eJournals

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2012
353-4
KODIKAS/ CODE Ars Semeiotica An International Journal of Semiotics Volume 35 (2012) No. 3-4 Themenheft / Special Issue Tanz der Zeichen - 200 Jahre François Delsarte Dance of the Signs - Bicentennial of François Delsarte’s Birth La danse des signes - Bicentenaire de la naissance de François Delsarte ARTICLES Mathias Spohr, Franck Waille Vorwort / Préface / Avant-propos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Wolf-Dieter Ernst Schauspielausbildung und Charakterdarsteller im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Franck Waille Les deux sources des enseignements de Delsarte : observations et métaphysique . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Elena Randi From the gestural and phonetic sign of everyday life to the actor’s sign: aspects of François Delsarte’s system . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Franck Waille Voix, corps, respiration chez Delsarte : éléments du travail de l’acteur et du chanteur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Marc Lacheny Zeichen der Bezugnahme: François Delsarte im Verhältnis zu Rachel und Frédérick Lemaître . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Mathias Spohr Von den ‚brute facts‘ zum Reflex Die Trichotomien von François Delsarte und Charles Peirce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Nancy Lee Ruyter The Influence of Delsarte’s Work in the United States: Late 19 th Century and Beyond . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Jörg Bochow Delsarte in Russland: Sergej Volkonskij und der ‚Ausdrucks-Mensch‘ in Theater und Film . . . . . . . . . . . . . 297 Selma Landen Odom Signs of Expression on Dalcroze’s Path from Music to Movement . . . . . . . . . . . . . . . 303 Bernd Wedemeyer-Kolwe François Delsarte und die deutsche Körperkulturbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Gunhild Oberzaucher-Schüller Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Ernest W.B. Hess-Lüttich Tanz-Zeichen. Vom Gedächtnis der Bewegung John Neumeiers Choreographie Tod in Venedig. Ein Totentanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Bibliographie zu Delsarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Die Autoren / The authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Die Anschriften der Autoren / Addresses of the authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Publication Schedule and Subscription Information The articles of this issue are available separately on www.narr.de The journal appears 2 times a year. Annual subscription rate 124,- (special price for private persons 99,-) plus postage. Single copy (double issue) 78,- plus postage. The subscription will be considered renewed each year for another year unless terminated prior to 15 November. Besides normal volumes, supplement volumes of the journal devoted to the study of a specialized subject will appear at irregular intervals. © 2013 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG P.O.Box 2567, D-72015 Tübingen All rights, including the rights of publication, distribution and sales, as well as the right to translation, are reserved. No part of this work covered by the copyrights hereon may be reproduced or copied in any form or by any means - graphic, electronic, or mechanical including photocopying, recording, taping, or information and retrieval systems - without written permission of the publisher. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Setting by: NagelSatz, Reutlingen Printed and bound by: ilmprint, Langewiesen ISSN 0171-0834 Vorwort / Préface / Avant-propos Mathias Spohr, Franck Waille Tanz der Zeichen: 200 Jahre François Delsarte François Delsarte (1811-1871) ist zumindest im Feld der Künste einer der Ersten, der das Wort Semiotik („séméïotique“) im Sinne einer allgemeinen Lehre von den Zeichen verwendet hat (Louppe 1994: 220), möglicherweise aufgrund seiner Lektüre der Schriften von John Locke. Delsartes Lehre von den Körperzeichen hatte großen Einfluss auf die praktische Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Rhetorik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit heute noch sichtbaren Auswirkungen etwa im Modernen Tanz, beim Filmschauspiel oder in der politischen Rhetorik. Darüber hinaus war seine Methode ein Anstoß für gesellschaftliche Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die unter Schlagworten wie „Körperkultur“ oder „Neuer Mensch“ bekannt wurden, und nicht zuletzt eine Grundlage für zahlreiche Formen der Gymnastik. Charles Sanders Peirce, der Begründer einer pragmatischen Semiotik, kannte Delsartes Lehre durch seine Freundschaft mit dessen Schüler Steele McKaye, der sich für deren Verbreitung in den Vereinigten Staaten einsetzte. Peirce interessierte sich als Rhetoriklehrer für das Delsarte-System (Peirce 2010: 469), entwarf seinerseits jedoch eine Semiotik auf allgemeinerer Grundlage, während sich Delsarte auf eine Systematik der menschlichen Äußerungen beschränkt hatte. Eine häufig genannte Gemeinsamkeit von Delsartes und Peirces Systemen ist ihr dreigliedriger Aufbau. Die Theorie des Bühnenkünstlers hatte gewiss andere Ziele als die Logik des Philosophen, wiewohl sich der Letztere ausdrücklich auf das Delsarte-System bezogen hat. Der vorliegende Band widmet sich diesem vergessenen Anreger der Semiotik, dessen kulturgeschichtliche Einflüsse allgegenwärtig sind, ohne dass ihr Urheber noch bekannt wäre. Delsarte sieht das Hauptproblem des künstlerischen Ausdrucks in der Beziehung zwischen dem Affekt und seinen äußerlichen Zeichen, also gewissermaßen zwischen signifiant und signifié, um in Ferdinand de Saussures später entwickelter Terminologie zu sprechen, oder zwischen Ursache und Wirkung, nach dem von Peirce stammenden Begriff des indexikalischen Zeichens. Den Unterschied zwischen Semiotik und Ästhetik formuliert Delsarte folgendermaßen: „Die Semiotik sagt: Dieses Zeichen entspricht dieser Gefühlregung. Die Ästhetik sagt: Dieser Gefühlsregung entspricht dieses Zeichen“ (Delsarte 1865: 238). Noch deutlicher definiert Delsarte seine Semiotik als „Wissenschaft von den Zeichen und den Bewegungen des Körpers unter dem Einfluß der Seele [l’âme], oder von den körperlichen Veränderungen, die durch Seelenbewegungen entstehen“ (Delsarte 1865: 238). Semiotik oder Semiologie gibt es im 19. Jahrhundert als ein Teilgebiet der Medizin, das die Symptome und weitere Zeichen von Krankheiten untersucht (Eckart 1998: 1702-1704). In der französischen Sprache ist das Wort in dieser Bedeutung seit dem 18. Jahrhundert K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Mathias Spohr, Franck Waille 196 nachgewiesen (Dictionnaire de Trévoux, supplément 1752, nach: Dauzat et al. 2007: 701). Delsarte verwendet es bereits in einem moderneren, verallgemeinerten Sinn (Drouin-Hans 1992: 286) indem er die Verbindung des äußerlichen Zeichens mit der innerlichen Verfassung einer Person nicht mehr als etwas Pathologisches, sondern als eine Dynamik des Ausdrucks beschreibt. Im umgekehrten Weg von der Semiotik zur Ästhetik werden diese Erkenntnisse nutzbar gemacht: Ein Künstler als „Besitzer der Zeichen […] aufgrund der Semiotik“ (Delsarte 1869) handle ästhetisch durch „Anwendung“ dieses Wissens. Die Verwendung medizinischer Terminologie zeigt Delsartes Bemühen um Wissenschaftlichkeit. Als Gegengewicht gibt Delsarte seiner Lehre einen metaphysischen Rahmen als Verbindung des Menschen mit dem Göttlichen. Dabei orientiert er sich an einer nicht-dualistischen Anthropologie, die von Aristoteles und Thomas von Aquin inspiriert ist und ihn von der wissenschaftlichen Forschung seiner Zeit, die sich erfolgreich von kirchlichen Machtansprüchen emanzipierte, isoliert. Delsartes neuscholastische Tendenzen mögen ihn für die Entwicklung der Semiotik marginal erscheinen lassen; Jacques Derrida hat allerdings den paradoxen Charakter der „sémiologie“ aufgrund ihrer metaphysisch-theologischen Ursprünge hervorgehoben und empfohlen, diesen Ursprüngen nachzugehen, statt sie auszublenden (vgl. Vandendorpe 1999: 169-193). „Das Zeitalter des Zeichens“, so Derrida, „ist im Wesentlichen ein theologisches“ (Derrida 1967: 25). Diese Auffassung gäbe Delsartes Lehre von den Ausdruckszeichen im Nachhinein eine wissenschaftsgeschichtliche Relevanz. Seine Besonderheit besteht allerdings weniger im metaphysischen Rahmen seines Denkens, der noch bei den Naturwissenschaftlern des 18. Jahrhunderts gewissermaßen zur Tradition gehörte, sondern in der Bewusstheit und Überzeugung, mit der er an einem solchen unzeitgemäßen Kontext festhielt. Delsarte gab der Semiotik als „Wissenschaft ohne Namen“ im 19. Jahrhundert (Drouin- Hans 1992) als einer der Ersten eine präzise Terminologie und war damit ein Pionier unter denjenigen, die sich mit dem menschlichen Ausdrucksverhalten beschäftigten. Im Unterschied zur ausschließlich analytischen und theoretischen Perspektive mancher Semiotiker am Ende des Jahrhunderts betrachtet er die Semiotik als angewandte, die künstlerische oder rhetorische Praxis bereichernde Wissenschaft. Die Literatur über François Delsarte hat sich in jüngerer Zeit deutlich vergrößert. Bis etwa 1970 wird sein Einfluss in den unterschiedlichsten kulturhistorischen Zusammenhängen, etwa in der Schauspiel-, Gesangs- und Tanzgeschichte, bloß gestreift. Der Name wird erwähnt, weil er offenbar dazugehört, aber niemand scheint zu wissen, wer sich dahinter verbirgt. Seither hat das Interesse an Delsarte und seiner Wirkungsgeschichte erheblich zugenommen. Die Semiotik schafft im vorliegenden Zusammenhang ein gemeinsames Motto für Forschungsansätze aus verschiedensten Gebieten, von der Sportwissenschaft bis hin zur Tanz- und Theaterwissenschaft. Zu den Arbeiten von Alain Porte, Nancy Ruyter oder Elena Randi ist im Jahr 2009 Franck Wailles umfangreiche Untersuchung hinzugekommen, und mehrere Sammelbände sind seither erschienen. Der vorliegende Band setzt sich aus Beiträgen anlässlich der Tagung in der Stuttgarter Akademie für gesprochenes Wort zu Delsartes 200. Geburtstag im November 2011 zusammen. Der Akademie sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Die Reihenfolge der Aufsätze ist chronologisch: Auf eine Schilderung der Situation in der Schauspielausbildung in Mitteleuropa vor Delsarte folgen Beiträge, die sich mit Delsarte selbst beschäftigen, darauf Beiträge über seine Wirkungsgeschichte in den Generationen der Schüler und Nachfolger. Vorwort / Préface / Avant-propos 197 Dance of the Signs. Bicentennial of François Delsarte’s Birth François Delsarte (1811-1871) is one of the first personalities in the field of the Arts who has used the word semiotics (“séméïotique”) in terms of a general theory of signs (Louppe 1994: 220). Maybe he did so due to his reading of the writings of John Locke. Delsarte’s methodology had a great influence on practical training in acting, singing and rhetoric in the second half of the 19 th century, with effects still visible in silent movies, dance, gymnastics, the german “Körperkultur” or in political rhetoric. Charles Sanders Peirce, the founder of a pragmatic orientation of semiotics knew Delsarte’s teaching methods through the friendship with Delsarte’s student Steele McKaye, who campaigned for their dissemination in the United States. Peirce was interested in the Delsarte system as a teacher of rhetoric (Peirce 2010, 469). His own semiotics, however, was based on a more general interest, while Delsarte was focused to a classification of human utterances. The similar triadic structure of Delsarte’s and Peirce’s systems is frequently mentioned. Though, the intuitive, practice-related theory of the stage artist has different aims than the logic of the philosopher. The present volume is dedicated to this forgotten stimulator of semiotics. His cultural and historical influences are omnipresent, but mostly without knowing their author. Delsarte became unfashionable after the First World War, but his influence lasted. François Delsarte sees the core problem of artistic expression in the relationship between emotion and its outward signs, so to speak, between signifiant and signifié in Ferdinand de Saussure’s later-developed terms, or between cause and effect, according to the Peircederived notion of the indexical character. Delsarte describes the difference between semiotics and aesthetics as follows: “Semiotics says: This sign complies with that emotion. Aesthetics says: This emotion corresponds to that sign” (Delsarte 1865: 238). Even more clearly, Delsarte defines semiotics as “the science of the characters and the movements of the body under the influence of the soul [l’âme], or by the physical changes caused by emotions.” (Delsarte 1865: 238). Semiotics or semiology has been known in the 19 th Century as a branch of medicine that studies the symptoms and other signs of disease (Eckart 1998: 1702-1704). In the French language the word with this meaning is common since the 18 th Century (Dictionnaire de Trévoux, supplément 1752, by: Dauzat et al. 2007: 701). However, Delsarte used it already in a modern, more general sense (Drouin-Hans 1992: 286) by connecting the external sign of an internal constitution not as something pathological, but as a dynamic manner of expression. In the opposite way from semiotics to the aesthetics, these findings are made available: An artist is “the owner of the sign [...] because of semiotics” (Delsarte, 1869), acting through aesthetic “use” of that knowledge. The use of medical terminology shows Delsarte’s commitment to empirical research, which becomes popular in the middle of the 19 th century even among artists. As a counterweight, Delsarte’s theory has a metaphysical framework connecting the human with the divine. It is based on a non-dualistic anthropology, which is inspired by Aristotle and Thomas Aquinas. This isolates Delsarte from the more positivistic science of his time. Maybe, Delsarte’s neo-scholastic tendencies make him meaningless for the development of semiotics. Jacques Derrida, however, mentioned the paradoxical nature of “semiology” because of its metaphysical and theological origins. He recommended to explore these origins, rather than hide it (cf. Vandendorpe 1999 : 169-193). “The age of the character,” says Derrida, “is essentially a theological one” (Derrida 1967: 25). In retrospect this perspective could give Delsarte’s theory of expressions a historical relevance. Delsarte’s uniqueness Mathias Spohr, Franck Waille 198 consists not so much in the metaphysical framework of his thought (as it still was very usual among the scientists of the 18 th century) but in the consciousness and conviction with which he holds to the “old” metaphysical basis despite his “modern” scientific ambitions, trying to be an advocate of the Archaic. Delsarte provided a precise terminology for semiotics, which has been called a „science without name” in the 19 th century (Drouin-Hans 1992). In this respect, he is a pioneer of research in the field of human expressions. Differing from others who had a mostly analytical and theoretical perspective, he regarded semiotics as a method for artistic or rhetoric practice. The writings on François Delsarte have grown apparently. The incidental mentions of his influence on the history of singing, dance, acting, rhetoric or semiotics, which were frequent until about 1970, have spread to a broader research literature. The books by Alain Porte, Nancy Ruyter or Elena Randi have been supplemented in 2009 by Franck Waille’s comprehensive thesis, and a number of anthologies. This volume collects the contributions to the symposium held at the Stuttgart Academy of Spoken Word in November 2011. The essays are presented in chronological order: After a description of the situation of acting training in central Europe before Delsarte follow articles that deal with Delsarte himself. This is followed by essays on his influence in the generations of his students and followers. La danse des signes. Bicentenaire de la naissance de François Delsarte François Delsarte (1811-1871) semble être un des premiers , dans le domaine des arts , à avoir utilisé le mot « sémiotique » (sous la forme « séméïotique » cf. Louppe 1994: 220). Ses recherches ont eut une grande influence sur l’enseignement des arts du théâtre, du chant et de la rhétorique pendant la deuxième moitié du XIX e siècle. Le fondateur de la sémiotique pragmatique, Charles Sanders Peirce, a connu les théories de Delsarte par son ami Steele MacKaye (Peirce 2010, 469), étudiant de Delsarte et principal propagateur de son système expressif aux États-Unis. Il y a de s similitudes entre les systèmes de Peirce et de Delsarte, en particulier le concept triadique. Peirce essayait de mettre au point une théorie générale quasi mathématique ; Delsarte, lui, se limite aux expressions de l’être humain, mais il les envisage également de manière systématique. Ce volume est dédié à ce stimulateur oublié de la sémiotique dont les influences sont toujours omniprésentes, mais souvent sans en connaitre la source. Chez Delsarte, le cadre général des problématiques artistiques est la question des rapports appropriés entre un signe extérieur et une passion, ou entre un signifiant et un signifié pour utiliser la terminologie de la linguistique de Ferdinand de Saussure. Delsarte définit les études esthétiques comme le rapport entre la sémiotique et l’esthétique, selon la dynamique suivante : « Ainsi la séméiotique dit : à tel signe, telle passion. L’esthétique dit : à telle passion, tel signe » (Delsarte 1865: 238). Plus précisément, il parle de la séméiotique comme de « la science des signes et des mouvements qu’affecte le corps sous l’action de l’Âme, ou des évolutions corporelles produites sous l’action des mouvements de l’Âme » (Delsarte 1865: 238). Vorwort / Préface / Avant-propos 199 1 Cours de M. Delsarte aux Sociétés savantes, 1858, n° 1 (nous utilisons la seule version disponible - présente dans le Fond s Alain Porte, rue de la Mous s elle, Citry, France - qui est la transcription dactylographiée faite par Alain Porte à partir du Cahier Degard, non accessible actuellement). La séméiotique, ou la sémiologie, est au XIX e siècle la science qui, en médecine, étudie les symptômes et les signes des maladies (Dictionnaire de Trévoux, supplément 1752, après Dauzat et al. 2007: 701, voir aussi Eckart 1998: 1702-1704). Delsarte l’utilise « dans un sens proche du sens moderne (c’est-à-dire dans un sens plus large que celui d’étude des signes cliniques d’une maladie, qui est encore celui de Littré) » (Drouin-Hans 1992: 286), en évacuant la dimension pathologique du mot pour n’en retenir que la dynamique : l’étude des liens entre un signe extérieur et une donnée interne à la personne. La séméiotique est chez lui le chemin qui va des mouvements extérieurs visibles, aux mouvements intérieurs invisibles, c’est une remontée du signifiant au signifié, elle « exprimera la raison d’être de ces mouvements. L’art selon Delsarte est précisément le passage de la séméiotique à l’esthétique, « c’est l’application sciemment appropriée du signe à la chose » 1 . L’artiste « possesseur des signes […] par la séméiotique », fait de l’esthétique « en les appliquant » (Delsarte 1869). Le terme de séméiotique illustre l’utilisation qu’il fit de termes venus du monde médical, rencontrés durant sa formation en médecine, qu’il a adaptés à sa démarche artistique. Utiliser un terme médical est signe de sa volonté de scientificité, au sens moderne du terme. Il mène cette étude dans un cadre métaphysique où l’être humain est considéré comme en lien avec le divin, le monde non matériel et l’ensemble du monde matériel, cadre métaphysique incluant une anthropologie aristotélicienne et thomasienne non dualiste, ce qui le particularise radicalement vis-à-vis des recherches scientifiques de son époque plutôt positivistes. Mais si Delsarte est marginal par son approche métaphysique des questions expressives, Jacques Derrida (cf. Vandendorpe 1999: 169-193) cependant « s’est plu à mettre à jour un caractère paradoxal de la sémiologie en montrant qu’elle a des “racines métaphysico-théologiques”, qu’il ne s’agit pas de rejeter mais qu’il faut mettre à jour » (Derrida 1967 : 24-25). Cela donne à la démarche de Delsarte une pertinence a posteriori et ne le coupe pas a priori du champ de l’étude scientifique des signes expressifs. Sa particularité ne serait pas tant d’utiliser un cadre métaphysique, que de le faire de manière consciente et assumée. De plus, si la sémiologie a été « une science sans nom » (Drouin-Hans 1992) au XIX e siècle, il donne précisément à ses démarches une terminologie qui préfigure celle qui a été adoptée plus tard dans le monde scientifique, et il est le seul de son époque à le faire parmi les personnes s’intéressant aux signes du corps. Mais il se place non dans une perspective uniquement analytique et théorique, comme les chercheurs de la deuxième partie du XIX e siècle : sa perspective est délibérément artistique, la séméiotique a pour but d’enrichir sa pratique. La compréhension de cet aspect central du travail de Delsarte a connu des avancées déterminantes , en particulier par les travaux d’Alain Porte, de Nancy Ruyter et d’Elena Randi, et récemment avec la thèse de Franck Waille 2009, suivis par de nombre ux d’a rticle s. Le bicentenaire de la naissance de Delsarte, en 2011, a permis d’approfondir un grand nombre des aspects du travail delsartien. Dans le présent recueil, sont présentés les apports du colloque qui s’est tenu à Stuttgart en novembre 2011 à l’occasion de ce bicentenaire. L’ordre de présentation des essais est chronologique : après un texte centré sur la formation des acteurs en Europe centrale avant Delsarte, suivent les articles sur Delsarte lui-même, puis des essais sur l’influence de ses enseignements sur les générations d’artistes qui lui succèdent, par ses étudiants et disciples. Mathias Spohr, Franck Waille 200 Literatur / References / Bibliographie Dauzat, Albert, Dubois, Jean, Mitterand, Henri 2007: Dictionnaire étymologique et historique du français, Paris: Larousse Delsarte, François 1865: „Conférence à l’école de médecine“, in: Porte, Alain 1992: François Delsarte, une anthologie, Paris: IPCM Delsarte, François 1869: DICTÉE n° 5 „Un célèbre comédien a dit“, in: François Alexandre Nicolas Delsarte Papers, Mss. 1301, Louisiana and Lower Mississippi Valley Collections, LSU Libraries, Baton Rouge, LA., box 3, folder 154, document 2 Derrida, Jacques 1967: De la grammatologie, Paris: Minuit Drouin-Hans, Anne-Marie 1992: „Un objet mal défini dans une science sans nom : la sémiologie du geste au XIXe siècle“, in: Communications 54: 1992 Eckart, Wolfgang U. 1998: „Zeichenkonzeptionen in der Medizin vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart“, in: Posner, Roland et al. (ed.): Semiotik/ Semiotics, Berlin: de Gruyter, vol. 2, p. 1694-1712 Louppe, Laurence 1994: „L’utopie du corps indéterminé“, in: Georges Asperghis, Odette Aslan (eds.), Le corps en jeu, Paris: Centre National de la Recherche Scientifique Peirce, Charles Sanders 2010: Writings of Charles S. Peirce, A Chronological Edition, vol. 8, Indianapolis: The Peirce Edition Project Vandendorpe, Christian 1999: „Rhétorique de Derrida“ in: Littératures (McGill), 19 (Winter 1999): 169-193 Waille, Franck [2009] 2011: Corps, arts et spiritualité chez François Delsarte (1811-1871). Des interactions dynamiques, 2 vol., Villeneuve d’Ascq: ANRT Schauspielausbildung und Charakterdarsteller im 19. Jahrhundert Wolf-Dieter Ernst Training for actors and character actors in the 19 th century. What are the guiding principles for educating actors in the 19 th century? How did an institution come into being, which ultimately gave way to our understanding of acting schools? This contribution seeks to foreground some developments in actor education in England, France and Germany with a focus on the life and times of the German character-actor and stage director Ernst von Possart (1841-1921). In the 19 th century, the possession of a main character role was the pivotal point for an actor’s career and much more than merely a theatrical role. Character was considered having multiple dimensions encompassing the ideal image of a role figure as well as a normative and heroic concept of identity and a noble acting-style. In the dominant hierarchy of roles only some actors were accepted to represent leading characters, not only because it was the most demanding individual part of a play, which demands certainly a certain craft. More important, it was associated with an ideal male body - a normative interpretation leaving little space for different male bodies let alone female bodies to be equally acknowledged. The prevailing idea of what is accepted as a normal representation of a character stood in harsh contrast to the insight, that acting as any other profession could be taught by skilled professionals according to certain objectives and methods. Im Hinblick auf die Bühnenreform François Delsartes und ihre Auswirkungen auf die Lebensreformbewegungen des 20. Jahrhunderts ist es aufschlussreich, die Situation in der europäischen Theaterausbildung zu beleuchten, die diesen Bestrebungen vorausging. Darstellung auf dem Theater war kein isoliertes Handwerk, so wird im Folgenden aufgezeigt, sondern hing eng mit einem bürgerlichen Bildungsbegriff zusammen. Für die Persönlichkeitsbildung, und dabei für die Bestimmung und Eingrenzung von Charakteren, war das Theater Vorbild und Ideal. Eine Veränderung der Konventionen auf der Bühne, wie sie Delsarte und seine Nachfolger durchsetzten, hatte demgemäß den Stellenwert einer Bildungsreform. Die Geschichte der Schauspielausbildung wie auch die Schauspieltheorie ist geprägt von den Bildungsbewegungen des 18. Jahrhunderts, welches nicht zuletzt deshalb auch als das pädagogische Zeitalter bekannt wurde. Der Schauspieler stand in dieser Zeit im Zentrum ästhetischer, anthropologischer und pädagogischer Fragestellungen. Wie Karl-Ernst Jeismann in seiner Einleitung zum Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte 1800-1870 schreibt, wurde [d]er rechtliche Rahmen für die Entwicklung des staatlichen Unterrichtssystems des 19. Jahrhunderts […] am Ende des 18. Jahrhunderts geschaffen. Die Reformpraxis auf allen Ebenen des Bildungswesens war im 18. Jahrhundert vielfältig und lebendig […]. Die Bildungsprozesse K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Wolf-Dieter Ernst 202 1 Gemeint ist Claude-Joseph Dorat, Dramatiker (1734-1780), und Pierre-Louis Dubus-Préville (1721-1799), führender Schauspieler der Comédie-Française. Günther Heeg macht auf die Identität stiftende Funktion des Fremden in den deutsch-französischen Theaterbeziehungen des 18. Jahrhunderts aufmerksam, die er als deutsches Phänomen entziffert (Heeg 2000: 157-172). innerhalb der Gesellschaft jenseits von Schule und Universität - Lektüre und bildende, ‚arbeitende Geselligkeit‘, Sonntagsschulen und Bildungsarbeit der Kirchen, Eigeninitiative einzelner Berufsstände - waren schon vor der Jahrhundertwende in beschleunigten Gang geraten. (Jeismann 1987: 1) Diese Bildungsreflexion entspricht freilich noch keinem einheitlichen Grad an Institutionalisierung, wie wir ihn heute voraussetzen, wenn wir über Schauspielschulen und Theaterhäuser sprechen. Für das 18. Jahrhundert und bis hin zum Ende des 19. Jahrhunderts lassen sich daher drei parallele Bildungsinstitutionen unterscheiden, in denen Charakterschauspieler unterrichtet wurden: - Die Ausbildung in Familien und durch ältere Schauspieler im Privatunterricht - die höfischen „Theatralpflanzschulen“, Konservatorien, Akademien - die Ausbildung an einzelnen experimentellen Privatschulen. Dabei sind diese Institutionen in den europäischen Staaten unterschiedlich stark ausgeprägt. Da insbesondere die Entwicklung der Ausbildungsinstitutionen in den deutschsprachigen Ländern im Zeichen des Vergleichs mit Frankreich und England stand, sollen die Entwicklungen in diesen Ländern einleitend kurz dargestellt werden. 1 Bildungsrealität in Frankreich und England Für die Entwicklung der Schauspielausbildung in Frankreich war die 1680 gegründete Comédie-Française als das erste, staatlich geförderte Nationaltheater prägend. Im zentralistisch organisierten Königreich gingen von diesem Theater die maßgeblichen Impulse aus, wie überhaupt die Entwicklung der Bildungslandschaft ihre Impulse in der Phase der Akademiengründung zu Paris erfuhr. 1648 wurde die Académie Royale de Peinture et de Sculpture eröffnet, gefolgt 1696 von der Académie Royale de Musique. 1795 schließlich wurde das Pariser Konservatorium gegründet, in welchem Instrumentalisten, Sänger und Tänzer ausgebildet wurden, und es folgte die Überführung der königlichen Akademien in das Institut National des Sciences et des Arts. Diese massive Bildungsinvestition blieb im deutschsprachigen Raum nicht unbemerkt. Im Theater-Journal für Deutschland 1781 veröffentlicht der Schauspieler Johann Friedel ein Philantropin für Schauspieler, den Entwurf einer Schule, mit der er das Ansehen des Schauspielerstandes zu heben sucht. Mit Blick auf das Modell Paris schreibt er: Der Beschluss zu einem Schauspielphilantropin ist nicht erst neu ausgebrütete Erfindung. Paris hat schon einige Zeit eine solche Pflanzschule. Man kennt die Verdienste, die Dorat und Préville, praktisch dieser, theoretisch jener, sich in der Bildung junger Zöglinge fürs Theater erwarben; und der Nutzen, der für das Schöne und Vollkommene der Kunst daraus entsprang, liegt jedem Kenner der französischen Schaubühne vor Augen. 1 (Friedel 1781: 20) Schauspielausbildung und Charakterdarsteller im 19. Jahrhundert 203 2 Die Aufhebung der Patenttheater-Regelung im Theatre Regulation Act von 1843 markiert hier das entscheidende Datum für die Entwicklung in England. Vgl. Brockett 1977. 3 Vgl. zum folgenden Abschnitt McDonald 1989: 199. 4 Vgl. McDonald 1989: 201; in der Literatur kursiert auch das Datum 1879; vgl. Susi 2006: 17. Ein Akademiegedanke, wie ihn etwa Conrad Ekhof (1720-1778) mit Blick auf Frankreich 1753 mit seiner Ersten Deutschen Schauspielakademie am Hofe in Schwerin zu verwirklichen suchte, von dem Eduard Devrient 1830 in seinen Briefen aus Paris schwärmte und den Franz Kugler in der gescheiterten Einführung staatlicher Schauspielschulen 1848-49 vor Augen hatte, war im Deutschland der Duodezfürsten freilich noch nicht in Sicht. In England verlief die Entwicklung der Bildungsinstitutionen nur teilweise und zeitlich verzögert nach dem von Frankreich her bekannten Modell der Akademien. Seit 1768 bestand die Royal Academy of Fine Arts, erst 1822 öffnete die Royal Academy of Music. Die königliche Schauspielschule (Royal Academy of Dramatic Arts) datiert auf das Jahr 1905, gefolgt von der Royal Academy of Dance im Jahre 1936. Im industriell weitaus fortgeschrittener entwickelten England und einem damit einhergehenden unternehmerischen Tätigkeitsfeld für Privatiers lassen sich allerdings sehr früh bereits private Schulen nachweisen. 2 In den 1830er Jahren gründete die populäre Schauspielerin Fanny Kelly eine private Schauspielschule. 3 Zur Finanzierung des Unternehmens pachtete sie das Strand Theatre, um mit ihren Solodarbietungen das nötige Kapital für die Schule einzuspielen und auch einen kleinen Stab von Lehrern anzustellen. Gegeben wurde das übliche Programm von Vortragskunst, Instrumental- und Vokalmusik, Tanz, Fechten, Gymnastik. 1840 ließ sie schließlich ein kleines Theater für ihre Schüler mit knapp über 200 Sitzplätzen errichten, welches als Miss Kelly’s Theatre sich einen Namen und dem pädagogischen Engagement alle Ehre machte. Eine weitere private Schule wurde 1885 von Sarah Thorne in ihrem Theater in Margate gegründet. 4 Ihre Schüler wohnten bei ihr im Haus. Sie bekamen täglich Schauspiel- und Stimmunterricht sowie Kurse für Gestik, Mimik, „dialects and accents“ und Schminken. Das Programm war weniger auf sozial schwache Schüler ausgerichtet, als dies noch bei Fanny Kelly der Fall war. Es schloss selbstverständlich bei Eignung der Eleven deren Auftritte in Thornes Truppe ein, und die Unterrichtsgebühren von 20 Pfund für drei Monate und 30 Pfund für sechs Monate müssen als beträchtlich angesehen werden. Überwiegend besuchten daher Schüler wohlhabender Eltern diese Schule, sie waren im allgemeinen Kinder von Anwälten, Schriftstellern, erfolgreichen Schauspielern oder kamen aus der Aristokratie. Unter ihnen waren zukünftige Stars wie z.B. Irene von Violet Vanbrugh, Gertrude Kingston, Edward Gordon Craig, Ben Greet and Granville Barker. (McDonald 1989: 199f.) Sowohl Phillip Ben Greet, als auch Henry Irving und Ellen Terry sollen ihre eigenen Schulen unterhalten haben (Susi 2006: 17; zu Ellen Terry auch Bassnett 1991). Wolf-Dieter Ernst 204 2 Ein „wüstes und wirres Durcheinander“. Schauspielausbildung in den deutschsprachigen Ländern zwischen Akademie, Wandertruppen und privater Schule Es waren vor allem finanzielle Überlegungen, die an den deutschen Fürstenhöfen zur Gründung von Schauspielschulen führten. Schauspielschulen waren, wie Peter Schmitt in seiner Sozialgeschichte des Schauspielerstandes zeigt, nicht selten Versorgungseinrichtungen für Waisenkinder, die zudem eine billige Ressource für den Bedarf an Statisten der Haupt- und Staatsaktionen garantierten (Schmitt 1990). Entsprechend instrumentell, nämlich auf kalkulierten Einsatz finanzieller Mittel für einen Gewinn an Unterhaltung hin ausgerichtet, gestaltete sich der Unterricht an diesen Schulen. Der Ruf nach einer staatlichen Schauspielschule, worunter man vor allem eine konstante Finanzierung und rechtliche Verankerung als Schule verstand, wurde dabei ein aufs andere Mal erhoben, massiv etwa in den Revolutionsjahren 1848/ 49 (Ernst 2014: [im Druck]). Dabei hatten wir es in den Reformschriften der Revolutionszeit mit einer Vorstellung von Schule zu tun, wie wir sie in ihren Grundzügen auch heute realisiert wissen: Dreijährige Ausbildungszeit, Aufnahmetest, Eintrittsalter für Mädchen 14, für Jungen 16 Jahre, Verknüpfung von Theorie und Praxis, Studium der Geschichte, Literatur, Kunstgeschichte, Gesang, Körperschulung in Rollenstudium, Reiten, Fechten, Gymnastik. Das Pariser Konservatorium lieferte das Modell. Der Kunsthistoriker Franz Kugler, Mitglied der Königlichen Akademie der Künste in Berlin und später einer der führenden Protagonisten innerhalb des Ministeriums unter Ladenburg, besuchte in den frühen 1840er Jahren die Akademien und Konservatorien in Belgien und Frankreich, um sich ein Bild von der Organisation des Kunstwesens zu machen. Die Einrichtung einer zentralen Kunstbehörde und die Bewilligung der Mittel für eine staatliche Schauspielschule fanden jedoch keinen Zuspruch. Das hatte auch mit der defensiven Haltung der bereits etablierten Akademien für bildende Kunst und für Musik zu tun, die sich nicht recht mit dem Gedanken anfreunden konnten, die Schauspielkunst als eine der freien Künste zu akzeptieren. Erst 1874 wurde in München an der Königlichen Musikschule eine dramatische Klasse eingerichtet, die - anders als die bekannten Schulen von Max Reinhardt, Louise Dumont oder Leopold Jessner zu Beginn des 20. Jahrhunderts - nicht privat finanziert war, sondern volle staatliche Förderung genoss. Letztlich kam im Vormärz im Zuge der beginnenden Verstädterung und der Gründung zusätzlicher bürgerlicher Theater u.a. in Berlin (Königsstädtisches Theater), Dresden, München (Isartortheater) und in der Wiener Vorstadt der Privatunterricht bei Hof- und Stadttheaterschauspielern als Weg zur Bühne auf. Gestützt wird diese städtische Theaterkultur von zahlreichen Laien- und Liebhabertheatern. Es ist bezeichnend, dass vor allem lesekundige Beamtenanwärter, die auf Grund einer geringen horizontalen Durchlässigkeit lange auf ihre Berufung warten mussten, häufig den Weg zur Bühne suchten. Schauspieler kamen im frühen 19. Jahrhundert zur Hälfte aus Schauspielerfamilien selbst, zu rund einem Viertel aus dem ‚öffentlichen Dienst‘, worunter man sozial mobile Beamtenanwärter und Akademiker rechnen muss, so Schmitt. Schauspielausbildung und Charakterdarsteller im 19. Jahrhundert 205 5 1860 erschien in einer Auflage von 100.000 Exemplaren das erste illustrierte Journal Die Gartenlaube. Vorbereitet wurde diese Publikationsform durch das Verlagswesen und den Kolportagehandel, also den Vertrieb von dafür eigens hergestellten Büchern im Haus-zu-Haus-Geschäft. In den deutsprachigen Ländern entwickelt C.J. Meyer um 1826 dieses System. Zu 2,5 bis 7 Silbergroschen konnte man Bände der so genannten Miniatur- Bibliothek erstehen. Meyer verkaufte mehrere Hunderttausend Exemplare (vgl. Prinz 1978; ferner Sarkowski 1976). Brockhaus übernahm das Vertriebssystem für den Absatz seines gleichnamigen Konversationslexikons. Die erste Auflage erschien 1809 mit 2.000 Exemplaren, die fünfte Auflage (1818-1823) hatte bereits 32.000 Exemplare, nach Absatz der elften Auflage (1864-1868) waren 300.000 Exemplare verkauft zu einem Preis von 12 Taler und 15 Groschen für sechs Bände à 615 Bögen. Vgl. Eintrag ‚Medien‘. (Ungern-Sternberg1987: 392). 6 Vgl. hier für das Theater des 19. Jahrhunderts Balme 2006: 11-28; Leonhardt 2007; für das Wilhelminische Zeitalter Marx 2008. 3 Bildungsentwicklung und Bildungsbegriff im 19. Jahrhundert Die Bildungsentwicklung im 19. Jahrhundert steht in Deutschland unter anderen demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Vorzeichen als im 18. Jahrhundert. Hier wären die Auflösung der Ständegesellschaft und die stufenweise Einführung der Gewerbefreiheit ebenso zu nennen wie das Wachstum der Bevölkerung. Beide Faktoren haben unmittelbaren Einfluss auf die Pragmatisierung der Bildungskonzepte im Vergleich zum 18. Jahrhundert. Der Anspruch ‚Bildung für alle‘ lässt sich unter den Konditionen, die von gesteigerter sozialer Mobilität und mit der Entstehung eines vierten Standes, des Proletariats, gesetzt werden, eben nicht in gleicher Weise in die Tat umsetzen, wie dies von den Pädagogen und Philosophen für die relativ stagnierende Gesellschaft des 18. Jahrhunderts prognostiziert werden konnte. Ebenso ist mit der Spezialisierung und Ausdifferenzierung beruflicher Tätigkeiten sowie der Entwicklung urbaner und industrieller Berufsfelder ein anderer Wissensbedarf zu verzeichnen, welcher sich vom Erfahrungswissen der Zünfte und dem Gelehrtenwissen der Lesekundigen des 18. Jahrhunderts unterscheidet. Als prägende Faktoren für den Wandel der Bildungskonzepte können letztlich die Medien der Bildung gelten, vor allem die Zunahme der Lesefähigkeit und des Lesekonsums 5 sowie die Zirkulation von Druckgrafiken. In diesem Zusammenhang müssen auch die Darbietungen in Theatern, auf Konzerten, Festen oder Jahrmärkten als Leistungen einer bürgerlichen Unterhaltungskultur erwähnt werden. 6 Der wohl wirkmächtigste Wandel im Bildungsbereich vollzog sich gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Übernahme des Erziehungsmonopols durch den Staat. Wiewohl die Schulpflicht als Idee bereits seit dem Ende des 16. Jahrhunderts bekannt war (und die quantitative Einlösung erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelang), ist mit der Gründung und Wiedereröffnung von Universitäten (Berlin 1810, Bonn 1818, München [Verlegung von Landshut] 1826) und der Reform der Volksschule wie auch über das von neuhumanistischen Ideen geprägte preußische Gymnasium (Abiturreglement von 1812/ 34), das Engagement im Bildungsbereich und die Organisation von Bildung durch den Staat unübersehbar (vgl. hierzu Jeismann 1987: 4ff.; Kraus 2008: 41f.). Seit 1810 nehmen beispielsweise staatliche Prüfungsämter in Preußen das Examen für Gymnasiallehrer ab. In Berlin wurde 1817 eigens ein Ministerium für Unterricht und Kultus geschaffen, ebenso wurde ein System von Provinzschulkollegien für die Schulaufsicht eingerichtet. In Österreich folgte die Einführung des Gymnasiums als Vorbereitung auf das Universitätsstudium 1850 durch den Kultusminister L. Graf Thun, etwas zurückhaltender war der Reformeifer in Bayern, was konfessionelle Vorbehalte gegen die neuhumanistische Ausrichtung auf alte Wolf-Dieter Ernst 206 Sprachen zur Ursache hatte (vgl. Kraus 2008: 42f.). Zeichnete sich also noch im 18. Jahrhundert in den Erziehungsdiskursen die Idee ab, dass über die Bildung der ‚Persönlichkeit‘ auf eine neue Staatsform hin assoziiert werden könnte, so kehrt sich die Tendenz der Entwicklung im 19. Jahrhundert um: Der Staat wird nicht gebildet, sondern er bildet als Schulherr selbst aus. Damit differenziert sich das humanistische Bildungsideal aus in - Bildung als Besitz - Bildung als Ausbildung - Bildung als Charaktererziehung Für die Schauspielausbildung und die Stellung des Schauspielers hat diese Ausdifferenzierung zur Folge, zum Spielball ganz unterschiedlicher Interessen im Spannungsfeld des Bildungsbegriffs zu werden. Gemäß Schmitts These von der ‚Aristokratisierung der Künstler‘ partizipieren einige Schauspieler an der Idee von Bildung als Besitz. Die Virtuosen, die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf lukrativen Gastspielreisen befinden und ihre Villen etwa am Englischen Garten oder in der Stuttgarter Wilhelmina beziehen, stellen den möglichen sozialen Aufstieg und das gesteigerte Renommee des darstellenden Künstlers unter Beweis. Zudem hat jeder Schauspieler eine körperlich-stimmliche Ausbildung durchlaufen, sei es in Form von Schule und Unterricht oder durch das imitierende Lernen innerhalb der Wandertruppen. Schauspielerei ist - anders etwa, als das bei Komponisten oder Malern üblich ist - in besonderem Maße körperliche Arbeit, die der geistigen und theoretischen Durchdringung zuwider läuft. Letztlich steht der Schauspieler als Darsteller des Menschen im Zentrum sittlich-moralischer Erziehungsansprüche. Anders als in den abstrakteren Künsten der Malerei und der Musik scheinen sich künstlerischer Ausdruck und Lebensführung in der Schauspielkunst zu decken. Folglich werden die Idee und die Norm der Charaktererziehung unmittelbar auf die jeweilige schauspielerische Tätigkeit projiziert. 4 Der Fall Possart Ernst Possart ist ein besonders aufschlussreiches Beispiel, um die Schauspielerausbildung im 19. Jahrhundert zu beleuchten. Seine Aussagen über die mühevolle Kontrolle des Körpers und die zentrale Funktion der Stimme beim Erlernen des Schauspielhandwerks sind nicht gar so verschieden von denjenigen François Delsartes, wenn er sich auch nicht wie jener gegen die Konventionen der professionellen Darsteller auflehnt. Der 1841 in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Berlin geborene Possart besuchte zunächst das preußische Realgymnasium. Zum Schulstoff zählten u.a. das öffentliche Rezitieren von Versen, etwa der Choral von Leuthen oder Lützkows wilde verwegene Jagd (Possart 1916: 4). Seiner Schulzeit folgte eine Lehre in einem Verlag für Kalender und Kunstdrucke. Man verlegte „ausgezeichneten Nachbildungen“ u.a. die Kupferstiche Eduard Mandels und Reyhers (Possart 1916: 14). Als entlaufener Lehrling kam er über Privatunterricht bei dem Hofschauspieler Wilhelm Kaiser mit 16 Jahren zum Breslauer Theater, wo er sich auf Anraten seines Agenten mit memorierten Nebenrollen einschlägiger Repertoirestücke vor dem Bühneneingang herumdrückte, um bei Ausfall eines Schauspielers schnell besetzt werden zu können. Der Plan ging auf, und über Stationen in Bern und Hamburg sowie eine Zeit beim Militär gelangte Possart schließlich in der 60er Jahren ans Münchner Hoftheater. Hier wurde Schauspielausbildung und Charakterdarsteller im 19. Jahrhundert 207 er Erster Hofschauspieler und brillierte im Charakterfach u.a. in den Rollen von Richard III, Narziss oder Manfred. Es folgten Engagements als Regisseur und schließlich als Hofintendant und Darsteller zahlloser Separatvorstellungen des Königs Ludwig II. 1874-75 bekleidete er zusätzlich eine Professur für Schauspielunterricht an der Königlichen Musikschule. 1916 schrieb der fast 75-jährige Schauspieler seine Biografie Erstrebtes und Erlebtes. Mit der Gelassenheit und dem Witz älterer Herren schaut er darin auf seine Kindheit und Jugend zurück. Die Biografie setzt 1850 mit seinem neunten Lebensjahr ein und zeigt uns Possart als verträumten Schüler: „Stundenlang hockte ich in der Klasse und hörte gar nicht, was sie miteinander verhandelten; meine Gedanken waren draußen; heute da, morgen dort, wo gerade etwas Besonderes vor sich ging […].“ (Possart 1916: 3) Diese Selbst-Schilderung als kleiner, verträumter Junge taucht nicht nur immer dann auf, wenn Possart einen körperlichen Kontrollverlust beschreiben möchte, der ihn während seines Aufstiegs in der gesellschaftliche Hierarchie überkam. Der beschriebene Kontrollverlust deutet auch darauf hin, dass das Ziel der Schauspielausbildung für Possart eng mit der Idee der Charaktererziehung verbunden war, wenn nicht gar ein Synonym dafür. Es geht ihm darum, heraus zu stellen, wie er den körperlichen Kontrollverlust überwand, indem er als Mann und als Schauspieler zu einem gefestigten Charakter erzogen wurde. Entsprechend schildert Possart seine Kindheit und Jugend als eine Phase, in der diese Charakterfestigkeit überhaupt noch nicht gegeben war. So erinnert er sich etwa an sein erstes Vorsprechen vor dem Hofschauspieler Wilhelm Kaiser wie folgt: Er trat auf mich zu, fasste meinen Arm und führte mich gelassen in das Nebenzimmer vor einen großen Wandspiegel. Schweigend deutete er hinein. Jetzt überkam’s mich mit erdrückender Schwere: Neben der imponierenden Figur des Mannes mit dem schönen, edelgeformten Kopf, - ein kleines rothaariges Geschöpf, linkisch dastehend, das eingeschüchterte Gesicht von Sommersprossen verunziert, - - - welch ein trauriger Gegensatz! Seine großen Augen sahen auf mich herunter: ‚Mit dieser Erscheinung wollen Sie doch keine Liebhaber spielen? ‘. (Possart 1916: 24) Sein erster Theateragent äußerte sich über Possarts äußerliche Erscheinung mit den Worten, sie sei wenig „appetitreizend“, Possart überprüfte dieses Urteil auf dem Heimweg mit Blick „in die großen Spiegelscheiben, die bis zur Erde reichten“ und musste „unwillkürlich seufzen“ (Possart 1916: 63). Seine Charaktererziehung umfasste auch die bürgerliche Rolle: Als er um seine spätere Frau Anna Deinet warb, ließ er sich von einem Freund als „Trottel“ titulieren und inszenierte sich „trotz sonstiger körperlicher Gewandtheit“ als „miserabler Tänzer“. „Fräulein, ich kann keinen Walzer tanzen, wir schmeißen sicher um.“ (Possart 1916: 231f.) Seine erste Audienz bei König Ludwig II (1864) führte gar zur Quasi-Hypnose, in die ihm sein linkischer Körper verfiel: Mir stockt der Atem. Als ich nach tiefer Verbeugung mich aufrichte, steht die majestätische Gestalt dicht vor mir; ich muss den Kopf in den Nacken werfen, um ihr ins Antlitz schauen zu können. Aber mein Blick vermag nichts mehr zu unterscheiden, denn zwei mächtige stahlgraue Augen, von dunklen Wimpern umrahmt, senken sich forschend in die meinigen und halten sie gefesselt. Wie erstarrt stehe ich; nichts schaue ich mehr als dieses strahlende Augenpaar; der König spricht schon mit mir; der leise Ton seiner Stimme klingt gütig; allein ich vermag die Worte nicht zu fassen; immer blicke ich gespannt in diese überirdisch leuchtenden Sterne. (Possart 1916: 206) Der Kontrollverlust des Körpers wird in der Autobiografie immer in Relation zum vermeintlich schöneren, gewandteren und mächtigerem Körper bereits gesellschaftlich und künst- Wolf-Dieter Ernst 208 lerisch etablierter Akteure beschrieben. Deshalb wohl kommt es zur wiederkehrenden Beschreibung von Szenen, in denen die angenommene Inkongruenz des eigenen Körperbilds im Spiegel und im Blick des Anderen überprüft wurde. Dieses Konzept der Charaktererziehung dominierte auch die körperliche Ausbildung zum Schauspieler, weshalb hier für methodische und pädagogische Experimente wenig Raum war. Es ist augenscheinlich, dass die gesamten Ausbildung Possarts, wie auch seine Tätigkeit als Lehrer in der dramatischen Klasse in der Königlichen Musikschule der Idee des disziplinierten Kraftkörpers unterstand. Wir finden Hinweise darauf, dass der Lehrplan neben dem Kurs „Gymnastik, Tanz und Mimik“ (Königliche Musikschule 1874/ 75: 15) - ab dem Schuljahr 1876/ 77 dann „Körperliche Ausbildung“ (Königliche Musikschule 1876/ 77: 30) genannt - und dem „Exercirunterricht“ (ebd.) auch schon einmal die Zimmergymnastik nach Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808-1861) vorsah (Königliche Musikschule 1874/ 75: 18). Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, wie Possart seine erste ästhetische Erfahrung mit dem Theater, sein erstes ‚Theatererlebnis‘ schildert. Denn in dieser ersten phänomenalen Erfahrung - die bis heute Theatermacher und Theaterzuschauer je spezifisch zu beschreiben wissen - wird zugleich deutlich, dass Possart den disziplinierten Kraftkörper vor allem als Stimmkörper imaginierte. Er beschreibt diese prägende Erfahrung in seinem Bericht von einem Gastauftritt, den der bereits gestandene Schauspieler Wilhelm Kläger 1862 am Theater in Bern absolvierte. Kläger spielt die Schlussszene als Franz Moor in Schillers Räuber. Possarts Beobachtung jedoch lässt Klägers Auftritt zu einer Art Sängerwettstreit zwischen individueller Physis und Theatermaschine werden: [D]ie Ausdrucksmittel des erstaunlich begnadeten Darstellers waren noch nicht erschöpft. Hatte er bis jetzt die Ausbrüche der Wut immer noch mit lechzendem Grimm, mit mehr innerlichem Ungestüm als stimmlichem Aufwand bestritten, - hier, bei dem mitternächtigen Emporschrekken vom Lager: ‚Verraten! Verraten! Ausgespien aus Gräbern, losgerüttelt das Totenreich aus dem ewigen Schlaf‘ entfaltete Wilhelm Kläger zum ersten Male eine gewaltige Lungenkraft und die tosende Stärke seines Organs. Die Beichte von der grauenvollen Vision des jüngsten Gerichts, anfangs sich ihm mit lallender Zunge entringend, dann von Satz zu Satz unter konvulsivischen Zuckungen im Tone gesteigert, drang bei dem Verdammungswort des Weltenrichters: ‚Gnade jedem Sünder der Erde und des Abgrundes! Du allein bist verworfen‘, donnernd an unser Ohr. Doch immer noch hatte Kläger seine physische Kraft nicht voll ins Treffen geführt; erst als die wimmernden Dorfglocken das Herannahen der Räuber verkündeten, als das Schießen und Pfeifen der wilden Bande sich mit dem Krachen eingeschlagener Türen, dem Klirren zusammenbrechender Fenster und dem Heulen der Windsbraut zu einem Chaos von Gedröhn verbanden, erst da ließ der Künstler die Wucht seiner Stimmmittel restlos erklingen, und die Verzweifelungsschreie des totgeweihten Franz Moor überdrangen siegend, markerschütternd den Höllenlärm. (Possart 1916: 117f.) Die Stimme des Schauspielers wird hier deutlich mit mechanischer Kraft gleichgesetzt. Das Ideal ist tatsächlich ein Crescendo, welches die dramatische Finalspannung - den Untergang des Intriganten Franz Moor - akustisch einzulösen vermag und dabei gegenüber der mechanischen Musik der Theatermaschine, dem Schießen, Pfeifen, Krachen, Klirren und Heulen, obsiegt. Der musikalische Kontrast von Solo-Instrument und Begleitung ist ein durchaus gängiges ästhetisches Prinzip und für die Gestaltung eines Schlusses nicht unüblich. Doch geht es Possart hier um mehr, denn er schildert deutlich, wie sehr er zumal als junger Schauspieler von Klägers Körper eingenommen war. Seine gewaltige Lungenkraft, die Stärke seines Organs, die Wucht seiner Stimmmittel trafen „donnernd an unser Ohr“. Schauspielausbildung und Charakterdarsteller im 19. Jahrhundert 209 7 Eine ähnliche Ausnahmestellung, die Juliane Vogel für die Furorszenen in den Dramen des 19. Jahrhunderts nachgewiesen hat (vgl. Vogel 2002). Aber welcher affektive Körper wird hier beschrieben? Possarts Vokabular für affektive Prozesse ist über lange Passagen seiner Biografie durchaus begrenzt. Frauenkörper erscheinen bei ihm mit anreizenden Flechten, die über den Nacken fallen, er selbst beschreibt sich überwiegend als gefasst oder um Fassung ringend. Hier aber ist plötzlich von einem Körper in „konvulsivischen Zuckungen“, von „lallender Zunge“, von „Verzweifelungsschreien“ die Rede. Es ist nicht abwegig, sich diesen Körper Klägers als affektive Ausnahme einer Regel vorzustellen, die für Schauspieler einen wohlgestalteten und kontrollierten Körper vorschrieb. 7 Diese Regel war jedoch nicht in der literarischen Figur des Franz Moor begründet. An vielen anderen Stellen bespricht Possart mögliche Rollenauffassung in normativer Weise, kritisiert Ungenügen und Abweichungen von der ‚einzig möglichen und regelhaften Art und Weise‘, eine Rolle zu spielen. Nicht so an dieser Stelle im Text, da das akustische Erlebnis einer Resonanz von Klägers Organ in Possarts Ohr im Vordergrund steht. Die Regel, die hier mit Klägers Stimmeinsatz vorgeführt wird, war auf der Ebene von Bildung als Besitz angesiedelt. Possarts Faszination galt weniger der dargestellten Figur Franz Moor, als der Tatsache, dass der Schauspieler Kläger vorführte, was man mit Bildung als Besitz bewirken konnte. Es ist dabei wichtig, zu bedenken, dass Kläger seinen Stimmeinsatz in einer Hauptrolle zeigte. Der Hauptrolle und besonders der Heldenszene kam innerhalb des Theatermodells zur Zeit Possarts die Funktion zu, den Besitz zu demonstrieren. Wer die Hauptrolle besaß, verfügte über größeren Redeanteil als dies in Nebenrollen der Fall ist. Die Rolle war zudem von höherem Schwierigkeitsgrad, was in der Wendung „man gehe unter oder siege darin“ in den Erinnerungen des Schauspielers Possart zum Ausdruck kommt. Daraus folgt auch, dass der Schauspieler in einer Hauptrolle den dafür nötigen Stimmkörper besitzen, d.h. ihn bei maximaler Kraftanstrengung zu kontrollieren fähig sein musste. Deshalb wurden Hauptrollen nicht an Nachwuchsschauspieler und nicht an ältere Schauspieler ausgehändigt. Welchen Energieaufwand es den Schauspieler aber kostete, sich auf der vorgeschriebenen Bahn und innerhalb des Modells der Charaktererziehung zu bewegen, wird erst deutlich, wenn Possart in seiner Autobiografie auf seine Faszination für die Abweichungen zu sprechen kommt. In keiner Passage wird dies anschaulicher als in der sehr ausführlichen Schilderung von Clara Zieglers erstem Engagement als Jungfrau von Orleans in Breslau, ein erster kurzer Auftritt, welchen der junge Possart hautnah miterlebte. Die Erzählung wird ähnlich dramatisch gestaltet wie der Auftritt Klägers. Von einer „jungen Debütantin“ ist die Rede. „Erst 18 Jahre alt, und doch so hoch aufgeschossen, dass sie mit ihrer dünnen Figur fast um Kopfeslänge hinausragte über alle unsere Heldenspieler,“ so wird ihr Körper exponiert, um sodann die Fragen zu kolportieren, die im Ensemble gestellt wurden: „‚Jungfrau von Orleans? Das junge Ding da? ‘ - ‚Nun, wenn das Organ so groß ist, wie die Figur? ‘“ (Possart 1916: 94) Es folgt eine ausführliche Beschreibung der ersten Probe, in der Ziegler überzeugen konnte. Sie verfügte über ein breites Tonspektrum, sprach mit „ehernem Organ“, in einem „Strom von Wohllaut, dem zarten Körper kaum zuzutrauen“, in „[g]ewaltigen Tonwellen, immer mächtiger anschwellend, ohne jemals in wüstes Geschrei auszuarten.“ (Possart 1916: 95) Wolf-Dieter Ernst 210 8 So beschreibt Possart Clara Zieglers Auftritt als „sirenenhaft“. Die sexuelle Konnotation einer sich ergießenden Stimme, welche ein ganzes Haus verführt, ist für dramaturgische Texte des 19. Jahrhunderts und insbesondere auch für Beschreibungen der Wirkung der Schauspielerin Charlotte Wolter in ihrer Wiener Zeit bereits eingehend dargestellt worden (vgl. Balk 2001: 35ff. sowie 207ff.; ferner Vogel 2002: 277ff; Wiesel 2001 und Bassnett et al. 1991). 9 Als „Jungfrau in Waffen“ interpretiert Claudia Balk diese Körperlichkeit der Clara Ziegler (Balk 1994: 12-59). [D]a wimmelte es in den Kulissen des Theaters von staunenden Zuhörern. Mit aufgerissenem Aug’ und Mund schauten sie auf die Szene, immer näher und näher rückend, Künstler wie Theaterarbeiter, die Scharen von Kindern, die beim Krönungszug mitwirkten, und die Bühnenmusiker, ihre Instrumente in der Hand; aus allen Ecken hatten sie langsam sich aufgemacht, von diesem wundersamen Organ angelockt, das aus der Brust des schmächtigen Kindes kam. 8 (Possart 1916: 96) Clara Ziegler, die hier in der Probe überzeugen konnte, wurde jedoch in Breslau nicht weiter engagiert. Die Direktion fürchtete, so Possart, dass ihr Organ „die künstlerische Linie überschritt“ (Possart 1916: 99), und Possart findet in seiner Erzählung Gründe, die Bedenken zu rechtfertigen. Er erwähnt die konservative Haltung des Publikums einem Neuling gegenüber, die Gefahr, die junge Clara Ziegler könne bei einem Durchfall in der Rolle ihre Karriere gefährden. Lediglich die Tatsache, dass der Direktor eine Umbesetzung der Ziegler verfügte, ohne sie persönlich gesehen zu haben, empfindet er rückblickend als Willkür. Dieser Willkür aber könne man abhelfen. Die Einführung von Examen, staatlichen Schulen und Prüfungsbehörde könnte hier Einhalt gebieten. Denn [d]as Theater ist ein Staat im Kleinen; allein diesem Staate fehlt die beschworene Verfassung, die sein Oberhaupt verpflichtet, nach bestimmten Grundsätzen die Fähigkeiten der Untergebenen zu bewerten und danach ihnen den gebührenden Wirkungskreis einzuräumen. (Possart 1916: 99) Diese Erzählung macht deutlich, wie sehr Possart die Regeln verinnerlichte. Wider seine eigene Faszination für die Darstellung von Clara Ziegler, wider seinen Gerechtigkeitssinn verteidigt er die Vorschrift, der gemäß eine Charakterrolle nur derjenige sein Eigentum nennen durfte, der über einen der Norm entsprechenden (d.h. männlich kodierten) Kraft- und Heldenkörper verfügte. Clara Zieglers Verfehlung bestand nun allein darin, über einen Stimmkörper für die Heldenrolle der Jungfrau zu verfügen, dem kein normierter physischer Körper entsprechen mochte: Sie war schlicht als Frau und Anfängerin zu groß, stand nicht in wohl proportioniertem Verhältnis zu den gestandenen Helden im Ensemble. 9 Man liegt sicher nicht falsch, wenn man die frühe Prägung, der Possart im Berlin nach der Revolution unterlag, als bürgerlich-konservativ bezeichnet, was eine ungebrochene Einstellung zu den Repräsentanten in Staat, Politik und Kirche einschloss. Er war Teil einer kleinbürgerlichen Schicht, die von den Jahren der so genannten Gründerzeit profitierte, wie letztlich auch Possarts gesellschaftliche Stellung als Theatermann gegen Ende des Jahrhunderts mit einer ungewohnten gesellschaftlichen Akzeptanz und lukrativen Geschäftigkeit als jenen Vorzeichen zusammenfielen, unter denen in dieser Zeit Theaterunternehmungen standen. Die dramatische Charakterrolle konnte also von Possart als Synonym für ein bürgerlich-konservatives Lebenskonzept interpretiert werden, in welchem Bildung den Besitz einer gesellschaftlichen Elite darstellt. Dabei fungierte der dargestellte Charakter zugleich als Kulminationspunkt, um die divergierenden Konzepte von Bildung - der Besitz, die Ausbildung und die sittlich-moralische Erziehung - gleichsam auf eine Figur und einen Körper zu beziehen. Es wundert nicht, Schauspielausbildung und Charakterdarsteller im 19. Jahrhundert 211 10 „Der Schauspieler soll uns ein Muster der Aussprache sein. Von seiner Aussprache dürfen wir daher mit Recht die Entfernung aller störenden, unorganischen Elemente fordern. Diese ist aber nur durch eine allseitige Unterwerfung des Materials, d.h. des artikulirten Tons möglich. Der erste Gegenstand dieser Disziplin, welche die Kunst des dramatischen Vortrags zu ihrer höchsten Aufgabe hat, ist mithin, auf die Bildung der Elemente, der Consonanten, Vokale und Diphthongen zurückzugehen und sowohl ihr inneres Verhältnis zu einander, in Bezug auf den Tongehalt, als ihre vollgültige, reine Aussprache und ihre Bedeutsamkeit für eine Kunst der Rede zu entwickeln und praktisch zu machen. Hier darf dem Individuum Nichts erlassen werden; auch der geringste Mangel muss gründliche Abhülfe finden.“ (Rötscher 1848: 10) 11 „Rein ist die Aussprache, wenn sie keinen Anklang an eine Mundart (Dialect) hat.“ (Benedix 1870: 6) dass dieses Ideal eines disziplinierten und selbst im Untergang standfesten Charakters zur Projektionsfläche nationalstaatlicher Interessen wurde - gerade, weil die staatliche Einheit in Deutschland lange nicht zu haben war. Die zum Nationalcharakter erhobene Idee umfasste den Körper, die Stimme und die Sprache gleichermaßen. Nicht von ungefähr sieht etwa der Theaterreformer Heinrich Theodor Rötscher die Bühne als den Ort an, an welchem sich das Hochdeutsch als Nationalsprache durchsetzen müsse. 10 Der Katechismus der Redekunst von Roderich Benedix beginnt mit dem Abschnitt zur „Reinheit und Deutlichkeit der Aussprache“ 11 (Benedix 1870: 6). Und Possart fordert die körperliche Normierung des Schauspielers. Er müsse über „gerade Gliedmaßen und normale Gesichtszüge“ (Possart 1901: 7) verfügen. Eine „eingedrückte Nase“ ließe sich noch durch eine „künstlich aufgeklebte geradlinig“ machen. Ein Gesicht mit „einer zu dicken oder auch zu stark gekrümmten Nase“ ist nicht zu gebrauchen, weil „wandlungsunfähig“ (Possart 1901: 7). Wie die Anekdote um Clara Zieglers Auftritt in Breslau zeigt, trug die Normierung der Schauspielausbildung im 19. Jahrhundert aber auch bereits jene intrinsische Spannung in sich, die sich dann in der Theaterreform um die Jahrhundertwende in unterschiedlicher Weise Luft machte. Die Proliferation der Lehren Delsartes über Genevieve Stebbins und Isadora Duncan nach Berlin und Darmstadt, oder über Jacques-Dalcroze nach Dresden-Hellerau war - wie zu zeigen war - auch ein Produkt eines Reformstaus, der sich zwischen dem Bildungsideal der Charaktererziehung des 18. Jahrhunderts, einer demografisch gewandelten Bildungsrealität im 19. Jahrhundert und dem Versagen des Staates ergab, seinem Anspruch einer staatlichen Erziehung mit der Einrichtung staatlich geförderter Schauspielausbildungen Folge zu leisten. Literatur Balk, Claudia 1994: Theatergöttinen. Inszenierte Weiblichkeit. Clara Ziegler, Sarah Bernhardt, Eleonora Duse, Basel: Stroemfeld/ Roter Stern Balme, Christopher B. 2006: „Die Bühne des 19. Jahrhunderts: Zur Entstehung eines Massenmediums“, in: Mennemeier et al. 2006: 11-28 Bassnett, Susan & Muchel R. Booth, John Stokes (eds.) 1991: Sarah Bernhardt, Ellen Terry, Eleonora Duse. Ein Leben für das Theater, Weinheim, Basel: Quadriga Benedix, Roderich 1870: Katechismus der Redekunst. Anleitung zum mündlichen Vortrage, Leipzig: Weber Brockett, Oscar G. 3 1977 (1968): History of the Theatre, Boston, London, Sydney, Toronto: Allyn and Bacon Ernst, Wolf-Dieter 2014: „Nationalerziehung und Öffentlichkeit. 