eJournals

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4
Vol. 45 · No. 1-4 Editors: Achim Eschbach (†) · Ernest W. B. Hess-Lüttich · Jürgen Trabant Review Editor: Daniel H. Rellstab KODIKAS / CODE is an International Journal of Semiotics and one of the leading European scholarly journals in this field of research. It was founded by Achim Eschbach, Ernest Hess-Lüttich and Jürgen Trabant in order to promote multidisciplinary approaches to the study of sociocultural semiosis in 1979, and has been publishing high quality articles, in-depth reviews, and reports on all aspects of sign processes from historical, theoretical, and empirical perspectives since then. On a regular basis, KODIKAS / CODE also publishes special issues, collections of refereed articles on timely topics, solicited by guest editors. Languages of publication are German, English, and French; all contributions handed in to the editorial board are subject to a peer review process. Please send manuscripts electronically to either of these addresses: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Luettich (Prof. em. University of Berne, Hon. Prof. Tech. Univ. Berlin, Hon. Prof. Univ. of Cape Town) / Winterfeldtstr. 61 / D-10781 Berlin / luettich@campus.tu-berlin.de / hess-luettich@t-online.de Prof. Dr. Jürgen Trabant / Krampasplatz 4b / 14199 Berlin / Deutschland / trabant@zedat.fu-berlin.de Please send books for review to: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Luettich / Winterfeldtstr. 61 / D-10781 Berlin Prof. Dr. Daniel Hugo Rellstab / Germanistik und Interkulturalität / PH Schwäbisch Gmünd / University of Education / Oberbettringer Straße 200 / D-73525 Schwäbisch Gmünd / daniel.rellstab@ph-gmuend.de Manuscripts should be written according to the Instructions to Authors (see last pages of this issue). Books will be reviewed as circumstances permit. No publication can be returned. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 / 72070 Tübingen / Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 / info@narr.de / www.narr.de / narr.digital KODIKAS/ CODE An International Journal of Semiotics Volume 45 · No. 1 - 4 Themenheft / Special Issue Pragmatik der diskursiven Intentionalität. Intentionale Verben, Signifikanz und diskursive Rollen Verfasst von / edited by Joschka Briese (Europa-Universität Flensburg) 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen 2 Zeichentheoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3 Sprachtheoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus - Theorievergleich und reziproke Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 5 Exkurs: Diagrammatik und die Signifikanz des Denkens - Die Semiotik des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 155 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 10 Zwischenfazit: Diskursive Intentionalität, Signifikanz und intentionale Zeichen 189 11 EMSIFs, EMSIIs, EMSIBs - Theoretisches Vokabular zur Analyse subsentenzialer inferenzieller Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz . . . . . . . . . . . . 291 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen . . . . . . . . . . . . . . . 320 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken . . . . 346 17 Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Autor / Author . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Address of the Author . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten / Instructions to Authors . . . . . . . . . . . . 403 Das diesem Heft zugrunde liegende Manuskript wurde von der Europa-Universität Flensburg als Dissertation angenommen. Publication Schedule and Subscription Information The journal appears 2 times a year. Annual subscription rate € 175, - (special price for private persons € 128, - ) plus postage. Single copy (double issue) € 85, - plus postage. The subscription will be considered renewed each year for another year unless terminated prior to 15 November. Besides normal volumes, supplement volumes of the journal devoted to the study of a specialized subject will appear at irregular intervals. The articles of this issue are available separately on www.narr.digital © 2025 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, D-72070 Tübingen All rights, including the rights of publication, distribution and sales, as well as the right to translation, are reserved. No part of this work covered by the copyrights hereon may be reproduced or copied in any form or by any means - graphic, electronic or mechanical including photocopying, recording, taping, or information and retrieval systems - without written permission of the publisher. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Setting by: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Druck: Elanders Waiblingen GmbH ISSN 0171-0834 ISBN 978-3-381-13611-7 (Print) ISBN 978-3-381-13612-4 (ePDF) K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 1 Einleitung Gegenstand dieser Arbeit sind die handlungstheoretischen Grundlagen der linguistischen Pragmatik. Sie sollen linguistisch, semiotisch, sprach- und zeichenphilosophisch und pragmatistisch betrachtet werden, um eine neue Perspektive auf deren Analyse zu ermöglichen. Auch wenn ich mich in dieser Arbeit sozialen Handlungen vonseiten der Theorie und der Modellierung nähere und daher weniger explizit empirisch arbeite, so lässt sich die Notwendigkeit der theoretischen Erfassung der handlungstheoretischen Grundlagen der linguistischen Pragmatik doch anhand von sprachlichem Material veranschaulichen: 001 SZ irgendwie is des halt n riesen drama 002 und sie sagt halt auch dass die hannah 003 dann echt °hh halt viel heult zu hause 004 weil die mutter dann arbeiten geht oder 005 die ähm hannah isch da mit der mutter 006 dann auch beleidigt (0.24) °h ähm 007 (1.39) und (.) ähm also als sie se dann 008 abgeholt hat und dann eigentlich zeit 009 für die hannah hatte dann wollte die 010 hannah halt plötzlich nich (.) also 011 [hat dann einen auf auf ] 012 AW [is doch ah klar find ich] völlig 013 oka[y ] 014 SZ [auf] beleidigt und stur gemacht 015 [deshalb ] 016 AW [ein leich] tes 017 zei[chen von in]telligenz ich hau 018 BS [logisch ] 019 AW nämlich dann zurück wenn_s dem anderen 020 [weh tut sie kann] 021 SZ [hm ] 022 AW se ja schlecht bestrafen wenn die 023 mutter sowieso weg geht um zu arbeiten 024 [weil dann j ]uckt ses nämlich gar 025 SZ [hm ] 026 AW net ob die hannah schmollt odder [net] 027 SZ [ja ] 028 MS (.) ja blöd is die net Dieses Transkript dokumentiert Spuren von Handlungen in diskursiven Praktiken. 1 Es ließe sich auch auf semantische Gehalte hin untersuchen, auf Gesprächspartikeln oder SprecherInnenwechsel. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen aber Verhaltensdeskriptionen, die nicht nur Hinweise auf Verhaltensinterpretationen geben, sondern Zeichen explizieren, die für uns als sozial-kommunikative Wesen für die Konstitution von Verhalten als Handlung diskursiv relevant sind. Damit steht Diskursivität selbst unter analytischer Beobachtung, hier in Form von Handlungen. Es geht also weniger darum, die transkribierten Sachverhaltsdarstellungen und -beschreibungen hinsichtlich ihrer semantischen Angemessenheit oder propositionalen Struktur zu analysieren, sondern anzuerkennen, dass solche Beschreibungen sozial-normative Folgen für die dargestellten Personen haben können. Auch hierbei geht es weniger um Fragen sozialer Gerechtigkeit oder potenzielle Diskriminierung sozial Benachteiligter. Es geht darum, dass nur jemand, der als handelnde Person konstituiert wird, auch hinsichtlich diskursiver Normen beurteilbar ist. Die Spuren der Handlungskraft entfalten sich in diesem Transkript auf zweierlei Weise: drittpersonal und zweitpersonal. Drittpersonal handelt es sich um ein Gespräch von Mitarbeiterinnen einer sozialen Einrichtung über ein Mädchen und seine Mutter. Zweitpersonal ist es eine Kommunikationssituation mit verschiedenen sprachlichen Handlungen. Für eine analytische Betrachtung ist es sinnvoll, die verschiedenen Ebenen der Verhaltensdeskription zu unterscheiden: Zunächst kann man annehmen, dass die hier von SZ geschilderte Situation tatsächlich stattgefunden hat, zumindest dann, wenn man SZ zuweist, dass sie (im weiteren Sinne) die Wahrheit sagt. Es hat also etwas stattgefunden, was mehrere Personen involviert, als soziale Interaktion charakterisiert werden kann und von SZ beobachtet (und interpretiert) wurde. Diese Situation schildert SZ nun mithilfe einer Verhaltensdeskription, welche durch sprachliche Zeichen in das Gespräch der Mitarbeiterinnen eingebracht wird. Schon der Blick auf die verschiedenen Verben bzw. Verbkonstruktionen zeigt dabei, dass diese eine differenzierte Handlungssituation schildert: heulen, arbeiten (gehen), beleidigt sein, (jemanden) abholen, auf stur machen (i. S. v. störrisch sein), zurückhauen (i. S. v. heimzahlen), bestrafen, weggehen, nicht jucken (i. S. v. nicht stören), schmollen. Die Verben stellen hier aber nicht nur den Mittelpunkt der Verhaltensdeskription dar, sondern sind auch Hinweise auf Interpretationsprozesse, die es zu reflektieren gilt. Denn jedes hier geschilderte Verhalten hätte an den jeweiligen diskursiven Positionen der Sequenz auch anders dargestellt werden können und auch die Folge der dargestellten Tätigkeiten ist nicht kausal. Insbesondere bei denjenigen Verhaltensdeskriptionen, die auf Mentales rekurrieren, welches für Beobachtende nicht unmittelbar zugänglich ist, lassen sich diskursive Normen zur Beurteilung des Verhaltens hervorheben. Ein Beispiel: Phänomenal lässt sich zunächst schlicht feststellen, dass das Mädchen Hannah in dieser Situation eine von ihr erwartete Handlung nicht ausgeführt hat. An dieser Stelle wählt SZ zur Deskription die Verben bzw. Verbkonstruktionen beleidigt sein und auf stur machen 1 Es handelt sich um eine Mitarbeiterinnenbesprechung in einer sozialen Einrichtung, in der über einzelne betreute Kinder gesprochen wird. Die Daten stammen aus dem Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (FOLK_E_00026_SE_01_T_03_DF_01, 02: 53: 31.34 - 02: 54: 03.89). 2 1 Einleitung (i. S. v. auf stur schalten). Insbesondere die zweite Beschreibung ermöglicht sozial-kommunikative Anschlüsse in der Folgedeskription, die bei einer anderen Markierung des Verhaltens nicht möglich gewesen wären. Denn wer auf stur macht, der hat Gründe für seine Handlung und möchte sozial-kommunikativ etwas damit erreichen. An dieser diskursiven Position sind aber durchaus andere Verhaltensdeskriptionen vorstellbar: Hannah könnte etwas anderes zu tun haben, sie könnte die Handlungsaufforderung überhört haben, sie könnte sogar taub sein. Hier geht es nicht darum, zu beurteilen, welche Verhaltensdeskriptionen plausibler sind, sondern darum, zu zeigen, dass an dieser Stelle verschiedene Beschreibungsmöglichkeiten bestehen, deren Auswahl jeweils diskursive Konsequenzen für weitere Verhaltensdeskriptionen gehabt hätten. Der kommunikative Anschluss von AW, die das Verhalten als zurückhauen (i. S. v. heimzahlen) und bestrafen charakterisiert, ist nur dann sinnvoll, wenn das Verhalten von Hannah vorher als Handlung, das auf Gründen basiert, beschrieben wurde. Denn AW übernimmt hier die Explikation der angenommenen Gründe der Handlungsverweigerung von Hannah. Diese Sequenz der Verhaltensdeskription, die das Verhalten von Hannah als Handlung beschreibt, ist aber nicht nur die Darstellung von Verhalten, sondern kann als Spur der tatsächlichen Interpretation des Verhaltens als Handlung in der beobachteten Situation verstanden werden. Dies ist zumindest eine These der hier vorliegenden Arbeit. Damit geht es weniger um die semantischen Elemente der Darstellung als um diejenigen pragmatischen Elemente, die zur Interpretation von Verhalten als Handlung führen. Verhaltensdeskriptionen konservieren dann diese Interpretation des Sachverhalts als Handlungssituation. Das Transkript dokumentiert aber nicht nur Verhaltensdeskriptionen, sondern enthält auch Spuren sprachlicher Handlungen. Denn schließlich unterhalten sich hier verschiedene Personen miteinander. Auf die Erzählung von SZ, die vorwiegend aus assertiven sprachlichen Handlungen (hier: Behauptungen) besteht, folgen nicht nur unterschiedliche Gesprächspartikeln, sondern auch Äußerungen auf Ebene von propositionalen Gehalten, die ebenfalls als sprachliche Handlungen gelten können. Dies gilt sowohl für die explikatorischen sprachlichen Handlungen von AW, die das Verhalten von Hannah erklären, als auch für die affirmative sprachliche Handlung von MS. Während sich Spuren der Interpretation des Verhaltens von Hannah als Handlung in der Verhaltensdeskription noch anhand von Verben bzw. Verbkonstruktionen nachweisen lassen, fehlen auf der zweitpersonalen und teilnehmerzentrierten Ebene entsprechende explizite Strukturen, die diese unmittelbare Einordnung der Äußerungen in Klassen von sprachlichen Handlungen möglich macht. Auch auf Ebene der zweitpersonalen Kommunikation lassen sich (analog zur Verhaltensdeskription) verschiedene Ebenen der Handlungskonstitution und Handlungsinterpretation ausmachen. Zunächst äußern SZ, AW und MS etwas, was eine grammatische Wohlgeformtheit mündlicher Sprache aufweist und daher als sprachliche Äußerung zu erkennen ist. Diese Äußerungen zeichnen sich außerdem durch semantische (bzw. propositionale) Gehalte aus, weshalb diese als Kommunikat sozialer Interaktion erkennbar sind. Allein die sozial-kommunikative Handlungskraft der jeweiligen Äußerungen ist weder über syntaktische noch semantisch-propositionale Analysen vollständig rekonstruierbar. Vielmehr erfordert es weitere Elemente im Rahmen der Modellierung sprach- 1 Einleitung 3 licher Handlungen, um jene Handlungskraft zu erfassen. Hier kommen Konzepte wie Illokution, Intention oder Intentionalität in das theoretische Spiel der linguistischen Pragmatik, um implizite Handlungselemente diskursiver Praktiken zu erklären. Der Vergleich von Verhaltensdeskription und sprachlichen Handlungen mag auf den ersten Blick irritieren, denn Zeugnisse von Handlungen und Handlungen in der Interaktion scheinen sich wesentlich zu unterscheiden. Explizite Verhaltensdeskriptionen und implizite sprachliche Handlungen unterscheiden sich aber nicht kategorial, so zumindest die These dieser Arbeit, sondern basieren auf denselben diskursiven, normativen, kognitiven und sozial-kommunikativen Elementen, Strukturen und Prozessen. Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich Zweitpersonalität und Drittpersonalität, die eine Differenz in der kommunikativen Raste darstellt. Im Wesentlichen werde ich diese Strukturen und Prozesse, die zur Interpretation von Verhalten als Handlung führen, aus Verhaltensdeskriptionen rekonstruieren. Im Zentrum dieser Arbeit stehen also Verhaltensdeskriptionen als Hinweise für Interpretation von Verhalten als Handlung, nicht nur, um Reden über Dritte zu modellieren. Sie sind außerdem Hinweise, wie Äußerungen und andere Performanzen im Rahmen von sozialer Interaktion interpretiert werden. Weil die theoretische Modellierung wie Analyse von impliziten sprachlichen Handlungen auf Basis der hier entwickelten Grundlagentheorie aber weitere Erklärungen erfordert (z. B. differenzierte Sprachhandlungstypisierungen), liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf den Indizien, die Verhaltensdeskriptionen auf die Konstitution von Verhalten als Handlung liefern. Diese dienen als theoretischer Ausgangspunkt, um handlungstheoretische Fragen im Rahmen einer linguistischen Pragmatik zu stellen und entsprechende Antworten vorzuschlagen. Im Mittelpunkt stehen dabei jene sprachlichen Zeichen, die Handlungskraft signifizieren. Verben bilden dabei, wie das Transkript zeigt, nicht nur einen guten Ausgangspunkt zur Analyse von Handlungskraft, sondern bilden in den folgenden pragmatischen Reflexionen den Mittelpunkt der theoretischen Argumentation, wobei sich der hier vertretene Verbbegriff etwas von traditionellen, eher systemorientierten, Grammatiken unterscheidet (s. u.). Ziel der Arbeit ist es, Verben zu analysieren und zu modellieren, die Verhalten als Handlung signifizieren (intentionale Verben). Als Heuristik, die diese Interpretation strukturiert, wird außerdem der Begriff der diskursiven Intentionalität eingeführt, welcher als signifizierte Eigenschaft jener Wesen gelten kann, die als Handelnde in diskursiven Praktiken konstituiert werden. Die folgende Arbeit forscht auf dem Gebiet der linguistischen Pragmatik und trägt zugleich zum wissenschaftstheoretischen Projekt der Schärfung und Abgrenzung der Teildisziplin im Rahmen der gesamten Linguistik (und anderer sprachbezogener Disziplinen) bei (cf. dazu Ariel 2010). Hinter dem Begriff der linguistischen Pragmatik verbergen sich allerdings nicht nur unterschiedliche Themenbereiche, sondern auch verschiedene Zugänge zu den jeweiligen Phänomenbereichen. Als kanonisch für die linguistische Pragmatik können wohl die Analyse von sprachlichen Handlungen, Deixis und Referenz, Implikaturen, Präsuppositionen und anderen Formen der Unterspezifikation von Bedeutung verstanden werden. Psycho-, Diskurs-, Sozio- und Gesprächslinguistik sind aus der Perspektive einer anglo-amerikanischen Pragmatik dann eher Anwendungsbereiche linguistischer For- 4 1 Einleitung schung, in der genuin pragmatische Theorien erprobt werden können. Auch wenn ich mich in der Reflexion der pragmatischen Phänomenbereiche einer anglo-amerikanischen Pragmatik zuordne, so lässt sich ein fundamentaler Einwand einer kontinentalen Pragmatik kaum abweisen: Eine rein formale Darstellung der Theorie sowie die Exemplifikation der Begriffe anhand von einzelnen Beispielsätzen darf nicht der letzte Erkenntnisschritt sein. Vielmehr müssen sich die theoretischen Elemente zur Darstellung und Modellierung pragmatischer Prozesse auch an authentischem Sprachmaterial nachweisen bzw. plausibel in entsprechende Analysen implementieren lassen können. Auch wenn diese Arbeit vorwiegend mit konstruierten Beispielen arbeitet, so zeigen nicht nur das Transkript der MitarbeiterInnenbesprechung, sondern auch erste Analysen und Erprobungen theoretischer Elemente (cf. z. B. Briese 2021), dass die hier entwickelte Grundlagentheorie tatsächlich Erklärungen pragmatischer Prozesse auf Basis authentischen Sprachmaterials ermöglicht. Nun unterscheiden sich aber auch die verschiedenen anglo-amerikanischen Perspektiven auf pragmatische Prozesse, insbesondere hinsichtlich der hierarchischen Ordnung des theoretischen Vokabulars. Grundbegriff der hier vertretenen linguistischen Pragmatik ist der Begriff der Inferenz: Erkenntnisprozesse von Analysierenden, aber auch von Teilnehmenden in diskursiven Praktiken müssen demnach zunächst über Inferenzen und inferenzielle Relationen rekonstruiert werden. Aus dieser Perspektive involvieren Inferenzen diskursiver Praktiken außerdem Normen, die die verschiedenen Schritte eines inferenziellen Prozesses koordinieren. Hier folgt die Arbeit den theoretischen Annahmen Robert B. Brandoms (insbesondere EV). Das Projekt dieses Buches, welches die handlungstheoretischen Grundlagen der linguistischen Pragmatik reflektiert, ist außerdem in einen semiotischen Pragmatismus eingebettet, der nicht nur die Spezifik der hier vertretenen linguistischen Pragmatik schärft, sondern auch weiteres Vokabular zur Analyse bereitstellt. Doch auch der semiotische Pragmatismus, der auf Charles S. Peirce zurückgeht, divergiert je nach Forschungstradition in seinen erkenntnistheoretischen Annahmen. Auch wenn ich die Einzelheiten in dieser Einleitung noch nicht diskutieren möchte, sind insbesondere zwei Aspekte hervorzuheben, die für die folgende Arbeit grundlegend sind: die fundamentale Prozesshaftigkeit von Zeichen (auch zeitlich-räumlich) und die Ablehnung eines Zeichenbegriffs, der Zeichen als externe Objekte der Reflexion und Wahrnehmung definiert. Während die Prozesshaftigkeit von Zeichen im semiotischen Pragmatismus weitgehend anerkannt ist und unter den Begriffen Semiose und Kontinuum auch Anwendung findet, ist es insbesondere die Externalisierung von Zeichen als Objekten, die hier vermieden werden muss: Im engeren Sinne ist etwas, auf das (diskursiv oder sozialkommunikativ) verwiesen werden kann, dann kein Zeichen mehr, sondern schlicht Objekt eines Zeichen-, Erkenntnis- oder Interpretationsprozesses. Hier wende ich mich entschlossen gegen die Peirce-Interpretation von Charles W. Morris (und auch von H. P. Grice), die Tendenzen zu jener Externalisierung zeigen (cf. dazu z. B. Pietarinen 2004, Pietarinen/ Bellucci 2015). Stattdessen folge ich einer semiotisch-pragmatistischen Traditionslinie, die in Deutschland prominent z. B. von Helmut Pape (cf. 1989, 1997, 2004) vertreten wird und die Zeichen stets als Element eines Erkenntnisbzw. Interpretationsprozesses versteht und nicht als Objekt einer Welt “ da draußen ” . Stattdessen wird dem Konzept der Indexikalität 1 Einleitung 5 insofern viel Platz eingeräumt, als dass es das Verhältnis zwischen Zeichenprozess und Objekten als stets situativ gestiftet begreift, ohne dabei ein relativistisches Verhältnis anzunehmen (cf. dazu z. B. Harendarski 2012, Jäger 2008, 2018 b). In dieser Traditionslinie folgen die zeichentheoretischen Reflexionen nicht nur den Arbeiten Charles S. Peirces, sondern auch den Interpretationen des semiotischen Pragmatismus T. L. Shorts (insbesondere 2007) und Vincent Descombes (insbesondere 2011, 2014). Neben sprach- und zeichentheoretischen Grundlagen der oben genannten Werke schließt dieses Forschungsprojekt außerdem an die Arbeiten Ulf Harendarskis (cf. 2003, 2007, 2012, 2013, 2016, 2021 a) an. Der hier gewählte Zugang zu pragmatischen Prozessen, insbesondere handlungstheoretischen, erfolgt aber zunächst auf formale Weise und arbeitet stärker mit relationslogischen, graphischen und diagrammatischen Modellierungen. Denn im Mittelpunkt stehen insbesondere relationale Momente, die etwas zu einem Zeichen für eine Handlung machen. Als Beitrag zur Grundlagenforschung der linguistischen Pragmatik muss diese Arbeit auch wesentliche Begriffe der Analyse von pragmatischen Prozessen schärfen bzw. neu bestimmen. Auch wenn im Laufe der theoretischen Reflexionen ein ausführliches theoretisches Vokabular entwickelt werden soll, möchte ich an dieser Stelle zumindest einige zentrale Termini erläutern, die immer wieder aufgegriffen (und teilweise an gegebener Stelle ausführlicher diskutiert) werden: Zeichen, Signifikanz, Verben und diskursive Intentionalität. Zeichen werden im Rahmen dieser Arbeit nicht als empirische Objekte zur Untersuchung verstanden, sondern als Momente in einem Kontinuum an Inferenzen. Dabei geht es weniger um die materiale Oberfläche, sondern insbesondere um die normativen und kognitiven Elemente, die zur Erschließung von Wirklichkeit (und damit auch zur Handlungskonstitution) verwendet werden. Zeichen werden nicht nur als prozesshaft und flüchtig verstanden, sondern gliedern sich im Sinne des triadischen Zeichenbegriffs Charles S. Peirces entlang mehrerer Aspekte, die zwar formal unterschieden werden können, aber nur in ihrer Gesamtheit Zeichen konstituieren. Dabei geht es um signifikante Zeichenmittel (Repräsentamen), Objekte und kognitive, habituelle und inferenzielle Elemente (Interpretanten). Diese Aspekte des Zeichens (und ihre Typen) werden im Laufe der Arbeit weiter erläutert, um eine semiotische Basis der theoretischen Modellierung zu schaffen. Der Begriff des Zeichens wird an gegebener Stelle um den Begriff der Signifikanz ergänzt, weil er erlaubt, Elemente zu analysieren, die unterhalb des Zeichens dieses strukturieren und zur Zeichenwerdung (Signifikation) beitragen. Weil die hier analysierten Zeichen auf Handlungsebene untersucht werden, hilft der Begriff der Signifikanz bzw. signifikativen Struktur dabei, einzelne phänomenale Momente zu erfassen (und sie anschließend zu modellieren). Weil signifikative Elemente selbst keine Zeichen sind, sondern zur Zeichenwerdung beitragen, sollten auch deren Darstellungen selbst nicht als Zeichenrepräsentationen verstanden werden. Die Modelle der signifikativen Struktur sprachlicher Zeichen (hier insbesondere intentionaler Verben) ähneln eher einer “ Nebelkammer ” , welche die flüchtigen Strukturen und Relationen im Zeichenprozess sichtbar macht. Handlungstheoretisch zentriert sich die Arbeit um den Begriff der diskursiven