Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2013
363-4
KODIKAS/ CODE Ars Semeiotica An International Journal of Semiotics Volume 36 (2013) No. 3-4 Themenheft / Special Issue Semiotik und Sprachphilosophie Semiotics and the Philosophy of Language Ernest W.B. Hess-Lüttich Vorwort / Preface . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer Sprache, Zeichen und Erkenntnis. Über das kommunikationstheoretische Interesse am Sprach- und Zeichenbegriff des Johann Heinrich Lambert . . . . . . . . . . . 161 Dietrich Gutterer Die Pyramide. Hegels Charakterisierung des nichtsprachlichen Zeichens . . . . . . . . . . 177 Gérard Deledalle Peirce and Semiotic - an Introduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 H. Walter Schmitz Lady Welby über Zeichen und Bedeutung, über Kontext und Interpretation . . . . . . . . 193 H. Walter Schmitz “It is confusion and misunderstanding that we must first attack or we must fail hopelessly in the long run.” Taking Stock of the Published Correspondence of Victoria Lady Welby . . . . . . . . . . 203 Daniel H. Rellstab Roman Jakobsons Peirce-Adaption. Anmerkungen zu einem Kapitel aus der Geschichte der Semiotik . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Johann G. Juchem Situation und Zeichen. Kommunikationstheoretische Grundlagen bei Philipp Wegener . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Clemens Knobloch Hermann Paul und die Sprachphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Gershon Weiler Fritz Mauthner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Christian Stetter Ferdinand de Saussure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Peter M. Simons Meinong on Meaning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Önay Sözer Für eine Semiotik des Artefakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Achim Eschbach Wahrnehmung und Zeichen. Die sematologischen Grundlagen der Wahrnehmungstheorie Karl Bühlers . . . . . . . . 325 Rafael Mollenhauer Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? Zu den kognitionstheoretischen Grundlagen der Forschung Michael Tomasellos . . . . 339 Die Autoren / The Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Die Anschriften der Autoren / Addresses of Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten / Instructions to Authors . . . . . . . . . . . . . 371 Publication Schedule and Subscription Information The articles of this issue are available separately on www.narr.de The journal appears 2 times a year. Annual subscription rate 124,- (special price for private persons 99,-) plus postage. Single copy (double issue) 78,- plus postage. The subscription will be considered renewed each year for another year unless terminated prior to 15 November. Besides normal volumes, supplement volumes of the journal devoted to the study of a specialized subject will appear at irregular intervals. © 2014 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG P.O.Box 2567, D-72015 Tübingen All rights, including the rights of publication, distribution and sales, as well as the right to translation, are reserved. No part of this work covered by the copyrights hereon may be reproduced or copied in any form or by any means - graphic, electronic or mechanical including photocopying, recording, taping, or information and retrieval systems - without written permission of the publisher. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Setting by: NagelSatz, Reutlingen Printed and bound by: Docupoint GmbH, Magdeburg ISSN 0171-0834 Vorwort / Preface Ernest W.B. Hess-Lüttich Vor einiger Zeit sandte Achim Eschbach, der Begründer dieser Zeitschrift, mir ein Konvolut mit Texten, die ihm am Herzen liegen. Sie stammen von Weggefährten, mit denen er im Laufe seines wissenschaftlichen Werdegangs kooperiert hat, von Autoren, deren Arbeiten ihn inspiriert haben zu eigenen Überlegungen im Bezirk von Sprachphilosophie und Zeichentheorie, Texte, die zu einem Teil an verstreuten Orten erschienen, zum andern Teil noch unveröffentlicht sind. Sie markieren die Eckpunkte seiner Interessen an der Theorie und Geschichte der Semiotik. Sie sind Denkern gewidmet, die ihrerseits zu den bedeutendsten Wegbereitern zeichentheoretisch basierter Reflexion im 18. bis 20. Jahrhundert gehören. Große Namen sind darunter (viele fehlen auch): Johann Heinrich Lambert, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Charles Sanders Peirce, Victoria Lady Welby, Philipp Wegener, Hermann Paul, Fritz Mauthner, Ferdinand de Saussure, Alexius Meinong, Roman Jakobson, Karl Bühler. Karl Bühler, dem Psychologen und Sprachtheoretiker und bedeutenden Repräsentanten der Würzburger Schule in der Psychologie, hat Eschbach Jahre seines wissenschaftlichen Lebens und wichtige Studien gewidmet. Er wertet den Bühler-Nachlass aus und arbeitet an einer Gesamtausgabe seiner Werke. Die ‚sematologischen‘ Grundlagen seiner Wahrnehmungstheorie hat Eschbach in einem Beitrag herausgearbeitet, den ich diesem Band als ein Exempel seiner Arbeitsweise beifüge. Alle anderen Beiträge gehen auf die Anregung Eschbachs zurück. Sie bilden zusammen einen guten Überblick über wichtige Wegmarken der Semiotikgeschichte, ja lesen sich wie die Kapitel zu einer Einführung in dieses Fachgebiet und Forschungsfeld. Deshalb lag der Gedanke nahe, sie in einem Themenheft dieser Zeitschrift im Zusammenhang zugänglich zu machen. Leider sah sich der Initiator aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, selbst die Edition dieses Heftes zu übernehmen, zumal die Manuskripte aus den unterschiedlichsten Zeiten, Quellen und Kontexten einer starken redaktionellen und editorischen Bearbeitung bedurften. Ich habe daher diese mühsame Aufgabe, unterstützt von Alain Dietzig (dem dafür an dieser Stelle herzlich gedankt sei), gerne übernommen, möchte aber dem eigentlichen spiritus rector des Bandes, dem langjährigen Freunde und Weggefährten, dem engagierten Mitstreiter im faszinierenden Feld der Semiotik seit den späten 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dadurch die verdiente Ehre erweisen, dass ihm dieses Themenheft der Zeitschrift Kodikas/ Code, die wir im nunmehr 36. Jahrgang gemeinsam mit Jürgen Trabant herausgeben, zu seinem 65. Geburtstag gewidmet sei. Er blickt dabei zurück auf ein wahrlich ertragreiches akademisches Wirken. Schon als Student der Philosophie, Germanistik und Soziologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule zu Aachen hatte er, unter dem Einfluss kundiger Lehrer und umgeben K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Ernest W.B. Hess-Lüttich 160 von einer Gruppe Gleichgesinnter, die Semiotik für sich entdeckt. Zügig schloss er sein Studium ab und promovierte mit einer Arbeit über Pragmasemiotik und Theater, die er als Beitrag zur Theorie und Praxis einer pragmatisch orientierten Zeichenanalyse verstanden sehen wollte. Von seiner Umsicht und Tatkraft zeugt der Umstand, dass er die Arbeit gleich in einer von ihm selbst begründeten Buchreihe erscheinen lassen konnte, der Supplement- Reihe zu dieser Zeitschrift, die er ebenfalls ins Leben gerufen hat und zu deren Co-Editorschaft er Jürgen Trabant und mich alsbald einlud. Es folgten zahllose Bücher und Editionen in namhaften Verlagen, die hier gar nicht alle Erwähnung finden können, die aber nicht selten richtungweisend waren und neue Felder erschlossen. Stellvertretend seien hier nur die bei Suhrkamp in zwei gewichtigen Bänden erschienenen Bühler-Studien erwähnt, die jüngst gemeinsam mit seiner Tochter Nora edierten Bausteine der Kommunikationswissenschaft im Verlag Königshausen & Neumann oder, ganz aktuell, die Grundlagentexte zur Soziosemiotik im Verlag Herbert von Halem. Unermüdlich war er über Jahrzehnte hinweg publizistisch und forschungsorganisatorisch für das Fach ‚im Einsatz‘. Er organisierte Tagungen in Aachen und Essen, er war die treibende Kraft im Aachener Arbeitskreis Semiotik und diente im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Semiotik, er gründete einige weitere neue Zeitschriften und Buchreihen, entdeckte Trouvaillen der Semiotikgeschichte in entlegenen Archiven und vermochte immer wieder hochkarätige Autorenteams zusammenzuschmieden für seine klug konzipierten Sammelbände. Im Felde der deutschsprachigen Semiotik des ausgehenden 20. Jahrhunderts gehört er (neben Jürgen Trabant in der Romanistik, Roland Posner in der Linguistik und Winfried Nöth in der Anglistik und ein paar anderen) in der Philosophie und Kommunikationsforschung ganz gewiss zu den prägenden Gestalten, die sich um das Fach, um die Erschließung der Theorie und Geschichte der Semiotik über den engeren Zirkel der Experten hinaus, nachhaltig verdient gemacht haben. Zu seinem 65. Geburtstag am 20. Oktober 2013 möge daher dieses Themenheft ein ‚Zeichen‘ kollegialen Respekts und freundschaftlicher Verbundenheit sein. Berlin, im Oktober 2013 Ernest W.B. Hess-Lüttich * Johann Heinrich Lambert (1728-1777), Schweizer Philosoph und Mathematiker. Eine englische Fassung dieses Beitrags erschien in dieser Zeitschrift erstmals 2002 unter dem Titel: „Lambert’s Semiotics. Memory, Cognition, and Communication“, in: K ODIKAS / C ODE . An International Journal of Semiotics 25.1-2 (2002): 145-158; die deutsche Erstveröffentlichung war ein Tagungsbeitrag unter dem Titel „‚Der Gebrauch ist der Meister‘. Zeichen, ‚Wortstreite‘, Einfache Begriffe. Über das kommunikationstheoretische Interesse an der Semiotik des Johann Heinrich Lambert“, in: Dieter Krallmann & H. Walter Schmitz (eds.) 1998: Perspektiven einer Kommunikationswissenschaft (= Internationales Gerold Ungeheuer-Symposium Essen 1995), vol. 2, Münster: Nodus Publikationen, 341-356; eine erweiterte Fassung wurde gleichzeitig auch in die Dokumentation des von Brigitte Schlieben-Lange präsidierten Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Semiotik aufgenommen: „Lamberts Semiotik. Gedächtnis, Erkenntnis, Kommunikation“, in: Ernest W.B. Hess-Lüttich & Brigitte Schlieben-Lange (eds.) 1998: Signs & Time Zeit und Zeichen. An International Conference on the Semiotics of Time in Tübingen (= K ODIKAS Supplement Series 24), Tübingen: Gunter Narr, 208-227. Auf Wunsch von Achim Eschbach wurde eine überarbeitete Fassung des Beitrags in diese Sammlung aufgenommen. „Der Gebrauch ist der Meister“ Johann Heinrich Lambert (1728-1777) Sprache, Zeichen und Erkenntnis Über das kommunikationstheoretische Interesse am Sprach- und Zeichenbegriff des Johann Heinrich Lambert * Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer 1 memoria und ratio Memoria: ein großes Thema mit langer Tradition. Seit etlichen Jahren hat es Hochkonjunktur in einer ganzen Reihe von Disziplinen. Die Flut einschlägiger historischer, philosophischer, linguistischer, semiotischer, auch kognitionstheoretischer, neurophysiologischer, computer- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer 162 1 Lambert 1764 [1965], 2. Bd., Semiotik, § 8, 9. Im Folgenden zitiert durch Angabe des jeweiligen Buches des Neuen Organon, d.h. Dianoiologie und Alethiologie (1. Bd.) sowie Semiotik und Phänomenologie (2. Bd.). technischer und medienwissenschaftlicher Literatur ist mittlerweile unübersehbar geworden. Harald Weinrich hat dazu einmal einen eindrucksvollen Kontrapunkt gesetzt: Lethe - Kunst und Kritik des Vergessens (Weinrich 1997). Eigentlich hatte er, wie er in einem Spiegel- Gespräch zur Präsentation des Buches seinerzeit bekannte (Weinrich 1997 a: 194), auch eine Geschichte des Erinnerns schreiben wollen, aber es wäre die Rekonstruktion eines Niedergangs geworden, in der die Aufklärung eine Hauptrolle spiele. Sie wendet die in der Tradition der antiken Rhetorik formulierten Fragen nach ars und techné der memoria um zu denen nach Quellen und Grenzen des Wissens und der Vernunft. Das 18. Jahrhundert bringt die entscheidende Wende in der Auseinandersetzung zwischen memoria und ratio, rhetorischer Mnemologie und kognitiver Erkenntnistheorie. Das war der Ausgangspunkt für die Weinrich-Schülerin Regina Freudenberg (1996), die Frage nach dem Stellenwert des Gedächtnisses in der deutschen und französischen Aufklärung noch einmal neu zu stellen vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Vernunftdenkens und zugleich mit dem Blick auf die Wurzeln neuzeitlicher Gedächtnisreflexion. Die ausgreifende Untersuchung der Stationen des Kampfes zwischen Vernunft und Gedächtnis führt sie zur Frage nach dessen Zeichen und Medien. Mnemonisch akzentuierte Zeichentheorien wurden ja schon seit der Mitte des 17. Jahrhunderts diskutiert, zu einer Zeit, in der die Logik von Port-Royal entsteht. Gemeinsam ist ihnen das Verständnis des Zeichens als Erinnerungsbild. Damit gerät endlich die sonst kaum beachtete Zeichentheorie Johann Heinrich Lamberts in den Blick, der immerhin den von John Locke übernommenen Begriff der Semiotik in den deutschen philosophischen Sprachgebrauch eingeführt hat (cf. Arndt 1979: 306). Seinem von Hans Werner Arndt edierten philosophischen Hauptwerk Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung vom Irrthum und Schein (1764) widmet Freudenberg das Abschlusskapitel ihrer Untersuchung (1996: 196-220). Sein Zeichenbegriff zielt auf dessen Funktion als Vorstellungsbild und verbindet mnemonische und kognitive Aspekte, indem die Erkenntnisleistung des Zeichens, in seiner Materialität vergangene Erfahrung zu erneuern, die nicht unmittelbar empfunden werden kann, empirisch an seine memorielle Verankerung geknüpft wird. Die Erneuerung von Begriffen als Vorstellungen des Verstandes bedürfen einer Erinnerungsrelation mittels Zeichen, denn „das Zeichen erinnert uns an den Begriff“. 1 Es ist also das Gedächtnis, das eine Verbindung schafft einerseits zwischen Zeichen und Begriff, andererseits zwischen Zeichen und Zeichen durch assoziative Verknüpfung, die sich umsetzt in der Linearität des Redens oder der Sätze. Freudenberg (1996: 203) versucht dieses Verhältnis modern mit den Begriffen Roman Jakobsons als das von Similarität und Kontiguität zu erfassen. Es ist die „Erinnerungsfunktion der Zeichen“ (Hubig 1979: 337), die beides in Zusammenhang bringt. Christoph Hubig hatte seinerzeit die problemorientierte Zeichenklassifikation Lamberts mit großer Klarheit rekonstruiert und dabei sowohl auf die Bedeutung der Linearität des Redens und Schreibens in der Zeit als auch des Hypothetischen der Sprache für die Auflösung von „Misshelligkeiten in der Wortverwendung“ hingewiesen (ibid. 341). Mit diesem letztlich pragmatischen Kriterium des Sprachgebrauchs weist Lambert über die Lockeschen Kriterien der Erfahrung ebenso hinaus wie über die der Wolffschen Verbindungskunst. Die sprach- Sprache, Zeichen und Erkenntnis 163 2 Semiotik, § 61, 39. 3 Semiotik § 110, 66. 4 Semiotik § 58, 36f. 5 Cf. Ungeheuer 1972: 168; dort auch zum Folgenden. Cf. auch die Einleitung von H.Walter Schmitz (= Schmitz 1990) zu der von ihm besorgten Ausgabe der Schriften Ungeheuers aus dem Nachlass (= Ungeheuer 1990). lichen Misshelligkeiten oder Unvollkommenheiten entspringen nach Lambert einem Mangel an sprachlichen Ausdrücken, also der Begrenztheit des Wortschatzes gegenüber der Unbegrenztheit der zu bezeichnenden Sachen, aber auch einem Mangel in der Verwendung der Zeichen als Erinnerungsbildern, insofern deren Verhältnis zum Bezeichneten willkürlich oder eben bloß symbolisch ist. Diese Spannung zwischen Similarität und Differenz bestimmt auch Lamberts berühmte Zeichendefinition: Ein Zeichen bedeutet schlechthin die dadurch vorgestellte Sache, sofern es willkührlich ist, das will sagen, so fern es mit der Sache keine solche Ähnlichkeit hat, dass es ein sinnliches Bild derselben wäre. 2 Die Konsequenzen für die sprachtheoretische Konzeption reichen weit und sind überraschend aktuell, auch für das moderne kommunikationstheoretische Interesse an Lambert übrigens. Ist der Ähnlichkeitsgrad niedrig, wird Sprache zur reinen Gedächtnissache 3 , ist er hoch, wird Sprache zum Mittel der Anschauung 4 , die weniger mnemonischen Aufwand erfordert. Dabei können die oben bezeichneten Mängel behoben werden durch das Konzept der Tropisierung natürlicher Sprache (cf. Schmitz 1985: 251-253). Gerold Ungeheuer (1979/ 1990) hat sich mit diesem Konzept am Beispiel des Abschnitts über das Prinzip des „Hypothetischen in der Sprache“ auseinandergesetzt und als einen Ansatz vorgestellt, „Konditionen für die Wahrheit des Satzes wie auch für seine Verständlichkeit“ zu formulieren (Ungeheuer 1979: 84). Sein kommunikationstheoretisches Interesse an Lambert - Freudenberg stellt ihn (1996: 198) beiläufig als Germanisten vor, der er natürlich nie war - verdient in einem kurzen Exkurs vielleicht eine etwas genauere Begründung, bevor wir uns wieder der Semiotik Lamberts selbst zuwenden. 2 Das kommunikationstheoretische Interesse Gerold Ungeheuers Interesse an „zwischenmenschlicher Verständigung“ hat sich übersichtlicher disziplinsystematischer Rubrizierung stets entzogen. Die Zuordnung seiner Fragestellungen zu fachsystematisch etablierten Forschungssektoren war für ihn immer sekundär: „ein Scheinproblem“ (Ungeheuer 1972: 168). 5 Ihm kam es auf die klar formulierte Problemstellung an und auf die Beachtung grundlegender Maximen wissenschaftlichen Arbeitens. Dabei wusste er, von Ausbildung und Neigung her entsprechend disponiert, mathematischlogisch-naturwissenschaftliches mit historisch-hermeneutisch-humanwissenschaftlichem Denken zu verbinden und sich damit von der traditionellen Gefechtsformation antagonistischer Wissenschaftskulturen zu emanzipieren. Als Naturwissenschaftler sah er genauer hin - und der Gegenstand seines Interesses war ihm immer zu komplex, als dass er sich je erlaubt hätte, ihn in der Manier mancher Linguisten auf das zurechtzustutzen, was in die vorgefertigten Kästchen der Kategorien seiner Beschreibung passt. Als Humanwissenschaftler sah er genauer hin - und was die Menschen machen, wenn sie miteinander sich zu verständigen suchen, überschritt für ihn zu deutlich die Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer 164 6 Zum Begriff ‚problematischer Kommunikation‘ (mit besonderer Berücksichtigung der literarischen Kommunikation) cf. Hess-Lüttich 1984, vor allem die Einleitung, aber auch Hess-Lüttich 1981, bes. Kapitel 2.4. 7 Ungeheuer 1987: 85; cf. Schmitz 1990: 12. 8 Zur angemessenen Einordnung der historisch-semiotischen Arbeiten in das Ungeheuersche Gesamtwerk cf. jedoch Schmitz 1990. gemeißelten Grenzen einer kommunikationsethischen Postulatorik „kontrafaktischer“ Regularien, die manche Philosophen und Soziologen dem Interesse an der flüchtigen, ständig sich wandelnden Vielgestalt faktischer Verständigung setzen zu sollen überzeugt sind, aber es verlor sich auch nicht in den entgrenzten Zeichen-Welten, von denen manche Semiologen raunen, wenn sie über die intertextuell verwobenen Spuren und Texturen der Verständigung spekulieren. Die Pseudo-Präzision der system- und pragmalinguistischen Reduktionismen machte ihn ebenso skeptisch wie der allzu ausgreifende Gestus von Ansätzen, die in einer kommunikationstheoretischen Nacht versinken, in der alle semiotischen Katzen grau werden. Sein Interesse zielte vielmehr auf die Lösung ‚praktischer‘ Probleme, Kommunikation war ihm, in des Wortes umfassendem Sinne, ‚problematisch‘. 6 Ihn interessierte, wie „kommunikative Interaktion als Sozialhandlung spezifischer Struktur aufgebaut [ist] und nach welchen Regularitäten […] sich ihre Verwirklichung in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Bedingungen [ändert]“. 7 Nicht wenigen, die sich nach seinen problemsystematischen Skizzen eine kohärent ausgebaute Kommunikationstheorie erhofften, erschienen die historischen und semiotischen Studien, denen sich Ungeheuer in seinen letzten Jahren zunehmend widmete, als Umwege, wenn nicht Abwege. Sie dürften seine Denkweise gründlich missverstanden haben. 8 Gerade aufgrund seines hohen Präzisionsanspruchs suchte er sich stets des früher schon gefundenen und oftmals wieder vergessenen Wissens der Besten im Terrain zu versichern, des jeweils einschlägigen Wissensbestandes, der zur Lösung einer von ihm formulierten Problemstellung beizutragen versprach. Und angesichts des reichen Gerichts, das er auf solch festem Grund uns anzurichten versteht, erscheint uns das heute von manchen Linguisten, Sprechakttheoretikern, Sprachphilosophen, Kommunikationssoziologen Angerührte doch als recht dünne Brühe. Es ist von daher nur folgerichtig, dass sich Ungeheuer immer wieder mit den Arbeiten von Johann Heinrich Lambert (1728-1777) auseinandersetzte. Die Schriften dieses Mathematikers, Physikers, Philosophen, der nicht nur die Photometrie begründete, die Trigonometrie erweiterte, die Irrationalität der Kreiszahl nachwies, Gesetze zur Berechnung von Planetenbewegungen formulierte, sondern auch die sprachphilosophischen Ansätze von Gottfried Wilhelm Leibniz fortentwickelte und eine Erkenntnistheorie auf explizit semiotischer Grundlage entwarf, diese in kristallener Wissenschaftsprosa verfassten Arbeiten erwiesen sich für Ungeheuer als eine Fundgrube, aus der er, wie wir meinen, gewiss auch aus wissenschaftshistorischem, vor allem und in erster Linie aber aus kommunikationstheoretischem Interesse schöpfen konnte. Im Zentrum dieses Interesses steht die Wieder-Lektüre der beiden wichtigsten philosophischen Werke von Lambert, ein „Neues Organon der Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung vom Irrthum und Schein“ (Leipzig 1764) und die „Anlage zur Architectonic oder Theorie des Ersten und des Einfachen in der philosophischen und mathematischen Erkenntnis“ (Riga 1771). Der Profilierung der semiotischen Position Lamberts gelten dabei nun die folgenden Skizzen, und zwar insonderheit Sprache, Zeichen und Erkenntnis 165 9 Cf. Schmitz 1990: 20. 10 Cf. Ungeheuer l990 a: 117. 11 Cf. Neues Organon, Vorrede, 1f. (unpaginiert). 12 Cf. die Begründung dieser Annahme und die Hervorhebung speziell der Bedeutung der Sprache für das menschliche Erkennen in dem 1. Hauptstück, §§ 6ff., 8ff. der Semiotik. derjenigen Aspekte, die Ungeheuer zu seiner intensiven Auseinandersetzung mit diesem Autor motiviert haben dürften: dem kommunikativen Aspekt von Sprache, zu dem Lambert als einziger seiner Zeit vorstößt 9 ; der Unvollkommenheit der natürlichen Sprache als Medium und Vehikel wissenschaftlicher Erkenntnis; der auf das handelnde Subjekt bezogenen sprachtheoretischen Position; der Sprache als eines unter vielen Zeichensystemen unterschiedlicher Struktur, Leistung und Modalität; der erkenntnistheoretischen Grundlagen wissenschaftlicher Begriffsbildung. In der Tradition der zur festen Wendung gewordenen Fügung „Doch der Gebrauch ist der Meister …“ aus dem § 109 der Unvorgreiflichen Gedanken Leibniz’ steht Lamberts (und Ungeheuers) Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer vollkommen regelhaften Sprache, sein (ihr) Interesse an der Sprache als einem System von Zeichen-in-Funktion, das als von fehlbaren Individuen gebrauchtes das gemäße ‚Gefäß ‘grundsätzlich fallibler Verständigung ist; damit ist zugleich die Skepsis gegenüber (heutigen) konsenstheoretischen Positionen der Kommunikationstheorie impliziert, denn die Probleme kommunikativer Übereinstimmung, des „Einsseins“ zweier Subjekte in der Verständigung, liegen in ihrem Medium und semiotischen Modus begründet, dem zugleich (in zu spezifizierender Weise) die Quelle der faktisch verbreiteten „Wortstreite“ innewohnt; diese sind nur zu entscheiden durch die Explikation des komplexen Kommunikats in „einfachen Begriffen“, die ihrerseits als aus gemeinsamer Anschauung und geteiltem Wissen gewonnene außer Streit sind. Die gerade in der „Theorie der Wortstreite“ entwickelte Begriffshierarchie und die damit verknüpften sprachkritischen (auch kommunikationsskeptischen) Überlegungen belegen für Ungeheuer die fundamentale Bedeutung, die bei Lambert das Interesse an der Praxis verbalen Kommunizierens hat. 10 3 Lamberts Semiotik 3.1 Die Problemstellung In der Vorrede zu dem Neuen Organon (1764) formuliert Johann Heinrich Lambert die prinzipielle Ausrichtung seines Interesses an Fragen der Zeichentheorie: Es geht ihm bei der Semiotik um eine Untersuchung des Einflusses der Sprache und von Zeichen im allgemeinen auf die Erkenntnis der Wahrheit, welche seiner Ansicht zufolge „einförmig und unveränderlich ist“ und die zu suchen dem Menschen natürlich sei. 11 Vorausgesetzt wird dabei von Lambert, dass die menschliche Verstandes- und Erkenntnistätigkeit als solche abhängt von der Verwendung von Zeichen, insbesondere von Wörtern und somit von der natürlichen Sprache. 12 Neben der sorgfältigen Prüfung der möglichen negativen Einflüsse, die Zeichen infolgedessen auf die Erkenntnis ausüben können, hält Lambert auch eine Reflexion der Möglichkeiten für erforderlich, wie Zeichensysteme gestaltet sein sollten, damit sie der wissenschaftlichen Erkenntnissuche nicht nur angemessen, sondern sogar förderlich sein können. Hierin soll die zweite Aufgabe der Semiotik Lamberts bestehen. Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer 166 13 Cf. die entsprechenden Fragen und deren Diskussion in: Neues Organon, Vorrede, 3ff. (unpaginiert). 14 Cf. Neues Organon, Vorrede, 11 (unpaginiert). 15 Dies ist von Ungeheuer in seiner Untersuchung der Bedeutung Lamberts für Klopstocks Gelehrtenrepublik als einer der gemeinsamen Standpunkte Lamberts und Klopstocks hervorgehoben worden. Cf. Ungeheuer 1990 b [Lambert in Klopstocks „Gelehrtenrepublik“], in: Ungeheuer 1990: 144f. 16 Cf. Semiotik, § 2, 6. 17 Cf. Semiotik, § l f., 5f. Gerold Ungeheuer hat die in diesem Zusammenhang zentrale Formulierung Lamberts vom Sprachgebrauch als dem „Tyrann“ der Sprachen in der Untersuchung über Klopstocks Gelehrtenrepublik auf ihre Originalität hin genauestens überprüft. Cf. Ungeheuer 1990 b: 152-160. 18 Semiotik, § 70, 44. 19 Cf. die Einleitung von Hans Werner Arndt in dem 1. Bd. der von ihm herausgegebenen Philosophischen Schriften Lamberts, X. Der Wissenschaft der Semiotik, deren Notwendigkeit sich für Lambert aufgrund einer Analyse der möglichen Quellen menschlicher Erkenntnisfehler ergibt 13 , ist das dritte Buch des Neuen Organons gewidmet, dessen vollständiger Titel bereits eine Definition einschließt: Semiotik oder Lehre von der Bezeichnung der Gedanken und Dinge. Hier konzentriert sich Lambert, entsprechend der Ankündigung in der Vorrede, im Wesentlichen auf eine Untersuchung der natürlichen Sprache hinsichtlich derjenigen Aspekte, die im Zusammenhang der Erkenntnis von Wahrheit als relevant betrachtet werden. Die der Untersuchung zugrundeliegenden allgemeinen zeichentheoretischen Prinzipien, die dann in der nachfolgenden Untersuchung als Maßstab dienen, werden vor allem in dem ersten Kapitel oder „Hauptstück“ problematisiert. Lambert rechtfertigt seine Konzentration auf das Zeichensystem der natürlichen Sprache in der Vorrede mit Hinweisen auf die Annahme der Notwendigkeit der Sprache für das Denken, ihre Komplexität und außerdem mit den Argumenten, dass die natürliche Sprache bei allen anderen Arten von Zeichen ebenfalls vorkomme und dass sie ferner immer „das allgemeine Magazin unserer ganzen Erkenntniß“ bleibe, welches freilich „wahres, irriges und scheinbares ohne Unterschied“ umfasse. 14 Diese Akzentuierung der menschlichen Sprache in der Semiotik weist auf eine gewisse Priorisierung der natürlichen Sprache gegenüber anderen Zeichen hin, die trotz des unmittelbar einsichtigen Verweises auf ihre Komplexität einer Erklärung bedarf, wenn man sich vor Augen führt, dass Lambert die Sprache hinsichtlich der Erfordernisse wissenschaftlicher Erkenntnis keineswegs als das bestmögliche Zeichensystem betrachtet. Eine sprachkritische Haltung ist bereits der zitierten Formulierung zu entnehmen, dass in den Sprachen sowohl Wahres als auch Falsches anzutreffen sei, da es Lambert gerade um die Erkenntnismöglichkeiten der Wahrheit geht. Tatsächlich vertritt Lambert einen eindeutig anomalistischen Standpunkt 15 - und sogar hinsichtlich der Realisierungsmöglichkeit der Idee „großer Gelehrter“ 16 , eine künstlich zu schaffende einfache und vollkommen regelmäßige Sprache zum Standard zu machen, äußert er sich höchst pessimistisch mit der Begründung, dass der „Gebrauch zu reden“ zwangsläufig zu Unregelmäßigkeiten in einem Sprachsystem führen müsse. 17 Diese skeptische Einschätzung der Möglichkeit der „Lehre einer allgemeinen Sprache“ 18 überrascht nun aber umso mehr, als Lambert als der letzte bedeutende Vertreter der Idee einer mathesis universalis 19 in die Tradition Leibniz’ eingeordnet werden kann, welcher seinerseits die Gedanken einer ars characteristica und einer lingua universalis auf logisch-philosophischer Basis Zeit seines Lebens verfolgt hat. Schließlich stellt Lambert fest, dass die natürlichen Sprachen dem von ihm in der Semiotik formulierten zeichentheoretischen Grundsatz ebenfalls nur bedingt genügen, wie in dem 3. Buch des Neuen Organons detailliert Sprache, Zeichen und Erkenntnis 167 20 Cf. Semiotik, §§ 23f., 16. 21 Cf. Semiotik, §§ 35ff., 23f. 22 Gerold Ungeheuer hat bereits darauf hingewiesen, dass Lamberts Ausführungen zur Zeichentheorie nicht auf die Semiotik beschränkt sind, sondern über das gesamte Werk verteilt sind: cf. Ungeheuer 1990 c [Lamberts semantische Tektonik des Wortschatzes als universales Prinzip]: 171. Dies ist jedoch nicht allein mit der durchaus zutreffenden Bemerkung zu erklären, dass die Entwicklung der Gedanken Lamberts „eher sprungweise von Kapitel zu Kapitel und in diesen spiralig meditierend“ als kontinuierlich fortschreitend verläuft, sondern hat auch einen systematischen Hintergrund, der aus dem oben Gesagten hervorgeht: Lamberts Zeichentheorie ist von einem erkenntnistheoretischen Interesse geleitet und fließt somit in seine Ausführungen zur Logik und zur Wahrheitstheorie an jeweils entsprechender Stelle ein. Ebensowenig kann der Gedankengang in der Semiotik von Lamberts sowohl sensualistisch-empiristischen als auch rationalistischen Basisannahmen abgelöst werden, wie sich besonders in der Wortklassifikation in dem 9. Hauptstück der Semiotik zeigt, die auf dem Prinzip der Vergleichbarkeit von „Körper-“ und „Intellektualwelt“ gründet. Auch diesem Aspekt der Semiotik Lamberts hat Gerold Ungeheuer in verschiedenen Aufsätzen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 23 Alethiologie, § 1, 453. 24 Alethiologie, § 1, 454 [Hervorh. i. Orig. durch Fettdruck bzw. Sperrung]. 25 Cf. das gesamte 1. Hauptstück der Dianoiologie. dargelegt wird. Dieser Grundsatz besagt, dass Zeichen nur dann wissenschaftlichen Maßstäben voll gerecht werden, wenn mit der Theorie der Zeichen anstelle der Theorie der Sachen operiert werden könne 20 , d.h. dass derartige Zeichen es ermöglichen sollen, ohne Rückgriff auf den betreffenden Gegenstand beispielsweise der Natur allein aufgrund von Zeichenoperationen einen zuverlässig richtigen Erkenntnisgewinn zu erzielen. Vorbild ist dabei für Lambert ebenso wie für Leibniz selbstverständlich die Mathematik. 21 Die exponierte Behandlung der natürlichen Sprache in der Semiotik wird daher erst vollständig deutlich, wenn die angeführten Argumente, dass sie bei allen anderen Arten von Zeichen vorkomme und dass sie das allgemeine Magazin der gesamten Erkenntnis sei, expliziert werden können. Zu diesem Zweck müssen die Ausführungen Lamberts in den ersten beiden Büchern des Neuen Organons beigezogen werden, da hier in der Diskussion der Verwendungsmöglichkeiten anderer Arten von Zeichen auch die Grenzen nicht-natürlichsprachlicher Zeichensysteme aufgezeigt werden. 22 3.2 Wissenschaftstheoretische Grundlagen: Lamberts „mathesis universalis“ Während das erste Buch, die Dianoiologie, als die Logik Lamberts vor allem den Gesetzen oder der Form des Denkens gewidmet ist, stellt Lambert in seiner Alethiologie oder Lehre von der Wahrheit mit der Untersuchung der „Materie“ oder des „Stoffes“, d.h. der Gegenstände des Denkens, „die Wahrheit selbst“ 23 in das Zentrum, denn: Die Bedingungen, welche die Theorie der Form voraussetzt, müssen folglich einmal categorisch werden, das will sagen: Man muß sich versichern, daß das, wobey man anfängt, wahr sey, damit die Wege, die uns sonst auch von Irrthum zu Irrthum führen können, wie dieses bei der Deductione ad absurdum geschieht, (Dianoiol. §. 348-371.) uns von Wahrheit zu Wahrheit führen. 24 Dem gesamten erkenntnistheoretischen Konzept Lamberts liegt eine Begriffstheorie auf merkmalslogischer Basis zugrunde 25 , welche den Entwurf seiner mathesis universalis fundiert. Ausgangspunkt ist dabei das von Lambert angenommene Prinzip der Erfahrungsabhängigkeit menschlicher Verstandes- und Erkenntnistätigkeit; in dieser Hinsicht knüpft Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer 168 26 Cf. die entsprechenden Hinweise Lamberts in der Vorrede zu dem Neuen Organon, 5-8 (unpaginiert). 27 Dianoiologie, § 646, 416f. 28 Dianoiologie, § 647, 417. 29 Cf. Dianoiologie, § 647, 417f. 30 Cf. Dianoiologie, § 9, 7. 31 Dianoiologie, § 652, 420. 32 Cf. Locke 4 1981: 130. Lambert explizit an die empiristisch-sensualistische Tradition John Lockes an. 26 Sinnliche Eindrücke werden als Voraussetzung der Ausbildung von - sowohl in phyloals auch ontogenetischer Hinsicht - ersten Verstandesbegriffen betrachtet, welche aufgrund der Verwendung von sprachlichen Zeichen erfolgt. Unmittelbare Empfindungen der sogenannten „gemeinen Erfahrung“, d.h. der alltäglichen Wahrnehmungsweise, führen dabei zu solchen Begriffen, die Lambert der Kategorie der „Erfahrungsbegriffe“ zuordnet. 27 Deren Möglichkeit als solche steht aufgrund ihrer Erfahrbarkeit für Lambert außer Zweifel, jedoch sind sie „individual, sowohl in Absicht auf die Sache, die wir empfinden, als in Absicht auf das Bewußtseyn jeder einzelnen Eindrücke, die die Sache in den Sinnen macht“ 28 und somit nicht wissenschaftlich. Dennoch können Lambert zufolge auf der Basis der gemeinen Erkenntnis allgemeine und abstrakte Begriffe ausgebildet werden, da das Vergleichen mehrerer Empfindungen untereinander zur Einteilung der Dinge, deren Wahrnehmung die Empfindungen bedingen, in Arten und Gattungen führt. 29 Jedoch bleiben die auf diese Weise erworbenen Begriffe - und besonders im Fall abstrakter Begriffe - hinsichtlich ihres Merkmalsumfangs unbestimmt. Das bedeutet für Lambert, dass die Merkmale des betreffenden Begriffs und ihre Verbindung nicht eindeutig benannt werden können, womit wissenschaftliche Maßstäbe wiederum unerfüllt bleiben. 30 Demgegenüber zeichnet sich die Klasse der sogenannten „Lehrbegriffe“ dadurch aus, dass die Möglichkeit der Zusammensetzung der diese komplexen Begriffe konstituierenden Merkmale ohne Rückgriff auf die Erfahrung bewiesen werden konnte. Lehrbegriffe werden von Lambert daher als apriorische Begriffe aufgefasst und sie genügen infolgedessen dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit. Jedoch sind sie insofern nicht vollkommen von der Erfahrung abgelöst, als „Lehrbegriffe und Erfahrungsbegriffe in einander verwandelt werden können, wenn man nämlich zu den letzten den Beweis findet, erstere aber durch die Erfahrung gleichsam auf die Probe setzt.“ 31 Der besondere Erfahrungsbegriff kann somit aufgrund einer Untersuchung der ihn konstituierenden Merkmale und ihrer Kombinierbarkeit den Status eines allgemeinen Lehrbegriffs erhalten; dieser muss sich seinerseits in einer Prüfung seiner Übereinstimmung mit der Erfahrung bewähren. Den prinzipiell zusammengesetzten Lehrbegriffen und den tendenziell zusammengesetzten Erfahrungsbegriffen stellt Lambert schließlich die „Grundbegriffe“ oder „einfachen Begriffe“ gegenüber, die durch Analyse zusammengesetzter Begriffe in die konstituierenden Merkmale gewonnen werden können. Sie sollen genau ein Merkmal umfassen und daher frei von Widersprüchen sein. Ihre Möglichkeit ergibt sich Lambert zufolge auf diese Weise zwangsläufig. Jedoch handelt es sich hierbei keineswegs um rein theoretisch fundierte, analytische Bestandteile komplexer Begriffe, sondern es liegt ihnen ebenfalls eine Empfindung oder Vorstellung zugrunde, auf der sie basieren und die als „durchaus einförmig“ gekennzeichnet wird, wenn Lambert sich auch nicht festlegt, ob beispielsweise die Begriffe der Farben und der Töne, die von Locke als entsprechende Beispiele angeführt werden 32 , einfach seien. Sprache, Zeichen und Erkenntnis 169 33 Cf. besonders das 1. und das 3. Hauptstück der Alethiologie. Diese Kapitel sind mit den entsprechenden Titeln auch überschrieben. 34 Alethiologie, § 21, 466 [Hervorh. i. Orig. durch Sperrung]. 35 Dianoiologie, § 656, 421f. [Hervorh. i. Orig. durch Sperrung]. Cf. zu dem a priori-Begriff Lamberts die 1980 publizierte Arbeit von Gereon Wolters, Basis und Deduktion, und Gesine L. Schiewers Untersuchung der Rezeption dieser Auffassung des Begriffs bei Herder in: Schiewer 1996: 146-160. 36 Cf. Alethiologie, § 124, 519. 37 Architektonik, 1. Bd., § 20, 16. Die grundlegende Unterscheidung zwischen den sogenannten „einfachen oder für sich gedenkbaren Begriffen“ und den „zusammengesetzten Begriffen“ ist zentral für die Alethiologie, in der die Grundzüge der mathesis universalis Lamberts entworfen werden. 33 Ziel der Untersuchung der „einfachen oder für sich gedenkbaren Begriffe“ ist es diesem Entwurf zufolge aufzuklären, […], woher wir die erste Grundlage zu unsern Begriffen haben, und wiefern etwas einfaches darinn ist, welches sich sodann als a priori ansehen lasse. Dieses macht, daß wir bey den schlechthin klaren Begriffen, die wir durch unmittelbare Empfindungen erlangen, stehen bleiben, und sie theils durch ihre Namen, theils durch ihre nächsten Verhältnisse und verwandte Begriffe suchen, kenntlich und im folgenden brauchbar zu machen. Denn da unsre Begriffe oder wenigstens das Bewußtseyn derselben, durch Empfindungen veranlaßt werden, so müssen wir, wenn wir unsre Erkenntniß wissenschaftlich machen wollen, anfangs immer wenigstens so weit a posteriori gehen, bis wir die Begriffe ausgelesen haben, die einfach sind, und die sich folglich, nachdem wir sie einmal haben, sodann als für sich subsistirend ansehen lassen (Dianoiol. §. 656.). Hiezu aber sind unstreitig die Begriffe, so uns die unmittelbare Empfindung giebt, die dienlichsten, weil wir sie am wenigsten weit herzuholen haben. 34 Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nun Lambert zufolge dadurch gekennzeichnet, dass sie a priori sind in dem Sinn, dass sie von einfachen Begriffen ausgehend systematisch gefolgert werden können. Als apriorisch werden die solchermaßen erschlossenen Wissensinhalte bezeichnet, […] da sich die Möglichkeit eines Grundbegriffes zugleich mit der Vorstellung aufdringt, (§ 654) so wird er von der Erfahrung dadurch ganz unabhängig, so, daß, wenn wir ihn auch schon der Erfahrung zu danken haben, diese uns gleichsam nur den Anlaß zu dem Bewußtseyn desselben giebt. Sind wir uns aber einmal desselben bewußt, so haben wir nicht nöthig, den Grund seiner Möglichkeit von der Erfahrung herzuholen, weil die Möglichkeit mit der bloßen Vorstellung schon da ist. Demnach wird sie von der Erfahrung unabhängig. Und dieses ist ein Requisitum der Erkenntniß a priori im strengsten Verstande (§ 639). 35 Jedoch sei es nicht ausreichend, „einfache Begriffe ausgelesen zu haben, sondern wir müssen auch sehen, woher wir in Ansehung ihrer Zusammensetzung allgemeine Möglichkeiten (Dianoiolog. §§ 692 seqq.) aufbringen können“. Da die einfachen Begriffe ihrerseits Bestimmungen und Modifikationen zulassen sowie untereinander Verhältnisse aufweisen, die durch Vergleiche der Begriffe untereinander aufgefunden werden können, führen diese Begriffe weiterhin auf Grundsätze und Postulate, welche die Möglichkeiten ihrer Zusammensetzungen aufzeigen. 36 Die Bedeutung der Grundsätze und Postulate ergibt sich nach Lambert daraus, dass solche einfachen Begriffe, die einander ausschließen, nicht zu komplexen zusammengesetzt werden können: sie bestimmen „die Möglichkeit der Zusammensetzung der Begriffe a priori, allgemein und genau“. 37 Das Konzept seiner mathesis universalis ist daher folgendermaßen bestimmt: Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer 170 38 Architektonik, 1. Bd., § 74, 57 [Hervorh. i. Orig. durch Fettdruck]. 39 Neues Organon, Vorrede, 4 (unpaginiert). 40 Alethiologie, § 119, 516. 41 Alethiologie, § 121, 517. 42 Alethiologie, § 142, 526. 43 Alethiologie, § 144, 528. 44 Alethiologie, § 137, 524. 45 Cf. besonders Alethiologie, § 156, 536 und Dianoiologie, § 103, 64 sowie die mit Beispielen erläuterten Ausführungen in der Alethiologie, §§ 149-158, 530-537. Da die einfachen Begriffe die erste Grundlage unserer Erkenntniß sind, und bey den zusammen gesetzten Begriffen, so fern wir sie uns sollen vorstellen können (§ 9), sich alles in solche auflösen läßt; so machen diese einfachen Begriffe einzeln und unter einander combinirt, zusammen genommen ein System aus, welches nothwendig jede ersten Gründe unserer Erkenntniß enthält. Von diesem Systeme läßt sich eine wissenschaftliche Erkenntniß gedenken (§ 71), und die Sprache beut uns dem buchstäblichen Verstande nach die Wörter Grundlehre, Grundwissenschaft, Architectonic, Urlehre &c. als Namen dazu an. 38 3.3 Natürliche vs. künstliche Zeichensysteme Alle diese Operationen wären nun aber von der Verwendung von Zeichen nur dann unabhängig, „wenn der menschliche Verstand seine Erkenntniß nicht an Wörter und Zeichen binden müßte“. 39 Da dies seiner Auffassung nach jedoch gegeben ist, unternimmt Lambert in der Alethiologie eine differenzierte Betrachtung der Bedeutungsrelationen zwischen den verschieden Arten von Begriffen und den diese bezeichnenden Wörtern. In dem Fall der einfachen Begriffe wird die „gemeine Bedeutung der gebrauchten Wörter“ 40 , d.h. ihre alltagssprachliche Primärbedeutung, auch für wissenschaftliche Zwecke als hinreichend exakt betrachtet. Lambert hebt hervor, dass diejenigen Wörter, die für einfache Begriffe verwendet werden, vergleichsweise die größte Eindeutigkeit und den geringsten Bedeutungswandel aufweisen. Eine Definition dieser Wörter würde daher in einen „logischen Zirkel führen“ 41 , denn es müsste auf solche Wörter zurückgegriffen werden, die ihrerseits in ihrer Bedeutung wesentlich unbestimmter und in stärkerem Maß veränderlich sind, so dass ein derartiges Vorgehen vollkommen unzweckmäßig wäre. Da hingegen bei solchen komplexen Begriffen, welche nicht auf eine als Ganzes vorliegende Sache rekurrieren, eine Vielzahl unterschiedlicher möglicher Zusammensetzungen gegeben ist, indem beispielsweise mehr oder weniger Merkmale zusammengefasst werden, handelt es sich hierbei um „gleichsam willkührliche Einheiten“ 42 , welche eine Definition erforderlich machen. 43 Es ergibt sich auf diese Weise, […], daß die Wörter, wodurch man solche zusammengesetzte Verhältnisbegriffe ausdrückt, von sehr veränderlicher Bedeutung sind, und theils vieldeutig werden, theils auch mit der Zeit ihre Bedeutung ganz ändern, und zu Wortstreitigkeiten häufigen Anlaß geben. 44 Lambert erklärt dies mit einem Hinweis darauf, dass eine Sprache nicht eine ausreichende Anzahl von Wörtern aufweisen könne, um sämtliche möglichen Merkmalskombinationen mit einem eigenen Ausdruck zu belegen. Aus diesem Grund müsse es zu Mehrdeutigkeiten kommen, so dass die Bedeutungen solcher Wörter nicht eindeutig bestimmbar seien, weil andernfalls nicht mehr Begriffe bezeichnet werden könnten, als Wörter verfügbar seien. 45 Sprache, Zeichen und Erkenntnis 171 46 Dianoiologie, § 114, 73. 47 Cf. die Untersuchung des Zeichenbegriffs Lamberts von Gerold Ungeheuer (1990 a) in seiner Studie „Über das ‚Hypothetische in der Sprache‘ bei Lambert“ [1979], in: Ungeheuer 1990: 105. 48 Cf. Dianoiologie, § 113, 72f. 49 Cf. Dianoiologie, § 114, 73. 50 Cf. Dianoiologie, § 113, 72f. sowie Schiewer 1996, 104-113. 51 Cf. Dianoiologie, §§ 173-194, 109-120. Cf. auch Ungeheuer 1990f [Der Tanzmeister bei den Philosophen], in: Ungeheuer 1990: 244-280, bes. 267f. 52 Dianoiologie, § 232, 141f. 53 Dianoiologie, § 446, 288f. [Hervorh. i. Orig. durch Sperrung]. Es ist daran zu erinnern, dass im 18. Jahrhundert noch mit der traditionellen Logik gearbeitet wurde und erst im 19. Jahrhundert formale Logiken eingeführt wurden. Die zentrale Bedeutung zusammengesetzter Begriffe für die wissenschaftliche Erkenntnis - in der es sich bei zusammengesetzten Begriffen um abstrakte oder allgemeine Gattungsbegriffe handelt - einerseits und die Unerlässlichkeit der Zeichenverwendung andererseits veranlasst Lambert zu einer weiteren Auseinandersetzung mit der Problematik der Bezeichnung. Er geht nun davon aus, dass es „figürliche Vorstellungen von Begriffen geben sollte, die ganz abstract sind“. 46 Eine solche „figürliche“ Darstellungsweise entspricht dem Ideal Lamberts wissenschaftlicher Zeichensysteme, da hier ein Abbildungsverhältnis auf ikonischer Basis zwischen der entsprechenden Sache respektive ihrem Begriff und dem Zeichen vorliegt. 47 Lambert führt verschiedene Beispiele solcher Darstellungsmöglichkeiten an, wie z.B. die genealogischen Stammtafeln 48 , Tabellen 49 sowie die Verwendung „genauester Metaphern“ 50 , die als konkreter Ausdruck in der übertragenen Verwendung einen abstrakten Begriff veranschaulichen können, und entwickelt eigene Figurendiagramme zur Abbildung einfacher Sätze. 51 Derartige Darstellungsweisen bezeichnet Lambert insgesamt als Übersetzungen, da es sich um die „Verwechslung gleichgültiger Redensarten, nämlich der figürlichen und solcher, die nicht figürlich sind“, handelt, „weil die figürlichen Redensarten als eine besondere und zur Zeichnung dienende Sprache angesehen werden können“. 52 Zugrundeliegendes Prinzip ist daher bei all diesen Darstellungsformen das der „doppelten Uebersetzung“, die Lambert explizit hervorhebt: Die Data sind eine Frage über ein vorgegebenes Object, und zwar mit eigenen Wörtern ausgedrückt. Das Quaesitum ist, eben diese Frage mit logischen Wörtern oder durch logische Begriffe dergestalt vorzustellen, daß man vermittelst derselben die Methode zur Auflösung der Frage finden, und folglich dieselbe wirklich auflösen könne. 53 Diese Ausführungen machen nun das von Lambert in der Vorrede angeführte Argument, dass die Sprache bei allen anderen Arten von Zeichen vorkomme, einsichtig: Sie bleibt das Fundament der Zeichenverwendung auch im wissenschaftlichen Kontext, in dem „figürliche Darstellungen“ zur Unterstützung der Problemlösung beigezogen werden sollen. Jedoch ist damit noch nicht erklärt, aus welchem Grund hier nicht vollständig auf die natürliche Sprache verzichtet werden kann. Bereits in der Diskussion der von ihm eingeführten Liniendiagramme gibt Lambert die entscheidende Voraussetzung an, welche als Bedingung für eine konsequenten Verwendung ikonischer Darstellungsweisen betrachtet werden muss: Man sieht aus allem diesem, daß die hier angegebene Zeichnungsart eben so weit geht, als unser Erkenntniß bestimmt ist, und uns überdies noch augenscheinlich zeigt, wie und wo sie anfängt Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer 172 54 Dianoiologie, § 194, 119. 55 Leibniz beschränkt die Nützlichkeit seines Ansatzes tatsächlich zunächst explizit auf die Formebene, da er mit nur vorläufigen charakteristischen Zeichen operieren muß: „Ich machte nämlich die Fiktion, jene so wunderbaren charakteristischen Zahlen seien schon gegeben, und man habe an ihnen irgend eine allgemeine Eigenschaft beobachtet. Dann nehme ich einstweilen Zahlen an, die irgendwie mit dieser Eigentümlichkeit übereinkommen und kann nun mit ihrer Hülfe sogleich mit erstaunlicher Leichtigkeit alle Regeln der Logik zahlenmäßig beweisen und zugleich ein Kriterium dafür angeben, ob eine gegebene Argumentation der Form nach schlüssig ist. Ob aber ein Beweis der Materie nach zutreffend und schlüssig ist, das wird sich erst dann ohne Mühe und ohne die Gefahr eines Irrtums beurteilen lassen, wenn wir im Besitze der wahren charakteristischen Zahlen der Dinge selbst sein werden.“ Leibniz 3 1966: „Zur allgemeinen Charakteristik“, in: Leibniz 3 1966, 1. Bd., 37f. 56 Dianoiologie, § 656, 421 [Hervorh. i. Orig. durch Sperrung]. 57 Dianoiologie, § 686, 438. 58 Dianoiologie, § 656, 422 [Hervorh. i. Orig. durch Fettdruck]. 59 Dianoiologie, § 700, 450 [Hervorh. i. Orig. durch Fettdruck]. 60 Cf. Dianoiologie, § 686, 438. unbestimmt zu werden, und wo wir die fernere Bestimmung aus der Natur der Sache selbst noch erst herleiten müssen. Ferner sehen wir gleichfalls daraus, daß, wenn man diese Bestimmungen vollständig machen könnte, unsere Erkenntniß figürlich und in eine Art von Geometrie und Rechenkunst verwandelt werden könnte. 54 Hier knüpft Lambert nun unmittelbar an den Entwurf Leibniz’ einer „ars characteristica“ und „ars combinatoria“ an, verlagert jedoch das Problem ihrer Einrichtung von der Schwierigkeit der Auffindung solcher Zeichen, die in idealer Weise charakteristisch sind, auf die Ebene der „Materie“ der Erkenntnis. 55 Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, dass die Verwirklichung von Lamberts apriorischem Ideal der Wissenschaft davon abhängt, ob es gelingt, komplexe Begriffe in Grundbegriffe so zu zergliedern, […] daß unsre wissenschaftliche Erkenntniß ganz und im strengsten Verstande (§ 639) a priori seyn würde, wenn wir die Grundbegriffe sämmtlich kenneten und mit Worten ausgedrückt hätten, und die erste Grundlage zu der Möglichkeit ihrer Zusammensetzung wüßten. 56 Sofern die Grundbegriffe und ihre Kombinierbarkeit untereinander in einer Wissenschaft vollständig bekannt sind, ist es möglich, komplexe Lehrbegriffe a priori zu bilden, womit die Wissenschaftlichkeit in jeder Hinsicht gewährleistet wäre. Dann können, so Lambert, die entsprechenden Wörter zur Bezeichnung der Grundbegriffe als reine „Benennungen“ betrachtet werden, die allein zur Unterscheidung der Grundbegriffe dienen. Vorauszusetzen ist dabei allein, dass „jeder von allen Menschen mit einerley Namen benennt“ werde, wie Lambert weiter unten spezifiziert. 57 Auf diese Weise könne die „anschauende Erkenntniß mit der figürlichen“ 58 verbunden werden: Denn wäre dieses, so wären wir auch nicht mehr so an die Wörter gebunden, und könnten, wie in der Algeber, statt derselben, wissenschaftliche Zeichen annehmen, und die ganze Erkenntniß auf eine demonstrative Art figürlich machen (§ 114, 173). 59 Dieses wünschenswerte Ziel ist nach Lambert jedoch nur in einigen mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen, wie beispielsweise der Algebra, der Geometrie und der Phoronomie, erreicht worden, die von den natürlichen Sprachen weitgehend unabhängig seien. Hier seien die einfachen Begriffe aber durch die entsprechenden einfachen Gegenstände gegeben, was ihre Auffindung erheblich erleichtere. 60 Jedoch seien in den meisten Wissenschaften die Sprache, Zeichen und Erkenntnis 173 61 Cf. Dianoiologie, § 696, 445. Lambert weist hier ferner darauf hin, dass auch die zweite Bedingung apriorischer Erkenntnis nicht erfüllt sei, da ihre Bezeichnung durch Wörter innerhalb einer Sprachgemeinschaft nicht ganz einheitlich erfolge. 62 Zur sprachphilosophischen Tradition des Skeptizismus cf. Taylor 1992; zur kritischen Diskussion s. Hess- Lüttich & Lüscher 1993. 63 Semiotik, §§ 23 und 24, 16; cf. Ungeheuer 1990 a: 101 u. 121, Fn. 14. 64 Neues Organon, Vorrede, 9 (unpaginiert); cf. Ungeheuer 1990 a: 104. einfachen Begriffe keineswegs vollständig bekannt und in eindeutiger Weise bestimmt 61 , so dass die „materielle“ Basis der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht als gesichert bezeichnet werden kann. Dies wäre jedoch die unabdingbare Voraussetzung für die Erzielung wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns mittels reiner Zeichenoperationen. Aus diesem Grund - so muss aus dem zuletzt angeführten Zitat gefolgert werden - ist es nicht möglich, auf die natürliche Sprache zu verzichten und sie durch wissenschaftliche Zeichen zu ersetzen, obwohl sie, wie Lambert durchaus bewusst ist, im Hinblick auf wissenschaftliche Erfordernisse als problematisch zu bezeichnen ist. Dies klärt nun die Formulierung, dass die Sprache das allgemeine Magazin der gesamten Erkenntnis sei: neben der „gemeinen Erkenntnis“ muss sie auch weite Teile der wissenschaftlichen umfassen. Darüber hinaus verweist die zitierte Erläuterung Lamberts, dass sie „wahres, irriges und scheinbares ohne Unterschied“ einbezieht, aber auch auf die detaillierte Untersuchung in der Semiotik des „Metaphysischen“, des „Charakteristischen“ und des „Willkürlichen“ der Sprache, welches bedingt, dass sie einerseits Aspekte aufweist, die sehr wohl als figürlich bezeichnet werden können und daher wissenschaftlichen Ansprüchen Genüge leisten, und andererseits durch rein arbiträre Strukturen konstituiert wird. Der Prüfung dieser heterogenen Struktur natürlicher Sprache ist in Konzentration auf das Deutsche die Semiotik gewidmet, da sich für Lambert gezeigt hat, dass Sprache aus den angeführten Gründen auch für den wissenschaftlichen Kontext ein unabdingbares Instrument darstellt. 4 Ungeheuers Lambert-Lektüre Für Ungeheuer steht Lambert mit seiner Semiotik, deren Titel auf Lockes Essay concerning Human Understanding zurückgehen dürfte, in sprachkritischer Tradition. 62 Er zitiert (1990 a: 101) programmatisch aus der „Vorrede“ die Grundfrage der Semiotik: „Ob die Sprache, in die [der menschliche Verstand] die Wahrheit einkleidet, durch Mißverstand, Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit sie unkenntlicher und zweifelhafter mache, oder andere Hindernisse in den Weg lege? “ - und er stimmt der Antwort Lamberts zu, der Einsicht nämlich in die kruziale Fallibilität natürlicher Sprache. Lamberts Lösung des Problems ist, kurz gesagt, die mathesis universalis; seine Forderung, „die Theorie der Sache auf die Theorie der Zeichen [zu] reduciren“ 63 , dient dem Ziel, Sprache als Verständigungsmittel des Alltags tauglich zu machen für den wissenschaftlichen Gebrauch. Ihn interessiert, „was in den Sprachen willkührliches, natürliches, nothwendiges und zum theil auch wissenschaftliches vorkömmt, und wie sich das metaphysische in den Sprachen von dem characteristischen und bloß grammatischen unterscheide“. 64 Das Programm der Lambertschen Zeichentheorie ist damit formuliert, aber sie ist nirgends systematisch ausgearbeitet. Ihre Rekonstruktion bleibt auf der Agenda, trotz der von Ungeheuer verdienstvollerweise zusammengetragenen Elemente. Lambert hat den „Gebrauch der Ernest W.B. Hess-Lüttich & Gesine Lenore Schiewer 174 65 Cf. Ungeheuer 1990 a: 108. 66 Cf. Ungeheuer 1990 a: 119. 67 Cf. zu einer frühen theoretischen Fundierung der Analyse dialogförmiger Kommunikation die von Ungeheuer angeregte (und von seinem Schüler Helmut Richter betreute) Habilitationsschrift über die „Grundlagen der Dialoglinguistik“ (Hess-Lüttich 1981). 68 Semiotik, § 334, 203; cf. Ungeheuer 1990 a: 115. 69 Ungeheuer 1990 c [Tektonik des Wortschatzes]: 168-179. 70 Semiotik, §§ 336ff., 204ff. Sprache“ im Auge, also die „kommunikative Praxis“, und „die Verständnisschwierigkeiten bei der Mitteilung von Wissen“. 65 Aufgrund der Abhängigkeit der Begriffe und Bedeutungen von den je individuellen Erfahrungen kommunizierender Subjekte kommt es zu den „Wortstreiten". Wir stellen Hypothesen auf über das vom anderen mit seinen Äußerungen Gemeinte, den Sinn seiner Rede, soweit er (der Sinn) bzw. es (das Gemeinte) nicht aufgrund der „figürlichen“, d.h. unstreitigen und gemeinsam prüfbaren, Ähnlichkeit der darin verwandten Zeichen zum significatum unmittelbar anschaulich, klar und eindeutig ist. Verstehen ist also immer approximativ aufgrund des gegebenen Anteils an den „willkührlichen“ Struktureigenschaften natürlicher Sprachen und ihres daraus folgenden hypothetischen Charakters. Die Hypothesen gehen dabei „immer über die Bedeutungssetzungen des jeweiligen Kommunikationspartners. Dieses Einbeziehen der anderen am Kommunikationsakt beteiligten Personen macht ein wesentliches Stück in der Bestimmung des Begriffs aus.“ 66 Die Einsicht in diese dialogische Grundstruktur von Kommunikation und Semiosis muss heute noch immer gegen die vielfach einseitig sprecherorientierten mainstream-Konzeptionen sprach- und kommunikationstheoretischer Ansätze verteidigt werden. 67 Nach der „Maxime der hermeneutischen Billigkeit“, deren Formulierung manches von dem kommunikations- und zeichentheoretisch antizipiert, was in der modernen Diskursforschung in Konzepten wie dem der triadischen Unterstellungsstruktur mutueller Idealisierungen (Alfred Schütz) oder dem der essentiellen Vagheitsbedingung mundaner Kommunikationspraxis (Harold Garfinkel) wieder zutage tritt, vollzieht sich Verständigung trotz ihres prinzipiell hypothetischen Charakters alltagspraktisch und routinemäßig (automatisiert) unproblematisch, zumindest bis zu dem Punkt, „als bis der eine von den Unterredenden anfängt, zu vermuthen, es müsse Mißverstand in den Worten und Ausdrücken versteckt liegen, vor dessen Aufklärung man nicht sehen könne, ob man in der That nicht einerley Meynung sey“. 68 Diese zu metakommunikativer Problematisierung (oder, mit Fritz Schütze, zu „höhersymbolischer Re-Interpretation“ im Falle metaphorisierter Rede, entsprechend Lamberts zweiter Klasse von Wörtern) nötigenden Punkte sind nun nicht etwa beliebig verteilt im Redefluss (im Kommunikationsprozess), sondern semiotisch begründet. Ungeheuer rekonstruiert die Begründung im Blick auf die Konstitution des Zeichenbegriffs am Beispiel der „semantischen Tektonik des Wortschatzes“ als einem universalen Prinzip. 69 Aus der Anwendung seiner trichotomischen Klassifikation des Lexikons auf die „Theorie der Wortstreite“ leitet Lambert 70 die Vermutung ab, dass die Probleme kommunikativer Übereinstimmung von der semiotischen Modalität des significandum abhängen, d.h. auf einer Achse zwischen Iconizität und Symbolizität zu beschreiben sind: wo Wort, Begriff und Sache unmittelbar miteinander zu verbinden sind, ist die Konfliktwahrscheinlichkeit gering, weil über den sinnlichen Eindruck von Ähnlichkeiten in der „Körperwelt“ leichter Einigkeit zu erzielen ist als über metaphorisierte Gebrauchsroutinen von auf „tertii comparationis“ (statt den Literal- Sprache, Zeichen und Erkenntnis 175 71 Semiotik, § 347, 211; cf. Ungeheuer 1990 a: 117. 72 Ungeheuer 1990 c [Tektonik des Wortschatzes]: 177. 73 Ungeheuer 1990 c [Tektonik des Wortschatzes]: 176. 74 Ungeheuer 1990 c [Tektonik des Wortschatzes]: 178. sinn) bezogenen Zeichen oder gar über definitionsbedürftige Zeichen der „Intellectualwelt“, die auf Wahl und Wille (Kur, Willkür) und Vereinbarung (Konvention) beruhen und immer „Quellen der Vorurtheile“ darstellen, „die von der Auferziehung und Umständen jeder einzelner Menschen herrühren, und die sodann in ganze philosophische Systemen einen augenscheinlichen Einfluß haben“. 71 Demgemäß steige beim Übergang von der ersten über die zweite zur dritten Wortklasse die Wahrscheinlichkeit der Wortstreite, und tatsächlich sei empirisch eine Zunahme der Häufigkeit von Wortstreiten in dieser Richtung zu beobachten. 72 Umgekehrt können die Kriterien zur Bestimmung der lexico-semantischen Klassen - also Ostension (Indexikalität), Similarität (Körperwelt/ Intellectualwelt), Definition (Nominalismus) - als Prozeduren zur Offenlegung, vielleicht gar Beilegung, von Kommunikationskonflikten dienen. 73 Dennoch sind sie unvermeidlich, weil sie in den je individuellen Bedingungen menschlicher Erfahrung und Erkenntnis wurzeln. Ungeheuer zitiert an herausgehobener Stelle (zum Abschluss seines Aufsatzes) 74 : „Erfahrungen […] machen wir entweder selbst, oder wir haben sie von andern. Erstere sind eigen, letztere fremd. Zwischen beyden Arten findet sich ein vielfacher Unterschied, […]. Einmal sind fremde Erfahrungen in Absicht auf uns allzeit hypothetisch, […] (§ 560, Dian.). „Die eigentliche Klarheit ist individual, und demnach ist unsere ganze allgemeine Erkenntnis schlechthin symbolisch, ungeachtet die klaren Vorstellungen, und besonders die einfachen Begriffe die Grundlage dazu sind.“ (§ 9, Archit.). „Hier liegt“, fügt Ungeheuer (ibid.) hinzu, „das grundsätzliche Problem, das Lambert beschäftigt hat, und hier liegt es für uns heute noch“. Literatur Arndt, Hans Werner 1979: „Semiotik und Sprachtheorie im klassischen Rationalismus der deutschen Aufklärung. Eine historische Einordnung“, in: Zeitschrift für Semiotik 1.4 (1979): 305-308 Freudenfeld, Regina 1996: Gedächtnis-Zeichen. Mnemologie in der deutschen und französischen Aufklärung, Tübingen: Narr Hess-Lüttich, Ernest W.B. 1981: Grundlagen der Dialoglinguistik (Soziale Interaktion und literarischer Dialog vol. 1), Berlin: Erich Schmidt Hess-Lüttich, Ernest W.B. 1984: Kommunikation als ästhetisches ‚Problem‘. Vorlesungen zur Angewandten Textwissenschaft (= K ODIKAS / C ODE Supplement 10), Tübingen: Gunter Narr 1984 Hess-Lüttich, Ernest W.B. 1984 a: „Medium - Prozeß - Illusion. Zur rationalen Rekonstruktion der Zeichenlehre Lessings im ‚Laokoon‘“, in: Gunter Gehauer (ed.) 1984: Das Laokoon-Projekt. Pläne einer semiotischen Ästhetik, Stuttgart: Metzler, 103-136 Hess-Lüttich, Ernest W.B. & Christoph Lüscher 1993: „Mutual Misunderstanding. Zu einer skeptischen Theorie der Kommunikation“, in: K ODIKAS / C ODE . Ars Semeiotica. 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So finden sich schon in der bis vor kurzem „Jenenser Realphilosophie“ genannten „Jenaer Realphilosophie“ von 1805 Erwähnungen des Zeichens (cf. Meiner, 182, 188). Es handelt sich um dunkle, in sehr dichter Sprache gehaltene Ansätze Hegels zu seiner philosophischen Zeichentheorie. Die Hauptaussage dieser Stellen kann man etwa in Hegels Bemerkung auf den Punkt bringen, daß der „Gegenstand“, wenn und insofern er ein Zeichen ist, „nicht ist, was er ist“ (Meiner, 182). Diese Bestimmung wird in der „Phänomenologie des Geistes“ von 1807 in einer neben mehreren Erwähnungen des Zeichens K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Dietrich Gutterer 178 2 Die Zahlen in Klammern, denen eine 3 vorgesetzt ist, bezeichnen die Seitenzahlen von Hegels „Philosophische Propädeutik“ in der Glockner-Ausgabe von 1961. sich findenden kurzen Erklärung des Zeichens wiederaufgenommen und ein wenig näher ausgeführt. Von den Zeichen heißt es dort, daß „noch irgendetwas anderes damit gemeint ist als das, was sie unmittelbar nur sind“ (Meiner, 244). Solche Gegenstände im weitesten Sinne - Hegel führt als Beispiele „Miene und Gebärde, Ton, auch eine Säule, ein Pfahl, der auf einer öden Insel eingeschlagen ist“ (ibid.), an - „geben sich selbst sogleich für Zeichen aus, indem sie eine Bestimmtheit an ihnen haben, welche auf etwas anderes dadurch hinweist, daß sie ihnen nicht eigentümlich angehört“ (ibid.). Diese Bestimmtheit, die hier noch etwas umständlich als dem Zeichen nicht eigentümlich angehörend beschrieben wird, wird später, an der zeichenphilosophischen Hauptstelle Hegels in seiner „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“ kurz und treffend als „fremd“ (10, 344) charakterisiert. Doch so weit sind wir noch nicht. Zunächst soll kurz verfolgt werden, wie Hegel immer wieder auf das Zeichen zurückkommt. In den „Nürnberger Heften“, an denen Hegel von 1808 bis 1811 schrieb und die er seinem Gymnasialunterricht zugrunde legte - von Karl Rosenkranz 1840 unter dem Titel „Philosophische Propädeutik“ herausgegeben -, in seinen „Nürnberger Heften“ also finden sich etwas zusammenhängendere Erwähnungen des Zeichens als in der „Phänomenologie des Geistes“. Hier, in den „Nürnberger Heften“, steht die Behandlung des Zeichens auch schon in einem Kontext, der dem, in dem dann später, an der zeichenphilosophischen Hauptstelle, über das Zeichen gesprochen wird, in etwa entspricht, nämlich im Zusammenhang mit u.a. „dichtender Phantasie“ (3, 208) 2 , „Symbolisieren“ (ibid. u. 3, 211), „Wortzeichen“ (3, 210, 211) und Sprache (3, 210f.). In den „Nürnberger Heften“ hat Hegel offenbar seine Aversion gegen Definitionen vorübergehend abgelegt, denn wir finden dort folgenden Satz: „Die willkürliche Verknüpfung eines äußerlichen Daseins mit einer ihm nicht entsprechenden, sondern auch dem Inhalt nach davon verschiedenen Vorstellung, so daß jenes die Vorstellung oder Bedeutung von dieser sein soll, macht dasselbe zu einem Zeichen“ (3, 209). In der Betonung der Willkürlichkeit als einer für das Zeichen relevanten Bestimmung klingt eine an der zeichenphilosophischen Hauptstelle ausgeführte, zum Verständnis des Zeichens unumgängliche Bestimmung an, und die stark verklausulierte Beschreibung der Bedeutung - die „jenes“ von „dieser“ sein soll, durch welche Verklausulierung sich auch noch ein fehlerhafter ‚Dreher‘ in den Bezug der Demonstrativpronomina eingeschlichen hat - kehrt an der Hauptstelle als der klare Ausdruck „fremde Bedeutung“ (10, 344) wieder, die einem „sinnlichen Stoff“ (ibid.) gegeben wird, womit er uno actu Zeichen wird. Die recht wenig umfangreichen Ausführungen über das Zeichen in den „Nürnberger Heften“, die man kaum als zeichenphilosophische Ansätze bezeichnen kann, finden eine gewisse, allerdings immer noch wenig umfangreiche Ausarbeitung in Hegels „Heidelberger Enzyklopädie“ von 1817. Auch die zeichenphilosophischen Ansätze in der „Heidelberger Enzyklopädie“ können nur als Vorformen der zeichenphilosophischen Hauptstelle interessieren. In den Jahren 1817, 1820, 1828 und 1830 arbeitete Hegel an der Psychologie innerhalb der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“, also - vielleicht zu jedem dieser Termine, vielleicht auch nur an dem einen oder anderen - damit auch an den Ausführungen, die man als seine zeichenphilosophische Hauptstelle bezeichnen kann, aus der auch der anfangs zitierte Satz stammt; auf einige Passagen aus dieser Stelle werde ich in der vorliegenden Untersuchung näher eingehen. Die Pyramide 179 3 Die Zahlen in Klammern, denen das Paragraphenzeichen vorgesetzt ist, bezeichnen die Paragraphen in Hegels „System der Philosophie“ in der Glockner-Ausgabe von 1965. 4 Cf. dazu Dietrich Gutterer 1986: „Die Bedeutung von Hegels erstem zeichentheoretischen Hauptsatz für seine Charakterisierung des künstlerischen Bildes“, in: Heinz Paetzold (ed.) 1986: Modelle für eine semiotische Rekonstruktion der Geschichte der Ästhetik, Aachen: Rader, 115-129. 5 Cf. etwa „Phänomenologie des Geistes“, Meiner 1952, S. 46. 2 Der anfangs zitierte Satz steht im Zusatz zum § 457 der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“, die ich nunmehr nur noch kurz als Enzyklopädie bezeichnen werde. Er steht damit in etwa am Anfang der zeichentheoretischen Ausführungen Hegels in der Enzyklopädie, die die §§ 457-462 umfassen. „Das Zeichen muß für etwas Großes erklärt werden.“ So, wie der Satz da steht, würde gerade Hegel ihn als versicherungsweise vorgebracht bezeichnen. Dadurch ärgert man sich geradezu über diesen Satz und wird dazu gebracht, nach einer Erklärung dafür zu suchen, daß Hegel das Zeichen für etwas Großes erklärt. Der engere Kontext, in dem der Satz steht, lautet: „Indem nun die von dem Inhalte des Bildes freigewordene allgemeine Vorstellung sich in einem willkürlich von ihr gewählten äußerlichen Stoffe zu etwas Anschaubaren macht; so bringt sie Dasjenige hervor, was man, - im bestimmten Unterschiede vom Symbol, - Zeichen zu nennen hat. Das Zeichen muß für etwas Großes erklärt werden. Wenn die Intelligenz Etwas bezeichnet hat, so ist sie mit dem Inhalte der Anschauung fertig geworden und hat dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben.“ (§ 457 Zus.) 3 Ich habe diese Passage ausführlich zitiert, weil sich in ihr einige Hegelische Bestimmungen zusammengedrängt finden, die für die hier geführte Untersuchung relevant sind. In der Parenthese macht Hegel darauf aufmerksam, daß er das Zeichen im bestimmten Unterschied vom Symbol sieht und genommen haben will. Aber die Behauptung dieser strikten Trennung ist nicht Hegels einziges Wort in dieser Sache. 4 Wenn sie es wäre, so hätte Hegel den Übergang vom Symbol zum Zeichen nicht mehr sehen können. In der Enzyklopädie geht aber unter dem Blick des philosophischen Beobachters Hegel - Hegel spricht in der „Phänomenologie des Geistes“ von „Zusehen“ 5 - die Tätigkeit der Intelligenz als symbolisierender Phantasie in die Tätigkeit der Intelligenz als zeichenmachender Phantasie über. Dieser Übergang soll hier nicht nachvollzogen werden. Vielmehr halte ich mich hier an den von Hegel herausgestellten Unterschied von Symbol und Zeichen, weil ohne diese Arbeit des Verstandes die Vorstellungen von Symbol und Zeichen in einen sit venia verbo Brei zusammenflössen. Wenn das Zeichen ‚im bestimmten Unterschied vom Symbol‘ betrachtet wird, kann auch klar werden, inwiefern Hegel sagen kann, daß das Zeichen für etwas Großes erklärt werden muß. Dieser Hegelsche Satz gilt für alle Zeichen, für die Zeichen, die er einfach ‚Zeichen‘ nennt, und für die Zeichen, die er ‚Sprachzeichen‘ nennt. Die Sprachzeichen machen bei Hegel eine höhere Stufe aus als die anderen Zeichen, die ich nichtsprachliche Zeichen nennen möchte. Die Sprachzeichen sind bei Hegel schon der Übergang zum „Denken“ (§ 465); entsprechend lautet ein berühmter Satz in der Anmerkung zum § 462 der Enzyklopädie: „Es ist in Namen, daß wir denken.“ Oder eine fast ebenso bekannte Formulierung aus dem Zusatz zu diesem Paragraphen: „Ohne Worte denken zu wollen, … erscheint … als eine Unvernunft.“ Auch das Sprachzeichen und der Übergang zum Sprachdenken sollen hier nicht Dietrich Gutterer 180 untersucht werden. Im Hinblick darauf, daß man ohnehin nicht ‚alles auf einmal‘ machen kann, und weil überdies zwar nicht alles, was für die Sprachzeichen gilt, für das nichtsprachliche Zeichen gilt, aber das Meiste, das für das nichtsprachliche Zeichen gilt - mit Ausnahme einer Differenz im Stoffmoment, auf die ich später kurz eingehen werde -, auch für die Sprachzeichen gilt, konzentriert sich meine Betrachtung auf das nichtsprachliche Zeichen und seinen für seine Charakterisierung unvernachlässigbaren Unterschied vom Symbol. In der weiter oben zitierten längeren Passage heißt es weiter, daß die allgemeine Vorstellung ein Zeichen hervorbringt. Das ist von Hegel sehr kurz gesprochen. Unter Hinzuziehung des weiteren Kontextes ist genauer zu sagen, daß nach Hegel die Intelligenz des Menschen, die eine allgemeine Vorstellung hat oder besser: leistet, vorstellt, qua als zeichenmachende Phantasie arbeitende Intelligenz ein Zeichen hervorbringt. Die Intelligenz arbeitet als zeichenmachende Phantasie, indem sie die allgemeine Vorstellung - so ist zunächst einmal zu sagen; es müssen aber weitere Bestimmungen hinzukommen - zu etwas Anschaubarem macht, und zwar im Zeichen. Im von der Intelligenz hervorgebrachten Zeichen ist die Vorstellung anschaubar geworden. Auch auf der vorhergehenden Stufe, auf der Stufe der symbolisierenden Phantasie, genauer zu sprechen, auf der Stufe, auf der die Intelligenz als symbolisierende Phantasie arbeitet, macht die Intelligenz ihre Vorstellung zu etwas Anschaubarem, aber eben im Symbol oder, wie Hegel auch sagt, im Bild. Und hier wird eine weitere Bestimmung sichtbar, durch die Hegel die Arbeit der als zeichenmachende Phantasie arbeitenden Intelligenz charakterisiert, nämlich die in der zitierten Passage erwähnte Willkürlichkeit. Wie es dort heißt, wird der äußerliche Stoff, in dem die Vorstellung anschaubar wird, „willkürlich“ gewählt, und zwar - obwohl Hegel sagt, von der Vorstellung - von der Intelligenz, die ihre Vorstellung zu etwas Anschaubarem macht. Die Vorstellung ist dabei und damit, wie es in derselben Passage heißt, von dem Inhalt des Bildes frei geworden, nämlich von dem Inhalt des Bildes, das als Symbol diente. Hegels Beispiel für ein Symbol ist der Adler, der als Symbol für „die Stärke Jupiters“ (ibid.) dient, und zwar deswegen, weil der Adler „dafür gilt, stark zu seyn“ (ibid.). Als symbolisierende Phantasie kann die Intelligenz also den äußerlichen Stoff, in dem sie ihre Vorstellung zu etwas Anschaubarem macht, nicht willkürlich wählen, sondern muß vielmehr einen solchen „sinnlichen Stoff“ wählen, „dessen selbständige Bedeutung dem bestimmten Inhalt des zu verbildlichenden Allgemeinen entspricht“ (ibid.). Das von Hegel hier erwähnte Allgemeine ist eine allgemeine Vorstellung. Ein einer solchen Vorstellung, z.B. der Stärke Jupiters, entsprechender sinnlicher oder äußerlicher Stoff ist z.B. der Adler, dessen selbständige Bedeutung darin besteht, daß er dafür gilt, stark zu sein. Die Intelligenz kann als symbolisierende Phantasie einen solchen entsprechenden Stoff u.U. wählen, aber sie bleibt dabei davon abhängig, ob sie einen findet; sie kann nicht willkürlich einen wählen. Das kann sie erst als zeichenmachende Phantasie. Demgemäß ist in der hier betrachteten Passage im Zusammenhang mit dem Produkt der als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitenden Intelligenz, also mit dem nichtsprachlichen Zeichen, von der von dem Inhalt des Bildes ‚freigewordenen‘ Vorstellung die Rede. Solange die Intelligenz als symbolisierende Phantasie arbeitet, muß sie einen sinnlichen oder äußerlichen Stoff wählen und zuvor finden, dessen selbständige Bedeutung der Vorstellung, die zu etwas Anschaubarem gemacht werden soll, entspricht. Die allgemeine Vorstellung braucht noch den ihr entsprechenden Inhalt des Bildes, um sich artikulieren - hier ist dabei noch nicht an Sprechen zu denken - zu können, und zwar in einem Bild, also nach vollzogener Artikulation als Bild. Erst sobald die Intelligenz als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitet, kann sie den äußerlichen Stoff, in dem sie ihre Vorstellung zu etwas Anschaubarem macht, willkürlich wählen, und das heißt auch, daß sich die Vorstellung Die Pyramide 181 6 Vgl. z.B. „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“, Glockner-Ausgabe, S. 258 oder (etwas ausführlicher) „Vorlesungen über die Aesthetik“, Bd. 1, Glockner-Ausgabe, S. 474f. 7 Vgl. die letzte in der Anmerkung 6 angegebene Stelle. unabhängig von einem ihr entsprechenden Inhalt eines Bildes artikulieren kann. So kann Hegel sagen, daß die Vorstellung von dem Inhalt des Bildes freigeworden ist, wenn sie sich in Zeichen, genauer, in nichtsprachlichen Zeichen äußert. Hegel nennt als Beispiele „Cocarde … Flagge … Grabstein“ (ibid.). In der weiter oben zitierten längeren Passage heißt es schließlich, daß die Intelligenz - und es handelt sich hier um die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz -, wenn sie ein Zeichen gemacht hat, dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben hat. Hegel hebt „fremde“ durch Sperrung heraus und führt sofort anschließend die soeben zitierten Beispiele an. Das dritte Beispiel, der Grabstein, ist zur Erklärung dieser Fremdheit der Bedeutung am geeignetsten, weil Hegel es im nächsten Paragraphen nochmals aufnimmt und ein wenig ausführlicher vorführt. Dort ist von der Pyramide, die ja auch ein Grabstein ist, als von einem Zeichen (cf. § 458 Anm.) die Rede: „die Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt und aufbewahrt ist“ (ibid.). Die Pyramide ist für Hegel ein schlagendes Beispiel, an dem er seinen Begriff des Zeichens plastisch schildern kann; seine begriffliche Fassung bringt dann ein paar Zeilen später ein Satz, auf den ich nach der Betrachtung der Schilderung eingehen werde. Die Pyramide ist ein Grabstein besonderer Art und damit, wie sich herausstellen wird, viel geeigneter zur Illustration von Hegels Zeichenbegriff als ein christlicher Grabstein. Nach Hegel - er beruft sich dabei u.a. in seiner Geschichtsphilosophie auf Herodot - haben die alten Ägypter die Unsterblichkeit der Seele entdeckt. 6 Nach dem Tode eines Pharaos wurde seine unsterbliche Seele in seine Pyramide versetzt. Die Pyramide, das steinerne Bauwerk, der, wie Hegel sich in seiner Ästhetik ausdrückt, „ungeheure Krystall“ 7 , hat keine eigene Seele. Aber sie bekommt nach dem Tode des Pharaos eine fremde Seele, nämlich die Seele des Pharaos, die in die Pyramide versetzt in ihr aufbewahrt ist. Wie die steinerne Pyramide eine fremde Seele hat, womit sie ein Zeichen dieser Seele und diese Seele ihre, der Pyramide, fremde Bedeutung ist, so hat der sinnliche Stoff eines jeden Zeichens eine ihm fremde Bedeutung zur Seele, wie es an der hier betrachteten letzten Stelle innerhalb der Passage heißt. Das Beispiel der Pyramide illustriert aber noch mehr. Während die Körper der dafür zuständigen ägyptischen Träger den einbalsamierten Körper des Pharaos samt Eingeweidetopf in die Pyramide überführt haben, hat die Intelligenz, und zwar die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz der Ägypter die Seele des Pharaos in die Pyramide versetzt. Damit hat die Intelligenz der Pyramide eine fremde Seele gegeben und die Pyramide zum Zeichen für diese Seele ihre, der Pyramide, Bedeutung gemacht. Ebenso hat der sinnliche Stoff eines jeden Zeichens eine ihm fremde Bedeutung zur Seele, nachdem die als zeichenmachende Phantasie arbeitende Intelligenz des Menschen dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben und ihn damit zu Zeichen gemacht hat. Der am Beispiel der Pyramide geschilderte Zeichenbegriff Hegels wird besonders prägnant und zusammenfassend begrifflich gefasst in einem in der Anmerkung zum § 458 stehenden Satz, der besagt, daß die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz „ihren selbständigen Vorstellungen ein bestimmtes Daseyn aus sich giebt, … die Anschauung als die ihrige gebraucht, deren unmittelbaren und eigentümlichen Inhalt tilgt, und ihr einen andern Inhalt zur Bedeutung und Seele giebt.“ Eine dieser selbständigen Vorstellungen der Intelligenz, von denen Hegel hier spricht, war in dem soeben betrachteten Dietrich Gutterer 182 Beispiel die unsterbliche Seele eines Pharaos, deren Zeichen eine Pyramide ist, in der diese Seele ist, welche also deren, der Pyramide, dieses Zeichens „Inhalt“ ist, auch im wörtlichen Sinne, weswegen die Pyramide ein Beispiel ist, an dem Hegels Zeichenbegriff besonders plastisch zu schildern war. Auch ein christlicher Grabstein ist ein Zeichen für die von der Intelligenz geleisteten Vorstellung der unsterblichen Seele eines verstorbenen Christen, dessen Seele allerdings nicht als in diesem Grabstein, sondern vielmehr als in dem Himmel oder in der Hölle oder in dem Fegefeuer vorgestellt wird. Gleichwohl ist diese Seele, welche eine Vorstellung ist, also genauer gesprochen, die Vorstellung dieser Seele oder diese Seele als Vorstellung der Intelligenz der „Inhalt“ des Grabsteins, des nicht ohne die Leistung der als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitenden Intelligenz ‚daseienden‘ Zeichens dieser Seele. Der Inhalt, die Seele, die Bedeutung eines Zeichens à la Grabstein muß nicht unbedingt die Vorstellung der Seele des Verstorbenen sein. So hat auch etwa ein von einer nymphomanischen Atheistin einem in seiner Jugendkraft verstorbenen gladiatorenhaften Liebhaber gesetzter nichtchristlicher Grabstein eine Vorstellung zum Inhalt, zur Seele, zur Bedeutung; allerdings wird das wohl nicht gerade die Vorstellung der unsterblichen Seele dieses Mannes sein. Andere Beispiele für das nichtsprachliche Zeichen sind Kokarde und Flagge. Der Inhalt, die Seele, die Bedeutung einer bestimmten Kokarde oder einer bestimmten Flagge ist die Vorstellung einer bestimmten Nation. So kann eine Nation ‚in‘ ihrer Flagge verunglimpft werden. Die als zeichenmachende Phantasie arbeitende Intelligenz kann gemäß dem zuletzt zitierten Satz ihren Vorstellungen, und das heißt, allen ihren Vorstellungen, ein bestimmtes Dasein aus sich, das heißt, aus der Intelligenz, geben. Sie benötigt dazu Stoff, „Materie“ (§ 458) der „Anschauung“ (ibid.). Das Hauptbeispiel Hegels für das Zeichen ist das Sprachzeichen, dem er den weitaus überwiegenden Teil seiner zeichenphilosophischen Ausführungen widmet, auf das ich aber, wie oben erwähnt, hier nicht näher eingehe. Bei den Sprachzeichen ist das Stoffproblem beim Zeichenmachen so gelöst, daß der Körper, dessen Intelligenz als Sprachzeichen machende Phantasie arbeitet, den von der Intelligenz benötigten Stoff in Form von Ton, Lautmaterie produziert. Anders ist es bei dem nichtsprachlichen Zeichen; da ist die Anschauung oder, wie es präziser heißt, die Materie der Anschauung (cf. ibid.) „ein Aufgenommenes … oder Gegebenes (z.B. die Farbe der Cocarde u. dgl.)“ (ibid.). Deren, der Materie, im angegebenen Beispiel der Farbe eigentümlichen Inhalt „tilgt“, wie es bei Hegel heißt, die Intelligenz und gibt ihr, der Materie, der Farbe, einen anderen Inhalt zur Bedeutung und Seele, sie gibt, wie es im Zusatz zum § 457 hieß, dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung der Seele. Bleibt das ‚Tilgen‘ zu klären. Die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz tilgt den eigentümlichen Inhalt der Materie. Das ist bei der Farbe der Kokarde schwer verständlich, da der eigentümliche Inhalt einer Farbe, der getilgt werden soll, gar nicht erst angegeben werden kann, es sei denn, man könnte sich dazu hinreißen lassen, das von Hegel in seiner „Naturphilosophie“ angegebene „Symbolische“ der Farben zu akzeptieren: „daß Gelb die heitere, edle, in ihrer Kraft und Reinheit erfreuliche Farbe ist: Roth Ernst und Würde, wie Huld und Anmuth ausdrückt: Blau sanfte und tiefe Empfindungen“ (§ 320 Zusatz). Bei einer Flagge ist er schon eher anzugeben; denn eine Flagge besteht nicht nur aus Tuchfarben, sondern auch aus Tuch. Der eigentümliche Inhalt der Materie Tuch kann darin bestehen, daß etwa schwarzes Tuch dafür gilt zu wärmen, weißes Tuch dafür, die Sonnenstrahlen zu reflektieren und somit zu kühlen. Vollends klar wird das von der als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitenden Intelligenz vollzogene bzw. zu vollziehende Tilgen des eigentümlichen Inhalts der Anschauung im Vergleich mit der Arbeit, die die Intelligenz als symbolisierende Phanta- Die Pyramide 183 sie leistet. Wie oben gezeigt, ist die als symbolisierende Phantasie arbeitende Intelligenz nämlich auf den eigentümlichen Inhalt der Anschauung, die sie zum Symbol macht, angewiesen. Im Beispiel des Adlers war es die selbständige Bedeutung der Anschauung, nämlich des Adlers, welche selbständige Bedeutung darin besteht, daß er dafür gilt, stark zu sein, die es der als symbolisierende Phantasie arbeitenden Intelligenz ermöglichte, die Anschauung Adler zum Symbol für die Vorstellung der Stärke Jupiters zu machen. Einen solchen eigentümlichen Inhalt einer Anschauung - im Beispiel die selbständige Bedeutung des Adlers - auf welchen die als symbolisierende Phantasie arbeitende Intelligenz gerade angewiesen ist, tilgt die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz und gibt der Anschauung eine fremde Bedeutung zur Seele. So kann der Adler dann auf einem Hinweisschild zum Zeichen für ein Naturschutzgebiet, in dem übrigens kein Adler zu leben braucht, gemacht werden. Im § 458 sagt Hegel über die Anschauung, deren Materie z.B. die Farbe der Kokarde ist, eine solche Anschauung „ist ein Bild, das eine selbständige Vorstellung der Intelligenz als Seele, als seine Bedeutung in sich empfangen hat. Diese Anschauung ist das Zeichen.“ Nimmt man eine Kokarde als ein durch die Komposition der Farben geschaffenes Bild, so bedeutet dieses Bild im Fall der Kokarde nicht etwa so etwas wie - wenn man einmal das vorher erwähnte Symbolische der Farben heranzöge - z.B. ‚Freude über tiefempfundene Huld‘ (Gelb - Blau - Rot), sondern eine selbständige Vorstellung, im Fall der Kokarde z.B. die eines Staates. Die Bedeutung, die Seele dieses Bildes, als das die Kokarde aufgefaßt werden kann, ist nicht mehr, wie im Fall des Symbols, jene erwähnte spezielle Freude, sondern eine nach Tilgung des symbolisch relevanten ‚eigentümlichen Inhalts‘ der Farbkomposition in sie von der Intelligenz hineingelegte fremde und ‚selbständige‘, d.h. von dem eigentümlichen Inhalt der Farben unabhängige Vorstellung. Entsprechend habe ich vorher vorgeführt, daß das Adlerbild, das Hegel ausschließlich als Symbol für die Stärke Jupiters behandelt, zum Zeichen für ein Naturschutzgebiet werden kann. Damit ist gesagt, daß ein Bild, dasselbe Bild, qua Symbol eine andere Funktion hat als qua Zeichen. Bei einem Bild, gleichgültig, ob von der symbolisierenden oder von der nichtsprachliche Zeichen machenden Phantasie - übrigens nicht ohne die von Hegel, weil er das in seiner Anthropologie (cf. bes. § 401) bereits klar gemacht hat, hier nicht mehr erwähnte Mitarbeit des Körpers, dessen Phantasie sie ist - geschaffen, gibt, wie es im § 456 heißt, ein ‚subjektiver Gehalt‘ sich „in“ einem „Stoff“, der „von dem Gefundenen der Anschauung herkommt“, „ein Daseyn“. Etwas genauer muß es allerdings heißen, daß nicht etwa der subjektive Gehalt sich ein Dasein gibt, sondern vielmehr die als Phantasie arbeitende Intelligenz einem subjektiven Gehalt in einem Stoff, der von dem Gefundenen der Anschauung herkommt, ein Dasein gibt. Dieses Dasein des subjektiven Gehalts ist das Bild, genauer, der subjektive Gehalt ist im daseienden Bild, dessen Gehalt er durch die Arbeit geworden ist, da. So ist die Vorstellung der unsterblichen Seele eines bestimmten Pharaos in einer bestimmten Pyramide da. So ist die Vorstellung der Stärke Jupiters in dem frei fliegenden oder gefangengehaltenen oder gemalten oder aus irgendeinem Stoff geformten Adler da. Während aber bei der Arbeit der Intelligenz als symbolisierender Phantasie ein Stoff - das kann auch ein Tier, eine Pflanze, ein Fluß, ein Ding etc. sein - gefunden werden muß, der, wie wir gesehen haben, einen einer bestimmten Vorstellung entsprechenden, ‚eigentümlichen Inhalt‘ hat, an den die vom Menschen hineinzuarbeitende Vorstellung sozusagen ‚anschließen‘ kann, kann bei der Arbeit der Intelligenz als nichtsprachliche Zeichen machender Phantasie irgendein Stoff willkürlich gewählt und zu etwas gemacht, im Normalfall verarbeitet werden, das vorher so noch nicht da war oder überhaupt noch nicht da war und somit auch in keinem noch Dietrich Gutterer 184 so uneigentlichen Sinne eine Seele hatte. So haben die Ägypter Steine genommen und zu einer Pyramide als Zeichen der unsterblichen Seele eines Pharaos verarbeitet. Das Zeichenhafte einer Pyramide besteht in der Durchdringung des Stoffes, aus dem sie auch besteht, durch die Vorstellung der unsterblichen Seele eines Pharaos, welche Vorstellung ihrerseits die Seele der Pyramide ist, aus der sie in dem Sinne auch besteht, daß sie ohne diese sie durchdringende Seele nicht das wäre, was sie ist. Symbol wie nichtsprachliches Zeichen überhaupt sind Stoff mit Seele, die die menschliche Intelligenz hineingearbeitet hat. Während aber das Symbol nicht zuletzt dadurch charakterisiert ist, daß es einen ‚eigentümlichen Inhalt‘, der der als Bedeutung hineinzuarbeitenden Vorstellung entspricht, hat und behält, ist das nichtsprachliche Zeichen nicht zuletzt dadurch charakterisiert, daß ihm ein, wie es bei Hegel hieß, anderer Inhalt, eine fremde Bedeutung als Seele eingearbeitet ist, und zwar entweder, wie im Fall des Adlers, der zum Hinweisschild umgearbeitet wird, nicht ohne Tilgung seines eigentümlichen Inhalts oder, wie im Fall der Pyramide, gleich durch Schaffen von etwas Nochnichtdagewesenem. Damit ist das Zeichen etwas von der Intelligenz - ich füge hinzu: und dem Körper - des Menschen Geschaffenes der Art, die sonst nur von Göttern oder, in Kulturen mit monotheistischer Religion, von Gott Erschaffenem zuerkannt wird. Jetzt versteht man auch den empathischen Klang in jenem lapidaren Satz Hegels, den ich zu Beginn zitiert habe. Weil der Mensch im Zeichen etwas Beseeltes geschaffen hat, und zwar, jedenfalls in vielen Fällen, in dem vollen Sinne, daß er nicht nur den Stoff dieses Beseelten durch physische Arbeit gestaltet oder umgestaltet, sondern auch die Seele dieses Beseelten, die ja eine von der menschlichen Intelligenz geschaffene ist, und beides, Stoff und Seele, ineinsgearbeitet hat, weil er also im Zeichen etwas geschaffen hat, dessen Erschaffung er nur seinen Göttern bzw. seinem Gott zugetraut hatte, muß das Zeichen für etwas Großes erklärt werden. Literatur Gutterer, Dietrich 1986: „Die Bedeutung von Hegels erstem zeichentheoretischen Hauptsatz für seine Charakterisierung des künstlerischen Bildes“, in: Paetzold (ed.) 1986: 115-129 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 6 1952: Phänomenologie des Geistes. Sämtliche Werke. Neue kritische Ausgabe vol. V, ed. Johannes Hoffmeister, Hamburg: Felix Meiner Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1961: Philosophische Propädeutik. Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 20 Bänden, vol. 3, ed. Hermann Glockner, Stuttgart-Bad Cannstadt: Fromann Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1965: System der Philosophie. Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 20 Bänden, vol. 8, ed. Hermann Glockner, Stuttgart-Bad Cannstadt: Fromann Paetzold, Heinz (ed.) 1986: Modelle für eine semiotische Rekonstruktion der Geschichte der Ästhetik, Aachen: Rader 1 Gérard Deledalle, Théorie et pratique du signe, Introduction à la Sémiotique de Charles S. Peirce, Paris, Payot, 1979. 