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Der Körper des Königs vor dem Gesetz des Theaters, Wien: Passagen * Article paru pour la première fois en portugais : Franck Waille : « As duas fontes dos ensinamentos de Delsarte: observações e metafísica », Revista Brasileira de Estudos da Presença, Porto Alegre: Universidade Federal do Rio Grande do Sul, volume 2, numéro 2, (juil./ déc. 2012 ): 294-328. Les deux sources des enseignements de Delsarte : observations et métaphysique De la multitude des signes à leur organisation systématique * Franck Waille Delsarte’s two sources of teaching: observation and metaphysics. In order to explain the birth of his practical method of singing, speech and gesture, as to explain the birth of his anthropological system which is deeply linked with his practical method, Delsarte never refers to another artistic teaching or to the anthropology and the philosophy of his time. He always refers to his own private experiences and to his great amount of observations of expressive process in every day life. He also refers to metaphysical, spiritual and esoteric fields where he claims to have found the key to organize his observations in a systematic and coherent way. This theoretical field includes Christian faith - and especially Thomas Aquinus ’ anthropology and theology -, medieval Kabbala and antique esotericism. This paper investigates how Delsarte built his teachings from those two sources - observations and metaphysics - and how the theoretical and the practical part of those teachings are profoundly linked and conceived as tools for the artist. Les enseignements de François Delsarte, généralement considérés comme le début de la modernité des arts du spectacle vivant en Occident, présentent un paradoxe apparent pour le monde des arts de la scène de cette époque en Europe. Delsarte ne se réfère en effet que très rarement à d’autres artistes concernant la genèse de son art et de sa pédagogie, mais renvoie systématiquement à deux sources qui semblent de prime abord non directement associées au domaine de l’art : les observations de la vie quotidienne et la métaphysique. Ce dernier terme inclut une anthropologie associée à une vision du monde dans laquelle l’être humain trouve sa place en communion avec le monde matériel, spirituel et divin. La mise en place de ces deux référents est directement liée à la vie de Delsarte : il erra à Paris entre neuf et douze ans et élabora alors un système d’écriture de la musique ; il n’apprit à lire et à écrire qu’à partir de dix-sept ans et multiplia les observations pour échapper à l’enseignement du conservatoire de Paris et rééduquer une voix chantée détruite par trois années d’étude dans cet établissement. Ces épisodes ont révélé les dynamiques profondes de la personnalité de cet artiste : recherche d’une vérité expressive associée à une large ouverture d’esprit et à une curiosité insatiable ; exceptionnelle capacité d’observation de soi et des autres ; capacité de synthétiser des milliers de phénomènes dans un cadre théorique permettant à la fois leur explication et la mise en place d’outils pédagogiques pour les travailler de manière consciente et systémati- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Franck Waille 214 que ; mystère enfin d’un cheminement intime qui lui fit faire un pont entre ses recherches d’artiste et la redécouverte de la foi chrétienne, redécouverte dans laquelle le corps humain - outil par excellence de l’artiste des arts de la scène - occupe une place unique dans l’histoire de la chrétienté occidentale. Nous présenterons dans un premier temps les étapes ayant permis à Delsarte de mettre au point une méthode empirique d’observation, qui déboucha sur la recherche d’un outil permettant d’articuler ses observations les unes aux autres. Dans un deuxième temps, nous montrerons comment cela l’a mené à redécouvrir sa foi chrétienne dans l’expérience qu’il appelle « sa conversion », et comment il a tiré de cette conversion les outils conceptuels et pédagogiques pour donner à ses observations un cadre théorique. 1 Élaboration progressive d’une méthode empirique d’observation La mise en place du travail expressif de Delsarte repose d’abord sur des expériences faites lors des premières années de sa vie et l’ayant amené à élaborer une méthode empirique d’observation. L’expérience directe est chez lui la base de toute compréhension initiale d’un phénomène et l’observation, d’abord intuitive, est devenue progressivement une véritable méthode de travail. En dehors de quelques rencontres fortes, elle est pour lui l’unique référence qu’il ait fini par donner pour expliquer la genèse de son travail. Cette méthode s’est construite progressivement et s’est approfondie avec le temps : d’abord centrée sur la musique et le langage, elle s’est élargie aux mouvements expressifs et aux sensations proprioceptives. 1.1 Jusqu’à quatorze ans : élaboration intuitive de processus de travail et d’investigation originaux Né dans le Nord, François Delsarte est arrivé à Paris à neuf ans, sa mère ayant quitté le domicile familial avec ses quatre enfants avant de rentrer dans le Nord en laissant ses deux aînés, François et Louis, en pension dans une auberge. Les enfants vécurent là une existence à la Cosette qui entraîna rapidement la mort du plus jeune et la fuite puis l’errance du second : François, jusqu’à douze ans, vécut de petits métiers. Cela lui permit d’accumuler des situations d’apprentissage, donc des expériences motrices variées, qui ont sans doute joué un rôle dans le développement futur de son enseignement. Sa quasi non scolarisation a favorisé cette accumulation d’expériences, du fait de sa disponibilité en termes de temps, alliée à la nécessité de survivre, et lui a permis d’échapper à l’aspect normatif d’un système scolaire quel qu’il soit et à la « domestication corporelle » qu’induit tout apprentissage intellectuel, ne serait-ce que par le fait d’être assis. L’orientation de Delsarte vers la musique et le chant est liée aux événements qui ont accompagné la mort de son frère Louis en décembre 1822. Perdant connaissance et tombant dans la neige au retour de la fosse commune où Louis venait d’être enterré, sans doute au milieu de la plaine Saint-Denis, il aurait été réveillé par le vent qui lui apportait « de lointaines et vagues harmonies » (Arnaud 1882 : 12), qu’il a interprétées plus tard comme étant le chant des anges. À la source de sa carrière musicale, il y aurait ainsi eu une expérience quasi mystique, en dehors de tout cadre religieux. À partir de ce moment, Delsarte affirme avoir débuté immédiatement ses « travaux de musicien » (Delsarte s.d.1, feuille 1) : écoute attentive de tout ce qui est musique, des « chants d’église aux artistes du pavé », de « l’orgue du Les deux sources des enseignements de Delsarte 215 Temple à l’orgue de Barbarie » (Arnaud 1882 : 14) ; découverte - annonciatrice d’une démarche cherchant à synthétiser l’infinie multiplicité des phénomènes expressifs - de l’existence de seulement sept notes pour écrire la musique (ibid.) ; mise au point d’un système original d’écriture musicale, qui aurait joué un rôle central dans la rencontre qu’il fit avec le professeur de piano Jean-Aimé-Louis Bambini (Delsarte aurait chanté à Bambini les signes qu’il venait de tracer au sol en écoutant jouer un orchestre). Il développa alors faculté d’observation et goût de la recherche personnelle, qui furent à la base de toute sa pédagogie. Ayant commencé dans son art comme autodidacte, il garda toute sa vie cette dynamique consistant à chercher par soi-même, au-delà de ce qu’on lui enseigne et de ce qu’on lui affirme. De cette façon, sa pauvreté matérielle a été une richesse qui l’a obligé à trouver ses propres chemins de connaissance. La rencontre avec Bambini l’ouvrit à l’apprentissage des règles de la musique et à la découverte du répertoire lyrique. Bambini l’accueillit, lui transmit l’amour de la musique de Gluck, le forma, lui permit de se produire en public dès quatorze ans, puis de faire son entrée précoce à l’École royale de musique et de déclamation de Paris (conservatoire). Les quatorze premières années de sa vie l’ont donc laissé à peu près vierge de tout enseignement institutionnel, et lui ont permis de bâtir des processus d’investigation personnels qui furent essentiels pour l’élaboration de son travail expressif. Le passage par le conservatoire va être une anti-expérience le renvoyant aux expériences de son enfance qu’il va approfondir et peu à peu organiser en tant que méthode. 1.2 Les années au conservatoire (1826-1829) : début des observations sur les mouvements expressifs Les premières expériences de Delsarte au conservatoire sont négatives : altération de sa voix chantée, ambitions artistiques contrariées d’un jeune homme déjà habitué à quelques succès, passage aux études de déclamation, constat des incohérences de l’enseignement reçu et désir de trouver un enseignement plus pertinent. Tirant le bilan de l’échec de ses études, Delsarte demanda son renvoi du conservatoire. Le premier fruit de ces expériences négatives est d’ordre pédagogique : ne pas compter sur une hypothétique inspiration et sur le talent, mais envisager le travail artistique comme une science, suivant des critères précis et vérifiables, tant au niveau expressif qu’au niveau physiologique. Cette exigence méthodologique l’inscrit dans une problématique qui traverse les questions artistiques depuis l’Antiquité, de Platon à Denis Diderot par exemple dans Le paradoxe sur le comédien (texte publié en 1830, précisément au moment où Delsarte quitte le conservatoire). Et sous-tendant ce désir, la conviction qu’il existe une vérité expressive. Ses trois ans et demi au conservatoire virent la mise en place de la forme et du contenu précis de sa méthode empirique grâce à des expériences toutes liées, d’une façon ou d’une autre, à l’enseignement reçu. Ces expériences tracent un chemin de la musique et du chant au langage du corps et aux problématiques de la pédagogie artistique, c’est-à-dire aux principales dynamiques de ce qu’est devenu son système expressif. Ce parcours, fait de façon quasiexclusive par l’expérimentation directe, s’inscrit dans la droite ligne de ses premières années. Il va réinvestir dans la recherche d’un enseignement pertinent l’habitude d’une démarche empirique personnelle qu’il s’était forgé précédemment, et qui va lui permettre de traquer les indices du geste juste et du langage du corps. Franck Waille 216 1 Il s’agit d’une scène des Maris Garçons dans laquelle un jeune officier rencontre, après des années d’absence, son ancien hôtelier dénommé Dugrand, ce qui provoque chez lui une gaîté expansive. (M. Gaugiran-Nanteuil (paroles), M. H. Berton (musique), Les Maris garçons, Paris, Barba, 1806. Comédie en un acte et en prose, mêlée d'ariettes. Représentée pour la première fois au Théâtre Feydeau le 14/ 07/ 1806, puis à l’Opéra-comique le 15/ 07/ 1806). 1.2.1 De la remarque de Deshayes à la découverte de la rétroaction Delsarte a été mis sur la piste du langage gestuel par son maître de tenue théâtrale, André- Jean-Jacques Deshayes, par ailleurs l’un des plus célèbres maîtres du ballet romantique. Lors d’un cours son professeur lui aurait déclaré, alors qu’il lui tournait le dos : « Ton geste est faux. Ton attitude n’est pas en harmonie avec ta phrase. » (Delsarte s.d. 2, document 1, feuille 2). Aux questions de l’élève cherchant à comprendre comment, sans l’avoir vu, le professeur avait pu percevoir l’inexactitude de son geste, il aurait répondu : « Mon ami, c’est que le geste donne sa couleur à la voix, il n’est donc pas difficile d’en distinguer la forme par l’inflexion. » (ibid.). Cette remarque a amené Delsarte à explorer les liens entre geste et voix, mais aussi à envisager les liens entre le geste et une qualité expressive particulière, la couleur de la voix dans le cas présent. De plus, elle fonde sa conviction qu’il y a dans le geste la base d’une justesse expressive globale. Le travail d’un rôle pour ses cours d’art dramatique lui offrit ensuite l’occasion de faire sa première découverte fondamentale sur le langage corporel et d’échapper ainsi au « système d’imitation asservissant » (Delsarte 1858, cours n° 1) du conservatoire. Il nomme l’épisode en question son « papa Dugrand », du nom du personnage retrouvé avec effusion par l’officier dont il étudiait le rôle 1 . Il éprouvait une grande difficulté à trouver l’attitude appropriée de surprise joyeuse, et ses professeurs « avaient perdu leur latin et se refusaient de guerre lasse à [lui] continuer leurs leçons sur [ce] sujet » (Porte 1992 : 57). La solution lui est arrivée en surprenant un mouvement de son corps dans une situation semblable à celle qu’il étudiait : l’apparition impromptue de l’un de ses cousins. Il constate alors que le mouvement de son corps est à l’inverse de ce qu’il imaginait : plutôt que de se tendre vers la personne cause d’une émotion agréable, le thorax est porté vers l’arrière. C’est la découverte de ce qu’il a appelé la rétroaction, traduction corporelle pour lui de l’état concentrique, le premier des trois grands ordres du mouvement (concentrique, excentrique et normal) qui sont à la base d’une grande partie de sa pédagogie. Cet épisode est caractéristique de la façon qu’il a, par ses expériences, de retrouver les problématiques du théâtre et de l’art oratoire depuis l’Antiquité, celle de la recherche de gestes appropriés aux émotions (Clarke 1982 : 24-26). La solution à ces questions lui est venue non par les recommandations de ses professeurs ou par le contenu d’un quelconque manuel d’étude théâtrale, mais par l’attention portée à un événement du quotidien. C’est affirmer implicitement qu’il y a dans le fonctionnement psycho-corporel quotidien des enseignements qui intéressent le jeu de l’acteur. Suite à l’épisode du « papa Dugrand », une série d’observations complémentaires est venue confirmer la piste sur laquelle il se trouvait. 1.2.2 La multiplication des observations enrichit la pratique artistique de Delsarte Delsarte a multiplié au maximum le champ de son domaine d’observation : dès l’époque du conservatoire, il va explorer les expressions humaines non seulement dans les jardins publics, mais aussi à l’amphithéâtre pratique de l’École de médecine où se faisaient les dissections, Les deux sources des enseignements de Delsarte 217 puis à la clinique de cette même école, puis au Louvre et enfin au jardin des Tuileries. Ces observations multidirectionnelles se sont prolongées tout au long de sa vie. Les expressions spontanées du quotidien La rue et les lieux publics, depuis son enfance, ont été pour lui les endroits privilégiés d’observation de ses contemporains. Il mentionne souvent des attitudes repérées chez des personnes en situation de travail : un ouvrier maniant un marteau, un magasinier portant une lourde charge, etc., établissant de facto une continuité entre les gestes à caractère technique et les gestes expressifs. Dans les gestes du travail, il a été attentif à repérer les usages les plus fonctionnels du corps, qui lui ont donné des indications sur la façon à la fois la plus économe et la plus efficace d’entrer dans une action, préfigurant ainsi la démarche de Laban, qui mena une analyse systématique des liens entre gestes du travail et gestes expressifs (Laban 1994 : 135-136). Pour lui, d’une part, il s’agit « de trouver dans le geste toutes les distinctions sociales, morales et intellectuelles, ou autrement dit, les phrases caractéristiques » (Delsarte 1839a : 24), c’est-à-dire de prendre en compte les divers éléments qui colorent les gestes quotidiens. Il évoque ainsi dans ses cours de 1839 « toutes les modifications de haine par rapport à toutes les classes de la société, à toutes les classes d’intelligence et à toutes les classes de sensibilité » (ibid.). D’autre part, si les expressions du quotidien sont bien analysées comme étant marquées par les conditions et les habitudes sociales, elles n’en demeureraient pas moins régies par ces fonctionnements fondamentaux qui apparaîtraient alors. Dans le manuscrit des Épisodes révélateurs, où il parle de ses premières découvertes, il expose comment les mouvements de l’épaule sont très visibles chez la plupart des personnes, et que s’ils semblent inexistants chez les gens de la haute société guindés dans des codes sociaux et gestuels, ils sont alors néanmoins présents à la manière de « la loi des puissances infinitésimales, si manifestement démontrée par Hahnemann » (Porte 1992 : 87). Cela, loin de l’amener à nier l’existence de phénomènes expressifs fondamentaux, lui fait à l’inverse formuler l’idée que « la valeur ou l’importance d’une mesure se doit expressément déduire de la nature du milieu où elle s’applique » (ibid.) : en d’autres termes, la relativité de ses critères d’analyse en fonction des différentes situations sociales et culturelles validerait ces même critères en permettant de saisir leur permanence dans n’importe quel contexte. Cela lui permet d’articuler observations du quotidien, observations dans des situations extrêmes ou exceptionnelles, et fonctionnements expressifs fondamentaux qu’il considère comme ayant valeur archétypale. La relativité est alors au service de l’universel, et non sa contradiction. Delsarte échappe ainsi à la conception du naturel qu’a pu avoir avant lui par exemple Diderot, qui « ne peut envisager le propre de l’homme : l’apprentissage qui sous-tend la diversité des comportements humains que l’on considère “naturels” » (Pradier 2000 : 273). En d’autres termes encore, il traque dans le quotidien non des modèles à imiter, mais des structures et des dynamiques expressives qui ont un aspect « méta-quotidien » (Grotowski 1997-1998 : CD 1, plage 19), ou plutôt « infraquotidien », c’est-à-dire qui tissent le quotidien au-delà des aspects culturels et sociaux. Ce sont ces structures et ces dynamiques infra-quotidiennes qui forment, chez lui, ce que recouvre le terme de naturel, de vérité expressive. Franck Waille 218 Les réactions dans des situations extrêmes Delsarte s’est intéressé aux réactions des humains confrontés à des situations extrêmes. Après la morgue, il s’est par exemple rendu sur les lieux d’une catastrophe minière pour y observer les attitudes spécifiques des corps dans des situations de grande souffrance physique comme psychologique (Shawn 2005 : 48). Il était aussi attentif aux rixes qui se déroulaient dans la rue (Guéroult 1871). Ces situations extrêmes avaient elles aussi des choses à lui enseigner sur l’expression humaine. « Étudier les gestes de l’enfance » La recherche de règles expressives et de gestes à caractère universel l’a amené à inclure dans ses observations deux types de sujets n’ayant a priori que peu d’intérêt pour la construction d’un rôle : le monde de l’enfance, et celui du règne animal. Cela confirme que son attention n’est pas dirigée vers ce qu’il est possible d’imiter, mais vers des fonctionnements dont il s’agit de saisir les structures. Il a ainsi patiemment observé le développement expressif des jeunes enfants, des siens en premier lieu, mais aussi de ceux de la rue, des jardins et des places publics. Il a spécialement été attentif à leurs capacités motrices. Il écrit sur ce point que « pour être habile créateur, il faut connaître parfaitement les choses et [donc] surtout étudier les gestes de l’enfance » (Delsarte s.d. 3 : 13). Observer les gestes de l’enfance pour retrouver la spontanéité, la mobilité de l’enfant et sa richesse expressive, avant que cette richesse dynamique ne soit progressivement entamée par les habitudes (culturelles ou autres), par le travail et par le vieillissement du corps : telle est l’ambition de ses observations, comme d’une partie de sa pédagogie. Les mouvements des animaux L’observation des animaux a aussi été source de recherches spécifiques sur la qualité de l’expression par le mouvement. Le révérend William R. Alger, l’un des premiers Américains à avoir promu ses enseignements outre-Atlantique et à être venu travailler en France avec son fils Gustave Delsarte, rapporte que ce dernier, enfant, accompagnait son père à la ménagerie du zoo de Vincennes et au Jardin des Plantes (Delsarte 1858, cours n° 3), « où il étudiait avec le plus vif intérêt les postures, les façons de se mouvoir, les sports et les batailles des animaux sauvages » (Alger 1894 : 4 - nous traduisons). Là, Delsarte aurait été fasciné par les mouvements des serpents et aurait ensuite cherché les moyens pratiques pour permettre à l’être humain d’acquérir quelque chose de la qualité des mouvements reptiliens. Il aurait étudié ces serpents « avec une patience ininterrompue jusqu’à ce qu’il ait extrait tous les secrets de leurs mouvements mystiques et les ait reproduits dans son art » (ibid.). La statuaire antique Delsarte a complété ses observations par la fréquentation des musées, en particulier du Louvre. Il y analysait les tableaux des maîtres, constatant généralement que ceux-ci ignoraient les règles d’expression du corps que, lui, mettait à jour par l’observation (cf. Porte 1992 : 134). Mais c’est surtout de la statuaire antique, étudiée pendant une quinzaine d’années (Arnaud 1882 : 198), qu’il affirmait avoir beaucoup appris. Il ne cherchait pas dans cette statuaire des modèles historiques, comme l’acteur Talma avant lui (Dupont 2007 : 111), mais Les deux sources des enseignements de Delsarte 219 des principes de travail corporel. Il découvrit dans la statuaire grecque des règles de l’équilibre du corps et des lois de l’expression humaine par le geste et le mouvement, ce qui peut avoir quelque chose de paradoxal : il aurait été capable de repérer ce qui, dans ces figures de marbre, donc statiques, donnait une sensation de mouvement, de dynamique. Comme le fait remarquer avec justesse la chercheuse américaine Suzanne Laico, si les statues grecques incarnaient les principes qu’il cherchait, elles ne donnaient pas ces principes, et c’est bien par l’observation (Laico 1954 : 7), et par des observations croisées entre statues figées et mouvements de personnes dans la vie quotidienne, qu’il a en quelque sorte percé leurs « secrets », c’est-à-dire les principes sur lesquels elles sont élaborées. 1.3 L’auto-rééducation de sa voix chantée (1830-1833) : descente au niveau proprioceptif et physiologique La rééducation vocale qu’entreprend Delsarte après le conservatoire et après avoir consulté des spécialistes de la voix n’ayant rien eu à lui proposer, est entièrement le fruit de ses propres observations et de son intuition. Pour cette rééducation, il choisit une méthode dynamique : « consult[er] [s]es sensations » (Porte 1992 : 163) alors qu’il chante. Analysant le travail du chant comme une « gymnastique spéciale » (160), il pose une suite de raisonnements simples : s’il ressent de la douleur à l’exercice de cette gymnastique, c’est que celle-ci n’est pas adéquate à l’appareil corporel auquel elle s’applique ; le chant n’ayant aucune raison d’être par nature une violence pour l’organisme, c’est la technique vocale qu’on lui a apprise qui est mauvaise ; il cherche alors une manière de chanter étant en harmonie avec le fonctionnement du corps. L’indication du non-respect de ce fonctionnement se trouve dans la douleur, « signalement ordinaire du mal qu’il faut éviter, et, ajoute-t-il, l’horreur qu’elle inspire à la nature est sans doute un enseignement providentiel qu’ont trop méconnu ceux qui poussaient incessamment à passer outre » (ibid.). Le point de départ de ses recherches et de son travail sur la voix, c’est donc l’écoute de son corps, la prise en compte de ses sensations et le rejet de ce qui est à l’origine d’une violence envers soi. Il s’agit de s’appuyer sur les signaux corporels pour élaborer un travail artistique pertinent, fondé sur le respect des réalités corporelles ou, pour reprendre ses mots, « une doctrine artistique découlant à titre de conséquence logique d’un principe physiologique » (156). De manière concrète, cette rééducation vocale s’est articulée autour de l’étude des lieux de résonance des sons, de l’observation et du contrôle des mouvements du larynx, et d’une étude de la respiration. À ces trois éléments physiologico-sonores, il convient d’ajouter le choix d’une esthétique. Les phénomènes observés lui ont fait énoncer une « loi des proportions vocales » (76) selon laquelle il y a un lien entre nuances vocales et état intérieur ou émotionnel, qui pourrait être ramené à deux réalités : le sentiment - renvoyant au cœur, à l’amour -, et « la passion : mouvement qui pousse avec impétuosité vers son objet » (Delsarte s.d. 4) et qu’il a observé par exemple chez les enfants. Il constate que la voix s’adoucit en montant et se renforce en descendant quand elle est mue par les sentiments, alors qu’elle fait l’inverse avec la passion. Dans l’enseignement qu’on lui a donné, il s’agissait toujours de renforcer la voix avec le mouvement ascendant, donc d’être dans une dynamique de passion et non de sentiment. Pour sa rééducation, il a choisi l’inverse : la voie des sentiments, du cœur. De sa problématique de rééducation vocale, Delsarte est passé à la définition d’une esthétique. Revenons sur les trois éléments physiologico-sonores de cette rééducation. Franck Waille 220 En 1830 - il a dix-neuf ans et sait lire depuis deux ans environ -, il rédige un document inédit d’une parfaite précision concernant les lieux de résonance des différents sons de la langue française dans la bouche, qu’il intitule Buccologie (Delsarte 1830). Tout semble venir directement de ses propres observations. Par ailleurs, il remarque que « le larynx suit chez [lui] la marche du son, [qu’] il monte visiblement quand [il] fai[t] une gamme ascendante » (Porte 1992 : 160). Tout à l’inverse, il observe que « les Italiens ont en chantant le larynx visiblement plus bas que nous » (164), et l’émission italienne « paraît être le résultat direct de cette position laryngée » (165). Son travail de rééducation a été de rendre le larynx indépendant du son produit, c’est-à-dire de l’immobiliser. Cela induit une détente générale du corps, car ses observations l’ont amené à énoncer que « quand on fait un effort pour attirer ou pousser un corps résistant, le larynx remonte et par la contraction de toutes ses parties, produit un son rauque et guttural » (Delsarte 1839a : 4) et que, par conséquent, « le larynx est dans ce mouvement total comme le thermomètre infaillible de la somme des efforts produits » (Porte 1992 : 171). Ces observations sont confirmées d’un point de vue anatomique par le fait que le cartilage thyroïde est intimement lié, par des ligaments puissants et par des muscles, à l’os hyoïde (en forme de fer à cheval, positionné au-dessus du larynx). Or, l’ensemble des fascias du corps passe par cet os hyoïde (Myers 2001), qui est donc sensible à l’activité musculaire de l’ensemble de la personne, et cela d’autant plus qu’il est le seul os à n’être articulé à aucun autre. Il est, par conséquent, extrêmement sensible aux pressions s’exerçant sur lui, qui l’entraînent dans leur mouvement et qui, par conséquent, entraînent aussi le cartilage thyroïde (qui est devant le larynx). Dans le chant, le larynx ne peut rester stable lors de l’émission d’un son qu’à condition qu’il y ait dans le cou, mais aussi dans l’ensemble du corps, le maximum de détente musculaire. Enfin, la rééducation vocale de Delsarte s’est appuyée sur une analyse systémique du corps. Elle considère en particulier les poumons et l’analyse de la respiration dans la production des sons, alors qu’à son époque on ne tenait compte que du larynx, tant pour le chant qu’en physiologie de la voix. L’analyse de la respiration a pris deux directions : d’une part il a observé que la respiration est un processus ternaire et non binaire, car entre l’inspiration et l’expiration, il y a un temps plus ou moins long de suspension, « un imperceptible moment d’arrêt » (Delsarte 1839a : 10) (élément non pris en compte actuellement dans les études physiologiques - cf. Aslan 2003 : 55-59). D’autre part, il a rejeté la respiration costale qui lui avait été enseignée pour le chant, au profit de ce qu’il appelle la respiration diaphragmatique, correspondant au processus respiratoire naturel, ample et sans effort. Par sa rééducation vocale, Delsarte s’est ainsi intuitivement « sensibilisé à la perception proprioceptive. Cette sensation fluctuante des parties du corps, qui nous permet de nous situer dans l’espace ; qui nous informe sur nos états intérieurs (…), la “voix” des organes, des os, des muscles, des articulations » (Lorelle 2003 : 211). En d’autres termes, il a développé une « sensibilité profonde » (Richard, Orsal 2007 : 267), et sa rééducation est l’occasion de passer à un niveau d’observation plus intérieur et plus intime. Par ailleurs, ses observations concernant la voix l’ont amené à rechercher « une doctrine artistique découlant à titre de conséquence logique d’un principe physiologique » (Porte 1992 : 156), et donc à étudier l’anatomie et la physiologie à l’École de médecine de Paris. Enfin, cette rééducation l’a amené à préciser les éléments caractéristiques de sa méthode pratique : respect et écoute du corps, bien-être et fluidité découlant d’une détente musculaire. Pédagogiquement, cela veut dire que les élèves de Delsarte sont invités à traverser eux aussi le monde d’observations et de sensations qui est à l’origine de cette méthode. Les deux sources des enseignements de Delsarte 221 2 Il est en grande partie pertinent, pour Delsarte, de renvoyer au sens thomasien de ce terme comme substantif : « Saint Thomas d’Aquin considère la métaphysique comme la science de tout ce qui manifeste le sur-naturel : il appelle transphysica les objets de cette science (…). Ce surnaturel est entendu par lui au sens chrétien, en sorte que la principale forme est le divin et ce qui s’y rattache : Dieu, premier moteur, fin dernière, principe et juge de la moralité ; l’âme en tant qu’immortelle, les anges, etc. (…). Cette science, par son objet, se confondait avec la théologie ; mais elle en diffère par son mode de connaissance : la théologie a pour source la révélation faite à quelques hommes, la métaphysique n’use que de l’intellectus et de la ration, c’est-à-dire de la raison commune à tous les hommes. » (Lalande, 1972 : 612). Ajoutons pourtant que pour Delsarte, la métaphysique (comme la théologie) n’est pas uniquement spéculative, mais est intimement liée à l’expérience, et plus généralement à la connaissance de l’être humain. 1.4 Synthèse : l’observation, système empirique de connaissance L’observation chez Delsarte est devenue un véritable processus de construction de la connaissance, processus de type inductif allant des effets aux causes ou, comme il l’écrit, qui est la « marche de l’esprit des conséquences aux principes » (Delsarte s.d. 5). D’une accumulation de faits convergents, il finit par tirer une loi, une règle de fonctionnement à laquelle est donnée ensuite une valeur universelle. Cette façon de procéder a des points communs avec la méthode expérimentale qui s’est imposée au XIX e siècle, en particulier en physiologie (Bichat 1994 : 47). Chez Delsarte ou dans la méthode expérimentale, il existe un présupposé : la possibilité de mettre à jour des constantes, par l’observation chez Delsarte ou par la mise en place d’expérimentations en physiologie. Pour Delsarte, ce présupposé n’existait pas au départ, mais un référent s’est progressivement construit pour devenir en définitive le fil conducteur de ses observations. La différence dans les procédés (observation ou expérimentation) tient à l’objet même qui est étudié : les processus expressifs inconscients chez Delsarte, le fonctionnement du corps en physiologie. Et si Delsarte retrouve des préoccupations qui traversent l’histoire du théâtre occidental depuis au moins la Renaissance, il va plus loin : de ses observations, il prétend pouvoir déduire des règles de fonctionnement de l’expression humaine, et en particulier du corps expressif. Il appelle ces règles des lois et les pense comme étant universelles Pourtant, les différents axes qu’il tire de ses observations ne constituent pas en eux-mêmes le critère qu’il déclare rechercher et qui serait le cadre général permettant de donner sens à ses différentes découvertes. La dynamique même de son processus d’observation, l’ayant mené d’une accumulation de faits à une série de lois, le pousse à rechercher une loi synthétique, « un critérium d’examen contre lequel aucun fait ne proteste, (…) une pierre de touche, une formule infaillible » (Delsarte s.d. 6). L’élaboration de ce cadre général et synthétique nécessitait le passage par une approche théorique propre. Celle-ci a par ailleurs une dimension pédagogique, puisqu’elle devrait aider l’élève à faire lui aussi ses propres observations, sans dépendre de l’enseignant. Or, ce cadre théorique est basé chez Delsarte sur une approche métaphysique issue de son cheminement personnel. 2 De la conversion de Delsarte, à un cadre théorique métaphysique et à des outils pédagogiques Les découvertes initiales de Delsarte ne le mènent pas vers d’autres pratiques ou vers un enseignement artistique antérieur, mais l’amènent à bâtir un cadre théorique de type métaphysique 2 . Au départ de cette construction théorique, un événement personnel, intime et profon- Franck Waille 222 3 Nous utilisons l’adjectif « thomasien » pour désigner tout ce qui relève directement de la théologie de Thomas d’Aquin, plutôt que « thomiste », en suivant l’explication suivante : « Utilisé depuis le XIV e siècle pour désigner les disciples de Thomas d’Aquin (T.), l’adjectif “thomiste” (thste) subit depuis 1950 environ la concurrence du nouveau venu “thomasien” (thsien), mais ce néologisme n’est pas accepté partout et par tous. “Thsien” désignera dément lié à l’élaboration de sa méthode empirique : sa conversion au catholicisme. Trait saillant de cette conversion, le corps humain se trouve investi d’une importance centrale. 2.1 La conversion de Delsarte au catholicisme 2.1.1 Conversion : aboutissement et nouveau départ L’intérêt de ce que Delsarte appelle sa « conversion » (Delsarte s.d. 1, feuille 1) est qu’elle est reliée à ses expériences passées et qu’elle a une influence déterminante sur l’élaboration définitive de son système expressif. C’est donc un moment charnière dans cette élaboration, et son expérience de foi est en lien direct avec son art et ses recherches, en amont comme en aval. Ses expériences initiales d’artiste et de chercheur ont joué chez lui le rôle d’une « préconversion » (Gugelot 1998 : 13), comme en rend compte Thomas-Étienne Hamel, son élève québécois, qui écrit : Le célèbre Victor Cousin, qui était son ami, lui dit un jour qu’il trouvait son enseignement magnifique, mais trop religieux en présence d’un auditoire qui ne l’était pas beaucoup. “Que voulez-vous mon cher Monsieur, lui répondit Delsarte, ce n’est pas la Religion qui m’a mené à l’Art ; c’est l’Art qui m’a mené à la Religion. Car l’Art est essentiellement religieux ; et je ne puis en parler sans le montrer tel qu’il est”. (Hamel 1906 : 3-4) C’est à partir de cette conversion que se déploient ensuite deux grands domaines de sa formation : médicale, concernant le corps et son fonctionnement ; et métaphysique, qui déborde dès le début le cadre strict du catholicisme, tout en y revenant sans cesse. Par conversion, il faut entendre conversion au catholicisme, même si l’appartenance de Delsarte au monde catholique a été le fruit d’un cheminement qui l’a mené, d’un point de vue institutionnel, des « marges » (Chantin 2001 : VIII-XI) (milieux saint-simoniens, Église de l’abbé Châtel, franc-maçonnerie illuministe) au cœur du catholicisme (il se marie à l’Église catholique romaine en 1833 et s’engage comme dominicain dans le Tiers ordre refondé par Henri Lacordaire en 1844). Son parcours des marges au cœur du catholicisme procède par passages de groupes à d’autres, par rejet des premiers au profit des suivants, mais il est de type cumulatif concernant les contenus : Delsarte est à la fois un catholique fervent et convaincu, et un membre assumé de ce qu’il est convenu d’appeler la nébuleuse de l’ésotérisme chrétien de son époque. Ses référents sont à la fois les grands théologiens occidentaux et les grands référents de l’ésotérisme : Hermès Trismégiste, la Kabbale, l’illuminisme. Il a réalisé une synthèse originale de différentes sources, synthèse qui confère à sa vision une fécondité imprévue et une créativité insoupçonnée. Une figure domine chez lui, celle de Thomas d’Aquin. Il a trouvé chez ce théologien, qui a en particulier établi un cadre théorique à la pensée expérimentale d’Augustin d’Hippone, les outils théoriques lui ayant permis de relire, d’analyser et de théoriser ses propres expériences. Ces outils l’aident à construire les assises théoriques de son enseignement artistique. Il retrouve aussi dans la pensée de l’Aquinate la dimension expérimentale (Mongeau 2003: chapitre 3) qui est la sienne. La pensée thomasienne 3 a donné à Delsarte Les deux sources des enseignements de Delsarte 223 ici ce qui relève directement de T. et de l’exégèse directe de son texte ; “thste” ou thomisme (thme) qualifiera son école. » (Lacoste 1998 : 1141). une matrice pour faire une relecture de ce qu’il a vécu, l’intégrer et lui donner une formulation. Il importe de bien resituer cette formation métaphysique afin de ne pas la limiter à une spéculation intellectuelle. Toutes les connaissances accumulées d’un point de vue métaphysique sont autant d’outils permettant à Delsarte de relire et d’approfondir ce qui l’a amené à sa conversion, de réfléchir à une dimension inhabituelle de cette conversion - la vision qu’il eut de l’importance du corps humain -, et à enrichir son enseignement artistique. 2.1.2 Conversion et nouvelle approche du corps Nous mettons en lien avec sa conversion deux textes de Delsarte dans lesquels il décrit une expérience de type mystique ayant réorienté ses recherches artistiques : (…) J’ai senti mon regard s’affermir tout à coup. J’ai senti qu’une puissance (…) l’a dirigé et comme orienté vers l’objet de ma recherche, objet que j’ai vu soudainement s’illuminer, et comme jusque-là j’avais tourné le dos à ce que je cherchais. Tout cela n’était pas mon œuvre, je l’ai senti. (Delsarte s.d. 7) (…) Or j’étais si malheureux, si petit et si pauvre à mes propres yeux que Dieu s’est laissé touché, car Dieu aime les petits et les pauvres, et un éclair de sa sagesse est passé sur un homme profondément indigne, et j’ai vu que le corps humain est l’alphabet universel que je dois avant tout étudier. Il m’est apparu comme l’encyclopédie du monde, le résumé de ses trois types de règnes et le Diamant de la création. De là une formule s’est dégagée pour moi, et j’ai trouvé dans sa possession une source de rafraîchissement, de lumière et de paix. (Delsarte s.d. 8) Ce texte décrit une illumination intérieure qui l’« amène à voir toutes choses d’[une] autre manière » et « qui devient dorénavant son foyer habituel d’énergie personnelle » (Dictionnaire de spiritualité ascétique et mystique 1995, vol. 2 2 : 2244), c’est-à-dire le point à partir duquel s’organise désormais sa recherche. Ce sont là des dynamiques propres à une conversion spirituelle selon l’essai de Williams James sur l’expérience religieuse (James 1908 : 166). La conversion de Delsarte, venue de ses expériences artistiques, renvoie au domaine de l’art puisqu’elle trouve une expression particulière dans une approche du corps, corps qui est son instrument privilégié de travail et d’expression. Le corps prend pour lui une importance capitale d’un point de vue théorique, alors qu’il l’avait déjà d’un point de vue pratique. Ainsi écrit-il que « le corps est l’alphabet encyclopédique, c’est la clef pour aller de notre monde naturel à l’ensemble des harmonies créées » (Porte 1992 : 104). Le corps humain est donc pour lui le chemin spirituel et scientifique par excellence, faisant le lien entre toutes les dimensions de la réalité : métaphysique, science et art y convergeraient. Cela lui donne une place singulière au sein du catholicisme français, à une époque où « le chrétien est pressé de mépriser son corps » (Cholvy, Hilaire 2000 : 60), ce explique en partie la diversité des formations spirituelles et métaphysiques qu’il a suivies. Le cadre théorique élaboré par Delsarte à la suite de sa conversion et des études entreprises dans la foulée de celle-ci s’appuie sur deux grands piliers : la Trinité et la théorie des Correspondances universelles. Franck Waille 224 2.2 La Trinité et la théorie des correspondances universelles : les clés théoriques du système expressif de Delsarte 2.2.1 La Trinité chrétienne Delsarte affirme avoir trouvé dans la Trinité chrétienne telle qu’elle est définie par Thomas d’Aquin le critérium qu’il recherchait. Il écrit : la Trinité divine (…) exprime la triple causalité, je veux dire la cause, le principe et la fin des êtres et des choses. (…) Cause, principe et fin de toute science, elle en est le critérium infaillible et il faut en partir comme d’un axiome inébranlable. (Delsarte s.d. 9). La Trinité est considérée comme le critère donnant la clé du monde, de l’homme et des arts, car elle serait « imprégnée en tout ce qui nous constitue » (Delsarte s.d. 10). Delsarte entend donc fonder la science de l’expression du sentiment - c’est-à-dire son enseignement - sur ce critère. D’une certaine manière, la Trinité fait écho aux trois domaines artistiques qu’il a côtoyés : le chant, l’art du geste et la déclamation ou, pour reprendre sa terminologie, « la musique, la plastique, l’éloquence » (Delsarte 1858, cours théorique n° 1). Cela est dans la droite ligne du chemin qui l’a mené de l’art à la foi. Delsarte utilisait l’expression de « loi de la Trinité ». Il s’est attaché à la formuler, à la « revêtir d’une formule » (Delsarte s.d. 11), afin qu’elle puisse devenir concrète, c’est-à-dire utilisable, opérationnelle. Il s’est alors appuyé de deux manières sur l’explication thomasienne des relations entre le Père, le Fils et le Souffle Saint (Saint Esprit). Delsarte s’appuie déjà sur la définition thomasienne de la Trinité autour de la notion d’opposition et d’équilibre. Chez Thomas d’Aquin, les relations définissant les personnes divines, ce sont des face-à-face, c’est-à-dire des relations d’opposition (Thomas d’Aquin 1984, Ia, Q. 40, a. 3, vol. 1 : 435-437). Le Fils est ainsi distingué du Père par une relation d’opposition, et le Souffle Saint est également distingué du Fils comme du Père par une relation d’origine qui l’oppose à l’un et à l’autre (Ia, Q. 36, a. 2, rép., vol. 1 : 408). La notion d’oppositions fondamentales et complémentaires est aussi « présente partout dans l’hermétisme [et] évoque (…) un dispositif de forces polaires en positions antagonistes » (Faivre 1996, I : 44). Les oppositions sont alors considérées comme la principale structure du monde, « tout (…) pren[ant] place dans un ensemble de forces opposées en vivante tension » (45) qui ont une dynamique d’unité (20). Delsarte traduit la notion thomasienne d’oppositions fondamentales en terme de loi générale concernant la structure interne de toute chose : Si dans l’expression d’un principe on n’a pas compris son antipode, on n’a rien compris - chaque expression élémentaire porte en elle son antipode. (Delsarte s.d. 12) Ce principe d’opposition, source de l’équilibre, est l’un des axes centraux de ses enseignements pratiques, en particulier en ce qui concerne le travail du corps. Delsarte s’appuie ensuite sur la définition thomasienne de la Trinité au niveau anthropologique en définissant les trois réalités constitutives de l’âme (dans un rapport âme/ corps), réalités que nous pouvons appeler psycho-spirituelles. Thomas d’Aquin définit la première procession (du Fils ou Verbe), procession d’engendrement caractérisant le Père, comme une opération vitale (Thomas d’Aquin 1984, Ia, Q. 27, a. 2, op. cit., vol. 1 : 354-356). Delsarte définit alors la puissance psycho-spirituelle associée au Père comme la vie, c’est-à-dire puissance d’engendrement et élan vers l’autre et vers l’extérieur. Thomas d’Aquin associe le Verbe divin à l’intelligence et définit la seconde procession, procession de spiration du Souffle Saint, comme celle de l’amour (Ia, Q. 27, a. 3, rép., vol. 1 : 356-357). Delsarte Les deux sources des enseignements de Delsarte 225 4 Les Américains (de Genevieve Stebbins à Nancy Ruyter en passant par Ted Shawn) dénomment « la loi de la correspondance » (law of Correspondence), ce que nous proposons d’appeler la loi des correspondances humaines. L’expression « loi de la correspondance » ne semble pas issue de Delsarte lui-même (aucun document de sa plume n’en parle selon les documents consultables). D’autre part, il s’agit, dans les milieux hermétiques, de la « théorie des correspondances » ou de « l’idée des correspondances universelles », toujours au pluriel (information confirmée par Antoine Faivre lors d’un échange par courriel le 17/ 12/ 08). S’il est judicieux de conserver l’expression américaine en termes de loi pour signifier que Delsarte a élaboré une formulation propre de la théorie des correspondances universelles en l’appliquant à l’être humain, il nous semble souhaitable de garder l’expression au pluriel : cela est plus conforme à son référent théorique hermétique. Enfin, la formulation delsartienne des correspondances établit un lien fondamental entre les puissances psycho-spirituelles et les données corporelles. C’est pourquoi nous choisissons de la nommer « loi des correspondances humaines » : à la théorie des correspondances universelles entre macrocosme et microcosme, entre spirituel et matériel… correspond alors une loi des correspondances humaines signifiant que l’homme, en tant que microcosme, fonctionnerait de manière similaire au macrocosme. caractérise la seconde puissance psycho-spirituelle, associée au Fils, comme intellective ou intellectuelle (ou mentale, terme qui sera le plus usité dans les transmissions anglophones de son travail). Et il fait correspondre la troisième puissance psycho-spirituelle au Souffle Saint, associée à la volonté et l’amour, qui se confondent chez le théologien d’Aquin (Ia, Q. 27, a. 3, sol. 3, vol. 1 : 357). Ces réalités constitutives de l’âme sont pour Delsarte la source de l’art, l’être humain ne faisant que les manifester par ses différents moyens d’expression. 2.2.2 La théorie des correspondances universelles Le second pilier du système expressif de Delsarte est la théorie des correspondances universelles - correspondances entre macrocosme et microcosme, entre Dieu et l’homme, entre le spirituel et le matériel. La démarche analogique qui sous-tend la définition de la Trinité comme « imprimé[e] à toute la Création » (Delsarte 1839b) est pour Delsarte le fondement de ces correspondances universelles. La théorie des correspondances universelles est présente sous différentes formulations, tant dans la théologie catholique avec la notion d’analogie (Latourelle, Fisichella 1992 : 9) que dans toutes les formes d’ésotérisme, dont c’est un invariant (Hanegraaff 2006 : 275-279). Delsarte appuie la théorie des correspondances universelles sur la Trinité, mais aussi sur l’un des principaux textes de référence de la littérature hermétique, La Table d’Émeraude (La Table d’Émeraude et sa tradition alchimique 2002 : XIII & XIX), dont le début est cité avec exactitude (mais en deux langues) dans un carnet de son élève Mackaye écrit quand il étudiait avec lui : Table d’Émeraude. Il est vrai, sans mensonge, très véritable. That below like that on high - that on high like that below - to produce miracles from one thing only. (Delsarte par Mackaye 1 : 5) Ce court texte peut être considéré comme un condensé de la pensée hermétique. Delsarte a donné une formulation de la théorie des correspondances universelles centrée sur l’être humain, qu’il ne semble pas avoir désigné d’une manière spéciale et que nous avons choisi d’appeler la « loi des correspondances humaines » 4 . La voici : À chaque fonction spirituelle répond une fonction du corps ; à chaque grande fonction du corps répond un acte spirituel. (Delsarte s.d. 18) Franck Waille 226 Il convient de lire ici « spirituel » dans le sens de ce qui n’est pas corporel, de ce qui est psycho-spirituel. Autrement dit, si les phénomènes psycho-spirituels influent directement sur le corps, en particulier par l’expression, les manifestations corporelles ont elles aussi une influence directe dans la sphère psycho-spirituelle. Nancy Ruyter met en valeur les liens entre les deux versants de l’être humain en commentant ce qu’elle appelle « loi de la correspondance de Delsarte » : La loi de la correspondance de Delsarte concerne les relations entre le tangible et l’intangible, entre l’extérieur et l’intérieur, le mouvement et le sens. Elle rejette l’idée d’une division entre un esprit élevé et un corps abaissé, et elle réhabilite le concept d’un corps comme un tout digne de respect qui inclut les aspects mental, émotionnel et spirituel de l’existence. (Ruyter 1999 : 76 - nous traduisons) Si la formulation du corps comme « digne de respect » est très en deçà des conceptions de Delsarte sur le corps comme « diamant de la création », ce commentaire, en plus d’insister sur l’unité de l’être humain, met bien en avant la portée expressive et dynamique de la loi des correspondances humaines. Cette loi dit en elle-même que tout pour Delsarte se joue en l’être humain. C’est en lui qu’il identifie les liens entre les différents niveaux de réalité. Sa loi cherche à expliquer le fonctionnement de l’être humain pour donner des clés au travail de l’artiste. Que cela soit avec la loi de la Trinité ou celle des correspondances humaines, nous voyons qu’il y a chez Delsarte un passage des données métaphysiques à des outils analytiques ayant une incidence directe sur le travail expressif. Il est allé plus loin, en tirant des piliers de son système théorique des outils pédagogiques très concrets, sous forme de tableaux. 2.3 Les outils pédagogiques de Delsarte issus de son cadre théorique Delsarte a cherché à traduire de manière plastique, visuelle, utilisable corporellement, les données métaphysiques. Il formule ainsi la synthèse de sa méthode, qu’il veut être celle du Christ : « rapporter à des illustrations les plus simples les idées les plus profondes » (Delsarte par Mackaye 2 : 57-59), c’est-à-dire rendre accessible les réalités métaphysiques de manière directe et non intellectuelle. L’intérêt de la représentation graphique est, selon lui, son aspect démonstratif synthétique, plus efficace que toute démonstration intellectuelle. De fait, une large part de ses démonstrations s’est exprimée au moyen de tableaux, supports par excellence de sa pédagogie, qui avaient pour ambition de traduire les idées de la métaphysique, comme cela est bien rendu par les représentations tirées du Livre des Procès-verbaux de la Famille trinitaire : Les deux sources des enseignements de Delsarte 227 Représentations symboliques utilisées par Delsarte (1839b) Parmi ces représentations, deux ont une importance particulière dans sa pédagogie : le « type concret » ou compendium, et le « type composé » ou accord de neuvième. Nous présentons d’abord le second, qui se retrouve de manière indirecte dans le premier. 2.3.1 De la « démonstration plastique de la Trinité » à « l’accord de neuvième » Pour pouvoir être utilisable, la « loi de la Trinité » a été exprimée par Delsarte sous une forme graphique, ou plutôt sous deux formes complémentaires : la « démonstration plastique de la Trinité », qui résume les dynamiques internes à la Trinité ; et « l’accord de neuvième », aboutissement de son analyse trinitaire. Franck Waille 228 La « démonstration plastique de la Trinité » La forme graphique de base synthétisant les données trinitaires est celle du triangle (utilisée depuis l’Antiquité comme figure synthétique par excellence - cf. Aristote 1966, II, 3, 414 b : 37), car « toute vérité est triangulaire, et nulle démonstration ne répond à son objet qu’en vertu d’une vertu triplement triple » (Delsarte s.d. 13) selon Delsarte. La « démonstration plastique de la Trinité » prend en fait deux expressions chez lui : la disposition triangulaire et la disposition linéaire. Delsarte utilise le triangle équilatéral pour résumer les dynamiques trinitaires, triangle aux sommets duquel il place les chiffres 1, 2 et 3 renvoyant au Père, au Fils et au Souffle Saint selon l’organisation suivante : 3 1 2 La représentation plastique de la Trinité selon Delsarte (Delsarte 1869) Delsarte associe aux Personnes divines et aux chiffres une série de dynamiques symboliques (cf. Waille 2011 : 202-205), que nous pouvons résumer ainsi : 3 : Harmonie - Union des opposés - Équilibre - Mouvement - Poids 1 : Unité - Mesure 2 : Opposition - Nombre Symboliques associées par Delsarte à la représentation plastique de la Trinité La disposition des chiffres 1, 2 et 3 dans l’espace du triangle, est associée par Delsarte à une présentation linéaire qui est la suivante : 1-3-2 Moins exacte que la représentation triangulaire, car si « 3 est bien en rapport direct avec 1 comme avec 2, 2 et 1 ne sont plus qu’en rapport indirect » (Delsarte s.d. 14 : 11), cette présentation linéaire met l’accent sur le rôle central et d’équilibre du 3, et a l’intérêt de pouvoir être appliquée suivant un axe, c’est-à-dire sur des éléments concrets, par exemple sur le corps humain (axe haut-bas). Delsarte utilise par ailleurs cette représentation linéaire pour bâtir son « accord de neuvième », outil par excellence de son enseignement. L’« Accord de neuvième » L’accord de neuvième est basé sur la notion de circumincession, partie intégrante de la définition théologique de la Trinité. Chez Thomas d’Aquin, la relation est au centre de la Trinité : le Père est non seulement lui-même, mais il est aussi relation avec le Fils, et relation avec le Souffle Saint - ainsi en est-il pour chacune des deux autres personnes trinitaires. De la sorte, l’unité des trois personnes se manifeste en neuf termes. L’accord de neuvième est la traduction plastique de la circumincession, c’est la synthèse par excellence, directement en Les deux sources des enseignements de Delsarte 229 lien avec les innombrables observations issues de la méthode empirique de Delsarte : « ce moyen si simple [lui permet] d’inscrire les faits nombreux qu[’il a] poursuivis, et qui s’élèvent à des millions, [sans qu’il se perde] dans ces millions de faits » (Delsarte 1858, cours n° 6). Il dispose ainsi d’une grille de lecture du monde, et en particulier des phénomènes expressifs tendant par leur nombre vers l’infini, qu’il prétend ramener à neuf. Non pour réduire tout à neuf, mais pour pouvoir tout travailler à partir de neuf éléments. L’ensemble de son processus empirique d’observation trouve ainsi un cadre d’analyse et d’organisation : ce qui est complexe devient simple d’accès car présenté de façon synthétique. L’accord de neuvième est donc autant le résultat de ses spéculations métaphysiques, qu’un aboutissement de ses observations et de sa démarche expressive. La traduction plastique de l’accord de neuvième est un tableau à double entrée utilisant la présentation linéaire de la Trinité et permettant à chacun des termes d’un côté de rencontrer dans toutes les combinaisons possibles ceux du côté adjacent. La version de cet accord appliqué aux couleurs permet de saisir cela de manière simple : Tableau de l’accord de neuvième des couleurs (d’après Delsarte 1859) Les trois couleurs primaires sont les critères horizontaux et verticaux et se retrouvent dans la diagonale allant du rouge au bleu. Les six autres cases en sont des combinaisons, où domine plutôt l’une ou l’autre. Cela forme la palette de base des couleurs. À chacune des couleurs primaires (ou éléments pouvant prendre leur place selon l’objet étudié), Delsarte a attribué une qualité particulière tirée de la définition thomasienne de la Trinité : excentrique (dynamique vers l’extérieur) pour le rouge, concentrique (dynamique opposée, vers l’intérieur) pour le bleu, neutre (équilibre des deux précédentes) pour le jaune. Il a élaboré des tableaux d’accord de neuvième pour chacune des parties du corps : jambes, bras, tête, éléments du visage… supports pour son enseignement corporel expressif. Le meilleur témoignage de ces tableaux se trouve dans l’ouvrage de son élève Alfred Giraudet, dont ils composent l’essentiel (Giraudet 1895), mais tous les ouvrages se référant à Franck Waille 230 l’enseignement de Delsarte en comptent un certain nombre. Voilà un exemple d’accord de neuvième des yeux, extrait des transcriptions des cours de Delsarte en 1858 : Accord de neuvième des yeux (Delsarte 1858, cours n° 6) (Dessin reproduit à la main par Alain Porte (reproduit ici avec son aimable autorisation) à partir de l’original trouvé dans le Cahier Degard présent dans le Fonds de M. Jean-Loup Réal Delsarte (aujourd’hui décédé), Paris (fonds consulté par Alain Porte en 1990 et aujourd’hui inaccessible). Chaque attitude d’une partie du corps est liée à une ou plusieurs « motivations intérieures » (sentiments, émotions) : cela est d’abord un rappel que ce qui est inscrit dans chaque case est directement lié à l’observation de phénomènes vivants, et non le résultat d’un a priori esthétique arbitraire. Ce rappel des attitudes observées, à l’intérieur d’un tableau d’accord de neuvième synthétisant l’ensemble du cadre théorique du système, illustre l’imbrication intime des données tirées de l’observation et de celles venues du cadre théorique. La mention de différentes motivations intérieures liées potentiellement à une attitude donne à celle-ci une couleur, sans l’enfermer dans une signification unique. Que cela soit dans les notes de Delsarte, dans celles de ses élèves ou dans les publications faites par certains de ces derniers, il y a toujours une pluralité de renvois pour une attitude donnée et la mention « etc. ». Le terme de couleur, parce qu’il induit l’idée de nuances, nous semble donc être le plus juste. Nous pouvons voir l’accord de neuvième comme une tentative de dépasser les limites imposées par les moyens techniques de représentation du corps en mouvement avant l’invention du cinématographe : il propose de s’entraîner à enchaîner les différentes attitudes indiquées « de toutes les manières » (Giraudet 1895 : 119), c’est-à-dire dans n’importe quel ordre. Et, de la sorte, de faire l’expérience de différentes attitudes, positions et niveaux de tensions musculaires possibles de telle ou telle partie du corps. Cet entraînement corporel est toujours à situer chez Delsarte dans une dynamique générale : traduire le plus finement possible les réalités intérieures. C’est là le cadre général de tous ses enseignements expressifs, synthétisé par la figure du compendium. Les deux sources des enseignements de Delsarte 231 2.3.2 Le compendium : de l’anthropologie thomasienne (union âme-corps) à une conception globale de l’art (union sémiotique-esthétique) Le compendium (abrégé, résumé) est une présentation graphique des liens entre puissances psycho-spirituelles et données corpo-expressives. C’est un outil pédagogique créé par Delsarte lui permettant de présenter la dynamique fondamentale de tous ses enseignements : l’articulation entre l’esthétique et ce qu’il a été le premier à nommer (en dehors du champ médical) la sémiotique, autrement dit l’articulation de la forme et du fond, de l’extérieur et de l’intérieur, du corps et de l’âme. De la même manière qu’une connaissance précise des données anatomiques et physiologiques est pour lui nécessaire au bon apprentissage du chant, il envisage la connaissance de l’Homme, dans sa double dimension, comme un passage indispensable à l’exercice de l’art tel qu’il le conçoit, ayant pour but la spiritualisation de l’être humain. Voici une version du compendium intitulée de manière explicite « L’homme OBJET de l’art » : Compendium de Delsarte (Document original tiré d’un fonds d’archive privé aujourd’hui inaccessible. Il est semblable au « Système de François Delsarte. Compendium » (Bibliothèque nationale de France, site de Tolbiac, notice n° : FRBNF30320486) et au compendium reproduit in Shawn 2005 : 37. Franck Waille 232 Cette version (Delsarte pouvait complexifier ce schéma de base) articule, autour de la notion de « l’homme objet de l’art », la thématique de la fin et des moyens (au cœur du schéma) : les réalités expressives (en bas de la représentation) sont les moyens à la disposition de l’artiste pour rejoindre le spectateur dans la totalité de ses dimensions psycho-spirituelles (en haut de la représentation). Cela implique que l’artiste ait, au préalable, fait le chemin inverse, c’est-àdire qu’il ait compris en lui-même les liens, considérés comme structurels, entre puissances psycho-spirituelles et réalités corporo-expressives. Dans cette version du compendium, apparaissent dans la partie supérieure des éléments corporels (« sens-cœur-cerveau ») en lien avec les trois états nommés par Delsarte (états « sensible, moral et intellectuel »). La partie basse est plus spécialement développée, et nous voyons bien ressortir le passage des trois langages (les trois genres) à neuf espèces et à vingt-sept variétés, illustration de la dynamique de l’accord de neuvième appliquée aux phénomènes expressifs. Cette dynamique est synthétisée au bas par la « proposition du système » qui y est inscrite : L’homme est une TRINITÉ DE PERSONNES qui, au moyen d’un TRIPLE APPAREIL, se révèle par une TRINITÉ DE LANGAGES ayant pour CRITÉRIUM UN TRIPLE ACCORD DE NEUVIÈME. (Delsarte 1839 : 37) Le corps est ainsi compris comme possédant une organisation spécifique propre à l’expression des puissances psycho-spirituelles. C’est là toute l’architecture du système expressif delsartien : l’établissement d’un lien direct entre puissances psycho-spirituelles, réalités corporelles et langages qui fondent les arts du spectacle vivant. Les compendiums pouvaient être colorés, comme celui des cours de 1839, sur lequel apparaissent les trois couleurs primaires dans leur utilisation symbolique : Compendium (Delsarte 1839a : 38) Les deux sources des enseignements de Delsarte 233 5 Les définitions de l’âme et de l’esprit différent d’une tradition à l’autre, et parfois d’un auteur à l’autre dans la même tradition. Pour la tradition catholique, cf. Le Corps et le corps du Christ dans la première Épître aux Corinthiens, 1983 ; Fromaget 1991 & 1996. Le compendium est organisé suivant les structures métaphysiques de la pensée de Delsarte, chez lequel le spirituel est toujours premier vis-à-vis du matériel dès lors qu’il y a réflexion sur la nature des choses, après avoir constaté la réalité sensible de ces mêmes éléments. La théorie des correspondances universelles structure l’organisation d’ensemble : les deux parties (haut-bas) sont organisées en miroir et se reflètent. Le compendium étant centré sur l’être humain, c’est donc la théorie des correspondances humaines qui trouve ici une mise en espace : interactions constantes entre ce qui est psycho-spirituel et corporel. La Trinité structure le compendium dans l’organisation d’ensemble (trois éléments principaux en bas correspondant aux trois élément principaux du haut), comme dans l’organisation de détail, où elle se repère par les triangles qui organisent toutes les données internes de la figure. Enfin, l’anthropologie thomasienne inspire l’ensemble de cette figure, et Delsarte se réfère de manière récurrente à la phrase de Thomas d’Aquin synthétisant cette anthropologie : L’âme, considérée selon son essence, est la forme du corps. (Thomas d’Aquin 1984, Ia, Q. 76, a.1, sol. 4, vol. 1 : 665) La notion centrale est celle de forma, tirée de la philosophie d’Aristote, c’est le principe non matériel de l’existence des choses. Elle a une dimension de structure, d’intelligibilité, d’information, qui permet que chaque type de chose soit le genre de chose qu’elle est, et qui la particularise par rapport aux autres types d’existants (Aristote 1966, II, 1, 2, 412 a - 414 a : 30-35). Il y a alors un lien inaltérable entre le principe spirituel de l’âme, et la réalité sensible du corps : en tant que forme du corps, l’âme ne peut pas être sans le corps (Thomas d’Aquin 1984, Ia, Q. 75, a. 7, sol. 3, vol. 1 : 661). Cette conception dépasse le dualisme. Elle ne considère pas que l’âme et le corps peuvent exister séparément (durant la vie terrestre), mais qu’ils sont principes d’existence de la seule chose concrète qui existe : un être humain particulier. Delsarte, à la suite de Thomas d’Aquin, ne conçoit pas l’homme comme une unité entre le corps, l’esprit et l’âme, comme cela est habituellement pensé dans la plupart des traditions et des courants spirituels 5 , mais comme un composé entre l’âme et le corps (Ia, Q. 75, introduction, vol. 1 : 653). Le haut et le bas des compendiums correspondent aux deux éléments de définition de l’homme de la conception thomasienne, l’âme et le corps. C’est l’âme qui, en tant que forme, informe le corps dans ses différentes dimensions (anatomique, physiologique, expressive). Précisons, pour lever toute incompréhension, que Delsarte utilise à la fois le mot âme dans cette conception aristotélicienne et thomasienne, mais aussi pour désigner la troisième dimension de cette âme, sa partie synthétique et spirituelle par excellence. Mais Delsarte ne se contente pas de suivre l’anthropologie de l’Aquinate, il la prolonge en précisant les opérations concrètes de chaque puissance psycho-spirituelle. À la vie, il fait correspondre le langage des inflexions vocales. À l’esprit, il fait correspondre celui de la parole articulée. Et à l’âme, il fait correspondre celui du geste. Il inscrit ces trois langages dans la partie basse du compendium, qui concerne les moyens corporels de l’art, c’est-à-dire les trois appareils expressifs. En précisant chacune des opérations concrètes de la vie, de l’esprit et l’âme, il mène à son terme la dynamique de l’Aquinate, qui trouve chez lui sa pleine incarnation. Franck Waille 234 6 Manuscrit ici peu lisible. 