Intentionalität. Dieser Begriff, welcher strukturelle Ähnlichkeiten mit einem phänomenologi- 6 1 Einleitung schen Verständnis von Intentionalität aufweist, erfasst “ the capacity to engage in linguistic semantic contents within a shared linguistic community ” (Sachs 2014: 2), “ the kind of intentionality that we use to characterize the ‘ aboutness ’ or ‘ of-ness ’ of thoughts, beliefs, desires, and more generally, anything with propositional content. ” (Sachs 2014: 8) bzw. “ the intentionality of propositional discourse ” (ebd.). Es geht um die handlungstheoretische Voraussetzung, die es Personen ermöglicht, an diskursiven Praktiken teilzunehmen. Es ist jene Eigenschaft, die - um auf das Transkript zurückzukommen - SZ, AW, BS und MS Hannah zuschreiben (bzw. diese Zuschreibung bestätigen), wenn sie diese als soziales, normatives und diskursives Wesen in der Interaktion mit ihrer Mutter konstituieren. Und es ist dieselbe Fähigkeit, die theoretisch vorausgesetzt werden muss, wenn man davon ausgeht, dass sich SZ, AW, BS und MS gegenseitig als sozial-kommunikative Wesen in ihrem Gespräch verstehen. Diskursive Intentionalität erfasst aber nicht nur sprachliche Praktiken im engeren Sinne, sondern all jene Handlungen, bei denen sprachliche Zeichen nur wenige Inferenzen entfernt sind, sei es als Bedeutungsgehalt oder Konstitutionselement. Dem Begriff der diskursiven Intentionalität widme ich ein gesamtes Kapitel und auch die signifikanztheoretischen Modellierungen von intentionalen Relationen (und Verben) zehren von dieser Diskussion. Die Begriffe Zeichen, Signifikanz und diskursive Intentionalität kulminieren in einem Verbbegriff, der sich von anderen eher systemlinguistischen Definitionen unterscheidet. Denn es geht hier weniger darum, dass Verben grammatische Elemente innerhalb eines Sprachsystems sind, sondern darum, dass sie als kognitive Elemente verstanden werden können, die Relationen und Strukturen bereitstellen, welche Handlungsinterpretationen ermöglichen. Dies ist zunächst dem Fakt geschuldet, dass Verben, insbesondere intentionale Verben, da auftreten bzw. auftreten können, wo gehandelt wird bzw. Handlungen beschrieben werden (und damit diskursive Intentionalität in das diskursive Spiel kommt). Intentionale Verben gelten hier als Zeichen unterhalb der Handlungsebene, die eine signifikative Struktur aufweisen, die sich als intentionale Relation (und deren Elemente) analysieren lässt. Mit ihnen lassen sich also Handlungsinterpretationen rekonstruieren. Eine inferenzialistische Perspektive kommt diesem Verständnis von Verben insofern zugute, als dass damit eine Essenzialisierung und Individuation von sprachlichen Zeichen vermieden wird. Denn auch intentionale Verben sollten im Folgenden nicht als Objekte mit immanenten und feststehenden Gehalten verstanden werden, sondern als Zeichen in Inferenzen, die flüchtige Strukturen aufweisen, die die Emergenz von sozialen Handlungen erklären können. Es soll also um handlungstheoretische Fragen der linguistischen Pragmatik gehen. Verschiedene handlungstheoretische Aspekte werden dabei linguistisch, semiotisch, sprach- und zeichenphilosophisch und pragmatistisch reflektiert. Der Begriff der diskursiven Intentionalität stellt dabei gewissermaßen den Grundbaustein von Handlungstheorien diskursiver Praktiken bereit. Ausgehend von einer ausführlichen Reflexion des Begriffs sowie der Modellierung seiner Elemente auf Basis sprachlicher Zeichen können grundlegende Annahmen der linguistischen Pragmatik sowohl infrage gestellt als auch neu begründet werden. Insbesondere geht es dabei um die Frage, warum wir etwas als Handlung verstehen. Dies bildet die Grundlage für viele Bereiche menschlicher Kommunikation, 1 Einleitung 7 sodass hier eine geschärfte linguistische Perspektive gewinnbringend sein kann. Aus der Konstitution von Verhalten als Handlung in der sozialen Interaktion lassen sich auch andere Themenbereiche der Arbeit ableiten. Denn die hier folgenden theoretischen Argumente erfassen nicht nur Verhalten und Handlung, sondern auch Aspekte der Kognition, der Interpretation, der diskursiven Normen und der Entstehung von Bedeutung. Es geht also darum, eine pragmatistische Grundlage für die Analyse kognitiv-semiotischer und kognitiv-linguistischer Prozesse zu entwickeln, aus der sich weitere Fragen und Forschungsaufgaben entwickeln lassen können. Ziel ist daher, mithilfe der theoretischen Reflexionen Grundlagen der linguistischen Pragmatik neu zu setzen. Auf Basis eines pragmatistisch-semiotischen und inferenzialistischen Vokabulars sollen die Grundlagen für ein Forschungsprogramm geschaffen werden, welches die Interpretation und Konstitution von Handlungssituationen in diskursiven Praktiken aus der Perspektive der Signifikanz von Verben untersucht (Verbpragmatik). Die Arbeit unterteilt sich daher in verschiedene Abschnitte, die einige Etappen auf diesem Weg nehmen. Es werden zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen des Forschungsprogramms etabliert, die weitgehend auf anderen Forschungsperspektiven beruhen. Erst im zweiten Teil reflektiere ich diese Grundlagen auf Basis des hier hergestellten Szenarios der Handlungskonstitution von Verhalten in diskursiven Praktiken. Dabei geht es um diskursive Intentionalität, deren Signifikanz als intentionale Relation bei intentionalen Verben sowie handlungstheoretische und relationslogische Modellierungen. Die Reflexionen, Argumente und Modelle stellen einen Hauptertrag dieser Arbeit dar, da sie nicht nur die theoretischen Prämissen der Verbpragmatik erklären, sondern auch wesentliche Instrumente für linguistische Analysen bereitstellen. Abschließend werden die Modelle an drei Teilbereichen der linguistischen Pragmatik erprobt, um Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms aufzuzeigen. Dabei geht es um sprachliche Handlungen, die Konstitution von Diskursakteuren in drittpersonaler Kommunikation und um die Involviertheit diskursiver Normen zur Beurteilung von Handlungen. Diese Perspektiven stellen aber nicht nur ein ausführliches Fazit der Arbeit dar, sondern entwickeln die grundlegenden Argumente und Modelle an den verschiedenen Teilbereichen weiter, sodass eine ausführlichere Darstellung von pragmatischen Prozessen, Elementen und Relationen in diskursiven Praktiken entsteht, die sich mit dem Begriff der diskursiven Intentionalität assoziieren lassen. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Fragestellung, warum wir (als sozial-kommunikative, normative und diskursive Wesen) etwas in diskursiven Praktiken als (sozial-kommunikative, normative bzw. diskursive) Handlung verstehen. Weil der Zugang zu dieser Frage stets linguistisch bleibt, folgen aus der Beantwortung dieser Frage weitere Fragen für Strukturen und Elemente sprachlicher Zeichen, wie sie in pragmatischen Prozessen diskursiver Praktiken auftreten. Folgende Fragen erfassen dabei den spezifischen Kern dieser Arbeit: 1. Wie muss Interpretation beschaffen sein, um etwas als Handlung zu verstehen? 2. Welche semiotischen Prozesse führen zur Interpretation von etwas als Handlung? Wie lassen sich diese semiotischen Prozesse analysieren und modellieren? 8 1 Einleitung 3. Welche sprachlichen Zeichen verfügen über signifikanzstrukturelle Eigenschaften, um etwas als Handlung zu konstituieren? Wie lassen sich diese signifikativen Strukturen analysieren? 4. Wie tragen intentionale Verben zur zeichenbasierten Interpretation von etwas als Handlung bei? 5. Welche Konsequenzen hat eine verbzentrierte Perspektive für das theoretische Verständnis von Handlungsinterpretationen? 6. Wie gliedert sich eine verbpragmatische Perspektive in eine linguistische Pragmatik und eine allgemeine Linguistik ein? 7. Wie lassen sich die hier vertretenen Thesen und Argumente empirisch belegen bzw. was tragen sie zu einer empirischen Untersuchung von sozialer Interaktion bei? Anstatt hier Fragen zu formulieren, die direkt in dieser Arbeit beantwortet werden, zeichnen diese Fragen den argumentativen Verlauf dieser Arbeit nach: Jede Folgefrage deutet bereits die Antwort der vorherigen Frage an. (1.) Ausgangspunkt bleibt der Moment der Interpretation von etwas als Handlung, wobei die Frage bereits impliziert, dass Interpretation an der Handlungskonstitution in gewisser Weise beteiligt und dass Handlungsinterpretation mehr als Decodieren von Verhalten ist. (2.) Ausgehend von den zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen muss jene Verhaltensinterpretation nicht nur mithilfe von Zeichen und Zeichenprozessen beschrieben werden können, sondern wesentlich auf diesen beruhen. Daher sollen eben jene Elemente hervorgehoben werden, deren semiotische Aspekte zur Interpretation von etwas als Handlung führen. (3.) Aus linguistischer Perspektive lassen sich sprachliche Zeichen als kognitive Elemente zur Handlungsinterpretation analysieren, die als signifikative Momente in der Konstitution agieren. (4.) Und diese lassen sich im engeren Sinne auf intentionale Verben zurückführen. Die Unterscheidung zwischen sprachlichen Zeichen, die diskursive Intentionalität zuschreiben, und intentionalen Verben ist nicht nur ein feingliedriger analytischer Schritt. Tatsächlich hilft die Trennung auch, um zwischen der grammatischen Form und der signifikativen Funktion in pragmatischen Prozessen zu unterscheiden: So ist z. B. das Wort Verschwörung im engeren Sinne kein Verb, lässt sich aber signifikativ auf das intentionale Verb (sich miteinander) verschwören zurückführen. (5.) Diese Zentrierung auf intentionale Verben muss aber auch auf die Frage nach der Interpretation von etwas als Handlung zurückgeführt werden. Denn der argumentative Schritt, dass spezifische Verben bei der Konstitution von etwas als Handlung relevant seien, ist nicht eingängig. (6.) Weil diese Arbeit aber mehr ist als die Betrachtung einer Verbklasse an der Schnittstelle von Grammatik und Semantik und ein Forschungsprogramm entwirft, soll dieses in die Disziplin der linguistischen Pragmatik selbst eingeordnet werden. Auch wenn an dieser Stelle wissenschaftstheoretische Reflexionen naheliegen würden, geht es vielmehr um den Entwurf einer Erprobung von Argumenten und Modellen in Kernbereichen linguistischer Pragmatik. (7.) Weil diese Arbeit keinen Anspruch auf empirische Ergebnisse hat bzw. keine Erkenntnisse über spezifische Interaktionen bereitstellen möchte, bleiben Erhebung und Analysen von Korpora ein zukünftiges Projekt. Dennoch können nicht nur das obige Transkript, sondern auch die konstruierten Beispiele wie einzelnen Belege aus Zeitungskorpora zeigen, dass die explizite Nennung von intentionalen Verben 1 Einleitung 9 nicht nur ein angemessener Ausgangspunkt für theoretische Arbeiten ist, sondern auch die Projektion der Erkenntnis in den Bereich der impliziten pragmatischen und normativen Signifikanz (zweitpersonal) ermöglicht. Als Beitrag zur Grundlagenforschung der linguistischen Pragmatik verzichtet diese Arbeit weitgehend auf empirische Belege und arbeitet sich an den theoretischen Voraussetzungen der linguistischen Pragmatik ab. Dabei folge ich einer semiotisch-pragmatistischen und inferenzialistischen Traditionslinie. Aber theoretische Arbeit in einer Begriffswissenschaft wie der Linguistik bedeutet sowohl Arbeit mit Texten als auch Arbeit am Text. Intellektuell und in argumentativer Auseinandersetzung stehen dabei zentrale Texte und Werke der semiotisch-pragmatistischen und inferenzialistischen Tradition im Mittelpunkt (insbesondere Peirce, Brandom, Short, Descombes). Diese werden nicht nur vorgestellt, sondern auf den jeweils fokussierten Erkenntnisbereich (z. B. Intentionalität) angewandt. Weil semiotischer Pragmatismus und normativer Inferenzialismus viele theoretische Prämissen teilen (cf. Kapitel 4), lässt sich eine stringente Argumentation mit ihnen aufbauen. Die theoretische Arbeit verbleibt aber nicht bei diesen Forschungstraditionen, sondern blickt auf Thesen, Prämissen und Argumente, die aus benachbarten Forschungsperspektiven stammen (insbesondere Millikan und Jacques, aber auch Dennett und Davidson). Deren Erkenntnisse können unter Berücksichtigung der hier vertretenen zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen nicht nur anerkannt, sondern entsprechend gewendet werden, sodass sie sich in das gesamte theoretische Bild integrieren lassen. Andere Theorien, die sich ebenfalls mit z. B. handlungs- oder intentionalitätstheoretischen Aspekten beschäftigen, werden teilweise ausführlicher (z. B. Searle, Grice), teilweise skizzenhaft (z. B. Brentano, Husserl, Anscombe, von Wright) zurückgewiesen, wenn sie mit den hier präsentierten Argumenten inkompatibel sind oderAspekte aufgreifen, die im Rahmen dieserArbeit nicht berücksichtigt werden sollen. Diese Auseinandersetzung dient sowohl der Schärfung der hier vertretenen Perspektive als auch der Veranschaulichung des theoretischen Überhangs, der in der Diskussion entsteht. Arbeit am Text bedeutet auch, dass ich in dieser Arbeit keine Ergebnisse einer Erhebung dokumentiere, sondern dass der Text gewissermaßen stets an der Theorie mitarbeitet. Denn Schreiben ist auch ein Denken zu Fluchtpunkten hin, sowohl den theoretischen Diskussionspartnern als auch den abschließenden Kapiteln. Insofern ist diese Arbeit die Spur eines Denkprozesses, der sich in argumentativer Abwägung gelegentlich auch selbst neu erfindet. Dies gilt vor allem für die vorgenommenen Modellierungen, die zumeist die argumentativen Schritte konservieren, aber nicht als stetige Ergebnisse einer theoretischen Betrachtung gelten sollten. Vielmehr aktualisieren sie sich zu einem gewissen Teil stets oder setzen zumindest neue Gewichtungen für die Analyse. Die Arbeit besteht im Wesentlichen aus drei Teilen, die unterschiedliche Schwerpunkte in der Beantwortung der Forschungsfragen legen: Teil I (Kapitel 2 - 5) legt die zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen der theoretischen Reflexionen und bildet damit das Grundgerüst der weiteren Argumente und Modelle. Teil II (Kapitel 6 - 13) präsentiert die wesentlichen Argumente und grenzt diese von anderen handlungstheoretischen Perspektiven ab. Gleichzeitig werden das grundlegende theoretische Vokabular eingeführt und erste relationslogische und signifikanzstrukturelle Elemente modelliert. Teil III 10 1 Einleitung (Kapitel 14 - 16) wendet das theoretische Vokabular und die entsprechenden Modelle dann auf die Bereiche des sprachlichen Handelns, der Analyse von Diskursakteuren und der Involviertheit diskursiver Normen an. Kapitel 2 erklärt die zeichentheoretischen Grundlagen der Arbeit. Ausgehend von einer Beschreibung des semiotischen Pragmatismus werden Zeichen als Elemente etabliert, die zwischen universalen Kategorien und Pragmatischer Maxime oszillieren. Dafür wird die Semiotik wissenschaftstheoretisch in ein Feld an wissenschaftlichen Perspektiven eingegliedert, um deren grundlegende Funktion zu erklären. In dem daraus resultierenden theoretischen Platz lassen sich sowohl Zeichen, Zeichenelemente und -relationen als auch Zeichenprozesse theoretisch erfassen. Hierzu werden die verschiedenen Aspekte des Zeichens vorgestellt und in ihren Effektzusammenhängen erklärt und auch typisiert. Dabei geht es um Zeichenmittel, Objekte bzw. Objektrelationen und Interpretanten sowie deren Typen. Im Mittelpunkt stehen dabei insbesondere kognitiv-semiotische und inferenzielle Aspekte des Zeichens, weil diese auch im weiteren Verlauf der Arbeit im Fokus stehen. Der Begriff der Inferenz, der hier das erste Mal als semiotischer Begriff eingeführt wird, ermöglicht außerdem eine analytische Betrachtung von Zeichenkonstitution, welche Inferenzen bzw. inferenziellen Relationen eine Art Scharnierfunktion bei interner und externer Zeichenkonstitution zuweist. Gleichzeitig ermöglicht er es, Zeichen nicht als feststehende Elemente zu begreifen, sondern als Momente in einer sich kontinuierlich verändernden Semiose (Kontinuum). Kapitel 3 etabliert einen pragmatischen Sprachbegriff auf Basis der semiotischen Grundlagen. Ausgehend von einer normativen Pragmatik wird zwischen Pragmatik und Pragmatismus unterschieden, um grundlegende Funktionen sprachlicher Zeichen (auch in Hinsicht auf Handlungstheorie) zu beschreiben. Der Begriff des sprachlichen Zeichens basiert dabei nicht nur auf den Grundlagen des semiotischen Pragmatismus, sondern pendelt zwischen Aspekten diskursiver Normen bzw. der impliziten Normativität diskursiver Praktiken einerseits und Inferenzen bzw. inferenziellen Relationen andererseits hin und her, welche in der Perspektive des normativen Sprachpragmatismus kulminieren. Hierzu wird zwischen Regeln, Konventionen und Normen unterschieden und sozialen bzw. diskursiven Normen ein wesentlicher Platz in diskursiven Praktiken eingeräumt (und modalem Vokabular, insbesondere Modalverben, ein explikatorisches Potenzial zugewiesen). Inferenzen und inferenzielle Relationen, die auf Basis dieser diskursiven Normen entstehen, werden hier aus inferenzialistischer Perspektive analysiert und von anderen Inferenzbegriffen der linguistischen Pragmatik unterschieden. Abschließend wird das Verhältnis von normativer Pragmatik und inferenzieller Semantik noch einmal expliziert und möglichen theoretischen Einwänden zuvorgekommen. Kapitel 4 führt die theoretischen Perspektiven von Kapitel 2 (semiotischer Pragmatismus) und Kapitel 3 (normativer Sprachpragmatismus) zusammen. Dabei werden sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschieden der beiden Perspektiven hervorgehoben, um zu zeigen, wo sich diese in den zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen dieser Arbeit ergänzen können. Kapitel 5 ist ein kurzer Exkurs zur Diagrammatik von Modellen. Auf Basis von phänomenologischen und semiotischen Annahmen rechtfertige ich den Gebrauch von Modellen im Rahmen dieser Untersuchung und hebe deren Erkenntnispotenziale hervor. 1 Einleitung 11 Kapitel 6 setzt sich ausführlich mit dem Begriff der Intentionalität auseinander. Weil dieser Begriff nicht nur erklärungsbedürftig ist, sondern auch in verschiedenen Disziplinen unterschiedlich verwendet wird, werde ich hier mehrere Disziplinen betrachten, die diesen Begriff prominent gebrauchen. Insbesondere Phänomenologie, (analytische) Handlungstheorie, Psychologie und Kognitionswissenschaft stehen dabei im Fokus. Durch diese Beschäftigung wird ein wissenschaftliches Feld für eine ausführliche Analyse von diskursiver Intentionalität bereitet, welche sich von phänomenaler Intentionalität, Intention, Absicht, Volition, kognitiver Verursachung und Agentivität unterscheidet. Kapitel 7 grenzt den zu entwickelnden Begriff der diskursiven Intentionalität von anderen handlungstheoretischen Implikationen ab, auf die sich die linguistische Pragmatik prominent beruft. Dabei stehen die intentionalistischen Theorien H. P. Grices und John R. Searles im Mittelpunkt, da deren wesentliche Annahmen auch weiterhin Grundlagen vieler handlungsorientierter Sprachtheorien bilden. Theorie der Sprecherbedeutung und (klassische) Sprechakttheorie werden nicht nur kurz vorgestellt, sondern auch ausführlich kritisiert. Daraus resultiert nicht nur ein Desiderat der diskursiven Intentionalität, sondern es werden deren zeichen- und sprachtheoretische Implikationen hier erstmals offengelegt. In Kapitel 8 analysiere ich diskursive Intentionalität in der Tradition des normativen Sprachpragmatismus bzw. Inferenzialismus. Ausgehend von einer holzschnittartigen Definition von diskursiver Intentionalität setze ich mich mit deren inferenziellen und normativen Strukturen auseinander. Dabei stellen sowohl Robert B. Brandoms Interpretation des Intentional Stance Daniel Dennetts als auch dessen Handlungstheorie einen wesentlichen Anteil dar. Erstere ermöglicht, zu erklären, warum diskursive Intentionalität als sozial konstituiert verstanden werden sollte und nicht auf ursprünglicher Intentionalität gründet. Die handlungstheoretischen Darstellungen ermöglichen eine binnendifferenzierte Betrachtung des Begriffs der diskursiven Intentionalität. Die Analyse der diskursiven Intentionalität wird in Kapitel 9 fortgeführt, allerdings aus semiotischer Perspektive. Damit wird diskursive Intentionalität weniger als vollwertiges Zeichen verstanden, denn als spezifische Signifikanz im Rahmen diskursiver Praktiken zur Konstitution von Verhalten als Handlung. Mithilfe der Schriften T. L. Shorts lässt sich diese Signifikanzstruktur anhand intentionaler Verben nachweisen, sodass diese anschließend in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Mithilfe einer Reflexion der Thesen Ruth Millikans zu intentionalen Ikons kann der Signifikanzbegriff (und damit auch der Begriff des intentionalen Verbs) an einigen Positionen erweitert werden, sowohl hinsichtlich einer kooperativen (und damit sozialen) Funktion als auch einer signifikativen Suffizienz sprachlicher Zeichen: Die kooperative Funktion zeigt dabei, dass sich intentionale Zeichen bzw. Verben oftmals nicht auf Subjekt-Objekt-Relationen reduzieren lassen, sondern auch soziale Relationen involvieren. Die Frage nach der signifikativen Suffizienz sprachlicher Zeichen beschäftigt sich hingegen mit dem Verhältnis der signifikativen Oberfläche und ihrer Möglichkeit, Strukturen hinreichend zu signifizieren. Kapitel 10 fasst die Theorien Brandoms, Shorts und Millikans aus den Kapiteln 8 und 9 zusammen. Ich wiederhole wesentliche Aspekte der verschiedenen Ansätze, um theoretisches Vokabular vorzubereiten, welches intentionale Verben in diskursiven Praktiken analysieren kann. 12 1 Einleitung Kapitel 11 führt theoretisches Vokabular zur Analyse subsentenzialer inferenzieller Relationen ein. Weil die theoretischen Erklärungen zur diskursiven Intentionalität bis dahin entweder auf das Verhältnis von Handlung und Verhalten (eher objektrelational) oder auf die inferenziellen Relationen propositionaler Gehalte beschränkt sind, hilft dieses Vokabular, die inferenziellen Strukturen subsentenzialer sprachlicher Zeichen (wie Verben) zu erfassen. Kapitel 12 stellt das Zentrum der linguistisch-pragmatischen Reflexionen dieser Arbeit dar, da dort die relevanten theoretischen Prämissen und Abgrenzungen der vorherigen Kapitel zusammenlaufen und eine spezifische verbpragmatische Perspektive entwickelt wird. Zunächst wird diskursive Intentionalität als Phänomen diskursiver Praktiken epistemologisch etabliert und damit Erkenntnisschritte der vorherigen Kapitel rekapituliert. In Abgrenzung zu eher natürlich-kausalen Prozessen, aber auch Intentionen erweist sich diskursive Intentionalität hier als diskursive Heuristik, die von Interlokutoren in diskursiven Praktiken angewandt wird: Als Abstraktion zweiter Ordnung ist sie eine Voraussetzung, um jemandem spezifische mentale Strukturen wie Handlungsintentionen zuweisen zu können. Danach werden intentionale Verben von anderen Verbtypen unterschieden, die ähnliche Phänomene erfassen und teilweise strukturelle Ähnlichkeiten mit intentionalen Verben aufweisen. Insbesondere Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologische Verben und phänomenologische Intentionalitätsverben werden vorgestellt und vom Analysebereich diskursiver Intentionalität abgegrenzt. Dabei werde ich zeigen, dass die Analyse intentionaler Verben spezifisches Vokabular erfordert, welches im Rahmen linguistischer Forschung bisher nicht entwickelt wurde. Daraus resultiert, dass intentionale Verben z. B. strukturell ähnliche Signifikanzen mit semantischen Rollen aufweisen, aber der Begriff der semantischen Rolle diese signifikativen Strukturen nicht adäquat erfassen kann. Mithilfe der relationalen Logik Charles S. Peirces analysiere und modelliere ich anschließend intentionale Verben. Hierzu wird Relationslogik nicht nur vorgestellt, sondern der Schwerpunkt auf intentionale Relationen als signifikative Struktur gelegt. Dabei zeige ich, dass intentionale Relationen keine bivalenten Strukturen sind und daher der Begriff der Transitivität nur bedingt auf diese angewandt werden kann. Bei Berücksichtigung tiefenstruktureller relationslogischer Aspekte zeichnen sich intentionale Verben vielmehr durch ihre indirekte Transitivität aus. Auf Basis der zeichen- und sprachtheoretischen Prämissen sowie der relationslogischen Perspektive entwickle ich dann ein Grundlagenmodell intentionaler Verben, welche das Fundament weiterer relationslogischer und signifikanzstruktureller