werden, zugleich aber auch neue Kommunikationsanlässe und Kommunikationspraxen entstehen, die auf der Grundlage der neuen technischen Bedingungen überhaupt erst möglich geworden sind. Folgt man Joachim Sauter, dann kann man in der Fülle und Vielfalt vier physische Formate unterscheiden: Bildschirmanwendungen, interaktive Objekte und Installationen, interaktive Räume und interaktive Architektur (vgl. Sauter 2004). Sie ordnen als “organisierende Mitte” zwischen Technologie, ästhetischen Formen und kommunikativen Prozessen das Verhältnis zwischen Zuschauer und Bild mit und lassen sich anhand von drei Aspekten beschreiben 12 : - der digitale Screen - das bewegte Bild - die Situiertheit im öffentlichen Raum. 2.1 Screen. Licht Wie bei allen digitalen Medien ist das Darstellungsmedium, also der Kommunikationsträger, eine digitale Bildfläche, ein Bildschirm, ein Monitor, ein Screen. Der Screen stellt so etwas wie eine organisierende Mitte zwischen “Sender” und “Empfänger”, zugleich aber auch zwischen dem steuernden Input (dem System) und dem darzustellenden Output (Inhalt) dar. Lev Manovich definiert einen Bildschirm als eine flache, rechteckige Oberfläche, die den physischen Raum von einem Raum der Repräsentation, die normalerweise einen anderen Massstab hat, trennt; das gilt sowohl für statische Bildflächen wie klassische Gemälde oder Werbeplakate als auch für dynamische (Bewegt-)Bildflächen. Nach Manovich ist typisch für Screens, dass - sie auf eine Frontalbetrachtung ausgerichtet sind, - sie den Betrachter in einer fixen, unbeweglichen Position “gefangen halten”, - sie das Dargestellte auf vier Seiten “rahmen”, und die Repräsentation dadurch normalerweise im horizontalen “Landscape”- oder im vertikalen “Portrait”-Seitenverhältnis erscheint (Manovich 2001). Die Bildfläche etabliert so etwas wie ein “viewing regime”: Sie wird zum “Fenster” in die virtuelle Welt und grenzt gleichzeitig aus, was ausserhalb liegt. Für sehr grosse Bildflächen wie beispielsweise im Kino oder bei Medienfassaden wird die Fenster-Metapher oft durch die Metapher der “Immersion” ersetzt: Die Grösse der Bildfläche oder auch ihre konkave Form nehmen einen Grossteil des Blickfelds des Betrachters ein, so dass sich die wahrgenommenen räumlichen Grenzen auflösen und ihm ein “Eintauchen” in die virtuelle Welt ermöglichen. Im Screen wird deutlich, dass das Bild immer von einem Rahmen eingefasst ist, der das Dargestellte zurichtet und in dieser bearbeiteten Form dem Zuschauer darbietet 13 . Die Blick-Konstellation von digitalen Out-of-Home-Medien unterscheidet sich mindestens in einem Punkt wesentlich von Manovich’s Definition des Screens: Im Fall der Mensch- Apparat-Anordnung des Fernsehens - und das gilt auch für den Computer - ist der Zuschauer ähnlich wie im Kino in einer zentralen Achse auf das bewegte Bild hin ausgerichtet; “in diesem ist wie im Kinobild, bei vergleichbarer Flächigkeit des Bildes und Randbegrenzung des Bildkaders, die Perspektivität des fotografischen Bildes mit den Fluchtpunktperspektiven Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 307 eingeschrieben.” (Hickethier 1995: 64). Nicht so im Dispositiv “digitale Out-of-Home- Medien”: Der Zuschauer befindet sich nicht mehr statisch vor der Bildfläche, er wendet ihm seinen Blick nicht mehr aufmerksam zu; er kann das zwar tun, aber die Anordnung erzwingt dies nicht mehr. Er hat nicht nur die Freiheit aufzustehen und sich im Raum zu bewegen, wie ihm dies zwar nicht im Kino, aber durchaus daheim vor dem TV oder auch dem Computer freisteht. Genau diese freiwillige Zu- oder Abwendung in der Bewegung bestimmt das Verhältnis zwischen Zuschauer und Bild: Durch seine Eigenbewegung kann der Zuschauer aus dem Kontakt mit dem Bildschirm geraten, oder überhaupt erst - überraschend, unvermutet, ungewollt - hineingeraten, oder ihn nur noch in extrem verzerrter Seitensicht wahrnehmen; durch seine Mobilität ist das “viewing regime” individualisiert und damit die “Disziplinierung der Wahrnehmung” (Hickethier 1995: 65) aufgehoben. Karl Sierek sieht das Subjekt in seinen Überlegungen zum Dispositiv Fernsehen als Folge der Beweglichkeit als flüchtig und das Zuschauen durch das Benjamin’sche Prinzip der “zerstreuten Wahrnehmung” bestimmt (Sierek 1993: 67ff.). Der Zuschauer könne deshalb im Fernsehen Filme nicht mehr so lesen wie er dies im Kino gelernt habe. Knut Hickethier widerspricht dieser Bestimmung, da er sie durch die alltägliche Rezeptionspraxis widerlegt sieht: Das Fernsehen habe über die Zeit ein eigenes Wahrnehmungsdispositiv herausgebildet, das stärker in Richtung eines audiovisuellen Abstraktionslernens (wie beim Radio) und weniger in Richtung einer sinnlichen Vergegenwärtigung (wie im Kino) ziele (Hickethier 1995: 66f.). Bezieht man diese Überlegungen zu Subjekt und Wahrnehmung auf das Dispositiv “Out-of-Home-Medien”, in dem der Zuschauer nicht nur in Bewegung, sondern auch beschäftigt ist, so stützen empirische Erhebungen zur Rezeptionspraxis derzeit die Bestimmung des Subjekts als flüchtig und seine Wahrnehmung als zerstreut: digitale Medien im öffentlichen Raum vermögen zwar eine hohe Aufmerksamkeit zu erzeugen, gleichzeitig ist die Wahrnehmung jedoch peripher und mit durchschnittlich 2 bis 5 Sekunden sehr kurz. Diese Rezeptionspraxis gilt jedoch nur in Wahrnehmungskonstellationen, die denen der klassischen Aussenwerbung ähnlich sind, und lässt sich mit den habitualisierten Strukturen der Plakatwahrnehmung erklären 14 . Anwendungsformen wie etwa interaktive Digital Signage-Installationen im unmittelbaren Warenumfeld oder räumliche Markenszenografien in Flagship Stores oder Markenmuseen, die zu einem spielerischen Erkunden auffordern, knüpfen dagegen an das Dispositiv “Digital” an; sie laden mit entsprechenden Handlungsaufforderungen den Zuschauer zur aktiven Teilnahme ein und sind in der Lage, seine Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum zu binden. Damit dies gelingt, müssen die Nutzer allerdings zuerst für die aktive Medienzuwendung und -nutzung motiviert werden 15 . Auch in Bezug auf Projektionsrichtung und die entsprechende “Anordnung” des Zuschauers unterscheiden sich die verschiedenen Screen-Dispositive erheblich: Während das Kino den Zuschauer zwischen dem Projektionsapparat und der Projektionsfläche “einspannt”, wird der Zuschauer bei Fernseh- oder Computer-Monitoren mit dem Bild konfrontiert, das durch den Bildstrahl in umgekehrter Richtung - also entgegen der Blickrichtung des Betrachters - auf dem Bildschirm erzeugt wird. Die Bilder erscheinen so “als Lichtemanationen des Apparats und nicht als Widerschein” (Hickethier 1995: 65). Das gilt in hohem Mass für digitale Out-of-Home-Medien im Aussenraum, deren Lichtemission und Strahlkraft besonders bei wechselnden Lichtverhältnissen und in der Dämmerung zum Tragen kommt. Bei grossen Formaten wie beispielsweise Medienfassaden ist die Faszination, die im Licht per se liegt, intuitiv erfahrbar (vgl. Abb. 1): Das bewegte Licht erzeugt erregte Aufmerksamkeit 16 , evoziert Aura und Atmosphäre 17 und schärft Sehsinn und Sehlust. “Es ist weniger ein Schauen nach dem materiellen Körper als nach dem Immateriellen in der uns umgebenden Welt. Es ist das Ursula Stalder 308 Abb. 1: Ars Electronica (2009): Erweiterungsbau Ars Electronica Center, Linz Schauen nach den Erscheinungen, nach dem nur vermittelt Erfahrbaren, das sich im Sehen zeigt und uns darin berührt.” (Pörschmann 2010: 78). 2.2 Bewegte Bilder. Sehen Die Einbindung der Kommunikation in den öffentlichen, sozialen Raum zieht eine Folge von Weiterungen nach sich, die nicht nur die Vermittlungsmodi, sondern auch das Angebot (die Narration) selber betreffen. Die Grundmuster narrativer Strukturen sind zwar kaum verändert, aber das Repertoire medialer Konzeptionen und Strategien erweitert sich erheblich. Wichtige Aspekte ergeben sich aus den blossen Abmessungen des Screens oder aus der Überlagerung der Skalen von Bildraum und architektonischem Raum sowie aus der “Erweiterung” der Raumnutzung. Daraus resultiert eine grosse Bandbreite von Gebrauchsweisen mit je unterschiedlichen Betriebsmodellen (vgl. Stalder 2011). Ähnlich wie das Fernsehen verfügt das Dispositiv digitale Out-of-Home-Medien über eine Fülle unterschiedlicher Formate (Werbung, Nachrichten, Unterhaltung) und Formen (reale Bilder und gerechnete Bilder, gespeicherte und adhoc generierte Bilder usw.), deren Dramaturgie (Reihenfolge, Übergänge/ Wechsel, Tempi usw.) und Darstellung individuell gestaltbar ist. Auf der narrativen Ebene überlagern und kreuzreagieren Elemente der Erzählung mit jenen des realen Raums. Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 309 Für die Vermittlung wiederum sind - ähnlich wie im digitalen Dispositiv - in diesen Outof-Home-Medien verschiedene Kommunikationsmodi möglich. Sauter (2004), Schmidt (2006/ 2008) u.a.m. differenzieren zwischen vier Bespielungsarten digitaler Out-of-Home- Medien: autoaktive, reaktive, interaktive und partizipative Programme 18 . Diese grundsätzliche Fähigkeit zur multimodalen Kommunikation wird vor dem Hintergrund aktueller Mediendynamiken besonders interessant. Interaktive und partizipative Bespielungen, die die verfügbaren mobilen Geräte wie iPods, iPhone, iPads als Interface nutzen, werden in nächster Zukunft an Bedeutung gewinnen. Kreativkonzepte, die etwa “I-Like”-Buttons oder Facebook- Profile einbinden, Augmented-Reality-Ansätze, die virtuelle Elemente dynamisch in Bezug zu realen Objekten setzen oder umgekehrt, die Realität mit zusätzlichen Informationen anreichern, werden das Visualisierungs- und Interaktionspotenzial digitaler Out-of-Home- Medien weiter ausdehnen. Auf der Ebene der Bilder wird erkennbar, dass im Dispositiv Out-of-Home-Medien zwei unterschiedliche Konzepte aufeinandertreffen, die kaum weiter voneinander entfernt sein könnten: Auf der einen Seite die speziell für einen spezifischen Präsentationsraum gestalteten Bespielungen, auf der andern Seite Bildschlaufen mit weitestgehend vom konkreten Raum losgelösten Dramaturgien. Während das erste Konzept eher an die Tradition szenografischer Inszenierungen anknüpft, orientiert sich der zweite Ansatz am klassischen Geschäftsmodell der Aussenwerbewirtschaft, die Kontakte über die Belegung von (Plakat-)Netzen verkauft. Während der erste Gestaltungsansatz eine individuelle, quasi einmalige technische, ästhetische und sozialkommunikative Lösung für einen konkreten Ort und Raum entwirft, basiert das zweite Angebot auf dem Versprechen eines gleichbleibenden, ortsunabhängigen Raums. Je nach Projekt oder Anwendungsart kommunizieren die bewegten Bilder konkrete Inhalte, oder sie haben primär die Aufgabe eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen. Dabei sind ganz unterschiedliche gestalterische Qualitäten gefragt, um sich im “Spektakel” der urbanen Gleichzeitigkeit, des unabgestimmten Nebeneinanders und der schieren Flut sinnlicher Eindrücke, in der das “weisse Rauschen” 19 droht, durchzusetzen. Das eine Extrem stellt der Display am M&M-Flagship Store am Times Square New York dar, der komplett auf komplexe Inhalte verzichtet und nur einfachste emotionale Bilder, die einem direkt ins Auge springen, zeigt (vgl. Abb. 2). Das andere Extrem verdeutlicht die Fassadenbespielung des Flagship Stores von Louis Vuitton im MGM-Hotelkomplex in Las Vegas (vgl. Abb. 3): Um für das Geschäft eine einladende Atmosphäre mit einer besonderen Wertigkeit zu kreieren, wurde komplett auf reale Bilder und gegenständliche Darstellungen verzichtet und nur mit sanften bewegten Strukturen ausschliesslich in weiss gearbeitet (vgl. Kronhagel 2010: 172ff.). So unterschiedlich die beiden Konzepte sind, beiden gemeinsam ist, dass sie auf der inhaltlichen und ästhetischen Ebene eine Narration gestalten, die davon lebt, dass sie mit ihrem Umfeld in eine kommunikative Beziehung treten. Im Fall von M&M geschieht das durch die Akteure der Story - den aus der Kinowerbung bekannten M&M-Charakteren - die augenzwinkernd den Trubel des Strassenraums kommentieren, im Fall von Louis Vuitton durch die Übernahme der ikonischen Strukturen der umgebenden Stararchitektur. So verschieden die Bilder auf der Ebene der Repräsentation in den konkreten Gebrauchsweisen dieses medialen Dispositivs auch sind, so spielt doch in allen Ansätzen die visuelle Präsenz eine dominierende Rolle. Das Bild selber wird zum Ereignis, nicht erst die Narration. Das Auslösen einer unmittelbaren Reaktion auf die Wahrnehmung ist wichtiger als das, was im Modus des Bewegtbilds erzählt wird. Kennzeichnend für diese Art von Bildkonzeptionen ist die direkte Ansprache des Publikums 20 : Sie sind darauf ausgerichtet, beim Zuschauer Ursula Stalder 310 Abb. 3: Louis Vuitton Flagship Store (2011), MGM Mirage City Center, Las Vegas Abb. 2: M&M Flagship Store (2006), Times Square, New York City Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 311 Abb. 4: Strikh Kod Building (2007), St. Petersburg visuelle Neugier zu wecken und durch das aufregende Spektakel Vergnügen zu bereiten. Dieses Prinzip äussert sich deutlich im Einsatz von immer grösseren, immer aufwändiger bespielten Installationen, derzeit etwa Anwendungen von Augmented Reality-Applikationen oder holografischen Animationen. 2.3 Situiertheit im öffentlichen Raum. Performance Das Zuschauer-Bild-Verhältnis erfährt durch die Einbindung der Kommunikation in den öffentlichen Raum eine weitere, eine soziale Rahmung: Die Rezeption ist situativ in das soziale Umfeld des öffentlichen urbanen Raums 21 eingebunden. Im Blick des Betrachters stehen diskursive, symbolische und soziale Ordnungen in Konkurrenz zueinander. Die entworfenen fiktionalen Welten und die realweltlichen Räume treten in ein Verhältnis zueinander, in dem sie vermittels diskursiver, ästhetischer oder medialer Referenzen aufeinander verweisen. Die Grenzen zwischen dem erzählten Raum der bewegten Bilder und dem realen Raum des konkreten Orts verwischen. Die auf Reaktion ausgerichtete Wahrnehmung wird durch die Digitalität des Screens und reaktive, interaktive oder partizipative Modi zusätzlich aktiviert und durch die ihnen eigene Betonung der visuellen Präsenz. Es entsteht ein hybrider Raum, in dem die erfahrene Wirklichkeit sich quasi verdoppelt. Durch die leibliche “Anwesenheit” des Zuschauers erfährt das digitale Medium in der Anordnung im öffentlichen Raum eine grundlegende Weiterung, die man als Performance- Modus begreifen kann: Angebot, Vermittlung und Wahrnehmung sind nicht als medientechnisch determiniert, noch unterliegen sie der klaren Trennung von Subjekt und Objekt. Sie Ursula Stalder 312 Abb. 5: N-Building (2009), Tokyo sind zugunsten einer Ko-Kreation aufgebrochen. Statt nur “Werke” darzustellen, ermöglichen diese medialen Anordnungen, Ereignisse hervorzubringen, in die nicht nur die Produzenten, sondern auch die Rezipienten, die Betrachter, Hörer, Zuschauer involviert sind. 22 Dabei wird an das (bekannte) Dispositiv Digital angeknüpft und dieses Kraft der spezifischen Medialität weiterentwickelt. Die Inszenierungsstrategien zielen gemäss Erika Fischer-Lichte dabei immer auf drei eng aufeinander bezogene Faktoren: Auf den Rollenwechsel zwischen Produzent (Handelnder) und Rezipient (Zuschauer), auf die Bildung einer Gemeinschaft zwischen diesen, und auf verschiedene Modi der wechselseitigen Berührung, d.h. auf das Verhältnis von Distanz und Nähe, von Öffentlichkeit und Privatheit/ Intimität, Blick und Körperkontakt 23 . Während die einen die Rolle der Produzenten übernehmen und mit Händen und Füssen mit dem System interagieren, um Muster zu erzeugen und mit den verfügbaren Elementen zu experimentieren, übernehmen die andern die Rolle der Zuschauer. Zwar sind diese Reaktionen teilweise durchaus rein “innerlich”, ein ebenso wichtiger Teil stellen jedoch wahrnehmbare Reaktionen dar: Das Lachen über die Ergebnisse, Kommentieren der Darstellung, sich gegenseitig die Spielregeln erklären, neu Eintreffende ins Bild versetzen, usw. “Das Spielerische des Experiments und das Experimentelle des Spiels verstärken sich dabei gegenseitig” (Fischer-Lichte 2004: 62). Damit ist der “Rezipient” aktiver als es jemals von leseorientierten Zugängen konzeptioniert werden könnte: Er konfiguriert aktiv und erst seine Tätigkeit konstituiert den “Text”. Seine Auswahl erzeugt den Text der Narration, der bei jedem Durchlauf anders sein kann. Er selbst gibt dadurch und durch seine Interpretation dem Text die Bedeutung. Auf der andern Seite ermöglicht das System das Hervorbringen und Steuern einer sich permanent verändernden Feedbackschleife. Die Aufführung entsteht aus der Begegnung - der Konfrontation, der Interaktion - zwischen dem Sender und dem Adressat, wobei das mediale System als Mittler und der Screen als Interface fungiert. Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 313 Abb. 6: Google Inc. (2006), Berlin 3 Als ob die Welt erweitert würde Wie sehr aus der Kombination von “Digital”-Qualitäten mit denen von Narration und öffentlichem Raum (Plakat, Bühne, Ausstellung) in der medialen Anordnung von digitalen Out-of- Home-Medien Weiterungen in Kraft gesetzt werden, die zur Entstehung spezifischer Kommunikationsformen beitragen, lässt sich deutlich an aktuellen Beispielen nachvollziehen. In ihnen wird die spezifische Medialität dieser neuen Medien im öffentlichen Raum deutlich, nicht zuletzt weil sie oftmals explizit das Verhältnis zwischen Zuschauer und Bild (Erzählung) darstellen. 3.1 Ein Fenster in eine andere Welt Ein Ansatz, der mit dieser spezifischen Medialität dieser Medien im urbanen Raum agiert, ist das Spiel mit direkten gestalterischen Bezügen zwischen der Story (Narration), die vermittelt wird, und dem räumlichen Kontext, in dem sie wahrgenommen wird. So wandert beispielsweise in der Kampagne “Any film you can imagine” von Google Germany, die den Launch des Google Video Service bekannt machen sollte, ein physischer (Bilder-)Rahmen im Stil eines Browser-Fensters durch die Stadt; das Bilder oder der Fensterinhalt ist ausgeschnitten, sodass sich im Blick des Passanten in ihm die reale Szenerie einrahmt und diese gleichzeitig zu einem Video zum Thema “Life in all its glorious randomness” mutiert (vgl. Abb. 6). 24 Ursula Stalder 314 Abb. 7: Amnesty Internation (Schweiz) (2006), div. Städte Auch Amnesty International (Schweiz) spielt mit dieser Vermischung von narrativen und realen räumlichen Strukturen: In der Kampagne “Not here, but now” werden Fotos konkreter Standorte mit Bildern von Situationen, in denen krasse Menschrechtsverletzungen geschehen, derart montiert, dass im Blick des Betrachters der physische Raum, in dem er sich selber befindet, und der narrative Raum der Botschaft zusammen fallen (vgl. Abb. 7). 25 HBO Home Box Office wiederum, ein US-Fernsehsender bekannt für grandioses Storytelling, nutzt den öffentlichen Raum seit Jahren gezielt für die Lancierung neuer Serien oder Image-Kampagnen: Die “HBO Voyeur” - Kampagne begann mit einem fünf Minuten dauernden Trailer-Film, der lebensgross an die Brandmauer eines Gebäudes in Lower Manhattan projiziert wurde (Abb. 8). 26 Gezeigt wurde das Leben von Menschen in acht Wohnungen, verteilt auf vier Stockwerke; für die Zuschauer auf der Strasse war es, als ob die Mauern des Gebäudes weggeschält worden wären, so dass sie in jedes Zimmer blicken konnten. Als Reflexion ebendieser Erfahrungen lässt sich die Installation des japanischen Künstlers Tokujin Yoshioka verstehen, der diesen Aspekt des Mediendispositivs repräsentiert und gleichzeitig strukturell darstellt: Er setzt in jedem Schaufenster des Maison Hermès in Ginza/ Tokyo den ikonischen Hermès-Schal so in Szene, dass dieser gleichsam durch den Atem der dahinter fotografisch arrangierten Schauspielerin in Bewegung versetzt wird. Die Illusion wird dadurch erreicht, dass auf der Fotografie in der Nähe des Mundes in der Fotografie Luft geblasen wird (Abb. 9). 27 Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 315 Abb. 9: Maison Hermès (2009), Tokyo Abb. 8: HBO Home Box Office (2007), New York City Ursula Stalder 316 3.2 An zwei Orten gleichzeitig Zur weiteren Verwischung der Grenzziehung zwischen dem realen und dem virtuellen Raum werden technische Schnittstellen (Interfaces) eingesetzt, die den Austausch zwischen der Aussenwelt (der Umwelt, des Benutzers) und der Innenwelt (des Mediums, des Codes) ermöglichen; das können entweder Sensoren, die physikalische Grössen wie bspw. Lichtstärke, Temperatur, Druck, Strahlung, Schall usw. aus der Umwelt messen und umwandeln, oder Benutzerschnittstellen (User Interfaces) sein, mittels derer der Benutzer in das System “eingreifen” kann: Im ersten Fall “reagiert” das System auf gemessene Daten, im zweiten Fall “interagieren” der Nutzer und das Mediensystem. So installierte Adobe’s “Creative License”- Kampagne bereits 2007 ein reaktives “Wandgemälde”, dessen Bildaufbau durch Sensoren gesteuert wurde, die sich an die Bewegung der vorbeigehenden Passanten “anhängten”. Die Kampagne “Es geschieht, wenn niemand hinsieht” von Amnesty International (Deutschland) verwendet ein Face-Tracking-System für die Steuerung dessen, was das Display anzeigt: Schaut jemand in Richtung des Displays, sieht er oder sie ein friedlich lächelndes Paar, schaut er oder sie weg, beginnt der Mann auf die Frau einzudreschen (Abb. 10). 28 Die Installation lenkt damit das Interesse explizit auf das Nicht-Sichtbare, das heisst auf die Problematik des Themas, auf das Verhältnis von Zeigen und Gezeigtem, und stellt so die Frage nach dem Standpunkt des Zuschauers zum Thema “Häusliche Gewalt” und seiner Rolle als Zuschauer. Vor allem aber demonstriert die Installation, dass es möglich ist der in der Privatsphäre angesiedelten immersiven Problematik der häuslichen Gewalt in einer Art Umkehrbewegung eine Art öffentliche emmersive Lösung durch die (Bürger-)Gesellschaft entgegenzuhalten. Auch in der Kampagne “Uncensored” von Calvin Klein wird die innovative Überwindung einer - als einschränkend empfundenen - Grenze demonstriert. Gezeigt wird auf ihren Megaposters lediglich einen QR Code, also ein reines Verweiszeichen: Passanten, die einen passenden Code Reader auf ihrem Smartphone installiert haben und das Megaposter abfotografieren, werden auf eine Website geleitet, deren Content - die eigentlichen Kampagnenbilder und Video Clips - ihrerseits wieder den ursprünglichen Kontext konterkarieren, indem sie in erotisch aufgeladenen Bildern “sprechen”, die im deutlich stärker regulierten öffentlichen Raum kaum vorstellbar wären (Abb. 11). 29 Die “Koppelung” zwischen der Realität (in der das Megaposters hängt) und dem Bildraum (der zum privaten Konsum angebotenen Werbeclips) stellt das Individuum her. Durch den Einbezug mobiler, internetfähiger Geräte wie Smartphones oder Tablets werden die Out-of- Home-Medien vom reinen Anzeigemedium zum Auslöser einer Informations- und Aktionskette erweitert, die zu einem “Mehrwert” für den Konsumenten führt - vom kostenlosen Download von Klingeltönen oder Wallpapers, über die Teilnahme an Gewinnspielen oder den Abruf von Promotions-Codes bis hin zur nahtlosen Überleitung in den Bestellprozess. Wer in der Kampagne “Shoot and Win” von Armani das Plakat abfotografierte, erhielt einen Gutschein direkt auf sein Smartphone, der zu einem erheblichen Rabatt beim Kauf des beworbenen Produkts berechtigte (Abb. 12). 30 Beispielhaft führte dieses Verschwinden der Differenz zwischen Sagen und Zeigen, zwischen Darstellung und Ausführung durch die Aktivität des Zuschauers auch Tesco/ Homeplus vor: In U-Bahn-Stationen wurden virtuelle Geschäfte geschaffen, aufgeklebte Folien zeigten die Lebensmittel. Mit Smartphone konnten die Passanten während dem sie auf die U-Bahn warteten, einkaufen, in dem sie die gewünschten Produkte fotografierten; dadurch wurde eine Bestellung im Online-Shop von Tesco/ Homeplus ausgelöst. Tesco lieferte die Ware direkt zum Kunden nach Hause - im Idealfall zum selben Zeitpunkt, zu dem der Kunde daheim eintraf (Abb. 13). Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 317 Abb. 10: Amnesty International (2008), Berlin Abb. 11: Calvin Klein (2010), New York City Ursula Stalder 318 Abb. 13: Tesco/ Homeplus (2010), Seoul Abb. 12: Giorgio Armani Parfums (2011), div. Städte Schweiz Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 319 3.3 Zwischenräume Mit der Frage nach der Gestaltung der Interfaces tritt auch die Frage nach der Art des Handelns mit technischen Medien in performativen Anordnungen ins Blickfeld (vgl. Büscher 2002: 7ff.). Das gilt nicht nur in Inszenierungen, in denen die Körperbewegungen von “Passanten” über Sensoren, Licht, Bewegung oder computergenerierte Bilder steuern, sondern auch in “interaktiven” Installationen und Environments. Das wird besonders deutlich bei Kampagnen, die auf erfahrungsorientierte Ansätze setzen: Geteilte Momente, soziale Erlebnisse und Zugehörigkeit zu einer Gruppe sollen Relevanz und Buzz erzeugen, Aufmerksamkeit und Reichweite für die Kampagnen-Channels generieren und das Profil einer Marke oder eines Produkts schärfen. T-Mobile beispielsweise inszenierte 2009 in London ein Live-“Karaoke Sing-along” am Trafalgar Square: Mittels Twitter, Facebook und Guerilla-Aktionen in den Strassen wurde ein Flash Mob organisiert, der gemeinsam - und zusammen mit der überraschend erscheinenden Sängerin Pink - sang; aus den Aufzeichnungen wurden dann in 48 Stunden der Clip produziert und in der Werbepause einer TV Talent Show auf ITV1 ausgestrahlt. Zu einer bemerkenswerten räumlichen Inversion kommt es, wenn pervasive Technologien dafür genutzt werden, den Aussenraum live - in Echtzeit - einzubeziehen. Dies liegt im Falle des Geocaching vor, wo die Daten eines GPS-Geräts die Fundorte eines realen Versteckspiels anzeigen wie etwa in der Timberland “Trail of Hero”-Kampagne (2011, 6 europäische Grossstädte 31 ); oder in Augmented-Reality-Kampagnen, wo ortspezifische Informationen den im Bild dargestellten Aussenraum auf dem Display überlagern und die beiden Räume des Mediums zur Deckung kommen (vgl. Günzel 2010). Die Überlagerung geschieht hierbei nicht nur durch die (vorgefertigte) Montage im Bildraum oder im “Kopf” des Betrachters, sondern durch eine zeitgleiche Darstellung von simulierter und repräsentierter Wirklichkeit: Das vorgefertigte, gespeicherte Bild (die Simulation) wird durch die Live-Einspielung des Aussenraums (die Repräsentation) überlagert. Forever21 inszeniert zur Eröffnung ihres neuen Flagship Stores am Times Square in New York City auf dessen e-Board die Installation “Forever Fresh”, in der sich vorgefertigte Bilder mit Echtzeit-Aufnahmen vermischen: Das 61-Meter grosse digitale Display zeigt Topmodells, die mit dem Publikum auf der Strasse interagieren. Das Modell beugt sich zur Menge auf der Strasse herunter, schiesst ein Polaroid-Foto von den Gaffern, wählt eine einzelne Person aus und verwandelt sie durch einen Kuss in einen Frosch oder lässt sie in ihre Handtasche fallen, usw. (Abb. 14). 32 Andere Bespiele für solche Vermischung von virtuellen und realen Bildern sind die Kampagne “Billboard against Aggression” des Justizministeriums der Niederlanden (2010, Amsterdam, Rotterdam 33 ) oder die Ambush-Events “Also Angel will Fall” von Unilever (2011, London und Birmingham 34 ). Diesen medialen Strategien gemeinsam ist, dass die Passanten sich selber im Bild neben den virtuellen Figuren der Story (Avatare) sehen; dadurch werden sie selber zum Teil der Erzählung: Mit ihnen geschieht etwas, sie können ihre eigene Position oder die der Avatare verändern oder untereinander agieren und so selber den Verlauf der Geschichte (scheinbar) beeinflussen. Noch einen Schritt weiter geht die Kampagne “How do you experience death” des WWF (Russland) zur Rettung des vom Aussterben bedrohten sibirischen Tigers: In ausgewählten Modegeschäften in Moskau werden T-Shirts mit Markern in die Regale gelegt; probiert ein Kunde eines davon an und betrachtet sich im Spiegel, löst der Marker auf dem T-Shirt einen virtuellen Schuss aus und Blut überspritzt das Bild des Kunden im Spiegel (Abb. 15). 35 Im publizierten Case-Film wird deutlich sichtbar, dass die derart virtuell “erschossenen” Nutzer unmittelbar physisch reagieren: Sie zucken zurück als wenn sie den Druck des Aufpralls der Kugel auf dem Körper real spüren würden. Ursula Stalder 320 Abb. 15: WWF (Russia) (2010), Moskau Abb. 14: Forever21 (2010), New York City Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 321 4 Ausblick. Die Bastarde kommen Nach einer Zeit weiterreichender teils euphorischer Thesen zur Bedeutung der Urban Media als Raum gesellschaftlicher Kommunikation bis hin zur (letzten) Rettung der bürgerlichen Stadt, gibt es zunehmende Tendenzen, diese emergierenden Infrastrukturen wegen der derzeit vorherrschenden Prädominanz der Werbung als gesellschaftlich bedeutungsloses Rauschen aufzufassen. Schliesst man sich Hickethiers Annahme der historischen Veränderbarkeit eines Dispositivs an, durch die die Dynamik medialer Entwicklungen “mitgedacht” werden kann, so lässt sich in Bezug auf die digitalen Out-of-Home-Medien vermuten, dass sich gerade diese Anordnungen noch weiter entwickeln und zur Entstehung eines eigenständigen “Wahrnehmungsdispositivs” führen werden. Naheliegend ist diese Vermutung auch deshalb, weil im Dispositiv Out-of- Home-Medien nicht nur die ältere Tradition der Aussenwerbung aufgegriffen wurde, sondern auch die des Fernsehens und des Internet, die beide bereits vor der Etablierung der digitalen Outof-Home-Medien ins Lebensumfeld integriert wurden, die beide im Vergleich zur Plakatwerbung nicht eine zwar differente, aber einheitliche Wahrnehmungsweise, sondern die Möglichkeit vieler verschiedener Rezeptionshaltungen hervorgebracht haben, die jede für sich intensiv eingenommen werden können. Die Flexibilität des Zuschauerverhaltens und die Multifunktionalität der Programmangebote (Arbeiten, Spielen, Surfen, Filmeschauen, Kommunizieren usw.) sind spezifische Eigenheiten sowohl des Dispositivs Fernsehen wie auch des Computers; eine Festschreibung auf eine einzige Eigenschaft verkennt deren Besonderheit. Das Subjekt folgt bei seiner selbstgewählten Zuwendung zum Screen und selbständigen Selektion aus den Möglichkeiten nicht den Interessen des “Senders” (des Produzenten), sondern seinen subjektiven Bedürfnissen nach informativer Orientierung, nach Unterhaltung und emotionaler und kognitiver An- oder Entspannung und wählt aus den Möglichkeit ganz unterschiedlicher Rezeptionshaltungen. (vgl. Hickethier 1995: 74) Prognosen vom “globalen Dorf” (Marshall McLuhan), der “time-space compression” (David Harvey) und den “space of flows” (Manuel Castells), die oftmals androhten, dass Raum als soziale Kategorie obsolet würde, haben sich offenbar nicht bewahrheitet. Entgegen den Befürchtungen kommt es durch die zunehmende Verbreitung digitaler und pervasiver Medien keineswegs zu einer unmittelbaren “Tilgung von Raum”, sondern eher zu einer weiteren Vervielfältigung von Räumlichkeit oder räumlicher Konstellationen (vgl. Günzel 2010). Zum einen hat durch die wachsende Konkurrenz zwischen Marken und Standorten die Besonderheit des Ortes an Bedeutung gewonnen. Dabei verändern sich Normen räumlicher Gestaltung und anstatt von Funktionalität werden Räume nun von einer Welt der Zeichen bestimmt und müssen für Inszenierungen und Simulationen geeignet sein. So gesehen sind an der Schnittstelle dieser realen, virtuellen und symbolischen Räume “Hyperlokalität” (Bruce Sterling): hybride Medien, Hand in Hand mit hybriden Räumen, Mischlinge, wie sie typisch für die Digitalisierung sind. Das Hybride, Vermischte, sich Durchdringende oder Überlagernde gilt seit zwei Jahrzehnten als Kulturphänomen und Signatur der Postmoderne (vgl. Tholen 2000). Von dieser Hybridisierung oder “Bastardisierung” spricht bereits Marshall McLuhan, und er beschreibt die gewaltigen Energien, die diese “Bastarde” freisetzen (McLuhan 1994: 85ff.). Nach ihm stellen sie zudem eine besonders günstige Gelegenheit dar, die strukturellen Komponenten und Eigenschaften von Medien zu erkennen. Digitale Out-of-Home-Medien stellen in diesem Sinn ein wunderbar anschauliches, weil wunderbar facettenreiches Phänomen der Postmoderne dar. Ursula Stalder 322 Literatur Augé, Marc 1994: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt/ Main: Fischer Böhme, Gernot 6 1995: Atmosphäre - Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Böhme, Gernot 2006: Architektur und Atmosphäre, München: Wilhelm Fink Bruhn, Manfred 4 2006: Integrierte Unternehmens- und Markenkommunikation. Strategische Planung und operative Umsetzung, Stuttgart: Schäffer Poeschel Bürk, Thomas 2006: “Raumtheoretische Positionen in angloamerikanischen und deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Publikationen seit 1997 - ein Literaturbericht”, Online (24.1.2012): http: / / raumsoz.ifs.tu-darmstadt.de/ forschung/ fo05-literatur/ lit-raumtheorie.pdf Büscher, Barbara 2002: Live Electronic Arts und Intermedia. Die 1960er Jahre. Über den Zusammenhang von Performance und zeitgenössischen Technologien, kybernetischen Modellen und minimalistischen Kunststrategien (= Habilitationsschrift an der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig. Online (25.10.2011): http: / / www.qucosa.de/ recherche/ frontdoor/ ? tx_slubopus4frontend%5bid%5d= urn: nbn: de: bsz: 14-qucosa-39497. Calder, Bobby J. & Edward C. Malthouse 2005: “Managing Media and Advertising Change with Integrated Marketing”, in: Journal of Advertising Research 4: 356-361 Doelker, Christian 3 2002: Ein Bild ist mehr als ein Bild. Visuelle Kompetenz in der Multimedia-Gesellschaft, Stuttgart: Klett-Cotta Dünne, Jörg 2004: “Forschungsüberblick Raumtheorie”, in: Jörg Dünne, Hermann Doetsch & Roger Lüdeke (eds.) 2004: Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive, Würzburg: Königshausen & Neumann, 9-21 Dünne, Jörg & Stephan Günzel (eds.) 2006: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Fischer-Lichte, Erika (ed.) 2004: Ästhetik des Performativen, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Foucault, Michel 2006: “Von anderen Räumen”, in: Jörg Dünne & Stephan Günzel (eds.) 2006: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 317-329 Franck, Georg 2005: “Werben und Überwachen: Zur Transformation des städtischen Raums”, in: Leon Hempel & Jörg Metelmann (eds.) 2005: Bild - Raum - Kontrolle: Videoüberwachung als Zeichen des gesellschaftlichen Wandels, Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 141-155 Fürst, Michael (2009): “Emersive Bilder - zum Zuschauer-Bild-Verhältnis in Dabbid Cronenbergs ‘Videodrome’”, in: Ingeborg Reichle & Steffen Siegel (eds.) 2009: Maßlose Bilder. Visuelle Ästhetik der Transgression, München: BBAW / Materialien der Interdisziplinären Arbeitsgruppen, 127-142 Günzel, Stefan 2010: “Die zwei Räume des Mediums”, in: beam me up, Beitrag #60. Online (1.9.2011): http: / / www.beam-me.net/ beitragdetail.php? lang=d&artid=60 Hickethier, Knut 1992: “Kommunikationsgeschichte - Geschichte der Mediendispositive. Ein Beitrag zur Rundfrage ‘Neue Positonen zur Kommunikationsgeschichte’”, in: Medien & Zeit, 2/ 1992: 26-28 Hickethier, Knut 1995: “Dispositiv Fernsehen - Skizze eines Modells”, in: Montage/ av 4.1 (1995): 63-83 Hickethier, Knut 2002: “Zur Dispositiv-Debatte”, in: Tiefenschärfe. Hamburger Hefte zur Medienkultur WiSe 2002/ 2003: 3 Hirschmann, Elisabeth C. & Maurice B. Hollbrook 1982: “Hedonic Consumption: Energing Concepts, Methods and Porpositions”, in: Journal of Marketing 46 (1982): 92-101 Jaschko, Susanne 2007: “Der öffentliche und der Datenraum der Stadt”, Online (18.1.2012): http: / / www.heise.de/ tp/ r4/ artikel/ 25/ 25011/ 1.html. Klingmann, Anna 2007: Brandscapes. Architecture in the Experience Economy, Cambridge/ Mass. / London: MIT Press Kroeber-Riel, Werner 1996: Bildkommunikation. Imagerystrategien für die Werbung, München: Vahlen Kroeber-Riel, Werner & Wolfgang Esch 7 2011: Strategie und Technik der Werbung. Verhaltens- und neurowissenschaftliche Erkenntnisse, Stuttgart: Kohlhammer Kronhagel, Christoph (ed.) 2010: Mediatektur - Die Gestaltung medial erweiterter Räume, Wien/ NewYork: Springer Lenk, Carsten 1996: “Das Dispositiv als theoretisches Paradigma der Medienforschung. Überlegungen zu einer integrativen Nutzungsgeschichte des Rundfunks”, in: Rundfunk und Geschichte 22 (1996): 5-17 Löw, Martina 2001: Raumsoziologie, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Manovich, Lev 2001: The language of new media, Cambridge/ Mass.: MIT Press Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 323 McLuhan, Marschall 1994: Understanding Media. The Extension of Man, Cambridge, MA/ London: MIT Press; dt. 1 1964; 1994: Die magischen Kanäle. Understanding Media, Dresden/ Basel: Verlag der Kunst Michelis, Daniel 2009: Interaktive Grossbildschirme im öffentlichen Raum: Nutzungsmotive und Gestaltungsregeln, Wiesbaden: Gabler Edition Wissenschaft Mikunda, C. 2007: Marketing spüren - willkommen am Dritten Ort, Frankfurt/ Main/ Wien: Redline Müller, Jörg, Florian Alt & Daniel Michelis 2011: Pervasive Advertising, London: Springer Nora, Pierre 1984-1992: Les lieux de mémoire, 7 vols., Paris: Gallimard Oldenburg, Ray 3 1999: The great good places: cafés, coffee shops, bookstores, bars, hair salons, and other hangouts at the heart of the community, New York: Da Capo Press Pasquier, Martial, Corina Dreosso & Andre Rauch 2004: Kommunikation. Eine Delphi-Studie zu den Entwicklungen der Marketingkommunikation, Bern/ Stuttgart/ Wien: Haupt Piehler, Heike (ed.) 2006: Weisses Rauschen 1: Ästhetik-Festival der Universität Bielefeld. Eine Dokumentation, Bielefeld: Transcript Pine, Joseph B. & James H. Gilmore 1999: The Experience Economy, Boston: Harvard Business School Press; Deutsche Ausgabe: Pine, Joseph B. & James H. Gilmore 2000: Erlebniskauf: Konsum als Erlebnis, Business als Bühne, Arbeit als Theater, München: Econ Pörschmann, Dirk 2010: “Mediatektonische Ansätze in Kunst, Medien und Theorien”, in: Christoph Kronhagel (ed.) 2010: Mediatektur. Die Gestaltung medial erweiterter Räume, Wien/ New York: Springer, 74-90 Posner, Roland 2003: “Ebenen der Bildkompetenz”, in: Klaus Sachs-Hombach (ed.) 2003: Was ist Bildkompetenz? Studien zur Bildwissenschaft, Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag, 17-24 Sachs-Hombach, Klaus (ed.) 2005: Bildwissenschaft - Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Sauter, Joachim 2004: “Das vierte Format: Die Fassade als mediale Haut der Architektur”, Online (20.4.2009): http: / / netzspannung.org/ media-art/ publications/ digital-transformations/ Schierl, Thomas 2001: Text und Bild in der Werbung. Bedingungen, Wirkungen und Anwendungen bei Anzeigen und Plakaten, Köln: Halem Schierl, Thomas 2005: “Werbungsforschung”, in: Klaus Sachs-Hombach (ed.) 2005: Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 309-319 Schmidt, Gunnar 2006/ 2008: “Medienfassaden. Vorschlag für eine kommunikationsanalytische Systematik”, Online (31.1.2012): http: / / www.medienaesthetik.de/ medien/ fassade.html. Schönberger, Klaus 2003: “‘… dass jemand mal vorbeischreibt.’ E-Mail im Alltag - zur Kulturanalyse eines neuen Mediendispositivs”, in: Joachim Höflich & Julian Gebhard (eds.) 2003: Vermittlungskulturen im Wandel - Brief, E-mail, SMS, Frankfurt/ Main usw.: Peter Lang, 111-145 Schulze, Gerhard 2 2005: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/ Main: Campus Sierek, Karl 1993: “Aus der Bildhaft - Filmanalyse als Kinoästhetik”, in: Media Perspektiven 10 (1993): 497-504 Stalder, Ursula 2011: “Digital Out-of-Home-Media - Means and Effects of Digital Media in Public Space”, in: Jörg Müller, Florian Alt & Daniel Michelis (eds.) 2011: Pervasive Advertising, London: Springer, 31-56. Stalder, Ursula & Michael Boenigk 2009: “Out-of-Home-Displays: Digitale Markenkommunikation im öffentlichen Raum”, in: Medien Journal - Zeitschrift für Kommunikationskultur 33.1 (2009): 33-51 Tholen, Georg Christoph 2000: “Der Ort des Raums - Erkundigungen zum ‘offenen’ und ‘geschlossenen’ Raum, Online (13.9.2011): http: / / www.xcult.org/ texte/ tholen/ raum.html Weiser, Mark 1991: “The Computer for the 21st Century”, in: Scientific American 265.3 (1991): 66-75 Wissenschaftsrat 2007: “Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunikations- und medienwissenschaften in Deutschland”, Online (18.1.2012): www.wissenschaftsrat.de/ download/ archiv/ 7901-07.pdf Wöhler, Karl-Heinz 2008: “Erlebnisgesellschaft - Wertewandel, Konsumverhalten und -kultur”, in: Nicolai O. Herbrand (ed.) 2008: Schauplätze dreidimensionaler Markeninszenierung: Innovative Strategien und Erfolgsmodelle erlebnisorientierter Begegnungskommunikation, Stuttgart: Edition neues Fachwissen, 3-12 Zukin, Sharon 1993: Landscapes of Power. From Detroit to Disney World, San Francisco: University of California Press Zurstiege, Guido 2008: “Der Konsum Dritter Orte”, in: Kai-Uwe Hellmann & Guido Zurstiege (eds.) 2008: Räume des Konsums. Über den Funktionswandel von Räumlichkeiten im Zeitalter des Konsumismus, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 121-144 Ursula Stalder 324 Abbildungsverzeichnis Abb. 1 - Ars Electronica (2009): Erweiterungsbau Ars Electronica Center, Linz] . . . . . . . . . . . . . 308 Abb. 2 - M&M Flagship Store (2006), Times Square, New York City]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Abb. 3 - Louis Vuitton Flagship Store (2011), MGM Mirage City Center, Las Vegas] . . . . . . . . . 310 Abb. 4 - Strikh Kod Building (2007), St. Petersburg] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Abb. 5 - N-Building (2009), Tokyo] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Abb. 6 - Google Inc. (2006)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Abb. 7 - Amnesty Internation (Schweiz) (2006)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Abb. 8 - HBO Home Box Office (2007), New York City] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Abb. 9 - Maison Hermès (2009), Tokyo] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Abb. 10 - Amnesty International (Deutschland), 2008] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abb. 11 - Calvin Klein (2010), New York City] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abb. 12 - Giorgio Armani Parfums (2011)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Abb. 13 - Tesco/ Homeplus (2010), Seoul] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Abb. 14 - Forever21 (2010)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Abb. 15 - WWF (Russia) (2010)] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Anmerkungen 1 Eine Sammlung von Grundlagentexten zur Raumtheorie aus Philosophie und Kulturwissenschaften liegt mit Dünne & Günzel (2006) vor. Für einen Literaturbericht zu den verschiedenen raumtheoretischen Positionen in der angloamerikanischen und deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Publikationen seit 1997 vgl. Bürk (2006). - Auf der gemeinsamen Grundannahme raumtheoretischer Diskussionen in den Kulturwissenschaften, dass Räume nicht einfach unveränderlich vorhandene physische Orte oder Wahrnehmungsbedingungen sind (“places”), sondern kulturell konstituiert werden (“spaces”), basiert auch die Raumsoziologie von Martina Löw (2001). Sie bezeichnet als “Ort” eine benennbare Stelle oder einen Platz, eine geografische Markierung. Als “Raum” dagegen definiert sie eine relationale (An)Ordnung sozialer Güter und Menschen an Orten. Sie geht damit analytisch von einem sozialen Raum aus, der durch materielle und symbolische Komponenten gekennzeichnet ist. Löw wendet sich gegen die sonst übliche Trennung in einen sozialen und einen materiellen Raum, “welche unterstellt, es könne ein Raum jenseits der materiellen Welt entstehen (sozialer Raum), oder aber es könne ein Raum von Menschen betrachtet werden, ohne dass diese Betrachtung gesellschaftlich vorstrukturiert wäre (materieller Raum)”. Unter Verweis auf Bruno Latour sind für Löw Räume hybrid, gemischt aus materialdinglicher und menschlicher Welt (Löw 2001: 160). 2 Das Bild, resp. die Bedeutung der Bildlichkeit ist Thema der Bildwissenschaft, vgl. dazu Sachs-Hombach (2005). - Nach Roland Posner soll die Bildwissenschaft die bei Bildanalysen vorhandene Gefahr einer zu starken sprachwissenschaftlichen Orientierung mit ihrem “kommunikativistische(n) Fehlschluss […] bekämpfen, alle Bilder seien Kommunikationsmittel in der Art von Sätzen.” ; ebenso notwendig sei es, den “ästhetische(n) Fehlschluss” der Kunst- und Musikgeschichte zu überwinden, der darin bestehe, sämtliche Bilder zu Kunstwerken oder ihrem Wesen nach zu Kunst zu erklären. Dabei werden statt künstlerischer Bilder vornehmlich “Gebrauchsbilder des Alltags” (z.B. Schilder, Piktogramme, Plakate, technische Zeichnungen und die Bildgebungsverfahren der verschiedenen Berufe und wissenschaftlichen Disziplinen) analysiert (Posner 2003: 18ff.). - Zu den Grundlagen der visuellen Kommunikation vgl. Kroeber-Riel & Esch (2011) und Schierl (2005) zu den zentralen bildthematischen Fragestellung in der Werbung. 3 Dazu gehören Entwicklung, wie beispielsweise 1) die stetige Zunahme der technischen Möglichkeiten zur (digitalen) Bildproduktion bei gleichzeitiger Verbesserung und Vereinfachung, 2) der Preiszerfall bei der Herstellung von Bildern, 3) die fortschreitende Informationsüberlastung (“information overload”), die die “schnelle” und “verdichtete” Bildrezeption begünstigt und dadurch die Visualisierung der Kommunikation fördert, 4) die Sättigung der Märkte, die unter den Bedingungen der Informationsüberlastung eine möglichst schnelle, daher meist visuelle Aufnahme der Werbebotschaft durch den Rezipienten erzwingt, und 5) das Fernsehen, das als Leitmedium, das - wie andere elektronischen Medien auch - selbst ein bildbetontes Medium ist, die Gewohnheit, nur noch “schnelle” Bilder zu konsumieren, zusätzlich fördert (vgl. Schierl 2001: 228). Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 325 4 Im Kontext dieses Texts wird der Begriff “öffentlicher Raum” bewusst unscharf, alltagssprachlich verwendet, um einen Raum zu bezeichnen, der einen öffentlichen Charakter hat, der Öffentlichkeit zugänglich ist, resp. von der Öffentlichkeit genutzt wird; er steht damit dem “privaten Raum” gegenüber, der üblicherweise nicht öffentlich zugänglich ist, wie einerseits private Wohnräume oder Unternehmensimmobilien, die üblicherweise nur den Angehörigen dieser Gruppen zugänglich sind. - Mit dieser alltagssprachlichen Verwendung soll einerseits dem engen Verständnis von “öffentlichem Raum” als öffentlich-rechtlichem Raum, d.h. der Eigentum der öffentlichen Hand ist, vermieden werden. Andererseits sollen diskursiv besetzte Termini wie etwa “Liminiale Räume (liminal spaces, Zukin 1993), “Erinnerungsorte” (lieux de mémoire, Nora 1984), “Nicht-Orte” (nonlieux, Augé 1994), “Dritte Orte” (third places, Oldenburg 1999), “Andere Räume”, “Utopien”, “Heterotopien” (Foucault 2006) etc. ausgewichen werden. Für die nachfolgenden Ausführungen spielt der Raumbegriff nur insofern eine Rolle, als dass davon ausgegangen wird, dass der Raum - als Schnittstelle von Technik, Semiotik und Gebrauchspraxen - die Wahrnehmung und Wirkung der Kommunikation mitbestimmt. 5 Der Begriff “Pervasive Computing”, resp. “Ubiquitious Computing” wurde 1991 von Mark Weiser geprägt. Nach seiner Vision verschwindet der Computer als Gerät wird und durch “intelligente Gegenstände” ersetzt, die den Menschen bei seinen Tätigkeiten unmerklich unterstützen (Weiser 1991). Müller et al. gehen dabei davon aus, dass analog zur Entwicklung des Internet die Werbung als Geschäftsmodell die weitere Entwicklung des Pervasive Computing vorantreiben wird, da die Eigenschaften des Pervasive Computing - Automatisierung, Interaktivität, Ubiquität - es zu einem leistungsfähigen Instrument für die Erreichung der Werbeziele machten, und sprechen in der Folge von “Pervasive Advertising” (Müller et al. 2011). 6 Diese doppelte “Privatisierung des öffentlichen Raums” - einerseits durch Marken, andererseits durch die Kontrolle im Auftrag von Unternehmen - stört, so befürchtet die kulturpessimistische Kritik das organische Gefüge und die Heterogenität einer lebendigen Stadt: Durch die Funktionalisierung der Städte als Konsumgut (vgl. Klingmann 2007) transformieren diese zu “Nicht-Orten” im Sinne von Marc Augé (vgl. Augé 1994), die zwar im Bereich des Konsums klar definierte Handlungsspielräume eröffnen, ökonomischen Imperativen folgend jedoch rasch zu gigantischen “Verkaufsmaschinen” verkümmern (vgl. Zurstiege 2008). 7 Der Begriff “digitale Out-of-Home-Medien” wird hier als Oberbegriff für die verschiedenen Anwendungstypen digitaler Medien im öffentlichen Raum verwendet. Zu einer Typologisierung der Gebrauchsweisen digitaler Outof-Home-Medien vgl. Stalder (2011). 8 Zum Stand der Medialitätsforschung vgl. Wissenschaftsrat (2007). Medialitätsforschung analysiert Medialität - das Spezifikum eines Mediums, das im Vergleich zu andern Medien im Blick auf etwas Drittes (etwa die kommunikative Leistung, die ästhetische Form oder die technische Gestaltung) ersichtlich wird - als einen konstitutiven Aspekt im Prozess der Herstellung von Kommunikation, der Vermittlung und Speicherung von Wissen sowie der Formation von Kultur. Medien werden als ‘organisierende Mitte’ zwischen Technologie, (ästhetischen) Formen und kommunikativen Prozessen analysiert. Damit rückt die Medialitätsforschung die “Materialität der Kommunikation” in das Zentrum des Erkenntnisinteressen. Sie wendet sich damit kritisch gegen eine gewisse “Medienvergessenheit” von Teilen der etablierten Geisteswissenschaften. “Mit ‘Medienvergessenheit’ ist gemeint, dass in jenen Fächern nicht ausreichend gefragt wird, inwiefern Medien in ihrer sozialkommunikativen, ästhetischen und technischen Dimension stets zugleich auch mitkonstituieren, was sie nur zu vermitteln bzw. zu transportieren scheinen” (Wissenschaftsrat 2007: 89ff.). 9 Mit dem Begriff des “Dispositiv”, resp. des “Mediendispositiv” beschreiben Knut Hickethier (1992, 1995, 2002), Carsten Lenk (1996) und andere die institutionelle, technische und inhaltliche Entfaltung der Medien im Zusammenhang mit der Entstehung entsprechender Wahrnehmungsmuster. Das Dispositiv entsteht über die “Vermittlungs-, Aneignungs- und Nutzungsweisen” (Lenk 1996: 23) der technischen Geräte und Dienste sowie der darüber gesendeten Inhalte. “Mit Hilfe des Begriffs Mediendispositivs lässt sich die technische, ökonomische und inhaltlich-formale Dimension […] nicht nur im Zusammenhang der Entfaltung von entsprechenden Wahrnehmungsstrukturen beschreiben. Ein solches […]Dispositiv rekurriert auch zugleich auf die Kontexte, die Vermittlungs-, Aneignungs- und Nutzungsweisen […]” (Schönberger 2003: 115). In der deutschsprachigen medientheoretischen Debatte hat sich seither “Dispositiv” als Begriff etabliert, der eine spezifische Konstellation von Mensch und technisch-apparativer Anordnung sowie ihren diskursiven Erweiterungen bezeichnet und mit dem sich ein Konzept zur theoretischen Erfassung von Medien, Wahrnehmung und Vorstellung verbindet (vgl. Hickethier 2002). 10 Es handelt sich dabei um Vorüberlegungen, d.h. ohne ausreichende Begründung oder Auslotung der tieferen Wurzeln und damit ein bewusster Verzicht auf eine theoretische Fundierung in den Grundlagen der Bild-, Film- oder Mediensemiotik. Es geht weniger darum eine vorgefertigte Begrifflichkeit auf dieses relativ neue mediale Phänomen “anzuwenden”, sondern eher darum das Spezifische dieser Medien herauszuarbeiten, um die Eigenscheiten und Potenziale im Werbekontext besser zu verstehen. Ursula Stalder 326 11 Für eine Grundlegung des Begriffs “Erlebnisgesellschaft” vgl. Schulze (2005), Wöhler (2008). Postmaterialistisches Konsumieren seit längerem ein Thema, vgl. Hirschmann/ Hollbrook (1982), Pine/ Gilmore (1999), Mikunda (2007). 12 Dieser Ansatz zur Einordnung verschiedener Aspekte lehnt sich an die “Anverwandlung” der von Charles W. Morris unterschiedenen drei Dimensionen des Zeichengebrauchs (Pragmatik, Semantik und Syntaktik) an, wie sie Jörg Dünne für Raumfragen vorschlägt. vgl. Dünne (2004: 10). 13 Durch neuere Entwicklungen wird dieser, durch den technischen Apparat vorgegebene Rahmen stark flexibilisiert: Das Internet, das auf immer mehr verschiedenen Endgeräten an immer mehr Orten mit immer höhreren Geschwindigkeiten verfügbar ist, gilt dabei als Treiber. Ein und derselbe Inhalt ist sowohl auf sehr kleinen wie auf sehr grossen Screens abrufbar und in höchst unterschiedlichen räumlichen Kontexten nutzbar, und entsprechend verschieden sind auch die Wahrnehmunsgeffekte. Das gilt auch für digitale Out-of-Home-Medien. 14 Dieselben Erhebungen zeigen auch, dass in diesen Anwendungsformen digitaler Out-of-Home-Medien sämtliche dargestellten Inhalte als Werbung wahrgenommen werden, auch wenn es sich um News-, Unterhaltungs- oder Service-Beiträge handelt (vgl. Stalder/ Boenigk 2009). 15 Daniel Michelis identifiziert in seiner Untersuchung 5 Motivationsfaktoren und leitet daraus 8 zentrale Gestaltungselemente für interaktive Großbildschirme im öffentlichen Raum: die Display-Grösse, die Display- Ausrichtung, die Anzahl der Displays, die Inhalte auf den Displays, die Position des Nutzers, die Nähe des Nutzers zu den Displays, der Interaktionsbereich des Nutzers, sowie der Interaktionsmodus (vgl. Michelis 2009). 16 Zur kognitionspsychologischen Fundierung des Begriffs “Aufmerksamkeit” vgl. Kroeber-Riel (1996). 17 Zum Begriff “Atmosphäre” vgl. Böhme (1995, 2006). In der Alltagssprache bezieht sich der Begriff entweder auf eine subjektive Stimmung, die sozial und von der äusseren Umgebung vermittelt wird (rezeptionstheoretische Perspektive) oder auf eine objektive Eigenschaft einer Umgebung, die sich nicht allein auf einen einzelnen Gegenstand zurückführen lässt, sondern auf die Art der Zusammenstellung dieser Umgebung. Martina Löw diskutiert im Zusammenhang mit ihrer Raumsoziologie auch die Frage nach den Atmosphären von Räumen und stellt fest, dass “Raume eine eigene Potentialität entwickeln, die Gefühle beeinflussen kann. Diese Potentialität der Räume” bezeichnet sie als “Atmosphäre”. Nach Löw entstehen Atmosphären durch die Wahrnehmung von Wechselwirkungen zwischen Menschen und/ oder aus der Aussenwirkung sozialer Güter. “Atmosphären setzen somit eine Gleichzeitigkeit von wahrnehmendem Subjekt und wahrnehmbarem Objekt voraus” (Löw 2001: 204ff.). Eine solche Gleichzeitigkeit schlägt auch Gernot Böhme (1995) zur Bestimmung des Phänomens vor; er definiert Atmosphäre als “die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen” (Böhme 1995: 34). Wegen ihrer Reproduzierbarkeit, d.h. ihrer stets ähnlichen Wirkung auf verschiedene Menschen, sind Atmosphären für Böhme eine objektive Gegebenheit. 18 Die Bespielungsarten werden wie folgt skizziert: Autoaktiv ist der Zustand, in dem Bewegtbild auf einer dynamischen Fassade abgespielt wird. Das Bildmaterial kann von den Gestaltern der Fassade direkt produziert sein, von Mediengestaltern und -künstlern für eine bestimmte Fassade entwickelt werden oder durch eine Community über das Internet aufgerufen und zugespielt werden. Bei reaktiven Bespielungskonzepten reagiert die Fassade auf ihr Umfeld. Durch Kameras, Sensoren und Messsoftwares werden externe Parameter in Echtzeit erfasst und die Bespielung an die Veränderungen daran angepasst. Typische messbare Einflussfaktoren sind das Wetter, die Lichtverhältnisse oder Geräusche, aber auch Faktoren, die mit dem Innern und der Funktion der Räume zusammenhängen wie z.B. Frequenzen und Tempo von Passanten, Ein- und Ausfahren von Zügen in Bahnhöfen, die Dichte des Strassenverkehrs etc. Bei interaktiven Bespielungskonzepten werden die Menschen in die Bespielung der Bewegtbildflächen mit einbezogen. Durch Interfaces in der Umgebung oder Schnittstellen wie beispielsweise mobile private Geräte wie Handy, PDA’s oder Laptops kann die Bespielung verändert, erweitert oder mit ihr spielerisch manipuliert werden. Der Nutzer wird dadurch vom blossen Rezipienten zum Produzent/ Distribuent von Symbolen und Botschaften - auch wenn in einem eng begrenzten, von den Initiatoren vorgegeben Spielraum. Bei partizipativen Bespielungskonzepten hat die interessierte Öffentlichkeit die Möglichkeit, die Bewegtbildfläche durch eigene gestalterische Beiträge zu bespielen und untereinander in Dialog zu treten. Durch die Bewegtbildfläche entsteht eine Community, die sich über konkrete Installationen hinaus formiert und weiter austauscht. 19 Der Begriff “Weisses Rauschen” (white noise), ursprünglich ein Begriff aus der Physik, bezeichnet ein Phänoment, das aus einer gleichförmigen, endlosen Überlagerung verschiedener Signale gebildet wird. In seiner Struktur sind alle Informationen enthalten, ohne dass einzelne Informationen daraus isoliert wahrgenommen werden könnten. Alle Töne, alle Hintergrundgeräusche, alle Farbklänge, alle Einzelformen verbinden sich zu einem homogen wirkenden Rauschen. Beispiel dfür sind etwa das “Schneebild” auf dem Fernseher bei gestörtem Empfang oder das Rauschen von Radios auf Frequenzen, die nicht von einem Sender belegt sind (vgl. Piehler 2006). Als ob die Wirklichkeit verdoppelt würde 327 20 Tom Gunning stellt genau diese Betonung des Bildes als Ereignis in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zum frühen Kinofilm: “Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Kino der Attraktionen die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sehr direkte Weise fordert, in dem es die visuelle Neugier weckt und vermittels eines aufregenden Spektakels Vergnügen bereitet […]. Diese Art des Filmemachens ist durch das direkte Ansprechen des Publikums gekennzeichnet […]. Der dramatischen Zur-Schau-Stellung wird der Vorrang gegeben vor dem Narrativen, dem direkten Auslösen von Schocks oder Überraschungen vor dem Ausbreiten einer Geschichte oder dem Erschaffen eines diegetischen Universums” (Gunning 1996, zitiert nach Fürst 2009: 133). 21 In der kulturwissenschaftlichen Raum-, resp. Medialitätsforschung wird zudem die Einbindung des öffentlichen Raums in einen grösseren gesellschaftlichen Rahmen, der wiederum durch Regeln, Vereinbarungen, Konventionen und ihre institutionellen Verfestigungen und materialen Vergegenständlichungen thematisiert und deren Einfluss auf die Kommunikation untersucht. 22 Nach Erika Fischer-Lichte werden durch Performances Situationen geschaffen, in der zwei grundlegende Relationen neu bestimmt werden: zum einen die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, Betrachter und Betrachtetem, Zuschauer und Darsteller, und zum andern die Beziehung zwischen Körperbzw. Materialhaftigkeit und Zeichenhaftigkeit der Elemente, zwischen Signifikant und Signifikat (vgl. Fischer-Lichte 2004: 19ff.). “Als Dreh- und Angelpunkt dieser Prozesse fungiert nicht mehr das von seinem Produzenten wie von seinen Rezipienten losgelöste und unabhängig existierende “Artefakt”, das als Objekt aus der kreativen Tätigkeit des Künstlersubjekts hervorgegangen und der Wahrnehmung und Deutung des Rezipientensubjekts anheimgegeben ist. Stattdessen haben wir es mit einem Ereignis zu tun, das durch die Aktion verschiedener Subjekte - der Künstler und der Zuhörer/ Zuschauer - gestiftet, in Gang gehalten und beendet wird. Damit verändert sich zugleich das Verhältnis zwischen Materialstatus und Zeichenstatus der in der Aufführung verwendeten Objekte und vollzogenen Handlungen. Der Materialstatus fällt nicht mehr mit dem Signifikantenstatus zusammen, er löst sich vielmehr von ihm ab und beansprucht ein Eigenleben. Das heisst, die unmittelbare Wirkung der Objekte und Handlungen ist nicht von den Bedeutungen abhängig, die man ihnen beilegen kann, sondern geschieht durchaus unabhängig von ihnen, teilweise noch vor, in jedem Fall aber jenseits von jedem Versuch eine Bedeutungsbeilegung” (Fischer-Lichte 2004: 29). 23 “So verschieden die Strategien auch sein mögen, sie haben eines gemeinsam: Sie sollen nicht nur - wenn überhaupt - Rollenwechsel, Bildung und Zerfall von Gemeinschaften, Nähe und Distanz darstellen und bedeuten. Sie bewerkstelligen vielmehr, dass Rollenwechsel tatsächlich vollzogen werden, Gemeinschaften sich bilden und wieder zerfallen, Nähe und Distanz hergestellt wird. Dem Zuschauer werden Rollenwechsel, Gemeinschaftsbildung und Zerfall, Nähe und Distanz nicht lediglich vorgeführt, sonder er erfährt sie als Teilnehmer der Aufführung am eigenen Leib” (Fischer-Lichte 2004: 62). 24 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3540 25 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3536 26 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=1717 27 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3547 28 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=871 29 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=2468 30 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3294 31 http: / / www.youtube.com/ watch? v=Dh-URBXDgVA 32 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=2579 33 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=2567 34 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=3538 35 http: / / blog.hslu.ch/ outofhomedisplays/ ? p=2722 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! VERSATZ 190 MM/ 30 MM Maria Stopfner Streitkultur im Parlament Linguistische Analyse der Zwischenrufe im österreichischen Nationalrat Tübinger Beiträge zur Linguistik, Band 541 2013, 332 Seiten €[D] 78,00/ SFr 97,90 ISBN 978-3-8233-6791-8 Zwischenrufe aus dem Plenum gehören zum Standardrepertoire parlamentarischer Kommunikation. Nicht selten finden die schillerndsten Einwürfe auch den Weg in die Medien und zeichnen dort ein bisweilen zweifelhaftes Bild parlamentarischer Streitkultur. Doch woran entzünden sich die Wortwechsel im Parlament? Die Analyse der Zwischenrufe der österreichischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier weist auf einen groben Regiefehler im politischen Schaustück des Nationalrats hin: Denn inszeniert wird weniger sachliche parlamentarische Diskussion als vielmehr ein von gegenseitigem Misstrauen getragener Beziehungsstreit. Als ob die Sinne erweitert würden … Augmented Reality als neue semiotische Ressource in der multimodalen Kommunikation? Sascha Demarmels This paper asks about the status of Augmented Reality in the multimodal communication. In Augmented Reality applications images of the reality are augmented with virtual objects or archive pictures. For general audiences Augmented Reality is most likely shown on digital billboards out of home or on a computer at home or at work. Augmented Reality is not a medium but uses semiotic resources of other media, for example the resources of film. In fact, the meaning of certain Augmented Reality applications often lies not in the surface of what can be seen on a billboard but between the modes. It comes to mind only when realised that the shown version of reality does not actually fit the reality. 1 Einleitung Seit einigen Jahren befinden wir uns in der “multimodalen Wende” (vgl. z.B. Bucher 2010). Natürlich spielt der Medienwandel dabei eine Rolle, denn durch die neuen Medien der letzten paar Jahrzehnte wurde die Multimodalisierung in großem Ausmaß voran getrieben (vgl. ebd.: 41). Dabei dient der Text nach wie vor als Basismodus der durch weitere Modalitäten ergänzt werden kann, beispielsweise durch Bild, Grafik, Design, Ton, Musik oder gesprochene Sprache (ebd.). Die Multimodalität gehört schon seit längerem zu unserer kommunikativen Praxis: Wir verbinden unterschiedliche semiotische Ressourcen zu einem Ganzen. Die Digitalisierung ermöglicht solche Verbindungen auf einfache Weise und treibt damit die alltägliche Multimodalisierung an (ebd.: 43). Kress und van Leeuwen setzen sich zum Ziel, nicht der Technik, sondern der Semiotik dieser Multimodalität nachzugehen: “[…] the semiotic rather than the technical element, the question, of how this technical posslibility can be made to work semiotically” (Kress und van Leeuwen 2001: 2). Ein Phänomen, dass erst durch die Digitalisierung ermöglicht wurde, ist die Augmented Reality (AR). Dabei handelt es sich um eine Zusammenführung von Bildmaterialien auf unterschiedlichen Ebenen, beispielsweise die Kombination von verschiedenen Archivbildern oder die Verschmelzung von Archiv- und Live-Bildern in Filmmedien. Bei AR handelt es sich aber weder um eine Kommunikationsform noch um ein Medium. AR-Anwendungen können dazu genutzt werden, die Betrachtenden zu täuschen und ihnen im vermeintlichen Live-Bild etwas vorzugaukeln, was in der Realität nicht vorhanden ist. Beispielsweise kann sich ein Mechaniker einen Helm aufsetzen, der ihm neben dem Blick auf die Realität eine weitere Bildebene einblendet, auf der die Teile eines Motors genauer bezeichnet und An- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Sascha Demarmels 330 leitungen für das korrekte Zusammenschließen von Elementen gegeben werden. Oder auf einem Public Screen - einem großen Bildschirm in der Öffentlichkeit - wird ein Live-Bild des umliegenden Platzes ausgestrahlt, das mit virtuellen Objekten angereichert ist. Beispielsweise können Sprech- und Gedankenblasen zu einzelnen Personen eingeblendet werden. Dort erscheinen natürlich nicht reale Gedanken und Äußerungen, sondern eine weitere Person gibt völlig fiktionale Texte ein, wie beispielsweise in die Sprechblase eines etwas müde wirkenden Mannes “Buhh, ist mir langweilig.” oder in die Gedankenblase eines Kindes mit großen Augen “Mhmmm, ich hätte gerne die Zuckerwatte dieses Mädchens dort.” Im vorliegenden Aufsatz möchte ich zeigen, dass Augmented Reality mehr ist als die Darstellung der Welt oder einer möglichen Welt (einer Fiktion), das heißt, dass AR mehr ist als ein Film. Zwar materialisiert sich AR über die gängigen modes, die wir bereits von der Kommunikationsform Film kennen (allerdings meist ohne Ton). Aber: Sie löst darüber hinaus mehr aus in den Rezipierenden, sie zieht eine weitergehende Sinnkonstruktion nach sich. Teilweise ist diese sogar mit codes verbunden, die im Original gar nicht vorkommen (können). Zunächst werde ich auf die Definition und die Systematisierung von AR eingehen, danach werde ich mich der Terminologie der Multimodalität zuwenden und versuchen, diese auf die AR anzuwenden, bevor ich zur multimodalen Analyse einiger AR-Anwendungen übergehe. 2 Augmented Reality 2.1 Definition Bei Augmented Reality handelt es sich um Anwendungen, in denen verschiedene Ebenen von Realität kombiniert werden. Zum Teil wird AR auch in Verwandtschaft gesetzt mit Virtual Reality (Azuma 1997: 2). Der Unterschied besteht darin, dass bei AR-Anwendungen die Benutzerinnen und Benutzer die wirkliche Welt sehen und wahrnehmen können und diese lediglich durch weitere Elemente angereichert wird (ebd.). Milgram et al. (1994: 283) haben ein Modell entworfen, welches das Kontinuum zwischen Realität und Virtualität darstellt: Am einen Pol steht die reale Umgebung, am anderen die virtuelle. Dazwischen bewegen sich Augmented Reality (näher bei der realen Umgebung) und Augmented Virtuality (AV) (näher bei der virtuellen Umgebung) (ebd.). Die Unterscheidung läuft dabei beispielsweise über die physikalischen Gesetzte, welche für AR immer gelten müssen, für AV jedoch nicht unbedingt (ebd.: 284). Dieser Aufsatz befasst sich mit AR-Anwendungen, also mit Erweiterungen der Realität. Die Realität verändert sich dabei nicht, wohl aber ihre Wahrnehmung. Die größte Verbreitung haben visuelle AR-Formen im at-home-/ at-work-Bereich mit Computern oder out-of-home auf Public Screens. Dabei können entweder verschiedene Archiv-Bilder mit Live-Bildern kombiniert werden, oder es können auch virtuelle Objekte in eine reale Umgebung eingesetzt werden (Azuma et al. 2001: 34). Viele Augmented Reality- Anwendungen sind interaktiv und laufen in Echtzeit ab, das heißt, die Menschen können live mit den Anwendungen interagieren. Während heute AR für ein breites Publikum vor allem zu unterhaltenden und werberischen Zwecken eingesetzt werden, gibt es schon seit längerem auch praktische Anwendungen im Wartungsbereich (z.B. 3-D-Anzeigen von Geräten, vgl. Mehler et al. 2011: 17), in der Medizin (z.B. Darstellung von nicht-sichtbaren Organen bei einer Operation, vgl. ebd.: 18) oder in der Navigation (z.B. Navigationshinweise unter Berücksichtigung des aktuellen Verkehrs, vgl. ebd.: 19, vgl. auch Demarmels 2012). Als ob die Sinne erweitert würden … 331 2.2 Systematik Mehler et al. (2011: 23.; vgl. auch Demarmels 2012) bemängeln an den bisherigen Systematisierungsversuchen fehlende Disjunktivität mit gleichzeitigen Überschneidungen und liefern mit ihrem “Living”-Konzept einen neuen Raster zur Systematisierung von AR-Anwendungsszenarien. “Living” symbolisiert die Verschmelzung von Realität und Virtualität und spielt weiter auf die Interaktivität zwischen den Inhalten und den Benutzerinnen und Benutzern an (ebd.). Die Erweiterung der Realität vermittelt dabei das Gefühl, dass Gegenstände oder Medien “zum Leben erweckt werden” (ebd.: 24). Mehler et al. (ebd.) listen acht verschiedene Kategorien zur Einteilung von AR-Anwendungen auf. Beim “Living Mirror” wird über eine Kamera das Gesicht einer Person erkannt. Dadurch können dann Objekte aus einer anderen Realitätsebene (oder auch virtuelle Objekte) auf dem Gesicht beziehungsweise auf dem Kopf der Person platziert werden. Über einen Beamer oder einen Bildschirm wird das kombinierte Bild in Echtzeit zurückgegeben und vom Publikum als (erweitertes) Spiegelbild wahrgenommen (ebd.). “Living Print” setzt sich zusammen aus den Unterkategorien “Living Card”, “Living Brochure”, “Living Books”, “Living Objects” (z.B. Verpackungsmaterialien) und printbasierten “living Games” (ebd.). Hier erkennt eine Kamera, vorwiegend von einem Computer, ein Printprodukt und gibt eine erweiterte Ausgabe auf dem Bildschirm aus. Beispielsweise können mit einem Bild Zusatzinformationen oder Serviceangebote verknüpft sein (z.B. direktes Bestellen in einem Online-Handel) oder das Bild wird mit Archiv-Bildern verknüpft (ebd., Beispiele folgen im Abschnitt 5). Ähnlich funktioniert auch das “Living Poster”, außer, dass das Poster nicht vor eine Computer-Kamera gehalten, sondern mit einem speziellen Programm auf einem Smartphone fotografiert wird. Auch so können Benutzerinnen und Benutzer zu weiteren, exklusiven Informationen gelangen oder beispielsweise von besonderen Gutscheinen profitieren (ebd.). Noch vertieftere Interaktionen lassen sich mit “Living Architecture” (z.B. Erfahrung eines Raumes durch Kopfbewegungen) oder sogar “Living Games mobile” (erweiterte Spiele, z.B. über Smartphones) erzielen. Eher im geschäftlichen Alltag bewegen sich “Living Presentations” (Darstellung von Objekten oder Messeständen durch AR) und “Living Meeting” (z.B. Erweiterung von Telefon- und Videokonferenzen) (ebd.). Höhepunkt von AR-Anwendungen auf Public-Screens ist wohl das “Living Environment”: Die Erweiterung der realen Umgebung durch Text, Objekte und Videosequenzen in Echtzeit (ebd.: 25). Zum einen ist es für Menschen instinktiv interessant, sich selber zu sehen, zum anderen kommt es bei solchen Anwendungen zu gedanklichen Konflikten, weil die Realität nicht der selber wahrgenommen Umgebung entspricht. Oft spielen Living-Environment- Anwendungen denn auch genau mit diesem Konflikt in der Wahrnehmung. 3 Multimodalität Stöckl (2004: 6) zeigt auf, dass die verschiedenen Zeichensysteme heute typischerweise miteinander verschränkt vorkommen. Dieses Phänomen wird als Multimodalität bezeichnet. Textanalysen sollten darum immer multimodal angelegt sein, weil sich der Sinn des Ganzen nur erschließen lässt, wenn man alle Teilebenen in die Betrachtungen einschließt (ebd.: 18). Bucher (2010) spricht sich ebenfalls für die multimodale Kommunikationsanalyse aus. Diese soll zeigen, “wie sich Sinn und Bedeutung eines Kommunikationsbeitrags aus den unter- Sascha Demarmels 332 schiedlichen Modi ergibt.” (ebd.: 44). Dabei wirft der Sinn aus der multimodalen Kommunikation sowohl zeichenwie auch rezeptionstheoretische Fragen auf (ebd.: 45). Insgesamt wird die Terminologie der Multimodalität sehr uneinheitlich verwendet und es besteht keine Einigkeit über Definitionen und Abgrenzungen von Begriffen wie code, mode oder ‘semiotische Ressource’. Eine vollständige Klärung dieser Begriffe geht über das hinaus, was dieser Aufsatz leisten kann. Verwiesen sei aber auf drei Aufsätze, welche sich dem Problem der Terminologie gezielt widmen: Ernest W.B. Hess-Lüttich und Dagmar Schmauks (2004) listen in ihrem Aufsatz im HSK-Band zur Semiotik die wichtigsten Begriffe und Ansätze zur multimedialen Kommunikation auf. Carey Jewitt (2009) stellt ihrem Sammelband die Frage voran, was es denn eigentlich bedeutet, wenn wir Texte und Praktiken als multimodal bezeichnen (Jewitt 2009: 1). Die enthaltenden Aufsätze liefern danach nicht nur den Beweis für das stetig wachsende Interesse an multimodaler Analyse, sondern zeigen auch auf, dass sich das Forschungsfeld weiter entwickeln muss (ebd.: 4). Jan Georg Schneider und Hartmut Stöckl (2011) haben sich zum Ziel gesetzt, in ihrem Sammelband Theorie und Analysemethodik für multimodale Kommunikate Vorschub zu leisten und lassen verschiedene Autorinnen und Autoren ein und denselben Werbespot mit verschiedenen Ansatzpunkten untersuchen (Schneider und Stöckl 2011: 7). Vorab liefern sie in ihrem eigenen Aufsatz eine erste Auslegeordnung verschiedener Begriffe und Definitionen. 3.1 Medialität und code Schneider und Stöckl (2011: 22) setzen das Medium vom Zeichensystem ab und bestimmen den Begriff “Medium” nach Holly (1997: 69) als technisches Medium, das heißt, als konkretes materielles Hilfsmittel zur Herstellung und Übertragung von Zeichen. In der modernen Medientheorie, so die beiden Autoren weiter, ist das Medium nicht Transportmittel sondern Medien hinterlassen mediale Spuren (Schneider und Stöckl 2011, nach Krämer 1998). Technische Apparate (Medien) liefern die materielle Grundlage für die Herausbildung spezifischer Kommunikationsformen (Schneider und Stöckl 2011: 22). Dürscheid (2003, 2005, vgl. Schneider und Stöckl 2011: 23) differenziert den Medienbegriff weiter und spricht von “Medialität” bei gesprochener, geschriebener und gebärdeter Sprache, wobei es sich hierbei um Repräsentationsformen handelt. Auch Holly (1997) geht davon aus, dass die Sprache nicht ein Medium ist, sondern ein Zeichensystem, das medial operiert (Schneider und Stöckl 2011: 23). Andere Ansätze gehen davon aus, dass gesprochene, geschriebene und gebärdete Sprache Modalitäten der Sprache sind, wobei eine Modalität ein Wahrnehmungskanal ist (ebd.: 26). Dies steht in Abgrenzung zum Begriff code, welcher oft im Zusammenhang mit den technischen Möglichkeiten oder der Medialität verwendet wird. 3.2 Modalität und mode Während codes also oft den technischen Eigenschaften einer Kommunikationsform zugeschrieben werden, werden modes mehr mit den Wahrnehmungskanälen in Verbindung gebracht. Schneider und Stöckl (2011: 25) betonen aber, dass die Abgrenzung von mode und code schwierig ist. Mode wird als sozial geteilte, kulturell gegebene Ressource zur Sinnerzeugung gefasst (ebd.: 26, vgl. auch Kress 2009: 54). Die Arbeit mit diesen modes in einer Gemeinschaft führt zu bedingten Zeichenvorräten und einem praktischen Umgang mit diesen Zeichen im Zeichengebrauch (Kress 2009: 55). Mode kann so auch als Synthese verstanden Als ob die Sinne erweitert würden … 333 werden aus dem Zeichensystem (code, Konvention), dem Medium (Materialität, Technologie) und dem Zeichentyp (Wahrnehmungskanal) (Schneider und Stöckl 2011: 26). Multimodal ist ein Kommunikat, wenn es aus verschiedenen modes zusammengesetzt ist. Bucher (2010: 45) wirft als grundlegende Frage des Problems der Kompositionalität die spezifischen kommunikativen Leistungen auf, welche die einzelnen modes liefern können. Aus rezeptionstheoretischer Sicht ergibt sich daraus die Frage nach dem Prozess der Sinnerzeugung: Sie kann angebots- oder aber rezeptionsgesteuert verlaufen, also deduktiv oder induktiv. Dabei können für die Bedeutungszuweisung verschiedene Strategien und Prinzipien angewendet werden und unter Umständen können auch die Selektion und die Aufmerksamkeitsverteilung Einfluss auf das Rezeptionsergebnis nehmen (ebd.: 46). Im systemfunktionalen Ansatz von Halliday erfüllen alle sprachlichen Einheiten drei Grundfunktionen: Sie drücken Erfahrung aus und repräsentieren etwas, sie etablieren eine soziale Beziehung zwischen dem Kommunikator und den Adressatinnen und Adressaten und sie strukturieren den Kommunikationszusammenhang (Halliday 2004: 29ff., vgl. auch Bucher 2010: 47). In der multimodalen Diskurstheorie dagegen erfüllen alle Zeichen aus allen Kommunikationsmodi diese drei Grundfunktionen (vgl. z.B. Kress und van Leeuwen 1996: 40, vgl. auch Bucher 2010: 47). Aus einem stärker auf die Rezeption fokussierten Blickwinkel könnte man aber auch vom mode selber ausgehen: “Modes offer different potentials for making meaning; these have a fundamental effect on choices of mode in specific instances of communication.” (Kress 2009: 54). Bedeutung existiert dabei nur in materialisierter Form in einem mode oder einer multimodalen Ganzheit (ebd.: 64). 