7 La première édition s’est faite par épisodes, en août et septembre 1833, dans la revue L’Europe littéraire, et la première publication à part est sortie en 1853. L’épisode du « papa Dugrand » prend place entre 1827 et 1829. Et il tire l’anthropologie thomasienne vers la dimension expressive et artistique dans laquelle le corps a une place centrale : Il faut chercher dans l’âme les raisons formelles du corps. Ainsi, le corps est-il comme le champ d’optique [autour] 6 duquel nous assistons au spectacle de l’âme. (Delsarte s.d. 15) Ce « spectacle de l’âme » par le corps synthétise le cadre théorique de Delsarte appliqué à l’être humain. C’est lui qui doit pouvoir être repéré par sa méthode d’observation. Par ailleurs, Delsarte considère la dimension expressive comme un élément constitutif : entre le corps (« homme physique ») et l’âme (« homme moral », c’est-à-dire non matériel), il positionne « l’homme expansif », formé des « trois états sensible, mixte [moral], intellectuel » qui « forment, comme le Saint-Esprit dans la trinité divine, la troisième personne de la trinité humaine, la personne expansive » (Delsarte s.d. 16 : 6 pour toutes les citations de cette phrase). Cela est rendu par le schéma suivant : (Id.) Les trois dimensions de l’être humain selon Delsarte L’homme expansif est l’homme expressif. C’est de lui dont il est question dans les compendiums, dans ses deux dimensions : animique (les trois états sensible, moral et intellectuel) et corporelle (les appareils correspondant aux trois langages). Pour Delsarte, il y a dans la complétude des réalités expressives quelque chose qui serait le propre de l’être humain et qui favoriserait l’unité des différentes dimensions de la personne. Le fait d’entrer dans la dimension expressive serait alors le meilleur moyen d’être pleinement humain, d’être pleinement un, d’entrer dans son identité profonde. Cette conception est à la fois liée à ses expériences d’artiste et à ses observations, à la vision mystique du corps humain qu’il fit lors de sa conversion, et au système de pensée et de croyance auquel il adhérait. Conclusion Delsarte inaugure son processus d’observation, source de l’ensemble de sa démarche, dès les années 1820, soit quelques années avant qu’Honoré de Balzac ne s’assoie à la terrasse d’un café pour recueillir la matière de sa Théorie de la démarche 7 et ne prétende être le premier à chercher à établir des règles du comportement humain en la matière. Delsarte ne va pas observer quelques heures comme le romancier, mais une large partie de son existence. Peu à Les deux sources des enseignements de Delsarte 235 peu, « l’observation constante de ses contemporains pour en découvrir la variété expressive, est devenue le travail de sa vie » (Clarke 1982 : 28 - nous traduisons). Sa rééducation vocale et sa capacité ensuite à « guérir les dysphonies les plus graves, après avoir découvert l’unité du geste et de la voix » (Pradier 2000 : 157), montrent la valeur opératoire et absolue de ses observations. Ses premières découvertes sont venues « avec le même désordre et avec la même spontanéité qu’elles viennent dans la vie » (Laico 1954 : 20 - nous traduisons). C’est ensuite qu’il a utilisé un cadre de référence centré sur une grille d’analyse trinitaire. La critique qui a pu être faite aux scientifiques empiristes, « qui “croyaient qu’ils se conformaient strictement aux faits et que leurs conclusions leur étaient imposées uniquement par l’observation immédiate”, alors qu’au contraire ils les subordonnaient dès le début à des “conceptions théoriques préconçues” » (Jeannerod 1983 : 109), ne peut être appliquée au cas de Delsarte. Ted Shawn écrit que « sa démarche, véritablement scientifique, opérait à partir des faits », qu’elle « consistait à codifier et à systématiser les effets de l’émotion tels qu’ils se manifestent dans le corps humain à travers les gestes et la parole » (Shawn 2005 : 40). Observations et découvertes initiales l’ont mené vers une démarche métaphysique très ouverte, qui elle-même a donné à sa recherche artistique une dimension anthropologique et universelle : la place de l’homme est pensée par rapport au monde et au divin, et l’art se voit attribué une raison d’être métaphysique. Arrivé à la théologie et à la mystique par ses préoccupations artistiques, Delsarte mène théologie et mystique vers les appareils expressifs sur lesquels s’appuient les arts du spectacle vivant, c’est-à-dire vers des aspects pratiques leur permettant d’être incarnées, au sens propre du terme. Théologie et mystique sont le fondement de sa vision anthropologique qui sous-tend toute sa conception de l’art et sur laquelle repose sa pédagogie, dans ses moyens (mettre à jour par l’observation des constantes expressives pour les utiliser) comme dans ses fins (rejoindre toute personne dans ce qui fait son humanité, dans un but de spiritualisation). Cette vision anthropologique est le fondement de l’idée implicite d’universalité des expressions humaines qui traverse son travail. Si observations et découvertes initiales trouvent un cadre d’organisation, de compréhension et d’analyse dans un modèle métaphysique complexe aux influences nombreuses, en retour le cadre théorique de Delsarte l’aide à élaborer une série d’outils pratiques permettant d’utiliser ses observations de manière structurée et méthodique. Ce cadre, s’appuyant sur des données de la théologie catholique comme de l’ésotérisme chrétien, se particularise par la convergence qu’il établit entre données métaphysiques et réalités expressives. Plus spécifiquement, l’élaboration qu’il propose converge de manière spécifique vers le corps humain, instrument préférentiel de l’expression. Ces dynamiques, avec leurs deux sources empirique et théorique, ont alimenté sa conception du rôle de l’artiste et ont structuré l’ensemble de sa pédagogie. La méthode empirique d’observation de Delsarte puis sa conversion peuvent apparaître comme animées d’une dynamique commune, procédant d’un affinement progressif de l’attention et du regard. Le processus commence avec les sons de tous ordres, de la rue et de la musique ; il se poursuit avec les mouvements du corps et avec les liens de ceux-ci avec les émotions ; il se prolonge vers les sensations et la proprioception, associé alors avec les connaissances anatomiques et physiologiques ; et il aboutit aux motions intérieures (les émotions), aux mouvements de l’âme et à leurs liens à la fois avec le monde visible (soimême, les autres et l’univers) et avec le monde invisible (celui de la prière, de la contemplation, de la relation avec le divin). Le regard intérieur, loin d’éloigner Delsarte des réalités humaines, l’aide à mieux comprendre et à mieux analyser les processus expressifs et leurs manifestations. C’est ainsi que se sont mis en place les deux grands volets de sa pédagogie : Franck Waille 236 8 « La séméiotique étudie la « relation triadique entre le signe, son objet et l’esprit (…) qui utilise le signe » (Deledamme 1987 : 64) (cf. Peirce, 1978). La séméiotique de Peirce présente une analyse ternaire de qui a des parentés avec l’organisation de la pensée de Delsarte, alors que la sémiologie saussurienne est binaire (elle est centrée sur la relation signifiant - signifié). 9 « Sémiologie 1752 Trévoux, médical ; 1916, Saussure, linguistique » (Dauzat, Dubois, Mitterand 1993 : 701). En 1690, le philosophe John Locke (1632-1704), dans An essay concerning human understanding (Essai sur l’entendement humain), où il défend que nos idées dérivent de l’expérience, utilisa le premier le terme semeiotike (usage passé dans la langue française au XX e siècle). Delsarte a lu Locke (cf. Delsarte s.d. 17), sans qu’il soit possible de dire s’il a lu l’essai en question, traduit en français en 1700 et réédité en 1729. 10 La femme de Charles Sanders Peirce prit en effet des cours avec James Steele Mackaye dans le milieu des années 1880, époque où son mari revisitait sa conception de la sémiotique (Peirce 1978 : 496, note 355). Il semblerait en particulier que le texte de Delsarte sur la « séméïotique de l’épaule », écrit dans Mes épisodes révélateurs (publié dans Porte 1992 : 55-88), ait eu une influence sur Peirce. la sémiotique (il écrit « séméïotique ») et l’esthétique, le lien entre l’origine intérieure d’une manifestation et cette manifestation. Parmi les personnes s’intéressant aux signes du corps à son époque, il est le seul à faire cela et il préfigure les évolutions à venir. Le mot « sémiotique » a été utilisé aux États-Unis puis ailleurs à partir de la fin du XIX e siècle avec les travaux de Charles Sanders Peirce (1839-1914) dans le sens d’étude des signes 8 , alors que dans l’espace francophone s’est imposé son synonyme « sémiologie ». À l’époque de Delsarte, le terme de séméiotique, comme celui de sémiologie, a encore presque uniquement son seul sens médical 9 . Delsarte, qui a pu influencer Peirce via son élève Mackaye 10 , tire ce terme vers une définition proche de celle de la sémiologie et de la sémiotique contemporaines. Sources manuscrites Delsarte s.d. 1 : 2 feuilles de notes autobiographiques (« François Alexandre Nicolas Delsarte Papers, Mss. 1301, Louisiana and Lower Mississippi Valley Collections, LSU Libraries, Baton Rouge, La. », Louisiana State University, Baton Rouge, Louisiane, États-Unis d’Amérique [= Delsarte Collection =DC], box 1, folder 21, document 6) Delsarte s.d. 2 : Pour comprendre toutes les ressources de l’art (DC, box 1a, folder OS 36c/ item 11) Delsarte s.d. 3 : De la science (Fonds de Serge Bouts, 24 rue Chazelles, 75017, Paris [=FSB], dossier jaune « François Delsarte 1 », sous-dossier 6 « Science ») Delsarte s.d. 4 : « La passion » (DC, box 9-10, folder OS 36a, document 3) Delsarte s.d. 5 : « Induction », DC, box 1, folder 22, document 1 Delsarte s.d. 6 : « Critérium », DC, box 1, folder 24/ items 2-6, document 16 Delsarte s.d. 7 : DC, box 1, folder 26b, document 4 Delsarte s.d. 8 : DC, box 1, folder 36b/ items 1-7, document 7 Delsarte s.d. 9 : Notre méthode (The papers of the Mackaye Family, Baker Library, Special Collections, Dartmouth College, Hanover, New Hampshire, États-Unis d’Amérique [=PMF], box 22 ML5 (22) (ex box 7), folder 1, document 4) Delsarte s.d. 10 : Qu’est-ce que la Trinité ? (DC, box 1a, folder OS 36b/ item 12, document 2) Delsarte s.d. 11 : DC, box 12a, folder 89a, document 4 Delsarte s.d. 12 : Dossier « Larynx », FSB, document 3 Delsarte s.d. 13 : FSB, carton jaune, dossier 12, document 2 Delsarte s.d. 14 : Lettre à Brucker, 2 e Trinitaire (DC, box 1, folder 26, document 4) Delsarte s.d. 15 : Mécanisme de l’Être. Théorème (DC, box 1, folder 36a/ items 15-17, document 2). Delsarte s.d. 16 : « L’art dramatique est grand dans son objet et puissant dans ses effets », (FSB, carton jaune, dossier 5, document 15) Delsarte s.d. 17 : L’erreur se trahit par (DC, box 1, folder 36a/ items 1-8, document 1) Les deux sources des enseignements de Delsarte 237 Delsarte s.d. 18 : DC, box 1, folder 36a/ items 9-14, document 3 Delsarte 1830 : 7. Buccologie DC, box 1a, folder OS 36b, item 1 Delsarte 1839a : École de Delsarte, École de chant morale et scientifique. Notes et compte-rendu de ses cours, 1839 (DC, box 11b, folder sans #) Delsarte 1839b : Livre des Procès-Verbaux de la Famille Trinitaire, Paris, 1839 (DC, box 12c, folder « Volume 28 ») Delsarte 1858 : Cours de M. Delsarte aux Sociétés savantes, 1858. Pour le cours n° 1, nous utilisons la transcription dactylographiée (seule version disponible) présente in Fonds d’Alain Porte, 10 rue de la Mousselle, 77730 Citry [=FAP]. Pour les cours 2, 3, 8-10, nous utilisons la version manuscrite présente in DC (box 12 b, folder 54). De larges extraits des cours 4 à 7 sont publiés dans Porte, 1992 : 93-145 Delsarte 1859 : Esthétique appliquée, cours de F. Delsarte. Exposition en neuf leçons de l’art de l’orateur, du peintre et du musicien. Offert à M. Delsarte par son élève Alphonse Pages (DC, box 12c, folder 40) Delsarte 1869 : dictée datée du « 9/ X bre / 69 », dictée de 1869 n° 2 (DC, box 3, folder 154, document 2) Delsarte par Mackaye 1 : Cahier de James Steele Mackaye alors qu’il étudiait avec Delsarte n° 2 (Notebook of Mackaye while studying with Delsarte) (DC, box 12b, folder 6) Delsarte par Mackaye 2 : Cahier de James Steele Mackaye alors qu’il étudiait avec Delsarte n° 3/ 7 (Notebook of Mackaye while studying with Delsarte) (DC, box 12b, folder 7) Mackaye s.d. : Life of Delsarte (DC, box 6, folder 75b) Bibliographie Alger, William Rounseville 1894 : « The Æsthetic Gymnastics of Delsarte », Werner’s Voice Magazine, Edgar S. Werner, janvier : 3-4 Arnaud, Angélique 1882 : François del Sarte, ses découvertes en esthétique, sa science, sa méthode, précédé de détails sur sa vie, sa famille, ses relations, son caractère, Paris, Ch. 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Des interactions dynamiques, Lille, ANRT, 2011, 2 volumes 1 The main, and irreplaceable, instrument used to examine François Delsarte’s method has been the Delsarte Collection, conserved at the Hill Memorial Library of Louisiana State University in Baton Rouge (Louisiana). It comprises a considerable collection of Delsarte’s manuscripts, as well as some of his students’ notes and summaries of his lectures, English translation of his writings, texts elaborated by the first owners of the collection. From the gestural and phonetic sign of everyday life to the actor’s sign: aspects of François Delsarte’s system Elena Randi Delsarte maintains that gesture, like any other language, does not necessarily mirror the inner dynamics of the person that makes it. In the world of Origins the situation was different because man’s feelings and thoughts turned immediately into action, which was thus the non-mediated reflection of the inner self. That vocabulary, in primitive man not yet corrupted, had the nature of universality: everyone expressed the same feeling, emotion or thought through the same gesture. However, even the modern man most tied to gestural signs not characterized by “truth” would, unbeknown to himself, preserve at least one genuine element. Delsarte undertakes to retrieve the vocabulary of that ideal primitive language and to build the parts assigned to those he is training to become players on that vocabulary and not on the corrupted language of everyday life. Elena Randi also shows that the Delsartian method of the actor’s art explores the intentions to be attributed to the characters and she underlines the importance of following a single well defined perspective when interpreting a character. François Delsarte maintains that human beings have three inner faculties: the soul, the sphere of affect and emotions, life, that is the force through which things are impressed on us through the senses, and the spirit, the abode of the intellect. According to a romantically revisited module of the medieval Misticism, he sees the first as the most elevated. Starting from the notion that the body and the inner world are correlated and are neither separate nor separable entities, gesture, which Delsarte believes to be the means to translate the soul, is consequently on the highest step of an ideal hierarchy of languages, while words, which have the task of most directly conveying the spirit, and phoné, that is the distinctive instrument of life, are placed at a lower level (cf. Randi 1996) 1 . The thesis of gesture as an idiom able to efficiently express feeling and affect can be found, albeit sometimes only as a sketchy outline, in a number of authors before or more or less in the same years as Delsarte: philosophers such as Diderot or Schleiermacher, poets such as Vacquerie or Lamartine, choreographers such as Noverre, actors such as Talma or Morrocchesi. However, a more direct reference source of the relationship between psyche and body expression is idéologie, one of whose privileged issues of investigation is also favoured K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Elena Randi 240 2 Not by chance, when Delsarte makes reference to the idéologues, he only does it in very negative terms. Cf. D.C., 12. 86: 116. Porte 1992: 120. On the idéologues, cf. also D.C., 11. 40: 54. The idéologues are mentioned again in Traité de la raison: Porte 1992: 251. by Delsarte: the connection between expressive signs and inner activity, the influence of habit on body language and intellectual abilities, the examination of relationships between the moral and the physique. Delsarte shares with the “orthodox” idéologie (Cabanis and Destutt de Tracy, above all) the idea of the unshakable correlation between body and psyche. However, Cabanis’s and Tracy’s conviction that intellect and emotions become a corporeal organic entity and dissolve in it, that they are matter, is not shared by Delsarte 2 . As regards the nature of the intérieur, he is closer to the positions of Degérando and Maine de Biran, who, initially faithful to the idéologique creed, later break away from the original school. In particular, they abandon its materialistic view. The intérieur becomes an intangible force and ontologically differentiates from the physique, albeit maintaining an intense correspondence with it. Such a perspective leads them to open to new issues. Especially one point of the Biranian philosophy seems to offer Delsarte food for meditation: if sensibilité, the faculty by which the phenomenal remains impressed on us, is passive, then - Biran observes - the intérieur self is an active instrument of knowledge. In order to recognize a sensation, transform it into perception or into an idea and not abandon it to the unconscious, an active inner force needs to intervene. Thus, Delsarte accepts on the one side the thesis of a correspondence between inner and outer world, and, on the other, the revision, offered by the idéologique “heresy”, of psyche as an immaterial force and thus of the presence within us of two poles, one passive and unconscious, and the other dynamic and conscious. Maybe starting also from this suggestion, Delsarte begins to observe the existence of voluntary and involuntary body movements, study their relationship with the individual’s inner disposition, and examine the connections between the gesture controlled by the intellect and the one not rationally controlled. The Biranian suggestions seem to combine in Delsarte’s thinking with those brought about by the querelle of the late 1700s between physiognomics and pathognomics. As I have argued elsewhere, after an early closeness to physiognomics, Delsarte abandons some aspects of it and in his maturity he seems to combine some of Lavater’s theses (the existence of a universal reading key of the body) with others from pathognomics (only body dynamics and not statics carries inner meanings). The result of this blend is that in Delsarte’s theory both Lavater’s and Lichtenberg’s theses are modified. Indeed, Delsarte maintains that in the world of Origins here existed a non-mediated relationship between the psyche and gesture (understood both in its strict sense and as a phonetic sign), and that mimic language - because of this necessarily “truthful” - was characterized by universality. In other words, all human beings expressed the same feeling through the same gesture. In the course of history, this ideal Adamic language supposedly became contaminated and man started to use corrupted gestures: sometimes lying by calculation, sometimes unconsciously obeying “false” habits acquired over time by him or his ancestors. Beneath this congery of artefact cyphers, however, smoulders the memory of the primordial language, which leaves traces, hallmarks, glimmering signs in the face of our own awareness. L’humanité est comme estropiée, la beauté n’existe que par fragments, elle n’est nulle part sur cette terre. Les types ne se trouvent pas, ils sont dans l’intellect, ils ne sont pas dans la nature. From the gestural and phonetic sign of everyday life to the actor’s sign 241 3 Not very different are several other statements in the Delsartian manuscripts. For example: « Examinons de nouveau l’homme dans ce qui constitue essentiellement son être. Je veux parler des trois puissances pour lesquelles Dieu l’a fait à son image […]. Ce qui me frappe d’étonnement, c’est la dissonance où elles se trouvent. C’est l’état d’inégalité où elles sont tombées » (D.C., 1. 26 b. 10: 8. Porte 1992: 240). 4 The neo-platonic influence of the notion of history as decay of the Ideal is stated by Delsarte himself, for example in D.C., 12. 86: 104-106. La beauté n’est nulle part, il faut par conséquent qu’elle soit constituée par l’artiste par un travail synthétique (D.C., 12. 86: 18) 3 . L’homme porte en lui les traces indéniables d’une grandeur foudroyée, car il n’a pu sortir ainsi mutilé des mains de son créateur et Dieu n’a pas pu mutiler son œuvre en estropiant ainsi sa ressemblance […]. L’homme a-t-il pu sortir ainsi estropié des mains de son créateur ? Dieu n’at-il pu suffire à son œuvre de prédilection ou bien a-t-il voulu dès le berceau de la création mutiler sa ressemblance ? S’il en était ainsi, Dieu ne serait pas seulement un maladroit ouvrier, mais il serait encore le plus dur, le plus injuste et le plus cruel des êtres. Tout cela n’est pas admissible. Cependant l’homme porte indéniablement les caractères d’une grandeur foudroyée (D.C., 1. 26 b. 10: 8-9. Porte 1992: 240). In confirmation of the merely fragmented presence of “truth” in everyday gesture, we can read some pages written by the French master on some sample movements made in the “real” space. For instance: Si quelqu’un veut exprimer de la surprise et que cette surprise ne soit pas précédée d’une titillation [de l’œil], vous pouvez être assurés que la surprise est simulée. Si m’attendant à la visite d’une personne je feins de l’émotion à sa vue, vous pouvez dire “C’est faux parce qu’il n’y a pas eu de titillation dans le regard” (D.C., 12. 86: 174). Body dynamics then (in this case that of the eye) can successfully lie: an observation that shows how at least some parts of the body can express a feeling other than that actually felt. Delsarte defines as “extérieurs” (D.C., 12. 86: 140) the gestures that do not correspond to inner dynamics and judges them negatively; sometimes he calls them “gestes d’acteur” (D.C., 12. 86: 140) (not done by an actor, but typical of an actor, that is, the work of a “faker”). Despite the overall falseness of gesture, each one of us would in any case retain at least one detail, albeit minute, in which the soul would unaffectedly show through (an invisible muscle contraction, the tiny shift of a nostril, a subtle vibration of the voice). There would always be a micro-gesture, a hint of the original language, the “true” hallmark of the inner life that, unbeknown to us, shines through even in the least genuine body. In other words, the body vocabulary, within a perspective that recalls the neo-platonic theories, would change with history, but it would always be possible to find in its folds the marks of an archetypal language that only at the dawn of mankind was expressed in all its pristine purity, free from decay and contaminated residues 4 . An additional detail: Delsarte maintains that if most gestures are corruptible, some, far less numerous, are not susceptible to adulteration: the involuntary movements. The ones susceptible to adulteration are those mimic elements that may not be the immediate result of an inner impulse, given that reason can get between the inner impulse and its outer result, and reason is a too human faculty, not subjected to the authority of the Artifex. Delsarte maintains that a shrug belongs to incontrollable mimicry. Without a doubt, he does not refer to the normal action that involves together the shoulder blade, the humerus, and the collarbone, but to the Elena Randi 242 5 In 1855 Delsarte gives ten lectures in Paris in Quai Malaquais. Nine of them are transcribed by an attendee and are now kept at the D.C., 12. 86; the first one, which is missing in that manuscript, can be found in another transcription of the Quai Malaquais lectures, owned by the Delsarte heirs, and of which Alain Porte has kindly given me a transcription of his. much more refrained movement caused by the reaction of the diaphragm to an intense emotion. From what has been said so far it is implicit that considering Delsarte’s poetics as realistic, as often has been done, is completely wrong. This is shown in several interventions of his, such as Positivisme dans l’art, a written work in which he observes that when art has taken the features of “un cabinet de naturaliste”, “s’est desséchée, momifiée”, it has transformed itself into “une relique à l’usage des antiquaires […], un ossuaire étiqueté d’où s’échappe une odeur de mort et devant lequel on sent le froid du sépulcre” (D.C., 1. OS 36 b. 22bis: 5r. Porte 1992: 244. D.C., 8. 147. 5: 1v). The realistic reading of the Delsartian thinking is doubtlessly triggered by the erroneous interpretation of some data: the French master devotes forty years of his life to examining the phenomenal and drawing from it a vocal and mimic vocabulary, pointing out the inner meaning of each of its terms (the head moving towards the examined object would indicate sensuality; lifting the shoulders would give the measure of passion and sensitivity, signalling the degree of intensity of an emotion). Such a vocabulary had to be used by players to make up the sequence of gestures and vocal inflections of the character they were asked to play. The sequence aimed to express what, in the player’s own view, was hidden behind the words of his / her part. We, therefore, seem to be facing a realistic perspective of the actor’s art. However, Delsarte does not wish to include in his vocabulary all the phonetic and gestural signs observed in everyday life, but only the positions, the body movements, and the vocal inflections which he believes correspond to those of the ideal Adamic language. I will not attempt to explain how he believes he can distinguish between genuine and “affected” signs, also because it is one of the least effective points of his thinking. In any case, Delsarte is convinced that the vocabulary he collected restores the archetypal idiom, not the corrupted language of everyday life. If the player needed the vocabulary accumulated - as said above - to make up the phonetic-gestural score of the character to be interpreted, the curtain was to open on a fragment of Heaven, on a portrait of the life existing before the corruption brought about by history and not, as according to a realistic provision, on a tranche de vie; it should not have been the imitation of the ordinary, but the copy of the archetype. Delsarte writes: L’art n’est pas comme l’on dit l’imitation de la nature; il en est la représentation idéalisée. C’est le rapport synthétique des beautés éparses de la nature à un type supérieur et défini. L’art est ensuite et surtout la tendance de l’âme déchue vers sa pureté primitive ou sa splendeur finale. L’art, en un mot, est la recherche du type éternel 5 . But, how can this actually apply to the actor’s art? In none of his writings does Delsarte expound his method in an orderly and complete manner. However, it is possible to reconstruct it by comparing the contents of a number of manuscripts of the Delsarte Collection in Baton Rouge, Louisiana. It is a hypothesis, but I believe the margin for error is not high (cf. Randi 1996). First of all, the players’ task is to define the sequence of gestures and vocal inflections of their part by applying to the character to be played the phonetic and gestural vocabulary From the gestural and phonetic sign of everyday life to the actor’s sign 243 acquired during training. Then at rehearsals they will have to repeat it enough times to become able to execute it “without thinking” (“Il faut que l’acteur n’ait pas même à penser à ce qu’il fait; il faut que la chose ait été tellement étudiée qu’elle coule de source, ce, sans qu’on y pense”, D.C., 12. 86: 2; the context assures us that with the word “chose” Delsarte means the part to be enacted). After reaching automatic fluency of the part, a condition of emotional involvement would blossom in them determined by that phenomenon thanks to which the soul is activated by the gesture as much as physical actions are generated by the soul. This is a principle already known to others and called the Campanella effect in memory of an anecdote about the Italian philosopher told by Burke, and recalled by Dugald Stewart, Albert Lemoine, and William James, according to which when Campanella wanted to know another person’s mood, he imitated that person’s position and facial expression and then “listened” to his own emotions. Between the Eighteenth and the Nineteenth century the idea of gesture as the engine of the soul appears not only in Lessing, who mentions this issue in the pages dated 8 May 1767 of the Hamburgische Dramaturgie, but also in later authors, such as Darwin, Archer, Stanislavskij (cf. Drouin 1995: 133). Delsarte maintains that, thanks to the mechanism by which mimicry brings emotion into being, the initially “unemotional” and coldly technical players not yet involved in the expressed feeling begin to deeply sense what was earlier a mere outer shell. Once the emotional bond has been sparked, involuntary body movements like sobbing and blushing would be triggered in them. The method, then, is articulated over three phases. First the players define very precisely their gesture score based on the text interpretation done earlier; then they repeat it so many times as to make it flow “automatically”; lastly, emotional involvement is triggered, which allows the execution of involuntary gestures. Taken this proposed description as accurate, Delsarte, then, would have invented a technique thanks to which the players would really feel the emotions of their character and feel them on demand, in a “scientific” non-random way. Nothing at all to do with the inspiration of the moment - despised by Delsarte - which cannot be started scientifically and when needed. The system proposed above allows the simultaneous presence of self-awareness and production of involuntary gestures, which, as such, cannot be controlled by reason. Therefore, it allows the coexistence of two seemingly irreconcilable categories (cf. Randi 1996: 85-121). Delsarte also devises a method for the player to define a personal interpretation of the assigned part, and he/ she does so by starting from the premise that a text can be read in countless ways. As Maurice Descotes shows, players’ trend had been, for centuries, to follow the ways of recitation that had been enacted by the first player. For example, if Augustus in Corneille’s Cinna had been played in a certain way at its debut, later actors had kept by and large that same way for the following two centuries (cf. Descotes 1957, 1962, 1972, 1974, 1976). Not so Delsarte, who, on the contrary, looks for original, sometimes even paradoxical perspectives to read the characters and then represent them. As an example, here is the paradoxical interpretation of Le chêne et le roseau by La Fontaine proposed by Delsarte: La tradition ne prête-t-elle pas au chêne une attitude orgueilleusement tendue et hautaine, n’enfle-t-elle pas démesurément sa voix […] ? D’un autre côté n’attribue-t-elle pas au roseau une attitude humble, une expression à la fois douce et résignée ? Or, ces attributions sont radicalement fausses et tout à fait contraires à la plus simple donnée physiologique […]. C’est diamétralement le contraire qu’il faut attribuer à ces deux types : la condescendance et la bonhommie sont le fait du chêne, tandis que le roseau ne laisse transparaitre, sous son orgueil Elena Randi 244 blessé, que la haine et l’envie. En deux mots, le chêne est un brave homme dont la faiblesse est de tenir peut-être un peu trop à l’estime du roseau ; le roseau, au contraire, est un impertinent coquin qui exterminerait volontiers le chêne, dont la grandeur l’offusque (D.C., 1. 36 b. 6: 15). The notion that multiple interpretations of a text exist and the tendency to choose an original one are rather innovative. The same can be said for the Delsartian conviction that, if there are a thousand exegetical possibilities for a text, the player must however choose one hermeneutical slant and follow it from the beginning to the end of the part, without ever betraying it. In order to reach the needed result, Delsarte conceives a fairly detailed method through which the desired perspective unitarity can be achieved. After reading the whole part, the artist will have to pick out a predominant word or expression. For example, Delsarte chooses the term “maître” with reference to the character of Augustus in Corneille’s Cinna (cf. D.C., 1. 36 b. 6: 6). Then the actor will go on to define the identifying sentences of each scene in which Augustus appears and the expression “maître” will have to be included in them. For instance: “Je suis maître de moi, comme de l’univers”, or “Soyons maître de nous” (D.C., 1. 36 b. 6: 6). Lastly, he will have to determine the sense underlying each single line, writing beside each one the sentence that “translates” it, and each one will have to include the chosen key-word. Thus, the actor will find himself with an elliptic translation of the part (today we would call it a sub-text), characterized by a solid unitarity and pivoting around one dominant concept radiated over multiple and variegated nuances (cf. Randi 1996: 123-153). Delsarte was never a metteur en scène and so he never dealt with the overall performance; however, his actor’s art method anticipates, albeit in a small scale, the unifying feature of the performance, which is one of the pivots of stage direction. If a system of character construction built on an explicit unitary instance is new and if the Delsarte’s method can actually infuse the character with the desired unity, that does not mean that before Delsarte the player did not explore the intentions to attribute to the dramatis persona and thus, in a more or less profound way, did not elaborate some sort of sub-text. As an example I will examine some ways of character elaboration used by Isidore Samson (1793-1871), at the time not only valet of the Théâtre-Français, but also the most important teacher at the Conservatoire. The Conservatoire was the most prestigious school in Paris, where many players of the Comédie had been groomed and, if that was not enough, Samson also “trained” many successful players - for example Mademoiselle Rachel - when they were taking on a new part. We are now going to examine some aspects of the Art théâtral, a kind of manual written by the educator in the mid-1800s. Rather than a method he describes the interpretation of some sample characters. From what can be evinced from this volume, Samson, unlike Delsarte, does not supply his pupils with the instruments to define by themselves their view of the character to play, but rather gives a pre-defined solution that the player will have to perform. It is the same procedure that Delsarte describes when he talks about the teachers he had in his youth when he attended the Conservatoire (cf. Battaille 1866: 114-122). Even if Delsarte’s and Samson’s teaching methodologies radically diverge in that regard, Samson too envisages a “sub-text”, that is a “translation” of the meanings hidden “behind” or “beneath” the surface of the dramatic score. An example can be the interpretation of Racine’s Phaedra suggested by the Art théâtral. Pervaded by a “sombre langueur”, her weak body devastated “par la douleur” (Samson [s.d.]: 56) and the fasting, she appears pale, psychologically exhausted, deaf to Oenone’s supplications. When she hears the name Hippolytus, she visibly starts. Prostrated and devoured by “un remord incessant” (Samson [s.d.]: 56), she shakes while moving closer to the man she From the gestural and phonetic sign of everyday life to the actor’s sign 245 loves and his voice causes her “un léger frisson” (Samson [s.d.]: 56). When talking about Hippolytus to Theseus, she either tries to lock on his glance, tempted to relieve her feelings by confessing her forbidden love, or carefully avoids it, a gesture that reveals her struggle to keep to the imperative order of guarding the secret. But then passion explodes: Phaedra’s eye - “curieux, enflammé” - ends up by contemplating “avec bonheur” (Samson [s.d.]: 56) her beloved, and her sense of decency capitulates. The woman lets herself be lulled by “un songe enivrant”(Samson [s.d.]: 57). Hippolytus, however, reacts with words of repugnance and with a “regard plein d’horreur” (Samson [s.d.]: 57), which makes Phaedra tragically aware of her mistake. She then bursts uncontrollably into tears and stares at the youth, feeling hate towards herself; she humiliates herself, she trembles, she begs. Lastly, she turns to Oenone for help and asks her to bribe Hippolytus trying to rouse some sense of ambition. The attempt fails and Phaedra’s shame and terror are expressed through a statuesque pose: awesomely calm, she stares into space with a blank gaze, “raide, froid, immobile” (Samson [s.d.]: 58). This motionless dismay is followed by a stabbing pain, conveyed by a wandering glance. Phaedra’s language - Samson significantly adds - must be a “langue divine” (Samson [s.d.]: 57), radically different from the “glapissante” “langue bourgeoise” (Samson [s.d.]: 57). In his description, Samson lingers sometimes on the folds of the character’s psyche, sometimes on the gestures, actions, vocal inflections through which they have to be expressed, and writes his notes in a poetic manner. Rather than offering a “structured” method, he seems to propose a suggestive climate which captures the player’s imagination, dragging him/ her into an atmosphere. Phaedra, then, is proposed as “plaintive et tremblante” (Samson [s.d.]: 57), “effrayée” (Samson [s.d.]: 59), devastated by shame or by a “mortelle peur” (Samson [s.d.]: 58). These definitions of her psyche sometimes find confirmation in a description of the gestural and phonetic signs to be used to convey them. Especially interesting is the choice to convey terror not through violent or sweeping gestures, but, on the contrary, through a “frozen” immobility. The Art théâtral, then, provides a definition of the characters’ intentions, but it does not seem implicit that the text can be interpreted from different perspectives: the only conceivable reading must aim to respect the thoughts of the author, whose intentions Samson considers accessible and recognizable. Also, there does not seem to be a precise interest in searching for the character’s unity, which is instead found in Delsarte and also in the stagings of the 1830s by some playwrights such as Hugo, Dumas père or Vigny. To be more precise, those playwrights-stagers are not satisfied, as Delsarte was, only with infusing unity to the character; they direct all the stage components, each of which obeys only one perspective: that of the playwright-stager, who significantly requires rehearsals for at least one, two or three months. As an example we can take Alfred de Vigny’s Chatterton staged for the first time at the Comédie-Française in 1835. I think it is a clear instance of staging in which all the stage components obey the unity of conception given by the playwright-stager. Let’s observe especially the positions, the actions, the gestures of the characters played by the actors, which we can, at least partly, reconstruct thanks to the stage directions of the prompter’s promptbook and of the princeps, the livrets de mise en scène, the reviews, the correspondence between Vigny and Marie Dorval, etc. Each character presents a peculiar mimic and psychological feature. A Leitmotiv of Kitty/ Marie Dorval’s mimic score is made up of a sort of suspension or immobility aiming to convey an almost sacred dimension of her personality, a dominant spiritual aspect, pure and transcendent. Indeed, a number of documents attest that now and again she adopts mystic, Elena Randi 246 contemplative, ecstatic postures. Another recurrent theme in Kitty’s dynamics is especially good at showing her inner state: she falls, she slumps, she drops objects, thus anticipating, in miniature, the final dégringolade of the third act. Kitty’s gestural architecture is not simply an empty shape: the gesture of falling, mirroring an inner state, expresses Kitty’s fragility. Every aggressive, violent, painful, emotionally intense event shakes her and the backlash felt inside shows on her body in the form of a fall. The restlessness, the agonizing inner unrest of Chatterton played by Edmond Geffroy emerges in his continuous moving from room to room, his shifting from one position to another and, in turn, with different rhythms: one moment he goes slowly down the stairs, then he bounces jerkily, then he sits calmly only to suddenly leap up afterwards in turmoil. Till the end of the drama his part has a discontinuous rhythm, one moment slow, the next hectic. Joanny’s Quaker mainly remains sitting not only because of his elderly age, but also because that position is the result of the inner balance and stability that seem to distinguish him. The existence of a gestural and psychological dominant motive, evident in each character in the first staging, shows the presence of a design made up by each player according to a unifying overall perspective in the construction of the part, surely agreed upon with Vigny (cf. Randi 2009: 173-184). If stage directors force the comédiens to find a unitary vision of the dramatis persona they have been assigned, in a sense Delsarte gives them the instruments for training a player “suitable” to be directed. The origin of the art of stage direction, as I believe I have shown in my former studies, dates back to the 1830s (if not even earlier) and so is more or less contemporaneous with the first elaboration of the system by the master of Solesmes and does not date, as is often said, to the 1870s (cf. Randi 2009). Another aspect underlines the agreement between stage direction in statu nascendi and Delsarte’s method of actor’s art. According to several Italian theatre historians, acting lines are linked to conventional standardized recitation. More precisely, the acting lines system would favour the rooting and the development of specific acting stereotypes in the several character categories, so that each acting line would include its own “repertory” of gestures, tics, postures, etc. applied by the great majority of actors playing that given acting line. Such repetitive schemes would be the mirror of an interpretation “reduced to a common denominator of traditional genericness” (Tofano 1965: 43) essential in a theatrical system like the Italian one in which “harmonization” between and among players was done over a very limited rehearsal time. If this may be true for the Italian context, and also for the minor French theatres, the thesis is far more debatable with reference to the major troupes in Paris, at least when they put on a performance that follows the same criteria as those of stage direction. Indeed thanks to specialization in an acting line (without a doubt existing, as proven for example by the many engagement contracts conserved at the Bibliothèque de la Comédie-Française), the comédien of the most prestigious Parisian theatres can achieve supreme interpretative subtleties. Although playing the same category of individuals throughout one’s career, or in any case for a long part of it, may lead some to a sort of mental laziness - in other words to apply the same scheme over and over again to every dramatis persona - it allows others, who are less inclined to routine, to analyse every detail and more easily dig up all the character’s facets, thus differentiating each character played from any other character belonging to the same category. Or, at least, such a thing happens when some playwrights-metteurs en scène are in charge of rehearsal. There is no doubt that also Delsarte’s pupils, once they have become professionals, have been engaged as the players of a specific acting line. The weight Delsarte assigns to the From the gestural and phonetic sign of everyday life to the actor’s sign 247 analysis and in-depth knowledge of the character and to the way to convey it - an in-depth knowledge that must not bend to usage or tradition - shows a significant harmony with the attention a Vigny, a Hugo or a Dumas reserved to their work on interpretation done together with the comédiens they stage directed. In short, the players trained by the master of Solesmes use the acting lines according to criteria similar to those of the first instances of stage direction: not to make their own work easier by bending the character to be played to existing clichés, but, on the contrary, to delve deeply in the hidden folds of the character. I wish to repeat what already written above: the Delsarte’s system in some aspects seems significantly in harmony with the founding principles of stage direction. Much more than the Conservatoire school, Delsarte provides the nascent mise en scène with a method of training for players, which is singularly in agreement with it. References Manuscripts The manuscripts quoted are all but one (Traité de la raison) conserved in the Delsarte Collection of the Hill Memorial Library of Baton Rouge in Louisiana (here abbreviated as D.C.). They are placed in a numbered box, in a numbered folder, and are often identified by an item number. For example, a manuscript may be kept in box 1, folder 26, item 8. The reference in our article will then be: D.C., 1.26.8, followed, when necessary, by the paper or page number (for example: 1.26.8: 5). 1. 26 b. 7 - Cf. 1. OS 36 c. 2 1. 26 b. 10 - Esthétique. Conférence à l’École de médecine, in D.C., box 1, folder 26 b, item 10. It is a manuscript of notes Delsarte used to prepare for a lecture he gave, according to Alain Porte, in 1867. Cf. Porte 1992: 233. 1. 36 b. 6 - A manuscript certainly by Delsarte, entitled 5 ème Point. Préliminaires de l’histoire de mes Découvertes, conserved in D.C., box 1, folder 36 b, item 6. Delsarte says in it that he has been teaching for forty years (p. 8) and this dates the manuscript around the end of the 1860s. 1. OS 36 b. 22bis - Positivisme dans l’Art. Conférence, kept in D.C., box 1, folder OS 36 b, item 22bis. It is a manuscript containing Delsarte’s notes possibly for one of a series of lectures he gave around 1865. In two handwritten pages whose incipit is Temple de l’art (D.C., box 8, folder 147, item 5) we can find almost identical notes to those found in Positivisme dans l’Art, which makes us think the pages are about the same lecture. 1. OS 36 c. 2 - Mes Épisodes Révélateurs, ou Histoire d’une Idée appelée à constituer la base de la Science et de l’Art. This unfinished handwritten text by Delsarte is kept in D.C., box 1, folder OS 36 c, item 2. Only the first two paragraphs of the text are found in the first two pages of box 1, folder 26 b, item 7. The manuscript dates back to the years 1869-1871. 8. 147. 5 - Cf. 1. OS 36 b. 22bis 11. 40 - Handwritten notebook entitled Esthétique Appliquée. Cours de F. Delsarte. Exposition en neuf leçons de l’Art de l’Orateur, du Peintre et du Musicien, conserved in D.C., box 11, folder 40. The notebook includes notes taken by Alphonse Pagès on a series of lectures given by Delsarte in 1859. There are notes and corrections by Delsarte. 12. 86 - Lectures given by Delsarte in 1855, whose content is transcribed by hand in a document entitled Cours de Mons. Delsarte, conserved in D.C., box 12, folder 86. We learn the year and place of the lectures from Alain Porte, who was able to consult another transcription of the same lectures belonging to the Delsarte family and made by a certain Degard. Traité de la raison - It is a manuscript of 1870 that Alain Porte found in the private archives of the Delsarte family and published in Porte 1992: 247-257. The handwriting is not Delsarte’s, but very likely the content is. Elena Randi 248 Published texts Battaille, Charles, Augustin Privat-Deschanel, Paul Féval et François Delsarte, 1866: Conférences de l’Association Philotechnique. Année 1865, Paris: Victor Masson et Fils Delsarte, François: Esthétique Appliquée. Des Sources de l’Art, in Battaille, Charles 1866: 89-139 Descotes, Maurice 1957: Les Grands rôles du théâtre de Racine, Paris: PUF Descotes, Maurice 1962: Les Grands rôles du théâtre de Corneille, Paris: PUF Descotes, Maurice 1972: Les Grands rôles du théâtre de Marivaux, Paris: PUF Descotes, Maurice 1974: Les Grands rôles du théâtre de Beaumarchais, Paris: PUF Descotes, Maurice 1976: Les Grands rôles du théâtre de Molière, Paris: PUF Drouin, Anne-Marie 1995: “Sémiologie du geste, jeu théâtral et simulation : l’artifice au service de l’explication du vivant”, in: Ludus Vitalis 4 (1995): 127-155 Porte, Alain 1992: François Delsarte: une anthologie, Paris, ipmc Randi, Elena 1996: Il magistero perduto di Delsarte. Dalla Parigi romantica alla modern dance, Padova: Esedra Randi, Elena 2009: I primordi della regia. Nei cantieri teatrali di Hugo, Vigny, Dumas, Bari: Pagina Samson, Isidore [s.d.]: L’art théâtral, nouvelle édition, Paris: Dorbon-Ainé Tofano, Sergio 1965: Il teatro all’antica italiana, Milano: Rizzoli Voix, corps, respiration chez Delsarte : éléments du travail de l’acteur et du chanteur De l’observation des signes à leur utilisation dans une pédagogie expressive Franck Waille Voice, Body, Breathing: Areas of Work for Actors or Singers. Delsarte was a singer and a teacher of singing and of declamation. After his death, his method had a great influence on the Western training for actors, but also in the birth of Modern Dance. Delsarte’s method closely connects the questions of the spoken or singing voice with the body and the physical movement. The roots of this approach are deeply rooted in Delsarte's own singing and acting experience. While studying at the Conservatory of Paris as a teenager, he discovered on his own the links between voice and gesture, and the possible translation of inner (e)motions by expressive movements. Later on, after he had lost his singing voice - a loss he declared to have been caused by bad teaching at the Conservatory - he used all these observations for a vocal re-education he managed to complete alone. Delsarte organized his experiences in a theoretical system in which all dimensions of human language and expression are intimately linked. This paper investigates how this perspective came into being and which practical working methods result for voice, body and breathing techniques. Delsarte entra de manière précoce à l’École royale de musique et de déclamation de Paris (conservatoire) grâce à ses qualités de chanteur, mais dû quitter l’établissement trois ans et demi plus tard à dix-huit ans, car sa voix « avait éprouvé une altération si grande qu’une extinction presque totale s’en était suivie » (AN, dossier Delsarte 1830, École royale, cote O1816, dossier 28). Il avait été jugé inapte à une quelconque carrière dans l’un des théâtres royaux, et pourtant il fut embauché comme chanteur et comédien dans trois théâtres jusqu’en 1832, puis eut non seulement de vrais succès d’estime dans le monde de la musique pour ses concerts annuels, mais aussi enseigna tout au long de sa vie le chant et la déclamation lyrique, autrement dit l’usage de la voix d’un point de vue expressif. La rééducation de son organe vocal qu’il fut obligé de faire lui-même, la médecine officielle s’étant déclarée incompétente à l’aider, s’appuie sur ses observations et découvertes antérieures sur les liens entre la voix et le geste, et fut aussi un élément déterminant de construction d’une pédagogie originale, dans laquelle la voix est intimement associée à une pratique corporelle expressive et au travail de la respiration. Si les témoignages directs sur cette pédagogie sont parcellaires, Delsarte ayant privilégié la transmission de maître à élève et non la rédaction d’une synthèse de ses enseignements, il est possible d’avoir un aperçu de la richesse et de la pertinence de cette pédagogie en recoupant des données transmises par certains de ses élèves et des informations découvertes dans les archives delsartiennes des deux côtés de l’Atlantique. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Frank Waille 250 Chez Delsarte, pratique et théorie étant intimement liées, rappelons brièvement que son cadre théorique, d’abord issu de ses expériences et de ses observations, s’articule autour de la notion de Trinité venue de la théologie chrétienne et théologiquement définie comme l’union des contraires - autrement dit l’équilibre, l’unité, viendraient de rapports harmonieux entre trois termes, les deux premiers étant opposés l’un à l’autre, et le troisième en faisant la synthèse. L’âme, vue comme principe d’existence de l’être humain et donc comme matrice du corps, aurait une triple dimension : vitale, intellectuelle et spiritualo-émotive, celle-ci étant synthétique des deux autres. Cette approche anthropologique est fondamentale, car la pédagogie de Delsarte resitue toujours la pratique artistique dans une compréhension globale de l’être humain, l’expression artistique impliquant pour lui la totalité de la personne. Les trois grands types de langages correspondants sont la voix (ses mélodies), vitale ; le langage articulé, intellectuel ; et le langage gestuel, spiritualo-émotif, synthétique des deux autres. Les parties du corps correspondantes sont l’appareil vocal (vital), l’appareil buccal (intellectuel) et l’appareil moteur (spiritualo-émotif). Le geste, et le corps dans son ensemble (l’appareil moteur) sont, dans cette perspective, synthétiques par définition et concernent donc la voix et le langage articulé par association. En partant des expériences initiales de Delsarte, nous verrons comment il a élaboré une analyse de la voix et de la respiration appliquée à la voix et au geste, et exposerons des éléments de travail pratique de ces éléments. 1 De la voix au corps : expériences fondatrices et travail corporel associé Dans le processus delsartien de construction des connaissances, ce sont toujours des expériences qui sont premières. Ces expériences ensuite amènent des approfondissements de type théorique et débouchent sur des éléments de pédagogie artistique pratique. Si les recherches de Delsarte s’inscrivent dans un contexte culturel marqué par des préoccupations autour du geste et du langage du corps comme l’a montré Elena Randi (1996 : 85-96), c’est d’abord par les personnes qu’il rencontre, par les milieux qu’il côtoie et par les spectacles auxquels il assiste que Delsarte a pu être mis en contact avec cet environnement qui traverse les mondes des arts du spectacle vivant, de la littérature et de la médecine. L’exploration des liens entre la voix et le corps est marquée chez lui par deux grandes expériences déterminantes, toutes deux associées à la voix parlée. 1.1 Lien entre justesse du geste et couleur de la voix 1.1.1 La remarque de Deshayes La première rencontre faite par Delsarte entre la voix et le corps concerne le lien entre le geste - le langage corporel par excellence - et la voix parlée. Cette rencontre s’articule autour de la notion de justesse. Que ce soit dans ses notes ou en public, Delsarte reconnaît une dette envers un seul professeur du conservatoire, son maître de tenue théâtrale (cf. Waille 2011 : 862), André- Jean-Jacques Deshayes (1777-1846). Lors d’un cours, alors qu’il ne le voyait pas, celui-ci lui aurait déclaré, sans se retourner : « Ton geste est faux. Ton attitude n’est pas en harmonie avec ta phrase » (Delsarte s.d. 1, document 1, feuille 2). Aux questions de l’élève qui cherche à comprendre comment, sans l’avoir vu, le professeur avait pu percevoir l’inexactitude de son Voix, corps, respiration chez Delsarte 251 geste, il aurait répondu : « Mon ami, c’est que le geste donne sa couleur à la voix, il n’est donc pas difficile d’en distinguer la forme par l’inflexion » (ibid.). Cette remarque a été déterminante pour le cheminement artistique de Delsarte. Elle l’a amené à explorer les liens entre geste et voix, mais aussi à envisager ceux entre le geste et une qualité expressive particulière, la couleur de la voix dans le cas présent. De plus, elle fonde chez lui la conviction qu’il y a dans le geste la base d’une justesse expressive globale - dynamique qui a été également celle de Meyerhold plus tard et qui s’est traduite chez lui par le travail qu’il a appelé la biomécanique (cf. Barba, Savarese 2008 : 132). Elle induit un glissement de sens de la notion de justesse : si une note peut être juste ou fausse, il en serait de même pour le geste. Ce glissement a pu se faire chez l’élève qui, alors, ne prenait pas un cours de chant mais de tenue théâtrale (il devait probablement dire un texte). Dans les expériences de Delsarte, le travail de la voix, parlée ou chantée, est intimement associé à la question de l’expression par le corps et ses mouvements. Le geste devient alors objet de recherche pour ses fonctions pratiques - bien dire un texte, mais aussi bien chanter devient pour Delsarte synonyme d’avoir une présence corporelle particulière -, mais aussi objet de recherche en soi : s’il donne la qualité à la voix, c’est que le geste serait le vecteur d’une intériorité qu’il révèlerait. Il n’est pas anodin que le professeur qui l’a mis sur le chemin de l’exploration du geste ne soit ni un chanteur ni un comédien, mais bien un danseur et chorégraphe, l’un des plus célèbres maîtres du ballet romantique de son époque. Delsarte a été dirigé vers le langage du corps par un artiste chez lequel les questions du corps étaient centrales - en retour, ses propres enseignements sont allés vers le monde de la danse. 