Analysen bildet (und in den folgenden Kapiteln jeweils weiterentwickelt wird). Intentionale Verben werden als signifikative Strukturen dargestellt, die neben ihrer zentralen semantischen Relation (und deren Relata) auch eine Ebene diskursiver Normen sowie eine objektrelationale Ebene aufweisen. Hierzu wird auch (in Abgrenzung zu semantischen Rollen) der Begriff der diskursiven Rolle eingeführt, welche signifikative Relata erfasst, die Personen mit Handlungsfähigkeit und normativer Beurteilbarkeit ausstatten können. Weil aber intentionale Relationen, insbesondere in sozialen Interaktionen, kaum auf Subjekt-Objekt-Relationen reduziert werden können, erweitere ich das Grundlagenmodell anschließend mithilfe der Begriffe der sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen 1 Einleitung 13 Relationen. Diese Binnendifferenzierung intentionaler Relationen ermöglicht es, dass auch analysiert werden kann, wie soziale, kooperative und kollektive Relationen in diskursiven Praktiken signifiziert werden. Insbesondere im Bereich sozial-kommunikativer Handlungen bzw. Handlungsdeskriptionen ist dieses theoretische Vokabular unabdingbar. Anschließend wird auf Basis des theoretischen Vokabulars zur Analyse von subsentenzialen inferenziellen Relationen die signifikative Oberfläche und inferenzielle Gliederung intentionaler Verben hinsichtlich diskursiver Intentionalität analysiert. Denn bei einer Klassifikation der Involviertheit intentionaler Relationen bei Verben zeigt sich, dass es eine Menge an Verben gibt, die signifikativ ergänzt werden müssen, um Intentionalität zu attribuieren. Und andere Verben tilgen sogar Inferenzen hinsichtlich diskursiver Intentionalität. Zuletzt werden die Analysen unter dem Begriff einer linguistischen Verbpragmatik zusammengeführt. Dabei werde ich nicht nur die vorherigen Aspekte wiederholen, sondern eine umfassende relationslogische und signifikanzstrukturelle Darstellung gestalten. Denn ausgehend von der Zeichenwerdung des Verhältnisses von intentionalem Verb und Verhalten, also der Konstitution von etwas als Handlung, lassen sich verbpragmatisch auch weitere (vorausliegende und folgende) Handlungsaspekte und -relationen modellieren und rekonstruieren. Im Teil II abschließenden Kapitel 13 werden diejenigen Praktiken vorgestellt, die in sozialer Interaktion zur Emergenz diskursiver Intentionalität führen: Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration. Während sich die Analysen intentionaler Verben zuvor noch auf mikrostruktureller Ebene bewährt haben, wird über diese diskursiven Praktiken das Verhältnis von interagierenden Personen zur Konstitution von Handlungskraft hergestellt. Es geht also darum, welche Praktiken (auf Basis intentionaler Verben) diskursive Intentionalität in das sozial-kommunikative Spiel einbringen. Diese Praktiken werden anhand der Valenz des Verbs zuschreiben definiert und um ein Akzeptanzkriterium ergänzt. Mit Kapitel 14 beginnt die Darstellung der Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms und der damit verbundenen Weiterentwicklung der Modelle zur Analyse pragmatischer Prozesse in diskursiven Praktiken. Dabei stehen zunächst sprachliche Handlungen im Mittelpunkt. Während die ersten Kapitel insbesondere drittpersonale Konstitution von Handlungen thematisiert haben, geht es hier um pragmatische Signifikanz in zweitpersonaler Interaktion. Dabei werden sprachliche Handlungen zunächst im Rahmen inferenzialistischer Theorien etabliert und anhand Brandoms Minimalset an sprachlichen Handlungen (Behauptungen, Berufungen, Distanzierungen, Nachfragen und Anfechtungen) veranschaulicht. Dann wird die sprachliche Handlung der Behauptung exemplarisch semiotisiert, um zu zeigen, dass auch hier intentionale Verben eine wesentliche Scharnierfunktion, auch in der Konstitution von Interlokutoren, einnehmen. Weil die Analyse sprachlicher Handlungen zeigt, dass verschiedene intentionale Relationen von intentionalen Verben nicht voneinander isoliert werden können, wird über den Begriff der zeichenrelationalen Triangulation die Wechselwirkung intentionaler Relationen veranschaulicht. Kapitel 15 vertieft die Analyse der verschiedenen Relata der intentionalen Relationen von Verben (diskursive Rollen). Ausgehend von der Instanziierung einer Äußerung wird nicht 14 1 Einleitung nur die Konstitution von Interlokutoren, sondern auch von drittpersonalen Handlungsakteuren (Delokutoren) modelliert. Dabei kann nicht nur auf Basis diskursiver, sondern auch anhand kategorialer Strukturen der Unterschied von Interlokutoren und Delokutoren begründet werden. Anaphorische Relationen stellen dabei den Übergang von Zweitzu Drittpersonalität (und vice versa) her. Kapitel 16 greift noch einmal die implizite Normativität diskursiver Praktiken auf und beschäftigt sich mit diskursiven Normen, die als Grundlage pragmatischer Prozesse gelten dürften (Konversationsmaximen). Mithilfe der Analyse von Konversationsmaximen (und dem Prinzip der wohlwollenden Interpretation) als Präsumtionsregelerwartungen wird ein Übergang zu einer verbpragmatischen Perspektive ermöglicht. Diese kann anschließend plausibilisieren, dass über Substitutionsprozesse, die auf subsentenzialen inferenziellen Relationen beruhen, die Involviertheit diskursiver Normen bei Handlungen expliziert werden kann. Kapitel 17 fasst abschließend die Arbeit zusammen und zeigt weitere Forschungsperspektiven auf. Diese Arbeit wäre ohne einen Forschungszusammenschluss wie das Forschungs- und Lektürekolloquium Sprachwissenschaft (FLeKS) undenkbar. Ausführliche Diskussionen und kollektives Denken haben mich und meine Arbeit nicht nur bereichert, sondern auch wesentlich geprägt. Obwohl sich die Besetzung des FLeKS über die Jahre immer wieder verändert hat, haben sich viele Gedankengänge doch fortgesetzt. Viele der klugen Beiträge von Studierenden wie Alexandra Fessner, Luc Dettmann oder Tiziana Hallmann gehen weit über das hinaus, was ich zu Zeiten der Gründung des FLeKS im Jahr 2013 hätte hinzufügen können. Diese intellektuelle Kontinuität möchte ich nicht missen. Neben den Debatten mit Franz Januschek sind es insbesondere die kritischen Auseinandersetzungen mit Jim Asmussen, Jonathan Klix und Rasmus Karschny, die mir in Erinnerung geblieben sind und die sich teilweise bis zum heutigen Tage fortsetzen. Alle drei haben sich trotz ihrer eigenen Promotion immer wieder Zeit genommen, sich meine Ideen anzuhören, mit mir zu durchdenken und zu diskutieren. Ich verdanke Ulf Harendarski nicht nur eine herzliche Betreuung dieser Arbeit. In den vielen Jahren unserer Zusammenarbeit ist eine Form symbiotischer Theoriebildung entstanden, von der ich nicht nur profitieren konnte, sondern die mir auch eine neue Art des Denkens eröffnet hat: stets mit wohlwollendem und neugierigem Auge auf alles zu schauen, auch wenn es doch so merkwürdig wirkt auf den ersten Blick. Und dabei immer die Person zu schätzen, die einem gegenübersitzt. Dass zwischen heftigen Debatten meiner kruden theoretischen Ideen und meinem ödipalen Bedürfnis nach wissenschaftlichem Vatermord verschiedene Thesen und Argumente entstanden sind, die einer Prüfung standhalten können, ist ihm zu verdanken. Einen besseren Sparringspartner hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich bin sehr glücklich, dass Ellen Fricke die Zweitbegutachtung dieser Arbeit zu einem so späten Zeitpunkt übernommen hat. Sich bereit zu erklären, sich mit dieser Arbeit und damit auch mit den theoretischen Grundlagen der Disziplin auseinanderzusetzen, ist heutzutage zwischen akademischer Selbstverwaltung, Forschungsprojekten und Lehre keineswegs selbstverständlich. Auch wenn sich unsere wissenschaftlichen Perspektiven wohl in 1 Einleitung 15 einigen Bereichen unterscheidet, sind es doch eben jene kritischen Blicke, die meine weitere Forschung beflügeln. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem Ernest Hess-Lüttich, der nicht nur ein konzises Drittgutachten zu dieser Arbeit erstellt und sich über die Anforderung hinaus dem gesamten Text auseinandergesetzt, sondern diese Arbeit außerdem in die Zeitschrift “ Kodikas/ Code ” aufgenommen hat. Dass meine theoretische Arbeit im Rahmen der linguistischen Pragmatik damit als ein relevanter Beitrag zur Semiotik betrachtet wird, freut mich sehr. Ich danke dem Bundesland Schleswig-Holstein und der Europa-Universität Flensburg, dass sie mich von 2016 bis 2018 mit einem Promotionsstipendium gefördert haben. Viele theoretische Aspekte dieser Arbeit haben ihren Ursprung in dieser Zeit, in der ich noch den gesamten Tag in wissenschaftlicher Literatur stöbern und exzerpieren konnte. Teilweise ziellos, aber stets in Erwartung eines wissenschaftlichen Arguments. Meiner Mutter Brigitte bin ich über das Interesse an Sprache verbunden. Ich bin froh, dass sie mich in dieser Leidenschaft gefördert hat. Viele Anmerkungen bei der Endredaktion verdanke ich meinem Vater Ekkehard, der sich schon viele Jahre mit meinem rohen Stil herumplagen muss, aber sich stets bereit erklärt, meine Texte zu redigieren. Zwischen Kritik und Würdigung findet er stets die richtigen (und persönlichen) Worte. Ich danke Lisa, die mich während der Promotionszeit nicht nur unterstützt, entlastet und in frustrierenden Phasen besänftigt, sondern sogar geheiratet hat. Ohne ihren Beistand hätte ich meine theoretische Arbeit sicherlich nicht bewältigen können. Für diesen Beistand danke ich auch Tjomme, der sich oft gefragt hat, was Papa denn da bei der Arbeit mache und Jorin, der noch unschuldig mit prallem Lächeln im Stubenwagen liegt. 16 1 Einleitung I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen The fact that it is a hallmark of modernity that normative force is understood to depend on the possibility of the legitimating account expressing a rationale for it underlines a key feature characteristic of the modern form of Geist: for it, language becomes the medium of recognition. Their specifically linguistic expression is now an essential aspect of recognitive attitudes of attributing and acknowledging normative statuses. (AST: 501) Die Analyse der Sprache liefert uns eine Fülle von Material, ab dem man den Charakter des geistigen Prozesses untersuchen kann, der in diesem Aufstieg [zu höheren Abstraktionsstufen, J. B.] mündet. Die menschliche Sprache entwickelt sich von einem vergleichsweise konkreten zu einem abstrakten Stadium. (Cassirer 2007: 208 f.) Die Spannung zwischen Symbolsystemen einer Kultur und den Individuen, die sich ihrer bedienen, ist prägend für die spezifischen menschlichen Formen des Bewusstseins. (Donald 2008: 280 f.) Sprache reicht über ihren systematischen Status hinaus, da sind sich Robert B. Brandom, Ernst Cassirer und Merlin Donald in ihren Analysen einig. Brandom hebt insbesondere die Rolle der Sprache hinsichtlich Normativität und Anerkennung hervor, betont also sozialnormative Aspekte. Ernst Cassirer stellt in Versuch über den Menschen (2007) eher anthropologische Fragen über den Status sprachlicher und anderer symbolischer Formen. Es geht hier weniger um Sprache in der sozialen Interaktion, sondern um Sprache als strukturgebendes Element geistiger Prozesse, hier als abstraktionsermöglichende Struktur. Auf ähnliche Weise fasst auch Merlin Donald Sprache auf, befasst sich aber eher mit der Oszillation sprachlicher Formen zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. deren kulturellen Ausprägungen. Mit Brandom, Cassirer und Donald stehen hier exemplarisch drei Denker bereit, die nicht nur unterschiedliche Perspektiven auf das Erkenntnisobjekt Sprache ermöglichen, sondern deren Erkenntnisse die Rahmung des im Folgenden zu entwickelnden Zeichen- und Sprachbegriffs ermöglichen: Sprache bzw. sprachliche Zeichen werden als Element sozialnormativer und kognitiver Prozesse verstanden, die bisweilen konstitutive Funktionen in kulturellen (und im Rahmen der linguistischen Pragmatik insbesondere performativen) Prozessen einnehmen. Trotz dieser vermeintlichen Einigkeit bilden sich zwischen den verschiedenen Perspektiven auf Sprache Konfliktlinien. Denn dass Sprache stattfindet, ist selbstverständlich, wie sie aber prozessiert, konstituiert und wirkt, ist Thema strenger und bisweilen polemischer Diskussionen. Die stattfindende Diskrepanz zwischen trivialer Tatsache und konkurrierenden Paradigmen lässt sich anhand zweier Aspekte der Sprachwissenschaft entfalten. Zunächst ist das Erscheinen des Wortes Sprache kein Hinweis auf das Sprachverständnis der Autoren, sondern ermöglicht es vielmehr, die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks zu bewahren: Denn Sprache ist mehr als langage, langue und parole, wie z. B. Eugenio Coseriu (1985) zeigt. Gleichzeitig herrscht, auch durch das Wiedererstarken realistischer und empiristischer Tendenzen, eine Theorievergessen- und -verdrossenheit innerhalb vieler linguistischer Disziplinen, sodass z. B. Äußerungsinterpretationen im Rahmen empirischer Erhebungen teilweise unzureichend begründet werden (cf. z. B. dazu Kindt 2010: 142 f., Staffeldt 2019: 35 f.). Ausführliche theoretische Reflexionen zum Untersuchungsgegenstand und den entsprechenden bestimmenden Parametern, zu denen auch immer der verwendete Sprachbegriff gehört, finden z. B. im Rahmen einer Gesprächsanalyse häufig nicht statt, auch deshalb, weil so unverzüglich zur Datenerhebung und -auswertung übergegangen werden kann (cf. aber z. B. Grunzig 2019). Sowohl mannigfaltige Beschreibungen und Analysen von sprachlichen Prozessen als auch Tendenzen der Theorievergessen- und -verdrossenheit sollen im Folgenden gehemmt werden, um kraft theoretischer Reflexionen sowohl die zeichentheoretischen als auch sprachtheoretischen Grundlagen der anschließenden Betrachtung zu erklären und zu präzisieren. Die zeichentheoretischen Grundlagen entwickeln sich entlang der pragmatistischen Zeichentheorie Charles S. Peirces (semiotischer Pragmatismus). Der semiotische Pragmatismus dient nicht nur der Etablierung des semiotischen Fundaments des in dieser Arbeit vertretenen Sprachbegriffs, sondern formuliert grundlegende semiotische Prinzi- I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen 19 pien und Prozesse, die die Zeichenhaftigkeit der Wirklichkeit erklären und damit die Demarkierung sprachlicher Zeichen zu anderen Zeichen aufzeigen. In der Kluft zwischen universalen Kategorien und Pragmatischer Maxime, welche einerseits die phänomenologische Struktur skizziert und andererseits sowohl methodologische als auch epistemologische, semantische und handlungstheoretische Prinzipien formuliert, entwickelt sich ein pragmatischer Zeichenbegriff, welcher Zeichen und deren Prozesse im Gebrauch darstellt, sich aber auch als Grundgedanke einer linguistischen Pragmatik etablieren lässt. Neben der bekannten Dreiwertigkeit des Zeichens, welche Zeichenmittel bzw. Repräsentamen, Objekt bzw. Objektrelation und Interpretanten umfasst, lassen sich außerdem unterschiedliche Qualitäten des Zeichens differenzieren und die verschiedenen Relationen und Kraftlinien entwickeln. Die Unterscheidung zwischen den Kraft- und Effektverhältnissen der Materialität, Medialität, Repräsentation, Signifikation, Referenz und Inferenz bietet nicht nur ein theoretisches Vokabular, sondern auch eine präzise Analyse unterschiedlicher Relationen und Relata des Zeichens. Die kognitive Struktur nimmt im Rahmen der Modellierung des Zeichens eine prominente Rolle ein, sodass eine Darstellung der unterschiedlichen Interpretations- und Erkenntnisprozesse sowie Zeicheneffekte zu einer kognitiven Semiotik führt, welche traditionell auch auf der Zeichentheorie Charles S. Peirces fußt (cf. z. B. Konderak 2018: 214 f.). Neben einer internen Zeichenkonstitution öffnet sich das Zeichenmodell des semiotischen Pragmatismus außerdem einer externen Konstitution des Zeichens, da sich Zeichen ausschließlich in Zeichenprozessen verfassen und erfassen lassen. Entsprechend wird der externen Zeichenkonstitution (insbesondere in Bezug auf die zeichenphilosophische Interpretation des semiotischen Pragmatismus) ebenfalls ein Abschnitt gewidmet. Nach der Etablierung des semiotischen Pragmatismus wendet sich der Text dem normativen Sprachpragmatismus Robert B. Brandoms und dessen sprachtheoretischen Grundlagen zu. Entlang der Frage, was denn Pragmatik und Pragmatismus sei, entwickelt sich ein pragmatisches Sprachverständnis, welches die konstitutive Kraft und diskursive Signifikanz sprachlicher Zeichen in den Mittelpunkt der Sprachtheorie rückt. Dem Grundsatz folgend, dass sich implizite Normativität diskursiver Praktiken nicht auf Gesetze, Regeln oder Konventionen reduzieren lässt, argumentiert der normative Sprachpragmatismus für einen Normativitätsbegriff, der sich von regulistischen, regularistischen und konventionalistischen Regelbegriffen abgrenzt. Dem normativen Sprachpragmatismus folgend, lassen sich die impliziten diskursiven und sozialen Normen mithilfe von Modalverben innerhalb diskursiver Praktiken explizieren, sodass Modalverben ein zentrales theoretisches Vokabular des normativen Sprachpragmatismus darstellen. Robert B. Brandoms inferenzielle Semantik dient anschließend zur Erklärung der dynamischen und prozesshaften Bedeutungskonstitution, siedelt sich innerhalb der inferenzialistischen Sprachtradition an und grenzt sich von begriffsähnlichen Sprachkonzepten ab. Die substanzielle Abhängigkeit der inferenziellen Semantik von normativer Pragmatik ermöglicht es dann, einen normativen Inferenzialismus (cf. Turbanti 2017) zu formulieren und auszuarbeiten, welcher semantische und pragmatische Prozesse und Relationen als ein interdependentes Netzwerk betrachtet, sodass Bedeutungskonstitution und handlungsleitende soziale und diskursive Normen miteinander analysiert werden müssen. Semantisches Vokabular wird dabei ebenso eingeführt wie konditionale Umstände 20 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen und Folgen von sprachlichen Handlungen, die ko- und kontextuelle Antezedenz- und Konsequenzrelationen inferenziell modellieren. Die beiden systematischen Theorien des semiotischen Pragmatismus und des normativen Sprachpragmatismus werden anschließend bezüglich ihrer semantischen, pragmatischen, ontologischen, kategorialen, epistemologischen sowie methodologischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht, um wechselseitige Bezüge herzustellen. Im Rahmen dieser reziproken Integration beider Ansätze zeigt sich, dass sie jeweilige theoretische Leerstellen des anderen füllen und sich anschließend in eine linguistische Pragmatik überführen lassen können. Neben den zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen sowie deren theoretischer Integration wird dieses Kapitel außerdem durch einen Exkurs zu diagrammatischen Darstellungsweisen ergänzt, welcher die Modellierungsformen und -gestalten der Untersuchung erklärt. I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen 21 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 2 Zeichentheoretische Grundlagen Abstract: The answer to the question of how we constitute behavior as social action and how the concept of discursive intentionality is established in social-normative practices can only be achieved through an elaborated concept of signs. This chapter therefore introduces Charles S. Peirce's semiotic pragmatism, which provides the sign-theoretical foundations for the following considerations. The focus is not only on the phenomenological and pragmatic foundations as well as various aspects and relations of signs. In the context of pragmatics, the formation along cognitive semiotics and its irreducible embedding in a continuous semiosis and sign constitution is particularly relevant. Zusammenfassung: Die Antwort auf die Frage, wie wir Verhalten als soziale Handlung konstituieren und sich das Konzept der diskursiven Intentionalität in sozial-normativen Praktiken etabliert, kann nur über einen elaborierten Zeichenbegriff gelingen. Dieses Kapitel stellt daher den semiotischen Pragmatismus nach Charles S. Peirce vor, der die zeichentheoretischen Grundlagen der folgenden Überlegungen bereitstellt. Es stehen nicht nur die phänomenologischen und pragmatistischen Grundlagen sowie verschiedene Zeichenaspekte und -relationen im Mittelpunkt. Im Rahmen einer linguistischen Pragmatik ist insbesondere die Gliederung entlang einer kognitiven Semiotik relevant sowie ihrer irreduziblen Einbettung in eine kontinuierliche Semiose und Zeichenkonstitution. Keywords: Charles S. Peirce, semiotic pragmatism, cognitive semiotics, signs, semiosis Schlüsselbegriffe: Charles S. Peirce, Semiotischer Pragmatismus, Kognitive Semiotik, Zeichen, Semiose Eine der zentralen sprach- und zeichentheoretischen sowie -philosophischen Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts ist wohl das irreduzible Verhältnis von Zeichen und Bedeutung, welches sich z. B. im Verhältnis von Signifikant und Signifikat wiederfindet. Während der Ferdinand de Saussure der Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft bzw. dessen Schüler Charles Bally und Albert Sechehaye noch Signifikant und Signifikat strikt trennen, entwickeln sich im Laufe des 20. Jahrhunderts Denktraditionen, die die Irreduzibilität des Zeichens zu restaurieren suchen. So zeigt z. B. Jacques Derrida (1983), dass das transzendentale Signifikat im Strukturalismus nicht nur ohne Signifikant denkbar zu sein scheint, sondern kritisiert auch dessen logozentrische Konsequenzen, welche dem Signifikat eine hierarchische Übergeordnetheit zuweisen, anstatt sich dem gesamten Zeichen zu widmen. Das Verhältnis zwischen Signifikant und Signifikat ist aber nicht nur in der Sprachphilosophie reflektiert, sondern auch in der Sprachwissenschaft aufgearbeitet worden. Exemplarisch hierfür sind z. B. Arbeiten von Thomas Metten (2014), Ludwig Jäger (z. B. 1975, 2018 a), Christian Stetter (2005) und Jan Georg Schneider (2008). Aber auch diskurslinguistische Untersuchungen z. B. von Johannes Angermüller (2007 b) heben die genuine Einheit des Zeichens bzw. von Signifikant und Signifikat hervor. Daher kann die Explikation dieses Verhältnisses nicht mehr als Desiderat der Sprachwissenschaft betrachtet werden, auch wenn verschiedene Untersuchungen und Arbeiten doch unterschiedliche Facetten dieses Verhältnisses hervorheben. Stattdessen steht heutzutage vielmehr die Frage im Mittelpunkt, ob sich die Semiotizität der Sprache auf Bedeutung bzw. Semantik beschränkt oder ob sie auch Sprachgebrauchskategorien und damit auch die linguistische Pragmatik zu erfassen hat. In der hier vertretenen sprachpragmatischen Perspektive, in welcher die Unterscheidung von Semantik und Pragmatik eher einen wissenschaftsheuristischen Wert zur Sprachdeskription hat, gilt die irreduzible Relation nicht nur für das Verhältnis von Semantik (Bedeutung) und Semiotik (Zeichen). Auch pragmatische, sozial-normative und handlungstheoretische Aspekte der Sprache und des sprachlichen Handelns müssen sich mithilfe semiotischer Betrachtungen, wenn nicht gänzlich erklären, doch zumindest spezifizieren lassen: keine linguistische Pragmatik also, die nicht auch semiotisch und semiosisch ist. Diese These der Irreduzibilität des Verhältnisses von Performanz und Zeichen findet z. B. bei Charles S. Peirce einen Vorläufer und soll im Weiteren nicht nur skizziert, sondern auch begründet werden, indem u. a. dessen Zeichentheorie vorgestellt wird. Dass Sprache im Allgemeinen auch zeichenhaft ist, darüber sind sich sprachbezogene Disziplinen weitestgehend einig. Selbst Disziplinen, die Sprache eher als Nebenprodukt kognitiver Prozesse verstehen, erkennen der Sprache eine basale Zeichenhaftigkeit zu. Allerdings unterscheiden sich die semiotischen Prämissen in unterschiedlichen Disziplinen und auch in der Sprachwissenschaft kursieren unterschiedliche Zeichenbegriffe, welche in den jeweiligen Untersuchungen nicht notwendigerweise expliziert oder theoretisch reflektiert werden. Eine Pluralität an Zeichenbegriffen innerhalb der Linguistik ist dabei nicht nur selbstverständlich, sondern auch wünschenswert. Dennoch sollten die verwendeten Zeichenbegriffe benannt, beschrieben und ggf. illustriert werden, da unterschiedliche Zeichendefinitionen auch zu unterschiedlichen hermeneutischen wie empirischen Erkenntnissen führen. Vor einer Interpretation, Rekonstruktion und Modellierung eines Zeichenbegriffs müssen nicht nur die erklärten Ziele der Theorie, sondern auch die grundlegenden erkenntnistheoretischen Annahmen expliziert werden, um einen angemessenen Zeichenbegriff zu implementieren. Grundlegende Annahme der hier vertretenden Zeichentheorie ist, dass die Wirklichkeit zeichenhaft strukturiert und prozessiert ist und Zeichen nicht nur von ZeichennutzerInnen verwendet werden. Zeichen haben also eine wirklichkeitskonstitutive 1 Funktion. Gleichzeitig muss sich das Zeichenmodell im Rahmen einer linguistischen Pragmatik bewähren und eine gebrauchsbasierte Perspektive ermöglichen. Sowohl 1 Der Begriff der Wirklichkeitskonstitution grenzt sich vom Begriff der Wirklichkeitskonstruktion insofern ab, dass er zunächst auf die Trend- und Kampfvokabel soziale Konstruktion verzichtet (cf. hierzu Hacking 1999) und gleichzeitig nicht-semiosische Elemente als kodeterminierende Aspekte zur Konstitution akzeptiert. Insbesondere im Rahmen der sprachlichen Wirklichkeitskonstitution werden dem Effektbereich der Sprache von kausalen Prozessen Grenzen gesetzt. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 23 diese pragmatische Perspektive als auch die wirklichkeitskonstitutive Funktion lassen sich in der Zeichentheorie Charles S. Peirces wiederfinden. Deshalb sollen im Folgenden sowohl die phänomenologischen als auch erkenntnistheoretischen Prämissen der Semiotik Peirces expliziert werden, um anschließend einen Zeichenbegriff vorzustellen, der innerhalb einer linguistischen Pragmatik und kognitiven Semiotik angewandt werden kann. Durch ihre lange Tradition ist die Zeichentheorie Peirces nicht nur bereits vielfach interpretiert und präsentiert worden, sondern ist auch in vielen Aspekten bereits in die deutschsprachige linguistische Theoriebildung eingegangen (cf. z. B. schon Stetter 1979). Insofern muss gerechtfertigt werden, inwiefern sich die hier stattfindenden Darstellungen der Peirce'schen Zeichentheorie von anderen Zusammenfassungen unterscheiden bzw. warum entsprechende Erklärungen dieser Zeichentheorie auch heute noch notwendig sind. Dies hat insbesondere drei Gründe: Erstens ist die Zeichentheorie Peirces keineswegs eindeutig hinsichtlich ihrer erkenntnistheoretischen wie ontologischen Annahmen. Vielmehr beanspruchen unterschiedliche Traditionen und Schulen für sich, dass Peirce ihre theoretischen Positionen stützen würde. Abseits einer Diskussion der Legitimität der Inanspruchnahme, welche im Rahmen der Peirce-Forschung z. B. in der Zeitschrift Transactions of the Charles S. Peirce Society ausführlich dokumentiert ist, ist es doch für die Arbeit notwendig, (direkt oder indirekt) einer spezifischen Peirce-Interpretation zu folgen bzw. diese für die entsprechenden Reflexionen und Überlegungen anzuerkennen, um keine widersprüchliche Theorie zu entwickeln. Insofern stellen die folgenden Abschnitte und Kapitel nicht den Zeichenbegriff Peirces dar, sondern denjenigen, den der semiotische Pragmatismus aus den Schriften Peirces expliziert hat. Der semiotische Pragmatismus scheint mit einer linguistischen Pragmatik insgesamt nicht nur kompatibel zu sein, sondern hebt die sozial-normativen und kognitiven Aspekte sprachlicher und diskursiver Praktiken prominent hervor. Zweitens ist das theoretische Vokabular und Inventar Peirces begrifflich nicht selbstverständlich und muss nicht nur erläutert, sondern auch in ein entsprechendes Verhältnis zum theoretischen Vokabular der Arbeit gesetzt werden. Insofern ist die Beschreibung des theoretischen Vokabulars auch Arbeit am Begriff selbst und muss sich in der weiteren Theoriebildung als praktisch und theoriefördernd erweisen. Die Etablierung des theoretischen Vokabulars hat neben seiner Erklärung insbesondere die Funktion, die expliziten semiotischen und semiosischen Aspekte der Sprachtheorie zu markieren. Insofern ruft das Vokabular Peirces in seiner weiteren Verwendung im Rahmen dieser Arbeit auch immer ein zeichentheoretisches Register auf und verweist damit auf den kategorialen Rahmen der Argumentation. Drittens, und das gilt nicht nur für die Darstellung der Zeichentheorie Peirces, sondern auch für Darstellungen von Theorien und theoretischen Aspekten generell, soll die Explikation des semiotischen Vokabulars Missverständnissen vorbeugen, die die Interpretation der semiotischen Aspekte der Sprachtheorie betreffen. Indem Begriffe wie Zeichen, Signifikanz, Bedeutung, Semiose oder Inferenz mithilfe von Peirce erklärt werden, schließt es, so hoffe ich, einige mögliche Interpretationen eines Zeichenbegriffs aus, die mit der hier vertretenen theoretischen Position womöglich inkompatibel sind. Die folgenden Kapitel sind also weniger für Peirce-Experten geschrieben oder versuchen gar, einen Beitrag zum Verständnis der Schriften Peirces zu leisten. Vielmehr steht ein 24 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen funktionales und explikatorisches Interesse im Mittelpunkt, welches die Stätte für die weitere Theorie bereiten soll und ggf. Peirce-Interessierten einen Einblick in dessen Zeichenbegriff geben kann. 2.1 Triadomanie 2 - Einführung in den semiotischen Pragmatismus Eine Interpretation und Rekonstruktion der Zeichentheorie von Charles S. Peirce sieht sich gleich zu Beginn mit zwei eklatanten Schwierigkeiten konfrontiert, die durch die entsprechende theoretische Rahmenentscheidung zu unterschiedlichen Zeichenkonzeptionen führen können: die Fülle an Schriften und deren prozesshafter Modus sowie die Positionierung und Rezeption dieser von unterschiedlichen Denktraditionen wie Teildisziplinen der Semiotik. Die Schriften Peirces sind nicht nur umfangreich, sondern liegen zudem nicht in vollständiger Fassung vor. Das Peirce Edition Project an der Indiana University-Purdue University Indianapolis wertet die Manuskripte und Mitschriften weiterhin aus und rekonstruiert ihre Inhalte. Erschwerend kommt hinzu, dass Peirce selbst keine vollständige Monographie verfasst hat, sondern sich dessen theoretische Fragmente auf unterschiedliche Artikel, Lexikoneinträge, Briefe und Vorlesungsmitschriften verteilen. Nichtsdestotrotz ist das bisherige Schriftenverzeichnis umfangreich und bietet einen ausführlichen Fundus an Zeichendefinitionen sowie deren unterschiedlichen Aspekten. Die fragmentarischen Schriften zeichnen sich außerdem durch einen prozesshaften Modus aus, der die unterschiedlichen Artikel Peirces in einen historischen Denkzusammenhang und eine dynamische Theoriebildung stellt. Im Verlauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat Peirce seine theoretischen Begriffe nicht nur nuanciert verändert, sondern teilweise vollständig verworfen und ersetzt bzw. er nutzt Termini auf unterschiedliche Weise. Dazu kommt, dass Peirce erst ab ca. 1903 eine ausgearbeitete Zeichentheorie vorgelegt hat, die für die linguistische Pragmatik nutzbar ist (cf. Rellstab 2008: 341 f.). Insofern lassen sich insbesondere dessen Schriften ab dem 20. Jahrhundert zur Modellierung eines Zeichenbegriffs heranziehen. Trotzdem ist eine Lektüre und Interpretation seiner frühen Schriften unerlässlich, da Peirce dort nicht nur den Grundstein für seine theoretischen Begrifflichkeiten gelegt, sondern Ideen skizziert hat, die er in den folgenden Jahren nicht mehr (in dieser Form) aufgegriffen hat. Diese sind aber trotzdem für die Theoriebildung dieser Arbeit relevant, insbesondere dann, wenn es um eine Erklärung der kategorialen Grundpositionen und -relationen geht (cf. Kapitel 15.3), welche u. a. auf Peirces I-THOU-IT-Paradigma beruht, welches er zwischen 1859 und 1861 skizziert hat (cf. W1: 45 f., 530). Neben der Editionslage sowie den verschiedenen Zeichendefinitionen Peirces stellt insbesondere die wissenschaftliche Rezeption der Schriften eine Forderung an die theoretische Konzeption des Zeichenbegriffs. Ebenso wie andere Wissenschaftsdisziplinen wird auch die Semiotik von Paradigmenwechseln erfasst, sodass auch die Schriften Peirces aus einem hegemonialen Paradigma heraus interpretiert werden. Dieser dominante 2 Mit diesem selbstironischen Ausdruck bezeichnet Peirce (cf. DAVT) seine eigene Forschungsperspektive (cf. auch Spinks 1991). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 25 Denkstil (cf. z. B. Fleck 1980) scheint mir in der zeitgenössischen Peirce-Rezeption der semiotische Realismus zu sein, dessen Vertreter (z. B. Deely 2007, 2009, Houser 2016, Stjernfelt 2007, 2014) die Objektdimension des Zeichens fokussieren. 3 Der semiotische Realismus ist auf mehrfache Weise reizvoll. Als Abgrenzung von einem semiotischen Idealismus (cf. hierzu Savan 1983), welcher Objekte eines Zeichenprozesses als vorwiegend artifiziell versteht, thematisiert der semiotische Realismus die Widerständigkeit der Realität und bindet sie als wesentliches Zeichenkorrelat in die Zeichenprozesskonzeption ein. Insofern setzt er nicht nur einem beliebigen Zeichenprozess vonseiten des Objektes, sondern auch dem semiotischen Idealismus eine Grenze (zur Debatte von semiotischem Idealismus und Realismus cf. z. B. Parker 1994, Short 1994). Gleichzeitig ist insbesondere in zoo- und biosemiotischen Forschungsparadigmen ein semiotischer Realismus insofern zielführend, als dass Zeichenprozesse analysiert werden können, ohne sozial-normative und kulturelle Aspekte berücksichtigen zu müssen. Insofern ist es nachvollziehbar, dass z. B. Vinicius Romanini und Eliseo Fernández die Zeichentheorie Peirces als “ extreme realism ” (2014 a: 3) bezeichnen. 4 Für einen Zeichenbegriff, der die sozial-normative, diskursive und konstitutive Kraft von Zeichenprozessen im Rahmen von linguistischen Praktiken explizieren soll, ist ein semiotischer Realismus allerdings weniger zielführend. Deshalb orientiert sich die folgende Interpretation, Rekonstruktion und Modellierung der Zeichentheorie an den Zeichenbegriffen, die sich innerhalb der linguistischen Pragmatik an Peirce orientiert haben (cf. z. B. Scherer 1984, Schneider 1975, 1992, Stetter 1999, 2005). Anstatt sich in das Konfliktfeld des semiotischen Realismus und Idealismus zu begeben, folgt diese Rekonstruktion des Zeichenbegriffs den Prämissen des semiotischen Pragmatismus (cf. z. B. die Beiträge in Wirth 2000, Frank 2008), welcher Kräfte von Zeichen an deren Gebrauch bemisst. Damit wird der Begriff der Realität und Objektdimension, welcher in der gesamten Semiotik verhandelt wird (cf. die Beiträge in Oehler 1984), nicht negiert (zum Realitätsbegriff im semiotischen Pragmatismus cf. Oehler 1998), sondern als spezifischer Zeichenaspekt begriffen, der innerhalb von Zeichengebrauchssituationen gewisse Effekte und Wirksamkeiten entfalten kann. Anstatt den Zeichenbegriff von der Natürlichkeit oder Künstlichkeit des Objektes her zu konstituieren, nimmt die Pragmatische Maxime von Charles S. Peirce, welche besagt, dass Kräfte von Zeichen und Zeichenprozessen sich an deren praktischer Relevanz bemessen, eine wesentliche Funktion der Zeichenkonstitution ein und ersetzt gewissermaßen die Objektzentriertheit des semiotischen Realismus. Im Folgenden wird deshalb der Zeichenbegriff Charles S. Peirces aus der Perspektive des semiotischen Pragmatismus vorgestellt. Die hier vorgestellte Konzeption des Zeichens erklärt nicht nur Kräfte sprachlicher Zeichen, sondern erfasst auch Zeichenprozesse, die nicht genuin sprachlich sind. Damit wird nicht nur die Zeichenhaftigkeit der gesamten 3 T. L. Short (1994: 243) definiert den semiotischen Realismus als “ doctrine that signs can signify what neither they nor their interpreters create, that the objects signified by at least some signs exist independently of their being signified. ” 4 Auf die radikalere Form des semiotischen Realismus, den ikonischen Realismus, welcher nicht nur die Objektdimension, sondern auch eine spezifische Objektrelation (Ikonizität) betont, soll hier nicht eingegangen werden (cf. aber z. B. Champagne 2014, 2018, Stjernfelt 2007, zur Kritik am ikonischen Realismus cf. z. B. Pape 2009). 26 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Wirklichkeit postuliert, sondern gleichzeitig eine Systematik in der Semiose positioniert, welche auch handlungstheoretische Aspekte involviert und ein Verhältnis zu anderen Zeichensystemen eröffnet. Der theoretische Überschuss, der im Rahmen der Interpretation des Zeichenbegriffs entsteht, zeigt also an, inwiefern den systematischen und gebrauchstheoretischen Aspekten der Sprache semiotische Grenzen gesetzt werden, sodass andere Zeichensysteme auch andere Funktionen übernehmen, z. B. in multimodaler Kommunikation. Theoretisch betrachte ich den Zeichenbegriff Charles S. Peirces im Folgenden zunächst aus zwei Perspektiven, die zwar nicht genuine Zeichenaspekte sind, aber dennoch an der Konstitution des Zeichens teilhaben: Mithilfe der universalen Kategorienlehre Peirces und den phaneroskopischen Kategorien beschreibe ich nicht nur eine Klassifikation der Wissenschaften, welche die Logik der Semiotik wissenschaftstheoretisch platziert. Auch Zeichenstrukturen lassen sich mit den universalen Kategorien analysieren, da sie die universalen Strukturen aller Zeichen erfassen können. Diese eher phänomenologische Perspektive auf Zeichen erfüllt zwar noch nicht die Prämissen des semiotischen Pragmatismus, der von Zeichen- und nicht Phänomenereignissen ausgeht, aber die universalen Kategorien ermöglichen dennoch eine grundlegende Darstellung der Strukturen im Sinne der Semiotik: Anstatt von einem Konsekutivverhältnis von Phänomenen und Folgezeichen auszugehen, ermöglichen die phaneroskopischen Kategorien die phänomenologischen Strukturen im Zeichen bzw. in Zeichenereignissen und -prozessen zu analysieren. Diese phänomenologische Perspektive ergänze ich anschließend um die Pragmatische Maxime Peirces, welche das Grundprinzip des semiotischen Pragmatismus bildet. Diese Maxime, die sowohl eine wissenschaftstheoretische Prämisse darstellt, aber auch die Dynamik von Zeichen erklären soll, bestimmt nicht nur interne Zeichenkonstitutionen, sondern strukturiert auch externe Zeichenprozesse und -relationen mit. Während die phaneroskopischen Kategorien also die universale Struktur von Zeichen beschreiben, etabliert die Pragmatische Maxime ein allgemeines Prinzip und Kriterium, welches versucht, Interpretierbarkeit und Dynamiken des Zeichens zu erklären. Während phaneroskopische Kategorien und Pragmatische Maxime im engeren Sinne nicht zeichenhaft sind, sondern die Zeichenhaftigkeit erst konstituieren, lässt sich mit deren Hilfe allerdings ein Zeichenbegriff darstellen, der im Rahmen der weiteren Theoriebildung immer wieder herangezogen wird. Hierzu werden die Zeichenaspekte Repräsentamen, Objekt und Interpretant, die zentrale Begriffe des semiotischen Vokabulars Peirces sind, eingeführt und anschließend in ein Verhältnis gesetzt, um auch ihre relationalen Strukturen zu erklären. Daher werde ich die Zeichenaspekte nicht nur binnendifferenzieren, sondern auch Begriffe wie Medialität, Signifikation, Referenz, Repräsentation und Inferenz, die die verschiedenen Kraft- und Effektverhältnisse des Zeichens erfassen, beschreiben. Denn diese strukturieren nicht nur das Zeichen intern mit, sondern zeigen auch, dass sich Zeichen nur in Relation zu anderen Zeichen konstituieren und verstehen lassen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 27 2.1.1 Universale Kategorienlehre - Grundlagen einer Phänomenologie des Zeichens Wie erscheint uns die Welt? 5 Und wie ereignet sie sich für zeichenbegabte, sinnliche und/ oder normsensible Wesen? Für Charles S. Peirce liegt die Antwort in der Zeichenhaftigkeit der Wirklichkeit. Es gibt keine Ontologie an sich, die der Erfahrung vorausgeht, denn “ [u] nsere Lebenswelt ist nicht die Wirklichkeit der Dinge, wie sie an sich selbst sind, sondern eine durch Zeichen erschlossene und gedeutete, verstellte und entstellte, in jedem Fall geprägte Welt ” (Oehler 2000: 13). Eine Hinführung zu dieser These findet sich in Peirces Klassifikation der Wissenschaften. Dessen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie fokussiert insbesondere die Philosophie, klassifiziert aber auch andere Wissenschaften, die hier allerdings nicht behandelt werden sollen. Als entdeckende Wissenschaft neben Mathematik und Idioskopie ist die Philosophie diejenige, die sich mit der Erkenntnis von Wahrheiten in der alltäglichen Erfahrung beschäftigt (cf. PLZ: 39 f.). Peirce unterteilt die Philosophie in mehrere Teilklassen und zeichnet gleichzeitig den Erfahrungsprozess von Wissenschaftlern sowie des erkennenden Subjekts nach (cf. PLZ: 39 f., Pape 1989: 17): 6 1. Phänomenologie 2. Normative Wissenschaften a. Ästhetik b. Ethik c. Logik i. Spekulative Grammatik ii. Kritik iii. Methodeutik 3. Metaphysik Die Auflistung folgt dabei einer inhärenten Logik, die die Beziehungen der philosophischen Wissenschaften markiert: Metaphysik ist nur in Rückgriff auf die normativen Wissenschaften möglich, während sich diese der Phänomenologie bedienen müssen (cf. PLZ: 40). Die Phänomenologie geht deshalb den anderen philosophischen Wissenschaften voraus, sodass sich die Kategorien der Phänomenologie auch in den Folgewissenschaften - für diese Arbeit insbesondere in der Semiotik, aber auch der linguistischen Pragmatik - niederschlagen. Logik muss in dieser Auflistung als zeichenhafte Disziplin verstanden werden, denn da “ alles Denken mittels Zeichen vollzogen wird, kann man die Logik als die Wissenschaft von 5 Um Missverständnisse bereits zu Beginn zu vermeiden: Peirce würde einer Subjekt-Welt-Dichotomie widersprechen, denn es geht semiotisch, wie noch zu argumentieren ist, um eine Relation dieser beiden Relata und um die Bedingungen ihrer Konstitution. Damit ist nicht nur die Welt respektive die Wirklichkeit zeichenhaft, sondern auch das Subjekt selbst (cf. Colapietro 1988), welches der Wirklichkeit vermeintlich entgegentritt. 6 Eine ausführliche Klassifizierung der Wissenschaften findet sich bei Peirce (SEM2: 199 f.). Da sich diese Arbeit aber mit Logik, Semiotik und Kognition im Sprachgebrauch beschäftigt, soll die weitere Klassifikation hier ausgeklammert werden. 28 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen den allgemeinen Gesetzen der Zeichen betrachten (PLZ: 42). 7 Logische Relationen müssen außerdem nicht nur nach ihrer Zeichenhaftigkeit befragt werden, sondern implizieren außerdem phänomenologische Kategorien, die sich im logisch-semiotischen Ereignis sedimentieren. Semiotik und Phänomenologie sind demnach zwar unterschiedliche Disziplinen, ergänzen sich aber in wesentlichen Bereichen des wissenschaftlichen sowie alltäglichen Erkenntnisprozesses (cf. dazu auch Waldenfels 2014). Zur Phänomenologie nach Peirce gehören “ die Arten von Elemente[n], die im Phänomen universell gegenwärtig sind, wobei mit Phänomen alles gemeint ist, was zu irgendeiner Zeit auf irgendeine Weise gegenwärtig ist ” (PLZ: 40; Hervorh. im Original). Peirce, der in seinem Spätwerk von Ausdrücken bzw. Begriffen wie Phänomenologie und Phänomen Abstand nimmt und entsprechende Disziplin bzw. entsprechendes Konzept Phaneroskopie und Phaneron nennt, 8 entwickelt hier bereits einen phaneroskopischen Universalismus: Objekte und Ereignisse, die dem erkennenden Subjekt entgegentreten, haben einen universellen Erfahrungskern, der sich kategorial erfassen und theoretisch modellieren lässt. Der Peirce'sche Erfahrungsbegriff setzt dabei allerdings nicht bei experimentellen und introspektiven Erfahrungsräumen an, sondern ist durch die Erfahrbarkeit im Alltag bestimmt. Jedes Individuum, welches der Wirklichkeit, hier zunächst verstanden als Menge aller Phänomene, begegnet, kann als Theoretiker und Forscher Erfahrungen machen und Erkenntnisse sammeln. Das Phaneron ist dabei die ursprünglichste phänomenale Erkenntniskategorie, die sich dem erkennenden Individuum präsentiert. Es bezeichnet “ alles, was zum Inhalt irgendeiner geistigen Tätigkeit werden kann, gleichgültig wie unvollständig und widersprüchlich ” (Pape 1989: 25). Die Gemeinsamkeit aller Erfahrung, die sich durch das Phaneron bezeichnen lässt, bildet damit den Grundsatz der phänomenologischen Semiotik Peirces. Das Phaneron repräsentiert dabei die Möglichkeit eines konkreten Zeichenprozesses. Es kann sich aber nicht konkret im Denken ereignen, denn sonst wäre es schon zeichenhaft und semiotisiert. Zugleich bedingt und strukturiert es das Zeichen und den Zeichenprozess mit. Diese sehr vage Definition des Phanerons erläutert Peirce mithilfe seiner phaneroskopischen Kategorienlehre, die universelle Erfahrungskategorien erhebt, welche allen Erfahrungen des Geistes eigen sind. 9 Diese Kategorien sind irreduzibel, denn als “ Bestandteile des Phanerons ” (PLZ: 52; Hervorh. im Original) sind sie als Kombinationen Teil jedes Erfahrungs- und damit auch Zeichenprozesses. So schreibt Peirce (PLZ: 55): Nach Meinung des Verfassers gibt es drei universale Kategorien. Da alle drei stets gegenwärtig sind, ist es unmöglich, eine reine Idee von irgendeiner von ihnen zu haben, die absolut von den anderen unterschieden ist. Ja, selbst so etwas wie ihre ausreichend klare Unterscheidung kann nur das Ergebnis langen und anstrengenden Forschens sein. Sie können als Erstheit, Zweitheit und Drittheit bezeichnet werden. Erstheit ist das, was so ist, wie es eindeutig und ohne Beziehung auf irgend etwas anderes ist. Zweitheit ist das, was so ist, wie es ist, weil eine zweite Entität so ist, wie sie ist, 7 Wie Pape (2000: 21) ausführt, schließt Peirce in den Begriff der Logik sowohl Erkenntnistheorie als auch Wissenschaftstheorie ein. Peirces Begriff der spekulativen Grammatik (cf. dazu auch Bellucci 2017) hingegen kann als Semiotik im engeren Sinne übersetzt werden, während sich die philosophischen Disziplinen der Kritik und Methodeutik in Argumentationstheorie und Methodenlehre übertragen lassen. 8 Damit grenzt er sich außerdem von der transzendentalen Phänomenologie (cf. Husserl 2009) ab. 9 Die Erfahrungskategorien geht auf den 1867 erschienenen Artikel “ Eine Liste der Kategorien ” (Peirce 2000 a: 147 f.) zurück. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 29 ohne Beziehung auf etwas Drittes. Drittheit ist das, dessen Sein darin besteht, daß es eine Zweitheit hervorbringt. Es gibt keine Viertheit, die nicht bloß aus Drittheit bestehen würde. (Hervorh. im Original) Diese Abstraktionen der alltäglichen Erfahrungswelt sind Universalien, die sich analytisch erfassen lassen. Zunächst ist erkennbar, dass diese drei Kategorien nicht unabhängig voneinander existieren. Sie stehen miteinander in Verbindung, sodass hier bereits auf einer vorsemiotischen Ebene ein phaneroskopisches Faktum zu erkennen ist: Relationalität als “ die elementare Form aller Erfahrungen und des Denkens ” (Pape 2004: 83). Aufgrund dieser Relationalität ist Erstheit die wohl am schwierigsten zu erfassende phaneroskopische Kategorie. Peirce gibt als Beispiel die Erfahrung bzw. Vorstellung von Röte an, um Erstheit zu erklären. Die Vorstellung von Röte ist eindeutig, denn sie besitzt eine Qualität. Zwar ist Röte im Erfahrungsprozess nur anhand eines Farbkontrastes, einer Differenz, vorstellbar, doch tangiert diese zweitheitliche Differenz eben nicht die Qualität der Erstheit an sich. Es ist konstitutiv für die Erfahrung, dass sich die Vorstellung von Qualitäten auf die Möglichkeit eines Eigentlichen bezieht. Erstheiten sind keine wahrnehmbaren, sondern aus der Erfahrung abgeleitete Einheiten, weil phänomenale Wirklichkeit ohne Differenz nicht wahrnehmbar ist (und diese Differenz sich in Zweitheit verwirklicht). Dennoch müssen sie als Möglichkeiten der Erfahrungen phänomenologisch angenommen werden. Es “ erscheint ” , so Peirce, “ in der Tat unleugbar, daß solche Möglichkeiten existieren und daß sie, obwohl sie keine Existenzen sind, nicht Nichts sind. Sie sind Möglichkeiten und nichts weiter ” (PLZ: 57; Hervorh. im Original). Existenz entsteht erst, wenn eine Differenzrelation zweier Relata vorhanden ist. Die Erfahrung dieser Existenz beruht dabei auf einer kategorialen Zweitheit, welche zwei Erstheiten in eine genuine Relation zueinander führt. Genuine Relationen sind authentische Relationen, weil die Relata der genuinen Relationen in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander stehen. Zweitheitliche Erfahrungen ereignen sich dabei auf unterschiedliche Weise, lassen sich aber über ihre phaneroskopische Struktur erklären. Deshalb ist es auch möglich, spezifische Beispiele für Zweitheit zu geben, die auf Erfahrungen beruhen: Jemand versucht, eine Tür zu öffnen, setzt seine Hand an die Klinke und drückt diese herunter, um damit eine physikalische Kraft auf die Tür wirken zu lassen. Die Erfahrung des Widerstandes der Klinke bzw. der Tür ist eine Erfahrung der Zweitheit. Es ist die Erfahrung, dass etwas Zweites oder Anderes, was nicht das Selbst ist, einem gegenübertritt und in Relation zu einem steht. Zweitheit ist das “ Gefühl der Reaktion zwischen Ich und Nicht-Ich ” (PLZ: 55; Hervorh. im Original). Paradigmatisch für Zweitheiten sind neben Differenz- und Distanzrelationen insbesondere Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Während erstere auf Unterschiedsbzw. Raumverhältnissen beruhen, zeichnen sich Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge durch Zweitheit aus, die sich in unmittelbaren Folgeverhältnissen von etwas und einem anderen etwas beschreiben lassen. Erstheit als qualitative Möglichkeit und Zweitheit als relationale Existenz sind phaneroskopisch allerdings nicht hinreichend, um Phänomenbereiche der Erfahrung ausführlich zu erfassen. Erst über das Konzept der Drittheit lassen sich Wahrnehmungs- und Erfahrungsprozesse auch als dynamische Prozesse, die nicht in unmittelbaren Folgeverhältnissen stehen, erklären. Während sich Erstheit und Zweitheit gewissermaßen raumzeitlich vor kognitiven Prozessen ereignen, findet sich Drittheit dort, wo z. B. 30 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Kognition und/ oder Verhalten zwei Erstheiten zu einer Zweitheit zusammenbringt. Diese Relation besteht im Gegensatz zur Zweitheit aber nicht genuin, sondern ist degenerierbar bzw. degenerativ, weil sie durch ein Gesetz 10 (cf. PLZ: 57 f.) oder ein “ Medium ” (SEM1: 431) konstituiert wird. Degenerierbare bzw. degenerative Relationen zeichnen sich dadurch aus, dass das Verhältnis zwischen ihren Relata nicht unmittelbar und damit nicht authentisch ist, sondern über eine weitere Instanz vermittelt wird und sich erst über die Involviertheit dieser konstituieren kann. Auf Drittheit beruhen sowohl arbiträre Relationen und ihre Relata, also z. B. konventionelle Aspekte sprachlicher Zeichen, aber auch institutionalisierte, ritualisierte, normierte oder habituelle Verhaltensweisen. Drittheitliche Relationen lassen sich weder auf eine zweitheitliche Relation reduzieren noch sind sie selbst ein Relatum, welches in einer zweitheitlichen Relation steht. Weil Drittheit vielmehr die Voraussetzung ist, damit eine spezifische zweitheitliche Relation zustande kommen kann, ist sie eine Bedingung der Möglichkeit zur Konstitution quasi-zweitheitlicher Relationen: Weil es Drittheit gibt, kann es besondere, von der Drittheit abgeleitete zweitheitliche Relationen geben. Mithilfe von Drittheit, Zweitheit und Erstheit lassen sich die phaneroskopischen Erfahrungsstrukturen analysieren. Helmut Pape (cf. 1989: 76) stellt diese universalen Kategorien dar und markiert neben dem Wesen der jeweiligen Relationen und der Seinsweise auch die Beziehungen zwischen den universalen Kategorien: Kategorie Seinsweise konstitutive Relation Erstheit ist enthalten in: Reale Möglichkeit Relationen der Inhärenz Zweitheit ist enthalten in: Existenz Genuin dyadische Relationen Drittheit Realität Universal kontinuierliche Relationen Tab. 1: Charles S. Peirces universale Kategorien nach Pape (1989: 76) Drittheit impliziert demnach Zweitheit, während diese wiederum Erstheit enthält. Die universalen Kategorien strukturieren sich demnach untereinander, wobei keine auf die anderen reduziert werden kann. Mithilfe der phaneroskopischen Kategorienlehre lassen sich somit nicht nur Zeichenerfahrungen und -prozesse grundlegend erklären, sondern sie strukturieren universale Kategorien Objekt-, Ereignis- und Kognitionsrelationen wesentlich mit. Die wissenschaftstheoretischen Darstellungen Peirces und dessen phaneroskopische Kategorienlehre dienen also der Erklärung von Erkenntnisprozessen einerseits, aber auch der Differenzierung verschiedener Phänomentypen andererseits. Die Wissenschaftsklassifikation Peirces zeigt, dass Semiotik als Wissenschaft, aber auch semiotische bzw. semiotisch fundierte Theorien auf phänomenologischen bzw. phaneroskopischen Aspekten gründen (müssen). Die universalen Kategorien, welche verschiedene Formen von Phäno- 10 Das Konzept Gesetz verweist bei Peirce nicht auf juristische Praktiken, sondern basiert auf Normen, Konventionen und Regeln, die sich explizit wie implizit in den Wahrnehmungs-, Erfahrungs-, Interpretations-, Handlungs- und Verhaltensweisen sedimentieren bzw. durch diese entstehen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 31 menen bzw. Phanera erklären sollen, dienen dann der Deskription von Phänomenbzw. Zeichenerfahrungen. Erstheit (als bloße Möglichkeit), Zweitheit (als relationale Existenz) und Drittheit (als stiftende Instanz eines z. B. habituellen, normierten, konventionalisierten bzw. regulierten Zeichenkontinuums) sollen der Erfassung verschiedener Phänomentypen dienen. Für die vorliegende Arbeit sind sowohl die wissenschaftstheoretischen wie auch phänomenologischen Reflexionen Peirces äußerst relevant und bilden sowohl wissenschaftstheoretisch, argumentativ, aber auch theoriebildend eine fundamentale Struktur der folgenden Kapitel. Wenn sich Semiotik (und auch eine semiotisch fundierte linguistische Pragmatik) im Sinne der Wissenschafts- und Erkenntnisklassifikation Peirces in den normativen Wissenschaften wiederfindet, dann folgt daraus, dass sich sprachliche Zeichen und Zeichenprozesse auch immer nach ihren universalen Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit befragen lassen können. Es geht also um die Erfassung der universalen Kategorien in Zeichen und Zeichenprozessen. Die Darstellung der phaneroskopischen Kategorien dient dann nicht nur der Differenzierung von Erfahrungs- und Wahrnehmungsgehalten und -prozessen in Semiosen, sondern schlägt sich auch unmittelbar in der spezifischen Theoriebildung dieser Arbeit nieder. Alle Aspekte der Sprachtheorie und Theorie diskursiver Praktiken, welche ich mithilfe von Zeichenprozessen zu erklären suche, involvieren auch die Differenz von Erfahrungs- und Wahrnehmungsgehalten und -prozessen, wie sie die universalen Kategorien beschreiben. Zur Veranschaulichung ihrer Relevanz können exemplarisch drei Aspekte der folgenden Theoriebildung ausgewählt werden, welche in der Analyse notwendigerweise auf universale Kategorien bzw. phaneroskopische Kategorienlehre zurückgehen: (1) Insbesondere diskursive Intentionalität bzw. die kraft intentionaler Verben gestifteten intentionalen Relationen lassen sich nicht nur mithilfe der Peirce'schen Relationslogik beschreiben, sondern involvieren ein komplexes Netzwerk an universalen Kategorien. Damit können nicht nur unterschiedliche Relationen analysiert, sondern auch die Etablierung von sozialen Normen in diskursiven Praktiken und Formen der Transitivität dargelegt werden (cf. Kapitel 12.2.2). (2) Die Semiose der Behauptung, welche die zentrale sozial-kommunikative Zeichenhandlung der Theorie dieser Arbeit darstellt, basiert nicht nur auf universalen Kategorien, wenn deren propositionale Struktur dargestellt wird, sondern sie eröffnet im Rahmen verschiedener inferenzieller Relationen auch die Etablierung der universalen Kategorien zur Analyse von Inferenzen (cf. Kapitel 14.2). (3) Die Zeichenpositionen, die das phänomenologische Gerüst für Triangulationsprozesse, aber insbesondere für die Etablierung von diskursiven Rollen bzw. deren zeichenpositionierten Instanziierungen Lokutor, Allokutor (zusammen Interlokutoren) und Delokutor bilden, basieren in ihrer (epistemischen) Perspektive, aber auch in ihrer diskursiven Autorität auf den universalen Kategorien, indem diese mit sozialnormativen Aspekten diskursiver Praktiken (wie Festlegungen und Berechtigungen) verbunden werden (cf. Kapitel 15.3). Insofern dient die phaneroskopische Kategorienlehre im Folgenden immer wieder als Mittel zur Charakterisierung von Erfahrungs- und Wahrnehmungsgehalten und -prozessen in Semiosen, wenn es um die Theoriebildung und die Etablierung des zentralen Vokabulars zur Analyse diskursiver Praktiken geht. 32 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen 2.1.2 Pragmatische Maxime - Prinzipien von Überzeugung, Zweifel und Handlung Dass es sich bei Peirces phaneroskopischer Kategorienlehre nicht um eine Analyseperspektive handelt, die vor Zeichenereignissen und -praktiken ansetzt, sondern sich in diesen verwirklicht, lässt sich insbesondere dann nachvollziehen, wenn erklärt wird, in welchem Verhältnis sie zu Peirces pragmatistischem Prinzip, der Pragmatischen Maxime, steht. Neben den universalen Kategorien unterstützt dieses Prinzip dabei, die epistemischen sowie semiotischen Prozesse von Kognition, Verhalten und Handlung, so wie sie Peirce beschrieben hat, nachvollziehen zu können. Während die Kategorien die Struktur der phänomenalen Seinsweisen erfassen, dient Peirces Pragmatische Maxime der Etablierung eines wissenschaftlichen bzw. erkennenden Denkens und zeigt die Flexibilität seines Zeichenbegriffs auf. Peirce (S1: 339) formuliert seine Pragmatische Maxime folgendermaßen: Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes. Diese Formulierung verweist sowohl auf die methodologischen Prämissen der wissenschaftlichen Gemeinschaft als auch auf die Erkenntnispraxis im Denken eines jeden Individuums. Überzeugungen und andere kognitive Gehalte 11 werden nicht nur in der Wissenschaft generiert, sondern insbesondere in alltäglichen Erfahrungspraktiken. Auch wenn der Wissenschaft nach Peirce (S1: 312) ein erkenntnistheoretisches Spezifikum zukommt, führen auch andere Erkenntnispraktiken zu Überzeugungen. Kognitive Gehalte werden durch die Pragmatische Maxime allerdings nicht an sich betrachtet, sondern nur in Bezug auf die Verhaltensweisen, die sie motivieren. Kognitive Gehalte erlangen demnach nur dann erkenntnistheoretische und/ oder handlungspraktische Relevanz, wenn sie in einer Beziehung zu Verhalten bzw. Interpretation stehen. Überzeugungen sind dabei auf zweierlei Weise Motivation für Handlung, Verhalten bzw. Interpretation. Einerseits dienen sie als Erkenntnishintergrund der Kumulation weiterer kognitiver Gehalte. Überzeugungen leiten als System des Für-Wahr-Haltens bestimmte Handlungen an, da diese in logische Kognitions- und Handlungssequenzen eingebettet sind und werden. Sie sind als Prämissen und Konklusionen in Praktiken eingebunden. Andererseits sind Überzeugungen per definitionem falsifizierbar und motivieren so zur Untersuchung bzw. Forschung angezweifelter Überzeugungen. Hierfür führt Peirce den Begriff des Zweifels ein, der als “ unangenehmer und unbefriedigender Zustand ” (S1: 300) dazu motiviert, die eigenen Überzeugungen zu untersuchen und anschließend zu revidieren bzw. zu bestätigen, also in eine alltägliche Forschungspraxis einzutreten. Das Wechselspiel von manifester Überzeugung und Zweifel ist dabei potenziell unabgeschlossen, denn auch eine überprüfte Überzeugung kann wieder angezweifelt werden. Dennoch beeinflusst die aktuale Überzeugung sowohl die Erkenntnis selbst als auch die handlungspraktischen 11 Peirce vertritt einen pragmatistischen Überzeugungsbegriff. Überzeugungen sind demnach durch Zweifel erlangte Verstehenshypothesen, welche in Hypothesenbildungs- und Erkenntnisprozessen (induktiv, deduktiv, aber insbesondere abduktiv) hergestellt werden bzw. in diesen ihre Relevanz entfalten. Überzeugungen und andere kognitive Gehalte müssen weder bewusst sein, noch sind sie auf psychologische oder neuronale Korrelate reduzierbar (cf. Kapitel 2.1.3.3). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 33 Konsequenzen. Erkenntnis- und handlungspraktisches Potenzial korrelieren dabei und lassen sich nicht voneinander trennen. Der Ausdruck “ praktisch ” verweist dabei auf die Handlungskonsequenzen, die Überzeugungen signifizieren, doch sind die Handlungen selbst “ ein Mittel und nicht unser Ziel ” (S1: 356). Die Pragmatische Maxime darf demnach nicht als Zweckorientierung missverstanden werden, da sie sich ganz auf die Handlung selbst fokussiert. Laut dem Pragmatismus ist “ das Denken letztlich ausschließlich auf das Handeln anzuwenden - auf das gedachte Handeln ” (S1: 356; Hervorh. im Original). Überzeugungen existieren zwar nicht ausschließlich für Handlungen, sondern dienen auch der Beruhigung des Denk- und Erkenntnisprozesses. Trotzdem sind Überzeugungen an Handlungen beteiligt bzw. lassen sich Handlungen bezüglich ihres kognitiven Gehalts und dessen Folgegehalten untersuchen: Für “ den Pragmatizismus besteht das Denken in der lebendigen Umwandlung von Symbolen durch Schlußfolgerungen; und der Bedeutungsgehalt der Symbole liegt demzufolge in konditionalen allgemeinen Entschließungen zum Handeln ” (S1: 357). Peirce entwirft mit der Pragmatischen Maxime damit nicht nur eine Forschungsperspektive, sondern auch die Grundlagen einer kognitiven Handlungstheorie, die zwischen Überzeugung und Handlung oszilliert. Diese Relation zwischen Überzeugung und Handlung lässt sich allerdings nur semiotisch erfassen, ein Aspekt, der in der Pragmatischen Maxime implizit bleibt. Gerhard Schönrich hat deshalb eine semiotische Version der Pragmatischen Maxime formuliert, die die semiotischen Aspekte der Maxime hervorhebt, indem sie das semiotische Vokabular Peirces verwendet. Somit kann die Pragmatische Maxime als Grundsatz für zeichen-, handlungs- und sprachtheoretische Forschung dienen, die sich an der Grenze von Semiotik, Kognition und Pragmatik bewegt: Überlege, welche Interpretanten wir dem Objekt des Zeichens zuschreiben; dann ist die Antizipation dieser Interpretanten das Ganze unseres Zeichens des Objekts. Jede Semiose ist also eine Realisierung der Pragmatischen Maxime; sie fordert zu nichts anderem auf, als in den Prozeß der Zeicheninterpretation einzutreten. 12 (Schönrich 1990: 100) In dieser Formulierung einer eher Semiopragmatischen Maxime zeichnet sich nicht nur die Beziehung zwischen Handlung, Überzeugung und Zeichen ab, sondern tritt der Prozess der Zeicheninterpretation in den Vordergrund, sodass die jeweiligen Relata und Relationen, die an diesem Prozess beteiligt sind, untersucht werden müssen. Zusammenfassend erweitert die Pragmatische Maxime also das Verständnis des Zeichenprozesses, indem es diesen aus der Perspektive der praktischen Konsequenz einrahmt. Die Maxime dient sowohl der wissenschaftlichen Perspektive auf den Forschungsgegenstand als auch der Dynamik des Zeichenprozesses, der Zeichenhandlung und der Zeicheninterpretation selbst. Sie bildet, indem sie die Relevanz der praktischen Konsequenzen hervorhebt, außerdem das Gegenstück zu den universalen Kategorien. Während diese die phänomenale Grundstruktur des Zeichens beschreiben, ist die Pragmatische Maxime vollends in Handlungs-, Zeichen- und Interpretationspraktiken involviert. Ein Zeichen- 12 Da Zeichen und Interpretation miteinander zusammenhängen, kann man auch folgende zeichen- und interpretationsphilosophische Formulierung wählen: “ Die Pragmatische Maxime besteht [ … ] in dem Vorschlag, die semantischen Merkmale fraglich gewordener Zeichen über diejenigen möglichen Handlungen zu bestimmen, die mit dem Gegenstand, von dem das Zeichen handelt und auf den es sich bezieht, ausgeführt werden dann. Dieser Prozeß ist Peirce zufolge wesentlich ein Interpretantenprozeß. ” (Abel 2002: 377) 34 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen begriff, der sowohl phänomenale Struktur als auch praktische Konsequenzen berücksichtigt, flottiert also zwischen diesen und greift auf beide zurück. Auch wenn die Pragmatische Maxime in der folgenden Theoriebildung nicht weiter ausgeführt bzw. differenziert wird, so wird sie doch immer wieder implizit aufgenommen und verstetigt damit ihre Gültigkeit. Dies gilt insbesondere (1) für die Dynamik von Inferenzen und inferenziellen Prozessen, die sowohl bei Peirce, aber auch bei Brandom eine zentrale Funktion einnehmen. Während Peirce allerdings die Aktivität des Zeichens mithilfe der Pragmatischen Maxime beschreibt, so bleibt eine Prinzipienbeschreibung von Brandom diesbezüglich aus. Peirce und Brandom tendieren dazu, inferenzielle Prozesse mithilfe des Konditionals zu erklären, sodass die Pragmatische Maxime auch für Brandoms Inferenzialismus gelten kann, wie sich zeigen wird (cf. Kapitel 4). (2) Die Pragmatische Maxime ist außerdem grundlegend, um das Konzept der Semiose und den Zeichenaspekt des Interpretanten bei Peirce nachzuvollziehen. Insofern dient die Darstellung der Pragmatischen Maxime auch der Vorbereitung der Erklärung des Peirce'schen Zeichen- und Zeichenprozessbegriffs (cf. Kapitel 2.1.3). (3) Die Beziehung zwischen Überzeugung und Handlung, die sich in einem Verhältnis praktischer Konsequenz befindet, wird sich außerdem bei Reflexionen zu Brandoms Handlungstheorie nochmals genauer entfalten, denn diese basiert ebenfalls auf dieser Beziehung und interpretiert die Handlung nicht aus der Perspektive des kognitiven Gehalts, sondern aus deren Konsequenzen im Rahmen diskursiver Praktiken. Insofern kann auch hier die Pragmatische Maxime, die das Verhältnis von Überzeugung und Handlung analysierbar macht, den Übergang von z. B. propositionalem Gehalt und Performanz fundieren (cf. Kapitel 8.3). 2.1.3 Zeichen - Semiotik der Erfahrung, Kognition und Handlung Mittels universaler Kategorien und Pragmatischer Maxime lässt sich nun Peirces Verständnis von Zeichen und Zeichenprozessen nachzeichnen. Die universalen Kategorien finden sich nicht nur in der phänomenalen Struktur der Erfahrung wider, sondern auch auf der Ebene des Denkens (kraft Zeichen). Dieses ist, so Peirce, drittheitlich und es “ ist die genuine Drittheit, die dem Denken sein Wesen verleiht ” (PLZ: 58). Da Erstheit und Zweitheit an drittheitlichen Prozessen beteiligt sind, sind sowohl Erstheit, Zweitheit und Drittheit Kategorien des Denkens und beziehen sich in einer kognitiv-semiotischen Dimension aufeinander. Zentrales Moment dieser Dimension ist das Zeichen, welches zwar phaneroskopisch bestimmbar und durch die Pragmatische Maxime beeinflusst ist, sich auf beides aber nicht reduzieren lässt. Ein Zeichen ist “ etwas, das für einen Geist für ein anderes Ding steht ” (SEM1: 188), schreibt Peirce, ohne dass diese Defnition sich auf aliquid stat pro aliquo reduzieren lässt, wie sich zeigen wird. Diese erste Begriffsbestimmung lässt bereits die drei wesentlichen Aspekte des Zeichens erscheinen. Erstens gibt es ein Zeichenmittel 13 , das Repräsentamen, zweitens steht dieses in einer Objektrelation zu einem Objekt und drittens werden Repräsentamen und Objekt kraft z. B. kognitiver, 13 Ich werde die Ausdrücke Repräsentamen und Zeichenmittel synonym verwenden, wobei der Ausdruck Zeichenmittel sowohl die materiellen als auch die medialen Aspekte des Repräsentamens hervorheben soll. Materialität und Medialität sind wesentlich Merkmale des Repräsentamens, sodass es sich durch seine Stofflichkeit einerseits von Signifikanten Saussures unterscheidet und andererseits durch die mediale Prozesshaftigkeit sich nicht auf Repräsentation reduzieren lässt. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 35 interpretativer und/ oder habitueller Prozesse, in Form von Interpretanten, zusammengeführt. Bereits diese triadische Relation zwischen Zeichenmittel, Objekt und Interpretant lässt sich phaneroskopisch erklären: A Sign, or Representamen, is a First which stands in such a genuine triadic relation to a Second, called its Object, as to be capable of determining a Third, called its Interpretant, to assume the same triadic relation to its Object in which it stands itself to the same Object. The triadic relation is genuine, that is its three members are bound together by it in a way that does not consist in any complexus of dyadic relations. That is the reason the Interpretant, or Third, cannot stand in a mere dyadic relation to the Object, but must stand in such a relation to it as the Representamen itself does. Nor can the triadic relation in which the Third stand be merely similar to that in which the First stands, for this would make the relation of the Third to the First a degenerate Secondness merely. The Third must indeed stand in such a relation, and thus must be capable of determining a Third of its own; but besides that it must have a second triadic relation in which the Representamen, or rather the relation thereof to its Object, shall be its own (the Third's) Object, and must be capable of determining a Third to this relation. All this must equally be true of the Third's Thirds and so on endlessly; and this, and more, is involved in the familiar idea of a Sign; and as the term Representamen is here used, nothing more is implied. A Sign is a Representamen with a mental Interpretant. Possibly there may be Representamens that are not Signs. Thus, if a sunflower, in turning towards the sun, becomes by that very act fully capable, without further condition, of reproducing a sunflower which turns in precisely corresponding ways toward the sun, and of doing so with the same reproductive power, the sunflower would become a Representamen of the sun. But thought is the chief, if not the only, mode of representation. (CP 2.274, Hervorh. im Original) Repräsentamen als Erstheitliches, Objekt bzw. Objektrelation als Zweitheitliches und Interpretant als Drittheitliches sind im Zeichen miteinander verbunden und ereignen sich nur miteinander. Jegliche Trennung der Zeichenelemente ist demnach analytisch. Gleichzeitig darf die triadische Relation des Zeichens nicht als determiniert begriffen werden. Ganz im Sinne Manfred Franks (1984: 552 f.) 14 sollte das englische determinate eher mit motiviert übersetzt werden, um ein kausales Verständnis von Zeichen und Zeichenprozessen zu vermeiden. Die Relation zwischen kognitiven und semiotischen Prozessen als motivierte Relation zu verstehen, ermöglicht es, die Interpretation, die am Zeichenprozess notwendigerweise beteiligt ist, mitzudenken, ohne sich auf spezifische Qualitäten der Relation festzulegen. Denn motivierte Relationen umfassen kausale, normative, institutionelle, habituelle, bewusste und unbewusste Prozesse. Inwiefern Repräsentamen, Objekt bzw. Objektrelation und Interpretanten sich im Zeichen unterscheiden und welche zeichentypologischen Konsequenzen sich daraus ergeben, soll deshalb im Folgenden erklärt werden. Dazu werden die verschiedenen Zeichenaspekte vorgestellt und beschrieben, wobei berücksichtigt werden soll, dass die Beteiligung von universalen Kategorien und Pragmatischer Maxime dabei stets implizit bleibt, aber doch mitgedacht werden muss. Bei der Vorstellung der Zeichenaspekte werden 14 So schreibt Frank (1984: 552 f.) “‘ Bestimmt ’ heißt hier in bezug auf die neue Zeichen-Synthesis, daß sie sich von ihrer Vorgängerin hat motivieren lassen. ‘ Motivation ’ nennt man eine Form von Begründung, die an ihren Grund sich nur anschließt, wenn sie ihn zuvor im Lichte einer Interpretation als Grund erschlossen hat, motiviert sind also Konsequenzen, die nicht blind nezessitiert, sondern die sich zu ihrem Anlaß (frei) verhalten. ” 36 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen nicht nur Binnenunterscheidungen getroffen, sondern es wird auch theoretisches Vokabular zur Analyse semiotischer Prozesse vorgestellt, sodass letztlich das Zeichen im Verhältnis zu universalen Kategorien und Pragmatischer Maxime dargestellt werden kann. Diese Vorstellung des Zeichenbegriffs, der in den folgenden Kapiteln immer wieder implizit, aber auch explizit z. B. in der Analyse von sprachlichen Zeichen aufgegriffen wird, etabliert die grundlegende analytische Einheit, die für die theoretische Entwicklung von diskursiver Intentionalität, pragmatischen, sozial-normativen und diskursiven Signifikanzen sowie intentionalen Verben und ihren diskursiven Rollen relevant ist. 2.1.3.1 Ton, Token und Typ - Materialität und Medialität Zunächst soll sich erstheitlichen Zeichenaspekten zugewandt werden: Repräsentamen bzw. Zeichenmittel. Es umfasst als Zeichenaspekt nicht nur eine phänomenologische Struktur und ist kraft der Pragmatischen Maxime in Zeichenprozesse eingebunden, sondern lässt sich nur mithilfe eines theoretischen Vokabulars beschreiben, welches über die bisherige Deskription hinausgeht. Nicht nur Materialität und Medialität, sondern auch