3.3 Semiotische Ressourcen Semiotische Ressourcen können Handlungen, Materialien und Artefakte umfassen, welche für einen kommunikativen Zweck verwendet werden (Jewitt 2009: 16, vgl. auch van Leeuwen 2005: 3f.). Das semiotische Potential ergibt sich dabei aus der Beschreibung von verschiedenen Bedeutungen und daraus, wie semiotische Ressourcen genutzt werden um ganz bestimmte kommunikative Zwecke zu erfüllen (ebd.). Schneider und Stöckl (2011: 26) gehen davon aus, dass Zeichenbenützerinnen und -benützer Ressourcen je nach kommunikativen Bedürfnissen herstellen und formen. 4 Augmented Reality zwischen code und mode AR-Anwendungen sind bereits in sich multimodal angelegt, sei es auf statischen Plakaten (vgl. z.B. Demarmels 2006, 2009) oder in bewegten (Live-)Bildern auf einem Screen at-home/ at-work oder out-of-home. Für Plakate sind die konstituierenden modes vor allem Schrift und Bild und natürlich das Design der einzelnen Elemente. Auf den Screens geht es vor allem um das bewegte Bild. Aus Kontextgründen fehlt in den meisten Fällen eine Ton- Ebene: Auf öffentlichen Screens (z.B. an Bahnhöfen oder auf Plätzen) ist einerseits keine Ton-Infrastruktur vorhanden, andererseits müsste der Ton laut sein, was mit dem übrigen Kontext (Anwohner, Verkehrslärm usw.) unverträglich wäre. Für at-home/ at-work-Anwendungen sowie bei Anwendungen auf kleineren Screens in Läden wäre Ton grundsätzlich denkbar. Sascha Demarmels 334 Für die mediale Ebene lässt sich feststellen, dass der Output von AR-Anwendungen aus nicht viel mehr besteht als aus dem Aufnehmen, Kombinieren und Abspielen von Bildmaterial. So gesehen handelt es sich nicht um ein neues Medium, obwohl auch festgehalten werden muss, dass sich AR-Anwendungen meist komplexer Computersysteme bedienen, damit dieses Bildmaterial auch effektvoll miteinander kombiniert werden kann. Speziell ist darum vielmehr die Zusammenführung von verschiedenen Bildern, entweder in Form von Archiv- Bildern, oder auch und insbesondere, wenn sich Archiv-Bilder mit einem Live-Bild überlagern. Das wirklich Neue ergibt sich aber eigentlich erst aus dem Sinn, wenn man diese Inhalte interpretiert: Etwas erscheint als Abbild der Realität, entspricht dieser aber eigentlich nicht. Der Realität wird etwas hinzugefügt. Handelt es sich dabei um “reale” Bilder (also nicht gezeichnete oder computergenerierte “künstliche” Objekte), wird diese Erweiterung nur dann ersichtlich, wenn man die Realität (also die Live-Situation) kennt und weiß, dass bestimmte Objekte dort nicht vorhanden sind. Obwohl AR-Anwendungen also an bestimmte Techniken gebunden sind und sich durch ihre mediale Gebundenheit nicht in völlig beliebigen codes ausdrücken können, besteht ein gewisser Spielraum in der multimodalen Gestaltung. Dieser Spielraum bewegt sich in der Kombination oder Überlagerung von Realitäten. Es handelt sich um Sinn, der gezielt zur Beeinflussung der Botschaft eingesetzt werden kann. Ich habe an einem anderen Ort (vgl. Demarmels 2010) bereits zu zeigen versucht, dass sich Multimodalität nicht auf physisch Wahrnehmbares beschränken muss, sondern dass Sinn auch durch Interpretation entsteht, die zwischen verschiedenen modes liegen kann. Es müsste sich hier um eine Art “gedankliche” Ebene handeln, die aktiviert wird durch visuelle und auditive Eindrücke in Verbindung mit Hintergrundwissen aber auch mit bestimmten kulturellen Schemata. Diese Gestaltungsmöglichkeit werde ich auch in den folgenden Beispielen herauszuarbeiten versuchen. Lässt man die Technik außer Acht und geht von den zugrundeliegenden Computersystemen als Blackbox aus, lässt sich nicht klar feststellen, ob es sich bei bestimmten Phänomenen um einen code oder einen mode handelt. Ich werde dieses Problem im Folgenden umgehen, indem ich von semiotischen Ressourcen sprechen werde, deren sich eine AR- Anwendung bedienen kann. 5 Augmented Reality als multimodale Kommunikation Bei den nachfolgenden Analysen von AR-Anwendungen wird Schicht um Schicht freigelegt. Die AR-Anwendungen bestehen, wie bereits festgestellt, aus verschiedenen Bild-Ebenen: Live-Bilder werden dabei mit Archiv-Bildern gemischt. Erlebt man die AR-Anwendungen nicht live, kommt eine weitere Ebene hinzu, in der die AR-Anwendung zur Veranschaulichung abgefilmt wird. Diese Schicht wird in den Analysen ignoriert: Es wird davon ausgegangen, dass die Anwendungen live beobachtet wird. 5.1 Living Poster: Als ob man die Rückseite eines Plakates betrachten würde Eine noch relativ unspektakuläre Form von Augmented Reality findet sich im statischen Living Poster: Ein Plakat enthält einen Bildmarker (in Form eines Bildes oder als QR-Code), der durch Abfotografieren mit einem bestimmten Programm auf dem Smartphone Zusatzinformationen ausgibt. Beispielsweise konnte man über eine Smartphone-Anwendung zu Als ob die Sinne erweitert würden … 335 einem Werbeposter von Armani einen Gutschein für das beworbene Produkt beim Promotionspartner herunterladen und direkt über das Smartphone an der Kasse einlösen. Das Programm lieferte auf Wunsche auch eine Liste der Verkaufslokale in der Nähe. 1 Die Betrachtung der semiotischen Ressourcen führt hier nicht über jene eines “normalen” Plakates hinaus: Das Plakat besteht aus Bild und geschriebenem Text. Für nicht eingeweihte Passantinnen und Passanten bleiben die Zusatzinformationen völlig im Dunkeln, das heißt, sie erwarten gar nicht, dass sich hier noch weitere Welten (z.B. in Form eines Gutscheins) auftun könnten. Von der Sinnkonstruktion her könnte man sagen: Es ist (metaphorisch gesprochen), als ob man einen Blick auf die Rückseite des Plakates werfen würde und dort besagte Zusatzinformationen finden würde. Die Zusatzinformationen (in diesem Fall der Gutschein) bedienen sich dabei den gleichen codes wie das Plakat selber, allerdings in einem anderen, digitalen Medium (dem Smartphone). Die semiotischen Ressourcen des Plakates werden aber nicht erweitert. Nicht einmal durch den Medienwechsel zum Smartphone. Theoretisch wäre hier immerhin denkbar, die codes zu verändern, beispielsweise den Gutschein in Form eines Filmes oder einer Gesangsdarbietung bereitzustellen. Dies ist im aufgeführten Beispiel aber nicht der Fall und wäre für einen Gutschein auch denkbar unpraktisch, da dieser an der Kasse wieder gezeigt und allenfalls gescannt werden muss. 5.2 Living Card: Als ob ein Foto zum Film wird Spannender wird es bei der folgenden Living-Card-Anwendung: Das Cover eines Magazins enthält einen Bildmarker. Das Bild wird in diesem Fall nicht mit dem Smartphone abfotografiert sondern vor die Webcam des eigenen Computers gehalten. Der Computer zeigt nun einerseits die abgefilmte Situation (d.h. Person, die Cover in die Kamera hält, entsprechender Hintergrund usw., sowie natürlich das Cover selber) und zusätzlich - als Erweiterung der Realität - einen Film, der passgenau über das Cover gelegt wird und das Bild in Bewegung bringt. Im konkreten Beispiel ist auf dem Cover ein Sportler auf einem Laufband zu sehen. In der AR-Anwendung beginnt dieser tatsächlich zu laufen und zwar wahlweise langsam, wenn das Cover so gehalten wird, dass es für den Mann aufwärts zu gehen scheint und schnell, wenn es abwärts geht. 2 Analysiert man nun die einzelnen Bild-Schichten, kommt man zu folgendem Ergebnis: Auf der ersten Schicht lässt sich das Cover eines Magazins ausmachen. Es besteht im Wesentlichen aus einer Fotografie, angereichert mit Schrift in Form des Zeitschriftentitels und im unteren Teil durch Inhaltsangaben. Das Farbfoto zeigt einen Mann in Sportbekleidung auf einem Laufband. Als das Foto geschossen wurde, war er offenbar in Bewegung, denn seine Haltung deutet eine Laufbewegung an. Dies kann aber in einer Fotografie nicht direkt abgebildet werden, da sie nur statisch ist. In einer zweiten Schicht erkennt man das Live-Bild der Webcam am Computer. Es beinhaltet die Frau, welche die Zeitschrift in die Kamera hält und die abgefilmte Zeitschrift sowie deren Bewegungen, währen die Frau die Zeitschrift zur einen und anderen Seite neigt. Die dritte Schicht beinhaltet ein Archiv-Bild, welches vom Computersystem über das Foto des Läufers gelegt wird. Hierbei handelt es sich nicht um eine Fotografie sondern um einen Film, der denselben Mann zeigt, der sich nun aber tatsächlich auf dem Laufband bewegt, das heißt: Seine Beine laufen, seine Arme schwingen dazu mit. Er ist aus genau der selben Perspektive aufgenommen wie in der Fotografie. Sascha Demarmels 336 Beim Blick auf das Bild im Computer verschmelzen die zweite und die dritte Schicht. Es ergibt sich eine Art optische Täuschung, bei welcher sich eine Fotografie auf einmal in Bewegung setzt und zu einem Film wird. Würde man nur dieses Bild betrachten und die Schichten außer Acht lassen, könnte man es mittels der semiotischen Ressourcen eines Filmes analysieren. Zieht man aber alle beschriebenen Schichten mit in die Analyse ein, muss auch dieser “optischen Täuschung”, der “Als-ob”-Ebene Beachtung geschenkt werden. Dass diese Ebene eine wesentliche Rolle spielt, zeigt folgende Überlegung: Man könnte statt der AR-Anwendung auch einfacher den Film des rennenden Sportlers in einer Datenbank ablegen und über Bildmarker abrufbar machen. Dies würde in etwa dem Beispiel aus 5.1 entsprechen: Man nimmt das Cover des Magazins, hält es in die Webcam und ein Programm auf dem Computer sucht nach dem hinterlegten Film. Der Computer spielt den Film ab und die Benutzerin oder der Benutzer sieht den laufenden Mann am Bildschirm. Das Ganze wäre vergleichsweise wenig spektakulär. Die Attraktivität der beschriebenen Anwendung ergibt sich daraus, dass sich einerseits ein Unterschied zwischen Realität und vermeintlichem Live- Bild ergibt, andererseits, dass die Benutzerinnen und Benutzer das Bild am Computer (inter)aktiv und live verändern können, nämlich indem sie den Sportler langsamer oder schneller werden lassen, wenn sie die Zeitschrift entsprechend so drehen, dass er aufwärts oder abwärts rennen muss. Für die Sinnkonstruktion ergibt sich das Problem, Realität und Erweiterung unter einen Hut zu bringen und zu Erkennen, was Realität und was Erweiterung ist. Im beschriebenen Fall dient die AR vor allem dazu, Aufmerksamkeit und Staunen zu wecken. Unter Umständen ist damit auch die Wahrnehmung des Images der Zeitschrift beeinflusst, indem dieses Image auf “technisch innovativ” getrimmt werden soll. 5.3 Living Environment: Als ob etwas in der Realität stattfinden würde In Living-Environment-Anwendungen wird nicht in erster Linie ein Gegenstand mit Zusatzfunktionen ausgestattet sondern die Welt, in der sich die Zusehenden bewegen, wird gleichsam verändert und erweitert. Dies wird aber nur klar, wenn sich die einzelnen Zuschauerinnen und Zuschauer über das (vermeintliche) Live-Bild orientieren und einen Abgleich mit der Realität um sich herum vornehmen. Ein erstes Beispiel, welches eine solche AR-Anwendung veranschaulicht, stammt aus einer Kampagne gegen Gewalt an Hilfspersonal in der Öffentlichkeit. Ausgangspunkt war die Tatsache, dass in den Niederlanden Sanitäter bei Einsätzen vermehrt angegriffen wurden und dass Passantinnen und Passanten ihnen nicht zu Hilfe kamen. Die Überlegung war nun, einerseits auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, andererseits den Menschen aber auch Tipps an die Hand zu geben, wie sie sich in solchen Situationen verhalten könnten. Da es sich bei einer solchen Kampagne um ein Low-Interest-Thema mit einer nur geringen Ich-Beteiligung handelt (vgl. z.B. Kreutzer 2010: 20), bestand die erste Herausforderung darin, überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen. Dies gelang mit einer Living-Environment-Anwendung auf einem Public-Screen in Amsterdam und Rotterdam. 3 Die Menschen auf einem belebten Platz wurden abgefilmt und das Bild in Echtzeit auf dem Public Screen gezeigt. Dies allein weckte bereits Aufmerksamkeit: Man sieht sich selber auf dem Screen und viele Menschen reagieren darauf, indem sie auf den Screen zeigen, winken oder zumindest ein überraschtes Gesicht machen. Die Aufmerksamkeit in diesem Falle wurde durch eine Erweiterung der Realität noch gesteigert und der Fokus auf die besagte Kampagne, beziehungsweise auf das Kampagnenziel gelenkt: Während die Menschen Als ob die Sinne erweitert würden … 337 sich selber und einsowie abfahrende Straßenbahnen sehen konnten - sich also gewiss waren, dass es sich bei den gezeigten Bildern um live-Aufnahmen handelte - sahen sie in der linken unteren Bildecke einen Krankenwagen einfahren. Die Sanitäter stiegen aus und wurden angepöbelt, ein Mann stieg in den Krankenwagen und warf Sachen auf die Straße. Das verblüffende: Diese Krankenwagen-Szene war nur auf dem Screen sichtbar, in der Realität waren die Sanitäter nicht vorhanden. Abgerundet wurde die Anwendung mit konkreten Tipps, wie man sich in solchen Situationen verhalten soll. Die Menschen, welche die Szene beobachteten, waren einerseits verblüfft, vergewisserten sich, dass kein Krankenwagen am Straßenrand stand, wussten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten und waren völlig in Bann gezogen. Andererseits waren sie in diesem Fall wirklich zum Zusehen verdammt: Sie konnten nicht eingreifen, weil die Situation sich nicht da, an ihrem Ort, in ihrer Realität, abspielte. Analysiert man diese AR-Anwendung wieder nach Schichten, wird es nun um einiges komplexer: Als erste Schicht bietet sich das Archiv-Material an: In einem Studio wurde die Krankenwagen-Szene gedreht. Es handelt sich dabei um klassisches Filmmaterial mit bewegten Farbbildern, aber ohne Ton. Gearbeitet wurde mit der Blue-Screen-Technik, wobei im Moment der Aufnahme die Gesamtkomposition des Bildes auf dem Public Screen bereits bekannt war. Hinzu kommt die Schicht des Live-Bildes, auch hier mit bewegtem Farbfilm ohne Ton, ergänzt mit geschriebener Sprache (die Tipps). Im Gegensatz zu einem Archiv-Film entsteht mit dem Live-Bild ein kleiner Spiegeleffekt: Man sieht sich selber und kann den Inhalt des Bildes insofern beeinflussen, als dass sich Bewegungen der eigenen Person direkt auf dem Screen niederschlagen. Das Bild wird damit leicht interaktiv. Bei der Sinnkonstruktion wird damit der Effekt der “optischen Täuschung” verstärkt: Weil man nicht erwartet (auch im Gegensatz zur Webcam am eigenen Computer, die man hauptsächlich zu diesem Zweck benutzt), sich selber auf einem Public Screen in der Öffentlichkeit zu sehen, ist man überrascht und deutet das Bild vielleicht anders oder intensiver. Es erhält unter Umständen eine höhere Authentizität oder einen größeren Wahrheitswert: Ich kann mich davon überzeugen, dass es sich nicht um ein Archivbild handelt, indem ich mich entsprechend bewege und die Bewegungen auf dem Bild überprüfe. Auch hier werden verschiedene Bildschichten übereinander gelegt und auch hier kommt es zur optischen Täuschung, weil die Betrachtenden von einem Live-Bild ausgehen und technisch unsichtbar dieses Live-Bild mit einem Archivbild passgenau überlagert wird. Für diese Kampagne kann der Sinnkonstruktion ein inhaltlicher Zusatznutzen abgewonnen werden: Ziel der Kampagne war wie gesagt, dass die Leute künftig nicht mehr nur gaffen, wenn Sanitäter in der Öffentlichkeit angegriffen werden, sondern dass sie eingreifen. Genau das können sie in der AR- Anwendung nicht, weil die Szene des Übergriffs in der Realität nicht vorhanden ist. Die Leute werden dadurch genau in die Situation versetzt, in die sie sich eindenken sollen. In einem anderen Beispiel passiert genau das Gegenteil: Für eine Werbeaktion wurde eine AR-Anwendung so eingerichtet, dass die Leute vor einem Public Screen im Live-Bild sahen, wie ein Engel neben ihnen landete. 4 Auch beim Engel handelte es sich um ein Archiv-Bild. Hier versuchten die Leute aber mit dem Engel in Beziehung zu treten, das heißt, sie positionierten sich entsprechend, wandten sich dem Geschöpf zu und machten Gesten. Dabei mussten sie ihre Bewegungen ständig auf dem Screen überprüfen, denn in der Realität konnten sie den Engel ja nicht sehen. Sascha Demarmels 338 5.4 Living Environment intensified: Als ob man selber erschossen würde Eine weitere Steigerung in der Interaktion (und damit wahrscheinlich auch in der Sinnkonstruktion) bringt das folgende Beispiel: Während im Engel-Beispiel die Interaktionen auf freiwilliger Basis statt fanden, das heißt, die Leute sich aus freiem Willen und bei vollem Bewusstsein dafür entschieden, sich dem Engel zuzuwenden, beschreibt das nächste Beispiel eine AR-Anwendung, welche zunächst nicht bewusst als solche aufgenommen wurde und mit den Gefühlen der Nutzerinnen und Nutzer spielte. Auch bei dieser Kampagne vom WWF Russland ging es in erster Linie um das Generieren von Aufmerksamkeit für ein Thema, das im Alltag der Zielgruppe spontan wenig Platz hat (wie bereits bei der Kampagne der Niederlande): Der Sibirische Tiger steht vor seiner Ausrottung durch Wilderer. Die Idee, die der Kampagne zu Grunde liegt: Wenn sich die Menschen einmal so fühlen, wie ein Tiger, der unvermittelt von einem Wilderer angeschossen wird, dann kann man sie auf das Thema sensibilisieren. 5 WWF Russia hat dazu T-Shirts mit speziellen Bildmarkern verkauft. In Kleiderläden wurden außerdem die Spiegel so manipuliert, dass darauf eine AR-Anwendung laufen konnte. Zum einen wurden die Spiegel abgefilmt und automatisch nach den entsprechenden Bildmarkern auf den T-Shirts gesucht, zum anderen wurde auf die Spiegeloberfläche ein Archivbild in Form von Blutspritzern projiziert. Stellte sich jemand mit dem T-Shirt vor den Spiegel, breitete sich auf seinem Spiegelbild Blut aus wie von einer Schusswunde. Zusätzlich ergab sich der Anschein, dass auch Blut auf den Spiegel selber zurück spritzte. Die AR-Anwendung bestand hier einerseits aus einem Live-Spiegelbild, andererseits aus einem bewegten, farbigen Archivbild. Die semiotischen Ressourcen entsprachen damit ungefähr jenen, der bisher beschriebenen Anwendungen. Auch die Sinnkonstruktion verlief ähnlich wie bei den anderen Beispielen. Jedoch ergab sich ein weiterer Effekt: Wenn die Menschen im Spiegel sahen, wie sie selber erschossen wurden, übertrug sich die Reaktion auf sie selber. Sie zuckten zusammen und wichen zurück. Von außen betrachtet sieht es ähnlich aus, wie wenn jemand in einem Film erschossen wird. Vom Einschlag der Kugel zucken die Menschen zurück. Durch die altbekannten codes wurde damit ein tatsächliches, physisches Gefühl simuliert. Dies wird dadurch um so deutlicher, dass die Menschen im ersten Augenblick nicht zu realisieren schienen, dass sie nicht wirklich angeschossen worden waren: Sie blickten zwar ungläubig aber auch entsetzt in ihr Spiegelbild und erst nach einem kurzen Schreck an sich hinunter, wo sie erkennen mussten, dass das Blut nur auf dem Spiegel zu sehen ist und sie selber makellos dastehen. Der gedankliche Konflikt ist dabei also nicht nur darauf beschränkt, dass die Realität etwas anderes zeigt als das vermeintliche Live-Bild, sondern zielt vor allem darauf ab, dass man die AR-Anwendung erst gar nicht entdeckt und das AR-Bild für die Realität hält. Es wurde bereits erwähnt, dass ein Spiegelbild besondere Beachtung erhält und hier Täuschungen wahrscheinlich besonders effizient eingesetzt werden können, mehr als dies wohl bei Live-Bildern auf Public Screens der Fall ist. Dadurch könnte man in Betracht ziehen, dass so erzeugte Gefühle auch als semiotische Ressource gedeutet werden können. Kroeber-Riel teilt die Kommunikation in verschiedene Wirklichkeitsebenen ein: Die Objektebene, welche visuell ist, die Darstellungsebene, welche aus Bildern und Sprache besteht und die psychische Ebene, welche ein inneres Bild oder eine sprachliche Vorstellung liefert (Kroeber-Riel 1996: 37). “Die Beeinflussungskraft von Bildern beruht vor allem darauf, dass Bilder wie Wirklichkeit wahrgenommen werden. Die Sprache ist dagegen ein verschlüsseltes und ‘wirklichkeitsfernes’ Zeichensystem” (ebd.: 36). Das passt sehr gut zu Als ob die Sinne erweitert würden … 339 den Überlegungen über Augmented Reality, denn auch sie beeinflusst vor allem über den Effekt, dass sie als Wirklichkeit wahrgenommen wird. Dies kann in einem verspielten Setting sein (z.B. Engel) oder eben aber auch in einem unerwarteten wie der WWF-Kampagne. Kroeber-Riel kommt weiter zum Schluss, dass in der Werbung haptische Bilder selten sind. Sie kommen beispielsweise vor, wenn seltene oder auffällige Materialoberflächen gezeigt werden (ebd.: 47). Er stellt aber auch die Forderung nach einer “systematische[n] multisensuale[n] Gestaltung” (Kroeber-Riel und Esch 2011: 166) auf: Dadurch könne das Erleben insbesondere von Marken vertieft und verstärkt werden (ebd.). Die WWF-Kampagne löst diesen Anspruch nach einer verstärkten Wahrnehmung sicherlich ein. Mehler et al. (2011: 70) bezeichnen die Kombination aus haptischen und digitalen Elementen als “Hap.dig”. Eine solche Verschmelzung diene der Steigerung der Kommunikationswirkung. Die WWF-Kampagne scheint dafür ein anschauliches Beispiel zu sein: Neben den visuell wahrnehmbaren codes kam die Haptik ins Spiel, wobei die Leute dazu nichts anfassen mussten, sondern durch den visuellen Stimulus eine körperliche Reaktion ausgelöst wurde, die auch in ähnlicher Form ausgelöst worden wäre bei entsprechender tatsächlicher haptischer Stimulanz (vgl. dazu auch Demarmels 2012). Da die wenigsten Menschen schon einmal angeschossen worden sind, wissen sie wohl auch nicht, wie sich eine Schusswunde anfühlt. Zumindest zeigten die Personen bei der AR-Anwendung aber die körperlichen Reaktionen, die sich aus diesen Gefühlen erwartbar ergeben. Da die Reaktionen sehr spontan waren, ist allerdings nicht davon auszugehen, dass sich die Menschen überlegt haben, was eine erwartbare körperliche Reaktion wäre. Während Nothhelfer (2002: 4) davon ausgeht, dass nicht die Informationen einer gesamten Landschaft in eine virtuelle Ebene geschoben werden können, umgeht diese Anwendung mit dem manipulierten Spiegel das Problem, indem sie stattdessen die Virtualität in die Realität holt. Dies scheint einfacher als gedacht, zumal virtuelle Elemente offensichtlich physische Gefühle auslösen können. 6 Fazit: Augmented Reality als semiotische Ressource? Kann nach diesen Betrachtungen Augmented Reality als semiotische Ressource definiert werden? Ich möchte dazu noch kein abschließendes Urteil fällen. Ich glaube, dass ich mit der Analyse von verschiedenen AR-Anwendungen die Beschaffenheit etwas deutlicher herausarbeiten konnte. Es bleiben aber auch viele Fragen offen. Zunächst zu den drei Funktionen von Halliday: Erfahrung und Repräsentation, soziale Beziehung und Strukturierung des Kommunikationszusammenhangs. Für die beschriebenen AR-Anwendungen lässt sich festhalten, dass sie im Punkt Erfahrung und Repräsentation über die gängigen Werte hinausgehen. Sie spielen mit der Erfahrung und zeigen den Nutzerinnen und Nutzern eine Erweiterung, die im Alltag sonst genau nicht erfahrbar ist. Dies ist aber nur dann erkennbar, wenn die AR einerseits als Anwendung erkannt und wenn andererseits die Realität überprüft werden kann. Geschieht dies aus irgendwelchen Gründen nicht, werden Rezipierende die AR einfach als normalen Film deuten. Direkt an Erfahrung und Repräsentation lässt sich auch die Strukturierung des Kommunikationszusammenhangs anschließen: Auch hier ist der springende Punkt wieder, dass der Kommunikationszusammenhang außerordentlich und damit nicht vorstrukturiert ist. Jedoch ergibt sich diese Außerordentlichkeit aus dem Umstand, dass gängige Strukturen (nämlich die Sascha Demarmels 340 Realität) mit fiktionalen Elementen überblendet wird und ohne die Kenntnis des “normalen” Kommunikationszusammenhangs ließe sich darum auch nicht auf das Außerordentliche schließen. Die soziale Beziehung zwischen Kommunikator und Adressatinnen und Adressaten ist relativ komplex: Der Kommunikator ist meist nicht auf den ersten Blick erkennbar, auf den zweiten Blick handelt es sich um eine bestimmte Marke, die für Produkte wirbt. Das heißt, es handelt sich nicht um eine Person sondern um ein Unternehmen. Es stellt sich darum die Frage - und sie stellt sich natürlich nicht nur für AR-Anwendungen - ob hier überhaupt noch von einem “sozialen” Kontakt gesprochen werden kann. Weiter scheinen sich die Menschen aber auch nach einem Kontakt zur einer künstlichen Intelligenz zu sehnen. Immer wieder versuchen sie darum, mit Computersystemen zu interagieren. Dies bietet sich teilweise auch bei AR-Anwendungen an. Sozialer Kontakt oder nicht: Das Spiel mit den Täuschungen scheint im Endeffekt etwas sehr Menschliches und Soziales zu sein. Man versucht, jemand anderen hinters Licht zu führen und dies zu unterhaltenden Zwecken, teilweise verbunden mit einem angestrebten Lerneffekt. Ich würde darum AR zumindest eine Interaktion zwischen Sender und Empfänger in irgendeiner Form zusprechen. Wie sieht es aus mit der spezifischen Leistung von AR-Anwendungen? Sie bedienen sich selber verschiedener semiotischer Ressourcen. Die Leistung liegt darum nicht in der bloßen Darstellung eines visuellen oder auditiven, beziehungsweise multimodalen Textes sondern die spezifische Leistung liegt zwischen den Ebenen, vielleicht sogar zwischen den modes. Erst wenn die Repräsentation mit der Realität abgeglichen wird, erscheint, was eigentlich Sinn vermittelt: Die Diskrepanz zwischen der Realität und ihrer Erweiterung. Dazu ist es nötig, dass die Rezipierenden die Realität kennen und diese Unterschiede überhaupt feststellen können. Erst dann können sie auch mit der Deutung beginnen. Die Diskrepanz schafft es auch, bestimmte kommunikative Bedürfnisse zu stillen, nämlich hauptsächlich, Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei werden aber auch Gefühle ausgelöst. Auch hierbei handelt es sich um ein kommunikatives Bedürfnis, wie die Kampagnen zur Gewalt gegen öffentliches Personal und zum Sibirischen Tiger gezeigt haben. Hier sind wir auch schon beim Sinn angelangt: Was heißt Sinn und was gehört zum Sinn des Ganzen? Gehört dazu auch, dass bestimmte, unmittelbare Gefühle ausgelöst werden? Beispielsweise das Gefühl der Hilflosigkeit oder das Gefühl, angeschossen worden zu sein? Auch ein schlichtes, analoges Werbebild von einem feinen Essen löst möglicherweise Gefühle aus, beispielsweise das Gefühl von Hunger. Handelt es sich aber hierbei um die gleiche Art und Intensität von Gefühl? Oder sind die Gefühle bei AR-Anwendungen unter Umständen unmittelbarer, authentischer, körperlicher (haptischer)? Können solche haptischen Erfahrungen als Sinn angesehen werden? Oder generieren sie Sinn durch die kognitive Verarbeitung der Gefühle, die einem bei der Rezeption widerfahren? Kress (2009: 64) geht davon aus, dass Bedeutung nur in modes oder in multimodalen Konglomeraten existiert. Was zieht diese Überlegung nach sich, wenn man davon ausgeht, dass auch Gefühle einerseits und Sinn zwischen den Zeilen andererseits wesentliches zur Bedeutung einer Botschaft beitragen? Kress und van Leeuwen (2001: 21f.) haben außerdem bestimmt, dass ein mode nicht an ein Medium geknüpft ist und immer in mehr als einem Medium realisiert werden kann. Dies trifft interessanterweise auch auf AR-Anwendungen zu. So gibt es eine Smartphone-Applikation zum Film Inception (Christopher Nolan 2010), welche den auditiven Raum erweitert: Augmented Sound. 6 Im Film geht es um Traumwelten. Diese werden von der Realität beeinflusst, das heißt, was in der Realität vorkommt, dringt auch irgendwie in die Traumwelt Als ob die Sinne erweitert würden … 341 ein und wird dort ins Geschehen adaptiert. Man könnte sagen, die Traumwelt wird erweitert. Die App enthält nun verschiedene Traumwelten mit einer Grundmusik, welche je nach Situation erweitert wird durch Geräusche, Musik oder Bewegung in der realen Welt. Interaktiv können die Benutzerinnen und Benutzer also Geräusche hinzufügen oder Rhythmen und die Musik beeinflussen. Die Technik wird uns ins nächster Zeit sicherlich noch mit einigen neuen Täuschungen im Bereich der Augmented Reality überraschen. Es bleibt die Frage, ob sich AR jemals so etablieren wird, dass wir uns gar nicht mehr täuschen und überraschen lassen und ob sie diesen Umstand dann doch weiter überleben wird oder ob sie wieder verschwindet, wenn sie nicht mehr aufrütteln kann. Literatur Azuma, Ronald 1997: “A Survey of Augmented Reality”, in: Presence: Teleoperators and Virtual Environments 6.4 (1997): 355-385 Azuma, Ronald et al. 2001: “Recent Advanced in Augmented Reality”, in: IEEE Computer Graphics and Applications, November/ December (2001): 34-47 Bucher, Hans-Jürgen 2010: “Multimodalität - eine Universalie des Medienwandels: Problemstellungen und Theorien der Multimodalitätsforschung”, in: Hans-Jürgen Bucher, Thomas Gloning & Katrin Lehnen (eds.): Neue Medien - neue Formate. Ausdifferenzierung und Konvergenz in der Medienkommunikation, Frankfurt/ New York: Campus: 41-79 Demarmels, Sascha 2006: “Code- und Medienwandel. Eine exemplarische Betrachtung am Beispiel von politischen Plakaten”, in: Ernest W.B. Hess-Lüttich (ed.) 2006: Media systems - their evolution and innovation, Tübingen: Gunter Narr (= Kodikas/ Code. Ars Semiotica. An International Journal of Semiotics 29.4): 397-410 Demarmels, Sascha 2009: Ja. Nein. Schweiz. Schweizer Abstimmungsplakate im 20. Jahrhundert, Konstanz: UVK [Universitätsverlag Konstanz] Demarmels, Sascha 2010: “FanVids auf YouTube - Metamorphosen als kulturelles Praktik”, in: Hartmut Stöckl (ed.) 2010: Mediale Transkodierungen. Metamorphosen zwischen Sprache, Bild und Ton, Heidelberg: Winter: 253-266 Demarmels, Sascha 2012: “Als ob die Sinne erweitert würden … Augmented Reality als Emotionalisierungsstrategie”, in: Image 16: 29-40 Dürscheid, Christa 2003: “Medienkommunikation im Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Theoretische und empirische Probleme”, in: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 38 (2003): 37-56 Dürscheid, Christa 2005: “Medien, Kommunikationsformen, kommunikative Gattungen”, in: Linguistik online 22.1 (2005): 3-16 Halliday, Michael A.K. 3 2004: An Introduction to Functional Grammar, London: Arnold Hess-Lüttich, Ernest W.B. & Dagmar Schmauks 2004: “Multimediale Kommunikation”, in: Roland Posner et al. (eds.) 2004: Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur (= HSK 13.4), Berlin/ New York: de Gruyter, 3487-3503 Holly, Werner 1997: “Zur Rolle von Sprache in Medien”, in: Muttersprache 107.1 (1997): 64-75 Jewitt, Carey 2009: “An introduction to multimodality”, in: Jewitt (ed.) 2009: 14-27 Jewitt, Carey (ed.) 2009: The Routledge Handbook of Multimodal Analysis, New York: Routledge Krämer, Sybille 1998: “Das Medium als Spur und als Apparat”, in: id. (ed.): Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien; Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 73-94 Kress, Gunther 2009: “What is mode? ”, in: Jewitt (ed.) 2009: 54-67 Kress, Gunther & Theo van Leeuwen 1996: Reading Images. The Grammar of Visual Design, London: Routledge Kress, Gunther & Theo van Leeuwen 2001: Multimodal Discourse. The Modes and Media of Contemporary Communication, London: Arnold Kreutzer, Ralf T. 3 2010: Praxisorientiertes Marketing. Grundlagen - Instrumente - Fallbeispiele, Wiesbaden: Gabler Kroeber-Riel, Werner 1996: Bildkommunikation. Imagerystrategien für Werbung, München: Vahlen Kroeber-Riel, Werner & Franz-Rudolf Esch 7 2011: Strategie und Technik der Werbung. Verhaltens- und neurowissenschaftliche Erkenntnisse, Stuttgart: Kohlhammer Sascha Demarmels 342 Mehler, Anett, Michael Reiss & Lothar Steiger 2011: Augmented Reality. Theorie und Praxis, München: Oldenbourg Milgram Paul et al. 1994: “Augmented Reality: A class of displays on the reality-virtuality continuum”, in: Hari Das (ed.) 1994: Telemanipulator and Teleprecence Technologies (= SPIE Proceedings 2351), 282-292 Nothhelfer, Ursula 2002: “Landscape Architecture in the Reality-Virtuality”, in: Erich Buhmann, Ursula Nothhelfer & Matthias Pietsch (eds.) 2002: Trends in GIS and Virtualization in Environmental Planning and Design, Offenbach: Wichmann, 1-5 Schneider, Jan Georg & Hartmut Stöckl 2011: “Medientheorie und Multimodalität. Zur Einführung”, in: Schneider & Stöckl (eds.) 2011: 10-44 Schneider, Jan Georg & Hartmut Stöckl (eds.) 2011: Medientheorien und Multimodalität. Ein TV-Werbespot - Sieben methodische Beschreibungsansätze, Köln: Halem Stöckl, Hartmut 2004: Die Sprache im Bild - Das Bild in der Sprache. Zur Verknüpfung von Sprache und Bild im massenmedialen Text, Berlin/ New York: de Gruyter van Leeuwen, Theo 2005: Introducing Social Semiotics, New York: Routledge Anmerkungen 1 Das Beispiel kann unter folgendem Link als Video angeschaut werden: http: / / www.vanija.ch/ web-mobile/ apgposterplus/ [27.12.2011] 2 Das Beispiel kann unter folgendem Link als Video angeschaut werden: http: / / www.vanija.ch/ web-mobile/ webmit-ar/ [27.11.2011] 3 Das Beispiel kann unter folgendem Link als Video angeschaut werden: http: / / www.youtube.com/ watch? v= mg1SYmS9olM [27.11.2011] 4 Das Beispiel kann unter folgendem Link als Video angeschaut werden: http: / / www.youtube.com/ watch? v= rFuUFeQIdpk [27.11.2011] 5 Das Beispiel kann unter folgendem Link als Video angeschaut werden: http: / / www.youtube.com/ watch? v= 0ZO4mkTbaj0 [27.11.2011] 6 http: / / inceptiontheapp.com/ [27.12.2011] Die Als-ob-Struktur von Emotikons im WWW und in anderen Medien Yixin Wu und Christian Trautsch The article discusses the as-if structure of emotions on internet and other medias. It shows that both the form (syntax) and the meaning of emotions (semantics and pragmatics) are depended on the occurrence of real facial expressions in the natural and social context. On the indexical and symbolic level, however, an unlimited number of mentefacts (as in comics and on television) are represented. For this understanding of the iconic emotions, the focus is based on the results of research on facial expression. Indexical emotions are closely related to human gestures. Thus, symbolic emotions can be also explained by a reference to verbal signs, pictorial symbols, and symbolic colours. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Als-ob-Struktur von Emotikons im World Wide Web und in anderen Medien. Emotikons stellen ein wichtiges Element bei der Internetkommunikation dar. Ihre zunehmende Verwendung ist insbesondere aus dem Bedürfnis heraus entstanden, einen unmittelbaren Eindruck des emotionalen Zustands vom Gegenüber zu haben. Dieser fehlt bei der Schriftkommunikation im Internet (z.B. Instant Messaging Systeme, Diskussions- und Chatforen, E-Mails), was durch Emotikons kompensiert wird. Eine umfassende semiotische Klassifizierung von Emotikons und eine zeichentheoretisch fundierte Erklärung von deren Als-ob-Struktur wurde bisher noch nicht erarbeitet, auch wenn Versuche in Ansätzen vorhanden sind: • Gemäß dem Stand der Emotikon-Entwicklung beschränkt sich David Sanderson in seinem “Lexikon der Emotikons” aus dem Jahr 1997 auf Emotikons, die aus dem Zeichensatz der Computertastatur zusammengestellt und idealerweise mit einem 90° nach links geneigten Kopf gelesen werden. 1 • Søren Kjørup stellt sie in einem 2004 veröffentlichten Aufsatz als Unterart der Piktogramme dar und spricht ihnen - in Anlehnung an Goodman - zugleich den Bildcharakter ab. Unberücksichtigt bleiben Emotikons, die auch die Goodman’schen Kriterien für Bildhaftigkeit (kontinuierliche Korrelation, relative Fülle etc.) erfüllen würden: z.B. die der Mangakultur entsprungenen komplexen Emotikons. 2 • Jürgen Spitzmüller (Universität Zürich) spricht ihr eine eindeutige semiotische Klassifizierung gänzlich ab (2005), auch wenn sich ikonische und symbolische Relationen im Ansatz erkennen ließen. 3 Im Folgenden soll ein Beitrag zur semiotischen Klassifizierung und zur Erklärung der Als-ob- Struktur von Emotikons unternommen werden. Die Wortfolge Als-ob-Struktur wird in K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Yixin Wu und Christian Trautsch 344 Anlehnung an die Als-ob-Philosophie von Hans Vaihinger als Mechanismen zur Erzeugung von zweckmäßigen Einbildungen und Fiktionen verstanden, 4 was im Konkreten u.a. mit folgenden Fragen verbunden ist: • Wie kommt die Bedeutung in Emotikons? 5 • Wie ist es möglich, dass mir Emotikons den emotionalen Zustand meines Gegenübers suggerieren können? • Sind Emotikon-Elemente von natürlichen Gegenständen oder Sachverhalten abgeleitet oder gänzlich künstlich erzeugt? und viele Fragen mehr. Für den vorliegenden Aufsatz nicht zweckdienlich wäre die umfassende Klärung der Frage, ob es sich bei Emotikons um Bilder handelt. Nur so viel sei bemerkt: Den in der Tradition von Goodman und Scholz vertretenen Ansprüchen an die Bildhaftigkeit genügen Emotikons mit ihrer historisch zunehmenden Komplexität. Auch Kriterien für das Bildsein von Goodman- Gegnern dürften Emotikons genügen: so etwa denen des Bildgeeignet-Seins bei Claus Schlaberg. 6 1 Wichtige Bemerkungen vorweg 1.1 Zum Begriff ‘Emotikon’ Der Begriff Emotikon wurde zum Ende des 20. Jahrhunderts hin aus dem englischen und gleichbedeutenden emoticon übernommen, das wiederum eine Kontamination der Wörter emotion (‘Emotion’) und icon (‘grafisches Sinnbild’) ist. Kombiniert man die Wortbedeutungen, so kommt man der Grundfunktion von Emotikons sehr nahe: Sie besteht in der kommunikativen Darstellung eines emotionalen Zustandes mittels visueller Zeichen. Im Verlauf unseres Beitrags wird gezeigt, dass es sich nicht bei jedem Emotikontyp - wie das zweite Kompositionsglied suggeriert - um vorwiegend ikonische oder überhaupt ikonische Zeichen handeln muss. 1.2 Zur Repräsentation von Zeichentypen durch Emotikons Emotikons sind in der Lage, Zeichentypen auf analoge Weise wie reale Gesichtsausdrücke zu repräsentieren. Ähnlich wie mimische Ausdrücke können sie die Rolle des Signals, des Anzeichens, des Ausdrucks und der Geste im weiten Sinne einnehmen. 7 • Zum Signal: Signale sind Zeichen, die bei einem reagierenden System a eine Reaktion T(a, r) auslösen, was mit der Formel E(f) T(a, r) dargestellt wird. Ein Ereignis f (z.B. Donner) - das Signal (Zeichen) - führt zu einem unbewussten Reaktionsprogramm r (z.B. Wegrennen) durch a (z.B. Kaninchen). Gesichtsausdrücke können Signale sein, insofern sie zu einer Gefühlsansteckung im Sinne 8 der Psycholog/ inn/ en Hatfield u.a. führen, wobei es im Schritt 1 zu einer unbewussten Imitation von Gesichtsausdrücken (z.B. Lächeln) und im Schritt 2 zu einer Stimmungsveränderung gemäß der ursprünglichen Mimik (z.B. Freude) kommt. Erste dem vorliegenden Beitrag zugrundliegende Ergebnisse bestätigen die Möglichkeit der Gefühlsansteckung durch Emotikons. Die Als-ob-Struktur von Emotikons in WWW udn in anderen Medien 345 Abb. 1: Zeichenmodell von Roland Posner (1992) • Anzeichen: Führt ein Ereignis f (Zeichen) bei einem reagierenden System a dazu, dass eine bestimmte Proposition p geglaubt wird, spricht man - ganz gleich, ob sie der Fall ist - von einem Anzeichen (vgl. Posner 1996: 1660ff). Dies wird mit der Formel E(f) G(a, p) dargestellt. So kann ein plötzliches grollendes Geräusch f auf einer Skipiste für einen Skifahrer a Anzeichen für die Annahme p sein, dass die Gefahr einer Lawine bevorsteht (vgl. Posner 1996: 1660). Gesichtsausdrücke und Emotikons können gleichermaßen Anzeichen für den jeweiligen gemeinten emotionalen Zustand sein: z.B. ; -) für ‘glücklich’ und : -( für ‘unglücklich’. Im Regelfall dürften sie aber als Ausdrücke zu deuten sein. • Zum Ausdruck: Beim Ausdruck schließt ein reagierendes System a von einem Zeichen f auf die Existenz eines anderen Systems b, das sich im Zustand Z befindet: E(f) G(a, Z(b)). Auch hier genügt die bloße Annahme von b und Z(b). Weder Z(b) noch b selbst müssen tatsächlich gegeben sein (vgl. Posner 1996: 1661ff). Als gutes Beispiel für einen Ausdruck kann die durch eine Person a vorgenommene Deutung G von nach unten gezogenen Mundwinkeln und einer nach oben gezogenen Augenbraueninnenseite im Gesichtsausdruck f einer Person b als Zeichen für Traurigkeit Z gelten. Dies gilt sowohl für die reale Mimik als auch für komplexere Emotikons. 