2 This is the proper way of writing as Peirce conceived it. The word should be pronounced, according to Peirce “s m o’tic” (5.484). [All references to Peirce’s writings are to the Collected Papers, Harvard University Press, vol. I-VI, Hartshorne and Weiss eds, 1931-1935; vol. VII-VIII, Burks ed, 1958; with two sets of figures, the first one for the volume, the second one for the paragraph in the volume.] 3 See my Philosophie américaine, Lausanne, L’Age d’Homme, 1983. Charles Sanders Peirce (1839-1914) Peirce and Semiotic - an Introduction Gérard Deledalle I am not going to re-state what I have already said elsewhere 1 , and give a formalized account of my reading of Charles S. Peirce as the founder of semiotic 2 . What I should like to do is to devote my paper to a historical presentation of the main ideas which led Peirce to semiotic. I will be concerned, respectively, with the conceptions of categories, signs, meaning, logic and semiotic. Although my way of dealing with these conceptions will be historical, I want to insist that I do not consider Peirce as a historical monument, but as a living thought which helps us to deal with, or even sometimes solve, a lot of problems of our time. In order to understand the living Peirce, we have to insert him in the intellectual context in which he produced his philosophy. In short, his thought was formed in reaction to European philosophy. That is why Peirce is, to my mind, the symbol or, better, the emblem of American philosophy 3 . K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen ī ē “semiotic” “semiotic” Gérard Deledalle 186 The papers I am going to use to stress some characteristics of Peirce’s thought are proofs of what I am suggesting: 1. “On a New List of Categories” of 1867 is aimed at Aristotle and Kant; 2. “Questions Concerning Certain Faculties Claimed for Man” and “Some Consequences of Four Incapacities” of 1868 are against Descartes and Kant; 3. “How to Make Our Ideas Clear” of 1878 is anti-Cartesian; 4. In 1880, 1883 and 1885, Peirce published several papers aimed at replacing Aristotelian logic by a new logic which could fit his new theory of categories and be a genuine logic - which Aristotle’s was not - that is, a semiotic. 1 Categories Let us start with the problem of categories. According to Aristotle, there are ten categories which are Essence or, rather, Substance, Quantity, Quality, Relation, Place, Time, Position, State, Activity, Passivity. That there is a need for categories to understand or, in other words, organize mentally the world we are living in, is a fact. And Aristotle answered that need. But what are those categories? Conceptions? Yes, certainly. Conceptions of what? Of things? Probably so, although what is classified could be the signs of things rather than the things themselves. In any case, one can see through them a grammatical model rather than an ontological model. That did not raise any problem for Aristotle nor for generations of logicians until the end of the XIXth century. Kant had no objection to that either and his own categories - if they are an improvement on Aristotle’s - are themselves grammatico-logical categories. Here is the list of categories given by Kant in Critique of Pure Reason: Categories of quantity: Unity, Plurality, Totality; Categories of quality: Reality, Negation, Limitation; Categories of relation: Substance and accident, Causality and dependence, Community (Interaction); Categories of modality: Possibility - Impossibility, Existence - Non-existence, Necessity - Contingency. They correspond to the “logical function of the understanding in judgments”. (It is the title of the section in which Kant gives his classification of judgments.) Quantity: Universal, Particular, Singular; Quality: Affirmative, Negative, Infinite; Relation: Categorical, Hypothetical, Disjunctive; Modality: Problematic, Assertoric, Apodeictic. In both lists of categories, Aristotle’s and Kant’s, there is an unsolved problem, according to Peirce who tries to answer it in his paper of 1867: “On a New List of Categories”. Peirce agrees with Kant that the function of conceptions is to reduce the manifold of sensuous impressions to unity and that the validity of a conception consists in the impossibility of reducing the content of consciousness to unity without the introduction of it (1.545). He also agrees with Kant that “the unity to which the understanding reduces impressions is the unity of a proposition (1.548).” However that does not explain how we pass from being to substance. If we say The stove is black, the stove is the substance. How can we differentiate it from blackness? To say ‘is Peirce and Semiotic - an Introduction 187 black’ does not help. The stove is already a black substance. “Thus substance and being are the beginning and end of all conception. Substance is inapplicable to a predicate, and being is equally so to a subject (1.548).” How can we solve the problem? Peirce proposes a device which was to become instrumental to his new conception of the nature of categories. Let us first take a close look at the device. There are, Peirce says, three kinds of distinctions: discrimination, dissociation and precision. Discrimination is a mental distinction, which depends on the meaning given to the terms to be distinguished. Dissociation, although also mental, is, so to speak, a quasi-physical distinction, because it rests on something, which is less conventional, something which is rather imposed on our minds by the laws of association of ideas. Precision or pre-scission from the Latin prae-scindere is “the act of supposing (whether with conciousness of fiction or not) something about one element of a percept, upon which the thought dwells, without paying any regard to other elements (1.549 note 1).” Peirce applies the above distinctions to red and blue, color and space. One can discriminate red from blue, space from color, color from space, but not red from color. One can dissociate red from blue, but not space from color, nor color from space, nor red from color. One can prescind red from blue, space from color, but not color from space, nor red from color. To understand the last process, one has to bear in mind that it is not a “reciprocal process” (1.549); it implies “a conception of gradation” (1.546). Here lies the origin of what I call the principle of the hierarchy of Peirce’s three categories. Let us consider, instead of red or blue, color and space, the relations of A, B and C in that order. If, through precision, we take A without B and C, we can prescind A from B and C; if we take A and B without C, we can prescind A and B from C, but not B from A; if we take A, B and C, we cannot prescind C from B and A, nor B from A. Peirce’s problem in reading Kant was that there was no way of passing from being to substance. Thanks to precision, Peirce has now got hold of the solution. Not only can being and substance be differentiated, but they can be united through three gradated steps which are the three intermediate conceptions or categories of 1867, and which will later become the three phenomenological or phaneroscopical categories, respectively called Firstness, Secondness and Thirdness. Let us remark that Peirce’s categories were not intended to replace Aristotle’s and Kant’s categories. Although all of them will enter one or the other of the three Peircean categories, they will be no longer a way of uniting conceptions from outside, they will become the unifying categories, not of thought alone, but of and in the universe. In 1867, the three intermediate categories are first quality, second relation, third representation. 1. Quality. The first intermediate conception is quality or what Peirce called, at the time, reference to a ground. In the proposition ‘The stove is black’, blackness is the quality or ground, not the ‘black’ of this stove, but ‘blackness’ as “a pure species or abstraction [precision] and its application to this stove is entirely hypothetical. Reference to a ground cannot be prescinded from being, but being can be prescinded from it (1.551).” 2. Relation. However, if we can assert the proposition ‘The stove is black’, it is because we know that this stove is black and not white or red. “We can know a quality only by means of its contrast with or similarity to another (1.552).” The occasion of the introduction of the conception of reference to a ground is therefore the reference to a correlate. “Reference to a correlate cannot be prescinded from reference to Gérard Deledalle 188 a ground, but reference to a ground may be prescinded from reference to a correlate (1.552).” 3. Representation. “The occasion of reference to a correlate is obviously by comparison (ibid.).” For instance, Peirce says, suppose we look up the word homme in a French dictionary; we shall find opposite to it the word man which, so placed, represents homme as representing the same two-legged creature which man itself represents (ibid.). And the same thing implies to every comparison: “Every comparison requires […] a mediating representation which represents the relate to be a representation of the same correlate which the mediating representation itself represents (ibid.).” Such a mediating representation, Peirce calls an Interpretant, because it fulfills the office of an interpreter, who says that a foreigner says the same thing which he himself says (ibid.). Every reference to a correlate, then, conjoins to the substance the conception of a reference to an Interpretant (ibid.). And this is the third conception required to pass from being to substance. “Reference to an interpretant cannot be prescinded from reference to a correlate”, (ibid.)”, but reference to a correlate can be prescinded from reference to an Interpretant (1.553). The five conceptions thus obtained […], Peirce concludes, may be termed categories. That is Being - Quality (reference to a ground) - Relation (reference to a correlate) - Representation (reference to an Interpretant) Substance The three intermediate conceptions may be termes accidents (1.555). The intermediate conceptions are properly speaking the new categories, which will be named, as we have already said, Firstness, Secondness and Thirdness. And the reason for thus naming them is in the idea of precision, which is at the root of the hierarchy of categories. Since no one of the categories can be prescinded from those above it, the list of supposable objects which they afford is What is Quale (that which refers to a ground) Relate (that which refers to ground and correlate) Representamen (that which refers to ground, correlate and Interpretant) It” (1.557). The categories are described as ordinal and not cardinal: a Quale which is the object of Quality, a First, refers to one thing, its ground; A Relate, which is the object of Relation, a Second, refers to two things, its ground and its correlate; a Representamen, which is the object of Representation, a Third, refers to three things, its ground, its correlate and its Interpretant. This is the first expression of Peirce’s phenomenology or phaneroscopy. Later on, a First, although still a “quality” or “First” is the only element “upon which the thought dwells without paying any regard to” its relation with something and to its representation, it is prescinded from everything and therefore can only be possible - the object of which is a Peirce and Semiotic - an Introduction 189 monad; a Second, although still a “relation” will be defined, not as a “mental relation” or relation rationis from which it can be prescinded, but as an existential or de facto, hic et nunc relation, - the object of which is a dyad; a Third, although still a “representation”, will be more expressly characterized for what it is: the expression of the law of unification of the three “conceptions”, - the object of which is a triad. The same paper “On a New List of Categories” of 1867, contains also a schematic theory of signs, which cannot yet be called semiotic, because it lacks the triadic logic of its phenomenology. There are, Peirce says, three kinds of representations: 1. Likenesses (later termed icons); 2. Indices or signs; 3. Symbols or general signs (1.558). Let us note that, properly speaking, only the relations of signs with their objects are given here - the divisions of signs as they are in themselves and as they are according to their interpretants, are missing. Moreover and more essentially, the trichotomization of the relations of signs with their objects does not depart from the dualistic conception of Aristotle’s and Kant’s logic: the third distinction in the sense of discrimination (symbols) is the second generalized. 2 Signs versus Intuition The second series of papers I want to mention (“Questions Concerning Certain Faculties Claimed for Man” and “Some Consequences of Four Incapacities”), is of 1868. It is a very important series for our purpose. Peirce states against Descartes and Kant that “we have no power of Introspection, but all knowledge of the internal world is derived by hypothetical reasoning from our knowledge of external facts”; that “we have no power of Intuition, but every cognition is determined logically by previous cognitions”; that “we have no power of thinking without signs”; and, especially against Kant, that “we have no conception of the absolutely incognizable” (5.265). I do not want to elaborate. Suffice it to say that we have here the reason why Peirce’s semiotic is not a semantics. Meaning is not something that signs produce. It is obtained in another way “by collateral experience”, although it can be communicated only by signs. 3 Action: Belief and Meaning Between 1868 and 1878, Peirce travelled in Europe for the U.S. Coast and Geodetic Survey. At that time, he no longer seemed to be interested in semiotic. The most important papers he published at the end of this period are apparently not concerned with semiotic. They are “The Fixation of Belief” (1877) and “How to Make Our Ideas Clear” (1878). The second one was written directly in French by Peirce on his journey to Europe in 1877. They are both anti- Cartesian. They are the founding papers of pragmatism, namely pragmaticism as a theory of inquiry and pragmatism as a theory of meaning (not truth, as James thought it was). According to Descartes, we have to start with a methodological doubt. Peirce replies that we have to start with doubt only when there is something to doubt about and if and only if the doubt is genuine. This is not new. Peirce had already said in the second article of 1868: Gérard Deledalle 190 We cannot begin with complete doubt. We must begin with all the prejudices which we actually have when we enter upon the study of philosophy. These prejudices are not to be dispelled by a maxim. […] and no one who follows the Cartesian method will ever be satisfied until he has formally recovered all those beliefs which in form he has given up. […] Let us not pretend to doubt in philosophy what we do not doubt in our hearts (5.265). Doubt is then, Peirce says in 1877, “an uneasy and dissatisfied state from which we struggle to free ourselves and pass into the state of belief” (5.372). Of course, not James’ will to belief, but the right to belief of the scientific inquirer. And what is this belief? “It is”, Peirce says, “the demi-cadence which closes a musical phrase in the symphony of our intellectual life.” It does not only appease “the irritation of doubt”, it also involves “the establishment in our nature of a rule of action, or, say for short, a habit. But, since belief is a rule for action, the application of which involves further doubt and further thought, at the same time that it is a stopping-place, it is also a new starting-place for thought” (5.397). It is a good enough description of what Peirce will later call a semiosis. The second anti-Cartesian attack concerned the “clarity and distinctness” of ideas. As they cannot be self-evident, according to Peirce, we must find another way of distinguishing an idea which is clear from an idea which appears clear. The rule of action applies here again perfectly. To develop [the] meaning [of an idea], we have, therefore, simply to determine what habits it produces, for what a thing means is simply what habits it involves. […] there is no distinction of meaning so fine as to consist in anything but a possible difference of practice (5.400). Hence the pragmatic maxim: “Consider what effects, that might conceivably have practical bearings, we conceive the object of our conception to have. Then, our conception of these effects is the whole of our conception of the object” (5.402). From now on, the method of putting an idea to a test (a public test) to “know” “clearly and distinctly” what it means will be the rule in all fields of science from physics (from the experimental method of which the pragmatic maxim is the philosophical corollary) to linguistics. Dewey, Mead, Bridgman, Wittgenstein are among the philosophers who followed the Peircean lead and advocated the pragmatic rule. John Dewey: “Let us […] follow the pragmatic rule, and in order to discover the meaning of the idea ask for its consequences” (Reconstruction in Philosophy, 1920; enlarged ed., 1948, p. 163). George H. Mead: “The meaning of a chair is sitting down in it, the meaning of the hammer is to drive a nail” (Mind, Self and Society, 1934, p. 104). Percy W. Bridgman: “The true meaning of a term, is to be found by observing what a man does with it, not by what he says about it” (The Logic of Modern Science, 1927, p. 3). Ludwig Wittgenstein: “If a sign is useless, it is meaningless. That is the point of Occam’s maxim [and Peirce’s]. (If everything behaves as if a sign had meaning, then he does have meaning)” (Tractatus logico-philosophicus, 3.328). “The meaning of a word is its use in the language” (Philosophical Investigations, § 43). 4 A new logic for semiotic One reason why Peirce stopped writing on his theory of signs, was that he was not satisfied with the logic (Aristotelian and Kantian) he had at his disposal. As I have already pointed out, Peirce thought right from the beginning that three kinds of signs were necessary: similarities, Peirce and Semiotic - an Introduction 191 4 See Peirce, ed., Studies in Logic, By Members of the Johns Hopkins University, Boston, 1883; new ed. in Achim Eschbach’s Foundations of semiotics, with an introduction by Max H. Fisch, Amsterdam, Benjamins, 1983. indices, symbols, but symbols were only generalized indices, and the theory did not differ from the classical theories of signs; its logic was a dualistic one: things on one side, ideas on the other. From 1880 to the end of the century, Peirce worked on a new logic which was to become his “logic of relatives” where up to three terms could be related. At the same time, he built a new propositional logic, including the Philonian function and a new logic of terms for which he invented, with O. Mitchell, the quantifiers 4 . With the new logical tools he had designed for himself, Peirce was then ready at the end of the century to work at his new theory of signs, which he called “semiotic”. Why “semiotic”? I should like to conclude the present introduction by answering this question and another one: Why does Peirce say that semiotic is the “quasi-necessary, or formal, doctrine of signs? (2.227) In other words, what is semiotic? If it is true that Peirce says that semiotic is the “quasi-necessary, or formal, doctrine of signs”, he does not give to “formal” the meaning we give to the word to-day, in spite of the fact that he was, as I have just said, a pioneer in formal logic. Here is what Peirce wrote in 1898: After trying to solve the puzzle [of a larger system of conceptions than Kant’s list of categories] in a direct speculative, a physical, and a psychological manner, I finally concluded the only way was to attack it as Kant has done from the side of formal logic (1.563). Of course, Kant’s logic is formal like Aristotle’s, but not in the sense of “algebraic logic” or “logistic”. It is formal because Kant and Aristotle were concerned with the “forms” of reasoning. Thus, is semiotic a theory of signs or a theory of reasoning? My answer is that it is both, but firstly a theory of reasoning and secondly a theory of signs. It is a theory of reasoning. Peirce says that semiotic is “the doctrine of the essential nature and fundamental varieties of possible Semiosis” (5.488). Peirce borrowed the word from Philodemus, whose theory was that a “semiosis” is a type of reasoning, an “inference from signs” which involves, as Peirce describes it, “a cooperation of three subjects, such as a sign, its object, and its interpretant, this tri-relative influence not being in any way resolvable into actions between pairs” (5.484). But semiotic is also a theory of signs because the three “subjects” of any Semiosis can be formally analysed as signs, be it only because a semiosis is an inferential process triggered off by a sign. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! Monika Schwarz-Friesel Sprache und Emotion UTB M XIV, 410 Seiten ! " ISBN 978-3-8252-4039-4 Emotionen sind für das menschliche Leben und Erleben konstitutive Phänomene: Sie bestimmen maßgeblich unsere Bewusstseins-, Denk- und Handlungsprozesse. Mittels der Sprache werden Emotionen ausgedrückt und benannt, geweckt, intensiviert oder generiert. Das vorliegende Buch zeigt, wie vielfältig die sprachlichen Möglichkeiten sind, unserer Gefühlswelt Ausdruck zu verleihen. Emotion wird zunächst als mehrdimensionales Kenntnis- und # $ % & ' rativer Ansatz vorgestellt, demzufolge Sprache, Kognition und Emotion relevante Schnittstellen haben. Anhand innovativer Fallstudien werden die textuellen Manifestationen zentraler Gefühle erörtert, die eine besonders intensive Symbiose von Emotion und Sprache aufweisen: Angst, Trauer, Liebe, Verzweiflung und Hass. * / 3 %6 ' tualisiert. 1 Die folgenden Ausführungen sind eine grobe Skizze der Ergebnisse eines Teils meiner umfangreichen Studien zur Geschichte der Signifik (vgl. auch Schmitz 1983; 1984; 1985a). Die zu diesem Zwecke erforderlichen Archivstudien in Kanada, England und den Niederlanden wurden mir durch eine finanzielle Unterstützung von Seiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht, der ich dafür danken möchte. (Eine erste Version des Victoria Lady Welby (1837-1912) Lady Welby über Zeichen und Bedeutung, über Kontext und Interpretation H. Walter Schmitz And let us see that our interpretation is really scientific, that is, stands every test which we can learn to apply (Welby 1906: 4). Die großen und weitgreifenden philosophischen Diskurse über Hermeneutik haben in den letzten Jahren eine zunehmende Neigung gezeigt, über einige Grundlagenfragen von Bedeutung und Interpretation so hinwegzusehen, als wären sie hinreichend geklärt, um stillschweigend vorausgesetzt oder mit allgemeinen Verweisen abgehandelt werden zu können. Dabei scheint jedoch der generelle Dissens schon durch die abstrakten Traktate hindurch, wenn über Verstehen und Interpretation in Alltagsgesprächen gesprochen wird, und er wird umso offensichtlicher, je weiter man sich von dieser primären Situation und Erfahrung zwischenmenschlicher Verständigung entfernt und schließlich über das Verstehen historischer Texte mit langer Rezeptionsgeschichte handelt. 1 K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen H. Walter Schmitz 194 vorliegenden Textes wurde vorgetragen und diskutiert auf dem IV. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS) e.V., München 1984.) 2 Zu Lady Welby und ihrem zeichentheoretischen Ansatz vgl. Eschbach (1983), Hardwick (1977) und Schmitz (1983; 1985a). Darüber hinaus hat sich zwar auch E. Walther (1983) mit der Signifik Lady Welbys und ihrer Nachfolger in der signifischen Bewegung in den Niederlanden befasst, doch lassen ihre Ausführungen nicht einmal ein hinreichendes Verständnis der drei Artikel von Lady Welby und Mannoury erkennen, auf die sie sich dabei bezieht. Derartige Schnellgriffe in die Wissenschaftsgeschichte müssen letztlich Fehlgriffe bleiben. Walther bezieht sich nämlich ausschließlich auf Artikel aus den 1890er Jahren (Welby 1893; 1896), also einer Zeit, in der Lady Welby noch gar keine nähere Bestimmung der Signifik und der zentralen zeichentheoretischen Termini erreicht hatte. Nicht zuletzt deswegen können die „Mängel und Fehler, Naivitäten und Fehlinterpretationen“, die Walther (1983: 411) Lady Welby zuschreibt, nur einem vorgeworfen werden, nämlich Elisabeth Walther. Die Entstehungsgeschichte der Signifik Victoria Lady Welbys (1837-1912) ist eines der Beispiele für eine Gedankenentwicklung in umgekehrter Richtung. Denn Lady Welbys Ausgangspunkt zu Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts sind theoretische und methodologische Probleme, auf die sie in ihrem Bemühen um eine zeitgemäße Bibelinterpretation stößt, und die Auseinandersetzung damit führt sie schließlich im Laufe von 15 Jahren zur Erörterung von Grundlagenfragen zeichentheoretischer Natur. 2 Denn bei der Wahl und Begründung ihres Verfahrens der Bibelinterpretation erkennt sie, dass man sich nicht auf das scheinbar klare und einfache „‚plain, common-sense meaning‘“ (Welby 1883: 44) von Äußerungen oder Texten verlassen kann, da sie oft irreführend sind wie überhaupt viele überkommene Worte der Sprache und ihr Gebrauch. Wird nun die ohnehin unzulängliche Sprache, so wie sie uns zur Verfügung steht, verwendet, um über das Nicht-Menschliche, das Göttliche, zu sprechen, dann wird umso deutlicher, wie eng mit Worten und sprachlichen Bildern tradierte Vorstellungen verbunden werden, die schon unserem gegenwärtigen Erkenntnisstand widersprechen und erst recht einer angemessenen Sicht des Göttlichen im Wege stehen. Aus diesem Grunde, so Lady Welby, können einige der größten Wahrheiten auch nicht durch menschliche Worte ausgedrückt werden, es sei denn durch das Mittel der Paradoxie. Deshalb gehöre zu der dem Menschen abverlangten Schulung nicht nur die Wahlmöglichkeit im Handlungsbereich, sondern ebenfalls die auf dem Gebiet der Interpretation: „[…] that there should be test, alternative meaning, choice of readings, progress in discernment, alike in nature-revelation and word-revelation, as there is choice of good and evil“ (Welby 1883: 314; Hervorh. im Original). Es kann daher keine endgültige Interpretation der Bibel geben, sondern nur immer neue und zeitgemäße wie zeitgebundene Annäherungen, in denen das, was wir mit solchen Worten zu meinen pflegen, durchbrochen werden muss, um zu dem zu gelangen, was als Bedeutung intendiert sein könnte (1883: 166f., 44). Folglich sind Wahrheiten immer nur gemäß den in einer Epoche gegebenen Erkenntnismöglichkeiten erreichbar und durch die vorhandenen Darstellungs- und Ausdrucksmittel formulierbar (1883: 104). Mit diesen Überlegungen sind zugleich die Arbeitsschwerpunkte der folgenden Jahre vorgegeben: Sprach- und Terminologiekritik, die zentrale zeichentheoretische Frage „What is Meaning? “ (vgl. Welby 1903), verbunden mit dem Problem der Zeicheninterpretation, und schließlich das kommunikationsethische Erfordernis einer Schulung in Zeichengebrauch und Zeicheninterpretation. Zudem wird vor diesem Hintergrund verständlich, dass sich Lady Welby bis auf eine Textstelle (Welby 1897: 43) stets nur mit zweistelligen Zeichenrelationen innerhalb ihrer Signifik befasst, nämlich den Beziehungen des Zeichens zu „sense“, „meaning“ und „significance“. 1902 bestimmt sie den Gegenstandsbereich der Signifik ent- Lady Welby über Zeichen und Bedeutung, über Kontext und Interpretation 195 3 Aus einem Brief Lady Welbys an Alfred Sidgwick von August 29th. 1908; er befindet sich in der Welby Collection der York University Archives, Downsview, Ont., Kanada. sprechend: „Significs treats of the relation of the sign in the widest sense to each of these [sense, meaning, significance; HWS]“ (Welby, Stout & Baldwin 1902). Und über „sense“, „meaning“ und „significance“ heißt es dort: „It will be seen that the reference of the first is mainly verbal (or rather SENSAL, q.v.), of the second volitional, and of the third moral (…)“ (ibid.). Die Besonderheit von Lady Welbys Verwendung des Terminus sense liegt darin, dass abweichend vom Alltagssprachgebrauch, aber auch anderes als im wissenschaftlichen Bereich (etwa „Sinn” bei Frege), bei ihr stets die Etymologie dieses Ausdrucks und damit sein umfassendstes Bedeutungsfeld mitgedacht werden. Ihr „sense“-Begriff ist im Wesentlichen organismisch. Evolutionstheoretisch ist Anpassung die Bedingung von Erfahrung, und „sense“ ist das typische Mittel der Anpassung. Daher ist für Lady Welby „sense in all ‚senses‘ of the word“ (1903: 27) der passende Terminus für das, was den Wert von Erfahrung in diesem Leben und auf diesem Planeten ausmacht. Trotz der Ausdifferenzierung von Sinn beim Menschen in spezielle Sinne mit ihren stark variierenden Reaktionstypen bleibt „sense“ ein „organic response to an environment“ (Welby 1911a: 79), also weitgehend eine Funktion des Instinkts bzw. der unmittelbaren spontanen Reaktion. Der Wert der Erfahrung besteht also in der Art der organischen Reaktion auf einen Reiz, die zugleich eine durch die Physiologie der menschlichen Sinne geprägte Interpretation bzw. „Übersetzung“ des Reizes ist. In diesem Zusammenhang ist relevant, dass Lady Welby „value“ auch dann in diesem Sinne versteht, wenn sie vom „value of ‚experience‘“ (1903: 27) oder, bezogen auf „sense“, „meaning“ und „significance“, von „expression-values“ (1911a: 79) spricht. Nach dieser allgemeinen Bestimmung der Beziehung zwischen Zeichen und „sense“ wird also einem Stimulus aus der Umgebung des Organismus, dem Zeichen, eine unmittelbare spontane Reaktion des Organismus als Wert (i.e. „Implication, indirect Reference, or intimate Response“) 3 zugeordnet. Daneben gibt es bei Lady Welby eine spezifischere Bestimmung aus kommunikativer Betrachtungsweise (cf. Ungeheuer 1970), in der „sense“ als Ausdruckswert sprachlicher oder nonverbaler Zeichen mitbestimmt ist durch die spezifische Verwendungsweise des Zeichens, also durch „the circumstances, state of mind, reference, ‚universe of discourse‘ belonging to it“ (Welby 1903: 5). Denn ein Wort als solches z.B. hat für Lady Welby nicht einen bestimmten Sinn, sondern es erhält seinen bestimmten Sinn nur durch seine Verwendung in einer konkreten Situation und in einem spezifischen Kontext. An Alfred Sidgwick schreibt sie darüber: 3 The ‘sense’ of a statement, rather the sense in which a statement is made (an important difference for Significs) is, I imagine, one which may, like Intention, be deliberately conveyed, but which also, unlike Intention, may be unconsciously and even unwillingly suggested. The sense in which one holds a given view may be called its mental direction, context, or environment: and perhaps few of us fully realise thus the full or special sense in which their expositions or contentions are taken by their readers or hearers. ‘It was plain what he meant’, says one: ‘Yes’, says another, ‘but he did not mean it in your sense. You forget that you are a Geologist and he is an Admiral’. The Geologist perhaps retorts, and this may start an interminable argument. In reading we don’t even get this chance of ‘clearing the air’ (Hervorh. im Original). Aus dieser Perspektive ist es nur folgerichtig, wenn die Wahrheit einer Aussage nach Lady Welby vom Sinn abhängig ist, in dem sie gemacht wird, und nicht von formaler Genauigkeit H. Walter Schmitz 196 und Klarheit (Welby 1903: 120). Und verständlich wird nun auch, was Lady Welby an Russell (Nov. 14th. 1905) schreibt, wobei sie dessen bekanntes Beispiel aus „On Denoting“ (Russell 1905) aufgreift: „[…] in speaking of the ‘present King of France’ as bald, we intend to convey what is sheer mistake or sheer nonsense. That is, it is not meaningless (or purposeless) but senseless.“ (Hervorh. im Original) Oder in anderen Worten: Was wir mitzuteilen beabsichtigen, ist in keinem Sinne wahr, aber nicht bedeutungslos. „Sense“ ist also in der allgemeineren wie in der spezifischeren Bestimmung nach Lady Welby die zeichenvermittelte Bezugnahme auf die sinnlich erfahrbare Realität oder genauer: auf frühere, gegenwärtige oder potentiell machbare Erfahrung. Dabei ist Zeichen hier und auch sonst bei Lady Welby ganz allgemein ein Objekt, das für etwas anderes steht: „[…] a sign always stands for something“ (Welby 1903: 311). Über „meaning“ heißt es in Lady Welbys drittem Buch, in What is Meaning? (1903: 5): „The Meaning of a word is the intent which it is desired to convey - the intention of the user.“ Und an anderen Stellen wird „meaning“ als „volitional, intentional, purposive, rationally idealised sense“ (1903: 27) oder kurz als „intended sense“ (1903: 69) bezeichnet. In Lady Welbys Lexikonartikel über „Significs“ von 1911 heißt es dann: „But ‚Sense‘ ist not in itself purposive; whereas that is the main character of the word ‚Meaning,‘ which is properly reserved for the specific sense which it is intended to convey“ (1911a: 79; Hervorh. im Original). „Meaning“ wird also vornehmlich kommunikativ bestimmt als der „expression-value“ eines absichtlichen und willentlichen Zeichengebrauchs, dessen Wert in der Mitteilungsabsicht, in der Intention des Sprechers oder Schreibers besteht. Damit ist „meaning“ genauso wenig wie „sense“ identisch mit dem linguistischen Lexikoneintrag, es kommt nicht dem Wort als im Sprachschatz vorhandenen Zeichen zu, sondern es ist allein der Sinn, den ein Kommunikator in einer konkreten Kommunikationssituation unter Verwendung eines Wortes oder allgemein einer Äußerung mitzuteilen die Absicht hat. „Meaning“ eines verwendeten Zeichens ist aber nicht identisch mit dem Sinn, in dem das Zeichen verwendet wird, und „meaning“ einer Äußerung kann auch nicht auf die Summe der Sinne reduziert werden, in denen die einzelnen Zeichen, aus denen die Äußerung zusammengesetzt ist, verwendet werden. Denn die Intention des Sprechers umfasst mehr, als in noch so vielen Worten geäußert werden könnte. Eine Äußerung im Sinne des Sprechers zu verstehen bildet erst die Grundlage für die interpretatorische Konstruktion der mit dieser Äußerung verbundenen Mitteilungsabsicht. „Meaning“ kommt jedoch nicht nur in kommunikativer Absicht geäußerten Worten zu, sondern jeglichem Geschehen, in dem man wie in Handlungen einen Willen oder eine Intention am Werke sehen kann. Der dritte Ausdruckswert von Zeichen, „significance“, wird von Lady Welby in folgender Weise bestimmt: „As including sense and meaning but transcending them in range, and covering the far-reaching consequence, implication, ultimate result or outcome of some event or experience, the term ‚Significance‘ is usefully applied“ (1911a: 79). Nach diesen Bestimmungsstücken von „significance“ besteht dieser „expression-value“ in jeder Art von durch den Hörer oder Leser erschließbaren Konsequenzen aus den verstandenen Zeichen, unabhängig davon, ob der Sprecher oder Autor diese Konsequenzen vorhersah, beabsichtigte, nachträglich erkannte oder nicht. Denn dass „significance“ „sense“ und „meaning“ einschließt, kann eigentlich nur heißen, dass die Schlussfolgerungen und Wertungen des Hörers/ Lesers bei dem ermittelten „sense“ und beim unterstellten „meaning“ ansetzen. Denn für den Hörer z.B. hat der geäußerte Laut des Sprechers nur Wert als Zeichen, und dieser Wert Lady Welby über Zeichen und Bedeutung, über Kontext und Interpretation 197 ist ihm als „sense“ oder „meaning“ gegeben. In diesem Sinne ist auch „significance“ so wie „sense“ und „meaning“ vor allem kommunikativ bestimmt. Daneben aber gibt es vornehmlich in Lady Welbys späteren Schriften eine allgemeinere Verwendung das Ausdrucks „significance“, die nicht mehr notwendigerweise „sense“ und „meaning“ einschließt. In diesem Sinne kommt „significance“ jedem Zeichen qua Zeichen zu und steht somit für die prinzipielle Möglichkeit und Notwendigkeit von Zeicheninterpretation überhaupt. Denn jeglicher Impuls und Eindruck, jede Erscheinung und jeder Stimulus für Aufmerksamkeit und Handlung hat in diesem allgemeinen Sinne für den Menschen einen verweisenden oder zumindest indikativen oder implikativen Wert und ist daher als Zeichen aufzufassen, dem als Wert „significance“ beizumessen ist (cf. Welby 1977: 182f.). Will man Lady Welbys zeichentheoretische Termini zu denen aus anderen zeichentheoretischen Ansätzen in Beziehung setzen, so kann man darauf hinweisen, dass der Triade „sense“, „meaning“, „significance“ in der niederländischen Signifik die Unterscheidung zwischen „indikativen“, „volitionalen“ und „emotionalen“ Bedeutungselementen weitgehend entspricht (cf. Schmitz 1984b). Peirce ist selbst die Ähnlichkeit zwischen „sense“ bei Lady Welby und seinem „immediate interpretant“ sowie eine etwas begrenztere Entsprechung zwischen „significance“ und seinem „final interpretant“ aufgefallen, während sich „meaning“ und sein „dynamical interpretant“ in ihrer Bestimmung erheblich unterscheiden (cf. Peirce & Welby 1977: 109-111). Im Gegensatz zu anderen zeichentheoretischen Ansätzen - und hier ist Peirce einzuschließen - geht Lady Welby allerdings nicht von Definitionen einer Klasse von Objekten aus, die als Zeichen begriffen werden sollen, um dann die Beziehungen zu untersuchen, in die solche Objekte oder Zeichen mit jeweils bestimmten Merkmalen eintreten können. Sie beginnt sozusagen von der anderen Seite und konzentriert sich auf das Problem der Bedeutung, also auf Fragen der Interpretation und der kommunikativen Verwendung von Zeichen, und das in Verfolgung theoretischer und praktischer Absichten. Hierin liegen das Besondere und das eigentliche Verdienst ihrer Überlegungen. Lady Welbys zeichentheoretischer Beitrag zum Problem der Interpretation ist durchgängig eng verknüpft mit ihren sprachtheoretischen oder sprachphilosophischen Auffassungen, die von gleichrangiger Bedeutung sind, und sie führen uns auch zu ihren Betrachtungen über Funktionen des Kontextes im Interpretationsprozess. Lady Welbys Sprachkritik ist seit Beginn der 1880er Jahre eine Kritik überkommener Formen des Sprachgebrauchs, soweit sie sich als Begrenzungen und Einengungen von Ausdrucks- und Mitteilungsbedürfnissen erweisen oder mit Bedeutungen, Vorstellungen oder Assoziationen verbunden sind, die vor dem Hintergrund der jeweils neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse oder nach den Ergebnissen signifischer Analysen unhaltbar geworden sind. Sprachkritik und das Aufbrechen sprachlicher Rigidität sind zudem deswegen notwendig, weil die vorgegebene Sprache das Denken beeinflusst und manchmal sogar paralysiert (cf. Welby 1911b: 37). Daraus darf allerdings nicht gefolgert werden, Lady Welby unterstelle einen Stabilismus der Beziehung zwischen Zeichen und deren Bedeutungen, die dazu auch noch fest umgrenzt und determiniert wären. Sie verwendet vielmehr stets eine organische Analogie für Sprache und betont die Plastizität und Flexibilität der Sprache, soweit sie ihr gegeben erscheint, und fordert sie, wo sie durch Formen der Sprachverwendung und inadäquater Sprachbetrachtung verlorengegangen ist. Plastizität ist ihr eine notwendige Qualität der Sprache, wenn diese ein geeignetes Mittel bleiben soll, die Vielfalt sich ändernder Erfahrungen in ständig wechselnden Situationen aus der Perspektive unterschiedlichster Individuen zum Ausdruck zu bringen. Worte teilen zudem das Leben der Gesellschaft, zu deren Sprache sie gehören, und müssen sich daher hinsichtlich ihrer Bedeutungen dem Wandel des Erkenntnisstandes dieser Gesell- H. Walter Schmitz 198 4 Zur wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung der These von der durchgängigen Tropisierung der natürlichen Sprachen vgl. Ungeheuer (1980a; 1980b: 370; 1981) und Schmitz (1985b). schaft anpassen können. Plastizität ist somit erforderlich, wenn Sprache ein taugliches Mittel der Erkenntnis und der Mitteilung sein soll; und sie ist schließlich auch die Bedingung der Möglichkeit der Adaptation sprachlicher Zeichen und ihrer Verwendung an verschiedenartigste und veränderte Ziele und Zwecke. Von dieser Auffassung, die wohl als mobilistische Konzeption der Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung zu kennzeichnen ist, wird auch Lady Welbys Beurteilung von Ambiguitäten in der Sprache geprägt: Ambiguitäten sind zunächst einmal positiver Bestandteil einer jeden Sprache und machen einen Teil ihrer Anpassungsfähigkeit aus; negativ vermögen sich nur solche Ambiguitäten auszuwirken, die durch die mangelnde Einsicht der Kommunikationspartner in die unumgehbaren kommunikativen Gesetzmäßigkeiten entstehen oder nicht behoben werden können (Welby 1896: 194f.; 1903: 74-76). Dass weder die Konstruktion internationaler Hilfssprachen noch die Definition aller oder der wichtigsten Ausdrücke einer Sprache Ambiguitäten überhaupt oder in einer sinnvollen Weise beheben können, hat Lady Welby dabei sehr klar erkannt und herausgestellt (Welby 1896: 194). Eine weitere wesentliche These Lady Welbys ist die von der durchgehenden Tropisierung der Sprache, das heißt, aufgrund der Beobachtung der Verwendung und der Notwendigkeit von Figuren und Tropen in den natürlichen Sprachen sieht sie die lexiko-semantischen Grundrelationen der Sprache als dieselben an wie die, die im üblicherweise der Rhetorik zugeschlagenen Gebiet der Tropik vorausgesetzt werden. 4 Zwar sind aus ihrer Sicht zahlreiche Verwendungen von Tropen, Figuren und Vergleichen als irreführend, ungeeignet oder dem Erkenntnisstand der Wissenschaften widersprechend zu kritisieren, doch sie erkennt ihre Unumgehbarkeit, ihren bedeutenden Einfluss auf den diachronen und synchronen Wandel der Zeichen und ihre wesentliche Funktion im Prozess der Erkenntnisgewinnung (cf. Welby 1903: 34, 157; 1907: 399; 1911b: 13, 32). Dass darüber hinaus Analogien ebenfalls unumgehbar sind, erläutert Lady Welby mit folgendem Hinweis: […] the only method we have for most of our mental work, involved indeed in its primary presupposition, i.e. the likeness between our reader’s mind and our own. This we have to assume though we cannot prove it, or our writing becomes an absolute waste. No one can even controvert this statement, giving reasons for dissent, without the use of analogy (Welby 1903: 24f.). Wie aber soll angesichts dieser Auffassung von Sprache und der Konzeption eines grundsätzlichen Mobilismus bezüglich der Beziehung zwischen Zeichen und ihren Bedeutungen zwischenmenschliche Verständigung möglich werden? Welche Mittel stehen zur Verfügung, „sense“ und „meaning“ einer konkreten Äußerung näher zu bestimmen? Im Gespräch werden hierzu Situation, Begleitumstände der Rede, Intonation, Gestik, Mimik etc. und der Kontext genutzt. All dies sind Mittel des Testens von Annahmen und Interpretationen. Und so wie die fundamentale Analogie, die unterstellte „likeness between our reader’s mind and our own“ getestet und etabliert wird anhand ihrer Wirkungsweise und ihrer Ergebnisse, nämlich dem Verständigungsprozess und den resultierenden Modifikationen der Ziele, Auffassungen und Handlungen des anderen, so müssen ebenfalls die Brauchbarkeit anderer Analogien und der tropischen Ausdrücke, aber auch unsere Interpretationen getestet werden. Durchaus im pragmatistischen Sinne fordert Lady Welby einen „test by result“, „result on a living mind“ (1903: 120f.). Lady Welby über Zeichen und Bedeutung, über Kontext und Interpretation 199 5 „meaning“ ist hier im Sinne des zeichentheoretischen Terminus sense zu verstehen. Lady Welby hat selbst verschiedentlich auf die Ambiguität des Ausdrucks meaning im Englischen hingewiesen: In Fällen wie diesen hier wird der Ausdruck in der Bedeutung von „sense“ verwendet, in anderen hat er die Bedeutung von „intention“. Gleiches gilt vom Verb to mean. 6 Dieses Beispiel entstammt dem Buch „Bildgesegnet und bildverflucht“ von Jürgen Nieraad (1977: 3). Während in Gesprächen Rückfragen und Paraphrasen sowie außersprachliche Handlungszusammenhänge als Testmittel zur Verfügung stehen, sind wir bei der Interpretation von Texten allein auf den Text selbst angewiesen. Analog der Anpassung des Organismus an seine Umgebung versteht Lady Welby das wechselseitige Anpassungsverhältnis zwischen Wort und Kontext, durch das die jeweilige Bedeutung des einzelnen Wortes ebenso bestimmt werde wie die des Kontextes: But in any case it [context] is coercive: so much so that surely it would be wise to say that a certain word (with perhaps some few exceptions) has but a certain core of meaning, 5 from which indeed its variations in value must start. This of course is the condition of dictionary definition, which however itself leaves something to be desired. And above all it seems almost invariably forgotten that while we do, if we think of these things at all, make some allowance for the power of its context over the meaning 4 of a word, we rarely if ever make allowance for the power of a leading word in a sentence, a paragraph, a chapter on its context: although this corresponds to the influence of a ‚shibboleth‘ or partycry on a group of persons who are banded together in support of some ‚cause‘ (1901: 191; Hervorh. im Original). Da die Wirkung des Kontextes auf das einzelne Wort weithin unbestritten ist, möchte ich nur für die immer noch zu wenig beachteten Einflüsse des einzelnen Wortes auf den Kontext ein Beispiel geben: Der Satz von W. Benjamin „Die Quellen fließen nach Herzenslust, und wo sie sich zum Strome […] vereinigen, da tun sich schön tracierte Böschungen auf, zwischen denen er, so weit das Auge reicht, voll dahinströmt“ wird zu einer breit angelegten Metapher, wenn man, dem Original folgend, hinter „zum Strome“ die hier zunächst ausgelassenen Worte „der Überlieferung“ wieder einfügt. 6 Das Wort Überlieferung determiniert in diesem Falle also die Bedeutung des gesamten übrigen Satzes in hohem Grade. Doch wie stark die gegenseitige Determination von Wort und Kontext auch sein mag, die Wechselwirkung zwischen ihnen und die zwischen dem ganzen Text und seinen verschieden umfangreichen Teilen geben uns doch nie eine endgültige Sicherheit der gefundenen Interpretation. Jede Interpretation ist hypothetisch! „It serves us for working purposes, but that is all. Yet even so its credentials are better than any ‚Foundations‘ could be, as they vindicate themselves by results. The working test is pre-eminently that which applies to language“ (Welby 1896: 198). Dass dem so sein muss, ergibt sich für Lady Welby auch daraus, dass die Bedeutung eines Zeichens nicht nur von Verwendungskontext und Situation abhängt, sondern zugleich von einer Reihe rein subjektiver Prozesse auf seiten des Zeichenverwenders: seinen Aufmerksamkeitsschwankungen, seinen Schlussfolgerungen und Assoziationen, seinen von ihm hergestellten Bezügen zur Erinnerung und den gegenwärtigen Umständen und seinen spezifischen Neigungen, diese statt jener Zeichen zu gebrauchen (Welby 1893: 512f.). Seine eigenen Gedanken anderen mitzuteilen wird damit ebenso zu einem besonderen Problem wie die Interpretation der Mitteilungen anderer. Die semantische Veränderbarkeit der Zeichen erlaubt es zwar überhaupt erst, die vorgegebene Sprache mit ihrem begrenzten Zeicheninventar zur Kommunikation individueller Gedanken, Gefühle etc. zu verwenden, doch sie führt gleichzeitig zur Unmöglichkeit, einander vollständig zu verstehen. Zu diesem Ergebnis hatte schon H. Walter Schmitz 200 7 Ähnlich äußerte sich Lady Welby an verschiedenen anderen Stellen; vgl. z. B. Welby (1896: 196f.; 1931: 273f.). - Die Aufgabe der Signifik bestand nach Lady Welby darin, wenn schon nicht zu einer Lösung der Probleme zwischenmenschlicher Verständigung, so doch wenigstens zu ihrer Verringerung beizutragen. Shadworth H. Hodgson, den ersten Präsidenten der Aristotelian Society, die Lektüre von What is Meaning? geführt, und Lady Welby antwortete ihm: „If we did not agree to differ - if we insisted on a monotony of mechanical duplication of view - we should mentally sink back into the primitive cell-form“ (Welby 1931: 74; Hervorh. im Original). 7 Diese Grundlagenfragen bezüglich Bedeutung und Interpretation, für deren Behandlung Lady Welby „Significs“ als eine neue Wissenschaft, eine Grundlagenwissenschaft (vgl. Eschbach 1983), institutionalisiert sehen wollte, sind die Fragen, von denen ich eingangs behauptete, dass die jüngeren Arbeiten zur philosophischen Hermeneutik sie zu übergehen und als beantwortet vorauszusetzen tendieren. Die gegenwärtige Hermeneutik bedarf der ständigen Rückbesinnung auf die Probleme des Zeichengebrauchs und der Interpretation in den prinzipiell primären Situationen alltäglicher Kommunikation; ebenso wie Lady Welby, als sie vor gut 130 Jahren Probleme einer zeitgemäßen Bibelinterpretation zu lösen versuchte. Illustration Aquarell von 1862 (ca. 17 cm x 13 cm), von Edward Richard Taylor (1838-1912); im Besitz der Welby-Familie (http: / / www2.hawaii.edu/ ~ztomasze/ cis702/ enrich1.html) Literatur Eschbach, Achim 1983: „Significs as a Fundamental Science“, in: Welby, Victoria Lady 1983: What is Meaning? Studies in the Development of Significance, Reprint of the edition London 1903, with an introductory essay by Gerrit Mannoury and a preface by Achim Eschbach (= Foundations of Semiotics 2), Amsterdam / Philadelphia: John Benjamins, ix-xxxii Hardwick, Charles S. 1977: „Introduction“, in: Peirce, Charles S. and Victoria Lady Welby 1977: xv-xxxiv Nieraad, Jürgen 1977: „Bildgesegnet und Bildverflucht“. Forschungen zur sprachlichen Metaphorik (= Erträge der Forschung 63), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Peirce, Charles S. and Victoria Lady Welby 1977: Semiotic and Significs. The Correspondence between Charles S. Peirce and Victoria Lady Welby, edited by Charles S. Hardwick with the assistance of James Cook, Bloomington/ London: Indiana University Press Russell, Bertrand 1905: „On Denoting“, in: Mind, N.S. 14 (1905): 479-493 Schmitz, H. Walter 1983: „Victoria Lady Welby und die Folgen“, in: Zeitschrift für Semiotik 5 (1983): 123-138 Schmitz, H. Walter 1984: „Searle ist in Mode, Mannoury nicht: Sprech- und Hörakt im niederländischen Signifik- Kreis“, in: Zeitschrift für Semiotik 6 (1984): 445-463 Schmitz, H. Walter 1985 a: „Victoria Lady Welby’s Significs: The Origin of the Signific Movement“, in: Welby, Victoria Lady 1985: Significs and Language. The Articulate Form of Our Expressive and Interpretative Resources, reprint of the edition London 1911 and of two articles by V. Welby, edited and introduced by H. Walter Schmitz (= Foundations of Semiotics 5), Amsterdam / Philadelphia: John Benjamins, ix-ccxxxv Schmitz, H. Walter 1985 b: „Die durchgängige Tropisierung der Sprache. Über einen Aspekt von ‚Zeichen im Wandel‘“, in: Dutz, Klaus D. und Peter Schmitter (eds.) 1985: Historiographia Semioticae. Studien zur Rekonstruktion der Theorie und Geschichte der Semiotik (= papmaks18), Münster: MAKS Publikationen, 241-270 Lady Welby über Zeichen und Bedeutung, über Kontext und Interpretation 201 Ungeheuer, Gerold 1970: „Kommunikative und extrakommunikative Betrachtungsweisen in der Phonetik“, in: Proceedings of the Sixth International Congress of Phonetic Sciences, held at Prague 7-13 September 1967, edited by B. Hála, M. Romportl and P. Janata, München / Prague / Philadelphia: Hueber / Academia / Chilton, 73-86 Ungeheuer, Gerold 1980 a: „Lamberts semantische Tektonik des Wortschatzes als universales Prinzip“, in: Brettschneider, G. und C. Lehmann (eds.) 1980: Wege zur Universalienforschung. Sprachwissenschaftliche Beiträge zum 60. Geburtstag von Hansjakob Seiler, Tübingen: Gunter Narr, 87-93 Ungeheuer, Gerold 1980 b: „Der Tanzmeister bei den Philosophen: Miszellen aus der Semiotik des 18. Jahrhunderts“, in: Kodikas/ Code. An International Journal of Semiotics 2 (1980): 353-376 Ungeheuer, Gerold 1981: „Kandlers ‚Zweitsinn‘ - ‚l’allusion‘ bei Du Marsais“, in: Peuser, G. und S. Winter (eds.) 1981: Angewandte Sprachwissenschaft. Grundfragen - Bereiche - Methoden, Bonn: Bouvier, 167-187 Walther, Elisabeth 1983: „Die Relevanz der Bedeutungsbegriffe von Victoria Welby und Charles S. Peirce für die heutige Semiotik“, in: Borbé, Tasso (ed.) 1983: Semiotics Unfolding. Proceedings of the Second Congress of the International Association for Semiotic Studies Vienna, July 1979. Volume I (= Approaches to Semiotics 68), Berlin / New York / Amsterdam: Mouton, 409-416 Welby, Victoria Lady 1883: Links and Clues, Second edition, London: Macmillan & Co. Welby, Victoria Lady 1893: „Meaning and Metaphor“, in: The Monist 3 (1893): 510-525 Welby, Victoria Lady 1896: „Sense, Meaning and Interpretation“, in: Mind, N.S. 5 (1896): 24-37, 186-202 Welby, Victoria Lady 1897: Grains of Sense, London: J.M. Dent & Co. Welby, Victoria Lady 1901: „Notes on the ‚Welby Prize Essay‘“, in: Mind, N.S. 10 (1901): 188-204, 209 Welby, Victoria Lady 1903: What is Meaning? Studies in the Development of Significance, London: Macmillan and Co., Limited, reprint 1983 (= Foundations of Semiotics 2), Amsterdam / Philadelphia: John Benjamins Welby, Victoria Lady 1906: „What is Significs? (October 19 th . 1906)“ (Unveröffentlichter Essay, Typoskript, 4 Seiten; Box 30, file 43, 9 Welby Collection, York University Archives, Downsview, Ont., Kanada) Welby, Victoria Lady 1907: „Time as Derivative“, in: Mind, N.S. 16 (1907): 383-400 Welby, Victoria Lady 1911 a: „Significs“, in: The Encyclopaedia Britannica. A Dictionary of Arts, Sciences, Literature and General Information, 11 th edition, vol. 25, Cambridge: At the University Press, 78-81 Welby, Victoria Lady 1911 b: Significs and Language. The Articulate Form of Our Expressive and Interpretative Resources, London: Macmillan & Co., Ltd. Reprint 1984 (= Foundations of Semiotics 5), Amsterdam / Philadelphia: John Benjamins Welby, Victoria Lady 1931: Other Dimensions: A Selection from the Later Correspondence of Victoria Lady Welby, edited by her daughter Mrs. Henry Cust, with an introduction by L.P. Jacks, London: Jonathan Cape Welby, Victoria Lady 1977: „What Does It Signify? (August 31 st . 1908)“, in: Peirce, Charles S. and Victoria Lady Welby (1977): 182-184 Welby, Victoria Lady, George Frederick Stout and James Mark Baldwin 1902: „Significs“, in: Baldwin, James Mark (ed.) 1902: Dictionary of Philosophy and Psychology in Three Volumes. Vol. 2, New York / London: The Macmillan Company, 515 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! Hilke Elsen Linguistische Theorien narr studienbücher 2014, 264 Seiten, €[D] 22,99 / SFr 31,90 ISBN 978-3-8233-6847-2 DieserBandpräsentierteinenÜberblicküberdieunterschiedlichen Richtungen in der Theoriebildung der Linguistik, ihre zentralen Vertreter/ innen sowie über Anwendungsmöglichkeiten und Umsetzungen. Er beschreibt die geschichtliche Entwicklung und Einbettung sowie die Wechselbeziehungen zwischen den Schulen bis hin zu aktuellen Strömungen wie der Konstruktionsgrammatik, um Einsichten in grundlegende Konzepte, Kernannahmen und Arbeitsweisen in ihrem Entstehungszusammenhang zu vermitteln. Dabei & = > %% %? CJ N CJ ? ' zepte und zeichentheoretische Ansätze Berücksichtigung. Der Schwerpunkt liegt auf Theorien, die für die germanistische Linguistik von Bedeutung sind. Unterstützt wird die Darstellung durch Übungen, die in die jeweilige Denk- und Arbeitsweise einführen. Literaturhinweise im Anschluss an die Kapitel bieten die Möglichkeit zur Vertiefung. Der Band versteht sich als Lehrwerk bzw. Begleitlektüre zu Seminaren im Hauptstudium und ist daher in 14 Kapitel CJ O > 6Q Y ' richtseinheit eignen. * Lady Welby to Frederik van Eeden, Nov. 10 1909 (Van Eeden/ Welby 1954: 87; cf. also Petrilli 2009: 791). Victoria Lady Welby (1837-1912) “It is confusion and misunderstanding that we must first attack or we must fail hopelessly in the long run.” * Taking Stock of the Published Correspondence of Victoria Lady Welby H. Walter Schmitz 1 Introduction Victoria Lady Welby (1837-1912), the founder of significs as a sign theory with a communication orientation (cf. Schmitz 1985: lxxvi-cviii), favored the minor and at the same time less strict literary forms such as the essay, essaylet, parable, and less frequently even the poem - but above all the letter - when testing, relating and discussing her ideas and thoughts. Numerous texts in these forms, the shortest only a few lines in length, but the longest scarcely over ten or twelve typewritten pages, have been published in their original form, often self-published, but were also points of crystallization or at least components of nearly all her publications from journal articles to books. These short forms were fully retained in Grains of Sense K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen H. Walter Schmitz 204 (Welby 1897). They remain easily recognizable in the short chapters of Significs and Language (Welby 1911a/ 1985), whereas in What is Meaning? (Welby 1903/ 1983), with but a few exceptions, they serve merely to provide substance for purposes of a scientific monograph. Yet the scholarly article and monograph were so unrepresentative of Lady Welby’s mind set and working methods that from about 1890 on, she repeatedly enlisted the support of her scholarly friends in framing texts of that nature - principal among whom was doubtless the philosopher, psychologist and (from 1891 to 1920) Mind editor George Frederick Stout (1860-1944). Later, from 1900 onward, she even employed assistants for such work (cf. Schmitz 1985: lviiif., lxiiif.). No matter how important to Lady Welby books and articles in journals, reference works and encyclopedias proved to be over the years, letters remained her central and predominant form and medium for queries, new proposals, trying out terminology, simply imparting ideas as well as serious discussion and collaboration. She had no problem incorporating essays, parables or drafts into a letter, thereby creating the learned audience she intended them to reach. By advance notice or mention in letters or through the mail, she paved a way for her publications to reach those recipients whose opinions and attention she valued most. And by appending copies of letters sent by others or herself to her missive, she served as a mediator between positions or broadened the discussion base, granting through dialogue access to her scholarly salon conducted with the aid of correspondence. For this reason, the letters between Lady Welby and persons of importance to her, the scholars, writers, clergymen, politicians and the like in Great Britain, the USA and on the continent, represent source materials for her thought, especially significs, that are nearly as important as her journal articles and books. To characterize document availability, research status and research opportunities in this area, it is deemed both appropriate and helpful to survey the accessibility and availability of Lady Welby’s correspondence in published works, to consider the editorial treatment it has received and to assess the usefulness of the published material as sources for scholarly historiography and other studies. The first step in this undertaking will be a consideration of only the older publications, taking each correspondent separately. In the second step, the editions of letters exchanged between Lady Welby and numerous different correspondents in Signifying and Understanding (Petrilli 2009) will be addressed, including, among other things, the Russell-Welby correspondence, presented there for the first time, which I plan to take up in greater detail later in a separate study. 2 Older Publications of Lady Welby’s Correspondence Even during her lifetime, a few of the letters written by Lady Welby or addressed to her were published. For instance, the poet and journalist Edwin Arnold (1832-1904) printed long passages from Lady Welby’s letters to him and to the physicist John Tyndall (1820-1893) on the subject of his essay “Death - and afterwards” that appeared in 1885 in his later book of the same title (cf. Welby 1887a). The Hon. Canon of Durham Cathedral and Rector William O. Blunt followed suit with a letter written to him by Lady Welby about “spiritual life as manifested in private” (cf. Welby 1887b). Intended for direct publication, on the other hand, were Lady Welby’s letters to the editor of periodicals such as Nature (Welby 1898; 1911b; cf. also The New York Times 1911), The Fortnightly Review (Welby 1904) or the Journal of Philosophy, Psychology and Scientific Methods (Welby 1908). “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 205 1 Nina Cust, short for Emmeline Mary Elizabeth Cust, married Henry John Cockayne Cust (1861-1917) in 1893 and published all her books with the exception of her three books of poetry under the name of “Mrs. Henry Cust.” For more on Nina Cust and her publications cf. Chipchase (1990: 46-54). 2 The following is a postscript to Wanderers (Cust 1928: 365) set in italics: “The greater part of this book was written in 1913-14, after the death of my mother, the younger traveller. When the war came it was put aside, and it is only lately that I have been able to complete it. July, 1927. Nina Cust.” 3 For contemporary reactions to the two books, cf. reviews by Courtney (1929; 1932) and Shelmerdine (1931). Of letters addressed to Lady Welby, only some letters from the linguist and theologian Friedrich Max Müller (1823-1900) were published during her lifetime (cf. Müller 1902: 63-67, 85f., 104, 273). Müller’s letters, which belong to a voluminous correspondence spanning the period from 1870 to 1900 with some interruptions, were not actually all printed in full, but they did include dates and they had a short preface by Lady Welby about her acquaintance with Müller (cf. Welby 1902). Following her death (29 March 1912), Lady Welby’s correspondence, which constitutes a considerable portion of her intellectual legacy, suffered highly diverse fates, to the extent that it survived at all (cf. Bowsfield 1990). As early as December 1912 the following appeal appeared in The Academy and Literature (vol. 83, no. 2119 (1912: Dec. 14), p. 773) and was repeated in January 1913 in Mind (N.S., vol. 22, no. 85 (1913: Jan.), p. 160) under the heading “The Late Lady Welby.” We are requested to state that a biography of the late Victoria Lady Welby is in course of preparation. It is hoped that her friends and correspondents may be willing to assist by placing such letters as they may possess at the disposal of her family. The greatest care will be taken of the letters, and they will be returned to their respective owners intact at the earliest possible date. In the absence of any definite expression of wish to the contrary it will be assumed that the loan of the letters implies permission to publish where deemed desirable. The letters should be sent to Sir Charles Welby, Bart., C.B., Denton Manor, Grantham. Ultimately, three books appeared instead of the planned biography. These were partly original works by Lady Welby’s daughter, Nina Cust (1867-1955), 1 who also translated Michel Bréal’s Essai de Sémantique (1897) into English for publication in 1900 besides having made a name for herself as a poet and sculptor, and partly her compilation of passages taken from letters exchanged by Lady Welby with the most diverse correspondents. The first to appear was Wanderers (Cust 1928), 2 started as early as 1913 and still very much in the mold of the initially planned biography, in which Nina Cust treats the first 30 years of Lady Welby’s life, but above all the adventurous travels of the young Lady Welby with her mother, Lady Emmeline Stuart-Wortley (1806-1855), in a retelling based on diaries and letters. Subsequently, in 1929 and 1931, Nina Cust went on to publish two volumes of excerpts from Lady Welby’s correspondence (Welby 1929; 1931). 3 The first volume covers the period from 1879-1891, and the second includes the years 1898-1911. The lay-out of these two books is utterly unconventional. Wherever possible, both sides of the correspondence with a total of 158 people are reproduced. The letters are presented without any commentary or introductory background aside from extremely sparse information on persons newly entering into correspondence with Lady Welby, which is relegated to footnotes. It is never mentioned whether a letter exists in the original or in the form of a carbon copy or typewritten copy. None of the letters is dated or gives the location where it was written. Were it not for adroitly paired letters grouped together in chapters spanning two and four-year periods at a time, the H. Walter Schmitz 206 4 As deplored by Myers (1995: 21): “This is unfortunate because one chief aspect of Welby’s value as a ‘serious worker,’ as she told Peirce she wanted to be known, transcends her intellectual work itself: her letters reveal an enthusiastic, questing personality devoted to bringing like minds together. In this she is the model of a life spent in the collaborative pursuit of the mind’s best access to the true and the real.” reader would be unable to arrive at an approximately chronological sequencing of the letters. However, examination of archived material reveals frequent errors in this grouping, as Nina Cust mistakenly assigned many letters to the wrong period. Apparently thematic ties and proximity were more important to her than chronological order in her basic effort, pursuing goals of a more literary nature, to characterize epochs, styles and persons by the selection, abridgment and arrangement of texts (cf. Chipchase 1990: 49-52). But there are more serious flaws that, in combination with the shortcomings mentioned above, seriously limit the usefulness of these correspondence editions for historiographic purposes, these being the redaction of numerous letters and especially of the opening lines by Nina Cust, her failure to show where parts were eliminated from the letters, most of which had only been reproduced as excerpts in the first place, and even, in several instances, the melding together of different letters by the same author into one letter. 4 And yet these two books by Nina Cust are more than just “[…] a most brilliant contribution to the picturing and documenting of a whole phase of Victorian progressive thought” or “[…] a window on a particular sort of Edwardian mental life [which] can hardly hope to be surpassed” (Chipchase 1990: 52). Notwithstanding all their limitations, which should be borne in mind every time they are used, they still represent valuable source material for research as even today they are the most exhaustive publication of the letters and, moreover, include a few letters and traces of correspondence that were later lost or sometimes partially or even completely destroyed (cf. Schmitz 1985: clxxxix, n. 4). An early and, even for those who know Welby’s work, probably surprising trace of attention having turned to Nina Cust’s editions of correspondence is found in the English poet, author and translator David Gascoyne (1916-2001). In numerous letters written by Lady Welby between 1900 and 1907 (all cited according to Welby 1931), Gascoyne discovered characteristic traits of existential philosophical thought, which prompted him to include passages of several pages in length from these letters in his “Little Anthology of Existential Thought” (Gascoyne 1946: 192-198). This documentation, containing no commentary or information whatsoever on Lady Welby the person or her work, appeared in Gascoyne under the heading of “Victoria Welby” in the surprising company of texts by Kierkegaard, Chestov, Buber and others. Probably the first to recognize and demonstrate how valuable Nina Cust’s editions of the letters could be for research was H.S. Thayer (1923-2008) by virtue of his plumbing the two books and utilizing them to reconstruct the line of connections and the transmission of ideas from Peirce by way of Lady Welby to C.K. Ogden and on down from Ogden and Richards’ The Meaning of Meaning (1923) to Ramsey and Wittgenstein, not to mention Thayer’s analysis of the mesh of interconnections between Lady Welby, Peirce, James, Russell, Schiller, Vailati, Calderoni and others (Thayer 1968: 306-308, 333f., 338). In this way, Thayer was instrumental in rediscovering Lady Welby, as indeed was research on the history of pragmatism in general and Peirce in particular. “There is no question about Lady Welby’s role as a center for the transmission of ideas, ideas mostly relating to her interest in language and meaning. She seems to have known almost everyone of intellectual note in England, America, and much of France. These luminaries who “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 207 5 Cf. also the online version of this unpublished dissertation, in which the pagination differs from the paper version cited here: www.russelldale.com/ dissertation. W. A. Myers (1995: 1) comes to a similar conclusion: “[…], Welby’s work on meaning was influential in its time and still merits study and development.” 6 Mrs. Henry Cust (i.e. Nina Cust) sent Frederik van Eeden’s letters to Lady Welby to Van Eeden’s son or the Frederik van Eeden-Genootschap with an accompanying letter dated “December 9, 1932”, in other words a few months after Van Eeden’s death. happened to write on the nature of knowledge or language or both, and were not acquainted with Lady Welby, soon found themselves engaged in correspondence with her and even visiting her home. For our purpose it is Lady Welby’s correspondence with Peirce, James, Russell, Schiller, and Vailati that is of special interest” (Thayer 1968: 306). And Thayer’s reconstructions of philosphical history drawn from the published correspondence of Lady Welby led him to an important thesis that implied what was at the time a noteworthy re-evaluation of Lady Welby’s intellectual work: “If one surveys British philosophy in the twenty-year interval between the publication of Lady Welby’s What is Meaning? and Ogden/ Richards’ The Meaning of Meaning, the impressive fact is how the subject of meaning became of increasing interest, puzzlement, and concern to philosophers. One reason, I suspect, for the waning of Hegelianism and the systems of Idealism is that while their spokesmen said a great deal about language and meaning, what they said appeared (rightly or wrongly) to shed very little light on the analysis of meaning” (Thayer 1968: 308). Not until almost 30 years later was Thayer’s re-assessment of Lady Welby’s role explicitly spelled out and heightened by Russell E. Dale, albeit on the basis of a much broader and more reliable foundation of sources and research: “The history of the theory of meaning in the twentieth century, I believe, should rightly begin with the work of Victoria Welby (1837-1912). Welby is the first, I think, to see the question, ‘What is meaning? ’ as worth careful scrutiny in its own right” (Dale 1996: 38f.). 5 Lady Welby’s correspondence with the Dutch poet, psychiatrist and social reformer Frederik van Eeden (1860-1932) was doubtless one of her most extensive and longest. He introduced Lady Welby’s ideas and writings on significs to the Netherlands, from which there ultimately arose a sweeping interdisciplinary scientific movement, i.e. the Signific movement in the Netherlands. In the 30s, this movement maintained close contact with members of the Vienna Circle and the Unity of Science movement and continued to enjoy a large following and organizational base on into the mid-50s in the 20 th century (cf. Schmitz 1990a, b). Because the Welby family members had donated Van Eeden’s letters to Lady Welby to the Frederik van Eeden Museum in Amsterdam, 6 the Frederik van Eeden-Genootschap was able to use the original letters for its edition of the correspondence spanning the period from 13 August 1892 to 11 February 1912 (Van Eeden/ Welby 1954). With a brief introductory framework, this edition is printed on 90 large format pages without further commentary aside from two footnotes and, upon comparison with the original letters, it proves to be very reliable. The only caveat is that occasionally parts have been left out without being signaled as usual by the editors. Also missing are identifiers indicating which letters were already previously published (in part) by Nina Cust (cf. Welby 1931: 49f., 71f., 113-116, 218f., 236-242, 250f.) and a listing of the many letters that never made it into the edition. The epistolary exchange frequently ranged far beyond questions having to do with significs. It repeatedly turned to the H. Walter Schmitz 208 7 “The letters of Vailati to Lady Welby together with copies or summaries of her letters to him were preserved by her and are still in the possession of the Welby family. Through the courtesy of her grandson, Sir Oliver Welby, I was able to examine them and have copies made while on my way back to Toronto after attending the Centennial Convention of Vailati Studies in Milan” (Harris 1963b: 330). 8 Cf. further details in Hardwick (1971). 9 “The fonds consists of Lady Welby’s correspondence, research and reference notes, publications, poetry, newspaper clippings, and printed material. It also includes of galley proofs of Francis Galton’s papers on eugenics.” (Inventory of the York University Archives and Special Collections) 10 4700 Keele Street, Toronto, Ontario, M3J 1P3, Canada. 11 “[…] (not to mention the famous correspondence with Charles Sanders Peirce, virtually the only thing Welby is known for - to the extent that she is known - in the United States)” (Myers 1995: 15). personal relationship between F. van Eeden and Lady Welby and their very opposite positions on political and social issues. As was the case with the publication of Lady Welby’s correspondence with Van Eeden, so it was also with publications containing other letters (cf. for example Ogden/ Richards 1923, Appendix D, §6; Peirce 1953) and even with the study of letters or other material in Lady Welby’s papers up to the year 1970, all of which depended on the generosity of Welby’s son (Sir Charles Welby, 1865-1938) and later her grandson (Sir Oliver Welby, 1902-1977) when it came to lending out letters or allowing access to the papers, although most scholars showed an interest primarily in Lady Welby’s correspondents rather than in her or her intellectual work. So it was when the English philosopher Henry Silton Harris (1926-2007), who taught at York University in Toronto since 1962, was also allowed access to the letters between Giovanni Vailati (1863-1909) and Lady Welby (cf. Harris 1963b; Schmitz 1985: clxxi-clxxvii). He had participated earlier in the “Convegno di studi sul pensiero di Vailati” in Italy (Milano - Crema, 4-5 maggio 1963) where he gave a presentation on logical pragmatism, Peirce and Vailati (Harris 1963a). 7 His first encounter with Sir Oliver Welby in 1963 eventually led to an invitation for Harris to visit Denton Manor near Grantham in Lincolnshire in 1969 and examine the Welby Collection and offer his suggestions on a suitable location where it could be housed. When the inspection was completed, the final result - as so often before and again later - hinged on judging that the value of the Welby papers resided primarily in her correspondence with notable personalities of her day or, more specifically, in the letters penned by them and much less in the letters and other texts written by Lady Welby: Upon examination of the collection Professor Harris was convinced that the importance of the Welby papers lay “in the voluminous … correspondence that she conducted with a truly aweinspiring array of intellectual leaders in her own time.” Professor Charles S. Hardwick, of Texas Tech University, whose opinion on the significance of the collection had been sought, reported that the extensive correspondence between Lady Welby and ‘the most important philosophers, theologians, and scientists, in England and America’ revealed ‘not only some important insight into the thinking of this remarkable lady, but also new and important insights into the thinking of the men whose ideas shaped and molded nineteenth century thought’. 8 On the basis of this assessment and Professor Harris’ recommendation the Welby papers were acquired by York University in 1970 (Bowsfield 1990: 276). Today the entire Welby papers collection, known as the “Lady Victoria Alexandrina Maria Louisa Welby fonds” (Inventory F0443) 9 is kept in the Clara Thomas Archives and Special Collections of the York University Libraries, 305 Scott Library. 10 For many years now, Lady Welby’s correspondence with Charles Sanders Peirce (1839-1914) has attracted the greatest international interest of all. 11 Here again the general “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 209 The correspondence begins with Lady Welby’s letter dated 24 May 1903 and ends with a letter from Welby’s daughter-in-law - not Welby’s daughter, as stated by Hardwick (1977a: x) - dated 25 February 1912. More information on the relations between Peirce und Lady Welby can be found in Deledalle (1990) and Schmitz (1985: cxlviii-clviii). 12 “[…] and by the kindness of Sir Charles Welby such portions of the correspondence as serve to throw light on his published articles on Signs are here reproduced” (Ogden/ Richards 1923: 279). 13 There are numerous errors in Hardwick’s account (1977a), however. For instance, Ogden did not cite Peirce’s letter of December 14, 1908, but the one dated Dec. 23, 1908. Furthermore, Hardwick’s listing of letters between Peirce and Lady Welby, parts and excerpts of which were published by Nina Cust (Welby 1931), has some omissions and errors. Not included in his list are one letter from Lady Welby to Peirce (June 29, 1904) (cf. Welby 1931: 149-150) and two letters from Peirce to Lady Welby (Dec. 16, 1904, and Dec. 23, 1908) (cf. Welby 1931: 161-163, 301-305). And Hardwick’s statement to the contrary notwithstanding, Nina Cust published nothing from Peirce’s letter of Oct. 12, 1904. 14 This refers to the place in Appendix D, §6, about Peirce, where Ogden und Richards (1923: 287) quote the passage from Peirce’s letter of 1909 March 14, in which he discusses her article in the Encyclopaedia Britannica and elaborates on the great concordance between her trichotomy of Sense, Meaning und Significance and his own three interpretants. consensus was that one not only could but should concentrate on the Peirce letters as it was there, after all, that he spoke about his semiotics with so much more clarity and detail than practically anywhere else in his body of work. Thus, this correspondence had quite a lively history, having passed through many different hands before Charles S. Hardwick (1931-2001) set out to publish the first complete edition of all the letters (Peirce/ Welby 1977). Hardwick (1977a) recapitulated developments beginning with fragments published in Ogden/ Richards (1923, Appendix D, §6), 12 on through the collection edited by Nina Cust (Welby 1931: 144-150, 154-158, 161-164, 296-314) and then Irwin Chester Lieb’s (1925-1992) slightly commentated but incomplete edition of the Peirce letters (Peirce 1953) all the way to the 8 th volume of the Collected Papers of Charles Sanders Peirce (CP VIII, 1958/ 1966). 13 He makes no mention, however, of Lieb’s rather astounding justification for the decision to reprint only Peirce’s letters: As only preliminary versions of Lady Welby’s letters to Peirce have come to hand, it has seemed advisable to publish but one side of their correspondence. What Lady Welby wrote to Peirce, with what interest and encouragement, are nevertheless clear from Peirce’s letters to her (Lieb 1953, Introductory Note). In chapter 24 of his Values in a Universe of Chance (Peirce 1958: 380-434; ²1966: 380-434), Philip P. Wiener (1906-1992) reprinted a considerable number of Peirce’s letters to Lady Welby from the Lieb edition. None too soon after Lieb’s edition of letters appeared in print (Wiener 1962), Wiener targeted precisely the aforementioned justification given by Lieb, for Lieb had furthermore added but a meager footnote to Peirce’s recognition of Lady Welby for having been asked to write an article on “the exact science of ‘significs’” for the 11 th edition of The Encyclopaedia Britannica, stating merely: “Lady Welby contributed the article entitled ‘Significs’ to the 10th [sic! ] and 11th editions of the Encyclopedia Brittanica [sic! ]” (Peirce 1953: 29). This probably occasioned Wiener’s comment echoing the sentiment: Her article on ‘Significs’ in the Encyclopedia [sic! ] Britannica (10th [sic! ] and 11th editions), to which Ogden and Richards refer in their Meaning of Meaning, 14 would not be judged as very significant from the standpoint of later developments in semantics (Wiener 1962: 270). H. Walter Schmitz 210 15 Thus, one already finds in a review of Hardwick’s edition: “As for Lady Welby’s letters and essays, their interest seems to me to be purely historical. While she did concern herself early on with the general topic of meaning, her substantive contributions to that area were minimal. […] Unlike Peirce, she did not want to develop a detailed theory in this area […] But what is so clear as one reads these letters is that Lady Welby’s discussion lacks any sort of embedding in a theory of language, whereas Peirce’s division of interpretants […].” (Altshuler 1979: 95) Cf. the contrasting assessment by Rosenthal (1979: 487). 16 For more on John Willis Slaughter (1878-1964) and his correspondence with Peirce cf. Peirce/ Welby (1977: 132, 138ff., 176f.) and Schmitz (1985: lxv, clv-clviii). 17 This is most likely an (over)reaction to Altschuler’s (1979: 93f.) review harkening back to the spirit of the times, in which he criticized the absence of a subject index as “the greatest defect,” adding a minimal index with entries on 19 thematic categories to help the reader. This bias, rooted in ignorance and misunderstanding, belittling the other party in Peirce’s correspondence, persisted until Hardwick’s new edition of the Peirce-Welby correspondence (Peirce/ Welby 1977) put an end to it. When explaining his decision to reproduce the correspondence in its entirety - strangely, he still felt compelled to give an explicit justification - Hardwick leaves no room for doubt regarding the objective basis of his position: The present edition has been expanded to include the letters from Lady Welby to Peirce. The justification for including them is twofold. Lady Welby was, in her own right, an important figure in the history of semiotic. Although her work is not as extensive as Peirce’s, she nonetheless made a substantial contribution to the development of semiotic around the turn of the century. Also, including her side of the correspondence contributes to an understanding of Peirce’s letters. Much of what he had to say was in response to comments and questions contained in her letters (Hardwick 1977a: ix). But not even this could reverse the largely uninformed proclivity of strict Peirce disciples to undervalue the ideas and work of Lady Welby. 15 In the preface, introductory background, accompanying in-depth commentary and appended supplementary material to Hardwick’s publication of the correspondence, the generally required demands applicable to a scientific edition of correspondence are met for the first time. By the same token, it surely contributed in a major way to the rediscovery of significs. However it is no less true that Hardwick’s own studies about Lady Welby’s biography and significs (Hardwick 1971; 1977b) have added little beyond the insights communicated by Ogden and Richards (1923: 279-290) or brought to light by Thayer (1968). Aside from the previously mentioned flaws in Hardwick’s documentation of portions of the correspondence published before, this edition must also be faulted for omissions. I subsequently published the four apparently overlooked letters of Lady Welby along with one from Peirce to J.W. Slaughter 16 several years later in a chapter on the relationship and exchange of ideas between Peirce and Lady Welby (cf. Schmitz 1985: cxlvii-clviii). Hardwick unfortunately did not avail himself of the opportunity to rectify these long since recognized defects when the second edition of Semiotic and Significs (Peirce/ Welby 2001) came out as Number Eight of the Peirce Studies, which would finally have resulted in a complete edition of the letters. His only change to the first edition was to add a benignly uninformative “Introduction to the Second Edition” (Hardwick 2001) and a 48-page computer-generated index of key words. 17 The last and most recent correspondence with Lady Welby to be published that should be mentioned here was with the Dutch philosopher Gerardus Johannes Petrus Josephus Bolland (1854-1922). Lady Welby’s contact with the Hegelian Bolland, the pre-eminent philosopher “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 211 18 More about relations between G. J. P. J. Bolland and the Dutch significians, who learned about the Bolland- Welby correspondence from F. van Eeden, can be found in Schmitz (1990b: 234-236, 269-271). 19 Cf. for example Petrilli (2009: 41): “This selection is related to the issues I have highlighted and discussed in this volume.” 20 A broader discussion and critique in German of this more than 1000-page opus can be found in the comprehensive review by Schmitz (2011). Not one point, either concurring or criticizing, that is expounded or argued therein or in the remaining portions of the present article is also encountered in any of the other reviews dealing with Petrilli’s Signifying and Understanding that have come to my attention. Instead, the others all fail to venture beyond the purely descriptive and noncommittal (cf. van Bendegem 2011; Cabak Rédei 2010; Nuessel 2011). in the Netherlands at the time, came about through the intercession of F. van Eeden, who had already corresponded with Bolland in 1889, 1890 and 1896 (cf. Noordegraaf 2005: 119f.). Lady Welby hoped to interest him in What is Meaning? (Welby 1903) and her significs, but was dismissed very brusquely by this correspondent, known for his arrogance, and not even the famously tenacious and imperturbable Lady Welby could prevail. 18 This correspondence in 1904, from which Nina Cust herself published two letters as prime examples (cf. Welby 1931: 123f.), therefore did not continue very long and consisted of only a handful of letters. Jan Noordegraaf compiled the letters from each side, three from Bolland and three from Lady Welby, together with F. van Eeden’s letter to Bolland that initiated their correspondence, adding a knowledgable introduction and placing the letters in their historical context along with helpful commentaries (Noordegraaf 1991). A newer edition of this accomplished piece of successful scientific historiography has appeared in somewhat revised and more concise form (Noordegraaf 2005). No other edition of selections from Welby’s correspondence lives up to the established standards for a scientific text compilation to the extent that this one does. 3 Editions of correspondence in Signifying and Understanding (2009) Susan Petrilli’s monumental Signifying and Understanding (2009) represents an attempt to make Lady Welby’s numerous epistolary exchanges with all sorts of different contemporaries accessible by compiling them into her own edition for the first time since Nina Cust’s books containing excerpts from Lady Welby’s correspondence. Embedded in five of the book’s eight chapters is the heading “Correspondence from the archives,” under which a sub-heading heralds and promises “A selection from her unpublished correspondence […].” Grouped together and presented in this way as sub-sections are letters exchanged with 15 different correspondents, but although the author claims otherwise 19 , they are for the most part neither closely nor loosely related to the surrounding text written by Petrilli or Lady Welby. Nor would such close or loose connections be required by the general documentary and archival aims of Signifying and Understanding. 20 However, as will be demonstrated below, this is less in keeping with the special objective and aspiration Petrilli attaches to her edition of selected Welby correspondence, namely: Here again, the selection presented in this volume aims to signal the interest of these materials from both a theoretical and historical point of view. It is to be hoped that research projects continue, resulting in the integral publication of Welby’s epistolary exchanges, as in the case of the volume collecting the correspondence between Welby and Charles S. Peirce, Semiotic and Significs. The Correspondence between Charles S. Peirce and Victoria Lady Welby, 1977 (Petrilli 2009: 5). H. Walter Schmitz 212 21 Thus, in a remark pertaining to Lady Welby’s correspondence with seven different authors in the context of the first chapter, it is stated that “Appended to this chapter is a selection of letters, previously published and unpublished, from WCYA [Welby Collection, York University Archives]” (2009: 17), and it is stated elsewhere that “This selection of letters from the unpublished correspondence in the Welby Collection […] includes excerpts from Welby’s correspondence with the following authors […]” (2009: 41). 