verschiedene Typen an Zeichenmitteln stelle ich im Folgenden daher vor. Um den Zeichenaspekt des Repräsentamens, des Zeichenmittels, nachvollziehen und verstehen zu können, ist es sinnvoll, zunächst Materialität und Medialität des Zeichens zu skizzieren und dann von der Materialität zur Medialität des Zeichens überzugehen. Es ist erst einmal überraschend, dass sich eine Sprachtheorie, die sich als genuin semiotisch versteht, auch auf Materialität und Medialität eingeht, denn Materialität ist im engeren Sinne keine Zeichenkategorie und auch Medialität begleitet Zeichenprozesse zwar, ist aber kein semiotischer, sondern eben ein medialer Prozess. Dennoch kann das Verhältnis zwischen Materialität und Medialität zeigen, wie etwas zum Zeichen wird, sodass die Beziehung zwischen Materialität, Medialität und Zeichenhaftigkeit hier zumindest angedeutet werden soll. Im Verhältnis von Materialität und Medialität entsteht das spezifische Zeichen, sodass es in Zeichenprozesse eintreten kann und sich gleichsam selbstständig macht. Die Motiviertheit des Zeichens und des Zeichenmittels gründet insofern in dessen Materialität, als jedes Zeichen selbst eine materielle Grundlage hat. Zeichenmittel weisen gewisse physische, biotische, chemische, lautliche, stoffliche und/ oder andere materielle Eigenschaften auf, die die sinnliche oder rezeptive Erfahrung und folglich auch die Wahrnehmung als Zeichenträger ermöglichen. Das Zeichen lässt sich zwar nicht auf diese materielle Struktur reduzieren, doch durchzieht es die Zeichenprozesse, da sich diese ohne materielle Struktur nicht ereignen könnten. So ereignet sich etwas, was im Zeichenprozess ein Wort werden kann, 15 zunächst als eine Lautfolge, die physische, akustische, tonale und artikulatorische Aspekte vereint. Diese zeitliche-räumliche Ausdehnung physikalischer Größen ist die Bedingung, dass etwas ein lautsprachliches Zeichen wird. Ähnlich verhält es sich bei graphischen Elementen, die zur Schrift werden können. Auch sie sind durch stoffliche Abhängigkeiten bestimmt, z. B. Graphit, Kreide oder andere pasten- oder pulverförmige Pigmente. Diese Stoffe ordnen sich zeitlich-räumlich zu Formen, die 15 Die grammatische Markierung des Futurs soll sich hier nicht auf temporale, sondern auf logisch-semiotische Folgerelationen beziehen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 37 dann kraft des Zeichenprozesses zum Buchstaben werden können (cf. auch S1: 200 f., Stetter 2005). Materialität ist aber nicht hinreichend, damit etwas zum Repräsentamen werden kann, denn wenn Zeichenmittel in Zeichenprozesse eintreten, werden sie vom stofflich-materiellen zum medialen Ereignis. In seinen späteren Schriften gibt Peirce eine weitere Zeichenmitteldefinition, die die Materialität des Repräsentamens erhält, aber um den Aspekt der Medialität ergänzt: Ich sage also, daß alles, unabhängig von seiner Seinsweise, ein Zeichen ist, was zwischen einem Objekt und einem Zeichen vermittelt, da das Zeichen sowohl durch das Objekt relativ zum Interpretanten bestimmt ist als auch den Interpretanten in Bezug zum Objekt derart bestimmt, daß es den Interpretanten aufgrund der Vermittlung dieses ‘ Zeichens ’ durch das Objekt bestimmt sein läßt. Das Objekt und der Interpretant sind also lediglich die zwei Korrelate des Zeichens; das eine ist das Antezedens, das andere das Konsequens des Zeichens. Da das Zeichen durch diese korrelativen Korrelate definiert wird, kann man außerdem mit Sicherheit erwarten, daß Objekt und Interpretant einander genau entsprechen. (SEM3: 253, Hervorh. im Original) Die Medialität des Repräsentamens, welche Peirce als Vermittlung beschreibt, bestärkt die korrelative Funktion von Objekt und Interpretant. Erst wenn das Stoffliche des Repräsentamens zum Medium wird, können Zeichenprozesse stattfinden. Die “ mediale Funktion ” des Repräsentamens, so Alexander Roesler (2003: 45), “ besteht darin, Zweites und Drittes in eine Relation zu bringen, die einerseits nur vom Medium angestiftet wird und andererseits nur über das Medium selbst verlaufen kann ” . Die Medialität des Repräsentamens besteht daher darin, “ einerseits den ‘ Gegenstand ’ durch die Relation, die es zu ihm unterhält, an etwas Körperliches ‘ anzubinden ’ und ihm damit andererseits - durch die weitere Relation, die es motiviert - eine ‘ feste ’ Bedeutung zu verschaffen, indem es ihn in eine Ordnung stellt und damit vergleichbar hinsichtlich allgemeiner Merkmale macht ” (ebd.). Das Repräsentamen zeichnet daher nicht nur eine Transformation der Materialität zur Medialität nach, sondern relationiert auch Interpretant und Objekt. Die Medialität des Zeichenmittels darf daher weder mit Repräsentation noch mit Signifikation verwechselt werden, denn die Relation der Repräsentation ist der Zeichenmittel-Objekt-Beziehung vorbehalten, während Signifikation die Relation zwischen Zeichenmittel und Interpretant bezeichnet (cf. Nöth 2011: 452) bzw. die Zeichenwerdung eines Zeichens markiert (cf. Kapitel 9.1). Die Medialität des Zeichenmittels bezieht stattdessen die Gesamtheit des Zeichenprozesses ein. Sie kann nicht auf mehrere dyadische Relationen reduziert werden, denn Medialität ist genuin triadisch. Diesen genuinen Charakter der Medialität veranlasst Peirce um 1906, vom Zeichenmittel als “ medium of communication ” (E2: 389) zu sprechen, um es ins Zentrum des Zeichenprozesses zu stellen. Materialität und Medialität begleiten also die Konstitution des Repräsentamens sowie des Zeichens und des Zeichenprozesses, doch Zeichenmittel selbst sind insbesondere in dessen drei Erscheinungsformen relevant: Qualizeichen, Sinzeichen und Legizeichen. Ein Qualizeichen, das erstheitliche Zeichenmittel, “ ist eine Qualität, die ein Zeichen ist. Es kann nicht wirklich als Zeichen fungieren, ehe es nicht verkörpert ist, doch die Verkörperung hat mit seinem Zeichencharakter nichts zu tun ” (PLZ: 123). Das Qualizeichen ist im Sinne der materiellen wie medialen Bedingungen des Zeichenmittels zwar nicht materiell und medial existent, doch ist dessen Erstheit nichtsdestotrotz konstitutiv. Es 38 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen ist materiell wie medial möglich. Damit unterscheiden sich Qualizeichen von kontingenten Mannigfaltigkeiten dadurch, dass sie durch die Möglichkeit des Ereignisses, der Signifikation und Repräsentation konstituiert werden. Was Qualizeichen also auszeichnet, ist “ eine positive Qualität, die als qualitative Möglichkeit zum Zeichen wird ” (Pape 1989: 286). Kurz: Qualizeichen sind mögliche Zeichen. Insbesondere in systematischen Zeichenzusammenhängen wie Zeichensystemen (hier vorwiegend Sprachsysteme) bleiben Qualizeichen allerdings keine reinen Möglichkeiten, sondern sie zeichnen sich kraft des Systems als bestimmte Möglichkeiten aus: Etwas ist als Zeichen möglich, weil es im Rahmen des jeweiligen Zeichensystems als mögliches Zeichen gilt. Diese qualitative Möglichkeit (des Zeichensystems) lässt sich auch als differenzieller Charakter des Zeichenmittels beschreiben, damit diese nicht nur für einzelne Zeichen, sondern auch für Zeichen in einem System gelten können. Während sich qualitative Möglichkeiten noch auf das individuelle Zeichenmittel reduzieren, ermöglicht der differenzielle Charakter eine Darstellung von Zeichenmitteln innerhalb eines Zeichensystems, welche über individuelle Zeichenmittel hinausgeht. Es ist anzunehmen, dass die positive Möglichkeit der Existenz, die noch keine Existenz ist, nur in Beziehung zu anderen Qualitäten denkbar und damit bereits implizit differenziell gegliedert ist. Dies besagt das Prinzip der Differenz. Qualizeichen haben qualitative Eigenschaften, weil es andere Qualitäten (des Zeichensystems) nicht besitzt, deren Negativität sich aus der Differenz zu anderen Qualizeichen konstituiert. Diese konstituierten negativen Eigenschaften des Qualizeichens stehen in einem Verhältnis der Noch-Nicht-Existenz zu ihren tatsächlichen Ereignisbedingungen. Sie sind systemlogisch kurz davor, sich zu ereignen, und stellen die Bedingung ihrer eigenen möglichen Existenz dar. Die Differenzialität der Qualizeichen ist dabei potenziell infinit, aber systematisch bedingt: Nicht jedes Qualizeichen bzw. nicht jede qualitative Eigenschaft des Zeichens ist tatsächlich auch jederzeit möglich. Die Bedingung der spezifischen Eigenschaften wird durch die jeweilige Menge an Differenzen des Zeichensystems bestimmt: Innerhalb einer Menge an Differenzen eines Zeichensystems Z bestimmt sich der Wert des Qualizeichens S 1 durch seine Qualität, die durch die Differenz zu den Qualizeichen S 2 , S 3 , S 4 , … S n konstituiert wird, wobei nicht alle Qualizeichen notwendigerweise systematisch bzw. systemintegriert sein müssen. Ein Beispiel: In einem konkreten Zeichensystem, welches sich durch farbdifferenzielle Qualizeichen S [ROT] , S [BLAU] und S [GELB] auszeichnet, ergibt sich folgende systematische Konstitution der Qualizeichen: Das Qualizeichen S [ROT] konstituiert sich in Differenz zu S [BLAU] und S [GELB] , sodass sich die Qualität von S [ROT] als Negativität bestimmt: S [ROT] ist - S [BLAU] & - S [GELB] . Sich als S [ROT] ereignen zu können, konstituiert sich also im Rahmen des Zeichensystems zunächst als Differenz und dann als qualitative Möglichkeit. Diese doch sehr abstrakte Darstellung des Qualizeichens, welches einerseits eine qualitative Zeichenmöglichkeit ist, aber auch mittels der durch Negativität bestimmte Differenz in einem Zeichensystem dargestellt werden kann, zeigt einen wesentlichen Aspekt des Zeichens: Ein konkretes Zeichenereignis ist bereits durch bestimmte Zeichenmöglichkeiten vorstrukturiert und ggf. sogar zeichensystematisch geformt. Qualizeichen nehmen damit in einer zeichensystematischen und differenziellen Betrachtung die erklärungsäquivalente Form von dem an, was Ferdinand de Saussure (2001: 132 f.) einen sprachlichen Wert genannt hat. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 39 Die Existenz (zweitheitlich) des Zeichenmittels (und damit eines Zeichens) geht aber über die qualitative Möglichkeit (erstheitlich) des Zeichenmittels hinaus. Zeichenmittel können sich (als Aspekt eines Zeichens) ereignen und sind dann aktuale Manifestationen möglicher Zeichenereignisse. Das Zeichenmittel ist damit zeitlich-räumlich situiert, sodass sich ein anderer Typ des Zeichenmittels zur Darstellung finden lassen muss. So schreibt Peirce: Ein Sinzeichen [ … ]ist ein aktual existierendes Ding oder Ereignis, das ein Zeichen ist. Es kann nur durch seine Qualität auf diese Weise sein, so daß es ein Qualizeichen oder vielmehr mehrere Qualizeichen einschließt. Doch diese Qualizeichen sind von besonderer Art und bilden dadurch ein Zeichen, daß sie aktual verkörpert sind. (PLZ: 123 f., Hervorh. im Original) Während Qualizeichen also rein qualitative Möglichkeiten sind und auch kraft des Differenzprinzips im Rahmen von Zeichensystemen ermittelt werden können, sind Sinzeichen ihre zeitlich-räumlichen Verkörperungen. Das Verhältnis zwischen Qualizeichen und Sinzeichen ist aber kein Isomorphieverhältnis, sondern es gilt auch für Sinzeichen das Prinzip der Differenz, zwar nicht vorrangig systematisch, aber doch wahrnehmungstheoretisch: Aktuale Zeichenereignisse können nur in Differenz zur Umwelt wahrgenommen werden. 16 Trotz der wahrnehmungstheoretischen Gültigkeit der Differenz für Sinzeichen gibt es ein Verhältnis zwischen qualitativen Möglichkeiten und Zeichenereignissen. Sinzeichen müssen sich bestimmten Qualizeichen zuordnen lassen. Sie realisieren die im Qualizeichen angelegten qualitativen Möglichkeiten. Zeichnet sich ein Qualizeichen z. B. durch seine Farbigkeit oder Formhaftigkeit aus, dann ist die konkrete Farbbzw. Formrealisation des Sinzeichens (z. B. rot und rund) die im Qualizeichen angelegte Zeichenmöglichkeit. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass ein Sinzeichen mehrere Qualizeichen in sich vereint, aber erst mit dem Sinzeichen kann tatsächlich behauptet werden, dass sich das Zeichen ereignet. Denn Sinzeichen sind singuläre Zeichen, die sich zeitlich-räumlich situieren. Ihren drittheitlichen Charakter erhalten Zeichenmittel erst mit dem Legizeichen. Ein Legizeichen “ ist ein Gesetz, das ein Zeichen ist. Ein solches Gesetz ist normalerweise von Menschen aufgestellt. Jedes konventionelle Zeichen ist ein Legizeichen (aber nicht umgekehrt). ” (PLZ: 124) Legizeichen sind also typische bis prototypische Zeichenmittel, welche trotz des kontinuierlichen Zeichenprozesses eine gewisse Konstanz aufweisen. Während Sinzeichen zeitlich-räumlich gebunden sind, handelt es sich bei Legizeichen um aus singulären Zeichenereignissen abstrahierte Zeichen. So bildet z. B. der Ausdruck “ Tisch ” neben seinen spezifischen zeitlich-räumlichen Realisationen in einer dynamischen Zeichenpraxis, welche Sinzeichen wären, ein Legizeichen, welches immer wieder aktiviert bzw. gebraucht werden und seine Effekte entfalten kann. 1906 nennt Peirce die Trichotomie von Quali-, Sin- und Legizeichen auch Ton, Token und Typ: Es ist gebräuchlich, den Umfang eines Manuskripts oder gedruckten Buches zu schätzen, indem man die Anzahl der Wörter abzählt. Auf einer [englischsprachigen] Seite finden sich ungefähr zwanzig the, und natürlich zählen sie als zwanzig Wörter. In einer anderen Bedeutung des Wortes ‘ Wort ’ jedoch gibt es nur ein Wort ‘ the ’ in der englischen Sprache, und es ist unmöglich, daß dieses 16 Die Gestaltpsychologie kennt dieses Phänomen unter den Begriffen der Figur-Grund-Relation und des Gesetzes der Prägnanz. 40 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Wort sichtbar auf einer Seite vorkommt oder von einer Stimme ausgesprochen wird, denn der Grund dafür ist, daß es nicht ein Einzelnes Ding oder Einzelnes Ereignis ist. Es existiert nicht, es bestimmt nur Dinge, die existieren. Ich schlage für eine solche, eindeutig Form den Ausdruck Typ vor. Ein Einzelnes Ereignis, das einmal geschieht und dessen Identität auf dieses eine Geschehen begrenzt ist, oder ein Einzelnes Objekt oder Ding, das an einem einzelnen Ort oder zu irgendeinem Zeitpunkt existiert, ein derartiges Ereignis oder Ding, das bedeutsam nur insofern ist, als es gerade dort und dann vorkommt, wo es vorkommt, geradeso wie dies oder jenes Wort auf einer einzelnen Zeile einer einzelnen Seite eines einzelnen Exemplars eines Buches, erlaube ich mir, Token zu nennen. Eine uneindeutig bedeutsame Eigenschaft wie zum Beispiel der Klang einer Stimme kann weder als Typ noch als Token bezeichnet werden. Ich schlage vor, ein solches Zeichen einen Ton zu nennen. Damit ein Typ verwendet werden kann, muß er in einem Token verkörpert werden, das ein Zeichen des Typs und dadurch des Objekts, das der Typ bedeutet, sein soll. Ich schlage vor, ein solches Token eines Typs die Instanz des Typs zu nennen. (SEM3: 145 f., Hervorh. im Original) Neben einer Veranschaulichung der drei Zeichenmitteltypen verweist Peirce zudem auf die Instanziierungen von Typen, welches die Kopplungen von Ton, Token und Typ nochmals expliziert. Typen ereignen sich als Token, sind dann aber weder reine Token noch Typen, sondern vielmehr Instanzen des Typs bzw. dessen Replika. Es gibt also eine Typ-Token- Relation, die diese Instanziierungen ermöglicht, sodass Typen zwar abstrakt bleiben, zugleich aber ein Verhältnis zwischen Zeichenereignissen und abstrahierten Typen hergestellt werden kann. Ein Resümee zum theoretischen Begriff des Repräsentamens: Sowohl Materialität und Medialität, aber auch die verschiedenen Typen des Repräsentamens (Qualizeichen, Sinzeichen und Legizeichen bzw. Ton, Token und Typ) ermöglichen nicht nur eine spezifische Analyse des Zeichenmittels in linguistischen und diskursiven Praktiken. Sie können auch erklären, warum eine materielle Instanz mittels der Medalität als Zeichen fungieren kann. Die Binnendifferenzierung von Ton, Token und Typ sowie deren Verhältnis muss insbesondere deshalb expliziert werden, weil so zwischen verschiedenen Typen an Zeichenmitteln unterschieden werden kann, was nicht nur argumentativ, sondern auch theoretisch höchst relevant ist: Es kann immer wieder darauf verwiesen werden, ob qualitative Zeichenmöglichkeiten, Zeichenereignisse oder Zeichenabstraktionen im Rahmen der Zeichen- und Sprachtheorie untersucht werden. Ton, aber insbesondere Token und Typ sind für die folgende Untersuchung insbesondere aus einem Grund wichtig. In der theoretischen Argumentation und Präsentation ermöglicht das Vokabular die Differenzierung zwischen möglichen, konkreten und abstrakten Zeichen, aber auch die Beschreibung ihrer Verhältnisse. Insbesondere bei der Analyse von den in inferenziellen Prozessen beteiligten sprachlichen Zeichen ist dies nicht nur notwendig, sondern es können damit auch die Verhältnisse in diskursiven Praktiken genauer erfasst werden. 2.1.3.2 Ikonizität, Indexikalität und Symbolizität - Objekte und ihre Relationen Zeichenmittel sind in Typologie sowie in Materialität und Medialität ein zentrales Moment im Zeichenprozess, doch müssen Zeichen notwendigerweise auf etwas, ein Objekt, außerhalb des Zeichenmittels verweisen. Insofern ist es notwendig, sich auch den objektbezogenen Zeichenaspekten zuzuwenden. Dabei steht insbesondere deshalb das Verhältnis zwischen Zeichen und ihren Objekten im Mittelpunkt, weil dies u. a. erklärt, 2 Zeichentheoretische Grundlagen 41 warum spezifischen Objekten im Rahmen von diskursiven Praktiken bestimmte semantische und pragmatische Eigenschaften zukommen und über welche objektrelationalen Prozesse diese zustande kommen. Insofern zeichnet sich in der Darstellung des objektbezogenen Zeichenaspekts bereits implizit der Prozess der Wirklichkeitskonstitution ab. In der objektbezogenen Dimension des Zeichens lassen sich zwei Aspekte beschreiben, die miteinander zusammenhängen, aber erkenntnistheoretisch auseinandergehalten werden müssen: Objekt und Objektrelation. Während die Objektrelation die wohl bekannteste Zeichendimension Peirces ist, ist auch das Objekt (und deshalb auch dessen theoretische Konzeption) notwendigerweise am Zeichenprozess beteiligt. Es ist stetig virtuell im Zeichenprozess präsent und sollte daher ebenfalls theoretisch erfasst werden. Obwohl Peirce in der wissenschaftswie erkenntnistheoretischen Tradition Kants steht, verweist das Zeichenmittel nicht auf ein Ding an sich (z. B. Kant 1976: 42), welches a priori in der Welt existiert. Objekte 17 werden vielmehr im Zeichenprozess selbst als semiotisch relevante Instanzen gesetzt, sodass sie epistemisch keinen Vorrang erhalten: Erst wenn Zeichenmittel auf etwas, das Objekt, verweisen, dann kann das Objekt vermittelt zugänglich sein und im Rahmen von Zeichenprozessen seine Kraft entfalten und entsprechend auch analysiert werden. Peirce hebt so z. B. die Kritik, die Hegel bereits am Ding an sich geäußert hatte, auf und konstituiert die semiotischen Objektrelationen und deren Erkenntnisobjekte im epistemischen und semiotischen Prozess selbst. 18 Peirce führt deshalb zwei Objektbegriffe in die Theorie des semiotischen Erkenntnisprozesses ein: unmittelbares und dynamisches Objekt. Die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt ermöglicht es Peirce, dass einerseits zwischen erkennenden Zeichen und erkannter Wirklichkeit unterschieden werden kann, aber andererseits auch Objektrelationen möglich sind, die sich einem Abbildungsverhältnis entziehen. Gleichzeitig muss die Relation zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt nicht notwendigerweise gelingen, sodass auch fiktionale Objekte innerhalb dieser Objekttheorie möglich sind. Peirce unterscheidet seine Objektbegriffe folgendermaßen: Wir müssen nämlich das Unmittelbare Objekt, welches das Objekt ist, wie es das Zeichen selbst darstellt und dessen Sein also von seiner Darstellung im Zeichen abhängig ist, von dem Dynamischen Objekt unterscheiden, das die Realität ist, die Mittel und Wege findet, das Zeichen zu bestimmen. (SEM3: 145) 17 Peirce fasst unter Objekte alles, was wahrnehmbar, vorstellbar oder sogar unvorstellbar (cf. CP 2.230) ist, also Gegenstand des Denkens werden kann. In der zeitgenössischen Semiotik wird der (de)ontologische Status von Objekten insbesondere in Bezug auf Thomas von Aquin und John Poinsot wieder vermehrt diskutiert, wenn die Unterscheidung zwischen ens reale und ens rationale etabliert werden soll. Diese beiden Objektkategorien, die John Deely (2007: 33 f., 2009: 54 f.) auch thing und object nennt, beziehen sich auf die Unterscheidung von Seiendem, welches entweder unabhängig oder nur anhängig von geistigen Prozessen existiert. Aus der Perspektive einer linguistischen Pragmatik ist eine solche Unterscheidung zwar interessant, aber für die Analyse von sprachlichen Zeichen nicht förderlich, da eine ontologische Betrachtung der Objektqualitäten außerhalb des Kompetenzbereichs der Sprachwissenschaft liegt. Insofern sollte die hier angestrebte Unterscheidung zwischen dynamischen und unmittelbaren Objekten, die sich eher auf den Erkenntnisprozess als auch eine Ontologie beziehen, hinreichend sein. 18 Hegel (cf. u. a. 1986 a: 37 f.) kritisiert das Konzept des Dings an sich, da es Teil des Erkenntnisprozesses und damit nicht außerhalb des Denkens zu konzeptualisieren sei. 42 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Objekte können (im Zeichenprozess) also einerseits von Zeichen repräsentiert werden und damit von der Repräsentation abhängig sein, aber andererseits auch ein repräsentiertes Objekt sein, welches auf die Zeichenkonstitution einwirkt. Die Diskrepanz zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt erklärt aber nicht nur die beiden Objektbegriffe Peirces, sondern auch das Verhältnis zwischen Darstellung (im Zeichen) und realem Objekt. Objektrelationen ermöglichen es, dass Zeichen, die unmittelbare Objekte darstellen, sich auf Objekte der Wirklichkeit beziehen können. Insofern dient das Verhältnis einerseits der Referenz- und Verweiskraft von Zeichen. Andererseits können dynamische Objekte, weil sie das Zeichen kodeterminieren und selbst semiotische Prozesse mitbestimmen, sich der Erkenntnis aufzwingen. Daher dienen die Objektbegriffe Peirces sowohl der Beschreibung der Darstellbarkeit der Wirklichkeit kraft Zeichen, aber auch der Möglichkeit, dass sich eine phänomenale Welt zeichenhaft ereignet. 19 Weil Objekte und Objektrelationen auch phänomenologisch strukturiert sind, gelten die phaneroskopischen Kategorien auch für Objekte und ihre Relationen. Nachdem die Darstellung der Zeichenmittel gezeigt hat, dass sich Repräsentamen im Sinne der universalen Kategorien als Erstheit analysieren lassen, sind Objekte und Objektrelationen (aus der Perspektive des gesamten Zeichens betrachtet) zweitheitlich strukturiert. Sowohl Objekte als auch Objektrelationen unterscheiden sich jedoch in ihrer Authentizität, können also auch hinsichtlich ihrer genuinen bzw. degenerativen Struktur betrachtet werden. Das unmittelbare Objekt ist im Zeichen dargestellt, konstituiert es also mit und gilt als degenerative Zweitheit. Es ist eine degenerative Zweitheit, weil es sich aus der genuinen Zweitheit des dynamischen Objektes ableitet: Weil es ein potenzielles dynamisches Objekt gibt, können unmittelbare Objekte im Zeichen repräsentiert werden. Das dynamische Objekt hingegen ist genuin zweitheitlich, da die “ brute force ” (CP 1.427) seiner Existenz das Zeichen hervorrufen kann. Dem dynamischen Objekt kommt damit die Rolle des Ortes der Zeichenevokation zu und agiert als Moment der präsemiotischen Welt, welches semiotische Erkenntnis vorstrukturiert. Gleichzeitig ist es aber selbst nicht Erkenntnisobjekt, sondern kann erst als unmittelbares Objekt im Zeichenprozess wahrgenommen werden. Durch seinen effektiven Einfluss auf die Zeichenkonstitution kann das dynamische Objekt auch “ [q]uasi-reales Objekt ” (SEM2: 288) genannt werden. Während der Unterschied zwischen unmittelbaren und dynamischen Objekten auf den ersten Blick nach einer erkenntnistheoretischen Perspektive auf Zeichenprozesse aussieht, ist diese Abgrenzung auch für diese folgende Untersuchung sowie für linguistische Theorien im Allgemeinen relevant. Es handelt sich dabei um nicht weniger als das Verhältnis zwischen Zeichen und Wirklichkeit bzw. Wirklichkeitsrepräsentation und -konstitution. Mit der Möglichkeit, dass dynamische Objekte Zeichen kodeterminieren können und z. B. kausale Prozesse Auswirkungen auf ihre Repräsentation haben, widerspricht Peirce radikalkonstruktivistischen Ansätzen, die allein die zeichenkonstruktive Dimension betrachten. Daher sollten auch objektbezogene und kausale Einflüsse auf 19 Peirces Erkenntnis- und Zeichentheorie erfasst also sowohl semiotische als auch präsemiotische Objekte. Unmittelbares und dynamisches Objekt sind die Grenze zwischen phänomenalem und semiotischem Objekt oder der Frage, wie etwas zum Gegenstand und Inhalt des Geistes werden kann (cf. hierzu insbesondere Husserl 2009: 411 f.). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 43 diskursive und linguistische Praktiken in ihrer Darstellung berücksichtigt bzw. die Möglichkeit ihrer Beteiligung zumindest nicht ausgeschlossen werden. Für die folgenden theoretischen Reflexionen zu einer linguistischen Pragmatik, die auf diskursiver Intentionalität gründet, ist die Differenz der Objektbegriffe auf vielerlei Weise maßgeblich an der Theoriebildung beteiligt. Jede theoretische Darstellung, die semiotische Prozesse zu beschreiben und zu analysieren sucht, sollte auch ein potenzielles dynamisches Objekt konzeptualisieren bzw. modellieren, um die Verweis- und Konstitutionskraft des Zeichens einerseits und die Möglichkeit der Kodetermination des Objekts andererseits aufzuzeigen. Der Objektbegriff wird hierzu entsprechend erweitert bzw. spezifiziert, weil er (ganz im Sinne Peirces) nicht nur Objekte im engeren Sinne, sondern auch z. B. Ereignisse und Verhalten umfasst, die im Zeichen dargestellt werden (können). Im Spezifischen findet sich das Verhältnis zwischen dynamischen und unmittelbaren Objekten auch in der Analyse der diskursiven Intentionalität wider, denn Intentionalitätstheorien müssen beantworten können, ob intentionale Objekte, auf die sich intentionale Prozesse und Relationen richten, reale (dynamische) oder epistemische bzw. semiotische (unmittelbare) Objekte sind. Auch hier helfen die Objektbegriffe Peirces, aber auch die Beschreibungen der Objektrelationen, um die Spezifik intentionaler Relationen und intentionaler Objekte darzustellen (cf. Kapitel 12.2 und 12.3). Neben Objekten beschreibt Peirce auch Objektrelationen von Zeichen. Er benennt Zeichen auch auf Basis ihrer Objektrelationen, wobei Ikon, Index und Symbol universale Kategorien in sich vereinen: Ikonische Zeichen sind erstheitlich, indexikalische zweitheitlich und symbolische drittheitlich beschaffen und dies spiegelt sich auch in ihrer Zeichenkonstitution wider. Ein ikonisches Zeichen, so Peirce (PLZ: 124), ist “ ein Zeichen, das sich auf das von ihm denotierte Objekt lediglich aufgrund von Eigenschaften bezieht, die es selbst besitzt, gleichgültig, ob ein entsprechendes Objekt wirklich existiert oder nicht ” . Diese Eigenschaft, die ein ikonisches Zeichen aufweist, ist ein Ähnlichkeitsverhältnis zu seinem Objekt. Daher zeichnen sich ikonische Zeichen durch eine Ähnlichkeitsrelation zum Objekt aus. Ähnlichkeit als Eigenschaft impliziert allerdings, dass es eine Differenz zwischen ikonischem Zeichen und Objekt gibt, denn ansonsten wären Zeichen und Objekt identisch. Nur hinsichtlich spezifischer Aspekte weist das ikonische Zeichen Eigenschaften auf, die in einer Ähnlichkeitsrelation zum Objekt stehen. Neben den traditionellen Beispielen für ikonische Zeichen (Fotos, Gemälde etc.) weisen auch andere Zeichen ikonische Objektrelationen auf. Geometrische Figuren z. B. weisen sich (als Zeichen) durch ihre (ideale) ikonische Relation zu ihrem Objekt aus. Ein Kreis z. B. kann auf kreishafte Objekte deshalb verweisen, weil er die Eigenschaft hat, in einem Ähnlichkeitsverhältnis zu kreishaften Objekten zu stehen. Abseits von der Möglichkeit, ob (ideale) Kreise überhaupt existieren (können), gilt diese Objektrelation dennoch. Dies gilt auch für kartographische und metaphorische Zeichen. 20 20 Peirce (CP 2.277) unterteilt ikonische Zeichen abermals und führt die Begriffe Bild, Diagramm und Metapher ein, deren Objektrelationen zwar ikonisch sind, sich aber in ihrer Authentizität unterscheiden. Insbesondere bei der Metapher ist offensichtlich, dass sie zudem konventionelle Objektrelationen fordert. Die bild- und metapherntheoretischen Aspekte ikonischer Zeichen sollen an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Allein 44 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Ein indexikalisches Zeichen hingegen “ ist ein Zeichen, das sich auf das von ihm denotierte Objekt bezieht, indem dieses Objekt faktisch auf es einwirkt ” (PLZ: 124). Indexikalische Objektrelationen bestimmen sich durch Kontiguität, die sowohl Kontaktals auch Folgerelationen mit einschließt. Indizes sind damit Hinweismarker und erscheinen in unterschiedlicher Form: Zeigefinger, welche Gefundenes signalisieren, Punkte auf der Haut, die auf Masern hindeuten, oder Rauch am Horizont, welcher auf Feuer hinweist, sind Indexzeichen, denn es gibt eine direkte Beziehung zwischen Zeichenmittel und Objekt. Die zweitheitliche Relation zwischen Zeichenmittel und Objekt ist demnach durch Kontakt bzw. Folgeereignisse bestimmt, welche zeitlich-räumlich situiert sind. Indexzeichen sind demnach häufig physisch bzw. kausal motiviert, wobei es innerhalb von normativen oder konventionellen Systemen auch Indexzeichen gibt, die allerdings andere objektrelationale Aspekte involvieren. Zentral ist, dass kraft des indexikalischen Zeichens das spezifische und zeitlich-räumlich situierte Objekt ermittelt werden kann. Symbolische Zeichen involvieren drittheitliche Objektrelationen. Ein Symbol “ ist ein Zeichen, das sich auf das von ihm denotierte Objekt aufgrund eines Gesetzes bezieht, das gewöhnlich in einer Verbindung allgemeiner Vorstellung besteht, die dadurch in Kraft tritt, daß sie bewirkt, daß das Symbol als sich auf jenes Objekt beziehend interpretiert wird ” (PLZ: 125). Während die Beziehung zwischen Index und Objekt direkt motiviert ist, erfordern Symbole Regeln, Konventionen oder Normen, die die Zuordnung des Zeichenmittels zum Objekt bestimmen. Die symbolische Motivation des Zeichenmittels ist demnach allenfalls indirekt, da die regulierende Konvention die Bedingung der Objektrelation ist. Peirces Symbolbegriff erfasst damit eine spezifische Regulation einer dynamischen Objektrelation und nicht, wie andere Symboltheorien, die Gesamtheit der Zeichenpraxis oder die starre Zuordnung von Zeichen und Objekt. Symbolische Relationen bestimmen sich in normativen und/ oder konventionellen Prozessen. Symbolische Zeichen sind dabei nicht auf sprachliche Zeichen beschränkt (und auch diese sind nicht ausschließlich symbolisch), sondern auch andere Zeichen können sich symbolisch auf Objekte beziehen, wenn sie über normierte Objektrelationen verfügen, die sich nicht auf Ähnlichkeit oder Kontiguität reduzieren lassen. Das Verhältnis zwischen Objektrelationen und Zeichen verweist auf eine wesentliche Herausforderung der Typologie der Objektrelationen, wenn es um die Interpretation von Zeichenprozessen geht: Da Zeichen im Sinne der Pragmatischen Maxime verschiedene Gestalten annehmen und aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich interpretiert werden können, ist es sinnvoll, eher von ikonischen, indexikalischen und symbolischen Zeichenaspekten zu sprechen und Substantivierungen wie Ikon, Index und Symbol weitestgehend zu vermeiden (cf. dazu z. B. Lenk 1993: 462). Zeichen können durchaus unterschiedliche ikonische, indexikalische und symbolische Zeichenfunktionen übernehmen und gleichzeitig kombinieren sich diese Objektrelationen zu Objektrelationskomplexen, die sich nicht auf genuine Objektrelationen reduzieren lassen. An sprachlichen Zeichen lässt sich dies veranschaulichen: Zwar handelt es sich bei Sprache um ein konventionelles Zeichensystem, doch sind spezifische Objektrelationen auch in zeitlichder Aspekt des Diagramms wird in Kapitel 5 und der Darstellung der Signifikanz des Denkens noch einmal aufgegriffen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 45 räumlichen Gebrauchssituationen eingebunden, die nicht vor dem Gebrauch bestehen. Im Sinne des semiotischen Pragmatismus ereignen sich Objektrelationen im Rahmen der durch die Pragmatische Maxime bestimmten Praxis, sowohl als Zeichen, aber auch als phaneroskopische Struktur, sodass auf spezifische Objekte auch je nach spezifischer Gebrauchssituation verwiesen wird. Paradigmatisch hierfür sind deiktische Zeichen, aber auch anderen sprachlichen Zeichen wohnt diese indexikalische Dimension inne. Eine trennscharfe Unterscheidung von ikonischen, indexikalischen und symbolischen Zeichenaspekten trägt eben solchen verzweigten Verweisstrukturen Rechnung und akzentuiert die Komplexität der tatsächlichen Objektrelationen. Im Sinne der semiotischen Erkenntnistheorie Peirces müssen neben den objektrelationalen Aspekten auch die zeichenhierarchischen Verhältnisse der Objektrelationen berücksichtigt werden. So argumentiert Peirce (cf. CP 2.276, 2.277, 2.320) z. B., dass es ikonische Zeichenaspekte gibt, die nur unter Anleitung einer konventionellen Systematik interpretierbar sind. Diese Hypoikone stehen in sedimentierten konventionellen Relationen zu ihren Objekten, welche als ikonische Relationen interpretiert werden. So zeichnen sich z. B. sprachliche Metaphern dadurch aus, dass sie eine Ähnlichkeitsrelation zwischen Quell- und Zieldomäne herstellen (ikonisch), obwohl die sprachlichen Zeichen selbst symbolisch auf ihre Objekte verweisen. Ähnliches gilt für Hypoindizes, die “ conventional devices for indexical representation ” (Hookway 2002: 99) sind und damit kraft konventioneller Relationen zeitlich-räumliche Kontiguität ermöglichen. Demonstrativpronomen z. B. sind zwar konventionell und symbolisch strukturiert, verweisen aber indexikalisch (im Gebrauch) auf ihre spezifischen zeitlich-räumlich situierten Objekte. Diese hierarchische Strukturierung von Bedingungsverhältnissen der Objektrelationen zeigt, dass Zeichen nicht nur hinsichtlich ihrer homologen, sondern auch ihrer disparaten Objektrelationen befragt werden können. Während eine Betrachtung der homologen Objektrelationen erfasst, welche objektrelationalen Aspekte ein Zeichen involviert, die sich (ikonisch, indexikalisch oder symbolisch) auf Objekte beziehen, kann eine Analyse der disparaten Objektrelationen zeigen, welche Objektrelation eine Bedingung der Möglichkeit anderer Objektrelationen ist. 21 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Objekte und Objektrelationen im theoretischen Vokabular des semiotischen Pragmatismus eine Möglichkeit bereitstellen, das Verhältnis zwischen im Zeichen dargestellten Objekten (unmittelbare Objekte) und ihren (möglichen) realen Objekten (dynamische Objekte) zu analysieren. Unmittelbare und dynamische Objekte erfassen dabei das Verhältnis zwischen phänomenalen und/ oder kausalen Prozessen einerseits und semiotisch repräsentierten Objekten andererseits. Die verschiedenen Objektrelationen spezifizieren das Verhältnis insofern, dass es hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit (ikonisch), Kontiguität (indexikalisch) oder Regelbzw. Gesetzmäßigkeit (symbolisch) untersucht werden kann. Die verschiedenen objektrelationalen Aspekte können dabei nicht nur in ihrer homologen Struktur analysiert, sondern auch in objekt- 21 Die Vielschichtigkeit des Verhältnisses von Zeichenmittel und objektrelationalen Kategorien nimmt zu, wenn noch Typ-Token-Relationen mit hinzugenommen werden (cf. hierzu das Schaubild von Deacon 1997: 87). Auf diese Ausführungen soll im Folgenden verzichtet werden. 46 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen relationalen und disparaten Hierarchien untersucht werden, wenn z. B. eine Objektrelation eine andere bedingt. Neben der bereits eingeführten Notwendigkeit der Darstellung der zwei Objektbegriffe Peirces für die Modellierung von semiotischen Prozessen einerseits und der theoretischen Reflexion zur diskursiven Intentionalität andererseits sind auch die verschiedenen objektrelationalen Aspekte und ihre potenziellen Hierarchien für die folgenden Betrachtungen notwendig: (1) Sprachsysteme, Sprachprozesse und sprachliche Zeichen lassen sich semiotisch keineswegs nur als Symbole darstellen, sondern involvieren das gesamte Repertoire an objektrelationalen Aspekten. Nicht nur deiktische Sprachzeichen, sondern auch z. B. Verben lassen sich nicht auf ihre symbolische Dimension reduzieren, sodass die verschiedenen objektrelationalen Aspekte immer wieder expliziert werden müssen, um zu zeigen, auf welcher Ebene des Verhältnisses zwischen Zeichen und Objekte, Ereignis bzw. Verhalten die Analyse, theoretischen Reflexionen und Argumente angesiedelt sind. Dies zeigt sich z. B. bei der Beschreibung und Modellierung der Semiose der Behauptung, welche neben der pragmatischen Signifikanz (Handlungskraft) auch eine phänomenale und objektrelationale Struktur aufweist, welche (neben den konventionellen Aspekten) sich über indexikalische und ikonische Objektrelationen auszeichnet (cf. Kapitel 14.2). (2) Im Besonderen ist auch der Unterschied zwischen Deixis und Indexikalität im Rahmen der Semiose der Behauptung relevant, wenn es um die Konstitution von diskursiven Rollen geht. Im Ereignis der Behauptung, so soll argumentiert werden, lassen sich die verschiedenen diskursiven Rollen, Interlokutoren einerseits und Delokutoren andererseits, auch dadurch erkennen, dass sie über unterschiedliche objektrelationale Qualitäten verfügen. Daraus folgend kann dann auch untersucht werden, aufgrund welcher objektrelationalen Qualität des Zeichens etwas (Objekt) kraft Zeichen im Rahmen diskursiver Praktiken als z. B. Sprecher konstituiert wird und über die notwendige pragmatische und diskursive Autorität verfügt, um an diesen Praktiken teilzunehmen (cf. Kapitel 15.2). (3) Die hierarchischen objektrelationalen Verhältnisse sind insbesondere dann relevant, wenn zwischen argumentativen, analytischen und deskriptiven Ebenen während der Untersuchung gewechselt wird: Selbstverständlich ist Sprache ein System von Symbolen und damit konventionell strukturiert, doch erklärt dies nicht die indexikalischen und ikonischen Objektrelationen spezifischer sprachlicher Zeichen. Insofern ist in jeder Analyse sprachlicher und diskursiver Prozesse der Aspekt der Konventionalität und Symbolizität involviert, doch muss dieser immer wieder expliziert werden. Er erklärt letztlich kaum etwas über die diskursiven Konsequenzen des Gebrauchs sprachlicher Zeichen in Interpretations-, Verstehens- und insbesondere wirklichkeitskonstitutiven Prozessen. 2.1.3.3 Begriff, Proposition und Inferenz - Kognitive Semiotik Zeichen umfassen nicht nur Zeichenmittel und Objekte bzw. Objektrelationen, sondern es muss deren Verhältnis auch zustande kommen. Um eine Objektrelation zwischen Objekt und Zeichenmittel herzustellen, erfordert es also eine weitere Zeichendimension, die die Erstheit des Zeichenmittels und die Zweitheit des Objekts ergänzt: Ein Interpretant 22 ist 22 Der Ausdruck Interpretant darf trotz seiner graphematischen Ähnlichkeit nicht mit Interpret übersetzt werden, denn die Zeichendimension des Interpretanten kann auch für Tiere, K. I. und andere nicht-diskursive Wesen 2 Zeichentheoretische Grundlagen 47 drittheitlicher Zeichenaspekt, führt Zeichenmittel und Objekt aber nicht nur zusammen, sondern differenziert auch die Zeichenpraxis aus, sodass sich Zeichen in weitere Zeichenprozesse eingliedern können. Während sich die bisherigen Erklärungen zum Verhältnis von Objekt und Zeichenmittel weitgehend auf eine isomorphe Etikettierungspraxis beschränkt haben, die jedem Objekt ein Zeichenmittel zuordnet, sind Zeichenprozesse im semiotischen Pragmatismus ohne Interpretanten nicht nur unmöglich, sondern Interpretanten garantieren auch vielfältige Interpretations- und Konstitutionsprozesse, die mithilfe einer Zeichentheorie beschrieben werden können. Nicht nur das Verhältnis von Objekt und Zeichenmittel, sondern auch der Prozess der Signifikation basiert nicht auf einem einfachen Zuordnungsverhältnis. Signifikation kann nicht auf ein repräsentationales Bedeutungsverhältnis (aliquid stat pro aliquo) reduziert werden, denn Interpretanten sind durch dynamische Zeichenbewegungen bestimmt, deren Prozessualität sich aus der Differenz zu anderen Interpretanten ergibt. Zwar erörtert Peirce den Interpretanten, indem er die Medialität des Zeichenmittels betont, sodass der Effekt des Zeichenmittels Zeichenprozesse erst ermöglicht, doch bedeutet dies nicht, dass sich auch der Zeichenprozess selbst allein kausal erklären lässt. So schreibt Peirce: I have already noted that the Sign has an Object and an Interpretant, the latter being that which the Sign produces in the Quasi-mind that is the Interpreter by determining the latter to a feeling, to an exertion, or to a Sign, which determination is the Interpretant. (CP 4.536) Das Zeichenereignis motiviert demnach den Interpretanten, wobei die Motivation je nach Interpretant kausal, affektiv, habituell, gewohnheitsmäßig, bewusst, unbewusst oder normativ sein kann. Aus den jeweiligen Effekten resultieren dann konsekutive Zeichenereignisse, die sich mittels Interpretanten in semiotische Folgeverhältnisse sortieren lassen. Ebenso wie die Dimension des Zeichenmittels und des Objekts und dessen Relationen muss auch die Dimension des Interpretanten in unterschiedliche Typen von Erkenntnisprozessen, kognitiven Prozessen und Effekten eingeteilt werden. Peirces Typologie erfasst mit den Begriffen unmittelbarer, dynamischer und finaler Interpretant einerseits den Interpretations- und Erkenntnisprozess, ermittelt aber mit den Konzepten der emotionalen, energetischen und logischen Interpretanten zugleich spezifische Zeicheneffekte, die bei ZeichennutzerInnen motiviert werden. 23 Insofern ist die Analyse von Interpretanten entlang zweier Achsen ausgerichtet, die jeweils Aspekte des Zeichens erläutern sollen. Der Zeichenaspekt des Interpretanten soll also im Folgenden näher erklärt und dessen Relevanz für die folgenden theoretischen Reflexionen expliziert werden. Die Darstellung folgt dabei zwei theoretischen Bündeln, die verschiedene Facetten des Interpretanten gelten. So schreibt T. L. Short (1986: 98): “ An interpretant is not an interpreter. Instead, it is the particular thought, action, or feeling which interprets a sign. The formation of interpretants constitutes an interpreter, which in some case is a person. ” Interpretantenrelationen lassen sich vielmehr als z. B. semiotisch-kognitive Prozesse verstehen, die sich nicht auf Individuen reduzieren lassen (cf. z. B. Nesher 1990, Nöth 1994). 23 In den letzten Jahren sind einige systematische Interpretationen der Zeichentheorie Peirces erschienen (cf. z. B. Bellucci 2017; Short 2007; Stjernfelt 2007, 2014), die sich allerdings in ihrer Taxonomie der Interpretanten unterscheiden. Die Divergenz der Taxonomien lässt sich z. B. dadurch erklären, dass Peirce stets auch Arbeit am Begriff betreibt und sich seine Begriffe dadurch einerseits zwischen verschiedenen Texten verändern, andererseits er die Begrifflichkeiten in späteren Texten wieder aufgreift oder gänzlich verwirft. Um mich auf ein verlässliches theoretisches Vokabular zu stützen, orientiere ich mich deshalb in meiner Bestimmung der Interpretanten, insbesondere an der Interpretation T. L. Shorts (2007). 48 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen fokussieren: Die Momente in Interpretations- und Erkenntnisprozessen erklären, warum ein Zeichen überhaupt interpretiert werden kann und warum es in der Interpretation einen spezifischen semantischen Gehalt oder eine pragmatische, sozial-normative oder diskursive Signifikanz aufweist. Die theoretische Entwicklung setzt also bei der Entstehung und Kraftentfaltung von Zeichen an. Die verschiedenen Typen an Interpretanten hingegen versuchen, die verschiedenen Zeicheneffekte zu systematisieren und in ein Verhältnis zu stellen. Dabei scheinen zunächst die Interpretanten relevant zu sein, die an sprachlichen Prozessen unmittelbar beteiligt sind (logische Interpretanten), doch ermöglicht Peirces Typologie der Interpretanten, dass auch andere Zeicheneffekte (z. B. als Verhalten oder Handlung) im Rahmen von diskursiven Praktiken analysiert und in ein Verhältnis zu sprachlichen Zeichen gesetzt werden können. Die kognitive Dimension des Zeichenprozesses konstituiert sich und wird dann relevant, wenn Zeichenmittel und ein mögliches Erkenntnissubjekt kollidieren und damit Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse zustande kommen. Damit ein solcher Kontakt zwischen Zeichenmittel und Erkenntnissubjekt möglich ist, etwas also zum Zeichen werden und in Zeichenprozesse eintreten kann, muss notwendigerweise ein unmittelbarer Interpretant evoziert werden: Der Unmittelbare Interpretant ist das, was notwendigerweise hervorgebracht wird, wenn das Zeichen ein solches sein soll. Er ist eine vage mögliche Bewußtseinsbestimmung, eine vage Abstraktion. (SEM3: 244; Hervorh. im Original) Peirce bestimmt unmittelbare Interpretanten durch Möglichkeit und Vagheit. Damit markiert er die Erstheit des unmittelbaren Interpretanten, wenn er am Interpretations- und Erkenntnisprozess beteiligt ist. Unmittelbare Interpretanten sind also keine konkreten Zeichenbzw. Interpretantenereignisse, sondern eine abstrakte Kategorie zur Bestimmung möglicher z. B. kognitiver, affektiver und/ oder habitueller Strukturen und Prozesse (und weisen so gewissermaßen strukturelle Ähnlichkeiten zum Zeichenaspekt des Qualizeichens auf). Neben der Funktion der Möglichkeit verbindet Peirce mit unmittelbaren Interpretanten den Begriff der Vagheit. 24 Der Begriff der Vagheit impliziert bei Peirce eine Vagheitslogik, welche sich mit den “ conditions of production and determination of meaning ” (Engel- Tiercelin 1991: 1) beschäftigt. Während andere logische Modelle mit konkreten oder abstrakten Einheiten arbeiten, führt Peirce mit seiner Vagheitslogik ein diffuses Element in seine Zeichenlogik ein, welches spezifische Zeicheninterpretationen mitkonstituiert. Vagheit lässt sich weder mit spezifischen bzw. konkreten Bedeutungsgehalten noch mit abstrakten Bedeutungen gleichsetzen. Vielmehr markiert Vagheit die Logik der Interpretation des Zeichens selbst. Vagheit ist eine Bedingung, damit ein Zeichen bedeutungs- 24 “ Now it is of the essential nature of a symbol that it determines an interpretant, which is itself a symbol. A symbol, therefore, produces an endless series of interpretants. [ … ] But the direct interpretant of any symbol must be in the first stage of it be merely the tabula rasa for an interpretant. Hence the immediate interpretant of this vague Nothing was not even determinately vage, but only vaguely hovering between determinacy and vagueness; and its immediate interpretant was vaguely hovering between vaguely hovering between [sic! ] vagueness and determinacy and determinate vagueness or determinacy, and so on, ad infinitum. ” (E2: 322 f.: Hervorh. im Original, zum Konzept der Vagheit bei Peirce cf. auch Engel-Tiercelin 1991, Tiercelin 2019) 2 Zeichentheoretische Grundlagen 49 haft werden kann: Ohne den unmittelbaren Interpretanten können Zeichen damit nicht verstanden werden, weil er Möglichkeit und Vagheit von Interpretationsprozessen bereitstellt. Er funktioniert als Interpretierbarkeit des Zeichens selbst. Insofern ähnelt die Funktion des unmittelbaren Interpretanten der Funktion des unmittelbaren Objektes. Während die logische Darstellung des unmittelbaren Objektes garantiert, dass Phänomene in der Peirce'schen Semiotik zeichenhaft werden können, erfasst der Interpretations- und Erkenntnisaspekt des unmittelbaren Interpretanten die Interpretierbarkeit des Zeichens. Unmittelbare Interpretanten lassen sich demnach als vage Bedingungen spezifischer Signifikanzen, welche Peirce vereinzelt auch “ schema ” 25 (CP 8.314) nennt, beschreiben. Während sich unmittelbare Interpretanten noch durch Möglichkeit und Vagheit der kognitiven Realisation des Zeichenereignisses definieren lassen, sind dynamische Interpretanten aktuelle Zeicheneffekte, die durch Zeichenmittel in Kraft gesetzt werden: Der Dynamische Interpretant ist ein tatsächliches Ereignis, das tatsächlich aus dem Einfluß des Zeichens resultiert, und eine tatsächliche Bestimmung eines existierenden Geistes, sich durch den Zwang (force) des Zeichens in ein Zuordnungsverhältnis (correspondence) zu einem Objekt zu begeben. (SEM3: 224, Hervorh. im Original) Unmittelbare Interpretanten erfüllen sich mit dynamischen Interpretanten. Sie bestimmen das Zeichen (entgegen seiner vorherigen Vagheit) und sind damit eine spezifische aktuelle Interpretation des Zeichenmittels bzw. dessen Verhältnis zum Objekt (und erfüllt so einen möglichen Interpretanten), welches im Ereignis der Interpretation kognitiv-semiotisch präsent ist. Kraft seiner zweitheitlichen kategorialen Bestimmung sind dynamische Interpretanten selbst nicht typisierbar, sondern zeichnen sich durch zeitlich-räumliche sowie interpretative Differenzen aus. Dynamische Interpretanten sind die Interpretation dieses Zeichens. Sie sind eine konkrete Interpretation im Rahmen eines Zeichenprozesses. Neben der Interpretierbarkeit und dem aktuellen Interpretationsereignis des Zeichens erfordert Interpretation einen regelhaften Interpretationsprozess, der sich im finalen Interpretanten manifestiert. Peirce schreibt in einem Brief an Lady Victoria Welby: My Final Interpretant is [ … ] the effect the Sign would produce upon any mind upon which circumstances should permit it to work out its full effects. (SS: 110, Hervorh. im Original) Finale Interpretanten gehen über dynamische Interpretanten hinaus, da sie vollständige Zeichenrelationen und -konstellationen implizieren, die sich aus der Interpretation des Zeichens ergeben können bzw. unter idealen Umständen zustande kommen könnten. Finale Interpretanten stellen somit die idealen Zeicheneffekte eines Zeichens dar. Insbesondere in diskursiven Praktiken sind solche idealen Zeicheneffekte niemals vollständig erkennbzw. erfahrbar. Mehr noch: “ There is [ … ] no final confluence of interpretations. ” (Short 2007: 190) Es gibt nicht nur keine vollständige Interpretation eines Zeichens, sondern jedes Zeichen ist auch in weitere Zeichen- und Interpretationszusammenhänge eingebettet. Nichtsdestotrotz rahmen finale Interpretanten Interpretations- und Erkenntnisprozess insofern ein, dass sie Interpretation regulieren. Während unmittelbare Interpretanten Interpretation ermögli- 25 Der Begriff des Schemas, wie er von kognitiven Linguisten, Kognitionswissenschaftlern und Gestaltpsychologen verwendet wird (cf. z. B. Barsalou 1992, Bartlett 1932, Fauconnier 1994, 1997, Langacker 1987, 1991, 2002, Minsky 1988), ähnelt dem Verständnis Peirces. 