9 • Zur Geste: Schließt ein reagierendes System a von einem Ereignis f auf ein mögliches Verhalten T eines anderen Systems b bzw. führt ein Ereignis f dazu, dass a annimmt, dass b intendiert, g zu tun (T(b, g)), so liegt eine Geste vor: G(a, I(b, T(b, g))). Der eben beschriebene Ausdruck für Unglücklichkeit könnte - sowohl bei Gesichtsausdrücken als auch bei Emotikons - als Geste für einen bevorstehenden Selbstmord gelten. 1.3 Zur Kommunikation mit Emotikons Emotikons stellen ein wichtiges Mittel der Kommunikation im Internet und in anderen Medien (z.B. SMS) dar. Nach dem hier vertretenen Zeichenmodell liegt Kommunikation genau dann vor, wenn an einer Semiose die Zeichenbestandteile Sender (z.B. Schulleiter), Adressat (Empfänger des Senders: z.B. Schüler), Zeichen im engen Sinne (z.B. ein strafendes Gespräch), Botschaft (z.B. ‘Du hast mehrfach gegen die Schulordnung verstoßen’), Medium (in diesem Fall: Schallwellen) und Kontext (in diesem Fall: Schule) beteiligt sind. Yixin Wu und Christian Trautsch 346 Eine Besonderheit der Kommunikation mit Emotikons besteht in der Art und Weise, wie emotionale Zustände repräsentiert werden. Wie die Mimikforschung zeigt, lassen sich Emotionen in realen Kommunikationsformen (face-to-face-Gespräch) nur schwer verbergen oder vortäuschen. Sie treten weitgehend unwillkürlich auf und werden vom Gegenüber i.d.R. korrekt gedeutet. Dagegen müssen die Gesichtsausdrücke und sonstigen Darstellungen von Emotikons keine unmittelbare Folge eines emotionalen Zustands sein, da sie bewusst ausgewählt werden. Des Weiteren sind Emotikons immer hyperbolisch. Eine Übertreibung visueller Zeichenmerkmale kann bei allen Emotikons - selbst bei den einfachen - festgestellt werden. Bezüglich der kommunikativen Funktion könnten Emotikons - angelehnt an die Gestenklassifikation von Ekman (1980) 10 - folgendermaßen klassifiziert werden: • Sprachtextbegleitende Emotikons: Sie treten entweder texträumlich nebeneinander oder textzeitlich nacheinander auf: Betonende Emotikons: Sie heben einzelne Wörter hervor. Z.B. “Heute habe ich einen süßen Hund gesehen ! ” Unterstreichende Emotikons: Sie heben den ganzen Satz hervor. Z.B. “Das war wieder einmal ein richtig mieser Tag! “ - Bei beiden besteht die Hauptfunktion in dem Wunsch der Vermeidung von Missverständnissen. Antithetische Emotikons: Es besteht ein konträrer oder kontradiktorischer Gegensatz zwischen dem Sprachtext und dem verwendeten Emotikon. - Antithetische Emotikons dienen besonders als Ironiesignale. Benutzer von Emotikons neigen dazu, im Zweifelsfall dem Bild zu glauben. Z.B.: “Heut’ geht’s mir mal wieder super ! ! ! “ • Sprachtextersetzende Emotikons: Es werden lediglich Emotikons texträumlich nebeneinander oder textzeitlich nacheinander verwendet. Hierbei können sich diverse Bedeutungen, Bedeutungskombinationen und kommunikative Absichten ergeben. So spielt z.B. die Zeichenfolge “ ” auf anstrengende körperliche Aktivitäten an. 2 Klassifikation der Objektrelation von Emotikons Der im Folgenden vorgestellte Versuch einer Klassifizierung der Objektrelation von Emotikons stellt eine an Peirce angelehnte, aber nicht devot eingehaltene Zuordnung zu den Klassen Ikon, Index und Symbol dar. Nach Peirce weist das Ikon “mit seinem wirklichen oder fiktiven Objekt eine Ähnlichkeit auf[…]”. Ein Index ist dagegen “ein Zeichen, das nicht in einer abbildenden, sondern in einer realen Verbindung mit seinem Objekt steht”, etwa “als Hinweis oder Anzeige” und das Symbol unabhängig von der “Ähnlichkeit oder [der] physische[n] Verbindung mit seinem Objekt” 11 . Der in diesem Beitrag vertretene Ansatz sieht in der Objektrelation von Emotikons den durch die Zeichen (Emotikons) bewirkten Zugang zu einer möglichen intendierten Emotion: • Die ikonische Relation besteht in einem direkten, kulturunabhängigen und natürlichen; • die indexikalische in einem indirekten, weitgehend kulturabhängigen und natürlichen und Die Als-ob-Struktur von Emotikons in WWW udn in anderen Medien 347 Abb. 2: Gesichtsausdruck für Traurigkeit • die symbolische in einem indirekten, kulturabhängigen und künstlichen Zugang zu einer möglichen intendierten Emotion. Objektrelation Ikonisch Indexikalisch Symbolisch Zugang zur Emotion direkt indirekt indirekt Kulturelle Bedingtheit kulturunabhängig weitgehend kulturabhängig kulturabhängig Entstehungsweise natürlich natürlich künstlich Tabelle zur Klassifikation der Emotikons 2.1 Emotikon-Ikons Ein direkter, kulturunabhängiger und natürlicher Zugang zu einer Emotion wird durch Emotikons, die Gesichter beinhalten (Smileys), ermöglicht. Er lässt sich auf die - wenigstens prototypische 12 - Ähnlichkeit mit realen Gesichtern sowie auf die natürliche Emotionserkennung zurückführen. In der Mimikforschung stellen die Einschätzungen von Emotionsexpressionen und die bei der Darstellung von Basisemotionen beteiligten Muskelbewegungen einen gut erforschten Bereich dar. Besonders hervorzuheben sind das von Paul Ekman und Wallace Friesen (1978) entwickelt Kodierungsverfahren Facial Action Coding System und ihre Studien mit Ureinwohnern im australischen Papua-Neuguinea, durch die - neben vielen anderen Studien, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden kann - die Kulturunabhängigkeit und Natürlichkeit der Hervorbringung und Deutung des mimischen Ausdrucks der sechs Basisemotionen nachgewiesen werden konnte: 13 • Traurigkeit: nach unten gezogene Mundwinkel: Musculus depressor anguli oris (dt.: Mundwinkelniederzieher) gesenkte Oberlieder: musculus orbicularis oculi, pars palpebralis (dt.: Augenlider) in der Innenseite nach oben gezogene Augenbrauen: musculus corrugator supercilii (dt.: Runzler der Augenbraue) Heben der Nasenwurzel: musculus nasalis (dt: Nasenmuskel) Yixin Wu und Christian Trautsch 348 Abb. 3: Gesichtsausdruck für Ärger/ Wut/ Zorn Abb. 4: Gesichtsausdruck für Überraschung • Ärger/ Wut/ Zorn: stechender Blick durch Heben und Straffen der Augenlider: musculus orbicularis oculi, pars palpebralis (dt.: Teil der Augenlider) nach unten und zusammengezogene Augenbrauen: musculus depressor supercilii (dt.: Herunterzieher der Augenbraue) zusammen mit dem Muskel am Nasenrücken musculus procerus (dt.: erweiterter Muskel) Zusammenpressen der Lippen oder - bei extremen Formen von Wut - Zeigen der Zähne: musculus orbicularis oris (dt.: Mundringmuskel) • Überraschung: Aufreißen der Augen: musculus orbicularis oculi, pars palpebralis (dt.: Teil der Augenlider) gehobene Augenbrauen: musculus frontalis (dt.: Frontalmuskel) gehobene Augenwinkel: musculus orbicularis oculi (dt.: Augenringmuskel) nach unten fallender Kiefer: musculus depressor labii inferioris (dt.: Niederzieher der Unterlippe) und musculus depressor anguli oris (dt.: Mundwinkelniederzieher) Die Als-ob-Struktur von Emotikons in WWW udn in anderen Medien 349 Abb. 5: Gesichtsausdruck für Angst Abb. 6: Gesichtsausdruck für Ekel • Angst: nach unten fallender Kiefer und horizontal verzerrte Lippen: musculus depressor labii inferioris (dt.: Niederzieher der Unterlippe), musculus depressor anguli oris (dt.: Mundwinkelniederzieher) und musculus orbicularis oris (dt.: Mundringmuskel) starr geradeausgerichteter Blick und 1-2 Sekunden lang geweitete Pupillen in Verbindung mit einem weiten Aufreißen der Augen: musculus orbicularis oculi, pars palpebralis (dt.: Teil der Augenlider) hochgezogene zur Mitte hin gerunzelte Augenbrauen: musculus frontalis (dt.: Frontalmuskel) • Ekel: hochgezogene Oberlippe: musculus levator labii superioris (dt.: Oberlippenheber) Nasenrümpfen: bes. musculus nasalis (dt.: Nasenmuskel) angehobene Wangen: musculus zygomaticus maior (dt. höherer Jochbein-Muskel, oder: Wangenheber) Senken der Augenbrauen: musculus depressor supercilii (dt.: Augenbrauensenker) vorgeschobene Unterlippe: musculus orbicularis oris (dt.: Mundringmuskel) Yixin Wu und Christian Trautsch 350 Abb. 7: Gesichtsausdruck für Freude • Freude: hochgezogene Mundwinkel: musculus risorius (dt.: zum Lachen dienender Muskel) Lachfalten durch an die an der Außenseite zusammengezogenen Augenringmuskel (musculus orbicularis oculi) angehobene Wangen: musculus zygomaticus maior (dt.: Wangenheber) leicht gesenkte Augenbrauen: musculus depressor supercilii (dt.: Augenbrauensenker) Basisemotionen werden von Smileys (Teilmenge der Emotikons) in allen Komplexitätsstufen repräsentiert. Die traditionellen aus den USA stammenden Tastaturzeichen-Emotikons beschränken sich auf wesentliche Züge des mimischen Ausdrucks. So dominieren bei den Zeichen für ‘Freude’ die Markierung der hochgezogenen Mundwinkel durch schließende Klammern - z.B.: : ), ; -), =), : ], : > - oder Anspielungen auf die Kontraktion des Augenringmuskelbereichs - z.B. durch Akzente oder X’e wie in ^^ und x). ‘Trauer’/ ’Unglücklichkeit’ wird hingegen durch öffnende Klammern dargestellt: z.B.: : -(, : (, =(, : [, : <. Zur Kennzeichnung von ‘Überraschung’ werden - analog zum geöffneten Mund - große und kleine O’s sowie Nullen verwendet: : -0, : o, =O, : 0, O, .O, : o. Die ebenfalls den USA entsprungenen grafischeren Gelbgesicht-Smileys können zusätzlich komplexe Muskelbewegungen wie die in der Innenseite nach oben gezogenen Augenbrauen bei Traurigkeit - z.B. - und die nach unten und zusammengezogenen Augenbrauen bei Wut/ Ärger/ Zorn - z.B. - darstellen, d.h. nicht nur - wie die Tastatur-Emotikons - andeuten. Keine Grenzen gesetzt sind den dem ostasiatischen Raum entsprungenen hochgrafischen und weitgehend animierten Emotikons (Animotikons). Hierzu zählen u.a. folgende Typen: • eine komplexere und animierte Variante der Gelbgesicht-Smileys aus China, die sich - neben der umfangreichen Darstellung von Gesichtsmuskelstellungen - durch die Hinzufügung von (1.) emotionsverstärkenden Details wie Wasserfälle aus Tränen für ‘Traurigkeit’ - z.B.: - oder ein geöffneter Mund mit Zunge und Rachenbereich für ‘extreme Wut’ und von (2.) personendifferenzierenden Merkmalen wie etwa breite Augenbrauen auszeichnet: z.B.: . • Die taiwanischen WanWan-Emotikons zeigen einen Büroarbeiter vor seinem Computer, der über ein vergleichbares Ausdrucksrepertoire wie die eben beschriebenen Gelbgesichter verfügt: Traurigkeit z.B.: ; und Wut z.B.: ), oder ‘Ekel’: durch das Rümpfen seiner Nase ausgedrückt (z.B. ). Die Als-ob-Struktur von Emotikons in WWW udn in anderen Medien 351 Neben den im weitesten Sinne menschlichen Emotikons werden die oben beschriebenen Gesichtsausdrücke auch bei Tieren, anderen Wesen und Gegenständen (z.B. Nahrung) verwendet: • So stellen z.B. die chinesischen Panste-Comic-Emotikons einen Außerirdischen mit über den Kopf gezogener Strumpfhose dar, der über eine der menschlichen Emotionsexpression entlehnte Mimik verfügt: z.B. hängende Augen und nach unten gezogene Mundwinkel für ‘Traurigkeit’ (z.B.: ) oder ein starr geradeaus gerichteter Blick in Verbindung mit einem weiten Aufreißen der Augen für ‘Angst’ (z.B.: ) • Bei den BaoZi-Emotikons handelt es sich um Bildpersonifikationen (Sonderform der Bildmetapher), die durch die Kombination von BaoZi-Knödeln - rundförmige Klöße aus China - und menschlichen Gesichtern mit Extrememotionen zustande kommen: z.B. angehobene rote Wangen und nach oben gezogene Mundwinkel bei geöffnetem Mund mit Lachstellung für ‘große Freunde’ - z.B.: - oder hängende Augen in Verbindung mit einem Fluss aus Tränen für ‘große Traurigkeit’-z.B.: . • Als prägnantes Beispiel für aus den USA stammende in unserem Sinne ikonische Emotikons können die Smileys zu den Kung-Fu-Panda-Filmen gelten: so etwa Ausdrücke für ‘Freude’ - z.B.: -, für ‘Wut’ - z.B.: - oder für ‘Traurigkeit’ - z.B.: . 2.2 Emotikon-Indexe Ein indirekter, weitgehend kulturabhängiger, aber natürlicher Zugang zu einer Emotion wird durch folgende Zeichenmerkmale bei Emotikons erreicht: • bildsynekdochische Teilmengen der Kinesik ohne Basisemotionen-Mimik: z.B.: synekdochische Gesten, die auf emotional aufgeladene Situationen oder auf bestehende Emotionen hinweisen synekdochisches Blickverhalten (bzw. Augenverhalten) • sonstige Gegenstände und Beschaffenheiten, die synekdochisch für emotionale Zustände oder Befindlichkeiten (z.B. Krankheit) stehen Bei der Bildsynekdoche 14 handelt es sich um einen rhetorischen Bildtropus (Prinzip: Substitution), wo die ausgetauschten (entspricht dem verbum proprium) und die austauschenden visuellen Zeichen/ -merkmale (entspricht dem verbum translatum) in einer der Teilmengen- Gesamtmengen-Beziehung entsprechenden Relation zueinander stehen. Emotikon-Indexe lassen sich auf die Teilaspekt-Gesamtaspekt-Beziehung reduzieren. Ihre Indirektheit ist darauf zurückführen, dass von einer rhetorischen und nicht von einer im weitesten Sinne buchstäblichen Darstellungsweise Gebrauch gemacht wird. Auf eine weitgehende Kulturabhängigkeit kann wegen der Verwendung von gestischen Kodes geschlossen werden. Im Gegensatz zum mimischen Ausdruck von Basisemotionen ist Gestik vorwiegend kulturell kodiert. Da die Gesten, Gegenstände und Beschaffenheiten dennoch - bis auf Ausnahmen wie Berufsgesten (z.B. auf der Baustelle) - ohne künstliches Zutun des Menschen auftreten, sind sie dennoch natürlich. Yixin Wu und Christian Trautsch 352 Indexikalisch sind Emotikons besonders dann, wenn sie bewusst nicht über mimische, sondern nur über gestische Ausdrücke, die synekdochisch auf Emotionen verweisen, verfügen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die chinesischen Tusiki-Emotikons, die ein Kaninchen mit einem variationslosen Gesicht, in dem lediglich zwei schmale Linien die Augen andeuten, zeigen: • So stehen z.B. und für ‘Freude’. 15 • Dagegen stehen folgende Zeichen - in Kombination mit synekdochischen Beschaffenheiten - (hier Verletzung und Schaden in der Wand) eher für ‘Traurigkeit’: und . Daneben können auch mimische Emotikons additiv über auf Emotionen verweisende Gesten verfügen. Hier ein paar Beispiele: • eine Kombination des mimischen Ausdrucks von ‘Freude’ mit dem Vor-Freude-Springen bei den chinesischen nonopanda-Emotikons: oder . • eine Kombination des mimischen Ausdrucks von ‘Traurigkeit’ mit einer Abwehrgeste - z.B.: - und von einer Ärger/ Wut/ Zorn-Mimik mit einer nach vorne geneigten, aggressiven Gestik - z.B.: - bei den WanWan-Emotikons Als Beispiel für ein synekdochisches Blickverhalten möchte ich folgendes BaoZi-Emotikon anführen, bei dem das Drehen der Augen als Teilaspekt von Verwirrung gelten kann: . Sonstige synekdochische Gegenstände und Beschaffenheiten können - neben vielen anderen Möglichkeiten - die hyperbolische Darstellung eines grünen Gesichts und Erbrechen als Teilaspekte für ‘Übelkeit’ (Übertreibung von Gesichtsblässe) - z.B. - oder Schweißtropfen als Folge von Nervosität sein: z.B. (in diesem Fall von Scham ausgelöste Nervosität). 2.3 Emotikon-Symbole Indirekte, kulturabhängige und künstliche Verweise auf Emotionen können bei Emotikons durch die Verwendung von sprachlichen Zeichen, Bildsymbolen oder Symbolfarben erreicht werden. • So werden bei den WanWan-Emotikons ikonische Zeichen (Mimik) und Gesten-Indexe mit chinesischen Sprachzeichen kombiniert: z.B. das Wort Schock mit einem Angst- Gesicht und einer Angst-Gestik: , das Wort genervt mit mimischen und gestischen Zeichen für ‘Wut’: und das Wort depressiv mit Mimik und Gestik für Traurigkeit: . • Emotikon-Bildsymbole lassen sich auf die Mangakultur zurückführen. So kreuzförmige Linien auf einem Gesicht bei Emotikons des ostasiatischen Raums für ‘Arger/ Wut/ Zorn’: z.B.: , , oder mindestens drei sich stufenförmig verlängernde vertikale Parallellinien für ‘Peinlichkeit’ und ‘Sprachlosigkeit’: z.B.: , , . Die Als-ob-Struktur von Emotikons in WWW udn in anderen Medien 353 Abb. 8: Taiwanische Show Kang Xi Lai Le In Ostasien ist es zudem üblich, die gleichen Bildsymbole auch in Fernsehshows neben den Gesichtern von Teilnehmern einzublenden (Es versteht sich von selbst, dass diese nicht live ausgestrahlt werden! ): so etwa bei der taiwanischen Show Kang Xi Lai Le: • Gute Beispiele für Farbsymbolik bei Emotikons sind u.a. rosarote Farbtöne als Zeichen für ‘Warmherzigkeit’ oder graue Farben als Zeichen für ‘Tristheit’bei den WanWan-Smileys: und . Schlussbemerkung Unser Beitrag setzte sich mit der Als-ob-Struktur von Emotikons im World Wide Web und in anderen Medien auseinander. Es wurde gezeigt, dass sowohl deren Formseite (Syntax) als auch Bedeutungsebene (Semantik und Pragmatik) von dem Auftreten realer Gesichtsausdrücke im natürlichen und sozialen Kontext abgeleitet sind. Auch wurde herausgearbeitet, dass auf der indexikalischen und symbolischen Ebene unbegrenzt viele Mentefakte (z.B. Comic- und Fernsehkultur) repräsentiert werden können. Dies geschah im Einzelnen durch • eine Explikation der Repräsentation von Zeichentypen durch Emotikons, • die Klassifikation ihrer kommunikativen Funktion sowie • durch eine Unterscheidung der Objektrelationen von Emotikons, wobei in umfassender Weise auf vielfältige und interkulturelle Beispiele von Emotikons eingegangen wurde. Literatur Barthes, Roland 1964: “Rhétorique de l’image”, in Communications 4 (1964): 40-51; Deutsch v. Konrad Komm: “Rhetorik des Bildes”, in: Schiwy 1969: 158-166 Centre d’Études des Communications de Masse u.a. (eds.) 1964: Communications No 4. Recherches sémiologiques, Paris: Seuil (= Communications 4/ 1964) Dascal, Marcelo, Dietfried Gerhardus, Kuno Lorenz & Georg Meggle (eds.) 1996: Sprachphilosophie: Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, Berlin/ New York: de Gruyter Ekman, Paul 1980: “Three classes of nonverbal behavior”, in: von Raffler-Engel 1980: 89-102 Ekman, Paul 2003: Emotions Revealed. Understanding Faces and Feelings, London: Weidenfeld & Nicolson. Deutsch v. Susanne Kuhlmann-Krieg & Matthias Reiss: Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren, 2. Aufl., Heidelberg: Spektrum 2010 Ekman, Paul, Wallace V. Friesen & Joseph C. Hager 2002: Facial Action Coding System. The Manual, CD-Rom, Salt Lake City: Network Information Research Corporation Yixin Wu und Christian Trautsch 354 Ekman, Paul, Wallace V. Friesen und Phoebe Ellswortha 1972: Emotion in the Human Face. Deutsch v. Beate Minsel & Alfred Stabel: Gesichtssprache. Wege zur Objektivierung menschlicher Emotionen, Wien/ Köln/ Graz: Böhlau 1988 Hatfield, Elaine, John T. Cacioppo & Richard L. Rapson 1994: Emotional Contagion, Cambridge: Cambridge University Press, 48 Jorna, René J., Barend van Heusden & Roland Posner (eds.) 1993: Signs, Search, and Communication […], Berlin/ New York: de Gruyter Kjørup, Søren 2004: “Pictograms”, in: Posner, Robering & Sebeok 2004: 3504-3510 Kleiber, Georges 1998: Prototypensemantik. Eine Einführung, Tübingen: Narr Landsch, Marlene, Heiko Karnowski & Ivan Bystrina (eds.) 1992: Kultur-Evolution: Fallstudien und Synthese, Frankfurt/ Main: Peter Lang Oehler, Klaus 1979: “Idee und Grundriß der Peirceschen Semiotik”, in: Posner & Krampen (eds.) 1979: 9-22 Posner, Roland 1992: “Was ist Kultur? Zur semiotischen Explikation kulturwissenschaftlicher Grundbegriffe”, in: Landsch, Karnowski & Bystrina (eds.) 1992: 2-12 Posner, Roland 1993: “Believing, Causing, Intending: The Basis for a Hierarchy of Sign Concepts in the Reconstruction of Communication”, in: Jorna, van Heusden & Posner (eds.) 1993: 215-270 Posner, Roland 1996: “Sprachphilosophie und Semiotik”, in: Dascal, Gerhardus, Lorenz & Meggle (eds.) 1996: 1658-1685 Posner, Roland & Joachim R. Höflich (eds.) 1997: Technisch vermittelte Kommunikation (= Zeitschrift für Semiotik 19.3), Tübingen: Stauffenburg Posner, Roland & Martin Krampen (eds.) 1979: Semiotische Klassiker des 20. Jahrhunderts (= Zeitschrift für Semiotik 1.1), Wiesbaden: Athenaion Posner, Roland, Klaus Robering & Thomas A. Sebeok (eds.) 2004: Semiotik: Ein Handbuch zu den Zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, vol. 4, Berlin/ New York: de Gruyter Sanderson, David 1997: “Lexikon der Emotikons”, in Posner & Höflich (eds.) 1997: 307-316 Schiwy, Günther 1969: Der französische Strukturalismus, Hamburg: Rowohlt Schlaberg, Claus 2010: “Bilder als Zeichen oder Denotieren Bilder? ”, in: Kodikas/ Code. An International Journal of Semiotics 33.1-2 (2010): 102-116 Spitzmüller, Jürgen 2005: Einführung in die germanistische Sprachwissenschaft http: / / www.ds.uzh.ch/ lehrstuhlduerscheid/ docs/ spitzm/ ws2005-06/ 1_loesungen-semiotik-1.pdf [03.10.2011]. Vaihinger, Hans 1911: Die Philosophie des als ob: System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant, Berlin: Reuther & Reichard von Raffler-Engel, Walburga (ed.) 1980: Aspects of Nonverbal Communication, Lisse: Swets and Zeitlinger Waldeyer, Anton 2003: Anatomie des Menschen, Berlin/ New York: de Gruyter Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Nach Posner 1992: 7. Abbildungen 2-7: Nils Reichardt 2007: Mimik und Gestik bei virtuellen Charakteren, im Internet: https: / / www-vs.informatik.uni-ulm.de/ teach/ ss07/ 3d/ ausarbeitung/ Nils%20Reichardt%20- %20Mimik%20und%20Gestik.pdf [01.08.2011]: 6-8 Abbildung 8: Ausschnitt aus Kang Xi Lai Le, im Internet: http: / / www.maplestage.com/ content/ %E5%BA%B7%E7%86%99%E6%9D%A5%E4%BA%86 [03.08.2011] Websites der zitierten Emotikons BaoZi-Knödel: http: / / dzh.mop.com [01.09.2011] WanWan-Emotikons: http: / / ent.msn.com.tw/ plus/ msn/ wanwan.htm [01.09.2011] Komplexe Gelbgesicht-Smileys: http: / / www.dolc.de/ forum.php [15.09.2011] Kung Fu Panda Smileys: http: / / www.kungfupanda.com [03.06.2008] nonopanda-Emotikons: http: / / nonopanda000.blog.163.com/ blog/ static/ 13218831620111010113419119 [14.01.2011] Panste-Pix-Emotikons: http: / / heiheirage.blog.163.com/ blog/ static/ 4329785200931752150757 [12.01.2011] Tusiki-Emotikons: http: / / www.clubtuzki.com/ zh-hans/ emoticon [05.05.2009] Die Als-ob-Struktur von Emotikons in WWW udn in anderen Medien 355 Anmerkungen 1 Vgl. David Sanderson 1997: “Lexikon der Emotikons”, in: Roland Posner u.a. (eds.) 1997: Technisch vermittelte Kommunikation (= Zeitschrift für Semiotik 19.3), Tübingen: Stauffenburg, 307-315. 2 Vgl. Søren Kjørup 2004: “Pictograms”, in: Posner u.a. (eds.) 2004: Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, Berlin New York: de Gruyter (HfS 4): 3504. 3 Vgl. http: / / www.ds.uzh.ch/ lehrstuhlduerscheid/ docs/ spitzm/ ws2005-06/ 1_loesungen-semiotik-1.pdf. Abgerufen am 03.10.2011. 4 Hans Vaihinger 1911: Die Philosophie des als ob: System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant, Berlin: Reuther & Reichard. 5 Vgl. die berühmte Frage “Comment le sens vient-il à l’image? ” in: Roland Barthes 1964: “Rhétorique de l’image”, in: Communications 4 (1964): 40. Deutsch v. Konrad Komm: “Rhetorik des Bildes”, in: Schiwy 1969: 159. 6 Claus Schlaberg 2010: “Bilder als Zeichen oder Denotieren Bilder? ”, in: Kodikas/ Code. Ars Semeiotica. An International Journal of Semiotics 33.1-2 (2010): 107. 7 Vgl. Roland Posner 1993: “Believing, Causing, Intending: The Basis for a Hierarchy of Sign Concepts in the Reconstruction of Communication”, in: René J. Jorna, Barend van Heusden und Roland Posner (eds.): Signs, Search, and Communication […], Berlin / New York: de Gruyter, 215-270; vgl. Roland Posner 1996: “Sprachphilosophie und Semiotik”, in: Marcelo Dascal u.a. (eds.) 1996: Sprachphilosophie: Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, Berlin / New York: de Gruyter, 1658-1685. 8 Vgl. Elaine Hatfield, John T. Cacioppo & Richard L. Rapson 1994: Emotional Contagion, Cambridge: Cambridge University Press, 48. 9 Doch mehr zur Mimikforschung im nächsten Abschnitt. 10 Vgl. Paul Ekman 1980: “Three classes of nonverbal behavior”, in: Walburga von Raffler-Engel (ed.), Aspects of Nonverbal Communication, Lisse: Swets and Zeitlinger, 98. 11 Vgl. Klaus Oehler 1979: “Idee und Grundriß der Peirceschen Semiotik”, in: Roland Posner & Martin Krampen (eds.) 1979: Semiotische Klassiker des 20. Jahrhunderts (= Zeitschrift für Semiotik 1.1), Wiesbaden: Athenaion, 14. 12 Vgl. Georges Kleiber 1998: Prototypensemantik. Eine Einführung, Tübingen: Narr. 13 Vgl. u.a. Paul Ekman, Wallace V. Friesen & Phoebe Ellswortha 1972: Emotion in the Human Face; Deutsch v. Beate Minsel & Alfred Stabel: Gesichtssprache. Wege zur Objektivierung menschlicher Emotionen, Wien/ Köln/ Graz: Böhlau 1988; Paul Ekman 2003: Emotions Revealed. Understanding Faces and Feelings, London: Weidenfeld & Nicolson; Deutsch v. Susanne Kuhlmann-Krieg & Matthias Reiss: Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren, 2. Auflage, Heidelberg: Spektrum 2010; Anton Waldeyer 2003: Anatomie des Menschen, Berlin: de Gruyter: 225-230; Paul Ekman, Wallace V. Friesen & Joseph C. Hager 2002: Facial Action Coding System. The Manual, CD-Rom, Salt Lake City: Network Information Research Corporation. 14 Das Wort Synekdoche leitet sich vom altgriechischen Verb “ ” [synekdéhesthai] ab, das die Bedeutung ‘mit einem weiteren Argument verstärken’ trägt. 15 Bei der Beschreibung der Emotionen wurde häufiger auf onomatopoetische Ausdrücke wie la la la zurückgegriffen. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! VERSATZ 190 MM/ 30 MM Tilman Schröder Marketingstrategien auf Unternehmenswebsites im internationalen Vergleich Eine hypertextlinguistische und kulturkontrastive Analyse kommerzieller Websites aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien und den USA Tübinger Beiträge zur Linguistik, Band 540 2013, XIV, 397 Seiten €[D] 74,00/ SFr 82,00 ISBN 978-3-8233-6788-8 Untersuchungen zu Websites sind in der kontrastiven Textologie und Fachsprachenforschung bisher nur vereinzelt anzutreffen. Die vorliegende Studie untersucht ein Korpus von 40 Unternehmenswebsites aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien und den USA in makro- und mikrostruktureller Hinsicht sowie anhand multimodaler Parameter. Sie zeigt auf, wie sich ein heterogenes Website- Korpus mit Werkzeugen der kontrastiven Textologie sinnvoll segmentieren, analysieren und vergleichen lässt. Dabei zeichnet die Arbeit einerseits ein detailliertes Profil der zugrunde liegenden Hypertextsorte, andererseits liefert sie eine umfassende und empirisch fundierte linguistische Beschreibung der Marketingstrategien im Kulturvergleich. How artefacts get meanings: Material culture and imagination* Martin Siefkes Broadly defined, every result of a human action is an artefact. In a narrower sense, the term is used for material things resulting from human actions; in this sense, all artefacts together form the realm of material culture. Although meanings play an important role in our daily interaction with artefacts, they have never been treated in a comprehensive and systematic fashion. In design theory, cultural semiotics, anthropology, and archaeology, different approaches to the semantics of artefacts have been taken. The article draws on these findings to build a generalized approach to artefact semantics that concentrates on the processes in which artefacts are connected with meanings (cf. section 0). In section 0, seven principles of semantization are proposed: semantization through (1) frame connection, (2) style, (3) iconicity, (4) individual experiences, (5) cultural allusions, (6) connection to social groups, (7) specific contexts. These principles explain semantization as causal process depending on certain conditions. In section 0, a notation system for representing processes of semantization is proposed that combines logical and semiotic notation. For each of the seven principles of semantization, the proposed notation and one example are given. 1 Artefacts - more than just man-made things Whether at home, at work or in many leisure situations: as inhabitants of the modern world, we are surrounded by a great number of different artefacts most of our lives. Every year, many new kinds of artefacts are invented, and higher levels of sophistication and technical development are reached. Obviously, artefacts play a central role in all cultures existing today; therefore, material culture is an important category of culture theory. For a long time, however, accounts of culture tended to reduce artefacts to their functional and aesthetic dimensions, concentrating on mental representations (e.g. thoughts, ideas, images) and codes (e.g. language, gesture, conventions) as the units driving cultural development. 1 Today, the view of artefacts as passive results of human activity, produced only to fulfil a certain (practical or aesthetic) function, is no longer tenable. In the last years, different theories of artefacts have been proposed (cf. Margolis/ Laurence 2007), covering questions like perception, classification, and cognitive functions of artefacts, as well as artefact use of animals and their role in the phylogenetic development of humans. One important aspect of artefacts, however, has received little attention: artefacts are invested with different kinds of meaning in daily-life situations as well as when used in cultural representations; their cultural role is complex and ties in with mental representations and social structures in a number of ways. Our understanding of culture will be incomplete as long as we don’t understand the K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Martin Siefkes 358 mechanisms guiding the semantization of artefacts, i.e., the processes in which artefacts are invested with meanings. Diverse principles of semantization can be postulated (cf. section 0), but they are still only partly understood and not sufficiently empirically verified. Though our cultures are permeated by meanings, in the study of culture vastly more attention was paid to those that come in form of signs explicitly produced as such (e.g. pictorial representations, spontaneous gestures), as well as to conventionalized sign systems (e.g. languages, icons, or traffic signs). Most artefacts, however, are prima facie not signs, but things constructed to fulfil a function. It is not trivial to ask how meanings are attributed to artefacts, thus making them signs. The complexity of the problem might be the reason why the manifold and diverse meanings we associate with artefacts in daily life have not received sufficient attention. Semiotics, the study of signs and sign processes in nature and culture, 2 which dates back to Aristoteles, reached its first apex in the late Middle Ages and Renaissance; after a period of decline, it was rediscovered at the turn of the 20 th century by Ferdinand de Saussure and Charles S. Peirce. 3 Today, many types of signification processes have been studied in great detail, but the focus of most investigations was on sign systems, whether culturally evolved (e.g. language, gesture, conventions) or artificially constructed (e.g. traffic signs or morse code), and on uncoded context-dependent sign processes carried out by sign users in specific situations. Processes of semantization of artefacts have rarely received serious consideration; if they were noticed at all, they were regarded either as codes (= systems of conventional signs) or as entirely context-dependent signs. In this study, it is proposed to describe them in another way: as culturally shared principles of meaning attribution without a completely fixed outcome, which are intersubjectively shared and not spontaneously created by sign users, at the same time allowing for a degree of freedom and context-dependency in their application (as opposed to codes). 2 Artefacts 2.1 Definition Definitions of artefacts vary to a certain degree. They have in common that artefacts are defined as resulting from human activity, 4 but often further conditions are included in the definition, or presupposed in the use of “artefact”. The etymology of the term is not very helpful, 5 leaving us free to decide on the most useful definition. In some definitions of the term, only intentional results of human actions seem to be included, whereas unintentional results are excluded. 6 With such definitions, category inclusion is not always simple to decide. Actions usually have a whole range of results (from primary aims to results that are never considered), including some that are consciously taken into account and could have been avoided, but are not primary aims of the action. Drawing the line between intentional and unintentional results is therefore difficult. In cultural semiotics, a precise definition was given by Roland Posner, who defines artefacts as “(intentional or unintentional) consequences of human actions” (Posner 2003: 50f). We adopt this as our working definition of “artefact”. It should be noted that cultural semiotics defines “texts” as the subcategory of artefacts that have a function and are coded signs in a specific culture (Posner 2003: 51), whereas in ordinary language, the category “artefact” is often restricted to material products of human How artefacts get meanings: Material culture and imagination 359 actions with a certain permanence: a picture on canvas might be called “artefact”, but not a picture projected on a wall. The semiotic definition of “artefact”, on the other hand, does not demand permanence: it includes transient artefacts (e.g. the sound someone produces when walking on a hard surface), events (e.g. concerts, festivities) and texts (e.g. verbal utterances). On second glance, the term “material culture” can still be sustained, since even these artefacts and texts have a material, if short-lived, existence (e.g. in the form of air waves, material phenomena which can be felt with our senses and measured with instruments). This distinguishes them from representations (= concepts, ideas, etc.) and codes (= sign systems), which don’t exist primarily in material form (they can be documented in books or other media, but this is not necessary for their existence) and are therefore defined as “mental culture” (ibid.: 53). In this article, we draw our examples from the realm of permanent artefacts, excluding texts (in the wide semiotic sense), pictures, sounds, projections, light patterns, etc. It is plausible that the principles of semantization proposed here (cf. section 0) hold for the whole range of artefacts, but a sufficient range of examples for less typical cases would have to be considered to be sure. For example, texts (in the semiotic sense of coded sign tokens) pose additional problems because they possess coded meanings that often evoke further, less obvious meanings (connotations). The principles of semantization proposed here probably also hold for texts, but their results can be difficult to delimitate from coded meanings and connotations. 2.2 Delimitation of “meanings” from other aspects of artefacts In design studies, artefacts and buildings have been extensively studied, but usually in regard to two aspects: (a) material and formal aspects of their design; (b) the relation of their design to their function. 7 It was a central doctrine of modernism that form and material should be adequate to function. In recent decades, it has also been proposed that artefacts should indicate their function through their design; cf. Muller 2001: 287ff (Ch. 7); in this case, artefacts become sign vehicles whose sign content is their function. However, there are many other ways for artefacts to act as signs. Some of these are contextdependent and therefore do not lead to “meanings” (which are by definition conventional). If a chair is standing at the side of a street, without a relocation vehicle in sight, an onlooker might take it as an index for ‘impending bulky waste collection’. This context-dependent meaning can be strengthened or weakened (i) by further context factors (e.g. it would be strengthened if rain was pouring down, and weakened when the street was cordoned off for an impending bike race), (ii) by properties of the chair (e.g. it would be strengthened when the chair was a dilapidated upholstered chair, and weakened when it was an expensive-looking outdoor chair). A chair can also, in some contexts, be an invitation for sitting down. When someone applying for a show is called into the room and sees a chair standing in his path, in the apex of a half-circle of chairs already occupied by other people, he might reasonably suppose that the chair is placed there for him to sit down, in front of the jury: it is used as a signal for him to sit down on it. Martin Siefkes 360 Thus, artefacts can in certain contexts become different kinds of signs (e.g. indices and signals). In this article, however, such context-dependent attribution of sign contents to artefacts will be discounted. Rather, the article will concentrate on partly or wholly contextindependent ways for artefacts to gain sign contents. Such sign contents will be called “meanings”, and the process in which artefacts gain meanings will be called “semantization”. 8 2.3 Material culture In discourses about media and cultural representations, “reality” and “virtuality” are usually defined as opposite terms: “reality” is associated with materiality, whereas “virtuality” is deemed to encompass representations and simulations. This terminological opposition mirrors a perceived division of the human-made aspects of our world (usually called “culture”) in a material realm (“material culture”) and an immaterial realm (“mental culture”) (cf. Posner 2003: 50ff). Semiotics has developed a description of the realm of “mental culture” as constituted by signs and representations. About the realm of “material culture”, less has been said. It is supposed to consist of artefacts that fulfil certain functions. From a semiotic perspective, it has been pointed out that this function can be expressed by the artefact (e.g. through an adequate design): in this case, artefacts become sign vehicles whose sign content is their function. Apart from their functional aspects, artefacts often figure as sign matter 9 (e.g. pictures, buildings, books) in semiotic theories. This limited role of material culture as the realm of things that form the basis for our daily life and for the realm of thoughts, ideas, and representations (“mental culture”) is no longer tenable. In this article, the existence of principles of culturally shared meaning attribution that will be called “principles of semantization” is proposed (cf. section 0). The assumption of these principles changes the perspective on material culture, which can no longer be seen as a passive repository of things affording the existence of technology, science, art and other aspects of mental culture. Rather, material culture takes an active part in creating the complex web of interacting meanings and influences we call “culture”: it is not only influenced by society and mental culture, but influences them just as strongly. Thus, the principles of semantization belong to the processes in which we create our cultural environment through thinking and imagination. 