eJournals

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2017
403-4
13,9 ARTICLES Sebastian Feil: A Semiotic Approach to the Notion of Context in Literary Studies Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher: Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) Hans W. Giessen: Karl Friedrich Schinkel und die Kirche zu Bischmisheim: Architekt, Gesellscha , Semiotik Franz Kasper Krönig: Die Materialität des Sinns sozialer Systeme Rafael Mollenhauer: Gemeinsame Aufmerksamkeit Oksana Havryliv: Das Zeichen und dessen Referentialität Claus Schlaberg: A Characterization of the Sciences as Contrasted with Fiction and Religion on Semantical Grounds Marie-Louise Käsermann: Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag Götz Wienold: Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg REVIEW ARTICLES Hans J. Wulff: Rezeption und/ oder Wirkung fiktionaler Medieninhalte Ernest W. B. Hess-Lüttich: Die malischen Tuareg-Aufstände und ihr Bild in der Presse periodicals.narr.de Vol. 40 · July/ December 2017 · No. 3-4 An International Journal of Semiotics Vol. 40 · July/ December 2017 · No. 3-4 40_2017_3-4_Umschlag.indd 1,3 06.03.2019 09: 25: 04 Editors: Achim Eschbach · Ernest W. B. Hess-Lüttich · Jürgen Trabant Review Editor: Daniel H. Rellstab KODIKAS / CODE is an International Journal of Semiotics and one of the leading European scholarly journals in this field of research. It was founded by Achim Eschbach, Ernest Hess-Lüttich and Jürgen Trabant in order to promote multidisciplinary approaches to the study of sociocultural semiosis in 1979, and has been publishing high quality articles, in-depth reviews, and reports on all aspects of sign processes from historical, theoretical, and empirical perspectives since then. On a regular basis, KODIKAS / CODE also publishes special issues, collections of refereed articles on timely topics, solicited by guest editors. Languages of publication are German, English, and French; all contributions handed in to the editorial board are subject to a peer review process. Please send manuscripts electronically to either of these addresses: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Luettich (Prof. em. University of Berne, Hon. Prof. Tech. Univ. Berlin, Hon. Prof. Univ. of Stellenbosch) / Winterfeldtstr. 61 / D-10781 Berlin / hess-luettich@campus.tu-berlin.de Prof. Dr. Achim Eschbach / Universität Duisburg-Essen / Kommunikationswissenschaft / Universitätsstraße 12 / 45117 Essen / Deutschland / achim.eschbach@uni-due.de Prof. Dr. Jürgen Trabant / Krampasplatz 4b / 14199 Berlin / Deutschland / trabant@zedat.fu-berlin.de Please send books for review to: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Luettich (Hon. Prof. Tech. Univ. Berlin) / Winterfeldtstr. 61 / D-10781 Berlin / hess-luettich@campus.tu-berlin.de Prof. Dr. Daniel Hugo Rellstab / Germanistik und Interkulturalität / PH Schwäbisch Gmünd / University of Education / Oberbettringer Straße 200 / D-73525 Schwäbisch Gmünd / daniel.rellstab@ph-gmuend.de Manuscripts should be written according to the Instructions to Authors (see last pages of this issue). Books will be reviewed as circumstances permit. No publication can be returned. An International Journal of Semiotics Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG Dischingerweg 5 / 72070 Tübingen / Germany Tel. +49 (07071) 97 97-0 / Fax +49 (07071) 97 97-11 / info@narr.de / www.narr.de / periodicals.narr.de LITERARISCHE MEHRSPRACHIGKEIT \ LITERARY MULTILINGUALISM Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de In der literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung ist das Interesse an Fragen der Mehrsprachigkeit in jüngerer Zeit international gestiegen. Das schließt an einen Trend an, der in der sprachwissenschaftlichen Forschung schon länger zu beobachten ist. Die Grenzen der ehemaligen Nationalphilologien werden unter Stichworten wie Hybridität, Inter- und Transkulturalität zunehmend geöffnet. Zu konstatieren ist dabei auch eine gesteigerte methodische und theoretische Eigenständigkeit philologischer oder kulturphilologischer Ansätze, die sich durch eine besondere Aufmerksamkeit für das Zusammenwirken von unterschiedlichen Formen sprachlicher Varianz in konkreten Texten auszeichnen. Dem damit sich konstituierenden Feld einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Mehrsprachigkeitsforschung bietet die Reihe einen Publikationsort. Dies geschieht auch mit dem Ziel, die vielfältige Forschung auf diesem Gebiet an einem Ort sichtbar zu machen und so den weiteren wissenschaftlichen Austausch zu fördern. - Ihrem Gegenstand entsprechend umfasst die Reihe die Einzelphilologien, das gesamte Spektrum der Kulturwissenschaften und punktuell auch die Sprachwissenschaften. Herausgeber: Prof. Dr. Till Dembeck (Université du Luxembourg) Prof. Dr. Rolf Parr (Universität Duisburg-Essen) Marion Acker, Anne Fleig, Matthias Lüthjohann (Hrsg.) Affektivität und Mehrsprachigkeit Dynamiken der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur 2019, ca. 300 Seiten, €[D] 78,00 ISBN 978-3-7720-8657-1 eISBN 978-3-7720-5657-4 erscheint: 2019/ 03 Andreas Leben, Alenka Koron (Hrsg.) Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext 2019, ca. 300 Seiten, €[D] 78,00 ISBN 978-3-7720-8676-2 eISBN 978-3-7720-5676-5 erscheint: 2019/ 05 Vol. 2 Vol. 1 - die neue Buchreihe zu literarischer Mehrsprachigkeit 40_2017_3-4_Umschlag.indd 4,6 06.03.2019 09: 25: 04 KODIKAS/ CODE An International Journal of Semiotics Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Articles Sebastian Feil What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in Literary Studies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten: Graduelle Handlungen und autonome Segmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Hans W. Giessen Die alte Botschaft, ein neues Medium. Karl Friedrich Schinkel und die Kirche zu Bischmisheim: Persönlichkeit des Architekten, gesellschaftliche Zwänge, semiotische Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Franz Kasper Krönig Die Materialität des Sinns sozialer Systeme mit besonderer Berücksichtigung des “ abartigen ” Geldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Rafael Mollenhauer Gemeinsame Aufmerksamkeit. Der Schlüssel zur symbolischen Praxis? . . . . . . . . . . . 303 Oksana Havryliv Das Zeichen und dessen Referentialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Claus Schlaberg Why Observation Matters. A Characterization of the Sciences as Contrasted with Fiction and Religion on Semantical Grounds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Marie-Louise Käsermann Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag . . . . . . . . 358 Götz Wienold Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Review Articles Hans J. Wulff Rezeption und/ oder Wirkung fiktionaler Medieninhalte. Fragende Bemerkungen zu einem neuen Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Ernest W. B. Hess-Lüttich Konflikt in der Wüste. Die malischen Tuareg-Aufstände und ihr Bild in der Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Autorinnen und Autoren / Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Anschriften der Autorinnen und Autoren / Addresses of Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Instructions to Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Publication Schedule and Subscription Information The journal appears 2 times a year. Annual subscription rate € 134, - (special price for private persons € 104, - ) plus postage. Single copy (double issue) € 84, - plus postage. The subscription will be considered renewed each year for another year unless terminated prior to 15 November. Besides normal volumes, supplement volumes of the journal devoted to the study of a specialized subject will appear at irregular intervals. The articles of this issue are available separately on www.narr.de © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG P. O. Box 2567, D-72015 Tübingen All rights, including the rights of publication, distribution and sales, as well as the right to translation, are reserved. No part of this work covered by the copyrights hereon may be reproduced or copied in any form or by any means - graphic, electronic or mechanical including photocopying, recording, taping, or information and retrieval systems - without written permission of the publisher. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Setting by: typoscript GmbH, Walddorfhäslach CPI books GmbH, Leck ISSN 0171-0834 K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies Sebastian Feil (Augsburg) Against the background of the ongoing trend in literary and cultural studies to “ contextualize ” objects of study in relation to other material and for a certain purpose, the paper examines the notion of context in literary studies 1.) from a disciplinary point of view and 2.) from the vantage point of the analytical topic of borderline vagueness and its (implicit) treatment in Peircean semiotics. After showing that the notion of context does not lack any sharpness of definition, and, therefore, cannot be any further clarified, it is argued that the persistent methodological shortcomings of contextualization are due to the inherent vagueness of the phenomenon of context itself. Any perceived uncertainty about correct procedures of contextualization is neither a matter of increase in precision nor of quantitative considerations, but the result of a fundamental indecisiveness rooted in the phenomenon of context. It is consequently best dealt with by an appeal to generality, understood in terms of Peircean semiotics as the further reduction of interdisciplinary and intersubjective boundaries. Borderline vagueness proper involves a lack of communication (and isolation of research), which is why the paper argues against any such psychologism and for the application of stricter procedures of semiotic generalization to any given approach to interpretation and terminological work in literary and cultural studies. 1 A contested extension? Perhaps the most salient feature of our ongoing inquiry into the concept of context is the fact that there is absolutely no terminological problem. The popular Oxford Dictionary of English offers us sound definitions according to which “ context ” is 1.) “ the circumstances that form the setting for an event, statement, or idea, and in terms of which it can be fully understood ” and 2.) “ the parts of something written or spoken that immediately precede and follow a word or passage and clarify its meaning. ” And likewise, in its use in literary studies, the intension of the word “ context ” is enviably clear-cut and almost completely exhausted by the general definitions major encyclopedic resources provide (which, incidentally, do not stray very far from definitions in general dictionaries). The Concise Oxford Dictionary of Literary Terms expands the ODoE notion (leaving out “ immediately ” ) by stating that contexts are “ those parts of a text preceding and following any particular passage, giving it a meaning fuller or more identifiable than if it were read in isolation ” and by adding that contexts comprise “ any part of - or the whole of - the remaining text, or the biographical, social, cultural, and historical circumstances in which it is made (including the intended audience or reader) ” (Baldick 2001: 50). In the same vein, the German Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie defines “ Kontext ” as “ das die Bedeutung wesentlich mitbestimmende sprachliche oder kulturelle Umfeld ” (Müller 2008: 379) and the comprehensive Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft ’ s basic definition of the term (hinting at the quantitative framework in which reasoning about context very often takes place) simply reads: “ Die Menge der für die Erklärung eines Textes relevanten Bezüge ” (Danneberg 2000: 333). We know quite well what “ context ” means. This also holds true with regard to the extension of the term “ context ” : It is easy to point out that something generally is the context for something else when you perceive that something in such a relationship. This may be one reason why the appeal to context is so attractive and oftentimes so fruitful. In general, the threshold for convincing people that one thing stands in relation to another is relatively low. Consider the case of irony: Pointing out that some interlocutor has missed the irony of an utterance because they failed to consider the correct context (or the context correctly) is something that everyone is able to do and that almost every interlocutor will accept if vaguely made plausible to them. We recognize a context when we see one. Yet, if debates involving the term “ context ” ensue, they are concerned with the extension of the term (to the point where a reference work like the Routledge Dictionary of Literary Terms does not even define the term intensionally, cf. Lee 2006: 33 - 34). These debates are generally of a normative nature and home in on the question: Given that contexts surround (a literary text) and provide additional information (to better understand a literary text), to which objects should the term “ context ” extend? The Reallexikon lists four types of extensional possibilities that fall under the term “ context ” in literary studies: intratextual (relation to linguistic antecedentia and consequentia), infratextual (relation to mereological scope), intertextual (relation by similarity) and extratextual (relation by influence and authorship) (cf. Danneberg 2000: 333 - 336). Such specification locates the extension of the “ something more ” that context is somewhere between the immediate surroundings of a text and the infinite surroundings of the extratextual world. Accordingly, the text turns into the site (or intersection) of various overlapping limits imposed on it by these different contexts (cf. Danneberg 2000: 336). In turn, these contexts, if rendered precise, limit the infinite possibilities of meaning a text holds. While Lutz Danneberg (among others) takes it for granted that a distinction between text and context exists and is vital to any discussion of the notion of context (2000: 336), others have shown that, when subjected to the proper amount of reflection, such a distinction collapses. From a systems-theoretical point of view, Oliver Jahraus demonstrates that “ contextuality ” is a (perhaps the) fundamental condition of textuality itself because of 1.) a text ’ s general embeddedness in communicative processes (cf. 2007: 30) and 2.) the necessary precondition of interpretability (cf. 2014: 153). Any given text (and certainly, any literary 222 Sebastian Feil (Augsburg) text) organizes what Jahraus calls “ individual generality ” 1 : It mediates between what is external to the text and its individual expression in such a way that what is external to the text is what constitutes it and makes it possible in the first place. The idea that there is no sharp distinction between text and context bears a striking resemblance to general ideas of poststructuralism and its focus on purely formal systems of signification, if only for the fact that both approaches are not primarily concerned with the possibility that a certain culture may well have habits that determine what a text is, e. g. printed words on pages, bound or loose, and derive certain ideas from those habits, e. g. that a text ends where the material ends. Jonathan Culler suggests the term “ framing ” as a substitute for “ context ” in order to stress that contexts are “ nothing tangible, pure articulation ” (1988: ix), “ boundless ” , “ infinitely expandable ” and thus necessarily “ produced ” (1988: 148). All one gets to do, to put it in Coleridge ’ s words, is to “ break off the series ” (1907: 187), not “ arbitrarily ” , but as “ one reaches a point where further contextualization seems unproductive ” (Culler 1988: 148). It seems that “ framing ” (i. e. “ context ” ) is conceptualized as something like a “ willful imposition by a subjectivity of a theory on the texts ” (Miller 1980: 611), an intentional force that acts against what Umberto Eco calls “ hermetic ” or “ paradigmatic ” drift: “ from similarity to similarity everything can be connected with everything else so that everything can be seen as a sign standing for something else and every thing [sic! ] is the sign of another ” (Eco 1995: 206). Culler, as it were, recognizes “ that symbols are paradigmatically open to infinite meanings ” precisely at the cost of not being “ syntagmatically, that is, textually, open [. . .] to the indefinite, but by no means infinite, interpretations allowed by the context ” (in the words of Eco 1990: 21) and are only held in check by the productiveness of a given interpretation. 2 The distinction in question corresponds roughly to what Danneberg calls the intraand infratextual context (concerned with how a text is internally organized) and the interand extratextual context (concerned with how the text is organized in relation to the world): “ Die Möglichkeiten der Bildung inter- und extratextueller Kontexte sind unbegrenzt ” (Danneberg 2000: 336), but Culler suggests (at least implicitly) that this characteristic may also apply to intraand infratextual contexts. 2 Contested methods? In an article on the relationship between context and practice of interpretation, Danneberg points out that contextualization may be perceived as problematic when the purpose of the invocation of a context and the selective procedures that lead to the establishment of a context are insufficiently clarified (1990: 89 and 93). The possibility that they may indeed be insufficiently clarified in turn poses a problem for Culler ’ s idea of the productiveness of interpretation, which stands in opposition to the idea of the possible falsity thereof. Once we see off the idea of a possible syntagmatic elucidation of what a context should contain in favor of the other idea, namely that contexts primarily need to include (or signification can 1 “ Der Text - und insbesondere der literarische Text - ist die Organisationsform des individuell Allgemeinen ” ( Jahraus 2014: 149). 2 Thus, he allies himself with Rorty and his criticism of Eco ’ s idea of overinterpretation (cf. Rorty 1999: 131 - 147). What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies 223 be cut off at) what is practically required, we have shifted our focus from what is analytically sound to what needs to be done synthetically. The appeal to context is always also an appeal to methodological presuppositions: It is within particular contexts of research - and this includes such things as the goals, policies, and positions of researchers - that it is possible meaningfully to decide which contexts we wish to foreground as particularly relevant, and which ones could, for the moment, ‘ in this particular conjuncture ’ , be left unexplored. (Kovala 2014: 167) It may strike one as peculiar that decisions regarding contexts are to be settled by an appeal to other contexts. It was in fact Stanley Fish who prominently championed such an approach. His concept of an “ interpretive community ” (1980) represents the idea that agreement about the meaning of something is absolutely unproblematic if all the people that agree are of the same mindset. The basic prerogative for such absolute understanding is that “ interpretive activities are not free ” but constrained by “ the understood practices and assumptions of the institution and not the rules and fixed meanings of a language system ” (Fish 1980: 306). Peter Brenner takes this to be nothing but a more narrow version of the reader-response Erwartungshorizont (cf. 1998: 131) while Timothy Bagwell criticizes Fish for not providing “ any account of how new systems of interpretation come into being ” (1983: 128). This is why it is so hard to argue with Fish: Beyond the general assumption that there certainly are professional presumptions and alliances, there is no way of telling what exactly lends credibility to such a community and its supposed methods. Danneberg, in a Wittgensteinian way, reminds us of the importance of explicitness: Even though there are no “ natural ” boundaries that constrain the contextualization of texts, contexts of research provide shareable presuppositions concerning the “ Rekonstruktions- und Darstellungssprache ” (1990: 102), and if different people use the same words, these words can be deemed to mean the same things (or have the same thoughts or feelings). Yet, even if methods are made explicit, what settles their validity? Kovala draws on Lawrence Grossberg to highlight the function that power has in that regard: “ wherever people and practices are organized around particular contradictions, there are multiple, differential relations of power involved ” (2014: 166). But in order to make these relations explicit, any investigation is “ dependent upon an analysis of the specific, concrete conjuncture ” (166) of the power relation in question, i. e. on the actual context of power in the medium of a fixed text, which under the basic hermeneutic condition that “ writing is self-alienation ” (Gadamer 2004: 392), brings us, more or less, back to the beginning. Once more, one is required to determine the intra-, infra-, inter-, and extratextual contexts that allow for an analysis of what constitutes the context of power that constitutes the meaning of a text, or cut off the process of signification either arbitrarily or after reaching the threshold of productiveness (which, in turn, begs the question and so forth ad infinituum). In the following, I will try to show where these debates concerning the extension of the term “ context ” and the corresponding methodological problems derive from objectively. I believe they are in part due to the objective vagueness (also known as borderline vagueness) of what I would term, for lack of better words, the phenomenon of context by which I mean that “ context ” always has a reality (or better perhaps, actuality) corresponding to it. From that point of view, the source of dissatisfaction with the term “ context ” does not so much lie in language but rather in the object itself, or more precisely, in the object ’ s vagueness. 224 Sebastian Feil (Augsburg) 3 But what is vagueness? In analytical philosophy (and Peirce ’ s pragmaticism, as we shall see), vagueness is a term describing a particular form of indeterminateness that is to be differentiated from other forms of indeterminateness such as ambiguity and, in particular, generality. Ambiguity is usually easily sorted out: The decision between “ bank ” and “ bank ” is very easy to make and really only requires a very slight increase in information on the part of the speaker. The same applies to generality. The proposition “ Our money is not safe in the bank ” does not depend on additional information for it to be precise. Insofar as it expresses a general mistrust in the financial system, it extends to all banks that store money. But to what extent do we have to increase the length of a seat for the chair to end and the bench to begin? In the logical tradition, vagueness proper was first appropriated by means of the so-called “ sorites paradox ” (from greek sorós: heap). The basic question underlying this paradox is where to draw the line between F and -F if -F+1=-F, -F+2=-F, -F+3=-F etc. resulting in -F +x=-F (x being small incremental steps towards F) even though the proposition -F +1.000.000=F is simultaneously true. In the case of a heap of straws, for example, we are certain that a continuous increase of the number of straws results in a heap. However, it is impossible to determine the exact straw that turns a collection of straws into a heap of straws (similarly, it is impossible to determine the exact hair in the sink that turned a head of hair into a bald head). More generally, “ vagueness stems from an indeterminacy over the number of applications required to settle whether a given proposition P is legitimately true or legitimately false ” (Agler 2010: 94). Such fuzziness is decidedly not a matter of missing information: Borderline vagueness is not a type of indeterminacy thought to be subjective and eliminable upon an increase of information about the speaker ’ s intention. Instead, in addition to borderline cases, one feature that distinguishes vagueness from a type of indeterminacy known as “ uninformativeness ” is that the extensions of vague predicates are objectively indeterminate (or resistant to inquiry). Vagueness is distinct from uninformativeness because the latter kind of indeterminacy is subjectively indeterminate and dispensable upon an increase of information about the world or the mind of a language user. (Agler 2013: 206, original emphasis) Depending on the point of view, the objectivity of vagueness is either a matter of linguistic or epistemic bias or a feature of the objective world as such (cf. Sorensen 2012). This means that either language, our cognitive abilities or the world as such lack sharp boundaries. Whichever flavor of vagueness philosophers adhere to, it is uncontroversial that thresholds for propositions involving “ vague predicates are not just unknown, they are unknowable ” (Sorensen 2001: 3). So far, it has always been possible to point out inconsistencies in one theory with the help of another and thereby question the approach to resolving vagueness in any theory (cf. Sorensen 2012). It seems that the resolution of borderline vagueness is in some way itself dependent on a concept of productiveness. Delia Fara (2000) has discussed this under the headline of “ interest-relativeness ” and draws attention to the fact that vagueness generally dissipates according to the satisfaction of our interests. For Fara, vagueness itself is an interest-relative phenomenon that hinges less on the fuzziness of the boundary but on the “ boundarylessness ” (2000: 48) of vague concepts (the fact that they are continuous in some respect). Nevertheless, she generally What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies 225 concedes with the basic idea that “ vague predicates seem to us to be always ‘ tolerant ’ of small changes without always being tolerant of large ones ” (2000: 49), but traces the root cause of this to the idea that vagueness “ has a traceable source in the vagueness of our interests ” (2000: 49). Thus, the desire to drink a cup of coffee in the morning is generally satisfied by a vague amount of ground coffee beans as well as a vague amount of water (if you spill a couple of beans or a few drops or even a sip of water, you will generally not replace them). The reason for this, as Fara explains, is that other concepts like “ purpose ” or “ efficiency ” play a major role in that undertaking, thus rendering technically different amounts of ground coffee and water the same (cf. 2000: 68). While the idea that vagueness is the result of contextually variable interests is generally sound, there is no way to determinately fix what is meant by “ interest ” and other supposed context-fixing concepts. This is the basic version of the criticism that Rosanna Keefe (2007) holds against contextual theories of vagueness (among them Fara ’ s version). In her paper, she addresses two contextualist arguments: 1.) that vagueness emerges contextually and 2.) that fixed contexts alleviate vagueness. By establishing that “ the contextualist is committed to extremely frequent changes in context about which we cannot know, but which result in changes of extensions of our predicates and truth-values of our sentences ” (2007: 287), Keefe mounts the charge of psychologism on the side of the attributor. 3 She stresses that even “ if we fix the context, we still face the phenomena of vagueness, including the sorites paradox ” , that there is no way to fix a context in such a way that the sorites paradox itself disappears and that, therefore, “ the appeal to change of context will not help when we are considering the sorites series all at once ” (Keefe 2007: 290). Theoretically, vagueness is effective independently of specific (even if not outside of fixed) contextual configurations and is not resolved by an appeal to context, because even if we fix a contextual configuration, we can only do so in relation to a local comparison class, and thus, by appealing to another context. From that perspective, borderline cases are “ inquiry resistant ” in such a way that “ inquiry resistance typically recurses ” and that, “ in addition to the unclarity of the borderline case, there is normally unclarity as to where the unclarity begins ” (Sorensen 2012: n. pag.). This theoretical mise en abyme has some but no ultimate consequences for practice, since, generally, “ language-users can prevent the absurdity of the sorites conclusion by choosing one legitimate sense from an assortment of other legitimate senses without commitment to sharp semantic boundaries ” (Agler 2010: 94). In fact, “ language-users are unaware that their language practices allow for a more inclusive set of legitimate senses than they are consciously prepared to admit ” (Agler 2010: 94). One ’ s resolution may be the other one ’ s deferral, since language users are generally unaware of all the possible senses that a predicate or proposition holds. Thus, Roy Sorensen writes in Vagueness and Contradiction: 3 This is a problem that epistemic contextualism has to deal with as well, since shifting “ features of the putative subject of knowledge (his/ her evidence, history, other beliefs, etc.) or his/ her objective situation (what is true/ false, which alternatives to what is believed are likely to obtain, etc.) ” to “ features of the knowledge attributor(s) ’ psychology and/ or conversational-practical situation ” (Rysiew 2011) is just trading one appeal to context for another one. What has been gained (freedom from the shackles of “ hermeneutic ” divination and historicism) is traded in for subjectivism in the present. 226 Sebastian Feil (Augsburg) When philosophers describe a case as borderline, they normally express global pessimism about attempts to learn whether it is an F or a non-F. No one can learn the answer to questions such as Are prisoners of war residents of an alien country? and Are skis vehicles? In contrast, the pessimism conveyed in most ordinary uses of ‘ borderline case ’ is local. We are free to recruit a secondary answer system that can handle the question. (Sorensen 2001: 23, original emphasis) In practice, David Agler argues, “ questions about the legitimate truth or falsity of P are settled at a meta-level that is much higher than semantically required ” , so “ rather than stating ‘ s is a legitimate sense of ’ tall ‘ that would render P true ’ , [language users] ascend to a higher meta-level and say ‘ there is a legitimate sense of s, which is t, such that s is a legitimate sense of ’ tall ‘ that would render P true ’” (2010: 94). If we take this everyday method of deferring vagueness (which is precisely the fixing of one context by another more comprehensive context) to its logical conclusion, we are looking for a “ secondary answer system ” (in Sorensen ’ s words) providing guidelines that allow us to avoid the pitfalls of methodological psychologism. In Peircean semiotics, such guidelines are usually assembled under the key term “ generality ” . 4 Why “ context ” is vague Before looking into the ways in which Peircean generality can be considered to alleviate the relativism of acritical references to the phenomenon of context, a survey of what could be considered an acritical reference is in order. As we have seen, literary theory has to deal with a great many (sometimes conflicting) extensions of the term “ context ” . My point so far has been to say that uncertainty as to what should be included under the term depends in large part on what I have termed the phenomenon of context and I will go on to say that it is precisely the phenomenal configuration itself that causes the uncertainty. In short, I believe that the uncertainty of what should extensionally be contained in the term “ context ” is more or less a direct effect of the phenomenon ’ s borderline vagueness. At the most basic level, an analytical distinction can be made between contexts that are formed according to the formal properties of the text and the world and contexts that are formed according to the will (or fancy) of some intentionality. In the literature on the matter (as far as we have reviewed it), the former is characterized by the attempt to list the varieties that are comprehensive of the extension of the term while the latter draws attention to the fact that formal determination has its limit in the subjectivity of individuals or groups. The problem of context then consists in the unfortunate circumstance that determination by an intentionality is somehow required for formal contexts to come into existence, but can necessarily only come at the cost of a loss of formal cogency. This is one striking similarity between context and vagueness. It is quite unclear where we are to draw the line in order to render precise the meaning constituted by a context. There is always the possibility that we forgot to include something or that we just need to include a little more. Consider the idea of the “ intratextual ” context. Historically, the attempt has been made to render meaning more precise by distinguishing between “ contextus proximus, proprior und remotior ” (Danneberg 2000: 335). This is certainly an appropriate subdivision in that it draws attention to the fact that proximity to the word or passage that is to be contextualized is of importance. What it cannot tell us is how far “ closest ” , “ closer ” and “ further ” are supposed to What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies 227 be. More generally, elements of intratextual contexts such as the sentence 4 , the paragraph or the chapter fulfil the same function in that they provide structural divisions that guide interpretation almost universally. Referring to such elements alleviates the vagueness inherent in the formation of an intratextual context insofar as they are an appeal to the author (or editor) of the text. Without such intentional structures, there is nothing that lends authority to an intratextual context and, by extension, this applies to the infratextual context as well. For it is either the intentional parts of the text that are related to the whole or an arbitrary number of elements that, logically considered, appeal mostly to the taste (the a priori preconceptions) of the interpreter. Moreover, if the infratextual context bears on classificatory contexts such as genre (as Danneberg 2000: 336 suggests), it has to reach beyond the text by analogy. The ascription then takes place through some form of similarity it shares with an interor extratextual context 5 and according to beliefs about classificatory conventions that settle relevance beforehand. In turn, this raises the question as to the definiteness of the classificatory context, where intentional structures become much harder to discern. For example, take the context “ adventure literature ” 6 . According to Hans-Otto Hügel (2003: 91 - 93), one basic distinctive feature of the genre is concerned with a story ’ s protagonist, who is either the “ chivalric type ” or the “ merchant adventurer type ” . Both are generally associated with principles of which one is the negation of the other. While the medieval adventurer (say, for example, Iwein) is to face incalculable dangers on a developmental journey back to court and courtship, the (often seafaring) entrepreneur (of Robinsonian ilk, but without the pietistic deserted island) is supposed to approach his journey with a plan in mind and still be able to spontaneously avert possible risks associated with it. Hügel takes this to mean that the genre-related development of the modern adventure is characterized by an increase in the protagonist ’ s self-consciousness and sprawling self-positing (cf. 2003: 92) as the result of the development of the popular adventure form. This triumph of autocracy over heterocracy is so complete that, for Hügel, modern adventure has become the emblem of modern individualism (cf. 2003: 93). 4 Propositional sentences are peculiar in that they present us with the basic logical framework which, according to the Frege/ Wittgenstein context-principle (cf. Frege 1960: XXII; Wittgenstein 1974: 18), is the foundation of meaning as such. Here I am referring to sentences more in their “ graphic ” sense as elements that are, at least since the advent of modernity, identified by writing/ printing conventions (e. g. Cerquiglini 1999: 1 - 12). 5 While this distinction makes sense in order to stress the distinction between a more or less individual reference to context (i. e. intertextual contexts consist of selections of other texts of the same logical value) whereas extratextual contexts are formed by appealing to more or less abstract texts, I think that there is general agreement on the matter that none but the most basic intertextual references (e. g. graphemic similarity) are not also extratextual references. Or conversely, none but the most basic extratextual references (e. g. appeal to immediate feelings) are, at least in research, not also intertextual references (i. e. mediated in some formal way). 6 This is not an attempt to settle the question as to what constitutes adventure literature, but an exemplary train of thought that I believe represents exemplary practical considerations regarding the process of fixing an extratextual context for the interpretation of a literary work. It may be that an extratextual context poses less problems, but I believe that something is wrong if it does not pose any problems at all for I think, with Peirce, that indubitability is always the result of acritical reasoning. I will not claim that my example covers all cases of interand extratextual contexts. I can respond only to specific objections made explicit. 228 Sebastian Feil (Augsburg) Adhering to this dichotomy made explicit by Hügel, Michael Nerlich shows that the chivalric and merchant adventure type are continuous. He thinks adventure ’ s overemphasis on individualism is responsible for stabilizing the capitalist system and he thus deems it anti-liberal and potentially responsible for fascist ideology (cf. 1977: 11). Volker Klotz, on the other hand, demonstrates that in order to establish a coherent picture of “ adventure literature ” , one must go even further back than the Middle Ages, a view which Mikhail Bakhtin in “ Forms of Time and of the Chronotope in the Novel ” (1981: 84 - 258) and Paul Zweig in The Adventurer (1974) share (for different reasons) and which Nerlich (1977: 14) and Hügel (2003: 91) reject as untenable universalism. For Klotz, adventure literature is a sort of subversive proto-literature that opposes what he calls the psychological novel of bourgeois liberality by valuing consistency higher than innovation (cf. 1979: 19). In Klotz ’ context, adventure literature is then a sort of unmasking of capitalism in that it reaches out to history (and beyond) in order to show that what is perceived as the individualism of the bourgeois literary field is, in fact, a mere replication of capitalism ’ s individualistic drive within the confines of the pseudo-autonomous space of the self-styled literary vanguard (cf. Klotz 1097: 19). While these theories of the adventure are all formally coherent within the confines of what they include (i. e. they accord to the subjective taste of an intender or community, very obvious in Michael Nerlich ’ s case), they are highly contradictory in relation to each other, to the point where value-ascriptions such as “ support ” or “ opposition ” of capitalism are formally contrary but at the same time equally possible. Likewise, “ increased selfconsciousness ” is not applicable definitively. Edmond Dantès, the Count of Monte Christo, is merely lucky to gain access to a treasure (without which he could not have set his plan of domination in motion). Conversely, the supposedly premodern Odysseus is famously polytropon (literally: many-wayed) and shows great cunning in dealing with Polyphemus, the cyclops, and great stupidity in revealing his identity, an instance which can easily be taken as an indication of self-positing, and which does not disappear when considered against the backdrop of the whole story. While there are “ super-individual ” influences (Athena and Poseidon, for example), they are rarely directly connected to these instances of self-positing. Quite often, the story in its entirety does not warrant decisions on the parts, for decisions on the parts are required beforehand in order to form the entire story, and one general conflict in modern hermeneutics is precisely the question whether the process of cycling between the parts helps to better understand the whole or merely to understand it differently. Extratextual contexts (like “ adventure literature ” ) involve subcontrary-forming propositions (i. e. some features count towards the context “ adventure literature ” and some features do not count towards it and we cannot tell which) to an extent that they cannot be ignored. They betray a fundamental uncertainty of contextualism in general: There “ is always more evidence that may bear in some way or another on the meaning [. . .] at issue ” (Culler 1988: 148). As pointed out earlier, this conclusion leads Culler to the realization that contexts are “ not saturable ” , i. e. “ never complete ” (1988: 148). I think this is an oversimplification. Understanding context is not a matter of saturation in such a way that we lack information (although we might) which, once acquired, will saturate the context, or will not saturate the context because we can always acquire more information. Already when choosing what to What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies 229 include in the context that is supposed to support an analysis, the ‘ shiftiness ’ of contexts affects the known knowns. Consequently, a context is not indeterminate because it is incomplete, but because there is uncertainty about which parts - out of all the pieces of information already available - can and should be included so that the context leaves no doubt as to its productiveness for the task at hand. The problem I see is that the appeal to context is, for the reasons given, not a solution to any problem, especially if the appeal to context is merely a gesture of circumspection, as Samuel Weber seems to think: Denn derjenige, der sich auf Kontext beruft, darf sich als umsichtig ansehen: er deutet an, daß er nicht eigensinnig und beschränkt, sondern weitblickend und großzügig ist, weiß er doch, worum es geht; er kennt anscheinend zumindest die Umstände und stellt die Sachen an ihren rechten Ort. (Weber 1980: 45) On my account, the appeal to context will remain a mere gesture of circumspection as long as there is no way to tackle the problem of vagueness which accompanies contextualization. I think genuine circumspection comes quite naturally when a description covers as many cases as possible and therefore suggest the appeal to generality (a central concept in Charles Peirce ’ s semiotics) as a supplement for and alternative to contextualization. 5 The appeal to generality In “ Issues of Pragmaticism ” , Charles Peirce formally differentiates vagueness from generality: Perhaps a more scientific pair of definitions would be that anything is general in so far as the principle of excluded middle does not apply to it and it is vague in so far as the principle of noncontradiction does not apply to it. (Peirce 1998: 351 - 352) This definition seems ambiguous: The principle of non-contradiction (PC) demands that -(F ∧ -F) while the principle of excluded middle (PEM) demands that F ∨ -F. Their respective negations are (1) F ∧ -F for the PC and -(F ∨ -F) for the PEM. But if the negation applies to the conjunction/ disjunction of the two predicates, the wording “ does not apply ” could also mean that (2) if the PC does not apply, then -(F ∨ -F) and if the PEM does not apply, then F ∧ -F. Given that Peirce held that the “ principles of contradiction and excluded middle do not stand at all upon the same plane ” , and since “ no philosopher has yet been found to maintain that any proposition is in precisely the same sense absolutely true and false at once ” (1989: 242), thereby rejecting the “ position that there are true contradictions ” (Agler 2013: 200), it seems safe to assume that version 1 of the negation is correct, since version 2 suggests that one principle is merely the rejection of the other. Some further clarification is provided by Agler, who sorted through the literature on the matter and concludes: Peirce understood LNC as a statement concerning the fact that internal negation is a subcontraryforming operation on vague utterances, and LEM as a statement concerning the fact that internal negation is a contrary-forming operation on general utterances. (Agler 2013: 201, LNC=law of noncontradiction=PC; LEM=law of excluded middle=PEM) A more general way of putting this in terms of Peirce ’ s general semiotics is to say that vague propositions are indeterminate as regards their identity in such a way that they do not meet 230 Sebastian Feil (Augsburg) the criteria for “ genuine ” signs (cf. Peirce 1931 7 : 5.68). They allow for multiple choices (because a fundamental uncertainty about the borderline exists) which are not truth-apt. As Frederik Stjernfelt puts it: They are ontologically may-bes, and a may-be does not exclude the correlated may-not-be: whether any single subject instantiates a given may-be or not cannot be decided on the basis of the may-be. The fact that PC does not apply thus refers to the modal character of the entities of Firstness, and its logical expression is that “ S may be P ” and “ S may be non-P ” may both be true. (Stjernfelt 2007: 17) Vagueness is the effect of meta-level possibility, which means that “ it may be true that a proposition is true and that a proposition is false ” (Peirce 1998: 352), but there is no point of reference from which to determine what is actual or general. Vagueness does not merely affect precision, it denies precision. There is no way to render something precise that is involved with a vague concept or in a vague proposition. Generality, to which the LEM does not apply, is different in such a way that generality and vagueness are “ mutually exclusive of each other ” (Agler 2013: 201). Nevertheless, they are connected, continuously, by the idea of absolute determinateness: The actual individual existence of Secondness, by contrast, may then be defined by its adherence to both of the principles of contradiction and excluded middle, because individuality taken as complete determination of all properties must obey both principles. The determinateness of Secondness thus forms the third member of the triad vagueness-determinateness-generality. A completely determinate individual must possess the property P or its contradictory non-P (PEM), but not both (PC) [. . .]. (Stjernfelt 2007: 19) While vagueness may be the cause, generality is the necessary result of any given semiotic process. Moreover, semiosis is guided by generality in such a way that the “ expression of determination which is either full or made free for the interpreter ” is as precise as possibly conceivable if it succeeds in the “ creation of an ens rationis out of an epos pteroen ” (Peirce 1998: 352). Semiosis is successful when it converts “ meaning not dwelt upon but through which something else is discerned ” into “ meaning upon which we rest as the principal subject of discourse ” (CP 1.83). Semiotic inquiry necessitates abstraction, which serves the purpose of converting “ winged words ” (or “ acritically indubitable ” propositions, Peirce 1998: 350) into propositions that can be reasoned with and on which critical doubt can rest. 8 Another way of putting this is to say that “ winged words ” , despite the fact that they apply to all cases that they cover, are accidental or “ degenerate Thirdness ” , “ where we conceive a mere Quality of Feeling, or Firstness, to represent itself to itself as Representation ” (CP 5.71). Vagueness must be submitted to “ further determination [. . .] in some other conceivable sign ” , and it most definitely does not “ appoint the interpreter as its deputy in office ” (Peirce 1998: 351). This is what generality does. In Peircean semiotics, interpretants (signs that are the resulting interpretations of other signs) representing progress of interpretation appear in three general ways: immediate, 7 Collected Papers: henceforth abbreviated as CP. 8 Peirce defined critical doubt in opposition to “ paper doubt ” (which denies that immediate experience is logically valid) as “ real and living doubt ” (Peirce 2011, 42) which is stirred up if an actual problem arises. This separates his thought from varieties of rationalism that propose to doubt all knowledge systematically and from a single vantage point (e. g. the subject in René Descartes ’ rationalism). What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies 231 dynamic and final. Immediate interpretants are constituted by the “ Quality of the Impression that the sign is fit to produce ” while dynamic interpretants represent “ whatever interpretation any mind actually makes of a sign ” (CP 8.315). Final interpretants then are the only element in Peirce ’ s semiotics that say anything at all about the quality of finality in the reasoning process. Derrida (in the Grammatologie) is correct in saying that “ Peirce va très loin dans la direction de ce que nous avons appelé plus haut la dé-construction du signifié transcendental, lequel, à un moment ou à un autre, mettrait un terme rassurant au renvoi de signe à signe ” (Derrida 1967: 71). At the same time, he perhaps overlooks the fact that in Peirce ’ s theory any reference from sign to sign does come to an end, more or less reassuring. “ [S]ymbols grow ” and “ come into being by development out of other signs, particularly from icons, or from mixed signs partaking of the nature of icons and symbols ” (CP 2.302). Hence, an estimation like UweWirth ’ s to the effect that “ [s]ince the object of representation as well as its interpretant is ‘ nothing but a representation ’ , there cannot be, at least if we take Peirce seriously, anything ‘ outside semiosis ’ : neither an ‘ absolute object ’ nor a ‘ final interpretant ’” (Wirth 2003: 36) is incorrect. Wirth refers to the first part of that important expression of Peirce ’ s notion of the object but ignores the latter part: “ The object of representation can be nothing but a representation of which the first representation is the interpretant. But an endless series of representations, each representing the one behind it, may be conceived to have an absolute object at its limit ” (CP 1.339). The reality of the absolute or dynamic object, “ the Object as it is regardless of any particular aspect of it, the Object in such relations as unlimited and final study would show it to be ” (CP 8.183), is one limitation that generality is implicated in and, in turn, provides for the semiotic process. The in-between consists of “ a series of representations ” whose purpose is to transform the object as generally as possible into a final interpretant. Thus, every semiotic process necessarily constitutes the general structure of the mediation between an object that is not entirely representable (hence, vague to some degree) and its interpretation by generalization: The Final Interpretant does not consist in the way in which any mind does act but in the way in which every mind would act. That is, it consists in a truth which might be expressed in a conditional proposition of this type: ‘ If so and so were to happen to any mind this sign would determine that mind to such an such conduct. ’ By ‘ conduct ’ I mean action under an intention of self-control. No event that occurs to any mind, no action of any mind can constitute the truth of that conditional proposition. (CP 8.315) By distinguishing “ any mind ” and “ every mind ” , Peirce presents us with a variation of the distinction between vague and general hypotheses. In the same way in which vagueness is fixed in generality by repeated actualization, the repeated acts of arbitrary minds give rise to regularities that extend beyond individual applicability, i. e. interpretation (of signs by other signs) necessarily tends towards generality that mediates aspects of the (vague) object (hence, symbols grow). Regularities between minds are primary, they are the foundation on which Peirce ’ s anti-psychologism rests and it “ is precisely because such concepts are underdetermined, schematic, unsatiated, general, multiply realizable [. . .] that they may appear identically in the minds of different language users ” (Stjernfelt 2013: 102). Indeed, perhaps the most central purpose of Peirce ’ s semiotic endeavor is to describe how 232 Sebastian Feil (Augsburg) indeterminateness that can never be fully specified is to be rendered in such a way that it may cover as many cases as possible. This particular endeavor has its most condensed formulation in the pragmatic maxim, restated in “ Issues of Pragmaticism ” : The entire intellectual purport of any symbol consists in the total of all general modes of rational conduct which, conditionally upon all the possible different circumstances and desires, would ensue upon the acceptance of the symbol. (Peirce 1998: 347) If disputes about vagueness are to be settled, according to Peirce, they can only be settled by an appeal to generality. If this may appear to come at the cost of a loss of plurality of meaning, bear in mind that any plurality of impression is coordinated by more general impressions. If this seems unsatisfactory, bear in mind that, far from solving the sorites, the appeal to a general semiotics only alleviates indecision, but cannot do away with it. Generality is thus another facet of contextualism (generality is, after all, another form of indeterminacy), but one that helps to organize contextuality in a meaningful way. 6 Possibilities for literary studies What I have termed the “ appeal to generality ” is an attempt to evade psychologism and positivist empiricism and insists on the fact that “ the idea of a general involves the idea of possible variations which no multitude of existent things could exhaust but would leave between any two not merely many possibilities, but possibilities absolutely beyond all multitude ” (CP 5.103). Traditional areas in which generality is really efficient are, of course, mathematics and logic. As soon as facts about the empirical world enter the equation, the obvious problem is that giving an account of the generality of anything would be complicated and “ would require volumes rather than a paper ” as Frederik Stjernfelt (2013: 99) put it with regard to the generality of perception. This is mainly because, much like contextualism, the validity of generals naturally hinges on perpetual scientific inquiry. Within the spatial constraints of this paper, I can only hint at possible starting points for such an investigation. We have already seen that basic conventions like sentence structure or text structure enable generality in that they are unanimously considered the bedrock of shared agreement on what constitutes written communication. Every variation of necessities such as these can perhaps be considered to elucidate a certain conventionality, but only the remotest of arguments would suggest that such variations seriously invalidate the conventions, since any such interrogation can only function in relation to the conventions in question. So, very often, an appeal to context is already an appeal to generality. If the desired effect of an appeal to generality is to limit the possible choices that constitute the vagueness of contexts, one obvious thing to do is to force investigation into provisional hypotheses about what Martina King and Jesko Reiling (following Michael Titzmann) call “ kulturelles Wissen im Grad der Allgemeinheit ” (2014: 22). For example, the context “ adventure literature ” might gain precision by reference to a simple hypothesis that most, if not all, researchers could share: “ All tokens of adventure literature share the idea that in order to deal with something unexpected, one has to act upon it. ” This proposition covers the entire distinction between “ heterocracy ” and “ autocracy ” and every possible What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies 233 distance of the protagonist from “ home ” , and makes mereological decisions much easier to handle: Without even considering any possible external influences, does the protagonist act upon the unexpected? If not, we are not dealing with a token of adventure literature. And if this is indeed the case, that makes the story at least similar to an adventure story precisely in that general regard (and not in some specific regard). If such similarity then means that adventure literature is linked to other genres (e. g. the Bildungsroman) and to narration centered on one central protagonist in general, this just makes it all the more interesting (especially also for historical purposes). This may appear very rudimentary, especially because, on the one hand, it does not appeal to some absolutely indubitable universal law 9 and, on the other, it does not cover all of the richness that is “ adventure literature ” . But with context, such richness is precisely the problem and it may be argued that respect for individuality does not coerce anyone to think about individuals exclusively. Moreover, general propositions enable genuine communicative discourse in the first place, because they are designed to include what is presumably shared between interlocutors (or interscriptors) so that any such proposition genuinely “ extends to the interpreter the privilege of carrying its determination further ” (Peirce 1998: 351). The problem of context is to no small degree a problem because the field of literary studies lacks genuinely general points of reference (and those that used to exist have carefully been deconstructed as “ totalizations ” ). Interestingly, wide-spread agreement on the matter that “ literature ” is something categorically different from other things or does things categorically differently than other media is perhaps responsible for the lack of a distinguishable object of study. There is no entirely convincing notion of literature and the question “ What is literature? ” appears to be answered best by way of the pragmatic route (cf. Jannidis et al. 2009: 33), which naturally presents us with the somewhat paradoxical collateral problem of contextualism: Even though there is agreement on certain tokens that are definitely part of the context “ literature ” , there is general unclarity as to what typically constitutes the context “ literature ” (to paraphrase Jannidis et al. 2009, 31). Thus, any concept of literature as a set of prototypes that are connected by family resemblance (cf. Jannidis et al. 2009: 29) profits from a thorough consideration of the degree of “ prototypicality ” involved. A possible preliminary question could be: What differentiates specifically literary imagination and fiction (e. g. Wolfgang Iser), a literary system of actions (e. g. Siegfried Schmidt) and literary interpretability (e. g. Oliver Jahraus) from the more general practices of imagining, communicating, inventing and interpreting? Often the attempt has been made to start out with the more general accounts and to show how these practices change in the context of “ literature ” (which, of course, begs the question: “ Literature ” is not a satisfactory answer to the question “ What is literature? ” ). Another criterion frequently put forward is literature ’ s constitutive textual mediality. But it 9 It may even contradict another general assumption that everything is historically contingent. Yet I think that if you are engaged in the study of adventure literature, you will recognize that such a proposition is appealing to a certain extent. Except for Bakhtin ’ s “ greek romance ” (which ironically is a model case of what he calls “ adventure time ” ), there are very few adventure stories so called that do not adhere to this description. In fact, congruence with everyday experience may help in determining exactly why stories like Lewis Carrol ’ s Alice are “ adventure literature ” . 234 Sebastian Feil (Augsburg) may well turn out that this presumed exclusive mediality hinges on much more general modes of mediation 10 , so that the richness of the act of reading is itself coordinated by much more general means of communication and perception. 11 Instead of refining or further expanding the context along the lines of such focal paradigms, a reversal of these typical strategies could prove illuminating by applying said or similar general notions to representative arguments for literature ’ s uniqueness. The predicted outcome would be a more distinct picture of what forms the fundamental presumptions that every mind shares and the extent to which acquired habits of thinking about literature and reacting to literature play a role in the discussion as to which concept of literature is valid for as many people as possible. The ideal that knowledge must be generally open to as many people as possible is central to Peirce ’ s thought on scientific inquiry: It seems to me that we are driven to this, that logicality inexorably requires that our interests shall not be limited. They must not stop at our own fate, but must embrace the whole community. This community, again, must not be limited, but must extend to all races of beings with whom we can come into immediate or mediate intellectual relation. It must reach, however vaguely, beyond this geological epoch, beyond all bounds. He who would not sacrifice his own soul to save the whole world, is, as it seems to me, illogical in all his inferences, collectively. Logic is rooted in the social principle. (CP 2.654) Philosophers of science frequently situated their criticisms of objectivity and reality within the context of “ democracy ” and pointed out that science does not act according to the will of the people, but according to a self-fabricated construction of a society that is itself controlled by experts (e. g. Feyerabend 1984: 7 - 13, or more recently, Latour 2004: 10 - 18). Consequently, what appears as problematic is not the idea of reality itself, but the fact that it is, more often than not, constructed to exclude the majority of people. 12 Peirce treated this “ problem of authority ” in “ The Fixation of Belief ” and outlined four general epistemological modes or mindsets: the “ method of tenacity ” , the “ method of authority ” , the “ a priori method ” (an allusion to philosophical idealism: the “ method of good taste ” ) and, finally, the 10 Lambert Wiesing, for example, draws on Husserl ’ s anti-psychologistic disctinction between “ Genesis ” and “ Geltung ” in order to elucidate the point that material production brings forth something that is generally valid irrespective of the context of its production. Media of all types thus function by what he calls “ Selbigkeit ” (Wiesing 2008: 243), i. e. the idea that something unchanging (not merely similar) exists across all reproductions of any mediated token of meaning which enables its communicability in the first place: “ keine materielle Eigenschaft erklärt, warum etwas Text ist ” (Wiesing 2008: 246). 11 Frederik Stjernfelt has made such an attempt by pointing out the vital role the stratum of “ schematized aspects ” has in Ingarden ’ s account of “ Unbestimmtheitsstellen ” (cf. 1972: 278 - 307) for the conception of literature as “ thought-machine ” (Stjernfelt 2007: 360). Whereas for Iser (in opposition to Ingarden), the indeterminacy of the literary work is due to the “ Kombinationsnotwendigkeit ” (1994: 284) of the “ given ” and the “ determinate ” (schematic aspects), Ingarden actually conceived of the literary work as coordinated by strata of “ continuous generality ” (Stjernfelt 2007: 360). Phenomenologically, “ literature interferes with reality ” (Stjernfelt 2007: 363) precisely because it is organized in the same way as ordinary perception is, as a lively “ Quasirealität ” (Ingarden 1972: 295) which submits the reader to the actualization of generality, so that without the aspects, there would be no experience of the work of literature at all. On a more critical note, the question remains the whether the experience of literature is based on permanently fixed schematic aspects or on the practice of habitually treating an unspecific subset of texts as experiences of “ quasi-reality ” , whereas other texts are treated as reality proper. 12 I think it is safe to say that Stanley Fish ’ s “ interpretive community ” is such a construction. What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies 235 “ method of science ” (Peirce 2011: 42 - 49). It is obvious that, for Peirce, science is precisely the exclusion of power (in its various subjectivist manifestations) from inquiry and he derives from that his central imperative maxim: “ Do not block the way of inquiry ” (Peirce 1998 b: 48). While knowledge is context-bound, inquiry is limitless. In order to avoid blocking the path, knowledge needs to be opened up to “ further determination by the interpreter ” . One very productive procedure in support of this endeavor is, somewhat paradoxically, generalization. While the appeal to context may turn out to be an appeal to vagueness and subjectivism, it must not stop at this fate. 13 Bibliography Agler, David 2013: “ Peirce and the Specification of Borderline Vagueness ” , in: Semiotica 193 (2013): 195 - 215 Agler, David 2010: Vagueness and Its Boundaries: A Peircean Theory of Vagueness, Indiana University ScholarWorks https: / / scholarworks.iupui.edu/ handle/ 1805/ 2101 [accessed 15 July 2015] Alston, William P. 1956: “ Pragmatism and the Theory of Signs in Peirce ” , in: Philosophy and Phenomenological Research 17.1 (1956): 79 - 88 Bagwell, Timothy 1983: “ Who ’ s Afraid of Stanley Fish? ” , in: Poetics Today 4.1 (1983): 127 - 133 Bakhtin, Mikhail 1981: The Dialogic Imagination, Austin: University of Texas Press Baldick, Chris 2001: The Concise Oxford Dictionary of Literary Terms, Oxford: Oxford University Press Bergman, Mats 2009: Peirce ’ s Philosophy of Communication, London: Continuum Bergman, Mats, Sami Paavola (eds.) 2010: Ideas in Action, Helsinki: Nordic Pragmatism Network http: / / www.nordprag.org/ nsp/ 1/ IdeasInAction.pdf [accessed 15. 11. 2015] Braungart, Georg, Harald Fricke, Klaus Grubmüller, Jan-Dirk Müller, Friedrich Vollhardt, Klaus Weimar (eds.) 2000: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 2, Berlin: De Gruyter Brenner, Peter 1998: Das Problem der Interpretation, Tübingen: Niemeyer Cerquiglini, Bernard 1999: In Praise of the Variant, Baltimore: John Hopkins University Press Childs, Peter, Roger Fowler (eds.) 2006: The Routledge Dictionary of Literary Terms, London: Routledge Colapietro, Vincent 2007: “ C. S. Peirce ’ s Rhetorical Turn ” , in: Transactions of the Charles S. Peirce Society 43.1 (2007): 16 - 52 Colapietro, Vincent 2010: “ Evolution, Pragmatism, and Rhetoric: Exploring the Origin and Loci of Meaning ” , in: Bergman et al. (eds.) 2010: 134 - 150 13 It was suggested to me that a re-engagement with structuralism could prove fruitful, which it undoubtedly would be if carried out under the assumption that there is no context-free way of understanding anything, i. e. that distinctions and dualisms carry meaning not in themselves, but in relation to some third (i. e. they actually need to make a difference).#This leads me to admitting, from the semiotician ’ s point of view, one central omission in this paper: I have not really touched upon the pragmatistic dimension of Peirce ’ s thought which is so central to the insight that generality is truly genuine when general propositions are capable of affecting habits of thought and action (cf. e. g. Short 2007: 27 - 59; Bergmann 2009: 127, but really a central tenet in the entire literature on Peirce since Alston 1956), i. e. when they are indisputably effective. Thus, generality informs the core of (everyday) thought and practice and, conversely, everyday thought and practice has bearings on what is perceived as general. If further investigation in that direction were to be undertaken, it would require a thorough engagement with what Peirce termed “ speculative rhetoric ” , “ the science of the essential conditions under which a sign may determine an interpretant sign of itself and of whatever it signifies ” (Peirce 1998 c: 326), i. e. the general conditions that make semiosis effective. Inquiry in that direction has only recently gained traction in unique contributions by scholars such as Mats Bergman (2009), Vincent Colapietro (2007 and 2010) and James Liszka (2010). 236 Sebastian Feil (Augsburg) Coleridge, Samuel 1907: Biographia Literaria, Oxford: Clarendon Press Culler, Jonathan 1988: Framing the Sign, Oxford: Blackwell Danneberg, Lutz 1990: “ Interpretation: Kontextbildung und Kontextverwendung ” , in: SPIEL 9.1 (1990): 89 - 130 Danneberg, Lutz 2000: “ Kontext ” , in: Braungart et al. (eds.) 2000: 333 - 337 Derrida, Jacques 1967: De la grammatologie, Paris: Seuil Eco, Umberto 1990: The Limits of Interpretation, Bloomington: Indiana University Press Eco, Umberto 1995: “ Unlimited Semeiosis and Drift: Pragmaticism vs. ‘ Pragmatism ’” , in: Ketner (ed.) 1995: 205 - 221 Fara, Delia 2000: “ Shifting Sands: An Interest-Relative Theory of Vagueness ” , in: Philosophical Topics 28.1 (2000): 45 - 82 Feyerabend, Paul 1984: Wissenschaft als Kunst, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Fish, Stanley 1980: Is There a Text in This Class? : The Authority of Interpretive Communitites, Cambridge: Harvard University Press Frege, Gottlob 1960: The Foundations of Arithmetic, New York City: Harper & Brothers Gadamer, Hans Georg 2004: Truth and Method, London: Continuum Houser, Nathan, Peirce Edition Project (eds.) 1998: The Essential Peirce: Selected Philosophical Writings 2, Bloomington: Indiana University Press Hügel, Hans-Otto 2003: “ Abenteurer ” , in: Hügel (ed.) 2003: 91 - 98 Hügel, Hans-Otto (ed.) 2003: Handbuch Populäre Kultur: Begriffe, Theorien und Diskussionen, Stuttgart: Metzler Ingarden, Roman 1972: Das literarische Kunstwerk, Tübingen: Niemeyer Iser, Wolfgang 1994: Der Akt des Lesens: Theorie ästhetischer Wirkung, München: Fink Jahraus, Oliver 2014: “ Die Kontextualität des Textes ” , in: Journal of Literary Theory 8.1 (2014): 140 - 157 Jahraus, Oliver 2007: “ Text, Kontext, Kultur - Zu einer zentralen Tendenz in den Entwicklungen in der Literaturtheorie von 1980 - 2000 ” , in: Journal of Literary Theory 1.1 (2007): 19 - 44 Jannidis, Fotis, Gerhard Lauer, Simone Winko 2009: “ Radikal Historisiert: Für einen pragmatischen Literaturbegriff ” , in: Winko et al. (eds.) 2009: 3 - 40 Keefe, Rosanna 2007: “ Vagueness Without Context Change ” , in: Mind 116 (2007): 275 - 292 Ketner, Kenneth Laine (ed.) 1995: Peirce and Contemporary Thought, New York City: Fordham University Press King, Martina, Jesko Reiling 2014: “ Das Text-Kontext-Problem in der literaturwissenschaftlichen Praxis: Zugänge und Perspektiven ” , in: Journal of Literary Theory 8.1 (2014): 2 - 30 Kloesel, Christian, Peirce Edition Project 1989: Writings of Charles S. Peirce 4, Bloomington: Indiana University Press Klotz, Volker 1979: Abenteuer-Romane, München: Hanser Kovala, Urpo 2014: “ Theories of Context, Theorizing Context ” , in: Journal of Literary Theory 8.1 (2014): 158 - 177 Latour, Bruno 2004: Politics of Nature, Cambridge: Harvard University Press Lee, Brian 2006: “ Context ” , in: Childs, Fowler (eds.) 2006: 33 - 34 Liszka, James 2010: “ Peirce ’ s Revolutionary Concept of Rhetoric ” , in: Bergman et al. (eds.) 2010: 118 - 133 Miller, J Hillis 1989: “ Theory and Practice: Response to Vincent Leitch ” , in: Critical Inquiry 6.4 (1989): 609 - 614 Müller, Klaus Peter 2008: “ Kontext ” , in: Nünning (ed.) 2008: 379 - 380 Münker, Stefan, Alexander Roesler (eds.) 2008: Was ist ein Medium? , Frankfurt/ Main: Suhrkamp Nerlich, Michael 1977: Kritik der Abenteuer-Ideologie, Berlin: Akademie Verlag Nünning, Ansgar (ed.) 2008: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart: Metzler What are we appealing to? A semiotic Approach to the Notion of Context in literary Studies 237 Peirce, Charles Sanders 1998 c: “ Ideas, Stray or Stolen, About Scientific Writing ” , in: Houser et al. (eds.) 1998: 325 - 330 Peirce, Charles Sanders 1998: “ Issues of Pragmaticism ” , in: Houser et al. (eds.) 1998: 346 - 359 Peirce, Charles Sanders 1989: “ Logic; and the Methods of Science ” , in: Kloesel et al. 1989: 242 - 244 Peirce, Charles Sanders 1931: The Collected Papers, Cambridge: Harvard University Press (abbreviated as CP) Peirce, Charles Sanders 1998 b: “ The First Rule of Logic ” , in: Houser et al. (eds.) 1998: 42 - 56 Peirce, Charles Sanders 2011: “ The Fixation of Belief ” , in: Talisse and Aikin (eds.) 2011: 37 - 48 Rorty, Richard 1999: Philosophy and Social Hope, London: Penguin Rysiew, Patrick 2010: “ Epistemic Contextualism ” , in: Stanford Encyclopedia of Philosophy http: / / plato.stanford.edu/ archives/ win2011/ entries/ contextualism-epistemology/ [accessed 15. 07. 2015] Short, Thomas Lloyd 2007: Peirce ’ s Theory of Signs, Cambridge: Cambridge University Press Sorensen, Roy 2001: Vagueness and Contradiction, Oxford: Oxford University Press Sorensen, Roy 2012: “ Vagueness ” , in: Stanford Encyclopedia of Philosophy http: / / plato.stanford.edu/ entries/ vagueness/ [accessed 15. 07. 2015] Stjernfelt, Frederik 2007: Diagrammatology: An Investigation on the Borderlines of Phenomenology, Ontology, and Semiotics, Dordrecht: Springer Stjernfelt, Frederik 2013: “ The Generality of Signs: The Actual Relevance of Anti-Psychologism ” , in: Semiotica 194 (2013): 77 - 109 Talisse, Robert, Scott Aikin (eds.) 2011: The Pragmatism Reader: From Peirce Through the Present, Princeton: Princeton University Press Weber, Samuel. 1980: “ Das linke Zeichen: Zur Semiologie Saussures und Peirces ” , in: Fugen - Deutschfranzösisches Jahrbuch für Textanalytik 1 (1980): 43 - 63 Wiesing, Lambert 2008: “ Was sind Medien? ” , in: Münker, Roesler (eds.) 2008: 235 - 248 Winko, Simone, Fotis Jannidis, Gerhard Lauer (eds.) 2009: Grenzen Der Literatur, Berlin: De Gruyter Wirth, Uwe 2003: “ Derrida and Peirce on Indeterminacy, Iteration, and Replication ” , in: Semiotica 143 (2003): 35 - 44 Wittgenstein, Ludwig 1974: Tractatus logico-philosophicus, London: Routledge Zweig, Paul 1974: The Adventurer - The Fate of Adventure in the Western World, New Jersey: Princeton University Press 238 Sebastian Feil (Augsburg) K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV): Graduelle Handlungen und autonome Segmente Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Eine alte Fragestellung der Filmsemiotik ist die Definition sogenannter autonomer Segmente. Dieses Problem ist schon in den Geburtsurkunden der Filmsemiotik bei Metz erkennbar und immer wieder angegangen worden. Im Folgenden werden Grundlagen für die Definition autonomer Einstellungen (insbesondere der sogenannten “ Plansequenz ” ) und autonomer Einstellungsmengen gelegt. Ausgangspunkt ist die Unterscheidung zwischen einer Syntagmatik auf Einstellungsebene (dem Kern der Metz ’ schen “ Großen Syntagmatik ” ) und der Behandlung autonomer Einstellungen und Einstellungsmengen in und neben dieser. Im Anschluss an die in dieser Zeitschrift erschienen Artikel (Schmidt & Strauch 2002) und (Schmidt 2004), (Schmidt 2008) sowie (Bateman & Schmidt 2011/ 2014) wird in sich geschlossen ein Instrumentarium für die Analyse filmischer Repräsentationen von Handlungen entwickelt. Dieses wird abschließend spezialisiert auf graduelle Handlungen, die sich leicht auch auf mehrere Einstellungen verteilen lassen und diese für einen Beobachter ggf. “ autonom ” machen können. Wir verwenden Krifka ’ s algebraische Semantik (aufbauend auf Krifka 1989), die ursprünglich für linguistische Fragestellungen entwickelt wurde, und eine einfache Mereologie sowohl für filmische Segmente als auch zur Beobachtermodellierung nach (Smith & Rosse 2004), (Smith 2005). “ Charly ” Möller-Naß für ein gutes 8. Jahrzehnt (und gute weitere Jahrzehnte) 1 Gliederung Nach der folgenden Einleitung (Abschnitt 2) werden im Abschnitt 3 Handlungen und Einstellungen grundsätzlich Möglichkeiten, Handlungen auf Einstellungen zu beziehen, skizziert. Im dann folgenden Abschnitt 4 Segmente in Film und Video werden einfache Modellierungskategorien für filmische Segmente auf Basis der Terminologie von MPEG-7 eingeführt. Darauf aufbauend wird im Abschnitt 5 Von Segmenten zu Konzepten der Bezug von Konzepten auf Segmente auf eine mereologische Axiomatik aufgesetzt. Im Abschnitt 6 Thematische Relationen und ihre Verankerung im Filmbild werden dann unterschiedliche Verankerungen von beobachterseits konzeptionalisierten Ereignissen in filmischen Segmenten durch segment-thematische Relationen behandelt und an Beispielen illustriert. Wichtige Eigenschaften dieser Relationen werden dann in den Abschnitten 7 Objekt- Eindeutigkeit segment-thematischer Relationen und 8 Relationierung von Subobjekten und Subereignissen definiert, um graduelle Vorgänge auszuzeichnen. Mit den bereitgestellten Mitteln werden dann im Abschnitt 9 Activities, Accomplishments und Achievements die in dieser Überschrift genannten Handlungstypen differenziert. Mit dem bereitgestellten Theoriegerüst wird im Abschnitt 10 Die autonome szenische Einstellung die Metz ’ sche Rede von “ Plansequenz ” bzw. “ Sequenz-Einstellung ” präzisiert. Danach werden im Abschnitt 11 Graduelle Handlungen und (autonome) Segmente die Randbedingungen für die filmische Realisation der graduellen Handlungstypen “ Activity ” und “ Accomplishment ” angegeben, die filmisch leicht auf mehrere Einstellungen verteilt werden können. Im Abschnitt 12 Zur filmischen Repräsentation von Aktivitäten und im Abschnitt 13 Zur filmischen Repräsentation von Accomplishments folgen Einzelanalysen filmischer Layouts für (ggf. “ autonome ” ) Einstellungen und Einstellungsmengen auf Basis des Erreichten. Im Abschnitt 14 P. S.: Telizität und Diegetizität - Denotation und Exemplifikation wird schließlich gezeigt, dass der bereitgestellte Apparat es auch erlaubt, das Entstehen einer exemplifikatorischen Lesart für eine Einstellungsmenge tatsächlich zu modellieren. Den Schluss bildet der Abschnitt 15 Ausblick und Dank. 2 Einleitung Wenn man verstehen möchte, wie ein Film funktioniert, muss man eine wichtige Frage beantworten: Kann ein Zuschauer den an ihm vorbeirauschenden Bilderstrom in “ sinnvolle ” Teile zerlegen? Für diese Frage veröffentlichte seit Mitte der 1960er Jahre Christian Metz Untersuchungen, 1 in denen er besonders zwei Fragestellungen behandelte: 1. Fragen der Abgrenzung sogenannter autonomer Einstellungen; 2. Fragen der Zusammenfassung von Einstellungen zu autonomen “ syntagmatischen ” Formen. Metz versuchte, autonome Segmente zu identifizieren, von denen er einige als syntagmatisch klassifizierte und dafür sogenannte chronologische und a-chronologische Syntagmen bereitstellte. 2 In einem seit vielen Jahren durchgeführten Reklassifikationsunternehmen ist der chronologische Teil der Metz ’ schen Syntagmatik weitgehend reorganisiert worden. Dies geschah für die sogenannten narrativen Syntagmen in den in dieser Zeitschrift erschienenen Artikeln in (Schmidt & Strauch 2002), (Schmidt 2004) und für das deskriptive Syntagma in (Schmidt 2008). Eine Analyse eines größeren Films mit diesen Mitteln findet sich in (Bateman & Schmidt 2011/ 2014). - Der a-chronologische Teil harrt 1 Z. B. (Metz 1964), (Metz 1965), (Metz 1966) und (Metz 1972). 2 Zur Übersicht eine graphische Repräsentation der Metz ’ schen Syntagmatik (nachgezeichnet nach (Metz 1972: 198)): 240 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) unabhängig von diesen Arbeiten noch einer theoretischen Durchdringung, die eine eigene Untersuchung erfordert. 3 Zur Identifkation “ autonomer ” Segmente schreibt Metz: The analyst of classical film is . . . entitled to consider as one (single) autonomous segment any passage of the film which is interrupted neither by a major change in the plot, nor by a punctuation sign, nor by the substitution of one syntagmatic type for another (zit. nach Colin 1995: 55). Der Probleme dieses Kriteriums nahm sich Colin in “ The Grande Syntagmatique Revisited ” (Colin 1995) an - unter Konzentration auf die letzten beiden Punkte. Er zeigte, dass die Suche nach einem “ punctuation sign ” bei der Identifikation autonomer Segmente in die Irre führen kann und dass man die Frage nach autonomen Segmenten und der syntagmatischen Klassifikation eines Films trennen muss. Dies vorausgesetzt, behandeln wir in der vorliegenden Arbeit nun den ersten Punkt, den ‘ change in the plot ’ . Colin schreibt dazu: “ the problem is that the notion of a ‘ major change in the plot ’ is rather loose. ” (ibid.) Im Weiteren wird zunächst grundsätzlich analysiert, wie Ereignisse eines Plots überhaupt auf Segmente in Einstellungen bezogen werden können. Dann wird gezeigt, dass schon die temporale Grundstruktur einer Handlung deren filmische Repräsentation stark 3 Kleinere Hinweise zur weiteren Analyse finden sich am Ende von (Schmidt 2008) und auch dieser Arbeit. Vergleiche zum Ganzen auch (Wulff 2011). Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 241 bestimmt. Wir unterscheiden dazu im Anschluss an linguistische Theoriebildungen (atelische und graduelle) Aktivitäten, (telische und graduelle) Accomplishments und (telische und nicht graduelle, sondern punktuelle) Achievements. In dieserArbeit behandeln wir dann ausführlich graduelle Ereignistypen, also Aktivitäten (wie “ an einem Apfel herumnagen ” ) und Accomplishments (wie “ einen Apfel (auf-)essen ” ). 4 Für diese graduellen Typen, die sich leicht auf mehrere Einstellungen verteilen lassen, wird auch im Detail analysiert, wie sie insbesondere autonome Einstellungen und Einstellungsmengen zu identifizieren erlauben. 3 Handlungen und Einstellungen Grundsätzlich gibt es für den Bezug von Handlungen auf die diese repräsentierenden Einstellungen drei Möglichkeiten: l Eine Handlungsinstanz und eine Einstellung “ entsprechen ” einander; l mehrere Handlungsinstanzen finden sich in einer Einstellung; l eine Handlungsinstanz wird auf mehrere Einstellungen verteilt. Für filmische Realisierungen führen diese drei generellen Zuordnungen schon in der ursprünglichen Metz ’ schen Fassung zu den folgenden, bisher nicht geklärten Problemlagen: l Das Desiderat einer präzisen Definition der einzelnen ( “ autonomen ” ) Einstellung, die sich schon nach Metz (als “ Plansequenz ” ) durch eine einzelne Handlung auszeichnen lässt und syntagmatisch nicht in seinen großen Syntagmen gebunden ist; l die begriffliche Handhabung von Einstellungen, die sich nicht durch eine einzelne Handlung auszeichnen lassen und zu mehreren Einstellungsmengen “ sinnvoll ” geschlagen werden können (insbesondere sogenannte Fusionen); l eine empirisch robust verwendbare Definition der Verknüpfung von (autonomen und nicht autonomen) Einstellungen auch über syntagmatische Grenzen hinweg zu einem “ autonomen ” Segment (wie zum Beispiel in einem filmischen Itinerar). Der klassische Fall für eine autonome Einzeleinstellung ist zunächst die ursprünglich sogenannte Plansequenz: Eine Plansequenz (frz. plan-séquence = fortlaufende Einstellung) ist eine Sequenz innerhalb eines Films, die nur aus einer einzigen, meist vergleichsweise langen Einstellung besteht und eine abgeschlossene Handlung ohne Schnitte zeigt. 5 Hier definiert sich eine klassifikatorische Einheit durch eine beobachterseits identifizierte Handlungseinheit (Das Wort “ Plansequenz ” ist leider ein Missgriff - wie schon in (Schmidt & Strauch 2002) ausführlich begründet wurde, ist “ Planszene ” oder “ szenische Einstellung ” besser). Die Identifikation von Handlungen spielt auch im zweiten Fall mit dem wesentlichen Phänomen der filmischen Fusion die entscheidende Rolle: Oft “ endet ” in einer einzelnen 4 Achievements bedürfen mit ihrer punktuellen Natur für cinematographische Dokumente einer eigenen Behandlung (cf. Abschnitt 15). 5 So die deutsche Deutsche Wikipedia in http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Plansequenz [27. 03. 2017]. 242 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Einstellung etwas und “ beginnt ” etwas Neues. Ist das, was endet, und das, was beginnt, jeweils eine Darstellung von einander verschiedenen Handlungen, liegt ein Bezug mehrerer Handlungen auf den Inhalt eines Filmbildes vor, der sich an die Grenzen des Filmbildes im Unterschied zur szenischen Einstellung nicht hält. Dies ist eine typische filmische “ Verbindungssituation ” und typischerweise auch nicht “ autonom ” . Schließlich kann sich eine Handlung auf mehrere Einstellungen verteilen, ohne dass große Syntagmen wie eine Szene oder Sequenz diese Handlung begrenzen müssen. Dies ist zum Beispiel in einem Itinerar immer dann der Fall, wenn einzelne Aufenthaltsorte eines sich bewegenden Akteurs auch über syntagmatische Grenzen hinweg repräsentiert werden. Ein häufiges Beispiel dafür ist, dass ein Akteur zunächst szenisch oder sequentiell in einer Umgebung repräsentiert wird, diese dann verlässt und (ggf. nach einer Übergangseinstellung) in einer anderen Umgebung wieder (szenisch oder sequentiell) repräsentiert wird. Um diese drei Fälle zu kennzeichnen, verwenden wir zunächst als Notation: n ½ ½ m B In n > 0 Einstellungen sind m ≥ 0 Handlungen für eine Beobachtermenge B repräsentiert. als Notation. Die doppelten eckigen Klammern „ ½ ½ “ sollen in der Notation den Rahmen typischerweise mehrerer Filmbilder, die sich in einer Einstellung finden, visuell andeuten. Ist die Beobachtermenge unwichtig, bleibt das Subskript weg und es wird einfach n m ½ ½ geschrieben. Im Einzelnen bedeutet n ½ ½ 0 B , dass keine Handlung beobachterseits in den in Rede stehenden n Einstellungen identifiziert wird. Dies wird hier nicht behandelt. 6 Für m > 0 gibt es beobachterunabhängig zunächst drei elementare Fälle der Zuordnung von Handlungen und Einstellungen: 1 ½ ½ 1 Eine Handlung wird in einer einzelnen Einstellung identifiziert (wie in einer szenischen Einstellung); 1 ½ ½ m mehrere ( “ m ≥ 2 ” ) (Teil-)Handlungen werden in einer (wie in einer m ≥ 2 Handlungen fusionierenden) Einstellung repräsentiert; n ½ ½ 1 eine Handlung wird auf mehrere (n > 1) Einstellungen verteilt. Der erste und der dritte Fall sind offensichtliche Kandidaten für ein durch eine Handlung definiertes “ autonomes ” Segment, wenn sie die zugehörige Einstellung auszeichnet bzw. die zugehörige Einstellungsmenge auszeichnen. Zur Analyse wird im Weiteren die folgende Notation genutzt: 1 ½ ½ 1 j Eine Handlung wird nur in dieser einen Einstellung identifiziert; n ½ ½ 1 j eine Handlung ist auf mehrere (n > 1) Einstellungen verteilt, wobei das n maximal gewählt ist. Jede der Einstellungen repräsentiert also eine Teilhandlung der Hand- 6 Dann liegen, wie sich aus dem weiterem Theoriegerüst ergibt, nur Zustände vor. Eine Einstellung oder eine Einstellungsmenge repräsentiert immer dann einen Zustand, wenn an sie beobachterseits kein Ereignis mit den hier zur Verfügung gestellten Mitteln verankert werden kann; dann ist eine einzelne Einstellung vom Typ 1 ½ ½ 0 B und eine Einstellungsmenge vom Typ n ½ ½ 0 B für n>1. Die Behandlung der filmischen Repräsentation von Zuständen bedarf einer eigenen Analyse (cf. Abschnitt 15). Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 243 lung und es gibt damit keine weitere Einstellung außerhalb der n Einstellungen, die ebenfalls einen Teil der in Rede stehenden Handlung repräsentiert. Der Fall 1 ½ ½ 1 j wird mit den im Weiteren bereitgestellten Mitteln im Detail ab Abschnitt 10 analysiert. Dieser Fall führt auch zu einer formalen Definition der Metz ’ schen “ Sequenz- Einstellung ” als Untertyp der Metz ’ schen “ autonomen Einstellung ” . Der Fall n ½ ½ 1 j ist mit den in (Schmidt & Strauch 2002) und (Schmidt 2004), (Schmidt 2008) sowie (Bateman &Schmidt 2011/ 2014) bereitgestellten Mitteln erledigt, wenn sich die in Rede stehende Einstellungsmenge in einem syntagmatischen Segment wie einer Szene oder einer Sequenz findet. Zu analysieren ist nur die Situation, dass wenigstens zwei Einstellungen durch eine gemeinsame Handlung verbunden werden, ohne in einem gemeinsamen Syntagma vorzukommen. Dies ist auch der Fall, der Metz unter dem Stichwort “ autonomes Segment ” erhebliche begriffliche Probleme machte, wenn er nicht große Syntagmen meinte (s. o.). Der Fall 1 ½ ½ 1 (ohne “ | ” ) bedeutet somit für eine Einstellung, dass beobachterrelativ nur eine Teilhandlung repräsentiert wird, die woanders fortgesetzt wird; dann muss es ein Segment vom Typ n ½ ½ 1 j geben, in dem diese Einstellung “ unterkommt ” . Darum können wir für den nun zu behandelnden “ mittleren ” Fall 1 ½ ½ m immer m > 1 annehmen. Für den Fall 1 ½ ½ m , m ≥ 2, ist zunächst festzuhalten, dass es filmisch natürlich nichts Besonderes ist, dass in einer Einstellung mehrere auch voneinander unabhängige (Teil-) Handlungen repräsentiert sind. Zu unterscheiden ist aber zwischen dem Unterfall, dass in einer Einstellung mehrere Handlungen ganz in dieser Einstellung repräsentiert sind oder dass in dieser nur ein Teil wenigstens einer Handlung und in einer anderen Einstellung im Dokument ein weiterer Teil dieser Handlung repräsentiert wird. Im ersten Unterfall werde zum Beispiel für m = 2 beobachterseits konzeptionalisiert: “ A küßt B ” und “ B schmust mit A ” statt “ A und B tauschen Zärtlichkeiten aus ” . Wir betrachten sowohl solche (in einem inhaltlichen Zusammenhang stehenden) Fälle als auch inhaltlich voneinander unabhängige Fälle bis auf Weiteres als Erweiterung des “ autonomen ” Typs 1 ½ ½ 1 j . Um auch hier notational erkennbar zu machen, dass die m > 1 Handlungen vollständig in nur einer Einstellung repräsentiert sind, schreiben wir ebenfalls 1 ½ ½ m j . Für den zweiten Unterfall, dass in einer Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m von den m > 1 Handlungen wenigstens eine nur teilweise repräsentiert ist und eine weitere Teilhandlung in einer anderen Einstellung ein weiteres Mal repräsentiert ist, können wir nach dem zum Fall n ½ ½ 1 j Gesagten außerhalb einer großen Syntagmatik davon ausgehen, dass die andere Einstellung Element einer Menge vom Typ n ½ ½ 1 ist. Es handelt sich bei der Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m dann oft um eine Einstellung mit einer “ Nebenhandlung ” oder um eine “ Übergangseinstellung ” . Halten wir notational zunächst zur Klassifikation fest: 1 ½ ½ m Wenigstens eine Teilhandlung der in der Einstellung repräsentierten m Handlungen, m ≥ 2, wird in einer weiteren Einstellung repräsentiert. Um für den letzten Unterfall zwischen den Handlungen zu unterscheiden, die als Ganzes in dieser Einstellung beheimatet sind, und denen, die sich auch noch anderswo im Dokument verteilen, bilden wir für m die Summe m = s| + t, wobei s die Anzahl der vollständig in der Einstellung repräsentierten Handlungen bezeichnet und t die Anzahl der teilrepräsentierten 244 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Handlungen, die in einer anderen Einstellung noch eine Fortsetzung finden. Zur Klassifikation einer entsprechenden Einstellung wird notiert: 1 ½ ½ s jþ t Es werden “ s ≥ 0 ” Handlungen vollständig und t ≥ 1 Teilhandlungen mit einer Repräsentation einer weiteren Teilhandlung in wenigstens einer weiteren Einstellung im Dokument repräsentiert. Filmsyntagmatisch besonders wichtig sind hier die Fälle, die den Anfang und das Ende einer Handlung und deren filmische Abbildung betreffen. Repräsentierte Anfänge und Enden zeichnen Einstellungen aus und machen diese zu so etwas wie Randsteinen in einem “ Filmpuzzle ” . Ist in einer Einstellung sowohl das Ende einer Handlung als auch der Anfang einer neuen Handlung repräsentiert, liegt der Fall einer Fusion vor - gleichsam ein Eckstein in einem “ Filmpuzzle ” . In einem richtigen Puzzle gibt es (leider) nur vier Ecksteine - in einem Film können mehr und auch über mehr als zwei Dimensionen vorhanden sein. Im Weiteren machen Fusionen die Beispiele nicht nur dramaturgisch, sondern auch formal interessant; sie sollen darum hier auch notational ausgezeichnet werden. Eine Fusion wird dabei präzisierend so verstanden, dass wenigstens eine der beiden fusionierten Handlungen nicht ganz in der fusionierenden Einstellung repräsentiert ist und anderswo ihre Fortsetzung findet. Fusionierende Einstellungen müssen also vom Typ 1 ½ ½ s jþ t mit m = s + t > 1 und t > 0 sein. 7 Soll hervorgehoben werden, dass eine fusionierende Einstellung vorliegt, schreiben wir 1 ½ ½ mF . Detailliertere Analysen erfolgen dann im Allgemeinen nicht im Superscript: Ausdrücke wie 1 ½ ½ ð s jþ t Þ F werden nur dann verwendet, wenn es der Klarheit der Argumentation dient. Wir behandeln im Weiteren grundlegend nur die genannten elementaren Fälle, also Einstellungen vom Typ 1 ½ ½ 1 j , n ½ ½ 1 j und 1 ½ ½ m für m > 1. Insbesondere behandeln wir für den letzten Fall nur die Situation, dass im Dokument keine weitere Einstellung nur mit den in dieser Einstellung repräsentierten Handlungen vorliegt, so dass eine Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m nicht zugleich in einem Segment vom Typ 2 ½ ½ m , 3 ½ ½ m etc. mit denselben Handlungen vorkommt. Die Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m hat in diesem Papier also immer “ etwas Besonderes ” . Der Fall n m ½ ½ für m > 1 und n > 1 lässt sich wenigstens dann auf die genannten elementaren Fälle zurückziehen, wenn man annimmt, dass Handlungen sich im folgenden Sinne auf die gegebenen Einstellungen vollständig verteilen: Es sind bei jeweils zwei Handlungen die zugeordneten n 1 Einstellungen einer ersten Handlung in einem Segment vom Typ n 1 ½ ½ 1 j und die zugeordneten n 2 Einstellungen einer zweiten Handlung in einem Segment vom Typ n 2 ½ ½ 1 j getrennt analysierbar. Gibt es keine Einstellung, die einen Teil 7 Es ist auch m=t=1, also s=0 denkbar: Es liegt dann eine Verknüpfung mit einem handlungslosen Zustand vor - im beginnenden Falle eine sogenannte “ initiation ” , im auslaufenden Falle eine sogenannte “ cessation ” . Dies entspricht aber nicht der üblichen filmwissenschaftlichen Verwendungsweise des Wortes “ Fusion ” (cf. auch (Schmidt 2008: Abschnitt 9) und (Bateman & Schmidt 2011/ 2014: 202) und wird hier nicht behandelt. Zur Terminologie vergleiche auch (Sowa 2000: 213), der zwischen kontinuierlichen und diskreten Prozessen unterscheidet. Bei einem kontinuierlichen Prozess treten inkrementelle Veränderungen kontinuierlich auf. Einen kontinuierlichen Prozess mit einem expliziten Startpunkt bezeichnet Sowa als “ initiation ” , einen Prozess mit einem expliziten Endpunkt als “ cessation ” . Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 245 beider Handlungen repräsentiert, gilt n ½ ½ 2 j ¼ n 1 þ n 2 ½ ½ 2 j . Ist in diesem Fall n 1 = 1 oder n 2 = 1, liegt auch eine Repräsentation vom Typ 1 ½ ½ 1 j vor. Ist sowohl n 1 > 1 als auch n 2 > 1, liegt häufig eine alternante Struktur vor, die ein (ggf. polyspatiales) Geschehen im “ telling of the story ” verknüpft (cf. (Schmidt 2004) und (Bateman & Schmidt 2011/ 2014: 177 f.)). 8 Ansonsten gibt es wenigstens eine Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m , m > 1, die Teile beider Handlungen repräsentiert. Geschieht dies so, dass in dieser Einstellung eine Handlung endet und die andere beginnt, liegt sogar eine Einstellung vom Typ 1 ½ ½ mF für m > 1 vor. Da in allen Fällen Handlungen und (Teile von einem) Filmbild beobachterseits aufeinander bezogen werden, ist die Modellierung dieses Bezugs entscheidend für die weitere Analyse, für die wir im Folgenden verwenden: 1. Die Modellierungskategorien der Norm MPEG-7, die insbesondere für die Beschreibung nicht-linguistischer Daten entwickelt wurde (siehe Abschnitt 4); 2. eine mereologische Axiomatik von B. Smith (siehe Abschnitt 5); 3. eine algebraische Semantik, die ursprünglich (u. a. von M. Krifka) für genuin linguistische Fragestellungen entwickelt wurde (siehe Abschnitt 6 ff ). 4 Segmente in Film und Video Die Modellierungssprache des MPEG-7 Standards wurde definiert von der Moving Picture Expert Group (MPEG) und liefert ein Metadatenschema zur Beschreibung und Annotation multimedialer Inhalte. 9 Ein beliebiges Fragment von Videodaten ist in diesem Standard ein Segment. Beliebig bedeutet u. a., dass es räumlich und/ oder zeitlich zusammenhängend oder nicht-zusammenhängend sein kann. Ein sogenanntes “ VideoSegment ” beschreibt ein spezielleres zeitliches Intervall von Videodaten. 10 Dies kann ein einzelner Frame, eine Folge von beliebig vielen Frames oder sogar die ganze Videosequenz sein (s. Abb. 1). Auch ein VideoSegment kann zeitlich zusammenhängend oder nicht-zusammenhängend sein. Eine “ MovingRegion ” wiederum beschreibt einen raum-zeitlichen Bereich von Videodaten in einem Video- Segment, also eine beliebige Menge von Pixeln in einer beliebigen Folge von Frames. Eine MovingRegion kann also ein Pixel in einem Frame, einen ganzen Frame oder auch ein ganzes VideoSegment umfassen. Es wird erneut nicht verlangt, dass eine MovingRegion räumlich oder zeitlich zusammenhängend ist. Eine Einstellung (shot) ist eine Folge von Frames, die durch eine Blende oder einen Schnitt begrenzt wird. Für die weiteren Ausführungen sind VideoSegmente im obigen Sinne, die eine Einstellung oder mehrere Einstellungen umfassen, der Ausgangspunkt. Diese sind der eigentliche Gegenstandsbereich der sogenannten großen Syntagmatik von Chr. Metz (Metz 1966), (Metz 1972). 8 Für n 1 =1 oder n 2 =1 kann nach (Schmidt 2004) keine alternante Struktur vorliegen. 9 Dieser Standard besteht aus 10 Teilen. Die folgenden Definitionen stammen aus dem Teil 5 “ Multimedia Description Scheme (MDS) ” von ISO/ IEC 15938 - 5: 2003, einer generischen Bibliothek von Beschreibungsstrukturen für Multimediadaten. 10 Normterme werden eingedeutscht und in “ camel case ” -Schreibweise verwendet. 246 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Abb. 1: Zusammenhang zwischen VideoSegment und MovingRegion Ein Zuschauer sieht i. Allg. eine Einstellung nicht als eine isolierte Einheit, sondern versucht Verbindungen v. a. zwischen im Layout benachbarten Einstellungen zu erkennen. Dazu orientiert er sich an Pixelmengen, die in benachbarten Einstellungen Gemeinsamkeiten haben. Nach dem MPEG-7 Vokabular sind dies MovingRegions, die für den Zuschauer visuelle Anker darstellen, die die Kohärenz 11 eines Films gewährleisten können. In der obigen Graphik können die verschiedenen Figurensegmente jeweils als kohärenzerzeugende MovingRegions von einem Beobachter genutzt werden. Mit dem Großbuchstaben S bezeichnen wir im Weiteren speziell solche Einstellungsmengen, die wenigstens eine Einstellung umfassen. Mit dem Kleinbuchstaben s bezeichnen wir immer eine MovingRegion. Betrachten wir nur den Teil einer MovingRegion, der in einer einzelnen Einstellung enthalten ist, nennen wir diesen Teil “ ShotRegion ” (s. Abb. 2). 11 Wir benutzen “ Kohärenz ” hier vortheoretisch. In der Sprachwissenschaft versteht man unter Kohärenz den “ semantisch-kognitiven Sinnzusammenhang eines Textes ” (Bußmann 2002: 351). Für elementare Ausführungen zur Kohärenz beim Film s. (Hickethier 2007: 113). Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 247 Abb. 2: Zusammenhang zwischen MovingRegion, Shot und ShotRegion 5 Von Segmenten zu Konzepten Dieser Apfel dort ist die Erde ein schönes Gestirn auf dem es Äpfel gab und Esser von Äpfeln 12 Um die weitere Modellierung anschaulich darzustellen, werden im Folgenden einheitliche Beispiele benutzt. Wenn in einem Film durch einen Akteur (im Weiteren “ Johanna ” ) das Essen zweier Äpfel im diegetischen Fortschritt gezeigt werden soll, könnte dies nach den bisherigen Festlegungen wie folgt realisiert werden: l Realisation R1 vom Typ 1 ½ ½ 1 j : Das Essen der beiden Äpfel kann in einer einzelnen Einstellung (wie in einer szenischen Einstellung) zeitlich zusammenhängend realisiert werden, in der die beiden Äpfel inkrementell vertilgt werden. Diese Realisation ist, wenn es nicht um Schnellessen geht, i. Allg. eher länglich. l Realisation R2 mit n Einstellungen vom Typ n ½ ½ 1 j : In einem Segment S = (T 1 , T 2 , . . . , T n ), n > 1, wird die Apfel essende Johanna in mehreren Einstellungen nicht szenisch oder sequentiell, sondern in wenigstens zwei Einstellungen in verschiedenen Raumgebieten gezeigt. Es gibt also auf der Ebene der VideoSegmente wenigstens einen “ Raumsprung ” , der durch die MovingRegion verbunden wird, die die Apfel essende Johanna zeigt. 12 Aus “ Nänie auf den Apfel ” in (Enzensberger 2006: 202). 248 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) l Realisation R3 mit einer Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m , speziell 1 ½ ½ mF : Wenn die beiden Äpfel stückweise (ohne großes Herumnagen “ an ” einem Apfel (cf. (Filip 1989)) gegessen werden, bietet sich eine sequentielle Repräsentation mit zeitlichen Lücken an. In einem Segment S = (T 1 , T 2 , . . . ,T i , . . . , T n ), n > 1, kann dann Johannas Essen zweier Äpfel ausschnittsweise so repräsentiert werden: Johanna isst zunächst in einem Essvorgang einen Apfel Stück für Stück, beendet diesen Vorgang in T i und beginnt in demselben T i (1 ≤ i ≤ n) das Essen des zweiten Apfels in einem zweiten Essvorgang, isst diesen Stück für Stück . . . und mit dem letzten Bissen endet das Segment. Die Einstellung T i ist dann vom Typ 1 ½ ½ 2F . Für alle drei Realisationen wird folgender Ausgangspunkt gewählt: Ein Beobachter B aus einer Beobachtermenge B konzeptionalisiere aufgrund seiner Perzeptionen (für jede) dieser Realisationen, dass Johanna (i. Allg. 13 ) zwei Äpfel esse. Für unsere Modellbildung beruhe dies darauf, dass dieser Beobachter gelabelte MovingRegions für Johanna, für einen Apfel und ggf. noch einen Apfel und für “ Johannas Essumgebung ” zum Labelling des jeweiligen bildlichen Komplements der anderen Pixelmengen angeben kann; ferner kann er wenigstens das Ereignis “ Essen ” konzeptionalisieren (s. u.) und mit den dargestellten Äpfeln in Zusammenhang bringen. Um dies zu modellieren, benutzen wir mit (Smith & Rosse 2004: 445 f.) zunächst Instanzen und Klassen. Instanzen sind Individuen (individuals, particulars, tokens) einer speziellen Sorte. Klassen (universals, kinds, types) existieren durch ihre zugehörigen Instanzen. Zwischen Instanzen und Klassen bestehe eine binäre Relation ‘ inst ’ . An erster Stelle dieser Relation steht immer eine Instanz, an zweiter Stelle die Klasse, die die Instanz instanziiert. So lässt sich eine Klasse definieren als alles, was instanziiert werden kann (Smith 2005: 511): class(e) = def ∃ f inst(f,e). Und umgekehrt ist eine Instanz alles, was eine Klasse instanziiert: instance(f ) = def ∃ e inst(f,e) Es gelten die folgenden Axiome: Jede Klasse hat mindestens eine Instanz: ∀ e (class(e) → ∃ f (instance(f ) ∧ inst(f,e))) Nichts kann sowohl Instanz als auch Klasse sein: - ∃ e (class(e) ∧ instance(e)) Instanzen sind vom Typ IND (Token), Klassen vom Typ Λ (Types). Betrachtet ein Beobachter B aus einer Beobachtermenge B die Pixelmenge eines Bildes oder Films, versucht er aufgrund seiner Perzeption in geeigneten Pixelmengen Objekte aus seiner Vorstellungswelt zu erkennen. Dies bedeutet hier, dass er Pixelmengen mit Begriffen seiner Vorstellungswelt in Zusammenhang bringt und “ benennt ” . Dieser Prozess wird im Folgenden als “ Labelling ” bezeichnet und die verwendeten Namen als “ Label ” . Die Instanziierung einer Labelklasse L: Λ erfolgt im Weiteren durch ein Labelling eines Teilsegmentes s der Einstellungen eines Segmentes S (, das wiederum einem gegebenen cinematographischen Dokument entnommen ist). Es werden also nicht sozusagen auf Vorrat Instanzen für das Labelling vorproduziert; nur bei der Vergabe eines Labels für eine MovingRegion erfolgt eine Instanziierung. Soll die Beobachtermenge B, die eine solche 13 Johanna schafft im Weiteren manchmal keine zwei Äpfel. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 249 Instanziierung zum Labelling durchführt, explizit gekennzeichnet werden, wird “ inst B ” geschrieben, für einen einzelnen Beobachter auch “ inst B ” , B ∈ B. Zur (über das reine Labelling hinausgehenden) Beschreibung einer MovingRegion s bedarf es für B einer Beobachtungssprache. Diese kann beliebig reichhaltig sein. 14 Hier beschränken wir uns für eine möglichst klare Darstellung für eine gegebene Beobachtermenge B auf folgende Art und Weise: 1. Es ist für dieselbe ShotRegion s und zwei verschiedene Label l s ≠ l 0 s die gleichzeitige Gültigkeit von inst B (l s ,L) und inst B (l 0 s ,L) für ein L: Λ ausgeschlossen: Für eine ShotRegion gibt es nur ein Label für eine gegebene Labelklasse. 2. Weiterhin gilt für Label semantische Eindeutigkeit im folgenden Sinne: Wenn die Label für zwei Segmente gleich sind, sind die von den Segmenten eines Filmbildes denotierten Objekte für die Beobachter ebenfalls gleich. 15 Gleich gelabelte Segmente können natürlich verschieden sein (dies ist z. B. in zwei verschiedenen Einstellungen immer der Fall). Die erste Anforderung verpflichtet die Beobachtermenge zunächst nur, sich auf Label für eine gegebene Labelklasse zu einigen. Ferner werden beobachterseits Erkenntnisprozesse auf Einstellungsebene granularisiert. Wenn jemand z. B. in einer MovingRegion eine Frau erkennt und diese zu ihrer Darstellungszeit (etwa aufgrund einer Kamerafahrt) schließlich als Johanna identifiziert, dann ist die ShotRegion, für die diese Identifikation erfolgt, als Ganzes entweder mit “ Johanna ” oder mit “ Frau ” zu labeln, wenn “ Johanna ” und “ Frau ” als Label verwendet werden sollen und beide z. B. WEIBLICHE_PERSON instanziieren. Diese Anforderung kann in weiteren Arbeiten aufgegeben werden. In der zweiten Anforderung werden Meinungsverschiedenheiten unter den Beobachtern hinsichtlich der abgebildeten “ Inhalte ” eines Segmentes bei gleichem Label ausgeschlossen. Das Labelling erfolgt für VideoSegmente und MovingRegions, die auf vielfältige Art und Weise Teil voneinander sein können. Ebenso ist für sonstige Instanzen vom Typ IND eine (strenge) “ Teil von ” -Relation ( ‘ part ’ ) vorzusehen. Für ihre Axiomatisierung werden Variablen x, y für Instanzen und Variablen A, B für Klassen verwendet. Es gilt: Irreflexivität: ∀ x: IND (-part(x,x)) Asymmetrie: ∀ x,y: IND (part(x,y) → -(part(y,x)) Transitivität: ∀ x,y,z: IND (part(x,y) ∧ part(y,z) → part(x,z)) Ferner gibt es die folgende Operation zur Summenbildung ( ‘⊕’ ): Summenoperation ⊕ : Für alle x,y,z: IND gibt es eine Summe x ⊕ y, welche idempotent, kommutativ und assoziativ ist, d. h. es gilt x ⊕ x = x, x ⊕ y = y ⊕ x, x ⊕ (y ⊕ z) = (x ⊕ y) ⊕ z. 14 Minimale Beobachtungssprachen für Sensordaten, zu denen filmische Daten sui generis gehören, finden sich in (Schmidt 1999: 129 f.). 15 Damit ist ausgeschlossen, dass Label als “ Realisationen ” von Labelklassen im Goodman ’ schen Sinne (cf. (Goodman 1973: 153)) “ mehrdeutig ” sind. Zur Anwendung der Goodman ’ schen Symboltheorie auf Bilddaten (cf. (Schmidt 1999: 81 f.). 250 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Zwei Elemente x,y: IND überlappen, wenn sie in der Überlappungsrelation ( ‘⊗’ ) stehen: Überlappungsrelation ⊗ : Für x,y: IND gilt: x ⊗ y = def ∃ z: IND (z ⊕ x = x ∧ z ⊕ y = y) Wir verlangen als Restprinzip: ∀ x,y: IND (part(x,y) → ∃ ! z: IND (-(x ⊗ z) ∧ x ⊕ z = y)) Abkürzend schreiben wir für part(x,y) auch x < y, x,y: IND. Wenn Klassen vom Typ Λ eine interne Struktur haben mit verallgemeinernden Klassen in einer Konzepthierarchie, liefert dies für viele Beobachtungskulturen das, was sie für Außenstehende überhaupt zu einer abgrenzbaren Expertenkultur macht. Wenn verschiedene Beobachter einer Beobachtermenge B eine gleiche Instanziierung durchführen sollen, müssen sie sich dann gemäß den obigen Einschränkungen verständigen, welche Label sie tatsächlich verwenden. 16 Grundsätzlich - und von den spezifischen Anforderungen einer Beobachtungskultur abgesehen - gelte: Subsumption: Für A,B: Λ gilt: A is_a B = def ∀ x: IND (inst(x,A) → inst(x,B)) Als notwendige Ganze für Instanzen von A können Instanzen von B wie folgt fungieren: part_for: Für A,B: Λ gilt: A part_for B = def ∀ x: IND (inst(x,A) → ∃ y: IND (inst(y,B) ∧ part(x,y))) Instanzen von A existieren also so nur als Teile von Instanzen von B. - Ferner können Instanzen von B notwendig Instanzen von A als Teile haben: has_part: Für A,B: Λ gilt: B has_part A = def ∀ y: IND (inst(y,B) → ∃ x: IND (inst(x,A) ∧ part(x,y))) Damit können wir nun A part_of B definieren: part_of: Für A,B: Λ gilt: A part_of B = def A part_for B ∧ B has_part A. A part_of B verlangt also, dass zum einen Instanzen von A nur als Teile von Instanzen von B existieren und zum anderen B strukturell so organisiert ist, dass zu jeder Instanz von B eine Instanz von A existiert, die Teil dieser Instanz von B ist. Klassen werden im Weiteren immer großgeschrieben. 17 Ein “ diegetisches ” Beispiel für die Äpfel unserer Apfel essenden Johanna: Jeder Apfel hat im Normalfall (mindestens) einen Kern, daher gilt auf Klassenebene sinnvollerweise: APFEL has_part KERN. Die Umkehrung KERN part_forAPFEL gilt nicht von vornherein, da nicht jeder Kern Teil eines Apfels ist - ein (Kirsch-)Kern etwa ist Teil einer Kirsche. Betrachtet man die Unterklasse APFELKERN mit APFELKERN is_a KERN, dann gilt sinnvollerweise APFEL has_part APFELKERN und APFELKERN part_for APFEL, so dass gilt: APFELKERN part_of APFEL. 16 Auch die Anbindung von Labeln an Pixelmengen kann in unterschiedlichen Expertenkulturen auf verschiedene Art und Weise erfolgen (cf. (Schmidt 1999: Kapitel 10)). Dies wird hier nicht modelliert. 17 Natürlich ist nicht alles, was großgeschrieben wird, eine Klasse. So werden Namen für VideoSegmente wie “ S ” und Einstellungen wie “ E ” und “ T ” (ggf. mit Index) ebenfalls großgeschrieben, um Sie als “ Segmente einer großen Syntagmatik ” hervorzuheben. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 251 Mit den bereitgestellten Mitteln können wir nun das tatsächliche Labeln (von Teilen) einer Einstellung beschreiben. Sei L eine Menge von Klassen L i : Λ , i ∈ ℕ . L bezeichnen wir abkürzend als Labelmenge. Sei S(L, B) die Menge der mittels L durch B gelabelten ShotRegions s in S, also: S(L, B) ={s l | s l < S mit l: IND, inst B (l,L) für ein L ∈ L}. Für ein Segment bestehend aus n Einstellungen T i , 1 ≤ i ≤ n, gibt es für i k ShotRegions s i,j , 1 ≤ j ≤ i k , jeweils i k für jede Labelklasse eindeutige Label l i,j : IND. Ein Beispiel für Johanna mit ihren Äpfeln sieht für ein aus zwei Einstellungen bestehendes Segment S = (T 1 ,T 2 ), das von B gelabelt wird mit Instanzen zu L ={PERSON, APFEL, HINTERGRUND}, wie folgt aus: S(L, B)={ s l | s l < (T 1 ,T 2 ) mit l: IND, inst B (l,L) für L ∈ {PERSON, APFEL, HINTER- GRUND}}. Es existiere eine Aufteilung (Segmentierung) der Einstellungen des VideoSegmentes S = T 1 , T 2 in ShotRegions s 1,j < T 1 und s 2,j < T 2 für 1 ≤ j ≤ 3. Dann gibt es 6 ShotRegions, je 3 in jeder der beiden Einstellungen. Diese seien gelabelt mit Instanziierungen von PERSON, APFEL und HINTERGRUND in der in den nachstehenden Abschnitten angegebenen Weise. In beiden Einstellungen sei Johanna zu sehen; es werde s 1,1 und s 2,1 gelabelt mit “ johanna ” , also s johanna 1 ; 1 bzw. s johanna 2 ; 1 mit inst B (johanna, PERSON). Nehmen wir an, S=(T 1 ,T 2 ) stamme aus einer Realisation R2 vom Typ n ½ ½ 1 j B für die obige Beobachtermenge B. Dann ist zu berücksichtigen, dass die beiden Einstellungen T 1 und T 2 ggf. verschiedene Raumzeitgebiete messen. Deshalb können i. Allg. zwei ShotRegions s 1,3 < T 1 und s 2,3 < T 2 nicht mit dem gleichen Label “ hintergrund ” mit inst B (hintergrund, HINTERGRUND) versehen werden; sonst würden beide Einstellungen “ denselben ” Hintergrund repräsentieren und damit für typische Beobachter i. Allg. keine Realisation vom Typ n ½ ½ 1 j B vorliegen können. Daher werde s 1,3 mit einem Label “ hintergrund1 ” , inst B (hintergrund1, HINTERGRUND) und s 2,3 mit einem Label “ hintergrund2 ” , inst B (hintergrund2, HINTERGRUND) von B versehen, so dass s 1 ; 3 gelabelt zu s hintergrund1 1 ; 3 und s 2 ; 3 gelabelt zu s hintergrund2 2 ; 3 wird. Ist in beiden Einstellungen derselbe Apfel zu sehen (s. Abb. 3, oberer Teil), werden die ShotRegions s 1,2 < T 1 und s 2,2 < T 2 beide gelabelt mit “ apfel ” , so dass gilt: s 1 ; 2 ¼ s apfel 1 ; 2 und s 2 ; 2 ¼ s apfel 2 ; 2 mit inst B (apfel,APFEL). Sind in den beiden Einstellungen verschiedene Äpfel im Spiel (s. Abb. 3, unterer Teil), gilt: s 1 ; 2 ¼ s apfel1 1 ; 2 und s 2 ; 2 ¼ s apfel2 2 ; 2 mit inst B (apfel1,APFEL) und inst B (apfel2,APFEL). Für den Fall, dass in beiden Einstellungen derselbe Apfel zu sehen ist, gilt mit T 1 ¼ s johanna 1 ; 1 ⊕ s apfel 1 ; 2 ⊕ s hintergrund1 1 ; 3 und T 2 ¼ s johanna 2 ; 1 ⊕ s apfel 2 ; 2 ⊕ s hintergrund2 2 ; 3 offenbar S ¼ T 1 ; T 2 ð Þ ¼ s johanna 1 ; 1 ⊕ s apfel 1 ; 2 ⊕ s hintergrund1 1 ; 3 ; s johanna 2 ; 1 ⊕ s apfel 2 ; 2 ⊕ s hintergrund2 2 ; 3 Füllen auch die zwei verschiedene Äpfel essende Johanna und der Hintergrund beide Einstellungen aus, ergibt sich T 1 ¼ s johanna 1 ; 1 ⊕ s apfel1 1 ; 2 ⊕ s hintergrund1 1 ; 3 und T 2 ¼ s johanna 2 ; 1 ⊕ s apfel2 2 ; 2 ⊕ s hintergrund2 2 ; 3 und somit 252 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) S ¼ T 1 ; T 2 ð Þ ¼ s johanna 1 ; 1 ⊕ s apfel1 1 ; 2 ⊕ s hintergrund1 1 ; 3 ; s johanna 2 ; 1 ⊕ s apfel2 2 ; 2 ⊕ s hintergrund2 2 ; 3 Abb. 3: Zwei Labellings einer Beispielsegmentierung 6 Thematische Relationen und ihre Verankerung im Filmbild Bisher wurde lediglich eine Repräsentation für die Konzeptionalisierung statischer Objekte wie “ Johanna ” , “ Apfel ” oder “ Hintergrund ” entwickelt. Im obigen Beispiel werde nun zusätzlich für die in zwei Einstellungen T 1 und T 2 repräsentierte Johanna von einer Beobachtermenge B ein Essvorgang - etwa durch die Veränderung der Apfelsegmente und Mundbewegungen von Johanna - “ erkannt ” . Die Beobachter sollen also ein Essereignis konzeptionalisieren. Unter einem Ereignis verstehen wir hier eine Zustandsänderung, für die es einen Ort und eine Zeitdauer oder einen Zeitpunkt gibt. Ereignisse, die durch ein belebtes Objekt absichtsvoll ausgelöst werden, nennen wir Handlungen. Das auslösende Objekt heißt Agent, auch Aktor (Reimer 1991: 21 f.). Die in Verben natürlicher Sprachen durchgeführte Repräsentation von Ereignissen kann mit einer Ereignis-Semantik modelliert werden (Krifka 1989). In dieser werden Verben als einstellige Prädikate über Ereignisse dargestellt. Die Partizipanten eines Ereignisses werden mit zweistelligen Hilfsrelationen mit dem Ereignis verbunden. Diese Hilfsrelationen entsprechen semantischen Rollen wie Agens (AG) für den verursachenden Agenten einer Handlung oder Patiens (PAT) für den Betroffenen einer Handlung und werden als Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 253 thematische Relationen bezeichnet. Für den Beispielsatz: “ Johanna isst einen Apfel ” ergibt sich ∃ e (ESSEN(e) ∧ AG(e, johanna) ∧ PAT(e, apfel)). Um Ereignisklassen von anderen Konzeptklassen deutlich zu unterscheiden, wird hier für Ereignisklassen ein eigener Typ EVT eingeführt. Mit E wird eine Menge von Ereignisklassen bezeichnet: E={E | E: EVT}. In den obigen cinematographischen Beispielrealisationen sieht man keine natürlichsprachlichen Sätze und deren Segmente, sondern Bildsegmente. Zur Modellierung thematischer Beziehungen zwischen Segmenten aus S(L, B) und instanziierten Ereignissen von E, E ∈ E für eine von den Beobachtern zu konzeptionalisierende Ereignismenge E gibt es daher zunächst segment-thematische Relationen R S(L,B),E mit R S(L,B),E ={ (s,e) | s ∈ S(L, B), inst B (e,E), E: EVT, E ∈ E }. Die Segmente s sind qua Zugehörigkeit zu S(L, B) gelabelt. Um die Notation einfach zu halten, schreiben wir einfach nur s, wenn das Label im jeweiligen Zusammenhang unerheblich ist. Ist die Angabe der Menge der Ereignisse und der Menge der gelabelten Segmente S(L, B) unerheblich oder aus dem Kontext ersichtlich, schreiben wir einfach R. Auf Basis dieser Relation ergeben sich die folgenden Definitionen: Eine Ereignisklasse E: EVT wird in einem VideoSegment S von einer Beobachtermenge B unter R für eine vorgegebene Labelmenge L verankert oder R-verankert, wenn es ein s < S gibt, so dass R S(L,B),{E} nicht leer ist. Eine Ereignisklasse E: EVT wird in einem VideoSegment S von einer Beobachtermenge B unter R für eine vorgegebene Labelmenge L mehrfach verankert oder mehrfach R-verankert, wenn es für E ∈ E Instanzen e ′ , e ′′ gibt sowie ein s ′ mit (s ′ ,e ′ ) ∈ R S(L,B),{E} und ein s ′′ mit (s ′′ ,e ′′ ) ∈ R S(L,B),{E} , so dass e ′ , e ′′ sich nicht überlappen, also -(e ′ ⊗ e ′′ ) gilt. Das Wort “ Verankerung ” wurde gewählt, da die dadurch induzierte Verknüpfung von Segmenten von Pixelmengen sich als (mehrfacher) “ Link ” interpretieren lässt. 18 Die Definition einer zählenden “ m-fachen ” Verankerung für m ≥ 2 ist kanonisch: Eine Ereignisklasse E: EVT wird in einem VideoSegment S von einer Beobachtermenge B unter R für eine vorgegebene Labelmenge L m-fach verankert oder m-fach R-verankert, wenn es sich paarweise nicht überlappende Instanzen e (1) , e (2) , . . . , e (m) gibt, also -(e (i) ⊗ e (j) ) für i ≠ j gilt, 1 ≤ i,j ≤ m, und jeweils ein s (i) mit (s (i) ,e (i) ) ∈ R S(L,B),{E} existiert, 1 ≤ i ≤ m. Dabei kann s (i) ⊗ s (j) gelten für 1 ≤ i,j ≤ m. Die Anforderung dagegen, dass sich die Ereignisse paarweise nicht überlappen, hat folgenden Hintergrund: Sind im Beispiel der Apfel essenden Johanna zwei verschiedene Beißvorgänge beißen_1 und beißen_2, -(beißen_1 ⊗ beißen_2) mit inst B (beißen_1, BEISSEN) und inst B (beißen_2, BEISSEN) sowie beißen_1 < essen und beißen_2 < essen mit inst B (essen, ESSEN) Teil eines Essvorgangs, 18 Die Ereignisklasse kann im Sinne von XLink zur Kennzeichnung der Rolle des Links genutzt werden. 254 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) dann ist BEISSEN 2-mal in einem geeigneten Segment verankert bei Erfüllung der sonstigen Bedingungen der Definition. Schlösse man die Überlappung von Ereignissen nicht aus, könnte ESSEN wegen essen > beißen_1 und essen > beißen_2 dreimal verankert sein, wenn auch eine weitere Verankerung von essen angenommen werden kann. Die in essen enthaltenen zwei Beißvorgänge beißen_1 und beißen_2 sollten dann aber nicht extra gezählt werden. Es sollte vielmehr die Verankerung von essen nur einmal gezählt werden. Für cinematographische Dokumente ist im Rahmen einer großen Syntagmatik der Fall wesentlich, dass eine Ereignisklasse in wenigstens zwei verschiedenen Einstellungen verankert ist: Dazu verlangen wir, dass wenigstens zwei der oben geforderten Teilsegmente s ′ und s ′′ auch in zwei verschiedenen Einstellungen T ′ und T ′′ liegen, also mit s ′ < T ′ und s ′′ < T ′′ zwei ShotRegions vorliegen, wie es für die Apfel essende Johanna in der Realisation R2 ja auch der Fall ist. Eine einzelne Ereignisklasse E: EVT wird in einem VideoSegment S mit wenigstens zwei verschiedenen Einstellungen T ′ und T ′′ von einer Beobachtermenge B für eine vorgegebene Labelmenge L in verschiedenen Einstellungen verankert, wenn für E eine (ggf. mehrfache) Verankerung vorliegt und es für Instanzen e ′ , e ′′ (im mehrfachen Falle mit -(e ′ ⊗ e ′′ )), ein s ′ < T ′ mit (s ′ ,e ′ ) ∈ R S(L,B),{E} und ein s ′′ < T ′′ mit (s ′′ ,e ′′ ) ∈ R S(L,B),{E} gibt. Damit ergibt sich: Eine Ereignisklasse E: EVT ist in einem VideoSegment S von einer Beobachtermenge B unter R für eine vorgegebene Labelmenge L in n Einstellungen (m-fach) verankert oder in n Einstellungen (m-fach) R-verankert, wenn sie in jeder der n Einstellungen wenigstens einmal (und insgesamt m-fach) unter R verankert ist für n, m ≥ 1. Wird die Anzahl der Verankerungen gezählt, wird kurz von einer (n,m)-Verankerung der jeweiligen Ereignisklasse unter R in dem jeweiligen VideoSegment gesprochen. Eine (n,m)-Verankerung in einem VideoSegment mit n Einstellungen bedeutet, dass man in jeder Einstellung wenigstens einmal etwas zu einer Ereignisklasse sieht. Der Fall m=1 liegt vor, wenn eine Ereignisklasse nur einmal instanziiert wird, also in allen Einstellungen z. B. “ dieselbe ” Handlung repräsentiert wird. Insgesamt lässt sich so bequem beschreiben, dass z. B. ein einziger Essvorgang aus m filmisch repräsentierten Beißvorgängen besteht. Die m Beißvorgänge seien in n Einstellungen zu sehen, im Falle m=n jeweils ein Beißvorgang in einer Einstellung; die Klasse BEISSEN ist (n,m)-verankert und der eine Essvorgang (n,1)-verankert. Ein wichtigerAnwendungsfall für die obige Definition ist, dass man sich alle Einstellungen eines cinematographischen Dokumentes für eine Ereignisklasse zusammensucht ( “ alle Einstellungen, in denen Johanna einen Apfel isst ” ). Wählt man für ein gegebenes cinematographisches Dokument für die R-Verankerung einer Ereignisklasse E: EVT in den Einstellungen eines Dokuments also n maximal, liegt damit der filmische R-Träger von E in diesem Dokument vor. Die Menge aller Einstellungen aller filmischen Segmente vom Typ n ½ ½ 1 j , die dasselbe E: EVT instanziieren, ist in der Vereinigung aller R-Träger von E enthalten. Zur Verdeutlichung folgt ein Beispiel in einem Kurzvideo der Apfel essenden Johanna. Es sei E={ESSEN, ROTIEREN}. Sei S wieder ein aus zwei Einstellungen bestehendes Segment S=(T 1 ,T 2 ) mit S(L, B)=S({PERSON, APFEL, HINTERGRUND}, B). Für die segment-thematische Relation AG gelte: Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 255 AG S ð L ; B Þ ; E ¼ s ; e ð Þj s 2 S L ; B ð Þ ; inst B e ; E ð Þ ; E 2 E f g ¼ s ; e ð Þj s 2 S PERSON ; APFEL ; HINTERGRUND f g ; B ð Þ ; inst B e ; E ð Þ f E 2 ESSEN ; ROTIEREN f gg ¼ s johanna 1 ; 1 ; essen ; s johanna 2 ; 1 ; rotieren ; s johanna 2 ; 1 ; essen n j inst B johanna ; PERSON ð Þ ; inst B essen ; ESSEN ð Þ ; inst B rotieren ; ROTIEREN ð Þg Aus der obigen AG-Relation ergibt sich: Johanna isst in T 1 . In T 2 rotiert sie (nach Lage der bereitgestellten Konzepte: einen Apfel, aber auch sich selbst oder einen Hintergrund) und isst wiederum. Da dieselbe Instanz ‘ essen ’ der Ereignisklasse ESSEN an zweiter Stelle der Relation verwendet wird, konzeptionalisiert der Beobachter einen Essvorgang. Würde die Ereignisklasse ESSEN mit essen und essen ‘ instanziiert, würden in (s johanna 1 ; 1 ,essen) und (s johanna 2 ; 1 ,essen ’ ) zwei Essereignisse konzeptionalisiert. Würden sich zudem diese beiden Essereignisse nicht überlappen, wäre dann die Ereignisklasse ESSEN im Segment S=(T 1 ,T 2 ) unter der AG-Relation (2,2)-verankert und die Ereignisklasse ROTIEREN (1,1)-verankert. Es gelte ferner für die segment-thematische Relation PAT unter der zusätzlichen Annahme von ROTIEREN is_a SPIELEN: PAT S ð L ; B Þ ; E ¼ s ; e ð Þj s 2 S L ; B ð Þ ; inst B e ; E ð Þ ; E 2 E f g ¼ s ; e ð Þj s 2 S PERSON ; APFEL ; HINTERGRUND f g ; B ð Þ ; f inst B e ; E ð Þ ; E 2 ESSEN ; SPIELEN f gg ¼ s apfel 1 ; 2 ; essen ; s apfel 2 ; 2 ; rotieren ; s apfel 2 ; 2 ; essen j inst B apfel ; APFEL ð Þ ; n inst B essen ; ESSEN ð Þ ; inst B rotieren ; SPIELEN ð Þg Die obige PAT-Relation ergibt für die Ereignisse in der oben aufgeschriebenen Form, dass sie immer denselben Apfel betreffen, der sowohl gegessen als auch bespielt wird. Ändert man die PAT-Relation dahin gehend, dass s 2,2 mit apfel ’ gelabelt wird, dann wird in der zweiten Einstellung ein anderer Apfel rotierenderweise bespielt und gegessen als in der ersten. Auf jeden Fall ist im Segment S=(T 1 ,T 2 ) unter der PAT-Relation die Ereignisklasse ESSEN (2,1)verankert und die Ereignisklasse SPIELEN (1,1)-verankert. Das ganze Kurzvideo S=(T 1 ,T 2 ) ist der Träger von ESSEN und für die obige Beobachtermenge B vom Typ 2 ½ ½ 1 j B ; das Teildokument, das nur die zweite Einstellung enthält, ist der AG-Träger und PAT-Träger von ROTIEREN bzw. SPIELEN und für die obige Beobachtermenge B vom Typ 1 ½ ½ 1 jþ 1 B . 7 Objekt-Eindeutigkeit segment-thematischer Relationen Die skizzierte filmische Repräsentation eines Handlungsablaufs wie “ Johanna isst einen Apfel ” ist für einen Beobachter B auf intuitive Art und Weise objekt-eindeutig. Dies geschieht für das obige Beispielsegment S mit S(L, B)=S({PERSON, APFEL, HINTERGRUND}, B) 256 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) unausgesprochen dadurch, dass wir als menschliche Beobachter den Hintergrund und Johanna selbst als Essobjekte ausschließen. - Aber selbst wenn weitere gelabelte Pixelmengen für essbare Objekte vorliegen würden (für Bratwurst, Kuchen, etc.), liegt es in der “ Natur des von menschlichen Beobachtern konzeptionalisierten Essvorganges ” , dass ein Essobjekt eindeutig bestimmt ist oder mehrere Essvorgänge konzeptionalisiert werden: Isst Johanna z. B. erst zwei Äpfel, dann eine Bratwurst, dann ein Stück Kuchen, würden von einem menschlichen Beobachter ohne Zusatzinformation oft drei ( Johanna isst zwei Äpfel (auf ), Johanna isst eine Bratwurst (auf ), Johanna isst ein Stück Kuchen (auf )) oder vier Essvorgänge (Apfel, Apfel, Bratwurst, Kuchen betreffend) konzeptionalisiert. Zur Modellierung dieser “ Natur ” des Essvorganges wird allgemein verlangt: Eine segment-thematische Relation R S(L,B),{E} ist für eine Einstellung T und eine Ereignisklasse E für eine Beobachtermenge B objekt-eindeutig, wenn für ein e mit inst B (e,E) und s, s ′ < T mit (s,e) ∈ R S(L,B),{E} und (s ′ ,e) ∈ R S(L,B),{E} die Gleichheit l s =l s ′ folgt. Damit sind wegen der obigen Forderung der semantischen Eindeutigkeit auch die Objekte in der Diegese gleich. Ein Standardanwendungsfall für diese Definition ist die mehrfache Darstellung eines Gegenstandes innerhalb einer Einstellung, so dass sich die Pixelmenge für “ ein- und dasselbe Objekt ” schon innerhalb einer Einstellung ändert. Für mehrere Einstellungen ergibt sich: Eine segment-thematische Relation R S(L,B),{E} ist für ein VideoSegment S = (T 1 , T 2 , . . . , T n ) für eine Beobachtermenge B objekt-eindeutig, wenn sie in den n Einstellungen jeweils objekt-eindeutig und in den sie verankernden Einstellungen gleich gelabelt ist, also gilt: ∀ s i ,s j ,T i ,T j <S mit s i <T i , s j <T j und (s i ,e), (s j ,e) ∈ R S(L,B),{E} , 1 ≤ i,j ≤ n, gilt l s i =l s j für i ≠ j. Objekt-Eindeutigkeit für ein VideoSegment heißt also, dass für ein konzeptionalisiertes Ereignis e und für Beobachter B die zugehörigen Segmente in allen Einstellungen gleich gelabelt werden und deshalb in deren Diegese auch gleich sind. Eine filmische Repräsentation der obigen Heißhungerattacken in einer Sequenz mit mehreren Einstellungen (z. B. für jedes Essobjekt eine Einstellung) ist naheliegend. - Isst Johanna allerdings (durcheinander) einen Apfel, einen weiteren Apfel, Bratwurst und Kuchen, könnte man für eine sequentielle Repräsentation auch ein gemeinsames Thema wie “ Johanna vertilgt das Menü allTogether ” mit inst B (allTogether,ALLTOGETHER) beobachterseits annehmen mit den folgenden Klassenbeziehungen: 1. APFEL part_of ALLTOGETHER, 2. BRATWURST part_of ALLTOGETHER, 3. KUCHEN part_of ALLTOGETHER. Die Einheit der Esshandlung kann trotz Vergrößerung des Essobjektes gewahrt sein, selbst wenn sie sich wie hier leicht auf mehrere Einstellungen verteilen lässt. Abhängig ist dies allein von der Anzahl der verschiedenen Instanziierungen der Ereignisklasse ESSEN und nicht von dem Unterschied zwischen S({PERSON, ALLTOGETHER, HINTERGRUND}, B) und S({PERSON, {APFEL, BRATWURST, KUCHEN, HINTERGRUND}, B). Bezogen auf ein Filmbild wirkt sich diese Unterscheidung i. Allg. so aus, dass die Instanziierung von Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 257 ALLTOGETHER bei der skizzierten Inszenierung keine zusammenhängende Pixelmenge mehr labelt. 8 Relationierung von Subobjekten und Subereignissen Beim telischen ( “ Auf- ” )Essen von zwei Äpfeln wird i. Allg. zunächst ein Apfel Bissen für Bissen kleiner, dann der andere. In diesem Sinne ist erstens jeder Teil des Vorganges “ Zwei Äpfel essen ” auf Teile der zu essenden zwei Äpfel beziehbar. Umgekehrt entspricht zweitens jedem Teil der zwei Äpfel ein Teil des Essens. In der (linguistischen) Theorie, wie sie ausführlich etwa Mollá-Aliod (Mollá-Aliod 1997: 115 f.) darstellt, finden sich zwei weitere Konzepte, die solche Situationen behandelbar machen. Im letzten Fall ist das Objekt auch teilweise auf Subereignisse abbildbar. Im ersten Fall ist der Essvorgang auch teilweise auf Subobjekte abbildbar. Vor diesem Hintergrund führen wir nun die folgenden thematischen Beschränkungen der Subereignis-Abbildbarkeit sowie der Subobjekt-Abbildbarkeit ein. Letztere wird im Weiteren aus dem Spezialfall der Subsegment-Abbildbarkeit entwickelt. Eine segment-thematische Relation R ist auf ein Subereignis abbildbar oder subereignisabbildbar, wenn beobachterseits zu jedem Teil eines gelabelten Segmentes ein Teil von e angenommen werden kann, so dass wiederum R gilt. Wir definieren genauer: Eine segment-thematische Relation R S(L,B),{E} ist für ein VideoSegment S eines cinematographischen Dokuments für eine Beobachtermenge B für eine vorgegebene Labelmenge L subereignis-abbildbar, wenn aus (s,e) ∈ R S(L,B),{E} für ein s ′ <s<S mit l s =l s ′ folgt, dass ein e ′ <e existiert mit (s ′ ,e ′ ) ∈ R S(L,B),{E} . Dies gilt gleichermaßen für Vorgänge, die “ abbauen ” (z. B. “ Apfel essen ” ) oder “ aufbauen ” (z. B. “ Legoturm bauen ” ). 19 Eine segment-thematische Relation R ist auf Subsegmente eines VideoSegmentes S abbildbar oder subsegment-abbildbar, wenn es für R zu jedem beobachterseits konzep- 19 Zur Repräsentation bieten sich hier Raum-Zeit-Diagramme an (cf. (Krifka 1989: 159 f.)). In einem Raum-Zeit- Diagramm repräsentiert eine Koordinate den Raum, die andere die Zeit. Objekte werden als Linie bzw. Band, entsprechend ihrer räumlichen Ausdehnung, dargestellt. Ereignisse werden zeitlich lokalisiert und entsprechend ihrer zeitlichen Ausdehnung auf der Zeitachse abgebildet. Auf diese Weise wird das Zusammenwirken von Objekt und Ereignis visualisiert, insbesondere wird sichtbar, ob - und wenn ja, wie - sich die räumliche Größe/ Ausdehnung im Zeitverlauf ändert. Die folgende Abb. zeigt zwei Raum-Zeit-Diagramme. 258 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) tionalisierbaren Teil eines Ereignisses einen gleich gelabelten Teil eines gelabelten Segmentes in S gibt, das wiederum in der R-Beziehung zu dem Teilereignis steht. - Beim Essen eines Apfels entspricht dann also jedem von B konzeptionalisierten Teil des Essens ein Teil des abgebildeten Apfels. Es ergibt sich: Eine segment-thematische Relation R S(L,B),{E} ist in einem VideoSegment S eines cinematographischen Dokuments für eine Beobachtermenge B für eine vorgegebene Labelmenge L subsegment-abbildbar, wenn aus (s,e) ∈ R S(L,B),{E} und e ′ < e folgt, dass es ein s ′ <s gibt mit (s ′ ,e ′ ) ∈ R S(L,B),{E} und l s =l s ′ . Für das Essen eines Apfels heißt das, dass man für den Fortschritt eines Essvorgangs auch jeweils eine entsprechende “ Apfel-Pixelmenge ” in S angeben kann. Das funktioniert natürlich nur in speziellen Überwachungssituationen einer solchen Handlung (in einer “ vollständigen ” Aufzeichnung eines Ess-Experimentes, etc.). In der “ normalen ” filmischen Raffung einer Handlung ist dagegen i. Allg. nicht für jeden denkbaren Teil einer Esshandlung ein passendes Segment vorhanden. Vielmehr setzt die filmische Repräsentation auf die Interpolationsfähigkeiten des menschlichen Beobachters: Für ein diegetische Ereignis vom Typ ESSEN wird er über die sichtbare Verkleinerung hinaus ggf. zusätzliche Verkleinerungen des Apfels in der Diegese annehmen. Darüber hinaus muss in der obigen Situation das abgebildete Apfelsegment tatsächlich kleiner werden, um der Definition zu genügen, da die verwendete “ < ” -Relation irreflexiv ist. Dies verlangte für ein vollständiges Abbilden des Apfelessens, dass relativ zur Kamera z. B. nicht “ auf der Rückseite ” ein Bissen genommen werden darf. Aufbauend auf diesen Überlegungen ist eine allgemeinere Definition der Subobjekt- Abbildbarkeit zu entwickeln. Zur kompakten Darstellung wird im Weiteren die folgende Notation zusätzlich verwendet: l Für eine ShotRegion s label i ; < T i wird ein Stern als “ Wildcard ” verwendet, wenn die Nummerierung innerhalb der Einstellung irrelevant ist. l Konzeptionalisiert ein Beobachter eine bereits gelabelte ShotRegion in einer (leicht) veränderten, z. B. verkleinerten, Form, wird diese ShotRegion mit einem Strich gekennzeichnet: s label i ; 0 und ggf. auch s label i ; 00 . l Treten mehr als zwei Veränderungen in Folge auf, werden zur Kennzeichnung Zahlen in Klammern verwendet: s label i ; ð i Þ . Es gebe im Beispiel k ≥ 1 Apfelsegmente, die im Filmbild sichtbar vertilgt werden: s apfel i 1 ; 1 ð Þ ; beißen 1 ð Þ ; s apfel i 2 ; 2 ð Þ ; beißen 2 ð Þ ; . . . ; s apfel i k ; k ð Þ ; beißen k ð Þ Den Segmenten s apfel i ; ð Þ werde für 1 ≤ ν ≤ k beobachterseits jeweils ein diegetisches Apfelstück apfelteil ν zugeordnet. Dieses diegetische Apfelstück befindet sich in der diegetischen Raumzeit DieSpaceTime = DieSpace x DieTime. In dieser schätzen die Beobachter B ∈ B das Das linke Diagramm zeigt eine Situation, bei der das Objekt dem Ereignis nach und nach unterworfen wird und dabei verschwindet, wie dies z. B. bei “ einen Apfel essen ” der Fall ist. Das rechte Diagramm zeigt eine Situation, in der das Objekt wächst. Ein Beispiel hierzu ist “ einen Legoturm bauen ” . Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 259 raumzeitliche Urbild aller filmischen Messungen des gegebenen cinematographischen Dokumentes. 20 Schätzungen werden für VideoSegmente S durch eine Abbildung dieS(B,S) zur Schätzung der Raumdiegese und eine Abbildung dieT(B,S) zur Schätzung der Zeitdiegese vorgenommen (cf. Schmidt 2008: Abschnitt 4). Für ein Apfelsegment s apfel i ; ð Þ < T i gibt damit dieS B ; s apfel i ; ð Þ dieS B ; T i ð Þ , B ∈ B, 1 ≤ ν ≤ k die Raumdiegese von apfelteil ν an. Für 1 ≤ ν ≤ k besteht apfelteil ν ⊆ DieSpaceTime = DieSpace x DieTime aus einer räumlichen Komponente o ⊆ DieSpace und einem zeitlichen Verhalten t ⊆ DieTime. Für den Apfel ist hier die räumliche Komponente wesentlich, sofern mit heutigen Mitteln aus den filmischen Messdaten unter der raumdiegetischen Interpretation von dieS mit o eine gute Schätzung bereitgestellt werden kann: o ¼ dieS B ; s apfel i ; ð Þ , B ∈ B, 1 ≤ ν ≤ k. Im Falle einer filmischen Raffung liegt damit skizziert folgende Situation vor: Teilereignis e 1 ð Þ e 2 ð Þ . . . e ( μ -1) e ð Þ e þ 1 ð Þ . . .. e k ð Þ Objekt der Diegese (räumliche Komponente) o 1 ð Þ o 2 ð Þ o - 1 ð Þ o ð Þ o þ 1 ð Þ o k ð Þ Segment s label i 1 ; 1 ð Þ s label i 2 ; 2 ð Þ s label i - 1 ; - 1 ð Þ s label i ; ð Þ s label i þ 1 ; þ 1 ð Þ s label i k ; k ð Þ Aufgrund der angenommenen filmischen Raffung “ fehle ” das Segment s label i ; ð Þ , 1 ≤ μ ≤ k. An der Stelle schätze der Beobachter ein Teilereignis mit der zugehörigen räumlichen Komponente o ð Þ eines Objektes objekt ð Þ . Die Basis dieser Schätzung ist, dass wenigstens s label i - 1 ; - 1 ð Þ und/ oder s label i þ 1 ; þ 1 ð Þ beobachtet werden und damit o - 1 und/ oder o þ 1 zugrunde gelegt werden können. Wenn nun aus s label i - 1 ; - 1 ð Þ ; e - 1 ð Þ ∈ R S(L,B),{E} oder s label i þ 1 ; þ 1 ð Þ ; e þ 1 ð Þ ∈ R S(L,B),{E} folgt, dass beobachterseits jeweils auch ein Teilobjekt in der Diegese mit räumlicher Komponente o mit o - 1 o oder o o þ 1 angenommen werden kann, für das beobachterseits ein fehlendes Segment ŝ o in einer geeigneten filmischen Messung mit dieS(B, ŝ o )= o mit s label i - 1 ; - 1 ð Þ < ŝ o oder ŝ o < s label i þ 1 ; þ 1 ð Þ und ð ŝ o ; e ð Þ Þ ∈ R S(L,B),{E} geschätzt werden kann, dann liegt eine Form der Subobjekt-Abbildbarkeit vor. Auch der Fall s label i - 1 ; - 1 ð Þ = ŝ o oder ŝ o = s label i þ 1 ; þ 1 ð Þ kann eintreten, wenn in der Diegese ein zeitlicher Vorgang ohne im Filmbild sichtbare räumliche Veränderungen angenommen wird. Für die Äpfel essende und bespielende Johanna ist dies z. B. der Fall, wenn sie einen (rotationssymmetrischen) Apfel rotiert. Dann kann es passieren, dass alle geschätzten Segmente in der Diegese und auch die zugehörigen Segmente im Filmbild gleich groß sind. Wenn nun aus ð s apfel i ; ð Þ ; essen ð Þ Þ ∈ R S(L,B),{ESSEN} und e ′ < essen ð Þ folgt, dass für 1 ≤ ν ≤ k beobachterseits jeweils auch ein o ′ ⊂ o und ein fehlendes s ′ mit dieS(B,s ′ )=o ′ , s ′ < s oder s ′ = s mit (s ′ ,e ′ ) ∈ R S(L,B),{ESSEN} angenommen werden kann, dann liegt eine Form der Subobjekt- 20 Als formales Objekt hat dieser Raum kaum Eigenschaften - nichträumliche und nichtzeitliche Beziehungen zwischen Objekten und speziell zwischen Akteuren bleiben (beim bisherigen Stand der Dinge) in DieSpaceTime unmodelliert (cf. (Schmidt 2008: Abschnitt 4)). 260 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Abbildbarkeit vor. Wir definieren in diesem Sinne Subobjekt-Abbildbarkeit kompatibel mit Subsegment-Abbildbarkeit, die somit ein “ vollständiger ” Spezialfall der Subobjekt-Abbildbarkeit ist: Eine segment-thematische Relation R S(L,B),{E} ist in einem VideoSegment S eines cinematographischen Dokumentes von einer Beobachtermenge B für eine vorgegebene Labelmenge L subobjekt-abbildbar, l wenn aus (s,e) ∈ R S(L,B),{E} und e ′ <e folgt, dass es tatsächlich ein s ′ <s gibt mit (s ′ ,e ′ ) ∈ R S(L,B),{E} und l s =l s 0 , so dass dieS(B,s ′ ) dieS(B,s) gilt oder l wenn aus s label i - 1 ; - 1 ð Þ ; e - 1 ð Þ ∈ R S(L,B),{E} oder s label i þ 1 ; þ 1 ð Þ ; e þ 1 ð Þ ∈ R S(L,B),{E} folgt, dass beobachterseits jeweils auch ein Teilobjekt in der Diegese mit räumlicher Komponente o mit o - 1 o oder o o þ 1 angenommen werden kann, dem ein fehlendes Segment ŝ o im Filmbild entspricht mit s label i - 1 ; - 1 ð Þ ≤ ŝ o ≤ s label i þ 1 ; þ 1 ð Þ oder s label i - 1 ; - 1 ð Þ ≥ ŝ o ≥ s label i þ 1 ; þ 1 ð Þ , so dass dieS(B, ŝ o )= o und ð ŝ o ; e ð Þ Þ ∈ R S(L,B),{E} gilt. Die zweite Anforderung ist strenger als die bloße Annahme eines zusätzlichen diegetischen Teilobjektes: Die Sensordaten der abgebildeten Apfelstücke liefern hier die Interpolationsbasis für die nicht abgebildeten Stücke, deren filmische Abbildung aber beobachterseits als möglich angenommen werden kann (heutige Mittel der graphischen Datenverarbeitung erlauben oft eine bildliche Interpolation; klassisch ist gemäß den obigen Festlegungen ein Nachdreh theoretisch möglich). Es gibt damit nicht die Möglichkeit diegetischer Hirngespinste: Vielmehr wird das Fehlen eines Teilsegmentes tatsächlich als filmische Raffung modelliert. Ist eine segment-thematische Relation sowohl subereignisals auch subobjekt-abbildbar, sind die jeweiligen verankernden Segmente und das zugehörige Ereignis (teilweise) “ aneinandergekettet ” . Deshalb kann man leicht einen Teil eines Objektes oder eines Ereignisses in der filmischen Repräsentation weglassen (ein Apfelstück oder einen Biss als Teil eines Essvorgangs), ohne dass diese Aneinanderkettung beobachterseits in Frage gestellt wird. Ein Essvorgang ist über diese Aneinanderkettung hinaus “ gradueller ” Natur, wenn zu seiner Konzeption zusätzlich noch Objekt-Eindeutigkeit sichergestellt werden kann, damit ausgeschlossen ist, dass in einer filmischen Repräsentation in verschiedenen Einstellungen für dasselbe Essereignis auch “ inhaltlich verschiedene ” Pixelmengen angegeben werden. Es gilt: Eine segment-thematische Relation R S(L,B),{E} ist in einem Segment S eines cinematographischen Dokuments für eine Beobachtermenge B und eine vorgegebene Labelmenge L graduell, wenn gilt: (1) R S(L,B),{E} ist objekt-eindeutig, (2) R S(L,B),{E} ist subereignis-abbildbar, (3) R S(L,B),{E} ist subobjekt-abbildbar. Zur filmischen Verankerung eines graduellen Ereignisses ist noch festzulegen, was es heißt, dass dieses in einer Menge von Einstellungen “ graduell funktioniert ” . Es gilt: Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 261 Eine Ereignisklasse E: EVT ist in einem VideoSegment S für eine Beobachtermenge B für eine vorgegebene Labelmenge L durch R S(L,B),{E} graduell (n,m)-verankerbar, wenn die Ereignisklasse E in S (n,m)-verankert und R S(L,B),{E} graduell ist. Wenn nur die Relation R ohne die Indizes für den Zusammenhang wichtig ist, wird eine solche Ereignisklasse kurz als in S graduell (n,m)-R-verankerbar behandelt. Damit sind die Bedingungen benannt, die es erlauben, für eine filmische Repräsentation von Johannas Essen eines Apfels Gradualität anzunehmen. 9 Activities, Accomplishments und Achievements In einem einflussreichen Papier wurden in (Vendler 1959) vier Typen für Verben angegeben, die eine auch temporale Struktur der mit ihnen repräsentierbaren Situationen implizieren: l States: z. B. know, love; l Activities: z. B. run, push (a cart); l Accomplishments: z. B. run a mile, draw a circle; l Achievements: z. B. find, recognize, spot. (Halliday & Matthiessen 2000: 471) charakterisieren zur Abgrenzung der Vendler ’ schen Typen diese mit den drei Dimensionen l Veränderung (change) versus keine Veränderung (no change), l (Zeitlich) begrenzt (bounded) versus unbegrenzt (unbounded), l andauernd (duration) versus punktuell (no duration). Es ergibt sich das in Abb. 4 dargestellte Bild. Abb. 4: Graphische Repräsentation der Vendler ’ schen Eventtypen Grundsätzlich kann auch in einer filmischen Repräsentation jede durch eine einzelne Einstellung gemessene oder durch ein VideoSegment repräsentierte (Teil-)Situation von einer Beobachtermenge als unveränderter Zustand (state) oder als zustandsänderndes 262 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Ereignis (event) konzeptionalisiert werden. Zustände werden - wie schon bei der Festlegung der Notation in Abschnitt 3 festgehalten - hier keiner systematischen Behandlung unterworfen; es geht hier nur um die Modellierung von Ereignissen. Es verbleiben Aktivitäten, Accomplishments und Achievements. Die Veränderungen von Aktivitäten und Accomplishments sind nicht nur andauernd, sondern zusätzlich auch graduell: Das gerade definierte Konzept der Gradualität zeichnet Aktivitäten und Accomplishments aus (s. u.). Unter Handlungsgesichtspunkten werden Aktivitäten nicht durch eine Zielerreichung beendet, während genau dies für Accomplishments und Achievements der Fall ist. Wenn man also aus einer filmischen Repräsentation einer Handlung die Gradualität dieser erschließen kann, braucht man nur noch ein Kriterium für Telizität, um auch zwischen Aktivitäten und Accomplishments unterscheiden zu können: Aktivitäten sind atelisch unbegrenzt, Accomplishments (neben Achievements) sind telisch begrenzt. Telizität hängt ab von der Kumulativität des Objektes (wie Johannas Äpfel), das in der PAT-Relation zu dem konzeptualisierten Ereignis steht. “ Äpfel ” sind kumulativ in dem Sinne, dass “ Äpfel ” und “ Äpfel ” wieder “ Äpfel ” ergeben. Allgemein gilt für alle Prädikate P (Krifka 1989: 34): CUM(P) genau dann, wenn (i) ∀ x,y (P(x) ∧ P(y) → P(x ⊕ y)) (ii) ∃ x,y (P(x) ∧ P(y) ∧ -(x = y)) Dagegen ist “ 2Äpfel ” gequantelt: kein Teil von “ 2Äpfel ” ist üblicherweise “ 2Äpfel ” . Allgemein gilt: QUA(P) genau dann, wenn ∀ x,y (P(x) ∧ y < x → -P(y)) Die Kombination eines graduellen Ereignisses wie “ essen ” mit kumulativen Objekten ( “ Äpfel ” ) ergibt eine Aktivität: 21 [+CUM, +GRAD → ACTIVITY]. Berücksichtigt man noch, dass gilt (Singh & Singh 1995: 3) CUM(P) → - QUA(P), lässt sich für Accomplishments festlegen: [+QUA, +GRAD → ACCOMPLISHMEN T]. Mit der der oben angegebenen Definition der graduellen Verankerung können nun auch die “ Aktivitäts-Regel ” [+CUM, +GRAD → ACTIVITY] und die “ Accomplishment-Regel ” [+QUA, +GRAD → ACCOMPLISHMEN T] auf cinematographische Dokumente übertragen werden: In einem VideoSegment S eines cinematographischen Dokumentes ist für eine Beobachtermenge B eine Ereignisklasse E als Aktivität verankerbar, wenn diese in S graduell (n,m)-PAT-verankerbar ist und die instanziierten Objekte, die in der PAT S(L,B),{E} -Relation zu dem konzeptualisierten Ereignis stehen, beobachterseits als kumulativ aufgefasst werden können. 21 Die Notation folgt (Singh & Singh 1992: 530): Objekteigenschaft ; PAT - RelationsEigenschaft ! Handlungstyp ½ . Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 263 In einem VideoSegment S eines cinematographischen Dokumentes ist für eine Beobachtermenge B eine Ereignisklasse E als Accomplishment verankerbar, wenn diese in S graduell (n,m)-PAT-verankerbar ist und die instanziierten Objekte, die in der PAT S(L,B),{E} -Relation zu dem konzeptualisierten Ereignis stehen, beobachterseits als gequantelt aufgefasst werden können. Nur die Differenz für die beobachterseitige Konzeptionalisierung des filmisch repräsentierten Objektes entscheidet also über die Differenz zwischen Aktivität und Accomplishment bei der Verankerung einer Ereignisklasse in einem Videosegment. Es gehört zur filmischen Kunst, die Telizität eines graduellen Vorganges den Beobachtern zu vermitteln, um filmisch die Differenz nahezulegen, die sprachlich z. B. zwischen “ etwas aufessen ” und “ an etwas herumessen ” besteht. Wie Telizität jeweils filmisch umgesetzt wird, so dass beobachterseits klar ist, dass Johanna (telisch) einen Apfel (auf )isst oder sie sich (atelisch) die Zeit mit Apfelessen vertreibt, ist jedenfalls nicht in einem Lexikon nachzuschlagen. Eine cinematographische Repräsentation kann natürlich offenlassen, ob ein graduelles Ereignis telisch oder atelisch aufgefasst werden soll. Dies kriegt man ja auch “ im Leben ” nicht immer heraus. Soll aber einem Beobachter gezeigt werden, dass etwas telisch oder atelisch ist, greifen die obigen Randbedingungen, die es unabhängig von syntagmatischen Strukturen erlauben, eine filmische Realisation einerAktivität oder eines Accomplishments auszumachen. Es fehlt noch die Behandlung von Achievements wie “ 2Äpfel erspähen ” . Es gilt typischerweise: [+QUA, - GRAD → ACHIEVEMEN T]. Im Unterschied zu Aktivitäten und Accomplishments liegt mit einem Achievement kein graduelles Ereignis vor, das man in veridikalen filmischen Repräsentationen zeitlich erstrecken kann (in Animationen etwa eines Geistesblitzes ist dies eine andere Frage). Die filmische Repräsentation eines Achievements ist deshalb erwartbar grundsätzlich anderer Natur als die filmische Repräsentation gradueller Ereignisse, da der temporale Kern eines Achievements momenthaft ist. 22 Die Repräsentation eines Achievements in einer Einstellung erfolgt “ natürlich ” einmal in einer Einstellung und zeichnet diese ggf. aus. Für eine Aktivität oder ein Accomplishment ist die Repräsentation in einer einzigen Einstellung dagegen keineswegs natürlich, aber natürlich möglich. Mit dem bisherigen Theoriegerüst kann nun für Aktivitäten, Accomplishments und Achievements die Frage beantwortet werden, was die Metz ’ sche “ Plansequenz ” oder “ Sequenzeinstellung ” - wir verwenden den Terminus “ szenische Einstellung ” - genau ist. Dies geschieht im nächsten Abschnitt 10. Dann werden in Abschnitt 11 grundsätzliche Überlegungen für die Repräsentation von graduellen Handlungen in mehreren Einstellungen gemacht. Diese werden im Abschnitt 12 für Aktivitäten und im Abschnitt 13 für Accomplishments spezialisiert. 22 Die Allen ’ schen Zeitlogik in der in (Allen & Hayes 1985) publizierten Fassung liefert einen Anhaltspunkt für die Modellierung aller möglichen filmischen Inszenierungen eines Achievements mit der Einführung von sogenannten “ nests ” , die Anfänge und Enden von Momenten sein können. 264 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) 10 Die autonome szenische Einstellung Für Aktivitäten, Accomplishments und Achievements kann für das Szenario: (R1) Es liegt eine Einstellung vom Typ 1 ½ ½ 1 j vor zunächst gesagt werden, dass eine Instanziierung einer Handlung diese Einstellung auszeichnen muss und damit eine (1,1)-Verankerung dieser Handlung unter allen R vorliegt. 23 Für diese Einstellung muss ferner gelten, dass sie zu keinem großen Syntagma gehört. Gehörte eine solche Einstellung zu einem großen Syntagma, müsste sie gar nicht mehr klassifiziert werden. Sie würde dann zum Beispiel einfach zu einer Szene oder Sequenz dazugehören wie in (Schmidt & Strauch 2002) sowie (Bateman & Schmidt 2011/ 2014) definiert. Insgesamt kann man also die “ Singularitätsannahme ” machen, dass eine autonome Einstellung vom Typ 1 ½ ½ 1 j nicht in anderen Einstellungsmengen “ verschwindet ” . Das die Einstellung auszeichnende Ereignis kann eine Aktivität, ein Accomplishment oder ein Achievement sein, was unterschiedliche Randbedingungen filmischer Realisationen zur Folge hat. Eine eine Aktivität repräsentierende Einstellung vom Typ 1 ½ ½ 1 j , die die obige Singularitätsannahme erfüllt und die Aktivität vollständig repräsentiert, also (1,1)-verankert ist, zeigt sich im filmischen Schaffen oft dort, wo ein Akteur mit einer Aktivität in einem eigenen Raumzeitgebiet vor einer “ eigentlichen ” Handlung eingeführt wird: Johanna stretcht sich morgens im Haus - vor ihrem Gang zum Apfelbaum im Garten. Wenn ein Accomplishment vollständig in einer Einstellung vom Typ 1 ½ ½ 1 j repräsentiert ist, also (1,1)-verankert ist und ein eigenes Raumgebiet repräsentiert, liefert dies didaktisch besonders griffige Beispiele für eine szenische Einstellung. In der folgenden Beispielmodellierung werde das Ereignis “ Johanna isst 2Äpfel ” repräsentiert. In S=(T 1 ) werde gezeigt, dass Johanna zwei Äpfel herzhaft vertilgt, wobei der letzte Bissen nur einen Stiel übriglässt - letzteres ist der “ kreative ” Teil, der die Telizität durch die Inszenierung eines natürlichen Endes klar machen soll. 24 Für das vom Beobachter konzeptionalisierte Ereignis “ essen ” , inst B (essen,ESSEN) gebe es wenigstens zwei Subereignisse essen ′ <essen und essen ′′ <essen mit inst B (essen ′ ,ESSEN) und inst B (essen ′′ ,ESSEN). Das initial “ vollständige ” Apfelsegment s 2äpfel 1 ; verkleinere 25 sich bei jedem Subereignis: Es gelte also s 2äpfel 1 ; > s 2äpfel 1 ; 0 > s 2äpfel 1 ; 00 . Filmisch wird auf diese Weise eine Accomplishment-Lesart für Beobachter nahegelegt. Für die segment-thematische Relation PAT S(L,B),E ergibt sich: 23 Zeigt nur diese Einstellung mehrere Instanziierungen der zugehörigen Ereignisklasse im ganzen Dokument, liegt spezieller bei m Instanziierungen eine Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m j für m>1 vor. 24 Dies ist quasi die filmische Analogie zum Präfix “ auf- ” in “ aufessen ” . 25 Grundsätzlich bedeutet “ Verkleinerung ” in einer solchen Situation, dass sich die dargestellten Äpfel (die Äpfel in der Diegese) verkleinern und nicht die Fläche der mit “ 2äpfel ” gelabelten Pixelmenge. Die Fläche könnte sich sogar vergrößern, wenn etwa die Kamera heranzoomt. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 265 PAT S ð L ; B Þ ; f ESSEN g ¼ s ; e ð Þj s 2 S L ; B ð Þ ; inst B e ; E ð Þ ; E 2 E f g ¼ s ; e ð Þj s 2 S PERSON ; 2ÄPFEL ; HINTERGRUND f g ; B ð Þ ; f inst B e ; E ð Þ ; E 2 ESSEN f gg ¼ s 2äpfel 1 ; 0 ; essen 0 ; s 2äpfel 1 ; 00 ; essen 00 j inst B 2äpfel ; 2ÄPFEL ð Þ ; n inst B essen ; ESSEN ð Þ ; inst B essen 0 ; ESSEN ð Þ ; inst B essen 00 ; ESSEN ð Þ ; essen 0 < essen ; essen 00 < essen g Die Relation PAT S(L,B),{ESSEN} kann beobachterseits als subereignis-abbildbar aufgefasst werden. Sie kann subsegment-abbildbar sein, wenn man davon ausgeht, dass jeder der zwei obigen Bissen einen ganzen (und dann wohl jeweils kleinen) Apfel verschlingt. Andernfalls muss sie für die Beobachtermenge subobjekt-abbildbar sein. Sie erfüllt zudem für die Beobachtermenge die Forderung nach Objekt-Eindeutigkeit, wenn die (Teil-)Segmente s 2äpfel 1 ; 00 , s 2äpfel 1 ; 0 und s 2äpfel 1 ; mit dem gleichen Label “ 2äpfel ” gelabelt werden. Die Ereignisklasse ESSEN ist damit in der vorgestellten Einstellung für eine geeignete Beobachtermenge, die die Quantelung der zwei Äpfel annimmt, graduell (1,1)-PAT-verankerbar und damit als ein Accomplishment verankerbar. Im Falle eines Achievements, dass “ in ” einer Einstellung diese auszeichnend repräsentiert ist, muss eine Instanz e existieren mit inst B (e,E), das Objekt, das in der PAT S(L,B),{E} -Relation zu dem konzeptionalisierten Ereignis steht, gequantelt sein und E in dieser Einstellung (1, m)-verankert sein. In der vorliegenden Arbeit gehen wir davon aus, dass ein nur einmal instanziiertes Achievement “ natürlich ” nur in einer Einstellung repräsentiert werden kann, also stets (1,1)-PAT-verankert ist, wenn dieses Achievement diese Einstellung auszeichnet. Alles andere (Mehrfachrepräsentation desselben Achievements, etc.) muss einer eigenen Analyse punkthafter filmischer Ereignisrepräsentationen vorbehalten bleiben (cf. auch Abschnitt 15). 11 Graduelle Handlungen und (autonome) Segmente Graduelle Handlungen lassen sich im Unterschied zu punkthaften Handlungen leicht auf mehrere Einstellungen verteilen. Es stehen mit den obigen Ausführungen auch die wesentlichen Mittel bereit, für Aktivitäten und Accomplishments in den Szenarien (R2) der Verteilung eines Ereignisses auf mehrere Einstellungen vom Typ n ½ ½ 1 j , n > 1, sowie (R3) einer Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m mit m > 1 (ggf. mit einer Fusion und dann vom Typ 1 ½ ½ mF ) Randbedingungen filmischer Realisationen anzugeben. Dazu sind vorab einige Präzisierungen und Festlegungen für diese beiden Typen nötig. Für das Szenario (R2) vom Typ n ½ ½ 1 j liegt nun definitionsgemäß eine (n,1)-Verankerung einer Handlung unter allen R vor. Für die Repräsentation einer graduellen Handlung - ein Achievement ist ja mit den obigen Einschränkungen ohnehin ausgeschlossen - in n Einstellungen vom Typ n ½ ½ 1 j kann ferner wieder angenommen werden, dass die betroffenen 266 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Einstellungen nicht durchweg anderweitig syntagmatisch gebunden sind. Zu behandeln ist daher im Weiteren nur der Fall einer nicht syntagmatischen Gruppierung von wenigstens zwei Einstellungen eines Segmentes vom Typ n ½ ½ 1 j aus verschiedenen Raumgebieten durch eine Beobachtermenge zur Repräsentation einer Aktivität oder eines Accomplishments. Im Szenario (R3) liegt für den Typ 1 ½ ½ m für m > 1 nach dem in Abschnitt 3 Gesagten unter den m Handlungen wenigstens eine vor, die auch in einer weiteren Einstellung verankert ist in einem Segment S vom Typ n ½ ½ 1 j . Es gibt also ein Segment S=(E 1 , E 2 ,. . ., E n ) mit n > 1, so dass diese Handlung als “ Stammhandlung ” in S (n,1)-verankert ist. Wir diskutieren drei Fälle: l Es liegt mit der Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m in S eine “ Nebenhandlung ” zur Stammhandlung in S vor, die das Layout von S nicht beeinflusst. In Abb. 5 sei eine solche “ Nebenhandlung ” für die Einstellung E 2 skizziert. Abb. 5: Stammhandlung mit vollständig repräsentierter Nebenhandlung Die Linien in den Einstellungskästen denotieren die Dauer einer Handlung. E 2 repräsentiert also zwei Handlungen und ist vom Typ 1 ½ ½ 2 . Ist die “ obere ” Nebenhandlung auf E 2 beschränkt, liegt spezifischer der Typ 1 ½ ½ 1 jþ 1 vor. Dieser Fall tritt insbesondere ein, wenn als zweite Handlung ein Achievement gegeben ist, das nach unseren Annahmen in Abschnitt 9 nur in einer Einstellung repräsentiert ist (für eine Visualisierung ersetze man in der Skizze die obere Linie in E 2 für ein Achievement durch einen Punkt). l In Abwandlung des ersten Beispiels liege mit der Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m in S eine andere Handlung vor, die anderswo (nicht notwendig in S) fortgesetzt wird, ohne dass sie das Defaultlayout von S beeinflusst. In Abb. 6 sei dies für die Einstellung E 2 und E n skizziert, in denen beispielhaft eine auf zwei Einstellungen verteilte Handlung auch in S repräsentiert sei. Abb. 6: Stammhandlung mit teilweise repräsentierter Nebenhandlung Beide Einstellungen sind E 2 und E n hier vom Typ 1 ½ ½ 0 jþ 2 . l Im Unterschied zu den beiden vorigen Beispielen beeinflusse die Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m das Layout von S. Dies kann auf vielfältigste Art und Weise geschehen. Ein filmisch wichtiges Beispiel ist für eine solche Situation eine Fusion einer Handlung in der Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m (und damit der Fall 1 ½ ½ mF für m > 1) mit der Stammhandlung in S. Dann ist das Anfang oder das Ende beider Handlungen betroffen. In Abb. 7 sei eine solche Fusion für die Einstellung E 1 skizziert (eine entsprechend analoge Skizze kann man für E n mit vertauschten Rollen machen). Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 267 Abb. 7: Stammhandlung mit initialer Fusion einer Nebenhandlung E 1 ist hier vom Typ 1 ½ ½ 2F . Eine Anforderung für ein Defaultlayout bei einer solchen Fusion mit der Stammhandlung der Einstellungsmenge vom Typ n ½ ½ 1 j ist, dass die fusionierende Einstellung vom Typ 1 ½ ½ 2F am Anfang oder am Ende des zugehörigen Segments steht und so dessen Defaultlayout beeinflusst. Kommt also eine Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m in einem Segment S vom Typ n ½ ½ 1 j vor, können wir für das Weitere zunächst festhalten: l Es liegt nur wenigstens eine Handlung, die nur in der Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m repräsentiert ist, vor mit keiner weiteren Handlung, die anderswo im Dokument repräsentiert ist. Das Layout von S wird nicht beeinflusst. Dann liegt der Typ 1 ½ ½ m 0 jþ 1 für m'+1=m > 0 vor. - Dies ist der Fall einer oder mehrerer Nebenhandlungen in einer Einstellung, insbesondere auch bei nebenläufigen Achievements. l Es gibt in der Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m eine Handlung, die auch in einer anderen Einstellung repräsentiert ist, verschieden von der Stammhandlung von S ist und das Layout von S ebenfalls nicht beeinflusst (aber ggf. eigene Layoutanforderungen über mehrere Einstellungen stellt). Dann liegt der Typ 1 ½ ½ m 0 jþ m 00 þ 1 für m=m ′ +m ′′ +1 vor. - Wichtige Beispielmengen sind hier in S schon beginnende Handlungen, die sich erst später und dann unabhängig von S mit ggf. eigenen Layoutanforderungen entfalten. l In der Einstellung vom Typ 1 ½ ½ m liegt eine Handlung vor, die das Layout von S beeinflusst, zum Beispiel dadurch, dass sie mit der Stammhandlung in S in irgendeiner Weise “ wechselwirkt ” . - Eine besonders wichtige Beispielmenge ist, wie eingangs bereits gesagt, das Vorliegen von Fusionen in S mit einer Handlung aus einer Einstellung vom Typ 1 ½ ½ mF : Eine generelle Untersuchung dieses letzten Falles muss in weiteren Arbeiten geschehen. Wir beschränken uns auf Fusionen, da diese ein filmsyntagmatisch besonders wichtiges Beispiel für Handlungen darstellende Filme sind und solche Filme von natürlichsprachlichen Texten besonders stark unterscheiden (Bateman & Schmidt 2011/ 2014: 200). Ebenfalls aus Platzgründen wird für diesen Fall im Weiteren nicht unterschieden, ob bei einer einleitenden bzw. ausleitenden Einstellung (wie in den obigen Beispielen in E 1 bzw. E n ) für den Übergang ein diegetischer Zusammenhang (z. B. durch eine Ursache-Wirkungs- Beziehung) besteht oder ob die Zusammenstellung willkürlich (im filmischen “ telling of the story ” ) erfolgt. 26 Vor dem Hintergrund dieser Einschränkungen und Festlegungen können wir nun die cinematographische Repräsentation von Aktivitäten und Accomplishments für Realisa- 26 Ob und wie die nicht in der fusionierenden Einstellung repräsentierten Teile der in Rede stehenden zweiten Handlung in den anderen Einstellungen des Dokuments verteilt sind, ist a priori freigestellt bis auf die Anforderung für ein Defaultlayout, dass alle anderen Einstellungen der zweiten Handlung vor dem Anfang (respektive: nach dem Ende) der fusionierenden Einstellung layoutiert werden. 268 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) tionen des Typs n ½ ½ 1 j für n>1 (mit dem Szenario (R2)) und 1 ½ ½ m für m > 1 (mit dem Szenario (R3)) diskutieren. 12 Zur filmischen Repräsentation von Aktivitäten Aktivitäten legen aus sich heraus für ihre filmische Repräsentation keine Ordnung nahe, wie sich bei der Analyse von Aktivitäten sowohl im Szenario (R2) als auch (R3) zeigt. (R2) Dass die Repräsentation einerAktivität in mehreren Einstellungen vom Typ n ½ ½ 1 j für diese bis auf die ggf. repräsentierten Randpunkte (Anfang und Ende) keine Ordnung erzwingt, folgt aus der “ Subintervall-Property ” , wie sie schon (Bennett& Partee 1978) benutzen. Mit dieser kann man um z. B. zwischen run und run a mile unterscheiden: Wenn run für ein diegetisches Zeitintervall t wahr ist, dann ist es auch für jeden Teil von t wahr - in der Notation von (Hock & Krifka 2002: 1): φ ist atelisch, wenn gilt: Wenn [ φ ](t) und t ′⊆ t, dann gilt auch [ φ ](t ′ ). Wenn etwas für jedes Subintervall gilt, ist die Reihenfolge der (ggf. partiellen) filmischen Repräsentation der Subintervalle in Einstellungen für die Zeitdiegese der Aktivität unerheblich. Bezogen auf den Inhalt der Aktivität ist einem Beobachter dann die Ordnung der Einstellungen des Segmentes bis auf die möglicherweise repräsentierten Randpunkte einerlei und jede ihrer Permutationen recht. Insbesondere genügt ihm jede layoutierte Reihenfolge, wenn er z. B. nur die Tatsache extrahieren soll, dass die Aktivität “ Äpfel essen ” ohne Anfang und Ende repräsentiert wird. Andere, ggf. ästhetische Randbedingungen, die eine Ordnung der Einstellungen nahelegen (zum Beispiel durch Ordnung von Einstellungsgrößen), bleiben dabei natürlich unberücksichtigt. 27 Wenn beispielsweise Johanna an Äpfeln ohne einen für einen Beobachter erkennbaren Essfortschritt “ herumnagt ” , dann konzeptionalisiert ein Beobachter i. Allg. keine telische Essgeschichte. Johannas atelische Essaktivität sei für die Beobachter die einzig mögliche Bindung zwischen den jeweiligen Einstellungen im Dokument - die gegebenen Einstellungen sind ja nach Voraussetzung nicht in großen Syntagmen und damit also auch nicht in einem deskriptiven Syntagma (Schmidt 2008) gebunden. Johanna isst dann in wenigstens zwei verschiedenen Raumzeitgebieten einfach Äpfel: “ Johanna Äpfel ess -” {e | ∃ x (ESS(e) ∧ ÄPFEL(x) ∧ AG(e,johanna) ∧ PAT(e,x))}. Die Verankerung an die verschiedenen Raumzeitgebiete in einer filmischen Realisation erfolge mit den hier vorgestellten Methoden für Johanna und die Äpfel über die segmentthematische Relation PAT S(L,B),E für ein VideoSegment S mit zwei Einstellungen: S=(T 1 , T 2 ). Das einmal instanziierte Essereignis ‘ essen ’ sei in T 1 und T 2 zunächst graduell (2,1)verankerbar, indem Johanna m 1 -mal in T 1 und m 2 -mal in T 2 in einen Apfel beißt, m 1, m 2 >0. Für die segment-thematische Relation PAT S(L,B),E gilt in diesem Fall: 27 Möchte man einen Effekt über die Zeitdiegese hinaus erzielen durch Ordnung von Einstellungsgrößen, sind filmische Mechanismen im Spiel, die wir hier nicht betrachten, die aber für die Gesamtinszenierung natürlich sehr wichtig sein können. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 269 PAT S ð L ; B Þ ; f ESSEN g ¼ s ; e ð Þj s 2 S L ; B ð Þ ; inst B e ; E ð Þ ; E 2 E f g ¼ s ; e ð Þj s 2 S PERSON ; ÄPFEL ; HINTERGRUND f g ; B ð Þ ; f inst B e ; E ð Þ ; E 2 ESSEN f gg ¼ s äpfel 1 ; ð 1 Þ ; essen ; . . . ; s äpfel 1 ; ð m 1 Þ ; essen ; n s äpfel 2 ; ð 1 Þ ; essen ; s äpfel 2 ; ð 2 Þ ; essen ; . . . ; s äpfel 2 ; ð m 2 Þ ; essen j inst B äpfel ; ÄPFEL ð Þ ; inst B essen ; E ð Þg Möchte man auch in der Repräsentation die mehrfachen Beißvorgänge sichtbar machen, die ja eine graduelle Interpretation filmisch nahelegen, kann man die PAT-Relation wie folgt beschreiben: PAT S ð L ; B Þ ; f ESSEN g ¼ s ; e ð Þj s 2 S L ; B ð Þ ; inst B e ; E ð Þ ; E 2 E f g ¼ s ; e ð Þj s 2 S PERSON ; ÄPFEL ; HINTERGRUND f g ; B ð Þ ; f inst B e ; E ð Þ ; E 2 ESSEN f gg ¼ s äpfel 1 ; ð 1 Þ ; beißen ð 1 Þ ; . . . ; s äpfel 1 ; ð m 1 Þ ; beißen ð m 1 Þ ; n s äpfel 2 ; ð 1 Þ ; beißen ð m 1 þ 1 Þ ; s äpfel 2 ; ð 2 Þ ; beißen ð m 1 þ 2 Þ ; . . . ; s äpfel 2 ; ð m 2 Þ ; beißen ð m 1 þ m 2 Þ j inst B äpfel ; ÄPFEL ð Þ ; beißen ð 1 Þ < essen für 1 i m 1 þ m 2 ; inst B essen ; E ð Þ Im VideoSegment S ist für die Beobachtermenge B die Ereignisklasse ESSEN dann als Aktivität verankerbar, wenn die Ereignisklasse ESSEN mit inst B (e,ESSEN) in S graduell (2,1)- PAT-verankerbar ist und die instanziierten Objekte der Klasse ÄPFEL, die in der PAT S(L,B),{E} - Relation zu dem konzeptualisierten Ereignis stehen, beobachterseits kumulativ aufgefasst werden können. Die in diesem Sinne den beiden Einstellungen gemeinsame Aktivität des Apfelessens kann das Segment für einen geeigneten Beobachter als autonomes Segment auszeichnen. Dies kann auch dann geschehen, wenn beide Einstellungen zwei verschiedenen syntagmatischen Strukturen der großen Syntagmatik angehören: Die Einstellung T 1 könnte eine Einstellung einer Szene sein, in der Johanna Äpfel auch betrachtet, und T 2 könnte Einstellung einer Sequenz sein, in der Johanna weitere Äpfel eines Baumes pflückt. Zwischen den beiden Einstellungen T 1 und T 2 gebe es nur den “ Link ” der Aktivität des Apfelessens. Dieser ist, wenn Anfang und Ende nicht repräsentiert sind, nicht gerichtet: Es könnte für diese Aktivität T 2 also vor T 1 stehen, so dass in einem Defaultlayout die Reihenfolge dieser Einstellungen wenigstens nicht aus Gründen der Zugehörigkeit zu diesem die Aktivität repräsentierenden Segment festgelegt werden muss. (R3) Es verbleibt der Typ 1 ½ ½ m , m>1. Liegt für diesen nur in einer einzigen Einstellung eine Aktivität als Nebenhandlung vor, führt dies pragmatisch oft zu einem “ Anreichern ” einer 270 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Haupthandlung mit weiterem Treiben im Filmbild. Filmsyntagmatisch muss es mit den hier gegebenen Einschränkungen nicht weiter behandelt werden, wie wir in Abschnitt 11 mit der Kennzeichnung des Typs 1 ½ ½ m jþ 1 schon festgestellt haben. Bei Verteilung auf mehrere Einstellungen stellt eine Aktivität ebenfalls dann keine Defaultanforderungen an das Layout, wenn, wie gerade für (R2) gesehen, kein Anfang und kein Ende der Aktivität repräsentiert ist. Es verbleibt hier der Fall einer Einstellung vom Typ 1 ½ ½ mF , in der die Repräsentation wenigstens einer Aktivität endet oder beginnt und die Repräsentation wenigstens einer anderen Handlung beginnt oder endet. Unter Beteiligung einer endenden Aktivität an erster Stelle gibt es zunächst zwei Möglichkeiten bei der Fusion mit der Stammhandlung in einem Segment vom Typ n ½ ½ 1 j : l Eine Aktivität wird mit einer (Stamm-)Aktivität fusioniert: in einer Einstellung endet eine Aktivität und eine andere beginnt. Dann sind in der fusionierenden Einstellung die zwei Aktivitäten bei Instanziierung derselben Ereignisklasse geeignet (1,2)-verankert (etwa unterAG und PAT: Johanna nagt an Äpfeln herum; sie trifft in einer Einstellung Hans und stellt das Herumnagen ein; dieser beginnt ebenfalls, an Äpfeln herumzunagen) oder bei verschiedenen Ereignisklassen jeweils geeignet (1,1)-verankert (wiederum unter AG und PAT: dasselbe Szenario, aber Hans beginnt, ein Kaugummi zu kauen). Im Defaultlayout wird diese fusionierende Einstellung zwischen den (ggf. vorhandenen) Einstellungen, die andere Teile der ersten Aktivität repräsentieren, und (den notwendig vorhandenen weiteren) Einstellungen der Stammhandlung, die andere Teile der zweiten Aktivität repräsentieren, liegen. l Eine Aktivität wird mit einem (Stamm-)Accomplishment fusioniert: Wenigstens ein letzter Teil der Aktivität wird in derselben Einstellung gefolgt von einem ersten Teil des (ggf. bewirkten) Accomplishments. Im Defaultlayout wird daher diese Einstellung zwischen den sonstigen Einstellungen der Aktivität und der “ diegetisch ersten ” Einstellung des Accomplishments der Stammhandlung stehen (Beispiel: Es wird im Obstgarten in der Baumanlage gespielt und dann ein Apfelbaum in mehreren Einstellungen gefällt; der Fällvorgang beginnt in der Einstellung, in der der letzte Teil des Spielens repräsentiert wird). Damit sind alle möglichen Fusionen mit einer Aktivität an erster Stelle und einem Segment vom Typ n ½ ½ 1 j behandelt, da nach dem in Kapitel 9 und 10 Gesagten ein Achievement als Stammhandlung in einem Segment vom Typ n ½ ½ 1 j nicht in Frage kommt. Bei der Fusion mit einer Aktivität an zweiter Stelle sind im Wesentlichen dieselben Argumente zu führen. Insgesamt ist die cinematographische Repräsentation von Aktivitäten für Realisationen der Typen 1 ½ ½ 1 j , 1 ½ ½ mF für m > 1 und n ½ ½ 1 j mit n > 1 unter den oben genannten Einschränkungen behandelt. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 271 13 Zur filmischen Repräsentation von Accomplishments Accomplishments legen für ihre filmische Repräsentation im Unterschied zu Aktivitäten eine Ordnung nahe. Für die Reihenfolge der ein Accomplishment repräsentierenden Einstellungen ist deshalb ein Defaultlayout festlegbar: Abfolgen auf der Leinwand entsprechen im Default diegetischen Abfolgen homomorph. 28 (R2) Auf Basis der bisherigen Darstellung ist für ein Segment S = (T 1 , T 2 ,. . ., T n ), n > 1, vom Typ n ½ ½ 1 j zu analysieren, wie ein Ereignis, das als graduell (n,m)-PAT-verankerbar vorausgesetzt wird, auch als Accomplishment identifiziert werden kann, wenn es in wenigstens zwei Einstellungen in verschiedenen Raumzeitgebieten repräsentiert wird. Dies läuft im Wesentlichen analog zur Analyse des Typs n ½ ½ 1 j bei den Aktivitäten - man muss nur beachten, dass die Verlinkung von wenigstens zwei Einstellungen durch die Verankerungen eines Accomplishments typischerweise “ gerichtet ” ist, wohingegen eine Verlinkung durch die Verankerungen einerAktivität typischerweise “ ungerichtet ” ist. Wenn dann etwa zwei Einstellungen zwei verschiedenen syntagmatischen Strukturen der großen Syntagmatik angehören, sollte die Einstellung T 1 (etwa als Einstellung in einer Szene) im Layout eines filmischen Gesamtdokuments vor T 2 (etwa als Einstellung in einer Sequenz) liegen, um diese Richtung auch zu repräsentieren, unabhängig davon, wie die beherbergende Szene und die beherbergende Sequenz sonst ineinander geschnitten sind. (R3) Es verbleibt der Typ 1 ½ ½ m . Liegt für diesen Fall in nur einer einzigen Einstellung ein Accomplishment als Nebenhandlung vor, ist dies in Abschnitt 11 mit der Kennzeichnung des Typs 1 ½ ½ m jþ 1 - wie bei den Aktivitäten - schon behandelt. Bei der Verteilung eines Accomplishments auf ein mehrere Einstellungen umfassendes Segment S = (T 1 , T 2 ,. . ., T n ) des Typs n ½ ½ 1 j , n > 1, das eine Stammhandlung repräsentiert, ist der Fall ebenfalls erledigt, wenn das Layout dieses Segments auch bei einer erzwungenen Anordnung der das Accomplishment repräsentierenden Einstellungen unbeeinflusst bleibt. Andernfalls gibt es unter Beteiligung eines Accomplishments nach den in Abschnitt 11 gemachten Einschränkungen zwei Möglichkeiten der Fusion vom Typ 1 ½ ½ mF , m > 1 (ohne Annahmen zu einem inhaltlichen Wirkzusammenhang), wenn man annimmt, dass das Accomplishment an erster Stelle steht: l ein Accomplishment wird mit einer (Stamm-)Aktivität fusioniert; l ein Accomplishment wird mit einem (Stamm-)Accomplishment fusioniert. In beiden Fällen wird wenigstens ein letzter Teil eines Accomplishments in derselben Einstellung gefolgt von einem ersten Teil des (ggf. bewirkten) zweiten graduellen Ereignisses. Es wird daher im Defaultlayout die Einstellung vom Typ 1 ½ ½ mF zwischen den sonstigen Einstellungen des Trägers des ersten Accomplishments und des folgenden Accomplishments bzw. der folgenden Aktivität stehen. In einem letzten Beispiel werde ein Apfel aufgegessen und dann der zweite graduelle Essprozess wenigstens begonnen. Zur Modellierung werde zunächst das graduelle Ereignis 28 Für die Definitionen von “ Szene ” und “ Sequenz ” (cf. (Bateman & Schmidt 2011/ 2014: 207 bzw. 210)) ist eine solche Homomorphieanforderung ebenfalls ein wesentliches Kriterium. 272 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) “ Johanna isst (zwei) Äpfel ” repräsentiert, wobei für das Essen des ersten Apfels auf jeden Fall ein Accomplishment angenommen wird und das Essen des zweiten Apfels dann telisch oder atelisch fortgesetzt wird. O. B. d. A. sei angenommen, dass S aus zwei Einstellungen besteht, S=(T 1 , T 2 ), und die Fusion in T 1 vorliegt. Die Fusion sehe im Detail so aus, dass Johanna in T 1 das Essen eines ersten Apfels beginnt und beendet. Das Ereignis “ Essen des ersten Apfels ” sei dabei in T 1 graduell (1,1)-PAT-verankerbar, indem Johanna m 1 -mal in den Apfel beißt. Das Essen eines zweiten Apfels beginne auch in T 1 mit genau einem Bissen, werde dann in T 2 fortgesetzt und ende auch in T 2 . Johanna beiße m 2 -mal in den zweiten Apfel. Auch diese (Teil-)Ereignisse von essen, inst B (essen,ESSEN), seien beobachterseits graduell (2,1)-PAT-verankerbar in S. Insgesamt sei das Ereignis “ Johanna isst (zwei) Äpfel ” in S graduell (2,2)-PAT-verankerbar mit m=m 1 +m 2 Teilereignissen beißen (i) < essen, 1 ≤ i ≤ m. Für die segment-thematische Relation PAT S(L,B),E gilt in diesem Fall mit den sonstigen Klassen aus Abschnitt 6: PAT S ð L ; B Þ ; f ESSEN g ¼ s ; e ð Þj s 2 S L ; B ð Þ ; inst B e ; E ð Þ ; E 2 E f g ¼ s ; e ð Þj s 2 S PERSON ; APFEL ; HINTERGRUND f g ; B ð Þ ; f inst B e ; E ð Þ ; E 2 ESSEN f gg ¼ s apfel1 1 ; ð 1 Þ ; beißen ð 1 Þ ; . . . ; s apfel 1 ; ð m 1 Þ ; beißen ð m 1 Þ ; n s apfel1 1 ; ð 1 Þ ; beißen ð m 1 þ 1 Þ ; s apfel2 2 ; ð 2 Þ ; beißen ð m 1 þ 2 Þ ; . . . ; s apfel2 2 ; ð m 2 Þ ; beißen ð m 1 þ m 2 Þ j inst B apfel1 ; APFEL ð Þ ; inst B apfel2 ; APFEL ð Þ ; beißen ð i Þ < essen ; inst B essen ; E ð Þ ; für 1 i m g Abhängig davon, ob der zweite Essprozess für den Beobachter telisch oder nicht telisch inszeniert wird, ist der zweite Essprozess als Accomplishment oder als Aktivität verankerbar. Eine naheliegende Inszenierung für den ersten Fall ist die Darstellung des natürlichen Endes der zweiten Esshandlung, so dass Anna für den Beobachter zwei Äpfel gequantelt isst. Im zweiten Fall muss das Ende der Esshandlung willkürlich sein, beendet etwa durch (für den Beobachter kumulatives) mürrisches Herumnagen an einem größeren Apfelrest. Damit ist die cinematographische Repräsentation von Accomplishments für Realisationen der Typen 1 ½ ½ mF für m > 1 und n ½ ½ 1 j , n > 1, unter den oben genannten Einschränkungen exemplarisch behandelt. 14 P. S.: Telizität und Diegetizität - Denotation und Exemplifikation Schon in (Schmidt 2008: Abschnitt 13) wurde die konzeptionelle Nähe zwischen den “ deskriptiven Syntagmen ” und dem Metz ’ schen “ Syntagma mit Klammerung (bracket syntagma) ” unter bezugstheoretischem Gesichtspunkt angesprochen: Die deskriptiven Syntagmen klassifizieren denotativ Segmente, in denen es keinen zeitdiegetischen Fort- Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 273 schritt gibt; das Syntagma mit Klammerung klassifiziert Einstellungen, die exemplifikatorisch “ als typische Beispiele für eine bestimmte Realität angesehen werden. ” (Metz 1972: 173). Diese Analysen kann man hier mit den obigen Einsichten in graduelle filmische Repräsentationen ein Stück weitertreiben. Dazu wird nun noch einmal Johannas Essaktivität als einzige Bindung zwischen den Einstellungen vom Typ n ½ ½ 1 j in einem gegebenen Dokument betrachtet. O. B. d. A. sei angenommen, dass Johanna in wenigstens zwei verschiedenen Raumzeitgebieten telisch eine Anzahl von Äpfeln auf- oder atelisch an Äpfeln herumisst. Im telischen Fall wird der Beobachter das Geschehen verfolgen, um das natürliche Ende zu ermitteln, so dass er an die Erkennung des graduellen diegetischen Fortschritts im Filmbild gebunden ist und dieses denotativ “ liest ” . Da die Einstellungen vom Typ n ½ ½ 1 j hier wenigstens teilweise aus verschiedenen räumlich unzusammenhängenden Raumzeitgebieten stammen, könnten sie vom Beobachter so konzeptualisiert werden, dass er sich diese in ein gemeinsames größeres Raumzeitgebiet eingebettet denkt (zwei verschiedene Ausschnitte aus dem großen Obstgarten cf. (Schmidt 2008: Abschnitt 7)). - Er könnte aber noch weitergehen und sich nur für dieses Ereignis ohne seine konkrete Einbettung in eine raumzeitliche Umgebung interessieren: Dann faktorisiert der Beobachter den jeweiligen raumzeitlichen Kontext der jeweiligen Repräsentation von Johanna aus. Es geht ihm dann im Beispiel nur um die Äpfel essende Johanna und nicht um die Raumzeitgebiete, in denen sie das tut. Solange der Beobachter Johanna und/ oder den jeweiligen Apfel, also Agent und/ oder Patiens des Ereignisses, in den einzelnen Einstellungen erkennen kann, kann er das Dargestellte aber immer noch als ein (zusammengehöriges) diegetisches Ereignis konzeptualisieren und diegetisch bis zum ggf. natürlichen Ende verfolgen, um die Frage zu beantworten: Isst Johanna einen Apfel nun auf oder nicht? Im Unterschied dazu kann die Repräsentation einer atelischen Aktivität “ jederzeit ” deren willkürliches Ende erreichen - auch der Beobachter kann jederzeit den Beobachtungsvorgang abbrechen, wenn er von der Repräsentation der atelisch repräsentierten Handlung genug hat. Dann ist die Diegese des Restes der Einstellungsmenge unwichtig. Dies ist ein Einfallstor für exemplifikatorische Lesarten einer Menge von Einstellungen insbesondere vom Typ n ½ ½ 1 j . Denn aus “ Johanna Äpfel ess -” {e | ∃ x (ESS(e) ∧ ÄPFEL(x) ∧ AG(e, johanna) ∧ PAT(e, x))}. kann dann auch leicht der Agent ausgeblendet werden (cf. (Krifka 2003, 32)): “ Äpfel ess -” {e | ∃ x (PAT(e, x) ∧ ÄPFEL(x) ∧ ESS(e))} Geht es z. B. in einerApfelwerbung nur um dieÄpfel und ihr (begeistertes) Gegessenwerden, nicht aber um Johanna, wird man cinematographisch auch verschiedene Esser (nicht nur Johanna) repräsentieren. 29 29 Ein schönes Beispiel aus der Werbewelt ist dafür die von Baldry und Thibault umfassend analysierte WESTPAC-Werbung (Baldry & Thibault 2005: Appendix I). 274 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) Ist dieser Punkt erreicht, kann der Unterschied zwischen denotativer und exemplifikatorischer filmischer Bezugnahme gleichsam im Entstehen beobachtet werden. Bisher stehen diese beiden Weisen der Bezugnahme als Gegensatzpaar nebeneinander: Ist Denotation Bezugnahme durch ein Etikett auf etwas, worauf es zutrifft, so ist Exemplifikation umgekehrt Bezugnahme durch Einzelfälle einer Probe auf ein Etikett, das diese Einzelfälle denotiert (Schmidt 2008: 259) unter Bezug auf (Goodman & Elgin 1989: 35 und 166). Die obige Entwicklung der zunehmend “ abgespeckten ” denotativen Inhaltsbeschreibungen erlaubt es nun, das Entstehen einer exemplifikatorischen Lesart für eine Einstellungsmenge tatsächlich nachzuvollziehen: Geht es dem Beobachter nur um den “ Thread des Apfelessens ” , faktorisiert er zunächst den spezifischen raumzeitlichen Kontext der jeweiligen Repräsentation aus, in der das Apfelessen geschieht und der in diesem Papier mit hintergrund1, inst B (hintergrund1,HIN TERGRUND) etc. gelabelt wird. Dann kann aber immer noch die Apfel essende Johanna über mehrere Raumzeitgebiete verfolgt werden. Wird auch das aufgegeben (s. o.), gibt es keine einheitliche Handlung mehr für die Einstellungsmenge und das ganze Segment wird mit jeder seiner Einstellungen, in denen Einzelfälle von Apfelessen repräsentiert werden, anschlussfähig für die exemplifikatorische “ Bezugnahme durch Einzelfälle einer Probe auf ein Etikett, das diese Einzelfälle denotiert ” . Dann liegt nach Metz ein “ Syntagma mit Klammerung vor ” . An dieser Stelle verlässt man dann die filmische Repräsentation spezifischer Situationen, 30 die in jedem Falle - ob syntagmatisch oder nicht - zukünftiger Forschung überlassen bleiben müssen (cf. auch (Bateman & Schmidt 2011/ 2014: 242)). 15 Ausblick und Dank Klassifiziert man alle Situationstypen als Zustände oder als Ereignisse, die für Handlungen wiederum graduell in Aktivitäten sowie Accomplishments und punktuell in Achievements gegliedert werden können, sind mit der vorliegenden Analyse die Grundlagen für die filmische Repräsentation gradueller Handlungstypen abgehandelt. Für punktuelle Ereignistypen fehlt damit noch die systematische Behandlung von Achievements. In der vorliegenden Analyse wird einschränkend davon ausgegangen, dass ein einzelnes Achievement, wenn es innerhalb einer Einstellung repräsentiert wird, stets nur (1,m)-verankert sein kann (siehe den Schluss von Abschnitt 9 und Abschnitt 10). Da Achievements punkthaft sind (s. Abb. 8), kann ein Achievement grundsätzlich auch “ zwischen ” zwei Einstellungen liegen, die dann jeweils einen Zustand vor und nach einem Achievement repräsentieren. 30 Cf. auch Colin in (Buckland 1995: 68): “ In other words, the bracket syntagma can also be considered as being descriptive; it does not then describe a specific situation, but a type of situation. In the case of the descriptive syntagma, the situation is specific and therefore localised in the diegesis ( ‘ connected to the rest of the narrative ’ , as Metz would say), which is not true of a type of situation ” . Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 275 Abb. 8: Zeitlich punkthafter Übergang zwischen zwei Zuständen Aus diesem Grunde ist es naheliegend, die filmische Repräsentation von Achievements und Zuständen in einer weiteren Analyse gemeinsam zu behandeln. Ist dies geschehen, sind auch alle Situationstypen für filmische Repräsentationen von Handlungen behandelt. Große Teile dieser Arbeit wurden in der Eeterij “ Tante A ’ n ” auf Ameland und im Park- Restaurant in Bielefeld geschrieben. Danke für Strom und Sitzplätze. Prof. Bateman von der Universität Bremen verwies uns auf die Vorlage der in Abschnitt 9 nachgezeichneten Graphik. Literatur Allen, James F. & Hayes, Patrick J. 1985: “ A Common-Sense Theory of Time ” , in: Aravind, Joshi (ed.) 1985: Proceedings of IJCAI (1985): 528 - 531, Los Altos, Calif.: Kaufmann Baldry, Anthony & Thibault, Paul J. 2005: Multimodal Transcription and Text Analysis: A Multimedia Toolkit and Coursebook. London, Oakville, CT: Equinox Bateman, John A. & Schmidt, Karl-Heinrich 2011/ 2014: Multimodal film analysis: How films mean, New York: Routledge Buckland, Warren (ed.) 1995: The Film Spectator: From Sign to Mind, Amsterdam: Amsterdam University Press Bennett, Michael, Partee, Barbara H. 1978: Toward the logic of tense and aspect in English, Bloomington Indiana: Indiana Univ. Linguistics Club Bußmann, Hadumod (ed.) 3 2002: Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart: Kröner Colin, Michel 1995: The grande syntagmatique revisted, in: Buckland (ed.) 1995: 45 f. Enzensberger, Hans Magnus 2006: Gedichte: 1950 - 2005, Frankfurt, M.: Suhrkamp Filip, Hana 1989: “ Aspectual properties of the an-construction in German ” , in: Abraham, Werner & Janssen, Theo (eds.) Tempus - Aspekt - Modus. Die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen, Tübingen: Niemeyer Goodman, Nelson 1969: Languages of Art: An Approach to a Theory of Symbols, London: Oxford University Press Goodman, Nelson 1973: Sprachen der Kunst. Ein Ansatz zu einer Symboltheorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp Goodman, Nelson & Elgin, Catherine Z. 1989: Revisionen - Philosophie und andere Künste und Wissenschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp Halliday, Michael A. K., Matthiesen, Christian M. I. M. 1999: Construing Experience Through Meaning, London and New York: Cassell (=Open linguistics series) Hickethier, Knut 4 2007: Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart u. a.: Metzler Hock, Wolfgang & Krifka, Manfred 2002: Zeitkonstitution: Telizität und Atelizität. Materialsammlung zum Seminar Aspekt und Zeitkonstitution, Berlin, im Internet unter http: / / amor.cms.hu-berlin.de/ ~h2816i3 x/ Lehre/ 2002_HS_Aspekt/ Aspekt-3.pdf [27. 03. 2017] 276 Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher (Wuppertal) ISO/ IEC 15938 - 5: 2003 Information Technology - Multimedia Content Description Interface - Part 5: Multimedia Description Schemes. Krifka, Manfred 1989: Nominalreferenz und Zeitkonstitution: zur Semantik von Massentermen, Pluraltermen und Aspektklassen, München: Fink Krifka, Manfred 2003: Wie man in fünfzehn Jahren einige semantische Probleme löst, im Internet unter http: / / amor.cms.hu-berlin.de/ ~h2816i3 x/ Talks/ TimeSpanScope.pdf [27. 03. 2017] Metz, Christian 1964: “ Le cinéma: langue ou langage? ” , in: Communications 4 (1964): 52 - 90 Metz, Christian 1965: “ Une étape dans la réflexion sur le cinéma ” , in: Critique 214 (1965): 227 - 248 Metz, Christian 1966: “ La grande syntagmatique du film narratif ” , in: Communications 8 (1966): 120 - 124 Metz, Christian 1972: Semiologie des Films, München: Wilhelm Fink Verlag Mollá-Aliod, Diego 1997: Aspectual Composition and Sentence Interpretation: A formal approach. University of Edinburgh, im Internet unter http: / / citeseerx.ist.psu.edu/ viewdoc/ download? doi=10.1. 1. 36.41&rep=rep1&type=pdf [27. 03. 2017] Möller-Naß, Karl-Dietmar 1986: Filmsprache - Eine kritische Theoriegeschichte, Münster: MakS Publikationen (Film: Theorie und Geschichte 1) Reimer, Ulrich 1991: Einführung in die Wissensrepräsentation: netzartige und schema-basierte Repräsentationsformate, Stuttgart: Teubner Schmidt, Karl-Heinrich 1999: Wissensmedien für kognitive Agenten, Sankt Augustin: Infix Schmidt, Karl-Heinrich 2004: “ Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (II): Polyspatiale Alternanz ” , in: Kodikas/ Kode - Ars Semeiotica, Vol. 27/ 2004 (3 - 4): 255 - 283 Schmidt, Karl-Heinrich 2008: “ Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (III): Deskriptive Syntagmen ” , in: Kodikas/ Kode - Ars Semeiotica, Vol. 31/ 2008 (3 - 4): 217 - 270 Schmidt, Karl-Heinrich & Strauch, Thomas 2002: “ Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten. Eine semiologische Reklassifikation der Großen Syntagmatik von Metz (anhand einer Neuanalyse des Spielfilms “ Adieu Philippine ” ) ” , in: Kodikas/ Kode - Ars Semeiotica, Vol. 25/ 2002 (1 - 2): 65 - 96 Singh, Mona & Singh, Munindar P. 1992: Computing the Temporal Structure of Events in Natural Language, in: ECAI (Vol. 92: 528 - 532), im Internet unter http: / / citeseerx.ist.psu.edu/ viewdoc/ download? doi=10.1. 1. 45.9073&rep=rep1&type=pdf [27. 03. 2017] Singh, Mona & Singh, Munindar P. 1995: “ The Temporal Structure of Narratives: A Semantic Approach ” , in: Proceedings of the 2nd Conference of the Pacific Association for Computational Linguistics (Pacling), im Internet unter http: / / www.cs.ncsu.edu/ faculty/ mpsingh/ papers/ others/ pacl-narrative-95.pdf [27. 03. 2017] Smith, Barry 2005: “ The logic of biological classification and the foundations of biomedical ontology ” , in: Invited Papers from the 10th International Conference in Logic Methodology and Philosophy of Science, Oviedo, Spain (2005): 505 - 520, London: King ’ s College Publications, im Internet unter http: / / ontology.buffalo.edu/ bio/ logic_of_classes.pdf [27. 03. 2017] Smith, Barry & Rosse, Cornelius 2004: “ The role of foundational relations in the alignment of biomedical ontologies ” , Medinfo, 11, (2004): 444 - 448 Sowa, John F. 2000: Knowledge representation, Pacific Grove [u. a.]: Brooks/ Cole Vendler, Zeno 1957: “ Verbs and Times ” , in: The Philosophical Review, 66(2) (1957): 143 - 160 Verkuyl, Henk J. 1993: A theory of aspectuality: the interaction between temporal and atemporal structure, Cambridge Studies in Linguistics, Vol. 64, Cambridge: Cambridge Univ. Press Wulff, Hans, J. 2011: Accoladen: Die Montage der Listen und seriellen Reihungen, im Internet unter http: / / www.derwulff.de/ files/ 2 - 171.pdf [27. 03. 2017] Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) 277 K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Die alte Botschaft, ein neues Medium Karl Friedrich Schinkel und die Kirche zu Bischmisheim: Persönlichkeit des Architekten, gesellschaftliche Zwänge, semiotische Wechselwirkungen Hans W. Giessen (Saarbrücken) Karl Friedrich Schinkel is said to be the most important architect of Prussia. The village church of Bischmisheim plays a special role in Schinkel ’ s oeuvre, for several reasons: It is not only his southernmost but also his last village central church construction. The article describes the history of the Bischmisheim church and its role in the life of Schinkel as well as the cultural history of Prussia. In describing the interdependency between biography, history, values and art, this papers aims to be a study in cultural semiotics (in the tradition of Roland Barthes and others). 1 Karl Friedrich Schinkel und die Kirche zu Bischmisheim Karl Friedrich Schinkel, geboren am 13. März 1781 in Neuruppin nordwestlich von Berlin, war, so Joachim C. Fest, “ der erste Künstler von europäischem Rang, den [. . .] Preußen hervorgebracht hat ” (1981: 172). Schinkels Freund Clemens Brentano bezeichnete ihn gar als “ größten Architekten seit Jahrhunderten ” und als eine “ so reiche Kunstnatur, als sie das große italienische Mittelalter hervorgebracht ” habe (1951.2: 153 - 155). Vor allem gilt Schinkel als der ,Baumeister Berlins ‘ . Daher betonte Arnt Cobbers: “ Man spricht von der ,Schinkel-Zeit ’ , der ,Schinkel-Schule ‘ , ein Berliner Kunstführer nennt das 19. Jahrhundert gar das ,Jahrhundert Schinkels ’” (2002: 3). Zumindest für Berlin hat Karl Friedrich Schinkel mithin die Bedeutung, die beispielsweise Oscar Niemeyer für Brasilia, Christopher Wren für London oder Leo von Klenze für München hat - oder Schinkels Studienkollege an der Berliner Bauakademie, Carl Ludwig Engel, für Helsinki. Natürlich deutet bereits das Faktum, dass zwei so prägend wirkende Architekten wie Schinkel und Engel aus dem selben Umfeld stammen, (zumindest auch) auf überindividuelle Gründe für den Erfolg: Offenbar deckt sich die an diesem Ort und zu dieser Zeit gelehrte und dann auch gebaute Architektur in besonderem Maße mit dem Publikumsgeschmack damals und auch noch Jahrhunderte später. Offensichtlich gibt es Wechselwirkungen zwischen biographischen Elementen, Wertvorstellungen, geschichtlichen Konstellationen und künstlerischen Artefakten, die semiotisch herausgearbeitet werden können und spiegelartig wiederum als semiotische Aussagen zum Lebensweg, zum Kunstwerk, auf die historische Konstellation genutzt werden können. Es waren also die Personen, ihre Fähigkeiten, ihr Stil, auch ihr Fleiß; es war aber ebenso der Genius loci, die Zeit - glückliche Umstände. Der Berliner Freundeskreis hat weitere Architekten und Stadtplaner von besonderer regionaler oder überregionaler Bedeutung hervorgebracht, etwa Schinkels Freund Johann Gottfried Steinmeyer, der als der Baumeister von Putbus gefeiert wird. Schinkel allerdings ist, der allgemeinen Einschätzung zufolge, der Wichtigste. Ein Grund dafür ist, dass seine Karriere in der Hauptstadt Preußens verlief, das gerade zur fünften europäischen Großmacht (neben Russland, Österreich, Frankreich und England) aufgestiegen war und wo nun Bedarf nach eindrucksvoller Hauptstadtarchitektur bestand. Schinkel war ab 1810 Beamter der Preußischen Oberbaudeputation, die sowohl Funktionen eines königlichen Hofbauamts, aber auch eines, wie es heute heißen würde, Landesbauministeriums, zumindest einer Landesbaudirektion in sich vereinte. Vom einfachen Dezernenten beziehungsweise Geheimen Oberbauassessor stieg er zum Geheimen Oberbaurat und weiter bis zur Spitze der Behörde als Oberlandesbaudirektor auf. Die Behörde hatte alle Bauprojekte im Königreich Preußen zu bewerten - und gegebenenfalls zu korrigieren - , die für die Staatskasse beziehungsweise den Etat des Königs relevant waren; und Schinkel machte von seinem Recht und seinen Möglichkeiten offensiv Gebrauch. Daher gibt es von Schinkel entworfene Bauwerke auch nicht nur in Berlin, sondern im gesamten ehemaligen Königreich Preußen, von Aachen im Westen bis Königsberg im Osten und darüber hinaus bis St. Petersburg, eine Folge der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Preußen und Russland (die älteste Tochter des preußischen Königs, Charlotte, hatte 1817 Großfürst Nikolai geheiratet, der 1825 zum Zaren ernannt wurde - der preußische König war also der Schwiegervater des russischen Monarchen). Die Formel “ Von Aachen bis St. Petersburg ” , so der Titel eines Werküberblicks (2006 II), bezeichnet die Ost-West-Ausdehnung der Orte, in denen von Schinkel entworfene Bauwerke stehen. Geringfügig anders ist die Formel, wenn man auf die nördlichsten und südlichsten Punkte abstellt. Der nördlichste Punkt mit einem Schinkel-Bau wäre dann, nach wie vor, St. Petersburg mit der 1829 entworfenen Alexander Newski-Kapelle im Park von Peterhof. Der südlichste ist dann Bischmisheim im ehemaligen Landkreis Saarbrücken, weniger als zehn Kilometer von der französischen Grenze entfernt, damals rund 650 Einwohner zählend. Wieso Bischmisheim? Der Ort wurde 1816 in der Folge des Wiener Kongresses preußisch. Zuvor hatten die Franzosen im Zuge ihrer Revolution und der napoléonischen Kriege das Die alte Botschaft, ein neues Medium 279 politische System Europas durcheinandergewirbelt und auch das Gebiet an der Saar (und damit auch Bischmisheim) erobert, das zuvor zur Grafschaft Nassau-Saarbrücken zählte. Nach der Niederlage Napoléons sollten im Wiener Kongress die vorrevolutionären Zustände wiederhergestellt werden, aber vielerorts kam es auch zu völlig neuen Lösungen. So wurde Preußen die Rheinprovinz zugeschlagen: ein Großteil jener historisch deutschen Gebiete auf der linken Rheinseite, die zuvor Französisch waren. Die preußische Rheinprovinz war als Riegel gegen Frankreich gedacht. In der Folge bestand das Königreich Preußen aus zwei großen, aber nicht zusammenhängenden Teilen: das historische Kernland im Osten, und die neuen Gebiete im Westen. Die Hauptstadt der Rheinprovinz war Koblenz, die Stadt an der Mündung der Mosel in den Rhein. Im Norden reichte die neue Provinz bis Emmerich am Niederrhein, im Westen entlang der damaligen niederländischen Grenze bis Aachen, Eupen und Malmedy, dann wieter entlang der Grenze zu Luxemburg, westlich von Trier, unweit der Stelle, wo die Saar in die Mosel fließt. Der südlichste Teil der preußischen Rheinprovinz verlief entlang der Saar, er reichte bis zu ihrem Mittellauf, bis zum Landkreis Saarbrücken - und damit auch bis Bischmisheim, knapp zehn Kilometer östlich von Saarbrücken. Hier war die alte Dorfkirche, offenbar eine kleine mittelalterliche Wehrkirche aus dem 11. Jahrhundert, schon länger baufällig gewesen. 1813 musste sie sogar polizeilich geschlossen werden. Natürlich war in der Zeit der napoléonischen Kriege nicht an einen Neubau zu denken (obwohl es sogar entsprechende Pläne gegeben hat); eine notdürftige Reparatur musste reichen. Nachdem Napoléon besiegt war, Friede einkehrte und sich die neue preußische Verwaltung etabliert hatte, versuchten es die Bischmisheimer erneut. Ein Baumeister und Architekt aus dem benachbarten Saarbrücken, Johann Adam Knipper, wurde 1819 beauftragt, den Plan für einen Kirchenneubau zu erarbeiten. Gab es Vorgaben der Bischmisheimer an Knipper, die endlich eine große, moderne Kirche wollten? Oder schwatzte Knipper ihnen eine solche Kirche auf, um damit mehr Geld zu verdienen? Wie auch immer, die Pläne sahen ein Langhaus mit angebautem Turm vor, deren Realisierung sich die Gemeinde finanziell nicht leisten konnte. Um die benötigten Mittel zu erhalten, stellte sie einen Antrag an die Regierung beziehungsweise den König, der sich gerade zum Oberhaupt, zum Summus Episcopus der evangelischen Unierten Kirche Preußens ernannt hatte. Zur Prüfung mussten nicht nur ein Gutachten über die Notwendigkeit des Kirchenneubaus, sondern auch die Baupläne und eine Kostenkalkulation eingereicht werden. Also wurden die Pläne noch einmal überarbeitet und Ende Mai 1821 nach Berlin geschickt. Die Prüfung oblag der Oberbaudeputation in Berlin. Hier kommt Schinkel ins Spiel. Er schaute die Unterlagen durch, offenbar sehr gründlich, wie es seine Art war; und er war nicht zufrieden. So zeichnete er einen eigenen, neuen Plan (heute einsehbar im Archiv der Staatlichen Museen zu Berlin, SM 44 c.102 und SM 44 c.103). Das ist der Grund, warum in einem Dorf nördlich der Saar, gut 750 Kilometer von Berlin entfernt, ein von Schinkel entworfenes Gebäude steht. Ein in vielerlei Hinsicht besonderer Bau, für Bischmisheim, aber auch für Schinkel, nicht nur aufgrund der geografischen Sonderposition als sein südlichstes Gebäude. Der Bischmisheimer Kirche kommt auch in seiner Biografie und bezüglich seiner Ideen als Architekt eine spezielle Rolle zu. 280 Hans W. Giessen (Saarbrücken) 2 Karl Friedrich Schinkel: Jugend und Karriereweg Der Erfolg war Karl Friedrich Schinkel nicht in die Wiege gelegt worden, aber die Voraussetzungen waren auch nicht ungünstig. Schinkels Vater war Prediger in Neuruppin und dort seitens der protestantischen Kirche für die Schulen und Kirchen verantwortlich ( “ Archidiakonus und Inspektor [. . .] der Kirchen und Schulen zu Neu-Ruppin ” ). Bildung war demnach ein wichtiges Thema im Elternhaus, und natürlich auch eine starke protestantische Frömmigkeit. Auch die sogenannten preußischen Tugenden spielten eine große Rolle: Pflichterfüllung, Selbstdisziplin. Insgesamt der Idealtypus des preußischen Provinzbürgertums jener Zeit. Die Kindheit beziehungsweise Jugend ist von dramatischen Ereignissen geprägt. Im Sommer 1787, Karl Friedrich war gerade sechs Jahre alt, wütete ein verheerender Stadtbrand - eine Jahrhundertkatastrophe für Neuruppin, die auch das Haus der Schinkels zerstörte. Die Familie war nun obdachlos. Und es kam noch schlimmer: Der Vater Johann Cuno Christoph Schinkel, der offenbar bis zur Erschöpfung bei den Löscharbeiten geholfen hatte, bekam in der Folge eine Lungenentzündung. Er überlebte sie nicht. Damit war die Mutter Dorothea Schinkel Witwe. Natürlich war die erste Zeit furchtbar. Doch die Mutter hatte Erfolg mit ihrem Bemühen, ihre fünf Kinder - Karl Friedrich war das zweitälteste - entsprechend der Familienansprüche aufzuziehen. Karl Friedrichs ältere Schwester heiratete wenige Jahre später einen Prediger aus dem Nachbarort Krenzlin. Aber es gab weitere Schicksalsschläge. Zwei Geschwister starben, 1794 eine jüngere Schwester, 1797 ein Bruder. Auch finanziell war es offenbar eng. 1794 entschloss sich die Mutter, nach Berlin umzuziehen, wo sie im Predigerwitwenhaus der Marienkirche unterkam. In Berlin konnte Karl Friedrich das berühmte Gymnasium zum Grauen Kloster besuchen; der Rektor, Friedrich Gedecke, war ein Bekannter des verstorbenen Vaters gewesen. Karl Friedrich Schinkel war kein besonders guter Schüler, zeigte aber besondere Begabung in den musischen Fächern. Und in diesem Bereich fand er bald auch seine Berufung. Es gab dazu einen konkreten Anstoß: Der Architekt Friedrich Gilly hatte 1796 ein Denkmal für den Preußenkönig Friedrich den Großen konzipiert, der zehn Jahre zuvor verstorben war. Es kam zwar nicht zur Realisierung, aber die Ausstellung des Entwurfs, der einem dorischen Tempel nachempfunden war, machte großen Eindruck. Der Hof gewährte Gilly ein Stipendium für eine ausgedehnte Studienreise durch Europa. Auch der siebzehnjährige Karl Friedrich Schinkel war von der Ausstellung und den Ideen Gillys begeistert, verstört, fasziniert - er hatte geradezu ein Erweckungserlebnis. Er beschloss, bei Friedrich Gilly zu studieren. Friedrich Gilly war nicht viel älter als Schinkel, gerade neun Jahre. Er aber hatte die allerbesten Voraussetzungen, um in diesem Beruf zu arbeiten und rasch Karriere zu machen. Sein Vater David Gilly war einer der wichtigsten Architekten Preußens. Bereits mit 16 begann Friedrich Gillys Ausbildung bei seinem Vater, zudem studierte er an der Akademie der Bildenden Künste. Der Vater baute in der Zeit bereits Schlösser für den König. Insgesamt sicher ein höchst stimulierendes Umfeld. Karl Friedrich Schinkel bewarb sich bei den Gillys um eine Ausbildung und wurde genommen. 1798 ging er vom Gymnasium ab und zog ins Gebäude der von den Gillys betriebenen Bauschule. Nun musste er seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Es lag nahe, Die alte Botschaft, ein neues Medium 281 seine künstlerische Begabung zu nutzen; das erste regelmäßige Einkommen erhielt der junge Student, indem er in der Fayencefabrik des Baron von Eckardtstein Geschirr bemalte. Die Ausbildung bei den Gillys war, wie insgesamt die Atmosphäre im damaligen Berlin, sehr offen und stilistisch kaum festgelegt, was durch die Tatsache erleichtert wurde, dass Berlin eine sehr junge Hauptstadt war. Damit war auch die Bausubstanz jung, denn die Stadt besaß ja keine Tradition wie Rom oder Paris. Furore erregten etwa die Gebäude von Carl Gotthart Langhans: sein Brandenburger Tor aus dem Jahr 1790 orientierte sich an den Propyläen in Athen; im selben Jahr schuf er das Belvedere im Schlosspark von Charlottenburg als dreigeschossigen Barockbau mit klassizistischen Elemente. Vieles war möglich; es herrschte Euphorie und Aufbruchstimmung. David Gilly gründete in dieser Zeit die Berliner Bauakademie ( “ Allgemeine Bau- Unterrichts-Anstalt für die gesamten königlichen Staaten ” ), die 1799 ihren Lehrbetrieb aufnahm und schnell zu einer der bedeutendsten Architekturhochschulen avancierte, die Vorläuferinstitution der heutigen Technischen Universität Berlin. Sein Sohn Friedrich wurde dort ebenfalls Professor. Auch Karl Friedrich Schinkel immatrikulierte sich. Der junge Student wurde schnell einbezogen, er durfte experimentieren und bei Projekten mitarbeiten. Schnell änderte sich auch die Beziehung zwischen Karl Friedrich Schinkel und Friedrich Gilly. Schinkel schätzte ihn lebenslang als Vorbild und Lehrer, aber aus dem Lehrer wurde bald der wichtigste Freund; die geringe Altersdifferenz erleichterte dies. Aber schon ein Jahr später war der Überschwang jäh gestoppt. Am 3. März 1800 starb Schinkels Mutter, und exakt fünf Monate später, am 3. August 1800, erlag der junge Friedrich Gilly, achtundzwanzigjährig, im tschechischen Kurort Karlsbad, wo er vergebens auf Heilung hoffte, einer Tuberkuloseerkrankung. Natürlich war auch der Freund Karl Friedrich Schinkel zutiefst betroffen. Aber die Beziehung zur Familie Gilly war inzwischen so eng - und sein Talent schon so anerkannt - , dass er offenbar ganz selbstverständlich mit Vater David Gilly die Projekte Friedrichs fortführte, etwa die Schlossanlage von Owinsk bei Posen. Er übernahm auch die Federführung bei den Wiederaufbauarbeiten an der durch Brand zerstörten Herrschaft Neuhardenberg, denn David Gilly war vom Tod des Sohnes sehr mitgenommen und wurde krank. So war Karl Friedrich Schinkel nach nur zweijähriger Ausbildung gezwungen, auf Augenhöhe mit seinem Vorbild zu agieren und dessen Aufgaben zu beenden. Schinkel erwies sich diesem Druck gewachsen. Wie entwickelte sich das Verhältnis zu David Gilly? Es wurde nie so eng wie zu seinem Sohn; mehr noch: Es war stets durch den verstorbenen Friedrich geprägt. Dies aber war für beide eine tragfähige Basis, die anhielt. Von 1803 bis 1805 zog Karl Friedrich Schinkel auf eigener Bildungsreise durch Italien und Frankreich, und von unterwegs schrieb er noch 1804 an David Gilly “ daß für jedes Glück, was mir bis jetzt in meiner Laufbahn begegnete und was in Zukunft vielleicht noch meiner wartet, nur von ihm [i. e. Friedrich Gilly] her der erste Samen fiel; daß ein unauslöschliches Dankgefühl immer in meinem Herzen leben und mich an den Schöpfer dessen, was ich bin, erinnern wird ” (1979 a: 123). - Auf der Reise traf er in Rom den Staatsmann und Wissenschaftler Wilhelm von Humboldt, der dort seit 1802 als preußischer Gesandter wirkte. Humboldt erkannte das Potenzial des jungen Mannes und wurde sein Freund und Förderer. 282 Hans W. Giessen (Saarbrücken) Dennoch blieben die folgenden Jahre schwer. Im Oktober 1806 besiegte Napoléon mit seinen französischen Truppen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt die Preußen. Das Königspaar floh nach Königsberg und kehrte erst im Dezember 1809 zurück. Es gab in dieser Zeit nahezu keine Möglichkeiten für einen Architekten, Bauprojekte zu akquirieren. Schinkel schlug sich, durchaus mit Erfolg, als Maler durch. So wurde er schon 1806 für den Posten des Theatermalers für das Nationaltheater auf dem Gendarmenmarkt vorgeschlagen. Allerdings lehnte ihn der berühmteste Schauspieler und Regisseur der Epoche, August Iffland, in seiner Funktion als Direktor des Berliner Nationaltheaters ab - was er später bereute; als er Schinkel dann aber als Mitarbeiter gewinnen wollte, hatte der kein Interesse mehr. 1807 hatte Karl Friedrich Schinkel seine erste große Einzelausstellung, 1808 eine zweite, die so erfolgreich war, dass sich sogar das Königspaar nach seiner Rückkehr die Bilder zeigen ließ. Aber sein Ziel war die Architektur. So lehnte Schinkel umgekehrt das Angebot ab, an der Akademie als Professor für Geometrie und Perspektive zu unterrichten. Dennoch bedurfte es der Vermittlung Wilhelm von Humboldts, inzwischen nach Berlin zurückgerufen und dort als Bildungsreformer tätig, dass Schinkel 1810 eine erste Anstellung bei der Berliner Oberbaudeputation als Geheimer Oberbauassessor, verantwortlich für das ästhetische Fach erhielt. Wir wissen dies durch einen Brief Humboldts vom 4. August 1810 an seine noch in Rom zurückgeblieben Ehefrau Caroline, in dem er schreibt, “ daß es mir endlich gelungen ist, ihm [i. e. Schinkel] eine Stelle hier zu verschaffen, und auch zu einem Anbau des Königspalais, der angefangen ist, habe ich gemacht, daß er zu Rate gezogen ist ” . Dann aber ging es Schritt für Schritt weiter. Schon 1811 wurde Schinkel zum Mitglied der, Berliner Akademie der Künste ‘ ernannt. 1815 erfolgte die Ernennung zum ,Geheimen Oberbaurat ’ bei der Oberbaudeputation. Nun, mit 34 Jahren, war Karl Friedrich Schinkel in der Position, für die er bekannt ist. Ihm oblag damit die Verantwortung für alle öffentlichen Bauprojekte Preußens, die aus Staatsmitteln beziehungsweise königlichen Geldern finanziert werden sollten. Schwerpunkt war natürlich Berlin, die Umbeziehungsweise Neugestaltung der Hauptstadt. Schinkel war beim Bau fast aller wichtigen Staatsbauten involviert; für viele zeichnete er selbst die Pläne. Als seine wichtigsten Bauten gelten die Königswache (1818), das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt (1821) und das Alte Museum (1830) in Berlin, oder die Nikolaikirche (1830) in Potsdam. Besonders eindrucksvoll ist, dass er sich ebenso intensiv um die Provinz kümmerte, insbesondere um die “ Begutachtungen aller Kirchenbauten im ganzen Königreiche und die dabei nothwendig werdenden Umarbeitungen und Vervollständigungen der Entwürfe und Anträge ” . Als die Bischmisheimer Kirchenpläne auf seinem Schreibtisch landeten, war der berühmteste Architekt Preußens also gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Zumindest war es seine ergiebigste Schaffensperiode. Er schien seine Ideen durchsetzen zu können, stand fachlich auf dem Zenit seines Tuns. Dennoch erwarteten die Bischmisheimer nicht, dass er ihren Antrag ablehnen oder umarbeiten würde. Sie hatten sogar schon damit begonnen, die alte Kirche abzureißen und ein neues Fundament zu legen - immerhin war der Vorentwurf bereits von der Bezirksverwaltung in Trier gebilligt worden. Es war also eine komplette Überraschung, als Anfang März 1822 die neuen Pläne Schinkels eintrafen. So Die alte Botschaft, ein neues Medium 283 überraschend, dass man den Entwurf überhaupt nicht schätzen konnte, auch wenn er von Schinkel selbst stammte. Karl Friedrich Schinkel hatte etwas völlig Neues konzipiert - kein rechteckiges traditionelles Kirchengebäude, sondern einen oktogonalen Zentralbau. Das wollten die Bischmisheimer nicht, das war zu ungewöhnlich für diese Zeit und Region. Erst als klar war, dass nur bei Akzeptanz von Schinkels Entwurf Gelder fließen würden, stimmte man zähneknirschend zu. Es sollte noch deutlich mehr als ein Jahrhundert dauern, bis man sich mit dem Bau versöhnt hatte und schließlich, langsam, stolz auf ihn wurde. Manchmal dauert es eben lange, bis sich neue Ideen gegen das Althergebrachte durchsetzen. 3 Semiotische Anmerkungen zum Werl Kark Friedrich Schinkels Karl Friedrich Schinkels Hinwendung zur Architektur bedeutete einerseits eine Abkehr von der Familientradition: Über Generationen hinweg stellten die Schinkels Prediger. Andererseits lässt sich ein solches Erbe mit den damit verbundenen Werten, Handlungsrichtlinien, und Selbstverständlichkeiten im gegenseitigen Umgang nicht einfach abschütteln, selbst wenn man dies wollte. Aber Karl Friedrich Schinkel sah sich auch nicht in Opposition zur Familientradition. Sein Handlungsfeld war ein anderes als das der Vorfahren, aber die Motive waren die gleichen. Die “ Pfarrhausfrömmigkeit ” , von der Joachim C. Fest schreibt, seinen tiefen Protestantismus hat er nie abgelegt - und wäre wohl auch gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass dies eine Option sein könnte. Im Gegenteil galt er stets als frommer Mann. So war Architektur zwar ein völlig anderes Medium als ein Gottesdienst, hatte aber immer auch das Ziel, Transzendenz ins menschliche Leben zu bringen. Schinkel sah seine Aufgabe als Architekt demnach ähnlich derjenigen eines Pfarrers oder Predigers: Er geht “ praktisch darauf ” aus, “ den sittlichen Fortschritt im Menschen zu fördern ” (1863. III: 345). Als Architekt konnte er sogar an Orten und in Situationen wirken, die dem Pfarrer oder Prediger nicht, zumindest nicht permanent erreichbar waren: Selbst wenn das Gebäude, das zu entwerfen seine Aufgabe war, andere Funktionen hatte - als Bauernhof, Wohnhaus, Militärgebäude, selbst eine Brunnenanlage - , so war doch stets das immanente Ziel, die Architektur so erhaben und in einem tieferen, eben auch religiösen Sinn schön wirken zu lassen, dass sie der steten Erbauung dienen und zur Veredelung des Menschen und seines Alltags beitragen sollte, denn: “ Die schöne Kunst wirkt zurück auf das Moralische ” (1979 b: 27). Karl Friedrich Schinkel hat also die Familientradition nie verlassen, er hat sich nur ein anderes Medium gewählt. Sein Medium war nicht das Wort, sondern war Stein und Stahl, Form und Farbe. Semiotisch könnte man sagen: Der Signifikant änderte sich, das Signifikat bleibt das Gleiche. Wenn man sich die Gesamtliste seiner Bauten betrachtet, fällt auf, dass religiöse Bauwerke - Kirchen, Kirchtürme, Grabdenkmäler - fast die Hälfte seines Werks ausmachen; rechnet man die Denkmäler hinzu, die in Verbindung zu religiösen Themen stehen - etwa das Denkmal für König GustavAdolf oder das Lutherdenkmal, das zwar letztlich von Johann Gottfried Schadow konzipiert, aber mit einem von Schinkel entworfenen Baldachin versehen wurde - , so ist (je nach Abgrenzung im Einzelfall) sogar die deutliche Mehrheit des Schinkelschen Oeuvres religiös konnotiert, verweist zeichenhaft auf Transzendentes. 284 Hans W. Giessen (Saarbrücken) In jedem Fall hat Schinkel mehr Kirchen als Schlösser errichtet, es handelt sich um die wichtigste Einzelkategorie seines Schaffens. Zunächst sei konzidiert, dass er sich dies nur bedingt ausgesucht hat. Jeder preußische Ort hatte oder benötigte eine Kirche. Seine Abteilung der Oberbaudeputation befasste sich daher zwangsläufig und in bedeutendem Umfang mit Kirchen. Aber er wäre nicht gezwungen gewesen, so viele neue Entwürfe zu zeichnen. Tatsächlich war es ihm ein Bedürfnis - aufgrund seiner Herkunft, seiner Überzeugungen, seines Selbstbilds und -auftrags. Karl Friedrich Schinkel hat im Laufe seines Lebens immer wieder über Kirchenbauten, ihre Funktion und die Konsequenzen für den Architekten nachgedacht. Und er hat im Verlauf seines Lebens recht unterschiedliche Lösungen gefunden. Die hing natürlich oft vom zur Verfügung stehenden Geld ab. Auch der spezifische Ort und die spezifische Gemeinde spielten eine Rolle - die russisch-orthodoxe Alexander Newski-Kirche in Potsdam beispielsweise musste anders konzipiert werden und auf andere kulturelle und religiöse Vorstellungen Rücksicht nehmen als die evangelische St. Nikolai-Kirche in Magdeburg. Schinkel reagierte, auch wenn die Bischmisheimer dies nicht glauben mochten, in der Regel sehr flexibel und pragmatisch auf die jeweiligen Aufgaben. - Dann spielte die Zeit eine Rolle: Schinkel durchlief unterschiedliche Phasen, in seiner Jugend romantischer, später sachlicher, einmal eher der Neugotik, dann dem Klassizismus verbunden. Aber auch seine Auftraggeber und allen voran der König und der Kronprinz prägten mit ihren (sich teilweise ebenfalls wandelnden) Vorstellungen Schinkels Tun. Insgesamt gibt es also stets Anpassungen sowie Neu- und Weiterentwicklungen, aber es gibt auch unverbrüchliche Kernüberzeugungen. Das Signifikat hat Bestand. Für evangelische Kirchenbauten hielt Schinkel nun in der Tat einen Zentralbau als besonders geeignet. Das Evangelische daran ist, dass hier die Predigt eine tragende Rolle spielt. Es entspricht der evangelischen Liturgie wie dem evangelischen Menschen- und Glaubensbild, dass alle Gottesdienstbesucher der Predigt aufmerksam zuhören sollen (und daher auch: zuhören können müssen), um über sie nachzudenken und sich von ihr inspirieren zu lassen. Von daher ist es ein Vorteil, wenn alle Gottesdienstbesucher möglichst nah am Kanzelaltar sitzen. Dies ermöglicht ein Zentralbau eher als ein Langbau. Der Zentralbau entsprach also bereits funktional eher Schinkels Auffassung über Aufgaben und Ziele eines evangelischen Gotteshauses. Erneut wird die semiotische Qualität der Zielsetzung deutlich: der Wunsch, Signifikat und Signifikant - auch und gerade im architektonischen Medium - in Übereinstimmung zu bringen. Dann gab es natürlich die historischen Vorbilder. Bereits auf seiner ersten großen Bildungsfahrt hatte Karl Friedrich Schinkel 1804 in Rom das Pantheon und das Lateran- Baptistorium gesehen. Aufgrund des Wiener Kongress, der Aachen dem Königreich Preußen zugeschlagen hatte, gehörte der Kaiserdom, einer der wichtigsten Zentralbauten der deutschen Geschichte, sogar zu Schinkels Zuständigkeitsbereich. Schinkel griff die Vorbilder in verschiedenen Entwürfen auf. Einen ersten Entwurf zeichnete er 1812 für eine Rundkirche in Kauern (Schlesien) - dabei ebenfalls bereits eingereichte Pläne beiseite schiebend. Dann gab er das Konzept der Rundkirche, dem Pantheon angelehnt, zugunsten der Oktogonalkirche auf - wohl auch, weil ein Rundbau aufwändig und teuer war (weswegen auch die Rundkirche in Kauern nicht gebaut wurde, so dass man dort, zur Die alte Botschaft, ein neues Medium 285 Erleichterung der Gemeinde, den ursprünglichen Entwurf realisieren konnte), ein Oktogonalbau dagegen konnte kostengünstiger errichtet werden. Oktogonalkirchen entwarf Schinkel 1814 für Glienicke im Landkreis Ostprignitz-Ruppin (Brandenburg), 1817 für Arnsberg (Westfalen), im selben Jahr für eine Kirche in Großbeeren und 1819 für eine Berliner Kirche, den Dom als Denkmal für die Befreiungskriege. Der erste Zentralbau, der realisiert wurde, war derjenige von Glienicke; im Übrigen erneut auf ähnliche Art, wie dies in Kauern und Bischmisheim geschah: Die alte Kirche war baufällig, man plante eine neue, die Schinkel verwarf, um sein Konzept durchzusetzen - eine Kirche, die “ den Character einer kleinen Kapelle erhält und in ihrer einfachen achteckigen Form durch ihre spitze Zusammenziehung den Thurm zugleich bildet ” . Die Glienicker Kirche wurde von 1815 bis 1817 erbaut. Formal ist die Glienicker Kirche dem Entwurf für Bischmisheim sehr ähnlich. Vom romantisierend-neugotischen Stil der Jugend hatte sich Schinkel entfernt, nun dominierten klassizistische Konzepte. Hier allerdings wirkt die Bischmisheimer Kirche als Weiterentwicklung erneut verfeinert. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sie, im Gegensatz zur Glienicker Kirche, zweigeschossig - im Innern mit Empore - geplant wurde und daher als weiteres Gliederungs- und Strukturmerkmal Gesimse ermöglichte. Damit wirkt sie auf die meisten Betrachter besonders harmonisch. Von daher wäre es auch interessant, zu wissen, wie Schinkel den Zentralkirchenbau weiter entwickelt hätte. Er experimentierte auch durchaus weiter und konnte sogar noch 1826 verschiedene Pläne für die Potsdamer Nikolaikirche vorlegen, unter denen sich auch ein Plan für einen zentralen Kuppelbau mit dem Grundriss eines griechischen Kreuzes befand, der dann sogar realisiert wurde. Aber bei der Potsdamer Nikolaikirche handelt es sich nur noch bedingt um Schinkels Konzept: Der König und der Thronfolger griffen immer wieder in die Planungen ein, und Schinkel musste aus den zahlreichen Anregungen das Beste machen - was ihm zweifellos gelungen ist. Dennoch ist die Bischmisheimer Kirche der letzte Zentralbau, den Schinkel ohne massive Beeinflussung gemäß eigener Vorstellungen entworfen hat. Er hatte seine eigene Form gefunden, sie erprobt und perfektioniert - und musste mit ihr brechen. König Friedrich Wilhelm III. setzte auf die traditionelle Form der Langkirche und verfügte, dass keine preußische Dorfkirche mehr als Zentralbau errichtet werden sollte. So ist die Tradition, die vielleicht hätte entstehen können, mit der Bischmisheimer Kirche auf einem ersten Höhepunkt angekommen - und kurz danach wieder beendet worden. Noch 1824, als die Bischmisheimer Kirche gerade fertiggestellt war, bewunderte Schinkel auf seiner zweiten Italienreise das Florentiner Baptisterium und schrieb Notizen in sein Tagebuch - mit Hinweisen für weitere Verbesserungen, Experimente, Pläne. Es ist eindeutig: Karl Friedrich Schinkel hätte das Kapitel Zentralbau sicherlich weiterentwickelt und bedauerte, dass er es schließen musste. Was bleibt, ist das besonders harmonische Kirchengebäude von Bischmisheim. Ein Hinweis darauf, was sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hätte entwickeln können. Die Bischmisheimer Kirche stellt einen Gipfel im Oeuvre Schinkels dar. Ein erzwungener Gipfel, weil es nicht mehr weiterging. 286 Hans W. Giessen (Saarbrücken) 4 Die Kirche von Bischmisheim Widerstände gab es auch vor Ort. Ute Kegel hat nicht nur die Enttäuschung der Bischmisheimer über den unerwarteten Entwurf Schinkels beschrieben. Dazu kam die Enttäuschung des von den Bischmisheimern beauftragten Architekten Johann Adam Knipper, dessen Plan so schnöde abgeschmettert worden war. Vor diesem Hintergrund ist durchaus problematisch, dass Knipper, wie vorgesehen, als Bauunternehmer die Bischmisheimer Kirche errichtete. Zumindest war er nun lustlos. Offensichtlich versuchte er, sich am Bau schadlos zu halten. Das mag verständlich sein, war aber sicher nicht fair - die Bischmisheimer konnten ja nichts für die geänderten Pläne. Wie auch immer: Ute Kegel, die 2000 sein Vorgehen im Rahmen einer wissenschaftlichen Qualifikationsschrift untersucht hatte, fand in einer späteren Publikation sogar den Begriff “ Pfusch am Bau ” (2003: 12) angemessen. Knipper muss fast überall gespart haben, wo es nur ging. So hat er dort, wo es nicht sofort sichtbar war, Schinkels Pläne bewusst unterlaufen: Schinkels korinthische Kapitelle hat er beispielsweise als “ simple Zimmerkonstruktionen ” herstellen lassen. Auch bezüglich der Dachkonstruktion hat er die Berliner Pläne weitgehend ignoriert. Zwar ist fraglich, ob die Konzeption des schweren Dachreiters, die auch die Kirchenglocken aufnehmen musste, nicht grundsätzliche Probleme aufwarf (immerhin gibt es auch bei anderen Zentralkirchenbauten dieser Zeit immer wieder Probleme mit den Dach- und Glockenkonstruktionen), aber bereits rund “ ein halbes Jahr nach der Einweihung traten Die alte Botschaft, ein neues Medium 287 schon erhebliche Schäden am Dach auf. Dabei war auch die erste Orgel in Mitleidenschaft gezogen worden ” (a. a. O.) - dies ist schon erstaunlich und geht zumindest auch auf die Missachtung expliziter Schinkelscher Bau- und Zimmerer-Anweisungen zurück. In der Folge traten immer neue Schäden auf, waren stete Reparaturen notwendig. Erst im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Kirche so restauriert, dass sie den Ideen Schinkels entsprach und in der Substanz geschützt wurde. Kurz nach der Fertigstellung reiste Schinkel auf dem Weg nach Paris durch Saarbrücken. Er hätte dabei leicht einen kurzen Abstecher nach Bischmisheim machen können, aber er hat seine Kirche nie gesehen. Fraglich ist, wie dringend Schinkels Bedürfnis war, sie zu besuchen. Sicherlich gab es in Saarbrücken anderes zu sehen, und Schinkel war ja auch nur auf der Durchreise. Vielleicht fehlten ihm schlicht Zeit und Lust für den Abstecher ins rund zehn Kilometer entfernte Dorf. Der frühere Bischmisheimer Pfarrer Friedrich Bettinger hat aber vermutet, dass ihm der Saarbrücker Landrat von einem Besuch in Bischmisheim abgeraten habe. Bettinger lässt offen, ob Schinkel vor dem nach wie vor ausgeprägten Unmut der Bischmisheimer geschützt werden sollte, oder ob man ihm den Anblick einer schludrig gebauten Kirche und ihrer bereits instandsetzungsbedürfigen Dachkonstruktion ersparen wollte. Wie auch immer, heute mutet es traurig und beschämend an, dass man Schinkel seine Kirche auch gar nicht guten Gewissens hätte präsentieren können. 5 Karl Friedrich Schinkel: Karrierehöhepunkt und Karriereende Die Bischmisheimer Kirche ist entstanden, als Karl Friedrich Schinkels Leben und Wirken auf dem Höhepunkt war. Gerade eben war er zum Professor der Baukunst an der Bauakademie ernannt worden. Es folgten Orden, Auszeichnungen, Ehrenmitgliedschaften weiterer in- und ausländischer Akademien. Auch privat führte Schinkel ein bürgerliches, zufriedenes Leben: Er war verheiratet und hatte drei Kinder. Am 16. Dezember 1830 wurde er zum Oberbaudirektor befördert, am 13. November 1838 zum Oberlandesbaudirektor. Aber diese Success Story wirkt eindrucksvoller, als sein Leben in der Realität war. Offenbar hatte er viel weniger Entfaltungsraum, als man gemeinhin bei einer solchen Karriere annehmen würde. Sein Lebensgefühl kippte etwa in der Zeit, aus der der Entwurf der Bischmisheimer Kirche stammte, eigentlich schon etwas früher. Bis dato fiel ihm, aller dramatischen Ereignisse zum Trotz, vieles in den Schoß - nun musste er fast alles erkämpfen. Der König machte immer weitere Auflagen; dass er die traditionelle Langkirche zum Normbau erhob, ist da schon fast nebensächlich. Offensichtlich erkannte der Monarch zwar das Talent seines Chef-Architekten, fühlte sich von ihm aber auch überfahren, und konnte - wollte? - ihm in Vielem nicht mehr folgen. Bereits 1817, einige Jahre vor dem Bischmisheimer Entwurf, brauste er in Gegenwart Johann Gottfried Schadows, bezogen auf Schinkel, genervt und kurz angebunden auf: “ Muss ihm Zaum anlegen ” (Schadow 1849: 189 - 190). Natürlich betraf die Skepsis Friedrich Wilhelm III. nicht nur Schinkel. So suchte beispielsweise auch Schinkels Förderer Wilhelm von Humboldt einen Weg, um dem Hof zu entkommen. Schinkel aber, als preußischer Beamter, pflichtbewusst und pflichtversessen, der sich nicht, wie Humboldt, als Gesandter nach Wien schicken lassen konnte, litt immer stärker unter seiner Situation. Es gab mehr und mehr Aufgaben bürokratischer 288 Hans W. Giessen (Saarbrücken) Art, während die Bauprojekte kontinuierlich hinterfragt wurden. Oft musste er zwei, drei oder noch mehr Entwürfe zeichnen. Manche Projekte wie die königliche Bibliothek wurden auch ganz verhindert. Joachim C. Fest schreibt (1981: 306 ff.), dass “ die Entscheidungsschwäche des Königs, seine alles erstickende Grämlichkeit, die Scheu vor großen Ideen noch eher als vor großen Ausgaben, [. . .] fast alle [. . .] Absichten [Schinkels] zunichte gemacht und [sein] Lebenswerk [. . .] in einem eigentümlich fragmentarischen Zustand hinterlassen ” hat. In vielerlei, auch in politischer Hinsicht war der grundsätzliche Charakterzug der Skepsis, der Friedrich Wilhelm III. charakterisierte, auch sinnvoll und vom Ergebnis her nicht ohne Berechtigung und Erfolg; vielleicht gilt dies auch bezüglich seines Verdikts, Dorfkirchen nicht als Zentralbauten zu errichten - die Reaktion der Bischmisheimer, aber auch der Glienicker oder Kauerner hat den Monarchen ja bestätigt. Günter de Bruyn charakterisiert ihn als “ nüchtern ” , aber eben auch als “ ständigen Zauderer und hausbackenen Praktiker, der für Poesie und geistige Höhenflüge nichts übrig hatte ” (2001: 35). Bezogen auf Schinkel erwies sich dieser Charakterzug als desaströs. Vor allem die zwanziger und noch mehr die dreißiger Jahre seien zu einem “ stille[n], zähe[n] Dauerkonflikt mit dem königlichen Auftraggeber ” verkommen, an dem “ so viele große Absichten gescheitert waren ” , so nochmals Joachim C. Fest. - Ja, es ist schwer, wenn sich derjenige, der die Macht hat, scheinbar grundlos querstellt. Wiederholt erbat sich Schinkel Entlastung, aber der bürokratische Druck nahm eher noch zu. Eigentlich in seinen besten Jahren, fühlte er sich überanstrengt und alt. Bereits 1831, mit Fünfzig, musste er eine erste Kur antreten. Die Zeit in Marienbad half ihm über die kommenden Jahre. Aber 1837 war eine weitere Kur notwendig, für die er nach Karlsbad reiste. 1838 folgte eine Kur in Bad Kissingen, 1839 musste er wieder dort hin. Dennoch brach er 1840 zusammen, hatte Lähmungserscheinungen und erholte sich nicht mehr. Am 9. Oktober 1841 starb er in Berlin. Karl Friedrich Schinkel wurde sechzig Jahre alt. Mindestens sein letztes Lebensjahrzehnt war wohl eher eine Qual, geprägt von Krankheit und Überanstrengung, von Demütigungen und Enttäuschungen. Schinkels Glaubensbekenntnis lautete: “ Der natürliche Trieb des Menschen ist der, den Himmel schon auf dieser Erde zu finden, und ewig Dauerndes zu verflößen in sein irdisches Tagewerk. Das Unvergängliche im Zeitlichen zu pflanzen und zu erziehn, nicht bloß auf eine unbegreifliche Weise, und allein durch die sterblichen Augen undurchdringbare Kluft mit dem Ewigen zusammenhängende, sondern auf eine dem sterblichen Auge selbst sichtbare Weise ” (1979 b: 33). Offenbar konnte er die Diskrepanz zwischen seinen hohen Zielen und der banalen Alltagsrealität nicht meistern; vermutlich auch, weil er nicht zu Abstrichen bei seinen Zielen bereit war. Seine Krankreiten waren, wie man heute sagen würde, wohl psychosomatisch begründet. Und er flüchtete in seine Ideale. In seinen letzten Jahren gab es noch zwei bedeutende Aufträge, beide für Paläste in südlichen Regionen. Zum Einen sollte Karl Friedrich Schinkel 1834 einen Plan für einen Palast auf der Akropolis in Athen als Residenz für den Wittelsbacherprinzen Otto entwerfen, der nach der Unabhängigkeit der Hellenen vom Osmanischen Reich den griechischen Thron bestiegen hatte. Der zweite Auftrag kam 1838 von der russischen Zarin, für die Schinkel ja bereits 1829 die Kapelle im Park von Peterhof entworfen hatte; sie wünschte ein Schloss auf der Krim. Schinkel verweigerte sich den Aufträgen nicht. Aber er kümmerte sich auch nicht mehr um die Realisierung oder auch nur Die alte Botschaft, ein neues Medium 289 Realisierbarkeit der Entwürfe. Es wirkt, als hätte er diese Kämpfe aufgegeben. Noch ein letztes Mal malte er wunderschöne Pläne, als wollte er zeigen, was alles möglich gewesen wäre. Aber es waren nur noch Bilder von Fantasieschlössern in südlichen, sehnsuchtsvollen Traumlandschaften, faszinierend, aber völlig überdimensioniert und überhaupt nicht mehr an irgendwelchen Praktikabilitätskriterien orientiert. Klaus Jan Philipp spricht bezüglich des Akropolis-Projekts denn auch von einem ,Sommernachtstraum ’ . Es waren Träume, in sich vollkommen, aber nichts davon wurde gebaut, nichts konnte gebaut werden. So blieb die Bischmisheimer Kirche das südlichste Bauwerk Schinkels, aus einer Zeit seines Lebens stammend, in der tatsächlich noch alles möglich schien, auch wenn das damals schon nicht mehr ganz stimmte. Literatur Barthes, Roland 1957: Mythologies, Paris: Editions du Seuil Bergdoll, Barry 1994: Karl Friedrich Schinkel. Preußens berühmtester Baumeister, München: Klinkhardt & Biermann Bettinger, Friedrich 2003: “ Geleitwort ” , in: Ute Kegel, Ev. Kirche Bischmisheim nach Plänen von K. F. Schinkel, 2. Aufl., München / Berlin: Deutscher Kunstverlag, 12 Börsch-Supran, Helmut 2000: Caspar David Friedrich, München / London / New York / Berlin: Prestel Börsch-Supran, Helmut 2007: Karl Friedrich Schinkel. Bild-Erfindungen (= Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk 20, ed. Helmut Börsch-Supan & Gottfried Riemann), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag Brentano, Clemens 1951: Briefe, vol. 1 - 2, ed. Friedrich Seebaß, Nürnberg: Carl Büchel, Wolfgang 1998: Karl Friedrich Schinkel, 2. Aufl., Hamburg: Rowohlt Cobbers, Arnt 2002: Karl Friedrich Schinkel, Berlin: Jaron De Buyn, Günter 2001: Preussens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende, Berlin: Siedler De Bruyn, Günter 2010: Die Zeit der schweren Not. Schicksale aus dem Kulturleben Berlins 1807 bis 1815, Frankfurt / Main: Fischer Dorgerloh, Annette, Michael Niedermeier & Horst Bredekamp (eds.) 2007: Klassizismus - Gotik. Karl Friedrich Schinkel und die patriotische Baukunst, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag Fest, Joachim C. 1981: “ Architekt einer Übergangsepoche ” , in: id., Aufgehobene Vergangenheit, Stuttgart: dva, 172 - 193 Geschichtswerkstatt Bischmisheim 1994, Bischmisheim, Bischmisheim: Geschichtswerkstatt Haus, Andreas 2001: Karl Friedrich Schinkel als Künstler. Annäherung und Kommentar, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag Kachler, Karl Gotthild 1940, Schinkels Kunstauffassung, Diss. phil. Basel: Universität Basel Karg, Werner 2006: Die Geschichte des Dorfes Bischmisheim im Mittelalter, Bischmisheim: Geschichtswerkstatt Kegel, Ute 2000: Die evangelische Kirche in Bischmisheim. Ein Oktogonalbau nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel, Magisterarbeit, Bochum: Ruhr Universität Kegel, Ute 2003: Ev. Kirche Bischmisheim nach Plänen von K. F. Schinkel, 2. Aufl., München / Berlin: Deutscher Kunstverlag Kegel, Ute 2011: Schinkels Idealbau einer evangelischen Dorfkirche. Das Oktogon von Bischmisheim, Karlsruhe: arte faktum 290 Hans W. Giessen (Saarbrücken) Krenzlin, Ulrike 1995: “‘ Unter dem geringen Schirm des Doctorhuthes ’ . Das Lutherdenkmal in Wittenberg: ein vaterländisches Denkmal ” , in: Stefan Oehmig (ed.), 700 Jahre Wittenberg: Stadt, Universität, Reformation, Weimar: Böhlau, 385 - 404 Ohff, Heinz 2000: Karl Friedrich Schinkel oder Die Schönheit in Preußen, München: Piper Ohff, Heinz 2003: Karl Friedrich Schinkel, Berlin: Jaron Philipp, Klaus Jan 2001: “ Sommernachtsträume - Karl Friedrich Schinkels und Leo von Klenzes Entwürfe für ein Schloß in Athen ” , in: Susan M. Peik (ed.): Karl Friedrich Schinkel: Aspekte seines Werks - Aspects of his Work, Stuttgart: Menges, 100 - 106 Saam, Rudolf 1966: “ Die Schinkelkirche zu Bischmisheim ” , in: Saarbrücker Hefte 23: 31 Saam, Rudolf 1970: “ Neue Beiträge zur Schinkelkirche ” , in: Saarbrücker Hefte 31, 70 - 92 Saure, Felix 2010: Karl Friedrich Schinkel. Ein deutscher Idealist zwischen ,Klassik ‘ und ,Gotik ’ , Hannover: Wehrhahn Schadow, Gottfried 1849: Kunst-Werke und Kunst-Ansichten, Berlin: Verlag der Deckerschen Geheimen Ober-Hofdruckerei Schinkel, Karl Friedrich 1862 - 1984: Aus Schinkel ’ s Nachlaß. Reisetagebücher, Briefe und Aphorismen, Mitgetheilt und mit einem Verzeichniss Sämmtlicher Werke Schinkel ’ s Versehen von Alfred von Wolzogen, 4 Bände, Berlin: Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofdruckerei Schinkel, Karl Friedrich 1922: Briefe, Tagebücher, Gedanken. Ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Hans Mackowsky, Berlin: Propyläen Schinkel, Karl Friedrich 1979 a: Reisen nach Italien. Tagebücher, Briefe, Zeichnungen, Aquarelle, ed. Gottfried Riemann, Berlin: Rütten & Loening Schinkel, Karl Friedrich 1979 b: Das Architektonische Lehrbuch, ed. Goerd Peschken, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag Schinkel, Karl Friedrich 2006: Führer zu seinen Bauten, vol. 1: Berlin und Potsdam, vol. 2: Aachen bis St. Petersburg, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag Steffens, Martin 2003: K. F. Schinkel, 1781 - 1841. Ein Baumeister im Dienste der Schönheit, Köln: Taschen Wolzogen, Alfred von 1864 [1981]: Aus Schinkel ’ s Nachlass, Band 4, Katalog des künstlerischen Nachlasses, Reprint Berlin: Mittenwald Zadow, Mario A. 2002: Karl Friedrich Schinkel - ein Sohn der Spätaufklärung. Die Grundlagen seiner Erziehung und Bildung, Stuttgart: Menges Zadow, Mario A. 2002: Karl Friedrich Schinkel. Leben und Werk, Stuttgart: Menges Die alte Botschaft, ein neues Medium 291 K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Die Materialität des Sinns sozialer Systeme mit besonderer Berücksichtigung des “ abartigen ” Geldes Franz Kasper Krönig (TH Köln) The paper argues that Ernst Cassirer ’ s concept of Symbolic Forms can be further generalized and reformulated in a way that connects fundamental epistemological and semiotic ideas to macro-sociological questions. The list of Cassirer ’ s Symbolic Forms more or less resembles that of Niklas Luhmann ’ s function systems. The latter could be said to disregard the materiality of communication, the former to ignore the societal level of symbolic practice. Money seems to be the crucial case one can make against an integration of symbol theoretical and systems theoretical concepts. An investigation of this “ abnormal ” case from both perspectives shows that there is no principal obstacle to the elaboration of a systems theoretical semiotics, respectively a semiotic systems theory. Der Versuch, sämtliche Erscheinungsformen individueller oder kultureller Produktion auch in ihrer Kommunikabilität zu erfassen, hat die Geistes- und Kulturwissenschaften zu einer weitgehenden Generalisierung des Zeichenbeziehungsweise Symbolbegriffs geführt. Während die Zeichenhaftigkeit zunächst als ein Spezifikum kommunikationsbezogener natürlicher Sprachen (cf. Bühler 1934) angesehen wurde, hat sich zunehmend ein Verständnis des Zeichens als Ausdrucksform jeglicher geistiger Leistung (cf. Peirce 1958: 1.538) durchgesetzt. Von einem weiteren Generalisierungssprung des Zeichenkonzeptes kann man sprechen, wenn nicht mehr bloß sämtliche Leistungen psychischer Systeme als Zeichen begriffen werden, sondern zudem die Operationen sozialer Systeme. 1 Hier hat schon Cassirer durch seinen Begriff der symbolischen Form den Weg vorgezeichnet, wenn er auch noch die Operationen der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche - Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft, Mythos - als geistige Leistungen gefasst hat. Den Schritt, diese Bereiche als eigenständige, nicht-psychische, sondern soziale Systeme zu konzipieren, die analog zu psychischen Systemen Sinn prozessieren, hat Niklas Luhmann in aller Konsequenz getan. Was bedeutet diese Konsequenz aber für das Zeichenkonzept? Verwenden Wirtschaft, Religion, Kunst, Politik, Wissenschaft, Recht und Erziehung Zeichen? Verwenden sie die Zeichen, die die Sprache zur Verfügung stellt oder eigene? 1 Weitere Generalisierungsschritte des Zeichenbegriffs, wie sie durch die Biosemiotik und die Cybersemiotics ins Spiel gebracht werden (cf. Brier 2013), lassen sich an dieser Stelle nicht nebenbei erörtern. Eine systematische “ Geschichte ” im Sinne einer fortschreitenden Entgrenzung des Zeichenbegriffs ließe sich zwar erzählen, könnte aber nicht linear und noch weniger in chronologischer Abfolge angeordnet werden. Während die Zeichenverwendung von Wissenschaft, Politik und Recht auf der Hand liegt, scheinen wir aber bei der Wirtschaft als Kommunikationssystem mit unseren Zeichen- und Symbolkonzepten nicht weiterzukommen. 1 Gesellschaftliche Bereiche als Kommunikationssysteme Die Systemtheorie Niklas Luhmanns versteht die Wirtschaft gleichermaßen wie die Politik oder das Recht als Funktionssysteme der Gesellschaft. Das heißt, dass sie als abgrenzbare, bzw. besser: sich selbst von ihren Umwelten abgrenzende Systeme betrachtet werden, die sich als Lösung 2 je spezifischer gesamtgesellschaftlicher Probleme ausdifferenziert haben. Dabei - und das ist in diesem Zusammenhang entscheidend - werden die Funktionssysteme nicht von psychischen Systemen bzw. Menschen oder Gruppen von Menschen “ betrieben ” , sondern haben eigene, spezifische Operationsweisen. Psychische Systeme können lediglich bewusst operieren, d. h. sie können Gedanken an Gedanken knüpfen und Gedanken an Wahrnehmungen. Die gesellschaftlichen Systeme können hingegen gerade nicht denken oder wahrnehmen, sondern kommunizieren. Diese Systeme knüpfen also Kommunikationen an Kommunikationen, was ja psychische Systeme (ohne zu kommunizieren) nicht können (cf. Luhmann 2001). Was hier mit Kommunikation gemeint ist, lässt sich in aller Kürze am besten in Abgrenzung zu Wahrnehmung erläutern. Betrachtet man eine kreisrunde abgemähte Fläche in einem Kornfeld, kann es bei einer schlichten Wahrnehmung bleiben. Im Sinne von Gregory Bateson handelt es sich hierbei schon um eine Information als “ ein Unterschied, der einen Unterschied macht ” (Bateson 1985: 408). Man muss von einem Unterschied sprechen, da ja ein bestimmtes Etwas als Beobachtung seligiert wird und nicht etwas anderes, zum Beispiel der blaue Himmel über dem Kornfeld. Diese Differenz macht dann einen Unterschied, da sie das beobachtende psychische System verändert, indem dieses nun etwas Neues gesehen und gelernt hat. Wenn man nun auf den Gedanken kommt, die kreisrunde Fläche könne nicht zufällig oder natürlich entstanden sein, sondern müsse aus einem bestimmten Grund in einer bestimmten Absicht hervorgebracht worden sein, dann wird aus dieser Wahrnehmung eine Kommunikation. Dies geschieht nämlich allein dadurch, dass die Information als mitgeteilte Information interpretiert wird. Wird von einem Beobachter diese Differenz zwischen Information und Mitteilung, die Luhmann “ Verstehen ” nennt, an eine Information herangetragen, ereignet sich Kommunikation (cf. Luhmann 2001). Gewöhnungsbedürftig ist der Gedanke, dass diese Beobachter soziale und keine psychischen Systeme sind. Politische Kommunikationen selbst beobachten politische Kommunikationen. Politiker*innen sind hierbei nicht mehr und nicht weniger als Medien, die der politischen Kommunikation ihre spezifisch psychischen Leistungen der Wahrnehmung und des Denkens zur Verfügung stellen. Als Element des Mediums “ Politiker ” sind einzelne Politiker*innen allerdings völlig austauschbar. 2 Funktion wird in der Systemtheorie als Einheit der Differenz von Problem und Lösung definiert. Ob “ tatsächlich ” Lösungen erfolgen, ist hierbei eine Frage, die aus verschiedenen Beobachterperspektiven (Fremdbeschreibungen) unterschiedlich gestellt und beantwortet werden kann. Auf der Ebene der Selbstbeschreibung der Systeme ist es hingegen unabdingbar, affirmativ zur eigenen Funktion zu stehen und Semantiken auszuarbeiten, die daran strukturell festhalten, auch wenn Fremdbeschreibungen und ereignishafte Selbstbeobachtungen dagegen sprechen. Die Materialität des Sinns sozialer Systeme mit besonderer Berücksichtigung des “ abartigen ” Geldes 293 Die Verbindung zwischen psychischen Systemen und Kommunikationssystemen, d. h. sozialen Systemen, ist, dass beide im Medium des Sinns operieren (cf. Luhmann 1987: 94 f.). Das kann sprachlich geschehen, aber auch mit Bildern oder Geldzahlungen. Mit Sinn meint Luhmann den Möglichkeitsraum als unhintergehbare Voraussetzung jeglicher Selektion. Differenzen machen, etwas auswählen, gelingt nur vor dem Hintergrund eines “ Woraus ” der Selektion. Jedes Zeichen ist danach eine Auswahl, die ihren “ Sinn ” dadurch erhält, dass sie zum einen auch anders möglich gewesen wäre und zum anderen eine Negation des Momentan-nicht-Gemeinten darstellt. “ Stuhl ” heißt “ Nicht-Tisch ” , “ Nicht-Baum ” usw. und “ 300 Euro ” bedeutet “ Nicht-400 ” . Während psychische Systeme schlichtweg dadurch vereinzelt und abgegrenzt sind, dass sie an räumlich getrennte organische Systeme gebunden sind, ist das bei sozialen Systemen nicht der Fall. Diese unterscheiden sich voneinander durch die Spezifität ihrer Kommunikationen. Soziale Systeme verwenden einen “ Code ” , der es ermöglicht, sicherzustellen, dass politische Kommunikation nicht mit religiöser oder rechtlicher verwechselt werden kann. Den verschiedenen Kommunikationsspezifikationen lassen sich allerdings nicht einfach entsprechende Zeichen- oder Symbolformen zuordnen. Die politische Kommunikation in der Codierung “ Macht haben/ Macht nicht haben ” oder die rechtliche Codierung “ recht/ unrecht ” sind offensichtlich jeweils Spezifikationen sprachlicher Zeichenverwendung. Wenn wir an Kunstbetrachtung und religiöse Andacht denken, ist damit geholfen, dass wir den Zeichenbegriff durch Cassirers Begriff der symbolischen Form ersetzen. Auch wenn Kunst und Religion unter anderem nicht-sprachlich (im alltäglichen Verständnis natürlicher Sprachen) operieren können, lassen sich immerhin auch künstlerische und religiöse Operationen als bestimmte Ausdrucksformen geistiger Leistung auffassen. Doch lässt sich dieWirtschaftskommunikation in dieser Weise verstehen? Geld kann kaum als ein Ausdrucksphänomen geistiger oder sozialer Leistungen im Sinne Cassirers begriffen werden. Noch weniger scheint es plausibel zu sein, Geld als ein Kommunikationsmittel anzusehen, da dem Geld ja das Charakteristikum von Tauschmitteln eignet, nur einmal verwendet werden zu können. Wer zahlt, dem geht das Mittel durch die Operation verloren, was ja bei Kommunikationsmitteln nicht der Fall ist. Gleichwohl gibt es eine abstrakte Ebene, in der alle diese Phänomene übereinkommen, so dass Geld, Sprache, Kunstwerke und Predigten als verschiedene Formen eines Prozesses dargestellt werden können, oder besser gesagt als verschiedene Lösungen desselben Problems fungieren. 