1.1.2 Le travail global d’harmonisation du corps La remarque de Desayes concernait l’harmonie entre la voix et le geste. Un des éléments marquants des enseignements corporels de Delsarte est le travail des rapports d’équilibre harmonique entre la tête, le torse et le bassin : pour qu’il puisse y avoir harmonie avec la voix, il faut déjà que le corps soit en harmonie interne. Cela est conçu comme un travail d’harmonisation psycho-corporelle, car chez Delsarte « à chaque fonction spirituelle répond une fonction du corps ; à chaque grande fonction du corps répond un acte spirituel » (Delsarte s.d. 2). Une des sources de cette pratique corporelle vient des analyses qu’il fit de la statuaire grecque antique : Frank Waille 252 Hermès dit « Hermès Richelieu » (musée du Louvre MR 272), et un exercice de Delsarte transmis par son élève Alfred Giraudet (1895 : planche XI, figure 91) Or tête, torse et bassin sont les parties du corps qui sont directement, d’un point de vue anatomique et physiologique, associés à la voix. Ce travail d’harmonisation psycho-corporelle a donc potentiellement un double effet sur la voix : d’une part en mobilisant mécaniquement les parties du corps concernées par la production du son ; d’autre part parce que le corps étant l’instrument par excellence du chanteur ou de l’acteur, son état d’harmonisation ou de déséquilibre a potentiellement une incidence sur la qualité de la voix. La remarque de Deshayes induit que la notion de justesse du geste est intimement associée à celle de qualité expressive, et qu’il y aurait des règles psycho-corporelles déterminant cette justesse expressive. La seconde expérience fondatrice vécue par Delsarte durant ses études au conservatoire a confirmé cette piste. Voix, corps, respiration chez Delsarte 253 1.2 Découverte de la rétroaction 1.2.1 Justesse inconsciente du geste et les trois grands ordres du mouvement C’est à l’occasion du travail d’un rôle pour ses cours d’art dramatique que Delsarte fait sa première découverte fondamentale sur le langage du corps, découverte lui permettant d’approfondir le chemin ouvert par la remarque de Deshayes. C’est par cette découverte qu’il a échappé au « système d’imitation asservissant » (Delsarte 1858a) qu’est pour lui l’enseignement du conservatoire : le langage du corps devient alors pour lui un chemin de liberté artistique basées sur des règles expressives mises à jour par l’observation. Il nomme l’épisode en question son « papa Dugrand », du nom du personnage retrouvé avec effusion par l’officier dont il étudiait le rôle (il s’agit d’une scène de Gaugiran-Nanteuil & Berton, 1806). Il éprouvait une grande difficulté à trouver l’attitude corporelle appropriée pour jouer cette scène de surprise joyeuse et ostentatoire, et ses professeurs « avaient perdu leur latin et se refusaient de guerre lasse à [lui] continuer leurs leçons sur [ce] sujet » (Porte, 1992 : 57). La solution lui est arrivée en surprenant un mouvement de son corps dans une situation semblable à celle qu’il étudiait, mais survenue dans son quotidien : l’apparition impromptue de l’un de ses cousins venu lui rendre visite. Il constate que le mouvement de son corps est tout à l’inverse de ce qu’il imaginait : plutôt que de se tendre vers la personne qui est la cause d’une émotion agréable - ici la surprise joyeuse -, le haut du torse est porté vers l’arrière. C’est la découverte de ce qu’il a appelé la rétroaction. L’épisode décrit par Delsarte laisse deviner que la respiration joue un rôle dans la rétroaction, et qu’au mouvement de recul du haut du corps est associé une inspiration : plus celle-ci est forte et profonde, en fonction de l’intensité de l’émotion ressentie, plus le mouvement rétroactif est prononcé. Ajoutons qu’elle s’accompagne vraisemblablement d’une ouverture plus ou moins grande de la bouche, car selon Alain Berthoz, professeur de physiologie de la perception et de l’action au Collège de France, « la surprise, qui est ouverture sur le monde, est toujours accompagnée d’une ouverture de la bouche » (2003 : 49). La rétroaction mit Delsarte sur la voie de la découverte de trois grands types de mouvements qu’il a identifiés comme étant les bases dynamiques de tous les gestes : les mouvements excentriques, concentriques et normaux, qui sont selon lui « les trois ordres d’expression du corps, expressions vitales, intellectives et animiques » (Delsarte 1869). La rétroaction est identifiée comme la traduction corporelle de l’état concentrique, état de la personne qui est sous l’emprise d’une émotion (le « patient ») (cf. Delsarte 1858b). Du constat de la rétroaction, il a donc observé et déduit les deux autres états et les réactions corporelles correspondantes : son opposé, l’état excentrique, et la synthèse des deux, l’état normal. Ces trois états, ou trois grands ordres du mouvement, sont à la base d’une grande partie de sa pédagogie. 1.2.2 Traduction pratique Delsarte résumait l’essentiel de sa pédagogie expressive par ce qu’il appelait les tableaux d’accords de neuvième, dont voici le modèle théorique reprenant explicitement les trois grands ordres du mouvement : Frank Waille 254 Tableau théorique d’accord de neuvième dans L’art oratoire (Delsarte s.d. 4) (Courtesy of Dartmouth College Library) Appliquée à toutes les parties du corps, cette combinaison de base des trois grands ordres du mouvement permet de travailler les attitudes de manière fine, précise et infinie, les combinaisons pouvant être multipliées sans limite. Voici un exemple avec l’accord de neuvième de la main publié par Alfred Giraudet : Attitudes des mains (Giraudet, 1895 : planche XIX) Voix, corps, respiration chez Delsarte 255 1.2.3 Attitudes des jambes et lien avec la voix Parmi les attitudes des différentes parties du corps, il en est une qui intéresse directement et explicitement la voix. Elle fait partie des attitudes des jambes, que Delsarte désignait comme les attitudes de base, car formant la base corporelle et expressive de toute personne debout. Selon l’abbé Delaumosne, élève de Delsarte, « on obtient une voix plus forte en prenant son point d’appui […] à peu près sur la pointe des pieds, en prenant l’attitude de base que nous désignerons […] sous le terme de troisième » (1874 : 19). Cette troisième attitude des jambes est l’attitude de base la plus excentrique, que Delsarte décrit ainsi : La troisième attitude caractérise la véhémence dont elle est le type. Elle est l’attitude excentrique par excellence. Elle consiste à porter tout le poids du corps en avant et à tendre la jambe de derrière dans des proportions égales au degré d’avancement du torse. (Delsarte par Mackaye 1869/ 1870 : 3) Ce qui concerne donc la base de la présence corporelle se rapporterait ainsi directement la voix, quelle soit parlée ou chantée. Notons que les jambes étant caractérisées comme vitales par excellence dans le système de Delsarte, c’est à l’attitude des jambes la plus vitale - l’attitude excentrique - qu’est associée la force de la voix. Cela est lié à l’analyse du système vocal faite par Delsarte, elle-même découlant de sa troisième expérience fondatrice en matière de rapports entre corps et voix : sa rééducation vocale. 2 Rééducation vocale 1 : de la voix au travail de décomposition corporelle Pour mener sa rééducation, Delsarte choisit une méthode dynamique : « consult[er] [s]es sensations » (Porte 1992 : 163) alors qu’il chantait. Il s’est ainsi intuitivement « sensibilisé à la perception proprioceptive » (Lorelle 2003 : 211). En d’autres termes, il a développé une « sensibilité profonde » (Richard, Orsal : 267) (cf. Rigal 2002 : 293). Analysant le travail du chant comme une « gymnastique spéciale » (Porte 1992 : 160), il a posé une suite de raisonnements simples : s’il ressent de la douleur à l’exercice de cette gymnastique, c’est que celle-ci n’est pas adéquate à l’appareil corporel auquel elle s’applique ; le chant n’ayant aucune raison d’être par nature une violence pour l’organisme, c’est que la technique vocale qu’on lui a apprise est mauvaise ; il doit donc y avoir une autre manière de s’entraîner à chanter qui puisse être en harmonie avec le fonctionnement du corps ; celle-ci est à découvrir en excluant ce qui lui a été appris jusque-là. Cela pose les fondements de toute sa pédagogie corporelle : la technique qu’il recherche a un seul critère absolu de validité : sa conformité aux réalités anatomiques et physiologiques, autrement dit son respect des réalités corporelles. Car « ignorant l’anatomie des organes de l’émission vocale, l’enseignement académique était une mise en danger » (Lorelle 2003 : 209). L’indication du non-respect de ces réalités corporelles se trouve dans la douleur, « signalement ordinaire du mal qu’il faut éviter, et, ajoute-t-il, l’horreur qu’elle inspire à la nature est sans doute un enseignement providentiel qu’ont trop méconnu ceux qui poussaient incessamment à passer outre » (Porte 1992 : 160). Le point de départ de ses recherches et de son travail sur la voix, c’est donc l’écoute de son corps, la prise en compte de ses sensations et le rejet de ce qui est à l’origine d’une violence envers soi. Ce simple positionnement est un choix culturel essentiel : non plus chercher à passer outre les signaux corporels, mais s’appuyer sur eux pour élaborer un travail artistique pertinent, fondé sur le respect des réalités corporelles Frank Waille 256 ou, pour reprendre les mots de Delsarte, « une doctrine artistique découlant à titre de conséquence logique d’un principe physiologique » (ibid. : 156). Respect et écoute du corps, bien-être et fluidité découlant d’une détente musculaire, tels sont les quatre éléments caractéristiques de la technique recherchée et élaborée par Delsarte. Chez lui, les recherches sur la rééducation de la voix sont donc l’origine et la matrice de toute sa pédagogie, en particulier de l’enseignement corporel. La rééducation vocale qu’il entreprend est entièrement le fruit de ses propres observations, de son intuition et de l’analyse de ses sensations lorsqu’il chante. 2.1 Technique du bel canto, fixité du larynx et détente corporelle La rééducation vocale de Delsarte s’est articulée autour de l’étude des lieux de résonance des sons, et surtout de l’observation et du contrôle des mouvements du larynx. Son référent est celui de la technique italienne du bel canto (cf. Gourret 1973 : 50), dans laquelle il note à la fois que « le larynx [est] visiblement plus bas » (Porte 1992 : 164-165) que dans la technique française de son époque, et que l’« émission est beaucoup plus ample et plus corsée » (ibid. : 164-165). Il affirme avoir été le premier à l’introduire en France (cf. Porte 1992 : 173-179 & Waille 2011 : chapitre 5), avant que le ténor Gilbert-Louis Duprez (1806-1896) ne la généralisa par ses succès de chanteur (Gourret 1973 : 49-52). Il remarque que « le larynx suit chez [lui] la marche du son, [qu’] il monte visiblement quand [il] fai[t] une gamme ascendante » (Porte 1992 : 160). À l’inverse, « les Italiens ont en chantant le larynx visiblement plus bas que nous » (ibid. : 164), et l’émission italienne « paraît être le résultat direct de cette position laryngée » (ibid. : 165). C’est donc l’attention sur la position du larynx qui est la source de sa rééducation vocale. Son travail a été de rendre cet appareil producteur du son indépendant du son qu’il produit, c’est-à-dire d’immobiliser son larynx, dont les mouvements sont repérables par ceux du cartilage thyroïde. L’idée de fixité pourrait laisser penser que pour y parvenir, il est nécessaire de produire un effort musculaire particulier. Or c’est précisément l’inverse qui est vrai : la tension musculaire est ce qui provoque les mouvements laryngés parallèlement à la marche du son. On trouve indiqué dans les comptes-rendus des cours de 1839 : Quand on fait un effort pour attirer ou pousser un corps résistant, le larynx remonte et par la contraction de toutes ses parties, produit un son rauque et guttural. (Delsarte 1839 : 4) Delsarte tire de son constat, vérifié chez lui et chez ses contemporains dans diverses situations, une loi qui ne concerne pas seulement le chant, mais le fonctionnement général du corps, comme il l’a observé par exemple chez un homme déchargeant une voiture : […] le larynx est dans ce mouvement total comme le thermomètre infaillible de la somme des efforts produits. (Porte 1992 : 171) La conséquence pratique de cette attention à la fixité du larynx est déjà de prendre en compte le corps pour le travail de la voix, ce qui aujourd’hui encore n’est pas toujours acquis (cf. Aslan 2003 : 62). C’est ensuite de privilégier un travail corporel basé sur la détente, la décontraction, le relâchement musculaire. Voix, corps, respiration chez Delsarte 257 2.2 Du larynx au travail de décomposition pour l’ensemble du corps Les observations de Delsarte sur le larynx associée aux efforts musculaires sont confirmées d’un point de vue anatomique par le fait que le cartilage thyroïde est intimement lié, par des ligaments puissants et par des muscles, à l’os hyoïde (ayant une forme en fer à cheval, il est positionné au-dessus du larynx, au sommet du cou). Or, l’ensemble des fascias du corps (tissus qui entourent les muscles) passe par cet os hyoïde (cf. Myers 2001), qui est donc sensible à l’activité musculaire de l’ensemble de la personne, et cela d’autant plus qu’il est le seul os à n’être articulé à aucun autre. Il est, par conséquent, extrêmement sensible aux pressions qui s’exercent sur lui, qui l’entraînent dans leur mouvement et qui, par conséquent, entraînent aussi le cartilage thyroïde. Dans le chant, le larynx ne peut rester stable lors de l’émission d’un son qu’à condition qu’il y ait dans le cou, mais aussi dans l’ensemble du corps, le maximum de détente musculaire. Delsarte établit que l’organe même de la production des sons est en lien direct avec l’ensemble du corps. Dès lors, cette « gymnastique spéciale » dont il parle n’est plus seulement à comprendre comme un travail concernant le seul appareil vocal, mais comme un travail concernant le corps dans son ensemble. En d’autres termes, l’instrument du chanteur n’est pas seulement son système phonatoire, mais tout son corps. Cela a débouché sur la conception d’une entrée préparatoire dans le travail expressif par ce que nous appelons aujourd’hui la détente ou relaxation, et que Delsarte nommait la décomposition. Dans cette décomposition, il s’agit de relâcher de manière précise et consciente chaque segment corporel à partir d’une articulation, ce qui pour le bras peut donner cela : Exemple de décomposition du bras (photographies : David Vernier) Le but premier de la décomposition est de libérer le corps des habitudes et des tensions acquises afin de le rendre le plus disponible et le plus expressif possible. Cette libération de l’acquis est comprise comme une possibilité de retrouver une authenticité expressive personnelle, et comme l’outil de base pour pouvoir la développer. Aussi, « chanteur à la voix brisé, Delsarte est devenu capable de guérir les dysphonies les plus graves, après avoir découvert l’unité du geste et de la voix » (Pradier 2000 : 157). La décomposition n’est qu’un élément du travail de cette unité du geste et de la voix. Par sa rééducation, Delsarte a également été mis devant la nécessité d’avoir une approche anatomique et physiologique précise, tant du système phonatoire que du système respiratoire. 3 Rééducation vocale 2 : Anatomie et physiologie au service de la voix et de la respiration associées au geste Ses observations ont amené Delsarte à rechercher « une doctrine artistique découlant à titre de conséquence logique d’un principe physiologique » (Porte 1992 : 156). Cela l’a poussé à Frank Waille 258 étudier l’anatomie et la physiologie à l’École de médecine de Paris. Pour le chant, l’attention portée aux données anatomiques et physiologiques du système vocal est devenue l’un des axes centraux de son enseignement, comme en témoignent des « imitations de larynx - en carton - de plusieurs dimensions » (Arnaud 1882 : 203) présents dans le salon où il enseignait, dès 1831 (Porte 1992 : 156). S’il revendique « l’honneur d’avoir le premier sérieusement associé l’art à la science physionomique » (ibid.) à son époque, il écrit aussi « que l’usage des démonstrations anatomiques dans le chant est très ancien » (Delsarte s.d. 3). 3.1 Analyse delsartienne du système phonatoire (« appareil vocal ») L’appareil vocal correspond à la dimension vitale de l’âme pour Delsarte, ce qui fait écho à ses expériences : retrouver sa voix chantée fut une problématique vitale pour lui. Si sa rééducation vocale s’est articulée autour de la notion de fixité laryngienne, elle s’est appuyée sur une analyse systémique de l’ensemble du corps, et ne s’est pas centrée sur un élément isolé. Il relève le fait qu’à son époque on a voulu « expliquer la phonation par le larynx » (Porte 1992 : 100) - la conception du larynx comme seul élément anatomique responsable de la production du son prévaut alors, dans le monde médical (par exemple chez Bichat - 1801-1803 : I, p. xvij-xviij ; II, p. 363-412 -, dont le travail faisait autorité dans la première moitié du XIX e siècle), comme dans celui de l’enseignement du chant (cf. Gourret 1973 : 15). Son analyse systémique est trinitaire, selon son modèle théorique ; elle considère les poumons (connotés comme vitaux), le larynx (connoté comme intellectuel), et l’arrièrebouche (connotée comme spiritualo-émotive), ce qui lui fait affirmer : On a examiné le larynx comme la plupart du temps on examine l’homme : comme s’il n’était qu’un cerveau... On parle de l’esprit humain, mais on oublie le cœur, on oublie la vie, ce qui est grave. (Porte, 1992 : 101) Réduire la phonation au seul larynx, est donc associé pour lui à réduire l’être humain à sa partie intellectuelle. C’est aussi faire une mauvaise compréhension du phénomène de la production du son, et donc un mauvais travail de la voix pour le chanteur ou pour l’acteur. Jean Gourret indique que « tous les éléments, même les moins apparents, qui participent à la création de la voix, exercent leur influence. Il n’est pas possible d’isoler. Le mécanisme de la phonation est une affaire extrêmement complexe et ne s’explique pas par le fonctionnement d’un seul organe ou d’un seul de ses constituants » (1973 : 20), idée qui s’est progressivement imposée, puisque aujourd’hui l’utilisation de l’anatomie est courante dans l’enseignement du chant. Jean Gourret met en particulier en avant le rôle de la membrane muqueuse du larynx (20), déjà pris en compte par Delsarte dès ses premiers cours (cf. Delsarte 1839). Il insiste également sur l’importance du souffle, en lien avec cette membrane. En d’autres termes, il montre que la prise en compte des poumons par Delsarte est pertinente. Delsarte a été précurseur de cette approche du chant. Il lie très clairement sa vision générale de l’Homme à cette analyse du fonctionnement de l’un de ses appareils expressifs. Là est toute la logique interne de sa pédagogie : resituer toujours la pratique artistique dans une compréhension globale de l’être humain. Voix, corps, respiration chez Delsarte 259 3.2 Analyse de la respiration Dans sa vision systémique de l’appareil vocal, Delsarte insiste particulièrement sur le point de départ du processus de production du son : la respiration (il retrouve la grande préoccupation de l’art du chant du XVIII e siècle - cf. Gourret, 1973 : 71). Ainsi, pour lui « la respiration est le point le plus essentiel du chant. Toute l’énergie, toute la force du débit, tout l’aplomb du chant dépendent de la manière de respirer » (Delsarte s.d. 5). Il analyse cette respiration d’un point de vue rythmique et d’un point de vue physiologique. Rythmiquement, ses observations l’ont amené à considérer la respiration comme un processus ternaire et non binaire. Il a observé qu’entre l’inspiration et l’expiration, il y a un temps plus ou moins long de suspension, « un imperceptible moment d’arrêt » (Delsarte 1839 : 10) qui serait le troisième moment du processus respiratoire (élément qui ne semble pas être pris en compte actuellement dans les études physiologiques - cf. Aslan, 2003 : 55-59). Autrement dit, au cœur même de l’action de respirer, serait inscrite une pause, une non-action, un non-faire. Il analyse la respiration selon trois modèles possibles, d’après son modèle trinitaire : respiration diaphragmatique (vitale), respiration costale (intellective), et respiration normale (spiritualo-émotive). 1) Respiration diaphragmatique (vitale) : Dans l’aspiration, l’air introduit dans la poitrine au moyen des muscles inspirateurs, après avoir dilaté et les poumons et le diaphragme qui prend une forme concave, et les muscles de l’abdomen qui par leur dilatation font prendre à celui-ci une forme convexe, l’air dis-je, est repoussé au dehors dans l’expiration par les muscles expirateurs qui, après un imperceptible moment d’arrêt, s’affaissent sur eux-mêmes, en donnant par là au ventre une forme concave, font remonter le diaphragme, lequel, par sa forme devenue convexe dans ce cas, agit sur les poumons pour les décharger de la masse d’air qu’ils contenaient. Dans la respiration diaphragmatique […], tous les mouvements sont en harmonie. Les poumons, le diaphragme, les muscles, tantôt suivent le même mouvement ascendant. De plus, la boîte osseuse ne bouge pas, il n’y a donc ni efforts, ni contraction, mais bien expansion, liberté, partant pas de fatigue. (Delsarte 1839 : 10) 2) Respiration costale (intellective) : Dans l’aspiration, les côtes s’affaissent sur les poumons : ceux-ci, bien que gênés dans leur dilatation réagissant sur le diaphragme, ce muscle prend nécessairement une forme concave contrariée par la forme aussi concave du ventre, et dans l’expiration, les côtes se dilatent ainsi que l’abdomen, pendant que le diaphragme et les poumons agissent d’une manière tout opposée. (Ibid.) Dans la respiration costale, nous voyons des mouvements contraires. Les poumons s’élargissent pendant que les côtes, en s’aplatissant, viennent les contrarier dans ce mouvement, le diaphragme s’abaisse pendant que les muscles du ventre remontent pour opérer avec lui une quasi-jonction, et réciproquement : il est facile alors de comprendre que s’il y a lutte entre les parties constitutives de l’appareil respiratoire, il y a contraction, et qu’ainsi, il y a gène et fatigue, même rétrécissement de la voix. (Ibid.) 3) Respiration normale (spiritualo-émotive). La respiration normale relève d’un équilibre entre respirations costale et diaphragmatique : elle emprunte les processus naturels et harmonieux de la respiration diaphragmatique, mais n’entraîne pas de gonflement marqué du ventre et s’accompagne d’un léger mouvement d’expansion de la cage thoracique : on peut observer généralement cela quand quelqu’un dort. Frank Waille 260 Pour chanter, Delsarte enseignait l’usage de la respiration diaphragmatique, vitale, ce qui correspond bien à sa caractérisation du chant comme expression vitale de l’être humain. Il rejetait la respiration costale (qui lui a été enseignée au conservatoire) car faite de mouvements contradictoires avec le fonctionnement naturel, ce qui induirait une série de problèmes vocaux. En revanche, la respiration diaphragmatique est « plus avantageuse pour le chanteur » (1839 : 10) car ses mouvements sont harmonieux puisque c’est ainsi que se fait naturellement l’acte respiratoire, et elle permet d’inspirer une plus grande quantité d’air, provoquant un léger gonflement du ventre. Il faut préciser que la respiration diaphragmatique concerne l’ensemble des poumons, et non uniquement le bas de ceux-ci : elle n’est donc pas équivalente à ce que nous appelons aujourd’hui la respiration basse, centrée plutôt sur le bas des poumons, et provoquant une grande excroissance du ventre. Alfred Giraudet, l’un de ses élèves, indique que cette respiration diaphragmatique, « adoptée depuis longtemps par la plupart des chanteurs, n’a pas seulement été dénommée par [Delsarte, mais que] l’observation lui en appartient en propre, de même que la division des phénomènes respiratoires. Et c’est bien après [lui] que les physiologistes, puis les professeurs de chant, ont reconnu les trois temps indiqués par lui : l’aspiration, le silence ou la pause, que Del Sarte appelait suspension, et l’expiration » (1895 : 5). 3.3 Respiration et geste La respiration qu’enseignait Delsarte porte l’attention sur la région du corps qui, dans la symbolique delsartienne, correspond à la partie la plus marquée spirituellement et émotivement, et donc qui est la plus directement associée à l’expression des sentiments. C’est la région du cœur et du plexus solaire, qui apparaît en jaune sur ce schéma de la division esthétique du corps (rouge : ce qui est vital, ; bleu ce qui est mental ; jaune ce qui est spiritualo-émotif) : Division esthétique du corps humain selon Delsarte Voix, corps, respiration chez Delsarte 261 Mais si la respiration diaphragmatique invite à une attention particulière au diaphragme, elle n’induit pas une attention exclusive sur cette seule partie du corps, et cette manière de respirer implique implicitement tout l’organisme. En effet, le mouvement respiratoire étant l’un des mouvements de base du corps, il se diffuse dans toutes les parties de celui-ci, et ceci d’autant plus que la respiration est profonde et que les mouvements du diaphragme ont un impact direct sur les masses viscérales et la colonne vertébrale. Alfred Giraudet indique que « la respiration et surtout l’aspiration, relativement au geste et à l’expression, mériteraient une longue et intéressante étude » et qu’« il y a là un principe d’une importance insoupçonnée » car « sans [la respiration] les gestes sont froids, banals [sic ! ], conventionnels et engendrent constamment des mouvements incohérents » (1895 : 118). Il donne ensuite une série de précisions succinctes : On peut dire, en général, que les bras ne doivent se mouvoir, dans le genre passionnel [comprendre ici « dans un geste expressif »], qu’entraînés par l’aspiration qui doit toujours précéder leur mouvement d’élévation. […] Après l’aspiration, il se produit un arrêt plus ou moins long que nous appelons Suspension. Dans ce cas, l’aspiration doit être ample et profonde, selon le degré qui convient au sentiment qui la détermine, mais toujours dans un rythme vif qui se caractérise par un soulèvement marqué des épaules. La suspension, alors, à elle seule, signifie l’attention, la réticence, l’appréhension et la surprise dans toutes ses variétés et est d’un emploi constant. (Ibid. : 118-119) Giraudet parle d’un soulèvement marqué des épaules, ce qui est contradictoire avec la description que fait Delsarte de la respiration diaphragmatique, dans laquelle « les poumons, le diaphragme, les muscles, […] suivent le même mouvement » et « la boîte osseuse ne bouge pas » (1839 : 10). Ce soulèvement marqué correspond plutôt à la respiration costale, que Delsarte rejette. Un soulèvement des épaules ne peut être envisagé que comme résultat de l’arrivée de l’air harmonieusement réparti dans l’ensemble des poumons (et non uniquement dans le haut de ceux-ci), provoquant un léger mouvement d’expansion du haut de la cage thoracique, et cela correspond plutôt à ce que Delsarte appelle la respiration normale. Dans ce cas-là, il n’est pas question de soulèvement marqué des épaules, mais d’un mouvement léger de celles-ci. Il y a lieu ici de mentionner une indication que Madeleine Delsarte, la dernière fille de Delsarte, donne précisément en lien avec l’utilisation de la respiration dans le geste : « plus les phénomènes sont imperceptibles, plus ils ont d’action sur les auditeurs » (Madeleine Delsarte s.d. : 69). Il nous semble plus juste de retenir la première explication de Giraudet : les bras sont « entraînés par l’aspiration qui doit toujours précéder leur mouvement d’élévation » (1895 : 118-119). Nous pouvons alors comprendre que l’aspiration ne se traduit pas par un exhaussement immédiat des épaules, mais est plutôt conçue comme l’initiatrice du mouvement, comme la source d’énergie qui va ensuite se déployer dans l’espace par le geste. En dehors de l’ambiguïté sur ce point, les indications transmises par Giraudet renseignent sur le lien entre respiration et mouvements des bras chez Delsarte, en montrant que les transmissions de mouvements à l’intérieur du membre supérieur peuvent trouver leur source dans l’inspiration (elle-même, par ailleurs, liée aux processus émotifs, comme le rappelle bien Giraudet en indiquant que l’amplitude de l’inspiration est fonction du « sentiment qui la détermine » - ibid.). Si nous suivons ses informations, le mouvement des bras, initié par l’inspiration, se poursuit sur la suspension et peut se finir sur l’expiration. La transmission du mouvement du torse aux membres est alors en accord avec les mouvements respiratoires qui, d’une certaine façon, se diffusent du thorax aux épaules puis aux membres. Cela est en Frank Waille 262 adéquation, pour le chant et la déclamation, avec l’idée delsartienne selon laquelle le geste précède la parole : le chant ou la parole se faisant sur l’expiration, le geste s’appuie sur l’inspiration et la suspension pour se déployer. Cela reste vrai pour le seul travail du geste, et c’est dans ce cadre-là que Giraudet en parle. Cette utilisation de la respiration dans le geste expressif peut aussi être appliquée au mouvement de « (re)composition » du bras. Dans le mouvement de recomposition, de redynamisation progressive du membre travaillé, l’inspiration peut être le point de départ de l’énergie se diffusant ensuite progressivement d’articulation en articulation : Exemple de mouvement de recomposition du bras (photographies : David Vernier) Le membre peut rester « recomposé » lors de la suspension et de l’expiration. Se crée une opposition entre les muscles qui se sont progressivement tendus et celui du diaphragme qui, d’abord contracté (sur l’inspiration), se relâche (c’est la remontée du diaphragme se détendant progressivement qui entraîne l’expiration - cf. Kapit, & Elson 1997 : planche 97). Nous avons alors à la fois, au niveau musculaire, un processus de tension (ou d’énergétisation) pour les muscles du bras, et un processus de détente progressive du diaphragme. Ces processus musculaires opposés et complémentaires peuvent donner au mouvement du bras une qualité « d’abandon de la volonté », de détente dans le mouvement ou, pour reprendre une expression de Delsarte, d’« union de la force à la suavité » (s.d. 6). Autrement dit, c’est un moyen concret pour acquérir une qualité gestuelle qu’il désigne comme l’idéale pour l’artiste. Enfin, la respiration est associée à ce que Ted Shawn, descendant de Delsarte dans le monde de la Modern Dance, appelle la « loi de l’extension ». L’inspiration se terminant par un temps de suspension selon les observations de Delsarte, c’est le temps durant lequel l’énergie du geste peut alors se déployer dans l’espace, ce qui peut se prolonger sur l’expiration et la suspension qui la suit. Shawn, pour illustrer la loi de l’extension, donne l’exemple du lancer d’un objet : quand le mouvement s’est physiquement arrêté, il se prolonge en quelque sorte dans l’espace sur l’apnée, c’est-à-dire, pour reprendre l’analyse de Delsarte, sur le temps de la suspension, qui peut être alors volontairement prolongée. La respiration est alors support de cette extension du mouvement. Conclusion : le choix d’une qualité esthétique, la « voie du cœur » La rééducation vocale de Delsarte s’est faite dans le prolongement de ses recherches et de ses découvertes sur le geste, et sur les liens de celui-ci avec la voix parlée. Si par ses expériences et ses observations il est arrivé à une approche systémique des réalités vocale, respiratoire et gestuelle en se basant sur l’anatomie et la physiologie, il ajoute une dimension purement expressive : le choix d’une esthétique, qu’il associe une découverte dénommée la « loi des proportions vocales » (Porte, 1992 : 76). Selon cette loi, il y a un lien entre nuances vocales et état intérieur, émotionnel, qui pourrait être ramené à deux réalités : le sentiment - qui Voix, corps, respiration chez Delsarte 263 renvoie au cœur, à l’amour -, et la passion, « qui pousse avec impétuosité vers son objet » (Delsarte s.d. 6) et qu’il a observé par exemple chez les enfants. Il constate que la voix s’adoucit en montant et se renforce en descendant quand elle est mue par les sentiments, alors qu’elle fait l’inverse avec la passion. Dans l’enseignement qu’on lui a donné, il s’agissait toujours de renforcer la voix avec le mouvement ascendant, donc d’être dans une dynamique de passion et non de sentiment. Pour sa rééducation vocale, il a choisi l’inverse : la voie des sentiments, la voie du cœur. De sa problématique de rééducation vocale, Delsarte est passé à la définition d’une esthétique du chant ou de la déclamation. Malgré la faiblesse de sa voix, l’émotion manifestée par beaucoup de ses auditeurs témoigne qu’il y avait dans ses prestations une qualité et une force tout à fait particulières (cf. Waille, 2011 : 870 & 875). Et il déplora que ses premiers élèves, cédant à la mode de la virtuosité et de ce qu’il appelait « l’ut de poitrine » (Porte, 1992 : 177), devinrent grâce à l’utilisation de sa technique à l’italienne, « les plus formidables braillards de France » (ibid.). Cela est par ailleurs en cohérence avec la réhabilitation du corps dans le travail de la voix caractéristique de sa rééducation comme de sa pédagogie. En effet, depuis le début de la modernité occidentale, il y aurait eu un mouvement vers des esthétiques vocales aboutissant « avec l’opéra du XIX e siècle à une mise à distance, un retrait […] du corps proprement dit » et se traduisant par une « quête de l’aigu » (Aslan, 2003 : 66) que Delsarte a donc dénoncée. Le fait que cette problématique esthétique soit au centre de sa démarche de rééducation indique que pour lui, la recherche d’une certaine qualité dans la voix, d’un certain type d’expressivité, est directement agissant au niveau anatomique et physiologique : il y aurait dans le travail expressif fondé sur l’écoute des réalités humaines un aspect thérapeutique. Le travail de la voix ne peut alors pas être envisagé uniquement d’un point de vue mécanique, mais toujours en lien avec l’intériorité de l’exécutant. Abréviations AN : Archives Nationales, Paris (France) DC : (« François Alexandre Nicolas Delsarte Papers, Mss. 1301, Louisiana and Lower Mississippi Valley Collections, LSU Libraries, Baton Rouge, LA. », Louisiana State University, Baton Rouge, Louisiane, États- Unis d’Amérique [= Delsarte Collection] FAP : Fonds d’Alain Porte, 10 rue de la Mousselle, 77730 Citry FSB : Fonds de Serge Bouts, 24 rue Chazelles, 75017, Paris (France) PMF : The papers of the Mackaye Family, Baker Library, Special Collections, Dartmouth College, Hanover, New Hampshire, États-Unis d’Amérique Sources manuscrites Delsarte s.d. 1 : Pour comprendre toutes les ressources de l’art (DC, box 1a, folder OS 36c/ item 11) Delsarte s.d. 2 : DC, box 1, folder 36a/ items 9-14, document 3 Delsarte s.d. 3 : L’application de l’anatomie aux démonstrations vocales (FSB, carton jaune, dossier 1, document 4) Delsarte s.d. 4 : L’art oratoire, chapitre 9 (PMF, box 141 ML5 (141), folder 30 Delsarte s.d. 5 : DC, box 1, folder 23, document 7 Delsarte s.d. 6 : « La passion » (DC, box 9-10, folder OS 36a, document 3) Delsarte 1839 : École de Delsarte, École de chant morale et scientifique. Notes et compte-rendu de ses cours, 1839 (DC, box 11b, folder sans #) Delsarte 1858a : Cours de M. Delsarte aux Sociétés savantes, 1858. Cours 1, transcription dactylographiée (seule version aujourd’ui disponible) présente dans FAP Frank Waille 264 Delsarte 1858b : Cours de M. Delsarte aux Sociétés savantes, 1858. Cours 2, version manuscrite présente dans DC (box 12 b, folder 54) Delsarte 1869 : dictée de 1869 n° 1 (DC, box 3, folder 154, document 2) Delsarte par Mackaye 1869/ 1870 : Cahier de James Steele Mackaye alors qu’il étudiait avec Delsarte n° 12 (Notebook of Mackaye while studying with Delsarte) (DC, range 35) Madeleine Delsarte s.d. : Lorsque mon père demanda maman en mariage, en deux parties : première partie (manuscrit de 48 pages sur des feuilles volantes réunies dans un dossier cartonné rouge en possession de Mme Martine Bouts, Yport (Seine-Maritime, France) ; deuxième partie dans le FSB Bibliographie Arnaud, Angélique 1882 : François del Sarte, ses découvertes en esthétique, sa science, sa méthode, précédé de détails sur sa vie, sa famille, ses relations, son caractère, Paris, Ch. Delagrave Aslan, Odette (éd.) 2003 : Le corps en jeu, Paris, CNRS Éditions Barba, Eugenio et Nicola Savarese 2008 : L’Énergie qui danse, Montpellier : L’Entretemps Berthoz, Alain 2003 : La décision, Paris, Odile Jacob Bichat, Xavier 1801-1803 : Traité d’anatomie descriptive, Paris, Brosson & Gabon, 5 volumes Delaumosne, Abbé 1874 : Pratique de L’art Oratoire de Delsarte, Paris, Albanel Gaugiran-Nanteuil, M. (paroles), Berton, M. H. (musique) 1806 : Les Maris garçons, Paris, Barba Giraudet, Alfred 1895 : Mimique. Physionomie et Gestes. Méthode pratique D’après le système de F. Del Sarte pour servir à l’Expression des Sentiments par A. Giraudet, Paris, Ancienne Maison Quantin/ Librairies-Imprimeries Réunies Gourret, Jean 1973 : La technique du chant en France depuis le XVIIe siècle, Sens, Éditions I.C.C. Sens Kapit, Wynn & Elson, Lawrence M. 1997 : L’anatomie à colorier, Québec, Edisem/ Maloine Lorelle, Yves 2003 : Le corps, les rites et la scène, Paris, Amandier Myers, Thomas W. 2001 : Anatomy Trains: Myofascial Meridians for Manual and Movement Therapists, Philadelphia (Pennsylvania), Churchill Livingstone Porte, Alain 1992 : François Delsarte, une anthologie, Paris, IPMC Pradier, Jean-Marie 2000 : La scène et la fabrique des corps. Éthnoscénologie du spectacle vivant en Occident. V e siècle avant Jésus-Christ - XVIII e siècle, Talence, Presses Universitaires de Bordeaux Randi, Elena 1996 : Il magistero perduto di Delsarte. Dalla Parigi romantica alla Modern dance, Padova, Esedra Richard, Daniel et Orsal, Didier 2007 : Neurophysiologie. Organisation et fonctionnement du système nerveux, Paris, Dunod Rigal, Robert 2002 : Motricité humaine. Fondement et applications pédagogiques. Tome 1. Neurophysiologie perceptive motrice, Sainte-Foy, Presses de l’Université du Québec Waille, Franck 2011 : Corps, arts et spiritualité chez François Delsarte (1811-1871). Des interactions dynamiques, Lille, ANRT, 2 volumes Zeichen der Bezugnahme: François Delsarte im Verhältnis zu Rachel und Frédérick Lemaître Marc Lacheny Signs of Relationship: François Delsarte, Rachel and Frédérick Lemaître This article deals with a problem, which is often considered to have already been resolved: Seemingly, Delsarte was the acting teacher of the French “Queen of Tragedy” in the 19 th century, the legendary Rachel. The question is whether Delsarte’s “relations” with Rachel weren’t overestimated in the past, or whether they had any sort of closer “relations” at all. In this context, Delsarte’s transformation (during his lifetime) appears to be a myth, which often diverges from the “real” artist, yet plays a central role. Finally, there will be a review of Delsarte’s relationship with the French actor Lemaître as a model for Delsarte’s concept of a living theatre. Zu den zahlreichen Legenden um François Delsarte gehört seine vermeintliche Tätigkeit als Schauspiellehrer der künftigen „Göttin der Tragödie“ im 19. Jahrhundert an der Comédie Française, Elisabeth Rachel Félix, genannt Rachel (1821-1858, siehe v.a. Hagenauer 1957). Rachel hat den Darstellungsstil der Tragödie an diesem Ort erneuert und überzeugte durch „natürliche“ Gestik und Rhetorik. Zur selben Zeit lehnte François Delsarte die überkommenen Theaterkonventionen ab und bemühte sich, eine neue Rhetorik auf naturwissenschaftlicher Grundlage zu schaffen. Eine Beziehung zwischen den beiden Persönlichkeiten ist daher oftmals vermutet oder behauptet worden. Der Abbé Delaumosne glaubt zum Beispiel über Delsarte zu wissen: Rachel s’inspirait de ses conseils, et il était pour elle le gardien du feu sacré. Il fut vivement sollicité d’être son interlocuteur au Théâtre-Français : malgré les plus belles offres, il refusa cet honneur par délicatesse religieuse. (Delaumosne 1874: IV). Delsarte scheint hier gewissermaßen über allem zu stehen. Er ist der „Hüter des heiligen Feuers“, der es aus religiösen Skrupeln ablehnt, mit der berühmten Schauspielerin auf der wichtigsten französischen Bühne aufzutreten. Doch gab es eine solche Beziehung überhaupt? Vor dem Versuch einer Antwort stellt sich die Frage, was man unter dem Begriff Beziehung verstehen will. Der Duden definiert ihn grob als eine - z.B. politische, gesellschaftliche, geschäftliche oder menschliche - Verbindung, die den Beteiligten Vorteile verschaffen könne (Duden 1989: 256). Handelt es sich bei Delsarte und Rachel um eine freundschaftliche, wirtschaftliche, berufliche, nur briefliche oder oberflächliche, gegenseitige oder einseitige Beziehung? Ein anderes, methodisches Problem, auf das man bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Delsarte und Rachel stößt, ist die vorwiegend mündliche Überlieferung von Delsartes Lehre und der fragmentarische Zustand des Delsarte-Nachlasses, der die Forschung vor K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Marc Lacheny 266 1 Auf der Bedeutung von Delsarte als Mythos insistiert schon Porte in seinem Aufsatz „François Delsarte (1811-1871): le théâtre et l’esprit de l’auteur“, in: Hainaux (ed.) 1993: 13-28, hier: 13 (durchgesehene und aktualisierte Neufassung in: Waille (ed.) 2011 b: 79-94, hier: 79f.). Zu Delsartes « Legende » siehe ferner Drouin-Hans: « La sémiologie du geste au service de l’acteur et du danseur: le système de François Delsarte (1811-1871) », in: Waille (ed.) 2011 b: 61-78, hier: 61f. (« François Delsarte: les échos d’une légende »). 2 Bibliothek der Comédie Française: Dossier Rachel (enthält weder genaue Angaben noch irgendeine Nummerierung). erhebliche Schwierigkeiten stellt: Zwar hat Delsarte Handschriften, Briefe und eine autobiographische Skizze hinterlassen, doch kein schriftliches Werk, das den Status einer Bilanz oder „Summe“ seiner Forschungen hätte. Spuren einer Beziehung zwischen den beiden Künstlern fehlen fast vollständig: In Rachels Briefwechsel und hinterlassenen Texten wird der Name Delsarte nicht einmal erwähnt; bei Delsarte sind die Anspielungen auf Rachel nicht viel zahlreicher. Meine Arbeitshypothese wird oft als Selbstverständlichkeit betrachtet: Delsarte war der Lehrer Rachels, ihre Beziehung also eine Art „Lehrer-Schüler-Verhältnis“. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Delsarte schon zu Lebzeiten ein Mythos 1 war, der von seinen Nachfolgern und Bewunderern perpetuiert und verstärkt wurde. Es fragt sich, ob nicht auch die Beziehung zwischen Delsarte und Rachel zum „Delsarte-Mythos“ gehört. 1 Delsarte als Rachels Schauspiellehrer - Mutmaßung und Wahrscheinlichkeit Zuerst muss daran erinnert werden, dass Rachel im Théâtre Français bekanntlich vor allem einen Lehrer hatte, der nicht Delsarte hieß: Es ging um den berühmten Schauspiellehrer und Meister Joseph-Isidore Samson (1793-1871). Dieser erkannte bereits recht früh Rachels schauspielerisches Potenzial, kümmerte sich dann persönlich um sie, zögerte auch nicht, sich für ihr Talent einzusetzen und brachte ihr im Bereich der Schauspielkunst all sein Können und Wissen bei. Davon zeugt ausführlich der nicht immer friedliche, allerdings stets spannend zu verfolgende Briefwechsel zwischen dem Lehrer und seiner Schülerin (Mémoires de Samson de la Comédie-Française 1882: 304f.; Rachel und Samson 1898). In diesem Kontext, und insbesondere dank Samsons gewichtiger Unterstützung, avancierte Rachel an der Comédie Française rasch zu einer Art Verkörperung der tragischen Muse, zur Tragödin schlechthin, indem sie von nun an auf dieser traditionsreichen Bühne alle bedeutenden tragischen Rollen des klassischen Repertoires spielte, wie etwa Hermione, Andromache, Roxane, Esther, Chimène, Judith, Bérénice, Elektra, Athalie oder Phèdre, ihre berühmteste Rolle, die sie im Pantheon der französischen Schauspielkunst 1843 eindrücklich zur Darstellung brachte. Abgesehen von der Ausbildung Rachels, in der Delsarte allem Anschein nach gar keine Rolle spielte, bestätigt ein kurzer, aber vielsagender unveröffentlichter Briefwechsel 2 die zumindest unsichere Hypothese einer Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen Delsarte und Rachel - wobei der Briefwechsel zugleich auch die Dauerhaftigkeit der Legende einer solchen Beziehung bezeugt. Der (leider undatierte) Brief einer gewissen Marie Fournier an den Direktor oder Konservator der Bibliothek der Comédie Française hat folgenden Wortlaut: Zeichen der Bezugnahme 267 3 Monsieur, Depuis longtemps en quête d’une technique solide du métier de comédienne, j’ai pioché un peu dans tous les cours ce que j’ai bien voulu y prendre. Mais la « révélation » s’est faite lorsque je suis partie à Boston, où j’ai rencontré un merveilleux acteur et metteur en scène chevronné, mon actuel professeur, M. Niels Miller, qui m’a fait découvrir - chose étrange - le professeur de Rachel (et de Steve [sic ! ] MacKaye), François Delsarte, né à Solesmes, mort en 1871. Celui-ci semble avoir été oublié en France, tandis qu’en Amérique, par Frances Robinson-Duff qui a enseigné la technique de Delsarte à Catherine Hepburn elle-même (et à M. Niels Miller), son influence a été décisive dans tous les domaines artistiques (Helen Hayes fut élève de Frances Robinson- Duff ; toute la chorégraphie moderne repose sur les théories de Delsarte). M. Niels Miller prépare un livre sur François Delsarte. En tant que collaboratrice, je souhaiterais vous demander quelque petite faveur : comme la technique de Delsarte est basée sur son observation approfondie de l’art (grec en particulier) et sur le jeu des Comédiens français, jeu nourri de tout un passé glorieux et d’une tradition sûre, j’ai pensé qu’il serait en votre pouvoir de m’aider dans mes recherches et de m’envoyer tous les documents sur François Delsarte, qui prouveraient son existence, sa valeur et son influence en France. […] Merci infiniment, avec tous mes respects. Marie FOURNIER [N.B.: Alle Übersetzungen stammen vom Verfasser.] Monsieur, Es ist schon lange her, dass ich im Bereich der Schauspielkunst auf der Suche nach einer zuverlässigen Technik bin, und so griff ich in allen Kursen ein wenig das heraus, was ich wollte. Aber die „Offenbarung“ fand statt, als ich nach Boston zog, wo ich einen wunderbaren Schauspieler und routinierten Regisseur kennenlernte, meinen jetzigen Lehrer, Herrn Niels Miller, der mich - merkwürdiger Zufall - auf François Delsarte, Rachels (und Steve [sic! ] MacKayes) Lehrer, aufmerksam machte; dieser wurde in Solesmes geboren und starb 1871. Dieser scheint in Frankreich in Vergessenheit geraten zu sein, während sein Einfluss in Amerika, dank Frances Robinson-Duff, die Catherine Hepburn selber (und Herrn Niels Miller) Delsartes Technik beibrachte, in allen künstlerischen Bereichen entscheidend war (Helen Hayes war die Schülerin von Frances Robinson-Duff; die ganze moderne Tanzkunst beruht auf Delsartes Theorien). Herr Niels Miller arbeitet an einem Buch über François Delsarte. Als Mitarbeiterin möchte ich Sie um einen kleinen Gefallen bitten: da Delsartes Technik auf seiner genauen Untersuchung der (insbesondere griechischen) Kunst und dem Spiel der Comédiens Français beruht, das sich von einer glorreichen Vergangenheit und einer sicheren Tradition nährt, habe ich mir gedacht, dass Sie mir wohl bei meinen Recherchen helfen und mir alle Dokumente über François Delsarte schicken könnten, die seine Existenz, seinen Stellenwert und seinen Einfluss in Frankreich beweisen würden. […] Vielen Dank, hochachtungsvoll, Marie FOURNIER 3 Abgesehen von den Bemerkungen zu Delsartes künstlerischer Wirkung in Amerika, die im Gegensatz zur scheinbaren Einflusslosigkeit in seinem eigenen Land Frankreich steht, wird hier als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Delsarte Rachels Lehrer gewesen sei. Auf Marie Fourniers Schreiben gab Noëlle Guibert, die damalige Konservatorin der Bibliothek der Comédie Française, am 22. Mai 1985 aber folgende Antwort, die Fourniers Ausführungen zum großen Teil widerspricht: Marc Lacheny 268 4 Mademoiselle, Je vous réponds très tardivement car je n’avais jusqu’à présent que peu d’information sur Delsarte. Il n’a jamais été le professeur de Rachel, qui a été uniquement l’élève du Comédien Français Samson. Delsarte était un artiste lyrique qui a bien connu Rachel et aurait sans doute beaucoup souhaité avoir l’occasion de jouer avec elle. Il était également le beau-frère du peintre Amaury Duval, qui a fait l’un des portraits de Rachel. Veuillez croire, Mademoiselle, à l’expression de ma considération distinguée. Noëlle Guibert, Conservateur 5 Ebd.: 224: « Il semble peu vraisemblable que Rachel ait jamais étudié avec Delsarte. » (Anm. der Übersetzerin) 6 On a parfois colporté, par ce trait qu’on ne prête qu’aux riches, que Rachel, l’incarnation vivante et légendaire de la tragédie (Phèdre, de Racine, fut sa gloire absolue), avait suivi les leçons de Delsarte. Nous n’avons jamais trouvé trace d’une relation professionnelle entre les deux artistes. […] En tout cas, Rachel était perçue comme une novatrice au sein d’une tradition. […] Son instinct au service des « classiques » pouvait toucher Delsarte. Liebe Frau Fournier, Ich antworte Ihnen recht spät, weil ich bisher nur wenige Informationen über Delsarte hatte. Er war nie der Lehrer Rachels, die nur die Schülerin des Comédien Français Samson war. Delsarte war ein Opernsänger, der Rachel gut kannte und mit ihr wohl sehr gerne hätte spielen wollen. Er war auch der Schwager des Malers Amaury Duval, der Rachel einmal porträtiert hat. Hochachtungsvoll, Noëlle Guibert, Konservatorin 4 Hier wird also die These von Delsarte als Lehrer Rachels nachdrücklich verworfen und die These einer Bekanntschaft, geschweige denn einer Freundschaft weder widerlegt noch bestätigt. Wenn Ted Shawn auch auf Nachrufe hinweist, in denen die zahlreichen Berühmtheiten zitiert werden, welche zu Delsartes Schülern gezählt hätten - Rachel, William MacReady, Henriette Sontag, Monsabre, Georges Bizet (der Komponist der Oper Carmen und Neffe von Delsarte) oder der Abbé von Notre-Dame (Shawn 2005: 54) -, so schließt sich die Übersetzerin der Ansicht der Konservatorin der Bibliothek der Comédie Française an: „Es scheint wenig wahrscheinlich, dass Rachel je bei Delsarte studiert hat.“ 5 2 Delsarte und Rachel: Mosaiksteine einer bruchstückhaften Beziehung Es fragt sich, ob diese ebenso oft heraufbeschworene wie geleugnete Beziehung zwischen Delsarte und Rachel nur auf einer nachträglichen Erfindung (oder Rekonstruktion) beruht oder doch ein Körnchen Wahrheit enthält. In seinem Buch François Delsarte : une anthologie bemerkt Alain Porte : Es ist manchmal das Gerücht umgegangen […], dass Rachel, die lebendige und legendäre Verkörperung der Tragödie (Phèdre, von Racine, verlieh ihr den höchsten Ruhm), Delsartes Kurse besucht habe. Nie haben wir Spuren einer beruflichen Beziehung zwischen beiden Künstlern gefunden. […] Wie dem auch sei, Rachel wurde als Erneuerin innerhalb einer Tradition wahrgenommen. […] Ihr Instinkt im Dienste der „Klassiker“ mag Delsarte gerührt haben. (Porte 1992: 31) 6 Zeichen der Bezugnahme 269 7 Das Dokument, das mir freundlicherweise von Herrn Michel Chazottes zur Verfügung gestellt wurde, hat folgenden Wortlaut (die Interpunktion wurde hier sorgfältig beibehalten): Chère Madame, J’ai reçu, hier seulement, une carte de vous, où j’apprends que vous étiez visible pour moi le jeudi 11 mars (Hervorh. im Original) ! . Je n’ai donc pas pu répondre à cette bonne invitation. Cette carte, qui m’était adressée rue de Verneuil, où je n’ai jamais demeuré, a fait, avant de me parvenir, tous les quartiers de Paris. Or, voici mon adresse : rue de Chaillot 36 (Hervorh. im Original). Je regrette d’autant plus de n’avoir pas eu l’honneur de vous voir que j’avais une faveur insigne à solliciter auprès de vous. Mais vous me permettrez sans doute de vous adresser ici ma demande. Voici, sans plus de préambule, ce dont il s’agit : Je donne un concert à la salle Hertz dans la semaine de Pâques ; à propos de ce concert, je disais à Madame Guyot des Fontaines, qui veut bien s’occuper tout particulièrement du placement de mes billets : ah si je pouvais avoir le concours de Mme Rachel ! … Pourquoi ne le lui demanderiez-vous pas ? me dit-elle, personne n’est plus Die Erneuerung der Schauspielkunst aus dem Geist des Klassizismus war Delsarte ebenso wie Rachel ein Anliegen, und aufgrund dieser Parallele mag die Nachwelt eine Verbindung konstruiert haben, die nicht den Tatsachen entspricht. Allerdings gibt es einen - abermals undatierten - Brief, der in der Bibliothek des Calvet-Museums in Avignon aufbewahrt ist und von einem konkreten Austausch zwischen Delsarte und Rachel zeugt: Liebe Madame Rachel, Erst gestern erhielt ich von Ihnen eine Postkarte, in der ich erfahre, dass Sie für mich am Donnerstag, den 11. März, zu sprechen gewesen seien! . Ich habe also auf Ihre liebe Einladung nicht eingehen können. Jene Postkarte, die mir in die Rue de Verneuil geschickt wurde, wo ich aber nie wohnte, ging durch alle Pariser Viertel, bevor sie bei mir ankam. Nun lautet meine Adresse aber: 36 Rue de Chaillot. Ich bedauere es umso mehr, dass ich nicht die Ehre hatte, Sie zu sehen, da ich Sie um eine ganz besondere Gunst bitten wollte. Aber Sie werden wohl gestatten, dass ich mich bei Ihnen jetzt mit dieser Bitte an Sie wende. Kurzum: es geht um Folgendes: Ich gebe ein Konzert im Hertzsaal in der Osterwoche; was dieses Konzert angeht, so sagte ich Madame Guyot des Fontaines, die bereit ist, sich ganz besonders um die Platzierung meiner Gäste zu kümmern: Ach, könnte ich nur Mme Rachels Mitwirkung genießen! Warum sollten Sie sie nicht danach fragen? , sagte sie mir. Niemand ist gefälliger als sie… Das weiß ich genau, aber einen solchen Vorstoß würde ich nie wagen… Da täuschen Sie sich - Ich zögerte lange, und nun bin ich heute, kühner, aber da, um Sie um jene Gunst zu bitten, auf die ich - sowohl als Künstler als auch als Familienvater - den größten Wert legen würde. Wenn Sie diese Bitte positiv annähmen, so würde es nämlich für den ersten eine sehr große Ehre, und für den zweiten eine echte Wohltat bedeuten. Wenn dieser Vorstoß Ihnen allerdings aufdringlich vorkommt, so flehe ich Sie an, ihn als null und nichtig zu betrachten und zu glauben, dass ich Ihr sehr demütiger und sehr gehorsamer Diener François Delsarte bleibe 36 Rue de Chaillot. 7 Marc Lacheny 270 obligeant qu’elle… Je le sais bien, mais je n’oserais pas faire cette démarche… Vous avez tort - J’ai longtemps hésité et voilà cependant que, plus enhardi, je viens aujourd’hui vous demander cette grâce, à laquelle je ne puis vous dire tout le prix que j’attacherais, et comme artiste, et comme père de famille. Un bon accueil fait à cette demande serait, en effet, pour le premier, un honneur très grand, et pour le second, un véritable bienfait. Cependant, si cette démarche vous paraît indiscrète, je vous conjure de la considérer comme non avenue et de croire que je n’en serai pas moins votre très humble et très obéissant serviteur François Delsarte Rue de Chaillot 36 (Hervorh. im Original). Zeichen der Bezugnahme 271 Marc Lacheny 272 Delsartes Brief an Rachel erlaubt ein paar interessante Schlüsse: Aus ihm geht ein so ehrerbietiger und unterwürfiger Ton hervor, dass es schwer fällt, sich nur entfernt eine enge, etwa freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden Künstlern vorzustellen: Der Brief zeigt auf jeden Fall, dass Delsarte Rachels Kunst hochschätzte und nicht ebenso verurteilte wie die in seinen Augen überlebten (noch gewissermaßen „barocken“) Traditionen des Théâtre Français. Nicht zuletzt spricht Delsarte als „Familienvater“, der sich eine „Wohltat“ erhofft, ganz offen seine Hoffnung auf erhöhte Einnahmen aus, die seiner Familie zugute kommen sollen. Mit dem Wagnis einer solchen Bitte setzt er immerhin voraus, dass Rachel ihm und seiner Arbeit wohlgesonnen ist. Falls jemals eine Beziehung zwischen Delsarte und Rachel bestanden hat, so muss sie sich auf rein berufliche Fragen beschränkt haben. Der verwendete Ton zeigt in aller Deutlichkeit, dass Delsarte wohl niemals Rachels Lehrer gewesen sein konnte. Hier richtet sich nicht ein Lehrer an seine ehemalige Schülerin, sondern es äußert sich ein Künstler, der sich von einem anderen, Mächtigeren auf dem Gebiet des Theaters und der Kunst eine Gunst erhofft. Durch seinen demütigen und respektvollen Ton präsentiert sich Delsarte als der Unterlegene in seiner Beziehung zu Rachel, die ein Star war im Unterschied zu ihm als einem - wenn auch einflussreichen - „Außenseiter“ (Porte 1992: 156). Aus dem Brief geht ebenfalls hervor, dass noch ein großer Abstand zwischen „hoher“ und „niederer“ Theaterkunst existierte, der sich erst eine Generation später einebnen sollte, und sich Delsarte mindestens rhetorisch zur letzteren rechnete. Rachels erhoffter Gastauftritt kam nicht zustande. Im Gegensatz zu Delaumosnes eingangs zitierter Darstellung war es Rachel, die auf einen Auftritt an Delsartes Seite verzichtete. Dass sich, abgesehen von diesem Brief, kaum eine Spur eines Kontakts zwischen Delsarte und Rachel findet, bedeutet natürlich nicht, dass kein solcher existiert hat. Ein Nachweis steht allerdings aus. 3 Delsartes Verhältnis zu Lemaître: ein Vorbild? Im Anschluss an diese nur teilweise erfolgreiche Spurensuche nach einer Beziehung zwischen Delsarte und Rachel sei die Frage gestellt, ob Delsarte trotz alledem ein enges Verhältnis zum französischen Theater seiner Zeit hatte. Betrachtet man die Werke, Briefe, Handschriften und Erinnerungen oder Memoiren der zu seiner Zeit berühmtesten französischen Schauspieler der Comédie Française näher (Jean-Baptiste Bressant, Constant Coquelin, Louis Delaunay, Frédéric Febvre, Edmond Got, Mounet-Sully oder Samson), fällt der Name Delsarte kein einziges Mal, als wäre er ihnen so gut wie fremd gewesen. Hingegen liefert die Untersuchung von Delsartes unsystematischen, aber höchst farbigen Ausführungen zur Schauspielkunst interessante Einblicke. Delsartes von Alain Porte an anderer Stelle untersuchtes Interesse für das Theater seiner Zeit (Porte 1993) klingt in seinen verstreuten Betrachtungen zur Schauspielkunst mehrmals an. Aufschlussreich ist hier, dass die Schüler, die Delsartes Gesangs- und Deklamationskurse besuchten, vor allem diejenigen waren, die die offizielle Institution des 1784 unter dem Namen École royale de chant et de déclamation gegründeten Conservatoire als unbefriedigend betrachtet und folglich abgelehnt hatten. In Delsartes Reflexionen zum Theater und zur Schauspielkunst befinden sich wichtige Bemerkungen über die Grenzen der Stimme und der artikulierten Sprache, und vor allem über die Gestik als deren - in Delsartes Augen - notwendige Ergänzung. Stimme, Sprache und Gestik sowie Musik, Redekunst und Körper bilden für Delsarte ein unzertrennliches Ganzes, und sie erscheinen als das einzige Mittel, das die Verbindung von einem Gefühl mit dessen Zeichen der Bezugnahme 273 8 « A chaque représentation, Frédérick Lemaître donnait libre cours à sa fantaisie, improvisait de nouvelles farces, combinait de nouveaux effets. » physischem Ausdruck ermöglichen könnte (in diesem Punkt spricht Delsarte von einer Synthese oder Symbiose von Ästhetik und Semeiotik). Ein Manuskript von Delsarte mit dem - für sein bewegliches Denken so typischen - Titel Préliminaires de l’histoire de mes découvertes (Prolegomena zur Geschichte meiner Entdekkungen) ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. In diesem wichtigen Text unterscheidet Delsarte z.B. zwischen der „Schreibkunst“ („l’art d’écrire“) des Autors und der „Sprechkunst“ („l’art de dire“) des Schauspielers. Im Gegensatz zu seinen ehemaligen Schauspiellehrern aus dem Conservatoire - wie zu der von der Comédie Française (etwa Samson) gepflegten Tradition - plädiert Delsarte nicht für eine einzige maßgebliche Art, La Fontaines Texte vorzutragen, sondern für „hunderttausend unterschiedliche Arten und Weisen“ („cent mille manières différentes“), La Fontaine wieder lebendig zu machen (Porte 1992: 204). In diesem Kontext hebt Delsarte deutlich das „Talent“ des Schauspielers hervor und nennt als Beispiel den Namen des französischen Schauspielers Frédéric Antoine-Louis- Prosper, genannt Frédérick Lemaître (1800-1876, Porte 1992: 204f.). Ähnlich wie Delsarte studierte Lemaître zunächst am Conservatoire und war darauf an den Pariser Boulevardtheatern tätig. Er wurde schnell zum Star des Boulevard du Crime, darauf zu einem renommierten Darsteller des romantischen Dramas und erhielt als Ehrenzeichen den Spitznamen „Talma der Boulevards“ als Hommage an seinen prominenten Vorläufer François Joseph Talma (1763-1826). Mit Marie Dorval bildete er ein überaus beliebtes Paar auf der Bühne, das lange Zeit seinesgleichen suchte. Zu den Hauptmerkmalen von Lemaîtres Darstellungskunst gehörten große Kreativität und Anpassungsfähigkeit sowie Übermaß und Übertreibung im Spiel, die zu einer wesentlichen Dimension seiner Ästhetik wurden. Wie es Gérard Gengembre ausdrückt, „ließ Frédérick Lemaître bei jeder Vorstellung seiner Kreativität freien Lauf, improvisierte neue Farcen, kombinierte neue Wirkungen.“ (Gengembre 1999: 67) 8 Trotz alledem ist es Victor Hugo, der in Lemaître einen genialen Schauspieler sah, nicht gelungen, ihm Zugang zur Comédie Française zu verschaffen. Was Delsarte an Lemaître besonders schätzte, war zweifellos die Originalität im Spiel und die Tatsache, dass Lemaître sich nicht scheute, individuell, d.h. im krassen Gegensatz zur überlieferten Vortragsweise, zu spielen. Der Ausruf, mit dem Eugène Sues Stück Les Mystères de Paris (1844) endet („Weg! Kein Gold mehr! Blind! Oh Gott! ! “: « Partie ! Plus d’or ! Aveugle ! Oh Dieu ! ! »), in der herkömmlichen Deutung eine Gotteslästerung, wird von Lemaître im Gegenteil als Danksagung, ja sogar als Erlösung gedeutet und gespielt. Hier konstatiert Delsarte einen deutlichen Kontrast zwischen dem kreativen Talent des Schauspielers Lemaître und traditionellen Vorgaben, mögen sie auch der Intention des Autors entsprechen. Dem von Lemaître in die Schauspielkunst eingeführten Paradigmenwechsel stimmte er ausdrücklich zu: Marc Lacheny 274 9 Ainsi, MM., Frédérick n’était pas là dans l’esprit de l’auteur, mais je doute très fort que cet auteur fût tenté de s’en plaindre. Donc, voilà comment le génie sait, en matière d’expression, se passer de ces traditions vaines et presque toujours erronées, et voilà comment il sait honorer l’auteur dont il se fait l’interprète. Dût-il, en traduisant son œuvre, n’être pas d’accord avec l’esprit qui l’a dictée, il saura du moins lui attribuer toujours un sens juste et hautement avouable. 