3 Artefacts in cognition and culture 3.1 Daily interaction with artefacts As we have seen, artefacts are often reduced to their functions and their aesthetic aspects. Thus, a CD player might be discussed as to its function (e.g. in consumer reviews on the Internet) or as to its aesthetic value (e.g. by a design journal or in marketing campaigns). But in our daily life, artefacts play a role that is more complex and encompasses more aspects. Artefacts make our daily life possible. The conceptualization of artefacts is acquired early in life, and seems to play a role in the development of our whole conceptual system, probably because they surround us from early childhood; indeed, for modern children, artefacts probably are the most important part of their environment, apart from other humans. This early and basic role has consequences for our perception of artefacts. Jean Mandler writes: How artefacts get meanings: Material culture and imagination 361 Early concepts of animals and a variety of artefacts form the foundation on which the adult conceptual system of objects rests, and this foundation and the outlines of the system built upon it remain in place throughout life. Because the conceptual system begins to be laid down so early, the first and most deeply rooted conceptions about what is essential to animalness or to inanimate objecthood are constrained by what the preverbal infant mind can conceive. The fundamental notions that organize the developing conceptual system tend to be perceptually based, involving characteristics such as ‘moves by itself’ and ‘moves only when contacted by another object’, or ‘doesn’t move’ (Mandler 2007: 191). According to this account, it is not implausible that we think of the things in our life as our “inanimate environment”. Present-day human beings are surrounded by artefacts from the first months of their lives, getting used to them as part of their environment and living conditions. We are more or less helpless without artefacts, because a large part of all our practical knowledge (“know-how”) in solving problems and interacting with our environment involves them. But our relationship to artefacts is by no means limited to a strictly functionoriented use. This is true even if we define ‘function’ in a relatively wide sense and consider ‘aesthetic pleasure’ as function of aesthetic artefacts, ‘communication’ (or other sign processes) as function of texts, 10 and ‘celebration’ or ‘entertainment’ as function of rituals, shows and events. We arrive at a distinction between two ways of interacting with artefacts: (1) As a first interaction type we can delimit the function-based interaction with artefacts, which can also be described as “teleological interaction”, because in it artefacts are used for specific goals (including aesthetic pleasure or entertainment). It should be noted that this type of interaction is connected with different kinds of sign processes: - The function of an artefact is in most cases conventionally connected with it (e.g. for a motorcycle the function ‘road travel for one or two persons’), but its function can also be indicated in the design (a motorcycle indicates its function through its wheels, lights, seats, handle bar, etc.). Furthermore, aspects of its correct use can be expressed in details of the design, e.g. how many persons can travel safely, the correct way to position one’s feet and hands, and good accessibility of important controls and instruments. - Signs (e.g. language, pictures or icons) can be used to communicate function (either in a manual or on the artefact itself). - The uses of an artefact are often communicated and demonstrated in formal or informal learning settings; relative merits of artefacts and their functions are discussed in different social contexts, for example in the context of decisions between different artefacts that might be acquired. In function-based interaction with artefacts, these signs processes are primarily used as means for reaching the goal of optimal functional use of the artefact. Our talent of perceiving functional aspects of artefacts can be traced back to our general ability to see affordances in objects, but probably goes beyond that in certain respects: Humans show an extraordinary ability relative to all other species to create and learn about artefacts. Some of this special ability may revolve around a more sophisticated ability to see affordances. […] However, we also have a more sophisticated ability for reasoning about the features of artefacts that is less relevant for understanding aspects of living kinds. Our ability to infer the intentions and goals of others helps us to identify and refine our categorization of a seemingly infinite class of artefacts. While this ability could play an obvious role in thinking Martin Siefkes 362 about how an artefact was originally created, it may figure in an equally if not more important role early on in determining the functions of artefacts in real time through looking at goal satisfaction in others (Keil et al. 2007: 244). (2) A second interaction type is meaning-based interaction with artefacts. In this type of interaction, meanings and other sign processes are the primary component driving the interaction. “Interaction”, here, includes emotional reactions on artefacts, looking at them, buying, preserving or repairing them for their own sake, or collecting them. Meaning-based interaction with artefacts comes in different variants: - We connect certain memories with artefacts (e.g. we still see our grandfather sitting in that specific armchair, or remember our child exploring the pattern of the old oriental carpet). These memories can endear things to us so that we take special care of them, but also make them disagreeable (e.g. a certain jacket that was a present by some past lover who hurt our feelings) and cause us to throw them away, even when they’re still functioning. - Through emotional attachment and habituation, things may become important for us even without special memories, simply because we feel good with them and don’t want to miss them. A pair of lined boots might become our trusted companion for cold winter days, making us loath to even think about an replacement even when they’re getting unreliable (just as we would be with a watchdog getting old). Again, function is not the primary objective of our interaction. - Artefacts shape our psychological environment and make us feel secure and at home. They can become ‘non-human friends’, for example if we are lonely after moving to new surroundings, or if we wait for an operation in the hospital. In these and similar situations, familiar artefacts can help with emotional adaptation. There are indications that humans feel bereaved if they suddenly lose important artefacts, especially when the loss comes unexpectedly and shockingly (e.g. though fire or theft). - Artefacts are usually based on schemata which allow different styles (i.e. ways of executing the schema); that makes it possible to identify a specific style and draw information out of it. - Our relation to artefacts can be determined by their social connotations. We might like a car because it has the connotations ‘modest’, ‘eco-friendly’, or ‘performance-oriented’, buy accessories because we want to be part of a subculture or milieu, or wear an outfit that signals our social class, our political opinions, or our preferred leisure activities (sports, computers, clubbing, etc.). - Sometimes we value artefacts, instead of in terms of their functional qualities or their monetary worth, in terms of their use in films or books we admire, or to their position in a collection we’re building. With all this said, it becomes clear why artefacts become important in our lives in much more ways than just through their function. In most cases, function-based interaction might well be the most important aspect. However, different kinds of meaning-based interactions take place at the same time; we often take less notice of them than of function-based interaction which is deemed more ‘rational’ and therefore culturally foregrounded, but taken together, they can outweigh function as our main concern and thus determine our interaction with artefacts. How artefacts get meanings: Material culture and imagination 363 3.2 Meanings in culture and design In the last section, it was outlined that meanings are essential for understanding artefacts. Thus, one should think that designers would pay close attention to artefact semantics. Surprisingly, design theory and practice up to the 1960s paid little attention to artefact meanings. Klaus Krippendorff explains that the Ulm School of Design, where he studied at the beginning of the 1960s, was dominated by the doctrine “form follows function”. 11 Though the design principles followed were themselves based on meanings (like ‘maximal simplicity’, ‘mathematical justification’, ‘clarity of form’ etc.), they were not recognized as such, but rather preached as ultimate principles of good design. Plurality in design principles, however, is the logical prerequisite for meanings, since only allowed differences in execution can produce meanings, whereas determinate principles can only produce the meanings ‘right’ or ‘wrong’ for artefacts adhering to them or breaking them. To be fair, technical functions, to the extent they are commonly understood, could be regarded as common meanings of some kind. For very simple tools, like tableware, bicycles, or umbrellas, there probably is no difference between the functions they are to serve and what they mean to most users (Krippendorff 2006: 302). A central meaning of every artefact is its function, as Krippendorff points out; but it is certainly not the only meaning, even for simple artefacts. A way to check for culturally shared meanings is to look at cultural works and representations (the “texts” of a culture, in the wide semiotic definition of the term). To take an example, in 2007 the song “Umbrella” became a number-one hit in many countries, including Germany and the US, for the Barbadian singer Rihanna. 12 Its chorus comprises the lines: 13 Now that it’s raining more than ever Know that we’ll still have each other You can stand under my umbrella Here, the word “umbrella” is used as a metaphor for (1) ‘protection’ and (2) ‘love’. This metaphor can be created because the primary function of the artefact type umbrella designated by “umbrella” is protection from the rain, and thus ‘protection from the rain’ is also the function-related primary meaning of the artefact type umbrella. From ‘protection from the rain’, meaning (1) ‘protection’ can be derived directly, and in the context (especially line two and the qualification “my” of the umbrella), meaning (2) ‘love’ can be derived. If we stop here, Krippendorff’s suggestion that “for very simple tools, like […] umbrellas”, there exists only one meaning referring to its function, from which other contextdependent sign contents 14 might be derived, could be sustained. But if we look at other cultural works, we find that umbrellas have long since become conventionally associated with ‘protection’ and - at least in some cultures - also with ‘love’. If a contemporary film showed two lovers sharing an umbrella in the rain, it would probably count as a Hollywood cliché; in Japan, “sharing an umbrella as a couple […] is considered a romantic expression, and teens often draw an umbrella with their name and the name of their crush”, a practice for which the term “ai ai gasa” has been coined. 15 Thus, not only the conventional meanings ‘protection’ and ‘love’, but also more specific cultural associations are connected with umbrellas: in Japan, this might be the practice of “ai ai gasa”, whereas someone living in the USA might think of the film “Singing in the rain” with the famous scene of Gene Kelly dancing with his umbrella. 16 Martin Siefkes 364 It is obvious that an artefact meaning can have different degrees of conventionality. It might start out as a sign content that is not yet conventionalized, for example a spontaneous association (e.g. a couple realizes that being together under an umbrella feels ‘romantic’) or a context-dependent index (e.g. when someone sees two people under an umbrella and guesses that they are lovers). Its conventionalization might begin with some people (e.g. the couple begins to use the umbrella as symbol of their ‘love’) or a certain group (e.g. film connoisseurs), before the meaning spreads to the whole culture. In this case, a whole artefact category (“umbrella”) is culturally semantized: it adopts a certain meaning in a culture. This kind of meaning can be taken into account in the design process. For example, a designer might choose to create an ‘ai ai gasa’-umbrella with love symbols and appropriate coloring, or take care to avoid this meaning in creating a sober and elegant model that, by its materials, form and colors, intends to be semantized as ‘businesslike’ or ‘grown-up’. In this case, a subtype of the artefact (a certain design or style of umbrella) is intended to be connected with specific meanings. If the artefact is intended to be sold (in industrial or artisan production), the intended meanings are usually tailored to match the intended target groups, and factors like price, shop location, types, and locations of advertisement will be adapted accordingly. However, the meanings that become connected with products don’t always have to be the meanings intended by the designers. In every sign process, the intended sign content has to be distinguished from the received sign content. In the case of meanings (conventionalized sign contents) of artefacts, the intended meanings not only have to be transmitted, they also have to stick to the artefacts to be conventionalized. Thus, it is usually not enough to promote intended meanings in advertisements when a new product is introduced. The artefact needs to have some properties or features making the intended meanings plausible, and to remind people of them. Furthermore, semantizations of products often arise that were not intended. 17 Meanings change over the lifetime of artefacts. Prasad Boradkar differentiates between three stages of artefact existence: in production, artefacts are designed and manufactured; in distribution, they are advertised, displayed in stores and shipped to customers; in consumption, they are used, stored, modified, and finally disposed of. The meanings that are created in the three stages vary, depending on the different perspectives and intentions of the people involved. The processes in different stages influence each other, since meanings created by designers and advertisers can be appropriated and adapted by users, and vice versa: In the first stage, corporations create exchange-value as well as a sign-value for products through manufacturing and advertising. The structure of production and its agents control this stage of the creation of meaning. Once individuals buy these things, they create their own meanings by incorporating the objects into their lives. They may modify them, redesign them, repurpose them, and generate their own sign values in this second stage of meaning-making. In the third stage, producers who carefully observe and document how people make sense of the things they buy, reappropriate these objects for mass production and introduce them as new commodities (Boradkar 2010: 245f.). The discussion in this section has shown that meanings cannot be discounted in design. Today, the functionalist domination of design has ended and different schools of thought have formed that consider the role of meanings in design. One example is the Theory of Product Language formulated at the Hochschule für Gestaltung in Offenbach (cf. Steffen 2000). Building on hermeneutic and phenomenological conceptions of meaning, it considers many different kinds of artefact meanings, for example information about production conditions, proposed uses, and world-view of their designers. It distinguishes between “indicator func- How artefacts get meanings: Material culture and imagination 365 tions”, signs giving indications of the practical functions of the artefact, and “symbol functions”, meanings connecting the artefact to aspects of culture and society (Krippendorff 2006: 293). However, due to its hermeneutic origins, the Theory of Product Language conceptualizes all signs on the basis of language and thus is unable to describe the specific properties of sign processes connected with artefacts. For this reason, it can only give a general account, and cannot provide hypotheses on the principles that guide artefact semantization (cf. section 0). Wim Muller, a design researcher at Delft University of Technology, has written a comprehensive book entitled “Order and Meaning in Design” that comprises many useful and interesting examples for product semantization through design. Muller discusses the merits of semiotics (Muller 2001: 309ff) 18 and of cognitive semantics (ibid.: 307ff) as approaches to meanings in design, and tries to develop an analytical vocabulary based on distinctions like denotation and connotation and primary and secondary functions (ibid.: 302ff). However, the book recognizes only meanings that are connected to functions, which serves as a reminder of the influence functionalism still seems to have at design faculties, and fails to distinguish between meanings and communication, 19 which underlines the importance of semiotics with its broad range of sign categories and analytical instruments. Another tradition in design studies analyses the interaction of people with artefacts from a cognitive perspective. Though its main focus usually lies on more ergonomic design and the avoidance of design mistakes (Norman 1988 and 1993), the cognitive approach includes different aspects of our interaction with artefacts, including artefacts as externalized aspects of cognition (Hutchins 1995) and of the cognitive processes in design and planning (Arielli 2003). This tradition seldom discusses meanings of artefacts per se, but it takes them into account where they are relevant for the topics discussed (for example as cognitive guidance for the correct interaction with artefacts). Klaus Krippendorff and Reinhart Butter are the main proponents of Product Semantics. First introduced in 1984, 20 the term refers to a new theoretic approach to design concentrating on artefact meanings. This approach is closely connected with a program called Semantic Turn that proposes a change in design practice “from technology-centered design to humancentered design” (Krippendorff 2006: 39). It demands the consideration of artefacts in their different social roles, for the role artefacts play in practical use and in communities, the acknowledgment of the role of language in constructing artefact uses and meanings, the consideration of all stakeholders (not just designers) and the meanings they attribute to artefacts, and the realization that artefacts have different meanings, in different phases of their lifecycle and for different groups of people. Product Semantics is a comprehensive and analytically detailed account of the role of meanings in design practice. From the viewpoint of a general description of artefact semantics, however, the limitation of this theory lies in its clearly stated focus on design (for example, meanings through individual experience are not considered, since they cannot be designed; cf. section 0, (4)). Furthermore, it wants to be a design theory as well as a manifest or manual for good design, thus mixing descriptive with deontic approaches. 3.3 Artefact meanings in archaeology and anthropology In archaeology, artefacts are often the only source of knowledge. The interpretation of artefacts is arguably what archaeologists do for a living: Martin Siefkes 366 [The] dispersal of modern humans from their African origin is principally mapped by the artefacts they left behind at newly created settlements in Asia, Australasia, Europe, and the Americas. There are no written records, and skeletal remains are extremely scarce. And so archaeologists rely on the discovery and interpretation of artefacts such as stone tools, fireplaces, dwellings, and art objects (Mithen 2007: 289). Thus, artefacts are treated as indices for aspects of cultures that can no longer be directly observed, e.g. technological development, social structures, institutions, living conditions, artistic activities, and religious rituals. However, what these artefacts meant for these cultures is much harder to answer. Often, functions of artefacts and the practices and rituals they were connected with cannot be precisely reconstructed, but only guessed. Artefact meanings beyond the functions of the artefact in technology, rituals and daily life are even harder to reconstruct. However, similarly to design theory (cf. last section), in archaeology and cultural anthropology an awareness of the complexity of artefact meanings has emerged: It is normal for artefacts made in the modern world to be multi-purpose - to have a utilitarian function, to carry social information, and to have a symbolic meaning. The design of our clothes, cars, and mobile phones are obvious examples. […] Polly Wiessner (1983), for instance, studied the arrowheads of the ! Kung bushmen of Southern Africa and documented how their specific shapes are not only effective at killing game but define individual and social identity. [… W]hen we find, for instance, the projectile points of prehistoric hunters, the potential exists to explore the social and symbolic lives of past peoples rather than just their hunting methods and manufacturing techniques (Mithen 2007: 290). The anthropologist Ian Hodder studied the symbolic dimensions of material culture in field investigations in Kenya, Zambia and the Sudan; he called artefacts “symbols in action” because of the active and changing role they have in social interactions and cultural developments (Hodder 1985). Arjun Appadurai edited a collection of articles on artefact meanings in society that focuses mainly on economic functions of artefacts, considering them in their social context; it demonstrates that anthropology, economics and semiotics need to cooperate to form an adequate basis for artefact studies (Appadurai 1986). These examples show that anthropology has moved towards semiotics in its efforts to describe the role artefacts play in a society, because it was noticed that this role cannot be reduced to the primary function(s) an artefact was produced to fulfil. Another explicitly semiotic approach that has gained attention in anthropology is Clifford Geertz’ Thick Description (Geertz 1973), a theory that investigates the symbolic dimensions of social institutions (e.g. politics, art, science, law, ethics, religion, and ideology; cf. Ort 2003: 33). It aims for a description of artefacts that doesn’t reduce them to their function and the sign aspects indicating this function, but instead includes other artefact meanings. Thus, recent developments in anthropology follow the same general trajectory (inclusion of non-functional meanings) as the Semantic Turn in design studies (cf. section 0). Interestingly, a complementary development took place in cultural semiotics. Semiotics, the discipline that studies signs and sign processes in culture and nature, focused for a long time primarily on sign systems (= codes). One could say that it took an idealist position, neglecting material aspects of culture. But this is no longer the case. Today, semiotics is aware of the important role artefacts play in cultures, and of the complex meanings that are connected with them. The term “material culture” was introduced for the realm of culture consisting of artefacts (Posner 2003: 50ff; cf. section 0), and semiotic approaches to different areas of culture describe the multiple meanings of the artefact types relevant for these areas. 21 How artefacts get meanings: Material culture and imagination 367 We have seen that a number of approaches to artefact meanings exist; up to now, however, there has been no comprehensive account of the types of processes in which artefacts get their meaning. In the next section, an account will be proposed that distinguishes between different principles of semantization, which can be separately defined and described. They make it possible to understand how artefacts get their meanings, what semantic areas these meanings belong to, and why some meanings are shared in cultures or social groups while others are only present for individuals. 4 How artefacts get meanings We have already encountered a number of examples for artefact semantization. In this section, seven principles of semantization are proposed and explained: semantization through (1) frame connection, (2) style, (3) iconicity, (4) individual experiences, (5) cultural allusions, (6) connection to social groups, (7) specific contexts. Together, these principles form a categorization of processes of semantization. 4.1 Principles of semantization “Semantization” is the process in which entities (in this context: artefacts) get meaning, thus becoming signs. In this section, a tentative list of principles of semantization that can be assumed for artefacts is presented and discussed. (1) Function or connection to a frame: Often thought to be their main characteristics, function is certainly a central notion for many artefacts. In the broad semiotic sense of the term used here, artefacts don’t need to have functions. 22 However, prototypical artefacts that first come to mind when asked to give an example (e.g. “cup”, “table”, “car”) have clearly defined functions. In artefact classification by adults, function has been found to be the first criterion (but not for children, for whom form takes precedence; Malt/ Sloman 2007: 89). Thus, it is not surprising that meanings are often attributed to artefacts via their function and their daily uses. How these connections work, however, is not obvious - if we see an item of clothing, we often do not associate its function (e.g. ‘keeping warm, protection against wind’), but rather the whole frame it is associated with (e.g. ‘sailing’), or certain elements of that frame (e.g. ‘sailor’, ‘captain’, ‘strong winds’, ‘sea’, ‘outdoor person’, ‘fun’). The notion of frame has, in the last decades, gained prominence in different research areas, among them artificial intelligence (Minsky 1975), psychology (Goffman 1974), and semantics (Fillmore 1976, 1982). All these approaches converge on the notion of a frame as organized part of world-knowledge that describes a situation type, including roles, typical actions, and in many cases artefact types. Martin Siefkes 368 Fig. 1: A sailing jacket can evoke other elements of the frame ‘sailing’, e.g. ‘outdoor person’, ‘freedom’, and ‘fun’. Frame ‘sailing’ Roles: captain/ coxswain, sailor, guests, … Personality attributes for roles: outdoor person, wealthy, athletic, fun-loving, … Action types: sailing, relaxing, … Artefacts: sailboat, equipment, special clothing (appropriate for conditions), … Conditions: sea, strong winds, quickly changing weather, … Fellings: freedom, experience of nature, seeing places, adventure, fun, … In this example, “special clothing” includes the artefact type “sailing jacket”, which therefore is connected to the frame ‘sailing’. It is postulated that different elements of the frame, or a combination of them, can be activated as associations for an artefact type that is connected to the frame. Frames help to give a more precise account of the functions of artefacts. For example, the functions of the artefact type “organ” can be precisely described if one looks at the frames ‘church music’ and ‘service’, where its different functions (e.g. ‘accompanying the congregation’, ‘accompanying a choir’, ‘solo instrument’, ‘substitution of an orchestra’) are specified. And even artefacts without a function are often connected to frames. For example, the transient artefact “sounds of high heeled boots on a street” (cf. Posner 2003: 51) is connected to the frames ‘walking on a street’ as well as ‘clothing’, and the meaning associated with it (‘women walking along a street with elegant, but impractical shoes’) can be explained via these frames. (2) Style: Though traditionally often studied in relation to aesthetics and rhetoric, style is in fact a central category in cognitive interaction with all artefact types (as well as behavior types). Styles are an important source of information in daily contexts as well as in disciplines like history and anthropology. The information content of styles gives them a comprehensive cognitive function: they enable us to attribute properties to producers, designers, or users of the artefacts carrying the style, as well as to values, priorities, aesthetic principles and technological knowledge of the group/ culture in question. 23 The author’s doctoral dissertation 24 investigates how styles create information and which cognitive processes enable us to extract this information out of artefacts and behaviors, thus How artefacts get meanings: Material culture and imagination 369 Fig. 2: A lamp in “art deco” style can be connected with meanings such as ‘made between 1925 and 1935’, ‘probably made by Muller frères’, and ‘quite expensive today’. making them signs. In regard to these processes, we can speak of stylistic meanings connected with artefacts. Thus, a model already exists for the construction of meaning via style, but the model given in the dissertation has to be integrated in a broader account encompassing different kinds of meanings connected with artefacts, and information which can be gained out of them. For a general theory of artefact semantization, style is to be understood as one of a number of principles of semantization, and studied in its interactions with these principles. (3) Iconic associations through form or other properties: Artefacts can be designed so as to bring other things to mind (e.g. the ‘floral’ forms used in art nouveau design and architecture); associations can also arise where none were intended. Meaning is constructed via these partly iconic signs, which often give rise to further associations (e.g. the feeling of ‘freshness’, ‘youth’ and ‘new beginning’ evoked by the floral turn in art nouveau, that stood in contrast with the preceding forms of historicism). An example for iconic association through form is the Philips Roller portable radio (1982) that clearly takes the form of a motorcycle. Its successor shows a still more aggressive design, it looks like a Bazooka, a rocket launcher fired on the shoulder (Muller 2001: 328f). Both designs show a recognizable similarity in form to the objects they denote, thus they are iconic signs. But these designs work only because these iconic associations can be interpreted as metaphors: The motorcycle form can be interpreted as the metaphor ‘this radio is a motorcycle’, giving rise to the meanings ‘highly mobile’, ‘use on the road’, ‘loud’, and ‘fun’ (these are properties of the source domain of the metaphor, motorcycles, that are transferred to the Martin Siefkes 370 Fig. 3: The Philips roller radio, an iconic sign for ‘motorcycle’ that evokes metaphorical meanings such as ‘use on the road’, ‘loud’, and ‘fun’. Fig. 4: An old armchair can be connected with the memory ‘conversations with my late grandfather’, and associations like ‘childhood’, ‘secureness’, and ‘loss’. target domain, the Roller radio). The Bazooka form can be interpreted as the metaphor “this radio is a Bazooka”, giving rise to the meanings ‘aggressive’, ‘dangerous’, and ‘dominating your surroundings’. Both metaphors are made plausible through specific properties of the radio design in question: The motorcycle metaphor uses the mobility of the portable radio as an anchor to make it plausible, whereas the Bazooka metaphor is anchored through the conventional shoulder position for carrying this type of radio, as well as a Bazooka. Another example for successful design in this area is a change of the American Express card design (Boradkar 2010: 229f.). Since the introduction of the card in 1958, it had been purple - the colour of the company’s Traveller cheque. In 1969, the colour of the card was changed to ‘dollar green’, and the design was adapted to resemble dollar bills in background, fonts and layout. Credit cards allow paying without giving money, thereby incurring debt. The knowledge that the use of credit card creates debt was countered by giving them the colour of real money, distancing the card from the fears connected with debt-making. At the same time, the association with cheques, another potential means of incurring debt, was removed. After the change, the card became a phenomenal success (Sudjic 1985: 23). (4) Individual experiences: Another form of semantization consists in personal memories connected with artefacts, as well as the associations and feelings evoked by these memories. For example, an old armchair can evoke the memory ‘conversations with my late grandfather’, and the associations and feelings connected with it. Things often get meanings for us because of their role in our life; such meanings can be an asset for artists and designers, giving them a personal approach to an artefact, but also a disadvantage because - contrary to cultural meanings, connotations, etc. - they are hard to convey to others. Personal memories and experiences should be studied as to their effect on design. Sometimes they may work as How artefacts get meanings: Material culture and imagination 371 Fig. 5: A chainsaw can be connected with cultural allusions, e.g. ‘film “Texas chainsaw massacre”’ and ‘chainsaw used as murder weapon’. inspiration for seeing things in a certain way, or else they may stand in the way of a convincing design solution. Little research has been done on this type of semantization. Neither in semiotics nor in anthropology or in design studies, the importance and complexity of personal meanings connected with artefacts has been fully understood. Only in recent times, research has begun on personal meanings, for example about the conditions under which artefacts can gain personal importance for someone (Jung et al. 2011). (5) Cultural allusions: A culture comprises a web of artefacts and representations that are interconnected in many ways. When artefacts acquire cultural meanings, these connections can be made in two directions: On the one hand, meanings can be assigned to artefacts and artefact types through descriptions in books, depictions in films, or uses in pictures (for the author of this article, for instance, the slasher film “The Texas Chainsaw Massacre” 25 comes to mind in connection with chain saws). On the other hand, artefacts can themselves cite other cultural works (a house or a dress might be fashioned to evoke the film “Gone with the Wind”, including deviations from historical accuracy found in the film). In semiotics, the theory of intertextuality, an elaboration of connections between texts by way of allusion, parody, and hidden influences, has been developed (cf. Kristeva 1980). Though “text” is often used in semiotics in a generalized sense including all coded sign tokens (cf. section 0), the theory was seldom applied to artefact meanings. Another approach to cultural references, the theory of cultural memory, describes culture metaphorically as a memory retaining historical scenes, stories, associations, and connections to other works. 