2 Verräumlichung von Sinn Wilhelm von Humboldt hat als erster die Funktion sprachlicher Zeichen nicht in ihrer Verweisungsleistung oder ihrem Ausdrucksvermögen gesehen, sondern in der erkenntnistheoretisch notwendigen Leistung, Sinn zu materialisieren (cf. Krönig 2010 a: 5). Damit öffnet sich eine Möglichkeit, Geld genauso wie sprachliche Zeichen als Versinnlichungen oder Materialisationsformen kommunikativer Operationen anzusehen und damit auf der gleichen Ebene anzusiedeln. Humboldt argumentiert, dass Denken eine Einheit mehrerer Differenzen herstellen muss, was in gleicher Weise auf den hier verwendeten Beobachtungsbegriff, der auch soziale Operationen einschließt, zutrifft. Wenn für Humboldt das “ Wesen des Denkens [. . .] im Reflektieren, d. h. im Unterscheiden des Denkenden von dem 294 Franz Kasper Krönig (TH Köln) Gedachten ” (1973: 3) besteht, dann lässt sich das auf Beobachtungen aller Systeme beziehen, die sich als Beobachtung von dem Beobachteten unterscheiden müssen. Beobachtungen erfordern Zeit, da sie darauf angewiesen sind, ihrerseits beobachtet zu werden (Operativität). Beobachtungen bestehen aus mehreren Differenzen (Selbstreferenz/ Fremdreferenz; Etwas/ Nicht-Etwas-Anderes), die zu einer Einheit gebracht werden müssen, damit sie als ein Ereignis in der Zeit für eine folgende Beobachtung beobachtbar sind. Ein sozialer Beobachter (ein Funktionssystem) muss also gleichermaßen wie Humboldts Geist “ in seiner fortschreitenden Tätigkeit einen Augenblick stillstehen, das eben Vorgestellte in eine Einheit fassen, und auf diese Weise, als Gegenstand, sich selbst entgegenstellen ” (1973: 3). Der entscheidende Schritt nun, der erst die Bedeutung von Humboldts Gedanken in diesem Zusammenhang ausmacht, ist die Erkenntnis, dass die notwendige Bildung einer Einheit in der Zeit nur im Raum, d. h. durch Versinnlichung, gelingen kann, denn nur so können wir das Denken “ auffassen und gleichsam festhalten ” (1973: 3). Wir können für “ Denken ” hier problemlos “ Beobachtung ” setzen, worunter dann auch die kommunikativen Operationen sozialer Systeme fallen. Auch diese basieren nämlich auf einer Binnengliederung (Information, Mitteilung, Verstehen), die in der Zeit abläuft und ineins überblickt werden muss. Auch Kommunikationen sind somit als zeitlich ausgedehnte Prozesse darauf angewiesen, festgehalten zu werden, um nicht bloß in einem zeitlichen Nacheinander zu zerfallen, sondern als Einheiten fungieren zu können. Dieses Festhalten in der Zeit kann nur durch Versinnlichung, das heißt durch Materialisierung geschehen. Hier besteht also ein unmittelbarer Bezug von sozialen Systemen zum Raum. Man bedenke: Auch Kommunikation, an der nicht direkt psychische Systeme beteiligt sind, wie elektronischer Zahlungsverkehr, ist immer an Raum gebunden, wie sehr man sich in der Computertechnologie auch bemüht, diesen immer kleiner werden zu lassen. Ernst Cassirer hat an diesen Gedanken angeschlossen und an einer ersten Erweiterung und Differenzierung dessen, was Humboldt “ geistige Leistung ” nennt, gearbeitet. Er ist nicht einfach von Sprache ausgegangen, sondern hat die verschiedenen “ geistigen Gebiete [] ” (1982: 130), die er im Übrigen wie Luhmann sehr modern, “ niemals vom Gegenstand her, sondern nur von der Funktion her ” (1982: 130) bestimmt hat, auf deren spezifischeWeise der Versinnlichung geistiger Leistung untersucht. Es ist kein weiter Schritt, wenn man sein Anliegen umformuliert in: Was sind die als Versinnlichung verstandenen Bezeichnungen der Unterscheidungen in den verschiedenen beobachtenden Systemen? Was sind, über die Gemeinsamkeit der Sinnlichkeit von Beobachtungen hinaus, die Unterschiede in der Form der Versinnlichung? Cassirer setzt ähnlich wie Humboldt - nur noch allgemeiner - an, indem er vom Denken im weitesten Sinne als “ Energie des Geistes ” (1982: 133) ausgeht und nach dessen Möglichkeit unter der Bedingung der Zeitlichkeit fragt. Soll das Leben des Geistes sich nicht in die bloße Zeitform, in der es sich abspielt, auflösen, soll es nicht in ihr zerfließen, so muss sich auf dem beweglichen Hintergrunde des Geschehens ein anderes, Bleibendes reflektieren, das in sich Gestalt und Dauer hat (Cassirer 1982: 127). Man muss es nicht einmal im strengen neukantianischen Sinne einer notwendigen Propositionalität des Bewusstseins denken (cf. Wienbruch 1993); dass aber Bewusstsein gegliedert sein muss, mindestens in der Form der Intentionalität, ist unbestreitbar, so dass Die Materialität des Sinns sozialer Systeme mit besonderer Berücksichtigung des “ abartigen ” Geldes 295 sich das Problem stellt, wie ein gegliederter zeitlicher Vollzug nicht bloß in seine Einzelteile zerfallen soll, sondern zu einer gegliederten Einheit (eben Bewusstsein) wird. Als Lösung ist auch für Cassirer nur eine Versinnlichung des geistigen Vollzugs denkbar, da diese Materialisierung oder Verräumlichung des Geistes in der Zeit bestehen kann und sich als Ganzes dem denkenden Subjekt entgegenstellen lässt. Diesen Prozess der Versinnlichung, der bei jedem geistigen Vollzug geschieht, nennt Cassirer die symbolische Form. 3 Die symbolischen Formen sozialer Systeme Kann man die “ Gebiete ” , die Cassirer aufgrund ihrer verschiedenen symbolischen Formen abgrenzen will, als die Funktionssysteme der Gesellschaft auffassen? Wir wollen zunächst sehen, wie es um die Systematik der mehreren symbolischen Formen bei Cassirer bestellt ist. Krois (1988) trägt aus verschiedenen Publikationen, also über die drei Bände der Philosophie der symbolischen Formen hinausgehend, folgende symbolische Formen zusammen: “ Mythos, Sprache, Technik, Recht (meist zusammen mit › Sitte ‹ ), Kunst, Religion, Wissenschaft (oder › Erkenntnis ‹ ), Historie und auch einmal › Wirtschaft ‹” (19). Zu der Frage, ob es sich bei dieser Liste um eine systematische Zusammenstellung handelt oder nicht, kann zumindest gesagt werden, dass sie nicht abschließbar ist. Krois macht darauf aufmerksam, dass zur Eingrenzung dessen, was alles symbolische Form sein kann, zwei Aussagen Cassirers hinzugezogen werden müssen. Die berühmte Definition Cassirers (1982) der symbolischen Form als “ jede Energie des Geistes [. . .], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird ” (132) reicht nicht aus, um eine sinnvolle Eingrenzung zu erreichen. Krois zieht folgende Bestimmung Cassirers (1985) hinzu: “ Es ist ein gemeinsames Charakteristikum aller symbolischen Formen, daß sie auf jeden beliebigen Gegenstand angewendet werden können ” (49). Durch diese Einschränkung gelingt es Krois (1988), eine sinnvolle Definition der symbolischen Formen zu benennen, nach der “ etwa › das Mineralogische ‹ oder › das Arabische ‹ keine symbolischen Formen [sind], wohl aber › Wissenschaft ‹ oder › Sitte und Recht ‹” (19), da es “ keine mineralogische Interpretation von allem [. . .], wohl aber eine irgendwie geartete wissenschaftliche ” (19) geben könne. Unglücklich scheint hier nur die Rede von “ Interpretation ” gewählt, da es ja bei der symbolischen Form um Weltkonstruktion und nicht Interpretation von Schon-Etwas geht, wie Cassirer selbst deutlich macht (cf. Cassirer 1994: 137). Es fällt jedenfalls auf, dass Cassirers Liste der symbolischen Formen eine hohe Deckung mit den Funktionssystemen der Gesellschaft aufweist. Das kann nicht verwundern, da es kein weiter Schritt von Cassirers Vorstellung der symbolischen Form zu dem Begriff der codierten Beobachtung bei Luhmann ist. Man kann die codierten Beobachtungen der Funktionssysteme als symbolische Formen definieren, wenn man zugesteht, dass die Bezeichnung im Begriff der Beobachtung 3 eine Versinnlichung ist. 3 “ Beobachten heißt einfach (und so werden wir den Begriff im Folgenden durchweg verwenden): Unterscheiden und Bezeichnen. Mit dem Begriff Beobachten wird darauf aufmerksam gemacht, daß das “ Unterscheiden und Bezeichnen ” eine einzige Operation ist ” (Luhmann 1998: 69). 296 Franz Kasper Krönig (TH Köln) Geld als eine symbolische Form zu betrachten wäre Cassirer sicherlich nicht in den Sinn gekommen, ist er doch von “ geistigen Leistungen ” ausgegangen. Gleichwohl ist es möglich, den durch den Luhmann ’ schen Sinnbegriff noch grundlegender fassbaren Begriff der symbolischen Form auch auf Geld anzuwenden und damit nicht zuletzt einen Bezug zu der Räumlichkeit der Geldkommunikation herzustellen. Von der Abstraktion von “ geistigen Leistungen ” auf Beobachtungen, durch die wir den Begriff der symbolischen Form für (potentiell) 4 soziale Operationen erschlossen haben, abgesehen, lassen wir nur noch eine sozusagen konstruktivistische Lesart der symbolischen Form zu. Cassirer macht an vielen Stellen eigenartige Sprünge zwischen deutlich konstruktivistischen Ansätzen auf der einen Seite, um auf der anderen Seite den Spagat einer Versöhnung von Idealismus und Realismus zu versuchen. 5 Die symbolische Form kann sehr leicht konstruktivistisch interpretiert werden: Jede neue Form stellt in diesem Sinne einen neuen “ Aufbau ” der Welt dar, der sich nach spezifischen, nur für sie gültigen Richtmaßen vollzieht (Cassirer 1994: 124). Wenn man Cassirer so liest, wird man die symbolische Form auch immer nur als “ Ausdruck ” des Geistes verstehen; man wird immer nur Versinnlichung von Geistigem denken und hätte damit einen entweder idealistischen oder konstruktivistischen Ausgangspunkt - je nachdem, wie man weiterdenken möchte. Man kann aber nicht übersehen, dass Cassirer letztlich nicht bei dem “ Geistigen ” ansetzt, sondern so etwas wie das Husserl ’ sche “ Noema ” oder das “ Mannigfaltige der Anschauung ” bei Kant voraussetzt, das dann in einer Synthesis des Bewusstseins, die immer eine bestimmte symbolische Form ist, erst zu einem Bewusstseinsgegenstand gebildet (geformt) wird: Und so ist es überall die Freiheit des geistigen Tuns, durch die sich das Chaos der sinnlichen Eindrücke erst lichtet und durch die es für uns erst feste Gestalt anzunehmen beginnt. Nur indem wir dem fließenden Eindruck, in irgendeiner Richtung der Zeichengebung, bildend gegenübertreten, gewinnt er für uns Form und Dauer. Diese Wandlung zur Gestalt vollzieht sich in der Wissenschaft und in der Sprache, in der Kunst und im Mythos in verschiedener Weise und nach verschiedenen Bildungsprinzipien: aber sie alle stimmen darin überein, dass dasjenige, was schließlich als Produkt ihres Tuns vor uns hintritt, in keinem Zuge mehr dem bloßen Material gleicht, von dem sie anfänglich ausgegangen waren (Cassirer 1994: 43). Wir wollen uns hingegen nicht mit der Konstitutionsfrage befassen, sondern Cassirer konstruktivistisch (miss)verstehen, indem wir schlicht von der geistigen Leistung (bei uns zur Erinnerung: Beobachtung) ausgehen und nichts Äußeres (ontologisch), Vorausgehendes (zeitlich) oder Apriorisches (logisch) annehmen. Geld soll demnach verstanden werden als die Versinnlichung von Zahlungsoperationen. Zahlungen sind als Beobachtungen 4 Auf der Ebene der symbolischen Form, auch in unserem Sinne, kann noch keine Rede von Kommunikation sein, da der Blick lediglich auf eine Beobachtung und deren Versinnlichung gerichtet ist. Das schließt keineswegs aus, dass diese Beobachtung ihrerseits beobachtet und beobachtet wird (Kommunikation), schließt es aber eben noch nicht ein. 5 Eine unter vielen Stellen: “ Denn es handelt sich nicht mehr um ein Voraufgehen oder Nachfolgen des “ Sinnlichen ” gegenüber dem “ Geistigen ” , sondern um die Offenbarung und Manifestation geistiger Grundfunktionen im Material des Sinnlichen selbst. Von diesem Standpunkt aus gesehen, erscheint es als Einseitigkeit des abstrakten “ Empirismus ” , wie des abstrakten “ Idealismus ” , daß in beiden eben dieses Grundverhältnis nicht zur vollen Klarheit entwickelt ist ” (Cassirer 1994: 47). Die Materialität des Sinns sozialer Systeme mit besonderer Berücksichtigung des “ abartigen ” Geldes 297 zeitliche Operationen (Ereignisse). Zahlen oder relevant nicht-zahlen muss immer auch heißen, irgendeine Materialisation vorzunehmen. Das muss nicht das räumliche Bewegen von Münz- oder Papiergeld sein. Es ist aber mit dem Begriff der symbolischen Form durchaus vereinbar, Versinnlichung als solch ein Verschieben von Geld aufzufassen, da Versinnlichung ja nicht bedeutet, dass Materie ex nihilo geschaffen wird, um Beobachtungen zu verräumlichen. Die lautliche Versinnlichung, die ja als ein Prototyp der Versinnlichung 6 gelten kann, schafft schließlich auch keine Materie, sondern bewegt sie lediglich. Es kann auch keine Schwierigkeit darstellen, elektronischen Zahlungsverkehr eine mögliche Weise der Versinnlichung wirtschaftlicher Beobachtungen zu nennen. Ob ein bestimmter Raum auf einem Medium magnetisiert wird, Impulse ausgelöst werden, Ströme fließen, oder was auch immer; in allen Fällen liegt eine Verräumlichung im Sinne von Cassirer und Humboldt vor. 4 Geld als “ abartige ” symbolische Form? Geld wird nicht erst bei Luhmann, sondern schon bei Parsons (1980) - von allen Unterschieden abgesehen - als Paradebeispiel der symbolischen Generalisierung vorgeführt. Bemerkenswert ist, dass Geld nicht, wie man wohl geneigt ist, anzunehmen, ein symbolisch generalisiertes Tauschmedium, sondern in gleicher Weise ein Kommunikationsmedium sein soll, wie dies etwa Sprache ist. Wir wollen uns erst später der Frage der symbolischen Generalisierung der Kommunikationsmedien zuwenden und zunächst grundlegender problematisieren, dass Geld in dieser Theorie überhaupt als Medium der Kommunikation konzipiert wird. Dagegen sprechen nämlich nicht geringe Gründe. Die Operation des Systems, dessen Medium Geld ist (Wirtschaft), ist Zahlung, bzw. das Unterlassen von Zahlung. Es ist dabei völlig einsichtig, dass Zahlungsoperationen im Medium des Geldes getätigt werden. Es bleibt auch weiterhin einsichtig, wenn man nicht dem Alltagsverständnis folgt und mit Medium so etwas wie Zahlungsmittel meint, also ein instrumentales “ Womit ” der Zahlung, sondern tatsächlich im Sinne des Luhmann ’ schen Medienbegriffs, das “ Woraus ” der Zahlungen, wenn man darunter den kontinuierlichen Bereich der Möglichkeit, zu zahlen oder nicht zu zahlen, versteht, in dem kontingente und unwahrscheinliche Selektionen aktualisiert werden können und diese anhand der zur Verfügung stehenden symbolischen Form (Geld) bezeichnen, was immer auch Verräumlichung bedeutet. Hier zeigt sich also schon deutlich, warum Luhmann (1994) von “ einer gewissen strukturellen Isomorphie von Sinn und Geld ” (232) sprechen kann: Zahlungen lassen sich als Aktualisierungen im Medium des Möglichen verstehen, womit man schon beim Sinnbegriff wäre. Wer zahlt, kann man dann sagen, zahlt einen bestimmten Betrag (und nicht einen anderen) an jemand bestimmten (und nicht jemand anderen). So gesehen, scheint Geld ein Medium zu sein, das Selektions- und damit Negationsmöglichkeiten bietet. Man darf dabei aber nicht übersehen, dass die (unsere) Beobachtung des Mediums “ Geld ” natürlich im Medium “ Sinn ” stattfindet und die Negationen, die man den Zahlungsoperationen zuspricht, vielleicht nur auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung ins Spiel kommen. Genauso wird man Negationen im Raummedium nur scheinbar vorfinden: 6 Die Kolleg*innen von der Gestenforschung werden hier vermutlich zu Recht widersprechen. 298 Franz Kasper Krönig (TH Köln) “ dort ” heißt ja immer nur “ nicht hier ” . Im Falle des Raumes leuchtet allerdings sofort ein, dass diese Negativität nur durch die Beobachtung des Raumes im Medium des Sinns möglich wird. Für nicht-sinnverwendende Tiere ist der Raum nicht negativ, sondern vielleicht hodologisch (ein Kontinuum der Wege zu den Zielen). Ist nun Geld ein Medium wie Sinn, das bestimmende, mithin negative, Beobachtungen ermöglicht, oder ist Geld ein Medium, das wie Sprache auf dem Sinnmedium aufbaut? Wenn Luhmann (1994) “ deutliche strukturelle Parallelen zwischen Sinn und Geld behauptet ” (232), dann will er ja gerade darauf hinaus, dass Geld nicht ein Sinnmedium ist, diesem also subordiniert, sondern auf eine eigene aber ähnliche Weise Beobachtungen ermöglicht. Vielleicht könnte man sagen, dass die Medium/ Form-Differenz, die jedes Kommunikationsmedium ermöglichen muss, im Falle des Geldes nicht auf Möglichkeit (Sinn) basiert, sondern auf Menge (Quantität). Das Geldmedium würde demnach eine eigene Relativität herstellen, in der sich seligieren lässt, ohne negieren zu müssen. Luhmann scheint in der Frage des Verhältnisses von Sinn und Geld zwei sich widersprechende Angaben zu machen, je nachdem, ob er Geld als Kommunikationsmedium auffasst oder als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium, wenn dies natürlich zugleich ein Medium der Kommunikation ist. Wenn es ihm allgemein um Geld als Medium geht und er danach fragt, ob und welche Beobachtungen dieses Medium ermöglicht, sieht er die angedeuteten Parallelen zu dem Universalmedium Sinn (cf. Krönig 2010 b). Wenn er aber andererseits über das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium Geld spricht, dann geht es nicht mehr um Beobachtungen, sondern um das viel höherstufige Problem der Unwahrscheinlichkeit der Annahme von Kommunikation, das zudem auf eine Evolutionsgeschichte eines zugrundeliegenden Kommunikationsmediums Bezug nimmt. In diesem Zusammenhang sagt dann Luhmann (1998) etwa, dass es sich bei symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien um “ eigenständige Medien mit einem direkten Bezug zum Problem der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation ” (316) handelt, die nicht - das gilt natürlich auch für das Geldmedium - eigene Negationsmöglichkeiten zur Beobachtung bereitstellen: Sie setzen jedoch die Ja/ Nein-Codierung der Sprache voraus und übernehmen die Funktion, die Annahme einer Kommunikation erwartbar zu machen in Fällen, in denen die Ablehnung wahrscheinlich ist (Luhmann 1998: 316). Luhmann neigt dazu, Geld nur im Zusammenhang mit Sprache als Kommunikationsmedium zu betrachten. Geld kommt als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium erst ins Spiel, wenn Kommunikation schon läuft, um nicht einmal deren Fortlaufen zu gewährleisten, sondern sogar die Annahme deren Selektionen wahrscheinlicher zu machen, was für die Autopoiesis der Kommunikation nicht zwingend ist: Sie [symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, FK] begnügen sich nicht, wie die Sprache, damit, unter hochkomplexen Bedingungen und einer erst ad hoc gewählten Kommunikation hinreichendes Verstehen sicherzustellen. Das setzen sie voraus. Gerade das Verstehen macht es nun aber in vielen Fällen extrem unwahrscheinlich, dass die Kommunikation angenommen wird - zum Beispiel bei unwahrscheinlichen Behauptungen, bei Abgabezumutungen, bei willkürlichen Verhaltensanweisungen (Luhmann 1998: 319). Obwohl Luhmann (1994) einerseits das Wirtschaftssystem als Autopoiesis der Zahlungen versteht und demnach für ihn “ Wirtschaft [. . .] eine Menge notwendiger/ nichtnotwendiger Die Materialität des Sinns sozialer Systeme mit besonderer Berücksichtigung des “ abartigen ” Geldes 299 Zahlungen ” (243) ist, gesteht er den Zahlungen nicht zu, kommunizieren zu können. Würde er von einer autarken operativen Verknüpfung von Zahlungen ausgehen, hielte er es nicht für notwendig, die Selbstreferenz der Beobachtungen des Wirtschaftssystems über “ übliche Kommunikation ” laufen zu lassen: Die Künstlichkeit dieser Bedingungen der Übertragbarkeit gehört zu den Funktionsbedingungen des Geldes, wobei selbstverständlich übliche Kommunikation immer mitläuft, damit die Beteiligten sich darüber verständigen können, dass es sich bei der beabsichtigten Operation um eine Zahlung handelt (Luhmann 1994: 247). Auch wenn nicht einleuchtet, weshalb Zahlungen andere Zahlungen nicht auch ohne außenstehende Beobachtungen als Zahlungen beobachten können sollen (Wenn eine Zahlung auf mein Konto eingeht, ändert sich der Kontostand auch ohne meine Kommentare dazu), bleibt eine wichtige Ausnahmesituation des Geldes als Kommunikationsmittel bestehen: “ Anders als bei Normalkommunikation muß gesichert werden, daß bei einer Zahlung dem Zahlenden das Gezahlte verlorengeht und der Empfänger es erhält ” (Luhmann 1994: 247). Trotzdem scheint die Sonderrolle oder “ Abartigkeit ” (Luhmann 1994: 248) des Geldes als Kommunikationsmedium von Luhmann übermäßig betont zu werden. Warum sollen Zahlungen - außer aus historischer Perspektive - auf Sprache angewiesen sein? Warum muss sich jemand darüber verständigen, was eine Zahlung ist? Hat nicht jeder Zahlungsvorgang alles, was der Kommunikation bedarf, selbst? Er ist Information, indem er einen bestimmten Betrag seligiert. Er ist Mitteilung, indem er zwischen Geber und Nehmer unterscheidet, er ist Verstehen, indem er den Leistenden der Zahlung, bzw. dessen Konto (Mitteilung) von dem Betrag (Information) unterscheidet. Ist es demnach nicht vielmehr so, dass Zahlungen z. B. an der Börse völlig unbeobachtet und sprachlich unbegleitet erfolgen können? Auch Hutter (1995) bestreitet Luhmanns Ansicht, Sprache müsse bei Wirtschaftstransaktionen immer mitlaufen, wenn er schreibt: “ Was immer von jemandem über den ökonomischen Wert eines Gutes gesagt wird, es liegt außerhalb der tatsächlichen Wertverständigung ” (334). Das Wirtschaftssystem scheint also unabhängig von Sprache operieren zu können. In dem hier skizzierten Sinne handelt es sich bei einer Abbuchung von Überziehungszinsen vom meinem Konto zweifellos um Kommunikation und meine sprachliche Begleitung dieser Kommunikation ist hierzu nicht notwendig, was noch nicht heißen soll, dass die Wirtschaft ohne Beteiligung psychischer Systeme arbeiten kann. 7 7 Zu der hier naheliegenden Frage, ob etwa der Computer die Stelle des Bewusstseins bei der strukturellen Kopplung mit Kommunikation einnehmen kann, bemerkt Esposito (2001), dass Computer zwar auf Grund ihrer Eigenkomplexität anders als die typische triviale Maschine intransparent sind und somit die Funktion struktureller Kopplung einnehmen können, dies aber nur sozusagen Ersatzweise auf Zeit (aber immerhin): “ Durch die Vermittlung der Computer hat sich die Gesellschaft eine neue Form von Intransparenz und potentieller Irritation geschafft (sic.), die jedoch auf einer “ zweiten Ebene ” bleibt, weil sie früher oder später eine Re-Synchronisierung mit einem psychischen Ereignis voraussetzt: früher oder später muß jemand verstehen, was der Computer sagt ” (248). 300 Franz Kasper Krönig (TH Köln) 5 Fazit Bekanntlich hat Niklas Luhmann dem Zeichenbegriff in seinem Kommunikationsmodell keine wesentliche Bedeutung zugemessen. Der Grund scheint zu sein, dass kein Zeichenbegriff vorliegt, der der Universalität (cf. Luhmann 1987: 96) seines Sinnbegriffs entsprechen könnte, so dass das Zeichen immer nur als eine kontingente Möglichkeit und niemals als die notwendige Form von Sinn konzipiert wird. 8 Hiergegen sollte gezeigt werden, dass Ernst Cassirers symbolische Form auf sämtliche, d. h. psychische und soziale Sinnprozesse anwendbar ist. Abstrahiert man dieses Konzept anhand des systemtheoretischen Beobachterbegriffs, scheint sich eine Grundlage zu bieten, die symbolische Form als die Form des Sinns überhaupt zu erfassen und “ Materialität ” als dessen unhintergehbare Bedingung aufzuweisen. Geld ist sowohl vom Sinnbegriff als auch von der symbolischen Form ausgehend ein Sonderfall, der eine Vermittlung der beiden Konzepte besonders erschwert. Aber auch hier zeigt sich, dass Geld als Versinnlichungsform von Kommunikation verstanden werden kann und wie jede andere soziale oder psychische Operation Beobachtung materialisiert. Literatur Bateson, Gregory 1985: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemische Perspektiven, Frankfurt am Main: Suhrkamp Brier, Søren 2013: „ Cybersemiotics: A New Foundation for a Transdisciplinary Theory of Consciousness, Cognition, Meaning and Communication ” , in: Swan, Liz (ed.) 2013: Origins of Mind, Dordrecht: Springer, 97 - 128 Bühler, Karl 1934: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Jena: Verlag von Gustav Fischer Cassirer, Ernst 1982: “ Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften ” , in: Ollig, Hans-Ludwig (ed.) 1982: Neukantianismus. Texte der Marburger und der Südwestdeutschen Schule, ihrer Vorläufer und Kritiker, Stuttgart: Reclam, 127 - 163 Cassirer, Ernst 1985: Der Mythos des Staates: philosophische Grundlagen politischen Verhaltens, Frankfurt am Main: Fischer Cassirer, Ernst 1994: Philosophie der Symbolischen Formen. Erster Teil, die Sprache, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Esposito, Elena 2001: “ Strukturelle Kopplung mit unsichtbaren Maschinen ” , in: Soziale Systeme 7.2 (2001): 241 - 252 Humboldt, Wilhelm von 1973: Schriften zur Sprache, Stuttgart: Reclam Hutter, Michael 1995: “ Signum non olet. Grundzüge einer Zeichentheorie des Geldes ” , in: Schelkle, Waltraud & Manfred Nitsch (eds.) 1995: Rätsel Geld. Annäherungen aus ökonomischer, soziologischer und historischer Sicht, Marburg: Metropolis, 325 - 352 Krönig, Franz Kasper 2010 a: “ Semioses and social change. The relevance of semiosis on the level of social structure and the case of the generative metaphorization of educational communication ” , in: KODIKAS/ CODE Ars Semeiotica 33.1 - 2 (2010): 3 - 12 Krönig, Franz Kasper 2010 b: “ Semiotik und Systemtheorie der Gesellschaft ” , in: Zeitschrift für Semiotik 32.1 - 2 (2010): 3 - 15 8 Cf. zu dem hier angesprochenen “ Universalismusstreit ” zwischen Semiotik und Systemtheorie: Krönig 2010 b. Die Materialität des Sinns sozialer Systeme mit besonderer Berücksichtigung des “ abartigen ” Geldes 301 Krois, John Michael 1988: “ Problematik, Eigenart und Aktualität der Cassirerschen Philosophie der symbolischen Formen ” , in: Braun, Hans-Jürg, Helmut Holzhey & Ernst Wolfgang Orth (eds.) 1988: Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 15 - 44 Luhmann, Niklas 1987: Soziale Systeme, Frankfurt am Main: Suhrkamp Luhmann, Niklas 1994: Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp Luhmann, Niklas 1998: Die Gesellschaft der Gesellschaft 1, Frankfurt am Main: Suhrkamp Luhmann, Niklas 2001: “ Was ist Kommunikation? ” , in: Jahraus, Oliver (ed.) 2001: Niklas Luhmann. Aufsätze und Reden, Stuttgart: Reclam, 94 - 110 Parsons, Talcott 1980: Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien, Opladen: Westdeutscher Verlag Peirce, Charles Sanders 1958: Collected Papers of Charles Sanders Peirce, ed. Hartshorne, Charles, Paul Weiss & Arthur W. Burke, Cambridge (MA): Harvard University Press Wienbruch, Ulrich 1993: Das bewußte Erleben. Ein systematischer Entwurf, Würzburg: Königshausen & Neumann 302 Franz Kasper Krönig (TH Köln) K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Gemeinsame Aufmerksamkeit Der Schlüssel zur symbolischen Praxis? Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) Regarding the emergence of the specific semanticity of human communication and language, joint attention is generally seen as the crucial ontogenetic development. At the same time, it is considered an important evolutionary turning point which marks the differences between subhuman and specific human forms of interaction. While taking into account and integrating the findings of a mainly psychologically shaped joint attention research, this article aims to provide an interactional framework of triadic engagement, instead of focusing on preconditional individual competencies of learning and cognition. This framework allows to adress not only different evolutionary scenarios of triadic engagement, but also considers the semiotic quality of communication means used within these forms of interaction, thus leading to further evidence of the emergence of joint attention and its role for the development of symbolic communication. 1 Einleitung Unter dem Dach der Joint-Attention-Forschung treffen von jeher konkurrierende Paradigmen aufeinander, deren unterschiedliche Vorannahmen und Erkenntnisinteressen zu verschiedenartigen Individuierungen des Bezugsgegenstandes ‘ Gemeinsame Aufmerksamkeit ’ führen und damit kaum überraschend ein gewisses Spektrum unterschiedlicher Auffassungen gemeinsamer Aufmerksamkeit generieren (cf. Moore und Dunham 1995/ 2009; Eilan et al. 2005; Seemann 2011; Metcalfe und Terrace 2013). Demgemäß ist das jüngste Forschungsinteresse innerhalb der Joint-Attention-Forschung in erheblichem Maße auch definitorischen Aspekten gewidmet (cf. Seemann 2011 a: 4). Gemein ist den konkurrierenden Ansätzen die Betrachtung eines bestimmten mikroanalytischen Phänomens, das mit Butterworth (1995/ 2009: 29) als “ looking where someone else is looking ” beschrieben werden kann und je nach methodologischem Standpunkt in unterschiedlicher Ausprägung mit mentalistischen Prämissen unterfüttert wird. Im Fokus steht die kindliche Fähigkeit, dem Blick bzw. der Blickrichtung eines Erwachsenen zu folgen und seine Aufmerksamkeit auf die auch vom Erwachsenen betrachtete Entität zu richten (cf. Kathage 2008: 46), oder ganz einfach, und weniger auf das Visuelle fixiert, die Orientierung an der Orientierung anderer (cf. Knobloch 1997) mitsamt den dafür notwendigen kognitiven Ressourcen. Ontogenetisch gilt ein Zeitfenster um den ersten Geburtstag des Kindes herum als entscheidend für die Herausbildung gemeinsamer Aufmerksamkeit, die - wie gemeinhin angenommen wird - den kurz darauf einsetzenden Spracherwerb begründet. Eng verknüpft werden die frühesten Aktivitäten gemeinsamer Aufmerksamkeit in der Regel mit der ebenfalls ab einem Alter von etwa einem Jahr vermehrt eingesetzten Zeigegeste und mit einer triadischen Beziehung zwischen Kind, Betreuungsperson und der jeweils betrachteten Entität, die eine zuvor vorherrschende Dyade zwischen Kind und Betreuungsperson ablöst (cf. Bruner 1995/ 2009; Tomasello 1995/ 2009, 2002). Ausgehend von diesen Annahmen zur Ontogenese wird gemeinsamer Aufmerksamkeit (und zum Teil auch der Zeigegeste) auch auf phylogenetischer Ebene, z. B. mit Blick auf die Jagd in frühmenschlichen Jäger- und Sammlergemeinschaften, höchste Bedeutung bei der Rekonstruktion der Genese der spezifisch sprachlichen Semantizität zugesprochen. In den nachfolgenden Abschnitten werden zunächst die Probleme und Folgen der den lerntheoretischen und den mentalistischen Ansätzen der Joint-Attention-Forschung jeweils zugrundeliegenden Vorverständnisse dargelegt, um demgegenüber die Notwendigkeit herauszustellen, gemeinsame Aufmerksamkeit (und schließlich die Sprache) nicht aus weitgehend voraussetzungslosen Vermögen (des Lernens oder der Kognition), sondern aus Prozessen wechselseitiger Verhaltensabstimmung abzuleiten (2). Im Anschluss soll ein (mangels entsprechend ausgerichteter empirischer Forschung lückenhafter) eigener Erklärungsansatz bereitgestellt werden, der ausgehend von einer dyadische Steuerungsprozesse bereits übertreffenden funktionalen Triadizität (3) über eine funktional-kognitive Triadizität zum synsemantischen Potential der Sprache hinführt (4). Abschließend wird zu überlegen sein, wie ein - die wegweisenden Befunde der bis dato geleisteten Forschung integrierender - empirischer Ansatz zur näheren Erforschung gemeinsamer Aufmerksamkeit und ihrer Rolle beim Übergang zur symbolischen Kommunikation weiter ausgearbeitet werden kann (5). 2 Die soziale Ausgangskonstellation Ihren Ausgang nimmt die Joint-Attention-Forschung nach gängiger Einschätzung bei den Arbeiten Jerome Bruners und seiner Schüler (cf. insbesondere Scaife und Bruner 1975), wenngleich Bruner (1995/ 2009: 1) selbst ein frühes Interesse an diesem Forschungsfeld bereits bei einem Londoner Symposium in den späten 1950er Jahren sowie daraus entstandenen Arbeiten (cf. David und Appell 1961) als gegeben sieht. Etabliert ist das Forschungsfeld spätestens mit dem Sammelband von Chris Moore und Philip Dunham (1995), in dem sich drei konkurrierende Paradigmen identifizieren lassen. 1 Die lerntheoretische Strömung (cf. Corkum und Moore 1995/ 2009; Moore 1996; Barresi und Moore 1996; Dymond und McHugh 2005) bezweifelt, dass gemeinsame Aufmerksamkeit ein Verstehen der Tätigkeiten des anderen bedingt. Wie im conditioned head turn 1 Schon damals werden auch alternative Klassifizierungen vorgenommen. So unterscheidet Tomasello (1999 a: 304 ff.) zwischen Ansätzen des prepared learning (cf. Muir und Hains 1999; Rochat und Striano 1999) und Simulationserklärungen (cf. Tomasello 1999 a; Barresi und Moore 1996; Meltzoff und Gopnik 1993; Gergely und Watson 1999), wobei Letztere unabhängig vom Ausmaß der angenommenen biologischen Prädispositionen die Auffassung anderer Akteure in Analogie zum Selbst in den Vordergrund stellten. 304 Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) paradigm von Corkum und Moore (1995/ 2009) könnten die Merkmale gemeinsamer Aufmerksamkeit auch einfach erlernt beziehungsweise konditioniert sein: Das Kind nutze die Kopfbewegung der Betreuungsperson also als Stimulus für die Bewegung seines eigenen Kopfes in dieselbe Richtung (cf. Kathage 2008: 50). Lerntheorien stehen in dieser Hinsicht in der Tradition des Behaviorismus (cf. Tomasello 1995/ 2009: 112), veranschlagen aber dennoch auch gewisse biologische Prädispositionen (cf. Tomasello 1999: 305 f.). Nichtsdestotrotz haben die verschiedenen Verhaltensweisen gemeinsamer Aufmerksamkeit für Lerntheoretiker ihre je eigene Lerngeschichte und ihre eigenen Auslösereize, die nicht von ausgefeilten sozio-kognitiven Fertigkeiten abhängen (cf. Tomasello 2002: 84). Demgegenüber fußt das nativistische Paradigma auf einer universalistischen biologischen Begründung, die kindliche Interaktionen mit der Betreuungsperson weitgehend unberücksichtigt lässt (cf. Kathage 2008: 50). So gleicht die Sozialkognition des Kindes nach Trevarthen (1979) von Geburt an der des Erwachsenen und ein angeborener Sinn für den virtuellen anderen warte lediglich darauf, über die Entwicklung so genannter behavioral performance skills in sichtbares Verhalten transformiert zu werden. Baron-Cohen (1995/ 2009) veranschlagt gar je eigene Module für das Folgen der Blickrichtung (eye direction detector), gemeinsame Aufmerksamkeit (shared attention mechanism) und eine theory of mind (theory of mind mechanism). Vergleichbar den von Lerntheoretikern zumindest angesprochenen biologischen Veranlagungen verweist er umgekehrt aber immerhin auf die Notwendigkeit eines sozialen Umfelds. Im Spannungsfeld von Lerntheorien und nativistischen Ansätzen etabliert Michael Tomasello Mitte der 1990er Jahre das sozial-kognitive Paradigma der Joint-Attention- Forschung. Tomasello, der Aufmerksamkeit in Anlehnung an Gibson und Rader (1979) als intentionale Wahrnehmung definiert (cf. Tomasello 1995/ 2009: 104), kritisiert die Ansätze lerntheoretischer und nativistischer Prägung dafür, keine angemessene Erklärung für das synchrone Auftreten der unterschiedlichen Verhaltensweisen gemeinsamer Aufmerksamkeit zu liefern. Zwar bemühe der lerntheoretisch eingestellte Moore (1996) eine im entsprechenden Zeitfenster neu auftauchende Fähigkeit zur Informationsverarbeitung, auf deren Basis Kinder ihre Aufmerksamkeit auf zwei Dinge gleichzeitig richten könnten, diese habe man aber niemals identifizieren oder gar mit der frühen Sozialkognition in Verbindung bringen können (cf. Tomasello 2002: 84 f.). Ebenso liefere die von Nativisten (cf. Trevarthen 1979) vorgebrachte motorische Reifezeit keine angemessene Begründung, da nur minimale motorische Fertigkeiten für Verhaltensweisen gemeinsamer Aufmerksamkeit überhaupt notwendig seien (cf. Tomasello 1999 a: 65). Tomasello selbst veranschlagt daher das sozial-kognitive Vermögen, andere als intentionale Akteure zu verstehen. 2 Seiner Simulationserklärung zufolge schreiben Kinder anderen Akteuren von Geburt an diejenigen mentalen Kapazitäten zu, die sie an sich selbst ausmachen (Analogie mit dem Selbst, Identifikation mit anderen). Sobald sie mit einem Alter von 8 - 9 Monaten begönnen, ihre eigene Intentionalität (im Sinne einer Unterscheidung von Mitteln und Zielen; cf. Piaget 1974, 1992) zu verstehen, verstünden sie mithin auch andere als intentionale Akteure. Dieses 2 Seither hat Tomasello (2009, 2010, 2014) seine Ansicht jedoch mehrfach revidiert und geht mittlerweile davon aus, dass auch nichtmenschliche Primaten die Intentionen und Wahrnehmungen (und deren Verbindung) anderer Akteure verstehen, während sie Beschränkungen hinsichtlich geteilter Intentionalität (der dann auch das Konzept gemeinsamer Aufmerksamkeit subsumiert ist) zeigten. Gemeinsame Aufmerksamkeit 305 neue Verstehen intentionaler Tätigkeiten entfalte sich dann in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen und manifestiere sich in gemeinsamer Aufmerksamkeit wie auch in der damit verbundenen Verwendung deiktischer Gesten und dem Imitationslernen. Die paradigmatische Dreiteilung der Joint-Attention-Forschung in lernorientierte, nativistische und sozial-kognitive Ansätze hat in ihrer klassischen Form nicht bis heute überdauert. Zu stark waren wohl die Einflüsse, die philosophische (cf. z. B. Fletcher und Carruthers 2013) und vor allem neurowissenschaftliche Strömungen (cf. z. B. Gallese und Sinigaglia 2013; Steele und Lau 2013) auf die im Kern aber weiter entwicklungspsychologisch geprägte Joint-Attention-Forschung ausgeübt haben. Geblieben ist indes eine ihrerseits kontrovers diskutierte Dichotomie behavioristisch-lerntheoretischer Ansätze einerseits und mentalistischer Ansätze andererseits (cf. hierzu Racine 2011; Penn und Povinelli 2013; Fletcher und Carruthers 2013). Ob nun neurowissenschaftliche Konzeptionen den nativistischen Ansätzen subsumiert und/ oder diese ihrerseits den kognitionstheoretischen oder den mentalistischen Ansätzen zugerechnet werden, spielt hier jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Es soll vielmehr eine Gemeinsamkeit aller Forschungen zur gemeinsamen Aufmerksamkeit im Vordergrund der Kritik stehen und zugleich als Ausgangspunkt zur Etablierung eines Kontrastprogramms dienen: die individualistische Ausgangskonstellation. Der Nativist betrachtet Module, die im einzelnen Individuum schlicht heranreifen müssen; der Lerntheoretiker verweist auf individuelle Lernprozesse, die das einzelne Kind in einem sozial strukturierten Umfeld durchläuft; der Kognitionswissenschaftler stützt sich auf sozial-kognitive Komponenten, die zwar auf das soziale Umfeld zielen mögen, die aber stets nur dem einzelnen Kind zugerechnet werden können; und der Neurowissenschaftler geht gar so weit, die infrage stehenden Kompetenzen auf Hirnareale und -strömungen zu reduzieren. Eine wirklich soziale Ausgangskonstellation, wie sie von Mead (1973) oder Bühler (2000) veranschlagt wird, sucht man in der Joint- Attention-Forschung vergeblich. Die Probleme, die ein individualistisch aufgestelltes Fundament zur Herleitung gemeinsamer Aufmerksamkeit und schließlich der Sprache mit sich bringt, wurden an anderer Stelle bereits ausführlich besprochen (cf. Mollenhauer 2015). Es soll hier genügen, den Kern des Problems herauszuarbeiten. Wird nämlich die soziale Praxis der gegenseitigen Verhaltensabstimmung und Handlungskoordination nicht in den Blick genommen, ist die spezifisch sprachliche Semantizität unvermeidlich zu einem Ausdruck individueller Ressourcen herabgestuft. Mit Bühler (2000) ließe sich feststellen, dass sowohl die behavioristisch geprägten Lerntheorien als auch die mentalistisch argumentierenden Ansätze der Joint-Attention-Forschung einen unzulässigen Sprung von der Ebene des Ausdrucks zur Ebene der Darstellung vollziehen. Letztere bleibt in ihrer besonderen Qualität aber verborgen, wenn der Ausdruck nicht schon in fundamentalen Prozessen gegenseitiger Steuerung fest verknüpft ist mit einem Appell, wenn also unberücksichtigt bleibt, dass jedwedes kundgegebene Signal erst einmal kundgenommen werden muss, um seine Wirkung zu entfalten. Die von der Joint-Attention-Forschung fokussierten individuellen Vermögen (des Lernens und der Kognition) haben zweifellos ihre Rolle zu spielen beim Übergang von auch im Tierreich üblichen Kontakten zu Formen humanspezifischer Interaktion, ihre Genese kann sich aber nur vollziehen im Rahmen bereits etablierter signalartiger Prozesse gegenseitiger Steuerung, von denen in Forschungen zur gemein- 306 Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) samen Aufmerksamkeit zwar durchaus hier und da die Rede ist (Bruners Formate, Tomasellos Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit), die dort aber nie näher aufgeschlüsselt werden. Vor allem aber müssen auch unter Zuhilfenahme kognitiv-motivationaler Faktoren Prozesse gemeinsamer Aufmerksamkeit in wechselseitiger wahrnehmungsmäßiger Abstimmung der beteiligten Individuen erst einmal konstituiert werden, bevor durch eine regelmäßige signalartige und wechselseitig abgestimmte Bezugnahme auf bestimmte Entitäten kontinuierlich eine die Sprache kennzeichnende Konventionalität geschaffen werden kann und schließlich die Ebene synsemantischer Kontakte (cf. Bühler 1999) erreicht ist. Dass die überindividuelle Ebene der Sprache (und anderer Symbole) qualitativ gerade dadurch bestimmt ist, dass sie hinsichtlich ihrer Formate nicht mit denen der Kognition übereinstimmt, bleibt der Joint-Attention-Forschung weitgehend verborgen, wie auch letztlich über individuelle Motive bestimmte Grammatiken des Aufforderns, Informierens und Teilens in dem mit kommunikationstheoretischen Grundannahmen wohl noch am ehesten harmonierenden sozial-kognitiven Ansatz Tomasellos (2009) belegen. Der hier vertretene und nachfolgend dargelegte Ansatz unterscheidet sich von den psychologischen Paradigmen gemeinsamer Aufmerksamkeit ebenso wie von den Ansätzen innerhalb der Neurowissenschaften und der philosophy of mind also durch seine soziale Ausgangskonstellation im Sinne Bühlers oder Meads. Bühler bestimmt in methodologischer Offenheit den Sozialverbund zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und vermeidet eine unnötige Belastung der Hypothesen durch mentalistische Vorannahmen, indem er mit behavioristischen und kybernetischen Mitteln beginnt (ohne in einen ‘ Individualbehaviorismus ’ nach Art moderner Lerntheorien zu verfallen), und auch Meads Sozialbehaviorismus kommt ohne mentalistische Vorentscheidungen aus. Nach diesen Vorbildern soll nachstehend eine funktionale Betrachtung verschiedener Konstellationen der Verhaltensabstimmung erfolgen. Orientiert an dem in der Joint-Attention-Forschung viel diskutierten Phänomen der Triadizität, die teilweise als Merkmal gemeinsamer Aufmerksamkeit gilt (cf. Bakeman und Adamson 1984), zum Teil aber auch als nicht hinreichend für Joint Attention angesehen wird (cf. Carpenter und Call 2013), werden sodann kognitive Ressourcen in die Betrachtung von (bereits etablierten) Steuerungsprozessen aufgenommen, wodurch nähere Aussagen zur (a) Entstehung gemeinsamer Aufmerksamkeit und zu (b) ihrer Rolle beim Übergang zur symbolischen Kommunikation ermöglicht werden sollen. 3 Funktionale Triadizität Joint Attention wird in der Regel in Abgrenzung von einem rein dyadischen Steuerungsprozess als Triade von Kind, Betreuungsperson und betrachteter Entität definiert. Ein einfacher, rein dyadischer Steuerungsprozess liegt beispielweise im Falle der von Mead (1973) angeführten, sich gegenseitig drohenden Hunde vor. Hier sind auch die Anforderungen Bühlers (2000) an eine soziale Ausgangskonstellation als Grundlage der Herleitung der spezifisch sprachlichen Semantizität bereits erfüllt. Gegeben ist eine Situation gemeinsamer Wahrnehmung mit einer Einstellung der Individuen aufeinander sowie einem gegenseitigen Verstehen der Tätigkeiten des anderen (cf. Bühler 2000; Ungeheuer 2004). Derartig strukturierte Koordinationsprozesse sind im Tierreich üblich, und sie durchziehen auch die zwischenmenschliche Kommunikation unter kompetenten Gemeinsame Aufmerksamkeit 307 Sprechern in erheblichem Maße. Dennoch sind triadisch organisierte Kontakte in verschiedenartigen Ausformungen auch im subhumanen Bereich bereits anzutreffen. Beispielhaft sollen hier drei solcher Szenarien besprochen werden: Beispiel 1: Der Tanz der Honigbienen Bienen, die nach erfolgreicher Nahrungssuche von einer Blüte zurückkehren, führen bei Ankunft im Bienenstock einen Tanz auf, um ihren Artgenossen damit Richtung und Entfernung der besuchten Nahrungsquelle anzuzeigen. Zudem offerieren sie den anderen Mitgliedern des Stocks eine stoffliche Probe der aufgesuchten Blüte. Bühler (2000: 72 ff.) erläutert an diesem Beispiel den symphysischen Einsatz der Steuerungsmittel. Angesprochen sind damit, wie andernorts bereits beschrieben (cf. Mollenhauer 2010, 2015, 2016), soziale Konstellationen, die über die gegenseitige Steuerung der beteiligten Individuen hinaus auf einen weiteren, außerhalb gemeinsamer Wahrnehmung befindlichen Steuerungsrichtpunkt (hier die Blüte) zielen, die aber dennoch der spezifisch sprachlichen Semantizität entbehren. Sie sind gebunden an das physische Umfeld, im Gegensatz zur symbolischen Praxis also nicht entstofflicht und ablösbar von den Bezugsentitäten. Durch den zusätzlichen Steuerungsrichtpunkt, der sich gar außerhalb gemeinsamer Wahrnehmung befindet, entsteht aber eine triadische Beziehung aus Biene 1, Biene 2 und der betroffenen Blüte. Man muss (und soll) hier selbstverständlich nicht annehmen, die Bienen würden gemeinsam wissen, dass ihre Aufmerksamkeit auf dasselbe Objekt gerichtet ist (cf. Carpenter und Call 2013), ja man muss nicht einmal glauben, dass ihre Aufmerksamkeit überhaupt parallel auf dieselbe Entität zielt. Mit behavioristischen Mitteln kann - ohne Belastung der Hypothesen - ein einfaches Reiz-Reaktions-Schema zugrunde gelegt werden, demzufolge die Blüte als Reiz auf Biene 1 wirkt, die in Reaktion darauf zum Stock zurückkehrt und einen entsprechenden Tanz aufführt (und eine Stoffprobe offeriert), der dann (zusammen mit der Stoffprobe) seinerseits Biene 2 als Reiz gilt und als Reaktion ihren Aufbruch zur Blütenquelle hervorruft. Eine einfache Reiz-Reaktions-Kette ist zur Beschreibung dieser Aktivitäten aber nicht hinreichend. Es liegt stattdessen ein Reiz-Reaktions-Dreieck vor, das als einseitig verlaufende triadische Beziehung beschrieben werden kann, insofern der neben den sich steuernden Individuen selbst vorhandene Steuerungsrichtpunkt den Auslösereiz für Biene 1 stellt, während ihm auch die Reaktion von Biene 2 gilt (wenn Biene 2 erst einmal in Sichtweite der Blüte ist, kann diese dann auch für sich als Reiz fungieren, der ein weiteres Reiz- Reaktions-Dreieck in Gang bringt). Triadizität bedeutet hier auch, dass das Reiz-Reaktions- Dreieck nicht reduzierbar ist auf voneinander unabhängige Reiz-Reaktions-Abläufe. Wenn nämlich nicht genau Blüte X in einer spezifischen Richtung Y und einer spezifischen Entfernung Z den Reiz für Biene A stellen würde, könnte B nicht erfolgreich die entsprechende Blüte X anfliegen. Reaktion 2 (das Aufsuchen der Blüte) ist also abhängig von Reiz 1 (der Reiz 2 herbeiführt), und zwar nach einem artspezifisch festgelegten Schema und mit Hilfe eines artspezifischen Spektrums von Signalen, die von anderen Artgenossen reproduzierbar sind. Es geht folglich nicht um eine bloße Kausalkette, bei der ein Ereignis A zu einem Ereignis B führt, das seinerseits zu einem Ereignis C führt, welches ohne B und damit ohne A nicht stattgefunden hätte. Vielmehr liegt im Falle der gegenseitigen Steuerungsaktivitäten der Honigbienen eine, allerdings nur in eine Richtung verlaufende und zeitlich gestaffelte, triadische Beziehung vor. 308 Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) Beispiel 2: Die Warnrufe Grüner Meerkatzen Die Warnrufe, die Grüne Meerkatzen in Reaktion auf einen Beutegreifer von sich geben, werden von anderen Individuen der Gruppe zum Anlass genommen, die Flucht zu ergreifen. Nach Tomasello (2009: 28 f.) stellen diese Vokalisierungen einen schlichten Ausdruck von Emotion dar, da sie nicht intentional hervorgebracht würden und nicht willentlich an andere Individuen gerichtet seien. Da sie außerdem kein geeignetes Mittel für die referentielle Intention darstellten, hält er sie nicht für den entscheidenden Umschlagpunkt auf dem Weg zur humanspezifischen Interaktion. Beruft man sich demgegenüber auf die aus einer methodologischen Offenheit resultierende und eine soziale Ausgangskonstellation veranschlagende Axiomatik, die Karl Bühler in seiner Krise der Psychologie darlegt, erfüllen die Warnrufe Grüner Meerkatzen zweifellos die Bedingungen des ersten und des zweiten Axioms: Sie werden innerhalb eines Sozialverbundes hervorgebracht, sie bringen das innere Befinden zum Ausdruck und sie dienen der Steuerung anderer Individuen. Eine intentionale Warnung der Artgenossen muss nicht vorausgesetzt werden, um die von Bühler angesprochene Einstellung der Individuen aufeinander und eine gegenseitige Steuerung des sinnvollen Verhaltens anzunehmen. Es genügt hier eine bloße Zweckgerichtetheit, die, wie Bühler (2000: 66 f.) bemerkt, auch der Behaviorist stillschweigend voraussetzen muss, wenn er aus allen Verhaltensweisen das einer Untersuchung würdige sinnvolle Benehmen auswählt, um es erst dann behavioristisch betrachten zu können. Die Ausprägung intentionaler Vermögen spielt hier zunächst nicht die entscheidende Rolle, wenn die den semiotischen Mitteln eigene Qualität beleuchtet wird. Natürlich kann Intentionalität im Kontext signalartiger Steuerungsprozesse von schlichter Zweckgerichtetheit bis hin zur bewussten Absicht mit Erwartungserwartungen reichen, allein hierdurch ist die Funktion und Qualität der Zeichen aber keineswegs bestimmt. Abgestritten ist damit weder das bloße Vorhandensein noch die graduelle Abstufung intentionaler Phänomene. Ein zunächst auf die Funktionen der semiotischen Ressourcen im Zuge gegenseitiger Verhaltensabstimmung gestützter Start belastet die Hypothesen aber nicht vorab in der Art mentalistischer Vorannahmen, sodass nicht von vornherein bedeutende Aspekte des Interaktionsprozesses aus dem Blick geraten und schließlich eine Betrachtung der Genese kognitiver Ressourcen im Steuerungsprozess möglich wird. Zudem kann den Warnrufen Grüner Meerkatzen auf der Grundlage einer derartigen Betrachtungsweise durchaus das von Tomasello geforderte referentielle Potential zugschrieben werden. Wie Tomasello (2009: 26 f.) selbst bemerkt, beziehen sich die Warnrufe der Meerkatzen nämlich stets auf ganz bestimmte Feinde (Schlange, Adler), wobei die Adressaten die entsprechenden Informationen aus den Warnrufen extrahierten. Das innerhalb der Art verbreitete grundlegende Repertoire an Rufen zeigt eine spezifische (artspezifische) Appellfunktion an, die von mentalistischen Ansätzen kaum berücksichtigt wird. Auch im Falle der Grünen Meerkatzen kann von einer triadischen Relation die Rede sein, da neben den Individuen selbst ein weiterer (wie im Bienenbeispiel zunächst nur von einem Individuum wahrgenommener) Steuerungsrichtpunkt im Spiel ist. Die Form der triadischen Beziehung ist indes ungleich schwerer beschreibbar als im Bienenbeispiel. Ohne die Kognition betreffende Vorentscheidungen ist nämlich nicht erkennbar, ob die Reaktion des Adressaten tatsächlich dem Beutegreifer gilt. So könnte man dem Plädoyer für eine triadische Konstellation entgegenhalten, dass Individuum 1 eine schlichte Reaktion auf den Gemeinsame Aufmerksamkeit 309 Auslösereiz des Beutegreifers zeigt, die dann wiederum zum Reiz für die Fluchtreaktion von Individuum 2 wird. Man müsste demnach von einer Reiz-Reaktions-Kette statt von einem Reiz-Reaktions-Dreieck ausgehen. Die Argumentation weiter erschwerend ließe sich hinzufügen, dass die Warnrufe unterschiedslos an alles und jeden in der Umgebung ausgesandt werden (cf. Tomasello 2009: 29). Zu bedenken ist hier aber das (auch dem Tanz der Bienen zugrundeliegende) artspezifische Signalrepertoire. Alle Individuen der Gruppe sind in der Lage, beim Vernehmen eines Adlerwarnrufs eine spezifische Reaktion (z. B. die Flucht in den Schutz der Bäume) zu zeigen, die sich von der Reaktion auf den Schlangenwarnruf (z. B. Flucht auf eine Lichtung) unterscheidet. Zudem produzieren alle Individuen der Gruppe entsprechende Warnrufe bei Begegnung mit einem jeweiligen Beutegreifer. Alle Artgenossen sind demnach zur Kundgabe und Kundnahme in Bezug auf ein bestimmtes Signalrepertoire befähigt. Ob sie den Warnruf in der einen oder anderen Rolle bewusst mit dem angezeigten Beutegreifer assoziieren, ist hier vorerst nicht entscheidend. Ist kein Artgenosse anwesend, liegt auch keine triadische Beziehung vor; werden dieWarnrufe aber kundgenommen und von einer entsprechenden Reaktion gefolgt, erlangen sie ganz unabhängig von der zugrundeliegenden Intention Steuerungsrelevanz. Die triadische Beziehung scheint weniger eindeutig als im Beispiel der Bienen, da Reaktion 2 nicht direkt zu derjenigen Entität zurückführt, die auch als Auslösereiz fungiert (die Meerkatzen laufen nicht zur Schlange, sondern fliehen vor ihr, ohne dass ganz eindeutig festgestellt werden könnte, dass sie nicht nur mit einem bestimmten Verhaltensmuster auf den Warnruf reagieren). In einem evolutionären Szenario wird das Überleben der Art aber gerade dadurch gesichert, dass alle Individuen über einen spezifischen Signalvorrat verfügen, wobei den einzelnen Signalen jeweils ein Auslösereiz zugeordnet ist, der zur Produktion des Signals führt, und zudem eine Reaktion, die bei Wahrnehmung des Signals gezeigt wird. Ein diakritisches (oder referentielles) Potential wie es die Unterscheidung von Schlangen- und Adlerwarnruf nahelegt, wohnt auch schon den Kontakten der Honigbienen inne, denn immerhin können mit Hilfe des Tanzes gänzlich verschiedene Richtungen und Entfernungen angegeben werden. Das Beispiel der Grünen Meerkatzen zeigt darüber hinaus das Potential, das Vokalisierungen zukommt, wenn der Übergang von subhumanen zu humanspezifischen Interaktionsformen infrage steht. Zugleich verdeutlicht eine an der Funktionalität der semiotischen Ressourcen orientierte Betrachtung, dass die so oft - auch im Zusammenhang mit Joint Attention - gefeierte Zeigegeste trotz gewisser Unterschiede zu Vokalsierungen (größeres referentielles Potential in gemeinsamer Wahrnehmung) nur dann einen qualitativen Quantensprung bedeutet, wenn man sie an bestimmte kognitive oder motivationale Komponenten bindet (cf. Mollenhauer 2016). Beispiel 3: Die gemeinsame Jagd Gemeinsame Jagdaktivitäten sind im Tierreich vielerorts anzutreffen, so z. B. bei Löwen oder Wölfen. Besonders interessant erscheint die gemeinsame Jagd der Schimpansen, denn gerade hier werden immer wieder kognitive Kompetenzen unterstellt, die andernorts im Tierreich nicht anzutreffen sind. So glauben einige Forscher, an der in manchen Populationen von Schimpansen gängigen Jagd auf Stummelaffen offenbarten sich gemeinsame Intentionen und Aufmerksamkeit (cf. Boesch und Boesch 1989; Boesch 2005). Andere 310 Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) hingegen sind der Ansicht, jedes Tier nehme stets die für sich im jeweiligen Augenblick günstigste Position ein, sodass keine gemeinsamen Interessen und Ziele, sondern eine Summe einzelner Interessen und Ziele im Spiel sei (cf. Tomasello 2009: 188). Im Gegensatz zu den bisherigen Beispielen befinden sich bei der Gruppenjagd der Schimpansen weder die involvierten Individuen noch die zusätzliche Bezugsentität (der Stummelaffe) außerhalb der (funktional) gemeinsamen Wahrnehmung der Jäger. Die Aktivitäten laufen schneller ab und können daher kaum in eine sinnvolle Abfolge gebracht werden. Ob die Schimpansen nun ein gemeinsames Ziel oder individuelle Ziele verfolgen, sie reagieren stets auf den/ die anderen Schimpansen und auf das Beutetier. Würde ein Schimpanse zunächst nur auf die Position des Beutetiers reagieren, ohne die Position der anderen Schimpansen zu berücksichtigen, um erst im Anschluss mit der Einnahme einer neuen Position zu reagieren, wo er erneut die Position des Beutetiers zu sichten hätte usw., würde er dem Geschehen hinterherlaufen als wäre er der Hase in der Geschichte von Hase und Igel. Er muss also in situ unter ständiger Berücksichtigung der Position aller Beteiligten agieren. Hier liegt nicht notwendigerweise Joint Attention in der kognitiv reichhaltigsten Form vor, es könnte sich aber um ein entscheidendes Szenario für die Herausbildung entsprechender kognitiver Ressourcen handeln, insofern eine verhaltens- und wahrnehmungsmäßige Feinabstimmung einer erfolgreichen Jagd zuträglich sein dürfte: Die Jagd gestaltet sich koordinierter, wenn A weiß, was B vorhat, und weiß, dass B weiß, was er (A) vorhat - und umgekehrt. Es scheint also durchaus möglich, dass derartige triadische Interaktionen in gemeinsamer Wahrnehmung eine besondere Rolle bei der evolutionären Entstehung gemeinsamer Aufmerksamkeit (und der beteiligten kognitiven Ressourcen) gespielt haben, obwohl auch triadische Interaktionen nachweisbar sind, die mit ziemlicher Sicherheit nicht kognitiv reichhaltig interpretierbar sind, dennoch aber über die gemeinsame Wahrnehmungssituation hinausgehen, insoweit einer der Steuerungsrichtpunkte nicht im gemeinsamen Wahrnehmungsrahmen enthalten ist. Auch für die Ontogenese ließe sich demnach ein Szenario veranschlagen, in dem funktional triadische Interaktionen in gemeinsamer Wahrnehmung die Grundlage für die Herausbildung gemeinsamer Aufmerksamkeit im engeren Sinne (mitsamt den kognitiv-motivationalen Faktoren) bilden (s. Bruners Formate). Die Erkenntnis, dass bloße Triadizität ( Joint Attention aus lerntheoretischer Perspektive) einer gemeinsamen Aufmerksamkeit im engeren (mentalistischen) Sinne vorausgeht, ist sicher nicht neu. Sie ist allein schon daraus abzuleiten, dass Lerntheoretiker die Entstehung gemeinsamer Aufmerksamkeit früher ansetzen als mentalistische Programme. Die hier betrachteten Beispiele zeigen aber auf, dass (funktionale) Triadizität auch im Tierreich weit verbreitet ist und gar als (rein verweisartige) Bezugnahme auf Abwesendes in Erscheinung tritt. Gerade eine solche - oft fälschlicherweise schon mit einer symbolischen Versetzung in Raum und Zeit gleichgesetzte - Möglichkeit der Bezugnahme auf Abwesendes wird häufig auch der Zeigegeste zugesprochen, die so zum entscheidenden Spiegelbild gemeinsamer Aufmerksamkeit und zur Grundlage humanspezifischer Kommunikation erhoben wird. Nun stellt sich die Zeigegeste im Hinblick auf ihre Funktion jedoch als bloßer Verweis dar, der schon im Tierreich seinesgleichen findet; zudem lässt sich vermuten, dass die Genese gemeinsamer Aufmerksamkeit nicht entscheidend mit einer solchen Bezugnahme auf Entitäten außerhalb gemeinsamer Wahrnehmung verknüpft ist, da zunächst gerade Gemeinsame Aufmerksamkeit 311 wechselseitige, triadisch strukturierte Steuerungsaktivitäten in gemeinsamer Wahrnehmung von der Genese der entsprechenden sozio-kognitiven Vermögen profitiert haben dürften und der bloße Verweis auf einen Richtpunkt außerhalb gemeinsamer Wahrnehmung ohnehin schon vorab möglich war (Bienen). Auch die Annahme einer besonderen Bedeutung der Zeigegeste bei der Entstehung gemeinsamer Aufmerksamkeit und der Sprache scheint so längst nicht gesichert. 4 Funktional-kognitive Triadizität und Sprache Eine funktionale Betrachtungsweise führt uns Szenarien vor Augen, in denen der Übergang zu humanspezifischen Kommunikationsformen sich vollzogen haben könnte, allerdings erst - und diese Erkenntnis ist das Verdienst vor allem sozial-kognitiver Forschungsansätze zur gemeinsamen Aufmerksamkeit - , wenn bestimmte kognitive Vermögen hinzutreten. Die kindliche Ontogenese und darauf bezogene Experimente entwicklungspsychologischer Prägung zeigen, dass Kinder um ihren ersten Geburtstag herum neue kognitive Fertigkeiten entwickeln, die mit gemeinsamer Aufmerksamkeit im engeren Sinne beschrieben werden können und deren Auftreten dem Spracherwerb unmittelbar vorausgeht. Es ist also zu vermuten, dass ab einem gewissen Punkt in der Ontogenese gewisse heraufdämmernde kognitive Vermögen in den Interaktionsprozess eingebracht werden, die für den Spracherwerb notwendig sind. Wahrscheinlich ist, dass funktional bereits triadisch organisierte Prozesse hier von besonderer Bedeutung sind. Entscheidend ist aber vor allem, dass die in solchen Prozessen neu zum Vorschein gelangenden kognitiven Ressourcen allein längst noch nicht ausreichen, den Übergang zur Sprache zu begründen. Nur weil unsere Vorfahren im Rahmen einer der Jagd der Schimpansen vergleichbaren Interaktion neue sozialkognitive Fertigkeiten entwickelt haben mögen, wird sich ihnen nicht wie von selbst das symbolische Potential der Sprache eröffnet haben. Demgemäß stellt Jürgen Habermas (2012: 61 ff.) in kritischer Auseinandersetzung mit mentalistischen Konzeptionen gemeinsamer Aufmerksamkeit (und bezugnehmend auf den Ansatz Tomasellos) die Notwendigkeit des ‘ Dazwischentretens von Gesten ’ heraus. Er adressiert die angesprochene triadische Beziehung, die durch Verknüpfung horizontaler Beziehungen zwischen den Interaktanten mit dem vertikalen Weltbezug entstehe und zunächst durch den Einsatz von Gesten gekennzeichnet sei. Die Verschränkung von Wahrnehmungen und Blickrichtungen führe dann zu einem objektivierenden Weltbezug und der sich in diesem Kontext vollziehende Abgleich reziprok übernommener Perspektiven löse die noch bei nichtmenschlichen Primaten gegebene egozentrische Wahrnehmung der Umgebung ab. Im nächsten Schritt müsse der Fähigkeit zur gestenvermittelten Bezugnahme auf objektive Gegebenheiten, bei der die Interaktanten dieselben Ziele verfolgen, aber noch eine Konventionalisierung des Zeichengebrauchs folgen, denn erst auf diese Weise werde das Zeichensubstrat zum Träger von Bedeutung erhoben. Demnach können symbolische Gehalte erst entstanden sein, nachdem geteiltes Wissen regelmäßig mit solchen Lauten und Bewegungen assoziiert wurde, die der bloßen Herstellung gemeinsamer Aufmerksamkeit als Antrieb dienten. Da erst über das Dazwischentreten von Gesten die für die Genese symbolischer Kommunikation notwendige Verschränkung der interpersonalen Beziehung mit einer objektivierenden Einstellung zur Welt erklärbar 312 Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) wird, dürfe in keinem Fall ein Vorrang mentaler Phänomene vor der Kommunikation angenommen werden (cf. Habermas 2012: 63). Hier wird abermals deutlich, dass nur im Prozess der Handlungskoordination gemeinsame Aufmerksamkeit (einhergehend mit entsprechenden kognitiven Schlüsselkomponenten) zuerst signalartig konstituiert werden kann, um als Steuerungsprozess sodann der Genese symbolischer Akte als Fundament zu dienen. Joint Attention als entscheidenden (womöglich schon humanspezifischen) Zwischenschritt auf dem Weg von einer bloßen (funktionalen) Triadizität zur spezifisch sprachlichen Semantizität auszuweisen, erscheint durchaus sinnvoll. Entwicklungspsychologische Forschungen zeigen (trotz gewisser selbstauferlegter Beschränkungen), dass sich um den ersten Geburtstag des Kindes herum entscheidende (sozial-)kognitive Entwicklungen einstellen, denen der Spracherwerb unmittelbar folgt und die zur Aufstellung von Hypothesen zu einem dementsprechenden evolutionären Szenario zumindest verleiten. Da kognitive (und/ oder motivationale) Komponenten folglich über bloße Triadizität hinaus zu entscheidenden Charakteristika des Steuerungsprozesses avancieren, soll hier im Zusammenhang mit Joint Attention im engeren Sinne von einer funktional-kognitiven Triadizität die Rede sein. Herausgestellt sein soll damit der fundamentale Charakter funktional triadischer Steuerungsprozesse, die der Genese entsprechender kognitiver Faktoren und der durch sie gekennzeichneten Interaktionen als soziales Substrat dienen. Wie von sozial-kognitiven Ansätzen angenommen sind die involvierten Individuen nun zu einem rekursiven Erkennen von Intentionalität in der Lage - und bringen dieses in die Interaktion ein. Sie richten ihre Aufmerksamkeit jeweils auf eine gewisse Entität und wissen dies wechselseitig voneinander. Die Genese solcher Kompetenzen kann sich aber nur im Rahmen bereits funktional triadisch organisierter Interaktionen wie der gemeinsamen Jagd vollzogen haben (warum Schimpansen entsprechende Kompetenzen vermutlich dennoch nie entwickelt haben, wäre eine andere Frage, die es in zukünftiger Forschung zu klären gilt). Was hier zunächst wie ein beiläufiger Befund daherkommen mag, ist der springende Punkt für eine nähere Erforschung sowohl der phylogenetischen Wurzeln humaner Kommunikation als auch des ontogenetischen Übergangs zur symbolischen Praxis. Die individualistisch argumentierenden Ansätze der Joint-Attention-Forschung schließen die Genese kognitiver Faktoren als Produkt von Verhaltensabstimmung und Handlungskoordination nämlich von vornherein aus, wenn sie in schlichter Veranschlagung angeborener Module (Nativisten), bestimmter Lernvermögen (Lerntheoretiker) oder über entsprechend ausgelegte Experimentaldesigns, die allein auf den Nachweis einer bestimmten Kompetenz zielen, den Joint-Attention-Prozess (wie im Übrigen auch die symbolische Praxis) zum Ausdruck individueller Ressourcen herabstufen und von einer Beschreibung der sozialen Praxis weitgehend absehen. Resultat sind ausdruckstheoretische Erklärungsmodelle, die sprachliche und kulturelle Errungenschaften direkt aus dem Individuum ableiten. Die Darstellungsebene der Sprache wird als schlichtes Produkt eines individuellen Ausdrucks jedoch nicht in ihrer besonderen überindividuellen Qualität erfasst. Es bleibt aber festzuhalten, dass in triadischen Prozessen der Handlungskoordination, die der kindlichen Einbringung in symbolisch strukturierte Steuerungen unmittelbar vorausgehen, dem Anschein nach bestimmte kognitive Vermögen in der Koordination von Wahrnehmungs- Gemeinsame Aufmerksamkeit 313 aktivitäten verhaltensmäßig zum Ausdruck kommen, die dem Tierreich (vermutlich) verborgen bleiben und die somit einen bedeutenden Anteil am (auch phylogenetischen) Übergang zu humanspezifischer Kommunikation haben könnten. Ist gemeinsame Aufmerksamkeit im Sinne einer funktional-kognitiven Triadizität erst hergestellt, kann, wie von Habermas beschrieben, eine Konventionalisierung des Zeichengebrauchs einsetzen. Hier ist allerdings zu betonen, dass das einzelne Wort noch nicht die Ebene spezifisch sprachlicher Semantizität betrifft. Vielmehr kann es nur symphysisch oder empraktisch wirken; es ist also entweder an das physische Umfeld geknüpft (wie ein Produktname auf Konsumgütern) oder an den Handlungszusammenhang gebunden (wie im Falle eines Passagiers, der am Schalter schlicht das angestrebte Ziel benennt). Demgegenüber ist der synsemantische Einsatz der Kontaktmittel gekennzeichnet durch die Entstofflichung und die Ablösbarkeit von den Dingen. Die Bedeutung eines Wortes wird hier erst über die das Wort umgebende Rede bestimmt. Das kraft Konvention eine bestimmte Bedeutung vermittelnde Symbol erfüllt seine Funktion folglich nur innerhalb eines Symbolfeldes. Auch als Spiegel gemeinsamerAufmerksamkeit taugt das einzelneWort nur bedingt, denn auch von verschiedenen Tieren, denen gemeinsame Aufmerksamkeit im engeren Sinne gemeinhin abgesprochen wird, werden Worte gelernt und situationsspezifisch eingesetzt. Kaum anders verhält es sich mit der Zeigegeste, die teilweise in Form einer ein-eindeutigen Zuordnung mit gemeinsamer Aufmerksamkeit verknüpft wird (cf. Tomasello 2009), obwohl ihr Einsatz mindestens auch bei Affen und - rein motorisch - bei Kindern ab einem Alter von drei Monaten beobachtet wurde. Das Zeigen bleibt letztlich ein bloßer Verweis, das einzelne Wort eine schlichte Benennung. Etwas anders scheinen die Dinge zu liegen, wenn ein Kind in Gegenwart eines Erwachsenen selbst einen Namen für eine von beiden betrachtete Entität einführt und beide diesen Namen fortan für jene Entität gebrauchen. Hier hat der von Habermas angeführte und das wechselseitige Wissen um die gemeinsame Bezugnahme auf etwas voraussetzende Konventionalisierungsprozess eingesetzt. Derartige Fälle werden aber auch für akkulturierte Affen, deren Leistungen ohnehin schwierig in eine Erklärung der evolutionären Genese humaner Kommunikation einzubinden sind (cf. Mollenhauer 2010; Tomasello 2002), beschrieben, sodass die Humanspezifität gemeinsamer Aufmerksamkeit doch erneut infrage gestellt werden könnte. Vorerst ist aber von einer spezifisch menschlichen Qualität synsemantischer Zeichenverwendungen auszugehen, die aus auch im Tierreich anzutreffenden signalartig strukturierten, funktional-triadischen Steuerungen hervorgeht, (vermutlich) wenn bestimmte zumindest in ihrer vollen Entfaltung wohl auf den Menschen beschränkte kognitive Vermögen hinzutreten, welche eine funktional-kognitive Triadizität generieren, die ihrerseits das Substrat einer Konventionalisierung des Zeichengebrauchs darstellt. Doch all dies ist wohl allein auf der Grundlage einer empirischen Forschung näher zu klären, die die bisherigen (vornehmlich experimentalpsychologischen) Studien transzendiert. 314 Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) 5 Zur empirischen Erforschung gemeinsamer Aufmerksamkeit Eine nähere Entschlüsselung der Genese humanspezifischer Kommunikation sowie der Genese der beteiligten kognitiven Ressourcen verlangt nach einer empirischen Forschung, die sich eben nicht auf den Nachweis kognitiver Kompetenzen beschränkt, deren Kern vielmehr eine Beschreibung des Prozesses der Handlungskoordination darstellt. Nur über eine Beschreibung der Koordinationsaktivitäten können auch die Differenzen zwischen (funktional) triadischen Steuerungsaktivitäten im Tierreich und Aktivitäten gemeinsamer Aufmerksamkeit beim Menschen weiter herausgearbeitet werden, während Befunde ausschließlich zu kognitiven Aspekten oder der Verwendung bestimmter Steuerungsmittel kaum aussagekräftig sind im Hinblick auf den Steuerungsprozess und die dort auch tatsächlich abgerufenen kognitiven Ressourcen. Gegenüber der weithin psychologisch geprägten Spracherwerbsforschung hätte eine (a) Forschung zur kommunikativen Entwicklung des Kindes (cf. Kathage 2008) einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der nicht das einzelne Kind und dessen Erwerb sprachlicher Strukturen, sondern die Entwicklung des Kindes im Rahmen eines nicht weiter zerlegbaren multimodalen Interaktionsgeschehens in den Vordergrund stellt, denn auch die (sozial-)kognitive Entwicklung des Kindes kann sich allein in sozialer Praxis vollziehen. Folglich kommt auch der im Wesentlichen an der kognitiven Entwicklung interessierte Psychologe um eine Betrachtung natürlicher Prozesse der Verhaltensabstimmung und Handlungskoordination nicht herum. Vergleichende Studien mit nichtmenschlichen Primaten im Rahmen einer Art (b) ‘ Vergleichenden Interaktionsforschung ’ könnten darüber hinaus aufzeigen, inwiefern sich die Koordinationsaktivitäten von Mensch und Menschenaffe ähneln, was womöglich nähere Aufschlüsse zum Übergang von subhumanen zu humanspezifischen Interaktionsformen herbeiführen könnte. Anbieten würde sich in beiden Forschungsbereichen eine Kombination natürlicher Settings und experimenteller Methoden. Experimentalpsychologische Studien liegen bereits in großer Fülle vor, sodass man sich hier - mit angemessener Vorsicht - auf bereits generierte Ergebnisse stützen könnte, die man mit einer Beschreibung sozialer Praxis zu verbinden hätte. Es wäre zu untersuchen, wie Kinder und nichtmenschliche Primaten die (gemäß den experimentellen Befunden) augenscheinlich in einem bestimmten Zeitfenster heraufdämmernden (Kinder) oder grundsätzlich vorhandenen (Schimpansen) kognitiv-motivationalen Ressourcen in den Interaktionsprozess einbringen, wie sie in Letzterem vielleicht erst generiert werden und in welcher Weise sie auch zum Objekt der Verhaltensabstimmung bzw. Handlungskoordination werden. Noch besser wäre es, bereits durchgeführte experimentelle Studien (möglicherweise mit gewissen Anpassungen) zu reproduzieren und die dort getesteten Individuen zudem in (möglichst) natürlicher sozialer Praxis zu beobachten. So entstünde im Hinblick auf die kindliche Entwicklung auch die Möglichkeit, im Kontext einer Längsschnittuntersuchung veränderte Koordinationsmuster mit sich einstellenden kognitiven Entwicklungen in Relation zu setzen (ohne daraus einseitige Bedingungsverhältnisse ableiten zu wollen und so womöglich wieder in eine mentalistisch fundierte Zirkularität zu verfallen). Während zahllose Experimentaldesigns, die dem hier vorgestellten Vorhaben gerecht werden, bereits vorliegen und in Abhängigkeit vom jeweiligen Erkenntnisinteresse Gemeinsame Aufmerksamkeit 315 problemlos angepasst werden können, müssten für die angemessene Erfassung der Ganzheitlichkeit und Multimodalität entsprechende Methoden erst noch bereitgestellt werden oder zumindest Anpassungen bestehender Methoden vorgenommen werden. Zwar wird der Multimodalitätsbegriff in Soziologie und Linguistik in den letzten 10 - 15 Jahren verstärkt propagiert, die zugrunde gelegten Verständnisse von Multimodalität sind aber höchst heterogener Art (cf. Loenhoff und Schmitz 2015: 11 ff.). Nicht selten werden die verschiedenen Modi als jeweils eigenständige Ausdrucksmittel charakterisiert, denen sogleich eigene, nebeneinander bestehende Kanäle zugeordnet werden, die unabhängig voneinander geöffnet oder geschlossen werden können (cf. Loenhoff 2003: 181). Zur Orientierung für die Erfassung von Ganzheitlichkeit und Multimodalität kann Bühlers Modell zum seelischen Kontakt (s. Abb. 1) dienen, das die Gleichzeitigkeit der Steuerungsaktivitäten von Sprecher (der zugleich Hörer ist) und Hörer (der zugleich Sprecher ist) aufzeigt und auch auf nichtsprachliche (signalartige) Steuerungsaktivitäten anwendbar bleibt. Abb. 1: Modell zum seelischen Kontakt (nach Bühler 2000: 117) Bühler veranschlagt in den sich gegenseitig steuernden Individuen je einen Sender und einen Empfänger (wohlgemerkt, ohne mit dieser Metaphorik informationstheoretisches Gedankengut in seinen Ansatz aufzunehmen), wobei der Sender A nicht nur auf Empfänger B und der Sender B auf Empfänger A wirkt. Vielmehr nehmen die Ausdrucksbewegungen von A unmittelbar auch Einfluss auf A selbst, sodass das vom Sender A Kundgegebene vom Empfänger A und das vom Sender B Kundgegebene vom Empfänger B kundgenommen wird, was auf sprachlicher Ebene auch als das Verfertigen der Gedanken beim Reden bezeichnet werden darf (cf. Kleist 1984), insoweit das gerade Gesagte den Sprecher selbst in seinem Denken und seinen weiteren Äußerungsanstrengungen steuert. Auch Mead (1973) schlägt in diese Kerbe, wenn er der vokalen Geste aufgrund ihrer Zugänglichkeit für den Zeichenverwender besondere Bedeutung für den Übergang zum signifikanten Symbol zuspricht, doch soll hier auf grundlegender Ebene (und nicht allein vokale Äußerungen betreffend) zuerst einmal nur gesagt sein, dass man sich selbst im Zuge der Interaktion wahrnimmt. Dabei kann eine gefühlte Anspannung der Gesichtsmuskeln ebenso mit 316 Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) gleichzeitig stattfindenden Ausdrucksbewegungen des Gegenübers gekoppelt werden wie die visuelle Wahrnehmung der eigenen Handbewegungen. Die vom Modell herausgestellte Ganzheitlichkeit des Interaktionsprozesses betrifft aber keineswegs nur die gleichzeitige Bezugnahme der Interaktionsteilnehmer aufeinander, sondern auch das Zusammenwirken unterschiedlicher Modalitäten, die in der Art von Gesamtgestalten zusammenkommen und daher auch analytisch nicht sinnvoll zu trennen sind. Die Ausdrucksbewegungen von A wirken in ihrer Gesamtheit auf B und umgekehrt, womit nicht geleugnet ist, dass jeweils nur bestimmte Aspekte des Sich-Äußerns steuerungsrelevant sein können. In einem nächsten Schritt müssten also geeignete Methoden für eine nähere Erforschung gegenseitiger Verhaltensabstimmung und Handlungskoordination erarbeitet werden, welche die Ganzheitlichkeit und die Multimodalität des Interaktionsprozesses angemessen erfassen. Sequenzanalysen konversationsanalytischer Prägung, die mehr und mehr eine multimodale Ausrichtung für sich in Anspruch nehmen, sind in der Regel weiterhin primär am sprachlichen Material, dem dann weitere Modi (Kanäle) addiert werden, orientiert. Obschon vergleichbare Methoden durchaus schon auf die naturgemäß nichtsprachlichen Interaktionen nichtmenschlicher Primaten Anwendung gefunden haben (cf. Rossano 2012), bleibt dennoch der sequenzielle Charakter (und eine Addition verschiedener Kanäle), sodass der Eindruck eines Nacheinanders von Aktivitäten erweckt wird. Es sind in zukünftiger Forschung demnach mindestens entscheidende Anpassungen bestehender Methoden vorzunehmen, um die ontogenetischen und die phylogenetischen Pfade zur symbolischen Praxis weiter zu entschlüsseln. Literatur Bakeman, Roger und Lauren B. Adamson 1984: “ Coordinating Attention to People and Objects in Mother-Infant and Peer-Infant Interactions ” , in: Child Development 55 (1984): 1278 - 1289 Baron-Cohen, Simon 1995/ 2009: “ The Eye Direction Detector (EDD) and the Shared Attention Mechanism (SAM): Two Cases for Evolutionary Psychology ” , in: Moore und Dunham (eds.) 3 1995/ 2009: 41 - 59 Barresi, John und Chris Moore 1996: “ Intentional Relations and Social Understanding ” , in: Behavioral and Brain Sciences 19 (1996): 107 - 154 Boesch, Christophe 2005: “ Joint Cooperative Hunting among Wild Chimpanzees: Taking Natural Observations Seriously ” , in: Behavioral and Brain Sciences 28 (2005): 692 - 693 Boesch, Christophe und Hedwige Boesch 1989: “ Hunting Behavior of Wild Chimpanzees in the Tai Forest National Park ” , in: American Journal of Physical Anthropology 78.4 (1989): 547 - 573 Bruner, Jerome S. 1995/ 2009: “ From Attention to the Meeting of Minds: An Introduction ” , in: Moore und Dunham (eds.) 3 1995/ 2009: 1 - 14 Bühler, Karl 1999: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Stuttgart: Lucius & Lucius [Zuerst erschienen 1934] Bühler, Karl 2000: Die Krise der Psychologie, Karl Bühler Werke 4, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft [zuerst erschienen 1927] Carpenter, Malinda und Josep Call 2013: “ How Joint Is the Joint Attention of Apes and Human Infants? ” , in: Metcalfe und Terrace (eds.) 4 2013: 49 - 61 Corkum, Valerie und Chris Moore 1995/ 2009: “ Development of Joint Visual Attention in Infants ” , in: Moore und Dunham (eds.) 3 1995/ 2009: 61 - 83 Gemeinsame Aufmerksamkeit 317 David, Myriam und Geneviève Appell 1961: “ A Study of Nursing Care and Nurse-Infant Interaction ” , in: Brian M. Foss (ed.) 1961: Determinants of Infant Behavior: I, London: Methuen, 121 - 136 Dymond, Simon und Louise McHugh 2005: “ Symbolic Behaviour and Perspective-Taking Are Forms of Derived Relational Responding and Can Be Learned ” , in: Behavioral and Brain Sciences 5 (2005): 697 Eilan, Naomi et al. (eds.) 2005: Joint Attention: Communication and Other Minds, Oxford: Clarendon Press Fletcher, Logan und Peter Carruthers 2013: “ Behavior-Reading versus Mentalizing in Animals ” , in: Metcalfe und Terrace (eds.) 4 2013: 82 - 99 Gallese, Vittorio und Corrado Sinigaglia 2013: “ Cognition in Action: A New Look at the Cortical Motor System ” , in: Metcalfe und Terrace (eds.) 4 2013: 178 - 195 Gergely, György und John S. Watson 1999: “ Early Socio-Emotional Development: Contingency Perception and the Social-Biofeedback Model ” , in: Philippe Rochat (ed.) 1999: Early Social Cognition: Understanding Others in the First Months of Life, Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates, 101 - 136 Gibson, Eleanor und Nancy Rader 1979: “ Attention: The Perceiver as Performer ” , in: Gordon A. Hale und Michael Lewis (eds.) 1979: Attention and Cognitive Development, New York: Plenum Press, 6 - 36 Habermas, Jürgen 2012: “ Die Lebenswelt als Raum symbolisch verkörperter Gründe ” , in: ders. 2012: Nachmetaphysisches Denken II. Aufsätze und Repliken, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 54 - 76 Kathage, Andrea 2008: Zur kommunikativen Entwicklung des Kindes. Grundlagenstudie zur Entwicklung eines kommunikationswissenschaftlichen Ansatzes (= Essener Studien zur Semiotik und Kommunikationsforschung 25), Aachen: Shaker Kleist, Heinrich von 1984: “ Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden ” , in: ders. 1984: Sämtliche Erzählungen und andere Prosa, Stuttgart: Reclam, 340 - 346 Knobloch, Clemens 1997: “ Rezension von Boris M. Velichkovsky & Duane M. Rumbaugh (eds.): Communicating Meaning: The Evolution and Development of Language ” , in: Sprache und Kognition 16.2 (1997): 127 - 132 Loenhoff, Jens 2003: “ Kommunikationstheorie und Fundierungsrelationen im interpersonellen Kommunikationsprozeß ” , in: Helmut Richter und H. Walter Schmitz (eds.): Kommunikation - ein Schlüsselbegriff der Humanwissenschaften, Münster: Nodus, 179 - 191 Loenhoff, Jens und H. Walter Schmitz 2015: “ Einleitung ” , in: dies. (eds.) 2015: Telekommunikation gegen Isolation. Kommunikationswissenschaftliche Studien aus einem Modellprojekt in einer Klinik, Wiesbaden: Springer, 1 - 30 Mead, George Herbert 1973: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp Meltzoff, Andrew und Alison Gopnik 1993: “ The Role of Imitation in Understanding Persons and Developing a Theory of Mind ” , in: Simon Baron-Cohen, Helen Tager-Flusberg und Donald J. Cohen (eds.) 1993: Understanding Other Minds: Perspectives from Autism, Oxford, UK: Oxford University Press, 335 - 366 Metcalfe, Janet und Herbert Terrace (eds.) 4 2013: Agency and Joint Attention, Oxford u. a.: Oxford University Press Mollenhauer, Rafael 2010: Symbolverwendung bei Primaten? Eine Analyse der Ansätze von David Premack und Susan Savage-Rumbaugh (= Essener Studien zur Semiotik und Kommunikationsforschung 33), Aachen: Shaker Mollenhauer, Rafael 2015: Tomasellos Kooperationsmodell. Michael Tomasellos Forschung im Kontext kommunikationstheoretischer Fragestellungen, Konstanz und München: UVK Mollenhauer, Rafael 2016: “ Von subhumaner zu humanspezifischer Interaktion. Tomasello und die Qualität des Zeigens ” , in: Zeitschrift für Semiotik 38.3/ 4 (2016): 39 - 58 318 Rafael Mollenhauer (Duisburg-Essen) Moore, Chris 1996: “ Theories of Mind in Infancy ” , in: British Journal of Developmental Psychology 14 (1996): 19 - 40 Moore, Chris und Philip J. Dunham (eds.) 3 1995/ 2009: Joint Attention. Its Origins and Role in Development, New York und London: Psychology Press Muir, Darwin und Sylvia Hains 1999: “ Young Infant ʼ s Perception of Adult Intentionality: Adult Contingency and Eye Direction ” , in: Philippe Rochat (ed.) 1999: Early Social Cognition: Understanding Others in the First Months of Life, Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates, 155 - 188 Penn, Derek C. und Daniel J. Povinelli 2013: “ The Comparative Delusion: The ‘ Behavioristic/ Mentalistic ’ Dichotomy in Comparative Theory of Mind Research ” , in: Metcalfe und Terrace (eds.) 4 2013: 62 - 81 Piaget, Jean 1974: Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde, Stuttgart: Klett-Cotta Piaget, Jean 1992: Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde, München: Deutscher Taschenbuch-Verlag Racine, Timothy P. 2011: “ Getting Beyond Rich and Lean Views of Joint Attention ” , in: Seemann (ed.) 5 2011: 21 - 42 Rochat, Philippe und Tricia Striano 1999: “ Social-Cognitive Development in the First Year ” , in: Philippe Rochat (ed.) 1999: Early Social Cognition: Understanding Others in the First Months of Life, Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates, 3 - 34 Rossano, Federico 2013: “ Sequence Organization and Timing of Bonobo Mother-Infant Interactions ” , in: Interaction Studies 14.2 (2013): 160 - 189 Scaife, Michael und Jerome S. Bruner 1975: “ The Capacity for Joint Visual Attention in the Infant ” , in: Nature 253 (1975): 265 - 266 Seemann, Axel (ed.) 5 2011: Joint Attention. New Developments in Psychology, Philosophy of Mind, and Social Neuroscience, Cambridge/ MA und London: The MIT Press Seemann, Axel 2011 a: “ Introduction ” , in: ders. (ed.) 5 2011: 1 - 17 Steele, Sara und Hakwan Lau 2013: “ The Function of Consciousness in Controlling Behavior ” , in: Metcalfe und Terrace (eds.) 4 2013: 304 - 320 Tomasello, Michael 1995/ 2009: “ Joint Attention as Social Cognition ” , in: Moore und Dunham (eds.) 3 1995/ 2009: 103 - 130 Tomasello, Michael 1999: “ Social Cognition Before the Revolution ” , in: Philippe Rochat (ed.) 1999: Early Social Cognition: Understanding Others in the First Months of Life, Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates, 301 - 314 Tomasello, Michael 1999 a: “ Having Intentions, Understanding Intentions, and Understanding Communicative Intentions ” , in: Philip D. Zelazo, Janet W. Astington und David R. Olson (eds.) 1999: Developing Theories of Intention: Social Understanding and Self-Control, Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates, 63 - 75 Tomasello, Michael 2002: Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition. Aus dem Englischen von Jürgen Schröder, Frankfurt am Main: Suhrkamp Tomasello, Michael 2009: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schröder, Frankfurt am Main: Suhrkamp Tomasello, Michael 2010: Warum wir kooperieren, Berlin: Suhrkamp Tomasello, Michael 2014: Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schröder, Berlin: Suhrkamp Trevarthen, Colwyn 1979: “ Instincts for Human Understanding and for Cultural Cooperation: Their Development in Infancy ” , in: Mario von Cranch et al. (eds.) 1979: Human Ethology: Claims and Limits of a New Discipline, Cambridge, MA: Cambridge University Press, 530 - 571 Ungeheuer, Gerold 2004: “ Die kybernetische Grundlage der Sprachtheorie von Karl Bühler ” , in: ders.: Sprache und Kommunikation. 