10 D’après ce que j’ai établi, Messieurs, il est aisé de comprendre que ce qu’on appelle tradition en matière d’art n’est, et ne peut être, qu’une routine déguisée. Disons le mot: c’est l’ornière où ceux qui prétendent enseigner l’art poussent invariablement leurs élèves. […] Certes il y a loin de là à ce qu’il faudrait apprendre aux jeunes gens qui se destinent à l’art: il faudrait leur apprendre à se passer de maîtres. 11 Ubersfeld: Frédérick Lemaître, in: Corvin (ed.) 2008: 820: « Son talent est un composé de naturel et de grandeur; essentiellement inventif, il renouvelle les rôles […] en créant perpétuellement intonations et gestes inattendus. » So war, liebe Herren, Frédérick nicht im Geist des Autors präsent, aber ich zweifle sehr daran, dass dieser Autor versucht gewesen wäre, darüber zu klagen. Dies ist also ein Beispiel dafür, wie das Genie im Bereich des Ausdrucks auf diese vergeblichen und fast immer irrigen Traditionen verzichten kann, und auch dafür, wie es den Autor zu ehren weiß, dessen Rollen er verkörpert. Auch wenn er bei der Darstellung dieses Werkes nicht mit dem Geist einverstanden ist, der es vorschrieb, wird er ihm doch eine richtige und ehrbare Bedeutung zu verleihen wissen. (Porte 1992: 206) 9 Und etwas weiter äußert sich Delsarte noch direkter, sodass man sich an Gustav Mahlers angebliches Diktum „Tradition ist Schlamperei“ erinnert fühlt - und damit an eine Problematik, die in allen Künsten um die Wende zum 20. Jahrhundert aktuell wird, in jener Zeit also, als Delsarte zum berühmten Vorbild aufgestiegen ist: Nach dem, was ich, liebe Herren, feststellte, ist leicht zu verstehen, dass das, was man im Bereich der Kunst Tradition nennt, nur eine versteckte Routine ist und sein kann. Nennen wir das Wort: Es ist die Sackgasse, in die jene, die angeblich Kunst lehren, ständig ihre Schüler führen. […] Dabei ist man weit von dem entfernt, was den jungen Leuten beigebracht werden sollte, die die Schauspielkunst wählen: Man sollte sie lehren, wie man auf seine Meister verzichten kann. (Porte 1992: 212) 10 In solchen Bemerkungen über Lemaîtres Schauspielkunst, die bald zu einer gezielten Kritik an Tradition als bemäntelter Routine werden und den Akzent auf die Kreativität des Schauspielers legen, äußert sich außerdem ein lebhaftes Interesse für eine Darstellung, die gewissermaßen „vornaturalistisch“ wirkt und die Schöpfungskraft des Einzelnen sowie die Authentizität des Spiels als Ausdruck eines inneren kreativen Potenzials in den Vordergrund rückt - eben das, was Delsarte „angewandte Ästhetik“ nannte. Hier äußert sich unverhüllt Delsartes Streben nach einem Aufbruch der Bühnenkünste aus überlebten Traditionen, das erst zwei Generationen später zur Geltung kam. Auch Anne Ubersfelds Beschreibung von Lemaîtres Kunst entspricht exakt dieser Wahrnehmung: „Sein Talent ist eine Mischung von Natürlichkeit und Größe; als erfindungsreicher Darsteller erneuert er die Rollen […], indem er immer wieder unerwartete Töne und Bewegungen ins Leben ruft.“ 11 Eine solche Auffassung der Schauspielkunst als Ausdruck der Kreativität, der Natürlichkeit, der Spontaneität bzw. der elementaren Körperlichkeit, die Delsartes Orientierung am natürlichen Verhalten bei der Ausbildung von Schauspielern entspricht, steht in krassem Gegensatz zum Einstudieren Zeichen der Bezugnahme 275 von - in Delsartes Augen künstlichen und lebensfremden, weil oberflächlich erlernten - Techniken. Auch über Rachel wurde oft gesagt, sie habe als Tragödin auf der Bühne nie gespielt, sondern sei sie selbst gewesen. Von vornherein nicht auszuschließen ist, dass die Comédie Française (und damit Rachel) von der Schauspielkunst der Boulevard-Darsteller wie Lemaître beeinflusst wurde, sich anglich, ohne dies zuzugeben - dies wohl einfach aus kommerziellen Gründen, um im Wettbewerb mit den Boulevardtheatern nicht zu viele Zuschauer zu verlieren. 4 Schlussbemerkung: Reiz und Grenzen des Mythos Phantasmen und Legenden, durch die vorwiegend mündliche Überlieferung von Delsartes Lehre verstärkt, haben natürlich ihren Reiz. Sie verklären eine historische Figur ins Mythische, verleihen ihr dabei posthume Berühmtheit, um die Nachfolger zu legitimieren, selbst ihre erheblich abweichenden Lehrmeinungen, wie es mit dem Namen Delsarte zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschehen ist, als er zum Zauberwort für eine Zeit des Aufbruchs geworden war. Zugleich führen sie dazu, die Konturen der historischen Person zu verwischen und durch idealisierte Züge zu ersetzen, ihr sogar erfundene Beziehungen oder Freundschaften anzudichten. Bereits unter diesen Umständen - schon zu Lebzeiten - entstand die Legende von Delsarte als Lehrer Rachels. Insgesamt wirken Delsartes Beziehungen zum Theaterwesen und zu den berühmtesten französischen Schauspielern seiner Zeit ambivalent. Zum einen war er ein prägendes Vorbild für manche, die eine Darstellungskunst mit neuen Facetten (Verbindung von Gesang, Sprech- und Bewegungskunst) anstrebten, zum anderen blieb er ein Außenseiter, am Rande des „dominierenden“ Theatergeschehens seiner Zeit. Integriert und ausgeschlossen zugleich, als einmalige Synthese von Gesang, Schauspiel und Körper, erscheint uns Delsartes Lehre noch heute; ein Künstler mit vielen Gesichtern, von denen längst nicht alle entdeckt sind. Literatur Arnaud, Angélique 1859: Delsarte, ses cours, sa méthode, Paris: Dentu - 1882: François del Sarte, ses découvertes en esthétique, sa science, sa méthode, Paris: Librairie Charles Delagrave Artioli, Umberto 1993: « Contro l’arbitrio del significante: Delsarte e l’estetica dell’espressione », in: Il castello di Elsinore 17 (1993): 45-69 Besin, Suzanne 2011: « A la découverte de François Chéri Delsarte, ou l’injustice de l’oubli », in: Waille (ed.) 2011 b: 19-44 Corvin, Michel (ed.) 2008: Dictionnaire encyclopédique du théâtre à travers le monde, Paris: Bordas / SEJER Delaumosne, Abbé 1874: Pratique de l’art oratoire de Delsarte, Paris: Joseph Albanel Drouin-Hans, Anne-Marie 2011: « La sémiologie du geste au service de l’acteur et du danseur : le système de François Delsarte (1811-1871) », in: Waille (ed) 2011 b: 61-78 Gengembre, Gérard 1999: Le théâtre français au 19e siècle (1789-1900), Paris: Armand Colin Giraudet, Alfred 1895: Mimique, physionomie et gestes. Méthode pratique d’après le système de François Del Sarte pour servir à l’expression des sentiments, Paris: Librairies-Imprimeries réunies, ancienne maison Quentin Hagenauer, Paul 1957: Rachel, princesse de théâtre et cœur passionné, Paris: Navarre Jomaron, Jacqueline de (ed.) 1988: Le théâtre en France, Paris: Armand Colin Mémoires de Samson de la Comédie-Française 1882, Paris: Ollendorff Marc Lacheny 276 Porte, Alain 1992: François Delsarte: une anthologie, La Villette, Paris: IPMC - 1993: « François Delsarte (1811-1871): le théâtre et l’esprit de l’auteur », in: René Hainaux (ed.) 1993: Les fondements du mouvement scénique, La Rochelle, Saintes: Editions Rumeur des Ages, Maison de Polichinelle: 13-28 Rachel und Samson 1898: Souvenirs de théâtre, Paris: Ollendorff Randi, Elena (ed.) 1993: François Delsarte: le leggi del teatro. Il pensiero scenico del precursore della danza moderna, Rom: Bulzoni - 1996: Il magistero perduto di Delsarte. Dalla Parigi romantica alla modern dance, Padua: Esedra - 2011: « François Delsarte: la question herméneutique et l’art du comédien », in: Waille (ed.): 2011 b: 95-127 Shawn, Ted 1975: Every Little Movement: A Book About François Delsarte, Princeton: Dance Horizons / 2005: Chaque petit mouvement. A propos de François Delsarte, aus dem Amerikanischen von Annie Suquet, Vorwort von Nancy Lee Ruyter, Brüssel: Editions Complexe et Centre national de la danse Viala, Alain 2005: Histoire du théâtre, Paris: PUF - (ed.) 2009: Le théâtre en France, Paris: PUF Waille, Franck 2011 a: Corps, art et spiritualité chez François Delsarte (1811-1871). Des interactions dynamiques, Lille: ANRT (3 Bände) - (ed) 2011 b: Trois décennies de recherche européenne sur François Delsarte, Paris: L’Harmattan Wiss. Rat u.d. Mitarb. d. Dudenred. unter Leitung von Günther Drosdowski 1989: Duden Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag Von den ‚brute facts‘ zum Reflex Die Trichotomien von François Delsarte und Charles Peirce Mathias Spohr From ‘brute facts’ to the reflex. The Trichotomies of François Delsarte and Charles Peirce. This contribution compares Peirce’s categories of firstness, secondness, and thirdness with the Delsartian notions of vie, âme, and esprit, a comparison Peirce made himself in his article Trichotomic (1888). Major differences between these systems can be observed in the conceptions of firstness and secondness with respect to the authors’ notions of freedom and art. Classical conditioning and behaviourism are considered the end of the Delsartian method. Though, Delsarte’s idea of ‘good’ body signs versus the traditional semiotics of ‘bad’ signs such as desease symptoms or crime evidence had a widespread influence on ‘identity’ movements like for example gymnastics in the early feminism or the german Lebensreform. Das System der Körperzeichen von François Delsarte hat vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1920er-Jahre eine ungewöhnlich breite Wirkung entfaltet. Um die Gründe dafür besser zu verstehen und möglicherweise das verbindende Moment zwischen seinen Anwendungsbereichen zu finden, ist es hilfreich, seine Unterteilung der Körperzeichen mit der heute bekannteren Trichotomie von Charles Sanders Peirce zu vergleichen (Ikon, Index, Symbol), zu der es eine direkte Verbindung gab. Der hauptsächliche Unterschied zwischen Delsarte und Peirce liegt im Verständnis der Secondness, in der Terminologie des Letzteren. Hier offenbart sich sozusagen ein neuralgischer Punkt des Delsarte-Systems, der seinen Erfolg, aber auch seinen plötzlichen Untergang erklären könnte. Die folgenden Ausführungen versuchen, diesen Vergleich in einen historischen Zusammenhang zu stellen. 1 Objektivierung des Körpers François Delsarte entwarf eine Ausdruckslehre „nach der Natur“, um sich von konventionellen Vorstellungen in der Rhetorik und Schauspielkunst zu lösen. Die Erfolge in der Medizin und den Ingenieurwissenschaften seiner Zeit lenkten seine Aufmerksamkeit auf eine Natur, die zunehmend als ein System objektiver und messbarer Gesetzmäßigkeiten verstanden wurde. Delsarte war durchaus nicht der einzige Künstler, der eine Brücke zur Naturwissenschaft zu schlagen versuchte. Der zwölf Jahre ältere Sänger Manuel Garcia studierte die Anatomie des Kehlkopfs, was sich in Delsartes Arbeiten über die Stimme niederschlug (Porte 1992: 170f.), und erfand dabei die Laryngoskopie. Der Schriftsteller Emile Zola zeigte sich fasziniert von der experimentellen Physiologie des Mediziners Claude Bernard und versuchte, Romane als soziale Experimente anzulegen (Zola 1880). Von Bernards Vivisektionen K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Mathias Spohr 278 abgeschreckt, wurde seine Frau Marie-Françoise zusammen mit ihren Töchtern zu Pionieren des französischen Tierschutzes (Rudacille 2000: 19). Die Überwindung des Schreckens durch kalte Beobachtung war ein Faszinosum für Wissenschaft und Kunst. Auch Delsarte besuchte Leichenhallen, um die Ausdrucksmöglichkeiten des menschlichen Körpers zu studieren, und entdeckte, dass die Daumen von Toten stets eingeknickt sind. Die Entdeckung der „séméiotique de la mort“ (Porte 1992: 66), wie er es nannte, erleichterte es der französischen Armee, auf Schlachtfeldern die Toten von den Verwundeten zu unterscheiden, wofür Delsarte die vielleicht größte offizielle Ehre seines Lebens zuteil wurde, ein Vortrag 1867 an der École de médecine (vgl. Pradier 2000: 157f.). Delsarte ging davon aus, dass jeder Emotion bestimmte körperliche Symptome auf Grund physiologischer Gesetzmäßigkeiten zugeordnet seien. Exakte Beobachtung und Reproduktion dieser Symptome (wenngleich in idealisierter Weise) machten aus seiner Sicht den großen Rhetoriker oder Schauspieler aus. Die Analyse solcher Symptome nannte Delsarte „séméiotique“, ihre Reproduktion „esthétique“. Dabei ging es ihm nicht primär um ein wissenschaftliches Gebäude, sondern um praktisch umsetzbare Anweisungen. Die Körperhaltungen teilte er nach Muskelspannungen ein: konzentrisch (den korrespondierenden Körperteilen zugewandt), normal (Mittelstellung), exzentrisch (den korrespondierenden Körperteilen abgewandt). Konzentrisch ist der verkürzte Muskel, exzentrisch der verlängerte. Analog dazu teilte Delsarte den Körper in vitale (vie), seelische (âme) und geistige (esprit) Zonen, die er mit der roten, der gelben und der blauen Farbe kennzeichnete. Die drei Teile teilten sich wiederum in je drei Varianten; dieses Prinzip nannte er „accord de neuvième“. Delsartes exzentrische, konzentrische und normale Haltungen dienten Choreographen ebenso wie Trickfilmzeichnern des 20. Jahrhunderts (siehe den Aufsatz von Bochow in diesem Band) als Inspirationsquelle für das Bewegungsvokabular ihrer Figuren. Selbst die Farbtheorien der Bauhaus-Künstler Wassily Kandinsky und Johannes Itten oder die Typenlehre des Psychologen C.G. Jung weisen Parallelen mit dem Delsarte-System auf, das im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts in aller Munde war, wenngleich sein Urheber nach dem Ersten Weltkrieg kaum mehr genannt wurde. Die Mode der Jahrhundertwende war bald abgelegt, die Methode dahinter entfaltete aber nach wie vor ihren Einfluss, in einem Prozess, den Thomas Leabhart „fertile misunderstanding“ (Leabhart 2005: 17) nennt. Noch in der Vorstellung von extravertierten und introvertierten Persönlichkeiten scheinen sich Delsartes exzentrische und konzentrische Haltungen als anscheinend unfehlbare Anzeichen innerlicher Zustände niedergeschlagen zu haben. 2 Religion und Identität Das Delsarte-System ist im 20. Jahrhundert in den Ruf des Esoterischen gekommen, was seinen Einfluss auf die wissenschaftliche Semiotik nicht gefördert hat. Für das Verständnis eines Emanzipations- und Identitätsdenkens, das sich aus religiösen Überzeugungen heraus entwickelt (vgl. Bochow 1997) und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Vielzahl von „Ismen“ geführt hat, ist die Wirkungsgeschichte seiner Lehre jedoch von besonderem Interesse. Auf Delsartes Hinwendung zur Naturwissenschaft folgte in den 1830er Jahren die Hinwendung zum Katholizismus, was seine Freunde und Schüler zum Teil befremdete (Hamel 1906: 3-4). Ohne Delsarte zu unterstellen, dass die religiöse Komponente seiner Methode ein Vorwand gewesen sei, war die von ihm gelehrte Rhetorik als Kunst der Beeinflussung im Von den ‚brute facts‘ zum Reflex 279 Paris der Revolutionen ein nicht ungefährlicher Gegenstand. Sie konnte sich rechtfertigen, wenn sie sich religiös begründen ließ und kirchliche Autoritäten sie empfahlen. Der Begründer des Positivismus Auguste Comte, der Naturwissenschaft und Religion außerhalb der bestehenden Institutionen zu verbinden versuchte, hatte lebenslang mit Repressalien zu kämpfen. Eine dezidiert konservative Haltung, wie sie Delsarte vertrat, konnte in diesem Umfeld erfolgreich sein (vgl. Spohr 2012). Derart große Vorsicht war für den Schauspieler Steele Mackaye, Delsartes Vorzugsschüler in seinen letzten Jahren, der seine Lehre in den USA verbreitete, nicht nötig. So verzichten Mackaye und seine Schüler auf die religiösen Bezüge, ohne dass der von Delsarte übernommenen Ausdruckslehre etwas Wesentliches gefehlt hätte. Das auf den ersten Blick esoterisch wirkende Lehrgebäude eignete sich für die beiden Generationen nach Delsarte auch losgelöst vom ursprünglichen weltanschaulichen Hintergrund als praktische Anleitung zu Analyse und Synthese von Muskelspannungen und ihren korrespondierenden Gemütsbewegungen, vom darstellerischen Gefühlausdruck befreit sogar als Basis für Gymnastik. Ähnlich wie Delsarte, der eine Apparatur zum Stimmen von Tasteninstrumenten namens Phonopticon erfunden hatte, die selbst von Hector Berlioz gelobt wurde (Berlioz 1862), war auch Mackaye ein technisch begabter Bastler, der nicht nur Körperhaltungen optimierte, sondern auch die Bühnentechnik um neue Apparaturen erweiterte. Der Ansatz, Problemstellungen auf das Technische zu reduzieren, überbrückt Gegensätze und hat offenbar das Einverständnis zwischen den ungleichen Persönlichkeiten Delsarte und Mackaye befördert. Gerade im US-amerikanischen Zusammenhang erfolgreich war Delsartes Überwindung der Körperfeindlichkeit. Seine Auffassung vom Körper als einer heiligen „enyclopédie du monde“ (Delsarte o.J./ 1) revoltierte gewissermaßen gegen christlich-religiöse Traditionen, indem sie sich auf sie berief. Beschäftigung mit dem Körper erschien als eine Art Gottesdienst. So konnte auch Gymnastik, die etwas Neues war und im Verdacht des Ungehörigen stand, in einem ähnlichen gesellschaftlichen Rahmen stattfinden wie die Bibelstunde, was sich die zahlreichen delsartistischen Damengesellschaften zu Nutze machten (Ruyter 1999). Im Unterschied zu einer hergebrachten Semiotik der Krankheitssymptome oder Verbrechensindizien (Eckart 1998) - Zeichen, die etwas Schlechtes bedeuten - war die von Delsarte entwickelte Semiotik grundsätzlich eine Zeichenlehre vom Guten. Dieses Glaubens- oder Überzeugungsmoment, das Delsarte mit Schauspielkunst und Rhetorik verband und von der Absicht einer Aufwertung des Körperlichen und des Visuellen getragen war, wurde in feministischen Varianten des Delsartismus ebenso wie in den Körperkultur-Bewegungen des 20. Jahrhunderts zu einem Identitäts- und Emanzipationsdenken modernisiert (Wedemeyer- Kolwe 2006): Delsarte-Anhänger wollten durch Körperbewegung nicht mehr bloß Theaterfiguren realisieren, sondern sich selbst, und forderten in dieser Identität gesellschaftliche Akzeptanz. Der Glaube an die moralische Qualität des Körperlichen, den Delsarte vertrat, entwickelte sich in der Rezeptionsgeschichte seiner Lehre zur Behauptung neuer Identitäten, die vom Körperbewusstsein ausgingen. Das Delsarte-System fiel in den Vereinigten Staaten auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil es keine sozialen Schranken kannte, die im monarchischen Europa stets noch hochgehalten wurden, sondern Ausdrucksverhalten als etwas allgemein Menschliches begriff, das auf einfache Regeln zurückgeführt werden konnte. Am objektivsten erschienen dazu die Regeln der Medizin, also physiologische Grundlagen. So wie sich Delsarte als einer der Ersten für Alte Musik einsetzte (mit Mozart habe seiner Aussage nach der Verfall des Musikalischen eingesetzt, vgl. Waille 2009: II, annexes 116), so versuchte er, der Wissenschaft ihre scholastischen Wurzeln zurückzugewinnen, von denen sie sich gerade erst emanzipiert hatte. Auf diesen wie anderen Gebieten profilierte sich Mathias Spohr 280 Delsarte parallel zu seinen Modernisierungsbestrebungen als Anwalt des Unmodernen, was jedem Konservativismus, der sich gegen ihn hätte richten können, den Wind aus den Segeln nahm. 3 Trichotomien bei Delsarte und Peirce Praktisch orientiertes Denken war auch für Charles Sanders Peirce der Ausgangspunkt seiner Philosophie. In seiner Zeichentheorie beschränkte er sich nicht auf das menschliche Ausdrucksverhalten wie Delsarte, sondern beschäftigte sich mit Rauch und Feuer oder der Beschriftung geometrischer Figuren, die er jedoch nicht, wie die Pioniere der maschinellen Zeichenverarbeitung seit Gottlob Frege, grundsätzlich von der Psychologie ihrer Wahrnehmung zu trennen versuchte, sondern im Hinblick auf die menschliche Wahrnehmung untersuchte. Mit seiner Einführung des „Interpretanten“ machte er die wahrnehmende Instanz zum Bestandteil des Zeichens. Der verwirrenden Mischung von physiologischen und psychologischen Aspekten des Verhaltens stellte er ein einfaches Ordnungsprinzip gegenüber, das er mit Beispielen aus dem täglichen Leben plausibel machte, etwa dem Erschrecken im Dunkeln oder einem beim Schlafen ausgebrochenen Brand der Bettwäsche (Peirce 1888: 281, 283). In beiden Beispielen, so sei im Hinblick auf die folgenden Ausführungen angemerkt, handelt es sich um Zeichen, die nichts Gutes verheißen. Peirce ging wie Delsarte von einer triadischen Zeichenlehre aus. Peirces Unterteilung der Zeichen in ikonische, indexikalische und symbolische gehört heute zum Schulwissen, doch weniger bekannt ist deren Herkunft vom erkenntnistheoretischen Konzept der „Firstness“, „Secondness“ und „Thirdness“, das sich als eine Art Lebensphilosophie durch sein Werk zieht. Trichotomien als methodische Konzepte sind verbreitet, und ihre leichte Fasslichkeit ist ein verbindendes Motiv, das keinen direkten Bezug erfordert: Während Delsarte ein praktisches Prinzip zur Einordnung komplexer Bewegungen und Haltungen suchte, entwickelte Peirce ein praktisches Prinzip zur Beschreibung wahrgenommener Zusammenhänge. Peirce kannte Delsartes Lehre durch die Vermittlung von dessen Schüler Steele Mackaye, der als Motor ihrer Verbreitung in den USA wirkte. Peirce und seine Partnerin Juliette waren mit den Mackayes befreundet, und Juliette nahm Unterricht bei Mackaye. Peirce interessierte sich seit seiner Jugend für Rhetorik und hatte sich einmal für eine Stelle als Rhetoriklehrer beworden (ausführlicher bei Smith Fischer 2009). In seinem Aufsatz Trichotomic (1888) bezieht sich Peirce im Weg über Mackaye auf Delsarte. Er bezieht die motivierenden Instanzen vie, âme und esprit des Delsarte-Systems auf seine eigenen drei Wahrnehmungs- Kategorien und bemerkt, dass die Konzepte ähnlich seien. Nach einer Erklärung seiner Kategorien Firstness, Secondness und Thirdness fährt er fort: Mr. Mackaye’s division of the principles of being has considerable resemblance with this. What he calls the vital or passional principle, which sustains life, seems to be nearly what I call the simple consciousness of Feeling; what he calls the affectional or impulsive principle is my dual consciousness plus Desire and minus Sense; what he calls Reflection is probably Reason with the esthetic understanding (Peirce 1888: 283f.) Delsartes âme bzw. Mackayes Vorstellung des „affectional and impulsive principle“ entspreche der Secondness, aber enthalte zusätzlich ein Moment des Begehrens (Desire). Delsarte und Mackaye sprechen ihrerseits nicht von Begehren, sondern von einem Willen, in dem sich das Gute, Wahre und Schöne manifestiert. Die vérité expressive hat für sie einen moralischen Von den ‚brute facts‘ zum Reflex 281 Nutzen (Waille 2009: 2, 474f.). Abgesehen von dieser feinen, aber wesentlichen Differenz glaubt Peirce die Delsarte-Trichotomien auf sein eigenes Prinzip der Dreiteilungen übertragen zu können: Mr. Mackaye divides dramatic expression into pantomime, voice, and language. A person would at first glance make the division into speech and gesture, and this would doubtless answer some purposes better. But with reference to the value of the different instruments at our command it is important to make a division, which shall correspond as nearly as may be with the different kinds of representation. Now language is in the main representation by the force of association; it involves the analysis of whatever is to be conveyed [on the part of the hearer as well as on the part of the author] and the separate expression of abstract points. Voice, on the other hand, awakes attention, directs it to particular channels, calls up feelings, and modifies consciousness generally, in a physiological way in the main; and is therefore a mode of expression of the second kind. Pantomime alone is mainly representation of the purely artistic kind, to be contemplated without analysis and without discrimination of the sign from the thing signified. Pantomime may itself be divided, on the same principle, into three varieties […] (Peirce 1888: 282) Mackaye unterscheide zwischen Pantomime, Stimme und Sprache, nicht zwischen Gestik und Rede. Während Pantomime der Idee ohne Realitätsbezug entspreche (Firstness), ziehe die Stimme die Aufmerksamkeit auf sich (Secondness), ohne Information zu vermitteln, und die Sprache transportiere Bedeutung im Rahmen gewohnter Regeln (Thirdness). Die künstlerische Pantomime ist nicht auf Realität angewiesen und lässt ihre Zuschauer gewissermaßen in Ruhe, gewährt ihnen die Freiheit der Wahrnehmung (was für Peirce zur postulierten Gemeinsamkeit des Betrachters mit dem Künstler gehört). Die Stimme allerdings übe einen Zwang auf ihre Hörer aus, suggeriere etwas mit ihrem Ausdruck, als würde der Akteur seinen Zuschauer anrempeln (Secondness), während ihre Worte (oder auch die sprachähnlichen Gesten der Gehörlosensprache, wie Peirce im Anschluss an den zitierten Abschnitt ausführt) im Rahmen gewohnter Regeln zu verstehen seien (Thirdness). Pantomime ist für Peirce ikonisch, weil das von ihr Wahrgenommene nur Idee und nicht Wirklichkeit sei. Von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist, dass Peirce die Nachahmung (die nach Aristoteles Aufgabe der Künste ist) beziehungsweise das Ikonische zur Firstness zählt: „The sign is a likeness; and this is the main mode of representation in all art“. (Peirce 1888: 282). Secondness dagegen ist indexikalisch, weil das solcherart Wahrgenommene einen notwendigen Bezug zu etwas Gegebenem hat, Thirdness ist symbolisch, weil sie auf Konventionen beruht. Oder nochmals anders formuliert: Firstness ist das spontan Empfundene, noch auf nichts anderes Bezogene, Secondness der notwendige, noch unreflektierte Zusammenhang der Wahrnehmung mit etwas Vorgegebenem und Thirdness die Fähigkeit zur Assoziation, die sich aus Erfahrung ergibt. Peirces Firstness, Secondness und Thirdness können auf banale Weise mit Delsartes elementaren Unterteilungen des Körpers parallel gesetzt werden, zum Beispiel mit der Dreiheit von Unterarm, Oberarm und Hand: Der Unterarm verkörpert nach Delsarte das vitale, impulsive Prinzip, zu dem (nach Peirce) kein Zweites nötig ist. Der Oberarm als zweites Glied verkörpert das Prinzip der âme (Delsarte) und reagiert zwangsläufig auf das erste (Peirce), die Hand ist ein Drittes, verkörpert den esprit (Delsarte), und ihr Gebrauch steht der Konvention und Argumentation am nächsten (Peirce). Oder in einer anderen von Delsarte vorgeschlagenen Unterteilung veranschaulicht: So wie der Unterarm am Leib befestigt ist, stehen Beine und Unterleib durch die Schwerkraft verankert auf dem Boden und bilden nach Delsarte die vitale Komponente einer Dreiheit, Firstness nach Peirce. Der Oberkörper reagiert auf dieses Fundament (Secondness) und wird von Delsarte als „see- Mathias Spohr 282 lischer“ Teil verstanden, wie es sich auch in der Redewendung vom „Herz“ in dieser Region niederschlägt, und der vermittelnde Kopf (Thirdness) ist der von Delsarte als „geistig“ wahrgenommene Teil des Ganzen. Delsartes leicht nachvollziehbare Charakterisierung der Körperteile und Muskelspannungen nach ihrem Ausdruckspotenzial bewährte sich mehrere Generationen lang als Orientierungshilfe für Praktiker. 4 Secondness und das Unmittelbare Peirce rechnet die Kunst zur Firstness, weil er sie mit Freiheit von den Zwängen des Alltags und geringer Reflexion verbindet (vgl. Leja 2000: 98). Delsarte und Mackaye rechnen ihre Kunst hingegen zu dem, was Peirce Secondness nennt, gewissermaßen als Inspiration oder Eingebung, die aus einer wirklichen Quelle stamme. Für Peirce ist die „indexikalische“ Konfrontation mit Wirklichkeit aber etwas Gewaltsames und Handfestes, das die Freiheit zerstöre, die für ihn zu Kunst gehört. […] the mind floats in an ideal world and does not ask or care whether it be real or not. This character makes a striking point of difference between this kind of representation and the second. And that is why the use of the second mode of representation is so unartistic. (Peirce 1888: 282) Dass Peirce in diesem Aufsatz mehrmals das Unkünstlerische der Secondness betont, ist eine deutliche Kritik an Delsarte/ Mackaye. Interessant ist in diesem Zusammenhang Peirces Zuordnung der Stimme zur Secondness: Voice, on the other hand, awakes attention, directs it to particular channels, calls up feelings, and modifies consciousness generally, in a physiological way in the main; and is therefore a mode of expression of the second kind. (Peirce 1888: 282) Zum Verständnis hilft hier ein weiterer Hinweis auf Delsarte: Als ausgebildeter Sänger verstand Delsarte den Klang der Stimme als textlose Musik, was sowohl für Instrumentalmusik als auch für die sprachlich unartikulierte Singstimme gilt. Textlose Musik, so eine verbreitete Auffassung im 19. Jahrhundert, appelliert direkt an das Gefühl, Sprache hingegen besteht aus Konventionen, die zu ihrem Verständnis gelernt werden müssen. Delsartes Erinnerungen an musikalische Kindheitserlebnisse wie Engelsstimmen, Kirchen- und Drehorgeln (siehe den ersten Aufsatz von Waille in diesem Band) betonen die textlose und emotionalisierende Musik. Von ihrem Ursprungsort sind Stimme und Sprache verschieden, wie Delsarte betont: Die Stimme sitze hinten im Kehlkopf, während die Sprache als Beschäftigung von Lippen und Zunge im vorderen Teil des Mundes angesiedelt sei (Delsarte o.J./ 2). Für Peirce hat die Secondness insofern etwas Zwanghaftes, als sie das Spontane der Firstness auf den Boden einer (als grob verstandenen) Realität zurückholt. Wirklichkeit macht sich unsanft bemerkbar: This is the only kind of sign which can demonstrate the reality of things, or distinguish between things exactly alike. As I am walking alone in a dark night, a man suddenly jumps out of a corner with a “Boh! ” and thus brings his presence home to me in a particularly forcible manner. (Peirce 1888: 281) Dieser Schrei ist für Peirce kein künstlerischer Akt. Erst die Thirdness gewinnt gedanklichen Abstand zur gewaltsamen Wirklichkeit. Peirce misstraut der Manipulationsmacht des unmittelbar ausgelösten Gefühls, wie seine Erklärung der Secondness deutlich werden lässt, Von den ‚brute facts‘ zum Reflex 283 während sich Delsarte in einer auf Jean-Jacques Rousseau zurückgehenden, der Empfindsamkeit nahe stehenden Tradition befindet, die den unmittelbaren Gefühlausdruck als eine allverbindende Ursprache begreift. Rousseaus „cri de la nature“ als sprachliches wie musikalisches Urphänomen ist im Unterschied zu Peirces Beispiel ein zugleich künstlerischer und versittlichender Schrei (Rousseau 1755). Zu dieser Ursprache, darin stimmt Delsarte mit Rousseau überein, solle der Künstler zurückkehren, wenn die Konventionen des gesellschaftlichen Lebens überhand nehmen. Ziel und gesellschaftliche Aufgabe des Künstlers ist aus dieser Sicht die Rückkehr zu einer verlorenen unreflektierten Unmittelbarkeit. Rousseau hatte sich mit Vorstellungen von einer friedlichen Urgesellschaft, die er mit seiner Auffassung von Melodie verband, radikal gegen Thomas Hobbes’ Entwurf eines Naturzustands gewandt, bei dem im Gegenteil ein Krieg aller gegen alle herrsche. Die Hinwendung zur Natur als Befreiung von Konvention ist bei Delsarte allerdings mit der Hinwendung zum Naturgesetzlichen durch wissenschaftliche Beobachtung verbunden, was Rousseau noch nicht vorschwebte. Als Reflex dieser Kontroverse steht Delsartes Verständnis des Seelischen (âme) und zugleich Sittlichen (morale) gerade jener Secondness am nächsten, die für Peirce Inbegriff des Unfreien und Unfriedlichen ist. Die Konzeption der Secondness als ‚brute facts‘, deren unmittelbare Wirkung sich nicht zuletzt aus einer fehlenden Einsicht in die Zusammenhänge erklärt, die erst durch Thirdness ermöglicht wird, erscheint bei Peirce erheblich nüchterner und skeptischer als das unwillkürliche seelische Geschehen bei Delsarte, das jener als versöhnende Grundlage des menschlichen Handelns betrachtet und mit religiösen Vorstellungen verbindet. Was Peirce als unsanfte Konfrontation mit Realität versteht, das ist für Delsarte notwendige Versittlichung durch eine naturgegebene Ordnung. Sie erfolgt durch eine Verknüpfung von Ursache und Wirkung, wie sie einer noch wortlosen Musik zugetraut wird, in Anlehnung an die von Rousseau politisch gedeutete antike Ethoslehre. Emotionen als freie Äußerungen gleich gestellter Individuen sind für Delsarte eine moralische Instanz, nicht jedoch für Peirce, der sie bloß für Zeichen hält. Das Emotionale ist einer gedanklichen Analyse nach dessen Verständnis zwar vorgeordnet, aber untergeordnet. Delsartes und Mackayes erleuchtete Körper waren Peirce fremd, obwohl er nach seiner Aussage von einer ähnlich aufgebauten Semiotik ausging, sich durchaus für Mackayes Theaterproduktionen interessierte und sich wie Delsarte mit scholastischer Philosophie beschäftigte. Während die christliche Trinitätslehre die Einheit der göttlichen Autorität bekräftigen soll, was für Delsarte nicht in Frage stand, ging es Peirce bei seinen Dreigliederungen vielmehr um eine Emanzipation von Gewalten. Vater, Sohn und Heiliger Geist in Tertullians Kunstwort trinitas aus tres und unitas, der damit drei personae in einer substantia zusammenführt, können gewiss im Sinne von Peirce als Ursache, Wirkung und verbindendes Prinzip interpretiert werden. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch, und es ist ein ähnlicher wie derjenige zwischen Delsarte und Peirce: Der Heilige Geist nach Tertullian ist zwar eine erleuchtende Instanz, aber diese Erleuchtung geht nicht aus der gedanklichen Leistung des Menschen hervor, sondern wird ihm eingegeben. Daher ist er kein Interpretant, als Aktivität eines Rezipienten wie in Peirces Vorstellung. 5 Reflexlehren als Ende des Delsartismus Heute hat Delsartes Systematik der Körperzeichen ihre Bedeutung für den Schauspielunterricht, von dem sie einst ausging, weitgehend verloren. Was Animationsfilmer stets noch Mathias Spohr 284 interessiert, weil sie das gezeichnete Objekt von außen sehen, halten Schauspieler nicht mehr für hilfreich, da sie nicht mehr zum Einstudieren von Haltungen und Bewegungen vor dem Spiegel stehen wie ihre Kollegen im 19. Jahrhundert, sondern seit der Lehre Konstantin Stanislawskis dazu angehalten sind, von ihrem inneren Erleben auszugehen. Ein äußerliches Herangehen an Emotionen, der Weg von Haltung und Bewegung zur Emotion des Zuschauers und des Darstellers, so lernen sie seither, sei kunstlos und mechanisch. Trotzdem besteht die Einsicht, dass sich eine detaillierte Choreographie von Bewegungen nicht immer vermeiden lässt, etwa beim Filmschauspiel, das mit seinen Möglichkeiten der Großaufnahme im Zusammenspiel mit Licht und Kamera oft ein sehr exaktes Agieren verlangt. Ähnlich verhält es sich bei Tänzern, die Bewegungsabläufe in der Regel genau einstudieren, so wie Leser einen Text wortwörtlich lesen oder Musiker die exakten Vorgaben einer Notenschrift ausführen, ohne sich deshalb ausdruckslos und mechanisch anhören zu müssen. Delsartes Lehre hat wohl aus diesem arbeitstechnischen Grund großen Einfluss auf den Tanz des 20. Jahrhunderts gehabt, obwohl Delsarte sich zu seinen Lebzeiten durchaus nicht für Tanz und Tänzer interessierte. Der Schauspiellehrer Lee Strasberg hat die Ablösung des Delsarte-Systems im Schauspielunterricht mit dem wissenschaftlichen Fortschritt gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Zusammenhang gebracht, der neue Erkenntnisse über das „affective behaviour“ geliefert habe. Delsarte became dissatisfied with routine acting techniques. […] Knowledge of affective behaviour had not advanced far enough to serve as an aid in solving the problem of the actor: there was still too little understanding of human behaviour, of the relation between the conscious and unconscious, and of the role of the senses. (Strasberg o.J.: 6) Die wesentliche Neuerung habe der Regisseur Konstantin Stanislawski mit seiner Konzeption des „affective memory“ gebracht (7). „Emotionales Gedächtnis“ nach Stanislawski versucht, Emotionen zu vergegenwärtigen, die zu bestimmten Reaktionen führen. Statt körperliche Ausdrucksmöglichkeiten zu beobachten und zu ordnen wie Delsarte, sollen vielmehr Stimuli gesammelt werden, die körperliche Reaktionen „auslösen“. So erklärt der fiktive Schauspiellehrer Arkadij Nikolajewitsch in einem der Hauptwerke Stanislawskis: „Man darf nichts verschmähen, was das emotionale Gedächtnis auslösen könnte.“ (Stanislawski 1983: 218). Gewiss werden nicht die Empfindungen vom Publikum gesehen, sondern die Körper. Strasberg spielt in seinem Text auf die Entdeckung oder Erfindung der Reflexe an. Wladimir Michailowitsch Bechterew und Iwan Petrowitsch Pawlow waren die Vorreiter einer Lernmethode, die mit Automatisierungen operierte und in den US-amerikanischen Behaviorismus mündete. Der „Reflex“ ist eine isolierte Verbindung von Ursache und Wirkung. Kritiker der Reflexlehre stellten gewöhnlich den Sachverhalt in Frage, ob solche Isolationen außerhalb der Versuchsanordnungen, die sie künstlich herbeiführen, überhaupt existierten. Der Siegeszug der Maschinen in jener Zeit beförderte allerdings den Glauben, dass auch der Mensch als Maschine betrachtet werden könne, und der Erfolg der „klassischen Konditionierung“ von Reflexen in Medizin und Pädagogik gab dieser Sichtweise in gewissem Maße Recht. Reflexe revolutionierten die Lerntechniken (vgl. Rüting 2002). Künstliche Wirkungen wurden nicht mehr durch den Verstand modelliert, wozu es diesen Verstand erst geben musste, sondern automatisch im Umweg über künstliche Ursachen produziert. Der Magensaft des Pawlowschen Hundes beginnt bereits zu fließen, wenn er die Glocke hört, die bei seiner Fütterung erklingt. Eine ähnliche Konditionierung geschieht durch das „emotionale Gedächtnis“, das Konstantin Stanislawski ins Spiel brachte (vgl. Lazarowicz 1992: 44): Um einen gewünschten Ausdruck darzustellen, versucht sich der Schauspieler an eine Situation zu Von den ‚brute facts‘ zum Reflex 285 erinnern, die der Situation gleicht, in der sich die gespielte Figur befindet. Über die Erinnerung an jene Gefühle, also eine ersatzhafte Ursache, soll der gewünschte authentische Körperausdruck von selbst zustande kommen. Strasberg bringt es auf die knappe Formel: „Conscious preparation - unconscious result.“ (Strasberg 1987: 79) Diese Methode hatte einen Erfolg, der bis heute anhält, obwohl sie gewiss nicht unangefochten blieb. Stanislawskis „System“ und später Strasbergs „Method Acting“ wurden in ähnlicher Weise als Zaubermittel für den Schauspielunterricht betrachtet (der sich in seiner Spezialisierung mittlerweile von einer Bildungs- und Verhaltensschule entfernt hatte) wie zuvor das Delsarte-System. Das von der konkreten Körperlichkeit statt von den Emotionen ausgehende Delsarte-System eignete sich von da an besser für den Bühnentanz. Indem der Schauspieler nach Stanislawskis Lehre die Emotionen seiner Figur nachvollzieht, entstehen die passenden Zeichen von selbst, als Wirkungen ihrer simulierten Ursachen. Nicht das Zeichen wird konstruiert, in jenem Prozess, den Delsarte „esthétique“ nannte, sondern sein Objekt, mit dem es indexikalisch verbunden ist. Ästhetik, um Delsartes Terminus zu verwenden, ist dann nicht mehr die freie Zusammenstellung von Zeichen durch geeignete Auswahl aus der „encyclopédie du monde“, bewusst gemacht durch das Studium des Körpers, der sie darbietet, sondern ein Herbeiführen von Zwängen durch gelungene Konditionierung; trotz der Vorstellung, dass hier Natur zum Vorschein komme, bedeutet dies eine Mechanisierung des Verhaltens, weil die automatische Abbildung der Emotionen auf dem Körper vorausgesetzt werden muss; natürliche Spontaneität und Mechanik werden deckungsgleich. Jeder Schauspieler hat dagegen schon erlebt, dass er fühlt und die Zuschauer nichts davon sehen. Die ‚brute facts‘ holten Delsartes und Mackayes Ideologie des Wahren und Guten ein, die technische Machbarkeit des Ausdrucks durch Konditionierung von Reflexen zerstörte das historistische Fundament der Lehre, das Delsarte aus antiken und scholastischen Elementen gezimmert hatte. Eine Vorstellung vom heiligen Körper, in dem sich das Gute unmittelbar zeigt, ließ sich in diesem Zusammenhang auch unabhängig von konkreten religiösen Vorstellungen nicht mehr halten. Dies bedeutete eine Umwälzung nicht nur für die Schauspieltechnik. Während für Delsarte und Mackaye die Loslösung von gesellschaftlichen Zwängen durch genaue Beobachtung, Aufzeichnung und Nachzeichnung naturgesetzlicher Zusammenhänge eine Rolle spielte, wobei sie die Autorität des Wahren und Guten nicht als Zwang empfanden, wird durch die Methodik der bedingten Reflexe ein neutraler, wertfreier Zwang kultiviert. Peirce war ein Gegner des Determinismus. Das Künstlerische als ein Symbol des unreflektierten freien Handelns sollte nach seiner Meinung von Zwängen befreit sein. Bei Delsarte ist der Schauspieler allerdings kein unreflektierter Erlebender (wie es Peirces Ideal sein mochte, der die Angelegenheit nur aus der Zuschauerperspektive kannte) sondern ein Nachahmer, der sich gegen unreflektierte Gewohnheiten stellt und beobachtete Ausdrucksformen mit dem Körperbewusstsein und dem Bewegungsgedächtnis des Tänzers nachzeichnet. Mit dem konditionierten Reflex der folgenden Generation kommt ein Moment kalkulierter Unfreiheit in die Kunst hinein, das diese ‚äußerliche‘ Bewusstheit in Frage stellt. Aber nur die ideale Kunst gehört für Peirce zur Firstness. Weniger begeistert schreibt er auch über Theatervorstellungen, die erwünschte unmittelbare Reaktionen beim Publikum auslösen, die also zu jener Art Secondness gehören, die Delsarte und Mackaye vorschwebte. Dabei dachte Peirce gewiss an die populäre Gattung des Melodrams, die das Publikum erschrecken oder rühren sollte (vgl. Randi 1996: 85-96). Was Peirce beim Publikum des Melodrams beobachtet und, wenn ich mich nicht täusche, gering schätzt, ist die Auslösung Mathias Spohr 286 physischer Reaktionen durch das Vorgeführte. Aufgeklärte Menschen, so der Unterton dieser Ausführungen, brauchen solche Abhängigkeiten nicht: So a desired frame of mind on the part of the audience is often brought about by the dramatist in a forcible way by directly affecting the nervous system, without appealing to association; or the attention of the audience may be awakened, as a clergyman shouts out the commencement of a new head to his sermon, or may be directed to a particular part of the stage, as the jugglers do. (Peirce 1888: 281) Der Rührstückautor, der Geistliche und der Jongleur werden hier in einem Atemzug genannt, und, wie diese Parallelsetzung nahelegt, nicht mit besonderem Respekt. Ihre Kunst hat unmittelbare Wirkungen, sie zieht die Aufmerksamkeit auf sich, ohne dass es einen Inhalt brauchte. Peirce spricht nicht von den machtvollen Wirkungen der Musik, die Delsarte als „Stimme ohne Text“ im Sinne hatte, doch sie ließe sich als melodramatische Hintergrundmusik in diese Kritik mit einbeziehen. Das positive Verständnis der Wirkungen von Theater und Rhetorik, wie es Delsarte vertritt, trifft in diesem Zusammenhang auf ein negatives, das die Unfreiheit solcher Reaktionen hervorhebt und den Vorgang sogar als unkünstlerisch kritisiert. Modern gesprochen, wäre es die Manipulation, der Peirce kritisch gegenübersteht. Nicht eine versittlichende Wirkung, sondern eine versklavende sieht er im Vordergrund. Der alte Vorwurf gegen die Rhetorik als Kunst der Lüge, den Delsarte mit seinem ganzheitlichen Wissenschaftsbegriff und seinem Glauben an die moralische Qualität authentischer Körperzeichen bewältigen wollte, klingt hier im Hintergrund mit. Die Überzeugung, dass durch veröffentlichte Körper das Gute, Wahre und Schöne verkündet werde, ist für Peirce nicht gegeben, bildete aber die Grundlage für eine ganze Reihe von emanzipatorischen Strömungen, die von Delsartes Schülern ausgingen. Der kollektive Glaube an das Gute prägte sich in den Lebensreformen des 20. Jahrhunderts wie in politischen Bewegungen aus und führte im Gegenzug zu einer Skepsis, die sich zum Beispiel im Bedeutungswandel des Wortes ‚Propaganda‘ von der Werbung zur Manipulation niederschlägt. In dieser Hinsicht scheint Peirce gegenüber Delsarte Recht behalten zu haben. Literatur Berlioz, Hector 1862: Moyen trouvé par M. Delsarte d’accorder les instruments à cordes sans le secours de l’oreille », in À travers chants. Études musicales, adorations, boutades et critiques, Paris: Lévy frères, article 18, S. 244f. Bochow, Jörg 1997: Vom Gottmenschentum zum neuen Menschen. 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(ed.): Semiotik/ Semiotics, Berlin: de Gruyter: vol. 2, 1694-1712 Hamel, Thomas-Étienne 1906: Cours d’éloquence parlée d’après Delsarte, Québec: Imprimerie de la compagnie de l’Événement Leja, Michael 2000: “Peirce, Visuality, and Art”, in: Representations 72(2000): 97-122 Lazarowicz, Klaus 1992: „Spontaneität oder ‚Training und Drill‘? “ in: Ahrends, Günter (ed.): Konstantin Stanislawski: neue Aspekte und Perspektiven, Tübingen: Narr: 39-48 Von den ‚brute facts‘ zum Reflex 287 Peirce, Charles 1888: „Trichotomic“, in: Nathan Houser et al. (eds.) 1992: The Essential Peirce. Selected Philosophical Writings, vol. 1 (1867-1893), Bloomington IN: Indiana Univ. Press: 280-284 Porte, Alain 1992: François Delsarte, une anthologie, Paris: IPMC Pradier, Jean Marie 2000: La scène et la fabrique des corps: ethnoscénologie du spectacle vivant en Occident : (V e siècle av. J.-C. - XVIII e siècle), Bordeaux: Presses universitaires Randi, Elena 1996: Il magistero perduto di Delsarte. 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Welt - Bild - Theater Band II: Bildästhetik im Bühnenraum Forum Modernes Theater, Band 38 2012, 336 Seiten €[D] 68,00/ SFr 91,00 ISBN 978-3-8233-6612-6 Die Frage nach dem Zusammenspiel von Theater und Bild lässt sich nicht losgelöst von den medialen Komponenten beantworten, in denen dieses Zusammenspiel gegeben ist. Gleichzeitig ist es von ästhetischen Überschreitungen oder auch verschiedenen aisthetischen Einstellungen bestimmt, die nicht selten mit Medienwechseln oder auch dem Einsatz neuer Technologien einhergehen. Nachdem in Band 1 der gleichnamigen Publikation das Verhältnis von „Welt-Bild-Theater“ unter dem Aspekt der „Politik des Wissens und der Bilder“ thematisiert wurde, befassen sich die Beiträge im vorliegenden Band 2 mit der Frage, ob und inwieweit von spezifischen Bildästhetiken des Theaters in unterschiedlichen historischen Epochen die Rede sein kann. Sei es Theater, Tanz, High-Tech-Spektakel, Performance oder Musiktheater, für alle Bühnenkünste stellt sich dabei immer wieder das Problem, Bildhaftigkeit in Angrenzung zu Sprache, Raum, Zeit, Körper und anderen theatereigenen Phänomenen zu denken. 002612 Auslieferung Januar 2012.indd 10 18.01.12 17: 07 The Influence of Delsarte’s Work in the United States: Late 19 th Century and Beyond Nancy Lee Ruyter In this paper I introduce the Americans who were important in the early history of Delsartean study and practice in the United States and discuss their work in spreading and adapting Delsarte’s theories and practice in the fields of acting, oratory, women’s physical culture, expression, and dance-in the development of what I term “American Delsartism.” I focus on the contributions of Steele Mackaye (1842-94), Genevieve Stebbins (1857-1933 or later), and Henrietta Hovey (1849-1918); and also refer to Lewis B. Monroe (1825-79), and William R. Alger (1822-1905). Most of this comes from my book, The Cultivation of Body and Mind in Nineteenth-Century American Delsartism (1999). The context for the introduction of Delsartism in the United States was the field of elocution (voice and speech training for public speaking), which had been developing on a national scale from the 1820’s. By the late nineteenth century, there were schools, performance venues, publications, and a national network of professional associations devoted to this field. Increasingly, from the mid-century on, some elocution instructors emphasized gesture and bodily motion, and the term “expression” came into vogue for work that included physical culture, pantomime, acting, and interpersonal communication, as well as training for public speaking. While expression was taught by various methods in the United States, what became the best known and ultimately the broadest in application was the American Delsarte system. It comprised theory from Delsarte, practical exercises and formulas for expression from Mackaye (what could be termed the “Delsarte-Mackaye System”), physical training exercises from a variety of sources, and popular performance genres such as statue posing, pantomime, and dance or dance-like forms that incorporated or reflected Delsartean theory. By the late 19 th century, American Delsartism had spread across the United States and involved thousands of students-mostly women and female children. There were three phases or focuses in American Delsartism as it developed. The first began in the early 1870’s and was closely associated with the professional training of speakers and actors. The second, coming to the fore in the 1880’s, emphasized physical culture for the general public. That became popular particularly among middle and upper class women. In the third aspect, which also began in the 1880’s and was the broadest of all, Delsartean aesthetic theory was applied to all aspects of life. Often a single teacher would be offering work in two or three of the training aspects, although some specialized in only one. The first phase began with the only known American student of Delsarte, the well-known actor, dramatist, director, and theater inventor, James Morrison Steele Mackaye. Mackaye began his work with Delsarte in Paris in October 1869. He had not come as an unsophisticated beginner, but had been developing his own approaches to expression, pantomime, K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Nancy Lee Ruyter 290 gymnastics, and aesthetics since the early 1860’s. Delsarte soon discovered that Mackaye had important pedagogical knowledge and methods that could complement and enhance his own work, so he invited the new pupil to teach with him. Mackaye was still a student of Delsarte, but also to some extent a colleague. Some 20 years later, Mackaye asked his wife, Mary Medberry Mackaye, to develop an article on the Delsarte-Mackaye work for publication. In his undated communication with her about what she should write, he stated that he had been able to master Delsarte’s series of gestures much more quickly than other students because of his “diligent study [...] according to a system which I invented myself.” He continued: [A]fter analyzing the motions, I discovered by close study the physical obstacles existing in my own organization to the realization of these motions in my own action. Before Delsarte and I parted, I had laid the foundation of my whole system and philosophy of psychologic gymnastics of which Harmonic Gymnastics is a branch (Undated letter to M.M. Mackaye, Delsarte Archive, Louisiana State University, Box 14, Folder 156. The resulting article, “Steele Mackaye and François Delsarte” by Mrs. Steele Mackaye, appeared in Werner’s Voice Magazine 14 (July 1892): 189). Whether the “Harmonic Gymnastics” had been developed by Mackaye or by Delsarte himself would be a topic of discussion and sometimes argument from the early 1870’s to the end of the century. The outbreak of the Franco-Prussian War forced Mackaye to leave France in July 1870. When he returned to the United States, he was contacted by two noted Bostonians who had heard of Delsarte’s work from a report in the Atlantic Monthly (May 1871). It was written by an American journalist, Francis A. Durivage, who had attended a Delsarte-Mackaye class in Paris. The two men who contacted Mackaye were Lewis B. Monroe, founder and director of the Boston University School of Oratory, who then studied with Mackaye and invited him to lecture at the School, and Reverend William R. Alger, a Unitarian clergyman who began his studies with Mackaye and then continued with Delsarte’s son Gustave in Paris. The three friends worked to bring Delsarte to the United States to begin a school there, but his death in the summer of 1871 interrupted those plans. Mackaye directed a series of schools where the system and his development of it were integral parts of the program. Monroe included the Delsarte system in the curriculum of the Boston University School of Oratory and taught it himself as well as inviting Mackaye for lectures. Alger also taught, wrote, and lectured on Delsarte. These first three American Delsarteans taught many others who would teach in their turn and spread knowledge of the system. However, of the three, Mackaye was the only one who probably made a substantive contribution to the development and expansion of the Delsarte complex as it became known and practiced in the United States - the “harmonic (or aesthetic) gymnastics” and the vocabulary he termed “gamuts of expression.” A demonstration of the latter during one of his lectures in Boston (21 March 1871) was highly praised by a critic who described how Mackaye’s changes of emotion were: running through satisfaction, pleasure, tenderness and love to adoration, and […] through dislike, disgust, envy and hate to fury.[…] [then] transitions from repose to jollity, silliness and prostration, to utter drunkenness; […] passing through all the grades of mental disturbance to insanity, and down all the stairs of mental weakness to idiocy (Boston Transcript and Boston Advertiser 22 March, 1871, quoted in Percy Mackaye 1: 151-52). The Influence of Delsarte’s Work in the United States 291 The “harmonic gymnastics” and “gamuts of expression” became fundamental elements in American Delsartism; and it is likely that it was Mackaye who created and developed them, but that is a question that remains unanswered. Mackaye wrote some articles, but no major treatise on the Delsartism that he taught. However, notes for his lectures and classes are available in the archives. As Delsarte himself, Mackaye was never rigid in his theory and practice. He was continually researching and expanding his knowledge and approach. He built on what he had learned from Delsarte, but also incorporated his own thinking and innovations into his teaching. He established some of the first schools for actors in the United States and his theory and methodology influenced a generation of teachers and practitioners in theater, oratory, and physical culture. The representative figure of the second phase of American Delsartism, in which physical culture for the general public was emphasized, was Genevieve Stebbins, who eventually became one of the most prominent popularizers of American Delsartism through her teaching, writing, and performances. It was she who initially developed the system furthest in the direction of dance, and she herself performed dances, pantomimes, and statue-posing for popular “ladies matinees.” Stebbins, like many of the “modern dance” pioneers who would come later, was an indefatigable reader, researcher, and writer - as well as an admired performing artist and teacher - and her publications gave her visibility and stature in the field of physical culture and expression. Stebbins’ interest in performance and expression began to develop early in her life, as evidenced by her performances as a child in pantomimes, songs, dances, and statue-posing. Then in 1875, at the age of 18, she went to New York to pursue an acting career, with her professional debut probably two years later. She began to work with Mackaye or his assistant in 1876 or 1877. At his suggestion, she left performing for two years to study intensively with him, appeared in one of his productions in 1879, and then resumed her regular acting career. She did so well with the Delsarte-Mackaye work that Mackaye had her demonstrate for his lectures and sometimes even teach in his place. While their relationship was initially characterized by cordiality and mutual respect, it eventually deteriorated, as they became competitors in the world of American Delsartism. From the mid-1880s until the early 1890s, Stebbins and Mary S. Thompson, a colleague from the Boston University School of Oratory, taught in New York City and gave a “Delsarte Matinee” each year at a major theater there. In 1893, Stebbins and her husband, Norman Astley, opened the New York School of Expression, which, in 1894, merged with F. Townsend Southwick’s School of Oratory. It continued operation until Stebbins retired in 1907. During this time, Stebbins was active as lecturer, teacher, and performer in various cities of the United States. She continued performing until at least 1903. Stebbins’ elaboration of the Delsarte system derived from a number of sources. It was founded initially on the theoretical and practical material she had learned from Mackaye. Then in 1881 she traveled to Europe to do research for a book on the Delsarte system and there she met and talked with the Abbé Delaumosne and also acquired some unpublished manuscripts of Delsarte himself. Her first publication, The Delsarte System of Expression appeared in six editions from 1885 to 1902. The last one contained several new sections and was reprinted by Dance Horizons in 1977. In considering her publications from the first edition of the Delsarte System of Expression through The Genevieve Stebbins System of Physical Training of 1913, it is clear that while the Delsarte work remained a core element for her, as time went on, she had incorporated theory and practice from many other sources as Nancy Lee Ruyter 292 well. These included the work of other specialists in acting, gymnastic and therapeutic exercise, and anthropology. In addition, in her writings, one finds references to literature, art, music, religion, philosophy, etc. - and to Swedish medical gymnastics and yoga breathing techniques. The third phase of American Delsartism was the broadest of all. Its basic ideal was to treat all of life as art, and to enhance it according to the principles of Delsartean aesthetics. This phase is best represented by Henrietta Hovey. Born Henrietta Knapp, over the course of three marriages her last name became Crane, then Russell, and finally Hovey (as I will refer to her here). Hovey taught mostly in society circles until later in her life when she settled in the Los Angeles area, came into contact with Ted Shawn and Ruth St. Denis, and taught at the Denishawn School. Hovey was the first American to begin the widespread popularization of the Delsarte system outside the fields of acting and oratory. By her early twenties Hovey had been lecturing on dress reform, and sometime in the 1870’s, to improve her speech for public presentation, she entered the Boston University School of Oratory. She learned about the Delsarte system in classes with its director, Lewis B. Monroe, and from lectures given by Mackaye. In the late 1870’s (probably 1878), she traveled to Paris where she studied with Delsarte’s son Gustave prior to his death in 1879. She returned to the United States and began a teaching career that would continue off and on for almost 40 years. She was recognized by some contemporaries as a serious Delsarte authority - and dismissed by others as a fraud. Most of her press coverage (which appeared on society pages) depicted her as a beautiful, exotic creature catering to upper class, fashionable ladies. They had the leisure and money to seek classes in physical culture and expression from this icon of American Delsartism; and of course, such engagements provided both income and prestige for Hovey. It is difficult to reach any conclusion about Hovey’s teaching and serious commitment to the Delsarte work until we get to Ted Shawn’s contact with her. Shawn (1891-1972) with his partner Ruth St. Denis (1879-1968) was one of the leading pioneers of what developed in the 20 th -century as “modern dance.” Hovey obviously impressed Shawn deeply, and he learned much from her and respected her totally. While she, as well as Delsarte and Mackaye, had projected writing a multivolume work on the Delsarte system, she only published Yawning (1891), a slight volume that was to be the first part of the series (and that elicited mocking comments in the press). There is a long typed draft of other proposed volumes in the Ted Shawn Archive at the New York Public Library for the Performing Arts, which would appear to presage a substantial opus, but one that was unfortunately never realized. The fact, however, that this exists gives an idea of the breadth and depth of Hovey’s understanding of the Delsartean principles. By the late 19 th century, one could find the adjective “Delsartean” applied to teachers, schools, performances, and publications - and even to corsets that were less restrictive and harmful than the ones fashionable women had been wearing. As Delsartism spread across the United States, it came to involve hundreds of teachers and thousands of students - mostly women and female children - and in the early part of the 20 th century the American version of Delsartism even traveled back to Europe to effect physical education and new dance practices in Germany and other countries. And, as discussed above, in addition to furthering the cause of women’s physical culture and expression, some proponents also promoted the aesthetic principles to argue for artistry in everyday life - in clothing, house decor, social interaction, and anything else that might be thus “improved.” It was precisely this side of the popularization of American Delsartism that some critics, such as Shawn, saw as a distortion The Influence of Delsarte’s Work in the United States 293 of the master’s intentions - “[…] a reversal and falsification of the science which Delsarte taught” (1974: 11). And yet, his most revered Delsartean, Henrietta Hovey, had been one of the leaders in the popularization of American Delsartism in all these aspects. While some of the American Delsarteans, such as Genevieve Stebbins, performed and taught dances or dance-like forms as part of their Delsartean work during the late 19 th century, the influence of Delsartism on 20 th -century dance developments really began with the work of Shawn, St. Denis, and their company, Denishawn. Shawn’s and St. Denis’s knowledge and experience of the Delsarte system had gone through various phases before their contact with Hovey. In 1915, however, Shawn embarked on a more tangible and immediate experience of Delsartism than he had known previously, and, of course, he shared this with St. Denis and the members of their company and school. He took private lessons with Hovey in the summers of 1915, 1916, and 1917 and also invited her to give lectures on Delsartism at Denishawn. She became the most important source of Delsartean knowledge for Shawn and probably inspired his own intensive research into the broad spectrum of Delsartean literature that resulted in his book Every Little Movement (1974). I believe that the Delsartism that Shawn came to know over the years served as a powerful, continuous and crucial guidance for his development as an artist, teacher, theorist, writer, and leader of dance in the United Statesand significantly influenced his students and followers. Although François Delsarte never showed the least interest in dance himself, his concepts and their theoretical and practical manifestations have been seminal in the development of the 20 th -century Western concert genre, “modern dance.” And since the publication of Shawn’s Every Little Movement, the contribution of the Delsartean theory and practice to the history of 20 th -century dance has been acknowledged by many dance historians and scholars - some briefly, and others with more extensive discussion and analysis. Shawn’s book provides a carefully researched and well-written study of the Delsarte system and its relationship to dance and a discussion of the most important literature published up to the 1960’s. It is one of the most reliable and significant sources on the subject that exists in English. The core principles of Delsartism, as established by Delsarte, were passed along by those who had studied with the master himself, and then by their students, and by their students’ students - passed along through both personal instruction and writings on the system, some published in Europe, but many more in the United States. With a history developing through several generations of proponents and among the various fields of acting, oratory, singing, physical culture and expression, and dance, it is not surprising that different emphases and adaptations appeared under the Delsarte umbrella and a spectrum of interpretations, uses and teaching methods. Of course, such adaptations and the proliferation of Delsartism throughout the United States led to claims of authenticity versus fakery. While it is understandable that Delsarte disciples and practitioners of the past felt compelled to defend whatever aspects of the complex each saw as being the “true” Delsarte and malign what they considered false, I think it is more useful to consider the various aspects of the historical development of the Delsarte theory and practice with an open mind and appreciate the multiple ways that it has functioned and served various needs. Within the last couple of decades, interest in the Delsarte work has developed in Europe as well as in the United States. There have been publications, conferences, and exhibitions in France and Italy; sponsorship by the Centre National de la Danse in Paris of a translation into French of Shawn’s Every Little Movement; and an issue of the Mime Journal devoted to Delsartean research. The latest evidence of the continuing importance of Delsarte’s work and that of his followers has been the 2011 events in Stuttgart, Paris, and Padua to commemorate Nancy Lee Ruyter 294 the 200 year anniversary of Delsarte’s birth and to further research into and practice of the various aspects of Delsartism. Bibliography Curry, Samuel S. 1891: The Province of Expression; A Search for Principles Underlying Adequate Methods of Developing Dramatic and Oratoric Delivery, Boston: School of Expression Delaumosne, Abbé 1874: Pratique de L’art Oratoire de Delsarte, Paris. English translation by Frances A. Shaw: “The Delsarte System”, in: Delsarte System of Oratory, 1st ed., New York: Edgar S. Werner, 1882. The 4 th edition was published 1883. “Delsartism in America” 1892 in: Werner’s Voice Magazine 14 (March 1892): 59-64 Foster, Susan Leigh (ed.) 1996: Corporealities: Dancing Knowledge, Culture and Power, London and New York: Routledge Greenlee, Ralph Stebbins, and Robert Lemuel Greenlee 1904: The Stebbins Genealogy, Chicago: McDonohue and Co. Macdonald, Allan Houston 1957: Richard Hovey: Man and Craftsman, Durham: Duke University Press Mackaye, Mrs. Steele (Mary Medberry) 1892: “Steele Mackaye and François Delsarte” in: Werner’s Voice Magazine 14 (July 1892): 189 Mackaye, Percy 1927: Epoch: The Life of Steele Mackaye, Genius of the Theatre in Relation to His Times and Contemporaries, 2 vols. New York: Boni and Liveright McTeague, James H. 1993: Before Stanislavsky: American Professional Acting Schools and Acting Theory, 1875-1925, Metuchen, NJ: Scarecrow Press Meckel, Richard A. 1989: “Henrietta Russell: Delsartean Prophet to the Gilded Age”, in: Journal of American Culture 12, no. 1 (Spring 1989): 65-78 New York School of Expression. 