26 Again, the focus lies mainly on discourse, texts, and rituals; only specific categories of material artefacts are considered, for instance monuments (Erll 2003: 177). Martin Siefkes 372 Whereas design theory is often still focused on form and function in the creation process, architectural theory is well aware of influences, imitation and citation as guiding creative principles (Venturi et al. 1972, 2004, Jencks 1977, Jencks et al. 1980). However, an integration of the diverse approaches to cultural allusions of architecture is still missing. Furthermore, these theories often fail to distinguish between the simple use of general principles and meanings (conventionalized sign contents). For instance, the 1970s “artificial ruin” motive in the Best supermarket chain (Gössel/ Leuthäuser 1994: 278f) evokes a whole tradition of artificial ruins that began with late 18th century landscape gardening (Zimmermann 1989), and one might want to call this tradition a “meaning” of these buildings; however, probably not every principle of design whose use can be inferred from a building or artefact deserves this status, making it necessary to determine criteria (e.g. “citation” as a process of explicit reference) for traditions to become meanings. There is a substantial overlap of principle (5) with principle (2), since many cultural allusions are expressed through style (thus, a radio receiver might use current technology, but cite a classical Brown or Grundig model in its style). But this is not always the case. Stylistically insignificant details can be used, and functional aspects can be involved. Thus, a car design could cite a famous car model, say the Volkswagen Beetle, through its style, but also through functional properties, e.g. its rear-located, rear-wheel drive engine. Often, stylistic and functional aspects will be combined to make the citation more salient. Furthermore, whole artefact categories can acquire meanings, as the chainsaw example shows. In this case, the meaning obviously is independent of the specific style. (6) Connections to social groups/ organizations: Artefacts can be seen as connected with certain social groups, professions, institutions, and lifestyles; these connections give them meaning and make them attractive or unattractive for others. Thus, subcultures often develop specific styles of clothing and living, investing certain items of clothing, furniture or decoration with meanings (e.g. ‘belonging to the group’, ‘citing the group’, as well as diverse associations and prejudices connected with the group in question). Artefacts play an important role in the expression of opinions, identity and social group membership: In establishing group identities, differences between “us” and “them” are often manifest in the selective ownership and use of artefacts, from having pierced ears to owning a Porsche (Krippendorff 2006: 188). Furthermore, artefacts acquire meanings according to the role they play in people’s lives, which often differs strongly for social groups. For a long time, designers concentrated on users and their interaction with artefacts. They didn’t realize that artefacts pass through a life cycle of people inventing, designing, producing, selling, buying, using, repairing, collecting, recycling, and discarding them, for whom very different meanings can be connected with the artefact. A building might be ‘well-functioning’ and ‘comfortable’ for its users, but acquire a reputation to be ‘impractical’ or even ‘dangerous’ for the people who have to clean its facade, or might be hated by its neighbours for ecological or aesthetic reasons. Energysaving light bulbs of the first generation had the meanings ‘eco-friendly’ (because of their high efficiency) and ‘practical’ (because of their long durability) for its users; for waste recovery people, they acquired the meanings ‘polluting’ (because of their mercury content) How artefacts get meanings: Material culture and imagination 373 Fig. 6: A hoodie sweater can be connected with the meaning ‘hip hop subculture’. Fig. 7: A specific CD of the pianist Horowitz can be connected with the meaning ‘sold-out pressing of rare pirate recording’. and ‘impractical’ (because they were thrown in the domestic waste, and not specially collected). The example shows that designers have to consider intended meanings as well as functional adequacy for all stages of the artefact’s life cycle. This includes consideration of the different stakeholders, i.e. social groups directly and indirectly involved with the artefact in question, and the consequences of its production and use (Krippendorff 2006: 189ff). (7) Specific contexts: In certain contexts, artefacts acquire additional meanings that depend on specific rules applying in these contexts. One context that leads to specific meanings is given when artefacts are collected. 27 Here, use-value, functionality and aesthetic properties matter to a certain degree, but are complemented by criteria like rarity, completeness of the collection, and even defectiveness, which can be a positive aspect under certain circumstances (e.g. when misprints of stamps or books are collected). Collecting, thus, creates meanings different from those of other uses and contexts, and creates them even for otherwise meaningless items. Museums and exhibitions, archaeological excavations, or anthropological research are other contexts that give rise to specific sets of artefact meanings. The meanings created by these seven principles differ in their semantic content. For example, a meaning created by principle (6) will be the social group the artefact is associated with (it might also include properties associated with this group), whereas a meaning created by principle (7) will be the relative importance of the artefact for the collected area of artefacts, as well as for the collection and its completeness. Martin Siefkes 374 However, the semantic possibility spaces for the different principles also overlap. For example, a meaning created by principle (1), connection to function, might be the same as one created by principle (2), style. Thus, a sailing jacket could become connected with the meanings ‘outdoor person’ and ‘adventure’ through its function (which itself might be inferred from its design or simply be known), but it can also be designed in a style that expresses these meanings (e.g. through adding pockets, clamps, and UV-resistant layers). 4.2 Representing processes of semantization For representing the processes involved, a notational system is needed that combines logical with semiotic notation. In this section, a notation will be described that enables the representation of processes of semantization. This notation is loosely inspired by notational systems employed in cognitive semantics 28 and by the theory of mental models. 29 It is intended as a proposal to be worked on and improved in the future. The notational system includes a causative relation between a representation space R 1 containing a condition (left), 30 and a representation space R 2 containing a sign relation (right). In the sign relation, the sign vehicle is marked by a square and the sign content (= meaning) by a circle. Both representation spaces are linked by an arrow representing a causative relation: the fulfilment of the condition represented in R 1 causes the sign relation represented in R 2 to exist. The causative relation should not be confused with the logical implication; otherwise, the diagram would have to be read as a logical proposition that would only be true if the condition on the left was a sufficient condition for the existence of the sign relation on the right. In the cases we want to describe, this cannot be assumed, because the condition we give will probably only be a necessary condition, which can be imagined to be fulfilled without the sign relation on the right coming into existence. (There might be other factors influencing whether the sign relation is created or not.) Thus, the description should be read as a proposition about a causal relation: the fulfilment of the condition (on the left) causes the sign relation (on the right). 31 The diagram as a whole can be read as description of a certain factual process of semantization (a token), or as a delimitation of a class of processes of semantization (a type). The diagrams in the remainder of this section are intended to be read as types. The seven types described below correspond to the principles of semantization proposed in section 0. These are classes of processes of semantization that are given a special theoretical status, mainly because of good empirical evidence for them. However, other classes of How artefacts get meanings: Material culture and imagination 375 processes of semantization can be defined with the given notation, either as descriptive categories, or as proposals for further principles of semantization. (1) Principle “Frame connection”: Definitions: ARTEFACT _ TYPE (x) = df ‘x is an artefact type’, FRAME (F) = df ‘F is a frame’, ELEMENT _ OF (x, F) = df ‘x is an element of F’, ACTIVATION (x, y)) = df ‘cognitive use of x activates y’. The notation represents the fact that an artefact type x and a frame F of which x is an element exist and that x activates y which is also an element of F, and that this fact causes a sign relation where y becomes a meaning of x. The 2-place-predicate ACTIVATION refers to a relation of activation between two different elements x and y in a frame F, where the element x cognitively activates the element y: if someone thinks of x, y will be more easily accessible (a fact that could be verified in priming studies) and might even spontaneously come to mind. Although ACTIVATION refers to a mental process, its causes are not only psychological: Relations of ACTIVATION between elements of frames can be caused or strengthened by socio-cultural processes and conventions as well as psychological proclivities. In the former case, they will probably lead to artefact meanings that are shared in a community or culture. In the latter case, the produced semantizations can be shared in a culture (if they are caused by psychological traits common to all or most people) or only present for some individuals (for whom this process of psychological activation works). The representation given above is useful as an extensional definition of the principle. If we want to represent special processes of semantization, we can insert values for the variables. Often, different meanings are created in a process of semantization: if n meanings are created, we can represent them as y 1 , …, y n . Example: x = ‘sailing jacket’, F = ‘sailing’, y 1 = ‘outdoor person’, y 2 = ‘athletic lifestyle’, y 3 = ‘sea’, y 4 = ‘relaxation’, y 4 = ‘freedom’, y 5 = ‘fun’. Martin Siefkes 376 (2) Principle “Style”: Definitions: ARTEFACT (x) = df ‘x is an artefact’, STYLE (y) = df ‘y is a style’, PERSON (a) = df ‘a is a person’, PERCEIVE _ TO _ HAVE (a, x, y) = df ‘a perceives x to have y’, INTERPR _ RESULT (p, a, y) = df ‘p is a result of an interpretation of y by a’. p a is used in the representation space on the right to represent the fact that the meaning p ist created only for the person a (since it is the result of a stylistic interpretation of style y by a). Example: x = ‘chandelier, y = ‘art deco; finely crafted’, p 1 = ‘made between 1925 and 1935’, p 2 = ‘possibly by one of the famous manufacturers [e.g. Muller frères, Daum, Degue]’, y 3 = ‘quite expensive today’, p 4 = ‘will probably go up in value in the next decades’, p 5 = ‘glass is probably pressed glass’. (3) Principle “Iconicity” (with metaphor): Definitions: ARTEFACT (x) = df ‘x is an artefact’, SIMILARITY (x, y) = df ‘x is similar to (i.e. stands in an iconic relation to) y’, PROPERTY _ TRANS (p, y, x) = df ‘p is a property of y transferred (metaphorically) to x’. Example: x = ‘Philips portable radio’, y = ‘motorcycle’, p 1 = ‘highly mobile’, p 2 = ‘use on the road’, p 3 = ‘loud’, p 4 = ‘fun’. Obviously, not every use of this principle involves a metaphorical transfer of properties from y to x. If the radio was designed to resemble a snail, few people would think about the metaphor ‘this radio is a snail’ and transfer properties like ‘slow’ to the radio. For the case of iconicity without metaphor, the condition on the left is: x y ( ARTEFACT (x) ARTEFACT (y) SIMILARITY (x, y)), and one the right, only the sign content ‘y’ is created. How artefacts get meanings: Material culture and imagination 377 (4) Principle “Individual experiences”: Definitions: ARTEFACT (x) = df ‘x is an artefact’, PERSON (a) = df ‘a is a person’, MEMORY (m, a) = df ‘m is a memory of a’, ROLE _ IN (x, m) = df ‘x plays a role in m’, ASSOCIATION (t, m) = df ‘t is an association connected with m’. m a and t a are used in the representation space on the right to represent the fact that the meanings m and t are created only for the person a. Example: x = ‘armchair’, a = ‘Sarah’, m = ‘conversations a had with her grandfather (while he sat in x)’, t 1 = ‘childhood’, t 2 = ‘secureness’, t 3 = ‘loss’. (5) Principle “Cultural allusions”: A process of semantization of type (5), “cultural allusions”: Definitions: ARTEFACT (x) = df ‘x is an artefact’, CULTURAL _ WORK (y) = df ‘y is a cultural work’, ROLE _ IN (x, y) = df ‘x plays a role in y’, CONTEXT _ IN (p, x, y) = df ‘p is (part of) the context of x in y’. Example: x = ‘chain saw’, y = ‘film “Texas chainsaw massacre”’, p = ‘chainsaw used as murder weapon’. It should be noted that for our example, we could probably define x as an artefact type, because the semantization extends to all chainsaws. However, the principle works also for specific artefacts (e.g. when the Eiffel tower reminds me of the film ‘Zazie dans le métro’) and for subtypes or styles of artefacts (e.g. when the house subtype “Plantation style house” reminds me of the film ‘Gone with the Wind’). Since artefact types can be described extensionally as a set of artefacts, we can include them here by assuming that we assign a value for the variable x to each token of the type. Alternatively, we could define two cases for the principle, one defined as above, the other with: ARTEFACT _ TYPE (x) = df ‘x is an artefact type’. Martin Siefkes 378 (6) Principle “Connection to social groups”: Definitions: ARTEFACT _ TYPE (x) = df ‘x is an artefact type’, SOCIETY (S) = df ‘S is a society’, SOCIAL _ GROUP (A, S) = df ‘A is a social group in S’, f: PERC _ USE (A, x) = df ‘function: the percentage of individuals in A using x’. Example: x = ‘hoodie sweater [in the 1990s]’, A = ‘hip hop subculture’. For this principle, we have introduced functions (a step that could be implemented easily in a programming language). A formulation without functions is more cumbersome, but also possible. We would have to define a 3-place-predicate: PERC _ USE (n, A, x) = df ‘n is the percentage of individuals in A using x’, and formulate the condition as: x S A n m (artefact_type (x) society (S) social_group (A, S) perc_use (n, A, x) perc_use (m, S, x) (n > m)). In both cases, the formulation is somewhat simplified: In fact, the percentage of use has to be sufficiently higher in A than in S to make the association of x with A plausible. 32 (7) Principle “Specific contexts”: As detailed in section 0, this principle comprises different cases where special contexts lead to a well-defined set of meanings not found elsewhere. In the following, we represent the specific context “collecting”: Definitions: ARTEFACT (x) = df ‘x is an artefact’, COLLECTED _ AREA (C) = df ‘C is an area of artefacts that is collected by some collectors’, RELEVANCE (r, x, C) = df ‘r is the specific relevance of x for C’. Example: x = ‘CD (Tchaikovsky Piano Concerto No.1, Horowitz/ Szell, Movimento Musica 051-007)’, C = ‘classical music’, r = ‘sold-out pressing of rare pirate recording’. How artefacts get meanings: Material culture and imagination 379 5 Conclusion It was shown in this article that artefact semantics is an important topic that merits closer attention. The role of artefacts in cultures cannot be reduced to their functions, even if sign processes connected with these functions are included (cf. section 0). Though artefact meanings have been studied in design theory (cf. section 0) as well as anthropology and cultural semiotics (section 0), a comprehensive account of the different ways in which artefacts can get meanings is still lacking. In different disciplines, the topic is usually reduced to specific areas (e.g. in design studies to the effective indication of function, or in anthropology to ritual or technological meanings). The variety of different types of meanings associated with artefacts has not been treated in a systematic fashion. To fill this gap, the article proposed a number of principles of semantization that explain how meanings come to be connected with artefacts (section 0), and a way to represent them (section 0). Further research is needed to determine if these principles form a plausible categorization, if they should be delimitated differently, and if they should be supplemented by further principles. Apart from theoretical considerations and analysis of examples, empirical research could help to establish answers to these questions. Simple tests could be based on free answers to questions asking for “meanings”, “associations”, “everything that comes to mind”. The answers are counted as ‘meanings’; two coders would independently categorize the answers as to the semantization principle that most likely created them, and the percentage of answers attributed to the principles could be counted. In this way, the problem that subjectivity of meanings and of their verbal expression makes a numerical comparison on the level of meanings impractical would be avoided: On the level of principles, a comparison might well yield reliably quantifiable results, without classifying meanings as to their semantic content. The test could be given to different groups (e.g. professionals and laypersons of the respective areas): If the results would differ significantly between the two groups, the conclusion might be that professionals and laypersons perceive artefacts differently. For example, the hypothesis could be tested that design professionals concentrate more on form-related meanings - principle (3) -, whereas laypersons are more interested in function and its expression - principle (1). If differences were found, this would certainly be of interest to the professionals, who design primarily for laypersons and not for themselves: It would help them to make their designs work if they were aware of the differences between the laypersons’ perceptions and their own. Another study could look for priming effects. If meanings are activated in artefact perception, they might have priming effects in association tests or free recall memory tests. If such priming effects are measurable, they would prove that artefacts influence our interaction with the world not only though the direct use we make of them, but also through the meanings we associate with them. It could even be tested if artefacts influence the outcome of problemsolving tests: If so, it would be telling us that the things we live with influence our thinking and daily life quite strongly - a hypothesis that is plausible since many people report that their mood, creativity, and quality of work depend on the room they are in, and that a change of furnishings can make a big difference. Artefacts could be added to other environmental factors (as light, ambient sound, air quality) that influence our well-being and the direction of our thoughts and feelings. Martin Siefkes 380 6 Picture credits Fig. 1: © Sail Xtreme Shop. http: / / www.sailxtremeshop.com/ upload/ images/ product/ small_7636287.jpg. All rights reserved. Used by permission. Fig. 2: © galerieinsilicio@free.fr. All rights reserved. Used by permission. Fig. 3: © ChristosV. http: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Philips-roller.jpg; License: CC BY-SA 3.0 (http: / / creativecommons.org/ licenses/ by-sa/ 3.0). Fig. 4: © capl@washjeff.edu. http: / / capl.washjeff.edu/ browseresults.php? langID=1&photoID=468; License: CC BY-NC-SA 2.0 (http: / / creativecommons.org/ licenses/ by-nc-sa/ 2.0). Fig. 5: © jmegjmeg. http: / / www.flickr.com/ photos/ 75842363@N00/ 2508518267; License: CC BY 2.0 (http: / / creativecommons.org/ licenses/ by/ 2.0). Fig. 6: © Chuck Szmurlo. http: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Hoodie-szmurlo.jpg; License: CC BY-SA 3.0. Fig. 7: © Martin Siefkes. License: CC BY-SA 3.0. Bibliography Appadurai, Arjun 1986: The Social Life of Things. Commodities in Cultural Perspective, Cambridge GB: Cambridge University Press Arielli, Emanuele 2003: Pensiero e progettazione. Psicologia cognitiva del design e dell’architettura, Milano: Mondadori Aristoteles 1994: Peri hermeneias, translation and commentary by Hermann Weidemann, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft (= Werke in deutscher Übersetzung, vol. 1, part 2) Assmann, Jan 1992: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: C.H. Beck Assmann, Aleida 1999: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München: C.H. Beck Belk, Russell W. 1995: Collecting in a Consumer Society, London: Routledge Blackmore, Susan 1999: The Meme Machine, Oxford: Oxford University Press Boradkar, Prasad 2010: Designing Things. A Critical Introduction to the Culture of Objects, Oxford: Berg Boyd, Robert and Peter J. Richerson 1985: Culture and the Evolutionary Process, Chicago: University of Chicago Press Dawkins, Richard 1976: The Selfish Gene, Oxford: Oxford University Press Dreyer, Claus 2003: “Semiotische Aspekte der Architekturwissenschaft. Architektursemiotik”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 3: 3234-3278 Erll, Astrid 2003: “Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen”, in: Nünning/ Nünning (eds.) 2003: 156-185 Fahl-Spiewack, Renke 1995: Attribution und Handlungsfähigkeit. Eine subjektwissenschaftliche Perspektive, Berlin: Argument Fauconnier, Gilles 1997: Mappings in Thought and Language, Cambridge GB: Cambridge University Press Fillmore, Charles 1976: “Frame Semantics and the Nature of Language”, in: Annals of the New York Academy of Sciences. Conference on the Origin and Development of Language and Speech, vol. 280: 20-32 Fillmore, Charles 1982: “Frame Semantics”, in: Linguistics in the Morning Calm. Papers Presented at the Seoul International Conference on Linguistics, Seoul: Hanshin: 111-137 Franke, Ursula 1998: “Zeichenkonzeptionen in der Kunstphilosophie und Ästhetik von der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 2: 1232-1262 Frerichs, Klaus 2003: “Semiotische Aspekte der Archäologie”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 3: 2977-2999 Geertz, Clifford 1973: “Thick Description. Toward an Interpretive Theory of Culture”, in: Clifford Geertz: The Interpretation of Cultures. Selected Essays, New York: Basic Books Goffman, Erving 1974: Frame Analysis. An Essay on the Organization of Experience, London: Harper & Row Gössel, Peter and Gabriele Leuthäuser 1994: Architektur des 20. Jahrhunderts, Köln: Taschen Grandy, Richard E. 2007: “Artifacts. Parts and Principles”, in: Margolis/ Laurence (eds.) 2007: 18-32 Gumbrecht, Hans Ulrich 1998: “Sign Conceptions in Everyday Life from the Renaissance to the Early 19 th Century”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 2: 1407-1427 Halbwachs, Maurice 1950: La mémoire collective, Paris: Presses Universitaires de France. Engl. as: The collective memory, New York: Harper & Row, 1980 How artefacts get meanings: Material culture and imagination 381 Heeschen, Volker 2003: “Semiotische Aspekte der Ethnologie. Ethnosemiotik”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 3: 3278-3296 Held, Carsten, Markus Knauff and Gottfried Vosgerau 2006: Mental Models and the Mind. Current Developments in Cognitive Psychology, Neuroscience, and Philosophy of Mind, Amsterdam: Elsevier Hodder, Ian 1985: Symbols in Action. Ethnoarchaeological Studies of Material Culture, Cambridge GB: Cambridge University Press Hubig, Christoph 1998: “Zeichenkonzeptionen in der Ästhetik vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 2: 1466-1482 Hutchins, Edwin 1995: Cognition in the Wild, Cambridge, MA: MIT Press Jencks, Charles 1977: The Language of Post-Modern Architecture, New York: Rizzoli Jencks, Charles, Richard Bunt and Geoffrey Broadbent (eds.) 1980: Signs, Symbols, and Architecture, Chichester: Wiley Johnson-Laird, Philip 1983: Mental Models. Towards a Science of Language, Inference, and Consciousness, Cambridge, MA: Harvard University Press Jung, Heekyoung, Shaowen Bardzell, Eli Blevis, James Pierce and Erik Stolterman 2011: “How Deep is Your Love. Deep Narratives of Ensoulment and Heirloom Status”, in: International Journal of Design 5.1: 59-71. http: / / www.ijdesign.org/ ojs/ index.php/ IJDesign/ article/ viewFile/ 854/ 318 [retrieved 8 Dec 2011] Krippendorff, Klaus 2006: The Semantic Turn. A New Foundation for Design, Boca Raton: Taylor & Francis Krippendorff, Klaus and Reinhart Butter 1984: “Exploring the Symbolic Qualities of Form”, in: Innovation 3.2: 4-9 Krippendorff, Klaus and Reinhart Butter (eds.) 1989: Product Semantics, Special issue of Design Issues 5.2. Krippendorff, Klaus and Reinhart Butter 1993: “Where Meanings Escape Functions”, in: Design Management Journal 4.2: 30-37 Kristeva, Julia 1980: Desire in Language. A Semiotic Approach to Literature and Art, New York: Columbia University Press Krüger, Reinhard, Eva-Maria Baxmann-Krafft and Bernd Hartlieb 2004: “Zeichennormung für Handwerk und Industrie”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 4: 3510-3570 Lagopoulos, Alexandros 1997: “Sign Conceptions in Architecture and the Fine Arts in Ancient Greece and Rome”, in: Posner et al. 1997-2004, vol. 1: 900-911 Langacker, Ronald 1987-1991: Foundations of Cognitive Grammar, vol. 1: Theoretical Prerequisites, vol. 2: Descriptive Application, Stanford, CA: Stanford University Press Legrenzi, Paolo 2007: Creativity and Innovation. http: / / www.iuav.it/ Ricerca1/ Dipartimen/ dADI/ Working- Pa/ wp_2007_02.pdf [retrieved 8 Dec 2011]. Mackie, John L. 1974: The Cement of the Universe. A Study of Causation, Oxford: Oxford University Press Magli, Patrizia 2004: Semiotica. Teoria, metodo, analisi, Venice: Marsilio Malt, Barbara C. and Steven A. Sloman 2007: “Artifact Categorization. The Good, the Bad, and the Ugly”, in: Margolis/ Laurence (eds.) 2007: 85-124 Mandler, Jean M. 2007: “The Conceptual Foundations of Animals and Artifacts”, in: Margolis/ Laurence (eds.) 2007: 191-211 Margolis, Eric and Stephen Laurence (eds.) 2007: Creations of the Mind. Theories of Artifacts and Their Representation, Oxford: Oxford University Press Minsky, Marvin 1975: “A Framework for Representing Knowledge”, in: P. Winston (ed.): The Psychology of Computer Vision, New York: McGraw-Hill: 211-277 Mithen, Steven 2007: “Creations of Pre-Modern Human Minds. Stone Tool Manufacture and Use by Homo habilis, heidelbergensis, and neanderthalensis”, in: Margolis/ Laurence (eds.) 2007: 289-311 Muller, Wim 2001: Order and Meaning in Design, Utrecht: Lemma Nöth, Winfried 1998: “Zeichenkonzeptionen im Alltagsleben vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 2: 1761-1784 Nöth, Winfried 2000: Handbuch der Semiotik, 2., rev. and ext. ed. Stuttgart: Metzler Norman, Donald A. 1988: The Psychology of Everyday Things, New York: Basic Books Norman, Donald A. 1993: Things That Make Us Smart, New York: Addison Wesley Nünning, Ansgar and Vera Nünning (eds.) 2003: Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen - Ansätze - Perspektiven, Stuttgart: Metzler Ort, Claus-Michael 2003: “Kulturbegriffe und Kulturtheorien”, in: Nünning/ Nünning (eds.) 2003: 19-38 Pearce, Susan M. 1998: Collecting in Contemporary Practice, London: Sage Publications Martin Siefkes 382 Peirce, Charles S. 1986-93: Semiotische Schriften, 3 vols. ed. and transl. Chr. J. Kloesel and H. Pape, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Poinsot, John 2008: Tractatus de Signis. The Semiotic of John Poinsot, Interpretive arrangement by John Deely, South Bend, IN: St. Augustine’s Press Posner, Roland 1980: “Linguistische Poetik”, in: Hans P. Althaus, Helmut Henne and Herbert E. Wiegand (eds.) 1980: Lexikon der Germanistischen Linguistik, 2 nd ed. Tübingen: Niemeyer: 687-697 Posner, Roland 1997: “Pragmatics”, in: Posner et al. (eds.) 1997-2004, vol. 1: 219-246 Posner, Roland 2003: “Kultursemiotik”, in: Nünning et al. (eds.) 2003: 39-66 Posner, Roland, Klaus Robering and Thomas A. Sebeok (eds.) 1997-2004: Semiotik / Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, 4 vols. Berlin: de Gruyter Saussure, Ferdinand de 1916: Cours de linguistique générale, ed. Charles Bally and Albert Sechehaye, Lausanne: Payot; Deutsch von Hermann Lommel: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 3. Aufl. Berlin: de Gruyter 2001 Siefkes, Martin 2009: “Zeichenmaterie und Zeichenträger bei stilistischen Zeichen”, in: Kodikas/ Code. Ars Semeiotica. An International Journal of Semiotics 32.1-2: 63-83 Siefkes, Martin 2012 a: “Style. A New Semiotic View on an Old Problem”, in: Kodikas/ Code. Ars Semeiotica. An International Journal of Semiotics 34.1-2: 15-25 Siefkes, Martin 2012 b: Stil als Zeichenprozess. Wie Variation bei Verhalten, Artefakten und Texten Information erzeugt (= Berlin, Technische Universität, Diss., 2010.), Würzburg: Königshausen & Neumann Sowa, John W. 1999: Knowledge Representation. Logical, Philosophical and Computational Foundations, Pacific Grove: Brooks Cole Sperber, Dan 1996: Explaining Culture. A Naturalistic Approach, Oxford: Blackwell Steffen, Dagmar 2000: Design als Produktsprache, Frankfurt a.M.: Form Sudjic, Deyan 1985: Cult Objects. The Guide to Having it All, London: Paladin Venturi, Robert, Denise Scott Brown and Steven Izenour 1972: Learning from Las Vegas, Cambridge, MA: MIT Press Venturi, Robert and Denise Scott Brown 2004: Architecture as Signs and Systems. For a Mannerist Time, Cambridge, MA: Harvard University Press Weary, Gifford, Melinda A. Stanley and John H. Harvey 1989: Attribution, New York: Springer Wiessner, Polly 1983: “Style and Social Information in Kalahari San Projectile Points”, in: American Antiquity 38: 253-257 Zimmermann, Reinhold 1989: Künstliche Ruinen, Wiesbaden: Reichert Notes * The author acknowledges the support of the Alexander von Humboldt Foundation with a Feodor Lynen Research Fellowship. This article has appeared, with slight modifications, under the title “The semantics of artefacts” in: Image. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft. Themenheft zu Image 16: Semiotik. http: / / www.gib.uni-tuebingen.de/ image-3? function=fnArticle&showArticle=218 [retrieved 9 Oct 2012]. 1 For example meme theory (Dawkins 1976, Blackmore 1999) and other evolutionary theories of culture (e.g. Boyd/ Richerson 1985, Sperber 1996); the focus on mental processes is also discernible in many approaches presented in Nünning/ Nünning 2003. 2 For a comprehensive handbook encompassing all aspects of semiotics, including its theory, methodology and the areas it is applied to, cf. Posner et al. 1997-2004 [partly German]. A shorter handbook concentrating on key terms and theories is Nöth 2000 [German]. A practical, but simplified online introduction can be found at http: / / www.aber.ac.uk/ media/ Documents/ S4B/ semiotic.html [retrieved 6 Dec 2011]. 3 Cf. Aristoteles 1994, Ch. 1; Poinsot 2008; Saussure 1916; Peirce 1986-93. 4 Surprisingly often, articles on artefacts don’t bother to give a precise definition. For example, the introduction to Margolis/ Laurence 2007, a volume on artefact theories, states: “[W]e live in a world that is, to an unprecedented extent, populated by our own creations. We are literally surrounded by artefacts of all shapes and sizes” (ibid.: ix), but continues to give examples encompassing only material artefacts, neglecting the fact that texts, ideas, codes, and conventions are also human creations. It is implied that artefacts are material objects, but it is never clearly stated, and some articles in the volume use the term in a much broader sense (e.g. as opposed to “natural kinds”; Grandy 2007). How artefacts get meanings: Material culture and imagination 383 5 (lat.) “arte factum” = ‘something produced with skill’. 6 Collins World English Dictionary gives two general uses for “artefact” (apart from a more specific use in medicine): “1. something made or given shape by man, such as a tool or a work of art, esp. an object of archaeological interest; 2. anything man-made, such as a spurious experimental result”. The first definition implies the exclusion of unintentional results of human actions, whereas the second definition explicitly includes them (http: / / dictionary.reference.com/ browse/ artefact [retrieved 29 Dec 2011]). 7 Artefacts do not necessarily have a function; permanent artefacts that have a function are called “tools” (Posner 2003: 51; cf. section 0). Thus, the function-related properties described here, as well as the first principle of semantization (cf. section 0, (1)), do not apply to all artefacts. 8 It has become customary in semiotics that “meaning” (for the content side of a sign) and “semantics” (for the content-side of a code/ sign system) refer to conventionalized sign contents. In this article, the criterion of conventionalization will be applied loosely; thus, if a sign content is firmly connected with an artefact, even in the mind of just one individual, it will be called “meaning” and the process in which it is created “semantization”. If, for example, a chair evokes in someone’s mind, independently of context, the association with a certain family member and/ or experience, these will be called “meanings”, even if no one else connects them with the chair. 9 “Sign matter” is the material layer of a message, that which is physically the output of the sending process and the input of the receiving process; e.g. paper carrying writing or sound waves carrying spoken language (Posner 1980: 688, see also Posner 1997: 239). 10 “Text” is used here in the wide sense of cultural semiotics as ‘coded sign-token(s)’ or, equivalently, as ‘use of sign systems (= codes)’. Roland Posner gives the following definition (Posner 2003: 51): “Wenn etwas ein Artefakt ist und in einer Kultur nicht nur eine Funktion hat, sondern auch ein Zeichen ist, das eine codierte Botschaft trägt, so wird es in der Kultursemiotik als ‘Text dieser Kultur’ bezeichnet. Texte sind immer ein Ergebnis absichtlichen Verhaltens, auch wenn nicht alle ihre Eigenschaften beabsichtigt sein müssen”. (“If something is an artefact and, in a given culture, not only has a function, but is also a sign with a coded message, it is called in cultural semiotics a ‘text of this culture’. Texts are always the result of intentional behavior, but not all of their properties have to be intended” (translation by M.S.). 11 “Functionalism probably was the most deeply engrained vocabulary at the Ulm School of Design. There, as in most design circles at the time, Louis Henry Sullivan’s dictum ‘form follows function’ served as a principle for rational justifications of designs. It asserted the conviction that once the function of an artefact was understood, its form would naturally emerge” (Krippendorff 2006: 298). This functionalist conception was later developed to include different aspects: “Owing largely to the influence of Max Bill […] the vocabulary of functionalism became refined and ended up recognizing four functions: technical, material, production, and aesthetic. […] The technical function: All designs were expected to satisfy their mechanical purposes […]. The material function: This dimension entailed the obligation to use materials appropriately […]. The production function: This function entailed the obligation to find forms especially suited to economic mass production, culminating in the demand that products should ideally express or at least not conceal their industrial origins […]. The aesthetic function: [Bill] visualized the domain of aesthetic decisions as a space of all options that the other three functions did not rule out. […] In Ulm, the aesthetic function came to embrace such virtues as consistency, simplicity, symmetry, clarity, cleanliness, and honesty” (ibid.: 298ff). Obviously, limiting the design problem in this way created artefacts with meanings connected to the fulfilment of these functions, but excluded all other possible meanings from consideration. 12 http: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Umbrella_(song) [retrieved 29 Dec 2011]. 13 http: / / www.songtexte.com/ songtext/ rihanna/ umbrella-43d69baf.html [retrieved 29 Dec 2011]. 14 In this case, they should not be called “meanings”, which by definition are at least partly conventional (cf. note 205). 15 http: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Ai_Ai_Gasa [retrieved 29 Dec 2011]. 16 Before he performs the title song, Kelly stands with Debbie Reynolds under the umbrella in the pouring rain. Before they kiss, Kelly remarks: “Where I stand, the sun is shining all over the place”, thereby expressing the protection from bad weather the umbrella (‘love’) gives him (http: / / www.youtube.com/ watch? v= D1ZYhVpdXbQ [retrieved 29 Dec 2011]). This semantization makes it plausible why he dances with the umbrella as with an imaginary partner, and why he doesn’t cover himself, as if the rain didn’t exist. 17 For instance, the semantizations expressed in the nicknames “topolino” (‘little mouse’) for the Fiat 500 and “Ente” (‘duck’) for the Citroën 2CV, or the semantization of the newly introduced Mercedes-Benz A-Klasse after a failed “moose test” in 1997, which led to connections of this model with the test, with overturning, and with the animal moose, that were expressed in many cartoons and jokes. Martin Siefkes 384 18 For a semiotic approach to design studies cf. Magli 2004. 19 The chapter dealing with product meanings is tellingly entitled “Communication of intended use” (Muller 2001: 287). 20 For Product Semantics cf. Krippendorff/ Butter 1984, 1989, 1993, and Krippendorff 2006. 21 A number of articles in Posner et al. 1997-2004 offer information, from different disciplines and viewpoints, on semiotic approaches and literature related to artefacts: Lagopoulos 1997, Franke 1998, Hubig 1998, Gumbrecht 1998, Nöth 1998, Dreyer 2003, and Krüger et al. 2004. Semiotic aspects of archaeology are discussed in Frerichs 2003, semiotic aspects of ethnology in Heeschen 2003. 22 Cf. note 204. 23 For attribution theory cf. Weary et al. 1989, Fahl-Spiewack 1995. 24 Siefkes (2012 b). This work gives a detailed description of the sign processes taking place when styles are created and/ or applied (by a style producer) as well as apprehended (by a style receiver). The theory analyses style as a vehicle of information: Through processes of (intentional or unintentional) choice, the principles determining the choice are inscribed in the result of the choice (an artefact, a text or a behavior). In a further step, an interpretation of these principles extracts different kinds of stylistic meaning, which can range from objectively verifiable information concerning the style producer (e.g. about his experience, preferences, personality, or knowledge) and the culture and conditions that shaped the style, to highly subjective associations and speculations. An introduction to the theory is given in Siefkes 2009: 63ff [German], and in Siefkes 2012 a. 25 http: / / en.wikipedia.org/ wiki/ The_Texas_Chain_Saw_Massacre [retrieved 16 Dec 2011]. 26 Halbwachs 1950, J. Assmann 1992, A. Assmann 1999; cf. also Posner 2003: 64f. 27 For collecting as cultural practice cf. Belk 1995, Pearce 1998, and Boradkar 2010: 252ff. 28 Fauconnier 1997, Langacker 1987-1991. 29 Johnson-Laird 1983, Sowa 1999, Held et al. 2006, Legrenzi 2007. 30 The condition is formulated in predicate logic notation, with predicates defined as needed, supplemented with mathematical operators. 31 This formulation is acceptable because “causation” can be defined with the INUS-condition: A cause is the insufficient but necessary part of an unnecessary but sufficient condition for the effect (Mackie 1974: 62). This definition informs us that a cause is necessary for a certain way the effect is achieved (a certain sufficient condition) that is not the only way the effect could have been achieved (not a necessary condition). Apart from the cause, sufficient conditions have other parts (background conditions, e.g. certain social conditions or the laws of physics). 