3., erweiterte und völlig neu eingerichtete Auflage. Herausgegeben und eingeleitet von Karin Kolb und H. Walter Schmitz, Münster: Nodus Publikationen, 128 - 146 Gemeinsame Aufmerksamkeit 319 K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Das Zeichen und dessen Referentialität (am Beispiel der Pejorativa) 1 Oksana Havryliv (Wien/ Lviv) Universal pejorativa are characterized by a poly-reference, which is caused both by the peculiarity of its significant aspect (a differential sem that gives general negative characteristics or a series of differential semens that encompass a broad spectrum of negative properties / behaviors) and by domination of the connotative aspect (which relocate the reference shift from the outer world to the inner world of the person speaking). 1 Einleitung Für Pejorativa ist binäre Bedeutungsstruktur charakteristisch, die vom signifikativen 2 und konnotativen Aspekt gebildet wird. Im konnotativen Bedeutungsaspekt, der durch das emotive Sem (-) repräsentiert wird, kommt der psychische Zustand sprechender Person, ihre Stellungnahme zum Adressaten/ zur Adressatin, zum Gegenstand, Sachverhalt oder zur Situation zum Ausdruck (Wierzbicka (1973: 146) bettet die Repräsentation des konnotativen Bedeutungsaspekts in den modalen Rahmen “ ich fühle mich ” und stellt ihn dem signifikativen Aspekt, den der modale Rahmen “ ich will ihnen mitteilen ” repräsentiert, entgegen). Der signifikative Aspekt, der bei der nicht-emotiven Lexik den Kern lexikalischer Wortbedeutung bildet, tritt bei den Pejorativa in den Hintergrund, während der konnotative Bedeutungsaspekt dominiert: es vollziehen sich zwei entgegengesetzte Prozesse: die Verlagerung emotiver Seme in Richtung Bedeutungskern einerseits und deskriptiver Seme in Richtung Peripherie der Bedeutungsstruktur andererseits. Das Dominieren des konnotativen Bedeutungsaspektes über dem signifikativen sowie die damit verbundene Verallgemeinerung der Wortbedeutung, Unschärfe des begrifflichen 1 Der Beitrag widmet sich den personenbezogenen Pejorativa; empirische Grundlage bilden mündliche Umfragen der Wienerinnen und Wiener (in Form teilstandardisierter Intensivinterviews mit 72 Personen), die im Rahmen von zwei FWF-Projekten (2006 - 2008/ Lise Meitner-Programm und 2012 - 2017/ Elise Richter- Programm) am Institut für Germanistik der Universität Wien durchgeführt wurden. 2 Ich verstehe ich unter dem Denotaten eine Klasse identischer Gegenstände, unter dem Referenten - einen einzelnen Gegenstand und unter dem Signifikaten - den Merkmalsbestand dieser Gegenstandsklasse. Inhalts wird in allen Arbeiten zur Semantik der emotiven Lexik hervorgehoben - hier eine kurze Übersicht (vgl. Havryliv 2009: 36 f): Einer der ersten Erforscher des konnotativen Bedeutungsaspektes - K. O. Erdmann sieht den starken Gefühlswert als charakteristisches Merkmal aller Schimpfwörter, die “ mit den Affekten so gesättigt sind, dass der begriffliche Inhalt dadurch oft ganz untergeht ” (1925: 114). Schrambke fasst denselben Gedanken in anderen Worten: “ / . . ./ dass durch den negativ-affektiven Gebrauch eines Ausdrucks die ursprüngliche Inhaltsseite verloren geht und der pejorative Nebensinn zum alleinigen Inhalt wird ” (Schrambke: 275). Kiener meint, Schimpfwörter haben als Affektwörter “ eine ungenaue Bedeutung ” (1983: 166) und Christiani (1913: 323) behauptet, dass sie “ sehr häufig keine feste Umgrenzung ” besitzen und oft mehrdeutig sind. Nach Meinung Mokienkos und Walters (1999: 200), besteht die größte linguistische Spezifik der pejorativen Lexik darin, “ praktisch ausschließlich der sprachlichen Pragmatik zu dienen, d. h. emotional-expressive Einwirkungen auf den Hörer zu realisieren ” (auch Objartel (1983: 108) spricht vom Dominieren der Funktion “ Einstellungskundgabe ” ). Dies macht, Mokienkos und Walters Ansicht nach, “ die Semantik und die Stilistik des Schimpfwortes vage und verschwommen ” (1999: 200). Opelt spricht von der “ Bedeutungsentleerung der affektivischen Sprache (Opelt 1965: 22) und davon, dass ” den Schimpfwörtern kein fest umrissen konstant Bezeichnetes gegenüber steht “ (ibid.: 15) und bei Schumann ist die Rede von der “ Bedeutungsarmut der signifikativen Aspekte ” (Schumann 1990: 278) sowie dem “ Denotationsschwund ” der Pejorativa, der “ Konnotationsüberschuss ” verursacht (ibid: 267). Das Dominieren des konnotativen Bedeutungsaspektes ist für alle Pejorativa charakteristisch; hinsichtlich des begrifflichen Inhalts können aber, meiner Ansicht nach, Pejorativa nicht pauschal behandelt werden. Denn Ergebnisse meiner Forschungsarbeiten zeigen, dass sich die signifikativen Aspekte verschiedener Gruppen von Pejorativa durch den unterschiedlichen Verallgemeinerungsgrad der Wortbedeutung unterscheiden (vgl. Havryliv 2003: 33 ff und 2009: 42 ff ). Die Beobachtungen semantischer Diffusität betreffen in erster Linie eine Gruppe der Pejorativa, die ich als universale Pejorativa bezeichne. Universale Pejorativa verfügen über eine abstrakte, nicht klar definierbare pejorative Bedeutung: Arschloch, Sauweib, Miststück, blöde Kuh, Dreckskerl, Mistkerl, Scheißkerl. Sie liefern eine allgemeine negative Charakteristik des Adressaten/ der Adressatin und können in jeder ärgerlichen Situation gebraucht werden, ungeachtet dessen, welche Eigenschaften/ Benehmensarten der Adressatin/ des Adressaten Ursache für die verbale Aggression sind (Burgen über das Pejorativum Arschloch: “ Es stellt das Allerweltswort zur Bezeichnung von jeder Person, die in irgendeiner Hinsicht unangenehm ist, dar ” (1998: 233). Auch andere Autoren segmentieren intuitiv eine Gruppe innerhalb pejorativer Lexik, die sie nicht benennen, die nach den von ihnen hervorgehobenen semantischen Eigenschaften denen der universalen Pejorativa entspricht: z. B. Lötscher über die Schimpfwörter, mit denen andere Leute “ einfach ganz pauschal abqualifiziert werden ” (Lötscher 1980: 27) oder Bering darüber, dass es Schimpfwörter gibt, die “ auf eine sehr allgemeine Schmähung abzielen ” (Bering 1978: 12). Im Gegensatz zu den universalen Pejorativa verfügen Pejorativa, die auf konkrete negative Eigenschaften oder Verhaltensweisen (Schleimer, Tratsche), Alter (alter Knacker), Das Zeichen und dessen Referentialität (am Beispiel der Pejorativa) 321 Aussehen (Fettwanst) nationale oder regionale Zugehörigkeit (Tschusch, Itaker) u. a. abzielen, über eine klar definierbare Bedeutung. Diese Gruppe ist jedoch nicht homogen, es lassen sich auf Grund der An- oder Abwesenheit des negativen einschätzenden Sems im signifikativen Aspekt einschätzende Pejorativa und Affektiva unterscheiden (cf. Havryliv 2003: 33 ff.). Zu den einschätzenden Pejorativa zähle ich diejenigen Lexeme, die Personen mit negativen Eigenschaften/ Charakterzügen/ Verhaltensweisen bezeichnen (vertreten durch die differenziellen Seme) und gleichzeitig negative Stellungnahme dieser Personen gegenüber ausdrücken: Arschlecker, Hosenbrunzer, Tratschen, Nervensäge u. a. Die Pejorativität dieser Lexeme ist durch eine negative Eigenschaft bedingt, die bei den Sprachträgerinnen und Sprachträgern negative Emotionen hervorruft. Zu den Affektiva zähle ich jene pejorativen Lexeme, die Personen mit Eigenschaften, welche an und für sich nicht negativ sind, bezeichnen. Beim Gebrauch von Affektiva sind die negativen Emotionen des Sprechers/ der Sprecherin auf folgende Besonderheiten des Adressaten oder der Adressatin gerichtet: Äußeres (Bohnenstange), Alter (alter Knacker), Beruf (Bulle), regionale und nationale Zugehörigkeit (Itaker) - vgl. Opelt über die Gruppe von Pejorativa, die “ den Vorwurf unverschuldeter Eigenschaften des Beschimpften wie Aussehen, Alter, Herkunft beinhalten, die mit der Ursache der Feindschaft an sich nichts zu tun haben, aber gute Angriffspunkte geben und verletzend wirken ” (Opelt 1965: 20). 2 Strukturelle Besonderheiten des signifikativen Aspektes von Pejorativa Die einzelnen Gruppen pejorativer Lexik - universale, einschätzende Pejorativa, Affektiva - lassen sich auf Grund struktureller Besonderheiten des signifikativen Bedeutungsaspektes definieren. 2.1 Signifikativer Aspekt der Affektiva Warum die universalen Pejorativa mit einem einzigen Wort nicht genau definiert werden können und die (Schimpf )wörterbücher meist längere beschreibende Definitionen anbieten müssen, lässt sich dadurch erklären, dass ihr signifikativer Bedeutungsaspekt ein differentielles Sem oder einige differentielle Seme beinhaltet, die eine allgemeine negative Charakteristik des Adressaten/ derAdressatin geben bzw. mit einer Reihe von differentiellen Semen ein breites Spektrum negativer Eigenschaften erfasst wird. Im Folgenden wird die Struktur des signifikativen Bedeutungsaspektes universaler pejorativer Lexik am Beispiel des Lexems Arschloch verdeutlicht: Arschloch - ein sehr häufiges derbes Schimpfwort für einen widerlichen, unfähigen oder gemeinen Menschen (Das große Schimpfwörterbuch DGSW 1996: 26). Bei diesem universalen Pejorativum bezeichnen die differentiellen Seme “ gemein ” und “ unfähig ” konkrete negative Eigenschaften, das differentielle Seme “ widerlich ” stellt dagegen eine breite Palette negativer Eigenschaften dar, die jeder Sprecher und jede Sprecherin individuell verstehen können. Der Universalcharakter des Lexems Arschloch spiegelt sich auch in den Definitionen der Interviewten wider: 322 Oksana Havryliv (Wien/ Lviv) a) eine Gruppe von Befragten zählt in ihren Definitionen des universalen Lexems Arschloch, das als “ Zentralbegriff der deutschen Vulgarität ” (Burgen 1998: 67)) gilt, eine Reihe von Eigenschaften auf: intrigant, egoistisch, betrügerisch, gemein; unaufrichtig, betrügerisch, hinterhältig, moralisch verwerflich; egoistisch, arrogant, selbstbewusst, Snob; unappetitlich, grauslich, abstoßendes Benehmen. b) Die Definitionen anderer Befragten zeichnen sich durch Universalität und verallgemeinernd negative Charakteristika aus: kann jeden bezeichnen; ganz mieses Benehmen, komplett unsympathisch; jeder missliebige Mensch; absolut deppert, ungut; mieser Typ; universal; hinterhältiger Gauner, der einem Böses will; ein Mann, der sich aufpustet, sich besser als er ist darstellt; ein Mann, der bewusst etwas tut, was mir gegen den Strich geht; allgemein negativ zu einem Mann in einer konkreten ärgerlichen Situation u. a. 2.2 Signifikativer Aspekt einschätzender Pejorativa und Affektiva Differentielle Seme eines einschätzenden Pejorativums nennen Züge (Verhaltensweisen), die in der jeweiligen Gesellschaft/ Gruppe als negativ gelten. Deshalb weisen einschätzende Pejorativa im signifikativen Aspekt ein einschätzendes Sem (-) auf. Da der konnotative Aspekt einschätzender Pejorativa, wie bei allen Pejorativa, durch das emotivnegative Sem vertreten ist und sie im signifikativen Aspekt das negative einschätzende Sem aufweisen, können wir von der doppelten Negativität reden. Die doppelte Negativität besteht darin, dass sich bei den einschätzenden pejorativen Lexemen die emotive Qualifizierung schon bewerteter Eigenschaft eines Objektes vollzieht, was an Hand des Vergleiches mit emotiv-neutralen Lexemen deutlich ist: Prostituierte - Hure, Alkoholiker - Säufer, Schleicher - Arschkriecher u. a. Der signifikative und der denotative Aspekt sind bei den beiden Lexemen im Wortpaar identisch: 1) eine weibliche Person, die der Prostitution nachgeht, 2) eine Person, die alkoholabhängig ist und 3) eine Person, die sich sehr einschmeichelt. Die Bedeutungsstruktur des ersten Lexems im Wortpaar besteht nur aus dem signifikativen Aspekt - das Lexem dient ausschließlich der Nomination; die Bedeutungsstruktur des zweiten Lexems schließt zusätzlich noch den emotiven Aspekt ein und dient neben der Nomination auch der Äußerung einer negativen Stellungnahme (Antipathie, Verachtung) dieser Person gegenüber. Dank dem Vorhandensein des konnotativen Bedeutungsaspekts wird bei den zweiten Lexemen in den Wortpaaren emotive Stellungnahme zum denselben Denotaten ausgedrückt. Wyss meint: “ Je nach Temperament, Laune, Herkommen und Bildung werden stärkere oder gelindere Wörter zur Apostrophierung desselben Objektes bevorzugt ” (Wyss 1981: 13). Im Unterschied zu einschätzenden Pejorativa beinhalten Affektiva kein negatives einschätzendes Sem im signifikativen Aspekt. Ihre differentiellen Seme beziehen sich auf die Eigenschaften/ Benehmensarten, die nicht als negativ wahrgenommen werden (z. B. Das Zeichen und dessen Referentialität (am Beispiel der Pejorativa) 323 “ Nationalität ” in Piefke oder “ Beruf ” in Bulle), sondern nur Zielscheibe, auf welche die negativen Emotionen der schimpfenden Person gerichtet sind, bilden. Die Affektiva verfügen nur über das negative emotive Sem im konnotativen Aspekt. Wie wir an signifikativen Aspekten von einschätzenden Pejorativa und Affektiva gesehen haben, existieren einschätzende und emotive Seme in der Bedeutungsstruktur pejorativer Lexeme nicht immer parallel. In der linguistischen Literatur, die sich mit der pejorativen Lexik befasst, hat bisher keine Differenzierung zwischen einschätzenden Pejorativa und Affektiva stattgefunden. Stattdessen wird allen pejorativen Lexemen automatisch das negative einschätzende Sem zuerkannt (Chudjakov 1980: 82; Pasytsch 1984: 70 und Schachovskij 1983: 14), was die Tatsache erklärt, warum diese Autoren den Terminus “ emotiv-einschätzende Lexik ” verwenden. Nur bei Schumann bin ich folgender Differenzierung begegnet, die laut beschriebenen semantischen Besonderheiten meiner Aufteilung in einschätzende Pejorativa und Affektiva entspricht: In der traditionellen sprachwissenschaftlichen Literatur galten Schimpfwörter lange Zeit als Sonderfall der Pejorative, unter denen Bezeichnungen verstanden wurden, die vielfach eine denotative Verschlechterung benennen und die sowohl auf eine negative Erscheinung in der Realität referieren als auch ein starkes negatives Begleitgefühl aufweisen. Davon unterscheiden sich . . . Wörter, die zwar ebenfalls ein starkes negatives Begleitgefühl signalisieren, mit denen der Sprecher aber zugleich die Subjektivität seiner negativen Stellungnahme gegenüber einem wertneutralen Objekt der Realität in lexikalisierter Weise ausdrücken kann (1990: 267). 3 Der denotative und der referentielle Aspekt verschiedener Gruppen von Pejorativa Die Struktur signifikativer Aspekte bedingt die Besonderheiten denotativer und referentieller Aspekte der Pejorativa: Bei den universalen Pejorativa verursacht begriffliche Diffusität, bedingt durch ein verallgemeinerndes differentielles Sem oder eine Reihe differentieller Seme, die Ausweitung des denotativen Umfangs. Der Denotat kann somit als “ jeder Mensch, über den sich die schimpfende Person ärgert ” bezeichnet und lediglich durch die geschlechtliche Zugehörigkeit eingeengt werden, so dass die universalen Pejorativa zwei synonymische Reihen bilden: universale Pejorativa, die sich auf eine weibliche Person und universale Pejorativa, die sich auf eine männliche Person beziehen. Begriffliche Diffusität von Pejorativa, die sich im Fehlen der Gegenüberstellung zwischen den einzelnen universalen Pejorativa äußert, gibt uns den Grund, von der Austauschbarkeit universaler Pejorativa zu reden: in ein und derselben Situation kann jedes universale Pejorativum verwendet werden, z. B. wenn ein Fahrer oder eine Fahrerin, über die wir uns im Verkehr ärgern als Arschloch, Scheißkerl oder Mist/ Dreckskerl (bzw. als Sauweib, blöde Ziege/ Kuh oder Miststück) beschimpft werden. Opelt (1965: 22) vertritt generell die Meinung, dass zwischen der Bedeutung der einzelnen affektiven Vokabeln kein prinzipieller Unterschied besteht. Doch sind im Vergleich zum denotativen Aspekt universaler Pejorativa die denotativen Aspekte der einschätzenden Pejorativa und der Affektiva begrenzt. Diese Gruppen von Pejorativa sagen auch mehr über die Adressatin/ den Adressaten aus, insbesondere wenn ihr Wahrheitsgehalt stimmt, z. B. wenn eine korpulente Frau als fette Kuh bezeichnet wird oder ein Deutscher als 324 Oksana Havryliv (Wien/ Lviv) Piefke. Der denotative Aspekt wird durch die differentiellen Seme, die konkrete Eigenschaften / Benehmensarten / Charaktereigenschaften bezeichnen ( “ Deutscher ” , “ fett ” ) begrenzt. Im Gegensatz dazu beziehen sich differentielle Seme universaler Pejorativa auf Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die allgemein negativ sind, weshalb der denotative Aspekt ausgedehnt wird und der Denotat universaler Pejorativa als “ Quelle des Ärgers ” bezeichnet werden kann. Je nach dem Grad des Dominierens des konnotativen Bedeutungsaspektes über dem signifikativen, referieren die Pejorativa dieser drei Gruppen nicht auf die Außenwelt, sondern auf die sprechende Person, auf ihren emotionellen Zustand. Bilaterale Bedeutungsstruktur der Pejorativa bedingt auch ihre doppelte Referenz: einerseits - durch das Pejorativum bezeichnete Person, andererseits - emotioneller Zustand des/ der Sprechenden. Der Referent ist formal als Addressat/ Adressatin der Äußerung vertreten, aber auf der Tiefenebene referiert das Pejorativum verstärkt auf die emotionelle Welt der schimpfenden Person, worin sich die egozentrische Natur von Pejorativa zeigt. Dies wird insbesondere bei der indirekten verbalen Aggression (in Abwesenheit der Adressatin/ des Adressaten) deutlich, bei der es sich um pure Ausdrucksfunktion verbalaggressiver Äußerung handelt. Die Hypothese vom stärkeren referentiellen Bezug der Pejorativa auf die sprechende Person vertreten auch andere Sprachwissenschaftlerinnen: “ Dabei ist es doch die Weltwahrnehmung der Schimpfenden und ihre Reaktion auf eine als verwirrend erlebte vielschichtige Welt / . . ./ (Sauer 2001: 248) oder: “ Und so wie jedes Schimpfwort und Zärtlichkeitswort, weil es unmittelbar aus dem Gefühl kommt, mehr aussagt über den, der es ausspricht, als über die Beschimpfte “ (Wyss 1981: 8 - 9). Die Hypothese, dass das Pejorativum in erster Linie die schimpfende Person charakterisiert, wird auch durch die Tatsache bekräftigt, dass in ein und derselben Situation zur Bezeichnung ein und derselben Person verschiedene Pejorativa gebraucht werden können: z. B. beim Autofahren können auf die Adresse eines/ einer anderen Verkehrsteilnehmers oder Verkehrsteilnehmerin unterschiedliche Pejorativa gebraucht werden je nachdem, ob es sich um direkte oder indirekte verbale Aggression handelt, ob eventuell zuhörende Personen anwesend sind, die ebenfalls die Wahl der Schimpfwörter beeinflussen können (vor allem wenn es sich um die zuhörenden Kinder handelt) usw. Die Bekräftigung der Hypothese, dass das Pejorativum sich in erster Linie auf die sprechende (schimpfende Person) bezieht, zeigt sich auch in den Bedeutungsdefinitionen, die befragte Personen zum Lexem Arschloch anführen, indem sie es über den Typ schimpfender Person definieren: “ das sagen Personen aus den niedrigen sozialen Schichten ” oder “ das gebrauchen Jugendliche ” . Das unten angeführte Auszug aus dem Harper Lees Roman “ Wer die Nachtigall stört ” beinhaltet ebenfalls treffende Beobachtungen zu der Bedeutungsverallgemeinerung und dem starken referentiellen Bezug zur sprechenden Person (siehe bitte Hervorhebungen durch fette Schrift - O. H.): “ Scout ” , sagte Atticus, “ Niggerfreund ist einer von den Ausdrücken, die gar nichts bedeuten - genau wie Rotznase. Es ist schwer zu erklären . . . Unwissende, armselige Menschen gebrauchen dieses Wort, wenn sie glauben, dass jemand die Neger begünstigt oder bevorzugt. Sogar Leute aus unseren Kreisen verwenden es manchmal, wenn sie andere mit einem gemeinen, hässlichen Schimpfwort kränken wollen. / . . ./ wenn jemand dir etwas nachruft, was er als Schimpfnamen betrachtet. Das zeigt nur, was für ein armseliger Mensch der andere ist, es verletzt nicht. Lass Das Zeichen und dessen Referentialität (am Beispiel der Pejorativa) 325 dich also von Mrs. Dubose nicht unterkriegen. Und sei nachsichtig mit ihr, sie hat es nicht leicht ” (Harper Lee 2015: 175 f.). Der bivektorale Referenzcharakter von Pejorativa zeigt sich auch in den Definitionen von Befragten (unsympathische Person, die etwas macht, was mich nervt). Eine Reihe von befragten Personen definiert dagegen das Lexem Arschloch ausschließlich über den eigenen psychischen Zustand: Als “ Arschloch ” bezeichne ich meinen Freund nur, wenn ich äußerst verletzt bin und mir nicht mehr zu helfen weiß. Jeder, der mich ärgert/ der mir auf die Nerven geht. Jemand, der mich schon sehr beleidigen oder kränken muss. Jemand, über den/ die ich mich ärgere. Die durch das Dominieren des konnotativen Aspektes über dem signifikativen verursachte Referenzverschiebung von der äußeren Welt auf die innere Welt der sprechenden Person (die sich in den Definitionen von Pejorativa widerspiegelt) illustriert anschaulich auch der unten angeführte Auszug aus dem Frank L. Baums “ Im Reich des Zauberers von Oz ” (Hervorhebungen von mir - O. H.): Tip was well soaked and dripping water from every angle of his body. But he managed to lean forward and shout in the ear of the Saw-Horse: “ Keep still, you fool! Keep still! ” The horse at once ceased struggling and floated calmly upon the surface, its wooden body being as buoyant as a raft. “ What does that word ‘ fool ’ mean? ” enquired the horse. “ It is a term of reproach, ” answered Tip, somewhat ashamed of the expression. “ I only use it when I am angry. ” “ Then it pleases me to be able to call you a fool, in return, ” said the horse. „ For I did not make the river, nor put it in our way; so only a term of, reproach is fit for one who becomes angry with me for falling into the water. “ “ That is quite evident, ” replied Tip; “ so I will acknowledge myself in the wrong. ” Then he called out to the Pumpkinhead: “ are you all right, Jack? ” Die Besonderheiten der signifikativen Aspekte verursachen begriffliche Diffusität, die sich im Fehlen der Gegenüberstellung zwischen den einzelnen universalen Pejorativa zeigt. Trotz der Universalität verbinden einzelne Sprachträgerinnen und Sprachträger die universalen Pejorativa oft doch mit konkreten Eigenschaften oder Personen. Welche Eigenschaften mit dem Lexem Arschloch verbunden werden, hängt, wie sich bei den Intensivinterviews herausstellt, von den individuellen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Assoziationen ab: so ist für eine Frau, deren Freund sie mit Eifersucht plagt, ein Arschloch ein eifersüchtiger Mann; für einen Mann aber, den seine Frau permanent betrügt, ist Arschloch ein betrügerischer Mensch. Diese Beobachtungen bestätigen abermals die These, dass Pejorativa im Allgemeinen und universale Pejorativa im Einzelnen mehr über die sprechende Person als über die Adressatin oder den Adressaten aussagen: in den angeführten Beispielen - darüber, was sie am meisten stört oder ärgert, was sie nicht toleriert, welche negativen Erlebnisse sie hatte usw. Von 27 Befragten haben 15 Personen den Bezug des Pejorativums Arschloch auf die beiden Geschlechter und 12 - auf einen Mann angegeben. Eine befragte Person hat die Bedeutung 326 Oksana Havryliv (Wien/ Lviv) des Lexems hinsichtlich des Geschlechtes differenziert: Arschloch a) gegen eine Frau: charakterlos; b) gegen einen Mann: hinterhältig, nicht ehrlich. Doch auch die Personen, die dieses Lexem auf beide Geschlechter beziehen, nennen in identischer Situation (rücksichtsloses Benehmen im Autoverkehr) unterschiedliche Bezeichnungen je nachdem, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt: Eine Frau, die das Wort auf beide Geschlechter bezieht: zur Frau - “ Dumme Schlampe! ” ; zum Mann - “ Das dämliche Arschloch! ” Ein Mann, der das Wort auf beide Geschlechter bezieht: zur Frau - “ Funzn ” ; zum Mann - “ Arschloch! ” Ein Mann, der das Wort “ Arschloch ” “ eher auf einen Mann ” bezieht: zur Frau - “ Furie! ” ; zum Mann - “ Ein Oaschloch! ” Bei 17 mündlich Interviewten löst das Lexem Arschloch Assoziationen mit Politikern aus, in anderen Fällen werden Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte, und alle Fahrerinnen und Fahrer, die sich rücksichtslos im Straßenverkehr benehmen, erwähnt. In diesen Fällen wird das differentielle Sem, das bei dem Lexem Arschloch auf allgemeine negative Charaktereigenschaften hinweist, bei den konkreten Sprachträgerinnen und Sprachträgern durch das differentielle Sem ersetzt, das sich auf den Beruf des Adressaten oder der Adressatin (Politiker/ Politikerin, (EX)chef/ Chefin, Vorgesetzte, Kollegin/ Kollege u. a.) oder sein/ ihr Auftreten in konkreten Situationen (z. B. im Straßenverkehr) bezieht. Dadurch wird im individuellen situativen Gebrauch der denotative Aspekt eingeengt. Der Bezug zum situativen Handeln einer Person kommt in den Definitionen des Lexems Arschloch durch Befragte ebenfalls zum Vorschein: Meine ehemalige gute Freundin, die ich 13 Jahre kannte und die mich total enttäuscht hat und mir das Leben zur Hölle macht. Wenn einer mich beschimpft und glaubt, er hat Recht. Jemand, der mich in die Parklücke nicht hineinlässt. Eine der Fragen, die den Befragten im Intensivinterview gestellt wurde, betraf Eigenschaften/ Benehmensarten der Mitmenschen, über die sie sich am meisten ärgern. Es zeigt sich dabei, dass diese Eigenschaften bei vielen Interviewten in ihren Definitionen des Lexems Arschloch als individuelle okkasionelle differentielle Seme auftreten. Am häufigsten Erwähnt wurden folgende Eigenschaften (aufgezählt nach der Häufigkeit der Erwähnung): - Rücksichtslosigkeit - Egoismus - Falschheit, Unehrlichkeit - (wissende) Gemeinheit - Hinterhältigkeit Das Zeichen und dessen Referentialität (am Beispiel der Pejorativa) 327 Tabelle 1: Arschloch. Individuelle differentielle Seme Eigenschaften/ Benehmensarten, die den Interviewten besonders lasterhaft vorkommen und die in ihren Definitionen des Lexems Arschloch als individuelle differentielle Seme erscheinen Arrogant Brutal der eine Frau ungerecht behandelt Dumm Eifersüchtig Faul Korrupt Macho Präpotent Schreihals Unhöflich 4 Kontextuelle Semantik pejorativer Lexik In der Kommunikationssituation kann die doppelte Referenz der Pejorativa durch den dritten Bezug erweitert werden. Dies möchte ich an einem Beispiel veranschaulichen, mit dem eine Interviewte die Frage nach dem Gebrauch von Nationalschelten illustrierte: wenn sie sieht, dass die Polizisten die Schwarzen in der U-Bahn kontrollieren, sagt sie zu ihrer Freundin in sarkastischem Ton: “ Da, schau, die Polizisten gehen schon wieder die Neger perlustrieren ” . Das Pejorativum Neger wird zwar von der interviewten Person gebraucht, bedeutet aber nicht deren negative Stellungnahme den Schwarzen gegenüber, sondern ihre Empörung über die diskriminierende Handlungen dritter Personen. Auch die auf der syntagmatischen Ebene vorhandene bivektorale Referenz von Pejorativa variiert im Kontext je nach der Situation zugunsten der Referenz auf die innere emotionale Welt der sprechenden Person oder auf die äußere Welt: Handelt es sich ums Abreagieren negativer Emotionen (kathartische Funktion, die laut meinen Umfragen mit 73 % des allgemeinen verbalaggressiven Verhaltens die wichtigste Funktion verbaler Aggression ist), referieren die Pejorativa auf die Emotionen der sprechenden Person. Dies ist insbesondere bei der indirekten verbalen Aggression der Fall, wenn z. B. beim Autofahren zur Beschimpfung einer anderen verkehrsteilnehmenden Person, die außerhalb der Hörweite und oft auch der Sehweite ist (und dessen Geschlechtszugehörigkeit deshalb für die schimpfende Person nicht bekannt ist), ein beliebiges Pejorativum gebraucht werden kann. Dabei kann es sich um ein pejoratives Lexem handeln, das sich auf einen Mann bezieht, während es sich in der Tat um eine Adressatin handelt. Geht es aber der schimpfenden Person darum, die Adressatin/ den Adressaten zu beleidigen, d. h. zielt das Pejorativum auf deren/ dessen Image ab, dann ist die Adressatin/ der Adressat stärker in die Referenz miteinbezogen. Der referentielle Bezug zur sprechenden Person besteht darin, dass durch die Verwendung dieses oder anderes 328 Oksana Havryliv (Wien/ Lviv) Pejorativums sie glaubt, andere Person beleidigen zu können (siehe bitte Hervorhebung im schon zitierten Auszug aus dem Roman “ Wer die Nachtigall stört ” : “ Kind, du darfst dich nie beleidigt fühlen, wenn jemand dir etwas nachruft, was er als Schimpfnamen betrachtet ” (Harper Lee 2015: 175)), d. h. es spiegelt die Vorstellungen der schimpfenden Person wider. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um die Beschimpfung unbekannter oder wenig bekannter Personen handelt. Will die/ der Schimpfende aber eine ihr/ ihm näher stehende Person herabwürdigen, hat sie Kenntnisse über ihre “ schwachen Stellen ” und Reaktionen, dann kann sie Bezeichnungen wählen, die gerade diese Person besonders kränken, d. h. in diesem Falle sagt das Pejorativum mehr über die Adressatin oder den Adressaten aus, wenn auch aus der Perspektive ihrer/ seiner Wahrnehmungen. Da die Bedeutung von Pejorativa stark situationsabhängig ist, unterscheiden sich auch der Umfang des signifikativen und des denotativen Aspektes auf der Ebene der Sprache von dem auf der Ebene der Rede. Daher können auf der paradigmatischen Ebene auch Pejorativa mit konkreter Bedeutung - einschätzende Pejorativa und Affektiva - universal gebraucht werden, ihr signifikativer und ihr denotativer Aspekte werden kontextuell ausgedehnt. Ebenso kann signifikativer Aspekt universaler Pejorativa kontextuell (und individuell) eingeengt werden, indem die sprechende Person das universale Lexem mit einer konkreten Eigenschaft verbindet. Auch die Häufigkeit des Gebrauchs verursacht semantische Verschwommenheit des signifikativen Aspektes und weitet den denotativen Aspekt aus. Das beobachten wir z. B. an den häufig gebrauchten Pejorativa zur Bezeichnung eines dummen Menschen: Depp, Idiot, Trottel - so wird nicht nur ein dummer Mensch, sondern jeder Mensch, über den wir uns ärgern, beschimpft. Diesen automatisierten idiomatisierten Gebrauch von Wörtern und Wendungen, die Zweifel am Verstand des Gesprächspartners hegen, hebt auch Lötscher (1980: 149) hervor. Kiener (1983: 166) erklärt diesen Vorgang durch den auf Grund des häufigen Gebrauchs und der damit verbundenen Ausweitung des konnotativen Umfangs verursachten “ Verschleißeffekt ” , und de Boer (zit. n. Popp 2004: 73) spricht in dem Falle, wenn ein Lexem mit einem genau definierten semantischen Inhalt diesen bei der Verwendung als Schimpfwort verliert, von der “ Entleerung des Signifikats ” . Verstärkter referentieller Bezug der Pejorativa auf die sprechende Person wirkt sich auch auf die Reaktionen des Adressaten/ der Adressatin aus, die in den meisten Fällen sich bewusst sind, dass verbale Aggressionsäußerungen in erster Linie nicht sie, sondern die sprechende Person charakterisieren (denn sie sind Ausdruck ihres Temperaments, ihrer Probleme und Ängste, ihrer Schwäche und Hilflosigkeit) und auf die Beschimpfung nicht beleidigt reagieren. Diese Position - verbalaggressive Äußerungen bewußt nicht beleidigend wahrzunehmen - ist auch ein wirksamer Schutz gegen die sprachliche Gewalt: dadurch, dass die Person selbst entscheidet, ob sie die Äußerung als beleidigend wahrnimmt oder nicht (ich denke hier an Eleanor Roosevelt, die meinte “ No one can make you feel inferior without your consent ” (Zit. nach Lippi-Green [1997: 240]), verabschiedet sie sich von der passiven Rolle und wehrt sich aktiv gegen die sprachliche Gewalt. Das Zeichen und dessen Referentialität (am Beispiel der Pejorativa) 329 5 Zusammenfassung Universale Pejorativa zeichnen sich durch eine Polyreferenz aus, die sowohl durch die Besonderheit ihres signifikativen Aspektes (ein differentielles Sem, das allgemeines negatives Charakteristikum gibt bzw. eine Reihe von differentiellen Semen, die ein breites Spektrum negativer Eigenschaften/ Verhaltensweisen umfassen) als auch durch das Dominieren des konnotativen Aspektes (was die Referenzverschiebung von der äußeren Welt auf die innere Welt der sprechenden Person verursacht) bedingt ist. Primärliteratur Baum, Frank L.: The Marvelous Land of Oz, in: http: / / www.gutenberg.org/ files/ 54/ 54-h/ 54-h. htm#Page_109 [20. 06. 2017] Lee, Harper 2015: Wer die Nachtigall stört . . ., übers. v. Claire Malignon, Reinbek: Rowohlt Sekundärliteratur Bering, Dietz 1978: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes, Stuttgart: Klett-Cotta Burgen, Stephen 1998: Bloody hell, verdammt noch mal! Eine europäische Schimpfkunde, München: dtv Christiani, Wilhelm 1913: “ Über die persönlichen Schimpfwörter im Russischen ” , in: Archiv für slavische Philologie 34 (1913): 321 - 370 Chudjakov = Худяков , И . Н . 1980: “Об эмоционально оценочной лексике” , in: Филологические науки 2 (1980): 79 - 82 Erdmann, Karl Otto 1925: Die Bedeutung des Wortes, Leipzig: Haessel Havryliv, Oksana 2003. Pejorative Lexik. Untersuchungen zu ihrem semantischen und kommunikativpragmatischen Aspekt am Beispiel moderner deutschsprachiger, besonders österreichischer Literatur, Frankfurt / Main etc.: Peter Lang Havryliv, Oksana 2009: Verbale Aggression. Formen und Funktionen am Beispiel des Wienerischen, Frankfurt / Main: Peter Lang Kiener, Franz, 1983. Das Wort als Waffe. Zur Psychologie der verbalen Aggression, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Lippi-Green, Rosina 1997: English With an Accent: Language, Ideology, and Discrimination, London: Routledge Lötscher, Andreas 1980: Lappi, Lööli, blööde Siech! Schimpfen und Fluchen im Schweizerdeutschen, Frauenfeld: Huber Mokienko, Valerij & Harry Walter 1999: “ Lexikographische Probleme eines mehrsprachigen Schimpfwörterbuches ” , in: Anzeiger für slawische Philologie XXVI (1999): 199 - 210 Objartel, Georg 1984: “ Die Kunst des Beleidigens ” , in: Helmut Henne, Horst Sitta & Herbert Ernst Wiegand (eds.): Gespräche zwischen Alltag und Literatur, Tübingen: Niemeyer, 94 - 122 Opelt, Ilona 1965: Die lateinischen Schimpfwörter und verwandte sprachliche Erscheinungen, Heidelberg: Winter Pasy č = Пазич , Н . В . 1984 “Лексичні засоби вираження негативної оцінки ( на матеріалі англійської мови ) ” , in: Мовознавство 6 (1984): 70 - 71 Pfeiffer, Herbert 1996: Das große Schimpfwörterbuch, Frankfurt / Main: Eichborn Popp, Johanna 2004: Schimpfen und Fluchen im Italienischen und im Deutschen, Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie an der Universität Wien 330 Oksana Havryliv (Wien/ Lviv) Sauer, Anne 2001: “ Fy fan! - verfluchte Scheiße! ” Fluchen und Schimpfen im Schwedischen und Deutschen ” , in: Annegret Heitmann (ed.): Arbeiten zur Skandinavistik, Frankfurt / Main etc.: Peter Lang, 247 - 253 Schrambke, Renate 2002: “ Dupp und Dottel, Lusch und Lottel. Geschlechtsbezogene sprachliche Varianz bei Schimpfwörtern des süddeutschen Sprachraums ” , in: Elisabeth Cheauré, Gisela Schoenthal (eds): Geschlechterkonstruktionen in Sprache, Literatur und Gesellschaft, Freiburg / Brsg.: Rombach, 247 - 279 Schumann, Hanna Brigitte 1990: “ Sprecherabsicht: Beschimpfung ” , in: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 43 (1990): 259 - 281 Wierzbicka, Anna 1973: „ Problems of expression: Their place in the semantic theory ” , in: Recherches sur les sestemes Signifiants. Symposium de Varsovie 1968, The Hague: Mouton, 145 - 164 Wyss, Laure 1981: “ Vorwort ” , in: Luise Frei. Die Frau. Scherz-, Schimpf- und Spottnamen, Stuttgart: Huber Frauenfeldt, 7 - 11 Š achovskij = Шаховский , Виктор Иванович 1983: Эмотивный компонент значения и методы его описания , Волгоград : Издательство Волгоградского гос . пед . ин та Das Zeichen und dessen Referentialität (am Beispiel der Pejorativa) 331 K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Why Observation Matters A Characterization of the Sciences as Contrasted with Fiction and Religion on Semantical Grounds Claus Schlaberg (Celle) Observation is described as that which is informationally linked to the observed with the help of its being characterized both internally and externally. The external characterization refers to what perception really is (exemplified by seeing) in the manner semantic externalism treats natural kinds. Observable predicates are treated as reducible to appearance behaviour thus characterized. Referring to this way of semantical reduction distinguishes cultures of knowledge from cultures which acknowledge linguistic utterances as truthmakers. Introductory Remarks Theories of the sciences have mainly dealt with how observation confirms or disconfirms a hypothesis. The question why observation matters at all has hardly been dealt with. Instead of giving empirical evidence one could consider looking for evidence in books. Indeed, we use books in order to gain knowledge but in the sciences this is commonly justified for the reason that scientific books refer to formerly published empirical data utilized in current theories — because of their reference to observation. Imagine a text contains only true statements. Why not consider referring to it in order to decide upon the truth of a hypothesis? It does not matter whether I know for certain that its statements are true. Our concern is what I am justified to infer from the text, presupposing that its statements are true. A striking peculiarity is that in the sciences I am not justified to infer anything from it, even if the text leads me to true conclusions only. Obviously, the evidence I am finally allowed to rely on in the sciences is not a linguistic utterance be it a spoken or a written one. It seems that linguistic utterances do not count as reasonable truthmakers in the sciences as some utterances do in religion. (Quotes from the Bible or the Koran are examples.) It has traditionally been presupposed rather than justified that observation is basic in the sciences. To stress the role of observation seems trivial. How is observation related to scientific statements? In order to find an answer to this question this work will mainly refer to Carnap ’ s and Hempel ’ s ideas on confirmation by means of reduction instead of definition and then follow Barwise ’ s account of meaning and how situations support the information, including his reference to the Gricean distinction between natural and non-natural meaning as has been further developed by Searle, Strawson, Schiffer and others. One main conclusion will be that the sciences are not to count as one of the narrative practices insofar as they — though communicative — communicate indications. 1 What Remains from Empiricism? Jon Barwise characterized science as a “ search for meaning ” (Barwise 1984: 16) which seemingly suggests a conception of the world as readable or textual. In contrast to this Barwise ’ s idea is rooted in the empiristic tradition. Barwise refers to Grice ’ s distinction between natural and non-natural meaning not to misconceive the natural as readable but to somehow integrate the readable in the natural: “ [. . .] the driving force behind situation semantics is a commitment to a form of realism, [. . .] the claim that meaning does not reside in the head or in some mysterious realm but in the interaction of real, living things and their actual environment ” (Barwise 1984: 12). What does this have to do with the observable as the basis of scientific reasoning? To what extent is the observable — although theory laden — basic? The question is nowadays very important with regard to appreciating a tradition which teachers in chemistry express in a very clear sequence the steps to follow in documenting an experiment and its consequences or — as you may say — its interpretation: 1) experiment 2) observation 3) interpretation Why should we follow that order? Remember that in certain cultures what is written in a book is still regarded as true because it is written in that book. There is no doubt that reading is in many cases helpful in knowledge acquisition. However, as moreor lesseducated former attendants of secondary schools, we know that scientific books as well as school books refer to formerly published empirical data utilized in current theories. But the relation between the observable and statements which are acknowledged as scientific is closer than is often believed to be the case. Empirical data not only serve to somehow confirm, disconfirm or falsify something that is claimed to be true in the sciences. Moreover, something observable belongs to what the thesis means. That is why modern empiricists were semanticists as opposed to former empiricists who rather claimed psychological ideas concerning what is or is not innate. In addition, it will be argued here that the semiotic gap between the natural and the arbitrary is intended to lessen in the sciences. This is especially suggested by Barwise when he considers the way a clock means what time it is (Barwise 1984: 7 - 9). Accordingly, a semiotic characterization of the sciences as well as how empiricism is still at the core of what we rationally believe to make a statement true is intended. Carnap mitigated the requirements that empiricism in a very strict sense forces upon the sciences by distinguishing four levels of connection between the meaning of a linguistic expression and observation, according to whether confirmability or, additionally, testability Why Observation Matters 333 is required and whether the confirmability and the testability are or are not complete (Carnap 1953: 85). In general, descriptive predicates are expected to have some connection with possible observation (Carnap 1953: 85). The lowest degree of connection is confirmability. Carnap offers his analysis of disposition terms in order to explain his idea of confirmation. It is useful to mention that Carnap remarks that reduction determines the meaning of a term “ for some cases only, leaving its further determination for other cases to decisions which we expect to obtain in the future ” (Carnap 1953: 59), as opposed to definitions which fix the meaning of a term once for all. Concerning magnetism as an example the claim that a piece a of iron is magnetic is supported by different kinds of behaviour of a: its attracting other pieces of iron as well as its having a positive and a negative pole with the well-known behaviour of different poles attracting each other and poles of the same kind repulsing each other. Therefore, Carnap distinguishes between reduction sentences of disposition terms Q 3 some of which support that Q 3 obtains (a is magnetic) and some of which support that Q 3 does not obtain (a is non-magnetic). (R1) Q 1 ⊃ (Q 2 ⊃ Q 3 ) (R2) Q 4 ⊃ (Q 5 ⊃ -Q 3 ) In special cases Q 4 coincides with Q 1 and Q 5 with -Q 2 which results in a bilateral reduction sentence: Q 1 ⊃ (Q 3 ≡ Q 2 ). For example, being soluble in water (Q 3 ) is reducible to Q 1 and Q 2 in the following manner: a being put in water (under normal conditions) ⊃ (a dissolves ≡ a is soluble in water) The decisive point is that the reduction finally only contains observable predicates. Certainly theoretical terms have to be considered thoroughly (Carnap 1956, Hempel 1965: 173 - 222). But first, more simple cases as we are familiar with from school need to be taken into account. Being put in water and dissolving in water count as observable. Being soluble is thus reduced to observable predicates. (What an observable predicate characterizes as such will perhaps be a little clearer in the end of this paper.) Why are we interested in the observable? One answer once was given by a theorist of knowledge, Alvin Goldman, and afterwards rejected by himself: The state of observation is somehow caused by the observed and thus a state of knowledge; and knowledge is what we aim at in the sciences (Goldman1967). Goldman rejected his causal analysis of knowledge afterwards referring to fake barn situations in which fake barns would cause the same attitude towards what is seen in them as real barn situations and which thus would lack a kind of discrimination which he regards as required for knowledge (Goldman 1976). Nevertheless, there seems to be a causal connection between the observed and a state of knowledge about it. Barwise referred to the role of the ‘ flow of information ’ in knowledge. From that point in time the treatment of the topic became more semiotic than before. Barwise correctly points out that “ the ‘ truth conditions ’ on watches are that they point to t only at time t. However, a watch may point to 4 o ’ clock without that meaning that it really is 4 o ’ clock, for a variety of reasons, even if it is, in fact, 4 p. m. [. . .] ” (Barwise 1984: 8). He draws the reader ’ s attention to the flow of information which an utterance is part of. Due to the type to which it belongs, an utterance of “ The earth is flat ” has a meaning (meaning t ), but no utterance of it can ever carry the information (mean s ) that the earth is flat (meaning s ). It can rather, relative to some 334 Claus Schlaberg (Celle) constraint, mean s that the speaker believes that the earth is flat. Barwise emphasizes how conventions and natural constraints are interrelated in meanings like the meanings of time telling situations including conditions concerning the speed of sound: “ Also involved are things like natural laws about quartz, my knowing how to tell time, and the fact that the speed of sound is great enough that we can ignore the time it takes for you to hear my utterance ” (Barwise 1984: 8). We will find such a complexity in the role of observation in sciences. In a typical natural meaning, what a situation means is somehow causally related to the situation which carries that meaning. In contrast to this in the sciences observations play a role as reasons rather than as causes or effects. Observations may be good reasons for a statement taken to be true in two related ways: It is not only that fire causes smoke and thus smoke informs me about something being on fire. Additionally, a fulfilling relation obtains between the description of something as being on fire on the one hand and experiences like seeing flames, light, feeling heat, and often smoke, on the other hand. Flame-experiences are not only good reasons for the assumption that something is on fire. They, additionally, contribute to its truth in the sense of truthmaking which distinguishes it from the way a bible text tells me something or even informs me about a fire (see Smith & Simon 2007 on truthmaking). 2 The Three-Dimensional Model Let ’ s focus on one assumption which is basic in the sciences and also in everyday philosophy supported by education in school. According to this assumption we are inclined to regard reality mainly as an arrangement of entities in time and space. Even if one adheres the idea of scientific essentialism that causal powers, capacities and propensities of things do not depend on categorial properties such as number, shape, size and configuration of parts of things (and the laws of nature) but are genuine properties (Ellis 2001: 49), arrangements in space and time remain essential as long as physical force as well as speed and acceleration are introduced with the help of how such arrangements in space and time change. Things move from one location at time t 1 to another at time t 2 . And if such a movement becomes faster there is acceleration caused by force. What is usually left undone is to ask what we mean by “ y 1 is at time t 1 in location o 1 ” . It is common to refer to three spatial dimensions — one of which corresponds to <right — left>, a second corresponds to <above — below>, and a third one to <in-front-of — behind>. Accordingly, locations o i are considered as triples of values the three dimensions take respectively. o 1 may be <1; 4; 2>. o 2 , another location, be <2; 5; 3>. o 1 may be the location of a bicycle y 1 , o 2 the location of another bicycle y 2 . If you, as a spectator, look at both bicycles from <0; 0; 0> you call the bicycle y 2 right from y 1 , higher than y 1 , and behind y 1 which is mirrored in the three values of o 2 being larger than the values of o 1 . You do not see locations. What you really see are the bicycles y 1 and y 2 . You may consider seeing that y 1 is at o 1 . After some deliberation you prefer to say: You see that the bicycle y 1 is next to the bicycle y 2 or that y 2 is above y 1 or that y 2 is behind y 1 . Using “ above ” , “ below ” , “ under ” , “ behind ” or “ in front of ” generally: relations instead of triple ascriptions, is closer to how we usually describe spatial arrangements rather than referring to three spatial dimensions by means of triples. This corresponds to the concept that locations themselves Why Observation Matters 335 are not seen or perceived in any mode. They seem to be results of an abstraction gained from how we experience things as related to one another. There is a plausible explanation for this which conceives of the dimensions as useful tools in a causal explanation of experiences. Locations in the sense of triples <k 1 ; k 2 ; k 3 > exist insofar as they play a role in explanations (Quine 1961). I see the bicycle y 2 stand behind y 1 . How can I see this? One possibility consists in having one bicycle-image above another, like this (Fig. 1): Fig. 1 There is at least one further possibility, of course. It depends on from where I see the situation. If I see it from above it will appear to me as is shown above. If I see it from below, perhaps through a glass plate, it will appear like this (Fig. 2): Fig. 2 Both views support the claim that y 2 is behind y 1 . Views like these play the role which traditionally is connected with appearances or even with sense data in the visual mode. Such entities have been discredited as peculiar (Sellars 1991, Dennett 2003, Schellenberg 2017). Yet it is not at all implausible to refer to them. Some reasons are given more consideration for taking them into account. The most important reason is to see how far it will take us to proceed in the manner of using illustrations like the ones just given. They obviously are not completely incomprehensible. (It is natural to use them in books on perception, see Goldstein 2002: 112, 193, 237.) My view of the whole two-bicycle-situation includes two parts which both are bicycle views. Certain kinds of experience concerning the way the 336 Claus Schlaberg (Celle) views change during my movements enable me to identify those parts as well as the bicycles they are views of during a period of time. I more or less remain aware of which part is a y 1 appearance and which part is a y 2 -appearance. That means, my view is characterized as - a two-bicycle-appearance - a y 1 -appearance - a y 2 -appearance - a y 1 -and-y 2 -appearance And parts of it are characterized as - a bicycle-appearance - a y 1 -appearance - a y 2 -appearance respectively such that - the y 1 -appearance is below the y 2 -appearance or - the y 1 -appearance is above the y 2 -appearance. In addition to that, experiences with how my view changed during my movements (see Schellenberg 2007) justify my characterization of the bicycle-situations as seen from below or from above. That is why appearances can be described as dependant on observation conditions such as seeing the situation from above or seeing it from below. We refer to such observation conditions as B. It has to be stressed that the values <from below> or <from above> B takes are different from what “ below ” and “ above ” mean with regard to how the y 1 -appearance and the y 2 -appearance are related to each other. Spatial relations obtained between the bicycles y 1 and y 2 include being above and being below. y 2 may be in a higher position than y 1 , for example, if y 2 is on top of a hill and y 1 is not. The y 1 -appearance being below the y 2 -appearance means something else which is not to confuse as being below with regard to the appearing, the bicycles. (We may call those terms regarding appearances “ intrinsic ” , referring to Boghossian & Velleman 1989 with regard to colours. That spatial relations are not to be ascribed to appearances was remarked by Husserl and later by McGinn: Husserl stresses that it does not make sense to say that a distance of one meter obtains between a point of my view and a point of a table (Husserl 1980: 30, § 1); also McGinn 1991: 12; 2005). Subsequently we refer to spatial relations between y 1 and y 2 as F and to relations between appearances as F ′ . Whether in my view of the whole situation y 2 appears above y 1 or y 2 appears below y 1 depends upon the location from where I look at it. Accordingly, whether the y 2 -appearance in my y 1 -and-y 2 -appearance is situated above the y 1 -appearance in my y 1 -and-y 2 -appearance depends on the observation conditions B. If B includes looking at it from above: B ⊃ Above (y 2 -appearance, y 1 -appearance) In other words, looking at the y 1 -and-y 2 -situation from a higher position, from above, (B) the y 2 -appearance is located above the y 1 -appearance. Looking at it from a lower position, from below, the y 2 -appearance is located below the y 1 -appearance. Generally: Why Observation Matters 337 B ⊃ F ′ (y 2 -appearance, y 1 -appearance) B takes looking-from-below or looking-from-above as values. F ′ takes being above or below in the intrinsic sense as values. The common experiences described so far are explained causally in the following manner (Fig. 3): Y1-image Y2-image y 2 y 1 Y1-image Y2-image k 2 k 1 Fig. 3 Light rays meet the retina differently depending on whether the observer is located above or below (B) the situation. As a result the y 1 -image on the retina is situated above the y 2 -image on the retina or below the y 2 -image on the retina respectively (F ′ ). The y 1 -appearance and the y 2 -appearance we have mirror the further processing of the retinal images in the brain about which we probably will never have complete knowledge. What matters here concerning the explanation of how the y 1 -appearance and the y 2 appearance are situated within the y 1 -and-y 2 -appearance, is that the ascription of triples <k 1 ; k 2 ; k 3 > to everything that plays a causal role is decisive. The explanation assumes that - to each (relevant) part of the eye and each (relevant) part of what is between y 1 and y 2 on the one hand and the eye on the other hand a location <k 1 ; k 2 ; k 3 > is ascribed. - the light moves straight. - y 1 and y 2 emit (mostly reflect) light. - the anatomy of the eye is such that the light rays emitted by y 1 and y 2 cross within the eye. 338 Claus Schlaberg (Celle) The spatial arrangement of y 1 and y 2 as well as the straight movement of the light make plausible how the light meets the retina. The explanation supposes an ascription of triples <k 1 ; k 2 ; k 3 > to each relevant part of the observation situation. If, for example, the first value of the location o 2 of y 2 is smaller than the first value of the location o 1 of y 1 , then the second value ascribed to the y 2 -image is smaller than the second value ascribed to the y 1 -image if the eye is located above y 1 and y 2 .If it is located below the situation, things are reversed: If the first value of the location o 2 of y 2 is smaller than the first value of the location o 1 of y 1 , then the second value ascribed to the y 2 -image is larger than the second value ascribed to the y 1 -image. From the spectator ’ s point of view, y 2 being behind y 1 is indicated to the spectator by an appearance behaviour which is such that 1) the y 2 -appearance is below the y 1 appearance if the spectator is below y 1 and y 2 and 2) the y 2 -appearance is above the y 1 appearance if the spectator is above y 1 and y 2 . The explanation offered is almost trivial because it belongs to knowledge acquired in school days. The more trivial it seems the more important it is to stress that it presupposes (or, if explicitly said, supposes) that to each part of the observation situation a triple <k 1 ; k 2 ; k 3 > is ascribed as its location. What is regarded as actually seen in that two-bicycleobserving-situation are the bicycles although a lot more things contribute to the explanation. That y 2 is behind y 1 may also count as what is seen. But the location triples as well as the light which moves from y 1 and y 2 to the retina are surely not accepted as actually seen. In accordance with how educated the person is, someone who explains how the y 1 -and-y 2 -appearance changes during the observer ’ s movements will refer to locations as triples <k 1 ; k 2 ; k 3 > and light moving straight from y 1 and y 2 to the retina. Referring to these unseen parts of the observing situation one will admit that he neither sees triples nor light moving and crossing on its way to the retina. (As Wittgenstein remarks, the observer anyway does not see his own eyes, Wittgenstein 1963: 91; 5.633.) The distinction made between what is seen on the one hand and parts of the seeing situation which contribute to the seeing and nevertheless are not seen themselves on the other hand is stressed in order to prepare for a well-known phenomenological distinction: There is an object seen and, additionally, there is the process of seeing including a directedness towards the object. Whatever you see, you don ’ t see triples as where the things are located (Table 1). Table 1 visible non-visible y 1, y 2 o 1 , o 2 , k 1 , k 2 , k 3 , <k 1 ; k 2 ; k 3 >, light The non-visible and the visible serve to explain that we see y 1 and y 2 and how their appearance changes likewise. They are likewise natural insofar as they are taken into account in physical or physiological explanations. Besides, there are the things we just ‘ have ’ . These are the things involved in seeing that we are at least as familiar with as with the actually seen things and which, nevertheless, are not assumed to exist in space: the appearances or views. One of the reasons why they are to be admitted is that two of the most common pictures — say: two photographs of the same thing, say: a bicycle — may differ only with regard to the camera ’ s point of view or with regard to the luminous intensity or from Why Observation Matters 339 where the light comes. Hence they are pictures of the same object which differ in how the visible y appears, that means: they differ regarding the y-appearance they correspond to. Its resemblance to a y-appearance enables you to see it as a y-picture (see Posner 2010 who reintroduces similarity in the theory of pictures after it was abandoned by Goodman 1968: 3 - 43.) Concerning the distinction between the visible entities involved in seeing on the one hand and those entities involved in seeing which are taken into account in a causal explanation on the other hand, it is remarkable that y 1 and y 2 belong to both. y 1 as well as y 2 are both what you see and what reflects light that meets the retina. After further consideration terms like “ the one bicycle ” and “ the other bicycle ” will be replaced by more theoretical expressions. Before doing so you nevertheless refer to what you see — the bicycles — even in theory. What has been said so far amounts to the following structuring (Table 2): Table 2 just had visible non-visible y 1 -appearance y 2 -appearance y 1 y 2 o 1 , o 2 , … k 1 , k 2 , k 3 , … <k 1 ; k 2 ; k 3 > … light theoretical and non-visible (theoretical in the narrower sense) theoretical familiar Remember how triple ascriptions are meant to explain the retinal y 2 -image being below the retinal y 1 -image. The explanation includes y 1 , y 2 , the light and the retinal images equally. Of course, how exactly appearances — the ‘ just had ’ entities — and retinal images are connected remains more or less mysterious. But the way retinal images are expected to behave in accordance with the explanation fits well with the way appearances behave. As a consequence, we take what is suitable to explain how retinal images behave as suitable to explain how appearances behave. Although the appearances do not belong to the model which assumes a spatial arrangement of real things, it seems inevitable to take into account the visible, the non-visible and the ‘ just had ’ entities equally in order to explain what is intended to explain. The appearance behaviour is what everything else in the explanation 340 Claus Schlaberg (Celle) depends on. We assume y 1 , y 2 , the light, the way the light moves and the observer to be the way we do because we suppose the retinal images to behave in accordance with the appearances. 3 Truthmakers for Statements on Reality and Fiction What is the meaning of “ behind ” ? Before we draw our attention directly to the meaning of “ behind ” , the relation between what the three-dimensional model explains on the one hand and the behaviour of appearances on the other hand needs to be described more vividly. The behaviour of y-experiences is explained with the help of the three-dimensional model including the ascription of triples <k 1 ; k 2 ; k 3 > to y 1 , y 2 , the light and the retina as their locations respectively. The appearances make a contribution in the opposite direction. Their behaviour is what the existence of y 1 and y 2 makes true. Unfamiliar behaviour of appearances makes you think of y 1 and y 2 as being ghostly, somehow unreal, for example when a y-appearance suddenly vanishes or comes back (see Schlaberg 2017: 113 - 117). Therefore, we regard appearance behaviour as a truth maker. Experiences in any further mode be also taken into account. Imagine you have a stretching-your-hand-straight-to-yappearance accompanied by a touching-y-appearance, but no sensation of touching y. To some degree this makes you doubt the existence of y if there is no reason to believe that your senses do not work properly. The relationship between appearance behaviour — more generally: experience — on the one hand and the real including its spatial relations to other real things as modelled three dimensionally on the other hand is characterized by two oppositional directions (see Schlaberg 2017: 147 - 160): Appearance behaviour makes real existence and obtaining spatial relations between really existent things true as the assumption of really existent things serves to explain appearance behaviour (and experience more generally) causally (Fig. 4): y-appearance behaviour y exists in <k 1 ; k 2 ; k 3 > makes true explains causally Fig. 4 Why Observation Matters 341 Both, y-appearance behaviour as well as spatial arrangements of entities whose assumption serves to explain how y-appearances behave within the three dimensional model which ascribes to each of the things a triple <k 1 ; k 2 ; k 3 > as its location, are involved in the meanings of several terms, one of which is “ behind ” . Their semantic role becomes clearer when we consider the idea of semantic externalism. As will finally become clearer, the observable is of interest because of the information it carries about the observed we do research on. Information may be gathered from several sources. There are some peculiarities of how y and y-appearances are related to each other because of which the latter are of special interest. 3.1. Internal and External Characterization of Appearances First of all, the meaning of “ y-appearance ” has to be explained. Goodman suggests to classify pictures irrespectively of what they denote: “ What tends to mislead us is that such locutions as ‘ picture of ’ and ‘ represents ’ have the appearance of mannerly two-place predicates and can sometimes be so interpreted. But ‘ picture of Pickwick ’ and ‘ represents a unicorn ’ are better considered unbreakable one place predicates, or class terms, like ‘ desk ’ and ‘ table ’ ” (Goodman 1968: 21). There is a remarkable parallel between how Chisholm characterizes appearances and how Goodman describes pictures. Chisholm compares “ The cabin on the hill is blue ” to “ I am now appeared to blue ” (Chisholm 1957: 62; with regard to certainty which is not our concern here). Such ‘ adverbial ’ treatment characterizes perception internally rather than as related to the perceived. Similarly Goodman describes pictures internally rather than as related to what the picture represents (if it represents anything at all). Now we are justified to trace a picture being a y-picture, for example a Pegasus-picture, back to references we make as a spectator, as a painter or whoever deals with it. This amounts to Chisholm ’ s treatment of perception: Being a y-picture, for example a Holmes-picture, is based on references which can be described correctly as y-references without having to assume that any y exists. An illustration in a book by Conan Doyle may be rightly regarded as Holmes-picture notwithstanding that there is no Holmes to whom it could be related causally like a photograph. The same applies to references which may be classified as y-references respectively independently of whether there is any y. Likewise the term “ bicycle-appearance ” contains two parts, the first of which specifies a subset of what the second denotes. ֎ -appearances are a special kind of appearances. ֎ does not have to denote anything but makes the whole expression more specific. We call the way the term for y characterizes y-appearances an internal characterization. Another example may be helpful: I have many thoughts about whether the monster of Loch Ness will someday kill Sherlock Holmes in front of my house. Even if there is neither a monster of Loch Ness nor Sherlock Holmes somewhere in the universe, my thoughts nevertheless refer to the monster of Loch Ness and to Sherlock Holmes. In order to avoid any terms for non-existing individuals we use terms which — although not denoting individuals — serve to specify a subset of what “ thought ” denotes. The way these seemingly individual denoting expressions modify the meaning of “ thought ” is adequately conceived of as specifying a subset of the set of thoughts in a regular manner whose result is clearly not arbitrary. In addition to their internal characterization, y-appearances are characterized externally. In short: A y-appearance is what it is like to see y, and seeing y is just what it really is. Using 342 Claus Schlaberg (Celle) “ to see ” correctly does not require the speaker to know exactly how seeing works physiologically, but it requires him to refer to what seeing actually is as is investigated by researchers and probably will never be resolved in every detail. Putnam ’ s idea of linguistic labour division be applied here as is usual with regard to the term “ water ” (Putnam 1975). What do we mean by “ water ” ? Roughly said, “ water ” means what water really is. Referring to Putnam, Chalmers made the distinction between primary and secondary intension: “ Given that the primary intension ( ‘ watery stuff ’ ) picks out H 2 O in the actual world, it follows from rigidification that the secondary intension picks out H 2 O in all possible worlds ” (Chalmers 1996: 59). Comparing “ water ” with “ bachelor ” a difference is striking: What bachelors are completely depends on a convention according to which someone is a bachelor if and only if he is an unmarried man (see Haslanger 2000, 2010 concerning so called “ social terms ” as opposed to natural kinds). Regarding “ water ” the case is different. What counts as water does not solely depend on a convention. On the one hand there are criteria as to categorize something as water concerning how it is experienced. On the other hand, what at first sight looks like, smells like or tastes like . . . water may not be water. Hence further criteria which refer to a microstructure are to consider — criteria which are to discover by means of empirical investigation. The experts who do the respective research participate in the same “ linguistic labor division ” as does the common member of the linguistic community who uses the term “ water ” . They all know that the meaning of “ water ” resides in the water itself — hence the term “ semantic externalism ” . What does this tell us about the meaning of “ behind ” ? y 2 being behind y 1 is what it really is. In order to know whether y 2 is behind y 1 we consult certain experiences, for example appearances. Most prominently among them, y 1 -appearances and y 2 -appearances are to be considered. We are acquainted with kinds of appearances and appearance behaviour that we consider in order to decide on whether one thing is situated behind another. It suffices to give examples as has already been done so far: the way y 1 -appearances and y 2 -appearances are located below or above one another in dependence of from where I seem to look at the y 1 -and-y 2 -situation; additionally, the way y-appearances reduce or enlarge as dependant on how far I am from y. The crucial point is that the decision of whether y 2 is behind y 1 is made upon the behaviour of y 1 -appearances, y 2 -appearances, and y 1 -and-y 2 -appearances. Nevertheless, generally we are not certain about what it means that the one thing is located behind the other as long as we are not certain about what space generally consists in. We experienced y 1 -and-y 2 -appearances to change systematically during our movements (see Noë 2004, Schellenberg 2007). The usual ascription of triples <k 1 ; k 2 ; k 3 > to y 1 and y 2 as their locations respectively serves as part of an explanation of the way these appearances behave. y 2 being behind y 1 is indicated by the one being covered by the other, the y 2 -appearance being above or below the y 1 -appearance, and both enlarging during my moving-forwardexperience including that sooner or later a passing-by-y 1 -and-after-that-passing-by-y 2 experience occurs. These experiences belong to what under the heading “ y-appearancebehaviour ” has been juxtaposed (Fig. 4) with the theoretic (though not necessarily nonvisible) entity y as is ascribed to a location triple <k 1 ; k 2 ; k 3 > which itself belongs to the theoretic (and itself is non-visible). The appearance behaviour makes true that y 2 is behind y 1 whereas to y 2 and y 1 themselves theoretic location triples are ascribed in such a way that the y 1 -and-y 2 -appearance behaviour is explained with the help of these ascriptions. In other Why Observation Matters 343 words: The theory is meant to explain which relations F ‘ between y 1 -appearances and y 2 appearances obtain. F ′ (y 1 -appearance, y 2 -appearance) justifies the claim F(y 2 , y 1 ); “ behind ” is an example of F here. But it has to be stressed that the meaning of “ behind ” includes F ′ (y 1 appearance, y 2 -appearance) as well as a more or less detailed account of how y 1 and y 2 are located within a theoretically proposed model. This is similar to how the H 2 O model and how water is experienced both are part of what “ water ” means as Chalmers points out by distinguishing a secondary from a primary intension. Things are different as fictional individuals and fictional kinds are concerned. Whereas statements about one thing y 2 being behind another y 1 are to be verified or confirmed by y 1 and-y 2 -experiences, statements about Sherlock Holmes are to be made true by written or spoken words as they testify how people refer to Holmes. Kripke points out that things like Holmes or unicorns could not have been real (Kripke 1980). Real things are called as they have been baptized in real baptism situations. What deserves to be called “ water ” is of the same kind as what has been given this name in a baptism situation. As opposed to water, in no possible world Holmes or unicorns could have been given their names. If something y belongs to a category K, this is due to a historical — hence real — baptism situation in which examples of K have been baptized K. If such examples could have been given their names only in situations of the real world there is no possible world which includes examples of K as Holmes or unicorns and the like concerns. Consequently there is neither Holmes nor a unicorn in any possible world. Nevertheless, statements about fictional entities like Holmes or unicorns can be more or less true. Hence the question arises as to what the truth of these statements is decided upon. Insofar as it is true that Holmes is a detective but not a horse there must be something that truth and falsity concerning Holmes depends on. Indeed baptism situations concerning fictional entities have been considered (see Zalta 1987). It is peculiar to entities like Holmes that they have been invented rather than discovered. The baptism situation in which Holmes has been baptized Holmes, the situation in which Holmes was given his name, was a situation of invention, thus a situation of a mental reference characterized internally as Holmes-reference. As are y-appearances and more generally y-experiences, y-references in the case of fictional entities y are internally characterized. Yet statements on Holmes-references are not to be considered as made true by experiences, as occur in understanding the plot of novels or films. The reason is that as fictional entities y which are known as such concerns, y-references are not characterized externally the way water-experiences are with regard to a more or less known theoretical structure. Although in understanding the plot of fiction y-references occur there is no theory about the way y-references themselves contribute causally to how they are experienced in events of understanding a plot. y-references emerge from such mental processes rather than making causal contributions to them. Hence one difficulty with regard to fictional entities y arises from the peculiarity that y-references are not such that claims about y are made true by y-experience characterized externally. We do not ever explain y-reference behaviour referring to y. Hence experiences as occur in reading novels or watching films are not characterized externally as y-experiences regarding to fictional things y. 344 Claus Schlaberg (Celle) 4 Indication and Communication To give an example of how one and the same message may be conveyed in two essentially distinct manners compare: a) flames, light, heat and smoke as produced when something burns b) an utterance of “ fire! ” as expected from someone who intends to warn people about fire a) and b) are essentially different although they are suitable to convey the same message. a) is typical of the case when an indication is given whereas b) is typical of when someone intends to convey a message in such a way that we are justified to say that he means something by making his utterance. This has been the starting point of the Gricean account of meaning (Grice 1957). Schiffer (1972) summarizes a discussion to which Grice (1957, 1968, 1969), Strawson (1964), Searle (1975) and Schiffer (1972) made contributions (more recently Moore 2017). Barwise (1984) refers to it as a distinction between natural and conventional meanings. Posner (1993) presents an approach meant to include both a) and b) as sign processes. This fits well into Barwise ’ s idea of constraints (Barwise 1984: 12 - 14). Referring to Barwise ’ s idea, constraints are conceived of as being natural in some cases and being conventional in other cases. A constraint S => S ‘ links situation types S and S ′ . If a situation s is of type S according to the constraint it is also of type S ‘ . Barwise gives an example which is apt to show all the difficulties: If a watch says that it is 4 p. m. according to a constraint it is 4 p. m. Which kind does the constraint belong to? Is it natural or conventional? “ For a theory of chronometric reading, the state of the watch does not fall cleanly into either category of sign or symbol. Normal laws about quartz, for example, are exploited in the design of the watch and are responsible for its pointing to 4 p. m. at 4 p. m. and not at noon. On the other hand, the system of time measurement that the watch is measuring is conventional. [. . .] Timepieces, like people, can tell us the wrong time, if they do not fit the conventions within which they are placed ” (Barwise 1984: 7). Barwise points out that although the truth conditions of “ It is 4 p. m. ” are that a statement made with it is true if and only if it is 4 p. m. at the time and place of utterance, my statement of “ It is 4 p. m. ” does not necessarily mean that it is 4 p. m., even if it is true. The reason is that the flow of information does not fulfil the conditions necessary for a watch really meaning what time it is, for example when it is out of order. Two kinds of meaning are to be considered here, the one which concerns situation types and the other which concerns a particular situation. The little hand of the watch pointing to four and the big hand pointing to twelve belongs to a type which means t that it is four o ’ clock whereas only in particular situations this means s that it is really four o ’ clock. Only a particular situation carries information. It depends on a constraint that links situation types because of which a situation of the one type carries the information that it belongs to the other type. Whether a situation of the two hands pointing to numbers four and twelve respectively carries the information — means s — that it is four o ’ clock, depends on how information flows. The sentence “ The earth is flat ” “ has a meaning t as projected by the rules of English, but no utterance of it can ever mean s that the earth is flat. It can, of course, relative to certain other constraints, mean s that the speaker believes that the earth is flat ” (Barwise 1984: 15). This example illustrates well how details of the information flow determine what a situation means s : “ To understand inference [. . .] we need to recognize that Why Observation Matters 345 there are, in general, two parallel sets of constraints, one on some activityA and the other on cognitive activity about A, and we need to understand the relation that enables cognitive activity to adequately ’ track ’ the activity it is about ” (Barwise 1984: 15). This paper, including its application of the concepts of internal characterization and external characterization of experiences, especially appearances, and references is intended to show how the flow of information from observation to a truth bearer meets the requirements under which the observation situation is meaningful s in the relevant manner. We are dealing with cases in which observation obviously matters in order to find out why it matters. It is decisive to insist on a semantical relation between the truth bearer and observation which has been focussed in the early days of neopositivism. The claim that y 2 is behind y 1 seemingly abbreviates things similarly to how the claim that a piece of iron a is magnetic seems to abbreviate things. In order to give some further explanations we have to turn to Carnap ’ s disposition analysis. Hempel shows that reduction sentences combine “ the stipulative assignment of meaning, and the assertion or description of empirical fact ” (Hempel 1965: 207): “ If, for example, the term ‘ Q ’ is introduced by the two reduction sentences (8.1) C 1 x ⊃ (Qx ≡ E 1 x) (8.2) C 2 x ⊃ (Qx ≡ E 2 x) then the following empirical law is asserted by implication: (8.3) (x) [(C 1 x • E 1 x) ⊃ (C 2 x ⊃ E 2 x)] i. e., roughly speaking: any object that shows a positive response under the first test condition will, when put into the second test condition, show a positive response as well. Thus, a chain of reduction sentences for a given term normally combines two functions of language that are often considered as sharply distinct: the stipulative assignment of meaning, and the assertion or description of empirical fact ” (Hempel 1965: 207). Carnap emphasizes that “ in most cases a predicate will be introduced by either several reduction pairs or several bilateral reduction sentences ” . As an example: “ The intensity of an electric current can be measured for instance by measuring the heat produced in the conductor, or the deviation of a magnetic needle, or the quantity of silver separated out of a solution, or the quantity of hydrogen separated out of water etc. We may state a set of bilateral reduction sentences, one corresponding to each of these methods. ” Now the decisive point: “ The factual content of this set is not null because it comprehends such sentences as e. g. ‘ If the deviation of a magnetic needle is such and such then the quantity of silver separated in one minute is such and such, and vice versa ’ which do not contain the term ‘ intensity of electric current ’ , and which obviously are synthetic ” (Carnap 1953: 56). The conclusion is that introductions of predicates like “ magnetic ” are not mere abbreviations. Although reduction sentences may contain different observable predicates, these observable predicates are not linked by mere convention. They are linked somehow naturally as can only be discovered empirically. The same applies to such seemingly basic predicates like “ behind ” . One reduction sentence be: Behind (y 2 , y 1 ) ⊃ (B 1 ⊃ Above (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) 346 Claus Schlaberg (Celle) (B 1 denotes looking from above at the y 1 -and-y 2 -situation.) The whole sentence says that an y 2 -appearance is located above (in the intrinsic sense) the y 1 -appearance if you look at y 1 and y 2 from above. Certainly it has to be mentioned that whether you look from above or from below is supported by going-upwards-experiences and going-downwards-experiences (internally characterized as such) during one ’ s own movements, regarding to which we are not striving for detailed descriptions. What matters is characterized roughly as follows. As only two relevant reduction sentences be given: R1) Behind (y 2 , y 1 ) ⊃ (B 1 ⊃ Above (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) R2) Behind (y 2 , y 1 ) ⊃ (B 2 ⊃ Below (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) (B 2 is looking from below, perhaps with the help of a glass plate.) Both sentences state different appearance behaviours respectively linked to the same predicate “ behind ” which belongs to what Carnap calls “ thing language ” (Carnap 1953: 69), whereas “ above ” , “ below ” , “ y 1 appearance ” , and “ y 2 -appearance ” refer to relations between or to properties of parts of the visual experience and thus rather belong to how we refer to what it is like to see y 1 and y 2 than to the ‘ thing language ’ . The foregoing considerations were not only meant to clarify that “ behind ” is not completely reducible to a bilateral reduction sentence. The observation behaviour stated in (B 1 ⊃ Above (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) is linked to the observation behaviour stated in (B 2 ⊃ Below (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) insofar as both reduce being behind to observation behaviours which remain different however. The reason why they are linked is empirical. As opposed to empirically supported connections mere abbreviations are purely conventional. Hence “ behind ” or “ magnetic ” are not mere abbreviations. y 2 being behind y 1 does not abbreviate that y 2 -appearances and y 1 appearances behave so-and-so. y 1 -and-y 2 -appearance behaviour rather indicates that y 2 is behind y 1 . The indicative character becomes obvious when you consider that you may be erroneous in inferring from (B 1 ⊃ Above (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) that y 2 is behind y 1 . The reason why (B 1 ⊃ Above (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) obtains may be that you look at an anamorphous picture. If the picture is made precise enough you will not realize the illusion. In contrast to the relation between an indicator and what it indicates the relation between what is abbreviated on the one hand and the abbreviation on the other hand cannot be erroneous. If “ Behind (y 2 , y 1 ) ” was just an abbreviation of detailed descriptions of how y 1 -and-y 2 -appearances behave in dependence on observation conditions B, one could not be mistaken in inferring that y 2 is behind y 1 from such a detailed description. (Besides, the appearance behaviour which is to be considered responsible for y 2 being behind y 1 includes infinitely many B-F ‘ -combinations matching infinitely many periods of time. y 2 being behind y 1 implies that y 2 -appearances are situated above y 1 appearances at time t i if you look at y 1 and y 2 from above at time t i and likewise for any other periods of time t k . If the relation between Behind (y 2 , y 1 ) and (B i ⊃ F ′ (y 2 -appearance, y 1 appearance)) was stipulative as abbreviations are taken to be it was not a good candidate for being based on inductive inference. Hence we should rather conceive of it as what Barwise regards as constrained naturally rather than conventionally.) Abbreviations are essentially communicative rather than solely indicative insofar as the hearer is expected to realize the speaker ’ s intentions in order to understand the respective abbreviation. This will be explained subsequently. From now on, supposing that the relation between (B 1 ⊃ Above (y 2 - Why Observation Matters 347 appearance, y 1 -appearance)) or (B 2 ⊃ Below (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) on the one hand and Behind (y 2 , y 1 ) on the other hand is not abbreviative we are free to consider it indicative. The task of explaining what indication consists of remains to be performed. Yet it is more useful to start with what communication as opposed to pure indication consists of. 4.1. The Gricean Account As one of its most elaborated results the Gricean account of meaning was developed further by Schiffer who gives the following example (Schiffer1972: 17 - 30): - S wants A to believe that the house is rat-infested. - S decides to bring about this belief in A by letting loose a sewer rat. - S knows that A believes that S is unaware that A is watching him. - It is S ’ s intention that A should infer from the fact that S let the rat loose that S did so with the intention that A should infer that the house is rat-infested. - S knows that A will believe that S would not so contrive to get A to believe that the house is rat-infested unless S had very good reasons for thinking it was. - S expects A to infer that the house is rat-infested from the fact that S is letting the rat loose with the intention of getting A to believe that the house is rat-infested. This is surely not a case of communication. Strawson (1964: 446 - 447) suggests adding the further condition that - S has the intention that A should recognize S ’ s intention that A infer (at least in part) from the fact that x is f that S uttered x intending S ’ s utterance of x to produce a certain response r in A. In the case of letting the rat loose: S has the intention that A should recognize S ’ s intention that A infer (from x being so and so . . .) that S let the rat loose intending that this gets A to believe that the house is rat-infested. A way to exclude a further counter-example is to add the condition that S have the intention - that A should recognize S ’ s intention that A ’ s recognition of S ’ s intention to get A to produce a certain response r shall function as (at least part of ) A ’ s reason for producing the response r. Consider the “ Moon over Miami ” -example and subsequently the “ Tipperary ” -example (Schiffer 1972: 18 - 22): - S intends that A will believe that S plans to get rid of A by means of S ’ s repulsive singing of “ Moon over Miami ” , but S expects and intends that A ’ s reason for leaving will in fact be A ’ s recognition of S ’ s intention to get him to leave. - By singing “ Tipperary ” S intends A to believe what S intends by singing in the “ Moon over Miami ” example. Although here S intends to show what he really intends this example also is not one in which S means something by singing the song (Fig. 5). 