22 A practice resembling that of Nina Cust, to whom it is possible to trace many of the copied letters in the Welby Collection that went into the Cust editions (Welby 1929; 1931) which were intended to be judged by literary rather than scholarly standards. On the whole, Petrilli’s correspondence editions clearly miss the mark stated above, but also fall short of the general documentary and archival aims, being at best not quite up to the basic standards that apply to scholarly editions. Some persistent defects in the manner of presenting the correspondence can first be noted before addressing specifics of the letters exchanged with all 15 correspondents. The criteria used to decide which correspondence to publish preferentially and which to pass over are nowhere truly explained or spelled out in a comment, much less derived from a substantive analysis, and indeed only tentative indications of such can be found. The only remaining answer is couched in the following generalities: The letter texts presented have been selected on the basis of their theoretical interest, while more personal comments are reported only when they illuminate some aspect of her studies, research method, and personality (Petrilli 2009: 17). Not even the criterion implied by each chapter heading, announcing that “unpublished correspondence” is to follow, is taken seriously either in the accompanying text 21 or in the practical selection process. The only source material was letters in the form of originals, copies, carbon copies, and partial or complete typewritten copies found in the Welby Collection of the York University Archives when gathering material; in other words, not Welby’s original letters (or copies thereof) from other archives. Although Petrilli (cf. for example 2009: 41) describes different types of documents, such as typewritten copies in a kind of shorthand or copies of letters sent or received minus greeting, closing or signature, she hardly ever mentions in what form a letter edited by her is extant in the archive. Indeed it is her avowed practice to omit all greetings and closings from the letters as a matter of course - “even when available” (Petrilli 2009: 41) 22 -, to format dates when the letters were written in a uniformly consistent manner (“15 January 1908”) but leave out the addresses or place names on letterheads, and at times even to make other deletions that should be indicated accordingly, as the deleted information at the beginning and end of the letters is, by inserting ‘[…]’ - although sometimes they are not. But that is not all. Entire letters are almost routinely left out and not reproduced, whether intentionally or not, without being listed and without identifying when or by whom they were sent, thus rendering the correspondence edited by Petrilli practically useless for all but the most limited research purposes considering how untransparent and uncertain the data are and how meager or absent their factual integration and commentary. Even measured by the inclusion of documents in the Welby Collection, correspondence has not been fully compiled for any of the 15 correspondents, despite Petrilli’s claims of complete edition, viz. the Russell-Welby correspondence. While previous publications must be faulted for their primary emphasis on letters from Lady Welby’s renowned correspondents, Petrilli’s editing efforts must be criticized for focusing in some instances almost exclusively on letters written by “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 213 23 In all, four letters from James to Lady Welby are known to Henry James research (cf. Jobe/ Gunter 1999). They are dated 12 May 1892, 31 August 1892, 23 June 1911 (published by Nina Cust and Petrilli) and August (? ) 1911 (? ). 24 Petrilli neither mentions nor considers two letters from W. James (28 May 1905 and 26 June 1908) and three letters from Lady Welby (28 May 1905, 31 May 1905 and 23 June 1908). Welby, thereby neglecting the interlocutory aspect of epistolary exchanges she valued so highly and rendering the sequence of letters incomprehensible. Turning now to correspondence with each individual, the small number of included letters between the poet and journalist Sir Edwin Arnold (1832-1904) and Lady Welby comprise three of Arnold’s letters and five from Lady Welby written in 1887 and 1888 (cf. Petrilli 2009: 42-47). They are thematically grouped around a letter from Lady Welby to the physicist John Tyndall (1820-1893) containing her response to his request for her to comment on Edwin Arnold’s essay entitled “Death - and Afterwards” (1885). This commentary and excerpts from Lady Welby’s letters to Arnold were subsequently included by Arnold in a reprint of the essay (cf. Welby 1887a). Petrilli comments at considerable length on this handful of letters and supplements them with reprints of other documents. However, there are contradictions in the information she provides about excerpts from the correspondence published by Nina Cust (cf. Welby 1929: 185). In contrast, no commentary or even any sort of personal data accompany the excerpts from Lady Welby’s correspondence with the literary scholar Andrew C. [Cecil] Bradley (1851-1935), consisting only of a short letter (fragment) from Bradley and three of Lady Welby’s letters written in 1899 and 1900 (Petrilli 2009: 47-48). Equally meager are Petrilli’s commentaries on the correspondence with Andrew C. Bradley’s more famous brother, the philosopher Francis H. [Herbert] Bradley (1846-1924), documented for the period from 1887 to 1903 (Petrilli 2009: 48-55). We are told nothing more about the six letters from Welby and five from Bradley than that the entire exchange has been reproduced - except for four brief letters that are all identified by date and author - and that one of these “unpublished” letters from Bradly was already published earlier by Nina Cust (cf. Welby 1929: 167-168). Of Welby’s correspondence with the American author Henry James (1843-1916) from 1892 to 1911, Petrilli (2009: 55-57) prints only two letters from 1911, which, as noted by her, Nina Cust had already published earlier in approximately the same length (cf. Welby 1931: 341-43). 23 The motivation for James’ opening letter and probably for singling out both of these letters, as Petrilli also explained, was that Lady Welby had sent James a copy of her most recent book, Significs and Language (1911a), with a three-sentence motto from James’ The Question of Our Speech (H. James 1905: 10) printed on the title page. By comparison, it is harder to reconstrue Petrilli’s reasons for including only excerpts with no commentary from the correspondence in 1905 and 1908 with James’ older brother, the psychologist and philosopher William James (1842-1910), (cf. Petrilli 2009: 57-59), and why she failed to consider or at least correctly research and note the already published letters from that correspondence. Of the 12 letters in all that are known, eight from Lady Welby and four from William James, she prints five Welby letters (22 May 1905, 4 April 1908, 10 May 1908, 11 May 1908 and 24 May 1908) and two (26 May 1905 and 9 May 1908) from James. 24 Both letters from James have already been printed with thorough commentaries (cf. W. James 1986: 373, 583; 2004: 13) as well as the first, third and fifth letter from Lady Welby (cf. W. James 2003: 43f., 667; 2004: 13; 2004: 13f.). Furthermore, if not published in full and H. Walter Schmitz 214 25 In order to understand this letter, it is important to know that W. James, as noted by Frederick J. Down Scott in his commentary on this letter (cf. James 1986: 583 n. 10), had already received a copy of Lady Welby’s What Is Meaning? in 1903. He therefore is apoligizing in the letter for not yet having even glanced at it. 26 “1880” could have been misread by Petrilli or the archivists, because in her letter of 25 March 1891, Lady Welby is quite obviously initiating the correspondence when she writes: “On the strength of a mutual friendship with Lady Airlie, I am venturing to write without a formal introduction, to ask if I may quote […]” (Petrilli 2009: 59). 27 The only indication of all this provided to the reader is in a single note regarding this correspondence (Petrilli 2009: 61): “[This selection is from a large corpus of correspondence, including drafts and notes, consisting mainly of Welby’s letters to George F. Stout, and a few from his wife Ella Stout who took care of his correspondence].” - Nor is it mentioned that eight of the 51 letters were already published by Nina Cust (Welby 1931) and that included in the Cust edition is a letter from Lady Welby to Stout (cf. Welby 1931: 125), that Petrilli has left out of her edition, but quotes, based on the Cust edition, almost in full in a subsequent chapter about the correspondence with B. Russell (cf. Petrilli 2009: 294). annotated in Volume 11 and 12 of The Correspondence of William James (W. James 2003; 2004), all letters in the correspondence are listed in the respective “Calendar” and have been not only formally described but summarized by content (W. James 2003: 562f.; 2004: 583, 586, 588). In one case where Petrilli (2009: 58) actually does attempt to refer back to a Welby letter (4 April 1908) published earlier by Nina Cust, everything turns into a jumble, as one of the letters from Lady Welby to W. James is not in the cited work (Welby 1929: 246-247), but in Other Dimensions instead (Welby 1931: 245-247), and the text printed there, purportedly as one letter, is not Lady Welby’s letter of 4 April 1908 but the slightly modified and merged texts of her letters dated 10 May 1908 and 24 May 1908. It ultimately comes as no surprise that Petrilli’s rendering of the text contains numerous minor errors and, in the case of James’ letter of 26 May 1905, 25 even several misreadings that distort the meaning (cf. Petrilli 2009: 58; W. James 1986: 373.) From the correspondence with the Oxford theologian and philologist Benjamin Jowett (1817-1893) only four of Jowett’s letters from 1880, 26 1891 and 1892 are extant, reportedly “in illegible and fading handwriting” (Petrilli 2009: 59). Petrilli (2009: 59-60) has reproduced only the three surviving letters from Lady Welby dated 1891, 1892 and 1893 from this correspondence, without commentary. It is left to the reader to discover that the subject of these letters is two lengthy quotes from Jowett’s The Dialogues of Plato (1871; ³1892), which Lady Welby incorporated in her essay “Meaning and Metaphor” (Welby 1893: 521f.). No doubt the most important and also the most voluminous correspondence in the group so far is that from 1894 to 1911 with the philosopher and psychologist George F. [Frederick] Stout (1860-1944) and his wife Ella Stout, documenting in detail the evolution of Lady Welby’s thought and attesting to Stout’s constant encouragement, support and cooperation throughout the years (Petrilli 2009: 61-80). Stout was, after all, a motivator, helper and proofreader for several publications, co-author of two publications, organizer of the Welby Prize, knowledgeable and astute discussion partner and, last but not least, instrumental in his capacity as the editor of Mind for many years (1891-1920) in drawing international attention to several important texts of Lady Welby’s (cf. Schmitz 1985: cxli-cxliv, passim). For these very reasons, the criteria for selection of the letters (ten from Stout and 41 from Welby) should have been reported in greater depth, 27 and the many factual details, names and titles of publications should have been discussed and annotated with particular care. As that task was left completely undone, however, the reader is left to track down all this information himself, which will hardly be possible without the broad grasp of background information available to the author and without familiarity with the unpublished letters and material. “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 215 By contrast, the introduction into the correspondence with the French linguist and founder of semantics, Michel Bréal (1832-1915), that Petrilli (2009: 285-287) provides leaves little to be desired and indeed does address the most important stages and events from 1897-1908 around which the letters, ten from Lady Welby and seven from Bréal, compiled along the familiar lines are thematically grouped (2009: 302-307). However, it does come as a surprise that the only publication to date dealing with Lady Welby’s significs and French semantics of the late 19 th century, that likewise focuses on and analyzes the Bréal-Welby correspondence (cf. Auroux/ Delesalle 1990) is neither mentioned nor applied. Little is revealed about the sources for the letters reproduced here, many of them internally abridged and included in shortened form, and one identified as having been published previously by Nina Cust (cf. Welby 1931: 66), aside from an early footnote: [[…] All [letters] have been included in the present selection and are transcribed integrally, save for a final postcard from Bréal to Welby in which he thanks her for the proofs of her Encyclopaedic entry ‘Significs’] (Petrilli 2009: 302). However, it remains unclear how the last part of this comment is meant to be understood, because a text with exactly the same content has been included as Bréal’s last letter (“5 Mai 1908”) concluding the correspondence (cf. Petrilli 2009: 307). We are given more detailed information than usual regarding the sources for the correspondence with the French philosopher [Pierre] André Lalande (1867-1963) that consists of six letters from Welby and three from Lalande: [The exchanges between Welby and André Lalande have all been included in the present selection and are transcribed integrally. They are dated 1903 with the exception of the last letter dated 7 February 1911. The letter texts by Welby are all typewritten copies of the drafts or final versions sent to Lalande, WCYA, Box 9] (Petrilli 2009: 308-310). Earlier chapters of Signifying and Understanding (especially chapter 3.1., pp. 253-258) contain several important comments on Lalande, the wider connections surrounding the exchange, and its significance for the reception of significs in France (cf. Schmitz 1985: cxi-cxvii for more on this subject), but curiously, chapter “3.5. Significs and semantics: Michel Bréal and André Lalande” (Petrilli 2009: 285-287), obviously intended as an introduction to the correspondence with Bréal and Lalande which should provide the necessary background, makes no mention of Lalande and his correspondence with Lady Welby. Petrilli (2009: 294-301) devotes a separate introductory chapter to the exchange between Bertrand [Arthur William] Russell (1872-1970) and Lady Welby, who corresponded between 1904 and 1910 in letters whose substance can be valued as quite important and very revealing in terms of both correspondents’ theories on signs and meaning. In it, Petrilli’s discussion of the correspondence provides helpful context and orientation first by presenting and quoting at length from Lady Welby’s exchanges with others on the subject, and also by a detailed recapitulation of the organization of the correspondence into four thematic phases proposed by me (cf. Schmitz 1995: 298-300), already briefly summarized earlier by her in a long footnote (Petrilli 2009: 296). She does not, however, go into my analysis of the thoughts exchanged in the letters or their place in the broader context of the history of science as discussed by me there and elsewhere (cf. Schmitz 1985: clviii-clxiii; 1995: 298-303). The main problem with this edition of the Russell-Welby correspondence (cf. Petrilli 2009: 310-325) that, despite its claim to completeness, is actually incomplete in the extreme and riddled with inaccuracies is Petrilli’s assessment of source availability and her lax treatment of sources. She announces at the end of the introductory chapter that “Welby’s H. Walter Schmitz 216 28 The archive’s holdings can be researched online at the URL: http: / / www.mcmaster.ca/ russdocs/ russell.htm. 29 These are the letters dated 1 Feb. 1904, 5 Feb. 1904, 9 November 1904, 16 December 1904, 12 Feb. 1905, 1 June 1905, 14 November 1905 and 15 November 1905. 30 They can be recognized by the larger typeface and handwritten emendations distinguishing them from the older copies that date back to the days of Lady Welby. correspondence with Russell (previously only available in the Welby Collection at the York Archives) is now appended to the present chapter” (Petrilli 2009: 301). A somewhat obscure footnote in terms of content that is found where the presentation of the letters begins and at the same time is the sole footnote that contributes an informational commentary in the entire edition of this exchange (Petrilli 2009: 310), echoes this assertion: “[This correspondence is available on microfilm, other exchanges between Russell and Welby are available in typescript, WCYA, Box 13]” (Petrilli 2009: 310). It may therefore be concluded that for her edition, Petrilli relied solely on the Welby Collection’s letters from Russell in their original form or in the form of copies and on carbon copies, other copies and drafts of the letters from Lady Welby to Russell and does not even know that The Bertrand Russell Archives (McMaster University Library, The William Ready Division of Archives and Research Collections, Hamilton, Ontario, Canada) exist. 28 This is confirmed by a comparison between the eight surviving original letters from Lady Welby 29 preserved in the Bertrand Russell Archives and carbon copies or typewritten copies of them in the Welby Collection. To wit, numerous corrections and additions to the original letters put in later by hand are not found in either the carbon and typewritten copies or in Petrilli’s edition. With regard to the copies - including those of the original Russell letters found in the Welby Collection - Petrilli frequently relies on the typewritten copies prepared by Nina Cust, 30 which are very legible but are characterized by abbreviations and other redactions. Petrilli handles the documents in the same manner known to us from her other editions of letters: for example it is not evident, which version is reproduced and why, and the only documentation pertains to deletions, usually at the end of the letter text, sometimes at the beginning, and occasionally in the body of the letter. Nearly every letter is reproduced with at least minor errors. What is of greater consequence, however, is Petrilli’s decision not to include Lady Welby’s very informative “Rough Notes on some points in ‘Principles of Mathematics’, B. Russell, Vol. 1” (4 ½ typewritten pages) from her first letter of 1 Feb. 1904, so critical for understanding the meaning of the first letters, and also to leave out “Critical Passages in ‘The Principles of Mathematics’, Vol. 1: Bertrand Russell.” (2 ½ typewritten pages) appended to Lady Welby’s letter of 5 Feb. 1904, in which the content of the “Notes” is supplemented, with remarks referring to individual pages of the book. Add to that the occasional mix-ups in how the letters are presented. Of the originally greater number of letters exchanged between Russell and Welby, there are 36 letters known today to have been preserved in one form and version or another, beginning with Lady Welby’s letter of 1 Feb. 1904 and ending with Russell’s letter of 6 April 1910. However, Petrilli prints only 35 letters, the reason being that she integrates Lady Welby’s letter of 16 November 1904 into Lady Welby’s letter of 16 December 1904 as constituting the first two paragraphs of the latter text (cf. Petrilli 2009: 317). This is the only resolution that is consistent with the available sources that can also, furthermore, be made congruent with the meaning conveyed in Lady Welby’s letter to Peirce of 20 November 1904 (cf. primarily “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 217 31 Thus, for example, one finds in the letter as edited by Griffin (1996: 59): “(2) some ideas (concepts) denote, as ‘the present Prime Minister of England’ denotes the actual man Mr. Arthur Balfour.” But in his letter, Russell crossed out “ideas” and wrote above it and underlined the word “concepts.” Only Russell’s self-corrected version of the text agrees with Griffin’s interpretation of The Principles of Mathematics. 32 For the relationship between G. Vailati and Lady Welby cf. also Thayer (1968: 333f., 338), Schmitz (1985: clxxi-clxxvii) and Ponzio (1990). 33 “Copies of some letters, mainly Vailati’s, are available in the Giovanni Vailati Archives at the University of Milan” (Petrilli 2009: 407). 34 “Tutte le lettere di Vailati alla Welby, in fotocopia, sono in lingua francese o inglese, tutte quella della Welby a Vailati, sempre in fotocopia con le eccezioni segnalate, sono in lingua inglese. In allegato sono conservate 3 lettere a Vailati (una di Meyer, una con firma illegibile e un elenco di testi).” (Ronchetti 1998: 120) Peirce/ Welby 1977: 42) and Peirce’s letter to Lady Welby of 2 December 1904 (Peirce/ Welby 1977: 43f.). Petrilli misread and printed the date on Russell’s letter of 24 June 1907 (answering Lady Welby’s letter of 24 June 1907! ) as “24 June 1909,” a mistake that should actually have been prevented by Nina Cust’s handnumbering of the letters. And lastly, it can also definitely not be said of the Russell-Welby correspondence that none of it was published before now. After all, Nina Cust published excerpts of six letters from Russell dated 3 Feb. 1904, 11 Nov. 1904, 14 Nov. 1904, 27 Dec. 1904, 20 Feb. 1905, 26 March 1905 (cf. Welby 1931: 128, 159f., 159, 160, 111, 111) and excerpts of two letters from Lady Welby dated 12 Feb. 1905 and 5 March 1905 (cf. Welby 1931: 110f., 111f.). Nicholas Griffin (1996: 58-60) has recently reprinted the full text of one of Russell’s most interesting letters, namely the one dated 3 Feb. 1904, albeit with minor inaccuracies, 31 as a major support for his interpretation of Russell’s denotation theory in The Principles of Mathematics (1903). A renewed and more exact study of the Russell-Welby correspondence, i.e. study based on the entire corpus of its original documents, and an in-depth analysis of the discussion between its protagonists in their historical context, also taking into account the consequences, would probably be worth the effort. Nicholas Griffin’s approach and the success he achieved thereby should be taken as an encouragement to embark on such study and analysis. Susan Petrilli’s (2009: 407-418) edition of correspondence with the philosopher and mathematician Giovanni Vailati (1863-1909) in 1898 and then again from 1903 to 1908 is presented against a solid historiographical background (cf. Petrilli 2009: 379-384) with numerous detailed references to the ideas exchanged between Vailati, who apparently initiated the contact, and Lady Welby, 32 so although not everything in the letters becomes comprehensible, at least the central themes can be understood. However, there are some problems with the information provided, firstly, concerning the available sources (cf. Petrilli 2009: 407) with regard to the correspondence as a whole and, secondly, regarding the selection of 16 letters from Lady Welby and 14 from Vailati’s pen ushered in as a “selection from her unpublished correspondence.” Let us turn first to the corpus of source material. Petrilli drew exclusively from the Welby Collection for her selection of the letters printed in her edition, even though she knows of the Vailati Archive at the University of Milan. 33 In that archive’s “219. Carteggio Welby Victoria” (cf. Ronchetti 1998: 119-120) there are 17 of Vailati’s photocopied letters and 19 of Lady Welby’s letters, 16 of which are photocopies of the typewritten copies already mentioned above, two of which are original postcards (18 March 1906 and 31 December 1906), and one more postcard (6 Sept 1906) in both original form and as a photocopy. 34 The extent H. Walter Schmitz 218 The Miss Meyer mentioned here was Lady Welby’s assistant in the late 1890’s and, at Lady Welby’s behest (August 24, 1898), sent Vailati the list he had requested of English literature “related to the subjects treated in my writings” (Vailati to Welby, June 16, 1898). No more letters followed Miss Meyer’s letter in 1898 until the correspondence resumed with a letter from Lady Welby in February 1903 (cf. Schmitz 1985: clxxiii for more on this). 35 A comparative examination of Ronchetti’s (1998: 119f.) listings of the letters in the Vailati Archive and my own documentation suggests that Petrilli misread two dates in the letters, i.e.“20 February 1903” (Petrilli 2009: 409) should probably read “28 February 1903” and“28 Juillet 1905” (2009: 414) is probably “25 Juillet 1905.” 36 A passage taken from this letter is appended to the text portion from the letter of 2 February 1908 as a final paragraph, making the whole appear to be one single letter. 37 Along with William James and Bertrand Russell, Lady Welby was one of the few foreign subscribers. to which the archives have shared their holdings with each other is not known. For example, Vailati’s letter of “28 Juin 1908,” already published by Nina Cust and more recently by Petrilli (2009: 418), is missing from the Archivio Giovanni Vailati. The question therefore arises whether the Welby Collection also has copies of both original postcards from Lady Welby (18 March 1906 and 31 December 1906), considering that these very same ones are among those left out of Petrilli’s edition. According to the Vailati Archive lists, others not considered in Petrilli’s edition include Lady Welby’s letter of 20 November 1903 (published in Welby 1931: 143f.) and Vailati’s letters of 31 August 1906, 2 June 1907, 19 December 1907 and 17 November 1908. 35 Indirectly related to questions having to do with the edition’s sources are Petrilli’s very vague remarks (2009: 407) reporting that Welby’s letters are “mostly unpublished with the exception of a few letters” published by Lenaro (cf. Vailati 1971) and that “a few letters from this collection are also available in Other Dimensions [Welby 1931]”. Now Lenaro (Vailati 1971: 135-150) did indeed publish three entirely uncondensed letters from Lady Welby (8 June 1898, 25 June 1898, 28 May 1905) and seven from Vailati (16 June 1898, 12 July 1898, 18 March 1903, 25 November 1903, 2 June 1905, 30 January 1907, 2 February 1908), all reprinted by Petrilli, albeit in some instances considerably shortened. And Nina Cust published excerpts from five of Vailati’s letters (16 June 1898, 12 July 1898, 25 November 1903, 2 February 1908, 28 June 1908 36 ; cf. Welby 1931: 82f., 83f., 144, 275, 275) and two of Welby’s letters (20 November 1903, 25 June 1905; cf. Welby 1931: 143f., 214), which together accounts for roughly 30 % of the “unpublished correspondence” now found in Petrilli’s edition. Information regarding previously published letters is of interest primarily because Petrilli’s edition has some gaps and furthermore because letters, when they are printed, have been shortened even more by omitting text found in the margins and often in the body of the letters, so that the passages left out here might be found elsewhere, namely in other printed editions of parts of the correspondence. The brief correspondence with the Italian philosopher Mario Calderoni (1879-1914) from 1909 to 1911, consisting of four letters from Calderoni and three from Lady Welby (Petrilli 2009: 419-421), can be read as a continuation of the correspondence with Giovanni Vailati, Calderoni’s teacher and friend. Vailati’s death on 14 May 1909 first prompted Calderoni to begin corresponding with Lady Welby. He had known her personally through Vailati for several years and now apparently invited her to subscribe to the Scritti di G. Vailati (1863-1909) (Vailati 1911), which was being published by him and others. 37 A brief introduction and commentary by the editor of these mostly rather personal letters along these or “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 219 similar lines would have furnished desirable background and enabled the reader to understand and put into context at least the first two letters. The same general information on sources provided earlier (copies, shorthand, etc.) appears again (Petrilli 2009: 419). A few parts omitted within the letters are identified but not explained. The publication (Petrilli 2009: 617-640) of her selected correspondence between Lady Welby and the English philosopher Ferdinand Canning Scott Schiller (1864-1934) takes the editorial practices we have already encountered in Petrilli’s work to extremes. This correspondence, spanning the period from 1900 to 1911, was one of Lady Welby’s longest, most intense and most extensive. There are occasional references to it in earlier chapters, especially in the treatment of Lady Welby’s concept of “Mother-sense” or “Primal Sense” (cf. Petrilli 2009: 583-590), but nothing laying the groundwork and no commentary is offered beyond the passage below in a footnote to the first letter printed, disclosing the unusual explicit and more implicit selection criteria: The present collection is from the correspondence between Victoria Welby and Ferdinand Canning Scott Schiller, WCYA, Box 14. The letters included are mainly Welby’s given that this monograph is dedicated to her, with the aim of evidencing different aspects of her thinking. Apart from a few exceptions, there are no typewritten copies of Schiller’s letters which are all in handwriting except for those reported otherwise. Schiller’s letters which are sometimes very long, also deserve publication for their theoretical interest. […] Welby’s exchanges with Schiller open with a note from Welby dated 25 May 1900, and close with a letter from Schiller dated 30 June 1911, and include various enclosures. My own interventions are placed between square brackets. Letter openings and endings have been consistently eliminated to save space. Some of the letters are from Other Dimensions, edited by Nina Cust, 1931 (Petrilli 2009: 617). Petrilli tells the reader little about Schiller himself, who was one of Lady Welby’s most active torch-bearers, and who was instrumental after her death through his writings and his initiative leading up to the 1920 symposium “The Meaning of ‘Meaning’” in focusing the attention and efforts of English philosophy on the problem of meaning (cf. Schmitz 1985: clxiii-clxx). She confines herself to the terse data used by Nina Cust (Welby 1931: 409) to introduce Schiller in 1931 as one of Lady Welby’s correspondents: “‘Fellow and Senior Tutor, Corpus Christi College, Oxford. Author of Riddles of the Sphinx, Humanism, Problems of Belief, Eugenics and Politics, Formal Logic, Logic for Use, etc.’” (Petrilli 2009: 617). This correspondence edition, taking up 24 pages, is the longest in the entire volume. In keeping with the aforementioned criteria, only four letters from Schiller and 26 from Lady Welby are included, whereby Nina Cust (Welby 1931: 90, 248) and Schmitz (1985: ccxlv-ccxlviii) had already published three of the selected Schiller letters and four of the letters from Lady Welby had been published before by Nina Cust (Welby 1931: 86f., 87, 90f.) and Schmitz (1985: ccxlix-cclii), as noted, except for one, by Petrilli. The general commentary and explanatory remarks from the Schmitz edition were not incorporated, however, and the letter from Lady Welby that is not dated in the version found in the archive is assigned Petrilli’s own date (cf. Petrilli 2009: 633). Even when an edition of selections or excerpts from correspondence is appropriate, certain standards for the handling of historical documents must be maintained if the edition is to be taken seriously or to be suitable for any scholarly purposes. And in the case of Lady Welby’s correspondence with Schiller, the situation is better than usual when it comes to the availability of sources, because not only is there a large number of original letters and copies in the Welby Collection, there is also a 34-letter bundle from Lady Welby to Schiller that is part of H. Walter Schmitz 220 38 A1713 Charles E. Young Research Library, Department of Special Collections, Los Angeles, CA 90095-1575. - The Finding Aid for the Ferdinand Canning Scott Schiller Papers, ca. 1870-1940 is available online at: www.oac.cdlib.org/ findaid/ ark: / 13030/ kt5q2nb18w. 39 The archive is in the McMaster University Libraries, The William Ready Division of Archives and Research Collections, Mills Memorial Library, Lower Level, McMaster University, 1280 Main Street W., Hamilton, ON, the “Ferdinand Canning Scott Schiller Papers, ca. 1870-1940” at the UCLA Library under the Collection Number 191. 38 Lady Welby’s correspondence with Charles Kay Ogden (1889-1957), who went on to become a writer and linguist, was initiated (15 November 1910) and ended (24 December 1911) by Ogden and, in terms of intensity and in conjunction with Ogden’s visits to Lady Welby, developed into one of the most consequential of all her epistolary exchanges. Petrilli (2009: 731-747) devotes two sub-chapters of her book to their correspondence followed by the presentation of selected letters, and places them in context by offering a careful and historiographically sound account of facts and developments culled from the literature (Gordon 1990a, b; 1994; Schmitz 1985: clxxviii-clxxxiv), starting with Ogden’s acquaintance with Lady Welby and proceeding on from his first lecture on significs all the way to his collaboration with Ivor Armstrong Richards (1893-1979), the co-author of the famous book The Meaning of Meaning (1923). This account is a follow-up to Petrilli’s (1995) earlier article on “C.K. Ogden and V. Welby,” where all of the letters exchanged between Ogden and Lady Welby now found in one form or another in the Welby Collection are listed by date and author (cf. Petrilli 1995: 302f.). Petrilli now publishes (2009: 767-782) 36 (18 from each correspondent) of the 60 letters (29 from Lady Welby, 31 from Ogden) listed in the previous work. One could only have hoped to find precisely this kind of catalog of the letters and their dates repeated in this case as part of a report detailing the state of source availability and disclosing the nature of the selection and the criteria by which the letters were chosen. A note that Nina Cust (Welby 1931: 335-337) had previously published a nearly complete version of Lady Welby’s letter of 16 May 1911 (Petrilli 2009: 778) would also have been welcome. But instead, there is only one note on the correspondence in a footnote at the beginning, telling the reader that the source for the included selection of letters is the Welby Collection and supplying details about the letter openings and endings: This conspicuous corpus of materials counts various enclosures from Welby. Letter texts are handwritten and reproduced in typewritten copies, sometimes in Welby’s shorthand, but mostly redacted for publication. The few that are not typewritten, mostly Ogden’s, are not included in the present selection. However, given the interest of these exchanges the whole corpus deserves publication. Letter openings and endings have been consistently eliminated. My own interventions are placed between square brackets (Petrilli 2009: 767). What are the implications for how accurately original texts are replicated in Petrilli’s edition? What are the consequences when, despite the systematic elimination of letter openings and endings, the location is seldom signaled by ‘[…]’ marks and is often shown instead by an ellipsis with no square brackets (‘…’), and only in Ogden’s letters, at the beginning, end, or even in the middle of the text? What can be the justification in the case of this correspondence for relying exclusively on material in the Welby Collection even though an additional 16 original letters from Lady Welby and one postcard from Ogden that was returned are found in the “Ogden, C.K. (Charles Kay), 1889-1957” archive? 39 “It is confusion and misunderstanding that we must first attack …” 221 Canada L8S 4L6. The letters are cataloged under the heading “Cambridge Magazine,” which consists of nine boxes, and are found in Box 112 T-Z, Folder 7: “Welby, Victoria (16, includes card of C.K.O’s, returned). See also Macdonald, William, above and “Significs” mss., Box 125, F. 3” (Finding Aid; online: www.mcmaster.ca/ archives/ findaids/ fonds/ o/ ogden.htm). 40 Four letters from Lady Welby to Van Eeden: 1 January 1907, 22 November 1908, 2 December 1908, 19 May 1910; one letter from Van Eeden to Lady Welby: 23 February 1910. 41 Petrilli (2009: 782) incorrectly writes, referring to the Van Eeden-Welby correspondence, that: “Part of their correspondence is also available at the Frederik van Eeden-Archives, University of Amsterdam in the Netherlands.” She also incorrectly (on the basis of material in the Welby Collection) dates the first letter beginning the exchange back to “4 September 1892.” The first letter (from Van Eeden) actually goes back to “Haarlem, Aug. 13th ’92” (cf. Van Eeden/ Welby 1954: 5). 42 Instead, Petrilli (2009: 787) gives the date as “5-7 November 1908,” apparently because this letter’s postscript is dated 7 November. With regard to the content of the letters published in Petrilli’s edition, many passages and even more details are not made comprehensible to the reader. Commentaries and explanations would have been needed even by experts versed in the history of significs, but nothing of the kind is offered by Petrilli. Petrilli’s (2009: 782-796) last “selection from her unpublished correspondence,” comprises selected letters and excerpts drawn from the correspondence with Frederik van Eeden (1860-1932) which are set before an historical backdrop in the two previous chapters that provides a very informative and useful overview of the Signific movement in the Netherlands (Petrilli 2009: 748-766). For whatever reasons, the selection is restricted to letters between 1906-1912, 17 from Lady Welby and 11 from Van Eeden. It is noted in general terms that some of them were already published by Nina Cust (cf. Welby 1931: 49f., 71f., 113-116, 218f., 236-242, 250f.), but without giving the specific details. At this point, the very comprehensive partial edition of the exchange published by the Frederik van Eeden-Genootschap (Van Eeden/ Welby 1954) is not mentioned. Only five of the letters selected by Petrilli are not in that edition at all, 40 and all of the others are present there either in full or in similar excerpts. Just as Petrilli made little use of that edition, although it is mentioned in her bibliography, she also did not take advantage, in her role as editor, of the Frederik van Eeden Archive, which has a more complete collection of letters than the Welby Collection. 41 Aside from the fact that neither (partial) edition of the Van Eeden-Welby correspondence contains an in-depth commentary, several misreadings and mix-ups stand out in Petrilli’s replication of texts. The letter on page 783 dated “10 October 1906” should be dated “17 October 1906.” On p. 785, the date should be “30 March 1907,” not “3 March 1907.” On p. 786, the second letter from Van Eeden bears the same date as the first letter (“21 May 1907”), but it should in fact be dated “10 August 1907.” And finally, it should be noted that Lady Welby never mailed her letter of 4 November 1908 (cf. Petrilli 2009: 786f.), and wrote the one dated 5 November 1908 42 (2009: 787) in its stead. 4 Conclusions Looking back over Petrilli’s vast and certainly also highly labor-intensive edition of excerpts from Lady Welby’s correspondence with 15 highly diverse contemporaries, one cannot help asking again, what the author hoped to achieve by (re-)publishing these letters and why she chose to do it as she did. The general intent for publishing the letters stated in Signifying and H. Walter Schmitz 222 43 For example, Ahti-Veikko J. Pietarinen, who had intended, with Rosalind Carey, to publish the Russell-Welby correspondence in the Bertrand Russell Society Quarterly under the title “The Welby-Russell Correspondence, with introduction” told me when asked about the project that “Yes, we have transcribed the Welby-Russell letters over the years, but that work was made redundant by Petrilli’s recent publication of the material. […] I’ve had gone through Welby’s correspondence over the last 10 years with view of publishing what [is] indeed is an enormously important collection, but Susan [Petrilli] got the first! ” (e-mail on 10 March 2011). Understanding at the beginning of the chapter containing excerpts from the Van Eeden- Welby correspondence reads: “My aim with this volume given space limitations is simply to signal these materials in the hope of stimulating further significs-related research.” (Petrilli 2009: 782) This will not convince the reader at all, who, due to the lack of explanatory notes and commentaries, cannot even gain sufficient understanding of considerable passages in her edition to allow him to judge the value of the letters to the history of science. If the errors, omissions and mix-ups in these editions are also factored in, the question arises why the stated goal could not have been served equally well by taking a cue from Thayer (1968) and recommending that the reader reread the two volumes published by Nina Cust (Welby 1929; 1931). Then again, if she was really guided by the goal stated above, why was Petrilli so obviously intent on publishing complete editions in the case of exchanges with some authors (such as Bréal and Russell) - incomplete as they turned out to be? Unfortunately, this may have thwarted her overriding aim. For, as becomes evident from the survey attempted in the preceding pages, researching and analysis of Lady Welby’s correspondence from the standpoint of the history of science is still in its early phase and only two editions of the correspondence that truly meet scholarly standards and that are truly reliable and more or less complete come to mind, namely Jan Noordegraaf’s edition of the letters between Bolland and Welby (Noordegraaf 1991; 2005) and - with certain reservations - Charles S. Hardwick’s edition of the Peirce-Welby correspondence (Peirce & Welby 1977; 2001). But now that Petrilli has published her edition of the letters, it must be feared that hardly anyone else will embark on the task of preparing a truly reliable and useful edition with careful commentaries, say of the correspondence with Bréal or Russell, and carry it through to publication. 43 No matter how keen the need may be, authors and publishing houses will, I fear, look on such projects as already taken care of for the time being by Petrilli’s nearly 1100-page thick tome. This they will do although, as we have seen and now realize, the book has much in common with the “false giants,” who are known to appear so large only at a distance and grow smaller and smaller the closer one gets. Essen, March 2012 Illustration Miniature, water-colour painting about 17 cm x 13 cm, executed by Edward Richard Taylor (1838-1912) in 1862; owned by the Welby-family (http: / / www2.hawaii.edu/ ~ztomasze/ cis702/ enrich1.html) Bibliography Altshuler, Bruce 1979: “Charles S. 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Jahrhunderts, und sein Leben ist eng mit der Entwicklung der strukturalistischen Linguistik, des Strukturalismus, aber auch der Semiotik verknüpft: 1915, im Alter von 19 Jahren, gründet er mit anderen Studierenden den Moskauer Linguistischen Zirkel (cf. Wildgen 2010: 39). 1926, bei der Gründung des Prager Linguistischen Zirkels, ist er ebenfalls dabei, und während seines Aufenthalts in Prag pflegt er enge Beziehungen zum Kopenhagener Zirkel. Im New Yorker Exil trifft er Claude Lévi- Strauss, den er, wie Lévi-Strauss selbst nicht müde wird zu betonen, nachhaltig beeinflusst (cf. etwa Lévi-Strauss 1978). Hier machte er aber auch die Bekanntschaft von Jacques Lacan, Ernst Cassirer und anderen wichtigen Persönlichkeiten des Wissenschaftsbetriebs (cf. Jakobson 1974: 212). Jakobson ist, wie François Dosse richtig sagt, ein „globe-trotter du structuralisme“ gewesen (Dosse 1991: 77), und zwar nicht nur des linguistischen. Schon in Moskau interessiert er sich für interdisziplinäre, semiotische Fragestellungen: Er vergleicht sprachliche mit visuellen Kunstwerken (cf. Jakobson 1921b). In Prag untersucht er Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Musikwissenschaft und Linguistik (cf. Jakobson 1932). Doch erst in seinen späten Lebensjahren nimmt die Auseinandersetzung mit Semiotik und K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Daniel H. Rellstab 228 1 Der folgende Aufsatz ist eine Neufokussierung, Überarbeitung und Erweiterung eines Problembereichs, den ich in einem Unterkapitel meiner 2007 erschienen Dissertation (cf. Rellstab 2007) schon einmal thematisiert habe. insbesondere die Bestimmung des Verhältnisses von Sprache und anderen Zeichensystemen einen besonderen Rang in seinem Schaffen ein (cf. Jakobson 1967, 1968; Waugh 1985: xix). 1 Das scheint lange her. Und doch lassen sich Linien ziehen von aktuellen Ansätzen innerhalb der Linguistik und der Semiotik zurück zu Jakobson. Jakobsons funktionaler Strukturalismus beeinflusste neben André Martinet und dessen funktionaler Linguistik (cf. Akamatsu 2001; Feuillard 2001) auch die funktionale Sprachtypologie und Universalienforschung und die funktional systemische Grammatik M.A.K. Hallidays (cf. Davidse 1987). Obwohl diese Forschungsrichtungen sehr unterschiedliche Forschungsfelder bearbeiten, besteht eine Gemeinsamkeit: Beide Richtungen beschäftigen sich auch mit semiotischen Fragestellungen. In der funktionalen Sprachtypologie und Universalienforschung gilt neben dem Prinzip sprachlicher Ökonomie und der type-token-Frequenz Ikonizität als wichtigstes Prinzip des Aufbaus und der Entwicklung von Sprachsystemen (cf. etwa Croft 2003: 101-21). In der funktional systemischen Grammatik ist das semiotische Denken noch ausgeprägter. Sie versteht Sprache als „social semiotic“ (Halliday 1978), in welcher unterschiedliche semiotische Modi eine Rolle spielen (cf. Halliday 1993). Gleichzeitig bildet die systemisch funktionale Grammatik die Basis der kritischen Diskursanalyse, die heute zu einer multimodalsemiotisch ausgerichteten Forschungsrichtung geworden ist. Diese wiederum sieht sich als in der Tradition der Pariser semiotischen Schule stehend, jedenfalls „the way in which the Paris School semiotics is generally taught in the Anglo-Saxon world“ (Kress and van Leeuwen 2006: 6; cf. Kress 2010). Jakobsons Arbeiten stehen damit in linguistischen und semiotischen Traditionslinien, die heute noch weitergeführt werden. Deswegen lohnt es sich auch heute noch, Jakobsons Theorie und seine Theoriebildung unter die Lupe zu nehmen. Dies ist insbesondere da angezeigt, wo sich Jakobson selbst gerne als Theorievermittler präsentiert, nämlich in seiner Rolle als Vermittler der Zeichentheorie von Charles S. Peirce. Und dessen Zeichentheorie wird auch von den erwähnten Ansätzen beansprucht (cf. Croft 2003: 202) - oder als inadäquat zurückgewiesen, so etwa von Kress und van Leeuwen (2006: 8-9). In beiden Fällen wird Peirce nur in Schwundstufen rezipiert, und daran dürfte Jakobson nicht ganz unschuldig sein. Jakobson verweist zum ersten Mal in den frühen 1950er Jahren auf Peirce (cf. Jakobson 1953: 555 et passim). Von diesem Zeitpunkt an platziert er in seinen Texten immer wieder Peirce-Zitate, und zwar in den unterschiedlichsten Zusammenhängen (cf. etwa Jakobson 1959a: 267; Jakobson 1965: 350). Dass dieses Verweisen auf Peirce durchaus nicht ohne Problembewusstsein geschieht, signalisiert Jakobson selbst. Er verweist auf zwei Problemlagen, die der Peirce-Forschung auch heute noch Stoff zur Debatte und Arbeit bieten: Jakobson ist sich bewusst, dass die Quellenlage der Texte zumindest suboptimal ist. Und er weiß, dass Peirce’ Denken sehr dynamisch ist und dass dieser seine theoretischen Positionen ständig neu überdenkt und eingeführte Terminologie ändert, was einen sorgfältigen Umgang mit den peirceschen Texten zur Voraussetzung einer sauberen Rezeption macht (cf. Jakobson 1974: 205; 1976: 1535-36). Jakobson schreibt: [O]ne cannot read the Collected Papers of Peirce. One can only study them, changing completely, so to say, the whole perspective, the whole view of his works. Then one knows what are the works of Peirce; otherwise one has completely wrong ideas (Jakobson 1976: 1536). Roman Jakobsons Peirce-Adaption 229 2 Im Original: „de rattacher tous les systèmes sociaux à des catégories principielles qui fonctionnent comme catégories nouménales“ (Dosse 1991: 151). Wie adäquat ist aber Jakobsons eigenes Verständnis von Peirce? Studiert er Peirce? Oder liest er ihn einfach? Für Jakobsons Adepten ist klar, dass er Peirce richtig gelesen hat. Sie betonen, dass Jakobson Peirce für die Linguistik entdeckt hat. Gleichzeitig behaupten sie, dass Peirce einen entscheidenden Einfluss auf Jakobson ausgeübt habe (cf. Waugh 1985). Elmar Holenstein behauptet gar, dass Peirce für Jakobson nach dem Zweiten Weltkrieg „neben oder sogar an die Stelle Husserls“ getreten sei (cf. Holenstein 1975: 21) - und wie Holenstein nachweist, ist Husserl für die Entwicklung des jakobsonschen phänomenologischen Strukturalismus entscheidend gewesen (cf. Holenstein 1975: 55ff.; 1976: 13ff.). Diejenigen aber, die sich etwas intensiver mit Jakobsons Peirce-Rezeption auseinandergesetzt haben, zeigen, dass die Art und Weise, wie Jakobson der Linguistik Peirce näherbringen will, alles andere als unproblematisch ist. Dezidiert äußert sich Elizabeth Bruss (1978), die die erste war, welche eine Untersuchung der jakobsonschen Peirce-Adaption durchführte: Sie weist zwar darauf hin, dass sich Gemeinsamkeiten zwischen Peirce und Jakobson finden lassen. Doch gemäß Bruss beschränken sich diese darauf, dass sich beide auf die spekulative Grammatik berufen, und dass beide einen Hang zum Aufstellen von Typologien haben. Ihr Verdikt über Peirce’ Einfluss auf Jakobson liest sich wie eine harsche Replik auf die Behauptung Holensteins: Most of Jakobson’s attitudes have already matured by the time he draws upon Peirce; he has already formulated much of the basic framework for his semiotics. Thus he is a selective reader, using Peirce to supply additional support for his own positions, deploying him polemically as the exemplar of an alternative to the Saussurian tradition. His readings of Peirce never seem to demand any serious revisions of his own categories (Bruss 1978: 81). Aus einer etwas anderen Perspektive analysiert Jakób Liszka (1981) das Verhältnis von Jakobson und Peirce. Neben dem Nachweis, dass Jakobsons Adaption des peirceschen Interpretanten als Übersetzung von einem Zeichen in ein anderes legitim und plausibel ist, geht es ihm vor allem darum zu zeigen, dass die peircesche Philosophie mit dem Strukturalismus zumindest hinsichtlich der metaphysischen Grundlegungen kompatibel ist. Ihn interessiert insbesondere der Isomorphismus, die Idee, dass das System der Regeln der Sprache ein Bild des physio-neurologischen Regelsystems sei (cf. Liszka 1981: 42) Dabei bezieht sich Liszka allerdings nicht direkt auf Jakobson, sondern auf Lévi-Strauss. Denn: The philosophical consequence of isomorphism can be, strangely enough, found in Lévi- Strauss, through the Kantian formulation of that principle, [which] makes the comparison to Peirce easier (Liszka 1981: 44). Lévi-Strauss’ Strukturalismus weist in der Tat einen kantianischen Unterbau auf, der sich etwa daran zeigt, dass Lévi-Strauss versucht „alle sozialen Systeme auf Fundamentalkategorien zurückzuführen, die als noumenale Kategorien fungieren“ (Dosse 1991: 151). 2 Dass diese noumenalen Kategorien a priori von Lévi-Strauss tatsächlich nach der Phonologie modelliert werden, ist ebenfalls bekannt (cf. Dosse 1991: 151f.). Doch impliziert dies keineswegs, dass Lévi-Strauss mit Jakobson gleichgesetzt werden kann. Lizska analysiert also nicht eigentlich die Kompatibilität des jakobsonschen Strukturalismus mit der philosophischen Position von Peirce, sondern die Kompatibilität zwischen Lévi-Strauss’ Variante des Strukturalismus und einer objektiv idealistischen Position, welche Liszka Peirce attribuiert. Daniel H. Rellstab 230 Anders argumentiert Thomas Short (1998). Short geht vor allem auf Unterschiede zwischen Peirce’ und Jakobsons Zeichendefinitionen sowie auf die teleologische Sprachvorstellung Jakobsons und dessen Behauptung, dass Peirce ebenfalls eine solche Vorstellung vertreten habe, ein. Short sieht zwischen Peirce und Jakobson durchaus Parallelen. Diese führt er aber nicht auf einen nachhaltigen Einfluss von Peirce zurück, sondern darauf, dass Jakobson im Prinzip eine Sprachvorstellung vertritt, die er mit Hilfe des peirceschen Zeichenmodells und der peirceschen Vorstellung von Teleologie besser hätte fundieren können: Peirce’ funktionales, relationales Zeichenmodell wäre besser geeignet gewesen, Jakobsons Funktionalismus zu fundieren. Auch Short weist nach, dass Jakobsons Peirce-Adaption problematisch ist. Er diskutiert sie aber vor allem, um Jakobsons verpasste Chancen aufzuzeigen. Eine systematische Darstellung der jakobsonschen Interpretation peircescher Ideen fehlt aber bisher. Wie genau stellt er Peirce in seinen Schriften dar? Dies soll im Folgenden in Ansätzen geleistet werden. 2 Jakobsons kommunikationswissenschaftliche Semiotik, Peirce’ semiotische Logik Jakobson setzt sich schon früh mit dem Verhältnis der Linguistik zu anderen Disziplinen auseinander. Steht in der Zeit in Moskau und Prag die Etablierung der Linguistik als einer insbesondere von der Psychologie unabhängigen Disziplin im Vordergrund (cf. Jakobson 1971b: 715), so haben seine späteren interdisziplinären Überlegungen nicht nur die Funktion, den Platz der Linguistik unter den „nomothetischen Wissenschaften vom Menschen“, den Sozial- und Geisteswissenschaften, und ihr Verhältnis zu den anderen Disziplinen zu bestimmen (cf. Jakobson 1967: 656). Sie dienen gleichzeitig auch dazu, das Feld der Semiotik abzustecken. Semiotik ist für Jakobson gleichbedeutend mit der Untersuchung „der Kommunikation jedwelcher Art von Mitteilungen“. Damit schließt sie die Linguistik ein, die sich mit der „Kommunikation verbaler Mitteilungen“ auseinandersetzt. Die Semiotik selbst ist aber ihrerseits Teil einer umfassenderen Wissenschaft, nämlich der Untersuchung von Kommunikation allgemein (Jakobson 1973a). Diese allgemeine Kommunikationswissenschaft ist darauf ausgerichtet, wie Jakobson im Anschluss an Lévi-Strauss schreibt, „à interpréter la société dans son ensemble en fonction d’une théorie de la communication“ (Jakobson 1967: 663). Obwohl die Semiotik die Linguistik umfasst, und obwohl Jakobson insistiert, dass genau analysiert werden muss, welches die Eigenschaften der Sprache sind und wie sich diese von Eigenschaften anderer Zeichensysteme unterscheiden, attribuiert er der Linguistik auch methodologisch einen besonderen Rang innerhalb der Semiotik. Mit Piaget behauptet er, dass ihr als besonders avancierter Sozialwissenschaft eine Sonderstellung innerhalb der Sozial- und Geisteswissenschaften zukomme. Mit de Saussure und Bloomfield weist er darauf hin, dass Sprache das wichtigste aller menschlicher semiotischer Systeme sei, und deshalb sei die Linguistik auch „the chief contributor to semiotic“. In diesem Zusammenhang zitiert er auch Peirce: Already at the threshold of our century Peirce assigned to „the vast and splendidly developed science of linguistics“ a privileged position among the „studies of mental performances and products“ (136, I, § 271) (Jakobson 1967: 656). Jakobson verweist hier auf einen jener Texte aus der Zeit um die Jahrhundertwende, in welchen sich Peirce darum bemüht, eine Klassifikation der Wissenschaften aufzustellen. Roman Jakobsons Peirce-Adaption 231 Die „Studies of mental performances and products“, von denen Peirce hier spricht, entsprechen, den heutigen Geistes- und Sozialwissenschaften. Doch Peirce schreibt in dem von Jakobson zitierten Abschnitt nicht, dass die Linguistik unter diesen Wissenschaften einen besonderen Rang einnimmt. Und Jakobsons Andeutung, dass sie als privilegierte Wissenschaft auch in methodischer Hinsicht eine Vorbildfunktion hat, ist schlicht falsch. Peirce listet die Linguistik als eine der Wissenschaften auf, die zusammen mit der Ethnologie in einen spezifischen Bereich der „Studies of mental performances and products“ gehören (CP 1.271, 1902). Peirce ist nie davon ausgegangen, dass die Linguistik der Semiotik entscheidende Impulse verleihen könnte. Dies kann sie schon aus dem Grund nicht, weil sie als ‚geistes- oder sozialwissenschaftliche‘ Disziplin nichts mit Philosophie zu tun hat. Und die Semiotik ist eine philosophische Disziplin, die auf der Phänomenologie beruht - jedenfalls präsentiert Peirce dies so um 1904. Die Fundierungsverhältnisse sind also ganz anders. Das ist nicht erstaunlich, denn Peirce’ Projekt unterscheidet sich in der Tat von demjenigen Jakobsons. Peirce versteht sich vor allem als Logiker, und auf diesem Gebiet hat er auch die wichtigsten Forschungsergebnisse vorzuweisen. So hat Peirce vor Henry Sheffer herausgefunden, dass sich eine Aussagenlogik mit nur einem Junktor realisieren lässt (cf. W4: 218-221); er führt Quantoren in die Logik ein (cf. etwa SS1: 247-48); er entwickelt eine graphische Syntax, mit deren Hilfe er propositional-, prädikaten- und modallogische Probleme löst. Peirce hat ein anderes Logikverständnis, als wir es heute kennen: Die formale Logik zählt er zur Mathematik; zum Klassenkalkül etwa sagt er, dieser sei nichts anderes als Mathematik, auf Logik angewandt (cf. CP 4.263, 1902). Der peircesche Logiker muss zudem weitaus mehr Fragestellungen bearbeiten als der heutige. Denn Logik versteht Peirce gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Wissenschaft, die sich nicht nur mit Symbolen und korrekten Schlussfolgerungen auseinandersetzt. Logik muss vielmehr gemäß ihrer allgemeinsten Bedeutung alle Darstellungen analysieren, „die einem Wissen Gestalt geben können“ (SS1: 236, 1897). Und eine der Hauptaufgaben der peirceschen Logik soll darin bestehen herauszufinden, wie Wissen, und zwar jegliches Wissen, nicht nur gesichert, sondern auch erweitert werden kann (cf. EP2: 256; SS2: 200). Diese Aufgaben kann der Logiker aber nur dann lösen, wenn er alle unterschiedlichen elementaren Arten, zur Wahrheit zu gelangen, untersucht. Dazu muss er zuerst alle Arten analysieren, wie man einen Gedanken ausdrücken kann; und da man einen Gedanken nur ausdrücken kann, wenn er verkörpert wird, und diese Verkörperung in allen möglichen Zeichen erfolgt, muss er zuerst die Struktur von Zeichen analysieren; erst dann kann er sich mit Schlussfolgerungen beschäftigen (cf. MS 449: 25-26): For since thought has no being except in so far as it will be embodied, and since the embodiment of thought is a sign, the business of logical critic cannot be undertaken until the whole structure of signs, especially of general signs, has been thoroughly investigated (MS 449: 26). Während Peirce sich also darum bemüht, die Frage zu klären, wie Wissen über die Realität möglich ist und wie dieses Wissen dargestellt und gesichert werden kann (cf. etwa EP2: 256), so will Jakobson herausfinden, wie Sprache und Kommunikation im engeren Sinne funktionieren (cf. dazu auch 1998: 89). Dass eine Fundierungsbeziehung zwischen Linguistik und Semiotik bestehen könnte, darauf wäre Peirce nie gekommen. Jakobsons Anspielung ist völlig falsch. Dies heißt aber nicht, dass Peirce sich nicht ebenfalls intensiv mit natürlicher Sprache und der Funktionsweise von Kommunikation auseinandergesetzt hat. Das zeigt sich schon früh: 1864 schreibt er einen Artikel zur Shakespearean Pronunciation (W1: 117ff.). In den 1890er Daniel H. Rellstab 232 Jahren beschäftigt er sich mit sprachtypologischen Fragen (cf. SS1: 202ff). Allerdings geht es ihm hier weniger darum, einen Beitrag zur Sprachwissenschaft zu leisten, sondern zentral ist für ihn die Frage, wie sich Logik und natürliche Sprachen zueinander verhalten. Geht Peirce vor 1900 noch davon aus, dass die Analyse natürlicher Sprachen und deren Funktionsweisen zum vorlogischen Bereich gehören, also gewissermaßen propädeutischen Charakter hat, so macht er nach 1900 die Auseinandersetzung mit natürlicher Sprache zu einem Teil seiner umfassenden Logik als Semiotik. Allerdings geht er davon aus, dass die Semiotik als Logik die Sprachwissenschaft informieren muss, und nicht umgekehrt: Die Untersuchung der Sprachen sollte auf einer Untersuchung der notwendigen Bedingungen basieren, denen Zeichen genügen müssen, um ihre Funktionen als Zeichen zu erfüllen. Ich bin nach und nach zu dem Schluß gelangt, daß es am besten ist, Logik mit dieser Untersuchung zu identifizieren […] (SS2: 212). Jakobson greift nicht auf die sprachphilosophischen und linguistischen Passagen in Peirce’ Collected Papers zurück, um sie als Inspirationsquellen zu benutzen, und auch die Position, dass die Logik als Semiotik der Sprachwissenschaft die Instrumente liefert, übernimmt er nirgendwo. Er gleicht vielmehr Peirce seiner eigenen Position an. 3 Peirce’ relationale Zeichendefinition in Jakobsons Texten Jakobsons Interesse gilt vor allem den zeichendefinitorischen und -klassifikatorischen Aspekten des Werks von Peirce. Jakobson verweist zum ersten Mal auf Peirce im Jahr 1953. In einer Fußnote in seiner gemeinsam mit Colin Cherry und Morris Halle verfassten, informationstheoretisch inspirierten Analyse russischer Phoneme und ihrer Distribution steht: Charles S. Peirce, the founder of modern semiotics, would say that besides the application of the phonemic LEGISIGNS within the lexical SINSIGNS, such an application must be scrutinized again within lexical LEGISIGNS; cf. his Collected Papers, 2.245-7 […] (Jakobson et al. 1953: 463, n12). Jakobson, Cherry und Halle benutzen diese Unterscheidung zur Legitimierung ihrer Forderung, dass die Distribution von Phonemen auch im lexikalischen Code einer Sprache untersucht werden soll (cf. Jakobson et al. 1953: 463). Sie greifen hier auf denjenigen Aspekt der peirceschen Klassifikation der Zeichen zurück, der bei Peirce immer am Anfang der Arbeit am Zeichen steht: Die Klassifikation der Zeichens gemäß ihrer Präsentationsmodi. Peirce unterscheidet in diesem Bereich, wie Zeichen als Zeichen an sich vorkommen, oder funktional ausgedrückt, wie sie wahrgenommen und aufgefasst werden können. Peirce variiert die Terminologie, welche die Zeichen so klassifiziert, stark. Er spricht unter anderem von Quali-, Sin- und Legizeichen, aber auch von tuone, token und type (cf. etwa CP 4.537, 1906; CP 8.347, 1908; MS 292, 18-19; EP2: 483, 488). Wie Peirce mit seiner Wortneubildung aus der Abkürzung von „single, simple, Latin semel, etc.“ und Zeichen (EP2: 291) anzeigt, gehören zur Klasse der Sinzeichen alle konkreten Zeichenereignisse, die raum-zeitlich fixiert und Teil der physikalischen Welt sind, „or Objects which are Signs as Experienced hic et nunc“ (EP2: 483). Legizeichen dagegen sind abstrakte Zeicheneinheiten, auf die sich konkrete Zeichenereignisse beziehen können. Das Legizeichen regelt die Realisierung der Sinzeichen als Replicas. Daher auch diese Wortneubildung: Legisign enthält die lateinische Wurzel für lex, legis: „A Legisign is a law that is a sign“ (EP2: 291). Ein Qualizeichen dagegen ist eine Eigenschaft, eine Qualität, die in einem aktuell auftretenden Zeichen verkörpert ist und als Roman Jakobsons Peirce-Adaption 233 solche Zeichenqualität erhält. Jakobson benutzt hier nur die Unterscheidung zwischen Sin- und Legizeichen. Die erste Kategorie lässt er weg. Die Verwendung peircescher Terminologie ist an dieser Stelle im Prinzip unproblematisch. Peirce selbst hat Gesetzmäßigkeiten in Wort- und Satzbau erkannt (cf. etwa MS 427), und man kann die Arbeit von Phonologie, Morphologie und Morphosyntax als Beschreibung natürlichsprachlicher Legizeichen bezeichnen (cf. etwa SS2: 273). Peirce selbst tut dies aber nicht, wie dies Jakobson et al. insinuieren. Denn natürlich steht ihm das entsprechende Vokabular nicht zur Verfügung. Und es lässt sich in seinem Werk auch nirgendwo einen Hinweis darauf finden, dass er für eine strukturale Analyse von Wörtern und deren Aufbau plädiert hätte. Den Terminus „Legizeichen“ verwendet Jakobson auch noch andernorts (cf. Jakobson 1961: 573). Auf das Qualizeichen verweist er nicht, und er blendet auch die Diskussion um das Zusammenspiel zwischen Quali-, Sin- und Legizeichen aus. Dabei müsste sich eine von Peirce inspirierte Linguistik die Frage stellen, wie das Zusammenspiel zwischen einer Qualität, die als Zeichen funktioniert, dem instantiierten Zeichen und dessen Legizeichen zu fassen ist. Peirce selbst tut dies in seiner Beschäftigung mit phonologischen Fragen avant la lettre. Das wird etwa in seinen späten Zeichenklassifikationsversuchen deutlich, wo er an einer Stelle schreibt: So ist der Laut eines Vokals jedes Mal, wenn er ausgesprochen wird, ein etwas anderer, und wenn das der Fall ist, so haben wir zwei Tuone. Aber insofern beliebige zwei Vokale gleich sind, sind sie nur ein Tuone, in dem einzigen Sinn, in dem es im Tuone Selbigkeit geben kann (SS3: 216). Diese Stelle kann Jakobson nicht gekannt haben, da sie in den Collected Papers nicht publiziert ist. Doch das Verhältnis zwischen Type, Token und Tone in der natürlichen Sprache wird ebenfalls in den Collected Papers thematisiert (cf. CP 4.537, 1906). Es ist erstaunlich, dass Jakobson, der sich unablässig mit der Qualität sprachlicher Laute beschäftigt und der sich die Frage stellt, wie auf der Basis dieser Lautqualitäten Sprachsysteme aufgebaut werden, sich mit dem Verweis auf Sin- und Legizeichen zufrieden geben kann. Jakobsons Adaption der peirceschen Semiotik macht Inkonsistenzen in seinem Denken deutlich. Dies wird an Jakobsons Gleichsetzung der peirceschen relationalen Zeichendefinition mit seiner eigenen, eigentlich zweiteiligen Zeichenkonzeption sichtbar, die sich schon sehr früh finden lässt (cf. Jakobson 1953: 555-56). Jakobson definiert Sprache im Anschluss an Ferdinand de Saussure als Zeichensystem. Die saussuresche Unterscheidung von signifiant und signifié in stoische Terminologie umformend entwickelt er aber eine eigene, nicht ganz konsistente Zeichentheorie. Nach ihm besteht das sprachliche Zeichen, wie er im Anschluss an Augustins Übersetzung der Stoiker schreibt, aus signans und signatum und ist funktional determiniert (cf. etwa Jakobson 1935: 23-24; 1939a). Ist bei de Saussure deutlich, dass es sich beim signifiant um das Lautbild, nicht den eigentlich Laut handelt, so ist das bei Jakobson auch aufgrund der Adaption der stoischen Terminologie nicht mehr ganz klar. Denn einerseits weist er darauf hin, dass das signans das Wahrnehmbare bezeichne (cf. etwa Jakobson 1973b: 99). In anderen Zusammenhängen, etwa bei der Diskussion phonologischer Fragestellungen, definiert er das signans aber als abstrakte Größe (cf. etwa Jakobson 1939a: 292f.). Diese Definition des Zeichens, die aus der Zeit vor den 1940er Jahre stammt, behält Jakobson auch nach seiner Peirce-Rezeption bei. Er unterstellt Peirce gar, dass auch dieser mit dieser Terminologie operiert habe: In spite of all the differences in the presentation’s details, the bipartition of the sign into two conjoined facets and, in particular, the Stoic tradition, which conceives of the sign ( μ ) as Daniel H. Rellstab 234 a referral on the part of the signans ( μ ) to the signatum ( μ μ ), remains strong in Peirce’s doctrine. (Jakobson 1974: 206) Dieses Zitat ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens behauptet Jakobson, Peirce habe eine zweigliedrige Zeichenkonzeption vertreten. Das ist schlicht falsch. Peirce definiert schon in einem sehr frühen Text aus dem Jahr 1861 das Symbol als dreistellige Relation: The first is the relation to the pure Idea or Logos and this (from the analogy of the grammatical terms for the pronouns I, IT, THOU) I call its relation of the first person, since it is its relation to its own essence. The second is its relation to Consciousness, or to any language as being translatable, which I call its relation to the second person, since it refers to the power of appealing to a mind. The third is its relation to the object, which I call its relation to the third person or IT (W1: 174). Und auch wenn Peirce die Definition des Zeichens im Lauf der Zeit transformiert: An der Idee, dass ein Zeichen eine dreistellige Relation ist, hält er fest. So schreibt er im Jahr 1907: I am now prepared to risk an attempt at defining a sign, - since in scientific inquiry, as in other enterprises, the maxim holds, Nothing hazard, nothing gain. I will say that a sign is anything, of whatsoever mode of being, which mediates between an object and an interpretant; since it is both determined by the object relatively to the interpretant, and determines the interpretant in reference to the object, in such wise as to cause the interpretant to be determined by the object through the mediation of this ‚sign‘. The object and the interpretant are thus merely two correlates of the sign; the one being antecedent, the other consequent of the sign (MS 318: 81). Zweitens behauptet Jakobson, Peirce habe sich in seinen zeichentheoretischen Erörterungen auf die Stoa bezogen. Es ist so, dass Jakobson sich bei der Definition des Zeichens auf die Stoa bezieht (cf. etwa Jakobson 1973b: 99), Peirce aber nicht. Peirce verweist zwar ab und zu auch auf die Stoa, doch geschieht dies nicht im Zusammenhang mit zeichendefinitorischen Fragen, und es geschieht nicht systematisch, sondern kursorisch (cf. etwa W2: 352f.; W4: 483; SS2: 108). An der einzigen Stelle, an welcher er etwas ausführlicher auf die Stoiker zu sprechen kommt, diskutiert er ihre Lehre des Nezessitarismus - und verwirft sie (cf. W8: 111ff.). Jakobsons Einreihung von Peirce in eine semiotische Tradition, welche das Zeichen als zweigliedrige Einheit betrachtet, ist nicht nur erstaunlich, sondern auch falsch. Dabei hätten Jakobson Diskrepanzen zwischen seinem Zeichenmodell und demjenigen von Peirce früh auffallen müssen. In einem anderen frühen Text, seiner Zusammenfassung der Ergebnisse einer linguistisch-anthropologischen Tagung an der Indiana University, auf welcher er Peirce als „one of the greatest pioneers of structural linguistic analysis“ bezeichnet (Jakobson 1953: 555), verweist er nämlich auch auf Peirce’ Interpretanten, der heute wohl als Schibboleth der peirceschen Semiotik gilt. Und laut Peirce konstituiert sich ein Zeichen, formal betrachtet, erst durch den Interpretanten, welcher die Relation zwischen Zeichen und Objekt herstellt. Der Begriff des Interpretanten taucht in Peirce’ Schriften schon sehr früh auf. In den Lowell Lectures aus dem Jahr 1866 weist Peirce darauf hin, dass eine Repräsentation immer eine Repräsentation von etwas sei, aber immer nur für ein Etwas. Normalerweise sei dieses Etwas eine Person. Und wenn eine Person eine Repräsentation interpretiere, dann könne sie dies nur mit Hilfe einer weiteren, etwa einer mentalen Repräsentation. Diese die erste Repräsentation interpretierende, übersetzende Repräsentation nennt Peirce „Interpretant“ (cf. etwa W1: 466). To interpret weist bekanntlich im Englischen auch die Bedeutung dolmetschen und übersetzen auf, und Peirce definierte in dieser frühen Phase den Inter- Roman Jakobsons Peirce-Adaption 235 3 So etwa gegen Chomskys Syntactic Structures (1957). Diese nennt er ein „argumentum a contrario“ (Jakobson 1959b: 494). pretanten als Übersetzung eines Zeichens in ein anderes. Seine Funktion erklärte er folgendermaßen: Such a mediating representation, I call an interpretant, because it fulfills the office of an interpreter who says that a foreigner says the same thing which he himself says (W1: 523). Peirce’ Semiotik steckt zu diesem Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen. Peirce interessiert sich ausschließlich dafür, welches logische Bedeutungspotenzial ein Zeichen aufweisen kann. Und als Interpretanten sind zu diesem Zeitpunkt allein logisch analysierbare Bedeutungsaspekte von Zeichen definiert. Erst nach der Jahrhundertwende erkennt er, dass sich auch andere Phänomene, insbesondere Gefühle und Handlungen, als Bedeutungsaspekte definieren und in eine Semiotik integrieren lassen. Und erst damit wird seine Semiotik zu einem umfassenden Klassifikationsinstrument unterschiedlicher zeichenhafter Phänomene und ihrer Bedeutungseffekte (cf. etwa EP2: 292; SS2: 274). Mit der Konzeption des intensionalen Aspekts des Zeichens als Interpretanten gelingt es Peirce, seine dialogische Vorstellung der Bedeutungsgenese theoretisch auszuarbeiten. Gleichzeitig kann er unter dem Begriff des Interpretanten eine Vielfalt möglicher Interpretationsphänomene subsumieren und subklassifizieren: Er kann zwischen virtueller, aktualisierter und habitualisierter Signifikation unterscheiden, und auch seine pragmatische Vorstellung von Bedeutung operiert mit den Interpretanten. All diese Aspekte des Interpretanten sind für Jakobson nicht relevant. Jakobson interessiert sich ausschließlich für die Definition des Interpretanten als Übersetzung eines Zeichens in ein anderes Zeichen (CP 2.228, 1897). Er glaubt, diesen Übersetzungsvorgang mit seiner semantischen Distributionsanalyse gleichsetzen zu können, welche die innerhalb des Sprachsystems fixierte lexikalischen Bedeutungen enthüllen kann und welche zeigt, welche invarianten, codegegebenen Bedeutungsanteile ein Wort aufweist. Der Sinn der Analyse besteht in der Bestimmung der Invarianten des Bedeutungsgehalts der Wörter im Gefüge der Sprache und damit der semantischen Struktur eines Sprachsystems: Wie etwa kann die Bedeutung des englischen Wortes pork definiert werden? „Pork is pig meat used as food“ (Jakobson 1953: 566; cf. Jakobson 1959b: 493-94). Das ist eine Übersetzung, und das ist laut Jakobson das, was Peirce mit seinem Interpretanten thematisiert hat: Her [sic! ] is the basis for our further deliberations on linguistic operations with meanings, and I’m sure they will be our main concern in the future (Jakobson 1953: 566). Der Verweis auf Peirce könnte an dieser Stelle als Autoritätstopos gelesen werden. Denn Jakobson verwendet Peirce in diesem Kontext auch, um gegen die innerhalb der amerikanischen Linguistik zu dieser Zeit bestehende Vernachlässigung semantischer Fragen anzugehen. 3 Doch ist es sicherlich legitim, Peirce’ Interpretanten als Übersetzung in ein anderes Zeichen zu definieren, auch wenn dies angesichts der Komplexität dieses Konzepts einigermaßen dürftig ist. Problematisch ist, dass Jakobson trotz der Integration des Interpretanten an seiner zweistelligen Zeichendefinition festhält. Denn in diesem zweistelligen Modell hat es ja eigentlich gar keinen Platz für eine dritte Größe. Jakobson findet aber gleich zwei Stellen, wo er den Interpretanten integrieren will. Sich an seiner im Anschluss an Kruszewski und de Saussure entwickelten Zwei-Achsen-Theorie orientierend, welche zwischen Paradigma und Syntagma oder code und message unterscheidet Daniel H. Rellstab 236 und deren Zusammenspiel erläutert (cf. etwa Jakobson 1956b, 1957), setzt er den unmittelbaren oder, wie er schreibt, den „selectiven“ Interpretanten mit dem Code gleich. Peirce definiert den unmittelbaren Interpretanten unter anderem als die Möglichkeit der Interpretation eines Zeichens (cf. etwa SESI 34-35; SS2: 402; Short 2004: 225 et passim). Wenn man in Betracht zieht, dass der Code, oder die langue, erst die Möglichkeit der Interpretation eines sprachlichen Zeichens als sprachlichem Zeichen konstituiert, so ist dieser Teil der jakobsonschen Interpretation nicht falsch - abgesehen vom Namen „selective“, den Peirce meines Wissens nicht verwendet. Das Gleiche gilt für den zweiten Interpretanten, den Jakobson integriert. Dieser soll die kontextuelle Bedeutung in der message benennen. Dafür greift er aber nicht etwa auf Peirce’ dynamischen Interpretanten zurück, der „die Wirkung oder das Ergebnis ist, das tatsächlich durch das Zeichen bewirkt wird“ (SS2: 402). Jakobson kreiert dafür einen eigenen Interpretanten, den er „environmental interpretant“ nennt (Jakobson 1956a: 118; cf. Jakobson 1956b: 244). Isoliert betrachtet, ist Jakobsons Interpretation der Interpretanten nicht falsch. Doch seine Adaption funktioniert nicht. Durch die Integration entsteht ein inkonsistentes, auch nicht ganz einsichtiges Zeichenmodell: Ist es nun zweistellig oder dreistellig? Interessanterweise entsteht diese Inkonsistenz in Jakobsons Zeichentheorie nicht erst durch die Integration des Interpretanten. Die versuchte und gescheiterte Integration macht vielmehr eine Inkonsistenz in Jakobsons eigener Zeichenkonzeption deutlich (cf. Short 1998: 90ff.): Jakobson laviert zwischen einer substantivistischen und einer relationalen Zeichendefinition. Der substantivistische Aspekt zeigt sich daran, dass laut Jakobson ein Zeichen eine Einheit von signans und signatum ist, das signatum gewissermaßen durch das signans ausgedrückt wird. Eine relationale, funktionale Zeichenkonzeption geht davon aus, dass ein Zeichen eine Relation ist, welche sich im Akt der Interpretation erst konstituiert, und zwar unter funktionalen Aspekten: Ich interpretiere ein Zeichen im Hinblick auf etwas. Sehr verkürzt ist dies Peirce’ Idee, und im Prinzip ist ja auch Jakobsons Schaffen darauf hin ausgerichtet, eine funktionale Sprach- und Zeichentheorie zu etablieren. Doch diese relationale, funktionale Idee lässt sich nicht mit der substantivistischen Zeichentheorie zusammenbringen. Aus eben diesem Grund kann der Interpretant, die interpretative, zielgerichtete Resonanz, „the interpretative response“ (Short 1998: 93) nicht in ein zweistelliges Zeichenmodell integriert werden, da er die relationale, funktionale Rolle des Zeichens im Interpretationsprozess anzeigt. 4 Peirce’ Icon und Index in Jakobsons Schriften Wichtig ist für Jakobson auch der peircesche Begriff des Icon. Diesen definiert Peirce unter anderem folgendermaßen: An Icon is a sign which refers to the Object that it denotes merely by virtue of characters of its own and which it possesses, just the same, whether any such Object exists or not. It is true that unless there really is such an Object, the icon does not act [as] a sign; but this has nothing to do with its character as a sign. Anything whatever, be it quality, existent individual, or law, is an icon of anything, in so far as it is like that thing and used as a sign of it (EP2: 291). Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen signans und signatum beschäftigen Jakobson schon früh. Daher ist es nicht erstaunlich, dass auch die Basis der jakobsonschen Analysen sprachlicher Phänomene von Motiviertheit nicht bei Peirce zu finden ist. Schon in seinen von der Poeto- Roman Jakobsons Peirce-Adaption 237 logie der russischen Futuristen beeinflussten Analysen russischer Verskunst stellt Jakobson die These auf, dass sich Poesie durch Lautsymbolismus auszeichne. Das Spiel mit dem Wortmaterial und die „Ausrichtung auf den Ausdruck“ reduziere zwar die kommunikative Funktion poetischer Sprache auf ein Minimum und verhindere damit eine „mechanische Kontiguitätsbeziehung zwischen Klang und Bedeutung“ (Jakobson 1921a: 31, 81-83). Das poetische Verfahren erneuere aber die Bedeutung der verwendeten Wörter: Poetische Fügungen von Wörtern, etwa das Zusammenstellen ähnlich klingender Phoneme, führe zur Herstellung neuer Bedeutungsbeziehungen (Jakobson 1921a: 95-97, 125). An dieser Überzeugung wird Jakobson sein Leben lang festhalten. Sie findet sich in dem rund vierzig Jahre später verfassten, äußerst einflussreichen Essay über das Verhältnis von Linguistik und Poetik, wo er schreibt: „The sound must seem an Echo of the Sense“ (Jakobson 1960: 44), und sie kehrt wieder in seinem letzten großen Werk, The Sound Shape of Language (cf. Jakobson and Waugh 1988: 181-207). Abbildungsbeziehungen zwischen Ausdruck und Bedeutung sieht Jakobson jedoch nicht nur in der Poesie. Mit Nikolaj Trubetzkoy stellt er die These auf, dass zwischen der Komplexität der morphologischen Form und ihrem Bedeutungsgehalt ein Parallelismus bestehen müsse. Die Komplexität des Inhalts bilde sich in der Form ab, das Mehr an Information spiegle sich in der komplexeren Form des signans wider: „The signans of the plural tends to echo the meaning of a numeral increment by an increased length of the form“ (Jakobson 1965: 352). Abbildungsbeziehung sieht er auch auf der Ebene der Syntax. Wie er in seiner Analyse des russischen Kasussystems im Jahr 1935 schreibt, entsteht durch die Sonderstellung des Nominativs im Satz „eine eigenartige syntaktische Perspektive: der Nominativgegenstand nimmt die führende Rolle in der Aussage ein, er wird vom Sprechenden in Blick genommen“ (Jakobson 1935: 34). Dreißig Jahre später universalisiert er diese Feststellung zur Behauptung, „the predominant, basic order in declarative sentences with nominal subject and object is one in which the former precedes the latter.“ Diese Ordnung der bedeutungstragenden Elemente im Satz wiesen, so Jakobson, einen „palpably iconic character“ auf (Jakobson 1965: 350). Es sind gerade diese Phänomene, die er glaubt, mit Peirce’ Semiotik fassen zu können. Vertritt Peirce nicht die Idee, dass Sprache, ikonisch, genauer, diagrammatisch ist (cf. CP 3.419, 1892; Jakobson 1962)? Jakobson schreibt: Peirce vividly conceived that „the arrangement of the words in the sentence, for instance, must serve as icons, in order that the sentence may be understood” (Jakobson 1965: 350). Dies stimmt. Peirce postuliert in der Tat, dass auch in der Sprache Icons auftauchen - oder jedenfalls, dass die Struktur von Sätzen diagrammatisch sein kann. Doch diagrammatisch ist sie, weil die Verben, die verwendet werden, anzeigen, welche syntaktische und semantische Valenz sie haben (cf. Midtgarden 2007: 594-96). Peirce schreibt: If upon a diagram we mark two or more points to be identified at some future time with objects in nature, so as to give the diagram at that future time its meaning; or if in any written statement we put dashes in place of two or more demonstratives or pro-demonstratives, the professedly incomplete representation resulting may be termed a relative rhema; […] For example, “- buys - from - for the price -,” is a relative rhema; it differs in a merely secondary way from “- is bought by - from - for -,” from “- sells - to - for -,” and from “- is paid by - to - for -.” On the other hand, “- is mortal” is a non-relative rhema (CP 3.420, 1892). Daniel H. Rellstab 238 Die Syntaxkonzeption, die sich bei Peirce finden lässt und von der auch Jakobson zumindest weiß, dass sie existiert (cf. Jakobson 1963: 282), ist also eher eine Vorläuferin der Valenzgrammatik. Mit dem, was Jakobson unter Ikonizität in der Grammatik versteht, hat sie wenig zu tun. Aber eine großzügige Interpretation der peirceschen Konzeption von Ikonizität kann konzedieren, dass Jakobsons Behauptung, dass Peirce von der Ikonizität der Syntax ausgeht, nicht falsch ist. Problematischer ist, dass Jakobson behauptet, dass laut Peirce Ikonizität, Indexikalität und Symbolizität in einem Zeichen gleichzeitig auftauchen können. Dies ist für Jakobson, der Motiviertheitsphänomene in Sprache schon lange analysiert, natürlich besonders interessant. Peirce kann so zu einem Verbündeten gegen diejenigen werden, für die Motiviertheitsphänomene in der Sprache und der Semiotik keinen Platz haben - eine Ansicht, die er den Schülern de Saussures, nicht aber de Saussure selbst zuschreibt: Saussure must have thought that in semiology the „arbitrary“ signs were going to occupy a fundamental place, but it would be useless to look in his students’ notes for the assertion that the Bally-Sechehaye text gives, that is: „signs that are entirely arbitrary actualize the ideal of semiological process better than other signs“ (1: 154). In his expansionist view oft he science in the process of becoming (science en devenir) Saussure goes as far as to admit that „everything comprising form must enter into semiology“ (loc. cit.) (Jakobson 1974: 212). An Jakobsons Behauptung, dass nach Peirce ein einziges Zeichen unterschiedliche Zeichenmodi realisiere, ist Peirce nicht unschuldig. So schreibt er etwa in der Erläuterung der grundlegenden Konventionen seiner graphischen Logik: It is frequently desirable that a representamen should exercise one of those three functions to the exclusion of the other two, or two of them to the exclusion of the third; but the most perfect of signs are those in which the iconic, indicative, and symbolic characters are blended as equally as possible (CP 4.448, 1903). Laut Peirce ist es seine Identitätslinie, die gleichzeitig alle drei Eigenschaften, „characters“ aufweise. Diese Identitätslinie ist eine Konvention, die er in seiner grafischen Logik einführt, um Identität auszudrücken (cf. Hammer 1998: 490): Die Identitätslinie verbindet Punkte, die ihrerseits Enitäten repräsentieren. Wie sich anhand von Peirce’ Diskussion zeigt, ist es angemessen, „characters“ hier als ‚Rolle‘ oder ‚Funktion‘ zu verstehen. Erstens repräsentiert die Identitätslinie ‚Identität. Dies tut sie als Symbol, jedoch nur in allgemeiner Weise. Als Symbol ist sie nicht in der Lage, Identität zwischen zwei spezifischen Entitäten auszusagen. Das kann sie nur als Replika tun. Als Replika tut sie dies so, dass sie eine faktische Verbindung zwischen der Entität A und der Entität B, deren Identität behauptet wird, herstellt, und zwar faktisch auf dem Papier: „The termination of one portion and the beginning of the next portion denote the same individual by virtue of a factual connexion, and that the closest possible.” (CP 4.448, 1903). Das kann dann etwa so aussehen: Wir würden ganz einfach schreiben: A=B Gleichzeitig funktioniert die Identitätslinie auch als ikonisches Zeichen, denn sie erscheint als Kontinuum von Punkten und, so Peirce, „the fact of the identity of a thing, seen under two Roman Jakobsons Peirce-Adaption 239 aspects, consists merely in the continuity of being in passing from one apparition to another“ (CP 4.448, 1903). Die Identitätslinie ist also deswegen ein perfektes Repräsentamen, weil sie sowohl ikonisch, indexikalisch wie auch symbolisch interpretiert werden kann. Dabei muss man aber beachten, dass dies drei unterschiedliche Zeichenereignisse sind. Das lässt sich auf andere Kontexte übertragen. Short gibt dafür ein schönes Beispiel: ‘Hoot’ by convention refers to the sound an owl makes and, thus, it is a symbol of such sounds, but it also mimics the sound and is thus an icon of the same object. […] Since words may be more than one sign, then it makes sense to say that words like ‘hoot’ are more than one sign. ‘Hoot’ is a symbol of hoots and an icon of hoots: it is both a symbol and an icon, and therefore it is two signs (Short 1998b: 102). Bei Jakobson dagegen beschreibt Ikonizität eine Ähnlichkeitsbeziehung, die zwischen einem signans und einem signatum besteht. Und damit entstehen auch hier mindestens zwei theoretische Probleme: Wenn das signans das Wort ist und das signatum die linguistische Bedeutung, fehlt erstens eine Vergleichsgröße: Was bestimmt denn, dass die Relation motiviert ist (cf. Jappy 1999: 44-45)? Eine Basis für die Konstitution der Ähnlichkeitsbeziehung fehlt. Mit seinem Zeichenmodell ist Jakobson auch nicht in der Lage zu erklären, wie ein Zeichen symbolisch und ikonisch zur gleichen Zeit sein kann. Die „indexartigen Symbole“ (Jakobson 1962: 273) oder Shifters, wie Jakobson sie im Anschluss an Otto Jespersen nennt (Jakobson 1962: 273) sind für Jakobson weit weniger wichtig als die „ikonischen Symbole“. Jakobsons Verständnis der peirceschen Konzeption von Indexikalität ist über Arthur Burks vermittelt. Er übernimmt dessen Darstellung in ihren Grundzügen. Schon Burks Interpretation der peirceschen Indexikalität ist nicht unproblematisch. Burks hat, wie später andere auch, Peirce’ Kategorie des Type mit dem Symbol gleichgesetzt und sprachliche Indices als indexikalische Symbole definiert. Das kommt einem Kategorienfehler gleich. Denn für Peirce gibt es keine indexikalischen Symbole, sondern allenfalls rhematisch indexikalische Legizeichen. Peirce meinte, „the demonstrative pronoun ‚that‘ is a Legisign, being a general type; but it is not a Symbol, since it does not signify a general concept“ (EP2: 295; cf. Houser 1992: 494ff.; Short 1998: 103). Burks unterscheidet dann zwischen der symbolischen Bedeutung des indexikalischen Symbols, die er als gemeinsames Element der Bedeutung eines Token und seines Type definiert, und seiner vollen indexikalischen Bedeutung, die erst im Verwendungszusammenhang konstituiert wird. Diese Unterscheidung ermöglicht ihm die Bildung zweier Wortkategorien, der indexikalischen und nicht-indexikalischen Symbole: Any two tokens of a given type of symbol have the same symbolic meaning, but two tokens of a given type of indexical symbol may have (and generally do have) different indexical-meanings (Burks 1949: 682). Jakobson integriert nun diese Interpretation der Indexe in seine eigene strukturalistische Bedeutungstheorie und transformiert dabei das bedeutungstheoretische, pragmatisch-semantische Problem der Indexikalität in eine linguistische Aufgabenstellung, die sich strukturalistisch bearbeiten lässt. Burks Frage ist, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein indexikalischer Ausdruck bedeutend wird (cf. Burks 1949: 686-89). Jakobson aber will zeigen, wie sich die Bedeutung von Indices mit seiner Zwei-Achsen-Theorie der Sprache beschreiben lässt. Jakobson ersetzt dazu Begriffe. Erstens: Die symbolische Bedeutung wird zum code. Zweitens: Referenz wird als Referenz auf die message verstanden. Die Frage ist nun, was Jakobson unter der Message versteht. Denn nur dann wird auch klar, wie er die Bedeutung „indexikalischer Symbole“ versteht. Doch hier wird es problematisch: Was Daniel H. Rellstab 240 Jakobson genau unter der message versteht, ist unklar. Klar ist, dass sie den innerhalb der Sprechsituation realisierten Text, das, was er auch in Linguistics and Poetics (1960) als message bezeichnet, beinhaltet. Das wird auch in seinem seinem Aufsatz zu den Shifters deutlich. Laut Fludernik (1991: 197ff.) beinhaltet die message hier ebenfalls das Sprechereignis und die Beteiligten sowie deren Überzeugungen. Sie leitet dies aus Jakobsons Kategorisierung unterschiedlicher Shifters ab (cf. auch Jakobson 1957: 130-36). Zwar kollidiert dieses Verständnis von message mit demjenigen, wie es in Linguistics and Poetics präsentiert wird, wo message nur den realisierten Text meint, die anderen Aspekte aber je eigene Kategorien und Funktionen erhalten: Kontext, Sender, Empfänger, Medium (cf. Jakobson 1960). Aber nur so lässt sich Jakobsons Aussage mit derjenigen von Burks in Einklang bringen, dass etwa das Pronomen Ich den Sprechenden im hic et nunc meint. Doch selbst wenn man diese Interpretation wählt, kommt Jakobson der Vorstellung von Indexikalität, wie Peirce sie vertritt, nur bedingt nahe. Denn aus linguistisch pragmatischer Perspektive ist entscheidend, wie die Relation zwischen sprachlichem Index und seiner Bedeutung definiert ist. Doch wiederum ist nicht eindeutig, wie sich Jakobson diese Relation vorstellt. Zwar definiert er das Ich im Sinne Benvenistes als in einer existentiellen Relation mit demjenigen, welcher die Äußerung äußert, stehend: „The word I designating the utterer is existentially related to his utterance, and hence functions as an index.