1893 prospectus; 1910-11 catalogue. (both in Theatre Collection of the New York Public Library Performing Arts Collections) Ruyter, Nancy Lee Chalfa 1973: “American Delsartism: Precursor of an American Dance Art”, in: Educational Theatre Journal 25 (December 1973): 421-435 - 1979: Reformers and Visionaries: The Americanization of the Art of Dance, New York: Dance Horizons - 1988: “The Intellectual World of Genevieve Stebbins”, in: Dance Chronicle 11(3/ 1988): 389-397 - 1996: “Antique Longings: Genevieve Stebbins and American Delsartean Performance”, in: Foster (ed.) 1996: 70-89 - 1996: “The Delsartean Heritage”, in: Dance Research (London) XIV/ 1 (Summer 1996): 62-74 - 1999: The Cultivation of Body and Mind in Nineteenth-Century American Delsartism, Westport, Connecticut: Greenwood Press - (guest ed.) and Thomas Leabhart (ed) 2004-05: Essays on François Delsarte (= Mime Journal 2004-05), Claremont, CA: Pomona College Theatre Department Shawn, Ted 1974: Every Little Movement: A Book about François Delsarte. Republication of 2 nd rev. and enl. ed. of 1963, New York: Dance Horizons Shelton, Suzanne 1978: “The Influence of Genevieve Stebbins on the Early Career of Ruth St. Denis” in: Woodruff (ed.) 1978: 33-49 Stebbins, Genevieve 1888: Society Gymnastics and Voice Culture, Adapted from the Delsarte System. New York: Edgar S. Werner - 1893: Dynamic Breathing and Harmonic Gymnastics, New York: Edgar S. Werner - 1895: Genevieve Stebbins Drills, New York: Edgar S. Werner - 1902: Delsarte System of Expression, 6 th ed., New York: Edgar S Werner. Reprinted New York: Dance Horizons, 1977. First edition 1885. (Earlier editions were titled Delsarte System of Dramatic Expression. New materials were added in subsequent editions; the most complete, therefore is the 6 th .) - 1913: The Genevieve Stebbins System of Physical Training, enl. ed., New York: Edgar S. Werner (First edition 1898). Wallace, Karl R. (ed.) 1954: History of Speech Education in America, New York: Appleton-Century-Crofts. Wilbor, Elsie M. (ed.) 1887: Werner’s Directory of Elocutionists, Readers, Lecturers, and Other Public Instructors and Entertainer, New York: Edgar S. Werner The Influence of Delsarte’s Work in the United States 295 Woodruff, Dianne L. (ed.) 1978: Essays in Dance Research from the Fifth CORD Conference, Philadelphia, November 11-14, 1976, Dance Research Annual IX, New York: Congress on Research in Dance Zorn, John W. (ed.) 1968: The Essential Delsarte, Metuchen, NJ: Scarecrow Press. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG ! "#! $ % www.francke.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Swetlana Lukanitschewa Das Theatralitätskonzept von Nikolai Evreinov Die Entdeckung der Kultur als Performance & &'&( ) % *( *+ , & -. / 0( 1, ( ISBN 978-3-7720-8485-0 23 4 5 % ) 5& 6" 7 & 8"9 6" 7 59 8 ! & & %: ( % ; & 5 < &7 " " )" = > $ ? 6 && % @ ( 2 & A8 "8 > 8"9 & 8 ! & & & " & & 5! '5B C >9 && 5 % 5! 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While Vsevolod Meyerhold and Sergei Eisenstein were developing the concept of biomechanics based on the theories of Klages, Pavlov and James, as well as “organic expressionism” for the stage and film, Lev Kuleshov and the State School of Film in Moscow of the 1920s oriented themselves towards Delsarte. In heated disputes, a method was sought that could provide a scholarly basis for the portrayal of emotions. 1 Sergej Volkonskij und die Delsarte-Rezeption in Russland Sergej Volkonskij ist eine der großen Figuren der russischen Kultur, die die Traditionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit den Erneuerungsbewegungen in Kunst und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts verbindet. Der Nachkomme einer alten Adelsfamilie und Enkel eines berühmten Dekabristen (geb. 1860) wird um die Jahrhundertwende zum Direktor des Alexandrinsker und Mariinsker ‚Hof-Theaters‘ berufen, er veröffentlicht eine Reihe von Büchern zur Technik des Schauspielers, 1911 diskutiert er in Rom mit Stanislavskij seine Schauspieltheorie, er wird zu einem der wichtigsten Theoretiker der russischen Kunstavantgarde. Auf seinem Konzept vom „Ausdrucksvollen Menschen“, das Dalcroze mit dem Delsarte-System vereint, beruhen die meisten Darsteller-Schulen der russischen Film-Avantgarde, vor allem Kulešovs Naturšik-Konzept, er selbst lehrte vor seiner Emigration sowohl am GIK (Gosudarstvennyj institut kinematografii), als auch am Proletkult-Theater und an den Studios des Moskauer Künstlertheaters. Ähnlich wie Stanislavskij, Meyerhold und Tairov prägt er mit seinen Theorien die Kunstdebatten der Zwanziger Jahre. Durch seine Emigration 1921 aus der sowjetischen Kulturgeschichtsschreibung verbannt, ist er auch in der deutschen Rezeption so gut wie unbekannt geblieben. Nur in einigen Schriften der Kulešov-Schule wird seine russische Variante des Delsarte-Modells erwähnt, ohne dass auf die vielfältigen Verflechtungen dieser Konzepte mit den kulturellen Mustern der Vorrevolutionszeit eingegangen wurde. Volkonskij verbindet in seinen theoretischen Schriften der zehner Jahre die Solojovsche Philosophie der All-Einheit mit dem ‚heidnischen‘ Gedanken vom Menschen als Mikrokosmos, der den Makrokosmos spiegelt, sowie mit der Rezeption von Dalcroze und dem K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Jörg Bochow 298 Gedanken, das ‚Ich‘ über die rhythmische Bewegung zu erneuern und mit dem Universum zu versöhnen. „In unserer Zeit des zerrütteten Willens, wo das Leben schon in seiner Morgenröte so getrübt ist, dass Kinder-Selbstmord fast zu einer Epidemie wird, muss man ein System begrüßen, das einer unserer Ärzte als ein ‚bislang unbekanntes Mittel zur Massage des Willens‘ bezeichnete und das den Wert des Lebens in der Erweckung unseres eigenen ‚Ich‘ bestimmt […]“ (Volkonskij 1914: 10/ 11) Kunst ist nach Volkonskij ein Medium des Menschen, das seine Natur, seine verborgenen Fähigkeiten hervorbringen und schulen muss. So geht es Volkonskij mit seinen von Delsarte übernommenen ‚Ausdrucks-Tabellen‘ nicht nur um eine Revolutionierung des Theaters, um eine wissenschaftlich begründete Schauspielausbildung - es geht immer auch darum, in der Entfaltung der Möglichkeiten des Menschen in der Kunst, vor allem auf der Bühne, da, wo der Mensch Instrument und Instrumentalist zugleich ist, seine Natur zur Geltung zu bringen, die im Menschen mikrokosmisch nach denselben Gesetzen wie das Universum strukturiert ist. Diese menschlich-kosmische Natur soll der ‚Ausdrucks-Mensch‘ entfalten, gegen die Verkrüppelungen, denen das menschliche Leben unterworfen ist. Wir wissen nicht, was wir vermögen. Das Leben auf die Bühne tragen! Sagen Sie, was für eine Kostbarkeit! Machen wir etwa im Leben das, wozu wir fähig sind? […] Nein, nicht das Leben muss man auf die Bühne bringen, sondern die Natur mir allen ihren Möglichkeiten. Ich habe schon gesagt, dass Leben und Natur nicht dasselbe sind, dass das Leben nur ein einzelner Ausdruck dessen ist, wozu die Natur fähig ist. Den Reichtum der Natur muss man entwickeln und sich nicht mit dem Leben zufriedengeben. Wir leben ärmlich, wir leben nicht in Gänze, wir leben wenig, wir leben blass und unsere stupide Ausdrucksfähigkeit entspricht unserer schwachen Aufnahmefähigkeit. Aber wir können und wir müssen mehr. [Hervorh. im Original] (Volkonskij 1913, S. 39) 1913 erscheint Volokonskijs Lehrbuch zur Ausbildung der szenischen Körpersprache - Der ausdrucksvolle Mensch (Vyrazitel’nyj elovek) - und damit die Grundlage für die Verbreitung von Delsartes Ideen und Techniken in Russland. Das Delsarte-Volkonskij-Modell selbst beruht auf einer aus mehreren Schichten zusammengesetzten philosophisch-anthropologischen Basis. Zunächst wird die Natur des Menschen (wie bereits beim katholischen Delsarte), entsprechend der idealistischen Vermögenslehre, bestimmt als eine Zusammensetzung aus den drei Grundvollzügen des Menschen: Leben (Empfindung, physische Erscheinung), Verstand und Seele. Volkonskij betont in seiner Auslegung des ‚Systems‘ vor allem den anthropologischen Ansatz: der Mensch als Zentrum allen Seins, der Mikrokosmos als Spiegel des Makrokosmos. Danach ist der Mensch „Zentrum seines eigenen Universums“, in dem er sich entlang der drei Grundachsen (Höhe, Länge, Breite) des Raumes entfaltet. Für Volkonskij besitzt die Arbeit mit den ‚Tabellen‘ nach Delsarte immer eine universelle Bedeutung, ein Gedanke, der bei der späteren Aneignung des Desarte-Volkonskij-Modells in den sowjetischen Filmschulen mehr und mehr zurücktritt und schließlich zu verschwinden droht. „Zwei Worte über die philosophische Bedeutung des Systems und auch über die praktische Bedeutung der folgenden Tabellen zur Unterstützung bei der Arbeit nach ihnen. Das Schema, das Delsarte vorlegte, hat ein unbegrenztes Feld der Aneignung. Alles - ob in der physischen oder der moralischen Welt oder in den Erscheinungen ihrer Wechselwirkung -, alles [Hervorh. im Original] fällt unter die Einteilung - Normal, Konzentrisch, Exzentrisch.“ (Volkonskij 1913: 49-58) Delsarte in Russland 299 2 Volkonskij und das Ausbildungsmodell der Ersten Staatlichen Filmhochschule (Gosudarstvennyi Institut Kinematografii - GIK) der Sowjetunion Am 1. September 1919 wird die erste staatliche Filmschule beim Filmkomitee des Kommissariats für Volksbildung in Moskau gegründet. Nach dem ‚System‘ des damaligen Rektors Il‘in sollten die Studenten dort Etüden spielen und dabei die neun Haltungen des Körpers verwenden, die den neun Zuständen der Seele entsprächen. Die Haltungen werden bezeichnet als 1. Normal 2. Normal-Konzentrisch (Zärtlichkeit) 3. Normal-Exzentrisch (Misstrauen) 4. Konzentrisch-Normal (Demut) 5. Exzentrisch-Normal (Stolz) 6. Konzentrisch-Konzentrisch (Beschaulichkeit) 7. Exzentrisch-Konzentrisch (Verachtung) 8. Konzentrisch-Exzentrisch (Furcht) 9. Exzentrisch-Exzentrisch (Schaudern) Die Schauspielerin Galina Krav enko beschreibt weiter: „In die von uns ausgeführten Etüden musste zumindest ein Teil dieser Zustände eingehen. Alle Etüden wurden in Takte unterteilt: 2/ 4, 3/ 4 und 4/ 4. Bei der Aufteilung im 2/ 4 Takt musste die erste Bewegung groß und die zweite klein sein. Beim Zählen nach dem 3/ 4 Takt ist die erste Bewegung am größten, die zweite kleiner und am kleinsten die dritte. Bei der Aufteilung nach dem 4/ 4 Takt ist die erste Bewegung am größten, die zweite kleiner, die dritte größer als die zweite, aber kleiner als die erste, die vierte ist am kleinsten. Für die Etüden wurden kleine Szenarien (Szenen) ausgedacht. Für die Gestaltung der Rolle nahm der Schauspieler eine der Haltungen (Positionen) des Delsarte-Systems als Grundlage und spielte seine ganze Rolle in der gegebenen Haltung (Position).“ (Krav enko 1971: 26/ 27) Wie schon Volkonskij und später auch Lev Kulešov verbindet Il’in in seinem Ausbildungskonzept Delsartes Semiotik mit dem Rhythmus-Prinzip nach Dalcroze. Zunächst wird dieses System offiziell goutiert und als beispielhaft ausgestellt, weil es der Tendenz und Forderung der sowjetischen Kommissare nach einer Verwissenschaftlichung der Kunst entgegen zu kommen scheint. Erst später, gegen 1925, setzt eine herbe Kritik ein und das Ausbildungssystem der Filmschule wird als „Schädliche Mechanik“ gebrandmarkt (Petrov, 1925: Nr. 11). Jörg Bochow 300 3 Lev Kulešov und Delsarte Lev Kulešov ist nicht nur der Begründer der modernen russisch-sowjetischen Montage- Filmästhetik, sondern auch derjenige, der das Delsarte-Volkonskij-Modell am konsequentesten zur Grundlage eines eigenen Ausbildungssystems für Filmschauspieler entwickelt hat. „Für den Theaterschauspieler hat diese Gesetze Delsarte gefunden, es wäre gut, sie durchzusehen und alles herauszuholen, was für die Kinematographie verwendbar ist. Viele denken, dass die klassische Geste nach Delsarte eine überzogene und theatrale ist, und das kann man ja für die Kinematografie nicht gebrauchen. Richtig, so eine Geste brauchen wir nicht, aber denken, dass Delsarte eine solche Geste lehrt, kann nur ein Unwissender, der nichts von seiner Lehre weiß.“ (Kulešov 1979: 157/ 158) Nach Kulešov soll der Darsteller im Film nicht psychologisch ‚spielen‘, sondern wie ein Ingenieur die Naturgesetze analysieren und anwenden - hier die Naturgesetze des menschlichen Ausdrucks. Deshalb nennt er seine Darsteller auch ‚Naturšik‘ - ein lebendes Modell der Natur, das zugleich durch seine Fähigkeiten ein „außerordentlicher Mensch“, ja eine Art Über-Mensch-Marionette ist. (Kulešov 1988: 86) Die apodiktisch verstandene ‚Semiotik‘ nach Delsarte-Volkonskij wird für die Ausbildung des Naturšiks in der Kulešov-Gruppe zur Grundlage der Gestaltung der in kleinste Einheiten zerlegten Bewegung, der Gesten und ‚Posen‘ sowie für deren Kombination, den Bewegungsfluss, von Kulešov bezeichnet als Übergang von einer Pose zur anderen. In den Unterlagen der Kulešov-Gruppe, in den Skizzen und Aufzeichnungen zur Vorbereitung der szenischen und filmischen Arbeit finden sich viele Belege darüber, wie detailliert nach den Tabellen aus Volkonskijs Publikationen gearbeitet wurde. Vor allem die Arbeit an ausgefeilten Augen- und Handbewegungen nimmt dabei einen großen Raum ein und lässt sich anhand der Bewegungsstrukturen, wie sie etwa in Kulešovs 1923-1924 gedrehtem Film „Die ungewöhnlichen Abenteuer der Mister West im Lande der Bolschewiki“ erscheinen, deutlich nachvollziehen. Diese exaltierten und zergliederten Bewegungsabläufe der Darsteller im Film verweisen auf die sehr spezifische Rezeption, die Delsarte über Volkonskij in Russland und der späteren Sowjetunion erfahren hat. Beispielhaft lässt sich das an Kulešovs Programmatik und Ästhetik zeigen. Einerseits findet bei ihm eine Vereinfachung und Mechanisierung der Konzepte Delsartes und Volkonskijs statt, andererseits führt er über seine Montage-Konzeption diese Ideen zu einem neuen anthropologischen Modell. 4 Kulešovs Entwurf eines Neuen Menschen Kulešov verbindet zunächst die Zergliederung des körperlichen Ausdrucks nach den Delsarteschen Ausdruckstabellen mit seinem Montage-Konzept, nach dem die Montage das Spiel des Schauspielers, das Ausdrücken und Hervorrufen von Emotionen, ersetzt. Aus dieser Prämisse zieht Kulešov zwei sich widersprechende Folgerungen: Zum einen war der Mensch nur Material wie jeder abgelichtete Gegenstand auch, nur Element der Realität, der Natur. In seinem Konzept vom Film als Sprache, wonach jede Einstellung wie ein Buchstabe sei, der klar und deutlich zu lesen sein müsse, war der Mensch nur ein Teil der ‚Buchstaben‘-Einstellung. Aus dieser Gleichsetzung mit der dinglichen Welt kommt Kulešov nun aber nicht zu einem Typage-Konzept, sondern, da Film ja die Montage Delsarte in Russland 301 von Bewegungen ist, musste der Mensch im Film ein perfekter Beherrscher der Bewegung sein. Und - hier überschreitet Kulešov sein mechanistisches Modell von der Einstellung als ‚Buchstaben‘-Zeichen - es kommt auf die Ausformung nicht nur der Körperbeherrschung, sondern auch auf eine übergewöhnliche Persönlichkeit an. Der Darsteller-Mensch ist somit einerseits ein gewöhnliches Glied der ‚Welt-Mechanik‘, anderseits ist er aber auch dessen Zentrum. Denn Kulešov entwickelt keinen storylosen Film, sondern lehnt sich im Gegenteil an die romantische Heldenkonzeption des amerikanischen Films an. Die Helden in den ersten Filmen Kulešovs sind nicht die später von Kritikern eingeklagten ‚psychologischen Individuen‘, sondern - unter der Oberfläche der ‚amerikanischen‘ Story-Konstruktionen - eine Erscheinung des ‚Menschen der Weltmechanik‘. „Wir wissen, dass beim Kinematographen keine Theaterschauspieler gebraucht werden, wir wissen, dass der gewöhnliche Mensch mit dem ausgebildeten Mechanismus seines Spießbürger- Körpers für den Kinematographen ungeeignet ist. Wir brauchen ungewöhnliche Menschen, wir brauchen ‚Ungeheuer‘ […] ‚Ungeheuer‘-Menschen, die es fertigbringen, ihren Körper im Geist eines genauen Studiums seiner mechanischen Konstruktion zu erziehen.“ (Kulešov 1922: 4) Hatte Volkonskij in seiner Variante des „Ausdrucks-Menschen“ vor allem eine Chance zur Erneuerung des Menschen durch seine Vereinigung mit der „Weltgeometrie“ und dem Aufgehen in der Menschengemeinschaft gesehen - durch die Vereinigung des individuellen mit dem kollektiven und dem kosmischen Rhythmus -, so wird durch die nachrevolutionäre Film-Avantgarde der Gedanke vom Menschen als Zentrum der Weltordnung und als vollkommene Beherrschung des menschlichen Körpers durch den Neuen Menschen zwar aufgegriffen und reformuliert, aber der religiös-philosophische Ursprung der Konstruktion dieser Anthropologie wird verborgen. 5 Der Abbruch der Delsarte-Rezeption in der Sowjetunion Ende der zwanziger Jahre wird der Paradigmenwechsel in der sowjetischen Kulturpolitik eingeleitet, der die Kunst der Stalin-Ära prägen wird. Unter dem Banner des ‚Sozialistischen Realismus‘ wird auch die Theater- und Filmavantgarde auf Linie gebracht, Kulešovs Utopien als wesensfremd abgestempelt. Obwohl bereits ins Abseits gedrängt, muss sich Kulešov Ende der Dreißiger Jahre noch einmal für seine Adaption Delsartes rechtfertigen. Er hatte bei Vorlesungen im staatlichen Animationsfilmstudio auf die Arbeit nach dem Delsarte-System verwiesen und den Animateuren die ‚Tabellen‘ empfohlen. Kulešov wurde dafür zur Rechenschaft gezogen und gezwungen, seine Lehrtätigkeit abzubrechen. In einem Brief an den Funktionär Adamov vom 20. November 1938 versuchte Kulešov, sich zu rehabilitieren. „Jetzt erzähle ich, in welcher Art ich kurz Delsarte erwähnte (den sich K.S. Staninslavskij nicht scheute, genau zu analysieren). Wenn man im Animationsfilm mit gezeichneten Menschen arbeitet und nicht mit lebendigen Schauspielern, muss man in der Lage sein, das Stanislavskij- System auf die Zeichnung zu übertragen. […] es kann das Studium einzelner Grundzüge aus der Theorie Delsartes nützlich sein, die zwar für das Theater schädlich ist, aber für die Zeichnung einen bekannten Nutzen haben kann. Warum? Weil Delsarte ganz präzise an den Mustern der Malerei und Skulptur verschiedene Arten des Ausdrucks von menschlichem Fühlen und Erleben auf den Gesichtern der Figuren - durch die Künstler gestaltet - studiert hat. Das Training nach Delsarte ist für den lebendigen Schauspieler schädlich - es führt zu Schablonen, fertigen äußeren Verfahren, zum Fehlen echten Erlebens. Für den zeichnenden Künstler kann das Studium der Delsarte-Tabellen vielleicht nützlich sein […]“ (Kulešov 1979: 807) Jörg Bochow 302 Das Ende der avantgardistischen Utopien, die seit 1900 die russische Kultur geprägt und beeinflusst haben, markierte gleichzeitig das vorläufige Ende der sowohl fruchtbaren wie kontroversen Auseinandersetzung mit Delsarte, ohne die eine Geschichte der Darstellungstechniken in Theater und Film in Russland und der Sowjetunion nicht geschrieben werden kann. Literatur Bochow, Jörg 1997: Vom Gottmenschentum zum Neuen Menschen. Subjekt und Religiosität im russischen Film der zwanziger Jahre, Trier: WVT Krav enko, Galina 1971: Mozaika prošlogo, Moskau: Iskusstvo Kulešov, L.V. 1922: “Esli teper’”, in: Kino-fot, Nr. 3 (1922), Moskau Kulešov, L.V. 1979: Što nado delat’ v kinematografi eskich školach, RGALI [Russisches Staatsarchiv für Literatur], f. 2679, op. 1, ed. chr. 248 (in: Michailov 1979: 157f.) Kulešov, L.V.: RGALI [Russisches Staatsarchiv für Literatur], f. 2679, op. 1, ed. chr. 807 Kulešov, L.V. 1988 [Hg. anonym]: Spravka o Naturšike, Sobrannie so inenij v 3 tomach, Moskau: Iskusstvo Michailov, V.P. (Hg.) 1979: Stat’i. Materialy, Moskau: Iskusstvo Petrov, Evgenij 1925: „O kino-škole. Vrednaja Mechanika“, Kino, Moskau, Nr. 11 Volkonskij, S.M. 1913: Vyrazitel’nyj elovek, St. Petersburg: Sirius Volkonskij, S.M. 1914: Listki kursov ritmi eskoj gimnastiki, St. Petersburg, Nr. 6 (Okt.) Signs of Expression on Dalcroze’s Path from Music to Movement Selma Landen Odom François Delsarte’s ideas of expression inspired Swiss composer Émile Jaques-Dalcroze to emphasize the body and movement in his experimental music teaching beginning around 1900. Using piano improvisation to help people hear and respond to music physically, he transformed solfège lessons into group experiences of walking, breathing, singing, conducting, and gesturing. Dalcroze, like Delsarte, gained a reputation as a master teacher and innovator in music education. Dalcroze-based teaching continues to explore core practices of this heritage today. 1 Introduction The careers of Delsarte (1811-1871) and Dalcroze (1865-1950), whose names are often linked in histories, reveal striking parallels. Their individual paths offer insight into music education at different moments in nineteenth-century France. Both benefited from traditional conservatory training, gaining knowledge they took for granted such as solfège and harmony, by methods they later questioned. Both took special interest in performance practice, attending to matters of inflection, nuance, prosody, gesture, and attitude, convinced of the importance of the voice and movement as keys to artistic expression. Both learned from and with their advanced students. In this article, I trace some of the steps Dalcroze took, following the model of Delsarte, to develop his way of teaching. I focus specifically on the role of Delsartean concepts in the emergence of the Dalcroze method, which is named Eurhythmics in English and variously in other languages. Dalcroze taught for almost sixty years and published for even longer - a vast number of music compositions, pedagogical works, articles, reviews, and several books of essays and memoirs. I began to investigate the transmission of the teaching through his writings and those of many colleagues and successors in Europe and North America. My project grew to blend archival research with fieldwork, which included observation and participation in lessons, interviews, and reconstructions of exercises from the past, often with the help of current Dalcroze specialists. Dalcroze came of age as an artist in the post-Delsartean music world of Paris. He studied there for two extended periods, in 1884-1886 and 1889-1890, building on his childhood foundation at the Conservatoire de Musique de Genève (Berchtold 2000, Brunet-Lecomte 1950, Spector 1990, and Tchamkerten 2000 for biography). He composed an opéra-comique at eighteen, flourishing under Hugo de Senger, the teacher who also inspired young Adolphe Appia, the stage theorist-designer who became one of Dalcroze’s closest colleagues. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Selma Landen Odom 304 From 1884 to 1886, he lived in Paris, drawn to music and theatre. He studied piano and harmony with Félix Le Couppey, Antoine François Marmontel, and Albert Lavignac, masters of the Conservatoire who were particularly interested in pedagogy. He simultaneously pursued elocution lessons with Edmond Got and Talbot (Denis Stanislas Montalant), Conservatoire-trained, long-time actors of the Comédie-Française. Sarah Bernhardt particularly remembered Talbot for having his students learn breath control by delivering their parts lying flat with a marble slab on their stomachs (Bernhardt 1924: 60-61). In 1886 Dalcroze served as musical director of a small variety theatre in Algiers. Fascinated by North African drumming and dancing, he found there “many occasions to make contact with Arab musicians” (Jaques-Dalcroze 1942: 39). He considered these experiences the birth of his curiosity about rhythm. Around this time Émile Jaques adopted the pseudonym “Dalcroze” by which he is widely known. He studied two years in Vienna with composer Anton Bruckner and with Adolf Prosnitz, an expert on early keyboard music, who emphasized improvisation as an essential skill. In 1889 he returned to Paris to study composition with Gabriel Fauré, who became his mentor and friend. At the same time he studied theory intensively with Mathis Lussy, the Swiss master who taught over forty years in a Paris convent and wrote books on musical expression, notation, and rhythm. For Dalcroze, Lussy’s ideas of time, space, and movement opened the door to future exploration. As a chansonnier, Dalcroze had a parallel apprenticeship in popular music, performing in venues such as the Chat Noir cabaret. His style of entertainment mixed songs with informal remarks and jokes, poems and dramatic texts, and featured his dazzling improvisations at the piano. He had a voice which, though unremarkable, people adored, and he composed prolifically, sometimes several songs a day. 2 The Delsarte Connection It is difficult to find out how Dalcroze learned about Delsarte’s approach to expression, body attitude, voice, and gesture. Delsarte, after damaging his voice while training as a singer at the Conservatoire in Paris, performed intermittently in the theatre and on the concert podium. In the 1840s he established himself as a teacher of singing and declamation, attracting students such as feminist writer Angélique Arnaud and operatic singer Alfred-Auguste Giraudet, who, among others, wrote books on Delsarte’s teachings. Karl Storck, a musicologist who knew Dalcroze personally, wrote that Dalcroze learned Delsarte exercises while he was in Paris but did not indicate with whom he studied (Storck 1912: 24). A later biographer, Irwin Spector, asserted that Dalcroze studied with Delsarte himself, but this certainly did not happen since Delsarte died in 1871, the year Dalcroze turned six years old (Spector 1990: 10). Dalcroze may have gained knowledge of Delsarte from his teachers Got and Talbot or from his actor-cousin Samuel Jaques, who also trained in Paris. He could have had direct contact with singer Alfred Giraudet, who was teaching Delsarte’s work during the 1880s. Whatever the case, we know for certain only that Dalcroze’s personal library included books on Delsarte by Angélique Arnaud and Giraudet, in which he underscored key words and phrases. Dalcroze referred to “Delsarte” a number of times in his writings and in the margins of his unpublished lesson plans, collected into ninety bound volumes which are preserved at the Institut Jaques-Dalcroze in Geneva. Such records offer Signs of Expression on Dalcroze’s Path from Music to Movement 305 the most direct evidence of Delsarte’s influence on the development of the Dalcroze method. In 1890 Dalcroze at twenty-five launched his career in Geneva, soon juggling the roles of teacher, pianist, singer, composer, conductor, writer, and editor. By 1892 he was appointed to teach harmony and solfège at the Conservatoire. Though he concentrated on music, his interest in movement continued to grow. A flyer for his “Cours pratique” in his private studio in 1894 announced the “practical study of rhythm, based on walking and dancing” along with “pulmonary gymnastics” based on the practice of the French singing teacher Ferdinand Bernard. Working as pianist with bel canto singers, Dalcroze gained deep understanding of voice and gesture which he used in composing for the stage. He married one of his closest colleagues, the Italian soprano Nina Faliero. Much of his art music was composed for her, and from the mid-1890s they toured Europe to perform together. At home in Switzerland, he joined forces with singers, writers, artists, dance teachers, and theatre people to produce concerts and stage productions of his music, including choral works and operas as well as variety shows. The culmination of these experiences was directing the huge numbers of people who took part in historical pageants such as Poème alpestre (1896) and the Festival vaudois (1903), which he composed and conducted. For these works he taught on the spot, to achieve the best performances from young and old, amateur and professional. This practical imperative convinced him that people learned more quickly by combining singing and action. He later wrote that these collaborations gave him crucial movement experience that stimulated experiments in his music classes (Odom 1990). Dalcroze was impressed by how dramatic situations and games could make music study accessible to children. In the mid-1890s, Dalcroze began to give recitals of his children’s songs, which became immensely popular throughout Switzerland. He published numerous songs, including several collections with detailed directions for staging. 3 Gesture Songs In 1904, Dalcroze gained a gifted colleague who contributed substantially to what he was trying to do. Dutch music teacher Nina Gorter met Dalcroze through her interest in his songs for children. She moved from Berlin to assist Dalcroze in Geneva, and soon the emphasis on movement and gesture in his work intensified. While he was brilliantly spontaneous, Gorter was methodical. She wrote down his exercises and tested them herself. Formulating the work, which Gorter made her mission, was crucial in giving the new method coherence and identity. They wrote a guide for staging Six Chansons de gestes: études callisthéniques (1904), a collection of songs with movement for the hand and arm, the head and eyes, and the torso. Gorter brought to this project knowledge of women’s physical training as well as American Delsartean expression, possibly gained from Harriet Davis Güssbacher, who announced that she was introducing the work in Germany around 1899. Delsarte manuals such as those published by Genevieve Stebbins in the 1880s and 1890s may have been available to Gorter. As Delsarte had done before him, Dalcroze brought insights from performance experience to the work of the classroom. Between 1903 and 1906 Dalcroze transformed his teaching and stage experiences into a method of training physically that addressed mind-body connections in music. Selma Landen Odom 306 Photographs illustrate examples such as his song “Ondine,” described as a plastique for a girl wearing a “supple and light long gown” (Jaques-Dalcroze and Gorter 1904: 10). The authors say that these are not attitudes to be imitated, but rather a “glimpse of the direction in which the personal study and research of the teacher should be directed” (4). These words evoke the Delsartean principle of inner searching by the individual. Similar views had already been expressed by Isadora Duncan, by this time based in Germany, in her 1903 lecture Der Tanz der Zukunft / The Dance of the Future. In the school she hoped to found, she stated, “I shall not teach the children to imitate my movements, but to make their own” (Duncan in Cheney 1928: 61). Dalcroze, as editor of the journal La Musique en Suisse, published a long article on Duncan in 1903 by Albert Dresdner, a German art historian who advocated music, gymnastics, and dance as the basis for education. Dresdner was one of the first to recognize in Duncan’s dancing the traces of her background in Delsartism. He also praised Nina Gorter’s sensitive staging of Dalcroze’s songs in Berlin. Dalcroze, through his collaboration with Gorter, was drawn toward the values of Delsartism and Duncan’s dancing at exactly the time he decided to focus on what movement could offer to teachers of music. Gorter put great effort into helping to prepare the series of method books which Dalcroze began to publish in 1906. Gymnastique rythmique, the first and largest volume of Méthode Jaques-Dalcroze, suggests formal gymnastics and physical culture, yet the purpose of this manual is the “development of rhythmic and metric musical instinct, the sense of plastic harmony and balance of movements, and for the regularization of motor habits” (Jaques- Dalcroze 1906: vi). 4 The Physical Essence of Rhythm Gymnastique rythmique contains descriptions of exercises, along with rhythmic and movement notations, 80 drawings of positions and actions, 120 photographs, and a set of anatomical plates. The introduction begins by incorporating a quotation of Delsarte’s Law of Correspondence in the following way: “The gift of musical rhythm does not stem solely from reasoning; it is physical in essence. ‘To each spiritual function responds a function of the body; - Delsarte said - to each great function of the body corresponds a spiritual act’” (Jaques-Dalcroze 1906: xi). Dalcroze explains balance and harmony as the classical values underlying his approach: “Musical rhythm is like a reflection of bodily movements, dependent on good balance and the general harmony of those movements” (xi). He enlists Delsarte’s concept to support his claim that “to regulate and improve movement is to develop the rhythmic mentality” (viii). Dalcroze sees his task as enabling people who have difficulties with rhythm “to take possession of” their bodies in order to move them at will (xii). In the first part of Gymnastique rythmique, students are instructed to wear simple, light, “well-ventilated” clothing: knit jersey tops and “for the lower parts of the body, ample bloomers, stopped just above the knees,” to ensure free play of the joints (2-3). Lessons begin with a warm-up of breathing, balance, strength, and flexibility exercises based on Swedish, or Ling gymnastics, a comprehensive system of exercises which were introduced into Swiss physical education for women and children in the 1890s. This approach became popular in England and the United States, influencing Genevieve Stebbins among many others. Unlike the stylized movements of dancing, Swedish gymnastics Signs of Expression on Dalcroze’s Path from Music to Movement 307 took a functional approach to body training, using movement accessible to all. Those who did them could gain an understanding of body mechanics and alignment as well as muscular control. Dalcroze also borrowed from gymnastics teaching the use of commands or cues to produce quick reactions and responses from students. Dalcroze elaborates his version of Delsarte’s Law of Correspondence in Gymnastique rythmique by investigating the connection of feelings and physical movements with musical phenomena. The purpose of his “rhythmic walking and breathing” exercises is to encourage the flow of communication between the sensing, moving body and the creating, thinking brain. Examples of walking and breathing exercises span 17 “lessons” of increasing difficulty (Jaques-Dalcroze 1906: 25-228). One of Dalcroze’s key exercises is walking to generate the feeling of the beat. The process of lifting one leg to step, falling forward and catching the weight, and then going on to the next step - activity familiar and automatic from childhood - demonstrates the body’s way of dividing time into equal parts. When the first of two or more steps is accented, the resulting pattern produces metrical rhythm or measure. He introduces movements for slower and quicker note values, ways to step rhythmic patterns, and arm gestures for beating time and conducting. For rests, the body remains alert in the ending position of the last step. Nuances such as crescendo-decrescendo require that people control force or energy as they move through time and space. People learn to internalize the beat, measure and rhythm by engaging in a process that is both analytic and integrative, concerned with understanding the parts as well as the whole. While locomotion carries the body from a balanced position outward into space, rhythmic breathing is a more inward activity which can awaken the torso or center of the body. In these exercises, contraction and relaxation in the abdomen or chest are timed and controlled, sometimes in relation to gestures, such as lifting and lowering the arms. Breathing is intimately connected with the voice, the source of song and speech inside the body (120). Dalcroze associates sounds with different types of movements; for example, explosive consonants such as p, b, t, and d are linked with contractions of the abdominal muscles. Gymnastique rythmique thus builds on traditional diction and voice instruction to offer a detailed, subtle exploration of movement impulses and musical phrasing in the body center. To try one of his exercises, lift your arms to shoulder height as you inhale, then lower them as you exhale (repeat several times). Notice the difference if you do the opposite: exhale as you lift your arms to shoulder height, and inhale as you lower them. To build skills of coordination, attention, and concentration, exercises for “independence of the limbs” include activities such as beating two against three. “Stopping” exercises alternate walking with stillness. The task is to “continue the movement mentally” while being still, so as to be able to resume the original tempo or pattern at the right time without hesitation. Through physical practice, students gain the ability “to think movements without doing them” (38-40). Conversely, in “hearing” exercises, they listen to an example and “realize” it immediately, improvising movement without stopping to think or analyze. Many of these exercises and concepts have persisted for more than a century of Dalcroze teaching - not literally, as written, but in variations handed down through the interactive process of learning and teaching. Teachers use piano improvisation and verbal instruction to enable students to embody experiences, so that they in turn can move, sing, and play musically. Instructions such as “internalize the phrase” or “externalize a feeling” are distant echoes of Delsarte’s Law of Correspondence as Dalcroze applied it in the field of music (Odom 1995). Selma Landen Odom 308 5 The Plastic Expression of Music Dalcroze concludes Gymnastique rythmique with slow movement exercises for “the plastic expression of music” (229-78). He states that sustained movements and attitudes are the most difficult of all to master, requiring balance and muscular control, since muscle groups must adjust constantly to create a harmonious flow of action. Illustrations and instructions for the slow movements closely parallel activities shown in Delsartean manuals of the late nineteenth century. Dalcroze’s exercises study tension and relaxation, shifting the body from side to side or forward and back; walking slowly, prolonging the contact of the foot with the ground; and turning, kneeling, or lying down and rising with timings such as moderato, adagio, and lento. The slow movements depend on sustained weight transfers, to which the performer can add gestures of lifting and lowering the arms, circling, curving, and falling. He includes photographs of key students such as Suzanne Perrottet, who began teaching with Dalcroze while still in her teens. They demonstrate how thoughts and feelings - happiness, adoration, deception, sorrow, shame, disdain, curiosity, sadness, and fatigue - can motivate expressive attitudes which can be varied “to infinity” as teacher and students invent other possibilities. An example I reconstructed is titled “Qui vois-je? ” or “Whom do I see? ” This exercise combines a short dramatic text with photographs and directions. The teacher counts from 1 to 16. Whom do I see? From 1 to 4. - Simultaneous movements. The right leg steps back, supporting the body weight; the torso leans backward; the hands rise shading the eyes; the eyes look forward into the distance. Oh joy! It’s a From 5 to 8. - Simultaneous movements; loved one! the arms lift as a basket; torso arched; the head lifted in the air. I go to meet him! From 9 to 12. - Four steps forward (starting on the left), the arms stretch forward, the gaze forward. Joyous embrace! From 13 to 16. - Stop on the left leg forward; the two arms cross the chest as to embrace, the gaze lifted. Repeat starting with the left foot. (Gymnastique rythmique 1906: 262-63, my translation). 6 Educating the Nervous System The interactive lecture-demonstration, with Dalcroze at the piano and participants moving and singing in an open space, came to be the preferred strategy for showing the new work. On the cover of La Vie Illustrée, Dalcroze directs his advanced students at the Paris Conservatoire in May 1907. In the article, the interviewer quotes him as saying “rhythm must be so completely internalized that it can be executed effortlessly, even when unanticipated. In my system, as soon as one movement is automatic, I add a different movement that goes with it and so on” (de Weindel 1907: 101). His awareness of the ear-brain-body connection led him to question how people acquire musical knowledge and how teachers can facilitate that process. Signs of Expression on Dalcroze’s Path from Music to Movement 309 Dalcroze knew how to reach his students’ imaginations not only through his music but also through the rich array of ideas and images he introduced into teaching. His lesson plans include exercises he called “sudden emotions” and “attitudes”: eagle’s wings, the warning, flames, the amphorae, awakening to music, lifting a stone, scattering flowers, drawing in the air with the arms. Suzanne Perrottet was among the group of “Dalcroziennes” who toured European cities to give lecture-demonstrations, performing barefoot in tunics in the manner of Isadora Duncan. Another was Marie Rambert, who studied and taught with Dalcroze from 1909 to 1912 before leaving to work as Vaslav Nijinsky’s assistant when he choreographed Le Sacre du printemps (Odom 1992b). The Dalcroze method rapidly gained the reputation of providing a whole new approach to movement training. The growing clientele for the teaching, in addition to conservatory students and children, included teachers and musicians, male and female, who attended summer courses held in Geneva from 1906 to 1909. A society was organized in 1907, and groups demonstrated the work in France, Holland, Belgium, and Germany. Dalcroze exponents performed in many of the cities where Isadora Duncan, Maud Allan, the Wiesenthal sisters, and other dance innovators appeared during this period. Annie Beck, a young Dutch pianist, came to study with Dalcroze because she had been inspired by Duncan’s dancing. Beck’s own gifts for improvisation and choreography soon became evident (Odom 1998). Perrottet, Rambert and Beck were close colleagues, and as women in their early twenties they accompanied Dalcroze to Germany in 1910 to create a training college in Hellerau, a garden city north of Dresden. To this school’s purpose-built studios came hundreds of professional students, from countries as far away as the United States and Japan. Here, Dalcroze focused on developing movement improvisation as a pedagogical tool and creative method. The connections of time, space, and energy in music became clear in a context where bare feet and leotards liberated people to experience movement in fresh ways. They walked, ran, skipped, and jumped; they made impulses “travel” from one body part to another; they explored movement on stairs and levels designed by Adolphe Appia, who had already taken part himself in Dalcroze’s new teaching. He wrote several articles about it and in the process helped to articulate its modernist aesthetic. In particular, he advocated the radical simplicity of leotards, even as costume for the stage. Many other articles in the international press introduced images of Hellerau students, such as a young man performing a sequence of expressive attitudes in The Musician for January 1911. In the summer of 1912, a three-week festival demonstrated Hellerau’s educational and artistic work. A program of “plastic music representations” culminated in a staging of the Descent into the Underworld scene from Gluck’s opera Orpheus and Eurydice. Thanks to dramaturg Richard Beacham, I had the opportunity to direct movement for a reconstruction of the full-length Orpheus that Dalcroze produced with Appia’s designs and Beck’s choreography at Hellerau in 1913 (Odom 1992a). Photographs of the original production capture the moment when the women Mourners, draped in classical tunics, manipulated lengths of fabric hanging from the shoulder to extend and enlarge their gestures. One imagines that their intense tableaux embodied Eurhythmics and at the same time resonated with the ideals of expression associated with Delsarte and Duncan. A workshop with New York area Dalcrozians brought me the chance to try another reconstruction from the Hellerau period, this time Dalcroze’s score for “The Singing Flowers.” This choral work evoked ancient ritual in a sequence of mysterious-sounding harmonies. Selma Landen Odom 310 Prince Sergei Volkonsky, former Director of the Russian Imperial Theatre, described this composition: Several groups kneel in circles, heads together. One of the circles rises with soft singing, holding hands, bodies and arms stretching upwards as the singing increases, until the circle of supple bodies bends backwards and opens up like a basket. At the climax, the chord changes and the movement reverses, the basket closes, the knees bend, and all kneel down again. The human flowers grow, open, take a breath, and close again. Gradually the chords change more quickly, the flowers open and close more often, the final chord of one becomes the beginning of another, and finally all five flowers grow simultaneously and open in a joint chord: a hymn of life and light (Wolkonski in Feudel 1960: 22). Volkonsky studied the Dalcroze method at Hellerau and organized its successful introduction in Russia. Equally fascinated by Delsartism, he published his book on teaching gesture for the stage in 1913. Possibly he lectured on Delsarte during one of his sojourns at Hellerau, because Beryl de Zoete as a student there made detailed notes on Delsartean topics and sources (Odom 2005: 149). 7 The Dalcroze Heritage There are countless stories of artists and teachers who came in contact with the Dalcroze method in these early years. Suzanne Perrottet and Hellerau-trained Mary Wigman, for example, moved on to study with Rudolf Laban and then pursued independent careers in dance, while generations of other teachers up to the present have continued the work of Dalcroze teaching (Odom 1986, 2002, and 2003a). Meredith Monk, the contemporary American composer-choreographer, says the sisters Lola and Mita Rohm, who were her Dalcroze teachers when she was three years old, “taught an integrated feeling about music and movement. I have retained this and never separated from it throughout my working life” (quoted in Kreemer 1987: 253-54). For her “the rhythm of the piece is the primary concern” and “my movement has always had a human and gestural aspect to it rather than abstract, geometric shape.” Her research on creating with the voice connects her to the legacy of Dalcroze and Delsarte. People with Dalcroze backgrounds have led careers in music, dance, theatre, physical education, therapy, and other fields. They elaborated Dalcroze’s practices and invented their own, adapting to new working environments in schools and conservatories around the world. Through their evolving, eclectic ways of combining music and movement, Dalcroze specialists still concentrate on the body as the primary instrument of expression. To me it seems that they also reveal the enduring traces of François Delsarte. References Arnaud, Angélique 1882: François Del Sarte: ses découvertes en esthétique, sa science, sa méthode, Paris: Librairie Ch. Delagrave Berchtold, Alfred 2000: Émile Jaques-Dalcroze et son temps. Lausanne: L’Âge d’homme. Originally “Émile Jaques- Dalcroze et son temps”, in: Frank Martin (ed.) 1965: 27-158 Bernhardt, Sarah 1924: The Art of the Theatre, H.J. Stenning, trans. 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New York: Edgar S. Werner. Reprint New York: Dance Horizons, 1977. The 1 st edition was published in 1885. Later editions (2 nd 1887, 3 rd 1898, and 4 th 1891) include Delsarte’s address before the Philotechnic Society, according to Ruyter (1999): 145 Storck, Karl 1912: E. Jaques-Dalcroze: Seine Stellung und Aufgabe in unserer Zeit, Stuttgart: Greiner und Pfeiffer Tchamkerten, Jacques 2000: Émile Jaques-Dalcroze: catalogue thématique des mélodies, chansons, chœurs et rondes enfantines, Drize (Geneva): Editions Papillon Volkonsky, Sergei Mikhailovich 1913: Vyrazitel’nyi chelovek, Stsenicheskoe vospitanie zhesta. Po Delsarte-u. S illyustratsiyami so statui I kartin starinnykh masterov, [Expressive Man. Teaching gesture for the stage. After Delsarte. With translations from statues and pictures by old masters] St. Petersburg: Izdanie “Apollona” See also Wolkonski de Weindel, Henri 1907: “Une méthode d’enseignement rationnel de la musique”, La Vie Illustrée (May 17): 101 Wolkonski, S[ergei] M[ikhailovich] 1960: “Meine Erinnerungen.” In Feudel, E[lfriede], ed. In Memoriam Hellerau. Dalcroze. Dohrn, Freiburg: Rombach, 7-31. See also Volkonsky François Delsarte und die deutsche Körperkulturbewegung Bernd Wedemeyer-Kolwe Delsarte and the German Physical Culture Movement. Delsarte’s basic idea that each emotional experience results in a certain physical movement influenced the German Physical Culture Movement via Delsarte’s epigones and followers beginning approximately in 1900. This heterogenous reform movement, which was mostly practiced in private commercial schools of physical culture rather than in associations, attempted to induce an extensive self-reform of the human being, leading to a reform of society. It ranks amongst the most influential life reform movements formed around 1900, and also included reform pedagogy and youth movements. This presentation will investigate the reception and the importance of Delsarte in these groups. 1 Einleitung „Unsere heiligste Aufgabe sollte es sein, die [Jugend, der Verfasser] gesund zu machen und zu erhalten; neben der edlen Blüte vornehmster Geistesbildung darf die des Leibes keineswegs verkümmern. Für die natürliche Schönheit eines ebenmäßigen, gesunden Körpers gilt es der Menschheit wieder die Augen zu öffnen, gegen Unnnatur und Zwang heißt es zu Felde zu ziehen. Glückliche Ehen und gesunde Kinder wird es dann geben, wie sie das Künstlerauge des Malers Fidus vorahnend geschaut und mit dem Stift so entzückend lebendig festgehalten hat. Wesen, die in all ihren Bewegungen einen wundervollen Rhythmus haben, deren Stellung und Haltung die Harmonie von Körper und Geist in jeder Bewegungsphase widerspiegeln, Wesen, die den Menschen erst zum Menschen machen. Eine edle Gymnastik wird daran ihren wesentlichen Anteil haben“ (Zepler 1906: 69). Dieses 1906 veröffentlichte kurzgefasste und außerordentlich typische körperpädagogische Reformprogramm stammt von der Gymnastiklehrerin Margarete Zepler, deren Vorbild unter anderem der französische Sänger, Spracherzieher und Bewegungspädagoge François Delsarte war. Es benennt alle Schlagworte und Denkfiguren, die ab etwa 1900 in allen wesentlichen weltanschaulichen Programmen der damals sehr einflussreichen Lebensreform- und Körperkulturbewegung in Deutschland enthalten waren: Harmonie von Körper, Geist und Seele, Ganzheitlichkeit und Rhythmus, Natur und Natürlichkeit, Körperschönheit und Gesundheit: kurz: die „Veredelung“ des Menschen (grundsätzlich Krabbe 1974). Es waren Werte und Normen, Mythen und Konstruktionen einer bürgerlichen Schicht, die die als unzumutbar empfundene Moderne - Industrialisierung, Urbanisierung, Säkularisierung, gesellschaftliche Instabilität, Auflösung bisheriger Werte sowie soziale Ambivalenzen - mit K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Bernd Wedemeyer-Kolwe 314 einer antiurbanen rückwärtsgewandten Zivilisationskritik beantwortete. Zur Bewältigung dieser als krisenhaft empfundenen Zeit der ökonomischen und sozialen Instabilität, der politischen Ohnmacht und des Schwindens herkömmlicher religiöser Weltdeutungen entwarfen diese bürgerlichen Reformbewegungen eine neue Welt mit neuen Menschen (Hinweise in Kerbs & Reulecke 1998 und Wolbert 2001). In dieser neuen Welt, die am Ende einer kompletten Veränderung der Lebensumstände stehe, solle der Mensch eine „Persönlichkeitskultur“ entwickeln, die durch eine „Einheit von Körper, Seele und Geist“ gekennzeichnet sei und die den Körper als „heiligen Tempel“ auffasse. Durch diese Selbstreform - und dazu gehörte Körperkultur, naturnahes und gesundes Leben, soziale Autarkie, gemeinschaftliches ländliches Wohnen in kleinen Einheiten, „natürliche“ Erziehung und religiöse Erneuerung - sollten die „schweren sozialen Erschütterungen, die wir und die ganze Kulturwelt durchmachen“ verschwinden, die „ursprünglichen gesunden Verhältnissen“ zurückkehren und damit die soziale Frage gelöst werden: Körperkultur und Lebensreform als Mittel zur Veränderung der allgemeinen Lebensumstände (Zitate in Wedemeyer-Kolwe 2004: 13f.). 2 Der Körper und die Körperkulturbewegung Der Körper und seine Zurichtung, seine Bearbeitung mittels eines adäquaten Körpersystems war also einer der wesentlichen Voraussetzungen für die damaligen Reformbewegungen, ihre umfangreichen Programme erfolgreich umsetzen zu können und zukunftsfähig zu machen. Es gab etliche zeitgenössische Protagonisten, die damals auf der Suche nach einem entsprechend umfassenden Körperkultursystem waren, und je mehr selbsternannte Propheten sich darum kümmerten und Systeme entwarfen oder propagierten, desto unübersichtlicher wurde das Angebot und desto schärfer ging man untereinander in Konkurrenz. Zwar war man sich einig, was die Zutaten und Eigenschaften der neuen Körperkultur anging, aber die inflationäre Propaganda der immer gleichen Idealbegriffe - Natürlichkeit, Schönheit, Einheit von Körper und Geist, Rhythmus - erschwerte natürlich auch die Abgrenzung voneinander; schließlich wollte man diese neue Körperkultur nicht nur leben und dadurch die Welt ändern, man wollte sie auch verkaufen und musste davon existieren. Denn im Unterschied zur zeitgenössischen Turn- und Sportlandschaft in Deutschland, die über, durch Mitgliedsbeiträge finanzierte, gemeinnützige Vereine organisiert war, hatten die Körperkulturisten der Lebensreform private Institutionen gegründet - wie eben Körperkultur-, Gymnastik- und Ausdruckstanzschulen. Sie waren auf zahlende Kunden angewiesen und mussten sich auf dem Markt der Körperkulturen behaupten. Auch deshalb waren sie bestrebt, ihre Systeme schriftlich, mündlich und über Veranstaltungen zu individualisieren, möglichst weit zu verbreiten und auch ideologisch zu rechtfertigen: heute würde man dies „Alleinstellungsmerkmal“ nennen. Lebensreformerische Prophetie, finanzielle Erwägungen und Marktkonkurrenz schlossen sich auch schon um 1900 nicht aus (allgemein dazu Wedemeyer-Kolwe 2004). In diesen Rahmen gehört die Rezeption des Systems von François Delsarte in der deutschen Körperkultur- und Lebensreformbewegung der vorletzten Jahrhundertwende. Rezeption deshalb - und das erschwert die ganze Sache noch - , weil den entsprechenden Epigonen des Delsarte-Systems keine Primäraussagen von Delsarte selbst vorlagen, sondern sie gefiltert waren über mindestens eine, wenn nicht gar zwei Generationen von Nachfolgern, die das ursprüngliche System, das zudem gar nicht für körperliche Ertüchtigung, sondern für die Musik- und Schauspielerziehung vorgesehen war, jeweils wieder verschieden rezipierten, interpretierten und an ihre jeweiligen Herkunftsräume und Ausbildungen und Bedürfnisse und François Delsarte und die deutsche Körperkulturbewegung 315 Möglichkeiten anpassten, nicht zuletzt beeinflusst von finanziellen und weltanschaulichen Erwägungen (Jeschke/ Vettermann 1992). 