348 Claus Schlaberg (Celle) S intends A to believe that S intends: Singing --> Leaving S intends: reason for leaving “Tipperary”: S intends A to believe: Fig. 5 At least for x to count as an act of communication both x being public among S and A as well as the reasons S intends A to have for producing r being public and commonly known among S and H are necessary (Schiffer 1972: 30 - 36). 4.2. Communicating Indications in the Sciences As the respective contributions of communicative and non-communicative acts concerns there is something peculiar to the sciences: No doubt, as a scientist Stephen Schiffer meant something in the communicative sense by writing the following: “ [. . .] S meant something by uttering x just in case S uttered x intending A to recognize that S uttered x intending to produce a response r in A by means of A ’ s recognition of S ’ s intention to produce r in A ” (Schiffer 1972: 19). Scientific statements like Schiffer ’ s are communicative in the sense that something is meant by them like any other statement. However what contributes to their scientific character is that they are intended to give reasons which are convincing, that means that they produce a conviction in the audience not by means of the audience ’ s recognition of the author ’ s intention to produce that conviction (see Schiffer 1972: 42 - 48). The reasons the scientist gives in order to convince his audience play the role of indicators rather than the role of communicative intentions as are expected to be the crucial reasons in requests like “ May you pass the salt? ” . Referring back to the statement that y 2 is behind y 1 , one actually has to give reasons for this statement. And the reasons he gives contain that truth-making requirements are satisfied. As such requirements statements of the form (B ⊃ F ′ (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) have been suggested. Hence the most peculiar characteristic of scientific utterances is mainly that they communicate indications! By the way, this contradicts how assertions as a kind of speech acts have often been characterized. Meggle (1993: 491) states that x is an act of communication ( “ Kommunikationsversuch ” ) of S directed to H with regard to the propositional content p iff S intends to bring about the belief that p by uttering x and S believes that H believes p if and only if H knows that S intends* H to believe that p ( “ * ” indicates a further restriction called “ absolute Offenheit ” by Meggle). This is mistaken because the more scientific the situation of my utterance, the more the reason why I expect my audience to believe that p is true is that truthmaking conditions of p are satisfied. Only in very non-scientific situations, my Why Observation Matters 349 intention to make H believe that p can more or less be expected to be a reason for H to believe that p (see Schiffer 1972: 42 - 48). The way the indication — meaning naturally — is intended by meaning something nonnaturally, thus by communication, is illustrated with the help of the following example. Let ’ s subsume discoverers of the 15th or 16th century in the category of geographers. Certainly their discoveries are taken for granted nowadays. Nevertheless, they are to count as scientific insofar as they contributed to what belongs to common geographical knowledge nowadays. The discoverer who provides his audience with information to understand that there is a country behind the ocean which has not been entered by members of his civilization previously means that there is a country behind the ocean, more precisely: He intends his audience to respond by recognizing what he wants to tell them by means of recognition of his intention. Nevertheless, he surely does not rely on his audience ’ s credulity, but rather aims at convincing them. The way he tries to evoke the intended response is offering empirical evidence. It belongs among such evidence that after some time of travelling at sea in a westerly direction land will be seen (Fig. 6): Fig. 6: http: / / www.gudrunv.com/ uploads/ blog/ 2009/ 12/ land-in-sight.jpg (accessed 06. 06. 18) The scientific community is the audience which the scientist addresses. On the one hand he means what he intends them to believe. The response he intends to cause in them is mainly the belief that he wants to convince them of . . . On the other hand he gives reasons which are to serve as plausible whether they are empirical evidence in a theory or a logical inference. The reasons indicate what his thesis claims rather than cause a belief in the thesis by means 350 Claus Schlaberg (Celle) of recognizing the intention to cause it. Again, the empirical evidence as given in the form (B ⊃ F ′ (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) will be supplied the theoretical explanation which consists in ascriptions of locations <k 1 ; k 2 ; k 3 > to each part of the observing situation. Having a land-appearance above the water-appearance is easy to explain by referring to locations of the observer, the land, the water and the relevant light rays. These location ascriptions as well as the appearance behaviour constitute what we mean by the coast being behind the sea. The appearance behaviour contributes to making true the theoretically assumed arrangement of entities in space which serves to explain the appearance behaviour causally. A difference in the respective valuation of communication and indication may be justified. It concerns how we are involved in the flow of information from what the information means to its carrier: Communicating on a subject m as well as understanding communication on a subject m does not require any interest in m at all. We are able to understand a discourse on m and we are able to work out treatises on m without being affected by m in any way. Knowledge acquisition in school and in universities would not be possible if it depended upon interest. This is partially due to its communicative character. In contrast to the non-requirement of interest on the topic for communicating on it, pure indication depends on interest: Surroundings are more or less suitable for what I am trying to achieve. The aims I try to achieve depend on my interests. These surely influence the way I perceive my surroundings generally (see Gibson 1979 on affordance). An example will help to clarify how one ’ s interests are related to indication and communication respectively: S distributes rat poison in the house. This may serve to poison rats as well as giving H to understand that the house is rat-infested. It depends on further states obtaining in the situation. S putting a package of rat poison on the table so that S and H commonly know that S puts the package on the table differs from simply poisoning the rats, at least as follows: The act of putting the package on the table as such is useless with regard to killing the rats. It rather serves to show the internal state of S ’ s mind. And it is rational from S to intend H to realize what S tries to show — if, for example, S and H commonly know that the house being rat-infested has been considered by both occasionally. Now imagine how you react to S ’ s putting the package on the table if you are used to S ’ s having been afraid of rats for many years in which no rats ever could be found in the house. S ’ s act is then likely not to be taken seriously. Compare this to a situation where you see a rat running down the stairs in your cellar. Seeing the rat is likely to affect you immediately. (Or think of an alligator instead.) Considering the example may help to attain more general results: Seeing a rat running down the cellar stairs indicates that there is a rat in the cellar. There is a seeing situation s 1 which links the observer a to a situation seen, s 2 , which supports an information unit, an infon << ∃ x (Rat (x) ∧ Runs down the stairs (x)) ; 1>>: s 1 ╞ <<Sees (a, s 2 ) ; 1>> s 2 ╞ << ∃ x (Rat (x) ∧ Runs down the stairs (x)) ; 1>> The indication is a relation that obtains between a (the observer) and the proposition s 2 ╞ << ∃ x (Rat (x) ∧ Runs down the stairs (x)) ; 1>> (on indication see Posner 1993; propositions are modelled as Austinian propositions in situation semantics, see Cooper Why Observation Matters 351 1997). No constraint in the original sense is involved thus far. Rather, the support relation is crucial as is the way it is connected with situations both internally and externally characterized. It is hardly possible to make a distinction between a perceived situation and the way it is characterized internally. The infon supported by s 2 accords to how s 2 is characterized internally as opposed to further inferences from seeing s 2 you may be allowed to make. This does not contradict any assumptions that what a situation supports may depend on cultural impacts. It rather links perception closer to behaviour dispositions than to considerations concerning a sender ’ s intentions. On the background of common considerations concerning whether the house is ratinfested the situations s 3 and s 4 be constrained as follows: s 3 ╞ <<Puts a package of rat poison on the table (b); 1>> s 4 ╞ <<Intends a to believe that the house is rat-infested (b); 1>> s 3 and s 4 are of situation types S 3 and S 4 respectively, linked by a constraint S 3 => S 4 . Being attuned to this constraint (see Barwise 1984: 12) admits a to infer from seeing s 3 that there is a situation of the type S 4 in which b intends a to believe that the house is rat-infested. This inference is surely not justified to the same degree to which the support relation between s 2 and the information that a rat is running down the stairs is justified. In addition, the inference from s 3 to s 2 is justified to an even less degree. b ’ s putting a package of rat poison on the table can have meanings other than or in addition to the meaning that the house is rat-infested. Consequently, the communicative act b performs by putting rat poison on the table is not as likely to arouse your interest as the situation to which a rat itself seems to belong. What links a seeing situation s 1 to the situation seen s 2 differs significantly from the constraint that links a communication situation to the sender ’ s intention and even more to the focal situation the sender ’ s utterance is about (see Devlin 2001: 6). Although they supplement your everyday information, communicative acts are generally not as important to your life as indicators and, most prominently among them, perceived situations (s 2 ) are with regard to what is perceived in them (which depends on how s 2 is characterized with regard to an infon). In the case of situations of linguistic utterances of “ The house is ratinfested ” the constraint that links the utterance situation type to what is meant, the type of focal situation in which the house is rat-infested, is to a high degree conventional, including conventions that concern what is meant by “ the house ”— the house certainly is not any house, but one the speaker expects the hearer to know to be the one the speaker refers to. Corresponding to the support relation between the perceived situation and the infon that enables one to categorize the perceived situation immediately, gathering information by perceiving is obviously more relevant to the observer than gathering information by understanding. One has to realize which type a situation belongs to immediately in order to act adequately. One cannot merely remain indifferent to a lion running down the stairs unless he is to be considered pathological. In contrast to the case of perception, in the case of meaning that . . . there are a considerable number of reasons why not to pay too much attention to it. Undoubtedly hypotheses and theories meant non-naturally in scientific situations have contributed to improvements of our lives. Nevertheless, one thing we had to learn in school is to understand a lot of boring things. Reading as one means to gather information can be extremely boring. As opposed to understanding situations (for example 352 Claus Schlaberg (Celle) reading situations) being in perception situations is of interest with some degree of necessity. We have to walk around and look at our surroundings. But we don ’ t have to deal with theories. People who prefer to deal with theories and neglect what is going on around them need a lot of help from people who don ’ t neglect what is going on around them. (A further point is: Indication requires no confidence in a sender ’ s trustworthiness. Although there is unreliable flow of information already among non-human sign users (see Lee 2011: 118 - 119), lying does not occur until communication, non-natural meaning, occurs. As opposed to deception on the level of natural meaning, someone who puts rat poison on the table intending to make you believe that the house is rat-infested although he himself does not believe that the house is rat-infested fools you at least.) The sciences (are expected to) base their assumptions on indication. This is how they reintegrate natural meaning in non-natural meaning. The arrangements of entities in space and time they basically claim are reducible to appearance (more general: to experience) behaviour (reducible not in the sense of abbreviation). Appearance behaviour of certain kinds reversely indicates arrangements in space and time. As was exemplified by the behind-relation: Behind (y 2 , y 1 ) ⊃ [(B 1 ⊃ Above (y 2 -appearance, y 1 -appearance)) ∧ (B 2 ⊃ Below (y 2 -appearance, y 1 -appearance))]. Although the sciences certainly include communicative practices, they are not narrative in the sense in which telling stories is narrative. The subject of scientific communication are indications. A further remark concerning the distinction between the observable and the theoretical is in order here. Referring to the distinction between empirical generalization on the one hand and theory formation on the other hand, Hempel states: “ The early stages in the development of a scientific discipline usually belong to the former level, which is characterized by the search for laws (of universal or statistical form) which establish connections among the directly observable aspects of the subject matter under study. The more advanced stages belong to the second level, where research is aimed at comprehensive laws, in terms of hypothetical entities, which will account for the uniformity on the first level ” (Hempel 1965: 178). Even “ behind ” is a theoretical term, as opposed to “ above ” or “ below ” with regard to appearances. Triple ascriptions to one thing as being behind another, are surely even more theoretic. Nevertheless common expressions as used for descriptions of spatial arrangements are more theoretic than those used for appearance descriptions — which often have been neglected as “ subjective ” and still are to consider as intrinsic, for example, with regard to colours (Boghossian & Velleman 1989: 88 - 91). That y 2 is behind y 1 is indicated by and — if requested — would have to be proved by experiences like y 2 -appearances and y 1 -appearances being below or above one another in order to meet demands which admittedly are usually too natural to be mentioned explicitly and yet constitute the demand of being observable. Observable predicates in the wider sense (F) are connected to observable predicates in a narrower sense (F ‘ ) by reduction sentences such that the program of the sciences may be summarized as follows: They have to find out how F is justified to be ascribed to y itself: F ′ (y-experience) → (F y). During the process of enclosing the predicates in the parentheses they become increasingly theoretic. Finally, the sciences, fiction and religion as three major cultural practices are compared by referring to their respective truth makers. Why Observation Matters 353 Although y 2 being behind y 1 means more than that y 2 -appearances and y 1 -appearances (and relevant experiences in other than the visual mode) behave in a certain regular manner and thus a “ surplus meaning ” (see Reichenbach 1961: 51) of “ behind ” in contrast to purely summarizing a description of y 1 -and-y 2 -experiences is to assume, y 1 -and-y 2 -experiences, especially appearances, are the only that remains to make statements of y 2 being behind y 1 true. On the one hand Behind (y 2 , y 1 ) — more generally referring to predicates F that stand for spatial relations: F (y i , y j , . . .) — is indicated by B ⊃ F ‘ (y i -appearance, y j -appearance , . . . ). On the other hand B ⊃ F ′ (y i -appearance, y j -appearance , . . . ) is the only empirical evidence of F (y i , y j , . . .). And it is peculiar to the sciences that they have to account for B ⊃ F ′ (y i -appearance, y j appearance , . . . ). Although scientific statements are about y i , y j, . . . as statements from daily life are, the truth of scientific statements is decided upon the behaviour of y i -experiences, y j experiences, . . . This was meant by the brief characterization of scientific statements as communicating (meaning non-naturally) indications. How do the humanities reintegrate assertions, be they fictional or realistic, in the natural? For example, a work in the humanities may be about a fictional thing like Sherlock Holmes. It nevertheless has to base its statements about Sherlock Holmes on previous Holmesreferences. Statements about these Holmes-statements confirming Holmes-references themselves are to confirm by statements about experiences that we may have had in reading or in watching films (which, however, are not characterized as Holmes-referenceexperiences externally). The sciences and fiction have in common that they are directed to an ‘ intentional object ’ , be it real or fictitious. In order to confirm statements the sciences have to explore yexperience. In the case of humanities dealing with fictitious objects y, that which confirms statements on y are y-references. Religious statements neither have to consider y-experiences nor y-references. They simply refer to y whether they confirm their statements considering y-references from holy books or not. As a conclusion this may be illustrated by the following structuring which is intended to show what the respective practices refer to, be it as the object, be it as a truthmaker (Table 3): Table 3 object y y-experience y-references sciences + + humanities + + + fiction + + religion + The sciences deal with their respective topic y. In doing this they have to refer to yexperiences as truth makers of their statements on y. In the humanities statements on y — if fictitious — are to be made true by y-references (writings, films, . . .). In contrast to this, fictitious practices also refer to subject matters y, but in order to make their statements on y solely accomplish y-references. In religion no truth-making is at work. Certainly there are 354 Claus Schlaberg (Celle) books important to what religious people believe. But generally their references to subject matters y like God do without any truth makers. By no means y or y-references are considerable truth makers of statements on real things in the sciences.This is how one kind of cultures or family of cultures which may be called “ cultures of knowledge ” differs from other cultures. The essential role which y-experiences play in cultures of knowledge remains an important component from Russell ’ s claim: “ Every proposition which we can understand must be composed wholly of constituents with which we are acquainted ” (Russell 1989: 32). Nowadays we don ’ t expect propositions to be composed wholly of constituents with which we are acquainted anymore and prefer to acknowledge what semantic externalism has taught concerning how to treat the not-yet-discovered matters of fact. 5 Prospects One of the further steps needed to characterize ‘ cultures of knowledge ’ is to delineate how publicity, which is one main characteristic of the reasons for believing in the communicated indications in the sciences, continues with regard to what the expected reasons are in democratic decisions. On several occasions Rawls remarks that publicity belongs to the formal constraints of the social order chosen behind the veil of ignorance as a basis of being just (Rawls 1999: 15, 48, 112 - 118; the idea has occasionally been considered by Nida- Rümelin (see for example 2010) with reference to Kant ’ s “ Zum ewigen Frieden ” ). The idea that democracy is somehow connected to the sciences may be justified by the role which publicity is expected to play in both: in the sciences as a characteristic of truthmakers and in democracy as a characteristic of political reasoning which again is expected to refer to the sciences. This belongs to the well-known epistemic democracy project. Another line of thought may lead to a kind of Hegelian treatment of the Gettier problem: Since Gettier ’ s article “ Is Justified True Belief Knowledge? ” (Gettier 1963) it has been widely accepted that it is not sufficient to explicate “ knowledge that p ” as ‘ justified true belief that p ’ . A so far hardly known addition X seems to be missing. This remark is certainly not apt to contribute to the long debate on this topic but is meant to draw the reader ’ s attention a little closer to how Hegel distinguished knowledge from states of individual minds. Whereas ‘ belief that p ’ may be conceived of as an internal state or even a physiological state (which surely has been disputed by several accounts such as those concerning a Swampman ’ s mind (Davidson 1987)), ‘ knowledge that p ’ rather belongs to an ongoing process of completion which takes truthmakers of p into account as situation semantics has done ever since. Hegel claims that knowledge is real only within the sciences: “ daß das Wissen nur als Wissenschaft [. . .] wirklich ist ” (Hegel 1986: 27). Bibliography Barwise, Jon 1984: “ The Situation in Logic I ” , Center for the Study of Language and Information, Leland Stanford Junior University Black, Max (ed.) 1965: Philosophy in America, London: George Allen & Unwin LTD Boghossian, Paul A. & J. David Velleman 1989: “ Colour as a Secondary Quality ” , in: Mind, New Series, Vol. 98, No 389 ( Jan., 1989): 81 - 103 Why Observation Matters 355 Carnap, Rudolf 1936, 1937: “ Testability and Meaning. Philosophy of Science ” , vol. 3 (1936), pp. 419 - 471, and vol. 4 (1937), pp. 1 - 40. Reprinted in: Herbert Feigl & Max Brodbeck (eds.) 1953: 47 - 93 Carnap, Rudolf 1956: “ The Methodological Character of Theoretical Concepts ” , in: Minnesota Studies in the Philosophy of Science 1(1): 28 - 76. Chalmers, David 1996: The Conscious Mind. In Search of a Fundamental Theory, New York and Oxford: Oxford University Press Chisholm, Roderick M. 1957: Perceiving, Ithaca and New York: Cornell Cooper, Robin 1997: “ Austinian Propositions, Davidsonian Events and Perception Complements ” , in: Ginzburg, Khasidashvili, Vogel, Levi & Vallduvi (eds.) Proceedings of the Tbilisi Symposium on Language, Logic and Computation: selected papers, CSLI, 1998, https: / / www.researchgate.net/ publication/ 2658594_Austinian_propositions_Davidsonian_events_and_perception_complements (accessed 26. 05. 18). Davidson, Donald 1987: “ Knowing One ’ s Own Mind ” , in: Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association 61: 441 - 58 Dennett, Daniel C. 2003: “ Who ’ s On First? Heterophenomenology Explained ” , in: Journal of Consciousness Studies, Special Issue: Trusting the Subject? (Part 1),10, No.9 - 10, October 2003: 19 - 30 Ellis, Brian 2001: Scientific Essentialism, Cambridge: Cambridge University Press Devlin, Keith 2001: “ Lecture 3: Introduction to Situation Theory ” , http: / / www.helsinki.fi/ esslli/ courses/ readers/ K1/ K1 - 3.pdf (accessed 26. 05. 18). Feigl, Herbert & Max Brodbeck (eds.) 1953: Readings in the Philosophy of Science. New York: Appleton- Century-Crofts Gettier, Edmund L. 1963: “ Is Justified True Belief Knowledge? ” , in: Analysis, Vol. 23, Issue 6, 1 June 1963: 121 - 123 Gibson, James J. 1979: The Ecological Approach to Visual Perception, Boston: Mifflin Goldman, Alvin I. 1967: “ A Causal Theory of Knowledge ” , in: The Journal of Philosophy, Vol. 64 ( June 22, 1967): 357 - 372. Goldman, Alvin I. 1976: “ Discrimination and Perceptual Knowledge ” , in: The Journal of Philosophy, Vol. 23 (1976): 271 - 291 Goldstein, E. Bruce 2002: Wahrnehmungspsychologie. Heidelberg and Berlin: Spektrum. Second edition: Transl. Gabriele Herbst and Manfred Ritter. Original: Sensation and Perception. Australia: Wadsworth-Thomson Learning. 2002. Goodman, Nelson 1968: Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, Indianapolis: Hackett Publishing Company Grice, Herbert Paul 1957: “ Meaning ” , in: Philosophical Review 66: 377 - 388 Grice, Herbert Paul 1968: “ Utterer ’ s Meaning, Sentence Meaning and Word-Meaning ” , in: Foundations of Language 5: 377 - 388 Grice, Herbert Paul 1969: “ Utterer ’ s Meaning and Intentions ” , in: The Philosophical Review 78: 147 - 177 Haslanger, Sally 2000: “ Gender and Race: (What) AreThey? (What) DoWeWant Them To Be? ” , in: Noûs 34: 1 (2000): 31 - 55 Haslanger, Sally 2010: “ Language, Politics and ‘ the Folk ’ : Looking for ‘ The Meaning ’ of ‘ Race ’” , in: The Monist Vol. 93, no. 2: 169 - 187. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1986: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main: Suhrkamp. New edition on the basis of the Works of 1832 - 1845 Hempel, Carl Gustav 1965: Aspects of Scientific Explanation and other Essays in the Philosophy of Science, New York: The Free Press Husserl, Edmund 1980: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, Tübingen: Niemeyer. First edition 1928 356 Claus Schlaberg (Celle) Jorna, René, Barend van Heusden & Roland Posner (eds.) 1993: Signs, Search and Communication: Semiotic Aspects of Artificial Intelligence. Berlin and New York: de Gruyter Kripke, Saul 1980: Naming and Necessity, Oxford: Basil Blackwell (revised edition) Lee, Jacob Ian 2011: Situation Theory: A Survey. https: / / jacoblee.net/ documents/ ThesisJacobLee.pdf (accessed 26. 05. 18). Maurer, Dieter & Claudia Riboni (eds.) 2010: Bild und Bildgenese. Frankfurt a. M.: Lang 2010 McGinn, Colin 1991: “ Can We Solve the Mind-Body-Problem? ” , in: Colin McGinn 1991 Colin McGinn 1991: The Problem of Consciousness: Essays Towards a Resolution, Oxford (UK) and Cambridge (USA): Blackwell McGinn, Colin 2005: “ Bewusstsein und Raum ” , in: Thomas Metzinger (ed.) 2005. Fifth edition: 183 - 201 Meggle, Georg 1993: “ Kommunikation, Bedeutung, Implikatur - Eine Skizze ” , in: Georg Meggle (ed.) 1993: 483 - 508 Georg Meggle (ed.) 1993: Handlung, Kommunikation, Bedeutung, Frankfurt am Main: Suhrkamp Metzinger, Thomas (ed.) 2005, Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie, Paderborn: Mentis. Fifth edition Monnoyer, Jean-Maurice (ed.) 2007, Metaphysics and Truthmakers, Frankfurt am Main: Ontos-Verlag Moore, Richard 2017: “ Gricean Communication and Cognitive Development ” , in: The Philosophical Quarterly, Vol. 67, Issue 267, 1 April 2017: 303 - 326 Nida-Rümelin, Julian 2010: “ Demokratie will Öffentlichkeit ” , in: DIE ZEIT Nr. 51/ 2010 Noë, Alva 2004: Action in Perception, Cambridge: MIT Press Posner, Roland 1993: “ Believing, Causing, Intending: The Basis for a Hierarchy of Sign Concepts in the Reconstruction of Communication ” , in: René Jorna, Barend van Heusden & Roland Posner (eds.) 1993: 215 - 270 Posner, Roland 2010: “ Die Wahrnehmung von Bildern als Zeichenprozess ” , in: Dieter Maurer & Claudia Riboni (eds.) 2010: 139 - 183 Putnam, Hilary 1975: “ The Meaning of ‘ Meaning ’” , in: Hilary Putnam 1975: 215 - 271. Putnam, Hilary 1975: Philosophical Papers, Band II, Cambridge: Harvard University Press Quine, Willard Van Orman 1961: From a Logical Point of View. Logico-Philosophical Essays, New York: Harper Torchbooks. Second edition Rawls, John 1999: A Theory of Justice, Cambridge: Harvard University Press. Second edition Reichenbach, Hans 1938: Experience and Prediction, Chicago: Phoenix Books. The University of Chicago Press. First Phoenix Edition 1961 Russell, Bertrand 1989: The Problems of Philosophy, Oxford: Oxford University Press. First edition 1912 Schellenberg, Susanna 2007: “ Action and Self-Location in Perception ” , in: Mind, Vol. 116. 463. July 2007: 603 - 631 Schellenberg, Susanna 2017: “ Perceptual Consciousness as a Mental Activity ” , in: Noûs 2017: 1 - 20. 10. 1111/ nous. 12209 Schiffer, Stephen 1972: Meaning, Oxford. Second edition 1988 Schlaberg, Claus 2017: Das Vorhandene als Gegenstand der Wissenschaften, Bonn: Bouvier Searle, John 1965: “ What Is a Speech Act? ” , in: Max Black (ed.) 1965: 221 - 240 Sellars, Wilfrid 1991: “ Empiricism and the Philosophy of Mind ” , in: Sellars 1991: 127 - 196 Sellars, Wilfrid 1991: Science, Perception and Reality, Atascadero: Riedgeview Publishing Company Smith, Barry & Jonathan Simon 2007: “ Truthmaker Explanations ” , in: Jean-Maurice Monnoyer (ed.) 2007: 79 - 98 Strawson, Peter F. 1964: “ Intention and Convention in Speech Acts ” , in: Philosophical Review 73 (1964): 439 - 460 Wittgenstein, Ludwig 1963: Tractatus Logico-philosophicus, Frankfurt am Main: Suhrkamp Zalta, Edward N. 1987: “ Erzählung als Taufe des Helden ” , in: Zeitschrift für Semiotik 9: 85 - 97 Why Observation Matters 357 K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag Marie-Louise Käsermann (Bern) Traditionally meaning (as a noun) is treated as a comprehensively defined entity/ structure encompassing a cluster of semantic features attached to its specific expression. However, this reifying generalized abstractive view does not account for actual processes of a dialogic/ interactive signifying/ meaning and understanding (as verbs) in real everyday conversation. Adopting a functional perspective instead of a structural view reveals a basic feature of the symbolic function which is operating in conversation as well as in linguistic organisation. Characteristically, meaning as an action as opposed to meaning as an elaborate lexical entry has an inherent discriminatory power. By naming, reality is parsed in two complementary parts: like the two sides of a coin what is meant by the same token excludes what is not-meant e. g. uttering ‘ light ’ implies and is complement by the unspoken ‘ dark ’ resp ‘ non-light ’ . With the help of examples from everyday talk, linguistic forms, and figures of speech (e. g. metaphor, irony) the binary or complementary nature of meaning in action is illustrated. Reference to the evolutionary significance of complementarity, its technical applications as well as its danger complet the argumentation. 1 Einleitung 1.1 Ausgangslage Meinen und wechselseitiges Verstehen in Gesprächen laufen meist scheinbar reibungslos ab. Wie dies funktioniert, ist begrifflich nicht einfach zu fassen. Die Leichtigkeit mit der die Beteiligten den realen kommunikativen Austauschs meistern, steht in gewissem Kontrast zu der Mühe zu explizieren oder vorauszusagen, was in einer bestimmten Situation vom Gegenüber/ Hörer tatsächlich verstanden wird bzw. ob er oder sie versteht, was sein Gegenüber/ Sprecher meint. Um diese Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen, ist es nötig zu klären oder nachzuvollziehen, auf welchen Voraussetzungen Verstehen, besonders aber auch Nicht-verstehen beruht. 1.2 Problemstellung Wie lässt sich erfassen, was eine Äusserung meint? Wie stellt ein am Austausch selber Beteiligter fest, ob sein Gegenüber ihn verstanden hat? Und schliesslich: Wie kann ein aussenstehender Dritter (z. B. ein Kommunikationsforscher) erkennen, was vom einen Teilnehmer gemeint ist und was vom anderen verstanden wird? Diese Fragen versuche ich im Folgenden anhand 1) semantischer Theorien, 2) der Probleme bei der Analyse von Alltags-Äusserungen und 3) der Merkmale realer kommunikative Interaktion zu klären. 2 Semantik und die Bedeutung von Formen Die Frage, wie verstehen gelingt, wird bevorzugt aus der Perspektive semiotisch/ semantischer Theorien behandelt. Dazu werden einzelne Formen wie ein Präparat aus dem Kontext ihres Auftretens isoliert und an sich analysiert. Das Phänomen, dass diese als Wörter, Phrasen oder auch Sprechakte gewusst, gebraucht und von jemanden verstanden werden können, wird mit deren Bedeutung erklärt: ich weiss, was eine Form bedeutet und verstehe diese, weil ich die ihr zugeschriebene Bedeutung umfassend kenne; diese kann ich dank meiner symbolischen Befähigung aus dem Wissensspeicher meines Lexikon abrufen. Das Lexikon umschreibt im Prinzip umfänglich, jederzeit ergänzbar, jedoch letzlich abschliessend, welche - auch syntaktisch vermittelte Bedeutung - eine Form an sich und in Zusammenhang mit anderen Formen haben kann. Eine semantische Theorie integriert alle Komponenten. Dass die angenommene Struktur dieses semantischen Wissens von Linguisten, Psycholinguisten und Neuropsychologen kontrovers diskutiert wird, ändert nichts an der grundlegend reifizierenden Konzeption von Bedeutung bzw. nichts an der Hypostasierung von Bedeutung als Grundlage von meinen und verstehen. Die Empirie, die sich auf diesen theoretischen Hintergrund bezieht, untersucht die Bedeutung von sprachlichen Formen im Hinblick darauf, ob sich von der Theorie beschriebene Eigenschaften der semantischen Entitäten (z. B. die relative Ähnlichkeit zwischen oder Nähe von Lexikoneinträgen oder Sprechakten untereinander) anhand bestimmter Testleistungen (z. B. Urteile kompetenter Sprecher , Reaktionszeiten, Art und Weise der Lösung von Primingaufgaben) oder Läsionsbefunden erhärten lassen. Aktuelle Äusserungen und Verstehensprozesse in Alltagsdialogen, die in den unterschiedlichsten Kontexten zwischen den verschiedensten Gesprächsteilnehmern auftreten, sind jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung. Das so konzipierte semantische Wissen weist einige interessante Eigenschaften auf: Es unterstellt, dass jeder Sprecher idealerweise oder im Prinzip über die gleiche lexikalische Kompetenz verfügt. Dieses Wissen, das besagt, was eine Form alles bedeuten kann, muss man sich demnach als kontextunabhängiges Gebilde vorstellen. In semantischen Theorien wird der Übergang vom kontextunabhängigen umfassenden Lexikoneintrag zur kontextabhängigen Äusserung mit ausgewählten Bedeutungskomponenten durch eine Reihe von Projektionsmechanismen geleistet. Ein Beispiel dafür stellt ein “ Modell zur Bedeutungskonstitution ” dar (Schwarz 1992, 130). Es enthält in sich freilich nichts, das die Wahl jener semantischen Merkmale der Formen steuert, die der reale Gebrauch im konkreten Kontext erfordert; und es fehlt insbesondere ein Mechanismus, der Merkmale als nicht-gemeint ausschliesst. Dass dieser Mangel beim Versuch, die Frage zu beantworten, was jemand meint bzw. versteht, wenn er eine bestimmte Form äussert, ein ernstes Problem darstellt, lässt sich am einfachsten anhand mehrdeutiger Formen veranschaulichen: im Grundwissen hat z. B. die umfassend-einschliessend bestimmte Form Bank diverse Einträge oder Merkmale, von denen Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 359 im und durch den aktuellen Gebrauch - auch aus Gründen der zeitlichen Ökonomie - nicht alle in den Vordergrund geholt werden müssen. Zur Wahl der geeigneten Merkmale bedarf es vielmehr der konkreten Kontextualisierung des umfassenden Grundwissens, durch die dann jene Merkmale, um die es geht, aktualisiert werden. Bierwisch (1983, 15 - 64) beschreibt diesen Vorgang mithilfe des (kognitiven oder wahrnehmungsabhängigen) Gestaltprinzips der Figur- Grund-Unterscheidung. Dieses Prinzip ist jedoch nicht Bestanteil des semantischen Wissens. Eine Auswahl der aktuell gemeinten Komponenten oder gar eine Zurückweisung der sicher nicht -gemeinten Bedeutungen wird weder im semantischen System noch bewusst durch den Sprecher vorgenommen. Sie geschieht irgendwie jenseits dieser Bereiche durch wenig durchschaute Mechanismen. So gesehen sagen auch elaborierte Bedeutungszuschreibungen nichts über meinen und verstehen im Alltag aus. Sie stellen viel eher eine Metatheorie dar, die es Experten erlaubt, anhand konstruierter Beispiel-Äusserungen über die Beschaffenheit und vor allem die strukturelle, merkmals- oder typenbezogene Organisation semantischen Wissens zu reden. Was aktuell gemeint und verstanden wird, ist hingegen in diesem Ansatz kein vordringliches Problem. Eigenschaften von Form und Inhalt von Wörtern (Sätzen) eines kompetenten Sprechers, aber nicht ihr Gebrauch in tatsächlichen Dialogen bilden demnach den Untersuchungsgegenstand semantischer Theorien. Eine allfällige Erklärung dafür, dass trotz der umfassenden Bedeutungsbestimmung im Alltag zu Nicht-Verstehen oder Missverstehen kommen kann, bezieht sich in diesem Rahmen nicht auf die prinzipielle Struktur der semantischen Wissensbasis. Solche Störungen, so die Annahme, entstehen vielmehr dadurch, dass die Komponenten des linguistischen Systems etwa bei Kindern noch nicht voll ausgereift sind, dass notwendige neuronale Grundlagen fehlen oder infolge von Hirntraumata beschädigt und kognitive Voraussetzungen wie z. B. Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Motivation dauernd oder phasenweise beeinträchtigt sind. 3 Symbolfähigkeit und die Analyse realer Äusserungen Sich in der Art semantischer Theorien mit Problemen der Bedeutung als Gebilde auseinanderzusetzen, baut auf die in keiner Weise zu bestreitende Tatsache auf, dass Individuen mit Symbolfähigkeit begabt sind und mehr oder weniger bewusst bzw bewusstseinsfähig über einen - hinsichtlich seiner Organisation und Funktionsweise zunächst nicht genauer beschriebenen - Fundus an Wissen über Zeichen verfügen. Die explizite linguistische, psycholinguistische und neurologische Beschreibung dieses Fundus ist überdies sicher für die Konstruktion von intelligenten Übersetzungssystemen, Spracherkennung und Robotik von grösster Bedeutung. Doch dieser Typ von idealer, kontextfrei konzipierter Semantiktheorie hat keine (präzise) Antwort auf die zentrale Frage, wie meinen und verstehen in realen Alltagsgesprächen entstehen, und interessiert sich dafür auch nicht. Ob eine als natürlich gegebene theoriefrei konzipierte Symbolfähigkeit allerdings ausreicht, um Meinen und Verstehen im Alltag erfassen zu können, sollen die folgenden Beispiele zeigen. Die Analyse von echten Gesprächen basiert sinnvollerweise auf deren möglichst realitätsgetreuer Verschriftung (Transkription). Eine solche anzufertigen, erfordert vom Transkribierenden natürlich, dass er vor jeder Semantik-Theorie versteht oder glaubt zu verstehen, was die Dialogpartner miteinander reden. Wie dieses verstehen im Einzelnen 360 Marie-Louise Käsermann (Bern) funktioniert, zeigt z. B. die folgende Erfahrung: studentische Hilfskräfte haben die Aufgabe, Gespräche zwischen Psychiater und einem an einer chronischen Schizophrenie Leidenden auf Grundlage von Audio- und Videoaufnahmen zu verschriften. Im Ergebnis finden sich schliesslich viele unglaublich wirre, sinnlose Passagen, die vom Fachmann sofort als schizophasisches Reden und als Ausdruck einer Denkstörung erkannt werden. Eine Kontrolle der Transkription anhand der Ton- und Video-Konserven zeigt allerdings, dass die “ wirren ” Stellen zwar allesamt akustisch schwer erfassbar sind: man hört auf Anhieb nicht genau, was der Patient sagt, weil er z. B. leise spricht. Macht man sich aber die Mühe, die betreffenden Tonspuren mehrmals anzuhören, bleibt einiges zwar unverstehbar, aber für die meisten Stellen lässt sich eine sinnvolle, also nicht-wirre oder nichtschizophasische Äusserung konstruieren. Dieses Beispiel zeigt zweierlei. Zum einen weist es deutlich darauf hin, dass die spezifischen Erwartungen, mit denen der Transkribierende zur Tat schreitet, eine wesentliche Rolle dabei spielen, was er hört und zu verstehen glaubt oder eben nicht versteht: Die Hilfskräfte wissen zum Voraus, dass es sich um Dialoge mit einem an Schizophrenie Leidenden handelt, und sie erwarten aufgrund ihrer psychopathologischen Vorkenntnis, dass dieser zu für sie sinnlosen Äusserungen neigt. Bei der Kontrolle ihrer Transkripte durch den Studienleiter kommt jedoch eine andere Erwartung zum Zuge, nämlich die von Hörmann (1976, 179 ff) sogenannte Sinnkonstanz: für Äusserungen, die einem unmittelbar unverständlich scheinen, findet man bei genauerem Hinhören, d. h. bei Berücksichtigung alle möglichen Informationen aus dem Kontext, aus der Kenntnis des Sprechers etc. immer eine sinnvolle Deutung. Dass solch divergente Interpretationen vorkommen, erfährt man im Übrigen auch als Outsider, wenn man mit einer Wortmeldung in einem Insiderkreis nur Unverstehen erntet, dann aber Zeuge davon wird, dass eine Äusserung desselben Inhalts durch eine statushohes Mitglied der Gruppe allgemeinen warmen Beifall erhält. 1 Zum anderen wird jedoch auch klar, dass sich aus der Situation selber kein klarer Hinweis darauf ergibt, welche Erwartung, die des schizophasischen Geredes oder die der Sinnkonstanz, oder als drittes sogar eine Mischung aus beiden der jeweiligen Äusserung angemessener ist. Jede Deutung ist möglich und aufschlussreich. Das macht es im Übrigen auch so schwierig festzustellen, ob eine Abfolge von Äusserungen als kohärent gelten kann. Denn Vorlieben für die eine oder andere Sichtweise, z. B. die fachspezifische Erwartung von Schizophasie, ist natürlich kein gutes Argument für die Annahme, dass man den Sprecher damit angemessen interpretiert. Dementsprechend belegt die Möglichkeit der Konstruktion einer nicht-schizophasischen, sinnvollen Lesart vielleicht nur die Kreativität und Fantasie des Transkribierenden. Mit einem Wort: Für das Zutreffen des einen oder des andere Verstehens gibt es zunächst kein Kriterium, weder im Rückgriff auf ein allgemein anerkanntes semantisches System noch auf den Grad der subjektiven Überzeugung des Trankribierenden. Der sich Äussernde aber, der wohl am ehesten weiss, was er meint, wird nicht gefragt oder seine eventuell aufschlussreiche Reaktion auf merkwürdige Deutungen wird vernachlässigt. Dieselbe Erfahrung wiederholt sich im Übrigen auch beim Transkribieren von kindlichen Äusserungen: Untersuchungen des frühen Spracherwerbs laufen herkömmlich unter der Erwartung, dass Lautäusserungen das sprachliche, insbesondere das syntaktischeWissen des 1 siehe Kontroverse zwischen Chaika (1974, 257 - 76) und Fromkin (1975, 498 - 503) Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 361 Kindes demonstrieren. Der informierte Transkribierende geht mit linguistischem Rüstzeug auf die abenteuerliche Reise, in den noch ziemlich undifferenzierten Lautäusserungen von kleinen Kindern Instanzen lexikalischer, syntaktischer und pragmatischer (Halliday 1975: 1 - 164) Kategorien mittels der als Ein- und Zweiwortsätzen erkannten Gebilde zu identifizieren. Als linguistischer Laie, z. B. als Angehöriger, kann man sich hingegen meist nicht von technischen Kenntnissen des sprachlichen Systems leiten lassen. Man geht zwangsläufig von einem ganz anderen Punkt an die Transkription der kindlichen Lautäusserungen: Man versucht, sie so lautgetreu wie möglich zu verschriften und zu verstehen, was sie im konkreten Kontext meinen. Inspiration dazu holt man sich aus dem Video-Kontext, aus den mütterlichen Beiträgen und den Äusserungen anderer Anwesender und glaubt dabei zu erkennen, dass das Kind z. B. etwas haben will, etwas sieht etc. . Beide Vorgehensweisen, die Sprachsystem-nahe und die kommunikativ-funktionale, fördern auf dem Hintergrund des sprachlichen Verstehens des Transkribierenden Unterschiedliches zutage. Doch wiederum gibt es kein externes Kriterium für die Angemessenheit der Betrachtungsweise oder das Zutreffen der einen oder der anderen Deutung; und die Reaktion des Kindes auf die Deutungen seiner Umgebung als einzig brauchbarer Hinweis auf da, was es gemeint haben könnte, wird jedenfalls von den Analysierenden kaum beachtet. In beide Beispiele stehen einander also mindestens zwei Typen von Erwartungen gegenüber, die zu je anderen Erkenntnissen über den untersuchten Gegenstand führen. Beide sind in gewisser Weise produktiv und liefern interessante Hinweise auf mögliches, dem Sprechen zugrundeliegendes Wissen. Das entscheidende Problem dabei ist aber, dass alle diese Erkenntnis mithilfe von mehr oder minder informierten Erwartungen Dritter gewonnen wird. Dass jedoch einzig und bestenfalls der Sprecher selber weiss, was er meint, dass also in erster Linie er die Deutungshoheit hat, tritt in den Hintergrund. Eine Antwort auf die Hauptfrage, wie meinen und verstehen bei den Beteiligten selber im Verlauf eines Gesprächs funktionieren, fehlt also nach wie vor. Wie man diesen Sachverhalt erfassen und damit etwas über die Voraussetzungen erfahren kann, die in Alltagssituationen zwischen realen Gesprächspartnern meinen und verstehen steuern, will ich im Folgenden skizzieren. 4 Komponenten von bedeuten/ meinen und deuten/ verstehen im Gesprächsverlauf Das eigentliche Problem, das sich mit der prinzipielleVieldeutigkeit von Äusserungen stellt, besteht darin, dass keiner der besprochenen Ansätze ein Kriterium formuliert, das mögliche Deutungen als vom Sprecher aktuell nicht-gemeint auszuschliessen vermöchte (bzw. keine restriktive Bestimmung dessen enthält, was mit einer Äusserung nicht gemeint sein kann). Um Beschaffenheit und Merkmale eines solchen Kriteriums geht es im Folgenden. 4.1 Meinen und verstehen durch eindeutige Unterscheidung/ Diskrimination Bereits früh stellt David Olson (1970: 257 - 273) in Abhebung zu herkömmlichen - weiter oben: umfassend-einschliessend genannten - semantischen und syntaktischen Theorien ein wichtiges Merkmal des Vorgangs des bedeutens dar: Mithilfe einer Benennungsaufgabe, die ich hier vereinfacht wiedergebe, zeigt er, dass dieAnnahme einer Kenntnis von umfassenden, fixen Bedeutungen zur Erklärung dessen, was ein Sprecher im Gespräch mithilfe einer Form 362 Marie-Louise Käsermann (Bern) zu vermitteln versucht, wenig oder nichts beiträgt: Ein Kind soll einem anderen mitteilen, unter welchem Gegenstand es eine Münze finden kann. Bei dem Gegenstand, unter dem die Münze versteckt ist, handelt es sich um ein Quadrat, das im Kontext von anderen geometrischen Figuren mit ganz unterschiedlichen Farben und Formen präsentiert wird. Diese Variationen sind entscheidend: Was in jedem Falle Quadrat genannt werden könnte, nennt der Sprecher im Kontext eines Kreises z. B. das gerade, im Kontext eines Dreiecks aber das viereckige. Würde auch noch Farbe ins Spiel kommen, wäre die Münze z. B. unter dem roten zu finden, wenn dies die Farbe ist, die das Quadrat von den Farben aller anderen Figuren unterscheidet. Ähnliches zeigt sich auch beim Lernen von Wörtern (Rothweiler 2001: 312 - 321): In einem von einer Reihe von Versuchen werden Kindern Sets von bekannten und unbekannten Objekten präsentiert mit der Bitte, eines der Objekte (gib eines der beiden) oder das genannte Objekt (gib das X = Kunstwort) einer Puppe zu reichen. Im ersten Fall werden alle Objekte etwa gleich oft gewählt. Wird zur Benennung im zweiten Fall ein Kunstwort (z. B. Lirsch, Telper) verwendende, wählen die Kinder in 90 % der Fälle des unbekannte Objekt. Befindet sich in einem Werkzeugkasten beispielsweise Hammer, Zange und ein unbekanntes Objekt, wird das Kind auf die Bitte nach dem Sappel automatisch zu diesem unbekannten Objekt greifen. Darin zeigt sich die semantisch diskriminierende Organisation des Wortschatzes in der Opposition von bekannt vs unbekannt. Für alles Folgende ist es genau die Funktion dieser Wahl einer binär diskriminierenden Benennung, auf die es ankommt. Sie erlaubt dem Sprecher, aber auch dem Angesprochenen die Unterscheidung zwischen dem gemeinten Gegenstand und gleichzeitig allen anderen nicht-gemeinten, ohne dass sie je auf eine lexikalische Bestimmung von Quadrat oder Telper zurückgreifen müssten. So erreicht der Sprecher auf sparsamsteWeise, einzuschliessen, was er meint und im Verhältnis dazu gleichzeitig alles auszuschliessen, was er nicht meint; damit zeigt er eine spezifische Diskriminationsleistung. 4.2 Das Verhältnis von meinen und nicht-meinen In Alltagsgesprächen geht es um den instrumentellen Gebrauch, welchen die aktuell Beteiligten von Äusserungen machen. Instrumentalität - und nicht Ausdruck zugrundeliegenden Wissens - ist demnach ihre primäre Funktion. In Dialogen zwischen Mutter und Kind zeigt sich diese diskriminierende Instrumentalität deutlich in ostensiven Benennungs- Situationen, in denen Formen etwas Bestimmtes meinen und damit für den sich Äussernden restriktiv oder diskriminierend gleichzeitig alles andere als nicht-gemeint ausschliessen: (01) Form Intonation 2. Silbe, 3.Silbe eviva fallend evivä gleich fallend äveivä gleich fallend äveuvä gleich fallend äveuvä streigend fallend äveivä das fallend äveivä streigend fallend (Käsermann 1980: 148) Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 363 Diese Form wiederholt der Bub nach kurzen Pausen mit steigender Intensität in diversen lautlichen Varianten und findet erst Ruhe, als die Mutter, die zuerst ratlos einige Bilder präsentiert, schliesslich das Bild der Olive im Bilderbuch gefunden und ihm gezeigt hat. Dass es dem Bub um genau dieses von ihm offenbar erinnerte und nun antizipierte Bild geht und nicht etwa darum, richtige Oliven zu essen, ergibt sich schliesslich aus seiner Zufriedenheit beim Anblick des Bildes, aber auch daran, dass ihn alle sonstigen Deutungen der Mutter nicht befriedigen. Wie läuft der Vorgang von bedeuten und verstehen in dieser Austauschsequenz ab? Aus der Sicht des Buben zeigt sich zunächst, dass es ihm darum geht, die Mutter zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen. Dies erfordert letzlich, dass sie versteht, was er meint. Lokal ist das kindliche Meinen tatsächlich vom wiederholten nicht-verstehen der Mutter gesteuert. Der Bub erkennt dies daran, dass sie ihm einige von ihm nicht-gemeinte Bilder präsentiert bzw. das eine von ihm gemeinten bzw. erwartete Bild nicht präsentiert. Auf der Suche danach, wie ein Sprecher vermittelt, was er meint bzw. nicht meint, stossen wir in diesem Beispiel auf eine erstaunliche Umkehrung der Problematik wie sie in herkömmliche Theorien aufgefasst ist: Ein umfassend definierte Lexikoneintrag von Olive ist für den Verlauf diese Episode offenkundig ganz vernachlässigbar; für das Gelingen und das endliche Verstehen verantwortlich ist vielmehr einerseits, dass der Bub durch verbale Wiederholung auf dem, was er meint, der evivä, beharrt (Käsermann 2005: 142 - 156), andererseits dadurch gleichzeitig alle wahrgenommenen, mit seinen Erinnerung/ Erwartungen nicht übereinstimmenden nicht-evivä nicht akzeptiert und damit ausschliesst. Dazu muss er im Übrigen nicht die semantischen Merkmale von Olive mit jenen der von der Mutter vorgeschlagenen Interpretationen, z. B. ä Fige (eine Feige) vergleichen und eine Schnittmenge von gemeinsamen Merkmalen bestimmen. Für ihn genügt einfach, dass die Mutter das Bild des gemeinten oder erwarteten Dings noch nicht präsentiert hat. 4.3 Nicht-verstehen und die Erwartung von Sinn (Sinnkonstanz) Auch die Mutter kann in der evivä-Episode ihr nicht-verstehen keinesfalls durch die Aktivierung eines umfassend definierten Lexikoneintrags von Olive bewältigen, denn gerade dass der Bub diese meint, hat sie ja noch nicht verstanden. In dieser Situation bleibt ihr nichts anderes übrig als zu versuchen, die gehörte, nicht der Standardsprache entsprechende Lautform mit etwas in Übereinstimmung zu bringen, das ihr “ etwas sagt ” . Das heisst, sie muss ihrerseits unterstellen oder erwarten, dass der Bub nicht einfach Laute äussert, sondern etwas Bestimmtes meint. Was genau das sein könnte, vermag sie Schritt für Schritt aufgrund der wiederholten Zurückweisung ihrer diversen Angebote als nicht-gemeint auszuschliessen. Dabei wird sie den aktuellen Kontext, also die Situation der Bilderbuchbetrachtung, berücksichtigen und ihre vom Bub nicht akzeptierten Vorschläge, die demonstrieren, dass sie ihn noch nicht versteht, als von ihm nicht-gemeint verwerfen. 4.4 Binarität / Komplementarität als Grundlage von meinen und verstehen Die Beispiele liefern selbstredend keine umfassende Erklärung für den Vorgang von meinen und verstehen. Doch sie demonstrieren zunächst, was im Prozess von meinen und verstehen nicht geschieht. Es handelt sich offenkundig nicht um ein Aushandeln von 364 Marie-Louise Käsermann (Bern) Bedeutungen: Der Bub, der etwas meint und erwartet, rückt davon und auch von dem, was er dementsprechend gleichzeitig nicht meint, nie ab. Seine Unterscheidung ist konsistent. Die Mutter macht Vorschläge, doch navigiert sie im Versuch zu verstehen zwischen dem vom Bub gemeinten (und von ihr noch nicht-verstandenen, aber angezielten) und dem von ihm nicht-gemeinten. Zu keiner Zeit versucht sie, ihn von dem, was er meint, abzubringen oder ihn zu überreden, doch mit etwas Vorlieb zu nehmen, was sie sich ausgedacht, er aber nicht gemeint hat. 4.4.1 Komponenten der Binarität / Komplementarität Eine entscheidende Rolle bei meinen und verstehen im Dialog spielen also die Erwartungen der Beteiligten: im Fall des Buben ist dies die Antizipation der realen Wahrnehmung eines erinnerten, imaginierten Bildes; im Fall der Mutter die Annahme, das Lautverhalten des Gegenübers sei zeichenhaft (vs nicht-zeichenhaft). Durch eine aktuell wahrgenommene Diskrepanz zwischen dem erwarteten Ereignis (z. B. dem Bild der / evivä/ ) und jedem anderen nicht-erwarteten, aber tatsächlich eintretenden Ereignis wird alles mögliche (z. B. verbal) Verstehbar in das eine Gemeinte und alles andere Nicht-Gemeinte unterteilt (vgl. 4.1). Das Gemeinte oder Erwartete bedeutet damit immer nur etwas im komplementären Verhältnis zum gleichzeitig damit ausgeschlossenen Nicht-Gemeinten, Nicht-Erwarteten. Diese Binarität / Komplementarität ist die minimale und grundlegendste Voraussetzung dafür, dass eine Form etwas bedeutet. Im Gegensatz zu herkömmlichen semantischen Theorien, in denen es um eine umfassend/ inklusive Zuschreibung der (hypostasierten) Bedeutung von Formen geht, zeigt das Beispiel des Dialogs zwischen Mutter und Kind, dass meinen und (nicht-)verstehen im Verhältnis zu nicht-meinen Funktion oder Instrument eines binären oder komplementären Prinzips ist, das man aus den folgenden Gründen binär ausschliessend / exklusiv nennen kann: Im Versuch zu verstehen sind beide Teilnehmer mit der Aufgabe konfrontiert, zwischen Gemeintem/ Geltendem und Nicht-Gemeintem/ Nicht-Geltendem zu unterscheiden - im Beispiel: zwischen der einen evivä und allen nicht-evivä - und letztere aufgrund des wiederholten korrigierenden nicht-verstehens auszuschliessen. So gesehen handelt es sich beim Versuch zu verstehen darum, eine Dichotomie zu finden, in der zwei Komponenten zwar gleichzeitig komplementär oder binär ein logisches Ganzes ausmachen, jedoch real nicht gleichzeitig gelten können. Im Spezialfall ist Komplementarität auch als Opposition zu begreifen: Tag (gemeint) vs Nacht (nicht-gemeint) bzw. Nacht (gemeint) vs Tag (nichtgemeint). Das dargestellte Konzept von bedeuten im Austausch mag ungewohnt sein. Doch lassen sich für die Komplementarität / Binarität als Grundlage von meinen und verstehen einleuchtende Zeugnisse finden: “ Wie kann man eigentlich die hellen Seiten eines Bildes sehen ohne dessen dunkle? Gibt es denn überhaupt ein Bild ohne Zusammenwirken von Licht und Schatten? Wir haben doch nur eine Vorstellung vom Licht, weil es Schatten gibt. Man fordert: Beschreibe lediglich die Tugenden, die Tugendhaften. Aber die Tugendhaften erkennen wir ja gar nicht ohne das Laster, die Begriffe gut und böse sind doch erst dadurch entstanden, dass gut und böse beständig miteinander, nebeneinander lebten! ” Aussagen und Erklärungen im Prozess der Petraschewzen in Aufzeichnungen aus einem Totenhaus. (Dostojewski F. M. 1861 - 62 [1994: 404]. Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 365 Obwohl hier das binär-ausschliessende der Komplementarität nur anschaulich gemacht, aber nicht expliziert wird, übertrifft die Hellsichtigkeit und Klarheit dieser Formulierung den vorangehenden dürren Versuch, überzeugend zu argumentieren. 4.4.2 Voraussetzungen und Mechanismen der Binarität Ein konkreter Akt binärer Diskrimination beim bedeuten muss auf einem bereits präverbal gegebenen Verständnis für die Binarität der Präsenz und Absenz von Dingen, Menschen und Sachverhalten und des zeitlich sich ausschliessenden Vorher und Nachher beruhen. Diese Voraussetzungen können anhand der evivä-Episode und des folgenden Beispiels [15] rekonstruiert werden: (02) R papa papa papa papa (mit variierender Intonation bis M erwidert) M dr Papa isch go schaffe R tudi (Name der Freundin von M, fragend) M wo isch s Trudi? R wäg wäg wäg tudi (Käsermann 2005: 152) Es ist evident, dass die Wiederholung der Form evivä, papa und tudi durch die Vergegenwärtigung des Bildes einer Sache bedingt ist, die jetzt erinnert, aber faktisch noch nicht bzw. nicht mehr wahrgenommen wird. Anders formuliert ist die reale Absenz des gewünschten Objekts mit dessen möglicher, aber im gegebenen Moment nur imaginierten Präsenz untrennbar verbunden und das eine ohne das andere nicht denkbar. Auch das umgekehrt gilt, nämlich, dass die reale Präsenz (und Nicht-Absenz) eines Objekts dessen frühere oder spätere reale Absenz (und Nicht-Präsenz) ablöst. Diese Form der Binarität steuert schon früh das kindliche Verhalten: das Kind stellt Absenz fest, etwa dass ein Objekt (z. B. ein Glas) leer (lää) oder sein Inhalt nicht mehr vorhanden (allgone) ist. Diese vom Kind zweifellos nicht reflektierte oder formulierbare binäre zeitliche Verhältnisse weist auf die unabdingbare Verknüpfung der beiden Pole über eine gewisse Zeitspanne (im Beispiel oben: den Mittagsschlaf ) hin, nach der entweder Anwesenheit gewünscht oder Abwesenheit konstatiert wird. Dabei ist die Verfügbarkeit von proto-konventionalen Lautformen, die in den vorgelegten Beispielen zum Verständnis des Arguments beitragen, eigentlich der unwichtigste Teil des Mechanismus der Binarität. Notwendig ist vielmehr, dass das Kind diese Binaritäten auch schon vor ihrer irgendwie bewerkstelligten Benennung “ wortlos ” begreift, wobei ihm die Sprachlichkeit seiner Umgebung bestimmt hilft. Danach erst erwirbt das Kind eineVorstellung vom Gebrauch ganz rudimentärer (lautlicher, gestischer, motorischer) Äusserungen als Zeichen. Diese werden von einer Sinn erwartenden Bezugsperson zunächst dann verstanden, wenn sie sich auf gegenwärtige Situationen - und nicht etwa auf Dinge in anderen Räumen - beziehen. 4.5 Binarität und Indikatoren von Nicht-Verstehen Was bei semantischen Theorien vermisst wird, nämlich die Rolle eines Hinweises des sich Äussernden darauf, ob er sich verstanden oder richtiger: nicht-verstanden fühlt, ist explizit durch die nach Nicht-Verstehen gegebene korrigierende Wiederholung realisiert. Einige Belege für die grundlegend binäre Struktur, die Äusserungen kompetenter Sprecher 366 Marie-Louise Käsermann (Bern) zugrunde liegt, finden sich in Ausschnitten aus realen Gesprächen, in denen averbale (z. B. Schulterheben) und unspezifische verbale Signale wie he? , das explizite ich habe dich nicht verstanden, aber auch spezifische Signale wie wer? auftreten (Amstutz 1979, Käsermann 1980) oder in denen der Sprecher nach einer nicht-verstehenden Reaktion des Angesprochenen erkennbar emotionalisiert reagieren, z. B. (03) A1 was würden Sie denn machen, wenn jemand käme und würd sagen: Herr X, jetzt hab ich genug von dem Qualm [der Pfeife] (MLK)? P nein, das sagt keiner A2 (lacht) was würden Sie denn machen? (Käsermann 1983: 132 - 147) In dieser Passage besteht eine durch modifizierte Wiederholung verkörperte Komplementarität zwischen dem gemeinten machen und dem ausgeschlossenen nicht-machen (zu dem auch das nicht-sagen gehört). In den beiden folgenden Beispielen (04) und (05) ist die Komplementarität / Binarität explizit durch eine wiederholende Umkehrung gegeben: (04) S mmm glaube, dass ich nicht zu fest rumhänge so. M he? S glaube nicht, dass ich zu fest rumhänge! (Käsermann 1988: 36) S behandelt als Komplement glauben in Zusammenhang mit nicht rumhängen und dreht die Komplemente nach der Nicht-Verstehensreaktion von M binär zu nicht glauben und rumhängen um. Dasselbe Prinzip ist im folgenden Beispiel (05), wenn sprachlich auch inkorrekt realisiert: nicht haben im Zusammenhang mit gern wird zu haben mit nicht gern: (05) K16 han ich mich denn nid sälber gärn (4* = Dauer der sprechfreien Zeit) (lacht) T17 i has no akustisch nid ganz verstande K18 eh han ich mich denn sälber nid gärn (3*) (Käsermann 1995: 182) Interessant ist an diesem Beispiel auch der Kontext des Auftretens der Komplementarität: (05 a) T11 mhm (2*) cheu mr das so formuliere wie chumm i derzue dass i mi sälber gärn ha (5*) K12 das ch ja das goht i die Richtig (16*) T13 (mhm) K14 mhm (7*) T15 (Schweigen) K16 han ich mich denn nid sälber gärn (4*) (lacht) (Käsermann 1995: 182) Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 367 K12 stimmt dem Vorschlag von T11 zu, was gleichzeitig bedeutet, dass er dessen Präsupposition (ich habe mich selber [ jetzt noch] nicht gern) annimmt und deren Gegenteil (ich habe mich selber gern) binär ausschliesst. Nach längerer Pause stellt er jedoch das Zutreffen seiner Zustimmung in Frage, was einer Affirmation des zuvor Negierten entspricht. Über diese von ihm und T nicht-erwarteten zweifelnden Widerspruch (habe ich mich nicht selber gern, Beispiel (05)) muss er (verlegen/ emotionalisiert) lachen und wiederholt diesen in leicht modifizierter Form. Das ganze Hin und Her spielt sich im Raum diverser Binaritäten / Komplementaritäten ab. 4.6 Die psychologische und semiotische Rolle binärer Verstehensprozesse: Eine These Ob sich ein Sprecher und/ oder sein Gegenüber der behaupteten Binarität stets, insbesondere während reibungslos verlaufenden Sequenzen bewusst sind, ist eine im engeren empirischen Sinn offenen Frage. Sicher in den Vordergrund rückt sie jedoch in expliziten Nicht-Verstehens-Sequenzen wie in der oben dargestellte evivä-Episode zu erkennen ist oder in Situationen, in denen durch nicht-erwartete Ereignisse eine Abweichung von Standards (z. B. der Grammatikalität) entsteht. Bei der postulierten Komplementarität / Binarität handelt es sich um einen Prozess, der situativ aktiviert wird. Sein Auftreten wird möglicherweise erst im kommunikativen Austausch durch die nicht-erwartete Reaktion oder das aktuelle Nicht-Verstehen des Partners angeregt. Beides zeigt dem Sprecher an, dass sein Gegenüber (noch) nicht in der Lage ist, angemessen zwischen Gemeintem oder Geltendem und Nicht-Gemeintem oder Nicht-Geltendem zu unterschieden und lenkt seine Aufmerksamkeit darauf, dass er das Nicht-Gemeinte auf irgendeine Art ausschliessen muss. In der evivä-Episode verhilft ihm zu diesem Ausschluss die Wiederholung und damit das Nicht-Abrücken von bzw. Bestehen auf der gewählten Form. Das vom Angesprochenen geäusserte Nicht-Verstehen stösst damit jenen Prozess der Komplementarisierung oder Dichotomisierung an, welcher das, im Rahmen klassischer semantischer Theorien vermisste, Ausschlusskriterium für das Nicht- Gemeinten schafft. Bedeuten so aufzufassen, impliziert zweierlei: Erstens kann das Insgesamt des semantischen und kommunikativen Wissens eines Sprechers, von dessen Existenz natürlich auch hier ausgegangen wird, bei Nicht-Gebrauch als eine nicht weiter geordnete, amorphe Menge gedacht werden. Kontroversen über die Struktur des Lexikons sind damit zunächst überflüssig. Zweitens muss man dem Sprecher nicht unterstellen, dass er bei seiner ersten Äusserung bestimmte Intentionen an die Wahl einer bestimmten Form knüpft. Seine Vorstellungen können vage sein, d. h. er hat möglicherweise selber noch keine klare Vorstellung vom Gemeinten/ Erwarteten im Verhältnis zum Nicht-Gemeinten/ nicht-erwarteten. Meine These ist, dass die im tatsächlichen Austausch durch nicht-Verstehen aktualisierte Konmplementarität zwischen Gemeintem/ Erwarteten und ausgeschlossenem Nicht-Gemeinten/ nicht-erwarteten auch eine Grundlage für die semiotische Dimensionalisierung des Wissens entsteht: Aus der Erfahrung, einen gemeinten Gegenstand von einem nichtgemeinten z. B. durch rot unterscheiden zu können wie im Olson-Experiment, kann als integrierendes Merkmal oder Oberbegriff Farbe abgeleitet werden, aus der Unterscheidung 368 Marie-Louise Käsermann (Bern) von Farbe gegen Form kann die übergeordnete Dimension Erscheinung werden. Mit anderen Worten nehme ich an, dass die Binarisierung eine grundlegende Voraussetzung für die Strukturierung und Hierarchisierung semantischen Wissens sein könnte. 5 Sprachliche Strukturen und das Prinzip der Binarität Das Prinzip der Binarität oder Komplementarität steuert nicht nur einfaches meinen und verstehen, wie im evivä-Beispiel. Es besagt, dass von zwei Zuständen (z. B. 0, 1) gleichzeitig nur der eine gilt und der andere, durch die Geltung des einen, binär als aktuell nicht geltend ausgeschlossen ist; der ausgeschlossene Zustand schwingt als notwendiger Bestandteil des Paars jedoch immer mit und trägt zur Konstitution dessen bei, was den aktuell geltenden ausmacht. Dieses Prinzip ist einerseits in bestimmten sprachlichen Strukturen auch tatsächlich realisiert und lässt sich andererseits als Heuristik (Abschnitt 6) zur Analyse vor allem von Assertionen in Austauschsequenzen einsetzen. Das Prinzip der Binarität ist als Mechanismus des bedeutens strukturell am leichtesten in Ja/ Nein-Fragen und als Spezialfall in Tag-Fragen zu erkennen. Bei ersteren sind Antworten bzw. Reaktionen ebenso wahrscheinlich als Bejahung oder Verneinung zu erwarten; dieTag- Frage impliziert dagegen eine Präferenz der Zustimmung. Mit jeder Antwort wird die von ihr ausgeschlossene Alternative gleichzeitig impliziert und ausgeschlossen: Wenn auf eine Ja/ Nein-Frage (z. B. gehst du heute einkaufen? ) mit Ja geantwortet wird, kann gleichzeitig Nein nicht gelten und umgekehrt. Ja heisst in diesem Zusammenhang auch (Einkaufen gehen trifft zu) und ist eine Affirmation des Äusserungsgehalts. Komplementär dazu wird mit Nein das Nicht-Zutreffen des Gehalts stillschweigend negiert und dieser damit ausgeschlossen. Das binäre Prinzip wird klassisch auch durch Wortpaare wie Tag-Nacht realisiert. Wie in den anderen Fällen von Binarität kann gleichzeitig nur eine der beiden Alternativen gelten, während die andere dadurch ausgeschlossen wird. Eine Opposition kann implizit gegeben sein, aber auch durch Konjunktionen sequentiell explizit gemacht werden, z. B. stark oder schwach (z. B. Kaffee), heute statt morgen etc. Während bei Oppositionen häufig beide Wörter eines assoziierten Paars tatsächlich geäussert werden, wird durch die An- oder Abwesenheit bestimmte Morpheme Binarität ausschliessend realisiert, e. g. bei höflich - unhöflich durch die Vorsilbe un-. Zuletzt möchte ich auf die (meta)sprachlich realisierte Binarität in (literarischen) Texten hinweisen. Ein Beispiel für Binarität in Prosa ist das Dostojewski Zitat (siehe oben). Ein anderes findet sich in der Beschreibung, die der Reverend über einen seiner Bekannten abgibt: “ . . . Er hört nicht auf die Bedeutung der Wörter, wie es andere tun. Er wägt höchstens ab, ob sie feindselig sind bzw. wie sehr. Er wägt ab, ob sie ihn bedrohen oder treffen und er reagiert entsprechend . . . ” (Robinson 2016: 109) In diesem Textausschnitt klingt, neben der nur teilweise verbalisierten Opposition (feindselig vs freundlich; bedrohlich vs wohlgesinnt), auch die mit Binarität verknüpfte Emotionalisierung an. Es wird überdies insinuiert, dass sich jene, die so funktionieren wie der Beschriebene, auf einer primitiven Stufe des binär-ausschliessenden bedeutens halten, Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 369 während höher entwickelte Individuen Zugang zur umfänglich-einschliessenden Bedeutung der Wörter haben. Darauf wird in Zusammenhang mit Ironie und anderen komplexen sprachlichen Phänomenen sowie beim Ausloten der möglichen Grenzen der Anwendbarkeit der Theorie zurückzukommen sein. 6 Das Prinzip der Binarität als Heuristik 6.1 Anwendung auf Fragen und Assertionen Die binäre semantische Organisation ist, wie gezeigt, bei Ja-Nein-Fragen leicht erkennbar. Weniger klar zu bestimmen und nirgends genau beschrieben ist jedoch, was eine erwartete Antwort auf eine beliebige Assertion oder eine Wh-Frage (Wer? Wie? Wer? Warum? etc.) ausmacht. Ganz grundsätzlich muss man bei dieser Frage ergründen, ob und welche Rolle Binarität bei der Bestimmung der Kohärenz zwischen aufeinander folgenden Äusserungen spielt. Anders gesagt geht es darum festzustellen, ob es eine systematische Möglichkeit zur binären Identifikation angemessener-kohärenter in Abhebung zu unangemessenen-inkohärenten Abfolgen gibt. Ein solches heuristisches Vorgehen kann anhand diverserAustauchsequenzen dargestellt werden. Einer der für sie geltenden Standards ist das sogenannte “ adjacency pair ” , 2 mit dem die angemessene Abfolge von Äusserungspaaren allerdings recht zieloffen beschrieben wird. Gäbe es eine Methode, mit der konkrete Repliken auf Fragen binär als angemessen oder nicht angemessen und damit als nicht-erwartet bzw. nicht-kohärent erkannt werden könnten, wäre eine dem Prinzip der Binarität entsprechende Heuristik gefunden. Eine solche Methode kann auf Äusserungspaare in Dialogen zwischen Arzt und Patient angewendet werden. 3 Es werden alle jene Fragen fiktiv formuliert, auf welche die aktuell beobachtete Replik angemessen wäre. Stimmt die aktuelle Frage mit keiner der rekonstruierten überein, gilt die Antwort als unerwartete oder unangemessen oder inkohärent. Ein Beispiel dafür ist die bereits bekannte Passage (03). (03) A1 was würden Sie denn machen, wenn jemand käme und würd sagen: Herr X, jetzt hab ich genug von dem Qualm (der Pfeife)? P nein, das sagt keiner A2 (lacht) was würden Sie denn machen? (Käsermann 1983: 132 - 147) Bei solchen Rekonstruktionen kann sich manchmal, wie in (03), ergeben, dass komplexe Fragen vom Angesprochenen als einfachere J/ N-Fragen behandelt (z. B. Sagt jemand / keiner, er habe genug von dem Qualm? ) und entsprechend beantwortet werden. Dies könnte man als Sog-Wirkung der Binarität (oder als Regression auf eine binär verarbeitbare Information) betrachten. 2 Sacks & Schegloff 1974: 696 - 735 3 Käsermann 1986: 111 - 126 370 Marie-Louise Käsermann (Bern) 6.2 Anwendung auf das Phänomene des Schweigens Als Standards des Sprecherrollenwechsels kann man auf bereits formulierte Prinzipien wie das eben beschriebene Frage-Antwort-Paar zurückgreifen. Andere Abweichungen von Standards des reibungslosen Sprecherrollenwechsels sind z. B. Dreinreden, unüblich gesetzte Hörersignal, Unterbrechungen oder Schweigen bzw. Reden an der dafür nicht vorgesehenen Stelle. Die beiden letzteren stellen besonders interessante Abweichung dar, da sie ganz klar in einem binären Verhältnis zueinander stehen: Es handelt sich um das Schweigen, das anstelle des erwarteten Sprechens auftritt, oder um das nicht-erwartete Sprechen anstelle des geforderten (Sag jetzt bitte nichts) Schweigens. Im folgenden Beispiel (06) tritt ein Schweigen auf, das mit Bezug auf den binär definierten Standard eine unerwartete Abweichung vom erwarteten Reden darstellt. Die beobachtete T2-Reaktion behandelt die abwesende Äusserung als ob sie (unausgesprochen) vorhanden wäre. (06) T1 so what do you t hink of X? P (silence) T2 fine sure yeah I agree thats a good point you have made) (Käsermann 1998: CD) Eindeutig um Themenwechsel nach dem Schweigen seines Partners und nicht etwa um Fortführungen geht es in (07) von P1 nach P2 sowie von P2 nach P3. Die Nicht-Übernahme der Sprecherrolle durch A anstelle der binär zu erwartenden Übernahme scheint P als sein alleiniges Versagen zu begreifen, A mit seinen Anliegen anzusprechen. 4 Er erkennt die binäre Komplementarität zwischen erwarteter Übernahme und nicht-erwarteter Nicht- Übernahme nicht oder weiss sich trotz gegebener Erkenntnis nicht zu helfen; so unterlässt er es z. B. die Regelverletzung durch As Schweigen zu thematisieren (z. B. Sie sagen nichts) und von A regelkonformes Verhalten (z. B. Was meinen Sie, ist der Grund für mein Befinden? ) einzufordern. (07) P1 . . . aber mich beissts am Rücken Herr Doktor mich beissts am Rücken A1 (*2.17) P2 die Situation ist so ich würde heute gern baden gehen A2 (*1.28) mm (*2.07) P3 ich glaube, wir können [das Tonbandgerät] abstellen A3 mm P4 nein, wir können schon laufen lassen aber es ist so 4 A seinerseits deutet die Wechsel, die er selber ja auch zu verantworten hat, fatalerweise auschliesslich als Sprunghaftigkeit und Inkohärenz von P. Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 371 es ist mir ein wenig zuwider wenn das Zeug alles auf Tonband kommt A4 (*1.25) mm (*1.77) warum? (Schlatter & Käsermann 1991: 88 - 97) Was mit den vorangehenden Beispielen demonstriert werden kann, ist die Produktivität der heuristischen Anwendung des Prinzips der Binarität (z. B. erwartetes Reden/ Schweigen vs nicht-erwartetes Schweigen/ Reden). Es ist auf diesem Hintergrund nicht notwendig, für jeden Ausschnitt eine einzige Interpretation zu finden; vielmehr können verschiedene Hypothesen weiterverfolgt werden. 7 Binarität bei Sprichworten, Ironie und anderen komplexen sprachlichen Phänomenen Die binäre Logik des bedeutens mag für den linguistischen Kenner recht simpel wirken: Die Vorstellung von zwei aufeinander bezogene, sich aber gegenseitig ausschliessenden Komponenten hält er vielleicht für gerade ausreichend, um zu verstehen, wie ostensives bedeuten z. B. im Falle der evivä funktioniert. Es scheint ihm jedoch nicht möglich, die Bedeutung von Referenten wie z.B Freiheit, auf die ostensiv nicht hingewiesen werden kann, binär-ausschliessend zu erfassen. Obwohl diese Zweifel vielleicht berechtigt sind, will ich hier doch versuchen, die binäre Logik auf komplexere Vorgänge des bedeutens (z.B Sprichwörtern, Ironie, Metaphern) anzuwenden. 7.1 Binarität in Sprichwörtern Sprichwörter “ sind traditionell-volkstümliche Aussagen . . . die zumeist eine Lebenserfahrung darstellen ” . 