“ Diese existentielle Relation scheint er aber sukzessive aufzulösen. Zuerst weist darauf hin, dass ein indexikalisches Symbol ebenfalls eine allgemeine Bedeutung hat. Dann schreibt er: „I means the addresser (and you, the addressee) of the message to which it belongs“. Die Bedeutung des Personalpronomens scheint sich also qua einfacher Applikation einer Regel zu ergeben. Dass der Index noch in einer existentiellen Relation mit dem Sprecher selbst stehen würde, wird hier nicht mehr erwähnt. Jakobson verschiebt in einem dritten Schritt das Gewicht auf die Regelhaftigkeit, welche durch den Code gegeben ist: „In fact, shifters are distinguished from all other constituents of the linguistic code solely by their compulsory reference to the given message.“ (Jakobson 1957: 132) Stünde Jakobson in der Nachfolge von Peirce, dann würde er erstens Indexikalität radikal denken. Für Peirce sind Indices und deren Interpretation unabdingbar in der Kommunikation, damit wechselseitig klargemacht werden kann, worüber denn eigentlich gesprochen wird (cf. etwa MS 599: 39-40). Und Indices sind es, welche die Identifikation des Diskursuniversums, der wirklichen oder möglichen Welten, in denen das Objekt zu verorten ist, ermöglichen (cf. SS3: 154-57). Indices werden laut Peirce intentional verwendet und müssen interpretiert werden. Zwischen Indices und das Objekt tritt demnach die Intention der Zeichenverwendenden (cf. CP 2.357, 1901). Die Intention, auf ein bestimmtes Objekt zu verweisen, ist die Bedingung der Möglichkeit des Funktionierens jeglicher Indices natürlicher Sprache. Denn Peirce geht nicht davon aus, dass das Objekt vom Zeichen in die Proposition eingeführt wird. Das Objekt muss vom Zeichenbenutzenden identifiziert und dann als Teil des propositionalen Gehalts des Satzes betrachtet werden. Die peircesche Theorie der Indices ist also durch und durch anwendungsorientiert, dialogisch und auch intentionalistisch. Zweitens würde Jakobson, wenn er denn Peirce folgen würde, differenzieren, wie unterschiedliche sprachliche Indices interpretiert werden können. Peirce sieht nämlich, dass Unterschiede bezüglich des Interpretationsaufwandes von Indices bestehen. Und er weist darauf hin, dass es eine Kategorie von Indices gibt, die dem Interpreten den Referenten angeben und deshalb unproblematisch sind, nämlich diejenigen Pronomen, die konstitutiv für die Kommunikationssituation sind: Ich und Du. Man kann, um die Unterscheidung von Kent Bach zu verwenden, auch sagen, dass diese nur auf einen engen Kontext angewiesen sind: Roman Jakobsons Peirce-Adaption 241 den Sprecher, die Hörerin, Raum und Zeit. Die Bedeutung dieser Indices ist eine Funktion des Kontexts; das Erkennen der Intention des Sprechers ist für die Bestimmung des Referenten nicht notwendig, wie Kent Bach (1999: 72) sagen würde. Das ist jedoch nur für diese indexikalischen Ausdrücke so. Demonstrativpronomen, aber auch etwa die Personalpronomen der dritten Person, geben laut Peirce nur in etwa an, wo der Hörer den Referenten suchen soll: [T]hey only show in the sense of directing the hearer where to search for the thing meant. Most languages are miserably poor in these pronouns, because in talk people use gestures (MS 409: 18-19). Um das „thing meant“ zu finden, sind Interpreten also auf den breiten Kontext angewiesen, auf „items of information that the hearer can reasonably suppose the speaker to have intended him to take into account to determine what the speaker means” (Bach 1999: 72). Den Referenten kann der Hörer nur dann finden, wenn er herausfindet, was die Sprecherin, die den Index verwendet, mit ihm anpeilte. Und genau das gleiche gilt für Adverbien und Präpositionen (cf. MS 409: 18-20). Die Aktivität des Suchens nach dem Referenten gilt nach Peirce auch für die Relativpronomen: The relative pronouns, who and which, demand observational activity in much the same way, only with them the observation has to be directed to the words that have gone before (CP 2.287, 1895; cf. MS 409: 19). In seiner kurzen Besprechung der peircschen Indexikalität kommt Jakobson einem der zentralen Sachverhalte der Sprachtheorie von Peirce zwar nahe. Die Zentralität und Ubiquität der Indexikalität und ihre Wichtigkeit sieht er aber nicht. Für ihn ist Indexikalität eine Eigenschaft, die gewisse Wortkategorien aufweisen. Ihre Wirkungsweise interessiert ihn nicht sonderlich, ihre Ubiquität sieht er nicht. Für Peirce ist Indexikalität zentral, denn sie ist letztlich ein unverzichtbares Element aller geäußerter Sätze (cf. etwa CP 2.536, 1901). 5 Peirce’ Phänomenologie und Jakobsons Strukturalismus In The Sound Shape of Language (1988) greift Jakobson ebenfalls kategorientheoretische und phänomenologische Erörterungen von Peirce auf, und zwar im Kontext der Diskussion der für seinen Strukturalismus entscheidenden Begriffe Opposition und Struktur. Die beiden Begriffe sind vorher schon längst in Auseinandersetzung mit de Saussures Cours, phänomenologischem und gestalttheoretischem Denken definiert worden. Jakobson suggeriert aber, dass Peirce, wie er selbst, ein Strukturalist gewesen sei, indem er Peirce’ phänomenologischen Strukturbegriff mit seinem eigenen Strukturbegriff gleichsetzt. Dazu führt er den unvollständig zitierten Paragrafen CP 8.213 der Collected Papers an: We may classify objects according to their matter; as wooden things, iron things, silver things, ivory things, etc. But classification according to STRUCTURE is generally more important and it is the same with ideas. I hold that a classification of the elements of thought and consciousness according to their formal structure is more important (Jakobson 1977: 249). Peirce geht es in CP 8.213 darum, die phänomenale Struktur der Erfahrungen bloßzulegen und jene Bestandteile zu benennen, die aller Erfahrung gemeinsam sind. Diese Aufklärung über die Struktur der Erfahrung bildet die Basis weiterer zeichentheoretischer, logischer und damit in der Tat letztlich auch sprachtheoretischer Überlegungen - mit Jakobsons struktura- Daniel H. Rellstab 242 listischer Vorstellung von Struktur und System hat dieser Strukturbegriff aber nichts gemein, denn ein System, das aus Oppositionen gebildet wird, kennt Peirce nicht. Doch auch den eigenen Oppositionsbegriff findet Jakobson bei Peirce wieder. Jakobson geht davon aus, dass das Prinzip der Opposition an der Basis der kognitiven Verarbeitung von Wahrnehmung zu finden ist und auch das konventionell etablierte System der Sprache, insbesondere die Ebene der Phoneme, fundiert. Denn im Aufbau des Sprachsystems soll die in den natürlichen Wahrnehmungssystemen angelegte Tendenz zur Ausbildung optimaler Gegensätze zum Tragen kommen (cf. Holenstein 1975: 126-31; Jakobson 1936: 548; 1939b: 220; 1949; Jakobson and Halle 1956: 473-74). Das hat für Jakobson auch methodologische Konsequenzen. Wenn Opposition ein konstitutives Prinzip im Aufbau des Sprachsystems ist, dann lässt es sich auch als methodologisches Prinzip legitimieren (cf. Jakobson 1949: 423). Jakobson postuliert nun, auch Peirce habe behauptet, dass die Kategorisierungen in der Sprache auf Opposition beruhten (cf. Jakobson and Waugh 1988: 7; 24-25): When contending in the 1930s with the idea of opposition, linguists were unacquainted with Charles Sanders Peirce’s (1839-1914) writings, which offer an astute insight into „the particular features of language“ and into the concept of opposition: „The natural classification takes place by dichotomies“ (I.437); „A dyad consists of two subjects brought into oneness“ (I.326); „Essential dyadic relation: existence lies in opposition merely“ (1.457) (Jakobson and Waugh 1988: 24). In den von Jakobson angeführten Paragraphen spricht Peirce nicht über die „particular features of language“, wie Jakobson behauptet. Jakobson montiert hier Teile der phänomenologisch fundierten Kategorienlehre von Peirce, um sie in seinen linguistischen Strukturalismus einzupassen. Die Kategorienlehre von Peirce hat aber im Prinzip nichts mit strukturaler Analyse von Sprache zu tun. Peirce’ um die Jahrhundertwende phänomenologisch fundiertes Kategoriensystem beinhaltet drei Kategorien. Peirce nennt die erste Kategorie Erstheit. Dazu gehören diejenigen Bestandteile des Phänomens, die heute innerhalb der Philosophie des Geistes als Qualia bezeichnet werden, also Erfahrungs- oder Erlebnisqualitäten (cf. MS 464: 25; EP2: 272; Legg 2003: 65). Der Aspekt der Individualität und der, wie er es nennt, haecceitas, exemplifiziert die Kategorie der Zweitheit, deren Elemente etwas besser fassbar sind als diejenigen der ersten Kategorie. Es ist diejenige Kategorie, „which the rough-and-tumble of life renders most prominent. We talk of hard facts“ (MS 464: 21; cf. EP2: 268). Ich erfahre, dass es Dinge in der Welt gibt, die sich mir entgegenstellen. Und ich erfahre, dass ich Kraft und Willen aufbringen muss, um diese Dinge aus dem Weg zu räumen: „acted and being acted upon, which is our sense of the reality of things“ (EP2: 4; cf. id. 150, 268 et passim). Aktualität und Existenz, das Vorkommen hier und jetzt, ja, das sind Beschreibungen, die Peirce zur Charakterisierung von Zweitheit verwendet. Die dritte Kategorie beinhaltet Elemente, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Gesetzmäßigkeit ist. Peirce subsumiert unter dieser Kategorie so unterschiedliche Phänomene wie Gesetz, Gewohnheit, Allgemeinheit, aber auch Intelligenz oder Repräsentation. Diese Zusammenstellung scheint zuerst einmal ziemlich unsystematisch zu sein. Doch weisen alle diese Phänomene eine Gemeinsamkeit auf: Sie lassen sich nicht mit Prädikaten beschreiben, die weniger als dreistellig sind. Das zeigt sich etwa anhand eines Beispiels, das unter denen, die Peirce immer wieder anführt, eines der wichtigsten ist: Eine Person, X, gibt etwas, Y, einer anderen Person, Z. Nun besteht dieser Akt des Gebens nicht in den Tatsachen, daß X aufhört, Y festzuhalten und daß Z es aufhebt, mit oder ohne Zustimmung von X. Y kann dabei bewegungslos bleiben. Er besteht in der Tatsache, daß X eine Roman Jakobsons Peirce-Adaption 243 Handlung ausführt, die ein Gericht als gültig erklären würde, und nicht nur als gültig „erklären“ würde, sondern von der er will, daß ein Sheriff ihr mit roher Gewalt Gültigkeit verschaffen würde, so daß X dabei das Recht gewinnt, mit Y zu machen, was er will, ohne sich dadurch irgendwelche Strafen zuzuziehen. (SS2: 271; cf. etwa auch EP2: 171, 425) Kategorien selbst werden nicht auf der Basis von Opposition gebildet. Das Herausbilden von Kategorien ist ein Phänomen, das zur dritten Kategorie gehört, denn Differenzen und Gemeinsamkeiten werden erst in einer vermittelnden Interpretation erfasst. Das illustriert Peirce schon früh anhand eines Vergleichs der Buchstaben p und b: Suppose we wish to compare the letters p and b. We may imagine one of them to be turned over on the line of writing as an axis, then laid upon the other, and finally to become transparent so that the other can be seen through it. In this way we shall form a new image which mediates between the images of the two letters, inasmuch as it represents one of them to be (when turned over) the likeness of the other (W2: 53). Diese vermittelnde Darstellung nennt Peirce den Interpretanten (cf. W2: 53). Dieser ist notwendig, um die Identität eines Objekts des Denkens herstellen zu können: If we had but one impression, it would not require to be reduced to unity, and would therefore not need to be thought of as referred to an interpretant, and the conception of reference to an interpretant would not arise. But since there is a manifold of impressions, we have a feeling of complication or confusion, which leads us to differentiate this impression from that, and then, having been differentiated, they require to be brought to unity. Now they are not brought to unity until we conceive them together as being ours, that is until we refer them to a conception as their interpretant (W2: 54). Bei Jakobson ist das Prinzip der Opposition das Grundprinzip des Sprachsystems. Er benötigt deshalb nur Peirce’ zweite Kategorie, und er verweist deshalb auch nur auf diese Kategorie (cf. Jakobson 1977: 251). Warum er die erste und die zweite Kategorie nicht erwähnt, darüber kann nur spekuliert werden. 6 Jakobsons „harmonisierte“ Semiotik Sicher: Jakobson hat Peirce einer breiten linguistischen Öffentlichkeit bekannt gemacht. Dies ist ein Verdienst, das nicht zu unterschätzen ist. Doch aus heutiger Perspektive ist es erstaunlich zu sehen, wie Jakobson mit Peirce’ Texten umgeht. Einerseits behauptet er, dass Peirce in den USA zu seiner wichtigsten Inspirationsquelle geworden sei (cf. Jakobson 1971a: v), und dass er der erste Linguist gewesen sei, der Peirce’ Werke benutzt habe. Er konstatiert dies „not with pride but with bitterness“ (Jakobson 1976: 1536). Andererseits liest er Peirce sehr selektiv, zitiert ihn teilweise verfälschend und verhindert es so, dass sein Publikum, dem er Peirce vordergründig näher bringen will, erkennt, was Peirce de facto wollte - und zwar mit Konsequenzen bis heute. So verwerfen etwa Kress und van Leeuwen nämlich nicht, wie sie meinen, die peircesche Konzeption von Ikonizität, sondern diejenige, welche durch Jakobson vermittelt wurde. Die Alternative, die sie dieser jakobsonschen Konzeption entgegensetzen, kommt Peirce erstaunlich nahe. Sie schreiben nämlich: In our view, signs are never arbitrary, and, and ‘motivation’ should be formulated in relation to the sign-maker and the context in which the sign is produced, and not in isolation from the act of producing analogies and classifications (Kress and van Leeuwen 2006: 8). Daniel H. Rellstab 244 Jakobsons Vorgehen lässt den Verdacht aufkommen, dass er Peirce’ Ideen benutzt. Philologische oder zumindest interpretatorische Exaktheit wäre vielleicht nur hinderlich gewesen, denn sie hätte Jakobson gezeigt, dass er und Peirce nicht viel gemeinsam haben. Ihn interessieren einzelne Begriffe, in denen er seine eigene Theorie spiegeln kann. In und durch diesen Spiegelungsprozess verleiht er ihnen auch einen neuen Sinn. Er ebnet zeichen- und sprachtheoretische Differenzen ein und macht aus Peirce den strukturalistischen Linguisten, der dieser nie gewesen war (cf. etwa auch Jakobson 1977: 250). Bruss hat also recht, wenn sie konstatiert, dass Jakobson keine intensive Auseinandersetzung mit Peirce intendiert, wie Holenstein dies für seinen Umgang mit Husserl konstatiert. Ihn interessieren die Systematik der Zeichentheorie und die Philosophie, die sich auch einer Lektüre der Collected Papers erschließt, nur bedingt. Dies lässt die Hypothese plausibel erscheinen, dass er Peirce als Gewährsmann braucht, um seine strukturalistische Methode, seine Sprachtheorie und Semiotik in den USA verbreiten und legitimieren zu können. Doch könnte es auch sein, dass Jakobson Unterschiede zwischen seinem Ansatz, der stärker aus der Tradition de Saussures stammt, und dem Ansatz von Peirce einebnet, um damit einer harmonischen Entwicklung der Semiotik den Weg zu bereiten. Er schreibt nämlich über das späte Publizieren der Schriften von Peirce: The tardy publication of his works, which were dispersed and in fragments in the maze oft he Collected Papers of Charles Sanders Peirce, vol. I-VIII, for a long time hampered a complete and exact understanding of his precepts and unfortunately delayed their effective influence on the science of language and the harmonious development of semiotics (Jakobson 1974: 205). Dies würde Jakobsons Adaption nicht richtiger machen, aber sie ermöglicht es, einen etwas milderen Blick auf Jakobsons Peirce-Adaption zu werfen. 7 Literatur CP: Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Ed. Charles Hartshorne et al., 6 vols., Cambridge etc.: Harvard University Press 1931-1958. Die Zahl vor dem Punkt gibt den Band an, die Zahl nach dem Punkt den Paragrafen; am Ende steht die Jahreszahl. Bspw.: 8.121, 1905 EP2: The Essential Peirce. Selected Philosophical Writings. Ed. Nathan Houser et al., vol. 2, Bloomington/ Indianapolis: Indiana University Press 1998 MS: Manuscripts of Charles S. Peirce. Nummeriert nach Richard R. Robin (cf. Robin 1967), paginiert nach den Editoren des Peirce Edition Projects, Indianapolis NEM: New Elements of Mathematics. Ed. Carolyn Eisele, 4 vols., The Hague: Mouton / Atlantic Highlands NJ: Humanities Press 1976 PLZ: Phänomen und Logik des Zeichens. Ed. und übersetzt von Helmut Pape. 2. edn., Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1993 SESI: Semiotics and Significs. The Correspondence between Charles S. Peirce and Victoria Lady Welby. Ed. Charles S. Hardwick, Bloomington/ London: Indiana University Press, 1977 SS1-SS3: Semiotische Schriften. Ed. und übersetzt von Christian J.W. Kloesel und Helmut Pape, Frankfurt/ M.: Suhrkamp 2000 W1-W6, W8: Writings of Charles S. Peirce. A Chronological Edition. Ed. Max H. Fisch et al., Bloomington/ Indianapolis: Indiana University Press 1982ff. Akamatsu, Tsutomu 2001: „The development of functionalism from the Prague school to the present“, in: Koerner, Auroux & Niederehe (eds.) 2001, vol. 2: 1768-1789 Bach, Kent 1999: „The Semantics-Pragmatics Distinction: What It Is and Why It Matters“, in: Turner (ed.): 65-84 Bailey, R.W., Ladislav Matejka & P. Steiner (eds.) 1978: The Sign. Semiotics around the world. Ann Arbor: Michigan Slavic Publications Roman Jakobsons Peirce-Adaption 245 Bruss, Elizabeth W. 1978: „Peirce and Jakobson on the Nature of the Sign“, in: Bailey, Matejka & Steiner (eds.): 81-98 Burks, Arthur W. 1949: „Icon, Index, and Symbol“, in: Philosophy and Phenomenological Research, 9 (4), 673-689 Croft, William 22003: Typology and Universals. Cambridge: Cambridge University Press Davidse, Kristin 1987: „M.A.K. 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Thomas, welches besagt, daß Menschen das, was sie als wirklich oder real „definieren“, erklären oder ansehen, auch in seinen Folgen und Auswirkungen als wirklich erleben oder auffassen, auch dann (oder gerade dann), wenn diese Folgen nicht positiver Art sind. Thomas bestimmt die Bedeutung und Erklärung von Situationen, die in individueller Auseinandersetzung erfaßt werden müssen, als Fundament menschlichen Handelns überhaupt. … preliminary to any self-determined act of behavior there is always a stage of examination and deliberation which we may call the definition of the situation. And actually not only concrete acts are dependent on the definitions of the situation but gradually a whole life-policy and the personality of the individual himself follow from a series of such definitions … (Thomas 1923: 42). In der Bewältigung der Situationen der Alltagswirklichkeit im Laufe sozialisatorischer Entwicklung werden die Elemente der „personellen Erfahrungstheorie“ herausgebildet, die als Handlungshintergrund den Weg der gesellschaftlichen Individuen leitet. Die beherrschende Bedeutung konkreter Situationen für die Festlegung unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit wird oft genug vernachlässigt zugunsten allgemeiner, beschreib- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Johann G. Juchem 248 barer Systeme mit dem Argument, daß die Bedingung solcher Festlegung allein durch die Bildung systematischer Beschreibungselemente von allgemeiner Verfügbarkeit gegeben ist. Die Notwendigkeit modifizierbarer Regelhaftigkeit zum Vollzug menschlicher Interaktion und Kommunikation wird aber oft stillschweigend gleichgesetzt mit den Produkten wissenschaftlicher Abstraktion, die ihren realen bzw. real wirkenden Status allein dadurch erhalten, daß ihre Bezeichnungen in vielfältig wiederholten Äußerungen reifiziert werden. Seit Platons und Aristoteles’ Zeiten hat das „Unveränderliche“ und damit letztlich auch die systemgeprägte Betrachtungsweise in der Wissenschaft den Vorrang vor der Wirklichkeit, will sagen: man glaubt oft genug, die prozessbedingte Veränderlichkeit durch die Allgemeinheit von Systemen auffangen zu können, und wenn sich die Wirklichkeit dieser Manipulation nicht fügt: „Umso schlimmer für die Wirklichkeit! “. Die Handlungswirklichkeit jedenfalls beugt sich keiner Systemunterwerfung. Eine Pragmatik beispielsweise auf der Grundlage der generativen Transformationsgrammatik aufbauen zu wollen, wäre ein „hölzernes Eisen“. Es ist nun einmal nicht zu ändern: was immer die Zeichen, derer wir uns bedienen, um unsere „Welt“ zu beschreiben, in einem „objektiven Sinne“ sein mögen, ihre konkrete Bedeutung erhalten sie erst in den Situationen, in denen sie benutzt werden, um diese Situationen zu „definieren“, und das in besonderem Maße, wenn die Situation der Beschreibung auch die Situation ist, die beschrieben wird. Kommunikative Situationen sind teilweise von dieser Art, und zwar immer dann, wenn die gemeinsame Wahrnehmungssituation Gegenstand des Kommunikationsprozesses ist. In seiner Rezension zu B. Delbrücks „Grundfragen der Sprachforschung“ drückt Philipp Wegener in einem Nebensatz das kommunikationstheoretisch relevante Prinzip aus, „daß in der Sprachgeschichte die Function das eigentlich bewegende Element ist, nicht die sprachliche Form“ (Wegener 1902: 408). Die Beiläufigkeit, mit der er dieses Grundprinzip kommunikativen Handelns erwähnt, läßt den Schluß zu, daß es für Wegener eine Selbstverständlichkeit war, weshalb er es gegen W. Wundts „tote und öde Satzgeometrie“ (Wegener 1902: 408) einsetzte, der der logischen Gliederung im Sprachprozeß den Vorzug gab. Die Betonung und Verteidigung dieses Prinzips ist aber heute wie damals aktuell. Mit der Hervorhebung der Funktion weist Wegener jedoch auf die Relevanz der Situation hin. Zeichen erlangen unter kommunikativen Gesichtspunkten nur dort ihre eigentliche Bedeutung, wo sie wirken und etwas bewirken. Jede Situation ist aufgrund dieser Voraussetzung auch jeweils Zeichensituation. Wenn die sprachlichen Mittel als „starres“ System getrennt werden von ihrer Verwendung in konkreten Situationen, so sind sie vom kommunikativen und kommunikationstheoretischen Standpunkt aus von geringer Relevanz, da sie über die Prozesse, die sich in Zeichensituationen abspielen, nichts aussagen. Die „objektive“ Bedeutung mag Gegenstand der Linguisten sein. Die situative Bedeutung der Zeichen aber ist Gegenstand der Sprechenden und der sie alltagswirklich und wissenschaftlich Interpretierenden. Wie der Physiologe nicht an altegyptischen Mumien oder an Petrefacten seine Studien machen wird, sondern am lebenden Thier- oder Menschenleibe, ebenso müssen wir die Gesetze vom Leben und Wachsen der Sprache an den uns durchsichtigsten Spracherscheinungen der lebendigen Muttersprache erst kennen lernen … (Wegener 1885: 7). Kommunizierende sind immer in Situationen. Nicht nur, daß Kommunikationsprozesse sich notwendig situativ vollziehen, sondern auch, daß das in diesen und an diesen Prozessen Dargestellte nur mit Hilfe der Situation adäquat interpretierbar ist. Wegener erläutert den Sprachprozeß und das Sprachverstehen unter dieser Voraussetzung. Situation und Zeichen 249 Die Situation ist der Boden, die Umgebung, auf der eine Thatsache, ein Ding u.s.f. in die Erscheinung tritt, doch auch das zeitlich Vorausliegende, aus dem heraus eine Thätigkeit entsprungen ist, nemlich die Thätigkeit, welche wir als Prädicat aussagen, und ebenso gehört zur Situation die Angabe der Person, an welche die Mitteilung gerichtet ist (Wegener 1885: 21) Damit wird gleichzeitig auch das „dialogische Prinzip“ jeder kommunikativen Betrachtungsweise betont (Wegener 1921: 1). Den unterschiedlichen Bedingungen für die Gesamtsituation im Kommunikationsprozeß entsprechen unterschiedliche Situationsarten. Die herausragende und fundierende dieser Arten ist die „Anschauungs- oder Wahrnehmungssituation“, die durch die umgebenden Verhältnisse und die am Kommunikationsprozeß beteiligten gesellschaftlichen Individuen bestimmte Gegenwart. Die anschauliche Präsentation, unterstützt durch non-verbale Hilfen, ersetzt zum Teil die sprachliche Demonstration, wenn der Kommunikationsgegenstand auch Element der Situation ist. Relevant für die Kommunikationssituation ist aber jeweils auch das in der Erinnerung unmittelbar bewahrte Vergangene, weniger Retentionen im Sinne Husserls (obwohl auch), als mehr oder weniger feste Vorstellungen, die den Fortgang des Kommunikationsprozesses gewährleisten: die „Erinnerungssituation“. Notwendige und tragende Grundlage dieses Prozesses ist aber die „Situation des Bewußtseins“, die durch Erfahrung geprägte individuelle Grundbefindlichkeit des Menschen, die man als personelle Erfahrungstheorie bezeichnen kann. Inhalt der Bewusstseinssituation als personeller Erfahrungstheorie sind beispielsweise die durch Dezentralisierung der Situation und wiederholte Erfahrung entstandenen jeweiligen Anonymisierungen und Typisierungen (cf. Juchem 1984). Begleitender Bestandteil jeder Kommunikation ist die Stimmungs- und Gefühlslage, die sich als Gefühlssituation darstellt. Selbstverständlich ist die objektive Situation, d.h. die Summe der uns umgebenden Dinge, Personen und Verhältnisse zu scheiden von dem subjektiven Situationsbewusstsein, d.h. der Summe der in unserem Bewusstsein gegenwärtigen oder leicht assoziierbaren Vorstellungen. Dieses subjektive Situationsbewusstsein ist selbstverständlich beim Sprechenden und Hörenden niemals vollkommen gleich, kann aber gemeinsame Vorstellungen enthalten (Wegener 1921: 7). Die triviale (wenn auch nicht immer beachtete) Aussage, daß Prozesse situationsgebunden sind, erhält also durch Wegener eine inhaltliche Auffächerung und Differenzierung. Die kommunikative Bedeutsamkeit der Situation kann aber erst zum Vorschein kommen, wenn sie auch funktional eingehender betrachtet wird. Oben war die Rede davon, daß Kommunikationsprozesse in eine „Gesamtsituation“ eingebettet sind. Dies kann jedoch nur heißen, daß sie einerseits durch die Situation getragen werden, andererseits diese Situation aber mitbestimmen. Menschen, wenn sie kommunizieren, befinden sich immer in Situationen, aber sie gestalten sie auch durch ihre Handlungen. Innerhalb der Gesamtsituation sind es immer ganz bestimmte Momente, die für den jeweiligen Kommunikationsakt von besonderer Relevanz sind. Genau diese aber werden durch den Akt selber als Basis des Prozesses hervorgehoben, als Vorbereitung oder klärendes Umfeld für das eigentlich Mitzuteilende, sei es Zwischenziel oder endgültiges Kommunikationsziel. Diese durch die Situation getragene und gebildete Grundlage des Kommunikationsprozesses nennt Wegener die „Exposition“. Sie bildet quasi das Subjekt, an dem das Mitzuteilende erscheinen kann. Von einem prozesslogischen Standpunkt aus kann man also hier von einem „logischen Subjekt“ sprechen, das nicht etwa mit dem Satzsubjekt oder der grammatischen Form des logischen Subjekts als Handlungssubjekt zu verwechseln ist. Die Exposition als logisches Subjekt „dient dazu, die Situation klar zu stellen“ (Wegener 1885: 21), klarzustellen im Sinne des im jeweiligen Prozeß angestrebten Kommunikationszieles. Dies erhellt schon daraus, daß in der Anschauungssituation Johann G. Juchem 250 das logische Subjekt mitunter gar nicht sprachlich formuliert zu werden braucht, da es durch die Situation selber und möglicherweise durch die Verwendung deiktischer Mittel gebildet wird. Die Exposition oder das logische Subjekt stellt also im Kommunikationsprozeß praktisch das Thema oder auch das thematische Feld dar, zu dem oder worüber etwas ausgesagt wird. Das aber, was darüber ausgesagt wird, die Kommunikationsziele bzw. Zwischenziele, sind der eigentliche Inhalt kommunikativer Intention. Sie sind das, was im Verstehensprozeß dem Hörer als Konstruktionsobjekt aufgegeben ist, welchem er mit Hilfe der Exposition und den Bedingungen der Situation schlußfolgernd Bedeutung verleihen soll. Es handelt sich um die Prädizierung bestimmter Gegenstände oder Sachverhalte, die durch eben diesen Vorgang in der Kommunikationssituation hervorgehoben werden und den eigentlichen Gegenstand der Vermittlung bilden. Unter prozeßlogischen Gesichtspunkten betrachtet geht es also darum, „dass das Prädikat stets das Neue und Interessierende der Mitteilung enthält, oder noch besser gesagt das Wertvolle“ (Wegener 1885: 30). Es handelt sich somit um das „logische Prädikat“ der Mitteilung, das im grammatischen Sinne keineswegs an das Verb gebunden ist, sondern in fast jeder sprachlichen Form auftreten kann. Das logische Prädikat ist der vom Mitteilungsinteresse her bestimmte und daher in irgendeiner Weise betonte Teil der jeweiligen Mitteilung. Es leuchtet ein, daß das logische Prädikat keine grammatische Kategorie darstellt, sondern eine kommunikative, die als solche ganz und gar situationsgebunden ist, wenn man „Situation“ in der Bedeutung faßt, wie sie oben aufgefächert wurde. … das logische Prädicat ist ja das den Sprechenden am meisten Interessierende, es ist im Augenblicke die stärkste Vorstellung in ihm, es steht durchaus im Vordergrunde des Bewusstseins und drängt eben darum am stärksten zur Mitteilung (Wegener 1885: 33). A. Marty hat sich in umfangreicher und akribischer Auseinandersetzung mit der Problematik des logischen Subjekts und Prädikats beschäftigt, wobei er nicht nur gegen Wegener, sondern auch gegen Erdmann, von der Gabelentz und Lipps polemisiert. Unter anderem heißt es dort: Wir konnten die Annahme von Lipps, Wegener, Gabelentz u.a., wonach der Zusammenhang sehr häufig eine Diskrepanz zwischen dem sog. grammatischen und gedanklichen Subjekt resp. Prädikat mit sich brächte und diese Gedankenelemente sich dann durch andere Zeichen als die grammatische Form und Konstruktion zu erkennen gäben, nicht billigen. Und insbesondere mussten wir gegen Wegener leugnen, daß das im Satze besonders Betonte stets das Prädikat, gegen Gabelentz, daß das an der Spitze Stehende stets das Subjekt des ausgedrückten Gedankens sei (Marty 1918: 355). Die Unterscheidung zwischen psychologischem Subjekt und Prädikat geht ursprünglich auf G. von der Gabelentz zurück (cf. z.B. von der Gabelentz 1869). Offenbar ist es dies, dass ich erst dasjenige nenne, was mein Denken anregt, worüber ich nachdenke, mein psychologisches Subject, und dann das, was ich darüber denke, mein psychologisches Prädicat, und dann wo nöthig wieder Beides zum Gegenstande weiteren Denkens und Redens mache (von der Gabelentz 1891: 353f.). Der Sachverhalt wird deswegen als psychologisches Subjekt und Prädikat bestimmt, weil er sich auf den psychischen Prozeß des Sprechenden bezieht, der sich im Sprechen ausdrückt und der von der grammatisch-syntaktischen Ordnung verschieden ist, selbst da, wo in der konkreten Situation sprachlich psychologisches und grammatisches Subjekt und Prädikat zusammenfallen. Situation und Zeichen 251 Die Kritik Martys geht deswegen an Wegener vorbei, weil er allzu sehr vom systemgrammatischen und logischen Standpunkt argumentiert. „Logisch“ hinsichtlich des Subjekts und Prädikats heißt bei Wegener prozesslogisch, nämlich die Zusammenhänge und Bedingungen betreffend, die in konkreten Kommunikationsprozessen den Ausschlag geben. Marty verkennt völlig, daß es Wegener hier um die Bedeutung und Wirkung der Situation für den Sprachprozeß geht. Deswegen führt auch die Einführung des Zusammenhangs von logischem Subjekt und Prädikat über den Ansatz von von der Gabelentz hinaus zu einer ausführlichen Situationstheorie, die der auf formallogischer und grammatischer Ebene nicht erfassbaren und in den Sprachtheorien wenig berührten Tatsache Rechnung trägt, „dass nicht die Form des Ausdrucks als solche, sondern die Art der Verknüpfung in der Seele des Hörenden bestimmend ist für die Bedeutung und den Inhalt der Worte“ (Wegener 1885: 14). Das sprachlich Mitgeteilte ist nur Anleitung zur Bedeutungskonstruktion und Schlussfolgerung durch den Hörer. Diese Konstruktion aber wird mit den Mitteln, die die Situation bereitstellt (natürlich sind es immer die Menschen, die die situativen Gegebenheiten erfassen), vollzogen. In seiner kommunikativen Betrachtung der Sprache als Prozessereignis ist Wegener seinen Zeitgenossen um ein gutes Stück voraus. Allenfalls H. Paul ist in der Lage, ihm zu folgen (cf. Paul 1898). In dieser 3. Auflage seines Werkes hat Paul, auf Wegener fußend, den Gedanken der Wechselwirkung zwischen Sprecher und Hörer in Hinsicht auf die Entwicklung des Bedeutungswandels und der Satzlehre eingeführt. Immerhin ist mancher heutige Wissenschaftler, der sich mit Sprache beschäftigt, bei den Gedanken Wegeners noch nicht angelangt. Wenig bekannt ist, daß die Situationstheorie Wegeners bis in die heutige Zeit nachgewirkt hat. J.R. Firth berichtet, daß B. Malinowski durch Wegener zum erstenmal auf die Bedeutung der Situation aufmerksam wurde. Among the linguists mentioned in the Supplement, the leading German comparatists are missing, but W. von Humboldt, Sweet and Jespersen are there, and notably Wegener (1885), to whom Malinowski owed his early notions of the Situation. Wegener was one of the first to propound what he called the Situationstheorie (deutsch im Original) (Firth 1957: 94f.). Durch Wegener angeregt, führte Malinowski den Ausdruck “context of situation” in seine ethnographischen Arbeiten ein. But the widened conception of context of situation yields more than that. It makes clear the difference in scope and method between the linguistics of dead and living languages. The material on which almost all our linguistic study has been done so far belongs to dead languages. It is present in the form of written documents, naturally isolated, torn out of any context of situation (Malinowski 1966: 306). Dieser Ausdruck hat auch in der durch J.R. Firth „begründeten“ London School noch eine bedeutende Rolle gespielt (cf. Henson 1974: 65-79). Es ist oben betont worden, daß in und mit Hilfe der Situation durch den Sprecher gewisse Elemente hervorgehoben werden, die den Inhalt dessen darstellen, was der Sprecher als mitteilenswert erachtet. … ich habe hier unter dem ‚logischen‘ Prädicat die Vorstellung verstanden, die vom Sprechenden dem Hörenden mitgeteilt werden soll, während das logische (oder psychologische) Subject nur die Vorstellungen angiebt, auf Grund derer die Mitteilung dem Hörenden erst verständlich wird (Wegener 1902: 409). Es finden also in den Situationen des Kommunikationsprozesses ständige Prädizierungen statt, die im Sinne der Thema-Rhema-Progression aufgefächert werden können, denn was Johann G. Juchem 252 eben noch logisches Prädikat war, wird im folgenden Bestandteil des logischen Subjekts. Eine solche Prädizierung ist die Anweisung des Sprechers an den Hörer, das logische Subjekt in einer ganz bestimmten Weise aufzufassen, den Sachverhalt, über den etwas mitgeteilt wird, nach den besonderen Intentionen des Sprechenden aufzunehmen. Prädizierung bedeutet nichts anderes als die grundlegende Kommunikationsfunktion der Heraushebung von Eigenschaften, Merkmalen, Zusammenhängen etc. eines Gegenstandes oder Sachverhaltes mit sprachlichen oder sprachlich interpretierbaren Mitteln nach den Intentionen des Sprechers. Dieser Bedingung unterliegt auch die einfachste Mitteilung. Sie ist als solche nur dadurch möglich, daß immer etwas als bekannt vorhanden sein muß, damit etwas „Neues“ auf dieser Grundlage in Erscheinung treten kann. Das „Neue“ wird im Sinne der Mitteilung und ihrer Bedeutung immer daran gemessen oder dadurch ausgedrückt, was schon bekannt ist. Bekanntes und Neues decken sich also teilweise, wobei das Neue natürlich immer nur für die jeweilige Situation ein solches ist. Das, was an sprachlichen Möglichkeiten und Bedeutungen verfügbar ist, wird in bestimmter Weise benutzt, um besondere Momente einer Situation hervorzuheben. Obwohl dieser Mechanismus von den Kommunikationspartnern eingehalten werden muß, so sind doch in jeder Situation zwei prinzipielle Möglichkeiten des Ausdrückens gegeben, die Wegener „deckende“ und „nicht deckende“ (freie) Verbindungen nennt. Eine deckende Verbindung wäre z.B. eine fixierte Metapher, eine nicht deckende dementsprechend eine frei gebildete. Deckend oder nicht deckend ist eine solche Verbindung natürlich hinsichtlich der Situation, die damit ausgedrückt werden soll. Deckende oder fixierte Metaphern sind durch das „Abblassen“ oder „Abgreifen“ der Worte entstanden. Ursprünglich waren auch sie situativ einmalige Prädizierungen. Die notwendige Voraussetzung alles Abblassens ist die, dass das logische Subject und das logische Prädicat nicht vollkommen entsprechend waren, dass das Prädicat seiner Function nicht ganz congruent war. Das Abblassen besteht eben darin, dass das Prädicat alle Vorstellungen einbüsst, welche der vom Subject bestimmten Situation nicht entsprechen, und dass es die Vorstellungen in sich aufnimmt, welche von jener Situation gefordert werden (Wegener 1885: 53). Dadurch, daß ursprüngliche Prädizierungen abblassen und mechanisiert werden, erlangen sie ihre Verwendbarkeit als expositionsbildende Zeichen. Da aber ursprüngliche Prädizierungen situativ sind, so sind sie auch jeweils durch ein bestimmtes Individuum geprägt. Dies aber bedeutet, daß das zeichensetzende Individuum zwar weiß, was es mit dieser besonderen Zeichenverbindung ausdrücken will, daß aber die am Zeichenprozeß Beteiligten, die Kommunikationspartner, nicht notwendig auch das unmittelbar erfassen, was diese besondere Zeichenverbindung in dieser besonderen Situation ausdrücken soll. Da diese Zeichen nicht „mechanisiert“ sind, so sind sie zur Charakterisierung der Situation bzw. eines bestimmten Ausschnitts der Situation ihrer „Funktion nicht ganz kongruent“. Die Hörer assoziieren mit dieser Zeichenverbindung nicht unbedingt sofort die intendierte Bedeutung, da gewisse individuelle Prädizierungsmomente noch nicht den Grad der allgemeinen Anwendbarkeit gewonnen haben. Das heißt aber nicht, daß die funktionelle Kongruenz von den Hörern nicht in einer zumindest für sie befriedigenden Weise herstellbar ist, denn in einem reflexiven Prozeß benutzt der Hörer die Situation, um das in der und zur Situation Geäußerte schlußfolgernd in seinem Sinne und seiner Bedeutungserstellung zu konstruieren. Er benutzt die Anschauungs-, die Erinnerungs- und besonders die Bewusstseinssituation, um die in seinem Sinne zunächst nicht deckende Zeichenverbindung ihrer „Funktion kongruent“ zu machen. Wird die gleiche Prädizierung öfter verwendet, so „blaßt sie ab“, sie wird „mechanisiert“. Situation und Zeichen 253 Die eigentlich wesentliche Art der Situation bei der Umwandlung des logischen Prädicats zum logischen Subjecte ist somit die Situation des Bewusstseins. Die Situation der Anschauung und der Erinnerung verfliegen wider nach kurzer Zeit. Aber die Situation des Bewusstseins, der leichtest associierbaren Vorstellungsgruppen, kann nur dadurch entstehen, dass die Situation der Anschauung und der Erinnerung durch Häufigkeit und Interesse in unserer Seele fixiert wird (Wegener 1885: 58). Dies ist der Weg der Bildung einer personellen Erfahrungstheorie. Es wurde oben aber nicht von ungefähr von Metaphern gesprochen. Wegener sieht ihre wichtigsten Charakterisierungsmerkmale in folgendem: „Die Metapher beruht auf Verbindung von Vorstellungsgruppen nach partieller Gleichheit, wird also stets individuell sein“ (Wegener 1885: 52). Sieht man sich aber diese Beschreibung der Metaphernbildung näher an, so zeigt sich, daß es sich dabei um eben jenes Prinzip handelt, das oben als konstitutiv für jegliche Prädizierung herausgestellt wurde. Immer muß ein Gegenstand oder Sachverhalt, ob er nun erstmalig erfaßt wird oder schon bekannt ist, so dargestellt und vermittelt werden, daß er notwendigerweise mit den Mitteln beschrieben oder erklärt wird, die dem Darstellenden bekannt sind, so daß Teile der bekannten, zur Beschreibung herangezogenen Mittel mit Teilen des Neuen in „Einklang“ gebracht werden, in der Erwartung, das so Beschriebene adäquat erfassen zu können. Dieses Prinzip, das allenthalben in der Zeichen- und Kommunikationssituation seine Anwendung findet, fällt aber als metaphernbildend nur noch dann auf, wenn neue, ungewohnte Verbindungen produziert werden bzw. wenn „fixierte Metaphern“, also solche Wörter, deren besondere Kombination als Bild erhalten geblieben ist, verwendet werden. In allen anderen Fällen ist der metaphorische Charakter der Prädizierung im Zuge des Abblassens und der Mechanisierung verloren gegangen. So zeigt sich uns eine Entwicklungsreihe des metaphorischen Gebrauchs, welche damit anhebt, dass zum Verständnis des metaphorischen Prädicats ein Hinweis in der Exposition erfordert wird, das Subject unter diesem Bilde zu denken, und die damit schliesst, dass man das Bild, durch welches der metaphorische Ausdruck herbeigeführt wird, gar nicht mehr empfindet (Wegener 1885: 51). Es zeigt sich also, daß das Sprechen, beruhend auf dem dargestellten Prinzip, durch und durch metaphorisch ist, auch in den Fällen, wo das Gesprochene als Metapher nicht mehr empfunden wird, und es zeigt sich weiter, daß die Entwicklung der Sprache nur unter dem Prinzip der Metaphernbildung denkbar ist. Die Verweisung der Metapher als Tropus in die Kunst im Sinne ihrer praktischen Verwendung und in die „Rhetorik“ als Möglichkeit der wissenschaftlichen Einordnung ist also eine völlige Verkennung sprachlicher Prozesse und Entwicklungen. Wenige Wissenschaftler haben die Bedeutung der Wegenerschen Konzeption erkannt, da auch nur wenige Wissenschaftler neuerer Zeit den durchgängigen metaphorischen Charakter der Sprache erkannt haben, zumindest ist darüber wenig gesagt worden. Eine der wenigen ist S.K. Langer. Ihr Buch „Philosophy in a New Key“ erschien 1942 zum ersten Mal. Darin betont sie besonders eines der von Wegener erkannten Prinzipien sprachlicher Entwicklung: „… Metaphor, the source of generality“ (Langer 1955: 111). Zu diesem Prinzip führt sie aus: If we say that a rumor runs through the town, we think neither of leg-action nor of ripples; or if a fence is said to run round the barnyard there is not even a connotation of changing place. Originally these were probably all metaphors but one (though it is hard to say which was the primitive literal sense). Now we take the word itself to mean that which all its applications have in common, namely decribing a course. The great extent and frequency of its metaphorical Johann G. Juchem 254 services have made us aware of the basic concept by virtue of which it can function as a symbol in so many contexts; constant figurative use has generalized its sense (Langer 1955: 113f.). Zwei Dinge sind zu dieser Bekräftigung des von Wegener erkannten Prinzips anzumerken. Erstens: der Gebrauch des Ausdrucks „Grundbegriff“ (basic concept) in diesem Zusammenhang suggeriert den Sachverhalt, als habe ein Ausdruck mit seiner Entstehung schon die gesamte semantische Vielfältigkeit in sich, die in unzähligen konkreten Situationen realisiert werden kann. Dies ist sicher nicht so. Nicht weil er als Grundbegriff die mögliche Realisierung situativer Prädizierung beinhaltet, sondern umgekehrt, weil der konkrete Gebrauch in bestimmten Situationen ihm eine besondere Bedeutung zumißt, kann der Ausdruck in „vielen Zusammenhängen als Symbol fungieren“. Die Gemeinsamkeit ist eine hergestellte. Was als gemeinsam im Sinne der „partiellen Gleichheit“ angesehen wird, muß sich erst herausstellen. Zum anderen ist es fraglich, ob der „ursprüngliche wörtliche Sinn“ (primitive literal sense) keinen metaphorischen Charakter hatte, wenn man diesen Sinn in seiner sprachlichen Ausdrucksform auffaßt. Dies bringt uns zu einer Erweiterung des metaphorischen Prinzips durch Wegener. Er geht davon aus, daß die Entwicklung des Kindes in einer Weise verläuft, in der es von seiner eigenen Gefühlslage her Rückschlüsse auf die Gefühle anderer Menschen zu machen lernt, die sich als Sympathie für die Mitmenschen auswirken. Dies gilt ihm als „fundamentalste Voraussetzung alles Sprachverständnisses“ (Wegener 1885: 68). Daraus ergibt sich für den menschlichen Kommunikationsprozeß ein entscheidender Zusammenhang: Empfindet der Hörende als selbstbewusst schliesslich sich nur selbst, so ist diese Empfindungs- und Anschauungsweise bei jeder anderen Person gleichfalls vorhanden, eine jede empfindet als selbstbewusst eben nur sich. Und obgleich der Hörende in dem Sprechenden, mit dessen Zuständen er Sympathie hat und der ihm als Anschauungsbild objectiv vor Augen steht, nur ein Object sehen kann, so versteht er dieses Object und dessen innere Zustände doch nur, insofern er dessen Zustände den seinen gleich setzt und nach dieser Analogie deutet, indem er sich also in die Seele des Sprechenden versetzt. Und da dieser Process des Menschen, einen Anderen mit sich innerlich gleich zu setzen, zu den allerhäufigsten gehört, so muss er auch zu denen gehören, die am stärksten mechanisiert und darum am meisten unbewusst ablaufen (Wegener 1885: 147). Das Prinzip also der Verbindung der „Vorstellungen und Dinge“ auf der Grundlage „partieller Gleichheit“, der Beschreibung oder Deutung nach der Analogie, das in der Sprache als ihr metaphorischer Charakter in Erscheinung tritt - dieses Prinzip ist eben nicht nur konstituierend für sprachliches Handeln, sondern für das Handeln und Verhalten im allgemeinen Sinne. Schon vom ersten Lebensmoment an ist das menschliche Individuum das „Maß aller Dinge“, sprich: seiner Dinge bzw. seiner „Welt“. Zunächst „deutet“ es die Welt nach den Möglichkeiten, die ihm sein „Gesamttrieb“ bietet. Diese Möglichkeiten entfalten sich unter gesellschaftlichem Einfluß ständig weiter bis zur Basis kommunikativen Handelns. Immer wird das, was auf das menschliche Individuum „zukommt“, in Beziehung gesetzt zu dem, was schon vorhanden ist, und dies gilt im besonderen Maße für das gesellschaftliche Individuum. Um im Bilde zu bleiben: das metaphorische Prinzip, wie es allgemein betrachtet wird, ist lediglich ein in sprachliches Handeln transformiertes Prinzip allgemeinen Handelns und Verhaltens. Von daher gesehen ist auch jedes erstmals geäußerte oder gebildete Wort entstanden nach diesem Prinzip, nur ist die Vergleichsgrundlage bei der Erstbildung möglicherweise keine sprachlich geprägte, sondern eine andere Form inneren Handelns und Verhaltens, beispielsweise Gefühle. Situation und Zeichen 255 Wie so oft ist es F. Mauthner, der als kritischer Eklektiker par excellence immer einen Hort fruchtbarer Ideen darstellt, welcher den von Wegener gesehenen Zusammenhang in provozierenden Worten zusammenfasst: Wie die Sprache oder das Wissen zwischen den Menschen so entstand, daß jeder einzelne dem nächsten seine eigenen Wahrnehmungen und seine eigenen Willensakte zutraute, so ging es weiter zwischen den Menschen und der Natur, der der Mensch, zwar nicht seine Sinnesorgane, aber doch seine Willensakte zuschrieb, so zu den Begriffen Objekt und Subjekt, Ursache und Wirkung u.s.w. gelangte und das Gesellschaftsspiel des Wissens nun gar mit Bäumen und Tieren weiterspielte. Metaphorisch kann man auch dieses anthropomorphische Wissen nennen, und wir werden sehen und in solchem Zusammenhange besser begreifen lernen, wie metaphorisch darum wieder die menschliche Sprache ist. Die Metapher als Grundquelle aller Sprachentwicklung führt wieder, da sie durchaus von der Sinnlichkeit ausgeht, zur Physiologie zurück und verbindet diese mit der Sprachwissenschaft, welche uns die Wissenschaft ist von dem, was zwischen den Menschen spielt (Mauthner 1901: 35). Unter diesem Aspekt betrachtet ist also das metaphorische Prinzip konstituierend für menschliche Erkenntnis und Auseinandersetzung mit der „Welt“ überhaupt. Aus ihm ist wiederum das Prinzip ableitbar, das uns die Regel gibt für den Zusammenhang, die Veränderung und die ständige Weiterbewegung der Dinge und Ereignisse. Wegener führt diese Ableitung mit einleuchtenden Argumenten durch. Die auf die nachfolgenden Zustände einer Handlung gerichteten Schlüsse werden psychologisch durch die Erwartung herbeigeführt, die Erwartung entspringt der häufigen Erfahrung, dass sich eine Thätigkeit in einer bestimmten Weise fortzusetzen pflegt. - Diese Erwartung spielt für die gesammte innere Verknüpfung der Thatsachen … eine sehr große Rolle (Wegener 1885: 128f.). Die personelle Erfahrungstheorie als Hintergrund jeglicher notwendigen Vorwegnahme von Zielen ermöglicht eben diese Vorwegnahme nur auf der Basis von „partieller Gleichheit“, d.h. der Interpretation des „Neuen“ und des „Kommenden“ durch das Bekannte. Im Kommunikationsprozeß werden vor diesem Hintergrund vom Sprecher Zeichen in Hinsicht auf zu erreichende Ziele und Zwecke gesetzt, mit der Erwartung, daß diese auch erreicht werden. Der Hörende baut indessen vor diesem Hintergrund die Erwartung auf, daß er die Ziele und Zwecke verstehen und akzeptieren bzw. nicht akzeptieren kann. Die Erwartung bildet somit im Kommunikationsprozeß ein Mittel der Verknüpfung der Ereignisse, das auch über kommunikative Prozesse hinaus seine Wirkung hat. Die Verhältnisse nemlich, welche in uns die Erwartung auf einen bestimmten weiteren Verlauf erweckt haben, erscheinen uns als die Gründe selbst für den Weiterverlauf; es wandelt sich somit der psychische Zustand der Erwartung in die logische Vorstellung eines Causalverhältnisses, und unsere durch Erfahrung gewonnenen Erwartungen in ihrer Totalität sind die Formen und das Schema, nach denen wir alles Geschehen in der Welt verknüpfen (Wegener 1885: 130). Wenn man so will: auch das Kausalprinzip (dies ist natürlich nicht im Sinne einer physikalisch-wissenschaftlichen Definition gemeint) als die vorherrschende Regel menschlicher Verknüpfungsweisen beruht letztlich auf dem „metaphorischen Prinzip“ menschlicher Handlung. Erfahrung wäre ohne dieses Prinzip nicht erwerbbar, Situationen wären nicht erfassbar, Zeichen nicht interpretierbar. Unsere Welt wäre nicht unsere Welt. Johann G. Juchem 256 Literatur Firth, John Rupert 1960: "Ethnographic Analysis and Language with Reference to Malinowski’s Views", in: R. Firth (ed.) 1960: Man and Culture. An Evolution of the Work of Bronislaw Malinowski, London: Routledge & Kegan Paul, 93-118 Gabelentz, Georg von der 1869: "Ideen zu einer vergleichenden Syntax. Wort und Satzstellung", in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 6 (1869): 376-384 Gabelentz, Georg von der 1891: Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, Leipzig: T.O. Weigel Henson, Hilary 1974: British Social Anthropologists and Language, Oxford: Oxford University Press Juchem, Johann Georg 1984: "Die Konstruktion des Sprechens. Kommunikationssemantische Betrachtungen zu Philipp Wegener", in: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 3.1 (1984): 3-18 Langer, Susanne Katherina 1955 [ 1 1942]: Philosophy in a New Key. 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Wegener, Philipp 1885: Untersuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens, Halle: Max Niemeyer Wegener, Philipp 1902: "Delbrück, B.: Grundfragen der Sprachforschung mit Rücksicht auf W. Wundts Sprachpsychologie erörtert, Straßburg 1901", in: Literarisches Centralblatt 12 (1902): 401-410 Wegener, Philipp 1921: "Der Wortsatz", in: Indogermanische Forschungen. Zeitschrift für indogermanische Sprach- und Altertumskunde 39 (1921): 1-26 1 Anmerkung d. Redaktion (EHL): Der folgende Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft 7.1 (1997): 121-142. Er wurde hier aufgrund seiner Bedeutung für das Thema dieses Heftes und zur Weiterführung der Diskussion noch einmal aufgenommen. Hermann Paul (1846-1921) Hermann Paul und die Sprachphilosophie Clemens Knobloch 1 Das Problem Hermann Paul, der unbestechliche Empiriker, hatte ein zwiespältiges Verhältnis zur Sprachphilosophie. 1 Er war zwar der führende theoretische Kopf der Junggrammatiker, aber seine ‚Prinzipien der Sprachgeschichte‘ sind mehr aus der erfolgreichen Praxis der Sprachforschung abgeleitet als aus sprachphilosophischer Reflexion. Indessen gilt auch für die strengen Empiriker, was Friedrich Engels den Naturwissenschaftlern seiner Zeit ins Stammbuch geschrieben hat: Sie … mögen sich stellen, wie sie wollen, sie werden von der Philosophie beherrscht. Es fragt sich nur, ob sie von einer schlechten Modephilosophie beherrscht werden wollen oder von einer Form des theoretischen Denkens, die auf der Bekanntschaft mit der Geschichte des Denkens und mit deren Errungenschaften beruht (Engels 1971: 203). K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Clemens Knobloch 258 2 Psychologismus und Historismus findet man u.a. bei Amirova et al. (1980), Empirismus bei Jankowsky (1972) und Koerner (1972), Atomismus, Historismus, Positivismus bei Helbig (1970); die Liste läßt sich beliebig verlängern. 3 Die Siglen, nach denen ich Pauls Arbeiten zitiere, sind in der Bibliographie entschlüsselt. Ich untersuche also in den folgenden Abschnitten nicht die (über jeden Zweifel erhabene) Praxis des Sprachforschers Hermann Paul, sondern zuerst die Vorstellungen, die er selbst sich von dieser Praxis gemacht hat. Beides ist natürlich nicht völlig unabhängig voneinander, die philosophischen Schranken markieren gleichzeitig Grenzen für Pauls erfolgreiche Praxis, und man kann Delbrück und Helbig (1970: 15) nur bedingt zustimmen, wenn sie den enormen Fortschritt der Sprachforschung in der junggrammatischen Epoche darauf zurückführen, daß die Abkehr von sprachphilosophischen Fragen der Empirie den Weg erst frei gemacht hätte. An Ismen fehlt es nicht zur Kennzeichnung der Paul’schen Position: Historismus, Positivismus, Individualismus, Atomismus, Psychologismus werden genannt, und all das hat seine Richtigkeit. 2 Wie aber die verschiedenen Faktoren in der Architektonik von Pauls Theorie ineinandergreifen, das ist selten oder nie untersucht worden. Man kennt Pauls Affinität zur Psychologie Herbarts, seine dezidierte Gegnerschaft zum Völkerpsychologie-Gedanken (Steinthal und Wundt), sein Mißtrauen gegen Abstraktionen und elegant entworfene, in sich geschlossene Theoriesysteme, seine Kritik am Naturalismus Schleichers. Aber wie all das mit Pauls Selbstverständnis als Sprachforscher zusammenhängt, ist nicht deutlich. Pauls nüchterne und strenge Denkweise tritt besonders deutlich zutage in der erbitterten Kontroverse mit dem brillanten und phantasievollen Scherer. Pauls Temperament war dem Effektvollen, dem Spekulativen, der ‚Lösung um jeden Preis‘ immer entgegen (vgl. Reis 1978), er war ein unversöhnlicher Gegner von wissenschaftlicher Rhetorik, und das bis zu einem Grade, daß er seinen Zeitgenossen schablonenhaft und starr vorkommen mußte. All das ist in Marga Reis’ (1978) vorzüglicher Studie nachzulesen, und es klingt dort auch die psychologische Vermutung an, daß Paul Mühe hatte, seine eigenen spekulativen Neigungen im Zaum zu halten. Was über Pauls sprachphilosophische Position ermittelt ist, hat den Mangel, daß es fast immer den ‚Prinzipien der Sprachgeschichte‘ (PS 3 ) entnommen wird. Es ist dies aber ein typisches „Ergebnisbuch“ (Bühler 1934: 6), und andere Arbeiten Pauls sind in puncto Selbstverständnis ergiebiger, so seine Beiträge zum (von ihm selbst herausgegebenen) Grundriss der germanischen Philologie, seine Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften (AMG) und seine Rede Über Völkerpsychologie (VP). Wie wichtig Paul die Auseinandersetzung mit der Sprachphilosophie seiner Zeit genommen hat, erhellt aus der fast grotesk anmutenden Tatsache, daß er in einer vierseitigen Vita, verfaßt kurz vor seinem Tod, den ganzen letzten Abschnitt seiner Gegnerschaft zu Wilhelm Wundt widmet (V, 498). Pauls philosophisches Denken kreist um das psychophysische Problem. Als Zweig der Kulturwissenschaft handelt die Sprachforschung von beidem: sie hat die physischen Zeugnisse der Sprechtätigkeit unzähliger Individuen als Materiatur, und diese Erzeugnisse werden hervorgebracht von psychischen Ursachen, sie sind deren Wirkungen. Psychische Vorgänge kann aber jeder nur unmittelbar an seiner eigenen Seele beobachten, die Fremdbeobachtung hat immer nur ihre physischen Wirkungen (M, 155). Das ist für Paul nicht nur das Dilemma der Philologie, sondern auch das der alltäglichen sprachlichen Verständigung: alle Wechselwirkung zwischen Individuen bedarf der physischen Vermittlung durch ‚bewegte Luftschichten‘ (vgl. VP, 364). Hermann Paul und die Sprachphilosophie 259 Das kausale Erschließen psychischer Ursachen aus vorliegenden physischen Wirkungen - das ist für Paul die Generalformel der Philologie, und alles hängt für ihn davon ab, daß die psychischen Erscheinungen untereinander und mit ihren physischen Wirkungen in gesetzmäßigen Kausalzusammenhängen stehen. Wo dies nicht der Fall, da ist Wissenschaft für Paul nicht möglich (und natürlich auch keine wirkliche sprachliche Verständigung). Das zeitbedingte Rohe an diesem Verständnis von Kulturwissenschaft brauche ich nicht herauszustellen. Man fühlt sich stark erinnert an das Zerrbild des Gesellschaftswissenschaftlers, der die Uhr durch die psychischen Vorgänge im Uhrmacher und nicht durch die Funktion der Zeitmessung erklärt. Die Sprachdaten geben Zeugnis von der Gruppierung der Erfahrungen in der Einzelseele (AMG, 4), und diese hat der Sprachforscher aufzudecken. Hier ist eine stille Affinität Pauls zu seinem großen Widersacher Wundt, der ja gleichfalls die Sprachdaten als Zeugnisse für einen streng gleichsinnigen Vorstellungsverlauf beim Sprecher interpretiert (vgl. Knobloch 1984). Während die Völkerpsychologen einen ethnisch vorgeprägten Zusammenhang und Aufbau der ‚Einzelseelen‘ annehmen, kennt Paul nur eine natürliche Übereinstimmung der Individuen in geistiger und leiblicher Organisation (VP, 364). Die hat seine Theorie auch bitter nötig, weil die Sprache als aktiv formendes Organ des geistigen Lebens für ihn nicht in Betracht kommt: die Sprachlaute fügen den Vorstellungsinhalten nichts hinzu, sie setzen diese als fertig geformte voraus; höchstens Neukombinationen vorhandener Vorstellungen können sie veranlassen (AMG, 27). Das ist eine dezidierte Gegenposition zu Humboldt und seinen Anhängern. Weil alle Sprachzeugnisse immer nur hinweisen auf das Seelenleben des sie hervorbringenden Individuums, drängt alles bei Paul zur Berücksichtigung des Sprechverkehrs der Individuen untereinander. Er allein stellt eine (relative) Übereinstimmung der Sprecher her. Bei den Völkerpsychologen hingegen wird die Kommunikation aus durchsichtigen Gründen ignoriert: sie hat eigentlich keine Funktion, weil die Sprecher in der vorausgesetzten ‚Volksseele‘ immer schon verständigt sind. Diese Berücksichtigung des Sprechverkehrs hat Paul als seine Leistung immer stark herausgestellt. Alle Probleme der Sprachwissenschaft brauchen „genaue Beobachtung des Hergangs bei dem wechselseitigen Verkehr zwischen den verschiedenen Individuen“ (VP, 366). Es ist dies ein Zug, der ihn mit Philipp Wegener verbindet. Die theoretischen Folgen dieser Konstellation sind zwiespältig. Sie führt einmal dazu, daß das Soziale an der Sprache als ein Appendix ihrer individualpsychologischen Fundierung eigens abgeleitet werden muß (vgl. Bühler 1934: 3f). Die wirkliche Verständigung erscheint als movens der Sprachgeschichte und ist doch von den individualpsychologischen Voraussetzungen her eigentlich gar nicht möglich, weil keine Monade aus ihrer Käseglocke herauskann: Es ist also nicht möglich, durch die Sprache Vorstellungselemente in die Seele des Hörenden einzuführen, die nicht schon vorher in derselben gewesen sind (VP, 367). Die doppelte Einordnung der Sprache in die Psychologie und in die Gesellschaftswissenschaft führt in den ‚Prinzipien‘ zu einem unvermittelten Nebeneinander beider Seiten, verbunden sind sie nur durch den ominösen Satz: Etwas anders stellt sich die Aufgabe der Prinzipienlehre von folgendem Gesichtspunkt dar. Die Kulturwissenschaft ist immer Gesellschaftswissenschaft (PS, 7). Clemens Knobloch 260 4 Wer das also für eine Erkenntnis des ebenso modischen wie modernen Konstruktivismus hält, der mag sich bei Paul über das ehrwürdige Alter dieser Topoi ins Bild setzen. 5 Ich erinnere an Pauls berühmtes dictum, wonach es eine andere als die historische Erforschung der Sprache nicht geben könne. 6 Über das prekäre Verhältnis von diachronischem Ziel und synchronischer Beschreibung von Sprachzuständen bei Paul (PSG, 29; BAgP, 2) vgl. Koerner (1972) und v.a. Reis (1978), die das Nebeneinander mehrerer Lesarten für ‚historisch‘, ‚geschichtlich‘ usw. in den Arbeiten Pauls analysiert. Vgl. hierzu auch Ruzicka (1977). 7 Im Bedeutungskapitel der PSG ist dieser Gebrauch von ‚usus‘ durchbrochen. Die usuelle Bedeutung eines Wortes gilt da durchaus als individueller Sprachbesitz, nicht als methodische Funktion; Reis (1978: 189) interpretiert die Schwierigkeiten mit Pauls gelegentlicher Hypostasierung des usus als einer selbständigen Macht, die ihrerseits die Sprechtätigkeit des Einzelnen beeinflusst. Der immer geforderte Schluß von den physischen Daten zu ihren psychischen Ursachen steht auch für Pauls methodisch begründete Wertschätzung einer Untersuchung der lebenden Sprachen: nur bei diesen ist auch die psychische Seite der Selbstbeobachtung unmittelbar gegeben. Alle historische Rekonstruktion ist insofern riskant, als sie auf der konstruktiven Ergänzung des Gegebenen durch Analogieschlüsse aus der Gegenwart beruht (M, 156). Denn alles, was wir beobachten, ist ex definitione gegenwärtig. 4 Man sieht hier schon: der Historismus Pauls beruht eigentlich auf der Voraussetzung, daß nichts sich wirklich ändert! Tritt also bei der Erforschung der jüngeren Sprachzustände die Selbsterfahrung des Forschers ein, so muß gerade für die Sprachgeschichte, um die es doch allein geht 5 , die wissenschaftliche Psychologie als Gesetzeswissenschaft in die Bresche springen. Sie bürgt für die Validität der gegenwärtig basierten Schlußfolgerungen des Sprachforschers auch für die vergangenen Sprachzustände. Das ist Pauls ausdrückliche Meinung, denn er beschränkt die Funktion der Psychologie auf die unabsichtlich in Bewegung gebrachten Änderungsprozesse, während man sich bei den absichtlich erzeugten sprachlichen Produkten durchaus auf den Nachvollzug in der eigenen Erfahrung verlassen könne (M, 158). Nur aus diesem Gedankengang heraus ist es zu verstehen, warum die zutiefst ahistorische Vorstellungsmechanik Herbarts zu den ersten Glaubenssätzen des Historikers Paul gehört. Deren Reiz beruht gerade darin, daß sie den Empiriker Paul mit dem Theoretiker Paul (eher gewaltsam) versöhnt. 6 Der Sprachusus eines Zeitpunktes, diese artifizielle Zusammenfassung des Forschers, wird gebildet aus unzähligen individuellen Sprachsystemen, die permanent in sich evolvieren. Auch das ist nur konsequent, verweist doch kein Sprachzeugnis an und für sich auf ‚die‘ Sprache, sondern nur auf einen individuellen Sprecher zu einem bestimmten Zeitpunkt. Auch die Gemeinsprache ist daher nur eine mehr oder minder konventionelle Zusammenfassung von Individualsprachen, eine methodische Fiktion (vgl. PS, 29 et pass.; Reis 1978: 184). 7 Diese theoretischen Annahmen bringen Paul in einen unlösbaren Widerspruch, den er sehr deutlich empfunden haben muß: die linguistisch-philologische Praxis führt, da notwendig gegenwärtig basiert (s.o.), nur insofern auf valide Schlüsse, als in den Einzelseelen alles gleich bleibt, der faktisch in permanenter Entwicklung begriffene Gegenstand dieser Praxis aber kann nur erklärt werden mit der Voraussetzung, daß nichts gleich bleibt in der Einzelseele. Die unmögliche Versöhnung beider Seiten hat die Prinzipienwissenschaft zu leisten: Ihr ist das schwierige Problem gestellt: wie ist unter der Voraussetzung konstanter Kräfte und Verhältnisse doch eine geschichtliche Entwicklung möglich, ein Fortgang von den einfachsten und primitivsten zu den kompliziertesten Gebilden? (PSG, 2). Hermann Paul und die Sprachphilosophie 261 8 Als Mitarbeiter in Steinthals und Lazarus’ Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft wird er meist umstandslos dieser Schule zugeordnet, er ist aber ein klarer und selbständiger Kopf. Paul hat die Mißachtung seiner philosophischen Bemühungen durch Tobler, Misteli und später auch Steinthal sehr gekränkt; vgl. PSG, 12, Anmerk. Unter den Rezensenten der ‚Prinzipien‘ haben einige den Bruch zwischen Theorie und Praxis durchaus bemerkt. So schreibt der feinsinnige (und von den Historiographen viel zu wenig zur Kenntnis genommene) Franz Misteli 8 im Anschluß an Ludwig Toblers Rezension der 1. Auflage von PSG (Tobler 1881): die einleitenden Begriffsbestimmungen hätten glücklicherweise keinen Einfluß auf den Fortgang der Darstellung (Misteli 1882: 399f.). Er prangert den naiven psychologischen Platonismus Pauls an, der einfach die wirklichen sprachlichen Erscheinungen verdoppelt und sie als psychische noch einmal setzt (ibid., 392f.). Pauls methodisches Selbst(miß-)verständnis trifft er genau mit dem scharfen Satz: Sein krankhaftes Verlangen, nur das Wirkliche in die Hände zu bekommen, läßt ihn das Allgemeine zum Erdichteten und die zufällige Einzelheit zum wahren Objekt verschieben … Paul glaube nur nicht, daß er dem Wirklichen nähergekommen sei, wenn er von ‚einzelnen‘ Vorstellungen oder Sprechbewegungen redet, … (ibid., 385 bzw. 387). Faktisch läßt sich Pauls strenger Anspruch (glücklicherweise! ) nicht einlösen: das einfache Konstatieren eines sprachlichen Faktums schließt die Allgemeinheit und Gesellschaftlichkeit desselben ein. Zusammengefaßt für den Freund der griffigen Formeln: Pauls Philosophie ist idealistisch und mechanistisch, sie behandelt das Psychische überall als Ursache des Physischen. Sie ist nominalistisch, ihr gilt nur das einzelne Sinnending als wahr. Es handelt sich, kurz gesagt, um eine „schlechte Modephilosophie“, sie ist ungeeignet, eine kulturwissenschaftliche Praxis wirklich anzuleiten und entstanden aus dem Wunsch, eine erfolgreiche wissenschaftliche Praxis mit strengen Kausalitätskriterien auszuschmücken. Wenn Paul seine eigene Arbeit so gesehen hat, dann hat er sie falsch gesehen. Nach diesem gleichermaßen summarischen und kritischen Durchgang durch Pauls methodisch-philosophisches Selbstverständnis nun einige Bemerkungen über sein Verhältnis zu den Sprachphilosophen der Zeit. 2 Paul und Steinthal Daß er „besondere Anregung von Steinthal empfing“ in seinem knapp einjährigen Berliner Studium 1866/ 7, schreibt Paul selbst in seiner Vita (V, 495). Er läßt freilich keinen Zweifel daran, daß er dessen Völkerpsychologie (ganz wie die Wundt’sche) entschieden ablehnt (vgl. PSG, 8ff; V, 363ff). In Temperament und Denkweise liegen Welten zwischen Paul und Steinthal: „Paul ist kein Philosoph und Dialektiker wie Steinthal, er überspitzt nichts“, schreibt Arens ( 2 1969: 347). In der Tat tut man sich schwer, in Pauls Werk die Spuren der ‚Anregung‘ zu finden, die von Steinthal ausgegangen sein soll. Als einziger Posten von einigem Gewicht bleibt der Umstand, daß es Steinthal war, der Paul mit Herbarts Psychologie vertraut gemacht hat. Doch sehen wir zunächst, wie Paul selbst sein Verhältnis zu Steinthal auffaßt. Über sich und seine junggrammatischen Mitstreiter schreibt er: Clemens Knobloch 262 9 Der Vorwurf gegen Paul, er wolle offenbar die ‚Mechanisierung der Methoden‘, hat auch aus dieser Sicht eine gewisse Berechtigung; vgl. Reis (1978: 163ff.). Das Ringen nach einer festen Methode für die in so reichem Maße geübte historische Forschung, der Streit um die dabei anzuwendenden Grundsätze nötigte dazu, auf die allgemeinen Grundbedingungen der Sprachentwicklung zurückzugehen. Dies geschah im Anschluss an die psychologische Sprachbetrachtung Steinthals. Es galt, dieselbe in enge Verbindung mit den Erfahrungen der Detailforschung zu setzen. Eine Zusammenfassung der Resultate, die sich aus dieser Verbindung ergaben, habe ich in den ‚Prinzipien der Sprachgeschichte‘ versucht (GGP, 123f.). Dies ist eine verblüffende Selbstinterpretation für jeden, der beide Autoren kennt. Überhaupt ist die Darstellung Steinthals in GGP (S. 117ff.) erstaunlich positiv. Lediglich die fehlende Verbindung zur Einzelforschung wird bemängelt, so daß, wenigstens in Pauls Selbststilisierung, ein direkter Weg von Steinthals psychologischer Sprachauffassung zu Pauls ‚Prinzipien‘ zu führen scheint. Welchen Gebrauch macht nun aber Steinthal und welchen macht Paul von der Herbart’schen Psychologie? Daß Steinthal nicht einfach ein Herbartianer war, ist bekannt (vgl. Bumann 1965/ 6). Gerade in der Sprachauffassung unterscheidet er sich radikal von Herbart (vgl. Misteli 1880). In Steinthals sprachphilosophischem Cocktail (einer explosiven Mischung übrigens aus romantisch-idealistischen und mechanisch-materialistischen Gedanken) ist Herbart nur ein Ingrediens unter vielen. Namentlich die völkerpsychologischen Weiterungen sind mit Herbarts Zweisubstanzenlehre nur schwer vereinbar: die Seele ist eine einfache Substanz, die ihre Vorstellungen, angeregt durch äußere Substanzen zwar, aber im ganzen doch autonom bildet. Für eine ‚Volksseele‘ oder einen ‚Volksgeist‘ ist da nirgends Platz, und Paul verteidigt allenthalben die individualistische und mechanistische Intention Herbarts gegen Steinthals romantische Gedanken. Daß er die Unvereinbarkeit von Herbarts Seelenmechanik und romantischer Völkerpsychologie dargetan habe, rühmt schon Wundt an ihm. Der Reiz, der für beide von der Psychologie Herbarts ausgeht, ist ihr (vermeintlicher) empirisch-antispekulativer Charakter. Sie wollte keine philosophische Vermögenslehre mehr sein, sondern empirische Erfahrungswissenschaft von den bewussten und nichtbewußten Vorstellungen. So verstanden bildet sie in Pauls Gedankenbau den Eckstein, während sie bei Steinthal eher zur Fassade gehört. Und so unterscheidet sich auch Pauls Anwendung der mechanischen Psychologie diametral von Steinthals: sie hat für ihn den Charakter einer strengen methodischen Vorschrift, nach der psychische Entsprechungen zum sprachlichen Material konstruiert und untereinander verbunden werden. 9 Steinthal dagegen trägt sie breit und umständlich vor als Theorie der Seele, die an irgend einem Punkt mechanisch-reflexhaft Sprachlaute hervorbringt (vgl. Steinthal 2 1881). Man kann getrost vermuten, daß Paul sich dem harschen Urteil Delbrücks über Steinthals sprachtheoretische Arbeiten angeschlossen hätte. Delbrück schreibt, daß diese „nur bestimmt waren, gewissen allgemeinen Ideen zur Erläuterung zu dienen“ (Delbrück 1901: 2). In diesem hingeworfenen Satz liegt das ganze empirische Pathos der Junggrammatiker. Etwas Schlimmeres kann man über einen Sprachforscher nicht sagen. Was Paul weiterhin angezogen haben könnte an der Herbart’schen Lehre (Steinthal aber eher abgestoßen), ist ihr strenger und nüchterner Intellektualismus - und der Umstand, daß auch Herbart genötigt war, den unaufhörlichen Wechsel der Vorstellungen mit wenigen unveränderlichen Regeln zu beschreiben. Hermann Paul und die Sprachphilosophie 263 Warum aber fühlt sich Paul nach eigenem Zeugnis den Auffassungen Steinthals verbunden, wenn es nicht Herbarts Psychologie (und schon gar nicht seine Sprachauffassung) ist, die als Bindeglied dienen kann? Ich glaube, daß es Steinthals Theorie des geisteswissenschaftlichen und philologischen Verstehens, seine Lehre von den Formen der Interpretation (vgl. Bumann 1965/ 6: 48ff.) war, in der Paul seine eigene Praxis wiederzuerkennen glaubte. Hier stehen beide Forscher einander am nächsten, und was Paul als Methodenlehre im ‚Grundriss der germanischen Philologie‘ vorträgt (M), das hat viele Bezüge zur Interpretationslehre Steinthals: Ziel der Verstehensprozeduren ist die Reproduktion der Vorstellungsreihen des Produzenten; vom alltäglichen Verstehen unterscheidet sich das philologische, indem es das einzelne Datum verbindet mit den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Seele und des Bewußtseins; Interpretationsbedarf entsteht dadurch, daß die vom Produzenten gemachten Voraussetzungen bei Rezipienten späterer Tage nicht mehr zutreffen. Last but not least dürfte es Paul gefallen haben, daß Steinthal in der grammatischen Interpretation der Sprachdaten den vornehmsten und eigentlichen zentralen Teil der philologischen Praxis gesehen hat. In der Zusammenfassung Bumanns: Die grammatische Interpretation bildet die Grundlage für alle weitere philologische Interpretation. Sie deutet den geschriebenen Sprachlaut, d.h. sie entziffert den Sinn der Rede, soweit er im Worte, den Sprachelementen an sich liegt (Bumann 1965/ 6: 50). Der Praktiker Hermann Paul begründet die germanistische Linguistik als eigenständiges, von der Deutung der Literaturdenkmäler abgesetztes Fach (vgl. Reis 1978: 160). Der Theoretiker Hermann Paul möchte der Linguistik eine literaturwissenschaftliche Methodologie vorschreiben. 3 Paul und Wundt Ein gutes Wort über Wundt findet man nirgends in den Schriften Hermann Pauls. Als empirischer Sprachforscher ganz ohne selbständige Bedeutung, war Wundt aber zweifellos ein scharfsinniger Kenner der Philosophie (vgl. Arnold 1980, Ungeheuer 1984). Mit den Junggrammatikern war er schon in den achtziger Jahren über die ‚Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze‘ aneinandergeraten (vgl. Jankowsky 1972: 216ff.). Als im Jahre 1900 die ersten beiden, der Sprache gewidmeten Bände seiner ‚Völkerpsychologie‘ erschienen, da fand dieses Werk bei den Indogermanisten eine recht freundliche Aufnahme (vgl. Delbrück 1901, Sütterlin 1902). Die Gründe dafür können hier nicht untersucht werden, aber immerhin mochte Paul glauben, daß sein Prinzipienbuch in der Gunst des Publikums verdrängt werden könnte. Pauls Einwände gegen den Wundt’schen Standpunkt sind bekannt. Sie betreffen die Rolle der Analogie, die Völkerpsychologie und vor allen Dingen die bei Wundt völlig vernachlässigte Hörer- und Kommunikationsperspektive. All das kann man nachlesen in der Einleitung zur 4. Auflage der PSG. Da es hier jedoch nur um Paul geht, behandele ich von den unzähligen Querelen zwischen beiden Forschern nur eine, bei der mir zentrale Schwierigkeiten des Paul’schen Denkens getroffen zu sein scheinen. In dem Aufsatz ‚Der Einzelne und die Volksgemeinschaft‘ (zitiert nach Wundt 2 1921: 53ff.) handelt Wundt vom Individualismus in der Sprachwissenschaft und im besonderen von Hermann Paul. Sehr feinsinnig legt er die Wurzeln des Paul’schen Denkens in dessen philologischer Ausbildung und Praxis frei. Jeder philologische Interpret neige dazu, die Arbeit, die er selbst Clemens Knobloch 264 10 Was jeweils als ‚erfolgreich‘ gilt, ist natürlich eine Frage der gesellschaftlichen Wertung. 11 Zu der schier endlosen Diskussion um Synchronie und Diachronie bei Paul vgl. die vorzüglichen Bemerkungen in Reis (1978: 173ff.). zum Verständnis einer geistigen Schöpfung aufwenden muß, auch dem Produzenten dieser Schöpfung zu unterschieben: Zu dem, fast könnte man sagen, berufsmäßigen Intellektualismus des Philologen gesellt sich als dessen natürliche Ergänzung ein meistens stark ausgeprägter Individualismus, der durch die Beschäftigung mit geistigen Schöpfungen, die wirklich individuellen Ursprungs sind, noch mehr befestigt wird (Wundt 1921: 55). Wundt trifft hier sehr genau die Selbsttäuschung des Methodologen Paul, der ja in der Tat seine eigene Interpretation der Dinge dem Erzeuger eines sprachlichen Gebildes als ‚Vorstellungsverlauf‘ unterstellt. Die Rezeption von Sprachzeichen gilt für identisch mit dem Nachvollzug der Vorstellungen, die zu ihrer Produktion geführt haben, und zwar im Prinzip die alltagsweltliche und die wissenschaftliche Rezeption. Die philologische Methode Pauls schlägt um in eine linguistische Ontologie; in seinem Selbstverständnis verhält sich die Sache freilich umgekehrt, und die Methode erscheint als Resultat der Ontologie, als diktiert von der Beschaffenheit des Gegenstandes. Das ist übrigens in der Geschichte der Linguistik eine ganz alltägliche, beinahe allgegenwärtige Erscheinung. Der immer prekäre ontologische Status ‚einer‘ oder ‚der‘ Sprache verführt dazu, die anderweitig motivierte Methodologie der Sprachforschung auch als Ontologie auszubauen und auszugeben. Wer z.B. die Sprache logisch behandelt, der macht sie zum ‚Ausdruck des Denkens‘ und hat damit seine Behandlungsweise bestens gerechtfertigt. Die Methodologie ihrerseits orientiert sich an ‚erfolgreichen‘ 10 Nachbardisziplinen mit ontologisch weniger prekären Gegenständen, und auch hier hat Wundt die Verfahrensweise Pauls fein beobachtet. Es ist bekannt, daß Paul (ebenso wie Steinthal) ein entschiedener Gegner des Naturalismus und Darwinismus Schleichers gewesen ist, der (National-)Sprachen als evolvierende, mutierende und aussterbende Naturorganismen verstand (vgl. Arens 2 1969: 337ff.). Unter den Historiographen ist es lediglich Koerner (1976: 699), der einmal den junggrammatischen Ansatz als eine bloße Fortsetzung und Erweiterung des Schleicher’schen Paradigmas bezeichnet. 11 Wer hat Recht? Nun, wie so oft, beide ein wenig. Paul hat zwar die Hypostasierung der Nationalsprachen als selbständiger Organismen gänzlich aufgegeben, sie sind ihm ja nur Konstrukte des Forschers, aber er hat nicht aufgehört, bei Darwin und den Darwinisten Anleihen zu machen. Ganz offen und gerade heraus tut er das in der Frage der Sprachspaltung, so sich „die Analogien aus der Entwicklung der organischen Natur aufdrängen“ (PSG, 37). Er schreibt dann weiter: Wollen wir diese Parallele ein wenig verfolgen, so kann es nur in der Weise geschehen, dass wir die Sprache des einzelnen, also die Gesamtheit der Sprachmittel über die er verfügt, dem tierischen oder pflanzlichen Individuum gleich setzen, die Dialekte, Sprachen, Sprachfamilien etc. den Arten, Gattungen, Klassen des Tier- und Pflanzenreichs (ibid.). Hier ist es also der individuelle Sprachbesitz, der dem Kampf ums Dasein in Gestalt des Sprechverkehrs ausgesetzt wird. Was sich bewährt im Sprechverkehr, wird usus, und die Hermann Paul und die Sprachphilosophie 265 12 Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, daß ich für Wundt und gegen Paul Partei ergreife in einem alten Streit. Ich halte Wundts ausdruckspsychologische und parallelistische Sprachauffassung für unbedeutend und zutiefst steril, während Paul gerade durch seine Widersprüche ungemein anregend ist. Wundt hatte jedoch immer einen klaren Blick für die philosophischen Schwächen seiner Widersacher, und das mache ich mir hier zunutze. Intensität des sprachlichen Kontaktes der Individuen bestimmt den Grad der Übereinstimmung ihrer Individualsprachen. Paul vergleicht sogar ausdrücklich die von ihm angenommenen ‚Individualsprachen‘ mit der Auflösung des starren Artenbegriffes bei den Darwinianern: Der große Umschwung, welchen die Zoologie in der neusten Zeit durchgemacht hat, beruht zum guten Teile auf der Erkenntnis, dass nichts reale Existenz hat als die einzelnen Individuen, dass die Arten, Gattungen, Klassen nichts sind als Zusammenfassungen und Sonderungen des menschlichen Verstandes, die je nach Willkür verschieden ausfallen können … Auf eine entsprechende Grundlage müssen wir uns auch bei der Beurteilung der Dialektunterschiede stellen. Wir müssen eigentlich so viele Sprachen unterscheiden als es Individuen gibt (PSG, 37). So nützlich diese Analogie für die Dialektforschung, so falsch ist das darwinistische Bild, unter das sie gefasst ist. Wundt merkt genüsslich an: wo fände sich etwa in der Tierwelt ein Beispiel dafür, daß stammesfremde Arten, ähnlich stammesfremden Sprachen, sich mischen, oder daß ein Individuum dem andern durch Nachahmung ähnlich wird? (Wundt 1921: 79). Pauls philologische Methode nötigt ihn, die Verschiedenheit des individuellen Sprachbesitzes (die er in seinen Zeugnissen ja immer wieder belegt findet) zur Norm und die Übereinstimmung zur riskanten Ausnahme zu machen. Mit Darwin’schen Argumenten ist dieses Verfahren freilich nicht zu rechtfertigen, denn auch die Darwinianer haben ja bloß für die Diachronie die strikte Trennung der Arten aufgelöst, nicht ihren synchronen Zusammenhang. Von praktischem Nutzen ist Pauls Maxime in der Dialektforschung insofern, als sie methodische Skepsis, sorgfältige Prüfung der Daten, vorsichtige Schlussfolgerungen nahe legt. Ob es aber für sachhaltig gelten kann, von starken Unterschieden des individuellen Sprachbesitzes auszugehen, ist selbst wieder eine historische Frage. Denn Individualisierung des sprachlichen Ausdrucks setzt naturgemäß eine differenzierte und hochentwickelte Gesellschaft voraus, sie steht keinesfalls am Anfang der historischen Entwicklung, wo Paul sie hinsetzt: „Auch hier verallgemeinert daher die Hypothese der Individualsprache vereinzelte Erscheinungen einer späten Kultur, um sie dann in eine beliebig vergangene Zeit zu projizieren“ (Wundt 1921: 77). Und wieder ist man angekommen im Paul’schen Hauptwiderspruch: daß sich alles bewegen muß und doch nichts sich bewegen darf. 12 4 Schluß Es ist der bewundernswert sichere Blick für die Tatsachen des Sprachlebens, der Paul vor den Fallstricken seiner eigenen Methodologie bewahrt hat. Gerade sein Grundwiderspruch gestattet ihm aber auch Sprung und Perspektivenwechsel, und darum findet man neben der Fülle von sprachgeschichtlichen Einzelbefunden in den ‚Prinzipien‘ auch die Kapitel, wo von der Sprache im Singular gehandelt wird, oder, in Bühlers bilderreicher Sprache: wo Heraklit unter die Eleaten geht (Bühler 1934: 4); über die syntaktischen Grundverhältnisse, über Clemens Knobloch 266 13 Selbstverständlich hat Wegener auch seinerseits für die ‚Untersuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens‘ die 1. Aufl. der Paul’schen Prinzipien mit Gewinn verwendet. usuelle und okkasionelle Bedeutung, über die Wortarten und über die Sparsamkeit im Ausdruck. Hier ist das Prinzip der Individualsprache und der singulären Interpretation einzelner Daten rasch vergessen. Das unvermittelte Nebeneinander von historisch-psychologisierender und synchronisch-sprachtechnischer Sichtweise ist oft nachgerade zum (fruchtbaren) Widerspruch gesteigert. Ein bekanntes Beispiel: in der Behandlung des grammatischen Genus gibt Paul zunächst die seit Grimm bekannte, aber auch vor ihm schon gängige Variante, der grammatische Geschlechtsunterschied habe seinen Ursprung im natürlichen der Lebewesen, welcher dann qua Phantasie und Analogie auf andere Bereiche übertragen werde und sich sprachlich befestige (PSG, 263f.; vgl. hierzu Jellinek 1906). Dann aber schaltet er um zu einer sprachtechnischen Auffassung des Genus als einer Anaphorisierungshilfe qua Kongruenz: Das sprachliche Mittel, woran wir jetzt das grammatische Geschlecht eines Substantivums erkennen, ist die Kongruenz, in welcher mit demselben einerseits Attribut und Prädikat, andererseits ein stellvertretendes Programm steht. Die Entstehung des grammatischen Geschlechtes steht daher im engsten Zusammenhang mit der Entstehung eines wandelbaren Adjektivums und Pronomens. … Am stellvertretenden Pron. hat sich wahrscheinlich das grammatische Geschlecht am frühesten entwickelt, gerade so wie es sich an demselben da, wo es teilweise untergegangen ist, also z.B. im Engl., am längsten erhält (PSG, 264f.). Das ist eine völlig andere Optik, die sich hier geltend macht, eine funktionalistische, an der Leistung der grammatischen Erscheinung orientierte. Ganz ähnlich gespalten sind die Dinge wenige Seiten weiter, bei der ‚Verschiebung der syntaktischen Gliederung‘, und in den ‚syntaktischen Grundverhältnissen‘, welche die Basis abgeben für das 16. Kapitel von PSG. Zuerst wird das ‚psychologische Subjekt‘ definiert als „die zuerst in dem Bewusstsein des Sprechenden, Denkenden vorhandene Vorstellungsmasse, an die sich eine zweite, das psychologische Prädikat anschließt“ (PSG, 124). Die funktionale Zweigliedrigkeit einer jeden sprachlichen Äußerung wird einfach in den Kopf des Sprechers projiziert. Dann aber ist das ‚psychologische Subjekt‘ auch die ‚Vorstellungsmasse‘ in der kommunikativen Themarolle, und das ist doch etwas anderes. Der Widerspruch zwischen beiden Lesarten wird ein wenig gewaltsam eliminiert: auch wo das Thema in der linearen Redekette nachgeschoben wird, wo es an die zweite Stelle rückt, war es doch zuerst im Bewußtsein des Sprechenden (das kann man natürlich nicht widerlegen! ) und der Prädikatsbegriff hat sich nur ordnungswidrigerweise in den Vordergrund gedrängt (PSG, 127). Man findet dessen Spuren gleich in den syntaktischen Abschnitten der PSG (die ja in der ersten Auflage noch weitgehend fehlen), aber auch im Bedeutungswandel: die ganze Liste derjenigen Faktoren, die eine abstrakt-usuelle Bedeutung zum konkreten Sachbezug des einzelnen Verwendungsfalles (zur ‚okkasionellen‘ Bedeutung also) individualisieren, stammt, so wie sie da steht (PSG, 78ff.), von Wegener. 13 So ist Pauls sprachphilosophische Position allenthalben voller Widersprüche. Gewiß hat er seine Leitgedanken nicht restlos zu Ende gedacht, aber nirgends verstellen sie ihm den Blick in die Sprachwirklichkeit. Darum kann man die ‚Prinzipien‘ noch heute mit Gewinn lesen, während der sprachphilosophisch subtilere Wundt heute nur noch den Historiographen etwas zu sagen hat. Hermann Paul und die Sprachphilosophie 267 Coseriu schreibt über Johann Werner Meiner, den bedeutenden Universalgrammatiker des 18. Jahrhunderts: er sei, wie viele seiner Zunft, ein schlechter Philosoph, aber ein genialer Grammatiker gewesen (vgl. Coseriu 1972 II: 168). So verhält es sich auch mit Hermann Paul. Wer aber mit Brecht’scher List über den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis hinausmöchte, der kann auch sagen: Pauls linguistische Praxis beweist, daß er ein guter Philosoph war, seine Philosophie war praktisch und seine Praxis philosophisch (vgl. Brecht 1965: 40). Wundts Philosophie hingegen war unpraktisch und ist darum zu recht vergessen. Literatur I Zitierte Arbeiten Hermann Pauls VP = Über Völkerpsychologie, in: Süddeutsche Monatshefte, November 1910 (Rede gehalten beim Stiftungsfest der Universität München am 25. Juni 1910) BAgP = Begriff und Aufgabe der germanischen Philologie, in: Grundriss der germanischen Philologie, Bd. 1, hrsgg. von H. Paul, Strassburg 1891, S. 1-8 M = Methodenlehre, ibid. S. 152-237 GGP = Geschichte der germanischen Philologie, ibid. S. 109-151 PSG = Prinzipien der Sprachgeschichte, Halle a.S. 4 1909 ( 1 1880, 2 1886, 3 1898, 5 1920) V = Mein Leben, in: PBB 46 / 1922, S. 495-500 AMG = Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften, Berlin und Leipzig 1920 II Sonstige Literatur Arens, Hans 2 1969: Sprachwissenschaft. Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart, München: Karl Alber 1969 Arnold, Alfred 1980: Wilhelm Wundt. Sein philosophisches System, Berlin: Akademie Verlag Amirova, T.A. et al. 1980: Abriß der Geschichte der Linguistik, Leipzig: VEB Bibliograph. Institut Brecht, Bertolt 1965: Me-ti. Buch der Wendungen, Frankfurt: Suhrkamp Bühler, Karl 1934: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Jena: Fischer Bumann, Waltraud 1965/ 6: Die Sprachtheorie Heymann Steinthals, Meisenheim a. Gl.: Anton Hain Coseriu, Eugenio 1972: Die Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart, Teil II, Von Leibniz bis Rousseau, Tübingen: Gunter Narr Delbrück, Berthold 1901: Grundfragen der Sprachforschung, mit Rücksicht auf W. Wundts Sprachpsychologie erörtert, Strassburg: Karl Trübner Engels, Friedrich 6 1971: Die Dialektik der Natur, Berlin: Dietzverlag Helbig, Gerhard 1970: Geschichte der neueren Sprachwissenschaft, Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie Jankowsky, Kurt R. 1972: The Neogrammarians, The Hague / Paris: Mouton Jellinek, Max Hermann 1906: „Zur Geschichte einiger grammatischer Theorien und Begriffe“, in: Indogermanische Forschungen 19 (1906): 272-316 Knobloch, Clemens 1984: „Sprache und Denken bei Wundt, Paul und Marty“, in: Historiographia Linguistica 11.3 (1984): 413-448 Koerner, E.F.K. [Konrad] 1972: „Hermann Paul und Synchronic Linguistics“, in: Lingua 29.3 (1972) Koerner, E.F.K. [Konrad] 1976: „Towards a Historiography of Linguistics. 19 th and 20 th Century Paradigms”, in: H. Parret (ed.) 1976: History of Linguistics, Berlin: De Gruyter, 685-718 Misteli, Franz 1880: “Herbarts Sprachauffassung im Zusammenhange seines Systems”, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 12 (1880) Misteli, Franz 1882: „Besprechung von PSG“, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 13 (1882) Reis, Marga 1978: „Hermann Paul“, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache 100.2 (1978) Ruzicka, Rudolf 1997: „Historie und Historizität der Junggrammatiker“, in: Sitzungsberichte der sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse 199.3 (1977) Steinthal, Heymann 2 1881: Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft, Berlin: Ferd. Dümmler Clemens Knobloch 268 Sütterlin, Ludwig 1902: Das Wesen der sprachlichen Gebilde. Kritische Bemerkungen zu Wilhelm Wundts Sprachpsychologie, Heidelberg: Carl Winter Tobler, Ludwig 1881: „Besprechung von PSG“, in: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie (1881) 121-126 Ungeheuer, Gerold 1984: „Bühler und Wundt“, in: Achim Eschbach (ed.) 1984: Bühler-Studien, 2 Bde., Frankfurt/ M.: Suhrkamp Bd. 2, 9-67. Wegener, Philipp 1885: Untersuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens, Halle a.S.: Max Niemeyer Wundt, Wilhelm 2 1921: Probleme der Völkerpsychologie, Stuttgart: Alfred Kröner Wundt, Willhelm 4 1922: Die Sprache, 2 Bde., Stuttgart: Alfred Kröner * I am indebted to Professor Joseph Agassi for his comments upon this paper. Fritz Mauthner (1849-1923) Fritz Mauthner * Gershon Weiler 1 Introduction I have no difficulty in imagining Mauthner’s reaction had he been a recipient of the Editor’s request to inquire into the interrelationship of semiotics and the philosophy of language. We have to imagine that Mauthner remained a witness, understanding, sometimes approving but as often also disapproving, of the vast developments in the philosophical activities around language which took place in the last sixty years, despite his death in 1924. He could now justly regard himself as a pioneer of this development and, as pioneers often do, he would now be inclined to feel that the movement he had helped fathering has gone the wrong way. Faced now with the Editor’s request, he would exclaim: “Endlich! ” “At last”, he would say, “they are realizing that formal semantics cannot do duty for a philosophy of language which, if properly understood, is nothing but critique of language. The true object of the philosopher’s interest is not the formal properties of language but the truth about its status, chiefly as an instrument of knowledge. These latter-day philosophers of language could do with a dose of critique themselves”. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Gershon Weiler 270 1 I rely on this book heavily and this paper contains my current “second thoughts” about it. Mauthner was, in an odd sort of way, a very traditional philosopher. I am not saying that he was wrong in being that: I only wish to point out the fact. I would go as far as to say that, in his aspirations at least, he was a Platonist, since, like Plato, he sought to grasp the ultimate nature of reality. His philosophy of language rests on the awareness that the Platonic objective is unattainable and that, therefore, the task of philosophy is critique, viz. a refutation and rejection of all possible substitute-solutions to Plato’s problem. Mauthner’s critique is thus highly radical and, by comparison, Kant, for example, would appear almost uncritical. In brief, Mauthner’s concern with language was not for its own sake but for the sake of knowledge of reality. Surveying the present scene of language-centred philosophy, Mauthner would not have much reason to be happy. He would certainly reject the notion that Tarski’s theory of truth, so central to so much current philosophizing, is a genuine step towards a true theory of reference (see below 7.2). Mauthner would, no doubt, make light of Tarski’s famed definition-schema because it is (as a definition-schema) a tautology, pure and simple. Mauthner could never see any magic, ontological or other, in the use of quotation marks. He was reaching out to all reality and he would regard at is a mean trick to claim to have captured it by a mere notational device. The purpose of this article is to present, as faithfully as I can, the essentials of Mauthner’s confrontation with recent semiotics. Thus, I shall aim at articulating both what Mauthner said and also what, in my understanding, follows from what he said regarding the contemporary scene. However, I feel I ought to say something concerning my own views about the matters to be discussed. When I was working on my Mauthner’s Critique of Language (Weiler 1970) 1 during the late fifties and most of the sixties, I tended to be more critical of Mauthner than I am now. Perhaps it is more correct to say that I would now criticize him for things other than those I have found wanting at the time. I was then, rather unknowingly, too much under the influence of the ruling ordinary language school. So I did not think much of Mauthner’s scepticism while now I tend to see his strength as lying just here (see 10 below). That I no longer judge Mauthner by the standards of that school is just one aspect of my increasing scepticism, perhaps even Mauthnerianism. 2 Philosophy of language “Philosophy of …” typically aims at answering the question “what makes anything …? ” meaning thereby necessary and sufficient conditions. These conditions cannot be satisfactorily specified unless the relation of … to “all” other things, to “the world”, is at least essayed in tolerable detail. That no philosophy of … is ever complete is thus attributable, at least in great part, to the impossibility of specifying all such necessary and sufficient conditions and the total relationship of … to the world. Thus, for example, the philosophy of law must say quite a lot about ethics, politics etc. and, at least in a minimal-marginal sort of way, also about the physical world since this constitutes the forum and the sum-total of limiting conditions of human action, which is the central subject-matter of law. The philosophy of social sciences is typically much occupied with its similarity to, and difference from, and therefore with the nature of, physical science. These considerations apply with added force to the philosophy of Fritz Mauthner 271 language, for language, whatever else it may be, is a means of relating to items in the world which are usually not items of language. Thus a philosophy of language worthy of that name cannot limit itself to an investigation of language, but must attend to its metaphysical status or at least to the question of its epistemological serviceability. This was Mauthner’s way and, as far as this goes, it certainly seems to be the right way. My teacher, the late Gilbert Ryle, never tired of explaining why, because of such considerations, the philosopher’s job is so different from that of the grammarian, the lexicographer etc. “Philosophy of …” is never exempt from questioning the reliability and truth of … Philosophy of science, by asking what science is, is not limiting itself to the question about the accepted social usage of the word “science” but asks rather what makes science worthy of that name, viz. what makes its theories true or nearer to truth than its competitors. Philosophy of law asks what law is, “over and above” what lawyers and judges do. Likewise, philosophy of language is inevitably concerned with the “thing” behind the word, with a reality behind the expression. Philosophy of language is, in a sense, ontology, only here Mauthner would have shrunk from Quine’s view if it really is his view - that ontology was but a matter of commitment (cf. Quine 1953: 1ff. & passim). For Mauthner, ontology was a matter of discovery, of finding out, if possible, what there really is. Now Mauthner und Quine are at one in rejecting the notion of an ontology which is both true and discoverable. But they are also at one holding that we adopt languages that suit us (see below 5.3 and 8), that serve us well in our real-life situations and doings. For Mauthner, though not for Quine, this last remark is a contribution to the theory of the relation between language and reality and thus to the critique of language qua epistemology. Mauthner too rejects the notion that language “reflects” reality, yet there remains in his pragmatic suitability-doctrine an element of a claim to truth which is absent from the Quinean commitment-doctrine. There is a lot of difference between conventionalism and voluntaristic arbitrariness. For Mauthner the limits of possible conventions are set by suitability; failures are not suitable. If Mauthner still has any message for us, then I would be inclined to see it in the proposal that we should take seriously the idea of a critique of language, in the sense in which Mauthner himself has explicated it: viz. as a Kritik an der Sprache. Language, in this sense, can be the subject-matter of criticism only from the vantage point of some desideratum, in the light of which language can be, in degrees, success or failure. Mauthner has a notion of such an objective: translinguistic truth. That this is unattainable can be appraised in various ways. One possible response is to declare the whole notion misconceived, for this or that reason, and resolve to make do with a second-best solution e.g. Tarski’s definition. But this appraisal is by no means necessary. Mauthner’s own response, a linguistically inspired epistemological scepticism, still remains a live option, qua another way of “dealing with” truth (below 1). For some decades it had seemed that psychologism (below 3 and 4) was defeated. This is no longer that certain. Given all we know about the history of philosophy, it would be rash to regard any defeat as final. Philosophical defeats, like victories, are often, perhaps even mostly, but changes in fashions of thought. A Mauthner redivivus today is more of a likelihood than an impossibility. 3 Sensationalism How is contact with reality achieved? The empiricist answer is that we do this by means of sensations. Sensations are internal events which somehow are supposed to be signs for some Gershon Weiler 272 external reality. At this stage, we do not yet understand what all this means but at least we realize that this question, how contact with reality is achieved, is not the same as how do things cause sense-experiences. For, it is quite possible, indeed likely, that the causal mechanisms misrepresent the nature of the causes of sensations. Sticks bent due to diffraction (pace Austin), mirages etc. illustrate the point. How, then, can we get at least as near as possible to the sensation itself? Near is meant here in the sense of neat, qua sensation neat, without any foreign material being beigemischt (Kant B: 3). I use the Kantian term deliberately for here the predicaments of Kant and Mauthner are rather similar. The point has been noted and discussed by Cassirer (1953 a: 188f.; cf. Weiler 1970: 319ff.). He argued that instead of trying to get near to things, we should rather enhance the tension between reality and symbol. If “perception is taken as something utterly particular, individual and punctual” then, according to Cassirer (ibid.), “there remains, of course, an unbridgeable gap between world and language […] and the world of perception, which is regarded as an aggregate of simple sensations”. What are we to do with this gap? Well, according to Mauthner, even if there were nothing foreign beigemischt to sensation, there would already be a gap because of the contingent nature of our sensory apparatus, our Zufallssinne. But, anyway, we cannot do without such minimal admixture of foreign material since something has to render sensations meaningful and if this is not in the world, it is foreign then. Once we administer such meaning-inducing component to the bare sensation we must be doubly suspicious of the faithfulness of the final product. Meaning-inducing components are linguistic; in this way we come to understand that without language we have nothing which means anything to us, whereas with it we have on hand something which not only differs from reality but is also alien to it. Language and the reality which it endows with meaning are thus heterogeneous. So much for Cassirer’s critique of Mauthner’s sensationalism. It is, of course, valid - at least arguably so. Mauthner would have endorsed it for he was not the primitive sensationalist Cassirer took him to be. Indeed, in Mauthner’s view it is the very central task of the philosophy of language to clear up this predicament or, should this prove impossible, at least to get as clear about it as possible. It is for this reason, as we shall soon explain, that Mauthner’s philosophy of language is radically psychologistic. 4 Vorstellung, word and judgement The sensationalist theory about our contact with reality, given at the beginning of section 3, is not Mauthner’s theory simpliciter and Cassirer misread him. Whether Mauthner’s theory, much more complex than simple sensationalism, is also the better one, remains to be seen. A convenient way of introducing Mauthner’s account of the matter is to cast a glance at Kant. In an important, though somewhat obscure, passage (Kant B: 376) Kant attempts a set of definitions of the basic notions of epistemology. “The whole class may be called representation (representatio). Under it stands conscious representation, perception …” (“Die Gattung ist Vorstellung ueberhaupt …”) But, one immediately asks, the whole class, the class of representations, the Gattung, of what? L.W. Beck (1978: 142) answers as follows: “Representation: an actual sensory content of consciousness, which Kant called ‘perception’…”. This is correct insofar as Kant mentions only perception as coming under representation, Vorstellung. But in principle it is possible that there should be also unconscious representations, Vorstellungen. The point is of importance since perception, according to Kant, is Fritz Mauthner 273 2 Anm. d. Redaktion (EHL): Except the note "Kant § 19", the author does not give any information on the edition he used. A first edition of Kant's Kritik der reinen Vernunft appeared 1781 in Riga (Hartknoch Publishers), a second edition came out in 1787 by the same publisher. A useful edition for the non-specialised student reader may still be the one by Weischedel: Immanuel Kant [ 1 1781/ 2 1787] 1956 [ 4 1975]: Kritik der reinen Vernunft, Werke in zehn Bänden, ed. Wilhelm Weischedel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, vol. 3: 111 sqq. already articulate and we are here seeking the border of articulation and with it the hallmark of objectivity. Since perception has as two subclasses sensation and knowledge, its domain is the whole of objective knowledge. Unless we know the boundary, within “the whole class of representations”, between conscious representation, i.e. perception, i.e. sensation and knowledge and the rest, then Kant did not solve his problem by means of terminology and it remains a source of trouble for his whole philosophy. It stands in the centre of the Transcendental Deduction and his difficulties with it made him rewrite completely this part of the Critique for the second edition. It is here that Kant struggles with the central problem of his own epistemology, whose solution is necessary for the success of the whole system. The issues are well summarized in the commentary of Walsh (cf. Walsh 1975: 88-96). The first edition account, he explains, remained subjectivistic since, if the process of perception begins with the occurrence of private Vorstellungen, then no transition can be found from the private to the common. So, for the second edition, Kant has recast his thought. The centre-piece now became the notion of judgement, which is impersonal, relates to facts and not to Vorstellungen, and thus to privately perceived “things”. An impersonal, intersubjective world now becomes possible. Walsh sees well enough that Kant’s improved account is not adequate either to the task of solving the problem of heterogeneity. For how could judgement be what Kant means it to be if it is made on the basis of data which are private? Mauthner is not satisfied with Kant’s improved founding of objectivity. The element of objectivity inherent in Kant’s concept of judgement rests upon the claim (§ 9) 2 to the assent of others. My judgement is objective since it is possible for others to assent to it or to reject it. Mauthner, by contrast, seeks an objectivity which rests upon nothing short of truth. This concept, truth, is the lynchpin of all epistemology, for by means of it the transition is effected, if at all, from knowledge qua state of mind to knowledge qua something other than a mere state of mind. The question, how do we concoct one public world out of private materials, is a question Kant did not solve and which forced Schroedinger (1958) to embrace monopsychism, the One-Mind doctrine of the Upanishads. It is very much Mauthner’s question. Mauthner’s psychologism is incompatible with the usual progression in epistemology, from perception to knowledge and thence to truth. Likewise, he rejects the progression from concept to judgement and thence to inference. His argument is that judgement presupposes inference and, more importantly, concept presupposes judgement. The central role in all this is occupied by language, by the use of words. “When one hears a well-known word, then only in exceptional cases does there emerge for him a picture […] normally […] there will be awoken a little world, a microcosm of association of ideas” (Mauthner 1923 c: 263). The words, themselves, of course, rest (liegen zugrunde) upon sensations but these do not attain the rank of Vorstellungen (cf. Mauthner 1923 c: 264). In other words, the Vorstellung is already articulate and it is typically but a derivative of the concept-word, by being an example of it (cf. Weiler 1970: 63-85). Sensation is not articulate. Articulation, and with it conscious- Gershon Weiler 274 ness, begins with the word. However, sensation exerts a steady background pressure in the direction of scepticism because our senses are but an evolutionary accident (Zufallssinne). Thus, for Mauthner, perception is, ab initio, beigemischt with judgement. In this way he seems to be circumventing Kant’s problem, how is it possible for public judgements to be made up out of private materials. For Mauthner, judgements occur as items in the psychological biographies of real persons. Thus, we have public or intersubjective judgement but it is now impossible to endow it with objective validity, if this is to encompass truth. Mauthner’s judgement is a mental item and as such it is afflicted with the privacy of such items. (In German, the term ‘Urteil’ makes this plausible enough and Kant got a lot of mileage out of this fact, in his ‘Kritik der Urteilskraft’.) Mauthner’s judgement is contained in the word since by identifying something as a horse I cannot do without the word “horse”, as only by means of it can I judge that this is a horse. We could say, that contra Kant, Mauthner did not see judgement as a vehicle of truth. Rather he saw it as a sort of semi-intelligent perception, along the lines made familiar by the psychology of Gestalt, though it seems clear enough that Mauthner (1923-24: 499) was not familiar with it. I say semi-intelligent, because the perception of the Gestalt is also responsive, and so we could say that it is a kind of unconscious Vorstellung. Kant’s classification of Vorstellungen, with which I began this section, was meant to delimit ideas, so that they may be distinguished from that class of Vorstellungen which constitute knowledge. Mauthner makes no such distinction. For him all concepts are fictions, the differences between them being not epistemic but pragmatic (see below 5 and 8). To sum up so far: our request for knowledge and truth makes us examine the equipment by means of which we are supposed to attain and express them. Our equipment belongs to, and bears the marks of, an accidental creature in the evolutionary process, whose immediate and inarticulate contact with its environment is through senses developed contingently, through the same process (Zufallssinne) (cf. Weiler 1970: 59ff.). Our means of expressing what we perceive are linguistic and there is no correspondence between what there is (facts) and what we say about it (sentences). Language is an all-important means of orientation and survival but not more than that. It is made for truth. Epistemologically this is a no-win-position. However, Mauthner is in a strong position when he points out that all would-be bridges from human nature (hominism) to truth are inevitably failures. Mauthner’s central thesis is that the cause of this failure is inattention to, and misunderstanding of, the nature of the point of contact viz. language. To redress this omission is the task of the critique of language. 5 Semiotics Formal semantics or semiotics is the all-inclusive name for the study of linguistic symbols. Since C.W. Morris it is customary to divide it into (a) syntax, the study of the relations between symbols and of the rules which govern these, (b) semantics, which deals with the interpretation of symbols, both reference and meaning (cf. Quine 1953: 130ff.) and, finally (c) pragmatics, whose business is to inquire into all matters related to the use of symbols. Naturally enough, Mauthner would not tolerate such a clear-cut classification. However, the term ‘semantics’ was known to him and a short quotation might indicate the sense in which he used it and, at the same time, also highlight his naturalistic conception of symbols. He says (Mauthner 1923 b: II 194; cf. I 149): Fritz Mauthner 275 Our dogs are so intelligent that they can play, lie and steal. It is true enough that animals do not possess human concept-language; yet, we know next to nothing about how far animal semantic goes i.e. the use of signs for the purpose of remembering for oneself and for communication. Mauthner was also familiar with the significs of Lady Welby and praised her for distinguishing between the standard meaning, the individual meaning and the value-meaning of the same sign (Mauthner 1923 b: I 150). Mauthner’s view on syntax is that grammatical categories, linguistic rules and logic, are but accidental historical products. In this he is in discord not only with contemporary deepstructure theorists but also with what Leibniz had to say on the matter (see 6 below). Mauthner’s view on semantics is a) that meaning is an accidental product of our changing attentions, historically and culturally determined and that b) reference is never successful in the strict, clear-cut sense but only pragmatically (see below 7.1 and 7.2). Mauthner regards pragmatics as primary since his whole view of language is informed by the insight that language is a tool of orientation in our environment, a tool of survival for the species and of success in action for the individual, so that all other aspects of language, syntax and semantics included, are derivative of it (see 7.3 below). As said, this threefold division is not Mauthner’s own, even though he was aware of syntax, semantics, and pragmatics as aspects of the concrete situation of language-in-use. 6 Syntax Mauthner holds that syntax is an accidental historical and social product. This is why a very large part of his writings on the subject is given over to the recording of differences between languages, especially about the interchangeability of grammatical categories. Thus the notion that emerges supreme is ‘convention’ and here, like in other parts of Mauthner’s philosophy of language, the notion of ‘Spielregel’ (Mauthner’s original invention! ), is of central importance. This notion means that rules are but factual regularities which facilitate communication and whose status is due in its entirety to the recognition accorded to them by the “players”. The chief target of the critical implications of what I just said is the doctrine, in all its varieties, that the rules of syntax somehow resemble, or are isomorphous with, the structure of reality or of reason. For it is a consequence of the psychologism of Mauthner that even if the rules of syntax, like other rules of language and of logic, were uniform in all mankind (which they are not), this would at most exhibit something about the human mind naturalistically conceived. Consequently, such uniformity would have nothing to say about reality or reason. So Mauthner is inclined to emphasize the importance of Sprachgefühl and so he rejects the very notion of the ‘inner form’ introduced by Humboldt (cf. Weiler 1970: 21ff.), just as he would nowadays be committed to rejecting all doctrines about deep structure. Generally speaking, Mauthner thinks that differences are more important than similarities. He regards, with Sextus Empiricus, actual usage as the standard of correctness and he is fond of musing about what kind of logic the Chinese would produce (cf. Mauthner 1923 b: 324f.). He makes no distinction between rules of grammar and rules of logic (he does not seem to have been acquainted with Frege or Russell), - for him both are just summaries of how people, this or that people, have thought over the generations. Only success in communication matters and what we take to be rules of syntax are nothing but the codifications of habits of communication that have been found effective and successful. As a source of knowledge about the world, syntax is worthless. Gershon Weiler 276 7 Semantics I follow here Quine’s (1953: 130ff.) classical division of the field. In 7.1 I shall deal with Mauthner’s theory of meaning, including some remarks about synonymy and analyticity. In 7.2 there will be a discussion of Mauthner’s theory of reference, with remarks about truth and naming. I shall essay also a possible Mauthnerian confrontation with the current theories in the field which operate with truth-conditions. 7.1 Meaning The chief concept of Mauthner’s theory of meaning is that of a game. Language-users are like players joined in a game. Indeed, it was from Mauthner that Wittgenstein got the idea of Sprachspiel, only Mauthner’s notion is more ambitious. In bare essentials it amounts to this (cf. Weiler 1970: 116-126): Living beings, such as people, might have a similar physicalmental make-up, and as a consequence also similar experiences, and they express this similarity by establishing more or less fixed meanings to more or less similar sounds and marks, to the some “words”. Our ability to play this Gesellschaftsspiel is just our ability to communicate with each other as part of our effort aimed at cooperating for the sake of survival. It is easy to see, even from this inevitably unfair sketch, that an essential element is missing from this theory. Mauthner has no account of how, in the first place, sensation is metamorphosed into language-items, of how the Vorstellung is linked to the judgement which alone makes the sensation meaningful for us. Mauthner knew that something was missing here, that the inarticulate and the articulate are linked by a “black box” of sorts (cf. Cassirer 1953 a: 188f.; cf. Weiler 1970: 319ff.) (see above 3). Einstein too knew that there was no rule which is to tell us how to connect an observation with the observation-statement it occasions. Synonymy is part of the theory of meaning and Mauthner, in consistency with his emphasis on language as something the being of which is in its use, flatly denies that there are any synonyms at all. Even though the dictionary may list words as synonyms of each other, yet “concrete language knows not and cannot know duplications” (Mauthner 1923 a: 62; cf. Weiler 1970: 162ff.). Language in use naturally eliminates synonyms, for words are tools and these tend to specialization. In a way, perhaps even the “same” word is not quite the same in all its tokens. Perhaps no part of Mauthner’s philosophy of language shows so clearly both its strength and its weakness as what he has to say about sameness of meaning, of tautologies and of analyticity (cf. Weiler 1970: 228-243). This is explained by his dominantly epistemologicalpsychological, indeed psychologistic, orientation. In accordance with his doctrine about the socialization of experiences (above 6), he holds that there can be nothing truly new in wellsocialized linguistic Spielmarke. Since we associate with words known experiences, statements state what we already know and are thus tautologies. In this way, for those who already know it, “dogs have four legs” is a tautology. In this sense, there are only synthetic “moments” in life at the instant, when a new discovery is made. In those rare moments there perhaps even synthetic statements but once the discovery is habituated into the common fund of accepted knowledge, then the later articulation of the once new discovery becomes also analytic. On the other hand, seemingly analytic statements, even of the Form “A=A”, can be synthetic in use (cf Mauthner 1923 c: 359f.), a point in which Mauthner insightfully antici- Fritz Mauthner 277 pated Wittgenstein’s saying that “‘War is war’ is not an example of the law of identity either” (cf. Wittgenstein 1959: II.xi.221; cf. Weiler 1970: 235). It is clear enough that this is no satisfactory theory of analyticity. But then it was Quine (1953: 138 & passim) himself who pointed out in what unsatisfactory state the whole business of analyticity is in, and things have not significantly improved since he said this. I think Mauthner can be credited with having dealt with the dilemma of analyticity by opting for one of its horns. For the basic problem about statements being analytic or not is whether terms mean the same or not. Difficulties arise because meaning can neither be detached from, nor entirely be attached to, what people mean. Now, Mauthner, instead of holding firm to the ideal of analyticity by somehow explaining away what people mean, opted firmly for explaining analyticity by reference to what people actually do mean. Thus statements are analytic or not by the criterion of the utterer’s state of mind viz. his state of knowledge: it is possible that a statement may be analytic for you but synthetic, because containing new information, for me. Thus analyticity is turned, from being a purely linguistic notion (“analytic-in-L”) into a psychological-epistemological notion (“analytic-for-P” where P is a person). 7.2 Reference If Mauthner is perhaps out of step with current thought about analyticity, because he links the notion to language-users and not to languages, he can certainly be seen as a pioneer of sorts of the notion that truth is always truth-in-L (cf. Quine 1953: passim). I say “of sorts” for, as we shall see, Mauthner’s assertion of the inevitable linkage between truth and language was taken by him not as a solution but as the problem. According to Quine (1953: 130) “the main concepts in the theory of reference are naming, truth, denotation (or truth-of), and extension”. Stated somewhat simple-mindedly, there would be no problem about reference if our language were such that it contained one name for every existent thing and not more than one name and if, further, it contained no names for the nonexistent. If these “legitimate” names were now combined in language in the same way as they are combined in reality, isomorphically, then we should have a language so perfect that the nature of reality could be read off it. That this is a poor sort of phantasy is realized by philosophers at least since Plato composed his Kratylos and Leibniz conceived the idea of a characteristica universalis. Mauthner knew that naming was not that simple. In accordance with his doctrine about the primacy of use, he notes that in use there is not even a clear distinction to be drawn between proper names and class names. Moreover, the idea that proper names somehow just refer is false. For proper names too have Vorstellungen associated with them and these supply the stuff of “the meaning” of proper names. Therefore, names have no special status in language, they are not particularly informative about what there is: they are like other words and what they actually are is to be determined, in each case, by attending to their use. In principle, this should be the way of Mauthner in the theory of truth as well. Still, he had to admit that there was something special about the difference between truth and falsity since this difference is the focus of all epistemology and metaphysics. Truth is about the world, there is some fact which makes true what we say and there is also the question of how we recognize this. Mauthner readily asserted that truth is a matter of language (cf. Weiler 1970: 206ff.) and quoted enthusiastically the dictum of Hobbes: “Verum et falsum attributa sunt non rerum sed orationis” (Mauthner 1923 a: 693). In this sense too, Mauthner was certainly among the first who could be said to be advocating that truth should always be understood as Gershon Weiler 278 truth-in-L. He went even so far as to say that truth was nothing but the common use of language (gemeiner Sprachgebrauch) (cf. Mauthner 1923 a: 694f.; cf. Weiler 1970: 215). Mauthner’s argument for this position is simple enough: if truth is meant to be a kind of correspondence, well, there is nothing to compare our Vorstellungen-cum-judgements with but themselves and this is done by reference to the use that terms have in our language. This is another way of saying that since there is no access to translinguistic truth, there is no such concept for us. This, then, is a theory of truth. It tells us what makes statements true and how we recognize this. However, since both these moments occur within language, we have no notion, could have no notion, whether things are really the way we say they are. If we now add to all this all we know about the contingent and limited nature of the human organism, it is reasonable to assume that things are not at all the way we say they are. What, then, is special about truth is that with respect to this concept, our linguistic usage and what we know from philosophy, is at variance. Philosophy tells us that truth is in-language while what we mean when we use the term ‘truth’ is something that points beyond language. This circumstance makes the theory of Mauthner, like that of theorists who locate truth in-language, not a little counterintuitive. For it is the import of such theories that the expression “how things are” is, strictly speaking, devoid of meaning unless it is meant in some language L. If things are such that p is true-in-L then it is quite possible that things are such that p is false-in-L+. Thus, what ‘p’ means is language-relative. As a recent text-book states the presently “ruling” doctrine: the truth is what a theory of sense is a theory of (cf. Platts 1979: 61f.). The difference between Mauthner and this theory which links sense with truth-conditions in some L, is that the latter theory does not allow any notion of some L-independent truth. Mauthner at least hankered after such truth and when offering his theory of truth, linguistic conventionalism, he knew he was presenting a substitute and not a solution. Were he now presented with the current doctrine, I guess he would reject it on the ground that it commits the same fallacy as the ontological argument or the paradigm-case argument viz. that it leaps from the meaning of some terms to an assertion about how things are in reality. As stated in the introduction, Mauthner was a very traditional philosopher, rather platonic in his philosophical passions. Perhaps I should have said that he was Aristotelian, since he could never rid himself of the vision of a true classification of things, and was therefore never satisfied with the conventional game of assigning class-labels according to our needs and convenience. He criticized anyone who would delude himself with less and who would declare himself satisfied with less. There was a bit of Don Quixote in Mauthner. 8 Pragmatics Mauthner’s position may appear here somewhat paradoxical. As we have seen, he emphasized, at the expense of the then current notion of “correctness”, the overriding importance of success in communication and yet, nowhere in his writings does he pay sustained theoretical attention to the investigation of success and failure. There are, of course, illustrations in plenty, rather in the spirit of anecdotal exemplifications, but no pragmatics à la Morris. Mauthner treated success and failure in communication as belonging to the study of meaning since, for him, inevitably unsuccessful utterances, those which cannot be understood in a language-community, were devoid of meaning. Perhaps inconsistently, he voiced a low opinion about pragmatism. He said that if it were true, then “all prejudices and mistakes which ever played part in the mad history of mankind, Fritz Mauthner 279 such as the belief in the Devil, have been true” (Mauthner 1923-24: 570f.). Mauthner was a conventionalist, true enough, but he always raised his epistemological sights higher than more convention. At heart he was an Aufklärer. 9 Judgement and Objectivity Kant sought objectivity by means of the objectivity-making power inherent in judgement. By distinguishing between “this feels f-ish” and “this is f” he focused attention upon the claim to universal assent implicit in the second expression. All this, roughly speaking, presupposed a psychology whose basic concepts of gradation were sensation, perception and judgement. We have seen in 4 above that Mauthner was no adherent of this gradation. Rather he held that as soon as I use the word “f”, I am already past making a judgement. I identify something as an f and therefore this identification is subject to the vagaries of my psycho-physical make-up and is not a means of transcending it. The inner event which underlies the identification is an experience-cum-act which Mauthner calls paying attention (aufmerken) (cf. ibid.) to some similarity or feature of the situation. Judgement, then, is no stepping-stone to objectivity and truth. On the contrary, if we understand, as Mauthner would wish us to, what judgement actually is, we must think of judgements as if they were some kind of natural events. Contingent judgements are part of my biography while the “necessary” or “most reliable” ones may be explicable in terms of our phylogenetic make-up. The light that is shining from the fascinating discoveries of ethology, together with the argumentations of evolutionary epistemology, may yet, by reflection, make Mauthner’s philosophy of language shine with a new brilliance. 10 Scepticism What is the philosophical point of concerning ourselves with language? It is essential to the philosophical tradition of the subject that the philosopher’s concern differs from that of the linguist, the lexicographer, the grammarian etc. Ryle made a lot of this point, while Austin thought that out of his kind of labours may grow a new science of language. The current philosophy of language, though more technical than its immediate predecessors, is still readily distinguishable from non-philosophical inquiries into language. What then is the point of it all? It seems to me that there are certain considerations with regard to meaning, truth, knowledge, doubt etc. of which we are permanently aware. Kant redrew the map by limiting the knowable to the phenomenal and language-minded philosophers tended to substitute the linguistic for the phenomenal. And there is, of course, the old dark horse which still gallops after: the truth. These options are various possibilities to deal with the idea of a translinguistic truth. The emergence of one way of thinking over another, in this domain, is not so much the consequence of some knock-out arguments as of a shifting of attention, of a different apportioning of weight and importance, to some of those considerations of which we are permanently aware. This state of affairs may be described as change in the fashions of philosophy. Looked at it in this way, the naturalistic explanation of knowledge, common to Mauthner, ethology and evolutionary epistemology, may yet return to occupy the centre of the philosophical stage. Naturally enough, even this would not amount to a complete vindication of Gershon Weiler 280 Mauthner. To put it bluntly: should naturalism prevail, “truth” will be a loser and if we are to go by the lessons of history, it is unlikely to stay loser for very long. Kant took science for granted to the extent of dogmatism about it. Mauthner never doubted that the key to all “knowledge” is language, and that psychology is the key to the understanding of language. This position has its limitations, like any other, but it is not foolish. The enduring importance of Mauthner seems to be that he offers us a theory which emphasizes the importance of some considerations of which we are permanently aware and which we can ignore only at our intellectual peril. Mauthner asked the question, whether language was a tool suitable for the attainment of knowledge; he answered his question in the negative, as a sceptic. It is not a question ever to be ignored. References Beck, Lewis White 1978: Essays on Kant and Hume, New Haven / London: Yale University Press Cassirer, Ernst 1953 a: The Philosophy of Symbolic Forms vol. 1: Language, New Haven: Yale University Press Cassirer, Ernst 1953 b: The Philosophy of Symbolic Forms vol. 2: Mythical thought, New Haven: Yale University Press Cassirer, Ernst 1953 c: The Philosophy of Symbolic Forms vol. 3: The phenomenology of knowledge, New Haven: Yale University Press Kant, Immanuel 1781/ 1787: Kritik der reinen Vernunft, Werke in zehn Bänden, vol. 3-4, ed. Wilhelm Weischedel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Mauthner, Fritz 3 1923 a: Beiträge zu einer Kritik der Sprache vol. 1: Zur Sprache und zur Psychologie, Leipzig: Verlag Felix Meiner Mauthner, Fritz 3 1923 b: Beiträge zu einer Kritik der Sprache vol. 2: Zur Sprachwissenschaft, Leipzig: Verlag Felix Meiner Mauthner, Fritz 3 1923 c: Beiträge zu einer Kritik der Sprache vol. 3: Zur Grammatik und Logik, Leipzig: Verlag Felix Meiner Mauthner, Fritz 2 1923-24: Wörterbuch der Philosophie, Leipzig: Verlag Felix Meiner Platts, Mark de Bretton 1979: Ways of Meaning, London: Routledge and Kegan Paul Quine, Willard van Orman 1953: From a logical point of view, Cambridge (Mass.) / London: Harvard University Press Schroedinger, Erwin 1958: Mind and Matter, Cambridge: Cambridge University Press Walsh, William Henry 1975: Kant’s Criticism of Metaphysics, Edinburgh: Edinburgh University Press Weiler, Gershon 1970: Mauthner’s Critique of Language, Cambridge: Cambridge University Press Wittgenstein, Ludwig 1959: Philosophical Investigations, Oxford: Basil Blackwell Ferdinand de Saussure (1857-1913) Ferdinand de Saussure Christian Stetter Die wirkungsgeschichtliche Bedeutung Ferdinand de Saussures für die Entwicklung der Geistes- und Sozialwissenschaften des 20. Jahrhunderts dürfte spätestens mit dem Auftreten ‚poststrukturalistischer‘ Denkrichtungen den Rang des Definitiven erreicht haben. Ihr Erscheinen drückt einem Abschnitt moderner Wissenschaftsgeschichte den Stempel der Epoche auf, als deren Gründervater der Genfer Linguist seit Ende der 20er Jahre gilt: der des Strukturalismus. Auf seine im Cours de linguistique générale (CLG) tradierte Lehre berufen sich seit dem Prager Linguistenkongreß von 1929 die verschiedenen strukturalistischen Schulen; und es kann kein Zweifel über den erstaunlichen Fortschritt bestehen, den das Denken in Strukturen für Disziplinen wie Linguistik, Ethnologie oder Soziologie mit sich brachte. So hat man von der „epochalen Bedeutung des Cours für die moderne Linguistik“ und die Geistes- und Sozialwissenschaften des 20. Jahrhunderts gesprochen (cf. Scheerer 1980: 30). In ihm kündigt sich ein Paradigmenwechsel von der Linguistik des 19. zu der des 20. Jahrhunderts an, dessen Signum der bedeutende Phonologe Trubetzkoy schon 1933 in einem programmatischen Aufsatz darin sah, daß der „Atomismus“ der älteren Sprachwissenschaft, insbesondere natürlich der „herrschenden“, junggrammatischen Schule, durch den „systematischen Universalismus“ der strukturalen Phonologie überwunden worden sei (cf. Trubetzkoy 1933: 244ff.) . In der Tat stellt der CLG griffige Oppositionen und Formeln zur Markierung K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Christian Stetter 282 der Umorientierung der Zunft bereit: die diachronische Sprachbeschreibung wird durch die synchronische abgelöst; das Sprachsystem, die langue, „envisageé en elle-même et pour ellemême“, wird zum ausschließlichen, veritablen Gegenstand der Linguistik (cf. CLG 317, EC 515) - die „verbundene Rede“ (parole), in der sich für W. v. Humboldt allererst der Begriff der Sprache vollendete (cf. WW III: 180, 186, 228 et passim), verliert jede wissenschaftliche Dignität. Doch am eben zitierten, oft zitierten letzten Satz des CLG läßt sich das ganze Problem einer zutreffenden Würdigung Ferdinand de Saussures entfalten. Vorgeblich „l’idee fondamentale de ces cours“ zusammenfassend (cf. CLG 7ff.), ist er doch ein durch die Quellen nicht belegter Zusatz der Herausgeber des CLG, Ch. Bally und A. Sechehaye, die diesen Text 1916 publizierten. Grundlage ihrer Redaktionsarbeit waren Mitschriften der drei Vorlesungen, die Saussure zwischen 1906 und 1911 über allgemeine Sprachwissenschaft gehalten hatte. In welchem Maße die Herausgeber bei ihrer „reconstitution“ des Vorlesungstextes (cf. CLG 9) die originale Disposition des verehrten maître zerstörten und an deren Stelle ihr eigenes Gliederungsprinzip setzten, haben R. Godels Sources manuscrites (cf. Godel 1969 [ 1 1957]) und insbesondere die von R. Engler besorgte kritische Ausgabe des CLG (Wiesbaden 1967ff.), eine bewunderungswürdige philologische Leistung, verdeutlicht. Nicht die Summe des linguistischen Denkens Saussures gibt der zitierte Satz wieder, sondern dessen Interpretation durch die Herausgeber. Der CLG ist, so das Resultat des Versuchs einer kritischen Rekonstruktion der autentischen Sprach-Idee Ferdinand de Saussures durch L. Jäger, das erste Stadium der Deformation dieses Denkens (cf. Jäger 1976: 216) . Scheerers Darstellung der Saussure-Rezeption (cf. Scheerer 1980: 30ff.) ermöglicht einen Überblick über die Spannweite der Deutungen: Neben der traditionellen, strukturalistischen Lektüre des CLG reicht sie von Auffassungen, die Saussures Konzeption von Sprachwissenschaft bereits bei den Junggrammatikern, etwa in H. Pauls Principien der Sprachgeschichte vorgeprägt sehen (cf. Lieb 1967 und Koerner 1975), bis hin zu Jägers These, Saussures Sprach-Idee greife die Tradition der bei Humboldt, Schleiermacher und Hegel entfalteten hermeneutisch-idealistischen Sprachphilosophie wieder auf (cf. hierzu Jäger 1985). Von ungefähr kommt dieses diffuse Bild nicht: zu groß sind die logischen Brüche der Textfassung des CLG, die wohl vor allem auf das Konto der Redaktionsarbeit A. Sechehayes gehen (cf. insbesondere Jäger 1976: 216ff.). Wie wenig der Mythos vom Einfluß des CLG auf die strukturalistische Linguistik zu belegen ist, beweist schon der Blick auf den Begriff des Phonems, mit dem sich die Prager Schule dezidiert von Saussures Konzeption distanziert (cf. Trubetzkoy 1933, dazu de Mauro in CLG 433f.). Erst recht gilt dies - so wird sich zeigen - für Saussures Auffassung der Sprache als eines Systems von Zeichen. So kontrovers auch die gegenwärtige Saussure-Diskussion sein mag, so ist doch eines gewiß: Mit der Édition critique hat der CLG die Aura der Legitimationsquelle strukturalistischer Sprachwissenschaft definitiv verloren. Seine Wirkungsgeschichte ist eben - Geschichte. Der Weg zu einer angemessenen Würdigung des authentischen Saussure führt allein über eine erneute Lektüre der Quellen. Sie zeigt, daß Philologie durchaus systematische Konsequenzen haben kann. 1 Saussure und die historisch vergleichende Grammatik - Der „Mémoire“ Man hat also nach den Gründen zu fragen, die Saussure den Mythos des Paradigmengründers eingetragen haben. Daß er als Begründer der allgemeinen strukturalen Sprachwissenschaft gilt, ist um so erstaunlicher, als das Schwergewicht seiner Arbeiten und Lehre auf dem Gebiet Ferdinand de Saussure 283 1 Hierfür zwei Belege: Delbrück annonciert Saussure zwar in seiner Einleitung in das Studium der indogermanischen Sprachen in der zitierten Weise, berührt das vorgeblich epochale Werk in der folgenden Darstellung aber mit keinem Wort. Auffälliger ist dieses noch im theoretischen Hauptwerk der Epoche, Brugmanns und Delbrücks Grundriss (1889ff.). Obwohl Saussure seine zentralen Theoreme vorzugsweise als Folgerungen aus Arbeiten Brugmanns entwickelt, übergeht dieser den Mémoire an der Stelle, wo er ihn hätte diskutieren müssen, nämlich in Bd. I.1, §§ 77ff., mit Schweigen. Cf. hierzu auch Jäger 1975: 197f. der historisch vergleichenden Indogermanistik lag (cf. hierzu SM 23ff.). Schon 1881 wird er - eine außerordentliche Karriere für einen gerade Vierundzwanzigjährigen - als maître de conférence an die École Pratique des Hautes Études in Paris für das Gebiet der vergleichenden Grammatik der germanischen Sprachen berufen, 1891 nach Genf auf einen für ihn geschaffenen Lehrstuhl für vergleichende Grammatik der indoeuropäischen Sprachen. Thematisch - Godel hat dies durch die Liste seiner Genfer Lehrveranstaltungen i.E. belegt - bewegt er sich durchaus auf der Höhe und im Rahmen des herrschenden Paradigmas der zeitgenössischen Sprachwissenschaft, das der Strukturalismus ablösen wird. Die dem CLG zugrunde liegenden drei Vorlesungen resultieren daraus, daß ihm nach der Emeritierung J. Wertheimers 1906 aufgetragen wird, die von diesem bis dahin gehaltene Vorlesung über allgemeine Sprachwissenschaft fortzuführen. Auf dieser, sozusagen „nebenbei“ erledigten Lehrverpflichtung beruht seine wirkungsgeschichtliche Bedeutung. Dennoch ist diese kein Versehen; der die Saussure-Lektüre verhindernde Saussure-Mythos des 20. Jahrhunderts (cf. hierzu Jäger 1976: 210ff.) hat seinen rationalen Kern. Die Bedeutung der Figur Saussure gründet sich auf die exzeptionelle Stellung F. de Saussures in der zeitgenössischen „herrschenden“ Linguistik, eben der vergleichenden Indogermanistik, deren Wissenschaftsverständnis sich in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in den programmatischen Äußerungen der „Junggrammatiker“ Osthoff, Brugmann, Paul, Leskien u.a. pointiert formuliert (cf. Delbrück 1919: 116ff.). Es gründet sich auf das Postulat der „ausnahmslosen“ Geltung von Lautgesetzen, deren Existenz der Däne K. Verner in seinem 1877 publizierten, berühmt gewordenen Aufsatz (cf. Verner 1877, dazu Putschke 1969) bewiesen zu haben schien. In den illustren Kreis der fast alle in Leipzig versammelten Gelehrten tritt 1876 der - um einen Großmeister der vergleichenden Indogermanistik zu zitieren - „man darf sagen geniale“ (cf. Delbrück 1919: 123) Außenseiter aus Genf ein, um zwei Jahre später, gerade einundzwanzigjährig, den Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indoeuropéennes zu publizieren. Mit diesem, nach dem eben schon zitierten Delbrück einem der „reifsten Werke der Epoche“ (ibid.) etabliert sich der junge Saussure als Autorität in der Zunft - der Ruf nach Paris läßt nicht lange auf sich warten -, zugleich aber wird er durch diese Schrift isoliert. Die Junggrammatiker ignorieren sie beharrlich 1 , obwohl ihre Thesen ins Zentrum der neuesten theoretischen Diskussion der vergleichenden Indogermanistik trafen. Der Mémoire teilt - wenn auch aus anderen „äußeren“ Gründen - durchaus das Schicksal der im CLG „rekonstruierten“ Lehre: Er wurde nicht oder nur verstümmelt rezipiert. Man wird also dem authentischen Denken seines Verfassers - und damit der realen Bedeutung Saussures für die Sprachwissenschaft näher kommen, wenn man den Mémoire als das nimmt, was er tatsächlich ist - das publizierte Hauptwerk Saussures, und nach den Gründen für seinen „Mißerfolg“ fragt. Es wird sich zeigen, daß sie unmittelbar zu den späteren Überlegungen zur Konzeption einer allgemeinen Sprachwissenschaft hinführen. Diese sind die logische Folge aus Positionen, an denen Saussure sich bereits im Mémoire orientierte. Christian Stetter 284 2 Cf. hierzu insbes. die ausführlichen Besprechungen in Scheerer 1980: 14ff. und Szmerényi 1980: 114ff. Welche Irritationen dieses Werk bis heute provoziert, zeigt sich darin, daß sich in der vergleichenden Sprachwissenschaft noch immer kein einheitlicher Standard ausgebildet hat, nach dem es beurteilt würde 2 . In der Tat scheint es unvereinbare Ausnahmen zu verbinden: Einerseits beweist es - dies wird noch am ehesten als seine „bleibende“ Leistung anerkannt - die Altertümlichkeit des europäischen Vokalismus (a, e, i, o, u) gegenüber dem des Sanskrit (a, i, u), andererseits entwickelt es eine Theorie, nach der alle Vokale der indoeuropäischen „Ursprache“ auf Kombinationen eines einzigen Volkes mit bestimmten ‚lautlichen Koeffizienten‘ desselben Vokals zurückzuführen seien. Die sog. ‚Laryngaltheorie‘, ursprünglich kaum beachtet, mit der Entdeckung des Hethitischen 1927 anscheinend bestätigt, heute wieder umstritten (cf. Szmerényi 1980: 116ff.), ist Teil dieser „Reduktionstheorie“ (cf. Mémoire, §§ 10 und 11). Gründe für das Unverständnis, das der Mémoire erzeugte, lassen sich in der Darstellung ablesen, die Szemerényi in seiner Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft ( 2 1980) der Geschichte der Laryngaltheorie gewidmet hat, gerade weil sie dem Autor durchaus gerecht zu werden versucht. Zutreffend referiert Szemerényi die erwähnte „Reduktionstheorie“, knüpft daran jedoch die Bemerkung, daß man nach einer „eigentlichen Beweisführung“ im Text vergeblich suche (cf. Szmerényi 1980: 114). Dies ist eine überraschende These, denn die vermißte Begründung entwickelt Saussure in mehreren Beweisschritten in den §§ 9-11 des Mémoire. Um zu sehen, wie Saussures Konzeption einer linguistique générale sich aus seinen indogermanischen Anfängen entwickelte, ist es notwendig, an dieser Stelle seiner Argumentation im Detail zu folgen: Als durch die Arbeiten Curtius’, Ficks, Brugmanns u.a. gesichert wird vorausgesetzt, daß der Vokalismus aller europäischen Sprachen folgende vier Arten von a aufweist: a 1 (= e), a 2 (= o), A (= a) und (= ); a 1 alternierend regelmäßig mit (cf. Mémoire, 120). Dies ergibt folgendes Schema: a 1 : a 2 ______ A : Bekannt war ferner aus dem Vergleich der europäischen mit den indoiranischen Sprachen, daß weder europ. a 2 und auf ein und dasselbe Phonem der indoeuropäischen Ursprache zurückführbar waren, noch a 1 oder A auf (ibid. 121). Schließlich unterscheiden die indoiranischen Sprachen a 2 und A, nicht jedoch a 1 und A (ibid. 122). Dies ergibt für das Indoeuropäische das Oppositionsschema: a 2 ____ : X (kurz wegen a 1 / A : ). Die entscheidende Frage lautet, wie dieses X zu interpretieren ist. Die Annahme, ihm entspräche in der „langue mère“ ein einziger Wert (valeur) (ibid. 121), würde zu der absurden Konsequenz führen, daß die europäischen Sprachen nicht nur ihren eigenen Ablaut (a 1 : a 2 ) geschaffen, sondern dabei einen älteren zerstört und das gesamte Vokalsystem durcheinander geworfen hätten. Folglich müssen dem X im Indoeuropäischen zwei verschiedene Werte entsprochen haben und folglich ist das gesamte für die europäischen Sprachen erkannte Schema auf die Ursprache zu übertragen (ibid. 122). Betrachtet man nun - so argumentiert Saussure weiter - die Distribution der Phoneme auf die Wurzeln unter Berücksichtigung von Ferdinand de Saussure 285 3 Die Tatsache, daß Saussure irrigerweise sowohl e wie a auf a1 + A zurückführte, ist hier irrelevant. Cf. dazu Szmerényi 1980: 115ff. deren grammatischer Funktion, so ergeben sich zwei verschiedene Wurzelarten, nämlich Vollstufe und Schwundstufe; die Vollstufe weist in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle a 1 auf (ibid. 123f.), a 2 nur selten und in wohlbestimmbaren Umgebungen (ibid. 133). Ein genetischer Zusammenhang von a 1 und a 2 ist nicht belegbar, auch wenn manches dafür sprechen würde, a 2 als verstärkte Form von a 1 aufzufassen. Die Verwirrung scheint an diesem Punkt vollkommen. Ist schon schwer einzusehen, wie sich der Beweis der Altertümlichkeit des europäischen Vokalsystems mit der Theorie vertragen soll, daß das Phonem a 1 „la voyelle radicale de toutes les racines“ (ibid. 135) sei, welche entweder allein oder in Kombination mit einem „coefficient sonantique“ (i, u, n, m, r, A, O) den Vokalismus jeder Wurzel bilde, so ist noch schwerer verständlich, wieso Saussure explizit Brugmanns These zurückweist, a 2 sei als „Verstärkung“ von a 1 zu betrachten (cf. Brugmann, ibid. 134), folglich für die Vollstufe jeder Wurzel sowohl a 1 wie a 2 zulassen muß. Ansatzpunkt für die Lösung des Rätsels - und zugleich entscheidender Hinweis für die Gründe, die zur „Verdrängung“ des Mémoire in der vergleichenden Indogermanistik führten - ist Saussures These, daß auch die Langvokale , , auf Kombinationen von e 1 + A bzw. e 1 + 0 zurückzuführen seien 3 . Noch Szemerényi bezeichnet diese Theorie als „spekulativ“, denn Wurzeln wie *st -, *dh -, *d -, die Saussure in diesem Zusammenhang betrachtet, böten „doch keinen Anlaß zu einer derartigen Analyse“ (cf. Szmerényi 1980: 115ff.) - eine in der Tat erstaunliche Auffassung, die verständlich allein von der Annahme her wird, man könne Formen wie Wurzeln, Suffixe etc. unter Abstraktion von ihrer syntaktischen bzw. morphologischen Funktion betrachten. Diese Annahme ist unmittelbarer Ausfluß des Postulats der ausnahmslosen Geltung von ‚Lautgesetzen‘. Sieht man in diesen die primäre Ursache des Sprachwandels, so muß man, um „Ausnahmen“ von der Regel zu erklären, einen Sprachwandeltypus anderer Art zulassen, den des analogischen Wandels. „Analogie“, um noch einmal Szemerényi zu zitieren, „ist eine morphologische Umgestaltung nach in der Sprache schon existierenden Modellen. Dadurch wird aber die rein lautliche und lautgesetzliche Entwicklung zumeist durchkreuzt und verdunkelt“ (ibid. 26). Szemerényi referiert und teilt hier exakt die Position der Junggrammatiker (cf. z.B. Delbrück 1880: 114). Deren positivistisches Fundament artikuliert sich deutlich etwa in H. Pauls Principien der Sprachgeschichte (cf. zum folgenden Paul 1960: 23ff.; dazu Jäger 1975). Die „deskriptive Grammatik“ beschreibt danach die in einer Sprachgemeinschaft verwendeten „grammatischen Formen und Verhältnisse“. Diese Beschreibungen repräsentieren jedoch nicht „Thatsachen, sondern nur eine Abstraktion aus den beobachteten Thatsachen“. Wissenschaftliche Dignität kann eine solche Beschreibung niemals gewinnen, denn „zwischen Abstraktionen gibt es überhaupt keinen Kausalnexus, sondern nur zwischen realen Objekten und Tatsachen“ (ibid. 24). Zum „wahren Objekt“ wird aufgrund dieser methodologischen Prämissen die Gesamtheit der individuellen „Äußerungen“ der Sprechthätigkeit“, diese aber nicht als verstandene, d.h. unter dem Aspekt ihrer Bedeutung betrachtete, sondern als beobachtbare Phänomene gefasst. Die sprachliche Form wird so als „Klangreihe“ begriffen, mit der die Vorstellung „nacheinander ausgeführter Bewegungen der Sprechorgane“ (ibid. 26) verbunden wird. Das dergestalt als „physiologisch-physikalisches Produkt“ (ibid. 28) betrachtete Wort, d.h. die Verbindung einer Klangmit einer Bewegungsreihe, die im Sprachgebrauch induktiv verallgemeinert wird, gewinnt nach Paul erst dadurch „Bedeutung“, daß sie Christian Stetter 286 4 Daß die Bedeutung des Mémoire in der Berücksichtigung der Morphologie liegt, hat Watkins (1978) deutlich herausgearbeitet. Am klarsten hat dies allerdings schon 1879 der klassische Philologe L. Havet (1978: 118ff.) gesehen. 5 So der Titel des V. Kapitels des Mémoire p. 123. mit einem „Gedankeninhalt“ assoziiert wird (cf. ibid. 14ff.). Die Beschreibung von „Vorstellungsinhalten“, „Gedankeninhalten“ etc. aber ist Geschäft der Individualpsychologie, die Sprachwissenschaft dagegen hat es mit „physischen Produkten“ zu tun (ibid. 14). Eine sprachliche Form x 1 ist gemäß dieser Wissenschaftskonzeption erst dann „erklärt“, wenn durch den Vergleich mit Formen x 2 , x 3 usw. belegbar ist, daß sie „lautgeschichtlich“ auf eine Form x 0 zurückgeführt werden kann. Da x 1 , x 2 etc. belegte Formen aus verschiedenen indoeuropäischen Sprachen sind, muß x 0 einer gemeinsamen Urform, „dem Indoeuropäischen“, zugeschrieben werden, deren „Rekonstruktion“ somit zu demjenigen Zentralpunkt linguistischer Beschreibung wird, der ihr - mit heutigen Begriffen zu reden - allererst „explanative Adäquatheit“ und damit wissenschaftlichen Status verleiht. Die Reduzierung der Beobachtungsperspektive auf die Lautform zerstört jedoch nicht nur den syntaktischen Zusammenhang der verschiedenen Wörter im Satz, sondern auch den morphologischen innerhalb des einzelnen Wortes, der doch als verstanden vorausgesetzt sein mußte, wenn überhaupt irgendwelche Formen miteinander verglichen werden sollen. So setzt z.B. - um ein von Delbrück benutztes Beispiel zu zitieren (cf. Delbrück 1880: 126f.) - die These, von den beiden im Altgriechischen konkurrierenden Formen μ und μ sei lediglich das letzte Resultat einer ‚lautgesetzlichen‘ Entwicklung aus einer „Urform“ μ , die der Vergleich mit skr. mah¯ yasas nahe legt, ja selbstverständlich voraus, daß die beobachteten Gruppen - - bzw. - - als Äquivalent in ein und demselben morphologischen Zusammenhang μ -- fungieren. Diese „Selbstverständlichkeit“ setzt ihrerseits ein Verständnis der syntaktischen Formen μ und μ voraus. Wer das Altgriechische nicht beherrscht, dem entgeht der Zusammenhang dieser beiden Formen. Ludwig Jäger hat durch eine Notiz des jungen Saussure in seinem Exemplar der Grundzüge der griechischen Etymologie G. Curtius’, die 1876/ 7 formuliert sein dürfte, belegt, daß es dieser hermeneutische Vorbehalt ist, den bereits zu diesem Zeitpunkt Saussure gegenüber der „vergleichenden“ Methode der Indogermanistik zur Geltung bringt: „… peut-on considérer une forme telle qu’un imparfait comme un véritable mot tout fait. Ne faut-il pas plutôt … regarder un imparfait p.ex. dans un verbe, un datif p.ex. dans un nom comme n’existant qu’en principe dans la langue…“ (cf. Jäger 1975: 192f.). Als Genitiv ist μ nur identifizierbar unter Rekurs auf die Regularitäten der Adjektivflexion und Komparativbildung im Altgriechischen. Werden - so läßt sich Saussures Argument verallgemeinern - sprachliche Formen unter welcher Betrachtungsperspektive auch immer isoliert, so setzt dies immer ein Verständnis der Funktion der betreffenden Form im Rahmen des jeweiligen Sprachsystems voraus. Dies ist der für das Verständnis des Mémoire entscheidende Gesichtspunkt 4 . Denn Saussure entwickelt seine Theorie des indoeuropäischen Vokalismus im Zusammenhang der Betrachtung der „grammatischen Funktion der verschiedenen Arten von a“ 5 . Die Lösung der von Saussure aufgeworfenen Problemkonstellation bereitet, unter diesem Aspekt betrachtet, keinerlei logische Schwierigkeiten. Bezüglich ihrer grammatischen Funktion verhalten sich die Wurzeln mit langem , , ebenso wie Wurzeln, deren Vokalismus aus a 1 oder Kombinationen aus a 1 und Lautkoeffizienten gebildet sind; sie alternieren regelmäßig mit Formen der Schwundstufe, die anstelle der Langvokale entsprechende Kurzvokale aufweisen, z.B. gr. μ - μ , μ - μ , Ferdinand de Saussure 287 6 ‚Laryngale‘ nannte H. Möller die Koeffizienten, aus deren Kombination mit a1 die Lang-vokale entstanden. Cf. Szmerényi 1980: 115f. 7 Eine rühmliche Ausnahme bildet L. Havets Rezension des Mémoire, die jedoch, da im Journal de Genève (25.02.1879) erschienen, auf die Fachwelt keinen nennenswerten Einfluß ausübte (cf. CFS 32, 1978: 103-122) sowie die zustimmenden Reaktionen Hübschmanns und G. Curtius’ (cf. Redard 1978: 36). 8 Cf. dazu Scheerer 1980, 19f. und Redard 1978, 35 ˜ μ - μ usw. Die Alternation bezeichnet einen bestimmten Zusammenhang; μ (ich gehe) und μ (wir gehen) sind verschiedene Formen desselben Verbs. Folglich müssen die alternierenden Formen ein identisches Element aufweisen, das in der Schwundstufe erhalten sein muß. Der Mechanismus der Alternation beruht also auf dem Wegfall eines in der Vollstufe enthaltenen Elements. Da der Typus der Alternation stets derselbe ist - so das argumentum e silentio - wird diese grammatikalische Erscheinung am einfachsten erklärt, wenn sich zeigen läßt, daß stets dasselbe Element der Vollstufe wegfällt. Dieses Element kann nur a1 bzw. a2 sein, denn diese Theorie erklärt nicht nur den Zusammenhang von μ (a1 + i + m + i) und μ (= i + m + …), und usw., d.h. alle Fälle, in denen die Vollstufe a1 (a2) + Lautkoeffizient, die Schwundstufe nur den Lautkoeffizient aufweist, sondern auch alle die Fälle, in denen die Vollstufe nur a1 (a2) aufweist. Wie bei - - : - - entsteht die Schwundstufe durch Wegfall dieses Elements. Als Konsequenz dieses Zusammenhangs müssen auch die Langvokale als Kombinationen aus a1(a2) + Lautkoeffizient begriffen, z.B. ˜ μ also als μ gedeutet werden, mit dem ganz regelmäßig μ alterniert. Die Laryngaltheorie 6 des Mémoire ist, so betrachtet, nichts anderes als eine Prämisse, die eine einheitliche Erklärung des grammatischen Phänomens der Alternation gestattet. Daß damit das Zentrum der Argumentation Saussures getroffen ist, beweist seine Definition von a 2 : „La véritable définition de a 2 est, ce me semble: la voyelle qui, dans les langues européennes, alterne réguliêrement avec a 1 au sein d’une même syllabe radicale ou suffixale“ (Mémoire, 70; cf. ibid. 139: „L’ ablaut …“). Also muß zwischen a 1 und a 2 derselbe Zusammenhang bestehen wie zwischen Voll- und Schwundstufe. Deshalb ist es möglich, a 2 neben a 1 in der Vollstufe zuzulassen. Notwendig ist dies andererseits, weil sich dieser Zusammenhang aus den Quellen nicht mehr belegen läßt. 2 Konsequenzen Die hier nur skizzenhaft dargestellte, höchst komplexe Logik der Argumentation des Memoire ist von den meisten Zeitgenossen, insbesondere von den Junggrammatikern, nicht verstanden worden 7 . Die Polemiken gegen den „algebraischen“ Charakter der Problemlösung, die sich sozusagen um des Systems willens von der empirischen Wirklichkeit entferne 8 , signalisieren die Kluft, die sich mit diesem Werk zwischen seinem Verfasser und der „herrschenden“ Lehre aufgetan hatte. Zwar bestätigt es den singulären Rang Saussures innerhalb der historischvergleichenden Indogermanistik, zugleich aber isoliert es ihn, denn die Konsequenzen der in ihm entfalteten Theorie sprengen das traditionelle Paradigma, obwohl oder gerade weil sie streng aus Folgerungen des aktuellen Forschungsstandes der „Schule“ abgeleitet wurden; der Denkansatz steht quer zum herrschenden positivistisch-empiristischen Trend der Junggrammatiker. Der Preis, den Saussure für die Erklärungsadäquatheit seiner Theorie zu entrichten hat, besteht zunächst darin, daß auf eine phonetische Interpretation der mit „a 1 “, „a 2 “, „A“, „0“ Christian Stetter 288 9 Mémoire, 122. Saussures Argumentation in den Kapiteln IV und V belegt, daß er zwar noch nicht den Begriff des distinktiven Merkmals kennt, das ‚Phonem‘ aber bereits a) als Element des Sprachsystems faßt, dessen Wert sich b) in Opposition zu koexistierenden Elementen desselben Systems bestimmt. 10 Cf. z.B. H. Paul 1960: 49: „Um die Erscheinungen zu begreifen, die man als Lautwandel zu bezeichnen pflegt, muß man sich die physischen und psychischen Prozesse klar machen, welche immerfort bei der Hervorbringung der Lautkomplexe stattfinden.“ Dazu Putschke 1969: 22ff. 11 Ibid. I R 3.47; cf. dazu das Vorwort des Mémoire: „A cela s’ajoute que la question de l’a est en connexion avec une série de problèmes de phonétique et de morphologie …“ (p.1). usw. benannten Phoneme verzichtet werden muß. Saussure ist sich dieser Konsequenz durchaus bewusst: An der Schlüsselstelle des Beweises der historischen Priorität des europäischen Vokalismus vor dem der indo-iranischen Sprachen betont er, daß es für dieses Problem nur eine einzige plausible Lösung gebe: „transporter tel quel dans la langue mère le schéma obtenu pour l’européen, sauf, bien entendu, ce qui est de la détermination exacte du son que devaient avoir les différents phonèmes“ 9 . Während die Junggrammatiker, etwa Sievers oder Paul, an einer Begründung der Darstellung lautgeschichtlicher Entwicklungen durch eine lautphysiologisch-psychologische Phonetik arbeiten 10 , um die Sprachbeschreibung empirisch abzusichern, geht Saussure den entgegengesetzten Weg. Es kann - so präzisiert eine spätere Notiz über Phonologie (so sein Term für „Lautphysiologie“) (cf. N 5a, EC(4), 16) - nicht Gegenstand der Sprachwissenschaft sein, die Mechanik von Artikulationsbewegungen zu beschreiben, denn für den Physiologen muß in der Tat irrelevant sein, ob bestimmte „Positionen und Bewegungen einem p oder b entsprechen“, und in der ersten Vorlesung über allgemeine Sprachwissenschaft von 1906/ 07, die die Konzeption dieser Disziplin aus der Betrachtung der zentralen Theoreme der vergleichenden Indogermanistik entwickelt, benennt er auch den Grund für die strikte Trennung von „physiologie phonologique“ und Linguistik: „La langue est un systêmede signaux: ce qui fait la langue, c’est le rapport qu’établit l’esprit entre ces signaux. La matière, en elle-même, de ces signaux peut-être considérée comme indifferent“ (EC al. 3348, I R 1.44). Nicht zufällig kritisiert Saussure daher in derselben Vorlesung die Auffassung der Alternation als eines ‚phonetischen‘ (zur ‚Lautlehre‘ zu zählenden) Sachverhalts (EC al. 2398, I R 1.95ff.). „A l’instant ou nous avons quitté le changement phonétique pour considérer l’effet qui est de créer l’alternance, nous avons quitté le terrain phonétique“ (ibid. al. 2417, I R 1.99). Denn die Alternation ist ein durch und durch grammatikalisches Phänomen, ein Mittel des Sprachsystems, um Sinndifferenzen zu bezeichnen. Und wenn - um zum Mémoire zurückzukommen - es Aufgabe der Sprachwissenschaft sein muß zu erschließen, daß es im Indoeuropäischen ein bestimmtes System von Vokalen (x 1 , x 2 , x 3 , …) gegeben habe, die untereinander in bestimmten Oppositionen standen und aus morphologisch-syntaktischen Gründen sämtlich als auf x 1 zurückführbar betrachtet werden müssen, so verbietet sich jede im heutigen Sinn ‚phonetische‘ Interpretation dieser Chiffren eben deswegen, weil der einzige Zweck der Rekonstruktion darin besteht, durch quellenbelegte Sachverhalte im Sanskrit, Griechischen, Gotischen etc. dadurch systematisch deuten zu können. Nicht zufällig schließt die Vorlesung von 1907 mit einer Betrachtung des Wertes der „rekonstruierten Methode“ (I R 3.46ff.; cf. SM 64f.), und ohne Zweifel hat Saussure hier den Mémoire vor Augen, wenn er darlegt, daß es keine Lautwandelprozesse betreffenden Vergleiche geben könne, die sich nicht beständig morphologischer Betrachtungen bedienen müßten 11 . Daß dies nicht erst eine Einsicht der späteren Jahre ist, belegt die um 1894/ 5 entstandene Notiz zur Morphologie: Ferdinand de Saussure 289 La morphologie est la science qui traite des unités de son correspondent à une partie de l’idée et du groupement de ces unités. - La phonétique est la science qui traite des unités de son à établir d’après des caractères physiologiques et acoustiques. - Le vrai nom de morphologie serait: la theorie de signes - et non des formes (N 7, EC (4), 17). Saussures Semiologie resultiert - darauf deutet diese Definition hin - aus der hermeneutischen Orientierung der Erkenntnistheorie, der der junge Saussure, ohne dies dort schon explizit zu reflektieren, im Mémoire bereits folgt und aus der er die entscheidenden Einsichten gewinnt (cf. Jäger 1975: 184ff.). Damit gewinnt er - ohne sich freilich zu diesem Zeitpunkt dieses Traditionsbezuges schon bewußt zu sein - diejenige Position zurück, die Wilhelm von Humboldt - vergeblich - gegen die einzelne Lautbestände isolierende Methode des Sprachenvergleichs, wie sie von Bopp oder J. Grimm praktiziert wurde (cf. Stetter 1986), formuliert. Der Vergleich von Sprachen setzt immer das Studium ihrer systematischen Organisation unter dem Gesichtspunkt voraus, in welcher Weise die Sprachstruktur die Artikulation von Gedanken in der Rede ermögliche (cf. W. v. Humboldt 1820: §§ 9ff. u. 20f.). Offenkundig war damit die Bedeutung der sogenannten ‚Lautgesetze‘ entscheidend in Frage gestellt, und wiederum im Cours von 1907 wird Saussure dies in aller Klarheit aussprechen: Lautwandelprozesse sind durchaus regelmäßiger Natur. Dies hatten Rask, Grimm, Verner etc. hinreichend gezeigt. Deshalb betrachtet man sie als Auswirkungen von ‚Lautgesetzen‘. Aber - so der Einwand Saussures - „… un élement est atteint par le phénomène phonétique dans tous les mots, etc.: un élement ne peut pas être régi par une loi! C’est donc un contresens de parler de loi phonétique …“ (EC al. 2244, I R 1.51). Saussures im CLG durchaus zutreffend referierte Kritik am Begriff des Lautgesetzes (cf. CLG 202ff.) ist einhellig als „unoriginell“ bewertet worden (cf. Scheerer 1980: 35). In der Tat findet sich auch bei H. Paul oder Delbrück der Hinweis darauf, daß Lautgesetze keine Naturgesetze seien; sie konstatierten lediglich „die Gleichmäßigkeit innerhalb einer Gruppe bestimmter historischer Erscheinungen“ (Paul 1960: 68; cf. Delbrück 1919: 174ff.). Doch zielt die Kritik Saussures auf einen prinzipielleren Punkt, den bereits die von Jäger mitgeteilte Notiz zu Curtius von 1876/ 7 hervorhob: Die Elemente, die Lautgesetzen unterliegen sollen, sind keine zeitlich definierbaren Ereignisse, mit Paul zu sprechen individuelle „Äußerungen der Sprechtätigkeit“, sondern Elemente der langue, des Sprachsystems, also Schemata, d.h. psychische Gebilde. Sie existieren als Schemata ausschließlich, um sinnvolle Rede zu ermöglichen. Zwar ist die Regelmäßigkeit ihrer Veränderung durchaus beschreibbar, ja es charakterisiert geradezu die Besonderheit der Sprachen als historischer Phänomene, daß sich derartige überindividuelle, sich jenseits des Bewußtseins der einzelnen Sprecher vollziehende Erscheinungen an ihnen studieren lassen (cf. hierzu N 1.1, EC (4), 6); aber als psychische Formationen sind die Elemente der langue per definitionem jeder Form von Kausalität, wie sie von den ‚Gesetzeswissenschaften‘ beschrieben wird, entzogen. Erst gegen Ende der letzten Vorlesung von 1910/ 1 allerdings wird Saussure - und dies verdeutlicht den weiten Weg, der vom Mémoire bis dorthin noch zurückzulegen ist - das semiologische Prinzip hinreichend expliziert haben, aus dem die schon in der kurzen Notiz berührte kategoriale Besonderheit des linguistischen Objekts ableitbar ist: das des arbitraire du signe linguistique (s. dazu weiter unten). Christian Stetter 290 3 Grundlagenprobleme: die „notes“ der neunziger Jahre Nach zehn erfolgreichen Lehr- und Publikationsjahren in Paris, die seinen Ruf als einer der führenden Linguisten der Zeit festigen, übernimmt Saussure 1891 eine für ihn eingerichtete Professur für Geschichte und Vergleich der indoeuropäischen Sprachen an der Universität seiner Heimatstadt Genf. In den ersten dort gehaltenen Vorlesungen vom November 1891 (N 1.1-1.3, EC (4), 3-14) begründet er den Ort der Linguistik im Rahmen der faculté des lettres: Sie ist nicht als Hilfswissenschaft der Ethnologie oder Philologie zu legitimieren, sondern nur durch den Rang ihres Objektes selbst. Die Sprache aber ist die einzig allgemein anerkannte differentia specifica der Gattung Mensch: […] le langage a été le plus formidable engine d’action collective d’une part, et d’éducation individuelle de l’autre, l’instrument sans lequel en fait l’individu ou l’espèce n’auraient jamais pu même aspirer à développer dans aucun sens ses facultés natives (ibid. 4). Das Studium der Sprache als “fait humain”, so argumentiert Saussure weiter, sei nur möglich durch das Studium einzelner existierender Sprachen, dieses müsse aber umgekehrt stets auf “le problème général de langage” bezogen bleiben, andernfalls würde es steril (cf. EC 515, N 1.1, al. 3281). Es mag hier unausgemacht bleiben, ob Saussure zu diesem Zeitpunkt schon Humboldt gelesen hatte; die in dieser Vorlesung vertretene Position entspricht exakt dessen Postulat der Verbindung von ‚philosophischer‘ und ‚historischer‘, d.h. empirischer Sprachkunde (cf. Borsche 1981: 201ff.; Stetter 1986), und von diesem Ansatz her wird verständlich, wieso Saussure vehement den Versuch Schleichers, M. Müllers u.a. kritisiert - ohne Zweifel ist hier auch an Osthoff oder Brugmann zu denken -, die Linguistik als Naturwissenschaft zu etablieren. In diesen Inauguralvorlesungen zeigt sich eine philosophische Auffassung der Sprache, die mit der junggrammatischen Wissenschaftskonzeption nichts mehr gemein hat; die Linguistik ist eine durch und durch historische Disziplin: […] plus on étudie la langue, plus on arrive à se pénétrer de ce fait que tout dans la langue est histoire, c’est-à-dire qu’elle est un objet d’analyse historique, et non d’analyse abstraite, qu’elle se compose de faits, et non de lois […] (N 1.1 EC (4), 5). Um dies zu begründen, formuliert Saussure zwei korrelative Prinzipien, das der Kontinuität der Sprache in Raum und Zeit und das ihrer kontinuierlichen Transformation bzw. Diversifikation. Am Beispiel eines russischen Originals namens Boguslawski, der sich zwanzig Jahre lang am 1. und 15. eines jeden Monats photographieren ließ, um schließlich die so entstandenen 480 Photographien zusammen auszustellen, demonstriert er deren Zusammenwirken und das Kardinalproblem sprachlicher Identität, das sie theoretisch darstellbar machen sollen. Zu keinem Zeitpunkt hat z.B. das Latein aufgehört zu existieren, zwei beliebige benachbarte Photographien zeigen immer denselben Boguslawski, und doch spricht man heute Französisch, Italienisch oder Spanisch, nicht mehr Latein. Es ist eben die vergleichende Indogermanistik, deren Ergebnisse zu dieser Überlegung zwingen, denn dasselbe Verhältnis gilt für den Zusammenhang aller indoeuropäischen Sprachen, wenn er zugänglich wäre, darüber hinaus für den aller Sprachen überhaupt (cf. damit Humboldt 1820). Desgleichen hatte die indogermanistische Forschung gezeigt, daß die Sprachveränderungen in allen Sprachen gleichförmiger Natur sind, so daß man - eine überraschende Pointe - den ‚Sprachursprung‘ als Form der ‚Sprachveränderung‘ auffassen muß (N 1.2, EC (4), 9), und daß es überall zwei Arten des Sprachwandels gibt, nämlich den ‚Lautwandel‘ und den ‚analogischen Wandel‘. Ferdinand de Saussure 291 In der Bewertung dieser beiden Phänomene zeigt sich der ganze Abstand, der Saussure vom junggrammatischen Paradigma trennt - und setzt sich fort, was bereits im Mémoire angelegt war. Der Lautwandel wird ganz en passant behandelt; er betrifft blind alle Formen des Sprachsystems (langue), wo sich der betreffende Laut (son) findet. Er wirkt also mit „mathematischer Regelmäßigkeit“; dies scheint ihn für eine wissenschaftliche Betrachtungsweise zu prädestinieren. Tatsächlich - so führt Saussure aus - wirkt er mit solcher Regelmäßigkeit, daß man, ein indoeuropäisches oder lateinisches Wort gegeben, prognostizieren könnte, welches griechische bzw. französische Wort sich daraus ergeben würde - wenn man eben ausschließen könnte, daß eine Analogiebildung den Entwicklungsprozeß unterbricht (N 1.2, EC (4), 10). Dies aber ist nicht möglich, denn da der Laut die eine Form ohne Rücksicht auf ihre Funktion im jeweiligen System betrifft, zerstört er dessen Ökonomie. Dies gerade erzwingt Analogiebildungen, die die „Symmetrie“ des Sprachsystems wiederherstellen (ibid.), um seine Funktionsfähigkeit zu erhalten. Im Cours von 1906/ 7 wird das Verhältnis der beiden Arten des Sprachwandels zum zentralen Thema werden (cf. zum Aufbau des Cours I SM 53ff.). Dort illustriert Saussure die 1891 nur abstrakt formulierte These mit vielen Beispielen. So bewirkt z.B. der Lautwandel, daß ahd. hirta (= der Hirte) und hirti (= die Hirten) beide im Mhd. zu nunmehr homonymen Formen hirte werden. Der damit verbundene Verlust von Singular- und Pluralform wird durch eine neue Form hirten, die in Analogie zu bote - boten gebildet wird, ausgeglichen (cf. EC al. 2473, I R 2.8). Angesichts der eingangs der ersten Inauguralvorlesung entfalteten philosophischen Bedeutung der Sprache als des elementaren Kommunikations- und Bildungsmediums der Gattung Mensch muß der Lautwandel irrelevant werden, die Analogiebildung dagegen ins Zentrum des Interesses rücken. Sie wird als „psychischer Akt“, „intelligente Operation“ beschrieben (N 1.1, EC (4), 9), die sprachliche Formen unter dem Aspekt ihrer Bedeutung miteinander verknüpft. Sie etabliert allererst Ordnung und Zusammenhang im Sprachsystem, denn sie ist das Vehikel des Spracherwerbs. Wiederum wird der Cours von 1906/ 7 die entscheidende sprachphilosophische Formel für den schon hier umrissenen Sachverhalt liefern: Die Analogie ist das „principe général des créations de la langue“ (cf. EC al. 2510, I R 2.19, SM 57). Man sieht, wie falsch Chomskys Ansicht war, Saussure habe die langue nicht unter dem Aspekt der Kreativität, sondern lediglich als „trésor mental“ betrachtet (cf. Chomsky 1969). Das Gegenteil trifft - wie schon der Text von 1891 belegt - zu: „… une langue quelconque à un moment quelconque n’est pas autre chose qu’un vaste enchevêtrement de formations analogiques …“. Einen Linguisten aufzufordern, Analogiebildungen zu benennen, hieße ebensoviel wie einen Astronomen nach Sternen zu fragen: „… ce ne sont pas de curiosités ou des anomalies, mais c’est la substance la plus claire du langage partout et à toute époque …“ (N 1.1, EC (4), 10). Die Analogie aber ist ein Schluß von Einzelnem auf Einzelnes aufgrund einer kontingenten Ähnlichkeit (cf. Aristoteles, Anal. pr. 68 b 38ff. und Peirce, CP 2.513). Ein durch Analogie gebildetes x kann somit niemals auf eine Regel zurückgeführt, d.h. erklärt bzw. seine Bildung prognostiziert werden. Sofern Saussure also das philosophische Phänomen der Sprache auf die Analogie gründet, begreift er sie per se als ein jeder „erklärenden“ Theorie sich entziehendes Objekt. Die Beschreibung der Analogie als „intelligenter Schluß“ begründet darüber hinaus die These, daß die Linguistik nur als historische Disziplin begriffen werden könne, denn danach muß jedes Sprachsystem als durch individuelle menschliche Akte vermitteltes Allgemeines betrachtet werden. „Äußerlich“ betreibt Saussure in den folgenden Jahren weiter historisch-vergleichende Indogermanistik. Er liest regelmäßig über das Sanskrit, über griechische und lateinische Christian Stetter 292 12 Cf. den Brief an Meillet vom 4.1.1894, SM 93. 