32 The difference in percentage that is sufficient probably depends on a number of factors, some of them contextdependent, and intensity of use might also be relevant (even if the percentage of use is not higher in A than in S, the association might still be created if intensity of use was higher). Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung Die zunehmende Virtualisierung tierischer Lebenspraxis Dagmar Schmauks Many human beings like to immerse into simulated worlds that are either material such as leisure worlds or virtual such as computer games. Unknown or overlooked by most people, also our livestock, pets, and zoo animals live in environments with virtual elements. Examples range from toy mice for cats to highly sophisticated simulations of daily and seasonal cycles in chicken farming. The latest invention is virtual spawning migrations. During decades, all attempts to breed the southern blue fin tuna - highly prized for sushi - in captivity failed. In 2009, a pilot project produced the first tank-bred tuna by simulating a 5-month-trip from Australia to Guinea. Although being inside a tank, the fishes “experienced” the gradual changes of temperature, currents, and salinity, and even moon phases and constellations (simulated by overhead lights in the tank). When “arriving” in their ancestral spawning ground, they produced the expected new generation. Whereas such simulations mostly serve humans, other techniques are able to help endangered species in a rapidly changing world. Austrian scientists, e.g., imprint hand-reared bald ibises to humans. As the birds will follow their foster parents everywhere, even if they are flying in a ultra-light plane, one can teach them a safe migration route to their winter quarter in Tuscany. 1 Einleitung “Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, und ich habe keine Tiere misshandelt” Ägyptisches Totenbuch, Spruch 125 Das Ägyptische Totenbuch enthält ein negatives Sündenbekenntnis, mit dessen vorgefertigten Sätzen der Verstorbene in der “Halle der vollständigen Wahrheit” vor 42 strengen Totenrichtern ausführliche Rechenschaft über seine Taten auf der Erde ablegen muss. Der vorliegende Beitrag wirft einige Schlaglichter auf unseren heutigen Umgang mit Tieren unter den beiden eng verflochtenen Leitfragen, inwieweit wir tierisches Leben inszenieren und welche Folgen dies für die Tiere hat. Viele Menschen verbringen immer mehr Zeit in künstlichen Umgebungen, seien diese nun materiell wie ein Freizeitpark oder virtuell wie ein Computerspiel. Während die Auswirkungen dieses Verhaltens in Psychologie, Soziologie und Medienwissenschaft gründlich untersucht werden, bleibt demgegenüber wenig beachtet, dass auch das Leben vieler Tiere immer mehr von virtuellen Elementen durchsetzt ist. Die folgenden Abschnitte untersuchen einschlägige Attrappen und Inszenierungen, die von Aufziehmäusen als Katzenspielzeug bis zur Simulation ganzer Laichwanderungen in Aquafarmen reichen. Bei Haustieren geht es über- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Dagmar Schmauks 386 wiegend darum, deren menschengeprägte Umwelt so anzureichern, dass artspezifische Verhaltensweisen möglich werden. In der Nutztierhaltung führen kommerzielle Erwägungen zu immer umfangreicheren Simulationen, so optimiert man die Legeleistung von Hennen durch künstliche Tages- und Jahresrhythmen. Der flugzeuggeführte Vogelzug schließlich ist ein Beispiel dafür, dass moderne Technik auch so eingesetzt werden kann, dass sie Wildtieren außerhalb von Zoos nützt. Semiotische Einteilungskriterien wie Sinnesmodalität, Dynamik und Komplexität der Attrappen erlauben eine differenzierte Typologie für die anschließenden Detailanalysen. Einleitend illustriert Abschnitt 2 den Unterschied zwischen Urbild und Abbild und belegt an Beispielen, dass die Gestaltung von Abbildern immer art- und zweckbedingt ist. Abschnitt 3 untersucht die eingesetzten Attrappen und Inszenierungen in grundlegenden Kontexten wie der Jagd sowie im Umgang mit Nutz-, Haus- und Wildtieren. Abschnitt 4 skizziert die modernsten technischen Inszenierungen, nämlich Projekte zum Einsatz von Robotertieren sowie komplexe Simulationen von Lebensrhythmen. Hier nicht behandelt wird die umgekehrte Simulation, nämlich die Vielzahl künstlicher Tiere, die bestimmte Bedürfnisse des Menschen befriedigen (Schmauks 2001). Die Geschichte materieller Tierfiguren reicht von ägyptischen Grabbeigaben über Schaukelpferde und Teddybären bis zu Robotertieren wie dem Saurierbaby Pleo von Ugobe. Virtuelle Tierdarstellungen findet man in Computerspielen wie Wolf Quest, dessen Spieler die Rolle eines Wolfs übernimmt, der Beutetiere jagt, sein Revier verteidigt, um ein Weibchen kämpft und Junge aufzieht (s. Website). 2 Semiotische Grundlagen: Die Unterscheidung von Urbild und Abbild “Wenn ich den Mops meiner Geliebten zum Verwechseln ähnlich abzeichne, habe ich zwei Möpse, aber kein Bild.” Johann Wolfgang v. Goethe In vielen Lebensbereichen gehen wir nicht mit den Objekten selbst um - hier der Einfachheit halber “Urbilder” genannt -, sondern mit deren unterschiedlich detaillierten Abbildern. Ein bekanntes Beispiel ist der schulische Wissenserwerb: Erdkundelehrer unternehmen selten Schulausflüge in entfernte Länder, sondern benutzen Landkarten, Bilder und Filme der besprochenen Regionen. Vergangene Zeiten lassen sich sogar prinzipiell nur anhand noch vorhandener Spuren und Dokumente erkennen. Eine andere Zeichensorte sind Nachahmungen, die das Urbild in bestimmten Handlungskontexten ersetzen. Meist sind sie als solche erkennbar und kaum jemand würde annehmen, dass er im Museumsladen für 9,80 die echte Nofretete erwirbt. Redensarten wie “Das ist kein Ersatz” oder abgeschwächter “Das ist nur ein billiger Ersatz” betonen den Abstand zwischen Abbild und Urbild. Wird hingegen die Tatsache der Nachahmung verheimlicht, so gleiten wir ins umfangreiche Gebiet der Täuschungen hinüber - von Kunstfälschungen über nachgemachte Gucci-Taschen bis zum Analogkäse. - Die folgenden Abschnitte skizzieren anhand konkreter Beispiele, wie unterschiedlich Mensch und Tier die von Menschen gemachten Attrappen wahrnehmen. Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 387 2.1 Voraussetzungen und Grenzen einer Wahrnehmung “Als-Ob” Die Ausschreibung zu dieser Sektion betonte, dass schon kleine Kinder die Fähigkeit zu einer Wahrnehmung Als-ob besitzen, wenn sie einen Bauklotz als Auto benutzen und dabei die Fahrbewegungen und Geräusche simulieren. Insbesondere behandeln Kinder ihre Spielzeugtiere wie deren Urbilder, füttern also ihren Plüschhund und führen ihn spazieren. Erwachsene sind sehr geübt im Eintauchen in vielfältige virtuelle Welten. Während jedoch nur phantasievolle Leser in einem Roman “versinken”, begünstigen Computerspiele als multisensorische Medien diese sog. “immersion” viel stärker. Weil das Wahrnehmen von Ähnlichkeiten eine grundlegende kognitive Fähigkeit ist, fällen wir Urteile der Form “X sieht aus wie Y” beim müßigen Betrachten von Sommerwolken ebenso wie im psychologischen Rorschachtest. Der fruchtbare Analogieschluss, also das Wahrnehmen von Ähnlichkeiten zwischen weit entfernten Sachgebieten, ist eine der kreativsten geistigen Leistungen überhaupt. Man erinnere sich hier an Gottlob Frege, der die Theorie der chemischen Bindung auf die Sprache übertrug, um zu erklären, wie sich Ausdrücke zu Sätzen zusammenfügen lassen. Der ungesättigte Junktor “schreibt” etwa benötigt zwei gesättigte Ausdrücke als Argumente, um Sätze wie “Der Semiotiker schreibt einen Tagungsbeitrag” zu ergeben. Zwei Beispiele aus der Literatur sollen belegen, dass sich von einfachsten Vergleichen die ganze Vielfalt rhetorischer Tropen ableitet, die alle Textsorten durchzieht. Robert Gernhardt und F.W. Bernstein verraten dem Leser im Vorwort zu ihrem Gedichtband Besternte Ernte (1976), sie hätten zur Dichtung durch einen Vers gefunden, der auf einem Rummelplatz zum Schiffschaukeln einlud: Wie ein Pfeil fliegt man daher, als ob man selber einer wär’. Dieselbe Suche nach Vergleichen hat Joseph von Eichendorff zu seinem Gedicht Mondnacht inspiriert, aus dem man die folgenden Zeilen gerne als Sinnspruch für Todesanzeigen zitiert: Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus. Während Gernhardt und Bernstein gezielt die unsinnige Verdopplung des Vergleichs verspotten, nimmt Eichendorff durch den Konjunktiv Irrealis das erhoffte Heimkommen bei der Auferstehung vorweg. Dieser Beitrag untersucht, inwieweit Tiere zu einem Wahrnehmen und Handeln Als-ob fähig sind. Zu beachten ist, dass es in der Natur zahlreiche Als-ob-Phänomene gibt, die nicht von einem Sender absichtlich gestaltet wurden, sondern im evolutionären Rüstungswettlauf zwischen Jäger und Beute entstanden sind (vgl. die Fallbeispiele in Lunau 2011). Zwei bekannte Beispiele für ein angeborenes oder erlerntes Wahrnehmen Als-ob sind: - Mimikry: ein Vogel verschmäht eine Schwebfliege als Beute, weil er auf ihre schwarzgelbe Warntracht so reagiert, als-ob sie eine Wespe sei, und - Mimese: ein Vogel übersieht eine Stabheuschrecke als Beute, wie er auf ihre Gestalt so reagiert, als-ob sie ein uninteressantes Ästchen sei. Dagmar Schmauks 388 Auch komplexere Verhaltensweisen lassen sich durch diese Begrifflichkeit erfassen, etwa die Tatsache, dass sich manche Vogelküken und junge Säugetiere in ihrer sensiblen Phase auf den Menschen prägen lassen und ihn fortan so behandeln, als-ob er ein Elterntier sei (vgl. den flugzeuggeführten Vogelzug in 3.4.1). Falls man zusätzlich fordert, ein Als-Ob läge nur dann vor, wenn der Adressat die Simulation als solche erkennt, wird eine Beurteilung sehr viel schwieriger. Zum einen zählten junge Säuglinge dann nicht mehr zum Kreis der Wissenden, denn sie lächeln die rudimentäre Zeichnung eines menschlichen Gesichtes instinktiv an, eben weil sie diese für einen lächelnden Menschen halten. Sogar Erwachsene halten zumindest zeitweise die Simulation für die Sache selbst, wenn sie auf einen Scherzartikel hereinfallen oder in eine Trompe-l’oeil-Tür hineinlaufen. Umgekehrt muss man Menschenaffen zugestehen, dass sie das Als-Ob bewegter Bilder fraglos durchschauen, denn sie sehen zwar gerne Filme, versuchen aber nicht - wie etwa Katzen! - die gezeigten Lebewesen zu berühren (vgl. die Affen-Pornos in 3.4.1). Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich auf Simulationen, die der Mensch gezielt für Tiere gestaltet, um bestimmte Zwecke zu erreichen. In jedem Einzelfall ist zunächst festzustellen, welche Merkmale des Urbildes simuliert werden müssen, um das gewünschte Verhalten auszulösen (aus wirtschaftlichen Erwägungen wird man meist eine Minimalversion bevorzugen). Wie muss ein Köder gestaltet werden, damit der Fisch darauf so reagiert, als-ob dieser ein Beutetier sei? Wie muss eine künstliche Kuh gestaltet werden, damit der Deckstier sie bespringt, als-ob sie lebendig sei? Die Feststellung der jeweiligen Auslösereize ist ein sehr komplexer Zeichenprozess, insbesondere falls der Mensch sie - wie im Fall von tierischen Pheromonen - gar nicht ohne Hilfsmittel wahrnimmt. Es liegt nahe, dass Simulationen umso wirksamer sind, je besser der Mensch die jeweiligen Auslösereize kennt und imitiert. So befriedigt Spielzeug für Katzen am besten deren Jagdtrieb, wenn es kleinen Beutetieren ähnelt. Ein Federbällchen, das der Mensch an einer Schnur unvorhersehbar bewegt, ist daher viel attraktiver als eine Aufziehmaus aus Hartplastik, die geradeaus läuft und schnell den Schwung verliert. Wichtig ist die Einsicht, dass in vielen Kontexten die Abbildfunktion von Objekten für das Tier belanglos ist. So bedienen pittoreske Dekorationen für Aquarien vor allem ästhetische Vorstellungen des Menschen. Zierfische hingegen haben lediglich das Bedürfnis nach einem Unterschlupf und erkennen all die Schiffswracks, Burgruinen und Dinosaurier-Skelette keineswegs als Abbilder bestimmter Objekte. Dass unterschiedliche Attrappen desselben Urbilds auch unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen, belegen eindrucksvoll die umstrittenen Experimente des Primatenforschers Harry Harlow aus den 1950er Jahren. Junge Rhesusaffen, die von ihrer Mutter getrennt wurden, suchten eine Milch spendende Affenattrappe immer nur zum Trinken auf, kuschelten sich aber die ganze restliche Zeit an eine weiche mit Stoff bespannte Attrappe. 2.2 Fallstudie Greifvogelsilhouetten: Nett gemeint und falsch gedacht Handelsübliche Greifvogelsilhouetten an Glasscheiben belegen instruktiv, wie leicht wohlmeinende Maßnahmen zum Tierschutz ohne ethologisches Wissen in die Irre gehen. Fensterglas ist eine menschliche Erfindung, die erhebliche Auswirkungen auf die Vogelwelt hat. Es fand erst seit dem Mittelalter weite Verbreitung, und noch Jahrhunderte lang blieben die einzelnen Flächen klein (Butzenscheiben, Sprossenfenster), farbig oder von Bläschen getrübt. Die riesigen senkrechten Fensterfronten moderner Hochhäuser sind also für Vögel eine ganz neue Art von Hindernis. Dass die Evolution noch keine Strategie entwickeln konnte, unsicht- Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 389 bare Hindernisse wahrzunehmen, weiß jeder, der schon einmal mit einer allzu sauberen Glastür kollidiert ist. Während aber der langsame Mensch meist nur den Umstehenden eine köstliche Slapsticknummer bietet, werden viele Vögel beim Aufprall schwer oder tödlich verletzt. Statistiken nennen 250.000 tote Vögel täglich in Europa, als Faustregel rechnet man mit jährlich einem toten Vogel pro Gebäude. Dabei führen die beiden gebräuchlichen Glasarten aus unterschiedlichen Gründen zu Kollisionen: Durch transparente Scheiben wollen Vögel in die dahinter sichtbare Landschaft fliegen, bei getöntem Glas sehen sie in den gespiegelten Bäumen und Büschen einen Unterschlupf. Zur Vermeidung solcher Unfälle hat man seit den 1970er Jahren bevorzugt Greifvogelsilhouetten aus schwarzer Plastikfolie auf Scheiben geklebt. Diese Methode beruht auf der Vorstellung, kleinere Vögel würden die Silhouette als Beutegreifer erkennen und ihr darum ausweichen. Verhaltensforscher haben jedoch schon viel früher festgestellt, dass die Form von Attrappen nicht ausschlaggebend ist. So lösen Attrappen beliebiger Form bei Puten eine Fluchtreaktion aus, insofern sie sich mit bestimmter Geschwindigkeit bewegen und noch keine Gewöhnung eingetreten ist (Eibl-Eibesfeldt 1962: 13). Eine Gewöhnung tritt schnell ein, weil häufig auftretende Objekte am Himmel (Wasservögel, Flugzeuge, Wolken) in der Regel harmlos sind, während gefährliche Greifvögel selten sind und daher weiterhin Angst auslösen. Statische Silhouetten hingegen werden von Vögeln gar nicht als Beutegreifer wahrgenommen, sondern nur als Hindernisse, die es zu umfliegen gilt. Folglich erfüllen geometrische und beliebige andere Formen denselben Zweck, insofern sie hinreichend dicht angeordnet sind. Eine lehrreiche Studie hierzu ist Maurits C. Eschers Graphik Drei Welten: Die Teichoberfläche als Grenze zwischen Luft und Wasser wird erst sichtbar, weil abgefallene Blätter der Bäume auf ihr treiben, die selbst nur in Spiegelungen zu sehen sind. Ornithologen überprüften, wie sich Glasscheiben durch eine engmaschige flächendeckende Musterung am besten entschärfen lassen. Wirksam ist etwa eine Beklebung von außen (da man sie sonst der Reflexion wegen schlechter sieht) durch senkrechte halbtransparente Streifen von 2cm Breite im Abstand von 4-10 cm. Um die Raumhelligkeit weniger zu mindern, nutzen alternative Maßnahmen die Fähigkeit vieler Vogelarten, auch das für Menschen unsichtbare Ultraviolett zu sehen (Buer und Regner 2002). Mit Filzstiften wie “Birdpen” lassen sich dichte UV-Muster aufmalen, und das seit 2005 erhältliche Vogelschutzglas reflektiert UV-Licht durch eine spezielle Beschichtung. Solche Missverständnisse zwischen Mensch und Tier verschärfen sich, wenn unterschiedliche Sinnesmodalitäten führend sind. Manche Besitzer lassen ihren Rüden nach der Kastration Hodenprothesen aus Silikon einpflanzen, damit sie von hinten weiterhin “männlich” aussehen. Dies dient jedoch lediglich dem Prestige des Besitzers, denn andere Hunde erkennen Geschlecht und Hormonstatus ihrer Artgenossen aufgrund von Pheromonen (also Gerüchen) und nicht visuell. 3 Attrappen und Inszenierungen in verschiedenen Kontexten Bei Jagd und Fischfang will der Mensch mögliche Beutetiere anlocken und dabei selbst unentdeckt bleiben. Die eingesetzten Attrappen nutzen immer auch die aktuellste verfügbare Technik. Der Umgang mit Nutz-, Haus- und Zootieren ist umso erfolgreicher, je besser man deren Bedürfnisse kennt. Sie alle benötigen Nahrung sowie einen Unterschlupf, der sie vor Feinden und Witterung schützt. Je höher die Entwicklungsstufe, desto mehr artspezifische Bedürfnisse kommen hinzu, etwa nach ausreichender Bewegung, nach Sozial- und Sexual- Dagmar Schmauks 390 kontakten sowie nach Gelegenheit zu Komfortverhalten wie Baden, Suhlen oder Schubbern. Da kognitiv leistungsfähige Tiere immer auch neugierig und verspielt sind, langweilen sie sich in einer reizarmen Umgebung schnell. 3.1 Jagd, Fischfang und Vergrämung In Jagd und Fischfang, die zu den ältesten Tätigkeiten des Menschen zählen, werden auf beiden Seiten in allen vorhandenen Sinnesmodalitäten vielerlei Täuschungsstrategien eingesetzt (Schmauks 2007 und 2009b). Ebenso wie viele Tiere eine Tarnfärbung besitzen, versucht auch der Jäger, hinsichtlich aller Sinnesmodalitäten unbemerkt zu bleiben. Er trägt Tarnkleidung, verblendet seinen Ansitz durch Netze oder frische Zweige, vermeidet Geräusche und pirscht sich gegen den Wind an. Beim Anlocken sozialer Tiere nutzt man gezielt deren Bedürfnis nach Geselligkeit. So verwendet man gefangene Singvögel zum Anlocken von Artgenossen und legt bei der Krähenjagd Fuchskadaver aus, damit Krähen sich versammeln und gemeinsam auf ihren Erzfeind hassen. Eine Alternative sind unterschiedlich aufwändige Tierattrappen. Manche mechanischen Lockvögel haben rotierende Schwingen, während das Modell “verwundeter Specht” laut Aussage des Herstellers am besten wirkt, wenn es mit nur einem Flügel auf dem Boden zappelt (http: / / www.floba-jagd.de/ Aktionen/ Verwundeter-Specht: : 113.html). Zu den nachgeahmten hörbaren Zeichen gehören die Lockrufe von Artgenossen. Der Krähenlocker ruft alle Krähen in Hörweite, während der Rehblatter die Fieplaute einer Ricke nachahmt und damit den Rehbock anlocken soll. Bei der Fuchsjagd ahmt der Jäger oft die Stimmen der Beutetiere nach, indem er selbst “mäuselt” oder eine Wildlocke wie die Hasenquäke benutzt. Eine olfaktorische Methode sind künstlich ausgebrachte Duftstoffe. Um etwa Schwarzwild im Revier zu halten, reicht die Produktpalette vom Spray mit Trüffelaroma zur Vorspiegelung attraktiver Nahrung bis zum “Duftstoff Keiler Sperma” (http: / / www.uckermark-jagd.de/ ). Dieselbe Methodenvielfalt dient dem umgekehrten Ziel, als schädlich geltende Tiere zu vergrämen. Herkömmliche Schreckreize sind Vogelscheuchen in Menschenform, blitzende Folienstreifen oder Schüsse. Attrappen von Greifvögeln oder deren Schreie vom Tonband sollen Stadttauben vertreiben oder Starenschwärme von Obstplantagen fernhalten. Im Gegensatz zum bloßen Vergrämen will man besonders schädliche Tiere ganz ausrotten. Jahrzehntelang waren Insektizide wie DDT das Mittel der Wahl, bis man erkannte, dass sie auch für andere Lebewesen schädlich sind und sich in der Nahrungskette anreichern. Eine weniger gefährliche Alternative ist die logistisch aufwändige “Sterile Insect Technique”. Sie bekämpft Fruchtfliegen und andere Schadinsekten, indem man massenhaft sterilisierte Männchen mit Flugzeugen im Zielgebiet ausbringt. Eine derartige Geburtenkontrolle über mehrere Generationen soll unter anderem die Überträger von Malaria (Anopheles-Mücke) und Schlafkrankheit (Tsetse-Fliege) ausrotten. Obwohl Anlocken und Vergrämen gegenläufige Ziele sind, leisten manche Attrappen beides. Eine Graureiherattrappe etwa vergrämt Artgenossen, da Reiher territoriale Einzelgänger sind, lockt aber zugleich Wasservögel und Krähen an, da Reiher besonders wachsam sind und daher anderen Arten Sicherheit vermitteln (vgl. das Abhören von Warnrufen anderer Arten bei Bouissac 1993: 9). Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 391 3.2 Umgang mit Nutztieren Viele Menschen in Ballungsräumen kennen das Leben von Nutztieren nur noch bruchstückhaft. Einerseits sehen sie in inszenierten Umgebungen wie dem Kinderbauernhof ein vergleichsweise idyllisches Tierleben, andererseits prangern Filme die Massentierhaltung oder lange Tiertransporte an. Der Alltag unserer vielen Millionen Nutztiere findet weitab vom Blick des Verbrauchers statt und enthält viele virtuelle Elemente, von denen die folgenden Abschnitte einige skizzieren. Ein linguistisch interessantes Thema, das hier nicht vertieft wird, sind tendenziöse sprachliche Bezeichnungen. So wird der umstrittene Kastenstand, der trächtigen und säugenden Zuchtsauen fast keinen Bewegungsspielraum lässt, von Züchtern gerne “Ferkelschutzkorb” genannt und von Gegnern in Anlehnung an ein mittelalterliches Foltergerät “Eiserne Jungfrau”. Und “Qualitätsfleischgewinnungsanlage” klingt natürlich viel harmloser als “Schlachthaus”. 3.2.1 Tierdesign. Vom Nutzen zum Gestalten Seit der Jungsteinzeit züchtet der Mensch zahlreiche Pflanzen- und Tierarten auf seine Ziele hin. Während er als Jäger und Sammler lediglich das Vorgefundene nutzte, setzte nun eine künstliche Steigerung und schließlich gezielte Gestaltung ein. Hierbei eignen sich nur solche Tierarten zur Domestikation, die leicht zu ernähren sind, schnell wachsen, sich in Gefangenschaft vermehren, nicht an ein Territorium gebunden sind, keine Anlagen zu Aggressivität und panischer Flucht besitzen, und vor allem: die als soziale Art den Menschen als Alphatier akzeptieren (Diamond 1998: Kap. 9). Diese Bedingungen erklären umgekehrt, warum so viele Arten niemals domestiziert wurden, nämlich insbesondere Nahrungsspezialisten (Pandas, die nur Bambussprossen fressen), Einzelgänger (Tiger), sehr aggressive Tiere (Zebras) und panisch reagierende Tiere (Gazellen). Die domestizierten Arten wurden durch weitere Züchtung in spezialisierte Arten aufgefächert, so dass etwa aus früheren Dreinutzungsrindern (Milch, Fleisch, Arbeitskraft) leistungsstarke Milch- und Fleischrassen hervorgingen, während die Zugkraft gar keine Rolle mehr spielt. Das jeweilige Zuchtziel wechselt mit den Rahmenbedingungen, so bevorzugt man in Notzeiten robuste Schweine mit viel Speck und in Überflusszeiten magere Schweine. Zugleich gingen Genügsamkeit und Anpassungsfähigkeit verloren, denn in der Intensivhaltung ist es belanglos, ob die Tiere vielerlei Futter und raue Witterung vertragen - sie sollen lediglich schnell schlachtreif werden. Sehr umstritten sind Bestrebungen, die Tiere durch Züchtung von Eigenschaften wie “stressresistent” und “spaltentauglich” an die Massentierhaltung anzupassen, anstatt umgekehrt die Haltungsbedingungen an die Bedürfnisse der Tiere. Dasselbe “Design im Medium des Organischen” gibt es auch bei weniger bekannten Tierarten. Wenn Perlenaustern verletzt werden, bilden sich Zysten, die Kalziumkarbonat abscheiden und so schichtweise Perlen aufbauen. Naturperlen waren seit der Antike von China über Indien und Arabien bis zum Mittelmeerraum begehrt. Heute lässt man Zuchtperlen auf Farmen entstehen, indem man Mantelgewebe von getöteten Spendermuscheln in die Empfängermuscheln transplantiert. Ein aktueller Designerfolg sind Seidenraupen, die durch Farbstoffe im Futter gleich farbige Fäden für ihre Kokons spinnen. Dagmar Schmauks 392 3.2.2 Nutztierhaltung und Technik Auch unsere Nutztiere haben artspezifische Bedürfnisse, deren Erfüllung zu mehr Wohlbefinden führt und damit letztlich zu mehr Profit für ihren Besitzer. Wo Bäume oder Pfosten fehlen, sind angeschraubte Scheuerbürsten für alle Weidetiere ein preiswertes Gerät zur Fellpflege. Eine technische Weiterentwicklung sind Putzmaschinen wie “Happycow” (Firma Siloking), deren Bewegungsmelder rotierende Bürsten einschaltet. Solche Maschinen nutzen dem Tier, indem sie artspezifisches Komfortverhalten ermöglichen. Die schon viel länger existierende Melkmaschine hingegen sollte vor allem dem Menschen die Arbeit erleichtern (die ersten Geräte im späten 19. Jahrhundert wurden von Hand betrieben, seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es elektrische). Für Schweine mit ihrem ausgeprägten Beschäftigungsdrang und Neugierverhalten ist Beschäftigungsmaterial im Stall heute gesetzlich vorgeschrieben, wobei die entsprechende EU-Richtlinie (2001/ 93/ EG vom 9. November 2001) jedoch nur Beispiele für Wühlmaterialien wie Stroh, Heu oder Torf nennt. Der Fachhandel bietet weiteres Spielzeug wie Ketten, Sisaltaue, Bälle und Beißringe an. Interessant ist ein Blick darauf, wie sehr sich die Rollen von Tier und Maschine in den letzten 200 Jahren gewandelt haben. Alle Hochkulturen konnten nur entstehen, weil der Mensch geeignete Tiere domestizierte, welche die Ernährung der wachsenden Bevölkerung sicherten, als Reittiere die Fortbewegung beschleunigten, in Landwirtschaft und Städtebau als Zug- und Tragtiere arbeiteten und mit dem Menschen in dessen zahllose Kriege zogen (Diamond 1998). Seit der industriellen Revolution wurde die tierische Arbeitskraft zumindest in den Industrieländern immer mehr durch Maschinen ersetzt. Während jedoch Ochsen als Arbeitstiere ganz verschwanden, avancierte das Pferd zum Freizeitpartner. Falls allerdings sein Besitzer wenig Zeit hat, ist Bewegungsmangel vorprogrammiert, was durch neue Technik verhindert werden soll. Freiführanlagen oder “Pferde-Karussells” sind kreisförmige Anlagen mit Außenzaun, die mehreren Pferden Platz bieten (vgl. Schmauks 2006). Wenn ihre innere Struktur in Kreisbewegung gesetzt wird, zwingen die Anbindung oder die radialen Trennwände die Pferde zu einer “kontrollierten Bewegung in einer vorgegebenen Geschwindigkeit”. Vor allem junge Pferde “lernen hier Rhythmus, Disziplin und ein geordnetes, gleichmäßiges Gehen im Schritt” (Morawetz 2002: 37). Das Pferd, dessen unermüdliches Trotten im Kreis ursprünglich Mühlen und Hammerwerke antrieb, wird also heute umgekehrt durch eine ganz ähnliche Technik selbst “in Gang gesetzt” (vgl. die Animation durch Robotertiere in Abschnitt 4.1). Oft ist das Lebensende von Nutztieren besonders stressig, falls sie eng zusammen gepfercht lange Strecken zum Schlachthof gefahren werden und dort das Sterben ihrer Artgenossen miterleben. Dieser Stress ist nicht nur aus Tierschutzsicht abzulehnen, sondern mindert auch die Fleischqualität. Verbesserungsvorschläge nennen die Begrenzung der Transportstrecken, die Vermeidung von Zeitdruck an der Schlachtstraße sowie als Alternative den Kugelschuss auf der Weide. Bahnbrechend bei der Gestaltung von artgerechten Anlagen zur Haltung und zum Transport von Vieh ist die US-amerikanische Verhaltensbiologin Temple Grandin (2009). Da sie als Autistin sehr bildhaft denkt, kann sie sich in die verschiedenen Tierarten einfühlen und viele unauffällige Details als Stressauslöser ausmachen. Manche davon wie rutschige Fußböden, flirrende Reflexe und ungleichmäßige Geräusche lassen sich mit wenig Aufwand beseitigen. Andere erfordern eine Umgestaltung, so wirken geschwungene Gänge, in denen die Tiere immer nur bis zur nächsten Kurve sehen, weniger bedrohlich als lange gerade Strecken. Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 393 Eine eher in Richtung bewusster Täuschung zielende Methode stellte Helmut Stein vor (Willmann 2005). Er baute im Burgenland eine Schlachthofattrappe, in der die Rinder jedes Mal Futter erhalten, wenn sie die Schlachtbox betreten. Nach einigem Training sollen sie darum auch auf ihrer letzten Reise ohne Furcht den echten Schlachthof betreten, weil sie ihn für die bereits bekannte Wellness-Oase halten. 3.2.3 Sexualverhalten und Zucht Die meisten Nutztiere leben heute nicht mehr in natürlichen Sozialgemeinschaften, in denen es durch spontane Deckakte während der Brunst zu Trächtigkeiten kommt. Die instrumentelle Besamung, die ursprünglich die Verbreitung von Viehseuchen verhindern sollte, ist heute ein Standardverfahren, um kostengünstig Jungtiere mit erwünschten Eigenschaften zu erzeugen (Busch und Waberski 2007). Sogar Bienenköniginnen werden oft unter dem Mikroskop und in Narkose instrumentell besamt. Ferner machen bestimmte Zuchtziele eine natürliche Paarung unmöglich, so hat man in den USA Putern eine so fleischige Brust herangezüchtet, dass sie keine Hennen mehr decken können (Grandin und Johnson 2009: 220). Instrumentelle Besamung ist umso erfolgreicher, je genauer der Mensch die jeweiligen Auslösereize simuliert. Bei der Samengewinnung von Rindern und Schweinen setzt man Attrappen des weiblichen Tieres ein. Diese sog. “Phantome” sind keine detailreichen Abbilder, sondern entsprechen lediglich dem “Torbogenschema”, also dem visuellen Eindruck der Hinterseite eines Weibchens. Während man für Stiere eine künstliche Vagina benutzt, werden Eber vom Menschen masturbiert. Förderlich sind Geruchsspuren früherer Samengewinnungen sowie die Möglichkeit, die Handlungen anderer Vatertiere mit allen Sinnen mitzuerleben. Bei der Samenübertragung wird zunächst festgestellt, ob das Weibchen in der Brunst ist. Sucheber stellen dies nicht nur treffsicherer fest als der Mensch, sondern animieren auch die zu besamenden Sauen durch Grunzen und Ebergeruch. Alternativ kann ein Spray mit Eberduftstoff die Sauen in Deckstimmung versetzen und sogar die Brunst mehrerer Sauen so synchronisieren, dass man sie gleichzeitig und folglich preisgünstig besamen kann. Um die erforderliche Duldungsstarre zu prüfen, klemmt sich der Mensch die Sau zwischen die Beine. Als semiotisch interessante Inszenierung imitiert also hier der Mensch die motorischen Prüfprozeduren einer anderen Art. Wie bei der Jagd gibt es auch bei der Reproduktion wieder Attrappen, die gegenläufige Ziele bedienen. Gipseier werden bei Hühnern eingesetzt, um sie zum Legen anzuregen oder um ihnen einen Platz für das Nest vorzugeben. Umgekehrt tauscht man die Eier von Stadttauben gegen Gipseier aus, damit die Tiere ihre Zeit mit Brüten verbringen, ohne den Bestand weiter zu vermehren. Als historische Abschweifung soll schließlich noch erwähnt werden, dass das erste erwähnte Phantom nicht der Tierzucht, sondern einem sexuellen Kontakt zwischen Mensch und Tier diente (vgl. Ranke-Graves 1960, I: 265f). Einer Legende zufolge hatte König Minos von Kreta einen prachtvollen Opferstier unterschlagen, den er Poseidon versprochen hatte. Der Meergott rächte sich und ließ Pasiphaë, die Gattin des Minos, in Liebe zu diesem Stier entbrennen. Da der Stier Pasiphaë als Frau verschmähte, bat sie den Tüftler Dädalus um Rat. Er baute eine hohle hölzerne Kuh, überzog sie mit Kuhhaut und rollte sie auf die Weide. So verkleidet konnte Pasiphaë den Stier verführen und gebar den Minotaurus. Für dieses Mischwesen mit dem Kopf eines Stieres auf dem Körper eines Mannes baute Dädalus später das Labyrinth von Knossos. Dagmar Schmauks 394 3.2.4 Süße Leiharbeit. Von der Wanderimkerei zur globalisierten Bienenvermietung Wer den Nutzen von Tieren bewertet, denkt zunächst an Grundnahrungsmittel wie Milch und Fleisch. Folglich nehmen in Deutschland Rind und Schwein die beiden ersten Plätze der Rangordnung ein. Auf Platz drei hingegen steht die oft übersehene Honigbiene. Zwar war Bienenhonig seit der Steinzeit das einzige ergiebige Süßungsmittel, bevor man lernte, den begehrten Zucker aus Rüben oder Zuckerrohr zu gewinnen. Ungleich wichtiger hingegen ist die Leistung der Bienen für die Pflanzenwelt, da sie bis zu 85% unserer Nutzpflanzen sowie zahlreiche Wildpflanzen bestäuben. Anders als viele andere Insekten sind Bienen “blütentreu”, suchen also immer dieselbe Pflanzenart auf. Als Gegenleistung für diese effiziente Verbreitung der Pollen erhalten sie Nektar als Futter für sich und ihre Brut. Das Verschwinden der Bienen würde ein Pflanzensterben unabsehbaren Ausmaßes bewirken, während man auf Fleisch und Milch ohne schwerwiegende Folgen verzichten könnte. Heute beschäftigt sich eine ganze Industrie mit dem “Bestäubungsmanagement”, also der Züchtung und Bereitstellung von Bestäubungsinsekten für Nutzpflanzen. Interessenten können unbegattete und begattete Bienenköniginnen, ganze Hummelvölker sowie Zubehör bestellen. Ein einprägsames Beispiel für die zunehmende Industrialisierung ist die Wanderimkerei. Traditionelle Wanderimker folgen dem Frühling, indem sie mit ihren Völkern innerhalb einer Region nacheinander die gerade blühenden Pflanzen besuchen. Durch die bereits erwähnte Blütentreue entstehen hierbei “Trachthonige” wie Klee- oder Tannenhonig. In den USA wird die Wanderimkerei mittlerweile industriell betrieben. Imker mit Hunderten von Bienenvölkern je Lastwagen ziehen über große Strecken von Plantage zu Plantage. Die Gewinnung von Honig ist dabei nebensächlich, auch weil dieser oft durch Antibiotika und Pestizide belastet ist. Tierschützer wenden ein, die ständige Ortsveränderung könne die Bienen stressen, und vor allem, dass manche Völker gar nicht mehr überwintert, sondern am Ende der Saison vernichtet werden (Schuh 2007). Neben Bienen werden auch Schwebfliegen und Hummeln als Bestäuber vermarktet, wobei Gewächshäuser und Folientunnel ganz neue Umwelten sind. Da das Kunstlicht in Gewächshäusern wegen seines zu geringen UV-Anteils die Orientierung und Bestäubungsleistung der Tiere mindert, braucht man wieder technische Abhilfe. So wird das “Wireless Beehome” (Firma Koppert) über Zeitschaltuhr und Klimacomputer gesteuert und lässt sein Hummelvolk nur bei günstigen Lichtverhältnissen aus dem Kasten. Auch in Folientunneln etwa für Erdbeeren und Frühtomaten werden - neben Gebläsen zur mechanischen Bestäubung - Bienen und Hummeln eingesetzt. 3.3 Umgang mit Haustieren Einer Statistik des Industrieverbandes Heimtiere (IVH) zufolge lebten 2009 in Deutschland 8,2 Millionen Katzen und 5,4 Millionen Hunde. Beide Tierarten sind erst in den letzten Jahrzehnten zu wirklichen “Haustieren” und Freizeitpartnern geworden, wohingegen ihre Vorfahren - man denke an Kettenhunde und Stallkatzen - überwiegend Nutztiere waren, die man nicht ins Haus ließ und zu denen keine emotionale Bindung bestand. Bei nicht-exotischen Haustieren ist es recht einfach, sie artgerecht zu ernähren und ihnen einen behaglichen Schlafplatz zu bieten. Das artspezifische Bewegungsbedürfnis wird durch Aufziehmäuse, Kletterbäume, Laufräder und Vogelschaukeln gefördert, während Kratzbäume und Badehäuschen dem Komfortverhalten dienen. Zu den aufwändigeren modernen Attrappen zählen Laufbänder für bewegungsarme Hunde sowie das ausgeklügelte Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 395 “CAT SPA” mit Akupressur-Polster, Zahnfleisch-Stimulator und Wellen-Massage (www.futterhaus.de). Für sozial lebende Tiere können einfache Attrappen niemals einen Artgenossen ersetzen. Spiegel oder Plastikvögel im Käfig von Sittichen oder Papageien verhindern keine Verhaltensstörungen, sondern beschwichtigen lediglich das schlechte Gewissen ihres Besitzers. Wie sehr sich die Rolle von Tieren gewandelt hat, sieht man am besten im medizinischen Bereich. Hunde und Katzen haben an vielen Errungenschaften des Menschen teil, von Massagen und Akupunktur über künstliche Hüftgelenke bis zur Verhaltenstherapie. Für gelähmte Hunde werden Rollstühle angeboten, und auch für Haustiere gibt es bei Bedarf Bluttransfusionen oder Spenderorgane von einem anderen Tier. Der Haustierbedarf vom Futter bis zur Hundeleine ist ein wichtiges Marktsegment, das 2009 über 3,6 Milliarden Euro Umsatz machte (IVH). Da liegt es nahe, dass auch Objekte und Dienstleistungen angeboten werden, die überwiegend oder ausschließlich dem Menschen dienen. Wie sehr Haustiere den oft ungesunden Lebensstil seiner Besitzer teilen, belegen Kataloge und Websites, die Appetitzügler und Psychopharmaka anbieten. Insgesamt ist die Teilhabe von Tieren am modernen Leben also durchaus zwiespältig zu bewerten, und eine Vernachlässigung ist ebenso wenig artgerecht wie Designermode oder Geburtstagspartys für Hunde. 3.4 Wildtiere Für Wildtiere in Zoos gelten grundsätzlich dieselben Forderungen wie für Nutz- und Haustiere: Da ihr ganzes Leben unter Einfluss des Menschen stattfindet, sollte dieser ihre artspezifischen Bedürfnisse so weit wie möglich kennen und erfüllen. Nachrichten über Tiere in freier Wildbahn sind meistens deprimierend und berichten darüber, dass die verbliebenen Lebensräume durch den Menschen immer stärker verkleinert, verschmutzt, beschallt oder anderweitig beeinträchtigt werden. Um die auch vorhandenen Gegenbewegungen in das ihnen zustehende Licht zu rücken, beschreibt der letzte Teilabschnitt einige Projekte, die moderne Technik zum Nutzen von Wildtieren einsetzen. 3.4.1 Zoos Moderne Zoos versuchen auf vielfältige Weise, die artspezifischen Bedürfnisse ihrer Tiere zu befriedigen (Grandin und Johnson 2009: 263ff). Da Tiere in der freien Natur den größten Teil des Tages mit Futtersuche und Fressen verbringen, fordert man sie zunehmend bei der Fütterung. So lässt man Schimpansen ihr Futter aus angebohrten Holzstücken stochern, Erdnüsse aus Strohballen pulen oder Quark aus Schlauchstücken saugen. Für kletterfähige Tiere hängt man Futter in die Bäume, während Eisbären ihre Fische aus Eisblöcken lutschen. Eine stärker technische Lösung sind komplizierte Futterautomaten. Tägliches Training verhindert Langeweile und fördert eine enge Vertrautheit zwischen Tieren und Pflegern. Vielerlei einfache Objekte wie Papierrollen, Fahrradreifen, Bälle und alte Besen werden gern erkundet und als Spielzeug benutzt, bis sie ihren Reiz verlieren. Während Tiere in freier Wildbahn auch sexuelle Verhaltensweisen durch Beobachtung Erwachsener lernen, kann bei Handaufzuchten im Zoo dieses Lernen am Modell fehlen. Um Orang-Utans “aufzuklären”, hat man schon erfolgreich Softpornos mit Menschen eingesetzt, die den Koitus von hinten ausführen (Etzold 2003). Affen verstehen also nicht nur den Film Dagmar Schmauks 396 als Medium hinreichend gut, sondern sehen auch durchaus Ähnlichkeiten in Körperbau und Verhalten zwischen sich und den Menschen. 