5 Mit dieser umfassend-einschliessenden Definition ist zunächst nur festgehalten, dass solche sprachlichen Formen nicht einfache Referenten haben, auf die mit einer Handbewegung direkt hingewiesen werden könnte, oder die durch einzelne Wörter zu lexikalisieren wären. Um zu zeigen, inwiefern sie trotzdem etwas mit Binarität zu tun haben könnten, ziehe ich einige Beispiele heran. In manchen Sprichworten wird Binarität explizit eingesetzt, um die mit der Äusserung gemachte Unterscheidung aufzulösen: Wenns (schon) nicht nützt, schadets auch nichts. Das komplementäre Verhältnis von Nutzen und Schaden, die sich gegenseitig ausschliessen und nicht gleichzeitig gelten können, fällt in sich zusammen, sobald eines der Komplemente nicht mehr gilt. Damit das Sprichwort in diesem Sinn, also sozusagen mit aufgehobener Binarität funktioniert, bedarf es nicht der umfassend-einschliessenden Bestimmung von Nutzen und Schaden; es reicht, wenn der Benützer oder der Rezipient der Äusserung eine vage Ahnung davon hat, dass Nutzen im Verhältnis zu Schaden binär etwas Positives in Abhebung oder in Gegensatz zu etwas Negativem meint. In anderen Sprichworten bleibt die Binarität implizit, das Sprichwort macht jedoch nur Sinn, wenn für die expliziten Teile ein binäres Komplement gefunden oder gedacht wird: 5 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Sprichwort [20. 2. 2017] 372 Marie-Louise Käsermann (Bern) Neue Besen kehren gut versteht sich aus der Kombination der binär-ausschliessenden Gegenüberstellung von neu vs alt und gut vs schlecht, wobei letzteres eine alternative Art darstellt, Positves und Negatives voneinander abzuheben. Natürlich ist noch nichts gewonnen, wenn man aufgrund dieser Äusserung nur etwas über tatsächliche Besen lernt. Um den Sinn des Sprichworts zu erfassen, bedarf es denn auch noch einer weiteren, binär-ausschliessenden Unterscheidung zwischen wörtlicher und bildlicher Lesart. Diese Binarität beruht ihrerseits auf der Opposition der situativen oder kontextuellen Wahrscheinlichkeit vs Unwahrscheinlichkeit, dass von einem echten Besen die wörtliche Rede ist. Die Binarität in Sprichwörtern basiert nicht immer auf impliziten oder expliziten Oppositionen wie gut vs böse oder alt vs neu, sondern darauf, dass zwei Begriffe einander in einem bestimmten Kontext gegenübergestellt werden: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. In diesem Fall wirkt mehrfach binär, dass Spatz und Taube nicht das Gleich sind, dass sie nicht denselben Wert haben und dass etwas nicht so wertvolles zu besitzen besser (positiver vs negativer) ist als etwas wertvolleres nicht zu besitzen. Dieses Beispiel, in dem mehrere Gegensätze ineinander verwoben sind, zeigt, dass nicht nur klassische Gegenüberstellungen, sondern auch Steigerungsformen im geeigneten, d. h. hier: im wörtlich unwahrscheinlichen, also im tatsächlich Tauben- und Spatzen-freien Kontext, binär-ausschliessend wirken. 7.2 Binarität bei Ironie Bei ironischen Äusserungen geht es aus der Perspektive der Binarität darum, dass das (wörtlich) Gesagte im Gegensatz zu dem von ihm binär Ausgeschlossenen sich selber (im übertragenen Sinn) als nicht-gemeint ausschliesst und damit dem Nicht-Gesagte zur Geltung verhilft: Das ist eine schöne Bescherung kontrastiert implizit schön mit hässlich und kombiniert dazu eine gegenläufige Opposition: wenn standardgemäss und im Sinne einer positiven Korrelation das Gesagte dem Gemeinten entspricht und das Nicht-Gesagte damit binär als Nicht-Gemeintes ausgeschlossen ist, kehrt die Ironie das Verhältnis in eine negative Korrelation, in der das Gesagte dem binär nicht-Gemeinten und vice versa entspricht. Wie ein Rezipient diese Umkehrung bewerkstelligt, wird oft mit seiner Kenntnis von Ironiezeichen oder seiner Empfänglichkeit für metasprachliche Hinweise (das war jetzt ironisch gemeint) erklärt. Aber mit dem einen oder anderen etwas anfangen zu können, setzt bei Rezipienten voraus, dass er im Prinzip schon weiss, was Ironie ist und/ oder ihrAuftreten unter bestimmten Umständen auch erwartet. Diese Erwartung könnte sich für ihn aus der Erfahrung einer binären Interpretations-Unsicherheit ergeben: Hat er das wirklich/ wörtlich gemeint (vs nicht-gemeint) bzw. Das kann er wahrscheinlich oder sogar sicher nicht gemeint (vs gemeint) haben. Die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, die Geltung von etwas Gesagtem zu erkennen, ergibt sich aus dessen Verhältnis zur konkreten Situation. Die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Gesagtes ohne weitere Hinweise als ironische Äusserung verstanden wird, ist dadurch gegeben, dass die (Un-)Wahrscheinlichkeit der wörtlich gegebene Binarität im aktuellen Kontext oder im bestehenden Erwartungsraum erkennbar ist. Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 373 7.3 Metaphorik und Binarität Bei der Metapher spielt die Binarität eine hintergründige Rolle. Die explizite Komplexität der Vielfalt unterschiedlicher Metapherntheorien und -taxonomien, 6 auf die ich hier nicht eingehen kann, verdeckt eine simple Grundlage: Um eine Form, Äusserung als Metapher zu verstehen, muss man erfassen, dass ein nicht-gemeintes Bild für die gemeinte, aber u. U. schwer zu bezeichnete Sache steht. Die binär-ausschliessende Opposition besteht zwischen dem unmöglichen uneigentlichen bildlich Anschaulichen, das für das mögliche eigentliche begrifflich komplex Abstrakte steht. Von jemandem zu sagen oder zu hören, dass er eine Mimose sei, erfordert - neben einer beliebig vagen Ahnung davon, was eine Mimose ist - in Rechnung zu stellen, dass er im wörtlichen Sinn zwar keine Blume ist, aber so wie eine wirkt. Auch im Es lächelt der See, er ladet zum Bade (Fischerknabe, Friedrich von Schiller 1803) ist es dem See selbstredend unmöglich zu lächeln - es fehlen ihm dazu Mund und Augen - und er lädt auch nicht ein. Das ist jedem klar, der schon einen See gesehen oder von einem gehört hat; also muss, - wenn man davon ausgeht, dass der Sprecher etwas sagen will und nicht einfach Unsinn äussert - damit etwas anderes gemeint sein. Wie beim Rezipienten die Übertragung vom nichtzutreffenden Bild auf die zutreffenden Sache zustande kommt, ist mithilfe der gängigen strukturellen Beschreibung der unterschiedlichen Tropen nicht zu erfassen. Eine mögliche Erklärung wäre, dass der Hörer im konkreten Kontext mit einer überraschenden, nicht-erwarteten, unwahrscheinlich zutreffenden Äusserung konfrontiert ist, die ihn, auf Basis der Sinnkonstanz, dazu anregt, das zutreffende binäre Komplement zu finden. 8 Entwicklungsverläufe im Licht der Binarität Nach allem bisher Angeführten scheint es mir extrem unwahrscheinlich, dass es sich beim Prinzip der Binarität, insbesondere als semantische Grundlage von meinen und verstehen, lediglich um eine von mir ausgedachte logische Konstruktion handelt. Wie schon weiter oben angetönt, kann man Binarität sogar als phylo- und ontogenetisches Agens betrachten, das zunächst keine im engeren Sinn semantische Funktion hat: Phylogenetisch von zentraler Bedeutung sind die binären Entscheidung zwischen Freund und Feind sowie Angriff oder Flucht. 7 Ontogenetische Wurzel der Binarität ist die Diskrimination zwischen Wohl- und Unwohlsein oder Lust und Unlust, 8 die das Leben von Kleinkindern ordnet und ihnen als Grundlage dafür dient, die darauf folgenden Rückmeldungen von Bezugspersonen zunehmend verfeinert zu unterscheiden. Die emotionsgesteuerte Dichotomisierung des kindlichen Erlebens kann als frühe Grundlage bzw. als Vorgänger der binären Funktionsweise psychologischer und dann auch semantischer Prozesse betrachtet werden. Erst 6 siehe etwa: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Metapher, [20. 2. 2017] 7 Cannon Walter 1915 8 z. B. “ . . . Das Gefühl der Lust oder Unlust ist mit zwei verschiedenen Bereichen verknüpft: zum einen mit dem des Angenehmen und Unangenehmen, zum anderen mit dem des Schönen und Hässlichen. Ersterer erstreckt sich auf die Gegenstände, die mit dem Interesse an ihrem tatsächlichen Vorhandensein verbunden sind, Letzterer auf die, die dem interesselosen Wohlgefallen geöffnet sind. Ein Gegenstand kann also als angenehm beurteilt werden (etwa eine leckere Speise), was mit dem Gefühl der Lust einhergeht, oder als unangenehm (etwa bittere Medizin), was mit dem Gefühl der Unlust verbunden ist. . . . ” Dr. Andreas Preussner: Online- Wörterbuch Philosophie: Das Philosophielexikon im Internet. Wikipedia [3. 3. 2017]. 374 Marie-Louise Käsermann (Bern) allmählich schiebt sich zwischen diese sich gegenseitig ausschliessenden Zuständen die Möglichkeit des distanzierteren Weder-Noch, das die Neugier am noch Unentschiedenen weckt. In weiteren Entwicklungsschritten gesellt sich das Sowohl-als-auch als Mischung eigentlich binärer Zustände dazu, bei denen die sich gegenseitig ausschliessenden Komplemente in verwirrlicher Gleichzeitigkeit auftreten und im Zuge des Erfassens allmählich in ihre Anteile zerlegt werden können. Einiges spricht dafür, dass in der Entwicklung von Föten und Kleinkindern - insbesondere der kommunikativen von meinen und verstehen - Binarität eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Dies zeigen Beispiele, die auf die Entstehung der binären Organisation von Verhalten und Lautäusserungen hinweisen. 9 Ganz grundlegend schon ab der 22. Schwangerschaftswoche erfahrbar ist für den Fötus der binär ausschliessende Wechsel zwischen Ruhe und Aktivität (143). Es folgen die binären Erfahrungen von Saugen und Pausieren (143), von An- und Abschalten einer visuellen Stimulation (z. B. durch Augenöffnen und -schliessen, durch Kopfzuwenden und - abwenden: 144). Diese und andere konkrete Kontraste sind Beispiele für die Komplementarität zwischen eigenerAktivität und Passivität (145). Die grundlegend wichtige Komplementarität von Präsenz und Absenz und die Binarität von zeitlichem Vorher und Nachher erkennt das Kind allmählich am Erscheinen und Verschwinden von Gegenständen und Menschen (145); Abwesendes ist manchmal anwesend (146) und schon präverbale Lautäusserungen, auch wenn sie nicht einmal annähernd konventionellen Formen entsprechen, eignen sich als Zeichen, diesen Wechsel zu beschreiben (verbalisiert z. B. mithilfe von: läär, allgone, no more vs more oder ihn zu kontrollieren: I want vs I do not want that (151). Neben passives Erfahren tritt also auch aktives Tun (149), bei dem Kinder Dinge annehmen oder zurückweisen (146), diese zu sich herholen oder wieder entfernen (148), und sie auftauchen oder wieder verschwinden lassen (145). Einen Bereich zwischen Phylo- und Ontogenese, den man mit K. Foppa (2011) als kulturevolutionär betrachten könnte, adressiert Freud (1910) mit dem Beitrag “ Über den Gegensinn der Urworte ” . Er zitiert darin ausgiebig die gleichnamige Schrift Carl Abels (1884), in welcher der Sprachforscher anhand des frühen Ägyptisch belegt, dass damals Wörter eine doppelte Bedeutung hatten, die einen Gegensatz, z. B. hell - dunkel in sich vereinten und beides meinen konnten. In späteren Entwicklungsstufen begannen sich die Oppositionen herauszuschälen und in zwei Wortformen auszudrücken. Auch andere Mechanismen der Binarisierung in indogermanischen und arabischen Sprachen werden zitiert. Für Freud von Interesse ist zwar nicht das, was hier Prinzip der Binarität genannt wird. Doch lässt sich von seinem Anliegen, dass nämlich der Traum mit Oppositionen nicht logisch verfährt, sondern etwas Gemeintes oft in Form seines Gegensatzes abbildet, eine Brücke zur oben geäusserten Vermutung schlagen, dass Kinder und Schizophrene wenig Unerwartetes erleben und daher logisch binär zu Unterscheidendes für sie zunächst auswechselbar ist. 9 alle folgenden Beispiele aus Käsermann 2005: 142 - 56 Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 375 9 Praktische Anwendungen des Prinzips der Binarität Verschlüsselungstechniken und deren maschinelle Implementation basieren auf dem Prinzip der Binarität, wie es von Alan M. Turing der Entwicklung des Computers zugrunde gelegt wurde. 10 Bei der realen Entschlüsselung von Botschaften geht es über eine beliebige Anzahl von Transformationsschritten letztlich grundlegend darum, die Geltung eines Symbols / Buchstabens von allen anderen möglichen zu unterscheiden und gleichzeitig letztere als nicht-geltend auszuschliessen. Aus Einheiten der binären Repräsentation einzelner Zeichen und deren serieller Verkettung wird die Botschaft konstruiert. Die Komplexität dieser Vorgänge, wie sie etwa durch eine Enigma verkörpert ist, sollte über die einfache logische Grundlage nicht hinwegtäuschen. Vorgänger dieser Technologie ist das Morsen, das sich der auf drei Ebenen verschachtelten Binarität bedient (reden/ Symbol vs schweigen/ Pause, Pause: kurz vs lang; Pause lang: mittellang vs sehr lang). 11 Eine Anwendung des Prinzips der Binarität findet sich im Umgang mit dem “ locked-in- Syndrom ” . Dies ist ein Zustand, in dem ein Mensch zwar “ bei vollem Bewusstsein, jedoch körperlich fast vollständig gelähmt und unfähig ist, sich sprachlich oder durch Bewegungen verständlich zu machen “ . 12 Wie bei den beschriebenen Verschlüsselungs-Techniken basieren die Verfahren zur kommunikativen Kontaktaufnahme im Prinzip auf der Implementation der Opposition von Ja und Nein. Diese kann vom Patienten durch eine noch erkennbare Reaktion binär angezeigt werden. Möglich wird dies durch z. B. durch Zwinkern, on-off- Bewegungen derAugen, die aufgrund von Abmachungen als Ja oder Nein kodiert sind, oder anhand von Pupillenerweiterungen. Eine Demonstration des Vorgehens zeigt die Verfilmung der gleichnamigen Biografie “ Schmetterling und Taucherglocke ” 13 eines “ locked-in ” -Patienten. 10 Mögliche Grenzen der Anwendbarkeit der Theorie Einer Antwort auf die bereits oben gestellte Frage, ob das Prinzip der Binarität lediglich eine logische Konstruktion oder darüber hinaus auch ein Mechanismus ist, der psychologische Realität hat, können spontan auftretenden Binaritäten zeigen (z. B. / alt vs jung/ in der Frage “ ist sie jünger als ich? ” ). 10.1 Binarität und Semantik Dringender als die Demonstration der Alltags-Anwendbarkeit des Prinzips der Binarität ist wohl, dessen Stellenwert für allgemeinere Themen der Semantik zu prüfen. Ich wähle zwei Typen von Fragen: 1) Welche Rolle spielt Binarität beim meinen und verstehen von Sätzen, und 2) in welchem Verhältnis steht Binarität zur sogenannt konnotativen in Abhebung zur denotativen Bedeutung. 10 Hochhuth Rolf (2015) Alan Turing. Erweiterte Neuausgabe. 11 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Morsezeichen [2. 3. 2017] 12 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Locked-in-Syndrom [22. 11. 2016] 13 Originaltitel: Le scaphandre et le papillon) ist eine französische Filmbiografie aus dem Jahr 2007 von Regisseur Julian Schnabel. Das Drehbuch schrieb Ronald Harwood nach dem gleichnamigen, autobiografischen Roman von Jean-Dominique Bauby. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Schmetterling_und_Taucherglocke, 26. 11. 2018 376 Marie-Louise Käsermann (Bern) Klassischerweise konstituiert sich die Bedeutung von Sätzen durch ein Zusammenspiel semantischer, syntaktischer und phonetischer Information in Bezug auf eine bestimmte, pragmatisch umschriebene Gesprächsumgebung (Sprecher- und Adressateneigenschaften, sprachlicher Kontext, konkrete Situation etc.). Wie könnte dieser durchaus komplexe Vorgang mit dem einfachen Prinzip der Binarität erfasst werden bzw. welche seinerAspekte werden durch dieses Prinzip überhaupt berührt? Über Phoneme sage ich nichts weiter, da ihre dichotome Organisation seit Jacobson weithin akzeptiert ist. Auch für die Binarität syntaktischer Information gibt es genügend Beispiele, etwa die Opposition zischen Passiv- und Aktivkonstruktionen. Wie es sich in einer konkreten Äusserung verhält, ist weiter oben anhand der Beispiele ((03), rumhängen und (05), gern haben) andiskutiert worden. Die meisten Äusserungen, die nicht aus solchen Nicht-Verstehens-Sequenzen stammen, weisen wohl selten solch explizite Binaritäten auf. Doch ist es, so scheint mir, immer möglich, für alle Inhaltswörter und auch bestimmte syntaktische Strukturen implizite Binaritäten zu finden und deren sequentielles oder hierarchisches Zusammenspiel zu rekonstruieren. Was für Sätze gilt, kann auch auf Mehrsatz-Gebilde, also Texte, ausgeweitet werden, wobei bei diesen zu erwarten ist, dass die Struktur des Ensembles der geltenden Binaritäten komplexer wird. Die zweite, oben formulierte Frage betrifft die Anwendbarkeit des Prinzips der Binarität auf die konnotative Bedeutung. Traditionell gilt die denotative Bedeutung als sachlich, referentiell definierte Hauptbedeutung, während die Konnotation das Mitschwingende, Atmosphärische, Wertende oder auch Affektive meint. Mit Denotation befasst sich alles Vorangehende. Eine Möglichkeit, darüberhinaus die konnotative Bedeutung zu erfassen, ist mit dem semantischen Differential gegeben. 14 Es bestimmt mit Hilfe von Gegensatzpaaren den skalierten Wert von drei Dimensionen: Die der Valenz (angenehm - unangenehm), der Potenz (stark - schwach) und derAktivierung (aktiv - passiv). Die affektive Bedeutung wird also auf der Basis von drei binären Entscheidungen als Ausprägung der Komplemente bestimmt. Zweifellos gibt es andere Methoden (z. B. psychophysiologische) der Bestimmung der Affektivität. Das semantische Differential bedient sich jedoch der Binarität, um die es in der vorliegenden Schrift geht. 10.2 Die dunkle Seite der Binarität Binarität macht das Wesen der Diskrimination aus: in dieser sind zwei sachliche einander entsprechende Komponenten, die sich gegenseitig ausschliessen, wertfrei voneinander unterschieden und gleichzeitig aufeinander bezogen. In welchem Verhältnis steht diese Struktur zur kriterialen Unterscheidung durch Diskriminierung, in der die Komponenten nicht mehr als gleichgewichtig gelten, sondern eine als relativ minderwertig betrachtet wird? Wird Binarität dadurch zum Wurzel von Übeln wie Fremdenhass oder Frauenfeindlichkeit (C. F. Graumann und M. Wintermantel, 1989)? Es scheint, dass bei der wertenden Diskriminierung im Gegensatz zur wertfreien Diskrimination nicht eine, sondern zwei Arten von Binarität einander durchdringen; dies ist einerseits ein realer oder zumindest kategorial unbestrittener sachlicher Unterschied (z. B. Inländer - Ausländer) und andererseits eine moralisch wertende Unterschei- 14 Osgood, Suci & Tannenbaum 1956 Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 377 dung zwischen “ negativ - positiv ” , “ gut - nicht gut / schlecht ” , “ minderwertig - vollwertig ” , “ rückständig - modern ” etc., wie sie übrigens im Semantischen Differential durch die Valenz- oder Wertedimension eingeführt ist und in der frühkindlichen emotionalen Unterscheidung von “ angenehm - unangenehm ” wurzelt. Vorurteile und Fanatismus, die damit verbunden sind, sind allerdings nicht dem Prinzip der Binarität geschuldet. Sie sind vielmehr bedingt durch starres Festhalten an unkritischem Denken und Intoleranz anstelle des Bemühens um eine flexible wert- und vorurteilsfreie nuancierte Betrachtung. Es ist also nicht die binäre Unterscheidung zwischen negativ und positiv oder unangenehm und angenehm, die an sich gefährlich oder perniziös wäre, da es durchaus Sachverhalte gibt, die in der gegebenen Situation oder auch dauerhafter unangenehm oder negativ wirken. Vielmehr ist es die fehlende Reflexion dessen, was zum moralisch verdammenden Urteil und zum daran Festhalten führt. 10.3 Zusammenfassung und Schluss Traditionelle Semantiktheorien und interessegeleitete Interpretationen bedienen sich einer umfassend-einschliessend definierten Bedeutung und versäumen es zu zeigen, was Formen nicht bedeuten. Diesen Mangel habe ich versucht, mit dem Konzept des binär-ausschliessenden meinen und verstehen anhand von Sequenzen des kommunikativen Austauschs in Alltagssituationen zu beheben. Wesentliche Bestandteile dieses Konzepts betreffen das natürlicheVermögen, mit Formen zwischen Gemeintem und Nicht-Gemeinten zu diskriminieren. Diese Leistung wird in Dialogen durch Nicht-Verstehen aktiviert und durch kommunikative Standards sowie die Erwartung von Sinn gesteuert. Obwohl der Mechanismus geradezu primitiv anmutet, ist doch darauf hinzuweisen, dass im Tempo natürlicher Gespräche für komplexere linguistische Ableitungen und Analysen die Zeit fehlt und folglich etwas Einfacheres zum Einsatz kommen muss, will man nicht in ohnmächtiges Schweigen versinken. Eine Realisierung des binären Prinzips findet sich in diversen Sprachstrukturen (z. B. Oppositionen). Es kann darüber hinaus als Heuristik zur Analyse von Passagen verwendet werden, die, wie z. B. Schweigepassagen, auf den ersten Blick nicht explizit binär strukturiert zu sein scheinen. Auch nicht-wörtlich gemeinte sprachliche Phänomene wie Sprichwörter, ironische Äusserungen und Metaphern enthalten einen binären Kern. Binär strukturiertes Denken findet sich überdies in diversen literarischen Erzeugnissen. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Binarität sowohl in der Phyloals auch der Ontogenese eine Rolle spielt; beideTypen von Entwicklung scheinen, wie das Beispiel der altägyptischen Sprache zeigt, ausserdem durch binäre kulturevolutionäre Bande verknüpft zu sein. Die Entwicklungen und Anwendungen in Bereichen der Funk- und Computertechnik, in denen das binären Prinzip direkt als Code implementiert ist, bildet auch die logische Basis des Zugangs zu schwer kommunikationsbehinderten Patienten nach Schlaganfällen oder bei einem locked-in Syndrom. Die Pervertierung des binären Prinzips (bzw. eines Rückfalls auf die oben von Abel [1884] beschriebene Vor-Binarität) wie etwa in “ . . . Es ist schon etwas Schönes, die Vernichtung von Wörtern. . . . Ich meine da nicht bloss die Synonyme, sondern auch die Antonyme. Welche Existenzberechtigung hat den schon ein Wort, das nur das Gegenteil eines anderen ist. Ein Wort beinhaltet zugleich immer auch sein Gegenteil. Nehmen 378 Marie-Louise Käsermann (Bern) wir zum Beispiel mal ” gut “ . Wozu braucht man dann noch ein Wort wie “ schlecht ” ? “ Ungut ” tut ’ s doch genauso - besser noch, denn es ist das exakte Gegenteil . . . (kursiv: MLK). Orwell 1984: 55 f ) sollten eine reflektierte Perspektive auf die Produktivität des binären Strukturierens nicht verhindern. Literatur Abel, Carl 1884: Über den Gegensinn der Urworte, Leipzig: Wilhelm Friedrich Amstutz, Beatrice 1979: Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit, Institut für Psychologie Bern Bierwisch, Manfred 1983: “ Psychologische Aspekte der Semantik natürlicher Sprachen ” , in: Wolfgang Motsch & Dieter Vieweger (eds.) 1983: Richtungen der modernen Semantikforschung, Berlin: Akademie, 15 - 64 Cannon, Walter B. 1915/ 1975: Wut, Hunger, Angst und Schmerz: eine Physiologie der Emotionen, ed. Thure v. Uexküll, übers. v. Helmut Junker, München etc.: Urban & Schwarzenberg Chaika, Elaine A. 1974: “ A linguist looks at ‘ schizophrenic ’ language ” , in: Brain and Language 1 (1974): 257 - 276 Dostojewski, Fjodor M. 1861/ 1994: “ Aussagen und Erklärungen im Prozess der Petraschewzen ” , in: Dostojewski Fjodor Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, Berlin: Aufbau, 393 - 468 Foppa, Klaus 2011: Jenseits von Darwin. Die Entstehung der Arten, die individuelle menschliche Entwicklung und die Anfänge der Kulturen, Berlin: University Press Freud, Sigmund 1910: “ Über den Gegensinn der Urworte ” , in: id., Studienausgabe vol. 4, Frankfurt / Main: S. Fischer, 227 - 234 Fromkin, Victoria 1975: “ A linguist looks at ” A linguist looks at ‘ schizophrenic ’ language ““ , in: Brain and Language 2 (1975): 498 - 503 Graumann, Carl F. & Margareth Wintermantel 1989: “ Discriminatory speech acts: A functional approach ” , in: Daniel Bar-Tal et al. (eds.) 1989: Stereotyping and prejudice: Changing conceptions, New York: Springer, 184 - 204 Halliday, Michael A. K. 1975: Learning How to Mean, London: Edward Arnold Hochhuth, Rolf 2015: Alan Turing. Eine Erzählung, Reinbek: Rowohlt Hörmann, Hans 1976: Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik, Frankfurt / Main: Suhrkamp Käsermann, Marie-Louise 1980: Spracherwerb und Interaktion, Bern: Hans Huber Käsermann, Marie-Louise 1983: “ Form und Funktion schizophrener Sprachstörungen ” . in: Sprache und Kognition 2.3 (1983): 132 - 147 Käsermann, Marie-Louise 1986: “ Das Phänomen der sprachlichen Inkohärenz in Dialogen mit einem Schizophrenen ” , in: Sprache und Kognition 5.3 (1986), 111 - 126 Käsermann, Marie-Louise 1988: “ Schizophrenie: Zwei Umgangsweisen mit einer Beschreibung des Wahnsinns ” , in: Helmut Kreuzer et al. (eds.) 1988: Sprache Kranker, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht = Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 18 (1988): 21 - 40 Käsermann, Marie-Louise 1995 Emotion im Gespräch. Auslösung und Wirkung, Bern: Hans Huber Käsermann, Marie-Louise 1998: “ Von der vielfältigen Deutbarkeit des ‘ Schweigens ’” , in: CD Extra Lang Festschrift Käsermann, Marie-Louise 2005: “ Die Lust am wieder-holen ” , in: Marie-Louise Käsermann & Andreas Altorfer (eds.) 2005: Über Lernen. Ein Gedankenaustausch, Bern: EditionSolo, 142 - 156 Käsermann, Marie-Louise 2009: Begegnungen. Was uns in ihnen berührt und bewegt, Bern: Peter Lang Olson, David R. 1970: “ Language and thought: Aspects of a cognitive theory of semantics ” , in: Psychological Reviews 77.4 (1970): 257 - 273 Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag 379 Osgood, Charles E., George J. Suci & Percy Tannenbaum [ 1 1957] 9 1975: The measurement of meaning, Champaign: University of Illinois Press Robinson, Marilynne 2016: Gilead, Berlin: S. Fischer Rothweiler, Monika 2001: Wortschatz und Störungen des lexikalischen Erwerbs bei spezifisch sprachentwicklungsgestörten Kindern, Heidelberg: Winter Sacks, Harvey et al. 1974: “ A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation ” , in: Language 50.4 (1974): 696 - 735 Schlatter, Theodor & Marie-Louise Käsermann 1991: “ Inkohärenz als Interaktionsphänomen ” , in: Zeitschrift für klinischePsychologie, Psychopathologie und Psychotherapie 1.39 (1991): 88 - 97 Schwarz, Monika 1992: Kognitive Semantiktheorie und neuropsychologische Realität. Repräsentationale und prozedurale Aspekte der semantischen Kompetenz, Tübingen: Max Niemeyer 380 Marie-Louise Käsermann (Bern) K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse Götz Wienold (Tokyo) Kannon, a Buddha of mercy portrayed in woman-like features, has been present in Japan for centuries. Traditionally the merciful “ goddess ” particularly is associated with helping women who desire children. After the pacific war Kannon ’ s mercy is turned to the hundreds of thousands of war dead. Huge, entirely white statues of Kannon were erected in great number, mostly in open space outside of temples. We approach these by first, however, visiting a temple dedicated to kamikaze pilots and consider its structure as an argument (in the sense of Peirce) with closure; inscription, narrative and ritual each play a part in this. The free standing immensely big statues in contrast, then, lack this closure; statue and narrative are separated. They stand in relative contiguity only, their relationship lacking signification. 1 Der Kannon-Tempel von Setagaya: Ort und Arrangement Ein japanischer buddhistischer Tempel (o-tera) ist nicht schlicht ein Gebäude, er ist ein eingegrenzter Bezirk mit mehreren Bauten, von Bäumen umgeben, durchsetzt mit weiterem Pflanzenwuchs, behauenen Steinen, buddhistischen Bildwerken wie Steinlaternen oder Stupas und Statuen, hinzu treten Texte als Inschriften, machmal sogar aufgeschriebene Erzählungen. Bäume, pflanzliches Wachstum überhaupt, gehören zum buddhistischen Tempelbezirk. Griechische oder römische Tempel, Synagogen, Moscheen, christliche Kirchen aller Konfessionen sind Bauten und im allgemeinen nur das, wenn man auch gelegentlich zum Beispiel eine Kapelle in einem Hain finden wird. Wachstum als Beiwerk ist aber nicht erfordert, damit etwas ein derartiger Tempel, eine Synagoge, eine Moschee oder eine Kirche ist. Weiter: besondere Einzelelemente und Texte findet man an oder in Synagogen, Moscheen, christlichen Kirchen und Tempeln der Griechen und Römer, an oder in den beiden letzteren Bauwerken auch Statuen wie andere Bildwerke, für den buddhistischen Tempelbezirk in Japan, aber auch in Korea und China ist dagegen charakteristisch, dass solche Einzelelemente in ihm separat verteilt sind. Das gilt genau so für Shinto-Schreine in Japan 1 und, soweit ich sehe, auch für konfuzianische und taoistische 1 S. den Plan eines typischen Shinto-Schreins in Havens / Nobutaka 2004: xiii. Tempel-Anlagen in Ostasien. 2 Vor allem hebe ich hervor: den grünen Wuchs. So ist es nicht erstaunlich, dass sich in ausgedehnteren buddhistischen Tempelanlagen Japans die berühmten japanischen Gärten befinden. 3 Zahlreiche japanische Tempelanlagen liegen auf Bergen, im Wald. Die eigentlichen Tempel-Bauten sind aus Holz, häufig durch die Witterung dunkel geworden, wenn sie nicht angestrichen oder neu errichtet sind, Holz als ihr Baumaterial stimmt gut zu ihrer Einbettung in Baum, Strauch und Gras. 4 Es ist, wie man bald sehen wird, nicht so, dass es keine Steine und nichts Steinernes in solchen Tempelanlagen gibt, nur: die Bauten sind, wie alle traditionelle japanische Architektur, nicht aus Stein. In Peirces semiotischer Terminologie bilden solche Tempel-Anlagen jeweils ein Argument, einen Zusammenschluss von Zeichen, der für sich besteht; er wird als ein abgeschlossener Zusammenhang von Zeichen sowohl aufgenommen (erlebt, verstanden), als auch, wenn erwünscht, in Gebrauch genommen für Betrachtung, Gebet, Verehrung, Gedenken, diese je nachdem mit spezifischen Handlungen (Ritualen, Zeremonien). Ich nenne hier solche Zusammenschlüsse von Zeichen, die zum großen Teil Objekte sind, Arrangements; der Begriff zielt auf die Art und Weise und die Ordnung, wie die Objekte (Zeichenelemente) in der Anlage verteilt und einander zugeordnet sind. 5 Nennen wir mit Peirce ein Einzelelement, das für sich bestehen kann, Rhema, eine für sich erfassbare und beurteilbare Verbindung von Einzelelementen Dizent und die Zusammenbindung von Dizenten Argument 6 , in der jetzigen Darstellung Arrangement. Peirces Termini sind erkennbar geläufigeren für sprachliche Zeichen nachgebildet, Wort (im Sinne von Lexem), Satz und Text. Als solche bereiten sie der Beschreibung einer zeichenhaft verstandenen Objektwelt, wie es Gärten oder Tempel-Bezirke sind, gewisse Schwierigkeiten, weil deren Klassifizierung weniger eingeübt ist als die schon umgangssprachlich akzeptierte Einteilung von sprachlichen Zeichen und man nicht davon ausgehen darf, die von einer Konzeption von Sprache ausgehende Klassifikation von Zeichen nach ihrem Interpretantenbezug ohne weiteres auf Verhältnisse einer nichtsprachlichen Objektwelt übertragen zu dürfen. Eine Buddha-Statue ist gegliedert in zahlreiche Teile, sollen wir sie noch als Einzelelement (Rhema) oder bereits als Dizenten betrachten, ihre Aufstellung in der Lotusblume auf einem Sockel in einem Teich, wie sie gleich beschrieben werden wird, bereits als Argument? Ich will die jetzige Darstellung nicht mit einer längeren Erörterung solcher Fragen belasten. Ich denke, Dizenten können in einem größeren Zusammenhang herabgstuft werden zur Funktion als Rhema, Argumente zu Dizenten oder, in anderer möglicher Auffassung eine Aneinanderreihung von Argumenten als Argumentbildung höherer Stufe. In diesem Sinne führe ich in der folgenden Beschreibung Einzelelemente an, Verbindungen von solchen und beschreibe ihren Zusammenschluss zu einem unabhän- 2 Ich beschränke mich auf das, was ich in Ostasien kennengelernt habe und verzichte auf stärkere Verallgemeinerungen, für einen thailändischen Wat, ebenfalls ein Tempelbezirk, gilt das Gesagte jedenfalls nicht. Ein bemerkenswerter Ort ist der Tempel der Baha ’ i in Haifa (Israel). Dieser liegt in einer reich und kunstvoll ausgestalteten Gartenanlage, die Anklänge an ein Paradies aufrufen soll. Vgl. Buck 1999. 3 Zu den buddhistischen Gärten in Japan vgl. Wienold, 2015: 17 ff., 173 ff. 4 Holz vs. Stein als Baumaterial mag man parallel zu der Opposition Anlage inmitten von Pflanzenwachstum vs. Gebäude sehen. Es würde zu weit führen, das hier ausarbeiten zu wollen. 5 Zum Begriff des Arrangements vgl., Wienold 2015: 7 - 11, 22 - 25, 75 - 78 und öfter. 6 Vgl. dazu z. B. Walther 1979: 73 ff. 382 Götz Wienold (Tokyo) gigen Ganzen. In Stille und Bewegung habe ich beispielhaft Einzelelemente (Rhemata) von Gärten, Bäume usw., und Verbindungen von solchen, etwa Bäume auf Inseln in einem Teich (Dizenten) und ihren Zusammenschluss zum Arrangement eines Gartens beschrieben (Wienold 2015: 25 ff.). Gehen wir in den Tempel der Kannon im Stadtbezirk Setagaya von Tokyo und lernen ein solches Arrangement kennen. Wir betreten die Anlage durch ein mächtiges Tor aus Holz, vor dem rechts wie links Kiefern wachsen, ein erster Dizent. Ein wuchtiger Oberbau über uns, ein steiniger Weg leitet von ihm geradeaus zu einem wesentlich grazileren Tempelbau, links schräg nach hinten gesetzt ein ihm kleinerer weiterer beigegeben. Diese betretend kann der Gläubige vor Bildnissen und Symbolen beten oder sich versenken. Durch das Tor getreten, hat man aber zunächst rechts vom Weg ein Gebäude mit schlankem Aufbau, auf dem Dach ein Phönix, Wohnung für den Geistlichen, links gegenüber eine Pagode für den als Feuergott bezeichneten Fudoomyoooo, ‘ der unbewegliche (fudoo) König (oo) des Lichts (myoo) ’ 7 , sein Schwert schneidet durch alle Täuschungen, eine Verkörperung des Buddha, die hilft, Abwehr gegen die buddhistische Lehre aufzulösen. Eine kleine Statue zeigt ihn als eine an einem Stab sich hoch windende Drachenfigur mit einem menschlich wirkenden Kopf, eine eher ungewöhnliche Darstellung des Fudoomyoooo (s. Kyotokokuritsuhakubutsukan 1981: Abb. 186, 188). Diese beiden Bauten bilden in ihrer Umgebung wiederum Dizenten. Dunkel stehen hinter ihnen wie allen weiteren Bauten dichte Laubbäume und Kiefern mit in langen Büscheln gehaltenen, seidig glänzenden wie kraftvoll sich aufstellenden Nadeln. 8 Einzig aufhellend zur rechten Jahreszeit eine Trauerkirsche; ins Lila abtäuschend hängen weiße Blüten, ein Schleier von Zweigen, bebend in jedem Luftzug. Im Hochsommer blüht in weißen Dolden ein hoher Affenrutschbaum, sarusuberi, so genannt der glatten Stämme wegen. Vor diesen kommt man bereits an einen Teich, in seiner Mitte auf einem achteckigen Sockel das Bronzebild eines aufgeblühten achtblättrigen Lotus. Lotus wächst aus dem Schlamm unter dem Wasser. Im Teich steht, die Blüte dieses Lotus, ein weiblicher, gekrönter Buddha, Kannon, die Göttin der Barmherzigkeit, sie ist aus dem Lotus geboren; denn die Lotusblume ist Symbol des weiblichen Geschlechtsteils. Ihre Linke hält die Figur nach oben, deren Inneres dem Betrachter unter den sich neigenden Verehrern, nachdem er Weihrauch geopfert hat, offen entgegen, die rechte gestreckt nach unten, erst Hand und Finger im halben Knick vor und ein wenig nach außen. Bronzen, in Grünspan eingefroren. Der erhobene rechte Arm, die Hand zum Betrachter geöffnet ist eine Segensgeste “ seid furchtlos! ” ; die Buddhafigur ist stets frontal zugewendet, sitzend im Lotussitz zeigt sie den Buddha in der Meditation, stehend wie hier (und bei allen später in diesem Aufsatz beschriebenen Buddha-Figuren) seine Zuwendung zum lebenden Menschen (Snellgrove 1974, 24 ff.; Baumer 2014, 60 ff.). Die Statue wirkt, wenn auch etwas größer als ein Mensch, unter den hohen Bäumen eher klein, 7 Japanische Ausdrücke und Namen werden hier, um dem Japanischen als Morensprache gerecht zu werden, in einer modifizierten Hepburnumschrift wiedergegeben, insbesondere erscheinen anderwo mit einem Querstrich oder Zirkumflex angegebene Vokale als Doppelvokale außer in bei uns eingebürgerten Schreibungen von Namen und Begriffen. 8 Solche Kiefern gehören zu den besonderen Züchtungen der japanischen Gartenkultur. In der japanischen Malerei gehört ihnen ein besonderer Platz. In einer traditionellen Klassifikation (choo - chiku - bai ‘ Kiefer - Bambus - Pflaume ’ ) steht die Kiefer an oberster Stelle. Vgl. Wienold 2015: 25 ff., 44 f., 143 ff. und passim. Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse 383 zierlich. Eine Tafel belehrt, sie sei die Yumechigai-Kannon, die Kannon, die Träume (yume) wandelt (chigai), schlechte in gute. Ein Stück weiter eine Stupa, eine steinerne abstrakte Figur, eine Reihe von viereckigen Platten übereinander angeordnet mit Abständen zwischen ihnen. Eine Stupa war ursprünglich ein Reliquienbeziehungsweise ein Grabhügel für den verschiedenen Buddha. Die Stupa bildete in ihren Anfängen das in Falten über die Leiche gelegte letzte Gewand nach, darauf gehen die übereinander angeordneten Platten zurück. Reliquien des Buddha waren indes reine Nichtigkeiten genau wie die vom Toten überbliebene Leiche. Die Stupa ging durch viele Wandlungen bis zu einer abstrakten Figur. In Absenz eines Bildes, wie zunächst im Buddhismus üblich, stellte eine Stupa unbildhaft den in die nicht mehr umkehrbare Erleuchtung Gegangenen, der das Rad der Wiedergeburten ein für allemal hinter sich gelassen hatte, dar (Snellgrove 1974: 57, 61, 67, 81). 9 Neben dem die Gestalt eines Menschen nachbildenden Zeichen für den Buddha die aus dem Bild des übereinander gefalteten Gewands abstrahierte Figur. Fudoomyoooo, Täuschung auflösend, die Erzählung vom überfließenden Mitleid der Kannon, ikonisch gebildet, und Stupa, verdichtetes Symbol der Abgeschiedenheit des Erleuchteten: drei Schritte, auf dem eigenen Weg des Besuchers. Schließlich als letzte der gesondert aufzuführenden, für sich gestellten Elemente des Kannontempels von Setagaya drei Tafeln, eine rechts, die beiden anderen links und weiter zurück, in relativem Dunkel liegend. Die Tafeln erinnern an Kamikaze-Flieger des pazifischen Krieges, zum Teil mit besonderen Erzählungen von Trupps von solchen. Vor den Erinnernungsmalen, die an deren Schicksal erinnern, können Besucher Weihrauch opfern wie vor der Kannon-Statue, die schlechte in gute Träume wandelt, auf dem geöffneten Lotus im Teich. Der Tempel von Setagaya ist der Kannon in Erinnerung an Kamikaze-Flieger gewidmet. Am Beginn des Besuchs des Kannon-Tempels das massige Tor. Den Weg durch die Mitte des Tempelbezirks zu Ende gegangen, ist man seiner Widmung an die Kamikaze-Flieger gewärtig geworden. Das Tor 10 markiert den Übergang vom ständigen Leben der Alltagswelt der umliegenden Wohnbezirke in eine, in derAlltagsleben nicht statt hat und in der man sich nur für begrenzte Dauer aufhält. 11 Durch das Tor gegangen, den Übergang vollzogen, sind innerhalb der betretenen Anlage alle Objekte im wesentlichen nicht Objekte des alltäglichen Gebrauchs. Man kann generell Objekte ihrer Gestaltung wie ihrem Gebrauch nach als Zeichen analysieren, auch wenn das dem Alltagsverständnis nicht naheliegen mag, Objekte, die nicht der Alltagswelt zugehören, werden vonvornherein zumindest auch als Zeichen wahrgenommen und verarbeitet. Das gilt, ob man die hier geschaffene besondere Welt primär ästhetisch oder ob man sie als Ort der Andacht, der Verehrung, des Vollzugs eines Glaubens ansieht. 12 9 Der Stupa in der Symbolik vergleichbar Bilder von zwei Fußsohlen als Symbol des für immer weggegangenen Buddhas. S. z. B. die Abbildungen in Mori 1988: 87, 88. 10 Architektursemiotiker haben Tore und Eingänge in Gebäude als Orte, durch die man mit dem Eintreten eine Art Ritual vollzieht, beschrieben, z. B.; Graves 1983, vgl. auch Wienold 2015: 74 f. 11 Arrangements, die einen Übergang von öffentlichem zu halböffentlichem Leben, zum Beispiel zum Lernen und Forschen in einer Universität oder zur Administration eines Stadtbezirks dienen, sind in Wienold 2015: 60 ff. analysiert worden. 12 Ein Thema, das in diesem Aufsatz nicht weiter verfolgt wird, vgl. dazu z. B. Krochmalnik 1999. 384 Götz Wienold (Tokyo) Die in der Beschreibung hervorgehobenen Einzelelemente gehören alle zu den besonderen, vonvornherein zeichenhaft aufgenommenen Objekten. Sprechen wir beispielhaft ein weiteres besonders an. Sowohl vor der Statue der Kannon als auch vor den zwei Tafeln, auf denen Geschicke zweier Truppen von Kamikaze-Fliegern erzählt werden, befinden sich Geräte, in denen man zur Verehrung in Brand gesetzten Weihrauch ablegen kann. Diese Geräte haben die Gestalt von Lauben (jap. azuma), wie sie vielfach in Parkanlagen zum Ausruhen bereit stehen, freilich Lauben en miniature, als Ikone von Lauben sofort erkennbar, doch für den Gebrauch als solche selbstverständlich nicht geeignet, damit Symbol geworden, Symbol für die Ruhe der Weggegangenen. 13 Weihrauch opfert man in Japan bei Bestattungsriten wie bei Gedenkriten für Verstorbene (hotoke) 14 , der verbrennende Rauch Zeichen einer aus dem Leben weggegangenen Existenz. Hier greifen Zeichen, die wahrgenommen, und Zeichen, die rituell gebraucht werden, ineinander. Vom Haupttor 15 aus gesehen und wie im Durchgang erfahren hat die Anlage die Gestalt eines Rechtecks in Längsrichtung. Mitten hindurch führt, wie bereits erwähnt, ein Weg vor die Tempelbauten und zu den Tafeln, so ergibt sich eine Teilung in rechts und links. Rechts die Wohnung des Geistlichen mit dem Phönix auf dem Dach und die Tafel, die von der Bedeutung der Kamikaze für das fortbestehende heutige Japan spricht, Zeichen des gegenwärtigen Lebens, links Fudoomyoooo-Pagode, die Kannon der Barmherzigkeit im Teich und die Stupa, die beiden letzteren als Zeichen des für immer gegangenen Buddha, die Trauerkirsche und die beiden Tafeln von den Geschicken umgekommener Fliegertrupps, die Seite des Todes, besser noch: des Gestorbenseins. Solche eine Rechts-Links-Teilung kann als Projektion eines menschlichen Körpers auf eine Anlage verstanden werden, das Tor gewissermaßen als Füße, die Tafeln als Kopf des Arrangements. 16 Gar die Statue der Kannons etwas oberhalb der Mitte gleich links vom Weg als Herz? Es kommt nicht darauf an, die Homologie strenger auszuführen. Nur indem man den Weg durch die ganze Anlage vom Haupttor zu den Tafeln, die den Zweck der Anlage deutlich machen, geht, die Dizenten in ihrer Abfolge wie Rechts-Links-Ordnung aufnimmt, kann man das Argument erfassen, der Güte der Buddhawesen die Toten empfehlen: Die jungen Kamikaze-Flieger wurden 13 Über Ikonbildung Symbole zu schaffen, ist kein völlig seltenes Verfahren der Zeichenbildung in japanischen Arrangements. Stämme von Zaubernussbäumen werden so dicht gestellt, oder eine Gruppe von drei Kirschbäumen mit nah beieinander gepflanzten Stämmen werden so zurecht geschnitten, daß die Kronen, einen geöffneten Fächer nachbildend, weit auseinandergehen, in Blüte wie der obere Teil eines bemalten Fächers, die Stämme wie seine Stäbe. Ein geöffneter Fächer (suehiro , wörtlich: ‘ Ende weit ’ ) steht symbolisch für ein langes, erfülltes Leben. Oder (vgl. Wienold 2015: 94 mit Abbildungen) Gittern, die Trottoirs gegen Straßen abgrenzen, werden Nachbildungen von Bäumen oder - sehr abstrahierend - Hecken aufgeprägt und so zu Symbolen der Abgrenzung. 14 “ . . . burning incense as a meal for hotoke is an act that separates the dead from the living. ” (Kawano 2005: 50) 15 Es gibt einen Nebenzugang auf, vom Haupttor aus gesehen, der rechten Seite. Unter Bäumen durchgehend gelangt man vor die Buddhastatue. 16 Rechts-Links-Teilungen von Arrangements kann man häufig finden, z. B. in vielen Arrangements des Innenraums (des Hauptschiffes) einer christlichen Kirche. Rechts-Links-Teilung in Homologie zum menschlichen Körper auch in lebenden Arrangements bei Zeremonien: Auf einem überdachten Podest stellten sich zum Tag der Unabhängigkeit Weißrusslands am 3. 7. 2018 in Minsk auf: in der Mitte der vordersten Reihe Präsident Lukaschenko in militärischer Uniform als “ Kopf ” eine Ansprache haltend, ihm zur rechten Hand eine Kolonne militärischer Ränge in Dreierreihen, links solche ziviler als “ Arme ” (oder “ Körperhälften ” ). Rossiya Odin ( ‘ Russland 1 ’ ), Vesti v dvatsat ‘ ( ’ 20 Uhr-Nachrichten ’ ). Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse 385 seinerzeit den Kirschblüten (sakura) verglichen, die nach kurzer Blüte fallen und vergehen (Ohnuki-Tierny 2002). Die Trauerkirsche (shidarezakura) neben der Statue der Kannon “ spricht ” den Tod der jungen Leute aus. 17 2 Kannon und Tafeln für Kamikaze-Flieger im Tempel von Setagaya: Inschrift, Erzählung, Ritual Buddhismus in Japan heißt immer Mahayana-Buddhismus, Buddhismus des “ großen Fahrzeugs ” , der lehrt, alle Menschen könnten zur Erleuchtung finden, die sie aus dem Kreislauf der Wiedergeburt, aus dem Zwang der Rückkehr in neues Leid und neue Schuld löst. Kannon ist der Name einer buddhistischen Göttin, Göttin der Barmherzigkeit, Göttin, so stellt sich im bereits angezeigten Kontext heraus, der Barmherzigkeit nach dem Tod. ‘ Göttin ’ lädt wieder, wie wenn man sich “ Tempel ” lesend, einen griechischen oder römischen Tempel vorstellen wollte, leicht zu Missverständnissen ein. ‘ Göttin ’ einmal gesagt, kann man auch formulieren: Erscheinungsform des Buddha in weiblicher Gestalt. Wie alles Buddhistische vom Festland, über Korea oder direkt aus China, ist auch die Kannon von dort, in ihrem Fall aus China, nach Japan gekommen. Der Buddha, wenn als menschenhafte Figur, wird meist männlich gezeigt, eine besondere Abbildung hat aber bereits in China, dort Guan-yin genannt, weibliche Züge angenommen und ist so nach Japan gelangt (Klimkeit 2000: 263 f., Pauly 2003, Ree 1992, Yü 1994). Erscheinungsform heißt idelle oder bildhafte Vergegenwärtigung, heißt Darstellung in der Vorstellung und als gemalte oder plastisch geformte Figur. Erst einige Zeit nach dem historischen Buddha tritt dieser in buddhistisch geprägten Ländern in vielen Formen der Erscheinung zeichenhaft auf. Eine der bekanntesten ist - mit japanischem Namen - der Amida Buddha. Mitfühlend mit der Not der Menschen, bleibt er, statt in Abgeschiedenheit, ihnen zugewandt. Was man ‘ Göttin ’ oder ‘ Gott ’ nennen möchte, ist im Buddhismus vergänglich wie alles, eine Erscheinung, nur eine Erscheinung, läßt sich auch sagen, für Augen und Gemüter von Menschen. “ Götter ” stehen auf einer tieferen Stufe als die auf den höchsten Stufen stehenden, vom Rad der Wiedergeburt für immer befreiten Erleuchteten (Keown, 1996: 32 ff.). Buddhismus ist, auch wenn von einer Göttin oder einem Gott die Rede ist, eine atheistische Religion. Der Buddha war und ist kein Gott. Der Name Kannon sagt: “ die die Laute wahrnimmt ” , alternativ Kanzeon: “ die die Laute dieser Welt wahrnimmt ” , verdeutlichend in unsere Sprache gebracht: “ die die Schreie der Lebenden hört ” . Unter den Erzählungen von einer sich erbarmenden Buddhagottheit diese: Avalokite ś vara (die indische Entsprechung, allerdings eine (noch) männlich gedachte, der Kannon) habe in Mitleid für die leidenden Menschen einen ganzen Teich erweint, aus diesem sei ein blauer Lotus erwachsen (Fowler 2016: 257). 18 In Objekte gebildet erscheint diese Erzählung im Lotusteich des Kannontempels von Setagaya als Kannon, die die Träume verwandelt. 17 In japanischen Determinativkomposita wird in der Regel ein stimmloser Anlaut des determinierten Gliedes stimmhaft hier also das s von sakura zu z. 18 Der Name Avalokite ś vara wird vielfältig gedeutet, Neville 1998: 11 ff., Klimkeit 2000: 259: “ der Herr, der herabsieht ” , d. h. “ auf das Leid aller Wesen ” . 386 Götz Wienold (Tokyo) Schwere Träume, Schreie an diesem auch in hellem Sonnenschein zu sanftem Dunkel bereiten Ort. Schwere Geschichten werden hier in der Tat erzählt, Geschichten vom harten, bitteren Tod, vom Grauen des Krieges, der kein Ende hat als den Tod derer, die ihn kämpfen, die in ihn geschickt werden. Die Geschichten binden die Gefühle derer, die sie heute aufnehmen, an die Toten von damals. Drei Tafeln rechts und links der Tempelchen unter abdunkelnden, die grellen Erzählungen dämpfenden Bäumen. So stoßen wir auf Schrift und Erzählung. Schrift in Gestalt von Inschriften stellt oft in japanischen Arrangements wichtige Bestandteile (Wienold 2015: 65 ff.). Eine besondere Klasse solcher Arrangements bilden Steine mit Gedichten als zentrales Element (Wienold 2015: 101 ff., 107 ff.). 19 Das Arrangement des Kannon-Tempels ist weitaus komplexer als diese. Die Tafeln für Kamikaze-Flieger im Tempel von Setagaya sind weniger hervorgehoben als die Steine mit Gedichten. Zunächst treten die Statue, die Stupa, die Trauerkirsche in die Augen. Am Kopf der Anlage sind die kleinen Tempelbauten das, was die Augen auf sich zieht. Erst zu ihnen gelangt, findet man rechts wie links zu den aufgeschriebenen Erzählungen. Wie schon angedeutet, gibt es neben den aufgeschriebenen Erzählungen in Objekte verwandelte: die von den Tränen der Kannon, die einen Teich erweint haben, die vom Tod in der Blüte der Jugend, wie Kirschblüten fallen. Die aufgeschriebenen sind spezielle, die Besucher des Tempels hier erfahren oder an die sie hier erinnert werden, die in Objekte verwandelten Erzählungen bringen sie als Japaner und Buddhisten mit. 20 Auch allgemeine Erzählungen von Kamikaze tragen Besucher wahrscheinlich in sich. Offiziell hießen diese Soldaten Tokubetsukoogekitai, verdeutscht ‘ Spezialangriffstruppe ’ , abgekürzt Tokkootai. Die Soldaten der Tokkootai setzten ihren eigenen Körper im Angriff auf den Feind als Waffe ein und töteten sich dabei selbst, als Flieger, der sich mit dem Flugzeug auf ein feindliches, d. h. meist US-amerikanisches Schiff stürzte, als Torpedo unter Wasser ein Schiff rammte oder als Granatenträger gegen einen Panzer rannte. Die Panzer waren am geographischen und zeitlichen Ende des Kriegs, zu dem die letzte der drei Geschichten gehört, sowjetische. Sie setzten ihren eigenen Körper ein, zu sagen, dies lädt auch zu Missverständnis ein, nämlich dem, daß sie es freiwillig taten. In den meisten Fällen wurden sie bedrängt, so starkem psychischen Druck ausgesetzt, daß sie sich nicht dagegen wehren konnten, “ eingesetzt ” zu werden. Sie erhielten, wenn darüber auch sehr wenig geschrieben wird, vor dem Einsatz Metamphetamine, “ Hiropon ” wurde die Droge genannt (Adelstein 2016). Was offiziell dagegen ins Bild gesetzt wurde und auch noch wird, war, dass sie vom Einsatzleiter einen Becher Sake kredenzt bekamen, und dann willig, gar begeistert und “ entschlossen ” - dieses Wort der Heideggerschen Philosophie darf man gebrauchen - losflogen, um in den meisten Fällen nicht zurückzukehren. Wie die Flieger unter Drogen waren, so die Öffentlichkeit betrogen über die Wahrheit. Kam einer zurück, weil er kein lohnendes Einsatzziel gefunden hatte oder weil er vor der Tat zurückgeschreckt war, wurde er oft beschimpft. 19 Ähnlich bilde Denkmäler in der Regel das zentrale Element eines Arrangements. Einige Denkmäler sind in dieser Weise in Wienold 2001 analysiert. 20 Auch in buddhistischen Gärten findet man in eine Darstellung durch Objekte verwandelte Texte wieder (Wienold 2015: 56 f.). Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse 387 Die erste Tafel, japanisch und englisch, berichtet preisend, das Heroische hochhaltend, allgemein von den in lebende Waffen verwandelten, zur Selbsttötung befohlenen japanischen Soldaten. Wenig war freiwillig, davon wird nicht gesprochen. Verzweiflungsaufgebot, betört, zum Opfer des eigenen Lebens bereit zu sein, Selbstmörder mit dem harten Wort, das wir dafür haben. 21 Wie in rechten politischen Proklamationen bis heute in Japan Preis auf Preis für furchtlose, junge Männer perpetuiert: Entgegen allen sonstigen historischen Darstellungen, die die Einsätze der Tokkootai nach einigen Vorbereitungen im Herbst 1944, anfangen lassen, 22 erringen sie ab Beginn des hier der “ Große Ostasiatische ” genannten Krieges, das heißt wohl ab Pearl Harbor, ohne Aussicht auf Überleben als “ lebende Geschosse ” “ außerordentliche militärische Erfolge ” . 6 000 seien es gewesen, sie hätten die ganze Nation in Tränen getränkt. Es gibt zahlreiche Berichte von Umgekommenen wie Überlebenden, die, hineingelistet in diese Truppen, mit Abscheu vor dem Krieg und gezwungen die Angriffe ausführten (Hattori 1996; Lamont-Brown 1999; Scherer 2001; Ohnuki-Tierney 2002, 2006). Die aufstörende und in öffentlichen Reden rechter Politiker bis heute wiederholte Behauptung, daß die Taten der zur Selbsttötung Bereiten den Grund ewig währenden Friedens und gedeihlicher Entwicklung des Landes Japan bis heute gelegt habe. Gleichzeitig - wie doppeldeutig widersprüchlich - sollen Taten und Geist Japaner auf Generationen inspirieren. Diese Tafel gehört in unserer Analyse zur Seite des weiter gehenden Lebens, der rechten. Die besonderen, nur japanisch verfaßten Geschichten auf der linken berichten von Toden. Bevor man zur zweiten Tafel gelangt, ein großer, dunkler, nach oben spitz zulaufender Stein, wie man ihn nicht selten als Träger von Inschriften findet, dieser dem “ Frieden der Welt ” gewidmet. 23 Später werden uns solche Inschriften erneut begegnen. Die zweite Tafel bildet den Block mit den Namen von Toten, wie sie ein japanischer Grabstein angibt, jedoch hier ein Kenotaph, leer, ohne jeden menschlichen Rest. Drei Kuben übereinander: Auf einem schlichten bemoosten Steinsockel ein etwas kleinerer in grau gesprenkeltem Stein, vorne links und rechts je ein metallener Becher und eine Rinne, für Blumen und andere Gaben, wie man sie auf Friedhöfen an Gräbern ablegt, auf diesem ein dritter weißlicher Kubus, er trägt vorn eine schwarze Tafel mit weiß eingraviertem Text. Darüber ein sich nach oben verdickender, abgerundeter Stein, in ihn eingelassen: Tensantai no hi “ Gedenkstein für die Tensan-Truppe ” . Die Truppe, sagt der Text auf dem weißlichen Kubus, war eine von jungen Fliegern, die am 6. April 1945 von einer Basis in Kushira in der Präfektur Kagoshima in Richtung der Ryuukyuuinseln aufflogen. Sie stießen hinunter auf einen Verband fünf feindlicher Schiffe, unter ihnen zwei Flugzeugträger, Tod zu bringen: großer Erfolg, und sie töteten dabei sich selbst. Es folgen die Bezeichnungen der Truppeneinheiten, 25 Namen und ihre Dienstgrade. Vor dem Kenotaph eine Schale mit der an eine chinesische Laube erinnernden Überdachung. Gedenkende können hier Weihrauch anzünden. Die dritte Tafel. Auch hier wird an Selbstopfer erinnert, tatsächlich eineVerzweiflungstat. Wieder eine glatt polierte schwarze Steintafel mit weiß eingraviertem Text. Noch eine 21 Zur Selbsttötung in der Geschichte Japans Pinguet 1991. 22 Lamont-Brown 1999, 121: 21. 10. 44, Emiko Ohnuki-Tierney 2002, 159: 20. 10. 44 23 Nach oben mehr oder weniger spitz zulaufende, meist aus Pflanzen hervorragende Steine findet man nicht selten in japanischen Anlagen, vgl. Wienold 2015: 89 f. mit Abb. 25, und auch als Träger von Gedichten (ebd. 120 f., 124 f.). 388 Götz Wienold (Tokyo) Truppe der Tokkootai, im in der Mandschurei errichteten japanischen Marionettenstaat Manshuukoku (chin. Manshuguo) stationiert, noch bei Kriegsende, von dem sie am 15. August erfuhren, dort. Eine Einheit von zehn, angeführt von Leutnant Imada Hitoshi. Leben lohne sich nicht für sie in einer zerstörten Heimat, “ einem Land ohne Berge und Flüsse ” , anspielend auf die traditionelle Redeweise: auch geschlagen hat unser Land noch Berge und Flüsse. Dem Feind Sowjetunion wolle man nicht die wertvollen Waffen ausliefern. Ein Kundschafter hatte im Flug ihre heranrückenden Panzer erspäht. So machten sie sich, sie gehörten zum Trupp 16675, der Bericht ist genau, am Nachmittag des 19. August, zwei Uhr Ortszeit, von einem “ Großer Drachenberg ” genanten Flugfeld auf, jeder der zehn in seinem Flieger, flog den Panzern entgegen, sich auf sie zu stürzen. Was daraus wurde, davon kein Wort. Leutnant Tanifuji flog in seinem mit einer besonderen Fracht, seiner ihm erst vor ganz kurzem angetrauten Frau. 24 Die Inschrift führt die zehn Männer mit Namen auf, die Frau nicht mit ihrem. Zur Überschrift dient: Shinshuufumetsutokubetsukoogekitai no hi, “ Gedenkstein für die unvergängliche Spezialangriffstruppe des heiligen Reiches ” . Als Shinshuu ‘ heiliges Reich ’ , wörtlicher ‘ Reich der Götter ’ , bezeichnete das offizielle Japan damals sich selbst, und die, die lange nach dem Krieg die Tafel aufstellten, nannten es noch immer so. Wie vor der Statue und dem Kenotaph kann man auch vor der Tafel vom Tod der in der Mandschurei stationierten Tokkootai-Soldaten in einer miniaturisierten Laube Weihrauch opfern. Zu Inschrift und Erzählung tritt also als drittes das Ritual. Trotz recht vieler Besuche an diesem Ort habe ich immer nur einzelne je für sich Weihrauch darbringen gesehen. Mitgebrachte Rauchstäbe werden in Brand gesetzt, abgelegt, man schlägt die Hände zusammen, verbeugt sich und bleibt still eine Weile in der Verbeugung. Ob dazu eine innere Rede und innere Rede welcher Art stattfindet, wäre nur durch eine Befragung und auch dann nur annähernd zu elizitieren. 25 Rituale sind nach vorgegebenen, erlernten Mustern vollzogene Handlungen. 26 Wenn sie in einer Gruppe ausgeführt werden, gehört zu ihnen meist ebenso eingeübte verlautbarte Rede. Die Ausübung solch vorgeformter oder musterhaft vorgeprägter Rede stellt einen besonderen Typ der Sprachverwendung dar. In einer größeren Zahl von Arbeiten habe ich bisher sechs Typen der Sprachverwendung unterschieden; in der linguistischen Pragmatik behandelt man meist allein die Konversation, daneben, schon etwas seltener das Erzählen, ich setze dazu als weitere Typen Rezitation, Inschrift, Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht und Selbstgespräch (Wienold 1996). Die Typen unterscheiden sich, ob und welche Beziehungen zu anderen Sprachteilnehmern ihnen zu Grunde liegen, damit in der Zweckbestimmung und der Interpretation der verwendeten Sprache, damit welche “ Kraft ” die geäußerte Sprache hat, weiter in der Textbildung und auch im Vorkommen 24 Zum Krieg der Sowjetunion gegen Japan und zur Eroberung der Mandschurei Glantz 2003 a, 2003 b. 25 Kazuko Tsurumi berichtet, daß während des pazifischen Krieges japanische Mütter in der Präfektur Iwate jede für sich und ohne voneinander zu wissen zu einem Fluss gingen, dort Kieselsteine aufhoben, sie wuschen, den Göttern anboten und für ihre Söhne im Krieg beteten. Erst 1961 fanden sie in einer Diskussionsgruppe heraus, dass sie dieses Ritual miteinander geteilt hatten (Tsurumi 1970: 258 f.). 26 Die Literatur zu Ritualen ist sehr umfangreich. Ich verweise hier nur auf Turner 1982, McDowell 1983, Kawano 2005, Franko 2007, Michaels 2010. Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse 389 einzelner sprachlicher Eigenschaften (Wienold 1996: 64). 27 Dazu stelle ich hier als eigenen siebten Typ Rede in Ritualen oder Zeremonien. In Eigenschaften der Sprachverwendung unterscheidet sich Rede in Ritual und Zeremonie nicht grundlegend, wohl wird oft eine Zeremonie als mit weniger Verpflichtung des die Rede Äußernden verstanden. 28 Keine Rede geschieht ohne Einbettung in Situation und Handlung, doch in Zeremonie und Ritual ist sie immer in andere Handlungen eingebunden, die ihren Zweck und ihre Interpretation bestimmen. Beim Ritual des Weihrauchopfers vor der Statue der Kannon und den Tafeln zum Gedenken an tote Tokkootai-Soldaten ist, wenn nur innere Rede einzelner stattfindet, selbst diese vermutlich wenigstens dem Inhalt nach vorgeprägt, wenn nicht mehr oder weniger wortwörtlich vorgefertigt. Und schon die Form der Sprache in den Erzählungen der Tafeln hat in der Überschrift ein für japanische Gedenkinschriften vorgeprägtes, immer wieder zu findendes Element .. no hi ‘ Gedenkstein (hi) an . . . ’ So geht in gewisser Weise schon der Text der Tafeln in die Rede des Rituals des Weihrauchopfers ein. Die Klage vom Leid ist ja seltsam still, geschieht nur in Schrift und Stein, als gehörte sie, gelesen aufgenommen, beinahe schon innerer Rede an. Eine letzte Bemerkung: Rituale und Zeremonien sind an einen Ort gebunden und haben erst dadurch Kraft. So geben das Arrangement des Kannon-Tempels von Setagaya und der Platz mit dem Gerät für das Weihrauchopfer den Grund vor, den Ritus auszuüben. 3 Frei stehende Statuen der Kannon und der pazifische Krieg Kannon, die Göttin der Barmherzigkeit, die auch schwere Träume in glückliche wandelt, - in Setagaya barmherzig erst den in sinnlosem Selbstopfer Toten, wenn alles geschehen ist. Das ist Kannon nicht immer gewesen. Im zehnten Jahrhundert bereits soll dieVerehrung der Kannon aus China gekommen sein, wo sie Kuan-yin oder Guan-yin heißt, deren über Jahrhunderte entstandene Statuen sind in Tempeln aufgestellt. Wie bereits erwähnt, hat Kannon wohl zuerst in China weibliche Gestalt angenommen, sie erscheint auch dort bereits weiß gekleidet und wird von Kinderlosen um Hilfe angefleht, dass sie Kinder gebären oder zeugen (Yü 1994: 169 ff.). Häufig wandten sich Frauen an die Göttin, Frauen, die sich ein Kind wünschten, Frauen, die ein Kind erwarteten. Viele Legenden erzählen, wie Kannon oder Kuan-Yin vom Tode oder gar aus der (budhhistischen) Hölle retten. Avalokite ś vara findet sich in männlicher Bildung bereits im Hooryuuji bei Nara, in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts datiert (Snellgrove 1974: 242; Neville 1998: 84). Nach dem zweiten Weltkrieg, dem Krieg Japans gegen China und die USA, dem weit in den südlichen Pazifik und über ganz Südostasien bis nach Indien (Swinson 2016) ausgreifenden Krieg, wurden neue Kannon-Statuen errichtet, unabhängig von einem Tempel, oft auf erhöhtem Ort, frei stehende, überlebensgroße, weithin sichtbare Riesenplastiken. Viele sind gänzlich weiß, die Ryoozen-Kannon in Kyoto matt ockerfarben. Japan, vom Krieg, den es selbst in allem Unheil über sich gebracht hat, schwer getroffen, scheint 27 Kraft, wie die Sprechakttheorie von illokutiver “ Kraft ” spricht. Entsprechend Wienold 1995: 54 ff. zur “ Kraft ” von Inschriften. 28 Krochmalnik 1998 stellt dar, wie Moses Mendelssohn, als er über jüdische geheiligte Handlungen mit dem Terminus ‘ Zeremonien ’ schrieb, der Vorwurf gemacht wurde, er habe sie damit herabgesetzt. 390 Götz Wienold (Tokyo) sich der Verehrung der Göttin der Barmherzigkeit in besonderer Weise geöffnet zu haben. Orte der Ruhe, Orte stiller Verehrung im ganz Offenen, Orte, in denen Grauen sich aufgestaut hat und darin verbirgt. Orte in Weiß. Die heutigen gelten dem Tod, dem Tod durch die Gewalt des Krieges. 29 Oofuna, geräuschvolle Kleinstadt im Bann der Großmetropole Tokyo - Kawasaki - Yokohama. Von Tokyo mit dem Zug kommend, hat man bereits aus dem Fenster eine mächtige Figur gesehen. Ausgestiegen und nach Osten gewendet, muss man sich aus dem Gedränge der Stadt hinauszwängen, um von begrünten Kuppen, die nicht mehr Stadt sind, einen Blick auf sie zu erhaschen; verlässt man den Bahnhof nach Westen, so steht man sogleich vor einem plötzlich aus dem Flachen hochgestülpten Huckel, auf ihm in einen dunklen Kranz von Bäumen wie sich in ihn hineinduckend ein von einer Haube bedeckter, weißer weiblicher Kopf. Die Gestalt scheint aus dem Berg empor zu wachsen, wie einst in Rom der Gott Mithras aus dem Fels wuchs, auch er ein Rettergott für die vom Tod im Krieg Getroffenen. Oben steht man vor einer weißen Büste einer Frau ohne Ausprägung einer Brust. Ihre Haube baut sich in Wellen hoch über einem bekrönten Kopf. In der Mitte der Stirne ein gelblicher Knopf, über leicht schräg nach außen aufwärts sich ziehenden, schmalen Augen schwingen sich Brauen, zu vollen Backen ein volllippiger Mund, das untere Ende der Nase um die Nasenlöcher ähnlich ausgeprägt. Dieser Kopf wird gleich einer Nonne unten von weißer, in drei Rollen gewellter, den Hals ganz zudeckender Gewandung eingeschlossen, darunter hängt ein Brustschmuck. In der Mitte der Krone eine kleine Ganzkörperstatue, linker Arm erhoben, die Handfläche Betrachtern zugewandt, der rechte hält Hand und Finger nach unten, ganz wie bei der Statue in Setagaya. Eine kleine Replik in der Stirne der großen, heißt es, zeige die Kannon an. 30 Weiblich, aber nicht mütterlich oder fraulich wirkend; nicht alternd, doch auch nicht jung, bestimmt nicht jugendlich, gar mädchenhaft; in sich gewandt, nicht Liebreiz, gar Erotik ausstrahlend. Etwa 25 Meter hoch und 19 breit, immens groß, doch die Größe erdrückt nicht. Die Büste ist auf eine altarähnliche Struktur gesetzt, man kann sie umwandeln, sich aber nicht auf mehr als etwa zehn Meter nähern. Distanz also, daß die Figur wie im Ausdruck, auch nicht durch die Aufstellung anzieht. Ein Gabentisch davor, Verehrer spenden Geld, Weihrauch, Blumen, Essbares. Einige verharren in betender Haltung. 1929 begonnen, 1934 die Arbeiten abgebrochen. In einem erläuternden Text am Ort selbst heißt es, die nötigen Materialien hätten nicht zur Verfügung gestanden, in einem Buch heißt es, das Geld habe nicht gereicht (Kinoshita 1998: 8): wie immer ausgedrückt, es handelt sich um die militaristische Showa-Zeit, in der der Buddhismus, wie es mit der Meijirestauration allmählich begonnen war, immer stärker zugunsten des zur Staatsreligion gemachten Shinto zurückgedrängt wurde (dazu Hardacre 1989). Kinoshita erwähnt, dass unter den Initianten der Phase ab 1927 auch ein “ großes Tier ” der Rechten gewesen sei, Kannon “ als 29 Von Japan und den USA aus betrachtet, wird dieser Krieg meist als “ pazifischer Krieg ” bezeichnet (Ienaga 1978; Pike 2015), Ienaga sagt m. E. zu Recht, dass er Teil des bereits 1931 begonnenen 15jährigen zweiten Kriegs Japans gegen China ist. So auch Ishida 1999: 430 f. mit weiterer Literatur. 30 Fowler 2016: 7. Der “ emanation buddha ” in einer Krone Avalokite ś varas findet sich auch sonst (Snellgrove 1974, 248). Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse 391 Beschützerin des Landes Japan ” , also durchaus hier schon nationalistisch instrumentalisiert, 31 jedenfalls wurden die Büste und die ganze Anlage erst nach dem Krieg weiter geführt und 1960 fertiggestellt. Unterhalb der Statue ein gutes Stück hügelabwärts und auf einem besonderen Wege als die Statue zu erreichen ein Tempelgebäude, der Tempel erst nach der Statue angelegt, in seiner Nähe eine Flamme. Die Flamme wird, sagt eine Tafel, in Brand gehalten zur Erinnerung an die Toten des Atombombenangriffs auf Hiroshima. Inschrift, Erzählung, Ritual, das entspricht dem Tempel in Setagaya. Doch stehen Tempel und Kannon hier in nur mittelbarer Nachbarschaft, die Tafel, die auf das Kriegsereignis Ereignis hinweist, ebenso entfernt von ihr. Es gibt keine einheitliche semiotische Argumentstruktur wie im Tempel von Setagaya, Tafel und Flamme für Hiroshima unten und die Anlage mit der Kannon-Figur und der Gelegenheit zu Opfer und Verehrung oben je Argumente für sich. Tookyoowankannon “ Kannon der Bucht von Tokyo ” . Hell breitet sich vor dem Besucher, kommt er glücklich an einem sonnigen Tag, die Szene aus. Vom Zug, bevor er zur Station Sanukimachi gelangt, bereits einige Momente zu sehen, wird die Statue zunächst vom dichten Baumwuchs des Hügels zugedeckt. Ins flache Land der Halbinsel sind viele solcher knubbelförmigen Hügelchen gestreut, immer wieder mal einer plötzlich, ohne Übergang in die Ebene. jeweils voll dunkler, dicht gedrängter Vegetation wie sie vor über hundert Jahren wohl es ganz noch bedeckte. Vom Bahnhof etwa zweieinhalb Kilometer Fahrstraße in vielen Windungen hochsteigen, dann, urplötzlich, eine hohe weiße Figur. 56 Meter hoch auf einer Plattform auf einem Hügel an der Bucht von Tokyo - eine frei stehende, weiße Statue der Kannon. In ihren Händen eine Kugel, die der Erde wohl, die linke hält sie von unten, die rechte streicht über die Kugel, die Fingerkuppen leicht nach oben, der Daumen im halben rechten Winkel hoch. Gleich wie im Kannontempel in Setagaya steht auch hier: “ Für den Frieden der Welt ” , um die Figur herum auf steinernen Tafeln sogar mehrfach wiederholt, es läßt sich nicht oft genug sagen. Strahlend weiß. Eine kronenartige Haube, die wie die Statue von Oofuna vorne in sich noch einmal ein Buddhabild trägt, das Gesicht mit vollen Wangen, lang durchgezogener Nase, deren Konturen enden in dicken Brauen. Die Lider dick über schmalen, fast geschlossenen Augen; sie sehen nicht in dieWeite hinaus, nicht auf das, was unter ihnen liegt oder vor sich geht.. Der Mund schmal, volle Lippen, Lachfalten, doch kaum ein Lächeln. Das Gesicht hält sich in sich; wie die Augen kaum auf etwas zu achten scheinen, drückt Anteilnahme sich in ihm kaum aus. Über die Ohren Streifen, die auf die Schultern hängen, über den Armen breitere Stolen, die bis unter die Füße reichen und sich nach hinten strecken. Das Kleid schlicht, mitten hängt von hinter den die Kugel haltenden Händen eine Borte hinab. Auch an diesem Bild Weibliches, Frauliches nicht hervorgehoben. Die Figur ragt, ragt weit nach oben, wer unter ihr steht, muß den Blick hoch strecken. Die meisten Besucher kommen im Auto. Kein lauter Betrieb, kein Getümmel um Verkaufsbuden, wie sie in Japan zu Tempeln in Städten und bebauten Gebieten gehören. Ja doch, ema, die um Erfolg in diesem oder jenem bittenden Täfelchen, werden auch hier aufgehängt, auch omikuji, Papierchen, die bedruckt seit langem vorbereitet, dem, der sie zieht, ein Lebenslos zuschreiben. Doch alles im Vergleich mit derarigen Gelegenheiten in 31 Zur Baugeschichte auch Masumoto 1988: 133 - 174. 392 Götz Wienold (Tokyo) der Stadt begrenzt, herabgestimmt, ohne Trubel, jedenfalls an diesem Sonntag im März. Etwas für sich eine Anlage zur Versöhnung Totgeborener oder Abgetriebener (Mizukokuyoo). 32 Die Kannon der Bucht von Tokyo ist für die Hunderttausende der Zerstörung durch USamerikanische Luftangriffe hier hergestellt worden, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem pazifischen Krieg. Kannon nach dem Tod. Ein solcher wie jener soll nicht wieder sein. Auch der Krieg, der nach Sibirien führen sollte, hier noch einmal: Eine Gedenktafel, anders als die Militärs sich den Marsch dort hinein vorgestellt hatten, für die nach dem verlorenen Krieg in China nach Sibiren in Gefangenenlager geschickten japanischen Soldaten. Diese Tafel ist separat außerhalb derAnlage der Kannonstatue aufgestellt. Jemand hat sich ganz jung noch, mit Neunzehn, freiwillig gemeldet, wie immer das in jener Zeit “ freiwillig ” war, mitgegangen jedenfalls, mitgehangen. In Erdlöchern hätten sie gelebt, erzählt ein älterer Herr, Taxifahrer, der für den die Tafel Lesenden angehalten hat. Sein Großvater sei dabei gewesen, er weist auf den Namen, eben der Neunzehnjährige. Eine private, ganz gelegentliche Erzählung und doch eine Erzählung, die ganz zu diesem Ort gehört. Hier eine Kannon-Statue ganz ohne Tempelanlage. Die Tafel, die auf Kriegsereignisse hinweist, die Erzählung(en) separat, keine zusammenhängende Argumentstruktur. Der Tod, um den es geht, ist der des Bombardements der Riesenstadt Tokyo, in der Ferne sichtbar. Wieder gibt es keine zusammenfassende Argumentstruktur, die Beziehung zwischen Kannon und zu erinnerndem Tod eigentümlich unbezeichnet. Oomori, eine lebendige Außenstadt der Metropole. Eingezwängt, getrost darf man das sagen, ein kleines Geviert mit Mauerumbauung und Zaun. Eingezwängt das Geviert zwischen einem vielgeschossigen Parkhaus, einem Theaterbau und einer Bootsrennbahn. Eingezwängt im lärmigen Geschäftsrummel Tokyos, birgt es eine bronzene Kannon, auf einem menschenhohen, achtteilig geformten, steinernen Sockel, die Statue ebenfalls eher von der Größe eines Menschen. Auf dem Sockel das Zeichen “ a ” der von der indischen Devanagari-Schrift stammenden Siddhamschrift (siddha heißt etwa “ übernatürlich wirkungsvoll ” 33 ). So erscheint in manchen Darstellungen an der Stelle eines Buddha im geöffneten Lotus dieses Zeichen “ a ” . (Snellgrove 1974: 430 ff.; Mori 1988: 232). Rechts vorne ein Reinigungsbecken, links leicht vor der Statue über einer Urne wieder eine miniaturisierte Laube. Die Rundplastik einer stehenden, mit einem langen Gewand bekleideten menschlichen Figur steht wie die von Setagaya in einer aufgegangenen Lotusblüte. Fast weiblichmännlich-gleich scheint das Gesicht, die glatten vollen Wangen um einen schmalen, volllippigen Mund, Brauen in festem, hervorstehendem Strich über offenen, eher schmalen Augen. Auf nach hinten in Locken fallendem Haar sitzt eine Krone. Weiblich-männlich oder 32 Diese gehört vor allem zum Kult einer anderen Erscheinungform des Buddha in Japan, dem Jizoo, gelegentlich erscheint dieser aber auch assoziiert mit Kannon: Hardacre 1997: 28 f., 199, 232, 234. Bei den Kannon-Statuen in Oofuna und bei der Ryoozen-Kannon in Kyoto befinden sich gleichfalls Anlagen für das Ritual des Mizukokuyoo, im Kannon-Tempel von Setagaya eine Mizuko-Kannon. Sie gelten der Besänftigung, von abgetriebenen Föten, Fehl- und Totgeburten. Hardacre 1997 hat gezeigt, daß diese Rituale sich erst einige Zeit nach dem Pazifischen Krieg ausgebreitet haben. Die neue Kannon-Verehrung und das Mizukokuyoo sind eine Verbindung eingegangen. Das zu erörtern geht über die jetzige Studie hinaus. 33 Dem entspricht der japanische Begriff shuuji ‘ Keimzeichen ’ . Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse 393 männlich-weiblich gleich geprägt das Gesicht, doch unter einem schräg von rechts oben nach links unten bis fast an die Hüfte führenden Band Brüste. Der linke Arm am Ellenbogen nach oben geknickt, der Handteller offen zum betrachtenden Blick, Zeigefinger zu einem Ring geformt. Der rechte Arm bis leicht über der Kniegegend nach unten, hält eine Flasche aufrecht, sie scheint offen. Die Wasservase oder -flasche der Kannon, heißt es, enthalte den “ Tau des Mitleids ” (Reed 1992: 163; Pauly 2003: 78) Ein Stolenband um den linken Ellenbogen führt nach unten und wieder hoch zur rechten Hand. Um den Kopf ein Heiligenschein, wie ein Blatt sich breitend und zu einer Spitze zusammenführend. Separat außerhalb der Eingrenzung der Statue eine Tafel: Man bittet um Frieden nach dem bitteren bösen Krieg. Eine große Zahl weiterer nach dem großen Krieg errichteter Statuen der Kannon, ich nenne nur noch: in Chiran in Kyuushuu in einer Erinnerungsstätte für Kamikaze eine Heiwa-Kannon, das heißt Friedenskannon; beim Kaga-Onsen eine 73 m hohe, ein Kind in den Armen haltende bronzene Kannon (Hashizume 1998), in Kyoto eine 24 m hohe Ryoozenkannon, 1955 errichtet, um alle im Zweiten Weltkrieg umgekommenen Soldaten zu beruhigen (Kinoshita 1998: 12). Auf dem Gipfel des Sangane (Präfektur Aichi) wurde für die rund 500 000 bei den Kämpfen auf den Philippinen Getöteten eine Kannon errichtet, weiß, hoch, weit sichtbar. “ Dieser in der Mitte Japans gelegene Ort sei ausgewählt worden, weil er Blick auf die Mikawa-Bucht gewähre, die dem Lingayen-Golf in den Philippinen ähnele ” (Tanaka: 407). 34 Kannonstatuen wie die beschriebenen, vor allem weit über Menschengröße hohe, weithin sichtbare, weiße, man möchte fast denken: aus einem Programm entsprungene, jedenfalls in so vielen Punkten sich ähnelnde Figuren der Göttin der Barmherzigkeit immer wieder nach dem unheilvoll bösen Krieg, alle dem Gedanken “ Frieden in der Welt ” gewidmet, alle der Toten gedenkend, und - ein wichtiger Unterschied zu Kriegerdenkmälern in Europa und Amerika - die Toten über den gewaltsamen Tod tröstend, sie zu besänftigen, in Frieden zu stimmen wünschend (s. auch Schölz 2016; Krebs 2017). Erst nach dem Tod endlich Barmherzigkeit. Sie haben nicht die Zeit gehabt, um ihr Werk in diesem Leben zu beenden, buddhistisch gedacht, sich aus dem Rad der Wiedergeburt zu lösen. Nach dem Tod Barmherzigkeit heißt also für den, der die buddhistische Lehre von Karma und Wiedergeburt akzeptiert, aus denen man sich zu lösen wünscht und zur Lösung aus denen den Buddha um Hilfe bittet, raise: das Leben nach der nächsten Wiedergeburt (rai ‘ künftig ’ ), die nächste diesseitige Welt (se), aus der den Gläubigen dann endgültig zu befreien man vom Buddha, von der barmherzigen Kannon erhofft. In diesem Licht gewinnen die nur mittelbare Nachbarschaft, die Separierung von Kannon und Tempel, ja die Abwesenheit eines Tempels überhaupt, die weitere Separierung von Kannon und Erzählung, das Nichtbeteiligtsein im Gesichtsausdruck der Kannon, Mitleid nicht im Ausdruck, sondern nur im Symbol der Wasserflasche in Oomori, einen besonderen Sinn. Buddha als Kannon die Klagen der Welt vernehmend ist nicht beteiligt am erzählten, erinnerten, von den Besuchern mitgetragenen Leid, er gehört zur Welt jenseits der, in der man leidet und klagt. Buddha ist nur als Versprechen anwesend: Die durch verfrühten, 34 Auf der anderen Seite des Gipfels ein Grabmal für die sieben Hingerichteten von insgesamt 25 zum Tod Verurteilten des Kriegsverbrecherprozesses von Tokyo 1948 (Tanaka 1999: 407). 394 Götz Wienold (Tokyo) plötzlichen, gewaltsamen Tod nicht dazu kamen, ihr Karma aufzulösen, dürfen hoffen, in einem weiteren ihr Karma zu beenden. Dafür gibt es, eine radikale Lösung dessen, was Roman Jakobson die grundlegende Antinomie alles Zeichenhaften genannt hat ( Jakobson 1975), kein Zeichen. Literatur Adelstein, Jake 2016: “ The drug problem that keeps getting older ” , in: Japan Times on Sunday 3. 4. 2016: 3 Baumer, Christoph 2014: The History of Central Asia, vol. 2: The Age of the Silk Roads, London: Tauris Buck, Christopher 1999: Paradise and Paradigm. Key Symbols in Persian Christianity and the Baha ’ i Faith, Albany: State University of New York Press Fowler, Sherry D. 2016: Accounts and Images of Six Kannon in Japan, Honolulu: University of Hawai ’ i Press Franko, Mark (ed.) 2007: Ritual and Event. Interdisciplinary Studies, London und New York; Routledge Glantz, David M. 2003 a: The Soviet Strategic Offensive in Manchuria, 1945. ‘ August Storm ’ , London and Portland, Or.: Frank Cass Glantz, David M. 2003 b: Soviet Operational and Tactical Combat in Manchuria, 1945. ‘ August Storm ’ , London and Portland, Or.: Frank Cass Graves, Michael 1983 “ Ritual Themes in Architecture ” in: The Princeton Journal. Thematic Studies in Architecture 1 (1983) (Ritual): 51 - 56 Hardacre, Helen 1989: Shint ō and the State, 1868 - 1988, Princeton: Princeton University Press Hardacre, Helen 1997: Marketing the Menacing Fetus in Japan, Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press Hashizume, Shinya, “ Hitokata no kenchiku ” [Architektur in Menschengestalt], in: Yamauchi 1998: 15 - 29 Hattori, Syohgo 1996: “ Kamikaze, Japan ’ s Glorious Failure ” , in: Air Force History. Journal of the Air Force Historical Foundation AFHF, 43. 1 (1996), 14 - 27 Havens, Norman & Inoue, Nobutaka 2004: An Encyclopedia of Shinto (Shinto Jiten), 2: Jinja [Schreine], Tokyo: Institute for Japanese Culture and Classic, Kokugakuin University Ienaga, Saburoo 1978 The Pacific War. A Critical Perspective on Japan ’ s Role in World War II, New York: Pantheon Ishida, Yuji 1999: “ Der ” totale ” Krieg und die Verbrechen des japanischen Militärs 1931 - 1945 ” , in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47. 5 (1999), 430 - 445 Jakobson, Roman 1975: “ The Statue in Pu š kin ’ s Poetic Mythology ” , in: id., Pu š kin and His Sculptural Myth, ed. John Burbank, The Hague and Paris: Mouton: 1 - 44 Kawano, Satsuki 2005: Ritual Practice in Modern Japan. Ordering, Place, People and Action, Honolulu: University of Hawai ’ i Press Keown, Damien 1996: Buddhism. A Very Short Introduction, Oxford: Oxford University Press Kinoshita, Naoyuki 1998: “ Oofunakannonsanchushutsugenki ” [Bericht über die Entstehung der Kannon (auf dem Tempelberg von Oofuna)], in: Yamauchi 1998: 4 - 14 Klimkeit, Hans-Joachim 2000: “ Die Heilsgestalten des Buddhismus ” , in: Heinz Bechert u. a., Der Buddhismus I. Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen, Stuttgart Kohlhammer: 215 - 279 Kyotokokuritsuhakubutsukan [Staatliches Museum Kyoto] 1981: Fudoomyoooo Gazoo [Ikonographie des Fudoomyoooo], Kyoto: Doohosha Krebs, Gerhard 2017: Rez. Schölz 2016, in: OAG Nachrichten 2 (2017): 39 - 55 Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse 395 Krochmalnik, Daniel 1998: “ Das Zeremoniell als Zeichensprache. Moses Mendelssohns Apologie des Judentums im Rahmen der aufklärerischen Semiotik ” , in: Josef Simon & Werner Stegmair (eds.), Zeichen und Interpretation IV. Fremde Vernunft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp: 238 - 285 Krochmalnik, Daniel 1999: “ Zeichen der Kunst - der Moral - Zeichen der Religion. Religionsästhetik in der Aufklärung ” , in: Josef Simon & Wener Stegmair (eds.), Zeichen - Interpretation V. Zeichen - Kunst, Frankfurt a. M.: Suhrkamp: 68 - 111 Lamont-Brown, Raymond 1999: Kamikaze. Japan ’ s Suicide Samurai, London: Cassell [1997] Masumoto, Kinen 1988 : Oofuna Monogatari [Erzählung von Oofuna], Tokyo: Seiunsha McDowell, John H. 1982: “ The Semiotic Constitution of Kamsá Ritual Language ” , in: Language in Society 12 (1982): 23 - 46 Michaels, Axel (ed.) 2010: Grammars and Morphologies of Ritual Practices in Asia, Wiesbaden: Harrassowitz Mori, Shooji 1988: Hikokutechoo. mikata to gihoo [Handbuch der Inschriften. Betrachtungsweise und Technik], Tokyo: Mokujisha Neville, Tove E. 1998: Eleven-Headed Avalokite ś vara. Chenresigs, Kuan-yin or Kannon Bodhisattva. Its Origin and Iconography, New Delhi: Munshiram Manoharlal Ohnuki-Tierny, Emiko 2002: Kamikaze, Cherry Blossoms, and Nationalism. The Militarization of Aesthetics in Japanese History, Chicago and London: Chicago University Press Ohnuki-Tierney, Emiko 2006: Kamikaze Diaries. Reflections of Japanese Student Soldiers, Chicago: Chicago University Press Pauly, Ulrich 2003: Kannon. Wandel einer Mittlergestalt, München: iudicium Pike, Francis 2015: Hirohito ’ s War. The Pacific War, London etc.: Bloomsbury Pinguet, Maurice 1991: Der Freitod in Japan. Ein Kulturvergleich, Berlin: Matthias Gaza Reed, Babara E. 1992: “ The Gender Symbolism of Kuan-Yin Bodhisattva ” , in: José Ignacio Cabezón (ed.) Buddhism, Sexuality and Gender, Albany: State University of New York Press: 159 - 180 Scherer, Klaus 2001: Kamikaze. Todesbefehl für Japans Jugend. Überlebende berichten. München: iudicium Schölz, Tino 2016: “ Die Gefallenen besänftigen und ihre Taten rühmen ” . Gefallenenkult und politische Verfasstheit in Japan seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin: de Gruyter Snellgrove, David L. (ed.) 1974: The Image of the Buddha, Tokyo: Kodansha & Paris: Unesco Swinson, Arthur 2016: Kohima. The Story of the Greatest Battle Ever Fought, New Delhi: Speaking Tiger Tanaka, Hiroshi 1999: “ Japans Nachkriegsverantwortung und Asien: Nachkriegsentschädigungen und Geschichtsauffassung ” , in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47.5 (1999): 389 - 412 Tani, Minezoo 1992: Nihonretaringushi [Geschichte der Schriftgestaltung in Japan], Tokyo: Iwasaki Bijutsusha Tsurumi, Kazuko 1970: Social Change and the Individual. Japan Before and After World War II, Princeton, N. J.: Princeton University Press Turner, Victor 1982: From Ritual to Theatre. The Human Seriousness of Play, New York: Performing Arts Journal Publications Walther, Elisabeth 2 1979: Allgemeine Zeichenlehre. Einführung in die Grundlagen der Semiotik, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt ( 1 1974), Wienold, Götz 1995: Inschrift und Ornament oder Die Entfärbung der Objekte. Englische Inschriften in der japanischen Kultur der Gegenwart, Tübingen: Stauffenburg Wienold, Götz 1996: “ Typen der Sprachverwendung (mit einer Perspektive auf die Entwicklung von Sprache und Literatur) ” , in: Walter A. Koch (ed.) Mechanismen kultureller Entwicklung. Skizzen zur Evolution von Sprache und Kultur, Bochum: Brockmeyer: 59 - 107 396 Götz Wienold (Tokyo) Wienold, Götz 2001: “ Deutschland, deine Reiterdenkmäler ” , in: Thomas Noetzel & Andrea Gourd (eds.), Zukunft der Demokratie in Deutschland. Hans Karl Rupp zum 60. Geburtstag, Leverkusen: Leske & Budrich: 47 - 66 Wienold, Götz 2015: Stille und Bewegung. Semiotische Studien aus Japan, Löhne: Cass Yamauchi, Naoki (ed.) 1998: Nutto atta mono to, nutto aru mono [Was plötzlich da war und was plötzlich da ist], Tokyo: Poora Bunkakenkyuujoo Yü, Chün-fang 1994: “ Guanyin: The Chinese Transformation of Avalokiteshvara ” , in: Marsha Weidner (ed.) Latter Day of the Law. Images of Chinese Buddhism 850 - 1850, Lawrence, Kansas: Spencer Museum of Art and University of Kansas: 151 - 181 Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg: Eine semiotische Analyse 397 K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Review Article Rezeption und/ oder Wirkung fiktionaler Medieninhalte Fragende Bemerkungen zu einem neuen Buch Hans J. Wulff Czichon, Miriam, Carsten Wünsch & Marco Dohle (eds.) 2016: Rezeption und Wirkung fiktionaler Medieninhalte (= Jahrestagung der Fachgruppe Rezeptions- und Wirkungsforschung in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2015 in Bamberg, Rezeptionsforschung 35), Baden-Baden: Nomos, 243 pp., ISBN: 978-3-8452-6295-6, 44,00 € . Inhalt: Miriam Czichon, Daniela Schlütz: Die fiktionale TV-Serie als kommunikationswissenschaftlicher Forschungsgegenstand. Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven (13 - 37). - Monika Suckfüll: Nähe durch Distanz. Filmische Mittel der Distanzierung und ihre Funktion im Rezeptionsprozess (39 - 62). - Nicole Neben, Holger Schramm: Parasoziale Interaktionen und Beziehungen mit fiktionalen Medienfiguren - aktuelle Forschung und Desiderate (65 - 77). - Matthias Hofer: Der Einfluss von Faktualität und Fiktionalität auf eudaimonisches Unterhaltungserleben - die mediierende Rolle wahrgenommener Realität (79 - 95). - Matthias Hofer, Andreas Hüsser, Patricia Brandao: “ Schweigen ist Gold ” . Zum Einfluss von Avataremotionen auf das Emotionserleben bei Computerspielen - Identifikation als Mediator (97 - 111). - Cordula Nitsch, Carsten Wünsch: Fiktionale Videomalaise? Ein Prolonged-Exposure-Experiment zur Wirkung von fiktionalen Politikdarstellungen auf die Politikverdrossenheit der Rezipienten (115 - 133). - Carsten Wünsch, Miriam Czichon: Fiktion oder Realität: Agenda-Setting und Medien-Priming durch fiktionale Medieninhalte? (135 - 151). - Patrick Weber: Narrative Kohärenz und persuasiveWirkungen fiktionaler Medieninhalte: Die Bedeutung von Transportation und Toleranzprozessen (153 - 170). - Manna Gölz, Julia Niemann, Michael Schenk: An den Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation. Eine Studie zu den Kultivierungseffekten von Scripted Reality unter Berücksichtigung der Wahrnehmung des Inszenierungscharakters (173 - 194). - Hannah Ziegler, Olaf Jandura, Marco Dohle: Der wahrgenommene Realitätsgrad von Scripted-Reality-Sendungen - eine Befragung unter Jugendlichen verschiedener Bildungsstufen (195 - 210). - Katharina Ratzmann, Maxime Steuer, Patrick Rössler; Mira Schielke, Maximilian Hofer; Katharina Badenhausen, Jana Koltzau: Politikerstatt Politikverdrossenheit? Wie die Nutzung der heute-show die politischen Einstellungen von jungen Erwachsenen beeinflussen kann (211 - 237). Ob Texte (welchen Mediums auch immer) Bedeutungen tragen wie dieWörter einer Sprache oder ob sie ihnen erst in der Rezeption zugewiesen werden, ist eine Diskussion, die jede Art von Beschäftigung mit den kommunikativen Qualitäten von Texten - und insbesondere von fiktionalen Texten - geführt werden muss. Die Auffassungen sind weit gespannt, allgemein akzeptierte Modelle kaum in Sicht. (1) Manchmal wird von einer festen, allerdings komplexen Relation von Text und Bedeutung ausgegangen, eine an exegetischen Umgang mit Texten gemahnende Unterstellung, die einen Determinismus der Beziehung des Textes zum Rezipienten behauptet und davon ausgeht, dass alle Auslegungstätigkeiten in der Rezeption vom Text gesteuert sind, dass also die Spielräume der Bedeutungszuweisungen äußerst begrenzt sind. Einzuwenden ist allerdings, dass schon in einer vor-empirischen Zuwendung zu Textverarbeitungen klar sein dürfte, dass Texte längst nicht eindeutig, sondern polysem sind und dass Rezipienten unterschiedlich mit ihnen umgehen; sie erweisen sich eher als Bedeutungsangebote denn als Festlegungen von dem, was ihnen an semantischen Konstrukten zugeordnet werden soll (oder kann). (2) Eine zweite, meist dem Kognitivismus zugeordnete Position nimmt die Relation zwischen den beiden Hauptrelata Text und Rezipient als eine auf Schemawissen fundierte Interaktion an, in der der Leser/ Hörer/ Zuschauer nicht frei ist, sondern dass er durch die textuellen Vorgaben gebunden ist, die auch die Freiräume der Interpretation definieren, in denen Subjektives sich manifestieren kann; Schemata gehören zum Fundus des kollektiven Wissens, sind eine eigene Bindung des Rezipienten in das kulturelle Feld, dem er zugehört. Schemata wirken auf alle Ebenen des Textes ein, von den Konventionen der filmischen Darstellung über die formulae der Erzählung bis zu den ideologischen, moralischen und praktischen Implikaturen der Texte. (3) Vor allem in den Cultural Studies ist viel über die Freiheit des Rezipienten spekuliert worden, die Bedeutungen auszugestalten, weil (zumindest in den extremsten Formulierungen) die Texte selbst keine Bedeutungen trügen oder zumindest unterdeterminiert seien. Gleichgültig, welcher Annahme man zuneigt, muss bedacht werden, dass Bedeutungen weder den Texten fest zugeordnet noch beliebig sind. Ganz im Gegenteil: Offenbar wird der Rezipient äußerst genau vom Text gesteuert, kognitiv und emotional. Man könnte diese Diskussion in mehrere Forschungsprojekte einmünden lassen - ein erstes, das nach den Strukturen der Texte fragt und nach den Steuerungs- und Kontroll-Leistungen, die sie erbringen, ein zweites, das nach den Eingriffen und Modifikationen fragt, die Leser, Hörer oder Zuschauer am Text vornehmen, ein drittes, das zu verstehen sucht, wie Texte auf Adressaten einwirken, ihn ändern, ihn lernen lassen, ihn in lebensgeschichtlichen Dingen absichern etc. Seit den ersten massiven Entwürfen einer Rezeptionsästhetik in den 1970er Jahren ist die Diskussion über die Frage nach der Text-Rezipient-Beziehung bzw. nach der Bedeutungsstabilität von Texten nie abgebrochen, die sich noch weiter kompliziert, wenn man versucht, eine historisierende Perspektive einzunehmen und in den historisch variierenden “ Konkretisationen ” (ein Ausdruck Roman Ingardens) nach der im Text angelegten Rezipientenrolle zu fragen versucht. Während die Frage nach den bedeutungstragenden (narrativen und dramatischen) Strukturen und den im Text angelegten Konzeptionen des Adressaten bzw. sogar dem Verstehen von künstlerischen Texten für viele geisteswissenschaftliche und semiotische Rezeption und/ oder Wirkung fiktionaler Medieninhalte 399 Ansätze der Medienanalyse lange Traditionen hat, in der phänomenologischen Literaturtheorie bis mindestens in die 1920er Jahre zurückreicht, spielen fiktionale Inhalte in der kommunikationswissenschaftlichen Untersuchung der Medienrealität aber seit wenigen Jahrzehnten eine nur untergeordnete Rolle, obwohl die Unterscheidung fiktional/ faktual eine fundamentale Qualität ist, die Texte hinsichtlich Realitätshaltigkeit, Wahrheit, Glaubwürdigkeit, Aufrichtigkeit des Kommunizierenden, praktischer Relevanz und anderer kommunikationsethischer Attributionen voneinander unterscheiden. Diese tiefere kommunikationstheoretische und semiotische Qualität der Unterscheidungen wird in den einschlägigen Untersuchungen aber kaum je berührt. 1 Zwar war der Einfluss von Texten aller Art auf Einstellungen und Meinungen von Rezipienten immer ein Gegenstand auch kommunikationswissenschaftlicher Forschungen. Die Untersuchung von Kontexten - die Rolle von Meinungsführern etwa oder die Frage nach (kollektiven oder individuellen) Gratifikationen - wurde in Theorien und detaillierten Untersuchungen reflektiert und modelliert, doch war in diesem Rahmen die Fiktionalitätskategorie bzw. die Non- oder Pseudorealität der dargestellten Welt in der Untersuchung fingierter Dramen und Geschichten kaum zu erfassen. Inhaltsanalysen bleiben mit Blick auf die Rezeption bis heute meist oberflächlich, weil sie auf eine referentielle und wesenhafte Beziehung zwischen Inhalts- und Wissenseinheiten gründen müssen, die die Operationalität der Medienaneignung wie auch die Instabilität von Bedeutungen aber nicht greifen können. Wirkungsforschung ist angewiesen auf die Spuren, die Medieninhalte auf das Verhalten von Rezipienten haben, was in Meinungsumfragen und Beurteilungsszenarien noch gut zu operationalisieren ist, in manchen Fragen aber ratlos bleiben muss. Die Frage etwa, welche längerfristige “ Wirkungen ” die Besichtigung einer DSDS-Show haben soll, könnte man höchstens als ironischen Einwurf oder als Karikatur der Wirkungsforschung abtun. Auch die vor allem in der Werbewirkungsforschung lange Tradition der Erhebung physiologischer Daten, die während der Rezeption spezifischer Texte erhoben werden können, zeigen zwar, in welcher Vielfalt der Rezipient körperlich auf das Angebot reagiert, doch haben sie kaum explanative Qualität erreicht, die Inhalt, Gestaltung, Thema, subjektive Disposition, Rezeptionssituation etc. sinnvoll miteinander verbinden könnten. Der vorliegende Sammelband stößt unmittelbar in diese so komplexe Forschungsproblematik hinein. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die rezeptionsästhetischen Forschungen scharf von den kommunikationswissenschaftlichen. Die ersteren formulieren Thesen über die “ Rolle des Rezipienten ” , die in der Struktur der Texte angelegt oder sogar definiert ist. Und sie fordern, die Verbindungen von Inhalten und den jeweils besonderen (historisch und soziologisch besonderen) Wissenshorizonten von Lesern, Zuschauern und auch Spielern darzustellen. Letztere dagegen konzipieren Modelle des Rezipienten, seiner Disposition, der Strategien und Ziele der Informationsverarbeitung, aber auch von Leitprinzipien wie “ (passive) Kontrolle ” , Schutzmechanismen des Rezipienten wie “ Distanzierung ” und anderes mehr. 1 Dagegen wird das Problem der ontologischen Differenz der beiden Referenzmodi in der Filmtheorie seit vielen Jahrzehnten diskutiert. Cf. dazu den Überblick in Vinzenz Hediger 2009: “ Vom Überhandnehmen der Fiktion. Über die ontologische Unterbestimmtheit filmischer Darstellung ” , in: Gertrud Koch & Christiane Voss (eds.) 2009: “ Es ist, als ob ” . Fiktionalität in Philosophie, Film- und Medienwissenschaft, München: Fink, 163 - 184. 400 Hans J. Wulff Textrezeption ist ein vielschichtiges Geschehen, das nur in Modellen erfasst werden kann, das diverse Bezugsgrößen zu Relationen und Relationsbündeln verbindet. Zwar bleibt das Gegenüber von Text und Rezipient fundamentale Ausgangsbasis, doch stehen beide in vielfältigen symbolischen, sozialen, historischen und anderen Bezügen, die allesamt Einfluss auf den Prozess ausüben, in dem der Text wahrgenommen und mit Bedeutung versehen wird. Nur selten wird mit Modellen gearbeitet, die Realweltwissen von Rezipienten, das Wissen um narrative, dramatische und stilistische Konventionen (das von Peter Ohler sogenannte “ Filmizitätswissen ” ), das Verfügbarmachen von Wissens- und Einstellungsgrößen des Rezipienten in Verbindung miteinander bringen (vgl. etwa S. 140), denen man gern noch das “ Genrewissen ” zugesellen möchte - doch auf genaue Verifizierung dieser Tätigkeiten der Wissenaktivierung in Auseinandersetzung mit dem jeweils konkreten Film wird in aller Regel keine Rücksicht genommen. Eigene Aufmerksamkeit verdient der Artikel von Manna Gölz, Julia Niemann, Michael Schenk ( “ An den Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation ” , S. 173 - 194), der am Beispiel von Sendungen des Typus “ Scripted Reality ” der Fähigkeit einer sehr großen Gruppe von Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 20 Jahren nachspürt, die Fiktionalität und Inszeniertheit der Beispielsendungen zu erkennen, mit dem für eine Diskussion der pädagogisch oft geforderten “ Medienkompetenz ” erschreckenden Ergebnis, dass ein erstaunlicher Teil der Vpn den Geschichten dokumentarische Authentizität zubilligte (bis zu fast 25 %). Doch auch diese Untersuchung stimuliert Nachfragen, gleich zweierlei Art: In einer umfangreichen Inhaltsanalyse wurden auch die Figuren der Handlung hinsichtlich ihrer physischen Attraktivität beurteilt, eine Größe, die sich (offenbar primär bei Vielsehern) allerdings nur in der subjektiven Einschätzung der Verbreitung von Tattoos niederschlägt - ein Befund, dessen Bedeutung für das Verstehen von Texten in Frage gestellt werden muss, deutet er doch in ein Feld von Weltwissen hinüber, das nur locker mit der Fiktionalität (bzw. Faktualität) der Darstellung verbunden ist. Der zweite Artikel zur Scripted-Reality von Hannah Ziegler, Olaf Jandura, Marco Dohle bestätigt die berichteten Zahlen, zeigt allerdings auch, dass der Anteil derjenigen, die die Sendungen für “ dokumentarisch ” hielten, unter Haupt- und Mittelschülern höher war als unter Gymnasiasten. Man möchte die Untersuchung von Gölz, Niemann und Schenk weiterdenken und danach fragen, ob die dramaturgisch für Narration so wichtige Kategorie des “ Konflikts ” und die damit zusammenhängende Verteilung prosozialer und aggressiver Verhaltensweisen nicht von viel größerer Relevanz ist als die Beurteilung des Fiktionalitätsmaßes des Sendungen oder der Figuren selbst, die gewissermaßen aus dem Sinnkontext des Spiels oder des Dramas herausgebrochen werden (vgl. S. 181 f ). Derartige Handlungsdevisen und -qualitäten spielen in den Episoden des Genres eine wichtige Rolle, machen wohl erst den dramatischen Kern der Erzählung aus - und deshalb auch könnte könnte eine Vorstellung von “ Konflikt ” (bzw. “ Konfliktbearbeitung ” ) auf einem viel höheren Niveau von Abstraktion und Generalisierung gelernt werden und im Modus des “ Modell-Lernens ” sogar Kultivierungseffekte haben. Der vorliegende Text von Gölz et al. diskutiert das Problem nicht. Eine zweite Frage richtet sich auf die Differenz von Scripted-Reality- und Dokumentations-Sendungen des Fernsehens, weil die Frage, in welchem Umfang tatsächliche TV- Dokumentationen auf genau die gleichen Strategien der “ Dramatisierung, Intimisierung Rezeption und/ oder Wirkung fiktionaler Medieninhalte 401 und Emotionalisierung ” (S. 195 f) wie die Doku-Soaps zurückgreifen, so dass man das Verfahren spielerisch umdrehen könnte und genau die tatsächlichen, nicht-skriptifizierten Dokumentationen als Produkte der Skriptifizierung ausgeben und ihrerseits beurteilen lassen könnte. Die Befunde lassen sich womöglich zu einer neuen Frage kondensieren: Lässt sich drehbuchgeleitete Serienproduktion (scripting) tatsächlich an textuellen Merkmalen festmachen oder stehen skriptifizierte und dokumentarische Formen des TV-Erzählens in einem Kontinuum und unterscheiden sich gar nicht wesenhaft, sondern auf Grund von Rahmenwissen? Dann wäre die Feststellung von “ Skriptifizierung ” eine Qualität der Texte, die eher auf der Evaluation einer skriptifizierten Dokumentation an der vorgeblich dokumentierten Realität beruht als auf der Erkenntnis der Dramatisiertheit und Fingiertheit des Dargestellten außerhalb der Relationierung der Dokumentation an Realität und Wissen über dieselbe. In eine ähnliche Richtung argumentiert Ursula Ganz-Blaettler (2004) 2 : Wenn man Fernsehen insgesamt als eine performing art auffasst, dann ist es insbesondere für geskriptete Beiträge zum Reality-TV nötig, nicht nur die Szenen vorzuplanen, sondern darüber hinaus die Rollen der Handelnden zu besetzen und das Schauspiel der Akteure anzuleiten (und zu kontrollieren). Ohne Kenntnis der Produktionsprozesse ist das schließliche Ergebnis - die Montage und Rhythmisierung des Materials treten noch hinzu, überlagern das Vorfilmische zusätzlich - vom Laien kaum noch von einem nichtgeskripteten Beitrag zu unterscheiden (es sei denn, die erzählte Geschichte hält der Realitätsprüfung anhand des Weltwissens der Rezipienten nicht stand). Außerdem tritt möglicherweise die hypothetische Rekonstruktion der Intention der Textproduzenten hinzu, die in einen Eindruck von “ Faktualität ” oder “ Fiktionalität des Textes einmündet ” . Und eine Vermutung über eine verborgene hermeneutische Befangenheit sei ebenfalls benannt - sind Untersuchungen über die Fähigkeit von (noch dazu jugendlichen) Probanden, die Fingiertheit einer Darstellung zu erkennen, vor allem für diejenigen von Bedeutung, die die Befunde in Verbindung mit “ Medienkompetenz ” (also der Fähigkeit, ein distanziertes Verhältnis zum Dargestellten einzunehmen), interpretieren wollen, es also in eine medienpädagogische und bildungspolitische Dimension einrücken wollen. Auch die Frage, ob die Probanden den Machern in der Rezeption ein intentionales Moment unterstellen (dass also die Skriptifizierung als Strategie der Propaganda, der “ lehrhaften Vereindeutigung ” , der Satitirisierung usw. erkennbar wird), muss gestellt werden, weil die Beurteilung der Fiktionalität von Texten dann in ganz unterschiedliche Horizonte sinnunterlegter Textkommunikation eingerückt würde. Die Kontexte, in denen sich Forschungen wie die im vorliegenden Band berichteten erschließen, sind zum größeren Teil medienpädagogischer Art, betreffen den Einfluss von Medien und besonderen Textformaten für das Entstehen oder die Beförderung von Politikverdrossenheit, die Rolle von Medien in einem verborgenen Lerncurriculum sozialer Verhaltensweisen, ganz praktisch auch der Medienaufsicht etc. Wenn es dabei zu Kurzschlüssen kommt, die irritieren, stehen diese wiederum wohl öfters in Zusammenhang mit den Adressaten oder Auftraggebern der Studien. Wenn im letzten Beitrag des Bandes von 2 Ursula Ganz-Blaettler 2004: “ Scripted and Staged Media Realities ” , in: Studies in Communication Sciences 4.1 (2004): 111 - 128. 402 Hans J. Wulff Katharina Ratzmann u. a. (S. 211 - 237) mögliche Wirkungen von Satiresendungen nachgegangen wird, erhebt sich nicht nur die Frage, ob es und unter welchen Bedingungen es möglich ist, die Heute-Show (ZDF) mit einem “ traditionellen Nachrichtenformat ” (S. 213) zu verwechseln, oder ob die Satire-Markierung so deutlich ist, dass die Nutzung des TV- Formats “ Nachrichten ” ebenso erkennbar ist wie der Meta-Status der einzelnen “ Berichte ” einschließlich der pointierten Schrägstellung von Moderation und Inhalt - wobei von der Präsenz und Aktivität des Live-Publikums noch ganz abgesehen ist (die in der Untersuchung überhaupt nicht bedacht wird, obwohl Live-Publika ein klarer Indikator für Nicht- Nachrichten-Formate sind). Und wenn sich am Ende des Artikels gar die Frage danach stellt, ob Satire Einstellungsänderungen produziert, fragt man sich auch, wie man sich in diesem Kontext mit der Kunstform “ Satire ” beschäftigen soll. Der Band enthält mehrere literaturberichtsartige Überblicksdarstellungen (zur Rezeption von TV-Serien [13 - 37], zur parasozialen Interaktion/ Beziehung [65 - 77]), die sich aber auf reinen Bericht beschränken. Die anderen Beiträge sind empirische Studien zu Detailproblemen. Als Bezugstheorien werden immer wieder die Kultivierungsthese, die Agenda- Setting-Forschung und der Uses-and-Gratifications-Approach als modellhafte Vorstellungen funktionaler Rezeptions- oder Wirkungstheorien genannt; Überlegungen aus anderen Bezugswissenschaften (wie etwa die dem Kognitivismus verpflichteten Studien von Murray Smith oder Carl Plantinga) werden nicht einbezogen, selbst verwandte medienpsychologische Ansätze (wie etwa die emotionspsychologischen Arbeiten Ed Tans oder die der Erfassung der für Fiktionalitätsrezeption so wichtigen Kategorie der suspension of disbelief von Saskia Böcking) spielen keine Rolle. Gerade letztere ist für die Kernthematik des vorliegenden Bandes von größtem Interesse, geht es doch um die so unklare und seit vielen Jahren immer mehr verschwimmende Grenze zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Formen des Films von größtem Interesse. Das Phänomen der suspension of disbelief (deutsch etwa: “ Aussetzung des Unglaubens ” ) benennt eine prärezeptive Einstellung des Rezipienten, den zu rezipierenden Text als “ Fiktion ” aufzufassen und ihn deshalb einer “ dichten Synthese ” zu unterwerfen. Die Annahme durchzieht alle Phasen der Rezeption, äußert sich etwa als Bereitschaft, Modalitätswechsel (wie etwa vom realistischen zum phantastischen Erzählen) zu ertragen und in die rezeptive Arbeit zu integrieren. Böcking (2008) hat versucht, das Konzept für empirische Arbeiten zu erschließen und macht die eigentlich metarezeptive Einstellung durch die Annahme operationalisierbar, dass sie “ Wirklichkeitsnähe ” und “ Konsistenz ” des narrativen Textes als eine - bei ihr nicht weiter diskutierte - die Rezeption begleitende Evaluationsebene der Rezeption ansetzt. 3 Treten nun Verletzungen der beiden Evaluationskriterien auf, werden diese entweder übersehen oder für nicht relevant gesetzt ( “ tolerante Rezeption ” ) oder aber als Störungen der vorausgesetzten Bereitschaft, den suspension of disbelief als Rezeptionsmodalität beizubehalten, interpretiert und münden dann in eine kritische, möglicherweise 3 Cf. zu diesem Modell vor allem Saskia Böcking 2008: Grenzen der Fiktion? Von Suspension of Disbelief zu einer Toleranztheorie für die Filmrezeption (= Unterhaltungsforschung 5), Köln: von Halem, sowie die Studie von id., Werner Wirth & Christina Risch 2005: “ Suspension of Disbelief. Historie und Konzeptualisierung für die Kommunikationswissenschaft ” , in: Volker Gehrau (ed.) 2005: Rezeptionsstrategien und Rezeptionsmodalitäten (= Rezeptionsforschung 7), München: Reinhard Fischer, 39 - 58. Rezeption und/ oder Wirkung fiktionaler Medieninhalte 403 den Text (bzw. die vom Text behauptete Realität der Erzählung) sogar ablehnendnegierende Haltung ein. In die Wahrnehmung des Fiktionalitätsstatus des Textes gehen Weltwissen wie auch Genrewissen ein, zudem ein formales Wissen über dramaturgische Konventionen des Erzählens - entsprechend werden bei Böcking “ externer Realismus ” (gemessen am Referenzrahmen der “ realen Welt ” ) und “ fiktive Welt ” (als “ interner Realismus ” bezeichnet) voneinander unterschieden. Neben der Unterdrückung von Inkonsistenzen ( “ affirmative Rezeption ” ) kann es aber zur Bewusstwerdung von Inkonsistenzen kommen (und evtl. folgendem Akzeptieren derselben - als “ kritische Rezeption ” ) oder zum Ausstieg aus den die Informationen des Textes akzeptierenden Prozessen der Sinnsynthese kommen (als Erscheing des disbelief ). Eingangs der Rezension war vom Gegenüber der text- und der kommunikationswissenschaftlichen Zugänge zur Rezeption insbesondere fiktionaler Medieninhalte die Rede. Eine Kenntnisnahme der Verfahren und Modelle der jeweils anderen Zugänge findet kaum statt, und obwohl es unmittelbar einleuchtet, wie produktiv ein Dialog beider wäre, ist dieser unterentwickelt und erschöpft sich in dazu oft noch schiefen Übernahmen von Terminologien. Gelegentlich werden Differenzierungen schlicht ignoriert (und schon gar nicht diskutiert); ob etwa parasoziale Beziehungen zu einem Schauspieler, einer textspezifischen fiktiven Figur, einer mehrere Texte übergreifenden Figur oder zu einem allgemeineren Rollenfach, in dem der gleiche Schauspieler immer wieder eingesetzt wird, bestehen, wird zugunsten des Gegenübers von “ Schauspieler ” und “ fiktionale Medienfigur ” schlicht eingeebnet (S. 67). Wenige Beiträge tragen der Instabilität der Textbedeutung Rechnung. Patrick Weber geht den Phänomenen “ narrativer Inkohärenz ” und (textsemantischer) “ Störung ” nach und arbeitet mit der Metapher einer “ toleranten Verarbeitung ” (S. 154). Gemeint ist damit die Annahme, dass Verletzungen der Wirklichkeitsnähe oder der verfälschenden Darstellung von Realgeschehnissen in fiktionalen Texten weniger Einwirkungen auf Einstellungen von Rezipienten hätten als in realistischen. Wie Rezipienten mit modalen Brüchen und anderen tieferen Inkonsistenzen von Texten umgehen, bleibt auch in diesem Modell natürlich unbeschreibbar. Matthias Hofer stellt in seinem Beitrag “ Der Einfluss von Faktualität und Fiktionalität auf eudaimonische Unterhaltungserleben ” (S. 79 - 95) das antike Prinzip der Eudaimonie als Funktionshorizont von Rezeption in den Vordergrund. Man versteht darunter “ Glück ” als dem Menschen angemessene Lebensweise (meist weiter ausgeführt: als Lebensführung nach den Anforderungen und Grundsätzen einer philosophischen Ethik). Textrezeption erweist sich in dieser Perspektive auch als Auseinandersetzung mit den “ für die jeweilige Person zentralen Werte ” (S. 79), enthält so eine zutiefst selbstreflexive Komponente. Am Beispiel einer 30-minütigen Kurzfassung des Films Bronson (Großbritannien 2008, Nicolas Winding Refn), die er einer Gruppe von Vpn als “ fiktiv ” , einer anderen gegenüber als “ faktual ” ausgab, kann er zeigen, dass für die faktualen Teilnehmer das “ eudaimonische Unterhaltungserlebnis ” als intensiver wahrgenommen wurde als für die anderen. Wie es allerdings möglich ist, den komplexen Film von Refn auf ein Drittel zu kürzen und die hochstilisierte Darstellung des Geschehens alternativ als “ fiktiv ” oder “ faktual ” auszugeben (und dabei als Forscher noch glaubwürdig zu bleiben), bedürfte eigenen 404 Hans J. Wulff Nachdenkens (tatsächlich basiert der Film auf der Autobiographie eines englischen Strafgefangenen). Interessanter ist, dass die so verlockende Idee einer eudaimonischen Funktion der Rezeption kaum ausgeschöpft wird. Abgesehen davon, dass auch Hofer seine Überlegungen an der Unterscheidung fiktional/ faktual entlang ausführt, deutet er die viel weitergehenden Implikationen einer eudaimonisch eingefassten Rezeptionstheorie nicht einmal an (was schade ist, weil sie sich sowohl auf die Erwartungskonstruktionen von Spannungs-Szenarien, Beziehungen von Rezipienten zu Figuren der Handlung, die Positionierung von Rezipienten zu den diegetischen Wertewelten wie auch zu Erzählkonventionen des Textschlusses - als Happy-End, sad ending, tragischer Schluss usw. - und anderes beziehen ließen). Vor allem die Vermutung, dass die Erwartung einer eudaimonischen Gratifikation in die Rezeption einfließt und dass es (während der Aktualgenese der Textrezeption oder post receptionem) zu einer Evaluation der ethischen Qualitäten der vorgeführten Handlungen kommt (sei es, dass sie zu Bewusstsein kommen, sei es, dass sie vorbewusst bleiben), kann so nicht weiter reflektiert werden. Zurück zu Hofers Artikel: Nähe zur Realität also als Impulsgeber zur Steuerung von Erlebnisintensitäten? Der Befund - der ja diverse Untersuchungen zum “ wahrgenommenen Realismus ” vor allem von Reality-Sendungen bestätigt (vgl. im vorliegenden Band auch S. 118 f und S. 154 f ) - , der in der Untersuchung so evident zu sein scheint, kann dennoch nicht verallgemeinert werden. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Explizitheit der Darbietung manchmal sogar umgekehrt proportional zur empfundenen Intensität der Ausdrucksqualitäten ist: Hofers eigene Untersuchung (zusammen mit Andreas Hüsser und Patricia Brandao, S. 97 - 111) zur Rolle der Effekte expliziter Ausdrucksdarstellungen eines Avatars in einem Survival-Horrorspiel zeigen, dass gerade die Abwesenheit von Ausdrucksgesten zur Steigerung der empfundenen Intensität der Identifikation führt. Die filmsemiotischen Arbeiten zum “ ausdruckslosen Gesicht ” , die die Ausdrucksleere (vor allem des Gesichts) als Angebot einer Projektionsfläche resp. als Feld einer empathischen Ausarbeitung der Empfindung der Figuren interpretieren, kennen die Autoren offensichtlich nicht; immerhin könnte man nachfragen, ob es um “ Identifikation ” mit Figuren geht (wie von Hofer und seinen Mitautoren behauptet) oder um die kognitiv-emotionale Ausgestaltung der “ psychischen Innenwelten ” der dargestellten Figuren. Das Zentrum fast aller Beiträge des Bandes sind Modelle, die den Rezipienten, seine Voreinstellungen und seine Aktivitäten zu erfassen suchen und dabei vom Geschehen bei der Aktualgenese von Rezeption absehen. Wird mit Beispielfilmen gearbeitet (Cordula Nitsch und Carsten Wünsch etwa arbeiteten mit sechs langen Spielfilmen; Wünschs und Czichons Beitrag nutzt sechs Episoden der Simpsons-Animationsserie), geht es um Einstellungs- oder Meinungsmessung nach der Rezeption, nicht um die Rekonstruktion der Rezeptionsprozesse im engeren Sinne (bei Nitsch/ Wünsch mit dem Ergebnis, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen Filmen mit positiv oder negativ charakterisierten Protagonisten gibt, sondern dass beide die gemessene “ Politikverdrossenheit ” minderten). In vielen Beiträgen geht es um Methoden, Erhebungsinstrumente, skalierbare Subtypen besonderer Aneignungsstrategien oder Rezipient-Text-Bindungen, nicht aber um die Steuerung der Lernprozesse der Rezeption in Auseinandersetzung mit der Präsentation von Informationen im Text. Die Konkreta der Texte, die das Material der Aneignungs- Rezeption und/ oder Wirkung fiktionaler Medieninhalte 405 prozesse in actu sind, werden in den meisten Beiträgen des vorliegenden Bandes kaum zur Sprache gebracht - leider, möchte man hinzufügen. In summa: Der vorliegende Band gibt einerseits einen Aufblick auf neuere kommunikationswissenschaftliche Überlegungen und beispielhafte Untersuchungen zum Themenfeld der “ Fiktionalität ” von Kommunikaten. Er zeigt aber auch, wie unterentwickelt die fächer- und disziplinenübergreifende Kenntnisnahme von Modellen, Hypothesen und Analyseverfahren ist - ein Befund, den man eher als Aufforderung zur Kooperation der Zugänge zum Problem denn als Klage über deren Unterentwickeltheit verstehen sollte. Literatur Böcking, Saskia 2008: Grenzen der Fiktion? Von Suspension of Disbelief zu einer Toleranztheorie für die Filmrezeption (= Unterhaltungsforschung 5), Köln: von Halem Böcking, Saskia, Werner Wirth & Christina Risch 2005: “ Suspension of Disbelief. Historie und Konzeptualisierung für die Kommunikationswissenschaft ” , in: Volker Gehrau (ed.) 2005: Rezeptionsstrategien und Rezeptionsmodalitäten (= Rezeptionsforschung 7), München: Reinhard Fischer, 39 - 58 Ganz-Blaettler, Ursula 2004: “ Scripted and Staged Media Realities, in: Studies in Communication Sciences 4.1 (2004): 111 - 128 Hediger, Vinzenz 2009: “ Vom Überhandnehmen der Fiktion. Über die ontologische Unterbestimmtheit filmischer Darstellung ” , in: Gertrud Koch & Christiane Voss (eds.) 2009: “ Es ist, als ob ” . Fiktionalität in Philosophie, Film- und Medienwissenschaft, München: Fink, 163 - 184 406 Hans J. Wulff K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Review Article Konflikt in der Wüste Die malischen Tuareg-Aufstände und ihr Bild in der Presse Ernest W. B. Hess-Lüttich (Bern/ Berlin/ Kapstadt) Vor einigen Jahren organisierte die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung für einige ausgewählte Mitglieder des Ausschusses zur Auswahl hochbegabter Doktoranden eine Studienreise durch Westafrika. Gespräche mit Repräsentanten aller Stufen der jeweiligen Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen standen auf dem Programm. Für Mali waren Stationen u. a. in Bamako, Goa und Timbuktu vorgesehen. In letzter Minute wurde die Route geändert und unsere Delegation von Bamako aus nach Mopti und Djenné umgeleitet. Das Auswärtige Amt hatte die Reise in den Norden aufgrund von Meldungen über Tuareg- Aufstände und islamistische Übergriffe untersagt. Zurück in Europa lasen wir in den Medien die erschütternden Berichte über Geiselnahmen und Zerstörungen uralter Kulturstätten durch fanatische ‘ Glaubenskrieger ’ . Seither ist die Situation in dem zerrissenen Land Gegenstand kontinuierlicher Berichterstattung in den Medien: die Aufstände der Tuareg, der islamistische Terror, die Intervention der französischen Streitkräfte, das anhaltende Engagement Deutschlands für die Entwicklung des Landes, die Verurteilung des Dschihadisten Ahmad al-Faqi al-Mahdi durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag im August 2016 (das erste Urteil seiner Art wertet die Zerstörung von Weltkulturerbe als Kriegsverbrechen). Kriegsverbrechen begehen freilich nicht nur die Terroristen unter den Tuareg. Ende Juni 2018 legten die Vereinten Nationen, die im Norden Malis die Friedensmission Minusma mit über 13000 Soldaten unterhalten, ihren Bericht über das jüngste Massaker der von Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad und Mauretanien gestellten G5-Sahel-Truppe an Zivilisten in Boulikessy vor (Ladurner 2018). 1 Die Truppe aus diesen Ländern, die allesamt auf je unterschiedliche Weise von dem islamistischen Terror betroffen sind, wird u. a. von der Europäischen Union finanziert: seit 2004 hat der EU-Entwicklungsfonds mehr als 2,7 Milliarden Euro auf die Konten der African Peace Facility überwiesen, die das fragile Gleichgewicht (mehr ist es nicht) zwischen der Zentralregierung in Bamako und den radikalen Tuareg, die 2012 im Norden ihren eigenen Staat Azawad ausgerufen hatten, wahren helfen soll. Deutschland stellt in Mali (mit bis zu 1100 Mann) nach Afghanistan das größte Kontingent deutscher Soldaten im Auslandseinsatz. Die deutschen Ausbilder sollten 1 Ulrich Ladurner 2018: “ Killer im Auftrag Europas. Wie Geld der EU für den Antiterrorkampf in Mali an Kriegsverbrecher floss ” , in: Die Zeit 47 v. 15. 11. 2018: 11. eigentlich die malischen Soldaten nicht nur im Kriegshandwerk, sondern auch in der Einhaltung von Menschenrechtsstandards und von Regeln des humanitären Völkerrechts schulen. Aber die G5-Sahel-Truppe gefährdet mit ihren wiederholten Menschenrechtsverletzungen die heikle Mission und diskreditiert die europäischen Anstrengungen zur nachhaltigen Entwicklung der Region, durch die auch die Routen der afrikanischen Migration nach Europa verlaufen. Deshalb gerät der schwelende Konflikt, der sich auch auf die anderen G5-Länder im Sub-Sahel auszuweiten droht, immer wieder auf den Radarschirm der Medien. Einen definierten Ausschnitt aus dieser Berichterstattung in ausgewählten Printmedien hat sich der aus Mali stammende Germanist und Linguist D JOUROUKORO D IALLO (im Folgenden: Verf.) der hier vorgelegten umfangreichen Dissertation für eine ausgreifende text- und diskurslinguistische Untersuchung vorgenommen. 2 Er konzentriert sich dabei auf die Rolle der Tuareg in der krisenhaften Entwicklung der letzten Jahre und vergleicht dafür malische und deutschsprachige Berichte und Kommentare, deren semantische, syntaktische und lexikalische Eigenschaften er ebenso untersucht wie die darin verwendeten rhetorischen und argumentativen Strategien. Bei der Sichtung der bisherigen Forschung zum Thema sowie bei der Zusammenstellung des Corpus kommt dem Verf. (der auch zur Mehrsprachigkeit in Afrika gearbeitet hat) seine Kenntnis eines halben Dutzends afrikanischer und europäischer Sprachen zugute. 3 Die Gliederung seines Forschungsberichtes entspricht der Zweiteilung seiner Untersuchung in einen (diskurs-)theoretischen und einen (diskurs-)analytisch-empirischen Teil. Der interdisziplinären Fragestellung entsprechend beschränkt sich der Verf. dabei keineswegs nur auf die Durchsicht einschlägiger Literatur zur Diskurslinguistik, die in den letzten Jahren international erheblich an Umfang und Bedeutung gewonnen hat, sondern nimmt auch auf den Kontext seines Themas bezogene historische, ethnologische, anthropologische, soziologische sowie soziolinguistisch-interkulturelle Arbeiten zur Kenntnis. Methodisch profitiert die Arbeit von den Ansätzen der sog. Kritischen Diskursanalyse (KDA) und ihrer besonderen Wiener Ausprägung der Historischen Diskurssemiotik, wie sie heute von international renommierten Forschern wie der Wittgenstein-Preisträgerin Ruth Wodak repräsentiert und von Martin Reisigl u. a. fortentwickelt wird. Ausgehend von der These, dass die deutschsprachige Berichterstattung über die Tuareg- Rebellionen unzureichend informiert sei über die komplexen regionalen und historischen Bedingungen im Norden Malis und daher zu ethnisierenden und stereotypisierenden Interpretationen von Konflikten neige, deren soziokulturelle, ökologische, politische, territoriale Ursachen weitgehend unberücksichtigt blieben, formuliert der Verf. seine forschungsleitenden Ausgangsfragen nach den spezifischen Merkmalen der Repräsentation von Tuareg-Rebellionen und den Mechanismen der diesbezüglich typischen Diskurskonstruktion in den von ihm für seine Analyse ausgewählten deutschsprachigen Zeitungen. Indem er diachrone und synchrone Perspektiven verbindet, kann er sowohl den Kontext als 2 Djouroukoro Diallo 2018: Darstellung der Tuareg-Rebellionen in Mali in deutschsprachigen Massenmedien. Eine text- und diskurslinguistische Medienanalyse anhand ausgewählter Zeitungsartikel (= Cross Cultural Communication 33), Berlin [etc.]: Peter Lang, ISBN 978 - 3-631 - 74628 - 8, 451 pp. 3 Thomas Bearth & Djouroukoro Diallo (eds.) (2018): African multilingualism and the Agenda 2030 / Multilinguisme africain et l ’ Agenda 2030, Münster / Berlin: LIT. 408 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Bern/ Berlin/ Kapstadt) auch die Entwicklung des Diskurses und die jeweiligen Unterschiede in dessen medialer Repräsentation herausarbeiten. Nachdem der Verf. in den ersten sechs Kapiteln (S. 15 - 65) das Thema in all seinen Facetten präsentiert und den Forschungsstand dazu referiert, die Methoden des Vorgehens erläutert, das begriffliche Rüstzeug entwickelt und die wichtigsten theoretischen Konzepte (wie Repräsentation, Sozialkonstruktivismus, Feindbild, Irredentismus, Territorialität etc.) vorgestellt hat, rekonstruiert er im ersten Hauptteil in drei Unterkapiteln (Kap. 7 - 9, S. 67 - 164) ausführlich den historischen Kontext der Tuareg-Rebellionen. Dazu stellt er das komplexe Beziehungsgeflecht der verschiedenen - teils (semi-)nomadischen, teils agrarisch-sesshaften - Bevölkerungsgruppen im Sahel-Sahara-Gebiet zwischen dem Norden Malis und dem Süden Algeriens und Libyens, zwischen Niger und Burkina Faso vor, seit Jahrhunderten eine Kontaktzone fluktuierender Begegnungen von Menschen mit den verschiedensten kulturellen, sozialen, ethnischen, religiösen, ökonomischen, ökologischen, wissenschaftlichen, militärischen, geopolitischen, prä- und postkolonialen Prämissensystemen, deren unübersichtliche Realität jeder Form von primordialen territorialen Legitimationsversuchen widerspreche. Angesichts des in der einschlägigen Berichterstattung vermuteten Mangels an diesbezüglichem Problembewusstsein im deutschsprachigen Journalismus plädiert der Verf. daher für einen holistischen bzw. (sozial-)konstruktivistischen Zugang zum Verständnis des extrem aspektheterogenen Bedingungsgefüges der anhaltenden Konflikte in der Region diesseits voreiliger ethnisierender oder somatisierender Rubrizierungen und spricht lieber neutral von einem “ problème du Nord ” statt vom Aufstand der Berber und Terror der Tuareg. Dass diese Konflikte nicht erst eine neue Erscheinung der jüngsten Zeit sind, belegt eindrucksvoll ein kursorischer Überblick über die Entwicklung der letzten hundert Jahre in dieser Region, den das achte Kapitel bietet, das sich nicht mit der Schilderung der Aufstände von 1916 (Kel Ullemmeden gegen die Kolonialmacht Frankreich) bis heute begnügt, sondern sich auch mit deren Beweggründen auseinandersetzt. Zu diesem historischen Hintergrund gehört unzweifelhaft auch die Rolle der Kolonialmacht Frankreich im malischen Norden und deren Folgen für die Region. Das neunte Kapitel ist der kritischen Aufarbeitung der dazu vorliegenden Literatur gewidmet, deren teilweise essentialistische und ethnizistische Interpretation der kolonialen Praxis (mit ihrer administrativ oft unbekümmerten Polarisierung zwischen ‘ Schwarzen ’ und ‘ Weißen ’ , ‘ Bauern ’ und ‘ Nomaden ’ , saharischen und sub-saharischen Ethnien, aber auch mit ihren traditionell stammesbezogene Territorialitätsansprüche arglos ignorierenden Grenzziehungen) überzeugend seziert wird. Konsequenterweise schließt sich daher ein Abschnitt an, der “ Alterität und Ethnizität ” im malischen Kontext problematisiert, indem der Wandel von Stereotypisierungen ethnisch basierter Identitätszuschreibungen und von exotisierenden Toponymien ( ‘ Wüste ’ , ‘ flimmerndeWeite ’ ) nachgezeichnet wird. Ein Seitenblick gilt der Entwicklung der Ikonographie der Tuareg-Repräsentationen im Film ( ‘ kühne Reiter, Stahl im Blick ’ ), die auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Tuareg-Kultur zurückgewirkt hat. Damit ist ein sowohl historisch wie begrifflich und theoretisch ausreichend gesichertes Fundament gelegt für den zweiten Forschungsteil der Arbeit (S. 165 - 397), die qualitative Diskursanalyse ausgewählter Daten aus einem Corpus von deutschsprachigen Zeitungsartikeln. Zunächst bestimmt der Verf. im zehnten Kapitel im Anschluss an die ausgreifende Konflikt in der Wüste 409 Diskussion dazu jenen sprachwissenschaftlich präzisierten Diskursbegriff, der seiner Untersuchung zugrunde liegt und der eine im engeren Sinne linguistische und interlingual vergleichende Analyse von ‘ Fundstellen für Argumente ’ , von ‘ Topoi ’ und/ oder ‘ Aussagen ’ , aber auch ‘ usuellen Wortverbindungen ’ (oder Diskursfragmenten), in einem mehrsprachigen Corpus ermöglichen soll. Im Einklang mit dem vor allem von Wodak und Reisigl geprägten Diskurshistorischen Ansatz (DHA) konzentriert sich der Verf. vornehmlich auf Kategorien wie Nomination, Prädikation, Argumentation, Perspektivierung, Modalisierung und verbindet dabei die semantische Analyse (z. B. von evaluativen Attribuierungen in Ethnonymen, Nationymen, Origonymen, Toponymen) mit der Analyse expliziter und impliziter Argumentationsmuster (z. B. in der Konstruktion von ‘ Feindbildern ’ durch nach Reisigl differenzierte rhetorische Verfahren wie das argumentum ad numerum, argumentum ad verecundiam, argumentum ad baculum, argumentum ad consequentiam, argumentum ad hominem etc.) einerseits und tropischer Figuren und Stilmittel wie Synekdochen, Metonymien, Metaphern, Hyperbeln, Antithesen, Antonomasien, Allegorien andererseits. Gleichsam zur Erprobung dieses anspruchsvollen Programms versucht der Verf. im elften Kapitel, die Applikabilität des Instrumentariums zunächst in einer Pilotstudie anhand eines einzelnen Zeitungsartikels (aus der tageszeitung) exemplarisch zu erweisen. Darin will er herausfinden, durch welche sprachlichen Merkmale die jeweiligen Konfliktparteien vorzugsweise charakterisiert werden. Diese sehr detaillierte Analyse ist nach dem zuvor entwickelten Kategorienraster tabellarisch systematisiert und vermag in einer Strukturanalyse der Themenentfaltung, der Nominationen, der Semantik der Anthroponyme, der syntaktischen und prädikativen Konstruktion von Verbal- und Präpositionalphrasen etc. die verschiedenen Militarisierungs-, Politisierungs-, Kollektivierungs-, Institutionalisierungs-, Professionalisierungs-, Toponymisierungs-, Ethnisierungs-, Metonymisierungsstrategien zur sprachlichen Repräsentation der Kontrahenten im Text übersichtlich auszuweisen. Damit ist der Blick geschärft für die eigentliche linguistische Diskursanalyse, die sich im zwölften und dreizehnten Kapitel nach den avancierten Vorgaben der diskursanalytischen Methoden-Triangulation und unter Verwendung der einschlägig bewährten Software M AXQDA der Auswertung von Daten aus dem Mannheimer C OSMAS -Corpus widmet. Das umfangreiche Material der ausgewählten Texte zu der Tuareg-Rebellion der 90er Jahre wird im ersten Teil u. a. auf die Verwendungsweisen des (für die Auswertung entsprechend codierten) Ethnonyms ‘ Tuareg ’ zur Bezeichnung eines Kollektivs durchforstet, das der Konstruktion einer bestimmten sozialen Realität und der gezielten Askription von Rollenkomplementaritäten (z. B. ‘ Täter ’ vs. ‘ Opfer ’ ) dient. Damit sucht der Ansatz zugleich dem (von Norman Fairclough, Ruth Wodak, Siegfried Jäger, Ingo Warnke, Martin Reisigl, Jürgen Spitzmüller und manchen anderen formulierten) gesellschaftskritischen Anspruch der KDA gerecht zu werden, die subtilen Mittel der sprachlichen Repräsentation sozialer Diskriminierung als solche zu entlarven. Die bereits in der Pilotstudie erprobten Kategorien erweisen sich in der Anwendung auf ein größeres Corpus als geeignet, typische Muster in der Darstellung der Akteure im Mediendiskurs zu den Tuareg-Rebellionen herauszuarbeiten. Natürlich fragt sich der Leser streckenweise, ob die referierten Ergebnisse - die historische Kontextualisierung des Konflikts und dessen ökologische Bedingungen (Ressourcen, Dürre etc.), dieViktimisierung 410 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Bern/ Berlin/ Kapstadt) der Tuareg ( ‘ bedrohtes Nomadenvolk ’ ), die Feindbildkonstruktion ( ‘ Mali ’ vs. ‘ Azawad ’ , ‘ Norden ’ vs. ‘ Süden ’ ), die Minderheitenproblematik ( ‘ Bauern ’ vs. ‘ Viehhändler ’ , ‘ Salzkarawanen ’ ), die topischen Argumente und Stilisierungen der Protagonisten ( ‘ stolze Kämpfer ’ , ‘ blaue Kamelreiter ’ ) und ihres Kampfes ( ‘ Revolte ’ , ‘ Aufstand ’ , ‘ Rebellion ’ , ‘ Guerilla ’ ) um ihren Lebensraum (auf den semantisch ‘ geladene ’ Toponyme ‘ Wüste ’ , ‘ Sahara ’ , ‘ Sahelzone ’ referieren) - den methodisch immensen Aufwand rechtfertigen und sie in einem narrativen Modus nicht ebenso überzeugend hätten ausgewiesen werden können; andererseits liegt der Reiz des Verfahrens gerade darin, die aus den textlichen Befunden gezogenen Schlussfolgerungen linguistisch exakt belegen zu können. Dem dient auch der zweite Teil der Corpusanalyse, die im Sinne der erwähnten Methodentriangulation qualitative und quantitative Verfahren im Rahmen einer Kookkurrenzanalyse zu verknüpfen strebt, mittels derer signifikante Regelmäßigkeiten der Verwendung von Wortverbindungen innerhalb eines gegebenen Textcorpus ermittelt werden können, hier das C OSMAS II genannte Corpus, das am Institut für deutsche Sprache in Mannheim entwickelt wurde. Auf diese Volltextdatenbank hatte der Verf. Zugriff und damit auf einen Teil des Deutschen Referenzkorpus (DeReKo), das auch Zeitungstexte aus den Jahren 2000 - 2014 umfasst und dessen Auswertung den Vergleich mit den auf das Corpus des ersten Teils aus den 90er Jahren bezogenen Ergebnissen erlaubt. Damit wird zugleich eine diachrone Dimension eröffnet, die einen Wandel in der Berichterstattung über die Tuareg in den letzten 25 Jahren erweisen könnte. Das zeigt sich besonders deutlich im Umfeld sog. ‘ Medienereignisse ’ , die verstärkt öffentliche Aufmerksamkeit heischen, etwa die Entführung deutschsprachiger Geiseln im Stammesgebiet der Tuareg 2003 (bei der diese auch als Vermittler wirkten) oder der erneute Aufstand der MNLA-Bewegung (mouvement national de libération de l ’ Azawad) 2012 - 14 mit seinen radikalislamistischen Begleiterscheinungen, die in der deutschen Berichterstattung unter dem Stichwort ‘ Terror ’ subsumiert zu werden pflegen (s. o.). Die Schlussfolgerungen aus der methodisch avancierten und überaus detailreich belegten syntaktischen Analyse ausgewählter Kookkurrenzpartner (mit Blick insbesondere auf Erweiterungen mit Genitivbildungen oder auf Nominalphrasen mit Attributsätzen, Infinitivkonstruktionen, Präpositionalphrasen, Verbalphrasen, Konjunktionen) sowie aus der lexikalischen Untersuchung ausgewählter in Verbindung mit ‘ Tuareg ’ auftretenden Wortformen und Wortbildungstypen werden in den Schlussbetrachtungen der Arbeit (Kap. 14) gemeinsam mit den Resultaten des empirischen Forschungsteils, also der historischen Kontextualisierung und der linguistischen Diskursanalyse nach dem M AXQDA -Verfahren, zusammengefasst. Interessant ist zunächst, dass die Untersuchungen die Ausgangsvermutung, die Berichterstattung über die Situation in Mali ermangele in den deutschsprachigen Medien ausreichender historischer Kontextualisierung, nicht bestätigt werden konnte. Demgegenüber hat sich die zweite Hauptthese, die deutschsprachigen Zeitungen neigten zu einer polarisierenden Vereinfachung der in vielerlei Hinsicht extrem komplizierten Verhältnisse im francophonen Westafrika, eher bestätigt, wenn etwa ‘ der Norden ’ Malis dem ‘ Süden ’ gegenübergestellt werde, die Nomaden den Bauern, die Regierung den Rebellen, die Schwarzafrikaner den Arabern und Berbern usw. Konflikt in der Wüste 411 Der Untersuchung ist abschließend, nach einem umfassenden Literaturverzeichnis, in einem Anhang (S. 415 - 448) zudem die Belegliste der Zeitungsartikel aus dem Corpus (NZZ, Standard, Kurier, TAZ, Süddeutsche, FAZ), der für die Pilotstudie ausgewählte Text aus der TAZ, das Codebuch und die Dokumentenliste der M AXQDA -Analyse, eine Liste der diskursiven Themenschwerpunkte, der Anthroponyme, Toponyme, Argumente und Sprachmittel, der Nachweis der Kontexte des Lexems ‘ Azawad ’ im Corpus sowie ein Tabellenverzeichnis beigegeben. Das Verdienst dieser Studie liegt m. E. nicht nur in der umfassenden Einbettung ihres Gegenstands in die Hierarchie der historischen Kontexte und in den (system-)linguistisch präzisen Detailanalysen, sondern auch in der methodologisch konsequenten Anwendung eines avancierten Arsenals diskurslinguistischer Analyseinstrumente und in der methodisch sorgfältigen Durchführung eines schon vom Material her umfangreichen Programms qualitativ-quantitativer Corpusanalyse. Betrachtet man den Ausgangspunkt und Werdegang des afrikanischen Studenten, kann man diese Leistung nur bewundern. Andererseits kann es bei einer so umfangreichen Arbeit in einer Sprache, die nicht die Muttersprache, auch nicht die Zweit- oder Drittsprache des Verf. ist, nicht ausbleiben, dass der Fluss der Lektüre an manchen Stellen durch Interferenzeinflüsse besonders aus dem Französischen gehemmt wird und die eine oder Redundanz vermeidbar erscheint. Auch die Gliederung mit der Staffelung verschiedener Kapitel-Zählungen mag anfangs etwas verwirrend erscheinen. Insgesamt jedoch ein wichtiger (und gewichtiger) Forschungsbeitrag zu einem sehr aktuellen Thema, das gerade in Zeiten kontroverser Migrations- und Islamdebatten von hoher Brisanz ist, hier aber mit der gebotenen wissenschaftlichen Nüchternheit und Faktengenauigkeit behandelt wird. Literatur Bearth, Thomas & Djouroukoro Diallo (eds.) 2018: African multilingualism and the Agenda 2030 / Multilinguisme africain et l ’ Agenda 2030, Münster / Berlin: LIT Diallo, Djouroukoro 2018: Darstellung der Tuareg-Rebellionen in Mali in deutschsprachigen Massenmedien. Eine text- und diskurslinguistische Medienanalyse anhand ausgewählter Zeitungsartikel (= Cross Cultural Communication 33), Berlin [etc.]: Peter Lang Ladurner, Ulrich 2018: “ Killer im Auftrag Europas. Wie Geld der EU für den Antiterrorkampf in Mali an Kriegsverbrecher floss ” , in: Die Zeit 47 v. 15. 11. 2018 412 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Bern/ Berlin/ Kapstadt) Autorinnen und Autoren / Authors Dr.-Ing. Margit Becher ist Diplom-Mathematikerin mit den Nebenfächern Informatik und Ökonometrie. Nach ihrem Studium war sie als Programmiererin bei einer Versicherung und als EDV-Dozentin tätig. Seit 1998 ist sie Lehrkraft für besondere Aufgaben im Studiengang Technische Redaktion der Hochschule Hannover. Von 2012 - 2016 war sie Verwaltungsprofessorin für Wirtschaftsinformatik und Mathematik/ Statistik an der Jade Hochschule Wilhelmshaven und im WS 2016/ 17 Vertreterin einer Professur für Elektronische Medien an der Bergischen Universität Wuppertal. Sebastian Feil, M. A., ist am Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Augsburg tätig; 2014 M. A.-Examen in Vergleichender Literaturwissenschaft, Englischer u. Amerikanischer Literatur mit einer Arbeit zu den Problemen kontextueller Interpretation; Forschungsinteressen: u. a. Allgemeine Semiotik, Hermeneutik, Begriffsu. Ideengeschichte. Prof. Dr. Hans W. Giessen ist apl. Prof. und Privatdozent an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und an der Universität Helsinki, Finnland. Dr. Oksana Havryliv, geb. 1971 in Lviv (Ukraine), promovierte 2001 über die Pejorativa in der deutschsprachigen modernen Literatur und ist Dozentin am Institut für Fremdsprachen der Fakultät für Internationale Beziehungen der Nationalen Ivan Franko-Universität Lviv; 2012 - 2017 war sie Projektleiterin “ Verbale Aggression und soziale Variablen Geschlecht - Alter - sozialer Status ” (Elise Richter-Programm/ FWF) am Institut für Germanistik der Universität Wien. Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen Bücher über Pejorative Lexik (Peter Lang 2003) und Verbale Aggression (Peter Lang 2009) sowie zahlreiche Aufsätze. Ernest W. B. Hess-Lüttich (*1949), Ordinarius emeritus (Germanistik: Sprachu. Literaturwiss.) Univ. Bern (CH) [1991 - 2014], Hon.Prof. (Allg. Linguistik) TU Berlin (D) [seit 2015], Hon.Prof. (German Studies) Stellenbosch Univ. (ZA) [2007 - 2017], Gastprof. MHB Fontane (D) [seit 2016]; Dr. phil. (Philologien), Dr. paed. (Sozialwiss.), Dr. habil (Germanistik u. Allg. Linguistik), Dr. h. c. [Budapest 2009]; akad. Werdegang: Lektor in German London Univ. [1970 - 72], Wiss.Ass. Anglistik TU Braunschweig [1974 - 75], Wiss.Ass. Germanistik F U Berlin [1975 - 80], Priv.Doz. Dt. Philologie + Allg. Linguistik Bonn/ Berlin [1985 - 90], Full Prof. German Studies, Assoc. Prof. Comparative Literature, Research Fellow Semiotics IU Bloomington [1990 - 92]; Forschungsschwerpunkte: Diskursu. Dialogforschung (soziale, literarische, ästhetische, intermediale, interkulturelle, intra-/ subkulturelle, institutionelle, fachliche, öffentliche, politische, urbane Kommunikation); Publikationen: ca. 60 Bücher u. Editionen sowie ca. 370 Aufsätze, Monographien u. a. zur Dialoglinguistik, Kommunikation i. d. Literatur, Semiotik d. Dramas u. Theaters, Literaturtheorie u. Medienpraxis, Grammatik d. dt. Sprache; i. Vorb.: Literatursprache, Sprachlandschaften; Herausgeberschaften: div. Zeitschriften u. Buchreihen, u. a. Kodikas/ Code. Int ’ l. Journ. of Semiotics u. Kodikas Supplement Series [seit 1978], Cross Cultural Communication [seit 1994], Zs. f. interkulturelle Germanistik [bis 2015]; Fachgesellschaften: (Vize-)Präsident d. Dt. Ges. f. Semiotik (jetzt Ehrenmitglied), Ges. f. Angewandte Linguistik, Int ’ l. Assoc. of Dialogue Analysis, Ges. f. interkulturelle Germanistik (jetzt Ehrenmitglied); Mitglied div. Advisory Boards u. Editorial Boards; Ehrenmitglied d. Ges. ungarischer Germanisten, Mitglied d. Wiss. Beirates d. ICLTT d. Österreichischen Akademie der Wissenschaften [bis 2016]; Gastprofessuren: München, Graz, Madison, Gainesville, Belo Horizonte, New York, Puerto Rico, New Delhi, Basel, Izmir, Bangkok, Stellenbosch, Melbourne, Ambon u. Visiting Scholar an 20 weiteren Universitäten in Europa, Amerika, Afrika, Asien, Australien. Prof. Dr. Marie-Louise Käsermann ist emeritierte Professorin für Allgemeine Psychologie. Sie studierte Psychologie, Ethologie und Psychopathologie an der Universität Bern, wo sie zum Thema “ Spracherwerb und Interaktion ” promovierte und mit einer Arbeit über “ Emotion im Gespräch ” habilitiert wurde. Sie untersuchte am Max Planck Institut für Psycholinguistik und an der Forschungsabteilung der Universitären Psychiatrischen Dienste der Universität Bern verbale und nonverbale Aspekte des Verstehensprozesses und dessen emotionale Regulation. Forschung und Lehre an den Universitäten Bern, Basel, Fribourg und Wien fokussierten auf Methoden der genauen Beobachtung kommunikativen Geschehens. Ihre Arbeit war und ist interdisziplinär verankert in der Zusammenarbeit mit Linguisten, Germanisten, Ethologen und Psychopathologen und befasst sich in jüngster Zeit mit Grundlagen der Semiotik. Prof. Dr. Franz Kasper Krönig ist Professor für Elementardidaktik und Kulturelle Bildung an der TH Köln. Nach seiner systemtheoretischen Promotion zur Ökonomisierung der Gesellschaft arbeitet er an einer Verknüpfung makrosoziologischer und symboltheoretischerAnsätze. In Kodikas/ Code erschien dazu derAufsatz über “ Semioses and social change. The relevance of semiosis on the level of social structure and the case of the generative metaphorization of educational communication ” ; auch das von ihm herausgegebene Sonderheft “ Medien, Zeichen, Sinn. Semiotik und Systemtheorie ” der Zeitschrift für Sprachwissenschaft ist dieser Frage gewidmet. Dr. Rafael Mollenhauer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Duisburg-Essen; 2010 Magisterarbeit zu den ‘ sprachlichen ’ Leistungen akkulturierter Affen; 2015 Promotion zur explikativen Reichweite der Forschung Michael Tomasellos im Kontext kommunikationstheoretischer Fragestellungen; Forschungsschwerpunkte: Kommunikation im Alter (Habil.-Projekt), Interaktion und Phylogenese, Interaktion und Ontogenese, Kommunikationstheorie, Semiotik. Dr. Claus Schlaberg, 2005 Erstes Staatsexamen, 2011 Promotion im Fach Semiotik an der TU Berlin zum Thema “ Der Aufbau von Bildbegriffen auf Zeichenbegriffen ” ; Lehrtätigkeiten an allgemeinbildenden Schulen und für Migranten; Publikationen: Das Vorhandene als Gegenstand der Wissenschaften (Bonn: Bouvier 2017) sowie etliche Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften (wie Kodikas/ Code, Zeitschrift für Semiotik) und Sammelbänden. Prof. Dr. Karl-Heinrich Schmidt studierte Mathematik und Soziologie mit dem Schwerpunkt Wissenschaftsforschung an der Universität Bielefeld: Diplom in Mathematik (1984); Promotion in Wissenschaftsforschung zur Verwendung von Bildern in der Wissenschaft (1989); Habilitation in Informatik zur inhaltlichen Auswertung von Dokumenten mit nicht- 414 Autorinnen und Autoren / Authors textlichen Inhaltsarchitekturen (1998). Nach einer Tätigkeit in der Industrieforschung (1985 - 1993) und der Leitung des MedienZentrums an der Universität Duisburg-Essen (1993 - 2001) ist er seit 2001 Professor für Elektronische Medien an der Bergischen Universität Wuppertal. Prof. Dr. Götz Wienold ist Semiotiker, Linguist und Schriftsteller; Werdegang: Studium in München, Göttingen, Berlin (F U), Münster und St. Andrews, 1964 Dr. phil. (Münster), 1964 - 66 University of Illinois, Champaign-Urbana, 1964 - 70 Universität Münster, 1969 Habilitation (Münster), 1970 - 92 Professor für Sprachwissenschaft, Universität Konstanz, 1992 - 2003 Professor für Germanistik und Sprachwissenschaft, Dokkyo University, Soka, Präfektur Saitama ( Japan); Forschungsinteressen: Zeichentheorie, Texttheorie, Semantik, Typologie, Inneres Sprechen, Typen der Sprachverwendung, Spracherwerbsforschung, Linguistik des Japanischen und Koreanischen. Prof. Dr. Hans J. Wulff (*1951); Werdegang: Abitur 1971, Studium der Mathematik und Physik, Pädagogik, Ethnologie, Literaturwissenschaft, Philosophie, Geschichte; M. A. 1978 (in Allg. Sprachwiss.), Promotion 1983 (in Pädagogik), Habilitation 1997 (in Theaterwissenschaft), venia legendi f. Filmu. Theaterwissenschaft; 1978 - 1986 Leitung des Kommunalen Kinos Ibbenbüren; 1984 - 1986 Leitung der Einführungsphase des lokalen Fernsehkanals “ kanal 4 ” ebenda; 1986 - 1990 Wiss. Ass. F U Berlin, Institut f. Semiotik u. Kommunikationstheorie; 1990 - 1995 Wiss. Rat ebenda; 1995 - 1997 Institut für Theaterwissenschaft der F U Berlin; 1997 - 2016 Prof. f. Medienwissenschaft am Institut für NDL und Medien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Herausgeber des Online-Lexikons der Filmbegriffe sowie div. Zeitschriften. Homepage: http: / / www.derwulff.de Autorinnen und Autoren / Authors 415 K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Anschriften der Autorinnen und Autoren / Addresses of Authors Dr.-Ing. Margit Becher Hochschule Hannover Fakultät I - Elektro- und Informationstechnik Technisches Informationsdesign und Technische Redaktion Ricklinger Stadtweg 120 D-30459 Hannover margit.becher@hs-hannover Sebastian Feil, M. A. Universität Augsburg Lehrstuhl für Vergl. Literaturwissenschaft u. Europäische Literaturen Universitätsstraße 10 D-86159 Augsburg sebastian.feil@philhist.uni-augsburg.de Prof. Dr. Hans W. Giessen Universität des Saarlandes Campus A4 2 D-66123 Saarbrücken h.giessen@gmx.net Dr. Oksana Havryliv Institut für Germanistik Universität Wien Universitätsring 1 1010 Wien oksana.havryliv@univie.ac.at Univ.-Prof. Prof. h. c. Dr. Dr. Dr. h. c. Ernest W. B. Hess-Lüttich Prof. em. Institut f. Germanistik, Universität Bern Länggass-Str. 49, CH-3012 Bern, Schweiz Hon. Prof. Technische Universität Berlin (TUB) Institut für Sprache und Kommunikation Straße des 17. Juni 135, D-10623 Berlin Hon. Prof. em. University of Stellenbosch, Dept. of Modern Languages, Private Bag X1 Stellenbosch 7602, South Africa ernest.hess-luettich@germ.unibe.ch hess-luettich@campus.tu-berlin.de Prof. Dr. Marie-Louise Käsermann Ao na Prof. em. Universität Bern, Schweiz Phil. hum. Fakultät, Institut für Psychologie Universitäre Psychiatrische Dienst Bern (UPD), Forschung und Lehre Priv.: Langmauerweg 7 b CH-3011 Bern, Schweiz marie-louise.kaesermann@upd.unibe.ch Prof. Dr. Franz Kasper Krönig Technische Hochschule Köln Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften Ubierring 48 D-50678 Köln fkroenig@th-koeln.de Dr. Rafael Mollenhauer Fakultät für Geisteswissenschaften Institut für Kommunikationswissenschaft Universität Duisburg-Essen Universitätsstraße 12 D-45141 Essen rafael.mollenhauer@uni-due.de Dr. Claus Schlaberg Birkenstr. 16 D-29225 Celle claus@schlaberg.de Prof. Dr. Karl-Heinrich Schmidt Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Elektrotechnik, Informationstechnik und Medientechnik Lehrstuhl für Elektronische Medien, Campus Freudenberg Rainer-Gruenter-Straße 21 D-42119 Wuppertal karl-heinrich.schmidt@t-online.de Prof. Dr. Götz Wienold 4 - 30 - 1 Ikejiri Setagaya-ku Tokyo-to 154 - 0001, Japan gwienold@gol.com Prof. Dr. Hans J. Wulff Lotter Str. 17 D-49492 Westerkappeln hwulff@uos.de Anschriften der Autorinnen und Autoren / Addresses of Authors 417 Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten Beiträge für die Zeitschrift KODIKAS/ CODE (ca. 10 - 30 S. à 2.500 Zeichen [25.000 - 75.000], Times od. Times New Roman 12., 1.5-zeilig, Rand 2 - 3 cm l/ r) sind dem Herausgeber in elektronischer Form (Word-Datei) einzureichen. Abbildungen sind getrennt vom Text in reproduzierbarer Form (mind. 300 dpi, schwarz-weiß) beizufügen. Nach dem Titel des Beitrags folgt der Name des Autors (der Autoren) mit Angabe das Dienstortes. Dem Text (in deutscher, englischer, französischer oder spanischer Sprache, ggfs. gegengelesen von native speakers) ist eine kurze Zusammenfassung (abstract) in englischer Sprache voranzustellen (1-zeilig petit 10.). Die Gliederung des Textes folgt dem Dezimalsystem (1, 2, 2.1, 2.1.1). Auf separatem Blatt sind ihm die Anschrift des/ der Verf. und eine kurze bio-bibliographische Notiz (3 - 5 Zeilen) beizufügen. Zitierweise In der Semiotik gibt es eine Vielzahl konkurrierender Zitierweisen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Für KODIKAS wird hier eine in vielen Disziplinen (und anderen semiotischen Zeitschriften) international verbreitete Zitierweise empfohlen, die sich durch Übersichtlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Vollständigkeit der Angaben und Sparsamkeit der Zeichenökonomie auszeichnet. Wörtliche Zitate werden durch normale Anführungszeichen kenntlich gemacht ( “…” ). Wenn ein Zitat die Länge von drei Zeilen überschreitet, wird es links 0.5 eingerückt und 1-zeilig petit (11.) geschrieben: Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein blinder Text zu sein. Man macht keinen Sinn. Man wirkt hier und da aus dem Zusammenhang gerissen. Oft wird man gar nicht erst gelesen. Aber bin ich deshalb ein schlechter Text? Ich weiß, dass ich nie die Chance habe im SPIEGEL zu erscheinen. Aber bin ich darum weniger wichtig? Ich bin blind! Aber ich bin gerne Text. Und sollten Sie mich jetzt tatsächlich zu Ende lesen, dann habe ich geschafft, was den meisten “ normalen ” Texten nicht gelingt. Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren … (Autor Jahr: Seite). Zitatbeleg durch Angabe der Quelle gleich im Text mit einer auf das Literaturverzeichnis verweisenden bibliographischen Kurzangabe (Autor Jahr: Seite): “ [ … ] wird für die Herstellung des Zaubertranks die Beigabe von Dracheneiern empfohlen ” (Gaukeley 2006: 387). Wenn das Zitat im Original über eine Seite hinausgeht, wird entsprechend ein “ f. ” (= folgende) an die Seitenzahl angefügt (387 f.). Alle Auslassungen und Hinzufügungen in Zitaten müssen gekennzeichnet werden: Auslassungen durch drei Punkte in eckigen Klammern [ … ], Hinzufügungen durch Initialen des/ der Verf. (EHL). Hervorhebungen werden durch den eingeklammerten Zusatz “ (Hervorh. im Original) ” oder “ (Hervorh. nicht im Original) ” bzw. “ (Hervorh. v. mir, Initial) ” gekennzeichnet. Wenn das Original einen Fehler enthält, wird dieser übernommen und durch ein “ [sic] ” (lat. so) markiert. Zitate innerhalb von Zitaten werden in einfache Anführungszeichen gesetzt ( “… ‘…’ …” ). Auch nicht-wörtliche Zitate (sinngemäße Wiedergaben, Paraphrasen) müssen durch Verweise gekennzeichnet werden: Auch Dracheneier werden für die Herstellung eines solchen Zaubertranks empfohlen (cf. Gaukeley 2001: 387). Gundel Gaukeley (2001: 387) empfiehlt den Gebrauch von Dracheneiern für die Herstellung des Zaubertranks. Objektsprachlich gebrauchte Wörter oder grammatische Formen werden kursiviert: “ Die Interjektion eiapopeia gilt als veraltet. ” Die Bedeutung eines sprachlichen Elementes steht in einfachen Anführungszeichen: “ Fähe bedeutet ‘ Füchsin ’ . ” Standardsprachlich inkorrekte Formen oder Sätze werden durch Asterisk gekennzeichnet: “ *Rettet dem Dativ! ” oder “ *der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. ” Fußnoten, Anmerkungen Auf Anmerkungen und Fußnoten wird im Text durch eine hochgestellte Zahl verwiesen: [ … ] verweisen wir auf Gesundheitsgefahren, die mit regelmäßigen Geldbädern einhergehen. 2 Vor einem Satzzeichen steht sie möglichst nur dann, wenn sie sich direkt auf das Wort unmittelbar davor bezieht (z. B. die Definition eines Begriffs angibt). Fußnoten (am Fuße der Seite) sind gegenüber Anmerkungen am Ende des Textes vorzuziehen. Fußnoten (Anmerkungen) werden einzeilig petit (10.) geschrieben, mit 1.5-zeiligem Abstand zwischen den einzelnen Fußnoten (Anmerkungen). Bibliographie Die Bibliographie verzeichnet alle im Text genannten Verweise. Bei Büchern und Editionen: Nachname / Komma / Vorname / ggfs. Herausgeber (ed.) / ggfs. Auflage als Hochzahl / Jahreszahl / Doppelpunkt / Buchtitel kursiv / ggfs. Punkt bzw. Satzzeichen / ggfs. Untertitel / Komma / Ort / Doppelpunkt / Verlagsname: Gaukeley, Gundel 2001: Das kleine Einmaleins der Hexerei. Eine Einführung, Blocksberg: Hexenselbstverlag Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Bei Aufsätzen in Zeitschriften oder Sammelbänden (dort ggfs. mit Kurzverweis auf einen eigenen Eintrag des Sammelbandes), wird der Titel in Anführungszeichen gesetzt, dann folgen die Angaben mit Seitenzahlen: Gaukeley, Gundel 1999: “ Verbesserte Rezepturen für Bombastik-Buff-Bomben ” , in: Vierteljahresschrift des Hexenverbandes 7.1 - 2 (1999): 27 - 41 Duck, Donald 2000: “ Wie leihe ich mir einen Taler? Praktische Tips für den Alltag ” , in: Duck (ed.) 4 2000: 251 - 265 Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Gibt es mehrere Autorinnen oder Herausgeber, so werden sie in der Reihenfolge aufgeführt, in der sie auch auf dem Buchrücken oder im Titel des Aufsatzes erscheinen, verbunden durch “ und ” oder “ & ” (bei mehr als drei Namen genügt ein “ et al. ” [für et alii ] oder “ u. a. ” nach dem ersten Namen). Dasselbe gilt für mehrere Erscheinungsorte, getrennt durch Schrägstriche (bei mehr als drei Orten genügt ein “ etc. ” ): Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten 419 Quack, Primus von & Gustav Gans 2000: Untersuchungen zum Verhältnis von Glück und Wahrscheinlichkeit, Entenhausen/ Quakenbrück: Enten-Verlag Duck, Dorette und Daniel Düsentrieb (eds.) 1999: Ente, Natur und Technik. Philosophische Traktate, Quakenbrück etc.: Ganter Wenn ein Buch innerhalb einer Buchreihe erschienen ist, kann der Reihentitel und die Bandnummer hinzugesetzt werden: Duck, Tick et al. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13), Quakenbrück etc.: Ganter Duck, Tick u. a. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge, Quakenbrück usw.: Ganter (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13) Auch sog. ‘ graue ’ Literatur - Dissertationen im Uni- oder Reprodruck ( “ Zürich: Diss. phil. ” ), vervielfältigte Handreichungen ( “ London: Mimeo ” ), Manuskripte ( “ Radevormwald: unveröff. Ms. ” ), Briefe ( “ pers. Mitteilung ” ) etc. - muß nachgewiesen werden. Innerhalb des Literaturverzeichnisses werden die Autor(inn)en in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Gibt es mehrere Veröffentlichungen derselben Person, so werden sie in chronologischer Reihenfolge aufgelistet (innerhalb eines Jahres mit Zusatz eines kleinen lateinischen Buchstabens zur Jahreszahl - entsprechende Angaben beim Zitieren im Text): Duck, Daisy 2001 a: “ Enten als Vorgesetzte von Erpeln. Einige Beobachtungen aus der Praxis ” , in: Entenhausener Zeitschrift für Psychologie 7.1 (2001): 47 - 67 Duck, Daisy 2001 b: “ Zum Rollenverständnis des modernen Erpels ” , in: Ente und Gesellschaft 19.1 - 2 (2001): 27 - 43 Internetquellen Zitate aus Quellen im Internet müssen stets mit vollständiger URL inklusive Transferprotokoll (http: / / oder ftp: / / etc.) nachgewiesen werden (am besten aus der Adresszeile des Browsers herauszukopieren). Da Angaben im Internet verändert werden können, muß das Datum des Zugriffs in eckigen Klammern hinzugesetzt werden. Handelt es sich um einen innerhalb eines eindeutig betitelten Rahmens (Blogs, Onlinezeitschriften etc.) erschienenen Text, so wird genauso wie bei gedruckten unselbständigen Arbeiten zitiert: Gans, Franz 2000: “ Schon wieder keinen Bock ” , in: Franz Gans ’ Untaten. Blog für Arbeitsscheue, im Internet unter http: / / www.franzgansuntaten.blogspot.com/ archives/ 00/ art07.htm [15. 01. 2009] Trägt die Website, aus der ein zitierter Text stammt, keinen eindeutigen Titel, so wird der Text ähnlich wie eine selbstständige Arbeit zitiert: Klever, Klaas (o. J.): Wer wir sind und was wir wollen, im Internet unter http: / / www.entenhausenermilliadaersclub.eh/ organisation/ index.htm [15. 01. 2009] Ist der Verfasser nicht zu identifizieren, so sollte stattdessen die jeweilige Organisation angegeben werden, die für die angegebene Seite verantwortlich zeichnet: Entenhausener Onlineportal (ed.) 1998: Einbruch bei Dagobert Duck. Panzerknacker unter Verdacht, im Internet unter http: / / www.eopnet.eh/ aktuell/ lokales/ 980315/ art21.htm [15. 01. 2009] 420 Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten Instructions to Authors Articles (approx. 10 - 30 pp. à 2'500 signs [25.000 - 75.000] line spacing 1.5, Times New Roman, 12 pts) must be submitted to the editor in electronic form (word-file). Figures (graphics, tables, photos) must be attached separately (300 dpi minimum, black and white). The title is followed by name(s) of author(s), affiliation and location. The language of the text, preceded by a short summary (abstract) in English, must be German, English, French, or Spanish. The outline follows the decimal system (1, 2, 2.1, 2.1.1). On a separate sheet, the postal address(es) of the author(s), including e-mail address, and a short bio-bibliographical note (3 - 5 lines) is to be attached. Quotations Quotations are referred to in the text with author (year: page) and indicated by normal quotation marks “…” (author year: page), unless a quotation is more than three lines long, in which case its left margin is -0.5, in single spacing and petit (11 pts): I am a blind text, born blind. It took some until I realised what it meant to be a blind text. One doesn ’ t make sense; one is taken out of context; one isn ’ t even read most of the times. Am I, therefore, a bad text? I know, I will never have a chance to appear in Nature or Science, not even in Time magazine. Am I, therefore, less important? Okay, I am blind. But I enjoy being a text. Should I have made you read me to the end, I would have managed what most of the ‘ normal ’ texts will never achieve! I am a blind text, born blind … (author year: page). The short bibliographical reference in the text refers to the bibliography at the end. All deletions and additions must be indicated: deletions by three points in square brackets [ … ], additions by initials of the author. If there is a mistake in the original text, it has to be quoted as is, marked by [sic]. Quotations within quotations are indicated by single quotation marks: “… ‘…’ …” . Paraphrases must be indicated as well: (cf. author year: page) or author (year: page). Foreign words (nota bene) or terms (the concept of Aufklärung) are foregrounded by italics, so are lexical items or grammatical forms (the interjection gosh is regarded as outdated); the lexical meaning is given in single quotation marks (Aufklärung means ‘ Enlightenment ’ ); incorrect grammatical forms or sentences are marked by an asterisk (*he go to hell). Footnotes (annotations) Footnotes are indicated by upper case numbers (as argued by Kant. 2 ). Footnotes at the bottom of a page are preferred to annotations at the end of the article. They are written in single spacing, with a 1.5 space between them. Please avoid footnotes for mere bibliographical references. Bibliography The bibliography lists all references quoted or referred to in alphabetical order. They should follow the form in the following examples: Short, Mick 2 1999: Exploring the Language of Poems, Plays and Prose, London: Longman Erling, Elizabeth J. 2002: “‘ I learn English since ten years ’ : The Global English Debate and the German University Classroom ” , in: English Today 18.2 (2002): 9 - 13 Modiano, Marko 1998: “ The Emergence of Mid-Atlantic English in the European Union ” , in: Lindquist et al. (eds.) 1998: 241 - 248 Lindquist, Hans, Steffan Klintborg, Magnus Levin & Maria Estling (eds.) 1998: The Major Varieties of English (= Papers from M AVEN 1997), Vaxjo: Acta Wexionensia No. 1 Weiner, George 2001: “ Uniquely Similar or Similarly Unique? Education and Development of Teachers in Europe ” , Plenary paper given at the annual conference, Standing Committee for the Education and Training of Teachers, GEC Management College, Dunchurch, UK, 5 - 7 October 2001, http: / / www.educ.umu.se/ ~gaby/ SCETT2paper.htm [accessed 15. 01. 09]. 422 Instructions to Authors Editors: Achim Eschbach · Ernest W. B. Hess-Lüttich · Jürgen Trabant Review Editor: Daniel H. Rellstab KODIKAS / CODE is an International Journal of Semiotics and one of the leading European scholarly journals in this field of research. It was founded by Achim Eschbach, Ernest Hess-Lüttich and Jürgen Trabant in order to promote multidisciplinary approaches to the study of sociocultural semiosis in 1979, and has been publishing high quality articles, in-depth reviews, and reports on all aspects of sign processes from historical, theoretical, and empirical perspectives since then. On a regular basis, KODIKAS / CODE also publishes special issues, collections of refereed articles on timely topics, solicited by guest editors. Languages of publication are German, English, and French; all contributions handed in to the editorial board are subject to a peer review process. Please send manuscripts electronically to either of these addresses: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Luettich (Prof. em. University of Berne, Hon. Prof. Tech. Univ. Berlin, Hon. Prof. Univ. of Stellenbosch) / Winterfeldtstr. 61 / D-10781 Berlin / hess-luettich@campus.tu-berlin.de Prof. Dr. Achim Eschbach / Universität Duisburg-Essen / Kommunikationswissenschaft / Universitätsstraße 12 / 45117 Essen / Deutschland / achim.eschbach@uni-due.de Prof. Dr. Jürgen Trabant / Krampasplatz 4b / 14199 Berlin / Deutschland / trabant@zedat.fu-berlin.de Please send books for review to: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Luettich (Hon. Prof. Tech. Univ. Berlin) / Winterfeldtstr. 61 / D-10781 Berlin / hess-luettich@campus.tu-berlin.de Prof. Dr. Daniel Hugo Rellstab / Germanistik und Interkulturalität / PH Schwäbisch Gmünd / University of Education / Oberbettringer Straße 200 / D-73525 Schwäbisch Gmünd / daniel.rellstab@ph-gmuend.de Manuscripts should be written according to the Instructions to Authors (see last pages of this issue). Books will be reviewed as circumstances permit. No publication can be returned. An International Journal of Semiotics Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG Dischingerweg 5 / 72070 Tübingen / Germany Tel. +49 (07071) 97 97-0 / Fax +49 (07071) 97 97-11 / info@narr.de / www.narr.de / periodicals.narr.de LITERARISCHE MEHRSPRACHIGKEIT \ LITERARY MULTILINGUALISM Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de In der literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung ist das Interesse an Fragen der Mehrsprachigkeit in jüngerer Zeit international gestiegen. Das schließt an einen Trend an, der in der sprachwissenschaftlichen Forschung schon länger zu beobachten ist. Die Grenzen der ehemaligen Nationalphilologien werden unter Stichworten wie Hybridität, Inter- und Transkulturalität zunehmend geöffnet. Zu konstatieren ist dabei auch eine gesteigerte methodische und theoretische Eigenständigkeit philologischer oder kulturphilologischer Ansätze, die sich durch eine besondere Aufmerksamkeit für das Zusammenwirken von unterschiedlichen Formen sprachlicher Varianz in konkreten Texten auszeichnen. Dem damit sich konstituierenden Feld einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Mehrsprachigkeitsforschung bietet die Reihe einen Publikationsort. Dies geschieht auch mit dem Ziel, die vielfältige Forschung auf diesem Gebiet an einem Ort sichtbar zu machen und so den weiteren wissenschaftlichen Austausch zu fördern. - Ihrem Gegenstand entsprechend umfasst die Reihe die Einzelphilologien, das gesamte Spektrum der Kulturwissenschaften und punktuell auch die Sprachwissenschaften. Herausgeber: Prof. Dr. Till Dembeck (Université du Luxembourg) Prof. Dr. Rolf Parr (Universität Duisburg-Essen) Marion Acker, Anne Fleig, Matthias Lüthjohann (Hrsg.) Affektivität und Mehrsprachigkeit Dynamiken der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur 2019, ca. 300 Seiten, €[D] 78,00 ISBN 978-3-7720-8657-1 eISBN 978-3-7720-5657-4 erscheint: 2019/ 03 Andreas Leben, Alenka Koron (Hrsg.) Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext 2019, ca. 300 Seiten, €[D] 78,00 ISBN 978-3-7720-8676-2 eISBN 978-3-7720-5676-5 erscheint: 2019/ 05 Vol. 2 Vol. 1 - die neue Buchreihe zu literarischer Mehrsprachigkeit 40_2017_3-4_Umschlag.indd 4,6 06.03.2019 09: 25: 04 13,9 ARTICLES Sebastian Feil: A Semiotic Approach to the Notion of Context in Literary Studies Karl-Heinrich Schmidt & Margit Becher: Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten (IV) Hans W. Giessen: Karl Friedrich Schinkel und die Kirche zu Bischmisheim: Architekt, Gesellscha , Semiotik Franz Kasper Krönig: Die Materialität des Sinns sozialer Systeme Rafael Mollenhauer: Gemeinsame Aufmerksamkeit Oksana Havryliv: Das Zeichen und dessen Referentialität Claus Schlaberg: A Characterization of the Sciences as Contrasted with Fiction and Religion on Semantical Grounds Marie-Louise Käsermann: Binarität als semantische Grundlage von Meinen und Verstehen im Alltag Götz Wienold: Kannon-Tempel und Kannon-Statuen in Japan nach dem pazifischen Krieg REVIEW ARTICLES Hans J. Wulff: Rezeption und/ oder Wirkung fiktionaler Medieninhalte Ernest W. B. Hess-Lüttich: Die malischen Tuareg-Aufstände und ihr Bild in der Presse periodicals.narr.de Vol. 40 · July/ December 2017 · No. 3-4 An International Journal of Semiotics Vol. 40 · July/ December 2017 · No. 3-4 40_2017_3-4_Umschlag.indd 1,3 06.03.2019 09: 25: 04