13 Cf. die entsprechenden Hinweise Ms. p. [13] und [30]; Godel (SM p. 36) bringt N 7 in den Zusammenhang der „Étude de la declinaison gréque“ (1894/ 95), man könnte auch an die „Études d’etymologie gréque et latin“ von 1893/ 94 denken. Dies würde die in Ms. p [3] gegebene Definition von „Etymologie“ erklären, aus der die Notwendigkeit einer systematischen Unterscheidung von ‚Phonetik‘ und ‚Morphologie‘ folgt. Etymologie, über griechische und persische Inschriften usw. (cf. SM 24f.). Indessen treten die Implikationen des 1891 formulierten philosophischen Standortes seiner Wissenschaftskonzeption in zunehmender Deutlichkeit zutage; die prinzipielle Auseinandersetzung mit der überkommenen, immer noch „herrschenden“ Form der Linguistik war unvermeidlich geworden. Die drei großen Textfragmente der 90er Jahre - die notes über Morphologie (N 7; ~ 1894/ 5) (EC (4), 17ff.; zur Datierung cf. SM 36f.), diejenige über Whitney (N 10; 1894) (EC (4), 21ff.) und schließlich die sog. „notes item“ (N 15; nach 1897) (EC (4), 35ff.) - spiegeln den um eine Grundlegung der Disziplin ringenden Reflexionsgang Saussures wider, der zu immer abstrakteren Problemstellungen vordringt, sich mehr und mehr von der Begriffswelt der vergleichenden Indogermanistik entfernt und sich doch außerstande sieht, den Resultaten seines Nachdenkens eine definitive Form zu geben 12 . Die Semiologie Saussures - ein Torso - ist Produkt dieser Krise. Die note über Morphologie greift das seit dem Mémoire latente Problem der Begründung des linguistischen Kategorienapparates der vergleichenden Indogermanistik auf. Offensichtlich im Zusammenhang einer Übung zur Grammatik des Griechischen und Lateinischen entstanden 13 klärt dieser etwa dreißig Manuskriptseiten umfassende Text das systematische Verhältnis von ‚Phonetik‘ und ‚Morphologie‘. Den Grund dafür benennt die wohl in unmittelbarer Nachbarschaft entstandene note 8 (EC (4), 21): Un des plus amusants spectacles est la manière dont se divise la grammaire (scientifique) d’une langue. - Il y a d’abord la Phonétique (en allemand Lautlehre), puis la morphologie (allemand Formenlehre). C’est tout naturel n’est ce pas? D’abord les sons, puis les combinaisons de son; d’abord le simple, puis le composé; et ce qu’il y a de plus merveilleux est que l’on croit comprendre! Offenkundig ist dies auf die Junggrammatiker gemünzt, denn deren Methodologie ist der zentrale Gegenstand der note 7: Die „grammaire comparée“ zerlegte Wörter in Wurzeln, Prä-, In-, Suffixe, Endungen etc., so z.B. lat. pater (= Vater) in die Wurzel pa- und das Suffix -ter (pa-tr-is, pa-tr-i, …), ohne sich im geringsten zu fragen, ob diesen Einteilungen irgendwelche Einheiten eines ‚native speaker‘ („sujet parlant“) des Latein etwa zur Zeit Cäsars entsprachen. Kriterium der Zerlegung, etwa von gr. hippos in einen sog. o-Stamm hippo und eine Endung -s, war vielmehr der morphologische Zustand einer rekonstruierten idg. Form, hier also ekwo-s, ekwo-m usw. Diese Analyse besaß aber schon für den Griechen des 8. oder 7. Jahrhunderts keine Gültigkeit mehr; er faßte -os, -ou usw. als ein Morphem auf. Zu Recht - so Saussure - protestierten die Junggrammatiker gegen derartige Anachronismen und erklärten - wie z.B. oben H. Paul - alle diese ‚Wurzeln‘, ‚Stämme‘ usw. zu puren Abstraktionen, denen nichts Beobachtbares entspreche, bedienten sich dessen ungeachtet dieser Einheiten in ihren Materialanalysen weiter - „pour la commodité de l’exposition“. Aber - so wendet Saussure dagegen ein - „s’il y a pas de justification à l’établissement de ces categories, alors pourquoi les établir“ (p. [6], EC 418, al. 2775.). Neologismen und Analogiebildungen beweisen jedoch, daß jedes Sprecherbewusstsein (conscience du sujet parlant) Wörter in Untereinheiten zerlegt, um aus den Einheiten dieser „subjektiven“ Analyse neue Ferdinand de Saussure 293 Wörter zu bilden, und Saussure zieht daraus den entsprechenden erkenntnistheoretischen Schluß: […] avant de <venir> parler d’abstractions, il faut avoir un critère fixe touchant ce qu’on peut appeler réel en morphologie. Criterium: ce qui et réel, c’est ce dont les sujets parlants ont conscience à un degré quelconque, et rien que ce dont ils peuvent avoir conscience (Ms. p. [7], EC 419, al. 2779). Im Cours von 1906/ 7 geht Saussure wiederum einen Schritt über den hier schon erreichten Reflexionsstand hinaus, indem er explizit zwischen ‚subjektiver Analyse‘ (der jeweiligen native speakers) und ‚objektiver Analyse‘ (des Linguisten) unterscheidet (Cf. I R 2.64ff., EC al. 2588ff.) und deren Verhältnis zueinander diskutiert. Natürlich kann sich die Blickrichtung der ‚objektiven Analyse‘, etwa in sprachhistorischen Untersuchungen, von der der ‚subjektiven‘ entfernen. Sie vermag zu verdeutlichen, was dem sich in seiner jeweils synchronischen Perspektive befangenen Sprecher nicht mehr bewußt ist, daß sich z.B. in dem Namen Nachtigall bis ins Neuhochdeutsche eine ahd. Form nahti (der Nacht, nächtens) erhalten hat, die dem heutigen Sprecher als solche natürlich nicht mehr verständlich ist. In jedem Fall muß aber gelten, daß die ‚objektive‘ Analyse in letzter Instanz immer auf einer ‚subjektiven“ beruht; dies allein kann sie rechtfertigen. Schon in dieser note 7 zieht Saussure aus diesem Sachverhalt eine zweifache Konsequenz: Da die subjektive Analyse Einheiten immer unter dem Aspekt ihrer Funktion bei der Bildung sinnvoller Ausdrücke betrachtet, wäre die wahre Definition der Morphologie: „La théorie des signes - et non des formes“ (EC (4), 17). Wenn eine Einheit der langue im Sinne des o.g. Kriteriums „real“, nämlich für ein bestimmtes Sprecherbewusstsein, genannt wird, so heißt dies eben, daß sie in bestimmter Weise interpretierbar, für dieses Bewußtsein also ein Zeichen ist: „la langue n’a conscience du son que comme signe“ (ibid.). Eine Morphologie des Neuhochdeutschen würde also Nachtigall als ein nicht weiter analysierbares Morphem aufführen. Die morphologische Analyse bezieht sich also in erster Instanz immer auf den Gebrauch von Zeichen im Rahmen einer einzigen Epoche: „Une morphologie vraiment scientifique aurait pour premier devoir de séparer les différentes époques et de se pénétrer <exclusivement> de l’esprit de chacune d’elles“ (Ms. p. [13], EC al. 2770.). Auch ‚Phonétique‘ (Lautlehre) im tradierten Sinne zu betreiben kann nach der hier entfalteten Erkenntnistheorie nur bedeuten, Formen miteinander zu vergleichen, z.B. ahd. zugi mit mhd. züge, denn nur in diesen begegnen sich die ‚Laute‘. Der Vergleich bezieht sich hier aber auf verschiedene Epochen, und die Form wird nicht bezüglich ihrer systematischen Funktion, sondern bezüglich ihrer Veränderung in der Zeit betrachtet. Die Opposition von Synchronie und Diachronie ist in dieser Konzeption schon impliziert, wenn auch die Termini noch nicht geprägt sind. Man sieht, wie Saussures Ideen über das Problem, in den Kategorien der Linguistik einen zureichenden philosophischen Begriff der Sprache zu entfalten, damit die Konzeption einer linguistique générale sich in diesen Jahren in zunehmendem Maße aus logischen Problemstellungen entwickeln, die die Begrifflichkeit der vergleichenden Indogermanistik implizierte und die er offenkundig als einziger der Zunft als solche erkannte. Ein Brief an A. Meillet von 1894 belegt, daß Saussures Denken spätestens zu diesem Zeitpunkt die Ebene der Grundlagen des Faches erreicht hatte. Dort beklagt er die Schwierigkeit, über die „faits de langage“ überhaupt noch Allgemeingültiges aussagen zu können: „Préoccupé surtout depuis longtemps de la classification logique de ces faits, de la classification des points de vue sous lesquels nous traitons, je vois de plus en plus à la fois l’immensité du travail qu’il faudrait pour montrer au linguiste ce qu’il fait, en reduisant chaque opération Christian Stetter 294 14 Zu Recht hat Godel die Bedeutung der notes 9.1-2 hervorgehoben; cf. SM 136. 15 Cf. hierzu die ausführliche Analyse in Jäger 1975: 77ff. 16 Cf. etwa das SM 30 berichtete Gespräch mit M.L. Gautier; ähnlich auch N 10, p. [9], EC (4), 22. à sa catégorie prévue; et en même temps l’assez grande variété de tout ce qu’on peut faire finalement en linguistique“ (cf. SM 31). In um dieselbe Zeit entstandenen Skizzen für ein Buch über allgemeine Sprachwissenschaft (N 9.1-9.3, N 11 und N 12) wird die logische Klassifikation der den Gesamtbegriff der Sprache insgesamt konstituierenden Theoreme in zunehmender Präzision erfaßt. In N 9 vertieft er die methodologische Argumentation der note über Morphologie: Das fait linguistique ist nicht als Naturobjekt gegeben, denn seine Identität beruht auf Identitätsurteilen der sujets parlants - „jugement d’identité prononcé par l’oreille“ (N 9.1 p. [7], EC al. 129). Der Laut, z.B. die „figure vocale nü“ existiert als sprachliches Element nur, sofern er als Einheit identifiziert wird. „Hors d’une relation quelconque d’identité, un fait linguistique n’existe pas“ (N 9.1 p. [11], EC al. 129). Diese Überlegung ist die erkenntnistheoretische Keimzelle der ganzen späteren Systematik 14 : Die sprachliche Einheit muß als solche von einem Sprecherbewusstsein konstituiert werden, und aus logischen Gründen muß es immer einen bestimmten Gesichtspunkt geben, der dieses beim Geschäft der Identifizierung von Einheiten leitet, einen Gesichtspunkt, aus dem z.B. folgt, daß ein Sprecher des Neuhochdeutschen Nachtigall nicht mehr wie ein Zeitgenosse Notkers von St. Gallen als zusammengesetzten Term, sondern als nicht weiter zerlegbare Einheit auffaßt. Die Sprachwissenschaft muß dieser besonderen, durch Bewusstseinsleistungen welcher Art auch immer konstituierten „Natur“ ihres Objektes Rechnung tragen. Ihr Gegenstand ist eben von der besonderen Art, daß man sich ihm nicht unabhängig von einer bestimmten Perspektive nähern kann, und so zeigt sich, daß die Konstitution des wissenschaftlichen Gegenstandes ‚Sprache‘ dieselbe Form hat wie die Konstitution sprachlicher Elemente durch die conscience des sujets parlants: Ailleurs il y a des choses, des objets donnés, que l’on est libre de considerer ensuite à différents points de vue. Ici il y a d’abord des points de vue à l’aide desquels on CRÉE secondairement les choses (N. 9.2 EC al. 131). Saussure plädiert hier nicht für eine konventionalistische Theoriebildung im Sinne der nachmaligen Forschungslogik Poppers 15 . Denn die Wahl des die Theorie konstituierenden Gesichtspunktes ist für ihn keineswegs beliebig bzw. an das Kriterium „erfolgreicher“ Forschung gebunden; „Ces créations se trouvent correspondre à des réalités quand le point de départ est juste, ou n’y a pas correspondre dans le cas contraire …“. Es kommt m.a.W. darauf an, in der Wahl der theoretischen Kategorien diejenigen Gesichtspunkte zu treffen, die die Konstitution des realen Gegenstandes ‚Sprache‘ durch die jeweiligen ‚sujets parlants‘ leiten. Man könnte dies eine ‚verstehende‘ Begründung der Linguistik im Sinne von Wrights nennen (cf. von Wright 1974: 122ff.), denn für eine ‚Erklärung‘ der Sprache insgesamt oder auch einzelner sprachlicher Phänomene fehlt die vor jeder Sprache gegebene Regel, unter die das Explanandum zu subsumieren wäre. Und wenn Saussure die vergleichende Kritik verschiedener „points de vue“ als „einzig zulässigen“ Ausgangspunkt linguistischer Theoriebildung bezeichnet (N 9.1 p. [9], EC al. 129), so entspricht dies zweifellos dem hermeneutischen Prinzip reflexiver Aufklärung der wirkungsgeschichtlichen Prämissen des je einzelnen Denkens. Allerdings spricht das ebenso zu konstatierende axiomatische Interesse des Saussureschen Denkens 16 dagegen, es nun umstandslos der hermeneutischen Tradition zuzurechnen. Jedenfalls handelt es sich um den Versuch, in einem „adäquaten“ Netz linguistischer Katego- Ferdinand de Saussure 295 17 Mit dieser Charakterisierung trifft man die Bedeutung Saussures besser, als wenn man ihn als Begründer der Semiologie o.ä. bezeichnete. Denn die zeichentheoretischen Überlegungen stehen ja gleichfalls im Zusammenhang seines Begründungsversuchs. rien einen philosophisch zutreffenden Begriff von Sprache als „institution humaine“ zu explizieren. Die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts hat gezeigt, daß dieses Unternehmen der Quadratur des Kreises gleichkommt. Als Wissenschaft muß die Linguistik auf die Formulierung allgemeiner Aussagen über Sprache ausgehen, dies kann jeweils nur von einem als gültig vorausgesetzten Gesichtspunkt ausgehen, zu dessen Begründung wiederum ein unbestimmter Begriff von Sprache vorausgesetzt werden müßte usw. ad infinitum. Sprachwissenschaft kann das anthropologische Phänomen der Sprache immer nur partiell „rekonstruieren“ (cf. Simon 1981: 197ff ). Immerhin kann sie die unvermeidlichen Verkürzungen ihres Ansatzes noch philosophisch reflektieren und als solche kenntlich machen, und hierin liegt die genuin sprachphilosophische Qualität des saussureschen Denkens 17 , die sich in der note über Whitney (N 10, EC (4), 21ff.) vielleicht deutlicher als in irgendeinem anderen Text des Genfers zeigt. Nicht zufällig ist die geplante Würdigung Whitneys, der 1894 gestorben war, unvollendet geblieben, denn in ihrem Zusammenhang mußte Saussure auf das bezeichnete Begründungsproblem eingehen, dessen Unlösbarkeit ihm zu seiner Zeit noch nicht durchsichtig sein konnte. Was er schärfer als jeder andere Linguist sieht, sind die logischen Widersprüche in jedem von ihm erwogenen System linguistischer Kategorien, die vom vorausgesetzten Begriff der Sprache her kategorial aufgehoben werden müßten. Gerade seine Überlegungen führen aber zum gegenteiligen Resultat, und Saussure ist sich dessen bewußt: Nous nourrisons depuis bien des années cette conviction que la linguistique est une science double, et si (profondément, irrémédiablement) double, qu’on peut (à vrai dire) se demander s’il y a une raison suffisante pour maintenir sous ce nom de linguistique une unité (factice), génératrice (précisément) de toutes les erreurs, de tous les inextricables pièges contre lesquels nous nous débattons chaque jour […] (N 10 p. [14a], EC (4), 23). Er war davon ausgegangen, die Linguistik als historische Disziplin zu begründen; dies hatte zur Rehabilitierung der Morphologie als eines genuinen Zweiges der Sprachwissenschaft geführt. Dieser aber impliziert den Begriff der Synchronie. Saussure als derjenige, der der Disziplin griffige Dichotomien - langue-parole, Synchronie-Diachronie, signifiant-signifié etc. - zu zweckmäßigen Unterscheidungen bereitstellte, ist in seinem Anliegen verkannt. Es geht ihm vielmehr darum, das dichotomische Auseinanderfallen der Linguistik - und die notes über „status et motus“ (N 11 und 12, EC (4), 26ff.) sind nichts anderes als Sammlungen solcher Dichotomien als begrifflich aufzuklärender Problemstellungen - in „Lautlehre“ versus „Formenlehre“ etc. zu überwinden. Eine Bemerkung aus der note 9 weist bereits den Weg: Parmi les choses qui peuvent être opposées au son (material), nous nions, essentiellement (et sans aucune défaillance future dans le détail), qu’il soit possible au son matériel, c’est le groupe son-idée, mais absolument pas l’idée (N 9.2 p. [6], EC 26, al. 131). Dies wäre eine Lösung, denn der Begriff „die Gruppe son/ idée“ impliziert den Begriff „son“. Folgerichtig handelte es sich hier nicht um eine Dichotomie - wenn eine nicht-dichotomische Interpretation des Begriffs „die Gruppe son/ idée“ gefunden werden könnte. So präsentiert sich im Denken Saussures allmählich die Idee, daß es einen systematischen Grund in der sprachwissenschaftlichen Begrifflichkeit geben müsse, der die beklagten Widersprüche insgesamt Christian Stetter 296 erzeugt, und daß dieser in einer falschen Auffassung vom signe linguistique liegen müsse, denn der oberste Gesichtspunkt, der die Identifizierung eines Elementes x als sprachliche Einheit rechtfertigt, ist, daß es in bestimmter Weise interpretierbar sein muß. Philosophisch bedeutsam ist die Sprache nicht unter dem Aspekt des Lautwandels, sondern allein als System von Zeichen. So wird das eigentliche Problem darin liegen, einen Begriff der langue als eines Systems von Zeichen zu entwickeln, der per se die Beschränkung auf die Ebene der Synchronie vermeidet. Diesen Gedanken formuliert Saussure schon in der note 9.3 sehr klar: Das kategoriale Grundproblem der Linguistik hängt danach nicht davon ab, ob die langue als „fait social“ repräsentiert wird, sondern viel allgemeiner, „s’il y a dans un règne quelconque quelque chose qui par les conditions comparatives de son existence et de changement donne le symétrique de la langue” (N 9.3, EC (4), 21). Die note über Whitney präzisiert diese allgemeine Frage in zeichentheoretischer Hinsicht. Seit alters her gilt das sprachliche Zeichen in Philosophie, Logik, Psychologie als konventionelles Symbol. Doch trügt die Analogie des Konventionsbegriffs; denn gesellschaftliche Konventionen kann man aus ihrer Geschichte verstehen, nicht aber die „Konvention“, die zwischen dem sprachlichen Zeichen und seiner Interpretation besteht. In einer Epoche galt im Altniederdeutschen aufgrund der Opposition von : i das i als Zeichen des Plurals, zu einer späteren der Umlaut (f ¯ ot : f ¯ oet). Der betreffende Lautwandelprozeß läßt sich aber nicht erklären (N 10 p. [9a], EC al. 1392). Die arbiträre (N 10 p. [13a], EC (4), 23) Natur des sprachlichen Zeichens liefert es, und zwar seine Zeichengestalt, den „unkalkulierbaren“ Einflüssen der Zeit aus; dies macht aus der Sprache eine Institution „sans analogue“ (N 10 P. [18], EC al. 1264). Zum zentralen Problem der Begründung einer konsistenten linguistischen Theorie wird so die Entwicklung eines Begriffs des sprachlichen Zeichens, aus dem die scheinbar paradoxe Doppelnatur der Sprache, zu jedem Zeitpunkt gleichzeitig historisches Produkt vorausgegangener Epochen und für sich geltendes System zu sein (N 10 p. [14], EC (4), 23), als notwendige Konsequenz folgt. Ins Zentrum der Überlegungen Saussures rückt damit der traditionelle Begriff des sprachlichen Zeichens, die auf Platons Kratylos zurückgehende Vorstellung, nach der seine Grundfunktion darin besteht, nichtsprachliche Objekte zu bezeichnen, „donc (ce que nous nierons toujours) base extérieure donnée au signe, et figuration du langage par ce rapport ici: x a objets x b noms x c alors que la vraie figuration est: a b c, hors de toute connaisance d’un rapport effectif comme x ---a fondé sur un objet” (N 12 p. [19] f., EC al. 1091). Die vielzitierte “note onymique” (N 15 [3312.1], EC (4), 36) aus den notes item, in denen Saussure seine semiologischen Überlegungen am weitesten vorangetrieben hat (N 15, EC (4), 35ff.), beschreibt den Grund für die geradezu „natürliche“ Illusion, die mit der Auffassung der Sprache als simpler Nomenklatur verbunden ist. Es gibt tatsächlich „dans l’ensemble de la sémiologie“ den besonderen Fall eines Objekte bezeichnenden Sprachgebrauchs, „où il y a un troisième élément incontestable dans l’association psychologique du sème, la conscience qu’il s’applique à un être extérieure …“. Der „Konstruktionsfehler“ der Linguistik liegt nach Saussure darin, diesen Sonderfall verallgemeinert zu haben. So skizziert er einen „Katalog fundamentaler Irrtümmer“ (N 15 [3313.1], EC (4), 37): ot f ¯ f ¯ ot Ferdinand de Saussure 297 1 0 Erreur des signes pris chacun pour soi. - Ou erreur de croire qu’une langue composée de 500 mots représente 500 signes + 500 significations. - Ou erreur de croire qu’on représente en rien le phénomène de la langue quand on se croit autorisé à dire ‘le mot et sa signification’, oubliant que le mot est entouré de (autres mots). In einer an Wittgenstein erinnernden, “sinnkritisch” zu nennenden Überlegung legt Saussure den Grundirrtum des auf der Konventionsanalogie aufgebauten Begriffs vom sprachlichen Zeichen frei: Weil nach dem Nomenklaturmodell die - in moderner Terminologie zu sprechen - Extension eines „Namens“ als gegeben vorausgesetzt werden kann, scheint dies zu berechtigen, das Zeichen (son, figure vocale etc) von seiner Bedeutung (sens, signification) zu unterscheiden. Doch ist die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks nur dann verständlich, wenn er in einen bestimmten Kontext anderer Ausdrücke eingebettet ist. Saussure umspielt hier den Sachverhalt, der für die durch Wittgenstein beeinflußte Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts zu einer fundamentalen Einsicht geworden ist: die Extension eines Begriffs ist nur feststellbar, wenn zuvor seine Intension verstanden wurde (cf. Simon 1981: 72ff. u. 134ff.). Die Begründung dieser These erfolgt in zweierlei Hinsicht: Einerseits ist die Betrachtung einer sprachlichen „Form“ wie z.B. μ unter dem Aspekt des Lautwandels oder im Zusammenhang eines Flexionsparadigmas immer nur eine Abstraktion von der „normalen“ Verwendungsweise der Form in der parole, in der sie immer eine bestimmte Sinnfunktion erfüllt; es gäbe ohne diese Funktion keine sprachliche Form (N 15 [3310.6]). Auch die formale Betrachtungsweise setzt ein Verständnis der Form „dans le discursif“ immer voraus (N 15 [3311.2] und [3314.4] ff.). Andererseits ist die „Bedeutung“ (sens, signification) einer sprachlichen Einheit immer nur durch den Gebrauch anderer sprachlicher Einheiten zu beschreiben. Keine Beschreibung des Sinns kann jedoch jemals vollständige Synonymie zwischen beschriebenem und beschreibendem Ausdruck erzielen. In immer neuen Reflexionen legt Saussure in den notes item den Sprache charakterisierenden entscheidenden Sachverhalt frei: Der Begriff einer sprachlichen ‚Form‘ impliziert stets den der ‚Bedeutung‘, umgekehrt der der ‚Bedeutung‘ stets den der ‚Form‘; folglich sind beide Begriffe bezüglich der Kennzeichnung einer sprachlichen Einheit äquivalent. Dies macht die Unvergleichlichkeit des semiologischen Systems Sprache aus. Der traditionelle Begriff des signe, der stets als Zeichen für etwas verstanden wurde, ist daher gänzlich ungeeignet, ihren besonderen Charakter zu kennzeichnen, er ist geradezu systematisch irreführend. Saussure entwirft folglich in diesen Skizzen eine Terminologie, die die mit der traditionellen semiotischen Begrifflichkeit verbundenen Trugschlüsse vermeiden soll, indem sie in ihrem Grundbegriff die oben bezeichnete Äquivalenz zum Ausdruck bringt: an die Stelle des Terms signe tritt der Term sème: le mot de sème écarte, ou voudrait écarter toute prepondérance et toute separation initiale entre le côté idéologique du signe. Il représente le tout du signe, c’est-à-dire signe et signification unis en une sorte de personnalité (N 15 [3310.12]). Keine sprachliche Einheit existiert anders denn als sème, d.h. als eine ‚Form‘, der wir insofern ‚Bedeutung‘ zusprechen können, als wir sie zusammen mit anderen derartigen ‚Formen‘ zu sinnvollen, d.h. verstehbaren sprachlichen Ausdrücken im linearen Verband der parole zusammensetzen. Eine Phonemfolge wie - bd - dagegen ist weder im Französischen noch im Deutschen als sème identifizierbar, weil es in beiden Sprachen keine Einheiten x und y gibt, so daß x + bd (bzw. bd + x) und x + y (y + x) interpretierbare Formen wären (cf. N 15 [3314.5]). Christian Stetter 298 18 In der Mitschrift Constantins handelt es sich um die Seiten [263] ff. Jedes sème ist jedoch „signe conventionell“ (N 15 [3310.11]) - das Arbitraritätsprinzip bleibt bis zur letzten Vorlesung von 1910/ 11 das Grundprinzip der saussureschen Semiologie. Angesichts der oben bezeichneten Äquivalenz kann dieses Prinzip in Bezug auf ein beliebiges sème nur besagen, daß in der Form a kein Grund dafür liegen kann, daß sie als a interpretiert wird. Saussure kommt so zu der scheinbar paradoxen Einsicht, daß ein sème für sich allein keinerlei Bedeutung hat; auf diesem für uns intuitiv uneinholbaren, nur logisch erschließbaren Sachverhalt beruht die eigentümliche Qualität der Sprache: Il y a défaut d’analogie entre la langue et toute autre chose humaine pour deux raisons: 1 0 La nullité interne des signes. - 2 0 La faculté de notre esprit de s’attacher à un terme en soi nul (N 15 [3316.1]. Erst diese Einsicht lenkt den Blick auf den entscheidenden zweiten, das sème konstituierenden Sachverhalt: es ist stets „signe faisant partie d’un système“ (N 15 [3310.11]). ‚Bedeutung‘ gewinnt die sprachliche ‚Form‘ dadurch, daß sie in systematischen Korrelationen zu andren ‚Formen‘ steht. Jedes sème ist bezüglich aller Einheiten desselben Sprachsystems ‚parasème‘. Die Verknüpfung von Einheiten zu Parasemien ist der entscheidende sinnkonstituierende Tatbestand, und diese Verknüpfung wiederum unterliegt einem zweiten semiologischen Grundprinzip, dem der „uni-spatialité“ (N 15 [3316.2]ff.) oder - wie es im CLG genannt wird - dem der Linearität des Signifikanten (cf. SM Nr. 116 und 124, pp. 83 u. 85). Die moderne Sprachphilosophie wird die diesem Prinzip entsprechende Einsicht in den Satz prägen, daß der Name nur im Satzzusammenhang Bedeutung habe (cf. Wittgenstein, Tractatus). Wird ein sème aus dem Kontext einer Parasemie isoliert, z.B. in morphologischer Analyse, so verliert es damit per se seine Zeichenqualität, wird zum Abstraktum, zum ‚aposème‘ (cf. Jäger 1985). Damit ist die logische Struktur des von Saussure skizzierten Zeichenbegriffs hinreichend offengelegt: der Begriff des parasème impliziert den des aposème. Der Grund wäre so gelegt für einen Übergang zur Morphologie und Syntax, deren Formen als notwendige Bedingungen zur Bildung interpretierbarer Parasemien zu entwickeln wären. Diesen Übergang hat Saussure jedoch nicht mehr vollzogen. Erst in der letzten der drei dem CLG zugrunde liegenden Vorlesungen ist er zu einer Fassung seiner semiologischen Einsichten gelangt, von der dieser Übergang für ihn erkennbar wurde, und in dem letzten, La langue überschriebenen Teil dieser Vorlesung wird man die Summe seines sprachphilosophischen Denkens erblicken können 18 . Gilt auch für das signe linguistique - die Terminologie der notes item greift Saussure hier, vielleicht aus didaktischen Gründen, nicht wieder auf - das Prinzip der radikalen Arbitrarität, so wird dieses doch aufgrund der Tatsache, daß das signe linguistique Bestandteil (Term) eines Systems ist, in synchronischer wie diachronischer Hinsicht eingeschränkt. Daß einem bestimmten Term a durch seinen Gebrauch in der parole ein bestimmter Wert (valeur) zugemessen wird, ist eben in dem Sinne nicht mehr willkürlich zu nennen, als das Verständnis dieses Wertes darauf beruht, daß a von koexistierenden Termen des Sprachsystems a’, a’’ usw. ebenso unterschieden wird wie von den in der parole vorausgehenden bzw. folgenden Termen b, c, d … . Der Wert eines Terms wird stets durch den Schnittpunkt zweier korrelativer Funktionen bestimmt, der „coordination syntagmatique“ auf der Ebene der parole (cf. III C 379) und der „coordination associative“ auf der Ebene der langue. Ferdinand de Saussure 299 19 Cf. III C 318: „Le Principe d’altération se fonde sur le principe de continuité“. 20 Cf. III C 373ff.: “La Linguistique statique”; dazu CLG 170ff. u. 189ff. Aus diesen Überlegungen wären Morphologie und Syntax zu entwickeln; zu mehr als Skizzen ist Saussure jedoch nicht mehr gelangt. Immerhin wird soviel deutlich, daß die berühmt gewordene Konzeption, wonach alles in der Sprache auf dem auf die Differenz gegründeten „Spiel der Signifikanten“ beruhe (cf. III C 404), bei Saussure selbst eingebettet bleibt in das Problem der Begründung linguistischer Kategorien (cf. hierzu auch Stetter 1985). Auch in diachronischer Hinsicht wird das Prinzip der radikalen Arbitrarität begrenzt: Obwohl in der synchronischen Perspektive der ‚sujets parlants‘ es als nicht mehr erklärbares Faktum hingenommen werden muß, daß der Term x eben so und so verwendet wird und folglich dies oder jenes ‚bedeutet‘, wird dies in diachronischer Perspektive verstehbar, nämlich aus der Bildungsgeschichte des betreffenden Terms. Gilt schon als synchronisch, daß der Gebrauch mancher Terme, z.B. neunzehn, auf den anderer Terme, hier neun und zehn, zurückführbar, mithin nicht arbiträr, sondern ‚relativ motiviert‘ ist (cf. III C 299f.), so muß dies in diachronischer Perspektive für jeden Term des Systems gelten. Die durch E. Benveniste initiierte Diskussion des Arbitraritätsprinzips (cf. dazu Engler 1962) hat dieses in der Regel im Sinne des traditionellen Konventionalitätsprinzips mißverstanden und dadurch den ihm von Saussure zugemessenen systematischen Sinn verfehlt. Erst durch die Beschränkung dieses Prinzips kann die Funktion der eine bestimmte langue kontinuierlich gebrauchenden und damit verändernden Gesellschaft 19 logisch beschrieben werden: die Gesellschaft qua Sprachgemeinschaft ist das pragmatische Subjekt, durch dessen Sprachgebrauch eine jede langue kontinuierlich tradiert und verändert wird. Sprachgebrauch impliziert eine fortwährende Interpretationsarbeit der sprechenden Subjekte (native speakers), in der alle Elemente des jeweiligen Systems, mithin auch morphologische, syntaktische und semantische Strukturen, ausgeprägt, tradiert und kontinuierlich verändert werden. Über wenige Skizzen, die in diese Richtung weisen, ist Saussure auch in seiner letzten Vorlesung nicht hinausgekommen 20 . Immerhin wird erst durch die Beleuchtung der Vermittlungsarbeit der „masse parlante“ der status des ‚fait social‘ verständlich, den Saussure der langue zuweist. Mit dieser Charakterisierung der Sprache ist eine linguistische Konzeption angedeutet, in der der Strukturalismus seinem vermeintlichen Gründervater nicht gefolgt ist, nämlich die Konzeption einer historisch-sozialen Begründung sprachlicher Kategorien auf der Basis der bezeichneten semiologischen Prinzipien. Theorien sprachlicher Universalien können sich nicht auf Saussure berufen. Dort, wo sich - etwa im Syntax-Konzept Chomskys - innerhalb solcher Theorien sprachphilosophische und logische Aporien zeigen (cf. hierzu etwa Simon 1971), könnte das Wiederanknüpfen an Saussures Überlegungen der „nachstrukturalen“ Linguistik philosophisch gangbare Wege weisen. 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While this is indeed the single most important fact about his thought, it is the detail with which he works out the idea that ensures him a place as a fixed star in the philosophical firmament, along with such philosophers as Spinoza, Leibniz and Wittgenstein who, whether they are right or not, must be taken into account in any systematic philosophising. Meinong’s strong brand of realism always had more opponents than supporters, and his unexciting style of thought ensured an even greater neglect, so, while a great philosopher, he is not a popular one. Nevertheless he greatly impressed Russell, and some of his ideas have been revived in the writings of logicians concerned with the semantics of modal logic and the logic of fictional discourse. It is in this guise of Meinongian semantics that he presently exerts the most influence. Meinong’s own rather cursory semantic theory contains elements missing from the modern versions, and offers a quite different perspective in the context of his other theories. Since to understand Meinong’s semantics one must first know something of these surrounding theories, I shall give a brief outline of what is necessary. In doing so, I shall largely abstain from criticism, evaluation, or an account of Meinong’s development. Fortu- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Peter M. Simons 302 nately Meinong’s philosophy after 1899 developed almost cumulatively, so the last five years of his life from 1915 provide a temporal section giving a fair synchronic portrait of his system in its definitive form. 2 Psychology Meinong’s chief philosophical concerns were descriptive psychology, epistemology, value theory and ontology, which he preferred to call ‘object theory’. The latter is the keystone of his system, although he only recognised its importance quite late. But it is impossible to understand Meinong’s object theory apart from his psychology, so we turn to that first. 2.1 Intentionality. Content and Object Meinong’s interest in psychology came from his teacher Brentano, and Meinong founded the first psychology laboratory in Austria-Hungary. He largely left experimentation to others, and in his work dealt chiefly with the a priori descriptive psychology Brentano also called phenomenology. For Brentano, the essential feature of the mental was its intentionality: every experience has an object. In his formulation of this doctrine, Brentano at first did not make clear the distinction between having an immanent, intramental object, and having a transcendent, extramental object. This ambiguity was first pointed out in print by Meinong and his student Höfler. Meinong later took over the terminology of another Brentano student, Twardowski, calling the immanent object content (Inhalt) and the transcendent object simply object (Gegenstand). Brentano’s doctrine could therefore be taken in one of two ways: (1) every experience has a content, (2) every experience has an object as well as a content. Husserl took the first way and acknowledged objectless experiences, but Twardowski took the second, arguing against Bolzano that all presentations (Vorstellungen) have objects. Twardowski was forced to conclude that sometimes, the object of presentation does not exist, although it has determinate qualities. This thought, later stylised as the Principle of the Independence of Being from Being-So, is thus to be found in Twardowski before Meinong, and can even be found in embryo in the writings of Thomas Reid. The importance of the content is that it is that aspect or moment of an experience, in virtue of which it is directed at its object. But the object of experience in general exists independently of its being experienced. This mind-independence thesis is the basis of Meinong’s realism. The content/ object distinction formed the basis for Meinong’s rejection of psychologism in ontology and value theory, and also plays a key role in his theory of meaning. 2.2 Classification of Mental Phenomena Brentano, following Descartes, divided experiences into three basic classes: presentations, judgments, and the phenomena of love and hate, the last subsuming affective and conative attitudes in a single class which Marty called ‘interests’. Presentations (the ideas of the British tradition) simply present things to a passive mind, whereas in judgment the mind is active, taking up an intellectual stance for or against the existence of objects. Interests are likewise positive or negative attitudes to objects judged to exist, but polar rather than binary opposites. Meinong on Meaning 303 In the course of time Meinong thoroughly revised Brentano’s scheme. Like many others he regarded the third group as heterogeneous and split it into affections (emotive feelings, likes and dislikes) and conative phenomena (desires, wants, wishes, willing). Meinong’s second and most original revision was to recognise intellectual attitudes which are neither presentations nor judgments. He called them assumptions (Annahmen). Like judgments, they have positive/ negative polarity, but like presentations, they lack the moment of conviction or commitment found in judgment. Meinong’s discovery was disputed by loyal Brentanians, but his case is overwhelming: in hypothetical and disjunctive judgments, neither part is judged or asserted, and in many subordinate clauses reporting others’ beliefs or doubting something, the embedded clause does not mark a judgment. Having seen this difference in “seriousness” between judgments and assumptions, which Meinong subsumed together under the general title of thoughts (Gedanken), Meinong generalised the distinction between “serious” and “phantasy” experiences to presentations, feelings and desires, for example those unserious feelings and desires experienced by someone watching a play. 3 Object Theory 3.1 Objectives Twardowski worked out the content/ object distinction fully only for presentations. Meinong in effect extended Twardowski’s dichotomy to the other three basic classes of experience. Brentano had talked about contents of judgment, but what these were remained unclear until the content/ object distinction was clarified. Several of Brentano’s students more or less independently developed the idea that judgments have their own category of object. Marty called them judgment-contents (Urteilsinhalte), Stumpf and Husserl called them states of affairs (Sachverhalte), while Meinong, who came to the conviction that there are such things only while working out his theory of assumptions, preferred the term objective (Objektiv). Next to the content/ object distinction, the distinction between objects of presentation, objecta (Objekte), and objectives, the objects (Gegenstände) of thought, is the most important distinction for Meinong’s semantics. It had a catalysing effect on his work and impelled him to take Twardowski’s nonexistent objects fully seriously. Objectives are for Meinong the true objects of thought. This latter phrase is deliberately ambiguous, and we shall see that Meinong’s theory indeed harbours a deep ambiguity. It suffices for the moment just to contrast objectives with objecta. When I judge that Franz is tall, then I judge something about Franz, the objectum, but what I judge is not Franz, but that he is tall. Objectives are typically signified by that-clauses in this way. An objective can also be judged about, as when I judge that it is surprising that Franz is married. What an objective is about we call its subjects. The relationship between a subject and its objective is not that of part to whole, although it is tempting to take this analogy. But if I judge that Rumpelstiltkin does not exist, while the objective does not exist in space and time, it does subsist or obtain (bestehen) and so has an ideal being, but Rumpelstiltskin has no being whatever, and so cannot be part of the objective. Meinong avoids here the cheap option of saying that he has being in thought, what he calls pseudo-existence, which is not a kind of being at all, but simply being-thoughtof. We notice here that there are various kinds of objective: objectives of being, e.g. that Franz exists, of non-being, e.g. that Rumpelstiltskin does not, of being-so e.g. that Franz is Peter M. Simons 304 tall, and of being-not-so, e.g. that Franz is not blond. Meinong later added objectives of beingwith Mitsein, corresponding to hypotheticals, e.g. that if Franz is married, then Franz is not a Catholic priest. The parallels between categories of objective and categories of sentence or judgment are obvious here. 3.2 Dignitatives and Desideratives Objecta and objectives are both objects of cognitive or intellectual experiences. Meinong later added two further categories of object, corresponding to feelings and desires, which he called dignitatives and desideratives respectively. Both presuppose objectives and objecta, but dignitatives are akin to objecta, whereas desideratives are akin to objectives (one likes something, but desires that something be the case). Meinong did not jump straight to the conclusion that feelings and desires have their own objects: he made the move only when he had become convinced that a subjectivistic account of values was not wholly sufficient. Dignitatives and desideratives are the bearers of objective values and desiderata, which Meinong termed impersonal. As elsewhere in his philosophy, he secures objectivity via the mind-independence of the relevant category of objects. 4 Analogy between Psychology and Object Theory There is a fearsome symmetry about Meinong’s two classification schemes, the psychological and the ontological. Each basic class of experience corresponds with a basic class of objects, and vice versa: presentations with objecta, thoughts with objectives, feelings with dignitatives, and desires with desideratives. Had Meinong been an idealist, this would have been unsurprising, since the objects would then be the products or reflections of the mental acts giving them. But Meinong is adamant in his realism. With very few exceptions, he thought that the objects of acts are quite independent of experience. So e.g. the object airship was not invented, but discovered, when men found out how to make airships. While acts of the right kind are precisely suitable for grasping objects of the right kind, the general independence of the objects is inviolate. Meinong had no Leibnizian God to establish this harmony beforehand, and offered no other explanation, such as an evolutionary one, to take the place of the theological one, so what can explain the parallels? In my view nothing can successfully explain them, since I do not believe there are such neat correspondences, but why did Meinong think there were? Here I think we must dig a little deeper into Meinong’s motivation, which emerges only here and there. In my view, Meinong was guided by linguistic considerations. The basic categories of object as well as the basic categories of experience both correspond fairly neatly with certain simple grammatical distinctions: objecta with words and phrases, objectives with dependent and independent declarative clauses. Optatives, imperatives and questions all express certain desires, and hence correspond in many cases to desideratives. Meinong rarely makes much fuss about the importance of language, but at one crucial juncture he says: “In dealing with the meaning of words and sentences, linguistic science is necessarily also concerned with objects, and grammar has done the spadework for a theoretical grasp of objects in a very basic way” (Meinong 1968-78 b: 496, Meinong 1960: 88). Later he adds: “One is tempted to say that the general theory of objects must learn from grammar just as the specialised theory of objects must learn from mathematics” (Meinong 1968-78 b: 513, Meinong 1960: 103). Meinong on Meaning 305 At various points where Meinong is weighing up the pros and cons of admitting another sort of object, he is swayed by examples where language points out affinities: for instance, when coming down in favour of objective, impersonal values, he notes that The sky is blue and The sky is beautiful are both predications of the same form. While not determined by these natural linguistic affinities, Meinong let himself be guided in his decisions by them. This entitles us to describe Meinong’s attitude to language as naïve, pre-critical or commonsense. That does not mean it is wrong: the evidence of untutored common sense is often right against the sophistications of various idealisms. But the case cannot rest with common-sense intuitions. They have to be examined. Unfortunately, Meinong’s own philosophy of language is too undifferentiated to provide the wherewithal for such an examination, as we shall now see. 5 Theory of Meaning 5.1 General Meinong took no particular interest in language as such, neither for its own sake, like Marty, nor for its importance to logic, like Husserl. What little he says about grammar seems to have come down to him from the tradition. Yet the relation of presenting or signifying obtaining between experiences and their objects is of absolutely central importance to his philosophy. His semiotics is principally one of mental rather than linguistic signification, which places him in the tradition of Aristotle and Ockham. On the general relationship of signifying Meinong has not much to say, being content with a formulation of Husserl’s to the effect that A is a sign of B if the presence of A allows one to infer that of B. Thus while something may be a sign of something else without being taken as a sign of it, it only functions as a sign when someone makes the inferential move from sign to significatum. Meinong’s theory of meaning, like that of Husserl, has no place for an impersonal relationship between sign and significatum which does not go via the experience of conscious subjects. 5.2 Expression It should be noted that Meinong starts from the concrete phenomenon when discussing language: the particular episodic use (utterance or reception) of a sign by a language user. In the case of sign production, what such an uttering first signifies is that the utterer has something in mind. The words serve as the expression (Ausdruck) of a mental episode on the part of the utterer. When Franz says The cat is on the mat he expresses with the sentence a judgment to this effect normally, while his utterance of cat expresses his having a presentation of a cat. When he says Doris is beautiful he gives expression to a positive evaluative feeling, and when he says If only it were sunny! he expresses a wish to this effect. The utterance of expressions in modified circumstances, for example on the stage, still serve as expressions, but for the most part of corresponding phantasy-experiences. That which a concrete sign or sign-use expresses is not what the expression means - Meinong castigates the Lockean theory that words in general mean something mental. He sees this as a special case of failing to distinguish content from object. Peter M. Simons 306 5.3 Presenting and the Relative Product Theory What a sign in fact means on any occasion of use is the object of the experience which it expresses. The relationship between experience and object Meinong calls presenting (präsentieren - vorstellen is only a special case, that of ideas or presentations.) Summing up his theory for the case of words, Meinong (1968-78: IV.28) writes: “A word means something insofar as it expresses a presenting experience, and the object which is presented by this experience is the meaning.” The relationship between word - in general expression - and that which it means is thus what logicians call the relative product of the two relations of expressing and presenting. This theory is generalised by Meinong initially from ideas to thoughts, i.e. from words and phrases to clauses, so that the meaning of a clause is the objective presented by the thought expressed, which may be a judgment or an assumption. The obvious further generalisation to dignitatives and desideratives is not so straightforward however, since these only correspond to objectively valid values and desiderata. In any case, Meinong does not deal with the language of likes and wants in any detail, so any account would have to be an extrapolation of his account of cognitive language. Two things must be noted about the relative product theory. The first is that the meaning of an expression, if it has one, is always an object. It is only half-correct to say that this involves Meinong in a referential or Fido-Fido theory of meaning. For referring or naming is only one of the modes of meaning, that of phrases, perhaps only noun-phrases. On the other hand, to the extent that the relationship between a name and its bearer serves as the prototype for the meaning-relation in general - and it does appear to serve this role in Meinong - the charge has something to it. In this Meinong is no worse than his contemporaries, and better than most, in that he goes to some lengths to stress the categorical difference between meaning an objectum and meaning an objective. For Meinong, as for Frege and Wittgenstein, sentential or clausal meaning is primary, and names and other phrases only mean to the extent that they occur in clauses. This insight was extremely important to Meinong, and coincided with his placing objectives at the centre of his ontology. This central position of objectives or states of affairs is what subsequent Meinongian semantics has most neglected, and to that extent Meinong has been followed only half-heartedly. The other point to note is that language owes its signifying power entirely to that of the mind. It is only because people may grasp objects presented to them in experience that words may mean. Words are, strictly speaking, inessential to this achievement. Words serve in communication, and communication succeeds when the utterance of the speaker arouses in the hearer experiences which have just the same objects as those of the speaker. To the speaker himself such utterances are unnecessary except perhaps as auxiliaries to clarity. Of course in this rather primitive theory Meinong is overlooking the possibility that certain kinds of experience rely heavily, even in some cases essentially, on the supporting framework of a language. Whether such support is only a reflection of the limitations of human psychology is not discussed by Meinong, who does not pursue the social dimension of language any further than we have indicated. 5.4 Secondary Meaning While the concrete occurrence of a sign is the primary linguistic phenomenon, Meinong accepts that we may say of a sign in the abstract that it has a certain meaning, which we may call a potential meaning as distinct from the current meaning of its particular uses. This Meinong on Meaning 307 potential meaning is roughly speaking the common denominator of the various current meanings; it is this which finds its way into a dictionary. There is another way in which expressions may acquire a secondary meaning. When Lucki says I have a toothache, then on this occasion the token of toothache means just his toothache, but because we know that a toothache is unpleasant, the word secondarily indicates Lucki’s negative feeling, and so, via this secondary expression, the word acquires a secondary meaning. Not all expressions which express an experience thereby mean something: exclamations like Ouch! , the answer-words Yes and No and empty politeness phrases like My pleasure have no sense, although they serve to convey something about the speaker to the hearer, e.g. his assent or his pleasure. Of course any expression which does express an experience has meaning in the broader sense of importance or significance, but not in the technical sense of presenting the object of an experience. At the time he compiled this theory, Meinong was inclined to reckon all expressions of feeling as meaningless in the technical sense; the later acceptance of value-objects partly revised this view. 6 The Semantic Role of Objectives Objectives are the objects of thought. As such they are intimately connected with the properties of truth and falsity. But there is more than one way to be connected with these properties. Meinong’s view was this: what we state, judge or assume is true if and only if the objective obtains (besteht). Obtaining or subsisting is a form of ideal being outside space and time, shared also by mathematical objects like numbers. Since Meinong accepts a law of excluded middle for objectives, and objectives come in contradictory pairs, an objective obtains if and only if its contradictory does not obtain. So the objectives of false thoughts have no being at all, although false thoughts do have objectives - otherwise they would be meaningless. Obtaining objectives may be said to be factual, or simply called facts. So true judgments are ones which mean facts. But the truth of a judgment or other thought is a derivative property: it is the obtaining or not obtaining of the objective which secures the objectivity of truth. To this extent objectives are what make thoughts true or false: they are truth-makers. On the other hand Meinong regards the truth or falsity of thoughts as derivative from the primary truth or falsity of objectives themselves, an objective being true if and only if it both obtains and is grasped by someone, and false if and only if it both fails to obtain and is grasped by someone. In this sense objectives are also the primary truth-bearers. If we compare this with theories like those of Husserl, Reinach, Russell and Wittgenstein, for whom the roles of truth-bearer (typically a proposition) and truth-maker (typically a state of affairs) are played by different objects, we see that Meinong cannot hold to a correspondence theory of truth - Findlay rather aptly calls it an identity theory. To the extent that Meinong did not clearly distinguish these two roles, his theory is confused. In my view objectives better fit the role of truth-maker; Meinong’s insistence that they be true or false seems more dispensable. With this modification it is possible to push Meinong towards a more traditional correspondence theory, the truth-bearers being primarily thoughts, and secondarily sentences. Factuality is a modal property of objectives, and Meinong considers others, in particular those of necessity and possibility. His theory is rather obscure, and has rarely been carefully considered, in part because it adopts a quite different approach than that usually found in modern modal logic. Part of the theory involves consideration of incomplete objects, which are more interesting for his semiotic. Peter M. Simons 308 7 Incomplete Objects and Mediated Reference Meinong is notorious for his defence of impossible, self-contradictory objects, even in the face of penetrating criticism by Russell. In fact, despite the self-congratulatory account Russell gives of the exchange, Meinong came out at least even. Impossible objects are, however, relatively uninteresting philosophically, whereas incomplete objects are more promising. An object is incomplete if it is undetermined with respect to at least one contradictory pair of properties. For instance fictional objects are determinate with respect to only finitely many properties. When we apprehend a real object, we are given only finitely many of its characteristics in thought, whereas every real object, being fully determinate, can never be grasped in all its aspects. The experience which presents an object has a content which is, however, adequate to a much sketchier object which has just those properties meant as aspects of the content. This object is incomplete. We may therefore, for epistemological purposes, indulge the convenient fiction that this incomplete object is the immediate object of a schematic experience, and by virtue of the mediation of this auxiliary object we have access to the ultimate target object, which is the complete object of which we have only a sketchy grasp. Meinong develops an elaborate theory of the relationship between auxiliary and target objects, including the idea that by being embedded, or, as he says, implected in a complete object, an incomplete one may gain a vicarious hold on existence, which Meinong calls implexive being. The details of this theory are less important for us than the fact that it throws up numerous parallels to other semantic theories. For one thing, incomplete objects are very similar to Locke’s abstract ideas, if these are tidied up logically, and therefore indirectly to the universals of realist tradition. They are also comparable with Leibniz’s full concepts, which, unlike his complete concepts, are only finitely complex, and constitute the meanings of general terms. Finally Meinong’s incomplete objects bear more than a passing resemblance to Frege’s senses, and could therefore be profitably fitted into a Fregean framework of sense as auxiliary object and reference (target object), the main difference being that Meinong regards the mediating role of incomplete objects as a convenient fiction only, the real work being done by the content whose reflection the incomplete object is. It is ironic that Russell, who attacked both Frege and Meinong on their semantic theories, and did away in his own account with anything like senses, went over to a theory structurally similar to Meinong’s original one (psychology aside), while Meinong, as it were, passed him going in the opposite direction, seemingly introducing an extra layer of complexity into his semantic theory. Had he been more interested in language for its own sake, Meinong might have worked out the promising consequences of his theory, but instead he returned to his abiding interest in value theory in the remaining few years of his life. 8 Bibliographical Guide To fully document Meinong’s views as here reported would entail doubling the length of this article. For comprehensive references see the paper Morscher & Simons 1985. Meinong’s works are collected in an eight-volume Gesamtausgabe (Meinong 1968-78); particularly relevant are Über Annahmen (Meinong 1968-78 d), Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit (Meinong 1968-78f) and Über emotionale Präsentation (Meinong 1968-78 c: 283-468). The best introduction and commentary is still Findlay 1963, but Grossmann 1974 is also worth reading. For modern Meinongian semantics see especially Parsons 1980 and Meinong on Meaning 309 Routley 1980. For the Independence Principle without Meinongian objects see Lambert 1983. Russell’s commentary on Meinong is in Russell 1973; for a detailed account of their controversy see Simons 1988. On truth-making see Mulligan, Simons & Smith 1984; on the roles of truth-makers and truth-bearers in guaranteeing objectivity see Morscher & Simons 1982. On incomplete objects and some of their uses see Lambert 1985. The collection Simons 1985 covers divers aspects of Meinong’s philosophy and contains a comprehensive bibliography. References Findlay, John N. 2 1963: Meinong’s Theory of Objects and Values, Oxford: Clarendon Grossmann, Reinhardt 1974: Meinong, London: Routledge & Kegan Paul Höfler, Alois & Alexius Meinong 2 1980: Logik unter Mitwirkung, Vienna: Tempsky Lambert, Karel 1983: Meinong and the Principle of Independence, Cambridge: Cambridge Univ. Pr. Lambert, Karel, unpublished: “Incomplete Objects: Meinong’s Conception and its Applications.” Meinong, Alexius 1960: “The Theory of Objects”, in: Roderick M. Chisholm (ed.) 1960: , Realism and the Background of Phenomenology vol. 1, Atascadero (Calif.): Ridgeview Publ. Company, 76-117 Meinong, Alexius 1968-78 a: Gesamtausgabe vol. 1: Abhandlungen zur Psychologie, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt Meinong, Alexius 1968-78 b: Gesamtausgabe vol. 2: Abhandlungen zur Erkenntnistheorie und Gegenstandstheorie, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt Meinong, Alexius 1968-78 c: Gesamtausgabe vol. 3: Abhandlungen zur und Werttheorie, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt Meinong, Alexius 1968-78 d: Gesamtausgabe vol. 4: Über Annahmen, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt Meinong, Alexius 1968-78 e: Gesamtausgabe vol. 5: Über philosophische Wissenschaft und ihre Propädeutik, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt Meinong, Alexius 1968-78f: Gesamtausgabe vol. 6: Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt Meinong, Alexius 1968-78 g: Gesamtausgabe vol. 7: Selbstdarstellung, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt Meinong, Alexius 1968-78 h: Gesamtausgabe vol. 8: Kolleghefte und Fragmente, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt Meinong, Alexius 1972: On Emotional Presentation, trans. M.-L. Schubert Kalsi, Evanston: Northwestern Univ. Pr. Meinong, Alexius 1983: On Assumptions, trans. J. Heanue, Berkeley: Univ. of California Pr. Morscher, Edgar & Peter M. Simons 1982: “Objektivität und Evidenz“, in: Josef Seifert, Fritz Wenisch & Edgar Morscher (eds.) 1982: Vom Wahren und Guten, Salzburg: St. Peter, 205-220 Morscher, Edgar & Peter M. Simons 2001: “Meinong’s Theory of Meaning”, in: Liliana Albertazzi, Dale Jacquette & Roberto Poli (eds.) 2001: The School of Alexius Meinong. Aldershot-Burlington, 427-455. Reprinted with corrections in: Edgar Morscher & Peter M. Simons, Joint Ventures in Philosophy. Sankt Augustin: Academia, 2014, 43-77 Mulligan, Kevin, Peter M. Simons & Barry Smith 1984: “Truth-Makers”, in: Philosophy and Phenomenological Research 44 (1984): 287-321 Parsons, Terence 1980: Nonexistent Objects, New Haven: Yale Univ. Pr. Routley, Francis Richard 1980: Exploring Meinong’s Jungle and Beyond, Canberra: Australian National University Russell, Bertrand & Douglas Lackey (ed.) 1973: Essays in Analysis, London: Allen & Unwin Simons, Peter M. (ed.) 1985: Essays on Meinong, Munich: Philosophia Simons, Peter M. 1988: „Über das, was es nicht gibt: die Meinong-Russell-Kontroverse“, in: Zeitschrift für Semiotik 10.4 (1988): 399-426 Twardowski, Kasimir [Kazimierz] 1977: On the Content and Object of Presentations, The Hague: Njhoff Twardowski, Kasimir [Kazimierz] 1983: Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen, München: Philosophia Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! Kennosuke Ezawa / Franz Hundsnurscher Annemete von Vogel (Hrsg.) Beiträge zur Gabelentz-Forschung 2014, XXII, 301 Seiten, €[D] 68,00 / SFr 87,60 ISBN 978-3-8233-6861-8 Der Sprachforscher Georg von der Gabelentz (1840-1893) war bislang mit seinen sprachtheoretischen Ansätzen als Vorläufer der modernen Linguistik oder mit seiner „Chinesischen Grammatik“ (1881) als Verfasser eines Werks in einem eigenen methodischen Konzept bekannt. Dieser Sammelband, der aus der Gabelentz-Konferenz und -Ausstellung 2010 anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden ist, stellt den großen Sprachwissenschaftler, der dort von 1889 bis zu seinem frühen Tod als ordentlicher Professor für Sinologie und allgemeine Sprachwissenschaft wirkte, in einem wissenschaftsgeschichtlichen Konzept vor, das als Leitfaden zum Verstehen seines wissenschaftlichen Schaffens dienen kann. 2009 und 2013 erfolgte die Verleihung des ersten und des zweiten Georg von der Gabelentz Award der Association for Linguistic Typology, einer Disziplin, die eine neue Forschungsrichtung der Linguistik darstellt und deren Aktualität im universellen Geist Wilhelm von Humboldts begründet ist, in dessen Nachfolge Gabelentz sein Ziel als Wissenschaftler verfolgt hatte. Eine G. v. d. Gabelentz-Bibliographie ist in diesem Band enthalten. * Dieser Aufsatz ist eine fortentwickelte und ergänzte Fassung der Seiten 32-45 aus meinem Buch Leere und Fülle. Ein Essay in phänomenologischer Semiotik, Muenchen: Fink 1987. Für eine Semiotik des Artefakts * Önay Sözer The starting-point of this article is the definition of linguistic phenomena by Roman Jakobson as “an artefact made for aims of language”, which brings together the real and the fictional aspects. Following the implications of this definition, the phenomenological-semiotic problems of “whole and parts” and “double articulation” are developed with regards to language, mythology and works of art as genuine artefacts. The general framework for all this subject-matter is the phenomenological horizon-consciousness which separates and combines the perceived reality with the potentialities of the unseen. 1 Für eine Theorie des Artefakts Was ist eigentlich Sprache? Ist sie eine Fiktion oder ein reales Wesen? Aber vielleicht gibt es noch ein Drittes? Elmar Holenstein antwortet: Sprachliche Phänomene sind weder fiktional noch real im metaphysischen Sinn, sondern real in einem konzeptualistischen Sinn, sei es als partiell wenigstens introspektiv/ intuitiv zugängliche internalisierte Grammatik, sei es als neurologisch erforschbarer Kode, nach dem Gehirnprozesse ablaufen (Holenstein 1981: 201). Die Gehirnprozesse des Menschen gehören schon zu seiner natürlichen Seite (die neurologisch erforschbar ist); die intuitiv erfaßbare Seite ist aber nicht mehr Natur (als bloße Natur), obwohl sie sich allerdings in Gehirnprozessen erfassen läßt. Wir wollen hier das Folgende annehmen: Die Einheit der beiden Seiten der Sprache, d.h. der natürlichen und der intuitiven, besteht in ihrem Charakter als ein Artefakt, durch den sich das Reale und das Fiktive gegenseitig ergänzen. R. Jakobson hat auf einige wesentliche Züge dieses wichtigen Begriffs schon hingewiesen, aber ihn nicht weiterentwickelt. Seiner Auffassung nach soll er der umfassendste Begriff sein, den wir überhaupt von dem sprachlichen Phänomen haben können: All the constituents of the speech sound in its diverse phases from emission to the use and interpretation by the speaker and listener have to be examined and delinuted with all the technical contrivances at our present disposal and with a consistent attention to the linguistic functions fullfilled by any component of the sound, because the whole of the speech sound is an artefact made for the aims of language (Jakobson & Waugh 1979: 233). “The whole of the speech sound” ist demzufolge weder ein metaphysisches Ganzes (das ist von vornherein klar) noch eine nur „regulative Idee“ im Kantischen Sinne, um die Sprachfor- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Önay Sözer 312 schung kontinuierlich und ergänzend weiter zu führen. Die Sprache als Sprachlaut ist etwas Gemachtes, Künstliches, und in diesem Sinne ist sie wirklich. Als ein ge-machtes Ganzes spiegelt sie sich in ihren Teilen wider, die alle in concreto erforschbar sind. Mit anderen Worten: Es besteht eine wechselseitige Entsprechung zwischen dem sprachlichen Ganzen und seinen Teilen (eine Entsprechung, die nicht als eine einfache Symmetrie verstanden werden darf, wie es sich noch zeigen wird). Das Ganze des Sprachlautes (immer im Verhältnis auf seinen Teilen) zu erforschen ist für die Phonologie schon ein unendliches Programm, dem es um viele noch zu entdeckende Einzelheiten geht, wie es auch in dem obigen Zitat von R. Jakobson sichtbar wird. Für die Semiotik aber muß man dieses Programm in eine sachgemäße Einheit bringen. Der Focus auf die Semiotik bedeutet gleichzeitig eine ergänzende Bewertung der sprachwissenschaftlichen Fachthematik und ermöglicht einen internen Vergleich der Zeichensysteme. Dadurch kann die Semiotik zur Bestimmung des ganzen Phänomens „Kultur“ beitragen (da das, was wir „Kultur“ nennen, sich im Ganzen mit dem Zeichengebrauch deckt). Anders gesagt: Die Sprache ist nicht der einzige Artefakt: alle möglichen Zeichen und Zeichensysteme sind im Grunde genommen Artefakte, die sich nach der Weise ihres Gemachtwerdens voneinander unterscheiden. Es gibt also innere Grenzen im Rahmen des Begriffs Artefakt, sie bezeichnen die Unterschiede von Zeichensystemen; aber es gibt auch eine äußere Grenze des Artefakts als die Grenze des Gesamtwesens des Kulturellen gegenüber der Natur. Diese Grenze ist jedoch sowohl eine Trennungsals auch eine Verbindungslinie zwischen Natur und Kultur. So ist die Sprache zwar eine kulturelle Schöpfung, aber sie funktioniert auch als ein Ausdruck der natürlichen Emotionen. Wir wollen also den Begriff Artefakt, den Jakobson zunächst für den Sprachlaut bzw. die Sprache gebrauchte, auf alle möglichen Zeichensysteme ausdehnen und gleichzeitig den Sprachlaut selbst primär nach seiner Zeichenfunktion als etwas zum Bezeichnen Gemachtes definieren. Das Ganze des „Semeions“ ist ein Artefakt, also ein Produkt des menschlichen Machens, eine selbst-gemachte Welt, die sich als eine Kulturtotalität darstellt und sich zugleich mit den anderen Sphären, nämlich der der (Natur-)Objekte und der der Gedanken in Verbindung setzt. Eine Theorie des Artefakts muß sich immer im Hinblick auf diese Totalität mit den einzelnen Artefakten beschäftigen, alle Zeichen als Produkte eines „Machens“ und im Prozeß des „Machens“ betrachten; Artefakte sind so in einem Resultate und Vorgänge, Entwürfe und Relikte usw. Bleiben wir zunächst bei der Sprache. Was bedeutet der Sprachlaut als ein Artefakt? Der Sprachlaut begrenzt sich zunächst gegenüber den nicht sprachlichen Lauten wie Geräusche, tierische Stimmen usw., und zwar in allen seinen Erscheinungen als etwas qualitativ Verschiedenes. „The idea of ‘gross, raw’ phonic matter, ‘amorphous substance’ is a fiction. Discrete articulated sounds did not exist before language, and it is pointless and perverse to consider such ‘phonic stuff’ without reference to its linguistic utilization” (Jakobson & Waugh 1979: 29). Jakobson weist darauf hin, daß sowohl die alten indischen Sprachlehren als auch Thomas von Aquin diese wichtige artifizielle Seite des Sprachlauts betont haben. Ebenso hatte Hegel die Aufmerksamkeit auf die Eigenart des artikulierten Tons gegenüber der bloß kundgebenden Funktion der Sprache gelenkt: „Der Ton“ ist schon „die erfüllte Äußerung der sich kundgebenden Innerlichkeit. Der für die bestimmten Vorstellungen sich weiter artikulierende Ton, die Rede und ihr System, die Sprache“ aber „gibt den Empfindungen, Anschauungen, Vorstellungen ein zweites, höheres als ihr unmittelbares Dasein, überhaupt eine Existenz, die im Reiche des Vorstellens gilt“ (Hegel 1969: 369f.). Die Auffassung der Sprache im ganzen als ein Artefakt, als Sprungbrett für ein höheres Dasein und ihre Auszeichnung vor den natürlichen Lautphänomenen hat ihre wissenschaftliche Begründung in der modernen Für eine Semiotik des Artefakts 313 1 Der Bericht über diese Untersuchung enthält eine lange Liste dieser verschiedenen Gehöreindrücke, die von Klingeln und Geräuschen bis zu tierischen und menschlichen Schreien und zu „Lachen als Weinen“ aufsteigt. 2 Nicolas Ruwet betont die Modellhaftigkeit dieser Verhältnisse, trotz ihrer unbeschränkten Verschiedenheit eine Ansicht, die durchaus mit dem oben Gesagten zu vereinbaren ist: „A vrai dire, la reconnaissance du caractère relationnel des traits distinctifs n’implique pas nécessairement qu’un seul type de relation-l’opposition binaire-ait cours parmi eux. Théoriquement, d’autre types de relations sont possibles. Mais, d’abord, l’opposition binaire est le type le plus simple de relation, et est donc particuliêrement apte à être utilisée dans un système on la seule fonction des relations est de distinquer, de maintenir les termes différents (Ruwet 1963: 14). Neurologie gefunden; die sogenannte Split-Brain-Theorie bestätigt heute, daß die beiden Gehirnhälften unabhängig voneinander verschiedene kognitive Funktionen verwirklichen können. Die linke Gehirnhälfte ist für das Sprachverstehen und das Sprechen, die rechte Gehirnhälfte für andere Aktivitäten wie räumliche Vorstellungen, Emotionen, aber auch für nicht-sprachliche Gehöreindrücke dominant. Eine neuere russische Untersuchung hat gezeigt: „Untersuchungspersonen mit zeitweise inaktivierter rechter Gehirnhälfte waren hilflos angesichts einer Folge unterschiedener Gehöreindrücke, die vollkommen unterscheidbar waren, solange diese Gehirnhälfte ihre Aktivität aufrechterhielt“ (zitiert von Jakobson 1981: 25). 1 Diese Untersuchung führt deutlich vor Augen, daß der sprachliche Artefakt zunächst formal-ontologisch dieses Ganze des Sprachlauts ist im Unterschied zum nicht-sprachlichen, nicht-artikulierten Laut. Wenn wir nach dem bestimmten Inhalt des Sprachlauts fragen, müssen wir eine dreistellige Unterscheidung machen: der Laut selber ist das Substratum, das Phonem ist der funktionale Aspekt dieses Substratums; und schließlich geben uns die distinktiven Eigenschaften, in die jedes Phonem prinzipiell zerlegbar ist, die letzten nicht mehr analysierbaren Bausteine des Sprachlauts an die Hand (Jakobson 1978: 37). Das Phonem steht gleichzeitig in zwei Verhältnissen, es bezieht sich auf das Lautsubstratum und auf seine eigenen distinktiven Eigenschaften. Das erste Verhältnis beschreibt Jakobson in folgender Weise: The phoneme is not identified with the sound, yet nor is it external; it is necessarily present in the sound, being both inherent in it and superposed upon it: it is what remains invariant behind the variations (ibid.: 85). Also: das Phonem stellt selbst eine Verdoppelung dar. Es ist seinem Lautsubstratum inhärent, aber gleichzeitig überlagert (superposed) es auch sein Lautsubstratum. Es ist das Invariante in dem Laut und auf diese Weise grenzt es ihn von anderen aus und zugleich setzt es ihn in ein Netz von oppositionellen Verhältnissen. Die Zerlegbarkeit des Phonems in die Bündel der distinktiven Eigenschaften läßt es an einer bestimmten Relationalität teilnehmen. Die Theorie der distinktiven Eigenschaften, die zuerst im Prager-Kreis erarbeitet, später aber von Jakobson systematisiert wurde, bestätigt, daß es insgesamt zwölf relationelle (oppositionelle) Eigenschaften gibt, die als solche den phonologischen Grundbau aller Sprachen der Welt ausmachen: Sie können wieder in Sonoritäts- und Tonalitätseigenschaften unterschieden werden (Jakobson 1971 a: 484-486). Das Ganze dieser oppositionellen Verhältnisse, die jedoch noch nicht vollständig erschöpft sind, gibt uns auch die Ganzheit des sprachlichen Artefakts. 2 Es ist natürlich nicht so, daß jede Sprache auf der Welt alle diese Oppositionen besitzt. Sie bilden nur das allgemeinste Reservoir, aus dem jede Sprache ihre Selektionen macht. Dieses Reservoir ist ein universaler Artefakt, innerhalb dessen es besondere Artefakte gibt: einzelne Sprachen, die mit ihren vielfältigen Verwirklichungen von der Alltagssprache bis zur Literatur reichen. Önay Sözer 314 Das semiotisch-teleonomische Machen, das den sprachlichen Artefakt zustande bringt, hat seine eigene Wert-Skala. So schreibt Jakobson: „It is not the acoustic phenomenon in itself which enables us to subdivide the speech chain into distinctive elements; only the linguistic value of the phenomenon can do this“ (ibid.: 10). Diesen linguistischen Wert wollen wir hier als einen sozial-heuristischen definieren. Dies bedeutet zunächst, daß die Sprache nach ihrem feinen, komplizierten Bau der Lautverhältnisse als ein Resultat der phylogenetischen Entwicklungsgeschichte der Menschheit verstanden werden soll. Die Gesamtheit der Lautreaktionen des Menschen ist im Grunde genommen ein kommunikativer, intersubjektiver Versuch, sich in seiner Umwelt zu orientieren. Dem Objekt- und Weltbezug dieser Orientierung entspricht die heuristische, erfinderische Selbstbezogenheit der Sprache, die sich primär nach den Regeln eines kaleidoskopischen Lautspiels erklären läßt (dieses Lautspiel kann man letztlich auf die immer neuen Kombinationen der Kopplungen von distinktiven Eigenschaften zurückführen). Diese Heuristik hat keine direkte methodologische Funktion innerhalb der Wissenschaften, sondern sie liegt ihnen zugrunde: Wir finden hier eine anonyme Heuristik am Werke, die als Basis und eigentlicher Wegweiser allen Sprachwandels gilt. Worauf wir hingewiesen werden, sind diejenigen Punkte, in denen „parole“ und „langue“ wahrhaft zur Deckung kommen. Dies findet in vielen sprachlichen Erscheinungen statt, zu denen Archaismen und Neologismen, Schüttelreime und stilistische Variationen u.s.w. gehören. Von diesem teleonomisch-heuristischen Standpunkt aus erscheint die Sprache gleichzeitig als etwas Gemachtes und auch als ein Sich-Machendes: Es ist ein Produkt, das sich selber produziert. Produkt und Selbst-Produkt sind die beiden Pole der oben genannten Selbstbezogenheit. 2 Ein Ganzes in seinen Teilen? Betrachten wir die innere Struktur des sprachlichen Artefakts näher. Jakobson legt Gewicht auf die Relativität der sprachlichen Teil-/ Ganzes-Verhältnisse: „From a realistic standpoint language cannot be interpreted as a whole, isolated and hermetically sealed, but it must be simultaneously viewed both as a whole and as a part“ (Jakobson 1971 b: 282). Nehmen wir als Ausgangspunkt das Wort: Es ist ein Ganzes, das aus Phonemen aufgebaut ist. Es resultiert aus zwei Artikulationen, die in der Wort- und Phonemebene geschehen. Bei jedem Wort, das wir aussprechen, schaffen wir eine Sinneinheit aus den an sich nicht direkt sinntragenden Elementen. Man hat in der linguistischen Theorie diese Struktur des Wortes die doppelte Artikulation genannt. Der Begriff geht auf das Mittelalter zurück; in neuerer Zeit wurde er von D. Bubrix, André Martinet und R. Jakobson weiter entwickelt. Die erste Artikulation (der Phoneme) ist sinndeterminierend, die zweite (des Phonems) dagegen sinndiskriminierend. Nach Jakobson sind die sinndiskriminierenden Elemente nicht sinnlos, sie „bedeuten“ („signifying“) etwas, aber in einer negativen Weise: Sie unterscheiden die Wortbedeutungen voneinander (cf. Jakobson 1978: 67). Wir können jetzt nach dem Modell der doppelten Artikulation den sprachlichen Artefakt besser und näher definieren: Sprachlicher Artefakt ist das sprachliche Zeichen (zweite Artikulation), das durch die Vermittlung anderer Zeichen (erste Artikulation) gemacht worden ist. Jakobson sieht nun das ganze Phänomen der doppelten Artikulation beim sprachlichen Artefakt in einem sehr breiten anthropologischen und kulturellen Zusammenhang: We may connect three universals among the exclusively human achievements: 1) manufacture of tools to build tools: 2) rise of phonemic, purely distinctive elements, deprived of their own Für eine Semiotik des Artefakts 315 meaning but used to build meaningful units, namely morphemes and words; 3) incest taboo, conclusively interpreted by anthropologists […] as the indispensable precondition for a wider exchange of mates and thereby for an expansion of kinship and for a consequent build-up of economic, co-operative, and defensive alliances. As a matter of fact, all of these three innovations introduce pure auxiliaries, secondary tools necessary for the foundation of human society with its material, verbal and spiritual culture. An abstract mediate principle lies in the idea of secondary tools, and the emergence of all of their three aspects must have been the cardinal step from animality toward the thoroughly human mind (Jakobson 1970: 58f.). Nach der Jakobsonischen Grundthese hat also ein abstraktes, vermittelndes Prinzip, das wir der doppelten Artikulation der Sprache verdanken, den Weg für weitere kulturelle Leistungen bereitet. Nun erst tauchten die Regeln auf, „die den Inzest definieren und verbieten und die Exogamie einführen“, und es entwickelte und verbreitete sich die Werkzeugherstellung. Beide Phänomene können nach dem Modell der doppelten Artikulation verständlich gemacht werden: Durch das Inzest-Verbot wurden die Söhne und die Töchter einer bestimmten Familie freigesetzt und gleichzeitig autorisiert (erste Artikulation), um neue exogamische Familien aufzubauen (zweite Artikulation). Die Herstellung von Werkzeugen, die ihrerseits neue Werkzeuge herstellen, erfolgt nach demselben Modell. Daß diese neuen Entwicklungen im gesellschaftlichen Leben auch auf die Sprache zurückwirkten, braucht man nicht besonders zu erwähnen. - Nun innerhalb dieser universellen (und auch wechselseitigen) Analogie hat der sprachliche Artefakt eben ein Charakteristikum, das ihm eigen ist: So fungieren die Phoneme gleichsam als Werkzeuge zur Darstellung neuer Werkzeuge und sind doch ebenso die Bausteine dieser Werkzeuge. Diese doppelte Stellung der Phoneme zu den Wörtern und die daher entstehende enge Beziehung der beiden macht den sprachlichen Artefakt zu dem, was er ist (auch aus diesem Grund verdoppelt sich die Sprache in ein Gemachtes und ein Sich-Selbst-Machendes). Dieser selbst-vermittelnde Bau des sprachlichen Artefakts spezifiziert sich in seinen Teil- und Ganzes-Verhältnissen: Der Begriff „Zeichen an Zeichen“ (Jakobson) weist uns auf ein Ganzes hin, das primär an seinen Teilen liegt. In der semiotischen Beziehung von Phonemen (als Teilen) und Wortganzes kann man also das Ganze nicht als eine logische Voraussetzung der Teile sehen (im Gegensatz zu den traditionellen, metaphysischen Teil-Ganzes-Verhältnissen): umgekehrt sind hier vielmehr die Teile Voraussetzungen für das Ganze. Dies verdanken die Teile ihrem doppelten Charakter des Vermittelns und des Teilnehmens (siehe oben). Jeder Teil fügt ein Stück hinzu auf dem Wege des Sich-Vermittelns. Dieser Aspekt kann ein neues Licht auf die Diskussion über die Begriffe „Fragment“ und „Totalität“ werfen, die in der letzten Zeit von den französischen Philosophen z.B. Derrida, Foucault und Blanchot geführt worden ist. Unter diesem veränderten Gesichtspunkt läßt sich der Bezug der Teile auf das Ganze als eine wechselseitige Desubstantialisierung verstehen. Es ist eine merkwürdige Tatsache, wie man sich bei der Aussprache eines Wortes (natürlich spontan) um die Einheit des Morphems, aber zugleich um die deutliche Wiedergabe jedes einzelnen Phonems bemüht. Dieses Zergliedern, das in der Aussprache stattfindet, ist nur die andere Seite des lautlichen Aufbauens der Wörter. Im Hinblick auf dieses Faktum kann man wohl von einem neutralisierten Zwischengebiet sprechen, in dem sich die Destruktion und die Rekonstruktion einander annähern und ähneln. Ein analoges Modell finden wir schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte, und zwar bei der Beschreibung des kanaanäischen Ritus, dessen Ursprung ca. bis zum dritten Jahrtausend zurückkehrt. Die Jungfrau Anath vollzieht, nachdem sie ihren Bruder Môt ermordet hat, mit der Leiche, die dann den Sturmgott Baal verkörpert, den folgenden Ritus: Önay Sözer 316 Sie ergriff Môt, den Sohn des El: Mit dem Schwerte zerschnitt sie ihn, mit dem Siebe worfelte sie ihn, Im Feuer verbrannte sie ihn, in der Mühle mahlte sie ihn. Ins Feld säte sie ihn, Damit die Vögel ihren Teil essen sollten, damit sie den Samen zerstören sollten. Albright erklärt diese mythische Handlung auf folgende Weise: In keiner anderen Mythologie wird der Körper eines Gottes so ausdrücklich dem Korn gleichgesetzt, das nacheinander geschnitten und gedroschen, geworfelt, als Brot gebacken und zu Mehl gemahlen (die falsche Reihenfolge wird durch die Handlung geboten) und schließlich als Korn in das Feld gesät wird. Dieser Ritus hatte nicht zum Zweck, Môt wieder zu beleben, sondern sollte durch sympathetische Wirkung Baal ins Leben zurückrufen. Da diese Vorstellungen so fließend und wandelbar sind, wäre es jedoch wohl möglich, Môt auch als eine Form des Adonis aufzufassen (Albright 1949: 233f.). Also, was Anath mit der Leiche ihres Bruders macht, ist eine Art des Fruchtbarkeitsritus, der erst das vorgegebene Material zergliedert, um es wieder zusammenzubringen und neu zu beleben. Wenn diese überraschende Einheit der Destruktion mit der Rekonstruktion eine sehr große Ähnlichkeit mit dem oben beschriebenen kinästhetischen Aspekt des Sprechens hat, so darf dies kein bloßer Zufall sein. Die einzelnen Körner funktionieren als Instrumente für Instrumente. Sie werden kultiviert, um daraus das Nahrungsinstrument Brot zu machen: Dies ist die Vorstellung, die diesem Mythos zugrunde liegt. Die vorausgesetzte Wirkung der Teile nur als Teile über das Ganze - nach dem Modell der Sprache - hatte die Gedanken der Menschheit bewusst oder unbewusst von Anfang an beschäftigt. Auf diesem Weg, den uns Jakobson gezeigt hat, nämlich durch viele Vergleiche mit Beispielen aus dem anthropologischen Bereich, können wir den sprachlichen Artefakt immer besser kennenlernen: Er wächst in einer vor-dialektischen Spannung der Teile zum Ganzen auf. Weder Teile noch Ganzes lassen sich je substantialisieren, aber sie spiegeln einander wider. Hinter der doppelten Artikulation, die die Kernstruktur dieser Verhältnisse ausmacht, steht ein weiterer Zusammenhang, nämlich der von Satz- und Textebene: Die Konstruktion der Rede fängt zunächst mit minimalen Einheiten an; sie geht aber von Phonem zu Wörtern, von Wörtern zu Sätzen, von Sätzen zu anderen größeren Redeteilen (in der Schrift wird sie zu Absätzen, von Absätzen geht sie zu der Einheit des Textes selbst). In dieser Hierarchie der Rede sind die konstituierenden Teile diskontinuierliche Elemente (wie z.B. Phoneme), aus denen letzten Endes die kontinuierlichen größeren Einheiten zustande gebracht werden. Analog zum biologischen Modell nennt Jakobson jede dieser höheren hierarchischen Ebenen im Vergleich mit den niedrigeren Ebenen „Integron“. (So ist z.B. ein Morphem ein „Integron“ der Phoneme und ebenfalls selber integriert in die Struktur eines anderen Integrons, nämlich des Wortes, und das Wort wiederum fügt sich in die Struktur des Satzes): Both biologists and linguists have observed an impressive set of attributes common to life and language since the latter’s consecutive emergence. These two information-carrying and goaldirected systems imply the presence of messages and of an underlying code […]. Their principle of gradual integration governs the structure of the two codes. Both of them equally display a hierarchy of discontinous units. As the biologist (André Jacob) points out, each of these units, labeled “integron” is built by assembling integrons of the level below it and takes part in the construction of an integron of the level above […]. Among all the informationcarrying systems, the genetic code is the only one which shares with the verbal a sequential arrangement of discrete subunits in language and nucleotides (or ‘nucleic letters’) in the genetic code - which by themselves are devoid of inherent meaning but serve to build minimal units endowed with their own, intrinsic meaning (Jakobson & Waugh 1979: 65f.). Für eine Semiotik des Artefakts 317 Diese Betrachtung der Beziehung von kleineren Integrons auf die größeren geht von unten nach oben. Es gibt aber auch eine umgekehrte Richtung von oben nach unten, durch die die kontextuellen Redeeinheiten und endlich die ganze Kommunikation als eine maximale Einheit auf die kleineren Einheiten Einfluß üben. Auch für diesen Fall beruft sich Jakobson auf den Biologen Jacob: „The interaction of constituent parts underlies ‘the organization of the whole’ and […] the integration confers upon the whole new structural properties“ (ibid.: 67). Diese wechselseitigen Einflüsse lassen sich mit dem Grundschema „Integration / Individualisierung“ beschreiben. Schon H.J. Pos machte auf diesen Punkt aufmerksam: Une analyse approfondie de l’entente intersubjective montrerait comment la langue à coté d’autres valeurs sociales, morales et culturelles constitue le véhicule et l’expression d’une réalité spirituelle qui enveloppe les individus, … sans rien déroger à l’individualité de chacun (Pos 1939: 76f.). Für Jakobson stehen aber das Individuum und das integrierende Ganze in einer noch engeren Beziehung: „let us repeat that there is not autonomy without integration and no integration without autonomy“ (Jakobson & Waugh 1979: 234). Für die Sprache heißt das, daß die größeren Redeteile einen freieren Spielraum für die kleineren Einheiten ermöglichen: In der untersten Ebene ist alles obligatorisch, determiniert, aber in einem größeren Zusammenhang kann man sich freier verhalten (Satzbau, Bau der Absätze usw.): Der individualisierte Stil verwirklicht sich nur auf dieser Ebene. Der menschliche Dialog, aber auch die Variabilität des Codes innerhalb des Dialogs sind in dieser Hinsicht die größten „Integrons“ und setzen erst den sprachlichen Artefakt in das Netz von dialektischen Verhältnissen: In unterschiedlichen Selbstanpassungen an den Gesprächspartner (in sprachlichen Konformismen) und in verschiedenen Graden wechselseitiger Zurückweisungen (in sprachlichen Nonkonformismen) unterziehen wir unseren Code einer maximalen Variabilität, einer Unbeständigkeit zugleich in Raum und Zeit. Hierin sehe ich die Untrennbarkeit von Invarianz und Variabilität. Diese These stellt sich mir dar als die conditio sine qua non der wissenschaftlichen Analyse von Hegels Dialektik bis zu den Wissenschaften des heutigen Tages, insbesondere der Sprachwissenschaft (Jakobsons 1984: 11). Das größte Integron ist also das Leben (oder die menschliche Gesellschaft, die Kultur), das Platz schafft für immer größere Integrationen seiner Bauelemente. Die Dialektik muß dann als die Dialektik der Sprache und des Lebens verstanden werden. Fassen wir zusammen: Ich hatte oben im Zusammenhang der doppelten Artikulation die kleineren Sprachteile als wirkliche Voraussetzungen des Ganzen angesehen. Dieser Gedanke hatte schon den Keim einer dialektischen Interpretation in sich. Sie wird ausgefaltet und wird damit verständlicher, wenn man den sprachlichen Artefakt in den umfassenderen Zusammenhang der dialektischen Verhältnisse zwischen ihm und dem „Leben“ selber setzt. Diese grundlegende innere Spannung der Teile determiniert das Ganze des sprachlichen Artefakts nur insoweit, als dieser Artefakt zu neuen Integrationen Anlaß geben kann. Integration und Autonomie stehen nicht nur in einer Wechselbeziehung, sondern sind auch ineinander gewoben und deswegen entwickeln sie sich auseinander. Das Leben geht über den sprachlichen Artefakt und das diesbezügliche „Machen“ hinaus, insoweit es in ihm beinhaltet wird. Das Leben geht nur unter der Bedingung über den sprachlichen Artefakt (und sein „Machen“) hinaus, daß es in ihm impliziert ist. Önay Sözer 318 3 Nicht-Sprachliche Artefakte und ihre „Umfunktionierung“ Nachdem wir den sprachlichen Artefakt als ein Zeichen, das selber „an Zeichen“ liegt, definiert und seine Teil-Ganzes-Verhältnisse skizzenhaft festgelegt haben, bleibt uns noch ein Problem übrig, mit dem wir uns jetzt kurz beschäftigen wollen. Ist die sogenannte doppelte Artikulation ein gemeinsamer Zug aller Zeichen, sprachlicher und nicht-sprachlicher, oder ist sie nur den sprachlichen Zeichen eigen? Diese Frage ist für unseren Standpunkt von besonderer Wichtigkeit, da wir die ganze menschliche Kultur als einen Artefakt betrachten wollen. Jakobson vertritt die These, daß die doppelte Artikulation ausschließlich ein Charakteristikum der Sprache sei, obwohl er den breiteren anthropologischen Rahmen dieses sprachlichen Faktums sehr wohl in Betracht zieht. In der neueren semiotischen Literatur, die sich mit dem Phänomen der doppelten Artikulation beschäftigt, können wir drei von Jakobson abweichende Haupttendenzen unterscheiden. Sie werden repräsentiert von Claude Lévi- Strauss, Umberto Eco und Elmar Holenstein: a) Claude Lévi-Strauss, der das Problem nicht direkt mit seinem semiotischen Interesse, sondern vielmehr von dem anthropologischen Standpunkt der Mythenanalyse aus behandelt, behauptet, daß auch die nicht-sprachlichen Zeichen die Strukturiertheit der doppelten Artikulation aufweisen. Im Hinblick darauf analysiert er Malerei, Mythen und Musik. Bei der Malerei funktioniert die einfache Ordnung der Formen und Farben als eine erste Artikulation, die dann die zweite Artikulation des stilistischen Kodes ermöglicht: L’organisation des formes et des couleurs au sein de l’expérience sensible … joue, pour ces arts, le role de premier niveau d’articulation du réel. ‚Grace à lui seulement, ils sont en mesure d’introduire une second articulation, qui consiste dans le choix et l’arrangement des unités, et dans leur interpretation conformément aux imperatifs d’une technique, d’un style et d’une maniere: c’est à dire en les transposant selon les regles d’une code, caractéristique d’un artiste ou d’une societé (Lévi-Strauss 1964: 28). Gegenüber der Malerei (bzw. der Sprache) gehen die Mythen und in einem noch höheren Grad die Musik über die doppelte Artikulation hinaus (ibid.: 23, 26). Die elementaren Teile des mythischen Diskurses sind mit den Phonemen vergleichbar: Obwohl jene aus Wörtern und Sätzen bestehen, haben sie in sich keine „Bedeutung“, sie sind nur dazu da, um für die Welt, die Gesellschaft und Geschichte einen Sinn zu schaffen. Les unités élémentaires du discours mythique consistent, certes, en mots et en phrases, mais qui, dans cet usage particulier et sans vouloir pousser trop loin l’analogie, seraient plutot de l’ordre du phonème, comme unités dèpourvues de signification propre, mais permettant de produire des significations dans un système où elles s’opposent entre elles, et du fait même de cette opposition (Lévi-Strauss 1967: 16). Un mythe propose une grille, d´finissable seulement par ses règles de construction. Pour les participants à la culture dont relève le mythe, cette grille confère un sens, non au mythe luimeme, mais à tout le reste: c’est-à-dire aux images du monde, de la société et de son histoire dont les membres du groupe ont plus ou moins clairement conscience, ainsi que de interrogations que leur lancent ces divers objets (ibid.). Auch die Musik besteht aus einer ersten („le système d’intervalles“) und einer zweiten Artikulation („altération de cette discontinuité par compositeur sans révoquer son principe“). Der Endeffekt der musikalischen Bedeutung ist mit dem der Mythen vergleichbar; darüber hinaus hat er aber noch einen tieferen Sinn: Für eine Semiotik des Artefakts 319 Dans l’un et l’autre cas, on observe en effet la même inversion du rapport entre l’émetteur et le récepteur, puisque c’est, en fin de compte, le second qui se découvre signifié par le message du premier: la musique se vit en moi, je m’écoute à travers elle. Le mythe et l’œuvre musicale apparaissent ainsi comme des chefs d’orchestre dont les auditeurs sont les silencieux executants (ibid.: 24f.). Betrachten wir diese Interpretationen Lévi-Strauss’ von unserem Standpunkt her näher. Die These, daß in der Malerei die Farben - wie die Phoneme der Sprache - eine erste Artikulation bilden, bedarf vor allem einer Korrektur. Die Farben sind nicht etwas vom Menschen Gemachtes, ein Artefakt im Sinne der Phoneme, sondern sie sind zunächst etwas Natürliches. Der Maler findet die Farben oder ihre Grundelemente in der Natur selbst und gebraucht sie nach ästhetischen Zwecken, die er mit ihnen verfolgt. Sie gehören sozusagen primär nicht zur menschlichen Natur, aber der Mensch findet sie vor in der ihn umgebenden Natur. Dieser Grundunterschied zwischen Farben und Phonemen bedeutet jedoch nicht, daß die Farben keinen Zeichencharakter besitzen. Wir hatten oben mit Jakobson festgestellt, daß die oppositionellen Eigenschaften der Phoneme dem Lautsubstratum gleichzeitig inhärent seien und es überlagern. Für die Farben können wir jetzt sagen, daß ihre distinktiven Eigenschaften das Farbsubstratum nur überlagern, allerdings sind sie ihm nicht inhärent. Dieser Punkt läßt sich durch ein Faktum beweisen, das direkt die Malerei betrifft. Bei der Sprache ist die Stimmlage, Tonhöhe usw. des Sprechenden sekundär für die eigentliche Signifikation seiner Wörter. All dies kann sehr wohl aber zu einem Ausdrucksmittel im Theater werden, wenn man den Charakter der dramatischen Person betonen will. In der Malerei liegt gerade der gegenteilige Fall vor: Die materielle Seite der Farben, ihre Intensität, ihre Dichte usw. gehören dem Farbensubstratum selber, d.h. sie ist primär und steht deswegen in einer Einheit mit den Relationen der Farben untereinander, ist jedoch nicht identisch mit diesen. Die signifikative Form der Farben kann immer ihre materielle, stofflich-sensuelle Seite zur Schau stellen. Der Grund dafür besteht darin, daß das Farbsubstratum einen Spielraum bietet, der zwar von oppositionellen Eigenschaften freibleibt und sie doch unmittelbar bestimmt. In der Malerei lebt alles eigentlich von dieser elastischen Spannung zwischen dem Materiellen der Farben und ihren formmäßigen (oppositionellen) Qualitäten. Wir können unsere Kritik an Lévi-Strauss in folgender Weise ergänzen und verdeutlichen: Das eigentliche Modell für die Thesen von Lévi-Strauss über Malerei ist die gegenständliche Malerei, in der sich eine wahrhaft doppelte Artikulation verwirklicht. Der nicht-gegenständlichen Malerei fehlt dagegen nach Lévi-Strauss die erste Artikulation: On comprend alors pourquoi la peinture abstraite, et plus généralement toutes les écoles qui se proclament “non-figuratives” perdent le pouvoir de signifier: elles renoncent au premier niveau d’articulation et prétendent se contender du second pour subsister (ibid.: 29). Man kann die Sache vielmehr so sehen: Die erste Artikulation ist die relationelle Ordnung der Farben, die ein gemeinsamer “Kode” sowohl für gegenständliche als auch für nichtgegenständliche Malerei ausmacht. Die erste Artikulation besteht also darin, was der Maler aus der Natur macht und nicht, was er als Nachahmer der Natur macht. Die zweite Artikulation wären dann die gegenständlichen und die nicht-gegenständlichen Formen, die den eigentlichen Spielraum des künstlerischen Stils bilden. Gegenständlich oder nicht-gegenständlich zu sein ist also eine relative Sache: Es ist eine Funktionsweise der ersten Artikulation und steht im Dienste der zweiten, nämlich der stilistischen Form. Mit der Ablenkung unserer Aufmerksamkeit von den Gegenständen wird bei der abstrakten Malerei ein unmittelbares Zusammentreffen des stilistischen Zwecks mit den Farben - über reine Formen - Önay Sözer 320 3 Der Standpunkt des Artefakts verlangt, daß wir die doppelte Artikulation je nach Fall von neuem und ohne schematische Starrheit bis zu ihren Grenzen verfolgen müssen. Übrigens kann man die nicht-gegenständliche Malerei von der gegenständlichen nicht so scharf trennen, wofür sich viele Beispiele anführen ließen. Hier sei nur auf die Bilder von Paul Klee und Francis Bacon verwiesen, obwohl sie stilistisch ganz anders sind. ermöglicht. 