3 Die Delsarte-Rezeption in der Körperkulturbewegung Die erste Körperkultur-Generation der Delsarte-Anhänger zwischen 1885 und 1910 entnahm von dem bereits 1871 verstorbenen Delsarte die - offenbar nie schriftlich exakt niedergelegte - Grundidee, da s s jedes seelische Erlebnis eine bestimmte Körperbewegung nach sich zöge; eine Idee, die auf der schon damals in bürgerlichen Kreisen äußerst beliebten kulturellen Konstruktion einer angeblichen Einheit von Körper, Geist und Seele basierte. Verkürzt gesagt, handelte es sich um die Annahme, dass der Mensch unbewusst bestrebt sei, stets die Balance zwischen Fliehkraft und Anziehungskraft zu halten, wobei Delsarte über Spannungs-, Lockerungs- und Entspannungsübungen Pendants zu diesen Kräften entwarf. Aufgrund seiner Zusatzüberlegung, der Mensch übersetze seine seelischen Zustände in entsprechende Bewegungen, ging Delsarte davon aus, dass dies in der Schauspielkunst zu authentischen Darstellungsweisen führen könne. Diese metaphysischen Überlegungen brachten Delsarte angeblich dazu, buddhistische Elemente aufzugreifen, die über die Asienrezeption des späten 19. Jahrhunderts weite Verbreitung in der westlichen bürgerlichen und intellektuellen Welt gefunden hatten und äußerst zeittypisch waren. Sogenannte „natürliche“ Körperbewegungen als Basis und nichtchristliche spirituelle Ideen als Überbau: M it diesen beiden ausgezeichnet rezipierbaren, weil interpretatorisch äußerst dehnbaren Grundelementen konnte das Delsarte- System relativ leicht Eingang finden in die gerade auf derartige Grundvoraussetzungen fußende Körperkulturbewegung (Jeschke/ Vettermann 1992). Die Ideen von Delsarte wurden zuerst von seinem amerikanischen Schüler Steele Mackaye und dessen Epigonin Genevieve Stebbins aufgegriffen, und sie entwickelten daraus ihre gymnastischen Systeme. Damit verlor das Delsarte-System seine Authentizität, und es entstanden fast sofort interpretatorische Übersetzungen unter gleichzeitiger Beibehaltung der entsprechenden Grundbegriffe wie Rhythmus, Ganzheitlichkeit, Harmonie und Gesundheit. Während Mackaye dabei den Körper so trainieren wollte, dass er jedes seelisches Erlebnis sofort körperlich umsetzen konnte (Günther 1980 sowie Toepfer 1997), schuf Stebbins unter Hinzuziehung der schwedischen Heilgymnastik daraus ein Trainingssystem namens Ästhetische Gymnastik, mit dem sich sozial besser gestellte Frauen nicht nur graziöser bewegen, sondern ihren Alltag durch das neue Körperbewusstsein auch besser bewältigen konnten. Stebbins ’ Hausgymnastiksystem umfasste dabei noch Atemübungen und bezog auch Autosuggestion mit ein. So bestand ein Beitrag dieses Systems in der Herausbildung eines weiblichen Körperbewusstseins in Nordamerikas Oberschicht, deren Frauen mit Körperfeindlichkeit, Korsett und engen Moralvorstellungen aufgewachsen waren. Ein anderer Beitrag war der Einbezug der amerikanischen „physical culture“-Bewegung, die die Leistungsfähigkeit des Körpers als Voraussetzung für Erfolg und Glück betrachtete (Günther 1971: 35 sowie Günther 1980: 571f.). Damit waren zwei Elemente, die für die deutsche Rhythmische Gymnastik und zum Teil auch für den frühen Ausdruckstanz immanent waren, hier bereits von vornherein angelegt: Die Delsartik bzw. die Nachfolgesysteme waren zumindest in den Anfängen zweifellos eine Luxusangelegenheit für die bürgerlichen Schichten und es gab - aufgrund der speziellen Art der Übungen - einen ausgesprochen hohen Frauenanteil, der selbst innerhalb der Bewegung mitunter als störend empfunden wurde. So bedauerte schon die Delsarte-Epigonin Hedwig Kallmeyer um 1910, dass die Gymnastiksysteme für Bernd Wedemeyer-Kolwe 316 Männer nicht attraktiv waren , und plante immer wieder, „das System auch für Männer zu bearbeiten“ (Die Schönheit 1910/ 11, 388f.). Aus dieser amerikanischen Delsartik um Mackaye und Stebbins entwickelten sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte dann die weiteren hauptsächlichen Zweige der mitteleuropäischen Rhythmischen Gymnastik und zum Teil auch des Ausdruckstanzes. Dabei transportierten die Ärztin Bess Mensendieck, die eingangs erwähnte Gymnastiklehrerin Margaret e Zepler und die Stebbins-Schüler in Hedwig Kallmeyer die amerikanische Delsartik, die ja aus Frankreich importiert worden war, - in wiederum individuell abgewandelter Form - wieder zurück nach Mitteleuropa, so dass wir es hier im Grunde mit einer geographischen Doppelrezeption zu tun haben. Margarete Zepler veröffentlichte, wie oben erwähnt, 1906 ihr Buch „Erziehung zur Körperschönheit“ und verknüpfte darin die Delsartik mit der schwedischen Gymnastik und de n englischen „Calisthenics“. Dabei hatte sie das Delsarte-System, wie sie angab, „teils selbst gesehen, teils aus Gesprächen kennen gelernt, teils hier und da verstreut in ausländischen Zeitschriften gefunden“ (Zepler 1906: 40). Sie vermengte dann medizinischhygienische Körpererziehung mit ästhetischen Komponenten , d. h. sie lehrte Alltagsbewegungen wie etwa das „richtige“ Aufstehen und Setzen, vermittelte Spannungs-, Halte- und Entspannungsübungen, lehrte Atemübungen und gab aber auch das vom Bürgertum geforderte ästhetisch-anmutige Bewegungskonzept für Frauen und Mädchen weiter. Der Schwerpunkt von Bess Mensendieck, die bei Stebbins das Delsarte-System gelernt hatte, lag dabei weniger auf Ästhetik und gar nicht auf den musikalischen Elementen, sondern auf Gesundheit und physischer Unabhängigkeit. Auch sie vermittelte Spannungs-, Entspannungs- und Atemübungen, die sie statisch oder mit untergliederten langsamen Bewegungsabläufen, also mit krankengymnastischen Elementen, verband. Für Mensendieck war ein schöner weiblicher Körper immer und zuerst ein kraftvoller Körper (Mensendieck 1912). Ihr System wurde unter dem Begriff „mensendiecken“ sehr populär. Spötter wie der völkische Satiriker Wilhelm Stapel schrieben in den 20er Jahren etliche Glossen auf diese weibliche Körperkultur: „Hulda geht mensendiecken“, nannte er etwa eine entsprechende Satire (Stapel 1939). Mensendieck selbst hatte etliche Nachfolgerinnen, die wiederum Gymnastikschulen eröffneten und ihre dort gelehrten Systeme weiterentwickelten und in veränderte Kontexte stellten. So nannten die Pädagoginnen Louise Langgaard, die Anthroposophin war, und Hedwig von Rhoden ihr System „Künstlerische Gymnastik“ und lehrten es in der 1919 gegründeten Frauensiedlung Loheland, die noch heute als ländliche Weiterbildungsstätte besteht. Und die Mensendieck-Lehrerin Dorothee Günther verknüpfte die von Mensendieck übernommenen Delsarte-Elemente mit den Musik-, Gymnastik- und Ausdruckstanzsystemen von Emile Jaques-Dalcroze und Rudolf von Laban zu einer metaphysisch orientierten Bewegungskunst, wobei sie später noch in Kontakt mit Carl Orff und der Tanzpädagogin Maja Lex kam (Wedemeyer-Kolwe 2004: 68f.). Eine dritte Stebbins-Schülerin schließlich, Hedwig Kallmeyer, ging ebenfalls über das Stebbins-System hinaus und integrierte Musik und ästhetisch-künstlerische Elemente in ihre, wie sie es nannte, „Künstlerische Gymnastik“ und gab dieses System an nachfolgende Gymnastiklehrerinnen der 1920er Jahre weiter. Typisch für die gesamte ambivalente Delsarte-Rezeption war dabei ihre 1910 notierte Behauptung: „(Ich) arbeitete […] Teile dieses Systems auf Grund meiner Erfahrungen […] um“, das „Ganze jedoch (ist) völlig im Sinne der Begründerin.“ (Die Schönheit 1910/ 11: 388f. sowie auch Kallmeyer 1970: 19f.). Eine weitere wichtige, von Genevieve Stebbins beeinflusste Persönlichkeit war der Schweizer Musikpädagoge É mile Jaques-Dalcroze, der in seinem Institut in der Gartenstadt Hellerau bei Dresden - einem der wesentlichen frühen Zentren der Reformpädagogik und François Delsarte und die deutsche Körperkulturbewegung 317 Lebensreform - ab 1910 mit seinen Klassen seine Idee umsetzte, Musik durch Körperbewegungen darstellen zu lassen. Er verband damit seiner Ansicht nach Rhythmus und Bewegung, Geist und Körper: der Geist äußere sich rhythmisch-körperhaft, und der Körper vergeistige durch den Rhythmus; also auch hier wieder die wesentlichen Stichworte der Bewegung. Seine Lehre und sein Institut waren von enormer Bedeutung: Hier lernten spätere bekannte Ausdruckstänzerinnen und -tänzer und Gymnastiker wie Suzanne Perrottet, Rudolf von Laban, Rudolf Bode, Mary Wigman, Grete Wiesenthal oder Hilde Senf. Sie gaben das System Dalcroze - und damit auch Elemente der Delsartik -, mit je eigens ergänzten Anschauungen und Bewegungsformen an ihre Schülerinnen und Schüler weiter und formten es dadurch wieder um (zum Ganzen Oberzaucher-Schüller 1992 sowie Wedemeyer-Kolwe 2004). Auch die amerikanische Tänzerin Isadora Duncan schließlich war von Delsarte beeinflusst worden. Ihre Tänze waren als Gegenpol zum Ballett konzipiert und setzten auf einen freien, angeblich natürlichen Ausdruck, der keine harten eckigen Bewegungen kannte, sondern fließende rhythmische Akzente hervorbrachte. In ihrer Schule lehrten sie und ihre Schwester Gymnastik und Tanz, denen man deutlich Elemente des gymnastischen Systems von Stebbins und Delsarte anmerkte; auch Isadora Duncans Ziel war es, Empfindungen durch Bewegung auszudrücken. Mit ihren Barfußtänzen und mit der von ihr und ihren Schülerinnen getragenen antikisierenden Kleidung setzte sie das Naturpostulat der Reformbewegungen und die zeitgenössische Antikenrezeption in anschauliche und vom Bürgertum leicht erkennbare Bilder um (Oberzaucher-Schüller 1992: 224f. und Wedemeyer-Kolwe 2004: 69f.). 4 Schluss Im Zuge der amerikanischen Delsarte-Rezeption entstand damit, wie gezeigt, eine Unmenge an verschiedensten Nachfolgeströmungen mit einer Anzahl von Epigonen, die dieses bereits veränderte Delsarte-System ganz unterschiedlich aufnahmen und mit anderen zeitgleichen heterogenen Einflüssen in der Körperkulturbewegung - sei es nun Ausdruckstanz oder Rhythmische Gymnastik - kombinierten und zusätzlich ihre eigenen Spezialausbildungen mit einfließen ließen. Dabei bezeichneten sich etliche der Epigonen ausdrücklich als legitime Nachfolger des in der Körperkulturbewegung nun anerkannten und einflussreichen Delsarte, zum Teil natürlich auch aus taktischen und finanziellen Erwägungen: Zum einen suggeriert der Rückgriff auf wichtige Vorbilder immer auch Kontinuität und Seriosität, zum anderen war es angesichts des wachsenden konkurrierendes Marktes der zahllosen freien Schulen für Ausdruckstanz und Rhythmische Gymnastik wichtig, sich erfolgreich zu positionieren und sich gegenüber Konkurrenten abzugrenzen (verschiedene Beispiele in Arps-Aubert 2010: 122f. oder Dore-Jacobs-Schule 1994). Die Protagonisten dieser Körperkulturbewegung vermittelten diese Positionen dann in ihren Gymnastikanleitungsbüchern und Zeitschriften und in Werbebroschüren und Kleinanzeigen einschlägiger Reformperiodika (biographische Beispiele in Steinaecker 2000). Auch aus diesem Grund ist es vielfach unmöglich, zwischen Werbung und Wahrheit zu unterscheiden, denn gerade diese kommerziell ausgerichtete Eigenliteratur ist stark geprägt von subjektiven, tendenziellen und hagiographischen Angaben und Äußerungen, die nur sehr schwer auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbar sind. Im Endeffekt allerdings kommt es auch gar nicht so sehr darauf an, zu analysieren, wer von wem genau beeinflusst wurde und wer der angeblich tatsächliche legitime Nachfolger wichtiger Systembauer ist, sondern eigentlich eher darauf, mit welchen rhetorischen Mitteln und argumentativen Kniffen innerhalb der Körperkulturbewegung historische Kontinuitäten - Bernd Wedemeyer-Kolwe 318 auch in Bezug auf Delsarte - konstruiert wurden, um die eigene Position abzusichern, sich wirkungsmächtig in Szene zu setzen und die eigenen Körperkultursysteme auch in den nächsten Jahrzehnten erfolgreich weiter zu tradieren. Literatur Arps-Aubert, Edith von 2010: Das Arbeitskonzept von Elsa Gindler (1885-1961) dargestellt im Rahmen der Gymnastik der Reformpädagogik, Hamburg: Dr. Kovac Bünner, Gertrud & Günther, Helmut (ed.) 1971: Grundlagen und Methoden rhythmischer Erziehung, Stuttgart: Klett Die Schönheit 1910/ 11: Die Schönheit. Die moderne illustrierte Zeitschrift, 8. Jg., 1910/ 11 Dore-Jacobs-Schule (ed.) 1994: Für Dore Jacobs. 1884-1994, Essen: Klartext Günther, Helmut 1971: Historische Grundlinien der deutschen Rhythmusbewegung, in: Bünner & Günther (ed.) 1971: 33-69. Günther, Helmut 1980: Gymnastik- und Tanzbestrebungen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, in: Ueberhorst (ed.) 1980: 569-593. Jesc h ke, Claudia & Gabi Vettermann 1992: François Delsarte, in: Oberzaucher-Schüller (ed.) 1992: 15-24 Kallmeyer, Hede 1970: Heilkraft durch Atem und Bewegung. 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Nudity and Movement in Germany Body Culture 1910-1935, Berkeley: University of California Press Ueberhorst, Horst (ed.) 1980: Geschichte der Leibesübungen. Band 3/ 1, Berlin: Bartels & Wernitz Wedemeyer-Kolwe, Bernd 2004: „Der Neue Mensch“. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Würzburg: Königshausen & Neumann Wolbert, Klaus et al (ed.) 2001: Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. 2 Bände, Darmstadt: Häußer Zepler, Margarete N. 1906: Erziehung zur Körperschönheit, Turnen und Tanz, Berlin: Brandstetter 1 Etwaige Einwände, die Bewegungsstarre der Abgebildeten sei allein den damaligen fotografischen Möglichkeiten und Verfahrensweisen zur Last zu legen, sei entgegengehalten, dass das Zeichenmodell des Delsartismus die Gründe der körperlichen Anspannung in vielen Fällen sichtbar machen kann. 2 Siehe dazu Delsartes eigene Zeichnungen und Skizzen. In: Ruyter 2005: 14, 22, 28, 32, 36, 40, 42. Siehe dazu: Jeschke/ Vettermann 1992: 15-24, Jeschke 2007: 81-89. Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland Gunhild Oberzaucher-Schüller The Reception of Delsartism in Central Europe and Russia Based on two publications appearing in Berlin in 1910, Hade Kallmeyer’s book Harmonische Gymnastik. System Kallmeyer and Prince Wolkonskis article in the Schaubühne entitled “Die Hauptsache”, the various types of reception of Delsartism, through which the two publications were made available to the broader public, are traced and compared with each other. The thesis is that these publications in 1910 disseminated that material on physical movement and thus were so influential on the Central European and Russian/ Soviet theatre of the period. This applies to expressive dance, and directing in the theatre, as well as music theatre. Müsste die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Maßgabe der Körperbewegung charakterisiert werden, so wäre ohne Zweifel eine alles beherrschende körperliche Starre zu konstatieren. Ob sich diese Bewegungsstarre auf Mitteleuropa - den kulturellen Raum, auf den sich die folgenden Ausführungen konzentrieren - beschränkte, kann heute nur mehr schwer festgestellt werden. Die immer wieder dokumentierte Unbeweglichkeit von Personen, seien es Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Bühnendarsteller, Angehörige aller sozialen Schichten, auch Pädagogen und Schüler, überrascht umso mehr, als gerade diese Zeit von einem an Maschinen orientierten Fortschrittsglauben getragen war. 1 Die Bewegung, die mit den technischen Errungenschaften jener Zeit in Verbindung gebracht werden kann, steht in krassem Gegensatz zu der Unbeweglichkeit ihrer Erfinder und Nutznießer. Von Konventionen aller Art - vom Staat, der Nation, der Religion, des Geschlechts - in körperliche Schranken gewiesen, agierten sogar die (deutschen) Turner mit posenhaftem Pathos. Es ist kaum verwunderlich, dass die Utopien, die sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entwickelten, allesamt mit körperlicher Bewegung zu tun hatten. Es war der Delsartismus, um die Jahrhundertwende in Mitteleuropa bekannt geworden, der wie ein Befreier aus der Bewegungsstarre wirkte. Zunächst im Sinne seines Erfinders François Delsarte auf seinem Trinitätsgesetz 2 aufbauend, wurde er - wie im Folgenden zu sehen - im Zuge der Zeitläufte, die mehr und mehr die theologische Verankerung dieser Lehre hinter sich ließen, in seine Bestandteile zerlegt, wobei diese wiederum, jeder für sich, eine erstaunliche Überlebenskraft bewiesen. Heute wird der „Körper“-Teil des Delsartismus K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Gunhild Oberzaucher-Schüller 320 3 Da hier von Geschehnissen die Rede ist, die sich noch vor dem Hellerauer Wirken von Émile Jaques-Dalcroze ereigneten, also noch vor den europaweiten Erfolgen der Rhythmischen Gymnastik, wird das Wort „realisieren“ nicht im Jaques-Dalcroze’schen Sinne verwendet. Dieser verstand unter „Realisieren“ die körperliche Darstellung der Rhythmischen Gymnastik. 4 Der Begriff „Delsartismus“ wird hier von Käthe Ulrich übernommen, also jener Lehrerin, die die in Körperübungen transformierten Lehren von Delsarte 1911 in Wien etablierte. Ulrich, die verschiedene Schulen in Wien unterhielt und an weiteren tätig war, unterrichtete „Atem-Regenerations- und orthopädische Ausgleichs- Gymnastik“, „Hygienisch-ästhetisch-harmonische Gymnastik“, „Ausdruckskultur, Rhythmik, künstlerischen Tanz“ und bot auch eine „Spezialausbildung für Lehrfach und Tanzbühne“ an. Neben dem Begriff „Delsartismus“ war auch jener der „Delsartik“ gebräuchlich. Siehe dazu: Wedemeyer-Kolwe 2004. 5 Jaques-Dalcroze stellt 1904 in Genf die ersten Elemente der Rhythmischen Gymnastik vor. 1907 beginnt er mit seinen Demonstrationsreisen, er macht Station in Stuttgart, im Oktober 1909 folgen Reisen nach Österreich und Deutschland, neben anderen Städten „gastiert“ er auch in Dresden. Wolf Dohrn nimmt daraufhin Kontakt mit ihm auf. 1910 demissioniert Jaques-Dalcroze am Genfer Konservatorium, wo er unterrichtete, gleichwohl wird dort die Rhythmische Gymnastik in das Lehrprogramm aufgenommen. Ab Oktober 1910 unterrichtet Jaques- Dalcroze in Dresden, im Oktober 1911 wird der Unterricht in Hellerau aufgenommen. 6 Der Begriff „Bewegungsmethode“ wird hier nur mit größtem Vorbehalt herangezogen, denn weder die Rhythmische Gymnastik von Jaques-Dalcroze noch die Lehren von Rudolf von Laban können als den Körper allumfassend bildende „Methoden“ bezeichnet werden. Dasselbe gilt für die verschiedenen „Gymnastiksysteme“, die um die Jahrhundertwende aktuell waren. Speziellen Interessensgebieten oder auch den eigenen körperlichen Gegebenheiten folgend, waren die jeweiligen „Systeme“ dementsprechend entwickelt worden. Interessensgebiete waren: Reformpädagogik, Emanzipationsbewegung, Musik und Bewegung, Körper im Raum. - hier besonders die Bewegungsgesetze des Gegensatzes und der Folge - als Allgemeingut angesehen, sein Körperzeichen-Modell dient weiterhin nicht nur der Bestätigung der Wechselwirkungen eines nach „außen“ getragenem „Inneren“, sondern gleichzeitig auch als Lesehilfe für die Analyse von Zeitzeichen. 1 Verlagsort Berlin, 1910: Der Delsartismus wird bereitgestellt Die folgenden Ausführungen gehen in einer knappen Betrachtung der Delsarte-Rezeption in Mitteleuropa mit dem Ziel nach, die These zu belegen, dass die in Nordamerika in körperliche Übungen umfunktionierte Lehre von François Delsarte auch in Mitteleuropa zur Grundlage jenes körperlichen Instrumentariums wurde, das es dem Menschen des frühen 20. Jahrhunderts ermöglichte, die in Text und Bild vorformulierten Utopien zu realisieren. 3 Bei dieser Betrachtung wird weniger dem ästhetischen Umfeld der jeweiligen Spielart des Delsartismus 4 - sei sie nun gymnastischer oder künstlerischer Natur - nachgegangen, als vielmehr der an sich zu wenig bekannten Tatsache, dass die Lehre Delsartes zu jeder Zeit in einer Unmenge von Auslegungen in Mitteleuropa präsent war. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie der Delsartismus sich in weiterer Folge nicht nur zur Bewegungsgrundlage des viel beschworenen „Menschenfrühlings“ und somit auch des Ausdruckstanzes entwickelte, sondern auch nach dem Ersten Weltkrieg Basis der immer breiter werdenden Gymnastik- und Laienbewegungen blieb. Von den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ausgehend, in denen sich die Delsarte’schen Ordnungen, seine Bewegungsgesetze sowie seine Körperzeichenmodelle - noch vor der breiten Rezeption der Jaques-Dalcroze’schen Lehre 5 - bereits mit Elementen anderer Bewegungsmethoden 6 zu vermischen begannen, soll den immer breiter werdenden Delsartismus- Netzwerken bis in die Dreißigerjahre nachgegangen werden, in denen er zwar omnipräsent ist, aber weder im Ausbildungsangebot noch im körperlich Angewandten namentlich genannt wird. Dass der Grund hierfür nicht etwa ein Beiseiteschieben oder eine Ausgrenzung, sondern Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland 321 7 Der Begriff der „Körperbildung“ nahm in den verschiedensten Entwicklungsphasen der Körperkultivierung unterschiedliche Bedeutungen an. Während etwa Hade Kallmeyer ihn - wahrscheinlich ganz intuitiv - in ihrer Schrift 1910 einsetzt, wird er zu Beginn der Zwanzigerjahre für das Nachfolge-Hellerau-Institut, die Neue Schule Hellerau, zu einem wichtigen Schritt im Prozess der Ablösung von Jaques-Dalcroze. 8 In dieser frühen Zeit kann - gerade im Zusammenhang mit der körperlichen Ertüchtigung der Frau - noch keineswegs von „Fitness“ gesprochen werden (siehe dazu Möhring 2003). Das Wissen um die Körperfunktionen war damals (siehe dazu etwa Zepler 1906) dermaßen gering, dass es zunächst galt, hierüber Kenntnis zu erhalten. im Gegenteil die völlige und basisgebende Aneignung des Delsartismus war, soll ebenfalls unter Beweis gestellt werden. Noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten war der Delsartismus - so die These - bereits so weit zum Allgemeingut geworden, dass er von den neuen Machthabern nicht mehr als ein in sich geschlossenes separates Lehrgut wahrgenommen wurde und daher auch nicht evaluiert zu werden brauchte. Die europäische Nachwirkung François Delsartes entfaltete sich nicht im Weg über seine französischen Schüler wie Alfred Giraudet, der am Pariser Conservatoire lehrte, sondern im Umweg über die Vereinigten Staaten. Als Delsartismus war um die Jahrhundertwende im mitteleuropäischen Raum jene Lehre bekannt geworden, die sich aus den theoretischen Schriften des französischen Meisters durch verschiedenste direkte und indirekte Schüler in den Vereinigten Staaten entwickelt hatte. Dies war eine Zeit, in der es bereits dringlich schien, ein Bewegungssystem zu finden, das tauglich wäre, den „Körper zu bilden“. 7 Ein neues Körperbildungssystem sollte es ermöglichen, den öffentlich heraufbeschworenen „Neuen Menschen“, genauer die „Neue Frau“ und den „Neuen Mann“, endlich auch realiter vor sich zu sehen. Eine für verschiedene Ansätze verbindliche Form der Körperbildung zu finden, schien umso notwendiger, als die „Neue Frau“ beziehungsweise der „Neue Mann“ unabhängig von dem Ambiente, in dem man agierte - sei es auf der Bühne, im Gymnastiksaal, in der freien Natur, allein oder mit anderen, unter Professionisten oder Laien -, fast ausschließlich mit ganzkörperlicher Bewegung verbunden waren. Worin die Utopie des „neuen Menschen“ auch immer verankert gewesen ist - sei es in den Schul-, Lebens- und Gesellschaftsreformen, der Gymnastik- oder Laienbewegung, den bildenden Künsten oder der Literatur, der Emanzipationsbewegung oder dem Bestreben der Erneuerung der Antike -, die körperliche Bewegung war in jedem Fall Teil des Neuen und somit ein herausragendes Merkmal. Nun galt es also einerseits, eine möglichst neutrale, von Restriktionen, vom Drill und Pathos des 19. Jahrhunderts unbelastete Art und Weise zu finden, den Körper zu bilden, andererseits aber auch eine geschlechtsspezifische Methode der Körperertüchtigung zu entwickeln, mit deren Hilfe der sich selbst ins Zentrum des Interesses rückenden Frau die Möglichkeit gegeben werden sollte, eigene Wege einzuschlagen. Im Delsartismus schien nun eine solche Methode gefunden, mit deren Hilfe - so der allgemeine Konsens - zuerst die Körperwahrnehmung 8 , daraufhin jedwede Bewegung, sei sie künstlerischer oder rein gymnastischer Natur, ausgeführt werden konnte. In diesem Zusammenhang werden zwei 1910 publizierte Schriften vorgestellt, die erstens exemplarisch zeigen, wie präsent der Delsartismus zu dieser Zeit in Mitteleuropa bereits war, und zweitens ebenso exemplarisch dokumentieren, von welchen völlig unterschiedlichen Ansätzen man sich dem Delsartismus mit der Gewissheit näherte, hier endlich die „richtige“ Körperbildung gefunden zu haben. Die unterschiedlichen Ansätze lagen sowohl im intellektuellen Anspruch als auch im Anwendungsbereich; dem entsprachen die Interpretationen der verschiedenen Zielgruppen. Beide Schriften formulieren eindeutig ein Ziel und zeigen dabei, wie breit gefächert der Anwendungsbereich einer neuen Bewegungsgrundlage zu sein hatte. Gunhild Oberzaucher-Schüller 322 9 Dieser Erscheinungstermin ist deswegen von besonderer Bedeutung, weil beide Schriften noch vor dem Einsetzen der ungemein breiten Hellerau-Rezeption vorgelegt wurden. 10 Die Schaubühne, seit 1905 unter der Leitung von Siegfried Jacobsohn, gehörte zu den einflussreichsten Theaterpublikationen der damaligen Zeit. Ebendieser Zeit entsprechend waren auch der Neue Tanz, die Bewegung an sich, Fragen der (bewegten) Regie sowie theaterpädagogische Fragen immer wieder Themen jener Wochenschrift. Zu den Autoren der Schaubühne gehörten außer Jacobsohn selbst unter anderen Julius Bab und Alfred Polgar. Insbesondere Polgars ebenso scharfe wie witzige Beobachtungen des Neuen Tanzes sind eine wichtige Quelle für das Werden des Ausdruckstanzes. 11 Dieses Interesse kommt weniger von der Tanzwissenschaft als vielmehr von der Kulturwissenschaft, besonders jener, die an Körperbildung, Körperkultur und Reformpädagogik im urbanen und ländlichen Raum interessiert ist. Dazu gehören neben Sportwissenschaftlern auch „Laienforscher“ als Anhänger von Körpersystemen, die sich aus der Zeit des frühen 20. Jahrhunderts bis heute erhalten haben. 12 Die erste Ausgabe von Mensendiecks Buch Körperkultur des Weibes erschien bereits 1906 in Berlin, die 2. Auflage 1907, 3. Auflage 1908, 4. Auflage 1909, 5. Auflage 1912, 6. Auflage 1919, 7. Auflage 1920, 8. Auflage 1921, 9. Auflage 1925. Ab der 5. Auflage hatte das Buch den Titel Körperkultur der Frau. 13 Die Berliner Schule von Bess Mensendieck wurde 1906 eröffnet, die von Kallmeyer 1909 ebenfalls in Berlin. 14 Genevieve Stebbins nannte die auf den Theorien François Delsartes basierende Körperbildung „Harmonische Gymnastik“. Die Stuttgarter Demonstration wurde von der amerikanischen Stebbins-Schülerin Densmore ausgeführt. 15 Die biografischen Daten entstammen Kallmeyer 1970. Siehe dazu auch: Hede Kallmeyer-Simon: Éléments de biographie (1881-1976) von Christiane Boutan-Larose. Vgl.: www.gym-holistique.fr/ index.php/ gymnastique-holistique/ les-pionnieres/ item1, erschienen im November 2011. Bouton-Larose vertritt die Methode „Gymnastique Holistique - méthode Dr. Ehrenfried“. Lily Ehrenfried stützt sich in ihrer Methode auf Elsa Gindler, die eine der ersten Schülerinnen von Kallmeyer in Berlin war. Zu Gindler siehe: Edith von Arps-Aubert, Das Arbeitskonzept von Elsa Gindler (1885-1961), dargestellt im Rahmen der Gymnastik der Reformpädagogik, Hamburg 2010. Die Autoren der Schriften sind Hade Kallmeyer und Sergej Wolkonski, die Schriften sind das 1910 9 erschienene Buch Künstlerische Gymnastik. Harmonische Körperkultur nach dem amerikanischen System Stebbins Kallmeyer sowie Wolkonskis in der Dezembernummer der Berliner Schaubühne 10 veröffentlichter Aufsatz Die Hauptsache. 2 Kallmeyer oder Die Utopie einer „harmonischen Erziehung“ im Sinne von Stebbins/ Delsarte Obwohl gerade in den letzten Jahren ein neues Interesse an den Konzepten der Körperbildung um 1900 erwacht zu sein scheint, 11 gehören Hade (Hedwig, Hede) Simon-Kallmeyer (1881-1976) und Bess Mensendieck (1864-1957) noch immer zu den weitgehend Unbekannten der Körperkulturbewegung. Dies steht in krassem Gegensatz zu jenem hohen Stellenwert, der der Lehre der beiden für das Entstehen und den weiteren Verlauf der Körperbildungsbewegung - aus dem heraus auch der Ausdruckstanz entstanden war - in Mitteleuropa zukam. Kallmeyer und Mensendieck 12 waren jene Persönlichkeiten, die mit ihren Schulen 13 , von Genevieve Stebbins als Mittlerin zwischen der Theorie Delsartes und deren Zurichtung zu einer weiter vermittelbaren Körperbildung ausgehend, Generationen von Lehrerinnen und Lehrern ausbildeten. Diese überzogen Mitteleuropa mit einem Netz von Körperbildnerinnen und -bildnern. Es waren Kallmeyer und Mensendieck, die die notwendigen Grundlagen für eine geschlechtsspezifisch und/ oder künstlerisch orientierte Körperbildung schufen. Hade Kallmeyer, in Stuttgart geboren, wo sie bereits 1901 eine Demonstration von Genevieve Stebbins’ „Harmonischer Gymnastik“ 14 gesehen hatte, 15 ging 1906 zunächst nach Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland 323 16 „Calisthentics“ war um 1900 eine insbesondere in England beliebte Körperbildung, die, je nach Ausrichtung, mit Delsartismus kombiniert sein konnte. Sie wurde auch mit Geräten wie Expander, Keulen und Reifen ausgeführt. Margarete N. Zepler, eine Publizistin, die sich Fragen der (Frauen-)Körperbildung, der Volksbildung und dem sozialen Fortschritt widmete, definiert sie in ihrem 1906 in München erschienenen Büchlein Erziehung zur Körperschönheit. Turnen und Tanzen. Ein Beitrag zur Mädchenerziehung wie folgt: „Calisthenics sind Übungen, die dem oberflächlichen Betrachter einfach als ›Turnfreiübungen‹ erscheinen mögen. Man versteht aber darunter die edelste Form der Gymnastik, die eine vollkommene Beherrschung des Körpers erstrebt, vollendete Harmonie, Anmut, Grazie, Beweglichkeit, Heiterkeit, Geschmeidigkeit. Sie schafft der Seele eine starke und zugleich edelschöne Hülle“ (28). 17 Das „Deutsche Turnen“, eine für Männer entwickelte, auf Körperdisziplinierung und Drill abzielende Leibeserziehung, war gemäß seiner Entstehungszeit (um 1800) und durch seinen Gründer (Friedrich Ludwig Jahn) im nationalen „deutschen Boden“ verortet. Im Laufe des Jahrhunderts, besonders nach der Reichsgründung 1871, erlebte das Deutsche Turnen Veränderungen und Intensivierungen und wurde schließlich - auch durch den Einsatz von Massen - als eine Vorstufe beziehungsweise als Teil der Wehrerziehung gesehen. Diese Auffassung von Körpererziehung war sowohl den Reformpädagogen wie auch der Emanzipationsbewegung zuwider. 18 Die „Schwedische Gymnastik“ war von Pehr Henrik Ling (1776-1839) auch in bewusstem Gegensatz zur „Deutschen Gymnastik“ entwickelt worden. Ling unterteilte seine Gymnastik in eine medizinische, eine pädagogische, eine Wehrgymnastik und eine ästhetische Gymnastik. 19 Das „Gymnastiksystem“ des Dänen Jørgen Peter Müller (1866-1938) erlangte nicht nur in seiner Heimat, sondern auch im übrigen Europa große Verbreitung. Siehe dazu: Möhring 2003: 73-85. 20 George Herbert Taylor, amerikanischer Arzt, der auch mithilfe der Ling-Gymnastik therapeutische Methoden entwickelte. Er schrieb u.a. das Buch Health by Exercise. Showing What Exercise to Take, New York 1883. England, um dort „Calisthenics“ 16 zu studieren. Ab 1906 nahm sie in New York Unterricht bei Stebbins in Harmonischer Gymnastik, im Herbst 1907 war sie diplomierte Lehrerin. Nach Stuttgart zurückgekehrt, ging sie nach der Heirat mit Ernst Kallmeyer 1909 nach Berlin, wo sie eine Schule eröffnete. 1917 übersiedelte sie nach Breslau, 1925 kehrte sie nach Berlin zurück. Von 1934 an setzte sie ihre Unterrichtstätigkeit auf Schloss Marquartstein in Oberbayern fort, wo sie bis zu ihrem Tod blieb. Ihre Mitarbeiterin Friede Lauterbach führte in Hamburg die Kallmeyer-Lauterbach-Schule. Kallmeyer referiert in der Einleitung ihrer Schrift über jene Körperbildungssysteme, die im ersten Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende in Deutschland aktuell waren. Dies waren neben dem „Deutschen Turnen“ 17 und der „Schwedischen Gymnastik“ 18 vor allem das System von Jørgen Peter Müller 19 , dem sie Mangel an „Anmut“ nachsagt (Kallmeyer 1910: 2). Kallmeyer erwähnt auch bereits das Wirken von Émile Jaques-Dalcroze, das schon vor der Eröffnung von Hellerau 1911 in Deutschland Aufmerksamkeit erregt hatte. Zu den alten Formen gelte es, so Kallmeyer, eine Alternative zu bieten. Eine bereits vorhandene Alternative sei das „System Mensendieck“, das sich ganz an das System Stebbins anlehne und da „Vorzügliches“ leiste. Es setzt, so Kallmeyer, die Ideen von Stebbins fort, „körperliche Erziehung auf künstlerischer Grundlage“ (Kallmeyer 1910: 3) zu leisten, wobei die Muskelausbildung die Grundlage sei. Kallmeyers Buch sei, so die Autorin, keineswegs eine bloße Übersetzung der Bücher von Stebbins (u.a. Delsarte System of Expression 1887, Society Gymnastics and Voice Culture 1888, Dynamic Breathing and Harmonic Gymnastic 1892, System of Physical Training 1898), sondern eine Zusammenlegung einiger ihrer Schriften. Diese seien jedoch um die Erfahrung der eigenen Lehrtätigkeit ergänzt. Wie bei Stebbins, deren Übungen, sich auch auf das medizinische System von George H. Taylor 20 sowie die schwedische Heilgymnastik stützen und die zu Musik ausgeführt wurden, baue auch Kallmeyer die Körperbildung auf „gesetzmäßiger Grundlage“ auf, wobei „das künstlerische Moment sowie die Pflege des Ausdrucks in ihr zur Geltung“ gebracht werden müssen (Kallmeyer 1910: 5). Basis dafür sei, wie bei Gunhild Oberzaucher-Schüller 324 21 Hier wird die erste Phase des Ausdruckstanzes als „Freier Tanz“ bezeichnet. Es war dies die Zeit bis etwa 1914, in der Individualisten wie Rita Sacchetto, Adorée Villany, Gertrude Barrison, Gertrud Leistikow, Olga Desmond, die Schwestern Wiesenthal, Sent M’ahesa, Alexander Sacharoff - auch angeregt durch das Wirken von Isadora Duncan in Mitteleuropa - auftraten. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs fand man sich eher in „Familienordnungen“ zusammen: etwa die Familien um Émile Jaques-Dalcroze und deren Nachfolgefamilien, die Familie um Rudolf von Laban und die von Mary Wigman. Stebbins, das Delsarte’sche „System des Ausdrucks“, wobei es um eine „Wiederentdeckung und Formulierung der Gesetze der Ausdruckswissenschaft“ gegangen sei (6). Im Mittelpunkt der Stebbins-Ausbildung und somit auch in der ihren stehen: Kräftigung der inneren Organe, Kräftigung der Muskulatur, besondere Berücksichtigung des weiblichen Organismus, die Harmonie der Bewegung, Erziehung zur bewussten gesetzmäßigen Beherrschung des Körpers, Pflege des Ausdrucks und stufenweise Entwicklung der einfachsten Bewegungen, des Weiteren Übungen, Stellungen, Schritte, die, zusammengesetzt, den Menschen „zu plastischen Darstellungen“ und zum künstlerischen Tanz führen können (8). „So schuf sie [Stebbins] ein System, welches selbst von Kindern in seinen Anfängen mit großem Nutzen ausgeübt werden kann und jedem die individuelle Freiheit lässt, so viel aus dem überreichen Material zu wählen, wie er Lust hat, Zeit und Veranlagung besitzt.“ (8) Kallmeyer schreibt dann über die „Harmonische Erziehung“, die sie nach Stebbins lehrt. Wie Stebbins geht sie von der Delsarte’schen Dreiheit Intellekt (Geist), Gemüt (Seele) und Körper (Materie) aus. „Um Harmonie ermöglichen zu können, müssen alle drei Gebiete zu Geltung gelangen und jedes für sich gesondert, sowie in Beziehung zu den beiden anderen Elementen, volle Beachtung finden.“ (11) Kallmeyers Lehrziele sind zweierlei: erstens die „Harmonische Durchbildung des Frauen- und Männerkörpers und Erziehung zur Bewegungsschönheit auf Grund der Gesetze der Bewegung“ (3); zweitens: die Schulung des Körpers als Instrument des Ausdrucks im täglichen Leben, für die Bühne sowie zur plastischen Darstellung musikalischer Eindrücke. Als Grundelemente für die Übungen nennt Kallmeyer neben der Atmung das „Schlaffmachen“ und das „Muskelanspannen“. Dazu kommen die drei Gesetze der Bewegung. Es sind dies: I. das Gesetz der harmonischen Stellung; II. das Gesetz der Gegenbewegung; III. das Gesetz der Folge. Der Zweck der Schrift war die Bewusstmachung jener Bewegungsordnungen und -gesetze des Körpers, wie sie via Stebbins von Delsarte gelehrt worden waren. Nur wer Bewegungsordnungen und -gesetze befolgt, bewege sich „richtig“, was gleichzusetzen war mit „harmonischer“ Bewegung, worunter man wiederum die Einhaltung der Dreierordnung verstand. Kallmeyers Schrift stellte somit die Harmonische Gymnastik von Stebbins in deutscher Sprache vor, dadurch wurde aber auch die Lehre von Delsarte für den deutschen Sprachraum bereitgestellt. Sowohl für den Laienbereich wie für die (Frauen-)Gymnastikbewegung legte die Schrift eine breite Basis für einen Prozess der Körperwahrnehmung, an den sich eine Stärkung des Körperbewusstseins der Frau anschloss, eine Entwicklung, die in weiterer Folge zu einem neuen Selbstverständnis führte. Der Inhalt der Schrift legte aber auch das Fundament für eine Körperbildung, aus der heraus sich jene Körperkonzepte entwickelten, die wiederum zum „Freien Tanz“ 21 und ein wenig später zum „Ausdruckstanz“ führten. Wie kein anderer Verfechter eines Körperbildungssystems nämlich versuchten Stebbins/ Kallmeyer, „ganzheitlich“ denkend, den „ganzen“ Körper zu erreichen. Dem durchgebildeten Körper war es nunmehr nicht nur möglich, jedwede gewünschte Bewegung nicht nur ökonomisch auszuführen, sondern auch den Körper auf der Bühne bewusst einzusetzen. Mit einem als Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland 325 22 Zu Wolkonski siehe: Oberzaucher-Schüller 1992, 1995, 2004; Bochow 1992, 1998; Ruyter 2005. 23 1913 veröffentlichte Wolkonski Vyrazitel’yj c elovek. Scenic eskoe vospitanie zesta (po Del’sartu) in Sankt Petersburg. Davor war bereits elovek na scene, Petersburg 1912, erschienen. Es folgten: Vyrazitel’noe slovo, Petersburg 1913, My Reminiscenses, London 1924, Moi vospominania, Moskau 1992, deutsch 2008. 24 Die russische Theaterwissenschaftlerin Maria Trofimow setzte sich ausführlich mit Wolkonski auseinander. Die Besprechung von Wolkonskis Buch Vyrazitel’yj c elovek basiert auf einem unveröffentlichten Manuskript Trofimows. Materialfundus zur Verfügung gestellten Körper konnte man nun, so die Annahme, professionell auf jene vielen Impulse mit gezielt eingesetzter Bewegung reagieren, die um die Jahrhundertwende in Wort und Bild formuliert worden waren. Einer, der neben vielen anderen an diese Annahme glaubte, war Sergej Wolkonski. 3 Sergej Wolkonski oder Die Utopie vom Körper als darstellerischem Material Sergej Wolkonski (1860-1937) 22 hatte sich dem Delsartismus aus einem ganz anderen Blickwinkel als Hade Kallmeyer genähert (siehe Bochow 1997: 63-75). Der Historiker, Reformpädagoge, Theologe, Schriftsteller, Musiker, Künder eines „neuen Menschen“, nicht zuletzt Mitglied der russischen Hocharistokratie und als solcher in der Welt zu Hause, kann als einer der Wegbereiter des russischen Freien Tanzes sowie der russischen (Bühnen-) Avantgarde gesehen werden. Als Intendant der Kaiserlichen Theater (1899-1901) war er auch Direktor der angeschlossenen Ballettschule gewesen und hatte sich schon in dieser Zeit mit der Ausbildung von Bühnendarstellern beschäftigt. Über dieses Thema hatte er auch in den Theaterjahrbüchern der Kaiserlichen Theater geschrieben. (Für die Herausgabe des Bandes 1900 war Sergej Diaghilew verantwortlich.) Wolkonskis Beschäftigung und sein schriftlich festgehaltenes Denken über François Delsarte sind umso wertvoller, als es sich bei ihm um eine Persönlichkeit handelte, die imstande war, sich der Problemstellung sowohl theoretisch wie auch praktisch zu nähern. Wann Wolkonski mit dem Gedankengut von Delsarte vertraut wurde, ist nicht überliefert; belegt ist jedoch der Zeitpunkt des ersten öffentlichen Vortrags über das Thema Delsarte in Russland. In ihrem Artikel François Delsarte, Prince Sergej Volkonsky and Mikhail Chekhov (Ruyter 2005: 96-111) berichten George Taylor und Rose Whyman, dass der Schauspieler und Regisseur Jurij Osarowski 1903 in Moskau einen Vortrag über Delsarte gehalten habe. Es kann davon ausgegangen werden, dass Wolkonski davon Kenntnis hatte, umso mehr, als er sich vielleicht schon auf seinen ausgedehnten Amerikareisen 1890 und 1896 mit den dort neuen Körperbildungssystemen und damit auch mit „angewandtem Delsarte“ vertraut gemacht hatte. Wann Wolkonski seinen Aufsatz Die Hauptsache schrieb und wie die Verbindung zur Berliner Schaubühne und zu Siegfried Jacobsohn zustande kam, ist nicht bekannt, fest steht jedoch, dass er sich im Herbst 1910 auf dem Weg nach Genf befand, um sich dort mit der Lehre von Jaques-Dalcroze vertraut zu machen, und dabei Station in Berlin machte. Dort lieferte er nicht nur seinen Aufsatz ab, sondern erfuhr auch, dass sich Jaques-Dalcroze zu dieser Zeit bereits in Dresden aufhielt. 1910 hatte sich Wolkonski bereits eingehend mit Delsarte auseinandergesetzt, die Übersetzungen der Delsarte’schen Schriften sollten erst später erscheinen. 23 Sein Buch Vyrazitel’nyj elovek. Scenic eskoe vospitanie zesta (Po Del’sarty), das von der russischen Wolkonski- Forscherin Maria Trofimow als „psychologische Anatomie des Menschen“ gesehen wird 24 , Gunhild Oberzaucher-Schüller 326 ist mit seiner Darstellung und Beschreibung kleinster Gesten nebst den Positionstabellen für Arme und Beine sowie für den ganzen Körper als Lehrbuch und praktischer Leitfaden für die Entwicklung der Ausdruckskraft auf der Bühne gedacht. Wolkonski legt die Lehren Delsartes als wissenschaftliche Klassifizierung jener äußeren Bewegungen und Positionen des Menschen dar, in denen sich seine inneren Bewegungen und Zustände ausdrücken. Das System, so Wolkonski, basiert auf der Semiotik, die er definiert als das Auffinden der äußeren Zeichen, die der inneren Empfindung entspricht. Er schlägt drei allgemeine Bewertungskategorien vor, die dem Wahrnehmen, Denken und Fühlen entsprechen: die „exzentrische“, das sind Lebensäußerungen, die nach außen streben; die „konzentrische“, das sind Denkprozesse, die nach innen gerichtet sind; und das „Normale“, der Zustand eines tiefen Gefühls, das das Gleichgewicht der gegensätzlichen Bestrebungen wiedergibt. Diese Grundsätze werden für alle Gliedmaßen und Positionen des Menschen untersucht. Die Semiotik ist in zwei Teile untergliedert, in Statik und Dynamik. Die Statik ist die Lehre vom Gleichgewicht, weniger in physischer als vielmehr in ästhetischer Sicht. Die plastische Harmonie des Menschen wird in kontrastreichen gegengewichtigen Positionen und gegengerichteten Gesten verwirklicht. Die Dynamik untersucht die Gesetze der Bewegungssteuerung, die den Sinn beziehungsweise den Charakter der Bewegung bestimmen, etwa die Schnelligkeit oder Langsamkeit, die Kraft oder Schwäche, die Ausrichtung, die Form, Ansatzpunkte der Geste und Ähnliches. Die Unverwechselbarkeit von Wolkonskis Sicht ergibt sich aus der Verschmelzung der Lehren von Delsarte mit der „Rhythmus-Bewegung“ von Jaques-Dalcroze, in der der Russe die Grundlage „zur Erneuerung des Menschen durch die Offenbarung seiner Natur“ (Bochow 1997, 66) sieht. „Der Mensch findet einerseits seine individuellen Rhythmen, andererseits aber vereinigt ihn das rhythmische Prinzip mit der Gemeinschaft und dem Universum.“ (Bochow 1997, 66-67) Hatte Hade Kallmeyer ihre Überlegungen zum System Stebbins/ Kallmeyer in einer Art erweite r tem Schulprospekt festgehalten, so legte Wolkonski seine Gedanken in Form eines Streitgesprächs nieder, eine literarische Form, in der er - freilich nur, um die eigene Meinung ausführen zu können - in ebenso lebendiger wie raffinierter Weise in Rede und Gegenrede Gegner oder einen nur Ahnungslosen zu Wort kommen ließ. Wie Kallmeyer ging es auch Wolkonski um die Bewusstmachung der Bewegungsordnungen und -gesetze des Körpers, wie ihr ging es Wolkonski um „richtige“ Bewegungen, was heißen sollte, dass die Delsarte’schen Ordnungen zu erfüllen seien. Allein der körperlich sich „richtig“ Bewegende könne der viel beschworene „Zukunftsmensch“ sein. Für die Bühne, so Wolkonski, seien aber noch weitere Aspekte von größter Wichtigkeit, nämlich jene des Ausdrucks jeder einzelnen Geste sowie das Zusammenwirken von Geste und Gemüt, das heißt also von „innerer“ und „äußerer Bewegung“. Wolkonski erklärt seinem Gesprächspartner, der nicht schnell begreift: „Nehmen wir das einfachste, oder, wie Sie sagen würden: die kleinste der Nebensachen. Die Haltung der Hand: Handfläche nach oben oder Handfläche nach unten. Nach oben gekehrt ist die Hand des Bittenden, des Fragenden, des Elenden, des Offenherzigen, des Lernenden, des Betenden. Nach unten gekehrt ist die Hand des Gebenden, des Antwortenden, des Prahlerischen, des Zeremoniösen, des Belehrenden, des Segnenden. Und wenn wir nun den Sinn dieser beiden Gesten erweitern und die Hände immer weiter voneinander entfernen, so gelangen wir dahin, dass die Hand mit der Fläche nach oben die Erde ist, die gen Himmel schaut, die Hand mit der Fläche nach unten - der Himmel, der auf die Erde herabschaut. Wenn also schon die Lage der Hand, nicht einmal die Geste, so wichtigen Sinn haben kann - wie wichtig müssen da erst die Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland 327 25 Hedwig Hagemann hatte bei Bess Mensendieck studiert und gehörte dem 1918 gegründeten nicht autorisierten „Mensendieck-Bund - Bewegungskunst Ellen Petz“ an. Zu ihren Schülerinnen zählt u.a. Dorothee Günther. Folgen einer falschen oder auch nur dem Zufall überlassenen Bewegung sein.“ (Wolkonski 1910: 1340) Auf die Frage, ob denn nun die falsche Führung der Hand Konsequenzen habe, wird die Antwort gegeben: „Gewiß, denn es handelt sich hier nicht um die Hand allein, sondern um den Sinn der Bewegung, und dieser wird sich durch die Hand auf die Haltung des ganzen Körpers übertragen, auf das Benehmen, die Bewegung, den Gang, den Ausdruck des Gesichts, auf die Art des Sprechens.“ (1340) In Zentrum stehe, so Wolkonski weiter, die Übereinstimmung des „Gemüts und der Bewegung“; diese müsse zuallererst auf eine mechanische Weise eingeübt werden, eine Bemerkung, die einiges Entsetzen hervorruft (1341), von Wolkonski jedoch ausdrücklich hervorgehoben wird, denn, je mechanischer dies eingeübt werde, desto freier werde sich der Künstler bewegen. Ob denn Gebärden an sich klassifiziert werden könnten, lautet die nächste Frage. „In drei Kategorien müssen sie, die Gebärden, eingeteilt werden. Die erste ist die Kategorie der rein physisch-mechanischen Gebärden: Wir strecken die Hand aus, um zu greifen; wir heben sie, um zu grüßen. Das ist die allernötigste, die manchmal unentbehrliche Gebärde, aber auch die uninteressanteste von allen. Die zweite ist die Kategorie der beschreibenden Gebärde. Hier gibt es zwei Unterabteilungen. Erstens: die Hand als Zeiger. […] Zweitens: die Hand berührt nicht einen sichtbaren, sondern beschreibt den erwähnten unsichtbaren Gegenstand. […] Und […] die dritte Kategorie: die psychologische Gebärde, die interessanteste, aber auch die am seltensten richtig angewandte. Die physisch-mechanische hatte einen äußeren Zweck, die psychologische hat eine innere Ursache.“ (1341f.) Und weiter: „Richtig sind unsere Bewegungen, wenn sie den der menschlichen Natur innewohnenden Normen entsprechen, die die Verhältnisse zwischen psychischen und physischen Bewegungen regieren; schön sind unsere Bewegungen, wenn sie den Bedingungen des Gleichgewichts - eines ganz besonderen physio-aesthetischen Gleichgewichts - erfüllen, durch die die gemeinsame Stellung und die korrespondierenden Bewegungen der Organe des menschlichen Körpers bestimmt werden.“ (1344) Wer war nun Wolkonskis Zielgruppe, und wie unterschied sich diese zu Kallmeyer? Während Kallmeyer vor allem Frauen ansprechen und sie für jedwede körperliche Tätigkeit, also auch eine künstlerische, ermutigen wollte, versuchte Wolkonski, besonders Lehrende und Schüler von Ausbildungsstätten für Bühnendarsteller (Tänzer, Schauspieler, Sänger) zu erreichen. Wie weitreichend ihm das gelang, bezeugt sein Lebenswerk. (Oberzaucher-Schüller 1992, 1995, 2004; Bochow 1992, 1998; Ruyter 2005) Obzwar die bleibenden Verdienste von Kallmeyer und Wolkonski noch weit detailliertere Forschung benötigen, kann festgestellt werden, dass der Delsartismus, der durch diese beiden Persönlichkeiten nach Mitteleuropa beziehungsweise Russland transportiert wurde, sowohl für das soziokulturelle Gefüge als auch für die künstlerische Szene der Zeit von kaum zu überschätzender Bedeutung war. Welches Ausmaß die Delsarte’schen Lehren via Kallmeyer, Mensendieck und deren Schülerinnen - etwa Hedwig Hagemann 25 - bereits im Mitteleuropa der frühen Zwanzigerjahre sowohl auf dem Gebiet der Gymnastik als auch auf dem des künstlerischen Tanzes angenommen hatten, soll an zweierlei festgemacht werden: zum einen am Unterricht des Mensendieck-Systems durch Hagemann, des Weiteren an der Publikation Gymnastische Grundübungen nach System Mensendieck von Dorothee Günther, München 1926. Beide Gunhild Oberzaucher-Schüller 328 26 Diplomierte Mensendieck-Lehrerinnen dieses nicht autorisierten Bundes unterrichteten in folgenden deutschen Städten: Aachen, Altona bei Hamburg, Annaberg im Erzgebirge, Bergisch Gladbach, Berlin, Blankenese bei Hamburg, Bonn, Breslau (7 Unterrichtende), Bremen, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Erfurt, Essen, Esslingen, Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau, Göttingen, Güstrow, Hagen, Halle, Hamburg (9 Unterrichtende), Hannover, Heidelberg, Jena, Karlsruhe, Kassel, Köln, Königsberg, Leipzig, Lübeck, Magdeburg, Mannheim, München (7 Unterrichtende), Neiße, Neubrandenburg, Nürnberg, Oberschreiberhau, Oppeln, Reutlingen, Schleswig, Schmiedeberg, Stolp, Stuttgart, Sundwig, Ulm; im Ausland: Prag, London, Ostende, Rom, Trondheim, Lofthus, Wien, Dorpat, Riga, Locarno, Zürich, Budapest. Beispiele zeigen zudem, dass ein einmal bereitgestelltes Körperbildungssystem von Schülern und Praktizierenden, die meist die eigenen körperlichen Voraussetzungen und die eigene Ästhetik einbringen, sofort verändert wurde. 4 Bess Mensendiecks wütende Zwischenrufe 1922 erregte ein mit größtem Nachdruck abgegebenes Statement von Bess Mensendieck, die mit der von ihr entwickelten „Körperbildung“ schon seit geraumer Zeit im Zentrum des Interesses aller Bewegungsausbilder Mitteleuropas stand, die Gemüter. Die Basis für die breite Akzeptanz ihrer frauenorientierten Körperbildung war nicht nur durch ihre Publikationen, sondern auch, vor dem Krieg, durch eine breite Vortragstätigkeit gelegt worden. Während Mensendieck in den Kriegsjahren in den USA lebte, wurde ihr System in Mitteleuropa von vielen unterrichtet und dabei - etwa von Ellen Petz - mehr oder minder modifiziert. Petz gründete in der Folge den „Mensendieck-Bund - Bewegungskunst Ellen Petz“, der in Hamburg 1918 als Verein eingetragen wurde. Vorsitzende dieses Bundes war Hedwig Hagemann, die zusammen mit Fritz Giese das Buch Weibliche Körperbildung und Bewegungskunst herausbrachte. Im Anhang dieses Buches werden nicht nur die Satzungen dieses nicht autorisierten Mensendieck-Bundes angegeben, sondern auch die in diesem Jahr bereits lehrenden diplomierten Mensendieck-Lehrerinnen des Bundes genannt. Aus der Auflistung geht hervor, dass sich schon 1920 in allen größeren Städten Mitteleuropas „nichtoffizielle“ Mensendieck-Lehrende befanden. Allein in Berlin werden 15 Schulen aufgeführt. 26 Im Nachwort zu der 1922 erschienenen 7. Auflage ihres Buches Funktionelles Frauenturnen macht Mensendieck nun ihrer Empörung Luft, wobei allerdings offenbleibt, wem ihr größter Zorn gilt: „Nach sechsjähriger, durch den Krieg bedingter Abwesenheit nach Europa zurückgekehrt, finde ich es [das System] zu meiner großen Überraschung so verlottert und verstümmelt vor, daß ich mich genötigt sehe, dem begonnenen Verfall drastisch Einhalt zu tun. Unter dem Vorgeben, das Mensendieck-System ›weiter‹ [! ] zu entwickeln, ist dasselbe ausgepolstert worden mit Zutaten aus allen möglichen und unmöglichen heute grassierenden Neusystemen. Was ich vorfinde, ist ein groteskes Etwas, das nichts zu tun hat mit dem konzisen, konstruktiv logisch aufgebauten Schema meines Systems.“ Mensendieck attackiert dann heftig diejenigen, die eigene Wege gegangen waren: „Da Laienfrauen sich nicht abfinden können mit dem Streng-Unabänderlichen der Naturgesetze, wie die Physik sie nun einmal bietet, so haben meine Lehrerinnen (mit wenig Ausnahmen) meinem System jedes Jahr neue Modehütchen aufgesetzt, ihm ein neues Modejäckchen umgehängt, bis auf der ›Tagung für künstlerische Körperbildung‹ in Berlin (5.-7. Oktober 1922) ein derartig grotesker Mischmasch von Körperübungen unter dem Namen ›Mensendieck-System‹ vorgeführt wurde, daß es nicht verwunderlich war, daß die Mehrzahl der anwesenden Ärzte […] aus schierer Langeweile davonliefen, und ich selber im Audito- Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland 329 27 Die Lehren von Bess Mensendieck hatten sich schließlich dermaßen verbreitet, dass ihre Körperbildung zu einem Haushaltsbegriff geworden war. Dies wird durch einen Eintrag im Großen Brockhaus von 1932 belegt: „Beß Mensendieck: holländisch-amerikanische Gymnastikreformerin, lebt in New York. Sie steht mit ihrem System am Anfange der neuen Gymnastikbewegung. Körper und Bewegungsformung werden gestaltet nach den anatomisch-physiologischen Gesetzen des Frauenkörpers. M. hat zuerst eine körperliche Erziehung geschaffen, die der Eigenart der Frau gerecht wird und den bisherigen Einfluß des Männerturnens bewußt ausscheidet. Durch reichhaltige Bewegungsübungen, in denen die Muskeln in physiologisch richtiger Tätigkeit auch im Alltagsleben erzogen werden, erstrebt die Mensendieckgymnastik eine gründliche gesundheitliche und schönheitliche Körperdurchbildung (›mensendiecken‹ - tägliche Hausgymnastik treiben). M. schrieb ›Körperkultur des Weibes‹ (1906), ›Funktionelles Frauenturnen‹ (1923). Der 1926 gegr. ›Bund für Reine Mensendieck-Gymnastik‹ (Sitz in Berlin) sorgt für die Reinerhaltung und Verbreitung ihrer Arbeit. Deutsche Bundesschulen der Mensendieck- Gymnastik befinden sich in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Wiesbaden, Göttingen.“ rium diese vielköpfige Mißgeburt meines Systems anstarrte wie eine Serie hysterischer Grimassen.“ Die zu Delsarte hinzugekommenen zitierten „Modehütchen“ hatte Mensendieck übrigens schon bei Genevieve Stebbins geortet. Über Stebbins schreibt sie: Durch sie sei die Delsarte’sche Lehre, die mit der schwedischen Heilgymnastik verquickt worden war, in das Alltagsleben verpflanzt worden. Stebbins habe die Delsarte’schen „Aufstellungen“ (Mensendieck 1922: 12) auf ihre Richtigkeit hin überprüft und war zur Erkenntnis gekommen, Grazie hänge vom methodisch angewandten Muskelspiel ab. „Es handelt sich bei der anmutigen Schönheit darum, durch einen bestimmten Unterricht den Vorteil heraus zu finden, mittels dessen man eine Muskelgruppe der anderen rhythmisch untertänig macht, und immer nur gerade diejenige Muskelgruppe auf jegliche Bewegung verwendet, die nach der anatomischen Anordnung und den physikalischen Gesetzen des Körperbaues dazu bestimmt ist.“ (12f.) Diese „Körperkultur“ habe einen unglaublichen Erfolg in Amerika gehabt und werde unter dem Namen „ästhetisches Turnen“ in Mädchenschulen angeboten. Schon in Stebbins’ Schriften aber, so Mensendieck, hätte sie „ungenießbare metaphysische Beimengungen“ (13) gefunden. Dadurch sei sowohl von Stebbins wie schon von Steele Mackaye „blühender Unsinn“ hinzugekommen.“ (13) Der Fehler der beiden sei gewesen, nur den „schönheitlichen Moment“ im Auge gehabt und die „gesundheitliche Nützlichkeit“ völlig außer Acht gelassen zu haben. Ihr, Mensendieck, gehe es allein um „Bewegungsmechanik des menschlichen Körpers“, sie biete nun Delsarte „von allen metaphysischen Verschnörkelungen entkleidet, nur auf ihren praktischen Wert kondensiert“. (13) Und Mensendieck stellt dann klar: „Der Mechanismus des menschlichen Körpers hat nichts zu tun mit den Modenarrheiten der Neuzeit. Er wird konstruktiv derselbe bleiben in hundert Jahren, wie vor hundert Jahren.“ (322) Des Weiteren: „Meine Arbeit besteht in der Analyse und Synthese der menschlichen Bewegungen.“ (322f.) Und sie zieht einen Schlussstrich: „Mit dem Mensendieck-Bund, der während meiner Abwesenheit ohne meine Erlaubnis den Namen zweimal geändert hat, identifiziere ich mich nicht mehr.“ (324) 5 François Delsarte, neu gesehen und omnipräsent Die Behauptung, Mitteleuropas Körperbildner hätten auf die Zwischenrufe der mittlerweile in ganz Mitteleuropa bekannten Bess Mensendieck 27 reagiert, kann nicht mehr bewiesen werden. Was dagegen belegt werden kann, ist, dass in vielen Beschreibungen von Ausbildungszielen, „Methoden“ und eigenen Lehrweisen - zielten sie nun auf gymnastische oder Gunhild Oberzaucher-Schüller 330 28 Jedem dieser Begriffe kam in den verschiedenen Epochen eine ganz bestimmte Bedeutung zu. Sosehr sich diese auch veränderten, so bezogen sie sich doch meist auf eine nicht genau bestimmte Antike. 29 Es würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen, würde hier eine ausführliche Beweisführung für diese These dargebracht. 30 Die in der Fotografie festgehaltene Stellung ist als ein Teil eines Bewegungsablaufs zu sehen. Siehe dazu die Bewegungsfolgen bei Günther und vergleiche diese mit Fotografien der Zeit: Übungen der Schulter, der Arme, des Beinpendels, der Beine, des Liegens, des runden Beugens, des geraden Beugens, des Rückbeugens, des Seitbeugens, der Spirale, des Kniebeugens, der Verlagerungen, des Ganges, des Beinkreisens, des Kniegangs, des Rumpfkreisens, der Standwaage, der Lockerung. künstlerische Ziele ab - bestimmte schmückende Beiwörter wegfielen. Diese waren „Schönheit“, „Anmut“ und „Grazie“ 28 , nunmehr diffus gewordenes Beiwerk, mit denen man Frauen noch immer ummanteln zu müssen glaubte. Der Zeit entsprechend, legte man nicht nur diese Umhüllungen ab, sondern auch jene, die die Körperausbildung betrafen. Vielfaches Ziel dieser Ausbildung war es nämlich auch gewesen, die Frau körperlich zu stärken, um die Entstehung einer kräftigen neuen (deutschen) Nation zu begünstigen. Dagegen war man nun an der Bewegung selbst interessiert, wandte man sich zunehmend den Fragen zu: Wie, durch welchen Körperimpuls, entsteht Bewegung? Wodurch wird ihr Charakter bestimmt, was bestimmt die Bewegung, ihre Länge, ihre Richtung? Wie ist der Krafteinsatz? Wie entsteht eine Bewegungsfolge? Gibt es tatsächlich eine Wechselwirkung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Bewegung? Damit war man nun endlich bei der Auseinandersetzung mit der Bewegung an sich und auch - aufs Neue und ohne dass dieser besonders hervorgehoben worden wäre - bei Delsarte angelangt. Dieser via Mensendieck auf Delsarte geworfene Blick konzentrierte sich, die Ausdruckslehren oft hinter sich lassend, nun vor allem auf die Gesetze der Bewegung. Zu der Flut von Büchern, die im mitteleuropäischen Raum in den Jahren nach 1925 erschienen, gehört auch das von Dorothee Günther herausgegebene Buch Gymnastische Grundübungen nach dem System Mensendieck. Im Bewegungsablauf dargestellt, das 1926 in München herauskam. Günther, eine bei Hagemann ausgebildete diplomierte Gymnastiklehrerin, war in diesen Jahren durch ihre 1923 in München gegründete Schule (vgl. Kugler 2002) bereits eine deutschlandweit bekannte Persönlichkeit. Durch die Mitarbeit von Carl Orff, der hier vor allem zusammen mit Gunild Keetman das „Orff-Schulwerk“ entwickelte, ist die Schule auch heute noch ein Begriff. Günthers Übungsbuch, das „zum Gebrauch in Schulen und zum Selbstunterricht“ gedacht war, unterscheidet sich grundlegend von fast allen anderen „Methoden- oder Systembüchern“. Waren Publikationen dieser Art nämlich gemeinhin entsprechende Fotografien beigegeben, die den Kern einer bestimmten Übung zeigten, so zeichnete die gelernte bildende Künstlerin Günther mithilfe von Strichfiguren ganze Bewegungssequenzen. Bei diesen insgesamt 50 Sequenzen aber - Günther hatte sie in Zusammenarbeit mit bekannten Mensendieck-Lehrerinnen wie Toni Homagk (Breslau), Hedwig Hagemann (Hamburg), Marie Müller-Brunn und Thekla Malmberg (München) zusammengestellt - handelt es sich nicht nur um die grundlegenden körperbildenden gymnastischen Übungen, wie sie nunmehr nicht nur mitteleuropaweit unterrichtet wurden, sondern auch um jenen Fundus an Bewegungsabläufen, mit denen der Ausdruckstanz arbeitete. 29 Diese Behauptung kann durch einen Vergleich der abgebildeten Übungen mit den Fotografien der Exponenten der Stilrichtung belegt werden. 30 Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland 331 31 In ihrem 1962 erschienenen Buch Der Tanz als Bewegungsphänomen. Wesen und Werden wird Delsarte nicht mehr namentlich erwähnt, seine Lehren sind jedoch - selbst in den Bildunterschriften - in hohem Maße präsent. So lautet etwa eine Unterschrift (gegenüber S. 128): „‚Ausdruck‘ ist immer Folge ‚innerer Anteilnahme‘.“ 32 Zur Wechselwirkung zwischen der russischen Theaterszene und jener Mitteleuropas siehe Oberzaucher-Schüller 1992. In einer deutschsprachigen „Propagandaschrift“, die anlässlich eines 1924 erfolgten Gastspiels Alexandr Tairows in Mitteleuropa verfasst wurde, ist von der Ausbildung des Schauspielers die Rede: „Die Technik des Leibes wird durch Akrobatik, Fechten, klassisches Ballett und rhythmische Gymnastik und durch andere Zweck- Doch im künstlerischen Bereich war Günther 31 keineswegs die Einzige in Mitteleuropa, die sich letztlich - via Mensendieck - auf Delsarte berief. Von den zahlreichen Körperbildungsmethoden, die, ebenfalls auf Mensendieck basierend, in den Zwanzigerjahren entwickelt wurden und die auch als Ausbildungssysteme noch heute weltweit unterrichtet werden, sei nur jenes von Rosalia Chladek erwähnt. Chladek, eine Exponentin des Ausdruckstanzes, war an der Neuen Schule Hellerau ausgebildet und dort auch durch die Pragerin Jarmila Kröschlová geformt worden. Die „Mensendieckerin“, wie sie allgemein bezeichnet wurde, unterrichtete von 1922 bis 1924 das Fach „Körperbildung“ (siehe Oberzaucher- Schüller 1993). Sie formulierte lapidar: „Das Ziel [der] hygienischen, allgemein erzieherischen Körperbildung ist, den Körper zu wecken, ihn zu seinen eigensten Gesetzen zurückzuführen, sein Aufnahme- und Reaktionsvermögen zu stärken.“ Diese kühle, fernab von jeden Körperschnörkeln ausgerichtete Betrachtungsweise, die auf Mensendieck und somit auch auf Delsarte beruhte, legte die Basis für das Chladeksystem, das in den kommenden Jahren entwickelt wurde. Ausgangspunkt für die Bewegungsarbeit, in der es um das Erfahren und Erleben von Gesetzmäßigkeiten geht, ist die „Körperwahrnehmung“. „Durch die Konzentration auf den Körper“, so schreibt Ingrid Giel, „wird er in seiner Totalität und Partialität als aktiv und passiv, als fixiert oder beeinflussbar erfahren“, wobei, und dies ist einer der wesentlichsten Punkte dieser Lehre, „es gilt, die Ursache einer Bewegung und deren Auswirkung selbstständig zu erforschen“ (Giel 2002: 130). Obwohl dieses System - es lässt, wie fast alle Systeme, die in dieser Zeit entstanden, die Delsarte’sche theologische Verankerung beiseite - klar auf Bewegungsfunktionen, somit auf einen Teilaspekt der Delsarte’schen Lehre, konzentriert ist, wird der zweite Aspekt, der Ausdruck, nicht vernachlässigt. Denn: „In dieser Bewegungsarbeit wird der Mensch ständig in seiner psycho-physischen Totalität angesprochen.“ (Giel 2002: 131) Die äußere Bewegung sei in jedem Falle ein Spiegel des Inneren des Menschen. 6 Zeitzeichen lesen Lässt man nun den hier dargelegten Zeitraum - er umfasst von den ersten Demonstrationen des Delsartismus bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten, die nicht nur einen tiefen Einschnitt in eine natürlichen Entwicklung, sondern auch eine ästhetische Kehrtwende mit sich brachte, etwas über 30 Jahre - noch einmal Revue passieren, so kann festgestellt werden: Der Delsartismus wurde in Mitteleuropa von Beginn an als Basis gebend, zuweilen sogar im buchstäblichen Sinne als „Heil bringend“ angesehen. Dabei wurde er selten inhaltsgetreu angewandt, sondern mehr paraphrasiert, in zunehmendem Maß losgelöster von seinem „Erfinder“. Delsarte am nächsten (bereichert durch die Lehren von Émile Jaques-Dalcroze) war Wolkonski, dessen Anschauung offenbar erst in den Zwanzigerjahren auch in Mitteleuropa auf fruchtbaren Boden fiel. 32 Kallmeyer, Mensendieck und in weiterer Folge Günther und Gunhild Oberzaucher-Schüller 332 Übungen (denen Delsartes und - wenigstens unbewußt - Mensendiecks Prinzipien zu Grunde zu liegen scheinen) ausgebildet.“ Siehe dazu: Raimund Theater, Gastspiel Tairoff, Wien 1925. 