3.4.2 Technik für Wildtiere Die Zerschneidung von Wildwechseln durch Autobahnen, zahlreiche Todesfälle von Vögeln an Stromleitungen und die Verseuchung von Gewässern durch Pestizide sind nur einige der vielen Belege dafür, wie stark wir das Leben von Wildtieren beeinträchtigen. Dieser Abschnitt soll zeigen, dass Technik aber auch dabei helfen kann, um gefährdeten Arten neue Verhaltensweisen in einer schnell sich wandelnden Welt beizubringen. Wenn bedrohte Zugvogelarten nachgezüchtet werden, kennen die Jungvögel oft die Route zu ihren Winterquartieren nicht. Darum prägt man sie auf einen Menschen, der ihnen bei der ersten Reise als simulierter “Elternvogel” mit einem Ultraleichtflugzeug voraus fliegt. So kann man den Jungvögeln abseits von Ballungsräumen und anderen Gefahrenstellen eine sichere Route zeigen, die sie fortan alleine beibehalten. Begründet wurde diese Methode von William Lishman, der im Herbst 1993 erstmals Kanadagänse von Ontario ins Winterquartier nach North Carolina führte. Auf seinem Buch Father Goose (1996) beruht auch der Film Amy und die Wildgänse (Caroll Ballard 1996). Ähnlich werden Handaufzuchten des bedrohten Waldrapps ausgewildert, indem man sie von der Aufzuchtstation in Österreich in die südliche Toskana führt (Böhm 2011). Einige dieser Tiere fanden selbstständig den Rückweg, und 2008 führte ein vom Menschen “ausgebildeter” Waldrapp erstmals selbst Handaufzuchten ins Winterquartier. Im August 2011 startete bereits die achte Migrationsgruppe und ist mit 14 Waldrappen am 22. September gut angekommen (http: / / www.waldrappteam.at/ waldrappteam/ indexl.htm). 4 Komplexe technische Attrappen und Inszenierungen Dieser Abschnitt stellt zwei der modernsten Ansätze vor, nämlich Einsatzbereiche für Robotertiere und technische Simulationen natürlicher Lebensrhythmen. 4.1 Robotertiere als simulierte Artgenossen oder Feinde Derzeit vorhandene Robotertiere dienen entweder der menschlichen Unterhaltung wie der Hund Aibo von Sony oder das Saurierbaby Pleo von Ugobe, oder sie übernehmen bestimmte Serviceaufgaben wie das Seehundbaby Paro in der Altenbetreuung (http: / / www.parorobots. com/ und Schmauks 2009a). Die hier vorgestellten Robotertiere hingegen sollen echte Tiere beeinflussen. Das EU-Großprojekt “Leurre” (= Köder) hat das Ziel, “gemischte Gesellschaften” von Tieren und Robotern zu gründen (http: / / leurre.ulb.ac.be/ index2.html). Als Prototyp wurde der Insekten-Roboter InsBot geschaffen. Er ist zwar nur ein kleiner Quader auf Rädchen, riecht und bewegt sich aber wie eine Kakerlake. Anders als echte Schaben jedoch bevorzugt er Helligkeit und soll seine Urbilder aus ihren dämmrigen Schlupfwinkeln locken, so dass man sie leichter vernichten kann. Da die geselligen Insekten ihn als Artgenossen anerkennen, bleiben sie arglos auch dann in seiner Nähe, wenn er an einer schabenfeindlich hellen Stelle verharrt. Dasselbe Projekt hat noch mehr Robotertiere auf seiner Agenda. So soll ein Robo- Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 397 Schaf als Leittier seine Herde von Klippen und anderen Gefahren fernhalten, und ein Robo- Huhn die Hühner im Massenstall zu mehr gesunder Bewegung animieren. Im Bereich Vergrämung wurde der ferngesteuerte Falco Robot entwickelt, der kleinere Vögel von Flughäfen vertreiben soll, um die Gefahr des Vogelschlags zu vermindern. 4.2 Tierwelt am Draht. Komplexe Simulationen von Lebensrhythmen Jedes Lebewesen ist an natürliche periodische Änderungen seines Lebensraumes angepasst, vor allem an den Wechsel von Tag und Nacht sowie den Ablauf der Jahreszeiten. Hierbei wird die angeborene innere Uhr ständig durch äußere Faktoren neu “geeicht”, etwa durch Tageslänge, Höhe des Sonnenstandes, Temperatur und Nahrungsangebot. Vom Verbraucher wenig beachtet werden diese Rhythmen heute immer umfangreicher simuliert, um den Nutzen der Tiere zu steigern. 4.2.1 Die Simulation von Tages- und Jahreszeiten Bauern haben immer schon die Tatsache genutzt, dass Dunkelheit die Tiere ruhigstellt und schneller fett werden lässt. Während Bilderbücher oft die vorindustrielle Landwirtschaft nostalgisch verklären, wurden Nutztiere in Wirklichkeit oft in engen dunklen Verschlägen gehalten (eine Zeichnung von Heinrich Zille zeigt einen Berliner Hinterhof mit einer nur tischgroßen Holzkiste, aus deren Klappe sich ein Schweinerüssel reckt). Die Zusammenhänge zwischen Beleuchtung und Verhalten sind heute gut erforscht und werden gezielt kommerziell genutzt. So wird die Umwelt konventionell gehaltener Legehennen bis in kleinste Details vom Menschen gestaltet. In Ställen ohne Tageslicht variieren Lichtprogramme die Dauer und Intensität der Beleuchtung, um den Ablauf der Jahreszeiten zu simulieren und so die Legetätigkeit zu maximieren. Von den zahlreichen unterschiedlichen Strategien kann hier nur ein Beispiel skizziert werden. Unter natürlichen Bedingungen würde eine Henne im Frühling etwa 10-12 Eier legen, das Gelege ausbrüten, ihre Küken aufziehen, sich im Herbst mausern und Reserven für den futterarmen Winter anlegen. Durch jahrtausendelange Züchtung und optimierte Ernährung liefern Legehennen heute jedoch bis zu 300 Eier im Jahr. Ihr Bruttrieb wurde zum Teil weggezüchtet, und da in einem Legebetrieb die Eier ständig über ein Transportband entfernt werden, wird aus Sicht der Henne ihr Gelege ohnehin nie vollständig. Erst die Simulation natürlicher Jahresrhythmen stellt sicher, dass es zu jeder Jahreszeit frische Eier gibt (Sudhop). Die Eintagsküken kommen im simulierten Frühsommer mit einer Tageslänge von rund 16 Stunden in den Aufzuchtsstall. In den ersten 8-10 Lebenswochen verringert man die Tageslänge allmählich auf 8-9 Stunden und füttert energiereich, damit die Tiere für den bevorstehenden “Winter” Reserven anlegen. Wenn die Junghennen mit 17-19 Wochen zu legen beginnen, verlängert man den Tag wieder allmählich auf 14-16 Stunden und behält diese Tageslänge bei, um die Legeleistung konstant zu halten. Ähnlich manipuliert wird auch die normalerweise im Herbst eintretende Mauser, während der die Tiere ihr Gefieder erneuern und 2-3 Monate lang keine Eier legen. Hennen, die sich jährlich in dieser Ruhepause allgemein erholen können, werden bis zu 10 Jahre alt, legen aber immer weniger. Wird hingegen durch konstante Beleuchtung die natürliche Mauser vermieden, so erschöpft das die Hennen so schnell, dass ihre Legeleistung nach rund 15 Monaten erheblich nachlässt und man sie schlachtet. Dagmar Schmauks 398 Alternativ kann man durch Verkürzung der Tageslänge auf wenige Stunden und Verringerung des Futters eine künstliche Mauser auslösen. Sie ist kürzer als die natürliche und ihr Zeitpunkt kann frei gewählt werden. Kleine Betriebe wählen für diese Legepause die Sommerferien oder die Zeit direkt nach Weihnachten, wenn die meisten Kunden in Urlaub sind (Halsdorf 2001: 8f). Die Vor- und Nachteile dieser Zwangsmauser werden unterschiedlich bewertet. Die Hennen leben länger und werden für den Züchter besser “amortisiert” (Zeltner 2004). Andererseits produzieren sie je Tierplatz weniger Eier und nach der Mauser mehr “Großeier”, die sich schlechter absetzen lassen (Halsdorf 2001: 10). Eine andere künstliche Auslösung der Mauser hat rein ästhetische Gründe. Züchter von Rassegeflügel, die ihre Tiere auf Schauen präsentieren wollen, können die normalerweise im Spätsommer und Herbst stattfindende Hauptmauser vorverlegen, indem sie kurzfristig die Tageslänge durch Verdunkelung des Schlages verkürzen und weniger füttern. Anschließend dient ein besonders nährstoffreiches Futter zum Wiederaufbau eines üppigen Federkleides. 4.2.2 Die Simulation von Laichwanderungen Ein globales Problem ist der weltweit steigende Bedarf nach Seefisch trotz bereits deutlicher Überfischung vieler Meeresgebiete und Fischarten. So sind die Bestände des Südlichen Blauflossen-Tunfischs, dessen Bauchfleisch vor allem in Japan für Sushi und Sashimi begehrt ist, seit den 1990er Jahren deutlich geschrumpft. Fischfarmen sind ein Ausweg, haben aber manchmal unerwünschte Nebenwirkungen wie Überdüngung der Gewässer, Krankheiten aufgrund zu hoher Bestandsdichte sowie schwer abschätzbare Folgen durch entkommene Fische. Das Hauptproblem aber war, dass sich der nomadisch lebende Tuna in Gefangenschaft überhaupt nicht fortpflanzt. Daher hatte man bisher junge Tunfische gefangen und in Aquakulturen bis zur Schlachtreife gefüttert. Folglich galt es im März 2009 als Sensation, als die Firma Clean Seas in Port Lincoln (Australien) erstmals einige Dutzend Tuna-Wildfänge erfolgreich in ihrer Fischfarm zum Laichen brachte. Das Time Magazine positionierte diesen “tank-bred tuna” in seiner Liste der 50 wichtigsten Erfindungen von 2009 an zweiter Stelle. Die benutzte Methode, in einem Bassin computergesteuert die gesamte fünf Monate dauernde Laichwanderung von Australien bis Papua-Neuguinea zu simulieren, stammt vom deutschen Züchter Hagen Stehr (Biggs and Pearson 2009, Bierach 2010). Während man in der Legehennenhaltung nur saisonale Lichtveränderungen (also Tageslänge und Helligkeit) an einem bestimmten Ort simuliert, müssen hier zusätzlich alle wichtigen Faktoren der natürlichen Ortsveränderungen einbezogen werden, also regionale Meeresströmungen sowie die allmähliche Änderung von Wassertemperatur und Salzgehalt. Sogar die Mondphasen und Sternbilder, die für tagaktive Hennen unwichtig sind, wurden durch Deckenlichter simuliert. Obwohl also die Fische immerzu in einem riesigen Becken von 25 Meter Durchmesser und 7 Meter Tiefe schwimmen, “erleben” sie eine vollständige Laichwanderung. 5 Fazit Vom durchschnittlichen Verbraucher wenig beachtet hat sich das Leben vieler Tierarten erheblich gewandelt. Der Großteil unserer Fleischtiere lebt von der Zeugung bis zur Schlachtung unter Bedingungen, die wir in allen Details so gestalten, dass die Tiere schnell und kostengünstig ihr Schlachtgewicht erreichen. Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 399 Beim komplexesten Beispiel der simulierten Laichwanderung ist die Inszenierung so umfassend, dass sie schon an Fassbinders Film Welt am Draht (1973) erinnert, in dem eine Gruppe von Forschern nicht nur simulierte Menschen erschafft, sondern schließlich erkennt, dass auch sie selbst nur “Simulationseinheiten” in einem “Simulakrum” sind. Jedoch bestehen im Hinblick auf Virtualität zwischen Menschen und Nutztieren mehrere grundlegende Unterschiede: 1. Menschen treiben sich freiwillig in virtuellen Welten herum, Tiere haben keine Wahl. 2. Menschen verfolgen mit dem Eintauchen in virtuelle Welten eigene Ziele, Inszenierungen für Nutztiere dienen ausschließlich den Zielen ihrer Besitzer. 3. Bei Menschen ist jede virtuelle Welt in die reale eingebettet, für Nutztiere gibt es keinen realen Rahmen. Da so viele Nutztiere inmitten von immer mehr und immer umfangreicheren Inszenierungen leben, fallen kleine Meldungen umso stärker auf, die auf die weiterhin wichtige Rolle der Realität hinweisen. Abschließend sei daher ein Ratschlag des Verbandes “Hülsenberger Zuchtschweine” (s. Website) zitiert, der die besonders frustrierte Gruppe der Sucheber betrifft. Diese Eber sind zwar ständig in Gegenwart vieler betörend duftender deckbereiter Sauen, dürfen diese aber nie bespringen, sondern sie nur für die instrumentelle Besamung aufgeilen (vgl. Abschnitt 3.2.3). Zwar wurde der Ratschlag von Menschen für Menschen formuliert, seine Beherzigung erfreut aber hoffentlich auch beide Tiere - die Sau, weil sie so (als Äquivalent einer Henkersmahlzeit) kurz vor dem Tod zum ersten Mal einen Eber kennenlernt, und den Eber, der ja nicht weiß, dass er ausschließlich mit Todgeweihten verkehrt: “Lassen Sie die Sucheber hin und wieder brünstige Schlachtsauen decken, damit sie aktiv bleiben.” Literatur (bei allen Websites war der letzte Zugriff am 3.11.2011) Bierach, Barbara 2010: “Der furchtlose Retter des Sushi”. Welt am Sonntag vom 28.2.2010. http: / / www.welt.de/ diewelt/ wirtschaft/ article6594014/ Der-furchtlose-Retter-des-Sushi.html Biggs, Stuart und Madelene Pearson 2009: “Breeding breakthrough helps sushi baron create sustainable tuna”. http: / / www.bloomberg.com/ apps/ news? pid=newsarchive&sid=amANLM42LmeY Böhm, Christiane 2011: Der Waldrapp - Geronticus eremita. Ein Glatzkopf in Turbulenzen, Hohenwarsleben: Westarp Wissenschaften Bouissac, Paul 1993: “Semiotisches Wettrüsten: Zur Evolution artübergreifender Kommunikation”, in: Zeitschrift für Semiotik 15: 3-21 Buer, Friedrich und Martin Regner 2002: “Mit “Spinnennetz-Effekt” und UV-Absorbern gegen den Vogeltod an transparenten und spiegelnden Scheiben”, in: Vogel und Umwelt 13.1: 31-41 Busch, Walter und Dagmar Waberski 2007: Künstliche Besamung bei Haus- und Nutztieren, Stuttgart: Schattauer Diamond, Jared M. 1997: Guns, germs and steel. The fates of human societies. London: Cape. Deutsch: Arm und reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, Frankfurt a.M.: Fischer 1998 Eibl-Eibesfeldt, Irenäus 1962: “Technik der vergleichenden Verhaltensforschung”, in: Johann-Gerhard Helmcke u.a. (eds.): Handbuch der Zoologie, 8. Band, 31. Lieferung, Berlin: de Gruyter, 1-34 Etzold, Sabine 2003: “Porno im Affenkäfig”, in: DIE ZEIT 12/ 2003; http: / / www.zeit.de/ 2003/ 12/ N-Affenpornos Gernhardt, Robert und F.W. Bernstein 1976: Besternte Ernte. Gedichte aus fünfzehn Jahren, Frankfurt a.M.: Zweitausendeins Grandin, Temple and Catherine Johnson 2009: Animals make us human. Creating the best life for animals, Boston: Houghton Mifflin Dagmar Schmauks 400 Halsdorf, Stephanie 2001: Aktuelle Situation der Anwendung von Mauser bei Legehennen in der Schweiz, Zürich: Semesterarbeit am Forschungsinstitut für biologischen Landbau; http: / / n.ethz.ch/ student/ shalsdor/ Mauser.pdf Hülsenberger Zuchtschweine (ed.): “Halten Sie den Sucheber aktiv”. http: / / www.huelsenberger-zuchtschweine.de/ pdf/ Halten_Sie_den_Sucheber_aktiv.pdf Lishman, William 1996: Father goose. The adventures of a wildlife hero, London: Orion; Deutsch: Vater der Gänse. Dem Geheimnis des Vogelzugs auf der Spur, München: Droemer Knaur 1996 Lunau, Klaus 2011: Warnen, Tarnen, Täuschen. Mimikry und Nachahmung bei Pflanze, Tier und Mensch, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Morawetz, Eva 2002: “Die Führanlage - das moderne Pferde-Karussell”, in: Pferde-Revue 12/ 2002: 37-41 Ranke-Graves, Robert von 1960: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung, 2 Bände, Reinbek: Rowohlt Schmauks, Dagmar 2001: “Künstliche Tiere”, in: Jeff Bernard und Gloria Withalm (eds.): Mythen, Riten, Simulakra. Semiotische Perspektiven, Wien: ÖGS: 1151-1175 Schmauks, Dagmar 2006: “Tier - Mensch - Maschine”, in: Erich Schweighofer u.a. (eds.): e-Staat und e-Wirtschaft aus rechtlicher Sicht, Stuttgart: Boorberg, 493-498 Schmauks, Dagmar 2007: “Heiße Spuren und treffende Argumente. Die Jagd als Metaphernspender”, in id.: Semiotische Streifzüge. Essays aus der Welt der Zeichen, Münster: LIT, 32-42 Schmauks, Dagmar 2009 a: “Vorwärts in die Vergangenheit. Wellengänge in der Mensch-Tier-Beziehung”, in: Hartmut Heller (ed.): Wiederholungen. Von Wellengängen und Reprisen in der Kulturentwicklung, Münster: LIT, 72-88 Schmauks, Dagmar 2009 b: “Die Rolle der Zeichenmaterialität in Interaktionen zwischen Mensch und Tier”, in: Kodikas/ Code. Ars Semeiotica. An International Journal of Semiotics 32: 47-62 Schuh, Hans 2007: “Die Biene, das Geld und der Tod”, in: Zeit online Wissen vom 24.5.2007; http: / / www.zeit.de/ 2007/ 22/ Bienen Sudhop, Rüdiger o.J.: Legehennenhaltung Teil 2; http: / / www.biothemen.de/ Tier/ gefluegel/ legehennen2.html Willmann, Urs 2005: “Entspannt in den Tod”, in: DIE ZEIT vom 7. Juli 2005: 33 Wolf Quest o.J.: http: / / www.wolfquest.org/ Zeltner, Esther 2004: “Verlängerte Nutzungsdauer von Legehennen im Biolandbau”, in: Freiland-Journal 2/ 2004: 8-9 Die Autoren / The Authors Prof. Dr. Sascha Demarmels studierte Germanistik, Publizistikwissenschaft und Medienforschung sowie Filmwissenschaft an der Universität Zürich und promovierte über Emotionalisierungsstrategien auf politischen Plakaten im 20. Jahrhundert. Sie arbeitet als Dozentin für Kommunikation Deutsch und als Projektleiterin an der Hochschule Luzern - Wirtschaft. Arbeitsschwerpunkte: Verständlichkeit, professionelle Kommunikation mündlich/ schriftlich/ online, Gesprächsführung und Konfliktkommunikation, Rhetorik. Dr. phil. Lars Christian Grabbe, 2000 bis 2005 Studium der Philosophie, Soziologie und Neueren deutschen Literatur und Medienwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Von 2005 bis 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFT-Nord (Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung) in Kiel. Seit 2010 Lehrbeauftragter am Institut für Design, Kunst und Medienwissenschaft (IDKM) der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel. Oktober 2011 bis März 2012 Freisemestervertretung von Prof. Dr. Norbert M. Schmitz am Fachbereich Ästhetik der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel. Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Lüttich ist Ordinarius für Germanistik (Sprach- und Literaturwissenschaft) an der Universität Bern (Schweiz) und Extraordinarius an der University of Stellenbosch (Südafrika). Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich der Dialog- und Diskursforschung sowie der Text- und Kommunikationswissenschaft. Er hat bislang ca. 40 Bücher geschrieben oder herausgegeben und über 320 Aufsätze publiziert. Er war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS) und ist Präsident der internationalen Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG), zudem Mitglied diverser Herausgebergremien und wissenschaftlicher Beiräte internationaler Zeitschriften sowie Ehrenmitglied der Gesellschaft ungarischer Germanisten (GuG). Als Gastprofessor lehrte er an renommierten Universitäten auf allen Kontinenten. Prof. Dr. Klaus H. Kiefer studierte Germanistik und Romanistik in Heidelberg, Paris und München; nach Staatsexamina und Promotion in Neuerer deutscher Literaturwissenschaft (1977 bei Walter Müller-Seidel) war er zunächst als DAAD-Lektor in Westafrika (1980-1981) und dann als Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Deutschdidaktik (Walter Gebhard) an der Universität Bayreuth tätig; 1989 habilitierte er sich und unterrichtete nach drei Jahren Schulpraxis zunächst an der Leibniz-Universität Hannover und von 1996 bis 2012 als Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München; er ist auch Gründer (und war langjähriger Vorsitzender) der Carl-Einstein-Gesellschaft / Société-Carl-Einstein und war Fellow am Center for the Humanities der Northwestern University in Evanston, Illinois. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Die Autoren / The Authors 402 Dr. Simone Neuber, Studium der Philosophie und Neueren Englischen Literatur in Tübingen und New York. Promotion in Philosophie an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit einer Arbeit über Scheingefühle. Seit September 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Ab April 2012: Thyssen-Projekt über Husserls Neutralitätsmodifikation. Mara Persello, M.A., Studium der Fächer Kunstkritik und Semiotik, 2003 Abschluss mit einer Magisterarbeit in Semiotik über die Subkulturen an der Universität Bologna. 2006-2009 Kursleiterin am Italienischen Kultur Institut Hamburg. Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Kulturen romanischer Länder an der Universität Potsdam, Doktorandin mit dem Promotionsprojekt: Systeme der Bedeutungsschöpfung der Subkultur. Forschungsinteressen: Sub- und Jugendkultur, Ikonographie, Pop-Kultur. Dr. Daniel H. Rellstab studierte Germanistik, Linguistik und ev. Theologie in Bern. Nach einem durch ein Stipendium des Schweizer Nationalfonds finanzierten Forschungsaufenthalts an der Indiana University, Bloomington und der Purdue-University, Indianapolis, USA, promovierte er 2006 mit einer Arbeit über Peirce bei Ernest Hess-Lüttich, an dessen Lehrstuhl er zuletzt als Oberassistent tätig war, bevor er als Lecturer of Intercultural Studies an die Universität Vaasa in Finnland berufen wurde; gleichzeitig arbeitet er am Abschluss seiner Habilitation in Bern. Prof. Dr. Dagmar Schmauks studierte in München, Salzburg und Saarbrücken und promovierte 1990 mit einer Arbeit über Deixis in der Mensch-Maschine-Interaktion (ersch. 1991 bei Niemeyer); 1995 habilitierte sie sich an der TU Berlin mit einer Arbeit über “Multimediale Informationspräsentation am Beispiel von Wetterberichten” (ersch. 1996 bei Academia) und unterrichtet seit 2007 als Professorin (a.p.l.) Semiotik an der TU Berlin; sie war in zahlreichen Forschungsprojekten engagiert, interessiert sich vor allem für visuelle Zeichensysteme, Kultur- und Körpersemiotik, Orientierung im Raum, Semiotik von Landkarten, multimediale Kommunikation; neben zahlreichen Aufsätzen, Berichten, Rezensionen, Übersetzungen etc. hat sie bislang sieben Bücher veröffentlicht; von 1998 bis 2004 hat sie überdies (gemeinsam mit Roland Posner) die Zeitschrift für Semiotik herausgegeben. Doris Schöps studierte Kunstpädagogik, Germanistik und Italienisch in Dresden, Rom und Berlin. 2009 bis 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Innovationszentrum Wissensforschung der TU Berlin. Derzeit Arbeit an der Dissertation zum Thema Konstruktion sozialistischer Rollenbilder im DEFA-Film bei Prof. Roland Posner (TU Berlin). Seit 2012 Stipendiatin der Bundesstiftung Aufarbeitung. Dr. Martin Siefkes studierte Musik, Deutsche Philologie und Allgemeine Linguistik; 2006 schloss er das Studium mit einer M.A.-Arbeit über die Rolle der deutschen Missionare in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika während des Nama-Herero-Aufstands 1904-1907 ab und nahm dann bis 2009 Lehraufträge zur Kulturtheorie und Linguistik an der TU Berlin wahr; 2010 promovierte er ebendort mit einer Arbeit zur semiotischen Stiltheorie; seit 2011 hat er ein Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung für einen zweijährigen Forschungsaufenthalt am Designinstitut der Università IUAV di Venezia; seine derzeitigen Forschungsinteressen umfassen Stiltheorie, Kulturtheorie, Artefakt- und Designforschung sowie Experimentelle Ästhetik. Peirce’s NonReduction and Relational Completeness Claims 403 Ursula Stalder, lic. phil. I, forscht und lehrt an der Hochschule Luzern im Bereich Online- Kommunikation; seit 2006 führt sie den interdisziplinären Forschungsschwerpunkt “Out-of- Home-Displays”, der sich mit der zunehmenden Durchdringung des öffentlichen Raums mit digitalen Medieninfrastrukturen beschäftigt. Ursula Stalder hat Medienwissenschaft und Germanistik an der Universität Zürich studiert und danach als Founding Partner/ CEO während rund 10 Jahren eine auf Online-Branding und -Kommunikation spezialisierte Beratungsagentur in Zürich geführt. Christian Trautsch, StR, studierte Deutsch und Philosophie (Lehramt) an der TU Berlin und unterrichtete nach den Staatsexamina in Berlin als Gymnasiallehrer; seit 2010 promoviert er nebenbei in Semiotik an der TU Berlin. Yixin Wu, M.A. studierte Visuelle Kommunikation in Hangzhou (B.A. 2003) und ‘Art in Context’ an der Universität der Künste zu Berlin (M.A. 2007). VERSATZ 190 MM/ 30 MM Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! VERSATZ 190 MM/ 30 MM Nina Janich (Hg.) Handbuch Werbekommunikation Sprachwissenschaftliche und interdisziplinäre Zugänge UTB L 2012, XVI, 508 Seiten, div. Abb. und Tab. €[D] 34,99/ SFr 44,90 ISBN 978-3-8252-8457-2 Das vorliegende Handbuch leitet an zu einer methodisch reflektierten linguistischen Erforschung der Werbekommunikation und bietet dabei dreierlei Zugangsmöglichkeiten. In einem ersten Teil nähern sich die Beiträge der Werbekommunikation vom sprachlichen Gegenstand her und diskutieren Methoden zur fundierten Analyse und Interpretation der sprachlichen Form von Werbetexten. Der zweite Teil versammelt Beiträge, die die Werbekommunikation aus den unterschiedlichen methodischen Perspektiven sprachwissenschaftlicher Teildisziplinen (wie Stilistik, Rhetorik, Pragmatik, Diskursanalyse, Medienlinguistik, Sprachdidaktik u.a.) betrachten. Der dritte Teil eröffnet interdisziplinäre Ausblicke, da Werbekommunikation im gesellschaftlichen Kontext nur unter Einbeziehung der wirtschaftlichen, kommunikativ-medialen und sozialen Rahmenbedingungen und ihrer Wirkung sinnvoll betrachtet werden kann. Hier kommt auch die Praxis mit ihren Fragen an die Wissenschaft zu Wort. Ein Serviceteil erschließt wichtige Korpora und versammelt Adressen und Links rund um die Werbung. Die Anschriften der Autoren / Addresses of Authors Prof. Dr. Sascha Demarmels Hochschule Luzern - Wirtschaft IKM Institut für Kommunikation und Marketing Zentralstrasse 9 CH-6002 Luzern, Schweiz sascha.demarmels@hslu.ch Dr. Lars Christian Grabbe Muthesius Kunsthochschule Institut für Kunst-, Design- und Medienwissenschaften Legienstr. 35 D-24103 Kiel L.Grabbe@gmx.de Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W.B. Hess-Lüttich Universität Bern, Institut für Germanistik Länggass-Str. 49, 3000 Bern, Schweiz Dept. of Modern Foreign Languages Stellenbosch University, Private Bag X1 Stellenbosch 7602, South Africa ernest.hess-luettich@germ.unibe.ch Dr. Simone Neuber Philosophisches Seminar Schulgasse 6 D-69117 Heidelberg, Deutschland simone.neuber@uni-heidelberg.de Mara Persello, M.A. Universität Potsdam Institut für Romanistik Am Neuen Palais 10 Haus 19, Raum 4.18 D-14469 Potsdam, Deutschland persello@uni-potsdam.de Dr. Daniel H. Rellstab University of Vaasa Faculty of Philosophy Intercultural Studies in Communication and Administration FIN-65101 Vaasa, Finland daniel.rellstab@uva.fi Doris Schöps Technische Universität Berlin Fakultät 1: Geisteswissenschaften Arbeitsstelle für Semiotik Fraunhoferstraße 33-36 D-10587 Berlin dschoeps@mailbox.tu-berlin.de Dr. Martin Siefkes Università IUAV di Venezia Facoltà di design e arti / Faculty of Arts and Design Dorsoduro 2206 I-30123 Venezia, Italia Martin_Siefkes@gmx.de Die Anschriften der Autoren / Addresses of authors 406 Ursula Stalder, lic. phil. I Hochschule Luzern - Wirtschaft IKM Institut für Kommunikation und Marketing Zentralstrasse 9 CH-6002 Luzern, Schweiz ursula.stalder@hslu.ch ChristianTrautsch, StR Technische Universität Berlin Institut für Sprache und Kommunikation Arbeitsstelle für Semiotik Fraunhoferstraße 33-36 Büro: FH 448 (4. Stock) D-10587 Berlin christian_trautsch@yahoo.de Yixin Wu, M.A. via Christian Trautsch Technische Universität Berlin Institut für Sprache und Kommunikation Arbeitsstelle für Semiotik Fraunhoferstraße 33-36 Büro: FH 448 (4. Stock) D-10587 Berlin christian_trautsch@yahoo.de Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten Beiträge für die Zeitschrift K ODIKAS / C ODE (ca. 10-30 S. à 2.500 Zeichen [25.000-75.000], Times od. Times New Roman 12., 1.5-zeilig, Rand 2-3 cm l/ r) sind dem Herausgeber in elektronischer Form (Word- oder rtf-Datei) und als Ausdruck auf Papier einzureichen. Abbildungen sind getrennt vom Text in reproduzierbarer Form (mind. 300 dpi, schwarz-weiß) beizufügen. Nach dem Titel des Beitrags folgt der Name des Autors (der Autoren) mit Angabe das Dienstortes. Dem Text (in deutscher, englischer, französischer oder spanischer Sprache, ggfs. gegengelesen von native speakers) ist eine kurze Zusammenfassung (abstract) in englischer Sprache voranzustellen (1-zeilig petit 10.). Die Gliederung des Textes folgt dem Dezimalsystem (1, 2, 2.1, 2.1.1). Auf separatem Blatt sind ihm die Anschrift des/ der Verf. und eine kurze bio-bibliographische Notiz (3-5 Zeilen) beizufügen. Zitierweise In der Semiotik gibt es eine Vielzahl konkurrierender Zitierweisen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Für K ODIKAS wird hier eine in vielen Disziplinen (und anderen semiotischen Zeitschriften) international verbreitete Zitierweise empfohlen, die sich durch Übersichtlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Vollständigkeit der Angaben und Sparsamkeit der Zeichenökonomie auszeichnet. Wörtliche Zitate werden durch normale Anführungszeichen kenntlich gemacht (“…”). Wenn ein Zitat die Länge von drei Zeilen überschreitet, wird es links 0.5 eingerückt und 1-zeilig petit (11.) geschrieben: Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein blinder Text zu sein. Man macht keinen Sinn. Man wirkt hier und da aus dem Zusammenhang gerissen. Oft wird man gar nicht erst gelesen. Aber bin ich deshalb ein schlechter Text? Ich weiß, dass ich nie die Chance habe im S PIEGEL zu erscheinen. Aber bin ich darum weniger wichtig? Ich bin blind! Aber ich bin gerne Text. Und sollten Sie mich jetzt tatsächlich zu Ende lesen, dann habe ich geschafft, was den meisten “normalen” Texten nicht gelingt. Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren … (Autor Jahr: Seite). Zitatbeleg durch Angabe der Quelle gleich im Text mit einer auf das Literaturverzeichnis verweisenden bibliographischen Kurzangabe (Autor Jahr: Seite): “[…] wird für die Herstellung des Zaubertranks die Beigabe von Dracheneiern empfohlen” (Gaukeley 2006: 387). Wenn das Zitat im Original über eine Seite hinausgeht, wird entsprechend ein “f.” (= folgende) an die Seitenzahl angefügt (387f.). Alle Auslassungen und Hinzufügungen in Zitaten müssen gekennzeichnet werden: Auslassungen durch drei Punkte in eckigen Klammern […], Hinzufügungen durch Initialien des/ der Verf. (EHL). Hervorhebungen werden durch den eingeklammerten Zusatz “(Hervorh. im Original)” oder “(Hervorh. nicht im Original)” bzw. “(Hervorh. v. mir, Initial)” gekennzeichnet. Wenn das Original einen Fehler enthält, wird dieser übernommen und durch ein “[sic]” (lat. so) markiert. Zitate innerhalb von Zitaten Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten 408 werden in einfache Anführungszeichen gesetzt (“… ‘…’ …”). Auch nicht-wörtliche Zitate (sinngemäße Wiedergaben, Paraphrasen) müssen durch Verweise gekennzeichnet werden: Auch Dracheneier werden für die Herstellung eines solchen Zaubertranks empfohlen (cf. Gaukeley 2001: 387). Gundel Gaukeley (2001: 387) empfiehlt den Gebrauch von Dracheneiern für die Herstellung des Zaubertranks. Objektsprachlich gebrauchte Wörter oder grammatische Formen werden kursiviert: “Die Interjektion eiapopeia gilt als veraltet.” Die Bedeutung eines sprachlichen Elementes steht in einfachen Anführungszeichen: “Fähe bedeutet ‘Füchsin’.” Standardsprachlich inkorrekte Formen oder Sätze werden durch Asterisk gekennzeichnet: “*Rettet dem Dativ! ” oder “*der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.” Fußnoten, Anmerkungen Auf Anmerkungen und Fußnoten wird im Text durch eine hochgestellte Zahl verwiesen: […] verweisen wir auf Gesundheitsgefahren, die mit regelmäßigen Geldbädern einhergehen. 2 Vor einem Satzzeichen steht sie möglichst nur dann, wenn sie sich direkt auf das Wort unmittelbar davor bezieht (z.B. die Definition eines Begriffs angibt). Fußnoten (am Fuße der Seite) sind gegenüber Anmerkungen am Ende des Textes vorzuziehen. Fußnoten (Anmerkungen) werden einzeilig petit (10.) geschrieben, mit 1.5-zeiligem Abstand zwischen den einzelnen Fußnoten (Anmerkungen). Bibliographie Die Bibliographie verzeichnet alle im Text genannten Verweise. Bei Büchern und Editionen: Nachname / Komma / Vorname / ggfs. Herausgeber (ed.) / ggfs. Auflage als Hochzahl / Jahreszahl / Doppelpunkt / Buchtitel kursiv / ggfs. Punkt bzw. Satzzeichen / ggfs. Untertitel / Komma / Ort / Doppelpunkt / Verlagsname: Gaukeley, Gundel 2001: Das kleine Einmaleins der Hexerei. Eine Einführung, Blocksberg: Hexenselbstverlag Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Bei Aufsätzen in Zeitschriften oder Sammelbänden (dort ggfs. mit Kurzverweis auf einen eigenen Eintrag des Sammelbandes), wird der Titel in Anführungszeichen gesetzt, dann folgen die Angaben mit Seitenzahlen: Gaukeley, Gundel 1999: “Verbesserte Rezepturen für Bombastik-Buff-Bomben”, in: Vierteljahresschrift des Hexenverbandes 7.1-2 (1999): 27-41 Duck, Donald 2000: “Wie leihe ich mir einen Taler? Praktische Tips für den Alltag”, in: Duck (ed.) 4 2000: 251-265 Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Gibt es mehrere Autorinnen oder Herausgeber, so werden sie in der Reihenfolge aufgeführt, in der sie auch auf dem Buchrücken oder im Titel des Aufsatzes erscheinen, verbunden durch “und” oder “&” (bei mehr als drei Namen genügt ein “et al.” [für et alii ] oder “u.a.” nach Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten 409 dem ersten Namen). Dasselbe gilt für mehrere Erscheinungsorte, getrennt durch Schrägstriche (bei mehr als drei Orten genügt ein “etc.”): Quack, Primus von & Gustav Gans 2000: Untersuchungen zum Verhältnis von Glück und Wahrscheinlichkeit, Entenhausen/ Quakenbrück: Enten-Verlag Duck, Dorette und Daniel Düsentrieb (eds.) 1999: Ente, Natur und Technik. Philosophische Traktate, Quakenbrück etc.: Ganter Wenn ein Buch innerhalb einer Buchreihe erschienen ist, kann der Reihentitel und die Bandnummer hinzugesetzt werden: Duck, Tick et al. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13), Quakenbrück etc.: Ganter Duck, Tick u.a. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge, Quakenbrück usw.: Ganter (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13) Auch sog. ‘graue’ Literatur - Dissertationen im Uni- oder Reprodruck (“Zürich: Diss. phil.”), vervielfältigte Handreichungen (“London: Mimeo”), Manuskripte (“Radevormwald: unveröff. Ms.”), Briefe (“pers. Mitteilung”) etc. - muß nachgewiesen werden. Innerhalb des Literaturverzeichnisses werden die Autor(inn)en in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Gibt es mehrere Veröffentlichungen derselben Person, so werden sie in chronologischer Reihenfolge aufgelistet (innerhalb eines Jahres mit Zusatz eines kleinen lateinischen Buchstabens zur Jahreszahl - entsprechende Angaben beim Zitieren im Text): Duck, Daisy 2001 a: “Enten als Vorgesetzte von Erpeln. Einige Beobachtungen aus der Praxis”, in: Entenhausener Zeitschrift für Psychologie 7.1 (2001): 47-67 Duck, Daisy 2001 b: “Zum Rollenverständnis des modernen Erpels”, in: Ente und Gesellschaft 19.1-2 (2001): 27-43 Internetquellen Zitate aus Quellen im Internet müssen stets mit vollständiger URL inklusive Transferprotokoll (http: / / oder ftp: / / etc.) nachgewiesen werden (am besten aus der Adresszeile des Browsers herauszukopieren). Da Angaben im Internet verändert werden können, muß das Datum des Zugriffs in eckigen Klammern hinzugesetzt werden. Handelt es sich um einen innerhalb eines eindeutig betitelten Rahmens (Blogs, Onlinezeitschriften etc.) erschienenen Text, so wird genauso wie bei gedruckten unselbständigen Arbeiten zitiert: Gans, Franz 2000: “Schon wieder keinen Bock”, in: Franz Gans’ Untaten. Blog für Arbeitsscheue, im Internet unter http: / / www.franzgansuntaten.blogspot.com/ archives/ 00/ art07.htm [15.01.2009] Trägt die Website, aus der ein zitierter Text stammt, keinen eindeutigen Titel, so wird der Text ähnlich wie eine selbstständige Arbeit zitiert: Klever, Klaas (o.J.): Wer wir sind und was wir wollen, im Internet unter http: / / www.entenhausenermilliadaersclub.eh/ organisation/ index.htm [15.01.2009] Ist der Verfasser nicht zu identifizieren, so sollte stattdessen die jeweilige Organisation angegeben werden, die für die angegebene Seite verantwortlich zeichnet: Entenhausener Onlineportal (ed.) 1998: Einbruch bei Dagobert Duck. Panzerknacker unter Verdacht, im Internet unter http: / / www.eopnet.eh/ aktuell/ lokales/ 980315/ art21.htm [15.01.2009] Instructions to Authors Articles (approx. 10-30 pp. à 2'500 signs [25.000-75.000] line spacing 1.5, Times New Roman, 12 pts) must be submitted to the editor both on paper and in electronic form (wordor rtf-file). Figures (graphics, tables, photos) must be attached separately (300 dpi minimum, black and white). The title is followed by name(s) of author(s), affiliation and location. The language of the text, preceded by a short summary (abstract) in English, must be German, English, French, or Spanish. The outline follows the decimal system (1, 2, 2.1, 2.1.1). On a separate sheet, the postal address(es) of the author(s), including e-mail address, and a short bio-bibliographical note (3-5 lines) is to be attached. Quotations Quotations are referred to in the text with author (year: page) and indicated by normal quotations marks “…” (author year: page), unless a quotation is more than three lines long, in which case its left margin is -0.5, in single spacing and petit (11 pts): I am a blind text, born blind. It took some until I realised what it meant to be a blind text. One doesn't make sense; one is taken out of context; one isn't even read most of the times. Am I, therefore, a bad text? I know, I will never have a chance to appear in Nature or Science, not even in Time magazine. Am I, therefore, less important? Okay, I am blind. But I enjoy being a text. Should I have made you read me to the end, I would have managed what most of the 'normal' texts will never achieve! I am a blind text, born blind … (author year: page). The short bibliographical reference in the text refers to the bibliography at the end. All deletions and additions must be indicated: deletions by three points in square brackets […], additions by initials of the author. If there is a mistake in the original text, it has to be quoted as is, marked by [sic]. Quotations within quotations are indicated by single quotation marks: “…‘…’ …”. Paraphrases must be indicated as well: (cf. author year: page) or author (year: page). Foreign words (nota bene) or terms (the concept of Aufklärung) are foregrounded by italics, so are lexical items or grammatical forms (the interjection gosh is regarded as outdated); the lexical meaning is given in single quotation marks (Aufklärung means ‘Enlightenment’); incorrect grammatical forms or sentences are marked by an asterisk (*he go to hell). Footnotes (annotations) Footnotes are indicated by upper case numbers (as argued by Kant. 2 ). Footnotes at the bottom of a page are preferred to annotations at the end of the article. They are written in single spacing, with a 1.5 space between them. Please avoid footnotes for mere bibliographical references. Bibliography The bibliography lists all references quoted or referred to in alphabetical order. They should follow the form in the following examples: Short, Mick 2 1999: Exploring the Language of Poems, Plays and Prose, London: Longman Erling, Elizabeth J. 2002: “‘I learn English since ten years’: The Global English Debate and the German University Classroom”, in: English Today 18.2 (2002): 9-13 Modiano, Marko 1998: “The Emergence of Mid-Atlantic English in the European Union”, in: Lindquist et al. (eds.) 1998: 241-248 Lindquist, Hans, Steffan Klintborg, Magnus Levin & Maria Estling (eds.) 1998: The Major Varieties of English (= Papers from M AVEN 1997), Vaxjo: Acta Wexionensia No. 1 Weiner, George 2001: “Uniquely Similar or Similarly Unique? Education and Development of Teachers in Europe”, Plenary paper given at the annual conference, Standing Committee for the Education and Training of Teachers, GEC Management College, Dunchurch, UK, 5-7 October 2001. http: / / www.educ.umu.se/ ~gaby/ SCETT2paper.htm [accessed 15.01.09].