3 Dies ist ein Punkt, den Lévi-Strauss anscheinend nicht gut gesehen hat. Den wichtigeren Beitrag Lévi-Strauss’ zu einer Theorie des Artefaktes stellen seine Erörterungen über die Mythen und die Musik dar. Wie wir oben gesagt haben, transzendieren Mythen und Musik nach Lévi-Strauss die doppelte Artikulation, d.h. beide schaffen eine Bedeutung, die über sich selbst hinausgeht. Mit anderen Worten: Beide bringen aus sich selbst eine neue, umfassendere Einheit hervor, die sie einschließt und gewissermaßen aufhebt. Ihre Einheit ist nicht in ihnen selbst, sondern in einem anderen: Aber deswegen sind sie nicht weniger Artefakte, vielmehr repräsentieren sie eine besondere Art des Artefaktes. Die Mythen und die Musik sind solche Artefakte, deren Teil-Ganzes Verhältnisse Anlaß zu einem jeweils noch umfassenderen Ganzen geben können, dem sie auf den ersten Blick nicht anzugehören scheinen. Ein bestimmtes Selbst-Transzendieren gehört also zu ihren Teil-Ganzes Verhältnissen. Dieses Selbst-Transzendieren aber ist niemals vollständig oder erschöpfend. Das heißt: Mythen und Musik scheinen mit einem Widerspruch behaftet zu sein. Einerseits bleiben sie in sich unvollendet (weil ihre eigentliche Bedeutung nicht in ihnen, sondern in der Natur oder im gesellschaftlichen Leben liegt), andererseits bildet diese neue Bedeutungseinheit als das mytho-musikalisch interpretierte Leben selbst schon einen Teil des Artefakts. Diese zweite Seite ist wichtiger als die erste, weil dadurch das Leben selbst gemacht wird. Der Fall der Musik ist in dieser Hinsicht beispielhaft: Eine Melodie, die ich an einem bestimmten Ort und Zeitpunkt zusammen mit einer Freundin gehört habe, nimmt bei einem zweiten, einsamen Hören an einem anderen Ort alle diese früheren Rezeptionsbestimmungen (Ort-, Zeit- und Person-) in sich auf. Es ist nicht eine lebendige Erinnerung, die jetzt geschieht, sondern eine Vergegenwärtigung, die sich am „Körper“ des musikalischen Werkes verwirklicht. Es ist eine Reproduktion des Vergangenen in der Form eines mytho-musikalischen Artefakts, eine Reproduktion, die den Unterschied zwischen ihr und der ursprünglichen Erfahrung aufhebt und uns noch stärker als irgendeine Gegenwart affiziert. b) Umberto Eco ist vielleicht einer der ersten Autoren (zusammen mit Luis Prieto), der auf das Problem der doppelten Artikulation von einem semiotischen Standpunkt her eingeht. Er kritisiert zunächst die Annahme von Claude Lévi-Strauss, die besagt, daß es keine Sprache gibt, die nicht auf einer doppelten Artikulation beruht. Gegen eine solche Dogmatisierung der doppelten Artikulation macht Eco den folgenden theoretischen Vorschlag: Es wird eine doppelte methodische Unterscheidung nötig: 1) Der Name „Sprache“ wird dem Code der verbalen Sprache vorbehalten, bei denen das Vorhandensein der doppelten Gliederung außer Zweifel steht. 2) Die anderen Zeichensysteme werden als „Codes“ betrachtet und man muß nachprüfen, ob es nicht Codes mit mehreren Gliederungen gibt (Eco 1972: 235). Eco’s These, daß es „Codes“ gibt, deren „Gliederungsebenen austauschbar sind“ und seine Beispiele der Umfunktionierung von sinndiskriminierenden in sinndeterminierende Zeichen (die Spielkarten) sowie die Beweglichkeit der Gliederung (die militärischen Rangabzeichen) sind einleuchtend (ibid.: 239). Allerdings muß man sich bei der Freilegung der nicht-doppeltartikulierten Zeichen noch kritischer verhalten und in dem Fall, wo man eine doppelte Für eine Semiotik des Artefakts 321 Artikulation sicher ausschließen kann, die diesem Zeichentypus eigenen Regelmäßigkeiten genauer erforschen. c) In Bezug auf das genannte Problem nimmt Holenstein eine Position zwischen Lévi- Strauss und Eco ein: einerseits ergänzt er die Liste der doppelten Artikulationen mit Hinweis auf die doppelte Artikulation in der Schriftsprache, andererseits betont er die Umfunktionierung bei den Zeichen. Anders als Eco radikalisiert er die Umfunktionierung und erhebt sie zu einem allgemeinen Prinzip, wenn er schreibt: „Umfunktionalsierung und Plurifunktionalität sind eine universale, nicht nur semiotische, sondern ontologische Möglichkeit“ (Holenstein 1980: 323). Davon ausgehend, daß „durchaus ein Buchstabensystem möglich ist, dessen lautdeterminierende Eigenschaften zerlegt werden können“, analysiert er beispielsweise die standardisierten Druckschriften (Schablonenschrift des Bauhäuslers Josef Alberts), die vorderasiatischen Vorformen der Schrift und die elektronischen Leuchtschriften (cf. Holenstein 1980: 326ff.). Seine interessante These über die Umfunktionierung lautet: Bei den meisten außersprachlichen Zeichensystemen mit doppelter Artikulation sind die Zeichen der zweiten Gliederung metaphorisch gebrauchte Zeichen einer ersten Gliederung: Ursprünglich sinndeterminierende Zeichen werden in sinndiskriminierende Zeichen umfunktioniert (ibid.: 319). Diese These verdient besondere Aufmerksamkeit auch im Hinblick auf den Begriff des sprachlichen Artefakts. Holensteins Paradebeispiel für die Umfunktionierung sind die Busziffern. Der Bus Nr. 23 hat weder etwas Gemeinsames mit den Bussen, deren erste Ziffer ebenfalls eine 2 ist, noch mit jenen, deren zweite Ziffer eine 3 ist. […] Zeichen, die in ihrem ursprünglichen Gebrauch eine bedeutungsdeterminierende Funktion haben, erhalten sekundär, in einem anderen Zeichensystem, eine bloß bedeutungsunterscheidende Funktion (ibid.: 321). Allerdings tritt der umgekehrte Fall, nämlich die Umfunktionierung der bedeutungsunterscheidenden Zeichen in die bedeutungsdeterminierenden vielleicht häufiger auf. Alle Abkürzungen, die eigentlich als Ideogramme funktionieren, gehören dazu: „usw.“, „ca.“, „ff.“. Ein anderer interessanter Fall ist die Umwandlung der sinndiskriminierenden Zeichenteile in sinndeterminierende Zeichen. In dem Film „Das Weekend“ von J.L. Godard kommt ein Zwischentitel vor, gerade inmitten einer Szene, wo die Hauptheldin ihrem Mann von einer „analen Vergewaltigung“ erzählt: Analyse An diesem Wortspiel sehen wir, wie die sinndiskriminierenden Teile a, n, a, l des Wortes Analyse durch Silbentrennung eine sinndeterminierende Funktion haben können. Der Kontext der Szene ermöglicht Godard diese umfunktionierende Analyse des Wortes „Analyse“. Aufgrund solcher Beispiele von Wortspielen läßt es sich leicht einsehen, daß der Blickpunktwechsel des Sprechenden (der in der phänomenologischen Linguistik unter dem Titel „Beobachter als ein Teil seiner Beobachtung“ befaßt wird) diese Umfunktionierungen bestimmt. Es ist sogar der Blickpunkt, der entscheidet, ob die Teile der sinndeterminierenden Elemente wieder sinndeterminierend oder bloß sinndiskriminierend gebraucht werden können. Das altchinesische Spiel Tangram, das sich bereits in der Zeit von 740 bis 330 v. Chr. nachweisen läßt, ist ein bemerkenswertes Beispiel für den Blickpunktwechsel durch die Umfunktionierung (es ist auch deswegen wichtig, weil es uns auf die Umfunktionierungs- Önay Sözer 322 problematik in der Bildebene hinführt). Bei diesem Beispiel geht es darum, 7 geometrische Teile zu einem interpretierbaren Ganzen (ein Haus, eine Menschenfigur, ein Vogel usw.) zusammenzusetzen (cf. Elffers 1976: 22, 8). Diese Teile sind für sich genommen nicht sinnlos: Sie sind ein Dreieck, ein Parallelogram, ein Rechteck usw. Sie sind von einem ersten Blickpunkt aus (d.h. vor dem Kombinieren) als volle sinndeterminierende Elemente gegeben. Aber wenn wir einmal mit ihnen neue gegenständliche Figuren zusammensetzen wollen, sind sie in dem Augenblick ihres Sinnes beraubt worden: Sie funktionieren als sinndiskriminierende Elemente für neue sinndeterminierende Ganze. Sie haben insoweit eine sinndiskriminierende Funktion, da jeder Teil gleichzeitig z.B. zum Kopf, zu den Füßen usw. für unterschiedliche Vogelschemata werden kann. Die menschliche Phantasie wird aus dem Grunde sehr stark herausgefordert, weil sie eine Serie von Sinnverwandlungen ausprobieren muß, um den adäquaten Sinn einer Figur herauszufinden. Eine Untersuchung der sogenannten Kollagentechnik der modernen Malerei unter der Berücksichtigung ihrer Vielfalt wäre in dieser Hinsicht auch sehr lohnenswert. In den meisten Fällen können die beliebig ausgeschnittenen, unselbständigen Teile aus anderen Bildern innerhalb des Kollagenbildes als selbständige, oft abstraktive Teile gebraucht werden. Die sinndeterminierenden Teile der benutzten Bilder sind in ihrer originellen Funktion beeinträchtigt. Was in diesem Zusammenhang als Beeinträchtigung erscheint, ermöglicht aber in dem veränderten Zusammenhang das Kombinieren. Dieser Übergang bleibt gewissermaßen durchsichtig, und zwar so, daß die sinndiskriminierenden (Farben) und sinndeterminierenden Elemente (gegenständliche oder nicht-gegenständliche Formen) der entstehenden Teile den Anschein erwecken, sich gegenseitig frei zu lassen und sich zugleich auf eine ungewohnte Weise zu verbinden. Durch beliebige Cut-Ups werden die sinndeterminierenden Elemente des früheren Bildes zunächst auf ihre sinndiskriminierenden Elemente zurückgeführt: Aber diese lassen sich im Rahmen des neuen abstrakten Bildes in die sinndeterminierenden Elemente umfunktionieren. Die Umfunktionierungsweise bei der Kollagetechnik ist also derjenigen der Tangrambilder sehr ähnlich: Beide beruhen auf demselben Prinzip. Allerdings ist die Montage kein Phänomen, das ausschließlich die Kunst der Moderne charakterisiert. Neben Film und Photographie, bei denen die Montage als ein Hauptverfahren auftritt, wird auch von der Malerei behauptet, daß sie von Anfang an eine Montage- oder Kollagekunst gewesen sei. Alle diese Beispiele ergänzen und bestätigen die von Holenstein zu einem interpretativen Prinzip erhobene Umfunktionierung von Zeichen. Aber sie zeigen ebenfalls, daß die Umfunktionierung noch elastischer und von einer größeren Variabilität ist, als man auf den ersten Blick denken könnte. Die allgemeine Regel für diese Elastizität liegt darin, daß ein Zeichen nie ein Zeichen bloß für sich ist, sondern immer auf dem Hintergrund anderer Zeichen sinnhaft wird: Es sind metaphorische Zeichen, durchaus auch in dem Sinn, daß ihre ursprüngliche Bedeutung je nach Sensibilität und Einstellung mehr oder weniger latent mitschwingt, ähnlich wie bei der Übertragung von Löwe auf Achilles nicht nur ausschlaggebende Tapferkeit, sondern auch die übrigen Bedeutungskomponenten assoziiert werden. Es ist in diesen Beispielen einer doppelten Artikulation also nicht so, daß (wie in der Lautsprache) Werkzeuge zur Etablierung anderer Werkzeuge hergestellt werden. Vielmehr werden Werkzeuge, die […] bereits vorgegeben sind, umfunktioniert […] unter latenter Bewussterhaltung ihrer ursprünglichen Funktion (Holenstein 1980: 321). Im Unterschied zu „Zeichen an Zeichen“ (der doppelten Artikulation) wollen wir die Produkte der Umfunktionierung Zeichen aus Zeichen nennen. Dieser Zeichentypus setzt schon die Existenz des Typus Zeichen an Zeichen voraus und relativiert ihn gleichzeitig. Dadurch Für eine Semiotik des Artefakts 323 aber bekommt der sprachliche Artefakt eine neue Dimension. Unter diesem Gesichtspunkt besteht der sprachliche Artefakt nicht nur aus vertikal-hierarchischen Einheiten und dessen Teilen, sondern diese Einheiten haben darüber hinaus horizontale Extensionen oder Erweiterungen, die ihnen neben ihrer eigentlichen Bedeutung auch eine Hintergrundbedeutung geben können. Mit anderen Worten: Den vertikalen Einheiten wird eine horizontale Bedeutung eingeimpft. Es entstehen sprachliche Artefakte, die sich mit den anderen sprachlichen Artefakten kreuzen und spielerisch leicht ineinander übergehen. Das Universum der Artefakte vollendet sich nach diesen zwei sich ergänzenden Dimensionen. Literatur Albright, William Foxwell 1949: Von der Steinzeit zum Christentum. Monotheismus und geschichtliches Werden, Bern: Francke Autorenkollektiv (ed.) 1939: Études phonologiques dédiées à la mémoire de M. le Prince N.S. Trubetzkoy (= Travaux du Cercle linguistique de Prague 8), Praha: Jednota Eco, Umberto 1972: Einführung in die Semiotik, München: Fink Elffers, Joost 1976: Tangram. Das alte chinesische Formenspiel, Köln: Dumont Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1969: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), Hamburg: Meiner Holenstein, Elmar 1980: „Doppelte Artikulation in der Schrift“, in: Zeitschrift für Semiotik 2 (1980): 319-333 Holenstein, Elmar 1981: „Sprache und Gehirn. Phänomenologische Perspektiven“, in: Schnelle (ed.) 1981: 197-216 Jakobson, Roman 1963: Essai de linguistique générale, Paris: Minuit Jakobson, Roman 1970: Main Trends in the Science of Language, New York: Harper Torchbooks Jakobson, Roman 1971 a: Selected Writings. I. Phonological Studies, The Hague/ Paris: Mouton Jakobson, Roman 1971 b: Selected Writings. II. Word and Language, The Hague/ Paris: Mouton Jakobson, Roman 1978: Six Lectures on Sound and Meaning, Hassocks: Harvester Press Jakobson, Roman & Linda Waugh 1979: The Sound Shape of Language, Brighton: Harvester Jakobson, Roman 1981: „Gehirn und Sprache. 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Peter Janich Sprache und Methode UTB 4124 2014, XX, 244 Seiten, €[D] 24,99 / SFr 34,70 ISBN 978-3-8252- 4124-7 Wir machen uns in Rede und Gegenrede wechselseitig verantwortlich für das, was wir sagen. Das hat das Sprechen mit dem Handeln gemeinsam. Als Einführung in das Sprechen über das Handeln, einschließlich aller Sprechhandlungen, bietet das Buch einen Kanon von Verfahren zur Begriffsbildung und zum Verständ- N CJ CJ q? %% ? N 3 & CJ menschliche Kulturleistung. Es betrachtet kritisch die Besetzung des Menschenbildes durch Naturwissenschaften und bietet eine methodische Alternative. * Für zahlreiche wertvolle Hinweise und anregende Kritik möchte ich meinen Freunden und Kollegen des Essener Arbeitskreises Semiotik und Ästhetik und der Arbeitsgruppe Semiotik Aachen herzlich danken. Wahrnehmung und Zeichen Die sematologischen Grundlagen der Wahrnehmungstheorie Karl Bühlers * Achim Eschbach I Gerold Ungeheuer (1967: 2078) diskutiert in seinem Aufsatz „Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler“ die Frage, „wie Bühler die sprachliche Semantizität aus den in kybernetischer Funktion eingesetzten kommunikativen Kontakten bei Gemeinschaftshandlungen in gemeinsamer Wahrnehmungssituation herleitet“. Ungeheuer zitiert in diesem Zusammenhang eine Passage aus Bühlers (1978: 39) Krise der Psychologie, die besagt: „Sehen wir nicht die Handlungen von Menschen und Tieren in ungezählten Modifikationen wortlos und gestenlos sinnvoll ineinander greifen? Gewiß, nämlich in gemeinsamen Wahrnehmungssituationen. Und das ist der Grundfall, von dem wir ausgehen müssen.“ Dieses Zitat kommentiert Ungeheuer (1967: 2078) in folgender Weise: K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl Bühler ( 1879-19 63 ) Achim Eschbach 326 1 Bühler spricht nicht durchgängig von ‚Sematologie‘ als der allgemeinen Zeichenlehre, sondern benutzt ebenfalls Ausdrücke wie: Semiotik, Symbolik, Semeologie und eine Vielzahl weiterer (cf. Kamp 1977: 98f. & spez. Anm. 47-50). Kamp weist besonders darauf hin, daß es Anton Martys Konzeption einer ‚allgemeinen deskriptiven Semasiologie‘ war, die Bühler zu zeichentheoretischen Studien anregte. Auf S. 34 seiner Axiomatik der Sprachwissenschaften (Bühler 1976) geht Bühler in einer längeren terminologischen Bemerkung auf den Terminus ‚Sematologie‘ ein. Was ihn allerdings dazu bewegte, anstelle seines früheren Wortgebrauchs Sematologie zu bevorzugen, läßt Bühler unbeantwortet. Offen bleibt auch, ob ihm die Verwendung dieses Terminus in Richard Gätschenbergers (1977): Zeichen, die Fundamente des Wissens und in Benjamin H. Smarts (1978): Grundlagen der Zeichentheorie: Grammatik, Logik, Rhetorik bekannt war. 2 So schreibt beispielsweise Friedrich Kainz in dem Geleitwort zur 2. Auflage der Sprachtheorie Karl Bühlers: „Er (Bühler) sieht das Entscheidende an der Sprache darin, daß sie ein System darstellender Zeichen ist. Das ist und bleibt richtig, nur sehen wir heute die Darstellung nicht als eine Funktion und Leistung der Sprache neben den anderen der Kundgabe (des Ausdrucks) und der Auslösung (des Appells) an, sondern als das Essentielle an der Sprache, als ihr zentrales Wesensmoment, das hinter sämtlichen ihrer Leistungen steht und diese allererst ermöglicht.“ (Kainz, in: Bühler 1978 b: XIV) Ich nehme kaum an, daß Bühler diese ‚Korrektur‘ an seinem Organonmodell gelten lassen würde, wie es Wunderlich (1969: 5ff.) vermutet, sondern ganz im Gegenteil auf der sematologischen Basis der von ihm isolierten Elementarfunktionen insistierte; dieser Einwand gilt im übrigen in gleicher Weise für Roman Jakobsons ‚Erweiterung‘ des Organonmodells (Jakobson 1960: 353), denn Jakobsons Integrationsversuch des Organonmodells in eine Kommunikationskette kann nicht als Präzisierung der Bühlerschen Überlegungen begriffen werden, sondern nur als eine Beschneidung, die die erkenntniskritische Basis der Bühlerschen Sematologie verläßt. Kooperative Handlungen dieses Typus findet man im tierischen Bereich ebenso wie im menschlichen. Die in ihr ausgebildete Form der Kommunikation ist elementar insofern, als sie konstituiert ist durch ein Minimum an semantischen Einrichtungen. Da es hier nicht auf eine Definition der Semantizität ankommt, kann unter Annahme bestimmter Voraussetzungen auch gesagt werden, daß dieser Grundfall sozialen Verhaltens ohne zeichenhafte oder signalartige Kontaktmittel funktioniert. Nun fährt Bühler (1978: 39) allerdings an der bei Ungeheuer zitierten Stelle fort: „Eine Steuerung liegt auch hier vor mit allem, was dazugehört, nämlich mit einer Einstellung der Individuen aufeinander, das ist der Kontakt, von dem wir sprechen, und mit einem gegenseitigen Verstehen der Tätigkeiten des anderen.“ Bei Ungeheuers Zitierweise handelt es sich meines Erachtens nicht um eine schlichte Nachlässigkeit, sondern um ein signifikantes Beispiel desjenigen, was ich die linguistischsprachpsychologisch-sprachphilosophische Verkürzung der Bühlerschen Sematologie 1 nennen möchte. Ich will mich bei der Untersuchung des Verhältnisses von Wahrnehmung und Zeichen um den Nachweis bemühen, daß Ungeheuer und andere 2 nicht etwa nur die sematologische Pointe des Bühlerschen Ansatzes verpassen, sondern daß aus der behaupteten Dominanz der Darstellungsfunktion der Sprache unversehens ein statischer Zeichenschematismus resultiert, der sich - gestützt auf ein mechanisches Repräsentationsmodell - eines Verständnisses des Zeichenverkehrs der Menschen und Tiere begibt. Mit der Behauptung, erst eine konsequente sematologische Interpretation der Bühlerschen Arbeit könne den eigentlichen Absichten des Autors gerecht werden, ist nicht eine alternative Lesart angesprochen, sondern gesagt, daß nur die sematologische Interpretation den axiomatischen, d.h. erkenntniskritischen Absichten gerecht zu werden vermag, die Bühler in sämtlichen seiner Arbeiten verfolgt. Diese Absicht äußert Bühler (1978 b: 28) bei der Benennung der beiden Aufgaben der Sprachtheorie: Wahrnehmung und Zeichen 327 3 In der Krise der Psychologie fragt Bühler: „Wie ist Psychologie möglich? So würde Kant in unserer Lage fragen. Es obliegt in der Tat den Philosophen, bald über die Möglichkeit, bald über die Notwendigkeit des Gegebenen nachzudenken. Und wir bedürfen der philosophischen Besinnung auf unsere Axiomatik, ihren Charakter und ihre Tragfähigkeit. Es ist eine Art transzendentaler Deduktion im Sinne Kants, die notwendig ist und hier erstrebt wird. Ich stelle die These auf, daß jeder der drei Aspekte (sc. Erlebnis, Benehmen, Leistung) möglich und keiner von ihnen entbehrlich ist in der einen Wissenschaft der Psychologie. Denn jeder von ihnen fordert die beiden anderen zu seiner Ergänzung, damit ein geschlossenes System wissenschaftlicher Erkenntnisse zustande kommt.“ (Bühler 1978 a: 29) Er ist sich jedoch deutlich bewußt, daß Kant mit dieser Axiomatik nicht zufrieden gewesen wäre. Gegen den möglichen Kantischen Einwand allerdings gibt Bühler zu bedenken: „Männer wie Russell und Hilbert stellen sich die Prinzipienforschung im Bereich der empirischen Wissenschaften so vor, daß man vorhandene Ergebnisse, Theorien, aufgreift und einem Verfahren der logischen Reduktion unterwirft; das ist der erste Schritt des ‚axiomatischen Denkens‘“ (Bühler 1978 b: 22). Die erste ist: den vollen Gehalt und Charakter der spezifisch linguistischen Beobachtungen zu bestimmen, und die zweite: die höchsten regulativen Forschungsideen, welche die eigenartigen sprachwissenschaftlichen Induktionen leiten und beseelen, systematisch aufzuzeigen. Zur näheren Erklärung der zweiten Aufgabe, die sein Hauptanliegen darstellt, schreibt Bühler (ibid.: 20) wenige Seiten später: Wir proponieren eine Art der Beschäftigung mit den Axiomen, die man meinethalben als rein phänomenologische Explikation oder als eine erkenntnistheoretisch (und ontologisch) neutrale Fixierung von Grundsätzen bezeichnen kann. Es sind Grundsätze, die aus dem Bestande der erfolgreichen Sprachforschung selbst durch Reduktion zu gewinnen sind. 3 Auch wenn Bühler immer wieder in seinen Arbeiten zu ausführlichen Diskussionen sprachpsychologischer, entwicklungspsychologischer oder im engeren Sinne linguistischer Probleme ansetzt, so geschieht das doch nicht vorrangig in einzelwissenschaftlichem Interesse, sondern im Interesse der Einordnung einer theoretisch noch nicht überschaubaren Mannigfaltigkeit von Daten in ein übergreifendes Erklärungsmodell, denn in diesem Verfahren gilt die Aufmerksamkeit nicht dem singulären Datum, sondern dieses Datum bildet nur den „Ausgangsgegenstand“ der Untersuchung, die aber letztlich auf die „Zeichenfunktion“ dieses Datums gerichtet ist. Wenn sich also beispielsweise der Linguist mit der Bestimmung des Lautsystems einer gegebenen Sprache, ihrem Wortschatz und ihrem Sprachbau befaßt, so ist in diesem Fall die Rede von den Sprachgebilden (cf. Bühler 1931: 96), oder einem Aspekt der Sematologie. „Ihre eigentliche Substanz, ihr Kerngebiet aber sind Fragen und Antworten, Untersuchungen und Erkenntnisse, die man zweckmäßig keiner der […] Einzelwissenschaften, sondern […] viel treffender der Logik oder der Gegenstandstheorie ein- oder unterordnet“ (Bühler 1931: 99), oder wie Kamp (1977: 125) feststellt: „Die ‚axiomatische‘ Sprachtheorie erörtert - wenn man so will - die ‚metaphysischen Anfangsgründe der Sprachwissenschaft‘.“ II Stellt sich Bühler bei seiner axiomatischen Vorgehensweise ausdrücklich in die Kantische Tradition, insofern er beispielsweise seine Axiomatik der Sprachwissenschaft mit der Bemerkung eröffnet: „Daß alle unsere Erkenntnisse mit der Erfahrung anfangen, daran ist gar kein Zweifel“ (cf. Bühler 1978 a: 26, 57, 77, 161; Bühler 1978 b: 153, 288, 373), so wäre nun im Einzelnen zu untersuchen, wie er den Weg der Erkenntnis beschreibt, wie sich in diesem Achim Eschbach 328 Erkenntnisprozeß das Verhältnis von Wahrnehmung und Zeichen darstellt, und welche Auswirkungen schließlich diese Bestimmungen auf sein sematologisches Modell ausüben. In der Krise der Psychologie formuliert Bühler im Zusammenhang der Diskussion der Zweiheitslehre E. Sprangers folgende These über den Sinn der Wahrnehmungen von Menschen und Tieren, die seiner Auffassung nach parallel zu dem Aufbau seiner Sprachtheorie verläuft und dazu geeignet ist, den Benehmens- und den Erlebnisaspekt auf dem Gebiete der Wahrnehmungen in höherer Einheit zu verbinden. Ich behaupte, daß mit den genannten drei Sinnfunktionen, Signale, Anzeichen und Symbole, das Gesamtgebiet der Wahrnehmungen theoretisch zu bewältigen ist. Die erste Formel, die wir gewählt haben, mit ihren zwei Ausdrücken (Auslösung und Steuerung) ist ohne weiteres vom Benehmensaspekt auf den Erlebnisaspekt zu übertragen. Sie beschreibt das Geschehen, angefangen von den niedersten Tieren, wo überhaupt von so etwas wie Wahrnehmungen gesprochen werden kann, bis hinauf zu den verwickelsten Symbolwahrnehmungen. […] Was aber das Geschehen angeht, so kann man sagen, daß die Sinneseindrücke auslösend und steuernd eingreifen (Bühler 1978 a: 75). Bühler versichert uns also, daß der Gesamtbereich der Wahrnehmungen durch eine Zeichenanalyse vollständig erfasst werden kann. An anderer Stelle intensiviert er jedoch diese Behauptung dahingehend, daß „die Wahrnehmungslehre der Psychologie ohne das Eingehen auf die darin enthaltenen Zeichenfunktionen der Sinnesdaten nicht auf einen grünen Zweig gebracht werden (kann)“ (Bühler 1976: 40). Zu einem besseren Verständnis dieser Meinung ist demzufolge danach zu fragen, welche inhaltliche Prägung Bühler seinem Begriff von Wahrnehmung geben will. In dem weiter oben angeführten Zitat hatte Bühler die Auslösungs- und Steuerungsfunktion von Sinneseindrücken betont, die eine Zwecktätigkeit bewirken. Mit dieser Feststellung ist jedoch nur eine Seite des Prozesses erfasst, die um die zweite, „komplementäre und unentbehrliche Betrachtung“ ergänzt werden muß, nämlich „die Blickrichtung auf das intentionale Moment, welche uns lehrt, daß die Sinnesdaten noch eine andere semantische Funktion erfüllen. Sie sind Zeichen, stehen für etwas anderes als was sie selbst sind, und vertreten das Bezeichnete“ (Bühler 1978 a: 78). Zur weiteren Aufklärung dieses zweiten, von Bühler als wesentlich bezeichneten Aspektes ist die spezifische Zeichenfunktion der Sinnesdaten in der Wahrnehmung gesondert ins Auge zu fassen. Diese spezifische Zeichenfunktion der Sinnesdaten bestimmt Bühler als Anzeichenfunktion, „weil der Gehalt des Wahrnehmungsurteils, weil der Sachverhalt, den wir in der Wahrnehmung zu erfassen vermeinen, den Bereich der Empfindungsdaten stets überschreitet“ (Bühler 1978 a: 78). Mit der letztgenannten Kennzeichnung des Wahrnehmungsprozesses als Bildung eines Wahrnehmungsurteils, das - gestützt auf besondere Zeichenarten - den Bereich der Empfindungsdaten überschreitet, sind zwar die zentralen Merkmale der Bühlerschen Wahrnehmungstheorie bereits benannt, verlangen jedoch in zumindest drei Hinsichten weiterführende Erläuterungen: - Welche kennzeichnenden Merkmale weisen Anzeichen im Unterschied zu anderen Zeichenarten auf? - Wie ist die Bildung von Wahrnehmungsurteilen zu beschreiben? - Inwiefern überschreitet das Wahrnehmungsurteil den Bereich der Empfindungsdaten? Zur Beantwortung der ersten Frage sind einige vorbereitende Überlegungen erforderlich, weshalb diese Frage erst später wieder aufgegriffen wird. Die zweite Frage, die Frage nach Wahrnehmung und Zeichen 329 der Bildung von Wahrnehmungsurteilen, weist auf einen Zusammenhang, den Bühler unter Hinweis auf die seitjeher bekannte Lehre von der Apperzeption anhand der Frage-Antwort- Relation erläutert um hervorzuheben, daß jeder Wahrnehmungsprozess zwei Momente umschließt. Den Ausgangspunkt bildet demnach eine Frage an die Dinge, die nicht explizit formuliert sein muß, was für den Fall der forschenden Grundhaltung des Wissenschaftlers zuträfe, sondern ebenso können die Eindrücke ungesucht und überraschend auf uns einströmen, wie es in der alltäglichen Situation die Regel ist. Nun kann auf dieser Stufe der Frage von Wahrnehmung noch nicht die Rede sein, sondern erst dann, wenn diese Eindrücke zu Antworten, zu Beobachtungen, d.h. Wahrnehmungsurteilen geordnet werden, oder mit anderen Worten, wenn die Eindrücke in einem „so ist es, einem Urteil, das sich auf die Sinnesdaten stützt und miterstreckt, ihren Abschluß finden“ (Bühler 1978 a: 77). Da Bühler jedoch nicht dazu bereit ist, diesen Prozeß der Bildung von Wahrnehmungsurteilen im Sinne Herbarts der Leistung des Gedächtnisses zu überantworten, das die neuen Sinnesdaten in den Verband der alten, schon gefestigten und geordneten Erkenntnisse aufnimmt, und ebenfalls nicht mit Kant und Schopenhauer sagen will, daß der Verstand es ist, der das Chaos der Sinnesdaten allererst ordnet (cf. Bühler 1978 a: 77), müssen wir die Dynamik dieses Prozesses anderweitig zu klären versuchen. Ein klärender Hinweis findet sich in der Axiomatik der Sprachwissenschaften, wo Bühler (1976: 45) schreibt: Die Daten der ‚reinen Erfahrung‘ hat keines Menschen Auge je geliefert, auch kein Ohr. Was man da und dort das unmittelbar Gegebene, d.h. das, was als Tatsache unmittelbar einleuchtet […] und vom empirischen Forscher eben hingenommen wird, genannt hat, schließt Relationen nicht aus, sondern ein. Dies muß allen Elementenjägern und Pointilisten unter den Wahrnehmungsanalytikern gesagt werden. Es wäre nach Bühler demnach eine falsch gestellte Frage, nach der letzten erkenntnistheoretischen Würdigung des ‚unmittelbar Gegebenen‘ zu streben oder aufzurechnen, wieviel im Prozeß der Wahrnehmung den Sinnen und wieviel dem Verstand zuzuweisen wäre; wesentlich ist vielmehr, daß die Data bereits in einem Relationsverband erfaßt und gedeutet sind (cf. Bühler 1976: 45). Diese wichtige Überlegung soll anhand eines Beispiels erläutert werden, das Bühler in seinem Aufsatz „Phonetik und Phonologie“ anführt und ihn zur Formulierung des Prinzips der abstraktiven Relevanz oder, wie wir sagen, der diakritischen Zeichenbestimmung veranlaßt. In dem besagten Aufsatz bemüht sich Bühler im Anschluß an Nikolaus Trubetzkoy um die wissenschaftliche Etablierung der Phonologie in Abhebung von der Phonetik. Den Ausgangspunkt dieses Unternehmens bildet die Klärung der möglichen Grundeigenschaften allen phonetischen Materials; als unentbehrliche Bestimmungsmomente jedes konkreten Vokalklanges führt Bühler an: Helligkeit, Sättigung, Dauer, Intensität und Melodieverlauf und kommentiert: Jeder konkrete Vokallaut hat alle fünf Grundeigenschaften, die wir aufgezählt haben; es ist gar nicht denkbar, daß ihm eine von ihnen schlechthin abginge. […] Jedoch es gilt der Satz (und er enthält die Wendung von der Phonetik zur Phonologie), daß nicht alle diese Eigenschaften in allen Sprachen gleich relevant sind (Bühler, 1932: 26). Stellt die Untersuchung der genannten fünf Eigenschaften den genuinen Forschungsbereich der Phonetik dar und ist gleichzeitig zu vermerken, daß jeder Vokallaut notwendig sämtliche dieser Eigenschaften aufweisen muß, in einigen Sprachen jedoch Abweichungen von dieser Regel zu konstatieren sind, dann ist auch klar, daß das Relevanzprinzip „einer reinen Materialbetrachtung des Lautbestandes der menschlichen Sprache prinzipiell ent- Achim Eschbach 330 zogen und unzugänglich ist“ (Bühler, 1932: 27). Bühler (ibid.: 27) gibt hierzu folgende Erklärung: Wer zum ersten Mal von der Vokalarmut des Adyghischen berichten hört, der könnte sich die Dinge zunächst einmal so vorstellen, als kämen dort tatsächlich nichts anderes als immer nur drei Vokalklänge vor. Dem ist keineswegs so; denn wir finden bei Trubetzkoy die Notiz: ‚Das adyghische Phonem, das N. Jakovlev durch „a“ bezeichnet, hat nach Palatalen den objektiv phonetischen Lautwert eines i, nach oder vor gerundeten Velaren den eines u, zwischen zwei Labialen den eines ü, nach Dentalen den eines y, usw. Das Phonem „e“ lautet objektiv nach gerundeten Velaren als o, zwischen zwei Labialen als ö, usw. Die Artikulationsstellung bzw. Eigentonhöhe der adyghischen Vokale ist durch die phonetische Umgebung bestimmt und bedingt; unabhängig von dieser Umgebung - und also phonologisch gültig ist nur ihr ‚Öffnungsgrad‘. Es ergibt sich also auf dem Hintergrund dieses Beispiels, daß sich phonetisch gesehen Gleiches in phonologischer Sicht als unterschiedlich herausstellen kann. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich dann auf, wenn der gesamte Problembereich nicht, wie traditionell praktiziert, ausschließlich im Hinblick auf die jeweiligen Materialeigenschaften betrachtet wird, sondern man in einer zweiten, komplementären und notwendigen Hinsicht nach der Zeichenfunktion der Laute fragt. Verzichtete die traditionelle Phonetik nach eigenem Dafürhalten auf den gesamten Bereich der ‚Bedeutungen‘, so wäre abgehoben davon der Gegenstand der Phonologie als die Frage nach der sinnvollen Zeichenfunktion im kommunikativen Kontext als die Frage nach dem funktionell Relevanten zu bestimmen. Hierzu sagt Bühler (ibid.: 38): Mit den Zeichen, die eine Bedeutung tragen, ist es also so bestellt, daß das Sinnending, dies wahrnehmbare Etwas hic et nunc nicht mit der ganzen Fülle seiner konkreten Eigenschaften in die semantische Funktion eingehen muß. Vielmehr kann es sein, daß nur dies oder jenes abstrakte Moment für seinen Beruf, als Zeichen zu fungieren, relevant wird. Das ist in einfache Worte gefasst das Prinzip der abstraktiven Relevanz. Kehrt man aufgrund dieser Einsicht die Ausgangsfrage um und fragt danach, wie denn die Phonetik überhaupt zu einer Abgrenzung ihres Untersuchungsgebietes gelangen kann, so stellt sich die postulierte Bedeutungsabstinenz als Selbsttäuschung heraus, denn die Phonetik muß ebenfalls im Hinblick auf etwas, auf Wörter und Sätze nämlich, ihre Aussagen treffen, d.h. die Unterscheidungsgrundlage oder Diakrise zweier sprachlicher Zeichen ist in aller Regel die ganze Lautgestalt der Wörter: Die Funktion aller Einzellaute, die in dem Worte vorkommen, erschöpft sich darin, daß jeder von ihnen zum Gesamtgepräge des Lautzeichens das Seine beiträgt; für sich betrachtet ist keiner von ihnen etwas anderes als ein bedeutungsfreier Materialbestandteil des Lautganzen (ibid.: 42). Ist also gefordert, klassifizierend und typisierend das lautliche Material einer Sprache zu ordnen, so sind die dazu erforderlichen Gliederungsgesichtspunkte die diakritischen Zeichen der Sprache, die Phoneme, die sich ihrerseits auf der Basis der materialen Zeichenträger als die sprachlichen Zeichen par excellence erweisen (cf. Bühler 1932: 40). Nun steht im vorliegenden Diskussionszusammenhang nicht die sprachliche Diakrise im Zentrum des Interesses, sondern gefragt ist allgemeiner nach den Abstraktions- und Spezifikationsleistungen im Wahrnehmungsprozeß allgemein. In der Sprachtheorie stellt Bühler lapidar fest: „Das Phänomen der Abstraktion bedeutet eine Schlüsselposition in der Sematologie“ (Bühler 1978 b: 45), und die im Laufe seiner Werke zur Erläuterung dieser These Wahrnehmung und Zeichen 331 4 Den hier angesprochenen Sachverhalt des kontinuierlichen semiotischen Prozesses diskutiert Bühler vor allem i II. Kapitel seiner Sprachtheorie unter dem Stichwort der Deixis (cf. Bühler 1978 b: 79-149). herangezogenen Beispiele betreffen oftmals, wenn nicht sogar in überwiegendem Maße, nichtsprachliche Sachverhalte, oder um es deutlicher zu formulieren: Bühler ist der festen Überzeugung, daß sich in der gleichen Weise, wie er es anhand sprachlichen Materials demonstrierte, jedweder Zeichenprozeß darstellt. Um dieser Behauptung auf den Grund zu gehen, ist es erforderlich, an die Ausgangspunkte der Überlegungen zurückzukehren. Den biologischen Ursprung der Zeichenproduktion nimmt Bühler dort und nur dort im höheren Gemeinschaftsleben von Lebewesen an (cf. Bühler 1978 a: 211), wo eine situationsgerechte Kooperation von Individuen die Erweiterung des Horizonts der gemeinsamen Wahrnehmungen verlangt. Was eines der an der Kooperation beteiligten Individuen mehr hat an situationsgewichtigen Wahrnehmungs- oder Erinnerungsdaten, aus diesem Fonds wird die Mitteilung bestritten (Bühler 1976: 26). Nun ist es einleuchtend, daß nicht Wahrnehmungsdaten es sind, die mitgeteilt werden, sondern Zeichen als mediale Glieder an die Stelle dieser Data treten müssen. In der gemeinsamen Wahrnehmungssituation reicht „das Vor- und Aufzeigen der Dinge oder Hinweisen auf die Dinge“ (Bühler 1976: 25), um die Aufmerksamkeit anderer zu erregen; schwieriger gestaltet sich der Sachverhalt erst dann, wenn der Hinweis auf etwas Zukünftiges, nicht mehr anschaulich Vorhandenes erfolgen soll. Nun ist es gerade Bühlers großes Verdienst, den lückenlosen Nachweis geführt zu haben, daß kein qualitativer Sprung zwischen der gemeinsamen Wahrnehmungssituation und dem unanschaulichen Zeigen auftritt, sondern vielmehr eine einheitliche sematologische Begründung für jedweden Zeichenprozeß anzuführen ist. 4 Betrachten wir also die Situation, in der jemand einem anderen etwas über einen Wahrnehmungstatbestand mitteilen will. Diese Mitteilung läßt sich nun in zweierlei Hinsicht betrachten: auf der einen Seite als physikalisches Phänomen, sagen wir als Farben einer bestimmten Qualität, und auf der anderen Seite unter der Perspektive der von diesen Farben ausgeübten medialen Funktionen zwischen den Partnern der betrachteten sozialen Situation. Hätte sich Bühler bei seiner sematologischen Analyse mit dieser Feststellung begnügt, dann wäre er in derselben Sackgasse steckengeblieben wie das gesamte strukturalistisch-semiologische Programm, das die Analyse mit der Konstatierung der unvermittelten und unter diesem Vorzeichen unvermittelbaren Dichotomie von signifiant und signifié meinte stornieren zu dürfen. Bühler stellt jedoch an dieser entscheidenden Stelle des Verfahrens die Fragen, „ob Relationsbestimmungen überhaupt zu den Wahrnehmungsdaten gehören, und wenn ja, ob zweitens die Ordnung, worin das stare pro stattfindet, zu denen gehört, deren Relationen wahrnehmungsmäßig bestimmt werden können“ (Bühler 1976: 43f.). Daß es überhaupt zu der ersten Frage kommen konnte, führt Bühler sehr zutreffend darauf zurück, daß im Anschluß an die Tradition des atomistischen Zeichenbegriffs, die sich von John Locke über David Hume bis ins 19. Jahrhundert fortsetzte, das simultan oder sukzessiv Mannigfaltige ‚einer‘ Wahrnehmung oder Wahrnehmungsfolge als eine Komplexion oder Summation aus Einfachem begriffen wurde, wobei als Einfaches lediglich ‚Sinnesdaten‘ verstanden werden, die man sich isoliert, d.h. relationslos angebbar vorstellte. Daß aber gerade diese entscheidende Annahme auf tönernen Füßen steht, d.h. daß die besagten Data keineswegs relationslos angebbar sind, sondern bereits in sich Relationsmomente enthalten, ist in die neuere semiotische Diskussion (cf. Smart 1978; cf. Land 1974) unter den Stichworten des Zeichensystems und des Kontextprinzips eingegangen, auf das auch Bühler (1976: m Achim Eschbach 332 5 Gerade im Zusammenhang der Diskussion der scholastischen Formel ‚aliquid stat pro aliquo‘ zeigt sich, daß der Bühlersche Ansatz zwei Positionen zusammenzubinden versucht, die sich bei genauerer Prüfung als miteinander unvereinbar erweisen: Erkenntnistheoretisch wendet sich Bühler gegen den Wahrnehmungsatomismus, wie er bis ins 19. Jahrhundert und auch noch von W. Wundt usw. vertreten worden ist, und sagt dann unter dem Einfluß der Gestaltpsychologie, daß bereits die Wahrnehmung rational sei. Das entspricht grosso modo der zeitgenössischen Entwicklung in der Linguistik, nämlich dem Übergang von den Junggrammatikern zu etwa Bally, Sechehaye und anderen, d.h. zu den Strukturalisten. So findet sich beispielsweise bei Trubetzkoy in dessen Aufsatz über neuere Tendenzen in der Sprachwissenschaft eine ganz parallele Formulierung, in der er sich gegen den Wahrnehmungsatomismus ausspricht. Andererseits ist bei Bühler eine differentielle Umdeutung des scholastischen ‚aliquid stat pro aliquo‘ zu beobachten, insofern das ‚stare pro‘ reduziert wird auf den Status eines 44) - im Anklang an seine Würzburger theoretischen Studien - rekurriert, wenn er dieses Prinzip erläuternd schreibt: Summarisch gilt, daß alle Farbdaten, die der (darstellende) Maler auf der Palette technisch vorbereitet und dann in die Malfläche setzt, einen ‚Bildwert‘ für den Betrachter erhalten, der (nicht etwa nach den einfacheren Regeln der Nachbarschaftsbeziehungen wie Kontrast usw., sondern) vom Bildkontext als solchem bestimmt wird. Es ist also gar keine Ausnahme, sondern die Regel, daß die Wahrnehmungsdaten von dem wofür stehend sie hingenommen werden, mitbestimmt sind. Sie enthalten normalerweise Relationen der Art, auf die es uns ankommt. Wäre es nun so, daß die ‚Farbdaten‘, von denen Bühler spricht, ihren ‚Bildwert‘ lediglich aufgrund der Tatsache einer Kontiguitätsbeziehung erhielten, so handelte es sich bei diesem Kontextprinzip um nichts weiter als die Übernahme des strukturalistischen Wertprinzips. Bühler hebt jedoch besonders hervor, daß er sein Kontextprinzip gerade nicht an den einfacheren Regeln der Nachbarschaftsbeziehungen orientiert, sondern für die Bestimmung des ‚Bildwertes‘ von qualitativ andersartigen Relationsgefügen ausgeht: Über der Ebene einfacherer Kontiguitätsbeziehungen muß eine höhere Ordnung von Relationsgefügen angenommen werden, die letzten Endes Relevanz für die Wertbestimmung erhalten. Hierbei handelt es sich nun allerdings um etwas anderes als das starr strukturalistische Zuordnungsprinzip, weil unter dieser Voraussetzung die Zuordnung nicht mehr nach vorgängig festgelegten Regeln ablaufen kann, sondern sich als je kontextspezifische herausstellt. Im wissenschaftshistorischen Prozeß wäre im Anschluß an diese Bühlersche Sichtweise ein relativ naiver Angang, der sozusagen jedes Zeichen für sich interpretiert, ohne überhaupt auf Relationen zu achten, von dem strukturalistischen Ansatz zu unterscheiden, der unter dieser Perspektive durch die Annahme stabiler Nachbarstrukturen bzw. Umgebungsbeziehungen charakterisiert wäre, die allerdings auf einfache Kontexte beschränkt blieben, und schließlich von der Bühlerschen Position, die besagt, daß der Wahrnehmungsprozeß in dieser Weise zumindest nicht voll bestimmt sei, sondern notwendig eine Bestimmung durch den je übergreifenden Kontext, die nächst weitere Dimension zu erfolgen habe. Ist unter dieser Voraussetzung dann bei Bühler die Rede von der Bestimmung des Bildwertes durch den jeweiligen Bildkontext, so wird damit verdeutlicht, daß es sich bei dieser Sichtweise keineswegs um eine rein objektivistische Hypostasierung einer Relation von Daten handelt, die ohne Subjektleistung zustande kommt, sondern Bühler weist gesondert darauf hin, daß wir es sind, die die Daten in den Kontext eintragen, daß der Bildwert von Gnaden des Betrachters zustande kommt. Die Beantwortung der zweiten Frage, der Frage nämlich nach der Ordnung, in der das stare pro stattfindet, veranlaßt Bühler zu einer kritischen Überprüfung und Neubestimmung des aliquid stat pro aliquo 5 , der berühmten Formel der Scholastiker, die von der Sprache her Wahrnehmung und Zeichen 333 Index, während in der scholastischen Bedeutungstheorie das ‚aliquid stat pro aliquo‘ selbst auf zwei verschiedenen Ebenen entwickelt wird, nämlich auf der Ebene extensionaler und der Ebene intensionaler Bedeutung. Die prädikative Funktion des ‚stare pro‘ wird in Bühlers Ansatz jedoch völlig eliminiert. Es ist also festzustellen, daß Bühler zwar auf erkenntnistheoretischer Ebene realisiert, daß wir keine isolierten Monaden wahrnehmen, so wie sie sind, daß er aber diese Einsicht nicht auf den Zeichenbegriff übertragen kann. philosophierten. In relationstheoretischer Betrachtungsweise wären hier, wie im Falle jeder anderen Stellvertretung, zwei Fundamente zu unterscheiden, die säuberlich in der Untersuchung getrennt werden müssen, da es sich um nicht-reflexive Relationen handelt. Ist nun zu konstatieren, daß ein Konkretum eine Stellvertreterfunktion ausübt, dann erhebt sich die Frage, „kraft welcher Eigenschaften es die Vertretung erhielt und in die Vertretung eingeht, sie erfüllt“ (Bühler 1978 b: 40). An dem Konkretum müssen dieser Feststellung zufolge grundsätzlich zwei Aspekte unterscheidbar sein: Ein erster, der von der Funktion des Konkretums als Stellvertreter absieht und es in seiner sich uns zeigenden Materialität betrachtet, und ein zweiter, der diejenigen Eigenschaften thematisiert, an die die Vertretung gebunden ist (cf. Bühler 1978 b: 40). Konkretisieren wir die allgemein relationstheoretische Betrachtung für den Fall von Zeichenrelationen, so stellen wir fest, daß es „im Falle des Zeichenseins […] immer nur abstrakte Momente [sind], kraft derer und mit denen das Konkretum als Zeichen fungiert.“ (Bühler 1978 b: 40) Dieser sematologisch grundlegende Tatbestand ist weiter oben als das Prinzip der abstraktiven Relevanz bezeichnet worden. Zu einem endgültig befriedigenden Verständnis der scholastischen Formel aliquid stat pro aliquo hat uns der Hinweis auf das Prinzip der abstraktiven Relevanz noch nicht geführt; allerdings deutet der Hinweis auf dieses Prinzip in die Richtung, in der Bühler das letzte und entscheidende Bestimmungsstück seines Verständnisses der Zeichenrelation zu beziehen hofft. In seiner Ausdruckstheorie schreibt Bühler (1968: 194): Wir haben in den letzten zwei Jahrzehnten einzusehen gelernt, daß und wie eine ‚Mitberücksichtigung‘ oft der merkwürdigsten und heterogensten Nebenumstände selbst die scheinbar schlichtesten und angeblich ‚unmittelbaren‘ Wahrnehmungsdaten mitbestimmt. Wenn schon die scheinbare Größe der Sehdinge und ihre scheinbare Entfernung von uns, wenn Farben und Formen normalerweise gesehen werden unter Mitverwertung von Indizien, so soll man sich nicht verwundern darüber, daß dieselben Wahrnehmungsdaten und systemhöhere Gestaltmomente als Ausdruckszeichen erst recht in Relation zu oft verwickelten Situationsumständen gesehen und gedeutet werden. In demselben Zusammenhang spricht Bühler davon, daß das Deutungsverfahren der Hermeneutik dem Verfahren nach in gleicher Weise in der Ausdrucksdeutung praktiziert würde. Diesen eminent wichtigen Gedanken diskutiert Bühler wiederholt in seinem wohl bedeutendsten Werk, der Krise der Psychologie. Dort schreibt er: Ein wenig Abstraktion nur, und wir sind zu der Erkenntnis gelangt, daß Farben, wo immer sie uns begegnen, auch in der Wahrnehmung des täglichen Lebens, ähnlich einen ‚Sinn‘ haben wie ein Gemälde, d.h. als Zeichen stehen und die Dinge der Welt mit ihren Eigenschaften konstituieren helfen für unser Bewusstsein. Wir brauchen uns nicht erst, wie Spranger es für nötig hält, an künstliche Zeichen, z.B. den Buchstaben H zu wenden, um in der Wahrnehmung das Bedeutungsmoment […] zu entdecken (Bühler 1978 a: 72). Um diesen Gedanken in seiner Vollständigkeit verstehen zu können, müssen wir uns zumindest kurz der weiter oben zurückgestellten Frage nach den distinktiven Merkmalen von Anzeichen zuwenden. In seinem Organonmodell unterscheidet Bühler drei Momente, die ein Achim Eschbach 334 6 Betonte man mit Bühler, daß Zeichen Gebilde zweckgerichteten menschlichen Tuns sind, so wäre damit eine Brücke zwischen den drei Aspekten des Sinnbegriffs, die weiter unten angesprochen werden, und dem Bühlerschen Organon-Modell hergestellt. Bühler scheint mit der Betonung des Gebildeaspektes ausdrücken zu wollen, daß das Zeichen keine präexistente Größe darstellt, sondern in der Situation gemäß der jeweiligen Bedürfnislage hergestellt wird. Soll dieser Gebildeaspekt jedoch in letzter Instanz dem Zweckbegriff unterstellt sein, so müßte man gerade das schon haben, was in der Konstitutionsleistung erst erbracht werden soll. Natürlich ließe sich der Gebilde-Begriff in der Weise interpretieren, daß er auf eine konstitutive Leistung abzielt; diese Bewegung fände allerdings auf der Ebene einer allgemeinen Zeichentheorie statt, so daß in diesem Stadium der Diskussion gerade noch keine festen Deutungen unterstellt werden dürfen. Daraus folgt, daß nicht generell von Konstitution die Rede sein kann, während auf der anderen Seite eine Reihe von Zwecken unterstellt wird, auf die gleichzeitig Bezug genommen wird, da zur Sinnkonstitution weitaus mehr gehört als die Etablierung einer Zweckrelation, nämlich z.B. die Fähigkeit, etwas unterscheiden oder etwas identifizieren zu können, d.h. dasjenige, was die Ethnomethodologen ‚Basisakte‘ nennen. Das gleiche gilt im übrigen auch dafür, etwas Einheitliches festhalten zu können, die Erlernung von Objektkonstanz, Prozeßhaftigkeit, Beharrung usw. Konkretum dreimal verschieden zum Rang eines Zeichens erheben können. Diese Zeichenfunktionen kennzeichnet er folgendermaßen: Es (das komplexe Sprachzeichen) ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen (Bühler 1978 b: 28). Es hieße Bühler nun allerdings gründlich mißzuverstehen, wollte man diese Differenzierung dazu heranziehen, über die verschiedenen Zeichenarten unüberbrückbare Unterschiede zwischen den Anwendungsbereichen dieser Zeichen herbeizureden, wie es kommunikationstheoretische Unsitte ist, denn Bühler hat sich immer wieder gerade um den Nachweis bemüht, daß in genetischer wie systematischer Hinsicht diese drei Aspekte des Zeichens engstens miteinander verknüpft sind (cf. Bühler 1931: 105f.), so daß am ehesten noch von einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis die Rede sein kann, wie es im übrigen auch Charles S. Peirce in seiner Zeichentypologie entworfen hat. Unter dieser Voraussetzung ist Bühlers Bemerkung verständlich, „daß die Sprachzeichen nicht nur als Ordnungszeichen, sondern auch als Anzeichen einen ‚Sinn‘ haben“ (Bühler 1978 a: 127). Betrachtet man das bereits entwickelte und geordnete Wahrnehmungssystem des erwachsenen Menschen, so können wir sagen, daß sich in dieses System von Bestimmtheiten die neuen Meldungen der Sinne eintragen, respektive von uns eingetragen werden. Neben dieser grundlegenden intentionalen Beziehung, die dazu führt, daß wir das „warm“ als eine Eigenschaft des berührten Ofens spüren, fungieren dieselben Sinnesdaten als Anzeichen für Verschiedenes, was über die betreffenden Dinge zu sagen wäre. Das ist die Zeichenfunktion der Sinnesdaten in unseren Beobachtungen (cf. Bühler 1978 a: 78f.), die „ihren Halt und ihre Deutung erfahren als Eigenschaften von Wahrnehmungsdingen, die in einer konstanten Ordnung stehen“ (Bühler 1978 a: 81). Die ‚konstante Ordnung‘, der Zeichensystem-Aspekt, ist wie jedes andere Werkzeug ein Gebilde menschlichen zweckgerichteten Tuns. 6 Der Zeichenbenutzer hic et nunc ist zwar nicht in jeder Hinsicht und in vollem Ausmaß der Sinnverleiher des gerade von ihm produzierten Zeichens - die soziale Situation als Konstituens jedweden Zeichenverkehrs wurde bereits wiederholt benannt - aber das eine, daß es bis jetzt zur Aktualisierung gelangte und damit in höherem oder geringerem Grade eine individuelle Sinnuance erhielt, dafür ist der Wille oder der Organismus des Sprechers das Zwecksubjekt. Wahrnehmung und Zeichen 335 7 Gegen die hier von Bühler vorgeschlagene Identifizierung von Zeichen und Wert hat sich beispielsweise F. de Saussure ausdrücklich gewehrt, da seiner Auffassung nach Zweckbeziehungen immer erst auf der Grundlage eines interpretierten Wertsystems benannt werden können, weil uns nämlich ein solches Wertsystem überhaupt erst die begrifflichen Unterscheidungen liefert, aufgrund derer Zweckrelationen benennbar werden. Wenn Bühler daher in seiner Argumentation von Zeigesituationen ausgeht, so sollten einen diese Beispiele von vornherein mißtrauisch stimmen, da hierbei immer stillschweigend ein Verständigtsein über den Sinn einer solchen Veranstaltung ‚etwas zeigen‘ unterstellt wird. Daß aber ‚etwas Zeigen‘ selbst eine Tätigkeit ist, die man lernen muß, findet in diesem Erklärungsschema keine Berücksichtigung. Bühler spricht an der zitierten Stelle allerdings nicht nur von dem Verhältnis von Sinn und Wert, sondern er deutet auch die Absicht an, den Wertbegriff im Hinblick auf ein Telos zu konstituieren, so daß die Differenzierung dreier Aspekte des Sinnbegriffs - Sinn als Bedeutung, Wert und Zweck - letzten Endes auf eine finalistische Position hinausläuft. Die Rede über Zeichenfunktionen, die unter der Perspektive eines Telos ausdifferenziert werden, ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn eine bereits existente Bedeutungsdimension angenommen wird. 8 Die sinnlichen Daten haben nach Bühler die Funktion und den Rang von Anzeichen; auf das Beispiel bezogen heißt das: Wir sehen, daß das Barometer rapide fällt. Dieser Prozeß läßt sich allerdings nicht auf die sinnliche Wahrnehmung beschränken, da wir diese Wahrnehmung in bestimmter Weise interpretieren, indem wir sie in den Zusammenhang unserer Erfahrungen stellen und auf der Basis dieses Vergleichs gewisse Vermutungen formulieren, die den Charakter von Hypothesen besitzen. Die Formulierung eines Wahrnehmungsurteils bildet die Prämisse für den Wahrscheinlichkeitsschluß: ‚Morgen wird es regnen‘. Die Konfrontation mit den Daten liegt dennoch lediglich analytisch und nicht empirisch trennbar vor dem Wahrnehmungsurteil, da die Daten schon aufgrund vorhandener Erfahrungen konstituiert werden. Sind jedoch nie zuvor Erfahrungen mit einem Barometer gemacht worden, so daß dessen Funktionsweise unbekannt ist, so bliebe die Wahrnehmung u.U. auf etwas Gläsernes mit einem metallischen Inhalt beschränkt; aber auch in diesem Fall handelte es sich um keine Daten an sich, sondern um eine Interpretation der Daten auf der Basis allerdings unzureichender Erfahrungen. Wir schreiten über diese Subjektivität in der engsten Bedeutung des Wortes hinaus, wo und wie immer wir das usuelle Moment des Sprachsinnes betrachten und bestimmen. Nie aber wird, soweit das auch gehen mag, das ‚Telos‘ und die Subjektbezogenheit aus dem Begriff ‚Sprachsinn‘ schlechthin herausfallen dürfen. Der ‚Sinn an sich‘, abgesehen von einer Sprachgemeinschaft, für die er gültig ist, das wäre ein nicht minder unvollziehbarer Begriff wie etwa das ‚Geld an sich‘, abgesehen von einem Wirtschaftsbereich, in der es Kurs hat (Bühler 1978 a: 126). Um zu einer weiterführenden Klärung des Sinnbegriffs zu gelangen, schlägt Bühler (ibid.: 123) also folgende Differenzierung vor: Im Sinnbegriff schneiden sich zwei oder drei Gegenstandsgebiete. Es sind nur zwei, wenn der dritte Sprachgebrauch von Sinn = Wert oder Wertbezogenheit irgendwie auf den ersten von Sinn = Zweck oder Zweckbezogenheit reduzierbar ist. Ich nehme es als bewiesen oder beweisbar an, daß der Wertbegriff nicht anders als im Hinblick auf ein Telos konstituiert werden kann. Wenn sich auch der zweite Sprachgebrauch von Sinn = Bedeutung eine ähnliche Zurückführung gefallen läßt, stehen einer einheitlichen und exakten Definition des schwer faßbaren Begriffes keine prinzipiellen Schwierigkeiten mehr im Wege. 7 Mit diesen Überlegungen wird es nun möglich sein, den Wahrnehmungsprozeß auf der Basis der Bühlerschen Sematologie als einen Prozeß der Zeicheninterpretation zu bestimmen: Stellen wir uns vor, wir nähmen wahr, daß eine Barometersäule rapide fällt; aus diesem Tatbestand schließen wir auf ein drohendes Unwetter, d.h. wir deuten den ersten sinnlich wahrnehmbaren Tatbestand als ein Anzeichen für den zweiten. An diesem simplen Sachverhalt können wir zweierlei unterscheiden: „Etwas zum Range eines Anzeichens zu erheben, ist Sache unseres zweckgeregelten Denkens. Die Beobachtung am Barometer ist, logisch betrachtet, eine Prämisse des Wahrscheinlichkeitschlusses“ (Bühler 1978 a: 128; cf. Bühler 1931: 103). 8 Achim Eschbach 336 Wahrnehmen wäre demnach immer zu beschreiben als die Bildung eines Wahrnehmungsurteils. Aufgrund dieser Tatsache impliziert Bühlers Bezeichnung des Barometers als Anzeichen einen systematischen Fehler: Das, was wahrgenommen wird, ist der Sachverhalt, daß das Barometer fällt. Der Anzeichencharakter reduziert sich auf das pure Phänomen, daß ich, ohne überhaupt zu wissen, was das ganze bedeutet, imstande bin, das Fallen des Barometers in einem bestimmten Kontext wahrzunehmen. Bühler spricht jedoch auf einen Wahrnehmungsprozeß an, in dem dieser Vorgang nun tatsächlich gedeutet wird; der schon gedeutete Sachverhalt, um den es hier geht, lautet: ‚Das Barometer fällt‘; das aber unterscheidet sich erheblich von meiner Wahrnehmung einer Veränderung an einem Objekt. Wird ein Wahrnehmungsurteil gebildet, so geschieht das nicht in der Weise, daß eine Wahrnehmung gewissermaßen additiv mit einer anderen verbunden wird, sondern es handelt sich bei dem Wahrnehmungsurteil um eine sprachliche Kategorie, und nur aus dieser ist mit Hilfe der Formulierung eines Obersatzes die Vermutung zu bilden: ‚Morgen wird es regnen.‘ Deshalb müßte hier von Symbol die Rede sein und nicht von Anzeichen. Die Beobachtung am Barometer hat uns also zwei Phänomene A und B in einen Zusammenhang gebracht, von dem aus die Interpretation ihren Ausgang nehmen kann, denn bereits in diesem Zusammenhang ist „ein erster Sinngehalt der Wahrnehmung gegeben“ (Bühler 1978 a: 103), oder wie weiter oben gesagt wurde: Wahrnehmungen frei von jeder Zeichenfunktion der Sinnesdaten kann es insofern nicht geben, als in den Data bereits relationale Momente enthalten sind. Überschreiten wir diese Ebene des sinnlichen Kontaktes, d.h. betrachten wir das sinnlich Wahrgenommene als ein Anzeichen, so geschieht das in Form eines Wahrnehmungsurteils, dem allerdings eine gewisse Unsicherheit anhaftet, denn die uns vorliegenden Data erlauben lediglich einen Wahrscheinlichkeitsschluß, eine Hypothese. Die erfahrungsbedingte und -geleitete Ausgestaltung dieser Hypothese genügt jedoch dafür, einen logisch orientierten Denkprozeß einzuleiten. Damit erst ist in die sinntragenden Gebilde ein Sinn eingebracht, der nicht mehr als Seinseigenschaft dieser Gebilde erklärbar ist, sondern der ein Leistungs- oder Gestaltungsmoment ähnlich dem Wert des Papiergeldes (cf. Bühler 1978 a: 131) darstellt. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß der Sinn eines Zeichens nur auf dem Wege eines Deutungs- und Interpretationsverfahrens definierbar wird, wobei dieser Prozeß, der auch als ein Prozeß der Bewußtwerdung der in der sinnlichen Wahrnehmung - existentiell gesprochen - immer schon enthaltenen Zeichenrelation beschreibbar ist, mehrere Stadien oder Zuordnungsschritte zu absolvieren hat, die von den Data über die noch unsicheren Wahrnehmungsurteile zu dem erfahrungssicheren Verständnis des Zeichensinnes führt. Bibliographie Bühler, Karl 1931: „Phonetik und Phonologie“, in: Travaux du Cercle Linguistique de Prague 4 (1931): 22-53 Bühler, Karl 1932: „Das Ganze der Sprachtheorie, ihr Aufbau und ihre Teile“, in: Gustav Kafka (ed.) 1932: Bericht über den XII. Kongreß der deutschen Gesellschaft für Psychologie in Hamburg vom 12.-16. April 1931, Jena: Gustav Fischer, 97-122 Bühler, Karl 2 1968: Ausdruckstheorie. Das System an der Geschichte aufgezeigt, Stuttgart: Fischer Bühler, Karl 2 1976: Die Axiomatik der Sprachwissenschaften, Frankfurt: Klostermann Bühler, Karl 1978 a: Die Krise der Psychologie, Frankfurt: Ullstein Bühler, Karl 1978 b: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Frankfurt: Ullstein Gätschenberger, Richard 2 1977: Zeichen, die Fundamente des Wissens, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann- Holzboog Jakobson, Roman 1960: „Linguistics and Poetics“, in: Thomas A. Sebeok (ed.) 1960: Style in Language, Cambridge (Mass.): MIT Press, 350-377 Wahrnehmung und Zeichen 337 Kamp, Rudolf 1977: Axiomatische Sprachtheorie. Wissenschaftstheoretische Untersuchungen zum Konstitutionsproblem der Einzelwissenschaften am Beispiel der Sprachwissenschaftstheorie Karl Bühlers, Berlin: Duncker und Humblodt Land, Stephen K. 1974: From Signs to Propositions. The Concept of Form in Eighteenth-Century Semantic Theory, London: Longman Smart, Benjamin H. & Achim Eschbach (ed.) 1978: Grundlagen der Zeichentheorie: Grammatik, Logik, Rhetorik, Frankfurt: Syndikat Ungeheuer, Gerold 1967: „Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler“, in: To Honor Roman Jakobson. Essays on the Occasion of his Seventieth Birthday, vol. 3, Den Haag: Mouton, 2067-2086 Wunderlich, Dieter 1969: “Karl Bühlers Grundprinzipien der Sprachtheorie”, in: Muttersprache 79 (1969): 52-62 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! Mark Galliker Sprachpsychologie UTB M 2013, Seiten, €[D] 22,99/ SFr 31,90 ISBN 978-3-8252-4020-2 Wie entstand die Sprache des Menschen? Wie entwickelt sich das Sprachvermögen bei Kindern? Welche Vorgänge laufen beim Lesen- und Schreiben lernen ab? Mit solchen sprachpsychologischen Fragen beschäftigt sich dieses Buch. Bisher behandelte die Psychologie der Sprache ihre Gegenstände, das Sprechen und Zuhören, das Schreiben und Lesen, weitgehend individualistisch-experimentell, ohne Berücksichtigung der Evolution, Kultur und Kommunikation. Im vorliegenden Lehrbuch werden diese drei Aspekte integriert und auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse psychologisch und auch neuropsychologisch ausdifferenziert. Die neuronale Aktivität wird nicht als eindimensionale Ursache des Sprachgebrauchs betrachtet, sondern als naturwissenschaftlich nachvollziehbarer Durchgang des kulturhistorisch aufgearbeiteten Gesamtprozesses. Unter Berücksichtigung aktueller Forschungsresultate vermittelt dieser Band das notwendige Wissen über die Sprachpsychologie in einem gut verständlichen Überblick. Register und ein umfangreiches Glossar mit Fachbegriffen runden den Band ab. Michael Tomasello (*1950) Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? Zu den kognitionstheoretischen Grundlagen der Forschung Michael Tomasellos Rafael Mollenhauer Zusammenfassung: In seiner artgeschichtlichen Erklärung der Entstehung des menschlichen Denkens und der menschlichen Kommunikation betont Michael Tomasello soziale und kulturelle Phänomene mit der Zeit in immer stärkerem Maße. Doch ruht alle Sozialität bei Tomasello von jeher auf einem kognitiven Fundament. Dies zu zeigen, widmet sich der vorliegende Artikel unterschiedlichen Ebenen des Ansatzes. Dabei wird zugleich ersichtlich, dass Tomasello seiner heftigen Kritik an nativistischen Modultheorien zuwider selbst von angeborenen ‘Modulen’ kognitiver Art ausgeht. Abstract: In his species-historical explanation of the origins of human cognition and human communication, Michael Tomasello increasingly emphasizes social and cultural phenomena. However, all sociality in Tomasello’s research all along rests on a cognitive basement. To illustrate this, the present article attends to different levels of the approach. Thereby, it becomes obvious that despite his critical review of nativism and modularism Tomasello himself assumes innate ‘modules’ of cognition. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Rafael Mollenhauer 340 1 Im Original: The Cultural Origins of Human Cognition (1999), ausgezeichnet mit dem William James Book Award. I Der Jean-Nicod-Preis, der Hegel-Preis, der Oswald-Külpe-Preis - an Auszeichnungen mangelt es Michael Tomasello wahrlich nicht. Seine Arbeiten zur artgeschichtlichen Erklärung der Entstehung des menschlichen Denkens und der menschlichen Kommunikation sind überaus präsent und erfahren eine hohe Wertschätzung im wissenschaftlichen Diskurs. Im Vordergrund stehen dabei Schlagwörter wie Kooperativität, Altruismus und geteilte Intentionalität, die allesamt die soziale Natur des Menschen verdeutlichen sollen. Im Rahmen einer im Frühjahr 2013 am Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg abgehaltenen Tagung wurde gar über die Möglichkeiten diskutiert, die Tomasello der aktuellen soziologischen Theoriebildung eröffnet - weitgehend unkritisch und von Bewunderung getragen. Demgegenüber soll der vorliegende Artikel aufzeigen, dass Tomasellos Ansatz aller Betonung sozialer und kultureller Phänomene zum Trotz auf einem kognitionswissenschaftlichen Fundament ruht und dabei sogar Züge der von Tomasello (1990, 1995, 2002) selbst so stark kritisierten nativistischen Modultheorien aufweist. Der Fokus liegt dabei auf Tomasellos früherer Forschung und dem preisgekrönten Werk Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens (2002) 1 , das sich eine Erklärung der Entstehung des menschlichen Geistes unter Berücksichtigung von phylogenetischen, ontogenetischen und historischen Prozessen zum Ziel setzt. In diesem Werk und den ihm zugrundeliegenden theoretischen und methodologischen Überlegungen nämlich tritt das in Tomasellos Ansatz bis heute enthaltene kognitionswissenschaftliche und ‘modultheoretische’ Gedankengut besonders deutlich hervor. Um es zu identifizieren, wird zunächst eine kurze Darstellung der Kerngedanken Tomasellos damaliger Theorie gegeben (II). Darauf aufbauend folgt die Auseinandersetzung mit drei Aspekten, die Eingang in diese Theorie finden und zugleich einen Einblick in Tomasellos Arbeitsweise und seine theoretisch-methodologischen Überlegungen ermöglichen: die stetige Suche nach der entscheidenden, den menschlichen Geist begründenden kognitiven Anpassung (III); die Orientierung an den Arbeiten Jean Piagets (IV); und die Argumentation für die Kognitive Linguistik (V). Anschließend wird Tomasellos Umgang mit den Aspekten Kognition und Modularität noch einmal mit Blick auf die übergeordnete Theorieebene untersucht (VI), bevor schließlich zu rechtfertigen sein wird, dass die gewonnenen Erkenntnisse auch Tomasellos aktuelle Forschung betreffen und zudem Konsequenzen für seinen Anspruch einer artgeschichtlichen Erklärung der Entstehung menschlichen Denkens und menschlicher Kommunikation mit sich bringen (VII). II Ausgangspunkt der Überlegungen in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens ist die evolutionär gesehen sehr kurze Zeitspanne, die den Menschen von Menschenaffen unterscheidet. Aus Tomasellos Sicht stand […] einfach nicht genügend Zeit für normale biologische Evolutionsprozesse […] zur Verfügung, um Schritt für Schritt jede der kognitiven Fertigkeiten zu erzeugen, die es modernen Menschen ermöglichen, komplexe Werkzeuggebräuche und Technologien, komplexe Formen Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 341 der Kommunikation und Repräsentation durch Symbole und komplexe Formen gesellschaftlicher Organisationen und Institutionen zu erfinden und aufrechtzuerhalten (Tomasello 2002: 13). Die Lösung dieses zeitlichen Problems sieht Tomasello in kultureller Weitergabe, die auf einer deutlich schnelleren Zeitskala operiere und beim Menschen in Form der so genannten kumulativen kulturellen Evolution in einzigartiger Weise gegeben sei. Die komplexesten sozialen Praktiken und Artefakte des Menschen seien zunächst in primitiver Form erfunden und dann von späteren Benutzern verbessert worden, statt zu einem Zeitpunkt ein für allemal erfunden worden zu sein (cf. Tomasello 2002: 14-15). Neben Erfindungsgabe (die Tomasello auch nichtmenschlichen Primaten zuspricht) erfordere dieser auch Wagenhebereffekt (ratchet effect) genannte Prozess eine zuverlässige soziale Weitergabe, die im einzigartig menschlichen kulturellen Lernen gegeben sei (cf. auch Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993). Imitationslernen, Lernen durch Unterricht und Lernen durch Zusammenarbeit als Grundformen kulturellen Lernens führt Tomasello ihrerseits auf eine biologische Anpassung kognitiver Art zurück: Diese drei Typen kulturellen Lernens werden durch eine einzige besondere Form sozialer Kognition ermöglicht, nämlich durch die Fähigkeit einzelner Organismen, ihre Artgenossen als ihnen ähnliche Wesen zu verstehen, die ein intentionales und geistiges Leben haben wie sie selbst. Dieses Verständnis ermöglicht es ihnen, sich in die geistige Welt einer anderen Person hineinzuversetzen, so dass sie nicht nur vom anderen, sondern auch durch den anderen lernen können. Diese Auffassung anderer als intentionale Wesen, die einem selbst ähnlich sind, ist entscheidend für das kulturelle Lernen des Menschen (Tomasello 2002: 15) (Hervorh. im Original). In Tomasellos Szenario entwickelten Menschen demnach zunächst eine einzigartige Form sozialer Kognition: das Verstehen anderer als intentionale Akteure. Dieses wiederum gründet auf einer biologischen Anpassung, die Tomasello als die Identifikation mit anderen oder die Auffassung von anderen als mir ähnlich bezeichnet (cf. Tomasello 2002: 89). Erst auf dieser phylogenetischen Grundlage würden in einem historischen Zeitraum kulturelles Lernen, Prozesse der Soziogenese und eine kumulative kulturelle Evolution ermöglicht. Die besonderen kognitiven Fertigkeiten des Menschen seien (abgesehen vom grundlegenden Verstehen anderer als intentionale Akteure) keinesfalls aus dem Nichts entstanden, sondern gründeten auf bereits bei nichtmenschlichen Primaten bestehenden kognitiven Fertigkeiten, die mit Hilfe des gesteigerten Verstehens von Intentionalität “in neue, kulturell basierte Fertigkeiten mit einer sozial-kollektiven Dimension” (Tomasello 2002: 17) transformiert würden. Vollständig verstehen könne man die Entstehung des spezifisch menschlichen Denkens indes nur unter zusätzlicher Berücksichtigung ontogenetischer Prozesse. So könnten Kinder ab einem Alter von etwa 9 Monaten am kognitiven Kollektiv partizipieren, indem sie ihre Aufmerksamkeit gemeinsam mit anderen Individuen auf etwas lenken (joint attention) und von ihnen durch Imitation lernen. Diese neu auftretenden Tätigkeiten seien nichts anderes als “die ontogenetische Manifestation der einzigartigen sozio-kognitiven Anpassung des Menschen für die Identifikation mit anderen, wodurch diese als intentionale Wesen wie das eigene Selbst verstanden werden” (Tomasello 2002: 17-18). Der Zeitpunkt dieser Neunmonatsrevolution wird damit erklärt, dass neben der angeborenen Identifikation mit anderen ein zweiter Faktor essentiell für das Verstehen anderer als intentionale Akteure sei: Das Verstehen der eigenen Intentionen nämlich komme genau in diesem Alter zum Vorschein und erlaube gepaart mit einer Auffassung anderer Personen als mir ähnlich kurz darauf auch das Rafael Mollenhauer 342 2 Wenn der Anspruch dieses Artikels auch allein im Herausarbeiten der kognitionswissenschaftlich-‘modultheoretischen’ Wurzeln des Tomaselloschen Ansatzes besteht, so wird dieses Ziel ja nicht ohne Grund verfolgt, sondern vielmehr vor dem Hintergrund einer in weiterer Forschungsarbeit zu begründenden Annahme: dass ein solches Fundament nämlich ungeeignet ist, die Genese des menschlichen Geistes und spezifisch menschlicher Formen der Interaktion zu erklären (s. unten). Verstehen der Intentionen anderer Personen (cf. Tomasello 2002: 89). Erst aufbauend auf einer solchen Auffassung anderer als intentionale (oder geistbegabte) Wesen könne das Kind in die Welt der Kultur eindringen. Es eröffneten sich nun einzigartige Formen kognitiver Repräsentationen. Kulturelles Lernen werde genutzt, um sprachliche und andere kommunikative Symbole zu erwerben. Die Hypothese Tomasellos damaliger Forschung besagt also, dass die artspezifischen kognitiven Leistungen des Menschen nicht direkt auf biologische Vererbung zurückgehen, sondern stattdessen aus einer Vielzahl ineinander verzahnter historischer und ontogenetischer Prozesse resultieren, die ihrerseits auf eine biologisch vererbte kognitive Struktur zurückgehen. Eben diese Fähigkeit unterscheide den Menschen in kognitiver Hinsicht von allen anderen Lebewesen inklusive nichtmenschlicher Primaten (cf. Tomasello 2002: 25). III Es ist demnach eine angeborene kognitive Fähigkeit, die in Tomasellos (damaligem) Ansatz die Grundlage der Entstehung des menschlichen Denkens bildet. Wie Tomasello zu der Annahme gelangt, gerade das Verstehen anderer als intentionale Akteure zeichne in der oben skizzierten Form für alle Spezifika des menschlichen Denkens verantwortlich, soll im Folgenden nachgezeichnet werden, wobei durchaus beabsichtigt auch Widersprüche offengelegt werden. 2 Schon sehr früh ist Tomasellos Arbeit seinem entwicklungspsychologischen Hintergrund entsprechend von der Idee geleitet, entscheidende, den menschlichen Geist begründende kognitive Fähigkeiten identifizieren zu wollen. Von vornherein scheint dabei klar zu sein, dass die Kognition die Grundlage aller weiteren Überlegungen darstellen und als Ausgangspunkt der artgeschichtlichen Erklärung menschlichen Denkens dienen muss. Schnell stellt sich somit die Frage, woher diese kognitiven Fähigkeiten überhaupt kommen - ihre Angeborenheit anzunehmen, ist eine Möglichkeit, die Tomasello schon früh diskutiert und schließlich auch favorisiert. Tomasellos früheste Forschung ist vor allem dem Spracherwerb, der Ontogenese der Sozialkognition und (in zunächst geringerem Maße) der Primatenforschung gewidmet. Der Versuch einer artgeschichtlichen Erklärung des menschlichen Denkens wird noch nicht unternommen. Immerhin zieht Tomasello in seinem Artikel Cultural Transmission in the Tool Use and Communicatory Signaling of Chimpanzees? (1990a) bereits einen Vergleich der für Schimpansen und Menschen jeweils charakteristischen Lernprozesse und markiert damit durchaus schon einen ersten Schritt in Richtung einer umfassenden Theorie zur Entstehung des menschlichen Denkens. Er vertritt dort die Auffassung, dass Schimpansen sowohl im Bereich kommunikativer Signale als auch mit Blick auf den Werkzeuggebrauch über individuelle und soziale, nicht aber über kulturelle Formen des Lernens verfügen. Im Zusammenhang mit kulturellen Formen des Lernens spricht Tomasello bereits von dem in seiner weiteren Forschung so bedeutenden Wagenhebereffekt (cf. Tomasello 1990a: 305-306). Zwar kann er die den Wagenhebereffekt begründenden Formen der Kognition zu diesem Zeitpunkt Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 343 3 Hier wurde auf den Nachdruck von 1999 zurückgegriffen. Auch nachfolgende Zitate beziehen sich mit ihren Seitenangaben auf diese Version des Artikels. Der zeitlichen Einordnung wegen ist das ursprüngliche Erscheinungsjahr 1993 aber weiterhin jeweils vorangestellt. 4 Das kollaborative Lernen bezeichnet bei Tomasello im Gegensatz zum Imitationslernen und zum Lernen durch Unterricht keine Form kultureller Überlieferung, sondern kennzeichnet einen Prozess, in welchem Kinder in Abwesenheit Erwachsener (oder auch Erwachsene in Abwesenheit von Experten, so z.B. in der Wissenschaft) gemeinsam etwas erschaffen oder konstruieren (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 113). noch nicht identifizieren, er stößt aber bereits eine genauere Untersuchung an: “I mean [my conclusions] to stimulate a closer look at the underlying cognitive and social-cognitive processes involved in cultural transmission and related social learning phenomena” (Tomasello 1990a: 306). In seiner ersten Monographie First Verbs (1992) und dem Artikel The Social Bases of Language Acquisition (1992a), zwei in der Hauptsache dem Spracherwerb gewidmeten Arbeiten, wird dem Verstehen der Intentionen anderer Personen dann bereits entscheidende Bedeutung zugesprochen. Weder wird dabei aber der später übliche Terminus understanding of others as intentional agents (Verstehen anderer als intentionale Akteure) verwendet noch ist von der einen entscheidenden biologischen Anpassungsleistung die Rede. In beiden Werken wird zudem nicht nur das Verstehen der Intentionen anderer Personen, sondern auch das Verstehen ihrer mentalen Zustände als kognitive Voraussetzung des kulturellen Lernens und des Wagenhebereffekts aufgefasst (cf. Tomasello 1992: 271; Tomasello 1992a: 84). Unklar ist zu diesem Zeitpunkt auch, wie genau das Verstehen anderer als intentionale Akteure entsteht, wie es sich zusammensetzt und in welchem Verhältnis es zum Verstehen mentaler Zustände steht. Diesbezüglich ist allerdings zu berücksichtigen, dass die von Tomasello bearbeiteten Forschungsbereiche erst langsam beginnen, zu einer umfassenden Theorie der Entstehung menschlichen Denkens zusammenzufließen. Ausschließlich der Frage nach den (kognitiven) Ursprüngen der menschlichen Kultur widmet Tomasello sich erstmals mit dem Artikel Cultural Learning (Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999 3 ). Im Rahmen dieser Arbeit unterscheiden die Autoren drei in der Ontogenese des Menschen nacheinander auftretende Formen kulturellen Lernens, die jeweils mit einem sozial-kognitiven Konzept bzw. einer Form der Perspektivenübernahme in Verbindung stünden. Während das Imitationslernen auf einem Konzept intentionaler Akteure gründe und eine einfache Perspektivenübernahme erfordere, ginge das Lernen durch Unterricht (instructed learning) mit einem Konzept mentaler Akteure und koordinierter Perspektivenübernahme oder Intersubjektivität einher. Das kollaborative Lernen bedinge schließlich ein Konzept reflektiver Akteure und beinhalte reflektive Intersubjektivität. 4 Dieses Theoriekonstrukt stellen die Autoren der Theory-of-Mind-Forschung gegenüber, denn letztere nehme die schrittweise Entwicklung des Verstehens anderer Personen nicht in den Blick (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 117). Mit dem Konzept einer das Verstehen intentionaler, mentaler und reflektiver Akteure einschließenden Perspektivenübernahme (und Intersubjektivität), die ein Lernen nicht nur vom anderen, sondern durch den anderen erst ermögliche, eifert Tomasello anderen Theoretikern nach: […] human beings are able, depending on one’s choice of theory and terminology, to take the role of the other (Mead 1934), to take the perspective of the other (Premack 1988), to simulate the mental states of the other (Harris 1991), to engage in joint attention with the other (Bruner 1983), to engage in mindreading of the other (Whiten 1991), to understand the other as a ‘person’ (Hobson, in press), or to participate with the other intersubjectively (Trevarthen Rafael Mollenhauer 344 5 Die im Zitat angeführten Arbeiten sind nicht ohne Weiteres vergleichbar oder gar miteinander in Einklang zu bringen. Mead (1934) findet den Ausgangspunkt seiner Studien beispielsweise in der Gesellschaft, über die er erst zum Individuum gelangt. Premack (1988) und Bruner (1983) wählen hingegen das Individuum als Ausgangspunkt, wobei Premack einen kognitivistischen, Bruner dagegen einen interaktionistischen, aber doch vom Einzelnen ausgehenden Ansatz vertritt. 1979b). We will speak of ‘perspective-taking’ when the learner is attempting to see the situation from another person’s point of view and of ‘intersubjectivity’ when both the learner and other person are doing this simultaneously and reciprocally (Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 103-104). 5 Die Bedeutung gerade des Verstehens intentionaler Zustände leitet Tomasello aus verschiedensten Studien und Befunden ab. So seien Kinder ab einem Alter von etwa neun Monaten in der Lage, konventionelle linguistische Symbole (cf. Bates 1979) und objektgerichtete Handlungen (cf. Meltzoff 1988) über Imitation zu lernen. In etwa zeitgleich träten weitere neue Fähigkeiten auf, die z.B. die gemeinsame Aufmerksamkeit (cf. Bakeman/ Adamson 1982) und die soziale Referenzbildung (cf. U giris/ Kruper 1992) beträfen. All diese neu auftretenden Verhaltensweisen seien nur auf der Grundlage eines Verstehens der Wahrnehmungen und Intentionen anderer Personen, die sich von unbelebten Objekten unterscheiden, möglich und sinnvoll (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 106-108). Nichtsdestotrotz kommt dem Verstehen anderer als intentionale Akteure noch nicht der ihm später (cf. Tomasello 2002) zugedachte Stellenwert zu. So ist zwar bereits von evolutionary adaptians (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 133) die Rede, dass es sich bei diesen Anpassungen um das Konzept intentionaler Akteure oder um eine Auffassung von anderen als mir ähnlich handelt, wird jedoch nicht expliziert. Dazu passend sprechen die Autoren das eigentlich spezifisch menschliche Imitationslernen mitsamt dem ihm zugrundeliegenden Konzept intentionaler Akteure in einem Sonderfall auch nichtmenschlichen Primaten zu. Akkulturierte (in menschlicher Umgebung aufgewachsene) Schimpansen verfügten nämlich sowohl über einfache Formen der Perspektivenübernahme als auch über die damit zusammenhängenden Formen des Lernens (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 127). Dies allein reiche für die Schaffung einer Kultur wie der menschlichen jedoch nicht aus. Erst in Kombination mit pädagogischen Instruktionen, also einem auf dem Verstehen anderer als mentale Akteure beruhenden instructed learning, entfalte das Imitationslernen demnach seine volle Wirkung - weshalb auch akkulturierten Affen die Errungenschaften der menschlichen Kultur verborgen blieben, obwohl sie andere als intentionale Akteure verstünden und somit durch Imitation lernten (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 131). Auch das Verstehen anderer als mentale Akteure fungiert aber nicht im Sinne eines ‘Grundlagenmoduls’ wie später das Verstehen anderer als intentionale Akteure. Vielmehr gehen die Autoren von einer allgemeinen, sich stufenweise entwickelnden Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und Intersubjektivität aus (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999). Diese ist in einer entscheidenden Hinsicht nicht mit den Überlegungen der späteren Theorie in Einklang zu bringen. Während das Verstehen anderer als intentionale Akteure in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens nämlich auf der angeborenen menschlichen Fähigkeit gründet, andere als mir ähnlich zu begreifen, und erst dann in Kraft tritt, wenn das Individuum sich seiner eigenen Intentionen bewusst wird, sodass es von ihnen auf die Intentionen anderer schließen kann (s. oben), ist die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme in Cultural Learning nicht davon abhängig, dass das Individuum sich über seine eigenen Intentionen, mentalen Zustände usw. im Klaren ist. Im Gegenteil: Erst durch die Übernahme Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 345 6 Der Verweis auf Mead bleibt auch in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens bestehen (cf. Tomasello 2002: 87). Da dort aber ein umgekehrtes, nicht mehr mit Mead vereinbares Konzept vertreten wird (das Individuum gelangt von der Selbsterfahrung zu einem neuen Verständnis anderer Personen), verweist Tomasello nun lediglich darauf, dass schon Mead die Bedeutung einer Analogie mit dem Selbst für das Verstehen anderer Personen erkannt habe. 7 Das in Cultural Learning vorgetragene Konzept des Verstehens anderer als intentionale (und mentale) Akteure vertritt Tomasello als alleiniger Autor auch an anderer Stelle (cf. Tomasello 1993, 1994), sodass die Abweichungen zur späteren Theorie nicht auf Einflüsse der anderen Autoren zurückzuführen sind. der Perspektive des Gegenübers werde das Kind sich seiner eigenen Intentionen bewusst (Tomasello verweist hier auf Mead 1934 6 , cf. auch Tomasello 1994). Simulationserklärungen, die ein Verstehen der eigenen mentalen Zustände voraussetzen, werden in Cultural Learning als problematisch betrachtet (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 117). Eine eben solche Simulationserklärung liefert Tomasello in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens aber selbst (cf. Tomasello 2002: 88; s. oben). Obwohl das Verstehen anderer als intentionale Akteure bereits identifiziert ist und als bedeutend angesehen wird, bestehen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Cultural Learning also noch einige Unterschiede zur späteren Theorie. 