33 Dazu kommen die Schulen der Ausdruckstanzfamilien wie die um Jaques-Dalcroze, Laban und Wigman. Chladek - um nur die Hauptexponenten zu nennen - nahmen sich vom Delsartismus das, was einerseits ihrer psycho-physischen Disposition, andererseits der sich rasch verändernden Ästhetik gemäß war. Ihre Lehren sowie die ihrer Kollegen und Schüler etablierten den neuen Delsartismus als fixen Bestandteil einer Körperbildung. Dies ist etwa an einem populären Werk wie dem zwanzigbändigen Großen Brockhaus abzulesen: Ein Jahr vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, somit ein Jahr bevor Ideologie und Politik (Frauen-)Körper wieder in die Körpermaske „Schönheit“, „Anmut“ und „Grazie“, des Weiteren in nationales Pathos zwangen, listet das Lexikon folgende Gymnastiksysteme beziehungsweise Schulen auf, die nun netzartig über ganz Mitteleuropa gespannt sind 33 : Hedwig-Kallmeyer-Schule in Berlin, Hamburger Schule für Reine Mensendieck-Gymnastik, System J.P. Müller, Schule Hellerau-Laxenburg, Elli-Björsten-Schule Helsingfors, Elizabeth-Duncan-Schule in Salzburg und Prag, Hannoversche Musterturnschule, Dora-Menzler-Schule Leipzig, Hedwig- Hagemann-Schule Hamburg, Schule Loheland bei Fulda, Bodeschule, Rhythmische Schulgemeinde Hilde Senff, Anna-Hermann-Schule und Günther-Schule in München. Sieht man einmal von den reinen Turnschulen ab, so haben alle Genannten mit Delsarte zu tun. Das Gleiche gilt für den künstlerischen Tanz. In der Ausgabe von 1934 sind folgende Vertreter genannt: Ellen von Cleve-Petz, Rudolf von Laban, Mary Wigman und Kurt Jooss. Jede dieser Persönlichkeiten hatte direkt oder indirekt mit dem Delsartismus zu tun. Was Käthe Ulrich, die den Delsartismus in Wien 1911 eingeführt hatte, 1913 in einer Werbeschrift über ihre Schule in bewusst einfacher Weise formuliert, hat auch heute noch Gültigkeit. Das System Delsarte/ Stebbins wandle, so Ulrich, den ganzen Menschen „äußerlich und innerlich harmonisch“ (Ulrich 1911: 13), es eigne sich für jedes Alter und jedes Geschlecht, und zwar sowohl in hygienischer, heilgymnastischer, ethischer wie auch künstlerischer Richtung. Diese Deutung bestätigte sich in ihrer ganzen Tragweite. Der Delsartismus wurde zu einem körperlichen Mittel, das die Bewegungsstarre des 19. Jahrhunderts zu lösen half, er wurde damit zu einem Zeichen für eine Zeit, der „wahre“ Körperäußerungen wichtig wurden. Darüber hinaus kann er selbst - genauer sein Körperzeichenmodell - als ein Instrumentarium angesehen werden, das die Körperzeichen und somit die Zeichen der Zeit zu lesen vermag. Diese zusätzliche Qualität, als Lesehilfe für das Verständnis bestimmter Zeiten, ist bislang vielleicht noch zu wenig genutzt worden. Literatur Aufschnaiter, Barbara, Brötz, Dunja 2004 (eds.): Russische Moderne interkulturell, Innsbruck: StudienVerlag Baer, Nancy V. (ed.) 1991: Theatre in Revolution. Russian Avant-Garde Stage Design 1913-1935, Ausstellungskatalog Hammer Museum Los Angeles, London: Thames & Hudson Beil, Ralf (ed.) 2008: Russland 1900. Kunst und Kultur im Reich des letzten Zaren, Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung, Darmstadt: Mathildenhöhe Bochow, Jörg 1997: Vom Gottmenschentum zum neuen Menschen. Subjekt und Religiosität im russischen Film, Trier: WVT Bochow, Jörg 1998: Der Ausdrucks-Mensch in Theater und Film. Russische Avantgarde-Konzepte vom neuen Darsteller-Menschen im kulturellen und religiös-philosophischen Diskurs, in: Brandstetter, Gabriele, Finter, Helga, Weßendorf, Markus (eds.) 1998: 103-111 Der Delsartismus als Zeitzeichen. Rezeption in Zentraleuropa und Russland 333 Bochow, Jörg 2 2010: Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, Berlin: Alexander Bowlt, John E. 1979: The Silver Age. Russian Art of the Early Twentieth Century and the ‘World of Art’ Group, Newtonville: Oriental Research Partners Bowlt, John E., Chernova, Natalija (eds.) 1996: Moto-Bio - The Russian Art of Movement. Dance, Gesture, and Gymnastics, 1910-1930 = Experiment. A Journal of Russian Culture vol. 2(1996) Brandstetter, Gabriele, Finter, Helga, Wessendorf, Markus (eds.) 1998: Grenzgänge. Das Theater und die anderen Künste, Tübingen: Narr Buchholz, Kai, Latocha, Rita et al. (eds.) 2001: Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, 2 Bde., Darmstadt: Mathildenhöhe Deppermann, Maria 2001: Experiment der Freiheit. Russische Moderne im europäischen Vergleich. Thesen zu einem Projekt, in: Newsletter Moderne 4(2001), H. 2: 14-17 Giese, Fritz, Hagemann, Hedwig (eds.) 1920: Weibliche Körperbildung und Bewegungskunst nach dem System Mensendieck, München: Bruckmann Giraudet, Alfred 1895 : Mimique. Physionomie et Gestes. Méthode pratique D’après le système de F. Del Sarte pour servir à l’Expression des Sentiments par A. Giraudet, Paris : Librairies-imprimeries réunies Haitzinger, Nicole, Jeschke, Claudia (ed., unter Mitarbeit von Christiane Karl) 2007: Zeit / Sprünge. Zu Aspekten des Performativen, Theatralen, Pädagogischen, Medialen und Rhetorischen im 19. Jahrhundert, München: epodium Jeschke, Claudia, Vettermann, Gabi 1992, François Delsarte, in: Oberzaucher-Schüller, Gunhild et al. (eds.) 1992: 15-24 Jeschke, Claudia 2007: Delsarte - Duncan - Duse. 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In his work, he strives to find an adequate expression of the old topos of an aging artist seeking his position between discipline and desire, order and chaos, self-control and excess, Apollo and Dionysos, Eros and Thanatos. The ballet was very well received by the audience, but harshly criticized by the professional critics in the press. This discrepancy in evaluations demands an explanation. This is the starting point of the case study. Based on the reading of all available reviews of the premiere in December 2003 in Baden-Baden, it reconstructs the main structure of the lines of argument against Neumeier’s concept. The third part is then devoted to a detailed analysis of the performance itself and its references to the novella and other works of Thomas Mann on the one hand, and to the adaptation of it (or them) in other media. Special attention is paid to the relationship between language, dance, and music (Bach, Wagner). Based on these findings, the fourth part then argues for a new evaluation of Neumeier’s choreographic concept which attempts to take into account not only the Romantic dualism of art and life, illness and healthiness, love and death, youth and old age, reason and emotion, individual and society, but also the intertextual and intermedial references to the ‘apollinic’ composer Bach and ‘dionysic’ Richard Wagner, to Frederick and Bach’s “Das musikalische Opfer”, to the literary topos of Venice and Wagner’s “Ankunft bei den schwarzen Schwänen” as well as to the Bacchanal in “Tannhäuser”, to “Tristan und Isolde” and Thomas Mann’s novella Tristan including Spinell’s “Wagner- Delirium”, to Schopenhauer und Nietzsche, of course, but also, last but not least, to Visconti’s congenial film Morte a Venezia. 1 Tradition und Notation. Geschichte und Empirie choreographischer Beschreibung / Tradition and notation. History and empirical analysis of choreographic description 2 Kritik und Meta-Kritik / Critic and meta-critic 3 Thema mit Variationen / A theme with variations 4 Tanz-Zeichen im Inter-Text / The signs of dance and their intertextual references 5 Literatur / References 6 Kritiken der Voraufführung in Baden-Baden und der Premiere in Hamburg / The corpus of reviews K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Ernest W.B. Hess-Lüttich 336 1 Tradition und Notation. Geschichte und Empirie choreographischer Beschreibung Im Sema dreht der Derwisch sich seit alters. Im Ritual liegt der Ursprung des Tanzes wie der Religion. Man zeigt dem Gotte (den Göttern) an, sich lösen zu wollen von irdischer Haftung und Begrenzung in der Hinwendung zum Höheren, Anderen, Ersehnten oder Unverstandenen. Manche Götter tanzen mit: Shiva und Vishnu sind hinduistische Urbilder des Tanzes. Krishna und Gopi vereint im ‚ewigen Tanz‘. Baal Markod ist der phönizische ‚Herr des Tanzes‘. Im Schlangentanz erflehen die Hopi Regen vom indianischen Himmel. Die Priester der westafrikanischen Yoruba suchen ihre Gottheit im eigenen Körper in der Trance des Tanzes. Im ekstatischen Tanz vereinen sich Tänzer und Gott. Der Maskentanz erweckt den Geist zum Leben und preist die tierische Gottheit. Der Attiskult im antiken Griechenland, der Artemiskult und der Dionysoskult vor allen, finden im Tanz ihren mythischen Ausdruck. In indischen Tempeln tanzen die Bajaderen. Altägypten pflegt den Kult des Tanzes ebenso wie Mesopotamien. Der sakrale Tanz ist im Judentum so fest verankert wie im Frühchristentum. König David selbst tanzt, berichtet das Alte Testament (2. Sam. 18, 6), hochgestimmt beim Einholen der Bundeslade. Tanz als Ausdruck religiöser Inspiration, als Zeichen magischer Initiation, als apotropäische Kraft, den Dämon zu bannen. Tanz um Buddhas Grab und den Toten zu Ehren. Totentänze in China, Indien und Ägypten, im Europa des Mittelalters. Grabtänze, Freudentänze, Kriegstänze, Jagdtänze, Hochzeits- und Fruchtbarkeitstänze. Tanz im geselligen Kreis und als Veitstanz des Besessenen. Tanz als höfische Kunst mit streng gezirkeltem Regelwerk, als Akademiefach französischer Aristokraten und als robuste Lustbarkeit des fränkischen Volkes im Sonntagsreigen. Der gestische Glanz des javanischen Tanzes und das Rätselwerk des japanischen Kabuki. Tanz ist, so scheint es, über die Zeiten und Welten hinweg, eine kulturanthropologische Konstante menschlicher Existenz. Selbst die christliche Kirche vermochte den Tanz nicht zu töten. Sie ächtete ihn als heidnische Verirrung, verbannte ihn aus Liturgie und Gemeinde - geholfen hat’s nichts, der Mensch will tanzen dürfen. Das Tanzverbot der Taliban reiht sich ein in die Geschichte der vergeblichen Versuche, den Menschen seines Tanzes zu berauben. Der Versuch muss scheitern, denn er ist, scheint’s, wider die Natur. Natur? Tanz als Kulturleistung der Völker hat eine faszinierende Geschichte. Sie aufzuschreiben und nachzuzeichnen, sie zu ergründen und zu erklären, ist Aufgabe der Tanzwissenschaft. Eine junge Disziplin, merkwürdigerweise, denn ihr Gegenstand ist so alt wie die Menschheit. Im deutschsprachigen Gebiet ist sie - im Unterschied zum angelsächsischen und frankophonen Raum - an den Universitäten noch klein und exklusiv, hier und da ein neuer Lehrstuhl, in Berlin flugs mit dem Leibniz-Preis gekrönt, in Dresden und Köln, in Hamburg und Leipzig, Wien und Salzburg, sogar in Bern seit kurzem, fast überall als erstmalig und einzigartig annonciert. Die Experten wirken in unterschiedlichem Umfeld. Meist sind sie der Musikwissenschaft zugeordnet, aber auch der Theater-, Kultur- oder Sportwissenschaft. Ihr Aufgabenfeld ist weit gesteckt. Sie entdecken den Tanz, soweit er von Gruppen getragen wird und überdauernde Merkmale aufweist, als kulturelles Phänomen in jeder seiner Erscheinungsformen. Sie fragen nach seinen Wurzeln, seiner Entwicklung, seiner Vielfalt in Kultur und Geschichte, seinen Formen und Funktionen. Umso erstaunlicher erscheint bislang die Zurückhaltung, Tanz als Text empirisch zu erforschen; als System von Zeichen und Regeln und damit als Gegenstand semiotischer Analyse wurde er noch kaum entdeckt. Zwar haben Algirdas Julien Greimas und Joseph Courtés schon 1979 Tanz als „gestischen Text“ definiert wie auch Pantomime, Ballett, Tanz-Zeichen. Vom Gedächtnis der Bewegung 337 Zeremonie (cf. id. 1982). Aber meist beschränkte sich die semiotische Neugier auf den Teilaspekt der Gesten (z.B. die Handgesten im klassischen indischen Tanz, die Ikegami sogar schon 1971 beschrieben hat), ganz selten auf das Ballett (Ausnahme: Shapiro 1981). Selbst die modernen Handbücher der Semiotik (wie die von Bouissac 1998 oder Nöth 2000) verzeichnen keinen gesonderten Eintrag dazu. Im umfassendsten aller semiotischen Standardwerke, dem vierbändigen Handbuch zur Semiotik in der gewichtigen Reihe der Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft des Verlages de Gruyter (Posner et al. eds. 1998-2004) kommt der Tanz nur versteckt zur Sprache, im Zusammenhang mit Tanz-Kulten (wie den Speer-, Reis-, Weber-, Schirmtänzen auf Bali) im südostasiatischen (besonders indonesischen, philippinischen) Raum (Huber 1998: 1917ff.). Dabei gab es schon früh das kunst- und zeichentheoretische Bemühen um den Tanz, dessen flüchtige Bewegung es in Zeichen und Regeln festzuhalten galt, um ihn studieren und vermitteln zu können. Seit sich im Europa des späten 13. Jahrhunderts eine ständische Tanzkultur entfaltete, gab es alsbald differenzierte Aufzeichnungen und gattungstypologische Überlegungen dazu. Die frühen Tanzdrucke und Lautenbücher im 14. Jahrhundert belegen eine paarweise Verknüpfung von gerad- und ungeradtaktigem Tanz, die sich im höfischen Gesellschaftstanz des 15. und 16. Jahrhunderts zum geordneten Wechsel von Schreit- und Springtanz ausdifferenziert, aus dem sich dann die Suite entwickelt (cf. Kaminski 2003). Vor allem in Italien und Frankreich legen Tanztheoretiker wie Domenico da Piacenza und Guglielmo Ebreo, später Caroso, Negri und Arbeau den Grundstein für eine akademische Reflexion der Tanz-Kunst. Nach ihrer Heirat mit Heinrich II. bringt Katharina von Medici 1533 ihre Tanz-Experten aus Italien mit, Baldassare di Belgiojoso wird Tanzmeister und choreographiert 1581 das berühmte „Ballet comique de la reine“, das den Tanz endgültig zum Zeichen höfischer Pracht und Macht erhebt. 1661 gründet Ludwig XIV. die Académie royale de danse, und das nun professionell geschulte Ballet de cour wird zum Vorbild für die detailgenaue Planung von Festen an europäischen Fürstenhöfen. Der Tanzmeister des Königs, Pierre Beauchamps, codifiziert die fünf Positionen der Füße, die das klassische Ballett bis heute bestimmen. In seinem 1700 publizierten Hauptwerk Chorégraphie ou L’Art de décrire la danse fasst Raoul Auger Feuillet die Bemühungen um die Entwicklung einer verbindlichen Tanzschrift seit Beauchamps zusammen und gibt darin mittels Zeichen den zurückgelegten Weg der Tänzer wieder mitsamt ihren entsprechenden Arm- und Fußbewegungen. Mit dieser berühmten Tanzschrift setzen sich für die Semiotik und Ästhetik des 18. Jahrhunderts bedeutsame Philosophen wie Wolff, Lambert und Condillac auseinander in der Entwicklung ihrer zeichentheoretischen Überlegungen. Gerold Ungeheuer hat diese wichtige Diskussion sorgfältig nachgezeichnet in seiner Pionier-Studie „Der Tanzmeister bei den Philosophen“, die in dieser Zeitschrift erstmals 1980 erschien (Kodikas/ Code. An International Journal of Semiotics 2.4: 353-376). Heute hat sich die Choreologie zu einer eigenen Disziplin, Kunstfertigkeit und beruflichen Aufgabe entwickelt, um Bewegung semiotisch zu fixieren. Seit der österreichische Choreograph Rudolf Laban 1929 eine komplizierte Tanzschrift entwickelte, die als Kinetographie z.T. noch heute in Gebrauch ist (und übrigens auch im medizinischen Bereich verwandt wird) und in der Semiotik des Tanzes auch unter der Bezeichnung Labanotation beschrieben wird (cf. Calbris 1990), haben die Bemühungen um die Codierung der Bewegung enorme Fortschritte gemacht. Rudolf Benesh setzte 1955 mit seiner Benesh Movement Notation den Standard. Das Zeichensystem ist flexibel genug, mit der Ballett-Entwicklung Schritt zu halten. An dem der Londoner Royal Academy of Dance angeschlossenen Institute of Choreology kann man sich darin professionell ausbilden lassen. Ernest W.B. Hess-Lüttich 338 1 So der Titel eines Beitrags von Christian Kipper (2004) über die Choreologin Susanne Menck, die auch Neumeiers Choreographie Tod in Venedig aufgezeichnet hat. Diesem Beitrag ist auch die Abbildung 1 entnommen. - Der hier vorliegende Aufsatz ist die überarbeitete Fassung eines Auszugs aus der Einleitung sowie meines Beitrags „Totentänze - John Neumeiers Ballett Tod in Venedig“ in Ernest W.B. Hess-Lüttich (ed.) 2003: Tanz- Zeichen. Vom Gedächtnis der Bewegung (= Kodikas / Code. International Journal of Semiotics 26.3-4 (2003): 155-158 u. 295-305. Abb. 1 Die Benesh-Notation mit ihren fünf Linien ist der Musik-Partitur vergleichbar. Des Tänzers Körper wird darin in fünf Regionen unterteilt mit der Taille auf der Mittellinie, immer von der Bühnenrückwand aus gesehen. Der Code enthält Zeichen für Hand- und Fußpositionen, Linien für die Bewegungen, die Ausgangspunkt und Ziel der Positionen anzeigen, und eine die Bewegung segmentierende Takteinteilung, die der Musik-Partitur korrespondiert. Auf diese Weise lassen sich Parallelbewegungen einer beliebigen Zahl von Tänzern in einer einzigen Notation abbilden. Nur die Veränderungen von Positionen werden registriert. Das macht die Benesh-Notation bei den heutigen ‚Tanzmeistern‘ so beliebt, weil sie - im Zusammenspiel mit Video-Aufzeichnungen einer Choreographie - die zugrundeliegende Idee einer jeden eigenständigen Tanzfigur fixiert und damit vermittelbar, diskutierbar, rekonstruierbar macht. „Die Benesh-Notation ist sehr präzise, quasi mathematisch akkurat und besitzt eine wichtige Kontrollfunktion“, sagt der Argentinier Eduardo Bertini, einer der vier Ballettmeister beim Hamburg Ballett, dessen Choreographie Tod in Venedig Ein Totentanz (nach Thomas Manns Novelle) 2004 ebenfalls in einer solchen Notation choreologisch aufgezeichnet wurde - als „Gedächtnis der Bewegung“. 1 Tanz-Zeichen. Vom Gedächtnis der Bewegung 339 2 Ich danke dem Tanzarchiv Köln und dem Ballettzentrum Hamburg für ihre Unterstützung und die Sammlung von zusammen 62 Premierenkritiken aus dem Dezember 2003 sowie einiger Abbildungen. 2 Kritik und Meta-Kritik Im selben Jahr, in dem Benjamin Brittens Oper Death in Venice beim Aldeburgh Festival uraufgeführt wurde, kam John Neumeier nach Hamburg. Drei Dekaden später, zur Jubiläumssaison „30 Jahre Hamburg Ballett“ 2003/ 04, lädt er zur Premiere seines Balletts Tod in Venedig. Thomas Manns Novelle, sein „Selbstgericht“ (Georg Lukács), ist ihm seit seiner Jugend vertraut. „Als ich die Novelle zum ersten Mal las, war ich 15, also ungefähr in Tadzios Alter“ (Neumeier im Gespräch mit Dagmar Fischer in der Hamburger Morgenpost v. 5.12.2003). Aber erst jetzt, sagt er (auch in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt am 3.12.2003), fühle er sich „gereift“ genug, den Stoff vom alternden Künstler in der Spannungsbalance zwischen Selbstzucht und Begehren, Ordnung und Chaos, Disziplin und Ausschweifung, Apollo und Dionysos, Eros und Thanatos choreographisch zu bewältigen. Lange hatte er das alte Freud-Thema der Sublimierung von Triebenergien als Impuls kreativer Leistungskraft in mancherlei Stücken (wie „Nijinsky“ oder „Die Möwe“) umkreist. Es wurde auch zu seinem eigenen Lebensthema. Nach einer Vorpremiere in Baden-Baden im Dezember 2003 (die zugleich die Grundlage für die folgenden Beobachtungen bildet), wurde das Ballett in der Spielzeit 2003/ 04 in Hamburg vom Publikum begeistert gefeiert, von der Kritik jedoch zunächst eher ungnädig aufgenommen. Ich habe daraufhin alle greifbaren Premierenkritiken einmal durchgesehen und eine mich überraschende Zahl kritischer Wortmeldungen gezählt. 2 Eine nicht repräsentative Auswahl aus diesen Stimmen mag im folgenden zunächst einen Eindruck von der überwiegend negativen Aufnahme des Stücks durch die professionelle Kritik vermitteln, bevor ich nach den Ursachen für diese Einschätzung frage und aus einer knappen Aufführungsanalyse heraus und vor dem (hier vorausgesetzten) Hintergrund meiner Analysen der Novelle Thomas Manns und des Films von Visconti (Hess-Lüttich & Liddell 1990; Hess-Lüttich 2000) sowie der Oper von Britten (in diesem Band) meine eigene Bewertung begründe. „Ach, Gustav! “ seufzt etwa Eva-Elisabeth Fischer in der Süddeutschen Zeitung (v. 9.12.2003) und mäkelt, das Stück erzähle „nur am Rande von Thomas Manns vergeistigtem Künstler, [...] sondern unfreiwillig und ununterbrochen von (homo-)sexueller Verklemmtheit“. Für sie ist es im Ergebnis ein Beispiel dafür, „wie Ballett sich besinnungs- und sinnlos ein für alle mal zu Tode tanzt“. Jochen Schmidts Urteil fällt in der Welt (v. 1.12.2003) kaum milder aus: Neumeiers Choreographie sei „prätentiös und ein wenig verworren, die Bewegung maniriert“. Dem grandiosen Autor Thomas Mann sei der „eher mittelprächtige Choreograph“ nun mal nicht gewachsen, er habe die Aufführung in Baden-Baden zwar als „work in progress“ bezeichnet, aber sie enthalte leider „vor allem Leermaterial und blinde Stellen“. „Schwüle Atmosphäre am Lido-Strand“, geniert sich der Mannheimer Morgen (v. 23.12.2003) und seine Mitarbeiterin Dagmar Zurek findet wenigstens das Bühnenbild „sehr stylish und zeitgeistig“. „Kein Meisterwerk“ sei dem Amerikaner zum Jubiläum seiner 30-jährigen Direktion an der Alster da geglückt, urteilt Marieluise Jeitschko streng in der Neuen Westfälischen (v. 15.12.2003), jedenfalls nicht „mit dieser Selbstdarstellung und dem platten ‚Outing‘“. Ihm gelingen „kaum schlüssige Formen“, meint Claudia Ihlefeld in der Heilbronner Stimme (v. 2.12.2003), sperrig dekliniere er das klassische Vokabular, als Ernest W.B. Hess-Lüttich 340 lasse er seine Truppe „mit angezogener Handbremse“ tanzen. Sie irritieren in Baden-Baden „Beliebigkeit und Neurosen“, das kommt ihr irgendwie intellektuell vor, überzeugt sie aber weder als Lesart noch als Choreographie: „keine originelle Nabelschau“. Neumeier finde „nur blasse Bilder, homoerotische Männerphantasien am Lido, wenn nichts mehr geht, balgende Buben helfen (n)immer.“ Die Umsetzung der Erzählung in Tanz lasse sich nun mal nicht so leicht bewerkstelligen, gibt Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau (v. 11.12.2003) zu bedenken: „es gibt Dinge, die lassen sich mit Tanz einfach nicht erklären“. Kein Wunder, dass Neumeier daher immer wieder „zu den gängigsten aller Bilder“ greife und Lösungen „aus der Sparte röhrender Hirsch überm Sofa“ biete, die belegten, „ein wie erstaunlich traditioneller, ja altmodischer Choreograph John Neumeier“ nun mal sei. Wer Luchino Viscontis großartigen Film Morta a Venezia noch vor Augen habe, müsse von seinem Ballett enttäuscht sein, grämt sich Ekkehard Rossmann in der Frankfurter Neuen Presse (v. 10.12.2003). Bettina Schulte hat nachgerechnet und findet in der Badischen Zeitung (v. 1.12.2003), gegenüber dem Film von 1970 komme diese Choreographie „30 Jahre zu spät“, sie setze ihm „nichts wesentlich Neues entgegen“ und halte ihm „schon deswegen ästhetisch nicht stand“. Zwar habe sich Neumeier sicher allerlei dabei gedacht, aber, fragt sie den Leser mit kumpelhafter geistiger Unbeschwertheit, „muss einen das alles interessieren? Könnte es sein, dass der Choreograf vor lauter historisch-philologischen Studien vergessen hat, was er uns hier und heute mit diesem Stoff erzählen will? “ Schließlich seien dekadente Künstler und „die Tabuisierung gleichgeschlechtlichen Begehrens“ heute doch eigentlich kein Thema mehr. „Ohne Inspiration“, fasst Marga Wolff für Die Tageszeitung (v. 9.12.2003) bündig zusammen, der Tänzer des Aschenbach möge ein guter Tänzer sein, aber er sei leider „ein mäßiger Darsteller, und zu Tadzio sei Neumeier erst recht wenig eingefallen, „neckische Jungensspiele in Badehose vermitteln kaum den Zauber der Jugend“. Sie hätte sich die Choreographie des Ballett-Direktors „mutiger gewünscht“, zumal wenn man wisse, welches Potential in ihm stecke, „wenn er sich nicht in Konventionen und Klischees“ verfange. Wie abgesprochen klingt dazu das Urteil von Irmela Kästner in der Welt vom selben Tage (9.12.2003): auch sie hätte es sich „mutiger gewünscht“, man wisse ja, „welches Potenzial in Neumeier steckt“, aber zur Rolle des Tadzio, „eine ziemlich plumpe Figur“, sei ihm „herzlich wenig eingefallen“ und „neckische Spiele in Badehose vermitteln kaum den Zauber der Jugend“. Wer hat hier wohl von wem abgeschrieben? Selten hat man Welt und taz jedenfalls so einig gesehen. Auch an der Musikauswahl wird kein gutes Haar gelassen. Musste in Viscontis Kinoadaption das Adagietto aus Mahlers 5. Symphonie „dran glauben“, so leidet Volker Boser in der Münchner Abendzeitung (v. 2.12.2003) unter „dem emotionalen Zickzackkurs“ der Klavierkompositionen Richard Wagners, vor allem beim melancholischen Pas de deux zu Isoldes Liebestod in der Klavierfassung von Franz Liszt, „robust zertrümmert von der unzulänglichen Pianistin Elizabeth Cooper“ - deren Spiel andere Kritiker freilich „phantastisch“ finden (Lien Kaspari) oder „fabelhaft“ (Monika Fabry), „brillant“ (Rolf Fath) und „hinreißend“ (Martin Roeber). Alles in allem nichts als eine „banale schwule Lovestory“ also, wie die Eßlinger Zeitung (v. 6./ 7.12.2003) titelt? Ein „Totentanz der schrillen Tunten“ (Nordsee-Zeitung Bremerhaven v. 9.12.2003)? Das Ballett, warnt Angela Reinhardt potentielle Besucher, wirke „unglücklich und unfertig, als hätte sich Neumeier damit gequält“. Sein Problem mit Thomas Mann: „in der Bühnenversion wirkt alles zu konkret, zu irdisch, zu äußerlich“ - und dann die Auswahl der Tänzer: „Fehlbesetzung“. Genau, findet auch Horst Koegler in der Stuttgarter Zeitung Tanz-Zeichen. Vom Gedächtnis der Bewegung 341 3 Zum Verhältnis Thomas Manns zu Venedig und dessen Niederschlag in seinem Werk cf. neuerdings u.a. Bergdolt 2003, Shookman 2003. 4 Venezianische Geräuschcollage; Johann Sebastian Bach: Bourrée aus der Suite e-Moll für Laute (ca. 1722), BWV 996, bearbeitet v. Friedrich Leinert. (v. 3.12.2003): „Kolossale Fehlbesetzung! “, den Tadzio, den hat er sich anders vorgestellt. Mag Neumeiers Bemühen im Vergleich mit Norbert Vesaks 1983 für München choreographierten Tod in Venedig (zu Musik Gustav Mahlers und mit Richard Cragun als Aschenbach) auch sensibler und vielschichtiger erscheinen, letztlich scheitere er „an dem Versuch, Thomas Manns Novelle in die dreidimensionale Realität eines Raums zu übersetzen“. Für Andrea Kachelrieß (Stuttgarter Nachrichten v. 1.12.2003) führt er geradewegs „in homoerotischen Kitsch und Klischee: [...] in einen Altherrentraum, dessen Lederkombinationen wirken, als stammten sie aus dem Fundus eines Beate-Uhse-Shops“. - Bei der Durchsicht von über 60 Kritiken allein der Premiere fällt auf: die meisten und schärfsten Verrisse stammen erstaunlicherweise von Autorinnen; die Frauenrollen des Stücks bieten dafür keine Handhabe, sie sind weniger profiliert (drum? ), aber perfekt getanzt (eindrucksvoll: Laura Cazzaniga als Mutter und als Assistentin). Die männlichen Pflicht-Besucher urteilen merkwürdigerweise meist milder. Die wenigsten der flammenden Verdikte indes sind im engeren Sinne fachlich begründet (vielleicht mit der Ausnahme von Evelyn Finger in der Zeit v. 11.12.2003 und von Lilo Weber in der Neuen Zürcher Zeitung v. 13.12.2003). Was also löst den Furor des Feuilletons aus bei einem Stück, dem das Premierenpublikum, wie oft leicht pikiert vermerkt wird, begeisterten Beifall zollt? Ein (1) Buhruf zur Pause wurde fast dankbar registriert, aber auch dieser einsame Rufer sei nach der zweiten Halbzeit verstummt. In einem zweiten Schritt will ich mir deshalb Rechenschaft zu geben versuchen über meine eigene Wahrnehmung der Aufführung (also der Voraufführung in Baden-Baden) vor dem Hintergrund meines intertextuellen und intermedialen Interesses an dem mittlerweile arg strapazierten „Thema mit Variationen“ (Mayer 1980). 3 3 Thema mit Variationen Das Stück gliedert sich in 10 Szenen, deren Folge in knapper Skizze rekonstruiert und kommentiert sei, um genauer zu verstehen, worauf die Kritik in der Sache sich gründet. Eine Art Prolog stimmt das Publikum ein auf das Wüten der Cholera in Venedig, mit einer venezianischen Geräuschcollage und einem kurzen Lautenstück von Bach. 4 Dieser Prolog sollte gewiss zunächst den Untertitel - „Ein Totentanz, frei nach der Novelle von Thomas Mann“ - veranschaulichen, wurde aber dann wohl doch als entbehrlich betrachtet und in der Hamburger Aufführung zugunsten einer Pause gestrichen, ohne Einbußen für das Verständnis, aber unter Verzicht auf ein Stück schöner Musik als kataphorischen Verweis auf dessen etwas abgewandelte Wiederaufnahme im Totentanz gegen Schluss. Mir hat diese Rahmung eingeleuchtet, die Kritik begrüßte die Streichung. Die ausgedehnte erste Szene (i) zeigt Aschenbach, der hier nicht Schriftsteller ist und auch nicht Komponist wie bei Visconti, sondern ein Choreograph im Zenit seines Ruhms (bei dem Neumeier übrigens nicht, wie die Kritik sogleich wusste, nur an sich selbst dachte - Stichwort „Coming out“, „Bekenntnisstück“ usw. - sondern eher noch an den russisch-französischen Meisterchoreographen Serge Lifar), ein Tanzmeister also bei der Arbeit an einem Ballett über Ernest W.B. Hess-Lüttich 342 5 Johann Sebastian Bach: Das Musikalische Opfer (1747) BWV 1079: Thema Regium (Flöte), Ricercar a 3; Richard Wagner, Elegie (1859/ 1882); Johann Sebastian Bach, Das Musikalische Opfer (1747) BWV 1079: Canon perpetuus super Thema Regium, Canon a 2 cancrizans, Canon a 2 violini in unisono (in 2 Fassungen), Canon a 2 per motum contrarium, Canon a 2 circularis per tonos, Triosonate, 1. Satz Largo; Richard Wagner: Notenbrief für Mathilde Wesendonck (1856); Johann Sebastian Bach, Das Musikalische Opfer (1747) BWV 1079: Triosonate, 2. Satz Allegro Friedrich den Großen. 5 Auch in der Novelle ist vom Preußenkönig die Rede, ihm ist eines der Werke des erfolgreichen, zum 50. Geburtstag geadelten Schriftstellers gewidmet: „eine klare und mächtige Prosa-Epopoe vom Leben Friedrichs von Preußen“. Das Friedrich-Projekt des Choreographen Aschenbach soll sein Meisterstück werden, sein opus summum, aber er steckt in einer schwierigen Phase und kommt nicht recht voran. Er probiert allerlei aus, verwirft es wieder, wird unterbrochen, setzt neu an, tanzt selbst vor, korrigiert sich, nimmt sich zurück und neuen Anlauf, dirigiert seine Tänzer teils nervös, teils lustlos durch den Raum. Seine ‚Konzepte‘ in einer an Balanchine („Apollo“) orientierten neoklassizistisch-kühlen Tanz-Sprache, ver-‚körpert‘ durch Silvia Azzoni und Alexandre Riabko, und seine ‚Skizzen‘, mit graziöser Akkuratesse getanzt von Sébastien Thill und einem hochdisziplinierten Ensemble, wollen sich einfach nicht zu einem Ganzen fügen. Die Konzeption des - misslingenden - Balletts im Ballett ist in der Tat vertrackt: wie choreographiert man mit höchster Perfektion choreographisches Scheitern? Die meisten Kritiker fanden’s eben einfach nur gescheitert. Dabei war es natürlich das Thema der Darstellung: der Künstler mit höchstem Anspruch an sich und sein Team in einer gravierenden Schaffenskrise. Wer auf die ironisch gebrochene Konzeption mit doppeltem Boden sich einließ, bemerkte die Perfektion in vielen Details. „Ich wollte die Kälte von genialen Menschen klar machen, die nach Liebe gieren, aber nicht wissen, wie sie sie erreichen oder zulassen können“, erklärt Neumeier im Gespräch mit Monika Fabry (im Hamburger Abendblatt v. 3.12.2003) und fährt fort: „Wenn einer sehr viel von sich erwartet und auch sehr viel von sich hält, entsteht Verzweiflung aus dem Gedanken, nicht mehr zu können.“ Das Bild des Flöte spielenden Königs auf der Staffel, in Menzelscher Manier, passend dazu der Tanz auf der Fußspitze, von Ivan Urban als Friedrich, jung und schön, an den in Freundschaft zu Katte entbrannten Kronprinzen gemahnend, „in leichtfüßiger Eleganz und mit gestochen scharfem Klassik-Vokabular in den Raum gezirkelt“ (Klaus Witzeling in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung v. 11.12.2003), aber auch von Hélène Bouchet als seine Hofballerina „La Barbarina“, beide verstört durch ständige Eingriffe des ungeduldigen Meisters, der zwischendurch noch geschmeichelt halb und halb genervt Ehrungen entgegennimmt und Photo-Sessions über sich ergehen lässt (Neumeier wurde nahezu zeitgleich vom französischen Generalkonsul Gabriel Jugnet die Ritterwürde der Ehrenlegion verliehen) - Anspannung und Erschöpfung, höchste Konzentration und selbstironisches Zitat (z.B. der Neigung Neumeiers, das Geschehen zuweilen auf einem Stuhl stehend zu verfolgen, oder Auszeichnungen mit höflich-huldvoller Geduld über sich ergehen zu lassen, Auszeichnungen einer Gesellschaft, wie ihm hoch bewusst ist, die ihn zugleich als Außenseiter im wörtlichsten Sinne aus-zeichnet: cf. Hess-Lüttich 1999). Bachs Fuge „Das musikalische Opfer“, auf die auch ein Faksimile von Bach-Noten verweist, hätte dazu kaum besser gewählt werden können: Zeichen für Pflicht und Zucht, für Disziplin und Akkuratesse, für strenge Ordnung und mathematische Genauigkeit, und dennoch spielerisch aufgelöst in perlenden Variationen eines Themas, das Bach drei Jahre vor Tanz-Zeichen. Vom Gedächtnis der Bewegung 343 Abb. 2 Abb. 3 Ernest W.B. Hess-Lüttich 344 6 Richard Wagner / Hans von Bülow: Tristan und Isolde - Prélude Abb. 4 seinem Tod von Friedrich zur Bearbeitung erhalten hatte, von demselben Friedrich, dem Leistungsethiker, der auf seine emotionale Erfüllung in Herzensdingen verzichtet zugunsten politischer Staatsraison und vernunftgelenkter Pflichterfüllung, der aber zugleich seine musischen Neigungen und intellektuellen Bedürfnisse nicht verleugnet. Lloyd Riggins als Aschenbach bei der Arbeit an seinem Werk, mit weiß gewandeter Compagnie in gleißend hellem Licht, zugleich konzentriert und zerfahren, blockiert und sich vergeblich zwingend - Evelyn Finger fühlt sich ein wenig erinnert an Thomas Manns Figur des Schiller in seiner Erzählung Schwere Stunde: „Er stand einsam wach am erkalteten Ofen und blinzelte gequält zu dem Werk hinüber“ (Die Zeit v. 11.12.2003) - Gefühle und gedankliche Abschweifungen brechen ein ins strenge Regelwerk der gesuchten Konzeption, musikalisch akzentuiert durch Richard Wagners „Elegie“ (1859/ 1882) und den „Notenbrief für Mathilde Wesendonck“ (1856), das kaltweiße Licht wird gelb und warm, Lloyd Riggins tanzt ausdrucksstark beides: den Dompteur eckig, kantig, herrisch, den Erschöpften, Ausgelaugten fließend, taumelnd, sinkend. Fluchtgedanken, Verlockung der Ferne, durch Ablenkung neue Inspiration suchend: zum Vorspiel aus Wagners „Tristan und Isolde“ (im Palazzo Vendramin zu Venedig erlebte Wagner bekanntlich jenen amour fou, der ihn zu Teilen seiner Oper inspirierte: s. Regitz 2003) begegnet Aschenbach dem „fremdländischen Wanderer“ (ii), suggestiv verdoppelt durch die Zwillingstänzer Ji í und Otto Bubení ek, die hier in Jeans und Karo-Hemd auftreten wie zwei verführerische Abgesandte aus dem sündigen Castro-Viertel des San Francisco der sorglosen Vor-Aids-Zeiten. 6 Tanz-Zeichen. Vom Gedächtnis der Bewegung 345 7 Johann Sebastian Bach, Das Musikalische Opfer (BWV 1079): Thema Regium (oboe d. caccia), Canon perpetuus contrario motu, Canon a 4 quaerendo invenientis, Fuga canonica in epidiapente, Triosonate, 4. Satz Allegro; Richard Wagner: Ankunft bei den schwarzen Schwänen (1861); Johann Sebastian Bach, Das Musikalische Opfer (BWV 1079): Canon a 2 per augumentationem; Richard Wagner: Notenbrief für Mathilde Wesendonck (1856) 8 Bourrée aus der Suite e-Moll für Laute (ca. 1722) BWV 996, Yethro Thull, bearbeitet v. Ian Anderson und Yngwie J. Malmsteen Baroque & Roll Aschenbach bricht auf nach Venedig (iii), ein Gondoliere setzt ihn über zum Lido, kühl das Licht, in Blau getaucht die Kulisse, die Gedanken bei der Arbeit, dazu das Andante (Triosonate, 3. Satz) aus Bachs „Musikalischem Opfer“; Ji í und Otto Bubení ek, jetzt in langen Mänteln, sind der undurchsichtige Fährmann. Der Plan einer Gondel auf dem Zwischenvorhang zitiert zugleich Charons Nachen. Dann die erste Begegnung mit Tadzio im Trubel der Hotelhalle, genauer: ein Gewahrwerden des Knaben, flüchtig, von weitem, als klassisches Bild die Skulptur des Dornausziehers zitierend (iv). Die Szene eher hektisch, musikalisch zwischen venezianischer Geräuschkulisse in schnellem Wechsel Ausschnitte aus „Isoldes Liebestod“, der „Sonate für das Album von Mathilde Wesendonck“ (1853), der „Polka“ (1853), dem „Zürcher Vielliebchen-Walzer“ (1854), der „Elegie“ und dem 5. Wesendonck- Lied „Träume“ (1857), einer Studie zu „Tristan und Isolde“. Ji í und Otto Bubení ek tanzen lasziv den „falschen Jüngling“ als Pas de deux mit grazil-effeminiertem Gestus, der junge russische Tänzer Edvin Revazov, groß, blond, barfüßig, mit klarem Blick, die Wangen leicht gerötet, verströmt den frischen Glanz kraftvoller Jugendlichkeit, der sorglosen Unmittelbarkeit des noch nicht vom Wissen Gezeichneten. Ein suggestiver Kontrast zwischen der marionettenhaften Eleganz der Gesellschaft in exquisiter Garderobe (die Zwillinge als dekadent-dekoratives Männertanzpaar inklusive) und der natürlichen Anmut des polnischen Knaben inmitten des Reigens. Dann die Strandszenen (v), in hellem Sonnenlicht die Körper der Jünglinge beim Spiel, Aschenbach folgt ihm gebannt, berührt und im Innersten getroffen von einem Lächeln des Knaben. Durch dessen élan vital und flüchtig erhaschten Blick jäh belebt kehrt die Kreativität zurück, Aschenbach hat nun tausend Einfälle zu seinem Stück 7 , experimentiert mit hip-hop- Zitaten, breakdance-Elementen, Passagen aus dem Männerpart bulgarischer Volkstänze. Tadzio und sein Freund Jaschu, getanzt von Arsen Megrabian aus Armenien mit geschmeidiger Anmut, beim exakt gezirkelten Ballspiel, sie inspirieren ihn zur Choreographie der Liebe zu Wagners „Ankunft bei den schwarzen Schwänen“ (1861) und „Notenbrief für Mathilde Wesendonck“ (1856). Zum Bacchanal aus dem „Tannhäuser“ (in der Pariser Fassung v. 1861) dann der fiebrige „Traum vom fremden Gott“ (vi), um den Schlafenden quellen die Tänzer aus dem Strandkorb, in scharfem Kontrast zum geregelten Ballspiel jetzt zu orgiastischen Knäueln verknotet, die Zwillinge (diesmal als Dionysos) wieder mittendrin mit obszöner Gebärde dem Liegenden zu Leibe rückend im wörtlichsten Sinne. Sie sind es auch, die als Barbiere im folgenden Bild (vii) den sich künstlich Verjüngenden umtänzeln, unter ihren geschäftigen Händen wird er behende zu jenem Gecken modelliert, der ihm bei der Ankunft im Hotel des Bains so befremdlich begegnete. Ji í und Otto Bubení ek sind auch der schmierige Gitarrist, der (jetzt in der Maske der Rockband „Kiss“) den Gästen mit Spottliedern und Lachgesang zum Totentanz aufspielt (viii). 8 Wir haben unweigerlich die Szene aus Viscontis Film vor Augen, aber hier gerät nach der Wiederaufnahme des Prologs mit der Jethro Thull-Version von Bachs Bourrée die Szene Ernest W.B. Hess-Lüttich 346 9 Johann Sebastian Bach, Das Musikalische Opfer (BWV 1079): Thema regium, Ricercar a 6 - instrumentiert von Anton Webern (1934/ 35) Abb. 5 aus den Fugen, zuckender Techno-Tanz in bleichem Leichenhallenlicht, Yngwie J. Malmsteen und Baroque & Roll, Lichtgeknatter und Disco-Show - und dann werden, von schwarzgewandeten Henkern und Todesboten, weißflutende Leichentücher darüber gezogen (ix): die Entscheidung ist gefallen, Aschenbachs „Friedrich“ bleibt unvollendet, Elizabeth Cooper spielt das „Thema Regium“ aus dem „Musikalischen Opfer“ am Klavier mit strengem Ernst und viel Pedal 9 , die Bühne in Blau, Aschenbach und Tadzio tanzen am Meer einen letzten Pas de deux zur hoch dramatischen Liszt-Klavierversion von „Isoldes Liebestod“, ein anrührender danse macabre, die Berührung im Verlöschen, zart erwidert mit der lebensgewissen Überlegenheit der Jugend, bis Aschenbach in Tadzios Arme sinkt und sein „Blick vor Empfindung sich bricht“ (Tonio Kröger) - nach dem Verklingen des letzten Tons und kurzem Innehalten liest jemand hinter mir auf den Bildungsbürger-Abonnementsplätzen in den aufbrandenden Applaus hinein seiner Begleiterin mit halblaut-ergriffenem Flüstern verständnisinnig aus dem Programmheft die hier zuverlässig assoziierte Anfangszeile aus August von Platens Tristan- Gedicht vor: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben ...“. Tanz-Zeichen. Vom Gedächtnis der Bewegung 347 Abb. 6 4 Tanz-Zeichen im Inter-Text Tadzio und Aschenbach begegnen einander verstehend erst im Schlussduett, aber Erfüllung und Erkenntnis bedeuten bei Mann wie bei Neumeier Tod (man erinnert seine Schwanensee- Choreographie). Sentimentaler Kitsch oder großartiges Tanztheater? Die Kritik richtete sich nicht gegen die herausragende Leistung der Tänzer, nicht gegen ihre überzeugende Ensemble- Leistung, nicht gegen die kalligraphisch klare Bildsprache des Hamburger Star-Designers Peter Schmidt, dessen schwarz-weißes Bühnenbild mit dem Element Wasser spielt und venezianische Ikonen zitiert, wenn Spiegelungen zu Trauerflor sich verwandeln und die Kontur der Gondel in knappem Aufriss erscheint, nicht gegen die sensible Licht-Regie, die den Wechsel der Stimmungen zurückhaltend ausleuchtet, nicht gegen die schönen Kostüme, die auch die Schönheit der Tänzer zur Geltung kommen ließ (statt sie wie manchmal bei Pina Bausch in Beckett-Müllsäcke ebenso gräulich wie greulich zu verhüllen), sondern fast ausschließlich gegen die choreographische Konzeption. Ein wenig erinnerte mich die Rezeption an die zunächst ähnlich wütende Reaktion der professionellen Kritik auf Viscontis Film von 1970, die allgemein als unangemessene Adaption der Novelle des Meisters abgeurteilt wurde (zur Metakritik cf. Hess-Lüttich & Liddell 1990) - und heute als Meisterwerk sui generis und Modellfall gelungener Literaturverfilmung gilt. Manches Urteil über die jeweilige Darstellung der Beziehung (oder Nicht-Beziehung) zwischen Aschenbach und Tadzio klingt wie ein Echo der seinerzeitigen Verdikte, mit Ernest W.B. Hess-Lüttich 348 30-jähriger Verzögerung. Mit ein wenig Abstand, denke ich, wird man Neumeiers 126. Choreographie in seiner 30. Spielzeit ebenfalls milder beurteilen. Seine Tanz-Konzeption sucht durchaus dem (aus der Romantik übernommenen) Dualismus von Kunst und Leben, Krankheit und Gesundheit, Liebe und Tod, Jugend und Alter, Rationalität und Emotionalität, Individuum und Gesellschaft gerecht zu werden, der das Werk Thomas Manns wie ein roter Faden durchzieht in mannigfacher Gestalt (cf. Koopmann 1975, id. ed. 2001; Renner 1985). Ihm gehorchen auch die intertextuellen und intermedialen Bezüge auf den ‚apollinischen‘ Bach und den ‚dionysischen‘ Wagner, auf Friedrich und das „Musikalische Opfer“, auf den Venedig-Topos (Dieterle 1995) und die „Ankunft bei den schwarzen Schwänen“ und das Bacchanal aus „Tannhäuser“, auf „Tristan und Isolde“ und Thomas Manns Tristan-Novelle mit Spinells „Wagner-Delirium“, auf Schopenhauer und Nietzsche, aber auch auf Viscontis Film (z.B. durch das Zitat der „herrenlosen“ Kamera auf Stativ), bewegend vor allem in der Schlussszene des Bilderbogens, in der wir mit dem bizarr verjüngten, von Tadzio im Todestaumel lächelnd gehaltenen Tanzmeister zugleich den zu Tode siechen Dirk Bogarde erinnern, wie er - zu den filmhistorisch für immer damit assoziierten Klängen von Gustav Mahlers Adagietto aus der 5. Sinfonie - mit schwarz verlaufender Schminke auf grell geweißter Schläfe nachschaut dem Epheben „mit flatterndem Haar, dort draußen im Meere, im Winde, vorm Nebelhaft-Grenzenlosen [...] Ihm war aber, als ob der bleiche und liebliche Psychagog dort draußen ihm lächle, ihm winke; als ob er, die Hand aus der Hüfte lösend, hinausdeute, voranschwebe ins Verheißungsvoll-Ungeheure. Und, wie so oft, machte er sich auf, ihm zu folgen“ (Mann 1967: 399). 5 Literatur Bergdolt, Klaus 2003: „Nicht nur die Novelle - Thomas Mann und Venedig“, in: Michael Braun & Birgit Lermen (eds.) 2003: man erzählt Geschichten, formt die Wahrheit. 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Die Günther-Schule München 1924-1944, Mainz: Schott Lacheny, Marc 2012: « François Delsarte (1811-1871): un artiste à (re)découvrir », in: Théâtres du Monde vol. 22 (2012), 445-448 Lake, Taylor S. 2002: American Delsartism and the Bodily Discourse of Respectable Womanliness, Ph.D diss. [ms.], University of Iowa Leabhart, Thomas and Nancy Lee Chalfa Ruyter (eds.) 2005: Essays on François Delsarte (= Mime Journal 2004/ 2005), Claremont, CA: Theatre Department for the Claremont Colleges Laico, Suzanne 1954: The Acting Theory of François Delsarte, Ph.D diss. [ms.], Columbia University Mackaye, Percy 1927: Epoch: The Life of Steele Mackaye, Genius of the Theatre in Relation to His Times and Contemporaries, 2 vols. New York: Boni and Liveright McTeague, James H. 1993: Before Stanislavsky: American Professional Acting Schools and Acting Theory, 1875-1925, Metuchen, NJ: Scarecrow Press Mensendieck, Bess 1906: Körperkultur des Weibes, München : F. 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Noetzel Oberzaucher-Schüller, Gunhild und Ingrid Giel 2002: Rosalia Chladek. Klassikerin des bewegten Ausdrucks, München: Kieser Odom, Selma Landen 2005: Delsartean Traces in Dalcroze Eurythmics, in: Leabhart, Thomas and Nancy Lee Chalfa Ruyter (eds.) 2005: 137-151 Peirce, Charles Sanders 1888: “Trichotomic”. In: Writings of Charles Sanders Peirce. A Chronological Edition, vol. 6 1886-1890, Peirce Edition Project: 211-215 Porte, Alain 1992 : François Delsarte, une anthologie, Paris : IPMC Rambaud, Carol et Geneviève Vincent (eds.) 1991 : François Delsarte 1811-1871 : Sources - Pensée, catalogue de l’exposition au Musée de Toulon, Châteauvallon : Théâtre national de la Danse et de l’Image Randall-Diehl, Anna 1890: A Practical Delsarte Primer, Syracuse NY : Bardeen Randi, Elena (ed.) 1995: François Delsarte : Le leggi del teatro. Il pensiero del precursore della danza moderna, Roma: Bulzoni Randi, Elena 1996: Il magistero perduto di Delsarte. 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Anfänge moderner Körpertherapien, München: Urban & Fischer Bibliographie zu François Delsarte 354 Stüdemann, Natalia 2008: Dionysos in Sparta. Isadora Duncan in Russland. Eine Geschichte von Tanz und Körper, Bielefeld: transcript Verlag Taylor George 1999: „François Delsarte: A Codification of Nineteenth-Century Acting“, in: Theatre Research International, 24/ 1(1999): 71-81 Ulrich, Käthe (ed.) 1911: Delsartismus. In Österreich 1911 eingeführt und ausgestaltet durch Käthe Ulrich, Wien, Wien Volkonsky, Sergei Mikhailovich 1913: Vyrazitel’nyi c helovek, Stsenic heskoe vospitanie zhesta. Po Delsarte - u. S illyustratsiyami so statui I kartin starinnykh masterov, St. Petersburg: Izdanie “Apollona” Waille, Franck (ed.) 2011: Trois décennies de recherche européenne sur François Delsarte, Paris: L’Harmattan Waille, Franck [2009] 2011: Corps, arts et spiritualité chez François Delsarte. Des interactions dynamiques, 2 vol., Villeneuve d’Ascq: ANRT Walker, Julia A. 2005: Expressionism and Modernism in the American Theatre: Bodies, Voices, Words, Cambridge: Cambridge Univ. Press Wallace, Karl R. (ed.) 1954: History of Speech Education in America, New York: Appleton- Century-Crofts Wedemeyer-Kolwe, Bernd 2 2006: ‚Der neue Mensch‘. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Würzburg: Königshausen & Neumann Wolbert, Klaus et al. (ed.) 2001: Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, 2 Bde., Darmstadt: Häußer Wolkonski, Sergej 1910: Die Hauptsache, in: Die Schaubühne, VI. (1910), Nr. 52, 29. Dez. 1910: 1339-1345 Zepler, Margarete 1906: Erziehung zur Körperschönheit. Turnen und Tanzen. Ein Beitrag zur Mädchenerziehung, München: Marquardt Zorn, John W. (ed.) 1968: The Essential Delsarte, Metuchen, NJ: Scarecrow Press Die Autoren / The authors Dr. Jörg Bochow: Studium der Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theaterwissenschaft/ Kulturelle Kommunikation an der Humboldt-Universität Berlin, praktische Theaterarbeit, Assistant Professor für Theater- und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of Toronto, Chefdramaturg am Schauspiel Stuttgart. Publikationen: Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, Berlin 1997. Vom Gottmenschentum zum Neuen Menschen. Subjekt und Religiosität im russischen Film der Zwanziger Jahre, Trier 1997. Prof. Dr. Wolf-Dieter Ernst: Studium der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen, Promotion an der Universität Basel 2001 (Performance der Schnittstelle. Theater unter Medienbedingungen. Wien: Passagen [Reihe xMedien], 2003). Habilitation an der LMU München 2009 zur Diskurs- und Institutionengeschichte der Schauspielausbildung 1870-1930. Seit 2010 Professor für Theaterwissenschaft an der Universität Bayreuth. Zahlreiche Veröffentlichung zur Theorie, Geschichte und Ästhetik von Theater, Performance und neuen Medien. Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W.B. Hess-Lüttich ist Ordinarius für Germanistik (Sprach- und Literaturwissenschaft) an der Universität Bern (Schweiz) und Extraordinarius an der University of Stellenbosch (Südafrika). Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich der Dialog- und Diskursforschung sowie der Text- und Kommunikationswissenschaft. Er hat bislang ca. 40 Bücher geschrieben oder herausgegeben und über 320 Aufsätze publiziert. Er war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS) und ist Präsident der internationalen Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG), zudem Mitglied diverser Herausgebergremien und wissenschaftlicher Beiräte internationaler Zeitschriften sowie Ehrenmitglied der Gesellschaft ungarischer Germanisten (GuG). Als Gastprofessor lehrte er an renommierten Universitäten auf allen Kontinenten. PD Dr. Marc Lacheny: Promotion über Karl Kraus’ Rezeption des Nestroy’schen Werkes (Karl Kraus lecteur de Johann Nestroy, Paris 2008), seit 2008 Maître de Conférences (PD Dr.) am Fachbereich Germanistik der Universität Valenciennes. Veröffentlichungen zur österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts (Nestroy, Raimund, Grillparzer, Kraus, Jelinek) und zum Kulturtransfer zwischen Frankreich und Österreich seit 1800. Dr. Gunhild Oberzaucher-Schüller: Promotion über die Tänzerin Bronislawa Nijinska. Lehrauftrag für Tanzgeschichte am Institut für Theaterwissenschaften der Universität Wien, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Musiktheater an der Universität Bayreuth, dann Leiterin der Derra de Moroda Dance Archives an der Universität Salzburg. Zahlreiche tanzgeschichtliche Publikationen, darunter Ausdruckstanz, Wilhelmshaven 2 1993. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Die Autoren / The authors 356 Prof. Dr. Selma Odom: Professor Emerita at York University in Toronto, was founding director of the first graduate program in Canada to offer the MA in Dance and PhD in Dance Studies. Her articles and reviews have appeared in many publications since the 1960s, and she co-edited the anthology Canadian Dance: Visions and Stories (2004). Her current research focuses on practice and transmission in Dalcroze Eurhythmics. Prof. Dr. Elena Randi is a professor at the University of Padua, Italy, where she teaches History of Theatre and Performance. Some of her books: François Delsarte: le leggi del teatro [François Delsarte: the laws of theatre], Bulzoni, 1993; Il magistero perduto di Delsarte [Delsarte’s lost teaching], Esedra, 1996; Anatomia del gesto [The anatomy of gesture], Esedra; 2001, Percorsi della drammaturgia romantica [The pathways of Romantic drama], UTET Università, 2006; I primordi della regia. Nei cantieri teatrali di Hugo, Vigny, Dumas [The dawn of stage direction. In the theatrical hothouses of Hugo, Vigny, Dumas], Pagina, 2009. Prof. Dr. Nancy Lee Ruyter: Ph.D History. Professor of Dance, University of California, Irvine. Publications include Reformers and Visionaries: The Americanization of the Art of Dance (1979); The Cultivation of Body and Mind in 19 th -Century American Delsartism (1999); and many articles on aspects of Delsartism, dance history, and theater and dance in Spain and Latin America. She is currently finishing a book on the international dance artist La Meri (Russell Meriwether Hughes, 1898-1988). PD Dr. Mathias Spohr: Theater- und Medienwissenschaftler, Privatdozent an der Universität Bayreuth. Promotion an der Universität Zürich über Denis Diderot, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth, Habilitation ebenda, Lehraufträge an den Universitäten Bayreuth, Bern, Wien. Studiengangsleiter Theater an der Hochschule der Künste Bern, Publikationen über Musik-, Theater- und Mediengeschichte. Dr. Franck Waille: French teacher and searcher, focused his researches on interactions between body, dance and spirituality from his contemporary dance practice and his somatic formation in Body-Mind Centering. His doctoral thesis, Corps, arts et spiritualité chez François Delsarte (1811-1871). Des interactions dynamiques (2009), which takes into account the historical, artistic, spiritual, metaphysical and physiological aspects of Delsarte’s life and teachings, received the highest French universitary grade. Since 2009 he teaches Delsarte’s expressive body training and writes articles and books in the field. Prof. Dr. Dr. Bernd Wedemeyer-Kolwe: Studium der Volkskunde, Ur- und Frühgeschichte und Assyriologie in Göttingen, Dr. phil 1992, Dr. disc. pol. 2001, Habilitation 2002, seit 2007 apl. Professor an der Universität Göttingen, seit 2011 Wissenschaftlicher Leiter des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte (NISH) in Hannover. Die Anschriften der Autoren / Addresses of the authors Dr. Jörg Bochow Böcklerstraße 5b 70199 Stuttgart joerg.bochow@utoronto.ca Prof. Dr. Wolf-Dieter Ernst Universität Bayreuth Theaterwissenschaft Universitätsstrasse 30 D-95447 Bayreuth w.ernst@uni-bayreuth.de Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W.B. Hess-Lüttich Universität Bern, Institut für Germanistik Länggass-Straße 49 CH-3000 Bern, Schweiz ernest.hess-luettich@germ.unibe.ch PD Dr. Marc Lacheny Université de Valenciennes et du Hainaut-Cambrésis FLLASH Le Mont Houy F-59313 VALENCIENNES CEDEX marclacheny@orange.fr Dr. Gunhild Oberzaucher-Schüller Veithgasse 11 A-1030 Wien oberzaucher1@aon.at Prof. Dr. Selma Landen Odom Department of Dance Faculty of Fine Arts York University 4700 Keele Street Toronto, Ontario M3J 1P3 Canada selmao@yorku.ca Prof. Dr. Elena Randi Dipartimento di Studi Linguistici e Letterari Università degli Studi di Padova Via B. Pellegrino, 1 I-35137 Padova elena.randi@unipd.it Prof. Dr. Nancy Ruyter Department of Dance Claire Trevor School of the Arts University of California, Irvine 300 Mesa Arts Building Irvine, California 92697-2775 USA nlruyter@uci.edu PD Dr. Mathias Spohr Universität Bayreuth Theaterwissenschaft Universitätsstrasse 30 D-95447 Bayreuth mspohr@bluewin.ch Dr. Franck Waille c/ o Yves Waille 150 galerie de l’Arlequin app. 7507 F-38100 Grenoble franck.cw@gmail.com Prof. Dr. Dr. Bernd Wedemeyer-Kolwe Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte (NISH) Ferdinand-Wilhelm-Fricke-Weg 10 D-30169 Hannover bwedemeyer@nish.de K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten Beiträge für die Zeitschrift K ODIKAS / C ODE (ca. 10-30 S. à 2.500 Zeichen [25.000-75.000], Times od. Times New Roman 12., 1.5-zeilig, Rand 2-3 cm l/ r) sind dem Herausgeber in elektronischer Form (Word- oder rtf-Datei) und als Ausdruck auf Papier einzureichen. Abbildungen sind getrennt vom Text in reproduzierbarer Form (mind. 300 dpi, schwarz-weiß) beizufügen. Nach dem Titel des Beitrags folgt der Name des Autors (der Autoren) mit Angabe das Dienstortes. Dem Text (in deutscher, englischer, französischer oder spanischer Sprache, ggfs. gegengelesen von native speakers) ist eine kurze Zusammenfassung (abstract) in englischer Sprache voranzustellen (1-zeilig petit 10.). Die Gliederung des Textes folgt dem Dezimalsystem (1, 2, 2.1, 2.1.1). Auf separatem Blatt sind ihm die Anschrift des/ der Verf. und eine kurze bio-bibliographische Notiz (3-5 Zeilen) beizufügen. Zitierweise In der Semiotik gibt es eine Vielzahl konkurrierender Zitierweisen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Für K ODIKAS wird hier eine in vielen Disziplinen (und anderen semiotischen Zeitschriften) international verbreitete Zitierweise empfohlen, die sich durch Übersichtlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Vollständigkeit der Angaben und Sparsamkeit der Zeichenökonomie auszeichnet. Wörtliche Zitate werden durch normale Anführungszeichen kenntlich gemacht (“…”). Wenn ein Zitat die Länge von drei Zeilen überschreitet, wird es links 0.5 eingerückt und 1-zeilig petit (11.) geschrieben: Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein blinder Text zu sein. Man macht keinen Sinn. Man wirkt hier und da aus dem Zusammenhang gerissen. Oft wird man gar nicht erst gelesen. Aber bin ich deshalb ein schlechter Text? Ich weiß, dass ich nie die Chance habe im S PIEGEL zu erscheinen. Aber bin ich darum weniger wichtig? Ich bin blind! Aber ich bin gerne Text. Und sollten Sie mich jetzt tatsächlich zu Ende lesen, dann habe ich geschafft, was den meisten “normalen” Texten nicht gelingt. Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren … (Autor Jahr: Seite). Zitatbeleg durch Angabe der Quelle gleich im Text mit einer auf das Literaturverzeichnis verweisenden bibliographischen Kurzangabe (Autor Jahr: Seite): “[…] wird für die Herstellung des Zaubertranks die Beigabe von Dracheneiern empfohlen” (Gaukeley 2006: 387). Wenn das Zitat im Original über eine Seite hinausgeht, wird entsprechend ein “f.” (= folgende) an die Seitenzahl angefügt (387f.). Alle Auslassungen und Hinzufügungen in Zitaten müssen gekennzeichnet werden: Auslassungen durch drei Punkte in eckigen Klammern […], Hinzufügungen durch Initialien des/ der Verf. (EHL). Hervorhebungen werden durch den eingeklammerten Zusatz “(Hervorh. im Original)” oder “(Hervorh. nicht im Original)” bzw. “(Hervorh. v. mir, Initial)” gekennzeichnet. Wenn das Original einen Fehler enthält, wird dieser übernommen und durch ein “[sic]” (lat. so) markiert. Zitate innerhalb von Zitaten Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten 359 werden in einfache Anführungszeichen gesetzt (“… ‘…’ …”). Auch nicht-wörtliche Zitate (sinngemäße Wiedergaben, Paraphrasen) müssen durch Verweise gekennzeichnet werden: Auch Dracheneier werden für die Herstellung eines solchen Zaubertranks empfohlen (cf. Gaukeley 2001: 387). Gundel Gaukeley (2001: 387) empfiehlt den Gebrauch von Dracheneiern für die Herstellung des Zaubertranks. Objektsprachlich gebrauchte Wörter oder grammatische Formen werden kursiviert: “Die Interjektion eiapopeia gilt als veraltet.” Die Bedeutung eines sprachlichen Elementes steht in einfachen Anführungszeichen: “Fähe bedeutet ‘Füchsin’.” Standardsprachlich inkorrekte Formen oder Sätze werden durch Asterisk gekennzeichnet: “*Rettet dem Dativ! ” oder “*der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.” Fußnoten, Anmerkungen Auf Anmerkungen und Fußnoten wird im Text durch eine hochgestellte Zahl verwiesen: […] verweisen wir auf Gesundheitsgefahren, die mit regelmäßigen Geldbädern einhergehen. 2 Vor einem Satzzeichen steht sie möglichst nur dann, wenn sie sich direkt auf das Wort unmittelbar davor bezieht (z.B. die Definition eines Begriffs angibt). Fußnoten (am Fuße der Seite) sind gegenüber Anmerkungen am Ende des Textes vorzuziehen. Fußnoten (Anmerkungen) werden einzeilig petit (10.) geschrieben, mit 1.5-zeiligem Abstand zwischen den einzelnen Fußnoten (Anmerkungen). Bibliographie Die Bibliographie verzeichnet alle im Text genannten Verweise. Bei Büchern und Editionen: Nachname / Komma / Vorname / ggfs. Herausgeber (ed.) / ggfs. Auflage als Hochzahl / Jahreszahl / Doppelpunkt / Buchtitel kursiv / ggfs. Punkt bzw. Satzzeichen / ggfs. Untertitel / Komma / Ort / Doppelpunkt / Verlagsname: Gaukeley, Gundel 2001: Das kleine Einmaleins der Hexerei. Eine Einführung, Blocksberg: Hexenselbstverlag Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Bei Aufsätzen in Zeitschriften oder Sammelbänden (dort ggfs. mit Kurzverweis auf einen eigenen Eintrag des Sammelbandes), wird der Titel in Anführungszeichen gesetzt, dann folgen die Angaben mit Seitenzahlen: Gaukeley, Gundel 1999: “Verbesserte Rezepturen für Bombastik-Buff-Bomben”, in: Vierteljahresschrift des Hexenverbandes 7.1-2 (1999): 27-41 Duck, Donald 2000: “Wie leihe ich mir einen Taler? Praktische Tips für den Alltag”, in: Duck (ed.) 4 2000: 251-265 Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Gibt es mehrere Autorinnen oder Herausgeber, so werden sie in der Reihenfolge aufgeführt, in der sie auch auf dem Buchrücken oder im Titel des Aufsatzes erscheinen, verbunden durch “und” oder “&” (bei mehr als drei Namen genügt ein “et al.” [für et alii ] oder “u.a.” nach Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten 360 dem ersten Namen). Dasselbe gilt für mehrere Erscheinungsorte, getrennt durch Schrägstriche (bei mehr als drei Orten genügt ein “etc.”): Quack, Primus von & Gustav Gans 2000: Untersuchungen zum Verhältnis von Glück und Wahrscheinlichkeit, Entenhausen/ Quakenbrück: Enten-Verlag Duck, Dorette und Daniel Düsentrieb (eds.) 1999: Ente, Natur und Technik. Philosophische Traktate, Quakenbrück etc.: Ganter Wenn ein Buch innerhalb einer Buchreihe erschienen ist, kann der Reihentitel und die Bandnummer hinzugesetzt werden: Duck, Tick et al. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13), Quakenbrück etc.: Ganter Duck, Tick u.a. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge, Quakenbrück usw.: Ganter (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13) Auch sog. ‘graue’ Literatur - Dissertationen im Uni- oder Reprodruck (“Zürich: Diss. phil.”), vervielfältigte Handreichungen (“London: Mimeo”), Manuskripte (“Radevormwald: unveröff. Ms.”), Briefe (“pers. Mitteilung”) etc. - muß nachgewiesen werden. Innerhalb des Literaturverzeichnisses werden die Autor(inn)en in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Gibt es mehrere Veröffentlichungen derselben Person, so werden sie in chronologischer Reihenfolge aufgelistet (innerhalb eines Jahres mit Zusatz eines kleinen lateinischen Buchstabens zur Jahreszahl - entsprechende Angaben beim Zitieren im Text): Duck, Daisy 2001 a: “Enten als Vorgesetzte von Erpeln. Einige Beobachtungen aus der Praxis”, in: Entenhausener Zeitschrift für Psychologie 7.1 (2001): 47-67 Duck, Daisy 2001 b: “Zum Rollenverständnis des modernen Erpels”, in: Ente und Gesellschaft 19.1-2 (2001): 27-43 Internetquellen Zitate aus Quellen im Internet müssen stets mit vollständiger URL inklusive Transferprotokoll (http: / / oder ftp: / / etc.) nachgewiesen werden (am besten aus der Adresszeile des Browsers herauszukopieren). Da Angaben im Internet verändert werden können, muß das Datum des Zugriffs in eckigen Klammern hinzugesetzt werden. Handelt es sich um einen innerhalb eines eindeutig betitelten Rahmens (Blogs, Onlinezeitschriften etc.) erschienenen Text, so wird genauso wie bei gedruckten unselbständigen Arbeiten zitiert: Gans, Franz 2000: “Schon wieder keinen Bock”, in: Franz Gans’ Untaten. Blog für Arbeitsscheue, im Internet unter http: / / www.franzgansuntaten.blogspot.com/ archives/ 00/ art07.htm [15.01.2009] Trägt die Website, aus der ein zitierter Text stammt, keinen eindeutigen Titel, so wird der Text ähnlich wie eine selbstständige Arbeit zitiert: Klever, Klaas (o.J.): Wer wir sind und was wir wollen, im Internet unter http: / / www.entenhausenermilliadaersclub.eh/ organisation/ index.htm [15.01.2009] Ist der Verfasser nicht zu identifizieren, so sollte stattdessen die jeweilige Organisation angegeben werden, die für die angegebene Seite verantwortlich zeichnet: Entenhausener Onlineportal (ed.) 1998: Einbruch bei Dagobert Duck. Panzerknacker unter Verdacht, im Internet unter http: / / www.eopnet.eh/ aktuell/ lokales/ 980315/ art21.htm [15.01.2009]