7 Das Verstehen anderer als intentionale Akteure ist in jedem Fall aber schon als gesonderter, fundamentaler Schritt in der kindlichen kognitiven Entwicklung dargestellt und wird nicht als bloßer precursor einer theory of mind (cf. Tomasello/ Kruger/ Ratner 1993/ 1999: 117) verstanden (cf. hierzu insbesondere Tomasello 1995a). Als evolutionäre Anpassung sieht Tomasello indes die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme an (cf. Tomasello 1994: 180). Entscheidende Veränderungen auf dem Weg zur späteren Theorie sind im Jahre 1995 zu verzeichnen. In Joint Attention as Social Cognition nutzt Tomasello nicht nur bereits den später üblichen Terminus understanding of others as intentional agents; er sieht die entsprechende Fähigkeit auch schon als entscheidende, eine theory of mind erst begründende kognitive Kompetenz des Menschen an. Zwar wird diese Sicht im Grunde bereits in Cultural Learning vertreten, während Tomasello dort aber von einer allgemeinen, mehrere Entwicklungsschritte beinhaltenden Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ausgeht und erst mit dem Verstehen anderer als mentale Akteure die Einzigartigkeit des Menschen vollends gegeben sieht, betrachtet er das Verstehen anderer als intentionale Akteure nun nicht mehr nur als eigenständigen, sondern ganz ausdrücklich auch als entscheidenden und bereits spezifisch menschlichen Entwicklungsschritt, dem eine theory of mind (ein Verstehen anderer als mentale Akteure) nachgeordnet ist (cf. Tomasello 1995a: 126-127). Verändert hat sich auch Tomasellos Erklärung der Entstehung eines Verstehens anderer als intentionale Akteure. Er geht nun von zwei bedeutenden sozial-kognitiven Entwicklungssträngen aus. Zum einen nehme das Kind schon sehr früh an reziproken, imitierenden und konvergierenden Interaktionen teil, wodurch es mit der Zeit verstünde, dass es anderen ähnlich, jedoch nicht mit ihnen identisch ist. Zum anderen differenzierten Kinder gegen Ende ihres ersten Lebensjahres zum ersten Mal zwischen Mitteln und Zielen, verhielten sich somit intentional und verstünden diese Intentionalität auch (cf. Tomasello 1995a: 121-122). Die hier vertretene Ansicht kommt der in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens vorgetragenen Theorie schon recht nahe. In beiden Arbeiten muss das Kind sich zuerst seiner eigenen Intentionen bewusst sein, bevor es auf die Intentionen anderer schließen kann. In beiden Arbeiten muss es außerdem erkennen, dass es anderen Personen ähnlich ist. Ein entscheidender Unterschied besteht aber insofern, als das Kind in Joint Attention as Social Cognition erst im Rahmen von Rafael Mollenhauer 346 8 Wiederum stellt Tomasello auch die früher von ihm selbst vertretene Alternative vor, dieses Mal jedoch ohne Verweis auf seine eigenen Vorarbeiten, sondern lediglich unter Nennung einer (damals schon angeführten) Arbeit von Gopnik (1993). Interaktionen zu letzterer Erkenntnis gelangt, in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens aber über eine angeborene Auffassung anderer Personen als mir ähnlich verfügt. Tomasellos dort vertretene Ansicht lehnt sich eher an den im Kern nativistischen Ansatz von Meltzoff/ Gopnik (1993) als an die eigenen Vorarbeiten an: “Meine eigene Sichtweise stimmt mit Meltzoff und Gopnik darin überein, daß das frühkindliche Verstehen anderer als ‘mir ähnlich’ tatsächlich das Ergebnis einer spezifisch menschlichen biologischen Anpassung ist” (Tomasello 2002: 89). In seinem ebenfalls 1995 erschienenen Aufsatz Understanding the Self as Social Agent gibt Tomasello dann selbst an, die Entstehung des für seinen Ansatz so entscheidenden Verstehens anderer als intentionale Akteure in vorangegangenen Arbeiten (in Abhängigkeit von der genauen Fragestellung) auf zweierlei Weise erklärt zu haben, und äußert die Ansicht, beide Ansätze hätten etwas Wahres für sich (cf. Tomasello 1995b: 454). Dennoch sind die weiteren Ausführungen nahezu identisch mit den in Joint Attention as Social Cognition dargelegten Überlegungen (cf. Tomasello 1995b: 456). Ob die Identifikation mit anderen hier noch als allein über Interaktionen mit anderen erworben angesehen wird oder bereits als angeborene Fähigkeit, bleibt vage. Einerseits äußert Tomasello wie schon in Joint Attention as Social Cognition ganz deutlich die Ansicht, Kinder gelangten erst über regelmäßige Interaktionen mit anderen zu einer Identifikation mit anderen (cf. Tomassello 1995b: 456). Andererseits deutet der Verweis auf die Defizite autistischer Kinder (cf. Tomasello 1995b: 457-458) ebenso die Angeborenheit dieser Fähigkeit an wie nachfolgendes Zitat: “What is new in the current account relative to my previous accounts is that even though self-understanding and self-concept are not the objects of direct selection pressures in phylogeny, the mechanism by which humans come to understand others involves as a precondition identification with others” (Tomasello 1995b: 457). In Primate Cognition (1997, gemeinsam mit Josep Call), Tomasellos zweiter Monographie, scheint schließlich eine Entscheidung zu Gunsten der Angeborenheit gefallen. Im Abschlusskapitel des Werkes, das bereits zahlreiche Gedanken der späteren Theorie enthält (cf. insbesondere Tomasello/ Call 1997: 401-429), wird diesbezüglich aber weiter nicht durchgängig eindeutig Stellung bezogen. Der Ausgangspunkt bleibt bestehen: Während alle Primaten sich intentional verhielten, verfüge allein der Mensch über die Fähigkeit, sich mit anderen zu identifizieren, und gelange so zum Verstehen anderer als intentionale Akteure (cf. Tomasello/ Call 1997: 417). 8 Ob diese Identifikation mit anderen angeboren ist, wird unter Hinzuziehung des nativistischen Ansatzes von Meltzoff/ Gopnik (1993) sowie des lernorientierten Ansatzes von Barresi/ Moore (1996) zunächst zur Diskussion gestellt, ohne dass bereits eine Entscheidung getroffen würde (cf. Tomasello/ Call 1997: 416-417). Kurz darauf nimmt Tomasello aber wiederum Bezug auf autistische Kinder und spricht ganz explizit von einem biologischen Defizit hinsichtlich der Identifikation mit anderen (cf. Tomasello/ Call 1997: 418), womit ohne Zweifel eine Hinwendung zu dem von Meltzoff und Gopnik (1993) vertretenen starting state nativism verbunden ist. Andererseits werden akkulturierten Affen aber menschenähnliche Entwicklungspfade zugeschrieben, sowohl ihre sozial-kognitiven Fähigkeiten betreffend als auch in Bezug auf ihre Erfahrungen soziokultureller Interaktionen (cf. Tomasello/ Call 1997: 420). Es ist auch erneut davon die Rede, die Tiere könnten andere als intentionale Akteure verstehen (cf. Tomasello/ Call 1997: 394). Was man den Tieren aber Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 347 absprechen könne, seien narrative und taxonomische Formen kognitiver Organisation, sodass davon auszugehen sei, “that, in addition to certain kinds of social and cultural experience, individuals must bring to the process certain biological preparations as well” (Tomasello/ Call 1997: 420). Man würde an dieser Stelle wohl kaum vermuten, dass es sich bei diesen biologischen Vorbereitungen um die Identifikation mit anderen handelt - wäre dem so, könnten akkulturierte Affen andere Personen nicht als intentionale Akteure verstehen. Dennoch heißt es nur zwei Seiten später: “Our overall point of view is that there is ultimately one key adaption that makes human cognition different from that of other primates: the identification of self with others” (Tomasello/ Call 1997: 422). Die in Primate Cognition bestehenden Unklarheiten sollten jedoch nicht daran hindern, die dortigen Gedankengänge bereits als in weitgehender Übereinstimmung mit dem Ansatz in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens zu betrachten. Denn auch Tomasellos Hauptwerk stellt letztlich einen Zwischenschritt einer im stetigen Wandel befindlichen Forschung dar und beinhaltet seinerseits weiterhin Widersprüche. So wird das Verstehen anderer als intentionale Akteure mit Blick auf die Leistungen akkulturierter Affen zwar nicht mehr explizit benannt, dafür aber das von dieser Fähigkeit abhängige Imitationslernen (cf. Tomasello 2002: 47), obwohl die Identifikation mit anderen in Anlehnung an Meltzoff/ Gopnik dort ganz eindeutig als biologische Anpassung angesehen wird (cf. Tomasello 2002: 89). Dass besonders die Leistungen akkulturierter Affen Probleme für die Theorie mit sich bringen, gesteht Tomasello in seinem Aufsatz Social Cognition and the Evolution of Culture (1998) selbst ein: “If we could leave human-raised apes out of the picture, the story would be straightforward” (Tomasello 1998: 240). Er hält zu diesem Zeitpunkt zwei Erklärungen für möglich. Zum einen könne über frühe Interaktionen mit Menschen eine Sozialisierung der Aufmerksamkeit stattfinden - eine Ansicht, die er auch in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens vertritt. Zum anderen bestehe die Möglichkeit, dass die von den Tieren gezeigten Leistungen des Imitationslernens auf anderen sozial-kognitiven Fähigkeiten beruhen als diejenigen Fähigkeiten, hinsichtlich derer die Affen Begrenzungen zeigen. Insofern hier von Beschränkungen in Bezug auf shared intentions and attention (cf. Tomasello 1998: 240) die Rede ist, darf diese zweite Vermutung schon als Vorausblick auf Tomasellos spätere Forschung und das Konzept geteilter Intentionalität (cf. Tomasello 2009) verstanden werden. IV Nicht nur die Suche nach den entscheidenden kognitiven Grundlagen menschlicher Kultur, die schließlich in der Annahme einer spezifisch menschlichen Fähigkeit des Verstehens anderer als intentionale Akteure mündet, deutet darauf hin, dass Tomasello seine Forschung aus einer klassisch psychologischen, sprich am Individuum und seiner Kognition orientierten Position heraus angeht. Tomasello bezieht sich daneben sowohl in seiner frühen Spracherwerbs- (cf. z.B. Tomasello 1992) und Primatenforschung (cf. z.B. Tomasello/ Call 1997) als auch in seiner frühen Forschung zur Ontogenese der Sozialkognition (cf. z.B. Tomasello 1994) in großer Regelmäßigkeit auf die Arbeiten Jean Piagets, dessen kognitivistischer Ansatz die Spracherwerbsforschung nachhaltig geprägt hat (cf. auch Klann-Delius 2008: 98). Auch in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens finden Piagets Studien (1970, 1974, 1981, 1992) starke Berücksichtigung, und Tomasello äußert hier gar die Ansicht, dass Piagets Werk jedem mit der kindlichen Kognition befassten Forscher als Ausgangspunkt Rafael Mollenhauer 348 9 Tomasello gibt hier nicht die Studien selbst als Quelle an, sondern bezieht sich hinsichtlich der Studie(n) von Baillargeon und Kollegen auf eine Übersicht bei Baillargeon (1995) und mit Blick auf die Studie(n) von Spelke und Kollegen auf eine Übersicht bei Haith/ Benson (1998). Da in der Übersicht von Baillargeon zahlreiche thematisch passende (in Tomasellos Literaturverzeichnis allesamt nicht angegebene) Studien gelistet sind, ist nicht ganz klar, auf welche dieser Studien Tomasello Bezug nimmt. Auch in der Übersicht bei Haith und Benson sind mehrere von Elizabeth Spelke gemeinsam mit anderen Forschern durchgeführte, thematisch passende Studien aufgeführt. Davon taucht lediglich die Arbeit Origins of Knowledge (Spelke/ Breinlinger/ Macomber/ Jacobson 1992) auch in Tomasellos Literaturverzeichnis (in dem weitere Arbeiten von Spelke und Kollegen gelistet sind) auf. seiner Studien diene (cf. Tomasello 2002: 72). Entsprechend lehnt Tomasello selbst seine Theorie in vielerlei Hinsicht an Überlegungen Piagets an: Wie Piaget (1981) vermutet er, dass das am Ende der frühen Kindheit auftretende moralische Verständnis weniger durch Regeln als vielmehr über die Einfühlung in andere - insbesondere gleichgestellte - Personen gestaltet wird (cf. Tomasello 2002: 209-211); die von Piaget hinsichtlich des Zahlbegriffs herausgestellten Aspekte der Serialität (oder Ordinalität) und Kardinalität nutzt er in ihrer Korrelation mit syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen innerhalb der Sprache zur Stützung seiner These, dass der Zahlbegriff und damit letztlich auch die Mathematik auf der soziokulturellen Kognition gründet (cf. Tomasello 2002: 218-219); mit Piaget (1970) nimmt er an, dass die Systematisierung mathematischer Begriffe durch die Reflexion auf eigene mathematische Operationen zustande kommt (cf. Tomasello 2002: 228); und unter Berufung auf den frühen Piaget betont er die Durchdringung schon der frühkindlichen Kognition von Prozessen der Perspektivenübernahme (cf. Tomasello 2002: 230). Gleichwohl stimmt Tomasello natürlich nicht in jeder Hinsicht mit Piaget überein, beanstandet z.B., dass Piagets Formalisierung der Kognition “in terms of mathematical group theory” (Tomasello 1992: 6) dem wissenschaftlichen Fortschritt eher hinderlich gewesen sei, und äußert des Weiteren die Ansicht, dass Piaget Sprachsymbole lediglich als Etiketten schon bestehender Begriffe betrachtet und so die Bedeutung des Spracherwerbs (in Form der Intersubjektivität und Perspektivität sprachlicher Symbole) für die weitere kognitive Entwicklung (vor allem für die Herausbildung kognitiver Repräsentationen) unterschätzt habe (cf. Tomasello 2002: 148). Besonders interessant ist Tomasellos Bezugnahme auf Piaget aber im Bereich des Verstehens von Dingen und dem für Tomasello so entscheidenden Verstehen anderer Personen. Hier wird ebenso eine Verwurzelung der Tomaselloschen Arbeiten im Werk Piagets sichtbar, wie Tomasello die Besonderheiten seiner Position in Distanzierung vom Gedankengut Piagets deutlich macht. Zunächst nimmt Tomasello Bezug auf Piagets (1974, 1992) Befunde, nach denen Kinder mit etwa vier Monaten beginnen, nach Gegenständen zu greifen, mit ungefähr acht Monaten anfangen, verschwundene Gegenstände zu suchen (und bei Greifversuchen Hindernisse beiseite zu räumen), und mit zwölf bis achtzehn Monaten anfangen, unsichtbare Ortsveränderungen von Gegenständen zu verfolgen sowie räumliche, zeitliche und kausale Beziehungen zwischen Dingen zu verstehen (cf. Tomasello 2002: 72). Während Piaget diese schrittweise Entwicklung auf die aktive kindliche Erkundung und Manipulation von Gegenständen, bei der aus konvergierenden Strängen sensorischer und motorischer Information Wirklichkeit konstruiert werde, zurückführt, hätten die Studien von Baillargeon et al. sowie Spelke et al. 9 aufgezeigt, dass bereits drei bis vier Monate alte Kinder gewisse Fähigkeiten bezüglich Objektpermanenz aufweisen. Da bis zu diesem Alter - wie von Piaget bemerkt - noch keine Erkundungen und Manipulationen von Gegenständen stattgefunden haben, könnten jene Fähigkeiten aber nicht als Resultat eines Umgangs mit Dingen angesehen Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 349 werden (cf. Tomasello 2002: 72-73). Vielmehr sei zu beachten, dass sowohl die kindlichen Fähigkeiten im Hinblick auf Objektpermanenz als auch andere, später auftretende kognitive Vermögen hinsichtlich des Verstehens von Dingen (kognitive Landkarten, mentales Drehen von Gegenständen usw.) in vergleichbarer Form auch bei nichtmenschlichen Primaten anzutreffen seien. Somit “[…] spielen menschliche Kleinkinder einfach nur ihre Primatenerbschaft aus. Nur daß sie eben länger dafür brauchen, weil sie in einem Zustand schwach entwickelter Wahrnehmung und Motorik geboren werden.” (Tomasello 2002: 73) Dass Tomasello mit Blick auf das kindliche Verstehen von Dingen im Gegensatz zu Piaget von angeborenen Fähigkeiten ausgeht, scheint zunächst einer von ihm zuvor getätigten Aussage zu widersprechen, nach der die Suche nach angeborenen Strukturen insofern wenig sinnvoll sei, als sie nichts zum Verständnis von Entwicklungsprozessen beitrage (cf. Tomasello 2002: 64-65). Tomasello betont an gleicher Stelle aber auch, dass die Suche nach angeborenen Faktoren der Kognition schon zu bedeutenden wissenschaftlichen Erkenntnissen geführt habe - und nennt beispielhaft die eben geschilderte augenscheinliche Widerlegung Piagets. Die Entscheidung darüber, ob ein Merkmal angeboren ist oder nicht, sei letztlich insoweit von wissenschaftlicher Bedeutung, als sie helfe, “[…] die Entwicklungsprozesse zu verstehen, die während der menschlichen Ontogenese am Werk sind, einschließlich aller Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, zu welcher Zeit und wie genau sie das tun.” (Tomasello 2002: 65-66) Tomasello grenzt sich demnach dadurch von Piaget ab, dass er frühkindliche kognitive Fähigkeiten in Bezug auf das Verstehen von Dingen nicht als über die Erkundung und Manipulation von Gegenständen (also durch den Umgang mit der dinglichen Umwelt) erlernt ansieht, sondern sie vielmehr als angeboren betrachtet. Keinesfalls verlässt er damit die von Piaget eröffneten kognitivistischen Pfade; im Gegenteil: Tomasello stützt sich in diesem Punkt allein auf die individuelle Kognition und betritt gar den von ihm selbst so stark kritisierten nativistischen Zweig des Kognitivismus. Dabei scheint der Wert der genannten (aber nicht mit einer genauen Quellenangabe versehenen) Studien, aus denen die Angeborenheit angeblich geschlossen werden könne, gar nicht so klar. Was dem Leser nämlich zunächst als unhintergehbare wissenschaftliche Erkenntnis verkauft wird, versieht Tomasello anschließend mit dem Vermerk, dass es “[…] natürlich methodologische Streitfragen bezüglich der neuen Methode […]” (Tomasello 2002: 73) gebe. Nur allzu gut passen die Ergebnisse dieser Studien - im Gegensatz zu den diesbezüglichen Annahmen Piagets - aber in das Bild der Tomaselloschen Theorie und untermauern die Annahme einer kulturellen Evolution, die für alle Spezifika des menschlichen Denkens verantwortlich zeichnet, jedoch erst mit neun bis zwölf Monaten und auf einer angeborenen, sozial-kognitiven Grundlage (das Verstehen anderer als intentionale Akteure) in Kraft tritt. Was das kindliche Verstehen anderer Personen betrifft, lehnt Tomasello sich aber wieder ganz entscheidend an die Überlegungen Piagets an und stützt sich auch auf dessen Experimente. Zunächst hätten die Studien von Piaget (1974, 1992) in Bezug auf ein Verständnis des eigenen Handelns gezeigt, dass Kinder in den ersten Lebensmonaten zwar verstehen, dass sie mit ihren Handlungen Resultate in der äußeren Umgebung erzielen, jedoch nicht, wie und aus welchem Grund sie dies tun (cf. Tomasello 2002: 89). Wenn unter acht Monate alte Kinder die Möglichkeit erhielten, interessante Wirkungen bei äußeren Gegenständen zu reproduzieren, akkomodierten sie sich kaum an abweichende Situationen, wohingegen Piaget bei älteren Kindern (a) den Gebrauch verschiedener Verhaltensmittel für denselben Zweck und (b) die Identifikation und den Einsatz verhaltensmäßiger Zwischenglieder feststellte, sodass Tomasello unter Übernahme der Ausführungen Piagets auf ein neues Niveau intentionaler Tätigkeiten schließt (cf. Tomasello 2002: 89-91). Rafael Mollenhauer 350 10 Anders als bei Tomasello ist der Terminus Imitation bei Piaget nicht für Lernprozesse reserviert, die auf dem Verstehen anderer als intentionale Akteure gründen, da Piaget nicht zwischen einem Verstehen anderer als Quellen von Selbstbewegung und einem Verstehen anderer als intentionale Akteure unterscheidet (s. Fortgang des Textes). 11 Mit der Betonung der Vorzüge einer an der Kognitiven Linguistik ausgerichteten Forschung ist bei Tomasello teilweise auch eine Argumentation für die Funktionale Linguistik verbunden. Diese wird von Tomasello teils als unabhängig entstandener companion (cf. Tomasello 1996: 275) der Kognitiven Linguistik aufgefasst (cf. hierzu auch Tomasello 1998a: VIII), teils aber auch als der Kognitiven Linguistik übergeordnet angesehen (cf. Tomasello 1998b: 477). Da Tomasello sich aber nie ausschließlich der Funktionalen Linguistik, sondern entweder allein der Kognitiven Linguistik oder einem cognitive-functional approach (cf. Tomasello 1998a: XIII) zuwendet und die Argumente in beiden Fällen in weitgehender Übereinstimmung vorgetragen werden, soll der Fokus des vorliegenden Abschnitts allein auf der für sich schon kaum überschaubaren Kognitiven Linguistik liegen. Wie schon Piaget (1974) glaubt Tomasello außerdem, dass die kindliche Zuschreibung kausaler Kräfte zu äußeren Entitäten zunächst auf andere Personen zielt (cf. Tomasello 2002: 91). Piaget führt dies auf Imitation 10 zurück: In Analogie zu ihren eigenen Handlungen schrieben Kinder den Handlungen anderer Personen ihre Wirkungsfähigkeit zu (cf. Piaget 1974: 307; Tomasello 2002: 91). Obwohl sich diese Ansicht weitgehend mit Tomasellos Annahme einer frühen Identifikation mit anderen deckt, betont Tomasello, dass seine Theorie insoweit über die Ausführungen Piagets hinausgehe, als dieser die aus seiner Sicht so wichtige Unterscheidung zwischen einem Verständnis anderer als Quellen von Selbstbewegung und Kraft und einem Verständnis anderer als intentionale Akteure (beruhend auf einem Verständnis der eigenen Intentionen) nicht treffe (cf. Tomasello 2002: 91-92). Dass Tomasello sich hier in einem seiner Meinung nach entscheidenden Detail von Piaget distanziert, sollte jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass Piagets Ansichten bezüglich des Verstehens anderer Personen entscheidenden Einfluss auf Tomasellos Werk genommen haben. Sowohl das von Tomasello angenommene Verstehen der eigenen Handlungen bei unter und über 8-9 Monate alten Kindern als auch die Identifikation mit anderen werden weitgehend von Piaget übernommen (wenngleich Tomasellos Theorie hier, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, wohl viele weitere Einflüsse beinhaltet). Lediglich die auf der Grundlage der bereits von Piaget implizierten Identifikation mit anderen angenommenen, das Verstehen anderer Personen betreffenden Korrelate des Verstehens eigener Handlungen gehen eindeutig über die Ausführungen Piagets hinaus. Tomasello schließt sich den Überlegungen Piagets letztlich in vielerlei Hinsicht an, distanziert sich nichtsdestotrotz in manchen Punkten von ihnen, verlässt dabei aber nie das schon von Piaget betretene kognitivistische Terrain, sondern lässt stattdessen gewisse Hinwendungen zum Nativismus erkennen. V In der Spracherwerbsforschung, seinem ursprünglichen Forschungsschwerpunkt, weist Tomasello sich an verschiedenen Stellen als Befürworter und Vertreter der Kognitiven Linguistik aus (cf. Tomasello 1992, 1995, 1996, 1998a, 1998b, 2002). 11 Nun ist die Kognitive Linguistik jedoch kein einheitliches, kohärentes Forschungsfeld und schon bei der Frage nach ihren Ursprüngen offenbaren sich unterschiedliche Positionen. Manch einer sieht die Wurzeln des Paradigmas in den Arbeiten Chomskys (1957, 1965), der mit seiner Kritik am behavio- Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 351 12 In Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens bezieht Tomasello sich gleich mehrfach auf Lakoff (cf. Tomasello 2002: 20, 196-198) und Langacker (cf. Tomasello 2002: 142, 160, 177-179), aber auch in früheren Arbeiten (cf. z.B. Tomasello 1992, 1995) stützt er sich immer wieder auf deren Thesen. ristischen Ansatz Skinners (cf. Chomsky 1959) die Kognitive Wende einleitete und damit eine mentalistische Sprachtheorie begründete (cf. hierzu Schwarz 2008: 16-17). Zum Teil definieren sich Vertreter der Kognitiven Linguistik aber gerade in Abgrenzung von der Generativen Grammatik und sehen den Ursprung des Forschungszweigs in psycholinguistischen Arbeiten der 1970er Jahre (cf. z.B. Evans/ Green 2006: 3; Lee 2001: XI). Auch nach Tomasellos Auffassung erwuchs die Kognitive Linguistik einer sich bei Chomskys Schülern mehr und mehr einstellenden Unzufriedenheit mit der Ablehnung kognitiver und sozialer Dimensionen sprachlicher Kommunikation (cf. Tomasello 1998a: VIII). Da aber auch der Großteil der in den 1970er Jahren entstandenen psycholinguistischen Arbeiten im Kern noch mit Chomskys Gedankengut, vor allem der Annahme einer autonomen Syntax, belastet sei (cf. Tomasello 1998a: VIII), sieht Tomasello die eigentlichen Wurzeln der Kognitiven Linguistik im Jahre 1987 und der Veröffentlichung von George Lakoffs Women, Fire and Dangerous Things: What Categories Reveal about the Mind und Ronald Langackers erstem Band der Foundations of Cognitive Grammar sowie der Gründung der International Cognitive Linguistics Association (cf. Tomasello 1998b: 477-478). Die unterschiedlichen Auffassungen über die Ursprünge der Kognitiven Linguistik sind nach Schwarz (2008: 48-56) darauf zurückzuführen, dass innerhalb der kognitiv geprägten Linguistik zwischen einem modularen und einem holistischen Ansatz zu unterscheiden sei und letzterer den ersteren nicht als Kognitive Linguistik zur Kenntnis nehme. Während Vertreter der modularen Position Sprache in Anlehnung an Chomsky als eigenständiges Subsystem der Kognition betrachteten, sich u.a. durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung und ihr Interesse an “repräsentationalen sowie prozeduralen Schnittstellen der Sprache mit anderen Kenntnissystemen” (Schwarz 2008: 53) aber doch von der traditionellen Generativen Grammatik emanzipiert hätten, betone die holistische Kognitive Linguistik die enge Verbindung zwischen sprachlichen und allgemeinen kognitiven Prinzipien, sodass auch und vor allem in der Spracherwerbsforschung nativistische Erklärungsansätze strikt abgelehnt würden (cf. Schwarz 2008: 56). Entsprechend wird auch speziell die kognitiv-linguistisch arbeitende Spracherwerbsforschung betreffend unterschieden zwischen einem modularen und einem holistischen (cf. Schwarz 2008: 141-150) bzw. einem nativistischen und einem sozialkognitiven Ansatz (cf. Rickheit/ Weiss/ Eikmeyer 2010: 88-91). Zweifellos können Tomasellos Überlegungen zum Spracherwerb oberflächlich betrachtet nur dem besonders in der Entwicklungspsychologie verbreiteten (cf. Schwarz 2008: 148) holistischen bzw. sozial-kognitiven Ansatz innerhalb der Kognitiven Linguistik zugerechnet werden. Wie für Vertreter dieser Position üblich nimmt Tomasello modulare Ansätze nicht als der Kognitiven Linguistik zugehörig wahr. Vielmehr spricht er sich mit aller Vehemenz gegen nativistische Modultheorien aus, widmet der Kritik an derartigen Ansätzen sogar ganze Aufsätze (cf. Tomasello 1990, 1995), und trägt auch seine Argumente für die Kognitive Linguistik ausschließlich in Abgrenzung von der Generativen Grammatik vor. Des Weiteren bezieht Tomasello sich nicht nur immer wieder auf Jean Piaget (s. oben) als wohl bekanntesten Vertreter einer holistischen Position des Spracherwerbs (cf. Schwarz 2008: 145), sondern in großer Regelmäßigkeit auch auf George Lakoff (1987, 1990), Ronald W. Langacker (1987, 1987a, 1991) und andere prominente Vertreter des holistischen Ansatzes. 12 Tomasellos Theorie beinhaltet außerdem kein autonomes Sprachmodul; sie beruht stattdessen Rafael Mollenhauer 352 - wie oben dargelegt - auf der Annahme einer umfassenderen Anpassung im sozialkognitiven Bereich. Doch macht die hiermit angesprochene Identifikation mit anderen ihrerseits nur einen Teil des Denkens aus (und wird zudem als angeboren erachtet), sodass es leichtfertig wäre, Tomasellos Ansatz von jedem modularen Denken freizusprechen. Hier ist also eine nähere Charakterisierung der Tomaselloschen Position innerhalb der Kognitiven Linguistik notwendig. Einen entscheidenden Vorteil gegenüber formalistischen Modultheorien sieht Tomasello darin, dass die Kognitive Linguistik dem Forscher erlaube, Sprachstrukturen in Begriffen psychologischer (kognitiver und sozial-kognitiver) Prozesse zu beschreiben. Nur so könne die menschliche Sprache in Beziehung gesetzt werden zur allgemeinen menschlichen Kognition und Sozialkognition (cf. Tomasello 1992: 2-3). Mit diesem Argument ist das auf George Lakoff (1990) zurückgehende cognitive commitment angesprochen - eine mit der holistischen Perspektive getroffene Übereinkunft, nach der Sprache und ihre Organisation allgemeine kognitive Prinzipien wiederzuspiegeln haben und mit den Erkenntnissen anderer kognitiv orientierter Disziplinen in Relation zu setzen sind (cf. hierzu Evans/ Green 2006: 40-44). Für Tomasello sind Sprache und ihre Strukturen somit in gleicher Art und Weise zu studieren und zu erforschen wie andere kognitive Fertigkeiten auch: [T]he structures of language are taken directly from human cognition, and so linguistic communication, including its grammatical structure, should be studied in the same basic manner using the same basic theoretical constructs as all other cognitive skills. (Tomasello 1998a: XX) (Hervorh. von mir, R.M.) Ich möchte an dieser Stelle insbesondere drei Punkte hervorheben, die mit einer derartigen Sichtweise einhergehen: die Auffassung von Sprache als einer dem Individuum zugehörigen Fertigkeit oder Fähigkeit; die Forderung nach Interdisziplinarität; und die schon angeführte Ablehnung formalistisch-modultheoretischer Positionen. Dass Sprache als kognitive Fertigkeit verstanden wird, unterstreicht nochmals das kognitive Fundament des Ansatzes. Tomasello betont zwar immer wieder die Bedeutung sozialer und kultureller Phänomene, bettet diese (im hier angeführten Fall die Sprache) aber letztlich doch wieder in das Individuum ein. Interdisziplinär ist die Kognitive Linguistik insofern, als neben Linguisten und Psychologen auch Philosophen und Neurowissenschaftler zusammenkommen, vor allem aber psycholinguistische und neurolinguistische Strömungen zusammentreffen und einander ergänzen. Dabei rückten die neuronalen Grundlagen in jüngerer Vergangenheit verstärkt in den Fokus kognitionswissenschaftlicher Untersuchungen (cf. Schwarz 2008: 37-38). Obwohl Tomasello die Vorzüge seiner Forschung gerade in ihrer interdisziplinären Ausrichtung sieht und das Leipziger Max-Planck-Institut sich eben dieser interdisziplinären Arbeit verschrieben hat (cf. Tomasello 2002: 7-9), zeigt er sich dennoch skeptisch, was die neuronalen Grundlagen von Sprache und vor allem die Lokalisation von Sprachfunktionen im Gehirn betrifft. Er erklärt, dass selbst neueste Technologien nicht aufzeigten, welcher Bereich des Gehirns mit welchen Aspekten des Sprachgebrauchs und Sprachverstehens in Verbindung stehen, und fügt unter Berufung auf die Kognitionswissenschaftlerin Elizabeth Bates (1994) hinzu: “Indeed, the more we know about the brain the more we find that strict localization of language functions is not the case” (Tomasello 1995: 143), zumal “die Lokalisierung von Funktionen im Gehirn eine Folge vieler verschiedener Entwicklungsprozesse sein kann, und es keine genetische Spezifikation von Wissensinhalten gibt.” (Tomasello 2002: 236) Tomasello hebt demgegenüber vor allem die Bedeutung einer Zusammenarbeit von Linguisten und Psychologen hervor (cf. Tomasello 1998a: XXI). Da die ursprünglichen Ver- Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 353 13 Nichtsdestoweniger definieren sich heute auch sprachwissenschaftlich arbeitende Vertreter der Kognitiven Linguistik gerade über Experimente (cf. z.B. Rickheit/ Weiss/ Eikmeyer 2010). treter der Kognitiven Linguistik der Sprachwissenschaft entstammten (cf. Tomasello 1998a: XX), sei auch die Methodik typischerweise hauptsächlich durch die Beobachtung des Gebrauchs und Verstehens bestimmter sprachlicher Ausdrücke in bestimmten natürlichen Situationen geleitet. 13 Eine diesbezügliche Kritik von psychologischer Seite hält Tomasello für nicht gerechtfertigt, denn zum einen böten auch Beobachtungen natürlichen Verhaltens gute Belege für die kognitive Fundierung der Sprache, zum anderen hätte erst die Arbeit der Linguisten eine neue (kognitive) Perspektive auf Sprache eröffnet, die hochgradig kompatibel mit der psychologisch-kognitionswissenschaftlichen Sicht auf Verhalten, Wahrnehmung, Kognition und Kommunikation sei (cf. Tomasello 1998a: XX-XI). Letztlich sei es Aufgabe der Psychologen, kontrollierte Experimente durchzuführen, und psycholinguistische Methoden böten sich hier durchaus an: Cognitive linguists typically pursue their investigations by looking at how people use and understand particular types of linguistic expressions in particular types of naturalistic situations, a method not especially familiar to mainstream cognitive scientists. But the goals of cognitive linguistics may also be pursued by means of traditional psycholinguistic methods such as learning experiments, error analysis, and reaction time studies[.] (Tomasello 1998b: 486) Tomasellos eigener Ansatz stützt sich nur in wenigen Fällen auf Beobachtungen natürlicher Situationen (cf. z.B. Tomasello 1992) und basiert - wie von einem Entwicklungspsychologen kaum anders zu erwarten - in der Regel auf experimentellen Untersuchungen, von denen er sich tiefere Einblicke in das menschliche Sprachverhalten erhofft (cf. Tomasello 1998a: XXI). Seine an der Kognition orientierte, klassisch psychologische Perspektive verliert Tomasello demnach auch auf methodischer Ebene nicht aus den Augen. Überhaupt scheint die von ihm vertretene Kognitive Linguistik trotz - womöglich aber auch aufgrund - der Bezugnahme auf das cognitive commitment nur insofern interdisziplinär, als Tomasello ein mehr und mehr in Mode gekommenes und von kognitionswissenschaftlich ausgerichteten Linguisten (wie Lakoff oder Langacker) ausgearbeitetes Konzept aufgreift und es nutzt, um die ohnehin eingenommene entwicklungspsychologische Position verstärkt auf den Untersuchungsgegenstand Sprache und Kommunikation zu projizieren. Eben diese Form der Interdisziplinarität findet schließlich nicht nur im Rahmen einer an der Kognitiven Linguistik orientierten Spracherwerbsforschung, sondern auch auf übergeordneter Ebene Eingang in Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Dort nämlich sieht Tomasello eine interdisziplinäre Ausrichtung seiner Untersuchung allein durch die Verwendung naturwissenschaftlicher Methoden (an der Entwicklungspsychologie und der Vergleichenden Psychologie orientierte Experimente) für einen seiner Ansicht nach klassischen Untersuchungsgegenstand der Geisteswissenschaften (die Rolle sozialer und kultureller Tätigkeiten für die menschliche Kognition) gegeben (cf. Tomasello 2002: 8-9). Methodologische Offenheit, wie sie von Bühler (2000) vorbildlich demonstriert wird, geht mit einer derartigen Vorgehensweise nicht einher. Vielmehr erfährt die Hypothese einer Tomasellos Arbeiten von vornherein gegebenen klassisch psychologischen, am Individuum und seinen kognitiven Fähigkeiten orientierten Ausrichtung nochmalige Bestätigung. Modultheoretische Ansätze kritisiert Tomasello mit Blick auf das cognitive commitment vor allem insofern, als diese eben nicht versuchten, ja sich stattdessen sogar dagegen wehrten, Rafael Mollenhauer 354 Relationen zwischen Sprache und anderen kognitiven Vermögen herzustellen. Aufgrund ihrer Argumentation für ein angeborenes Sprachmodul behaupteten sie zum Beispiel, es gebe keinerlei Verbindung zwischen Nomen und Verben auf der einen Seite und Objekten und Aktionen auf der anderen Seite (cf. Tomasello 1992: 3). Die Annahme einer Autonomie der Syntax sei dabei einfach eine das Paradigma definierende Hypothese und Resultat eines nach mathematischen Prinzipien aufgebauten Ansatzes, nicht aber das Ergebnis empirischer Studien. Diese habe man erst nachträglich und zur Bestätigung eines angeborenen Sprachmoduls durchzuführen begonnen, wobei Inselbegabte (Linguistic Savants) oder der Spracherwerb unter erschwerten Bedingungen als Belege angeführt worden seien (cf. Tomasello 1998a: X). In der Regel werde nicht berücksichtigt, dass eine biologische Grundlage nicht allein die Sprache betreffen muss, sondern - wie von Tomasello (2002) angenommen - auch auf grundlegenderer Ebene gegeben sein kann (cf. Tomasello 1998a: X-XI). Dem cognitive commitment entsprechend nehme die Kognitive Linguistik daher keine strikte Trennung von Syntax und Semantik an, sondern stelle die Opposition von linguistischen Symbolen bzw. Strukturen (sei es auf lexikalischer, morphologischer oder syntaktischer Ebene) einerseits und den von ihnen stets verkörperten Bedeutungen und Funktionen (Semantik und Pragmatik) andererseits in den Vordergrund (cf. Tomasello 1995: 149). Nur wenn Sprache als Manifestation des Denkens aufgefasst werde, könne z.B. erklärt werden, dass dem Sprecher in Abhängigkeit von seinen Intentionen, dem Kontext seiner Äußerung und dem Wissen, das er dem Hörer zuschreibt, unendliche Möglichkeiten der sprachlichen Konstruktion einer referentiellen Situation offenstehen (cf. Tomasello 1998b: 479). Auch die Besonderheiten etwa von Metaphern oder Idiomen gerieten nicht aus dem Blick, sofern der Fokus nicht auf kategorialen und abstrakten Aspekten der Syntax, sondern auf Äußerungen, die reale Personen in realen Diskursen produzieren, liege (cf. Tomasello 1998a: XIII). Natürliche Sprachen dürften folglich nicht wie in der Generativen Grammatik losgelöst von anderen Aspekten der Kognition betrachtet werden, sondern seien als “ways of symbolizing cognition for purposes of communication” (Tomasello 1998b: 478) aufzufassen, weshalb Tomasello hinsichtlich der Kognitiven Linguistik auch von einer new psychology of language (cf. Tomasello 1998a: XX) spricht. Mögen Tomasellos Einwände gegenüber dem Vorgehen Generativer Grammatiker auch ihre Berechtigung haben, stellt sich unter Berücksichtigung seiner methodologischen Ausrichtung sowie seiner Form der (Pseudo-)Interdisziplinarität dennoch die Frage, inwiefern sein eigenes Vorgehen sich von dem der Generativen Grammatiker unterscheidet. Auch seine Experimente sind in ihrem Untersuchungsdesign entscheidend bestimmt durch ein von vornherein vertretenes Paradigma und seine an der Kognition des Individuums ausgerichtete psychologische Position veranlasst ihn erst, nach den kognitiven Grundlagen spezifisch menschlicher Errungenschaften wie der Sprache zu suchen und diese kognitiven Eigenschaften bzw. Fähigkeiten auch als Erklärungsgrundlage menschlicher Kultur heranzuziehen. Ein entscheidender Vorteil der Kognitiven Linguistik liegt für Tomasello folglich darin, dass sie eine Anwendung der in der Kognitionswissenschaft üblichen Untersuchungsdesigns für den Untersuchungsgegenstand Sprache rechtfertigt: “This [cognitive linguistics] view of human cognition and linguistic communication lends itself readily to all kinds of empirical investigations of the type common in cognitive science.” (Tomasello 1998b: 486) Die tatsächlich stattfindenden Prozesse erst einmal zu beschreiben und die Methoden in Abhängigkeit vom Explanandum auszuwählen, wäre ein alternativer Weg, mit dem sich aus einer methodologischen Voreingenommenheit resultierende Erklärungsbeschränkungen und damit möglicherweise verbundene Probleme vermeiden ließen. Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 355 14 Daneben vertritt Tomasello in seiner Primatenforschung die Kognitive Verhaltensforschung und in seiner Forschung zur Ontogenese der Sozialkognition das sozial-kognitive Paradigma der Joint-Attention-Forschung. 15 Hier sind insbesondere Tomasellos Joint-Attention-Forschung und seine Spracherwerbsforschung angesprochen, denn sowohl das Phänomen joint attention als auch der Spracherwerb sind bei Tomasello nur auf der Grundlage eines Verstehens anderer als intentionale Akteure denkbar. In der Primatenforschung spielt diese Fähigkeit erst später eine Rolle - dann nämlich, wenn Tomasello sie über empirische Studien auch für nichtmenschliche Primaten nachgewiesen glaubt (s. unten). 16 Tomasello verweist hier beispielhaft auf die Arbeiten von Spelke/ Newport (1998) (bei Tomasello mit 1997 angegeben), Tooby/ Cosmides (1989) und Pinker (1998). VI Bis hierhin ist Tomasellos (damalige) Theorie zumindest als kognitiv geprägter Ansatz ausgewiesen. Charakterisiert ist sie u.a. durch das Streben, die entscheidenden kognitiven Fähigkeiten des Menschen identifizieren zu wollen, durch eine theoretische Verwurzelung in den kognitivistischen Arbeiten Jean Piagets und durch die methodologische Orientierung an der (holistischen) Kognitiven Linguistik. 14 Von vornherein vertritt Tomasello eine klassisch psychologische Position und fokussiert in diesem Rahmen die Kognition des Individuums. Dabei äußert er sich stets kritisch gegenüber nativistischen Modultheorien. Insbesondere betrifft seine Kritik die Aspekte (a) Angeborenheit, (b) Modularismus und (c) Formalismus. Während Tomasello sich in der Ablehnung einer formalistischen Perspektive weitgehend konsequent zeigt - seine Theorie des Erstspracherwerbs ist usage-based (cf. Tomasello 2003) und berücksichtigt den situativen Kontext (ohne dass dem Interaktionsprozess aber die ihm gebührende Beachtung geschenkt würde) -, sind hinsichtlich der beiden anderen Aspekte Zweifel angebracht. Zwar geht Tomasello bezüglich der Sprache nicht von einem eigenen Modul aus, glaubt zudem nicht an angeborenes Sprachwissen, er betont aber z.B. entgegen Piaget die Angeborenheit von Fähigkeiten des Verstehens von Dingen. Vor allem stellt er aber die Bedeutung der angeborenen Fähigkeit des Verstehens anderer als intentionale Akteure (bzw. der Identifikation mit anderen) heraus. Jene Fähigkeit nämlich ist entscheidend für die Säulen Tomasellos (früherer) Forschung 15 und begründet zugleich die gesamte Theorie zur artgeschichtlichen Erklärung des menschlichen Denkens. Inwieweit genau Tomasellos Ansatz nun als ‘Modultheorie’ gekennzeichnet werden darf, soll nachfolgend mit Blick auf die übergeordnete Theorieebene diskutiert werden. Nach Tomasello stellen sich nativistisch-modultheoretischen Ansätzen im Kontext einer artgeschichtlichen Erklärung der Entstehung menschlichen Denkens zwei elementare Probleme (cf. hierzu Tomasello 2002: 235-239, 68-70), die hier als (1) das Problem der Identifikation und Lokalisation von Modulen sowie (2) das zeitliche Problem bezeichnet werden sollen. So bestehe für Nativisten, die in der Gefolgschaft von Chomsky (1980) und Fodor (1983) eine gewisse Zahl angeborener Module annehmen 16 , zum einen die Schwierigkeit, derartige Module überhaupt erst einmal identifizieren zu müssen. Zwar würden manche Module wie die Sprachfähigkeit besonders häufig angenommen (weil man sie für die eindeutigsten Fälle halte), doch auch hier komme es unter Nativisten zu Kontroversen, zum Beispiel, was die Notwendigkeit der Annahme von Mini-Modulen betrifft (cf. Tomasello 2002: 235). Dass Tomasello den diesbezüglichen Versuch, bestimmte Module im Gehirn lokalisieren zu wollen, für besonders problematisch hält, wurde bereits erwähnt. Zum Zweiten sieht Tomasello Nativisten in besonderer Weise mit dem bereits oben angesprochenen zeitlichen Problem konfrontiert. Er stellt sein Modell der dualen Vererbung einem nativistischen Szenario gegenüber und gelangt dabei zu der Ansicht, dass man nicht für jeden einzelnen spezies- Rafael Mollenhauer 356 spezifischen Aspekt der Kognition (Sprache, Mathematik etc.) ein eigenes Modul veranschlagen könne, da maximal sechs Millionen, viel wahrscheinlicher aber gerade einmal 250 Tausend Jahre die menschliche Kognition von derjenigen anderer Primaten trennten (cf. Tomasello 2002: 68-70). Eine Theorie müsse daher vor allem die Bedeutung der schneller verlaufenden ontogenetischen und geschichtlichen Prozesse (statt phylogenetischer Anpassungsleistungen) in Rechnung stellen und untersuchen, inwiefern diese Prozesse bestimmte kognitive Funktionen erzeugen. Wenngleich nicht alle kognitiven Funktionen in gleichem Maße von ontogenetischen und geschichtlichen Prozessen abhingen, seien doch besonders sprachliche Symbole und soziale Institutionen die Produkte sozialer Interaktionen (cf. Tomasello 2002: 236). Demnach bestehe das zweite Hauptproblem von Modultheorien darin, dass […] sie versuchen, von der ersten Seite der Geschichte, nämlich der Genetik, zur letzten Seite, der gegenwärtigen menschlichen Kognition zu springen, ohne einen Blick auf die dazwischenliegenden Seiten zu werfen. Diese Theoretiker lassen somit in vielen Fällen formgebende Elemente sowohl des geschichtlichen als auch des ontogenetischen Zeitrahmens außer Betracht, die zwischen dem menschlichen Genotyp und Phänotyp eingeschaltet sind. (Tomasello 2002: 236-237) Anders als die Vertreter nativistischer Modultheorien nimmt Tomasello nur eine biologische Anpassung des Menschen mit Hebelwirkung an, nämlich das Verstehen anderer als intentionale Akteure (s. oben). Wenn diese neue Form der Sozialkognition auch nur zu einem bestimmten Zweck entstanden sein mag, entfalte sie ihre Wirkung aufgrund der Flexibilität kognitiver Anpassungen doch in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen (Kommunikation, Kooperation, soziales Lernen) und bei der Lösung verschiedener Probleme. So sei durch Interaktionen von Individuen im Laufe der Geschichte Soziales in Kulturelles umgewandelt worden und so finde in einem ontogenetischen Zeitrahmen eine Transformation von Fertigkeiten der Primatenkognition und kognitiven Repräsentation in Fertigkeiten des kulturellen Lernens und der perspektivischen Repräsentation statt (cf. Tomasello 2002: 237, 239). Einzelne Module für Bereiche wie Kooperation, Kommunikation und soziales Lernen anzunehmen, sei somit wenig sinnvoll: “Ich sehe also nicht, warum man die menschliche Kognition modularisieren sollte, und die vielen verschiedenen Vorschläge dafür, wie die Liste der menschlichen Module aussehen soll, belegen die praktischen Schwierigkeiten.” (Tomasello 2002: 239) Tomasellos derart aufgestellte Kritik an Modultheorien kann letztlich auf seinen eigenen Ansatz zurückgelenkt werden. So handelt es sich beim Verstehen anderer als intentionale Akteure (bzw. der diesem zugrundeliegenden Identifikation mit anderen) für Tomasello um die entscheidende evolutionäre Anpassungsleistung des Menschen und somit zweifellos um eine angeborene Fähigkeit. Diese Fähigkeit entfaltet ihre Wirkung nach Tomasello zwar in den verschiedensten Bereichen des Denkens, sie selbst macht aber nur einen Teil des Denkens aus und kann damit als ‘Modul’ aufgefasst werden. Neben ihr existiert aus Tomasellos Perspektive mindestens noch das Verstehen von Dingen. Da Kinder in diesem Bereich ihre Primatenerbschaft ausspielten (cf. Tomasello 2002: 73, s. oben), handelt es sich wiederum um eine angeborene Fähigkeit. Dass auch hier von einem umfassenden, in verschiedenen Bereichen des Denkens zur Anwendung gelangenden ‘Grundlagenmodul’ ausgegangen wird, geht aus Tomasellos Schilderungen nicht eindeutig hervor, ist angesichts des Umgangs mit dem Verstehen anderer als intentionale Akteure aber durchaus wahrscheinlich. Nicht ausgeschlossen ist aber auch eine Aufgliederung in ‘Mini-Module’, die Objektpermanenz, kog- Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 357 17 Im Original: Origins of Human Communication (2008), ausgezeichnet mit dem Eleanor Maccoby Book Award. nitive Landkarten etc. betreffen. Auch in dem von Tomasello behandelten Verstehen relationaler Kategorien ist schließlich eindeutig ein angeborenes ‘Modul’ zu sehen, da Tomasello hier von einem evolutionären Vorläufer des spezifisch menschlichen Verstehens von Intentionalität und Kausalität ausgeht (cf. Tomasello 2002: 28). Insofern in diesem Punkt auch von einer Zwischenstation die Rede ist, muss davon ausgegangen werden, dass das Verstehen anderer als intentionale Akteure auf dieser Fähigkeit aufbaut und sich erst auf diesem Fundament entfalten kann. Tomasello wird kaum annehmen, dass das Verstehen relationaler Kategorien wegfällt, sobald eine noch umfassendere neue Anpassung eintritt. Auch im Falle des Verstehens relationaler Kategorien muss es sich in Tomasellos Ansatz demzufolge um ein ‘Modul’ menschlicher Kognition handeln, sodass für Tomasellos damalige Forschung mindestens drei eigenständige, angeborene kognitive ‘Module’ des Menschen zu veranschlagen sind, von denen zwei mit nichtmenschlichen Primaten geteilt werden. Es ist zu vermuten, dass diese nativistisch-‘modultheoretischen’ Züge in Tomasellos Ansatz als direkte Folge seiner klassisch-psychologischen, am Individuum und der Kognition orientierten Grundausrichtung aufzufassen sind. Stehen nämlich die kognitiven Kompetenzen eines Individuums am Anfang der Betrachtung, entsteht zwangsläufig die Frage nach dem Ursprung dieser Fähigkeiten. Im Gegensatz zu klassischen Modultheorien beantwortet Tomasello diese Frage nicht, indem er für jedes spezifisch menschliche Vermögen ein eigenes angeborenes Modul veranschlagt. Er bemüht stattdessen verstärkt ineinander verzahnte ontogenetische und historische Prozesse, die allerdings erst auf dem Fundament eines angeborenen leistungsstarken ‘Grundlagenmoduls’ wirksam werden. Dieses wiederum existiert neben anderen, ebenfalls angeborenen ‘Modulen’, die mit der Primatenverwandtschaft geteilt werden. Tomasello unterscheidet sich von klassisch nativistischen Modultheorien demnach dadurch, dass nur ein spezifisch menschliches ‘Modul’ angenommen wird. Er unterscheidet sich von ihnen jedoch nicht in der grundlegenden Idee eines modularisierten Denkens. VII Wenn bisher von Tomasellos damaliger oder früherer Forschung die Rede war, ist damit schon impliziert, dass es eine neuere Forschung gibt, dass also ein (weiterer) Wandel in Tomasellos Theorie stattgefunden haben muss. In der Tat setzt Tomasellos zweites Hauptwerk, das ebenfalls preisgekrönte Buch Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation (2009) 17 , mit der Fokussierung spezifisch menschlicher Formen der Kooperation und Kommunikation - und speziell deren Genese - nicht allein andere Schwerpunkte. Zwar baut es in vielerlei Hinsicht auf früheren Überlegungen auf, während aber zuvor das Verstehen anderer als intentionale Akteure (bzw. die Identifikation mit anderen) als entscheidende evolutionäre Anpassung kognitiver Art für alle Besonderheiten des menschlichen Geistes verantwortlich zeichnen sollte (cf. Tomasello 2002), sind es nun Fertigkeiten geteilter Intentionalität, denen eben diese Rolle zukommt (cf. Tomasello 2009). Es ist nicht zu leugnen, dass hier ein besonders deutlicher Bruch in Tomasellos Theorie vorliegt. Dennoch wurde oben bereits gezeigt, dass Tomasellos Forschung einem stetigen Wandel unterliegt. Dieser wiederum ist verbunden mit einer immer stärkeren Betonung sozialer und kultureller Phänomene. Dass Tomasello sich in diesem Zuge allerdings schon Rafael Mollenhauer 358 18 Es gilt zu beachten, dass der Einfluss der Kultur an dieser Stelle nicht zum ersten Mal vorgebracht wird und von Tomasello schon früher in ganz ähnlicher Weise dargestellt wurde (cf. z.B. Tomasello 1992: 267-271). Angesichts der auf einen speziellen Aufsatz ausgerichteten Kritik anderer Autoren erfährt dieser Aspekt hier lediglich besondere Betonung früh dagegen wehrt, seine kognitionswissenschaftlichen Grundlagen aufzugeben, zeigt ein bereits 1996 erschienener Aufsatz mit dem Titel Cultural Learning and Learning Culture (Kruger/ Tomasello 1996). Der Artikel versteht sich als Antwort auf kritische Stimmen, die Tomasello, Kruger und Ratner für ihren Aufsatz Cultural Learning (1993) entgegengebracht wurden. Dem von Kulturanthropologen und Kulturpsychologen vorgebrachten Einwand, der Fokus habe in Cultural Learning zu sehr auf den Fähigkeiten des individuellen Kindes gelegen, schließen sich Kruger und Tomasello grundsätzlich an: “It is clear that our theory of cultural learning as we originally formulated and presented it focused too narrowly on the cognitive capacities of the individual child.” (Kruger/ Tomasello 1996: 370) Sie betonen, dass eine Theorie kulturellen Lernens nicht nur beachten müsse, “what the child brings to the culture”, sondern auch, “what the culture brings to the child” (Kruger/ Tomasello 1996: 370). 18 Zugleich stellen sie aber klar, ihre Orientierung an der Kognition des Individuums nicht aufgeben zu wollen (cf. Kruger/ Tomasello 1996: 369-370). In Anlehnung an Cole (1990) unterscheiden sie zwei grobe Richtungen der Kulturpsychologie und ihre Anwendung auf die menschliche Entwicklung. Während die eine den Fokus auf Kultur als kollektives Unterfangen lege und die individuelle Entwicklung aufgrund der Sozialität aller wichtigen Formen des Lernens weitgehend außer Acht lasse, folge die andere traditionellen psychologischen Ansätzen und betrachte das Individuum innerhalb der Kultur. Die Autoren rechnen ihre bisherige Arbeit der zuletzt genannten, klassisch psychologischen Richtung zu und sehen keinerlei Veranlassung, ihre Vorgehensweise zu ändern: “We have seen no data and heard no arguments to dissuade us from our more psychologically based view of cultural psychology” (Kruger/ Tomasello 1996: 370). An dieser Einstellung hat sich bis heute wenig geändert. Ein Blick in Tomasellos Werk zu den Ursprüngen der menschlichen Kommunikation (cf. Tomasello 2009) genügt, um festzustellen, dass das Fundament der Tomasellsochen Forschung noch immer in der Kognition des Individuums besteht, dass seine Ausrichtung also noch immer klassisch psychologisch ist. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Genese der spezifisch menschlichen Kommunikation ist die Zeigegeste, die im Vergleich zur konventionellen sprachlichen Kommunikation deutlich weniger Information im Kommunikationsmittel selbst enthalte, trotzdem aber ein äußerst komplexes Kommunikationsmittel darstelle, mit dem in ein und derselben Situation höchst unterschiedliche Dinge ausgedrückt werden könnten (cf. Tomasello 2009: 13-14). Eine Antwort auf die Frage nach den Gründen für diese Komplexität müsse “sich stark auf kognitive Fertigkeiten beziehen […], die manchmal Fertigkeiten des Erfassens geistiger Zustände oder des Erfassens von Intentionen genannt werden.” (Tomasello 2009: 14) Im Fokus steht die Fähigkeit, mit anderen an Akten geteilter Intentionalität teilzunehmen. Deren psychologische Grundlage wiederum bestehe in einem Verstehen anderer als kooperative Akteure, das sich zusammensetzte aus (a) kognitiven Fertigkeiten zur Erzeugung gemeinsamer Intentionen und Aufmerksamkeit mit anderen und (b) sozialen Motivationen, anderen zu helfen und Dinge mit ihnen zu teilen (cf. Tomasello 2009: 84-85). Im Kern bleibt Tomasellos Ansatz damit am Individuum und dessen kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten orientiert und ist auch weiterhin von ‘modularem’ Denken geprägt. Das Verstehen anderer als intentionale Akteure wird in seiner Bedeutsamkeit durch ein Ver- Tomasello: Kultur- oder Kognitionstheorie? 359 stehen anderer als kooperative Akteure (gleichzusetzen mit geteilter Intentionalität) ersetzt. Geschuldet ist dieser Theoriewandel vermutlich den Ergebnissen verschiedener Studien, die das Verstehen der Intentionen anderer auch für nichtmenschliche Primaten nachgewiesen haben sollen (cf. z.B. Tomasello/ Carpenter 2005; Warneken/ Tomasello 2006), womit auf der Basis der Tomaselloschen Vorannahmen ein neues kognitives Alleinstellungsmerkmal des Menschen benötigt wurde. Dieses ist im Vergleich zum Verstehen anderer als intentionale Akteure insofern komplexer, als auch sozial-motivationale Faktoren und gemeinsame Intentionen eine Rolle spielen. Auch das augenscheinlich Soziale ist hier aber in das Individuum eingebettet. Sozial sind Intentionen und Motivationen bei Tomasello also nur insoweit, als sie auf etwas bzw. jemanden in der sozialen Umwelt gerichtet sind. In Konsequenz der von Tomasello gewählten kognitiv-‘modultheoretischen’ Grundlage können seine Überlegungen zur phylogenetischen und ontogenetischen Entstehung spezifisch menschlicher Kommunikation nur zu einer Theorie der Entstehung von Kommunikationsmitteln und der dahinterstehenden kognitiven Fertigkeiten, nicht aber zu einer Theorie der Entstehung spezifisch menschlicher Kommunikationsprozesse führen. Da Kommunikationsmittel ihrerseits aber immer schon ausschließlich in Kommunikationsprozessen Verwendung finden, der Kommunikationsprozess zudem mehr ist als die Summe seiner Teile, stellt sich die Frage nach der Erklärungsreichweite eines Ansatzes, der Kommunikationsmittel und ihnen mutmaßlich zugrundeliegende Aspekte der Kognition weitgehend isoliert betrachtet (wenn später auch soziale Aspekte addiert werden mögen). Dies betrifft nicht allein Tomasellos Überlegungen zur Entstehung menschlicher Kommunikation, sondern auch seine Thesen zur Entstehung des menschlichen Geistes, die sich ebenfalls nicht losgelöst von Interaktionsprozessen vollzogen haben kann. Literaturverzeichnis Baillargeon, Renee (1995): »Physical Reasoning in Infancy«. In: Gazzaniga, Michael (Hrsg.): The Cognitive Neurosciences. Cambridge, MA: MIT Press, S. 181-204. Bakeman, Roger / Adamson, Lauren B. (1982): »Coordinating Attention to People and Objects in Mother-Infant and Peer-Infant Interactions«. 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Books such as La Philosophie Américaine and À la Recherche d’une Méthode have become widely known and circulated. Much of his exposition has been centred at l’Université de Perpignan, in southwestern France, in regular weekly seminars that ran for over 25 years until his retirement. Commencing with his personal association with John Dewey, Deledalle’s scholarship, including several publications on Peirce, would seem to run counter to postwar French interest in structural and Marxist semiotics, and philosophical traditions. Yet it is part of his professional achievement not only to represent pragmatism as a minority, mainly American influence, in France, but through its advocacy to help question and overcome stereotypical divisions between European and American thought. Through personal and professional contacts, he has introduced the work of James, Dewey and Peirce, and pragmatism generally, to thinkers such as Foucault, Deleuze and Lacan. Such introductions, and the consequent influence of pragmatism on post-structural French thinking, cannot be underestimated, and testify to Deledalle’s role in modern French philosophy and semiotic theory (cf. Gérard Deledalle 2000: Charles S. Peirce’s Philosophy of Signs. Essays in Comparative Semiotics, Bloomington and Indianapolis: Indiana University Press, reviewed by Geoffrey Sykes [http: / / www.southernsemioticreview.net/ review-of-deledalle-by-geoffreysykes/ ]) Prof. Dr. Achim Eschbach Achim Eschbach (*1948 in Eschweiler) studierte Philosophie, Germanistik, Politologie und Soziologie an der RWTH-Aachen und wurde dort 1975 mit einer Dissertation zum Thema „Pragmasemiotik und Theater“ promoviert. An der Universität Essen habilitierte er sich für die Fächer Semiotik, Sprachphilosophie und Wissenschaftsgeschichte. Nach Gastprofessuren an der Universität Tokyo und der Janos Pannonius Universität Pécs nahm er den Ruf auf eine Professur für Kommunikationswissenschaft in Essen an. Von 1985-1987 war er Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Semiotik. Als Tagungspräsident leitete Eschbach den fünften internationalen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik in Essen. Gemeinsam mit Ernest W.B. Hess-Lüttich und Jürgen Trabant gibt er die mehrsprachige Fachzeitschrift Kodikas/ Code. An International Journal of Semiotics heraus, die seit 1979 im Verlag Gunter Narr erscheinent. In Zusammenarbeit mit Horst Pöttker (Universität Dortmund) und Vinzenz Hediger (Universität Bochum) ist die erste kommunikationswissenschaftliche Online-Rezensionszeitschrift r: k: m (Rezensionen aus Kommunikation und Medien) entwikkelt worden, die seit Anfang 2009 im Kölner Herbert von Halem Verlag publiziert wird. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Theorie und Geschichte der Semiotik. Insbesondere beschäftigt er sich mit Werken von Charles Sanders Peirce und Karl Bühler. Im Rahmen eines Projektes zur Bühler-Edition arbeitet er an einer Gesamtausgabe seiner Werke. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Die Autoren / The Authors 364 Akad. Oberrat Dr. Dietrich Gutterer (1932-1991) Dietrich Gutterer (1932-1991) lehrte nach seinem Studium in Köln und Frankfurt/ Main und seiner Promotion 1967 mit einer Arbeit über den Begriff des Zwecks. Mit besonderer Berücksichtigung Kants und Hegels (Köln: Wienand 1968), in Frankfurt/ Main Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt und an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, wo er eine rege philosophische Publikationstätigkeit entfaltete und u.a. auch im Aachener Arbeitskreis Semiotik mitwirkte. Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W.B. Hess-Lüttich Ernest Hess-Lüttich (*1949) ist Ordinarius für Germanistik (Sprach- und Literaturwissenschaft) an der Universität Bern (Schweiz) und Extraordinarius an der University of Stellenbosch (Südafrika). Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich der Dialog- und Diskursforschung sowie der Text- und Kommunikationswissenschaft. Er hat bislang ca. 60 Bücher geschrieben oder herausgegeben und ca. 350 Aufsätze publiziert. Zu den Monographien zählen u.a. die Grundlagen der Dialoglinguistik (Berlin: Erich Schmidt 1981), Kommunikation als ästhetisches ‚Problem‘ (Tübingen: Narr 1984), Zeichen und Schichten in Drama und Theater: Gerhart Hauptmanns ‚Ratten‘ (Berlin: Erich Schmidt 1995), Angewandte Sprachsoziologie (Stuttgart: Metzler 1987), Literary Theory and Media Practice (New York: C UNY 2000), Wahrig Grammatik der deutschen Sprache (Gütersloh: Bertelsmann 4 2002). Er war u.a. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS) und ist Präsident der internationalen Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG), zudem Mitglied diverser Herausgebergremien und wissenschaftlicher Beiräte internationaler Zeitschriften sowie Ehrenmitglied der Gesellschaft ungarischer Germanisten (GuG) und des Wissenschaftlichen Beirates der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Als Gastprofessor lehrte er an renommierten Universitäten auf allen Kontinenten. Ernest Hess-Lüttich is Full Professor of German (Language and Literature) at the University of Bern (Switzerland) and Hon. Professor Extraordinary at the University of Stellenbosch (South Africa). His main fields of research are dialogue studies and discourse analysis as well as intercultural pragmatics and media studies. To date, he has written and edited some 60 books and published about 350 articles in scholarly journals, handbooks, and editions. Among his major books are Grundlagen der Dialoglinguistik (Berlin: Erich Schmidt 1981), Kommunikation als ästhetisches ‚Problem‘ (Tübingen: Narr 1984), Zeichen und Schichten in Drama und Theater: Gerhart Hauptmanns ‚Ratten‘ (Berlin: Erich Schmidt 1995), Angewandte Sprachsoziologie (Stuttgart: Metzler 1987), Literary Theory and Media Practice (New York: C UNY 2000), Wahrig Grammatik der deutschen Sprache (Gütersloh: Bertelsmann 4 2002). He was president of the German Association for Semiotic Studies and is president of the international Association for intercultural German Studies. He is also a member of numerous editorial und advisory boards as well as honorary member of the Hungarian Association of German Studies. The Austrian Academy of Sciences elected him as a member of its Scientific Advisory Board. He has received an honorary doctorate (from Budapest) and lectured as visiting professor at major universities on all five continents. Prof. Dr. Johann G. Juchem (1939-2003) Johann G. Juchem (1939-2003) war ein deutscher Hochschullehrer und Wegbereiter der Kommunikationstheorie. Er studierte von 1959 bis 1965 Philosophie und promovierte 1968 zum Thema „Über die Entwicklung des Begriffs des Schönen bei Kant“. 1970 bis 1973 war Die Autoren / The Authors 365 er Wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1973 bis 1983 Wissenschaftlicher Assistent von Gerold Ungeheuer am Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik (IKP) der Universität Bonn. 1983 wurde er dortselbst mit einer Arbeit über „Kommunikation und Vertrauen“ habilitiert und übernahm danach Lehrstuhlvertretungen u.a. in Bonn, Hagen und Essen. 1989 wurde er am IKP zum Außerplanmäßigen Professor ernannt. 1995 bis 1996 arbeitete er in einem Projekt der DFG über Kommunikationssemantik, Konstruktivismus und Künstliche Intelligenz. Johann Juchem entwickelte in seiner Lehre eine umfangreiche Kommunikationssemantik, wobei er seine Thesen aus zeichentheoretischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen ableitete. Bedeutsam sind hier insbesondere die Begriffe der Reflexivität und der Ethnomethodologie. Zentral ist dabei die Annahme, dass Kommunikation prinzipiell fallibel sei, d.h. zwar eine Möglichkeit der Verständigung vorhanden sei, die regelmäßig auch gelinge, man aber in letzter Konsequenz keine Gewissheit darüber erlangen könne, ob ein Mensch sein Gegenüber verstanden habe, da jeder über eine individuelle Welttheorie verfüge und niemand das Bewusstsein eines Gegenübers teilen könne, um festzustellen, ob die sprachliche Anweisung eines Kommunikationsteilnehmers auch exakt zum intendierten inneren Vollzug der Handlung geführt hat. Mit dieser Theorie nimmt er in der Kommunikationswissenschaft eine relativ radikale Position ein. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen Der notwendig konfliktäre Charakter der Kommunikation (Aachen: Alano 1985), Kommunikation und Vertrauen (Aachen: Alano Rader 1988), Kommunikationssemantik (Münster: Nodus 1988), Konstruktion und Unterstellung. Ein kommunikationstheoretischer Versuch (Münster: Nodus 1989). Prof. Dr. Clemens Knobloch Nach dem Studium der Germanistik und Kommunikationswissenschaft in Bonn und Essen war Clemens Knobloch (*1951) von 1976-1980 zunächst Mitarbeiter an der Bonner Forschungsstelle des Institut für deutsche Sprache im Projekt „Ost-West-Wortschatzvergleiche“; nach seiner Promotion im Fach Kommunikationswissenschaft 1979 in Essen arbeitete er von 1980-1987 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität (GH) Siegen, wo er sich 1987 mit einer Arbeit über die Geschichte der deutschen Sprachpsychologie habilitierte. Seit 1991 lehrt er dortselbst als Professor für Sprachwissenschaft am Institut für Germanistik. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Politische Kommunikation, Geschichte der Sprachwissenschaft, Deutsche Grammatik, Sprachpsychologie und Spracherwerb. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen neben zahlreichen Editionen u.a. Sprachpsychologie: Ein Beitrag zur Problemgeschichte und Theoriebildung (Tübingen: Niemeyer 1984), Geschichte der psychologischen Sprachauffassung in Deutschland von 1850 bis 1920 (Tübingen: Niemeyer 1988), Sprache und Sprechtätigkeit: Sprachpsychologische Konzepte (Tübingen: Niemeyer 1994), Moralisierung und Sachzwang. Politische Kommunikation in der Massendemokratie (Duisburg: DISS 1998), "Volkhafte Sprachforschung". Studien zum Umbau der Sprachwissenschaft in Deutschland zwischen 1918 und 1945 (Tübingen: Niemeyer 2005); er hat außerdem eine beißende Kritik an der sog. Bologna-Reform der Universitäten publiziert unter dem Titel Wir sind doch nicht blöd. Die unternehmerische Hochschule (Münster: Westfälisches Dampfboot 2 2012). Rafael Mollenhauer, M.A. Rafael Mollenhauer (*1982) studierte Germanistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. In seiner Magisterarbeit widmete er sich den Leistungen akkulturierter Affen aus kommunikationstheoretisch-semiotischer Perspektive. Von 2011-2013 war Die Autoren / The Authors 366 er bei H. Walter Schmitz am Essener Institut für Kommunikationswissenschaft beschäftigt. Er arbeitet an einer Dissertation, die mit der Forschung des Entwicklungspsychologen Michael Tomasello befasst ist. Seit 2012 ist er zudem Lehrbeauftragter und seit 2013 Mitarbeiter der Sektion Internationale Beziehungen an der Universität Duisburg-Essen. Dr. Daniel H. Rellstab Nach seinem Lizentiatsstudium in Germanistik, Linguistik und Evangelischer Theologie an der Universität Bern und einem Forschungsaufenthalt als Research Associate des Center for Applied Semiotics der Indiana University Bloomington und des Peirce Edition Projects der Indiana University und Purdue University in Indianapolis promovierte Daniel Rellstab (*1972) 2006 bei Ernest Hess-Lüttich summa cum laude mit einer Arbeit, die unter dem Titel Charles Sanders Peirce’ Theorie natürlicher Sprache und ihre Relevanz für die Linguistik. Logik, Semantik, Pragmatik (Tübingen: Narr 2007) in der Kodikas Supplement Series erschien. Als Assistent und Oberassistent am Lehrstuhl Hess-Lüttich arbeitet er an einem Habilitationsprojekt im Bereich interkultureller Kommunikation, das er 2014 in Bern zum Abschluss bringen möchte. Bereits 2010 wurde als Lecturer of Intercultural Studies an die Universität Vaasa in Finnland berufen, wo er zur Zeit das Master’s Degree Programme in Intercultural Studies in Communication and Administration leitet. Prof. Dr. Gesine L. Schiewer Nach ihrem Studium der Germanistik, Romanistik, Linguistik und Informatik an den Universitäten Hamburg, Kiel und München promovierte Gesine L. Schiewer (*1961) 1993 bei Wolfgang Proß und Ernest Hess-Lüttich mit einer Arbeit über Cognitio symbolica. Lamberts semiotische Wissenschaft und ihre Diskussion bei Herder, Jean Paul und Novalis (Tübingen: Niemeyer 1996). Ihre 2002 abgeschlossene (von Ernest Hess-Lüttich betreute) Habilitationsschrift erschien als Buch unter dem Titel Poetische Gestaltkonzepte und Automatentheorie. Arno Holz - Robert Musil - Oswald Wiener (Würzburg: Könighausen & Neumann 2004). Derzeit arbeitet sie an einem Buch über Sprache und Emotionsforschung (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft [i. Vorb.]). Nach zahlreichen Gastprofessuren (u.a. in Fribourg, Göttingen, Dresden, Mainz) vertrat sie seit 2010 den Lehrstuhl für Deutsch als Fremdsprache an der LMU in München und seit 2013 den Lehrstuhl für Interkulturelle Germanistik an der Universität Bayreuth. Zu ihren aktuellen Forschungsschwerpunkten Interkulturelle Kommunikation, Interkulturelle Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft der Sprache, Sprachgebrauch in Wissenschaft und Literatur, Urban Discourse Sprache und Emotion, Emotionstheorien in der Sprach- und Literaturwissenschaft hat sie zahlreiche Aufsätze publiziert. Prof. em. Dr. H. Walter Schmitz H. Walter Schmitz (*1948) studierte Ethnologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Phonetik in Bonn, das er 1973 mit einer Arbeit über Ethnographie der Kommunikation. Kommunikationsbegriff und Ansätze zur Erforschung von Kommunikationsphänomenen in der Völkerkunde abschloss. Nach Völkerkundlich-kommunikationswissenschaftlicher Feldforschung in Saraguro (Ekuador) zu Problemen interkultureller Kommunikation zwischen einheimischen Weißen und Indios wurde Schmitz Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik (IKP) der Universität Bonn. Dort promovierte er 1977 bei Gerold Ungeheuer mit einer Dissertation zum Thema Sachverhaltsbeschreibung und Rückschluß. Ein Beitrag zur kommunikativen Erschließung von Sachverhalten am Beispiel polizeilicher Tatortarbeit. 1987 habilitierte er sich mit einer Arbeit über Verständi- Die Autoren / The Authors 367 gungshandlungen. Eine wissenschaftshistorische Rekonstruktion der Anfänge der signifischen Bewegung in den Niederlanden (1892-1926). Im thematischen Umkreis dieser Bücher hat Schmitz überdies zahlreiche Aufsätze publiziert. 1992 wurde er auf den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Universität Essen berufen, wo er von 1994-1998 auch als Dekan des Fachbereichs Literatur- und Sprachwissenschaften diente. Prof. Dr. Dr. h.c. Peter M. Simons, FBA Peter M. Simons (*1950) is professor of philosophy at Trinity College Dublin. He studied at the University of Manchester, and has held teaching posts at the University of Bolton, the University of Salzburg, where he is Honorary Professor of Philosophy, and the University of Leeds. He has been President of the European Society for Analytic Philosophy and is current director of the Franz Brentano Foundation. His research interests include metaphysics and ontology, the history of logic, the history of Central European Philosophy, particularly in Austria and Poland in the 19th and 20th centuries, and the application of metaphysics to engineering and other non-philosophical disciplines. Besides over 200 articles, he published books such as Parts. A Study In Ontology (Oxford: Clarendon Press 1987) and Philosophy and Logic in Central Europe from Bolzano to Tarski (Dordrecht: Kluwer 1992). He is currently working on a project supported by the British Academy to chart the metaphysics of quantity. In 2004 he was elected Fellow of the British Academy; in 2006 he was elected Member of Academia Europaea. Prof. em. Dr. Önay Sözer Önay Sözer (*1936) hat bei Ludwig Landgrebe in Köln studiert. Mehrere Aufenthalte als Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung führten ihn nach Deutschland. Seine Forschungsschwerpunkte sind Deutscher Idealismus, Phänomenologie, Semiotik, Dekonstruktion. Heute ist er emeritierter Professor an der Universität Bo aziçi in Istanbul. Er ist der Autor u.a. von Leere und Fülle. Ein Essay in phänomenologischer Semiotik (München: Fink 1987) und zahlreicher Aufsätze auf Deutsch. Gleichzeitig ist er als Romancier auch literarisch tätig. Prof. Dr. Christian Stetter Christian Stetter (*1943) studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Marburg und Lyon von 1965 bis 1970. Ab 1971 war er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Düsseldorf, wo er 1973 mit einer Arbeit über die Spätphilosophie Wittgensteins promovierte. Von 1974 bis 2009 war er ordentlicher Professor für germanistische Linguistik an der RWTH Aachen, wo er von 1998 bis 2006 auch als Dekan diente. 1990/ 1991 und 1995/ 1996 unterrichtete er als Gastprofessor an der Keiô-Universität in Tokio. 1979/ 1980 war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Semiotik. Heute ist Christian Stetter Geschäftsführer der semantics Kommunikationsmanagement GmbH in Aachen und wissenschaftlicher Leiter des Grammatischen Telefons des Forschungszentrum für Kommunikation und Schriftkultur e.V. (FoKS) beim Germanistischen Institut der RWTH Aachen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Allgemeine Sprachtheorie und Sprachphilosophie, Semiotik, Schrifttheorie, Sprechakttheorie, Symboltheorie, Sprachkritik und Transformationsgrammatik. Er hat etliche Bücher publiziert, etwa Zur Bedeutung der Philosophie Wittgensteins für die sprachwissenschaftliche Theoriebildung (Düsseldorf: Schwann 1974), Schrift und Sprache (Frankfurt/ Main: Suhrkamp 1997) und System und Performanz. Symboltheoretische Grundlagen von Medientheorie und Sprachwissenschaft (Weilerswist: Velbrück 2005). Die Autoren / The Authors 368 Prof. Dr. Gershon Weiler (1926-1994) Gershon Weiler [oder G¯ ers `´ ˆ on Wailer] (1926-1994) war Professor für Philosophie an der Tel Aviv University und hat zuletzt unter anderem das Buch From absolutism to totalitarianism (Durango/ Colorado: Hollowbrook Publishing 1994) [laut Auskunft der Deutschen Nationalbibliothek: http: / / d-nb.info/ gnd/ 124068219/ about/ html]. Die Anschriften der Autoren / Addresses of Authors Prof. Dr. Gérard Deledalle (1921-2003) [l’Université de Perpignan] Prof. Dr. Achim Eschbach Institut für Kommunikationswissenschaft Fakultät für Geisteswissenschaften Universität Duisburg-Essen Universitätsstr. 12 D - 45117 Essen, Deutschland achim.eschbach@uni-due.de Prof. Dr. Dietrich Gutterer (1932-1990) [RWTH Aachen] Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W.B. Hess-Lüttich Universität Bern, Institut für Germanistik Länggass-Straße 49 CH - 3000 Bern, Schweiz Dept. of Modern Foreign Languages Stellenbosch University, Private Bag X1 ZA-7602 Stellenbosch, South Africa ernest.hess-luettich@germ.unibe.ch Prof. Dr. Johann G. Juchem (1939-2003) [Universität Bonn] Prof. Dr. Clemens Knobloch Universität Siegen Institut f. Germanistik Adolf-Reichwein-Str. 2 D - 57076 Siegen knobloch@germanistik.uni-siegen.de Rafael Mollenhauer Institut für Kommunikationswissenschaft Fakultät für Geisteswissenschaften Universität Duisburg-Essen Universitätsstr. 12 D - 45117 Essen rafael.mollenhauer@uni-due.de Dr. Daniel H. Rellstab Lecturer, University of Vaasa Faculty of Philosophy Intercultural Studies in Communication FIN - 65101 Vaasa, Finland daniel.rellstab@uva.fi Prof. Dr. Gesine L. Schiewer Institut für Deutsch als Fremdsprache Ludwig-Maximilians-Universität München Ludwigstr. 27/ 1. Etage D - 80539 München gesine.schiewer@germ.unibe.ch Prof. em. Dr. H. Walter Schmitz Institut für Kommunikationswissenschaft Fakultät für Geisteswissenschaften Universität Duisburg-Essen Universitätsstr. 12 D-45117 Essen, Deutschland [Priv.: Traunsteiner Str. 8 D - 10781 Berlin] walter.schmitz@uni-due.de K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Die Anschriften der Autoren / Addresses of Authors 370 Prof. Dr. Dr. h.c. Peter M. Simons, FBA Trinity College Dublin School of Social Sciences and Philosophy Arts Building Trinity College Dublin IRL - Dublin 2, Ireland psimons@tcd.ie Prof. em. Dr. Önay Sözer [Bo aziçi Üniversitesi Istanbul] Via Tuscolana 235 I - 00181 Roma (Italien) sozerona@boun.edu.tr Prof. Dr. Christian Stetter semantics Kommunikations management GmbH Viktoriaallee 45 52066 Aachen c.stetter@semantics.de Prof. Dr. Gershon Weiler (1926-1994) [Tel Aviv University] - Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten Beiträge für die Zeitschrift K ODIKAS / C ODE (ca. 10-30 S. à 2.500 Zeichen [25.000-75.000], Times od. Times New Roman 12., 1.5-zeilig, Rand 2-3 cm l/ r) sind dem Herausgeber in elektronischer Form (Word- oder rtf-Datei) und als Ausdruck auf Papier einzureichen. Abbildungen sind getrennt vom Text in reproduzierbarer Form (mind. 300 dpi, schwarz-weiß) beizufügen. Nach dem Titel des Beitrags folgt der Name des Autors (der Autoren) mit Angabe das Dienstortes. Dem Text (in deutscher, englischer, französischer oder spanischer Sprache, ggfs. gegengelesen von native speakers) ist eine kurze Zusammenfassung (abstract) in englischer Sprache voranzustellen (1-zeilig petit 10.). Die Gliederung des Textes folgt dem Dezimalsystem (1, 2, 2.1, 2.1.1). Auf separatem Blatt sind ihm die Anschrift des/ der Verf. und eine kurze bio-bibliographische Notiz (3-5 Zeilen) beizufügen. Zitierweise In der Semiotik gibt es eine Vielzahl konkurrierender Zitierweisen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Für K ODIKAS wird hier eine in vielen Disziplinen (und anderen semiotischen Zeitschriften) international verbreitete Zitierweise empfohlen, die sich durch Übersichtlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Vollständigkeit der Angaben und Sparsamkeit der Zeichenökonomie auszeichnet. Wörtliche Zitate werden durch normale Anführungszeichen kenntlich gemacht (“…”). Wenn ein Zitat die Länge von drei Zeilen überschreitet, wird es links 0.5 eingerückt und 1-zeilig petit (11.) geschrieben: Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein blinder Text zu sein. Man macht keinen Sinn. Man wirkt hier und da aus dem Zusammenhang gerissen. Oft wird man gar nicht erst gelesen. Aber bin ich deshalb ein schlechter Text? Ich weiß, dass ich nie die Chance habe im S PIEGEL zu erscheinen. Aber bin ich darum weniger wichtig? Ich bin blind! Aber ich bin gerne Text. Und sollten Sie mich jetzt tatsächlich zu Ende lesen, dann habe ich geschafft, was den meisten “normalen” Texten nicht gelingt. Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren … (Autor Jahr: Seite). Zitatbeleg durch Angabe der Quelle gleich im Text mit einer auf das Literaturverzeichnis verweisenden bibliographischen Kurzangabe (Autor Jahr: Seite): “[…] wird für die Herstellung des Zaubertranks die Beigabe von Dracheneiern empfohlen” (Gaukeley 2006: 387). Wenn das Zitat im Original über eine Seite hinausgeht, wird entsprechend ein “f.” (= folgende) an die Seitenzahl angefügt (387f.). Alle Auslassungen und Hinzufügungen in Zitaten müssen gekennzeichnet werden: Auslassungen durch drei Punkte in eckigen Klammern […], Hinzufügungen durch Initialien des/ der Verf. (EHL). Hervorhebungen werden durch den eingeklammerten Zusatz “(Hervorh. im Original)” oder “(Hervorh. nicht im Original)” bzw. “(Hervorh. v. mir, Initial)” gekennzeichnet. Wenn das Original einen Fehler enthält, wird dieser übernommen und durch ein “[sic]” (lat. so) markiert. Zitate innerhalb von Zitaten Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten 372 werden in einfache Anführungszeichen gesetzt (“… ‘…’ …”). Auch nicht-wörtliche Zitate (sinngemäße Wiedergaben, Paraphrasen) müssen durch Verweise gekennzeichnet werden: Auch Dracheneier werden für die Herstellung eines solchen Zaubertranks empfohlen (cf. Gaukeley 2001: 387). Gundel Gaukeley (2001: 387) empfiehlt den Gebrauch von Dracheneiern für die Herstellung des Zaubertranks. Objektsprachlich gebrauchte Wörter oder grammatische Formen werden kursiviert: “Die Interjektion eiapopeia gilt als veraltet.” Die Bedeutung eines sprachlichen Elementes steht in einfachen Anführungszeichen: “Fähe bedeutet ‘Füchsin’.” Standardsprachlich inkorrekte Formen oder Sätze werden durch Asterisk gekennzeichnet: “*Rettet dem Dativ! ” oder “*der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.” Fußnoten, Anmerkungen Auf Anmerkungen und Fußnoten wird im Text durch eine hochgestellte Zahl verwiesen: […] verweisen wir auf Gesundheitsgefahren, die mit regelmäßigen Geldbädern einhergehen. 2 Vor einem Satzzeichen steht sie möglichst nur dann, wenn sie sich direkt auf das Wort unmittelbar davor bezieht (z.B. die Definition eines Begriffs angibt). Fußnoten (am Fuße der Seite) sind gegenüber Anmerkungen am Ende des Textes vorzuziehen. Fußnoten (Anmerkungen) werden einzeilig petit (10.) geschrieben, mit 1.5-zeiligem Abstand zwischen den einzelnen Fußnoten (Anmerkungen). Bibliographie Die Bibliographie verzeichnet alle im Text genannten Verweise. Bei Büchern und Editionen: Nachname / Komma / Vorname / ggfs. Herausgeber (ed.) / ggfs. Auflage als Hochzahl / Jahreszahl / Doppelpunkt / Buchtitel kursiv / ggfs. Punkt bzw. Satzzeichen / ggfs. Untertitel / Komma / Ort / Doppelpunkt / Verlagsname: Gaukeley, Gundel 2001: Das kleine Einmaleins der Hexerei. Eine Einführung, Blocksberg: Hexenselbstverlag Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Bei Aufsätzen in Zeitschriften oder Sammelbänden (dort ggfs. mit Kurzverweis auf einen eigenen Eintrag des Sammelbandes), wird der Titel in Anführungszeichen gesetzt, dann folgen die Angaben mit Seitenzahlen: Gaukeley, Gundel 1999: “Verbesserte Rezepturen für Bombastik-Buff-Bomben”, in: Vierteljahresschrift des Hexenverbandes 7.1-2 (1999): 27-41 Duck, Donald 2000: “Wie leihe ich mir einen Taler? Praktische Tips für den Alltag”, in: Duck (ed.) 4 2000: 251-265 Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Gibt es mehrere Autorinnen oder Herausgeber, so werden sie in der Reihenfolge aufgeführt, in der sie auch auf dem Buchrücken oder im Titel des Aufsatzes erscheinen, verbunden durch “und” oder “&” (bei mehr als drei Namen genügt ein “et al.” [für et alii ] oder “u.a.” nach Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten 373 dem ersten Namen). Dasselbe gilt für mehrere Erscheinungsorte, getrennt durch Schrägstriche (bei mehr als drei Orten genügt ein “etc.”): Quack, Primus von & Gustav Gans 2000: Untersuchungen zum Verhältnis von Glück und Wahrscheinlichkeit, Entenhausen/ Quakenbrück: Enten-Verlag Duck, Dorette und Daniel Düsentrieb (eds.) 1999: Ente, Natur und Technik. Philosophische Traktate, Quakenbrück etc.: Ganter Wenn ein Buch innerhalb einer Buchreihe erschienen ist, kann der Reihentitel und die Bandnummer hinzugesetzt werden: Duck, Tick et al. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13), Quakenbrück etc.: Ganter Duck, Tick u.a. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge, Quakenbrück usw.: Ganter (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13) Auch sog. ‘graue’ Literatur - Dissertationen im Uni- oder Reprodruck (“Zürich: Diss. phil.”), vervielfältigte Handreichungen (“London: Mimeo”), Manuskripte (“Radevormwald: unveröff. Ms.”), Briefe (“pers. Mitteilung”) etc. - muß nachgewiesen werden. Innerhalb des Literaturverzeichnisses werden die Autor(inn)en in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Gibt es mehrere Veröffentlichungen derselben Person, so werden sie in chronologischer Reihenfolge aufgelistet (innerhalb eines Jahres mit Zusatz eines kleinen lateinischen Buchstabens zur Jahreszahl - entsprechende Angaben beim Zitieren im Text): Duck, Daisy 2001 a: “Enten als Vorgesetzte von Erpeln. Einige Beobachtungen aus der Praxis”, in: Entenhausener Zeitschrift für Psychologie 7.1 (2001): 47-67 Duck, Daisy 2001 b: “Zum Rollenverständnis des modernen Erpels”, in: Ente und Gesellschaft 19.1-2 (2001): 27-43 Internetquellen Zitate aus Quellen im Internet müssen stets mit vollständiger URL inklusive Transferprotokoll (http: / / oder ftp: / / etc.) nachgewiesen werden (am besten aus der Adresszeile des Browsers herauszukopieren). Da Angaben im Internet verändert werden können, muß das Datum des Zugriffs in eckigen Klammern hinzugesetzt werden. Handelt es sich um einen innerhalb eines eindeutig betitelten Rahmens (Blogs, Onlinezeitschriften etc.) erschienenen Text, so wird genauso wie bei gedruckten unselbständigen Arbeiten zitiert: Gans, Franz 2000: “Schon wieder keinen Bock”, in: Franz Gans’ Untaten. Blog für Arbeitsscheue, im Internet unter http: / / www.franzgansuntaten.blogspot.com/ archives/ 00/ art07.htm [15.01.2009] Trägt die Website, aus der ein zitierter Text stammt, keinen eindeutigen Titel, so wird der Text ähnlich wie eine selbstständige Arbeit zitiert: Klever, Klaas (o.J.): Wer wir sind und was wir wollen, im Internet unter http: / / www.entenhausenermilliadaersclub.eh/ organisation/ index.htm [15.01.2009] Ist der Verfasser nicht zu identifizieren, so sollte stattdessen die jeweilige Organisation angegeben werden, die für die angegebene Seite verantwortlich zeichnet: Entenhausener Onlineportal (ed.) 1998: Einbruch bei Dagobert Duck. Panzerknacker unter Verdacht, im Internet unter http: / / www.eopnet.eh/ aktuell/ lokales/ 980315/ art21.htm [15.01.2009] Instructions to Authors Articles (approx. 10-30 pp. à 2'500 signs [25.000-75.000] line spacing 1.5, Times New Roman, 12 pts) must be submitted to the editor both on paper and in electronic form (wordor rtf-file). Figures (graphics, tables, photos) must be attached separately (300 dpi minimum, black and white). The title is followed by name(s) of author(s), affiliation and location. The language of the text, preceded by a short summary (abstract) in English, must be German, English, French, or Spanish. The outline follows the decimal system (1, 2, 2.1, 2.1.1). On a separate sheet, the postal address(es) of the author(s), including e-mail address, and a short bio-bibliographical note (3-5 lines) is to be attached. Quotations Quotations are referred to in the text with author (year: page) and indicated by normal quotations marks “…” (author year: page), unless a quotation is more than three lines long, in which case its left margin is -0.5, in single spacing and petit (11 pts): I am a blind text, born blind. It took some until I realised what it meant to be a blind text. One doesn't make sense; one is taken out of context; one isn't even read most of the times. Am I, therefore, a bad text? I know, I will never have a chance to appear in Nature or Science, not even in Time magazine. Am I, therefore, less important? Okay, I am blind. But I enjoy being a text. Should I have made you read me to the end, I would have managed what most of the 'normal' texts will never achieve! I am a blind text, born blind … (author year: page). The short bibliographical reference in the text refers to the bibliography at the end. All deletions and additions must be indicated: deletions by three points in square brackets […], additions by initials of the author. If there is a mistake in the original text, it has to be quoted as is, marked by [sic]. Quotations within quotations are indicated by single quotation marks: “…‘…’ …”. Paraphrases must be indicated as well: (cf. author year: page) or author (year: page). Foreign words (nota bene) or terms (the concept of Aufklärung) are foregrounded by italics, so are lexical items or grammatical forms (the interjection gosh is regarded as outdated); the lexical meaning is given in single quotation marks (Aufklärung means ‘Enlightenment’); incorrect grammatical forms or sentences are marked by an asterisk (*he go to hell). Footnotes (annotations) Footnotes are indicated by upper case numbers (as argued by Kant. 2 ). Footnotes at the bottom of a page are preferred to annotations at the end of the article. They are written in single spacing, with a 1.5 space between them. Please avoid footnotes for mere bibliographical references. Bibliography The bibliography lists all references quoted or referred to in alphabetical order. They should follow the form in the following examples: Short, Mick 2 1999: Exploring the Language of Poems, Plays and Prose, London: Longman Erling, Elizabeth J. 2002: “‘I learn English since ten years’: The Global English Debate and the German University Classroom”, in: English Today 18.2 (2002): 9-13 Modiano, Marko 1998: “The Emergence of Mid-Atlantic English in the European Union”, in: Lindquist et al. (eds.) 1998: 241-248 Lindquist, Hans, Steffan Klintborg, Magnus Levin & Maria Estling (eds.) 1998: The Major Varieties of English (= Papers from M AVEN 1997), Vaxjo: Acta Wexionensia No. 1 Weiner, George 2001: “Uniquely Similar or Similarly Unique? Education and Development of Teachers in Europe”, Plenary paper given at the annual conference, Standing Committee for the Education and Training of Teachers, GEC Management College, Dunchurch, UK, 5-7 October 2001. http: / / www.educ.umu.se/ ~gaby/ SCETT2paper.htm [accessed 15.01.09]. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Hans Jürgen Heringer Linguistik nach Saussure Eine Einführung UTB M 2013, 160Seiten €[D] 19,99/ SFr 28,00 ISBN 978-3-8252-4014-1 Das Buch versteht sich als Einführung in Grundkonzepte der Linguistik. In sechs Kapiteln präsentiert Heringer Einsichten de Saussures und problematisiert die Folgerungen daraus: Das Langue-Parole-Problem, die Natur des sprachlichen Zeichens, Sprachsystem und sprachlicher Wandel. Jedes Kapitel beschließt eine sprachkritische Anwendung. Reichlich aufgaben dienen der Weiterführung. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Hans Jürgen Heringer Interkulturelle Kommunikation Grundlagen und Konzepte UTB 2550 M 4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2014 256 Seiten, € 19,99 / SFr 28,00 UTB-ISBN 978-3-8252-4161-2 Probleme interkultureller Kommunikation sind im Zeitalter der Globalisierung und in der multikulturellen Gesellschaft akut. Interkulturelle Kompetenz gehört zu den Grundfertigkeiten und Schlüsselqualifikationen in der Wirtschaft, in internationalen Beziehungen, im schulischen Alltag. Heringers Standardwerk vermittelt die linguistischen Grundlagen der Interkulturellen Kommunikation und vertieft das Basiswissen: die sprachlich Dimension von Kultur, nonverbale Kommunikation und Konversation. Es bietet eine detaillierte Darstellung der Aspekte, die für erfolgreiches interkulturelles Kommunizieren wesentlich sind, und führt kritisch ein in Bedeutung und Funktionsweisen von Kulturstandards, Stereotypen und Critical Incidents. Die 4. Auflage geht verstärkt auf die Grundlagen von Sprache und Kultur sowie interkulturelle Unterschiede im Inland ein. Die Anleitung zu einem eigenen kleinen Projekt und ein aktualisiertes und erweitertes Verzeichnis der grundlegenden Literatur runden den Band ab.