50 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen chen, sind finale Interpretanten insofern restriktiv, dass sie die möglichen dynamischen Interpretanten eingrenzen und damit einen interpretatorischen Relativismus einhegen. Mithilfe der Darstellung von unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten lässt sich nun der Interpretations- und Erkenntnisprozess nachzeichnen: Interpretationen sind bestimmt durch vage und mögliche Interpretationen (unmittelbare Interpretanten), mithilfe derer sich die Interpretierbarkeit des Zeichens erklären lässt, die aber auch die spezifischen Interpretationen mitstrukturieren. Spezifische Interpretationen (dynamische Interpretanten) sind konkrete Zeichen- und Interpretationsereignisse im Rahmen semiotischer Praktiken, die sich durch zeitlich-räumlich gebundene semantische Gehalte und/ oder pragmatische oder diskursive Signifikanzen erklären lassen. Das Streben zur gesättigten Interpretation, aber auch die weiteren interpretativen Effekte eines Zeichens (finaler Interpretant) bilden strukturell dann die weiteren Zeichenrelationen und -konstellationen, die ein Zeichen erzeugen kann, und stellen damit einen möglichen Kanon zur Interpretation von spezifischen Zeichen bereit. Die Analyse des Interpretations- und Erkenntnisprozesses ist für die Analyse von diskursiven Praktiken insofern wichtig, weil sie zeigt, dass Zeichen keineswegs immer konkrete Bedeutungen haben, sondern diese sich stets in Interpretations- und Erkenntnisprozessen erweisen müssen (und damit der Pragmatischen Maxime genügen). Das Konzept des unmittelbaren Interpretanten ist dann relevant, wenn es darum geht, warum ein Zeichen überhaupt als solches interpretiert wird (und so eine gewisse Signifikanz und Salienz aufweist). Außerdem kann eine theoretische Nachzeichnung des Interpretations- und Erkenntnisprozesses zeigen, dass Zeichen auf unterschiedliche Weise interpretiert werden und damit auch unterschiedliche Effekte entfalten können. Daher sollte bei der Betrachtung von sprachlichen Zeichen in diskursiven Praktiken stets das Verhältnis von unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten berücksichtigt werden, um die möglichen Interpretationen einerseits und die konkreten, spezifischen (und vielleicht latenten) Interpretationen andererseits zu unterscheiden. Die Achse der unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten zeichnet zwar den Interpretations- und Erkenntnisprozess nach, erklärt aber noch nicht verschiedene Arten der Interpretation. Auf Zeichen können Erkenntnissubjekte schließlich unterschiedlich reagieren, z. B. durch emotionale Regungen, Verhaltensweisen oder sprachliche Äußerungen. Peirce erfasst mit dem Konzept des Interpretanten damit nicht nur z. B. sprachliche Bedeutung, sondern beschreibt verschiedene Typen von Interpretationseffekten ebenfalls, wenn er von emotionalen, energetischen und logischen Interpretanten spricht. Diese Gliederung steht der Unterscheidung von unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten gewissermaßen gegenüber. Sie konkurriert nicht mit ihr, sondern ergänzt die verschiedenen Ebenen des Erkenntnis- und Interpretationsprozesses um spezifische Typen von Interpretationseffekten. Emotionale Interpretanten sind affektive Empfindungen, Eindrücke und/ oder Gefühle, die kraft eines Zeichens evoziert werden. Beispielhaft nennt Peirce den Zeicheneffekt, den Musikstücke auf HörerInnen haben können: Thus, the performance of a piece of music is a sign. It conveys, and is intended to convey, the composer's musical ideas; but these usually consist merely in a series of feelings. If a sign produces 2 Zeichentheoretische Grundlagen 51 any further proper significate effect, it will do so through the mediation of the emotional interpretant[.] (CP 5.475) Peirce beschreibt hier emotionale Interpretanten, welche in einer erstheitlichen Empfindung bestehen. Es handelt sich hierbei eher um einen diffusen Eindruck, den das Zeichen auf das Erkenntnissubjekt hat, und nicht um ein konkretes oder gar ein rationalisierbares Verständnis des Zeichens. Emotionale Interpretanten lassen sich zwar im Rahmen der Zeichentheorie darstellen, müssen aber in diskursiven Praktiken keine diskursive Relevanz entwickeln, weil sie nicht unter den spezifischen Regeln der Praxis entstehen. Emotionale Interpretanten sind vielmehr unmittelbare Affekte, die keine kategoriale Unterscheidung zwischen Zeichen und Erkenntnissubjekt zulassen und damit eben erstheitlich sind. Energetische Interpretanten hingegen sind Interpretanten, die Verhalten auslösen. Weil sie zweitheitlich strukturiert sind, kann zwischen Zeichen und Verhalten kategorial unterschieden werden. Peirce veranschaulicht energetische Interpretanten am Beispiel eines Kommandos: Suppose, for example, an officer of a squad or company of infantry gives the word of commands, ‘ Ground arms! ’ This order is, of course, a sign. That thing which causes a sign as such is called the object (according to the usage of speech, the ‘ real, ’ but more accurately, the existent object) represented by the sign: the sign is determined to some species of correspondence with that object. In the present case, the object the command represents is the will of the officer that the butts of the muskets be brought down to the ground. (CP 5.473, Hervorh. im Original) Das Kommando bewirkt einen energetischen Interpretanten, welcher sich in der Niederlegung der Waffe zeigt (cf. auch CP 8.315), welches das evozierte Verhalten darstellt. Der energetische Interpretant ist der kognitive Prozess, der zur Befehlsbefolgung führt. Peirces Beispiel ist dabei nicht zufälligerweise in einem militärischen und damit stark institutionalisierten Kontext eingebettet. Die Reaktion auf den Befehl muss ad hoc geschehen, damit es sich um eine zweitheitliche und damit quasi-kausale Relation zwischen Zeichen und Folgeverhalten handelt. Der Kontext verhindert, dass der Befehl reflektiert wird (und damit im Rahmen einer rationalen Praxis drittheitlich strukturiert wäre). Das Verhalten muss unmittelbar auf das Zeichen folgen (und ist damit gewissermaßen antrainiert). Gleichzeitig reduzieren sich energetische Interpretanten nicht auf konventionalisierte Verhaltensweisen, sondern auch computationales, animalisches oder anderes Verhalten kann als kraft energetischer Interpretanten bewirkt gelten. Die von Peirce beschriebene Befehlsbefolgung der Soldaten ist eher ein degenerativer energetischer Interpretant, da die Befehlsbefolgung nur unter der Bedingung konventioneller (und hier sogar institutionalisierter) Zeichenprozesse möglich wird, während tierische oder maschinelle Tätigkeiten sich vielfach über ihre unmittelbare Reaktion auf einen Zeichenstimulus auszeichnen. Zeicheneffekte lassen sich aber nicht auf Affekte und/ oder Verhalten reduzieren. Insbesondere für eine Analyse von diskursiven und sprachlichen Praktiken ist eine Analyse mithilfe von emotionalen und energetischen Interpretanten nicht hinreichend, weil sich diese Praktiken nur kraft Normen, Konventionen und Regeln erklären lassen. Peirces Konzept des logischen Interpretanten beschreibt eben solche drittheitlichen Zeicheneffekte: Erst mit logischen Interpretanten setzen Denken, Logik und Rationalität ein und Zeichenpraktiken können sich diskursiv, narrativ, normativ und historisch entfalten. 52 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Entsprechend differenziert sich die Drittheit des logischen Interpretanten sowohl in ihrer begrifflichen Struktur als auch in ihren inferenziellen Relationen aus. 26 Weil logische Interpretanten nicht nur in der Semiotik Peirces, sondern auch für die hier erfolgende Modellierung und Analyse von sprachlichen und diskursiven Praktiken äußerst relevant sind, sollen im Folgenden sowohl die unterschiedlichen strukturellen Ebenen von logischen Interpretanten einerseits (Rhema, Dicizeichen und Argument), aber auch die inferenziellen Strukturen andererseits (Deduktion, Induktion und Abduktion) vorgestellt werden. Entlang dieser begrifflichen, propositionalen und inferenziellen Strukturen lassen sich die semiotisch-kognitiven Prozesse erklären, die diskursive Wesen auszeichnen. Während Begriffe der inferenziellen Struktur wie Deduktion, Induktion und Abduktion in geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen vielfach verwendet werden, sind die Ausdrücke Rhema, Dicizeichen und Argument, wie sie Peirce verwendet, spezifisches logisches Vokabular. 27 Ein Rhema, welches Peirce auch Begriff nennt, ist ein erstheitlicher logischer Interpretant bzw. “ ein Zeichen, das für seinen Interpretanten ein Zeichen der qualitativen Möglichkeit ist, das heißt, es wird so verstanden, daß es die und die Art eines möglichen Objekts repräsentiert ” (PLZ: 125). Rhemata bzw. Begriffe beinhalten in ihrer modalen Struktur daher noch keine aktualisierten Eigenschaften, sondern diese müssen sich erst noch ereignen. Sie sind demnach frei flottierende Eigenschaftspotenziale, die sich jeglicher Wahrheits- und Angemessenheitsfunktionalität entziehen. Ein Begriff wie menschlich (F MENSCHLICH ) hat demnach noch kein korrespondierendes Objekt, welchem die Eigenschaft zugeschrieben werden kann bzw. welches über diese Eigenschaft verfügt. Ähnlich wie Qualizeichen oder unmittelbare Interpretanten, die sich ebenso wie Rhemata durch ihre erstheitliche Struktur auszeichnen, funktionieren auch Rhemata zunächst als logische, kognitive bzw. rationale Potenziale, die keine Ereignisstruktur aufweisen. Sie sind eben nicht zweitheitlich und 26 Ich lasse hier den Begriff des ultimativen logischen Interpretanten weg, der Peirces Zeichentheorie und Zeichenprozesse ergänzt. Ultimative logische Interpretanten sind selbst keine Zeichen im engeren Sinne (cf. Short 2007: 172), denn durch sie findet der Zeichenprozess realiter seinen Abschluss. Eben deshalb unterscheidet sich der ultimative logische Interpretant auch vom finalen logischen Interpretanten, welcher die ideale Zeichenbedeutung erfasst. Auch wenn im Zeichen- und Interpretationsprozess die ideale Zeichenbedeutung verpasst wird, können sich doch ultimative logische Interpretanten bilden (cf. Short 2007: 57 f.). Ultimative logische Interpretanten sind Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die sich aus logischen Interpretanten ergeben (cf. Short 2007: 173). Sie sedimentierten sich als spezifische Erfahrungsgewohnheiten, welche wiederum Handlungen, Erfahrungen, Zeichenkonstitutionen und -bedeutungen beeinflussen. Rosenthal (1990: 200) erfasst dies, wenn sie den Objektivitätscharakter des ultimativen logischen Interpretanten analysiert: “ The ultimate logical interpretant incorporates an objectivity as that which essential characteristics must apply and to which an indefinite number of non-essential characteristics may or may not apply, and it will cancel out as ‘ unreal ’ those characteristics which do not fit consistently within the range constituted by the perceptual unity. ” Was mal ultimativer logischer Interpretant war, kann aber wieder in inferenzielle logische Relationen eingebunden werden und in den Prozess der Zeichenbewegungen eintreten. 27 Peirce verwendet in seinen Publikationen unterschiedliche Ausdrücke, um die Trichonomie Rhema/ Dicizeichen/ Argument zu beschreiben. Fast jährlich verändert er das Vokabular zur Bezeichnung (cf. Short 2007: 232). Strittig ist, ob die unterschiedlichen Ausdrücke, die diese Trichotomie supplementieren, diegleichen, ähnliche oder unterschiedliche theoretische Konzepte bezeichnen. Im Rahmen dieser Arbeit ist es hinreichend, wenn allein eine Trichotomie der begrifflichen Struktur beschrieben wird. Gleichzeitig werden die Ausdrücke Rhema, Dicizeichen und Argument mit Begriff, Proposition und Inferenz synonym verwendet. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 53 damit keine Ereigniskategorie. Rhemata stellen vielmehr die kleinsten bedeutungs- und signifikanzpotenziellen Elemente von kognitiv-semiotischen Prozessen dar. Während die Erstheit der Rhemata die begriffliche Potenzialität darstellt, ereignen sich Zeichen zumindest in ihrer zweitheitlichen logischen Struktur, die Peirce Dicizeichen nennt: Ein [ … ] Dicizeichen ist ein Zeichen, das für seinen Interpretanten ein Zeichen der aktualen Existenz ist. Es kann deshalb kein Ikon sein, das für seine Interpretation, die sich auf aktuale Existenz bezieht, keinen Anhaltspunkt liefert. Ein Dicizeichen schließt notwendig als einen seiner Teile ein Rheme ein, indem dieses die Tatsache beschreibt, die zu indizieren das Dicizeichen interpretiert wird. (PLZ: 125) Dicizeichen involvieren zumindest ein Rhema, sind aber gleichzeitig nicht auf eine Kombination mehrerer Rhemata reduzierbar. In seiner ereignishaften Struktur erlangt das Zeichen eine indexikalische Objektrelation, sodass das Ereignis des Dicizeichens ermöglicht, diesem Wahrheitsbzw. Angemessenheitsfunktionalität zuzuerkennen. Erst durch den Bezug zur Objektwelt kann das Dicizeichen mit dieser verglichen werden, sodass z. B. der Wahrheitsgehalt einer Aussage beurteilt werden kann. Das Bedeutungspotenzial des Rhemas wird in Verhältnis zu den Objekten der Welt gesetzt. Diese doppelte semiotische Struktur des Dicizeichens, also Bezug zu Objekten der Welt und semantischer Gehalt, deren Bestandteile man auch Subjekt und Prädikat nennen kann, ermöglicht auch einen doppelten Objektbezug des Zeichens. Diese doppelte Struktur des Dicizeichens fasst Peirce folgendermaßen zusammen: Erstens: Es muß, um verstanden werden zu können, als aus zwei Teilen bestehend betrachtet werden. Von diesen ist oder repräsentiert der eine Teil, den man Subjekt nennt, einen Index von einem Zweiten, das unabhängig von seinem Repräsentiert-Sein existiert, während der andere Teil, den man Prädikat nennen kann, ein Ikon einer Erstheit (oder Qualität oder Essenz) ist und darstellt. Zweitens: Diese beiden Teile müssen als verbunden betrachtet werden, und das auf solche Weise, daß, wenn das Dicizeichen überhaupt ein Objekt hat, es (das Dicizeichen) ein Index einer Zweitheit sein muß, die zwischen dem Realen Objekt, das in einem repräsentierten Dicizeichen als ein zu Indizierendes dargestellt wird, und einer Erstheit subsistiert, die in dem anderen repräsentierten Teil des Dicizeichens als ikonisch Abzubildende dargestellt wird. (PLZ: 74, Hervorh. im Original) Die Struktur des Dicizeichens lässt sich als eine logische Grammatik der Subjekt-Prädikat- Struktur erfassen, die sich formallogisch als F(x) notieren lässt. F stellt dabei die Potenzialität des Rhemas dar, ist aber im semiosischen Ereignis selbst kein genuines Rhema mehr, da es bereits in einer zeichenhaften Relation zum Zeichenobjekt, der rhematischen Eigenschaft, steht (ikonisch). Prädikate sind damit semiosische Begriffe, prädikative Strukturen nur innerhalb propositionaler Strukturen möglich. Dicizeichen weisen neben ikonischen Qualitäten zudem zeitlich-räumliche Situierungen auf, die die prädikative Struktur beurteilbar machen. Zur Prädikation kommt etwas (x) hinzu, welches indexikalisch relationiert ist. Dieser Aspekt des Dicizeichens wird vom logischen Subjekt markiert. Es übernimmt die indexikalische Verweisstruktur, welche es ermöglicht, dass tatsächlich Objekte über spezifische Eigenschaften verfügen. Wesentliche semiotische Objektrelationen sind also die indexikalische Relation des logischen Subjekts sowie die ikonische Relation des Prädikats. 54 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Die Darstellung von Subjekt und Prädikation sowie deren indexikalischen und ikonischen Relationen reicht für die Bestimmung der Funktionalität des Dicizeichens jedoch nicht aus. Vielmehr ist die Relation zwischen Subjekt und Prädikat selbst ein Element des Dicizeichens. Würde die Relation selbst nicht bestehen, wäre die Erscheinung zweier willkürlicher bzw. zufälliger (indexikalischer bzw. ikonischer) Rhemata hinreichend, um Dicizeichen zu konstituieren. Vielmehr ist es die genuine Funktion der Dicizeichen, dass unterschiedliche Zeichenqualitäten kraft unterschiedlicher Objektrelationen auf dasselbe Objekt verweisen können. Und dies ist nur unter der Bedingung der Relation von Subjekt und Prädikat möglich. Insbesondere, wenn das Konzept des Dicizeichens bzw. der Proposition für die Analyse von sprachlichen und diskursiven Praktiken nützlich sein soll, dann müssen nicht nur logisches Subjekt und Prädikat, sondern auch deren Relation berücksichtigt werden. Die Analyse von Propositionen bzw. propositionalen Gehalten gehört zum Standardrepertoire der Sprachphilosophie und Linguistik, nicht aber die Analyse der konstitutiven Kraft der Relation zwischen Subjekt und Prädikat. Insbesondere, wenn es um Signifikanz von Verben in diskursiven Praktiken geht, die Relationen stiftet und die Semiose von Behauptungen und anderer sprachlicher Handlungen konstituiert, wird die Funktion noch auszuführen sein (cf. ausführlich Kapitel 12.2). Argumente sind drittheitliche logische Interpretanten, die andere Funktionen als Propositionen übernehmen. Ein Argument ist “ ein Zeichen, dessen Interpretant sein Objekt mittels einer Gesetzmäßigkeit als ein darüber hinausgehendes Zeichen darstellt, nämlich mittels des Gesetzes, daß der Übergang von allen derartigen Prämissen zu derartigen Konklusionen zur Wahrheit tendiert ” (PLZ: 132). Kraft Argumenten werden Dicizeichen in inferenzielle Relationen eingegliedert, sodass die einzelnen Propositionen in semiotischen Inferenzprozessen entweder als Prämisse oder als Konklusion auftreten können. Ähnlich wie beim Verhältnis von Rhemata und Dicizeichen sind auch Argumente nicht auf eine Mehrzahl von Propositionen reduzierbar, sondern ist vielmehr die Relation zwischen diesen für Argumente ausschlaggebend. Relevant sind also die regulative Kraft und die objektrelationale Kongruenz 28 . Während Propositionen nach Wahrheits- und Angemessenheitskriterien beurteilbar sind, können die spezifischen Regeln (nach Peirce: Gesetzmäßigkeiten) erst in ihren inferenziellen Relationen bestimmt werden. Erst die regulative Kraft, die mindestens zwei Propositionen in Schlussprozessen zusammenführt, ermöglicht auch die spezifischen kontextuellen und situativen Bewertungen konkreter Propositionen. Neben inferenziellen Relationen zwischen Dicizeichen konstituieren Argumente außerdem Objektkongruenz. Kraft der regulativen Relation können die im Inferenzprozess involvierten Dicizeichen auf dasselbe Objekt verweisen bzw. dieselben Objekte in Relation setzen. Ähnlich wie die rhematische Objektkongruenz ermöglichen Argumente, dass die argumentativen Propositionen nicht willkürliche bzw. zufällige Objekte relationieren, sondern die unterschiedlichen Objektrelationen (z. B. die jeweilige 28 Ich verwende den Ausdruck der objektrelationalen Kongruenz bzw. Objektkongruenz, weil es sich um eine Qualität der Grammatik des Zeichens und nicht um Koreferenz handelt. Erst eine Objektkongruenz zweier Dicizeichen ermöglicht, dass auch dasselbe Objekt referiert wird. Objektrelationale Kongruenz ist die Bedingung, damit Koreferenz möglich ist. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 55 indexikalische Relation beider Propositionen) auf dasselbe Objekt verweisen. Insofern konstituiert sich in der Semiotik Peirces mit der kraft der argumentativen Struktur konstituierten Objektkongruenz auch Koreferenz. Diese Objektkongruenz ist für die folgende Analyse von diskursiven Praktiken insbesondere dann wichtig, wenn ich erkläre, warum spezifische semantische Gehalte und pragmatische, sozial-normative und diskursive Signifikanzen trotz einer zeitlich-räumlichen Dynamik konstant auf spezifische Objekte, Ereignisse und Personen angewandt werden können (cf. Kapitel 15.4). Peirce unterscheidet drei unterschiedliche Inferenzprozesse bzw. Argumente: Deduktion, Induktion und Abduktion. Diese Begriffe bezeichnen unterschiedliche Argumenttypen, die unterschiedliche Erkenntnisprozesse erfassen. Induktion, Deduktion und Abduktion sind hier nicht vorwiegend Begriffe einer wissenschaftlichen Methode, wie sie in wissenschaftstheoretischen und methodologischen Reflexionen verwendet werden. Die Ausdrücke dienen vielmehr der Darstellung von semiotisch-kognitiven Prozessen, die einer Interpretations- und Erkenntnislogik folgen. Demnach sind nicht nur Wissenschaftler, Forscher und Philosophen fähig, (angemessene) Inferenzen zu ziehen, sondern auch Gesprächsteilnehmer und andere Partizipanten sprachlicher Praktiken. Deduktionen zeichnen sich erkenntnislogisch durch ihre notwendige Folgeinferenz aus. Aus den prämissiven Propositionen (Ober- und Untersatz) konstituiert sich eine konklusive Proposition (Konklusion), wie Peirces Folgebeispiel zeigt (cf. CP 2.623): Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß. Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack. Ergebnis: Diese Bohnen sind weiß. Die Konklusion (hier: Ergebnis) muss sich logisch aus den Prämissen (hier: Regel und Fall) ergeben. Das Inferenzverhältnis ist notwendig, wenn Regel und Fall anerkannt werden. Ohne die Tilgung von Regel und Fall ist das Ergebnis nicht anzweifelbar. Induktive Inferenzen kehren die Erkenntnislogik gewissermaßen um, indem von Fall und Ergebnis auf eine Regel geschlossen wird. Der Inferenzprozess des Bohnenbeispiels Peirces muss entsprechend umgeordnet werden, um induktive Schlüsse zu veranschaulichen (cf. CP 2.623): Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack. Ergebnis: Diese Bohnen sind weiß. Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß. Bei induktiven Inferenzen ergibt sich die Konklusion ebenfalls aus ihren Prämissen, doch handelt es sich nicht um ein strenges Notwendigkeitsverhältnis. Regeln, die induktiv erschlossen werden, erklären, inwiefern Fall und Ergebnis in einem regelmäßigen Verhältnis stehen. Die induzierte Regel erklärt das geordnete Ereignis, welches in den Prämissen benannt wird. Alltags- und erkenntnislogisch implizieren induktive Inferenzen deshalb ein vages Moment, weil sich zwar notwendigerweise eine Regel aus den induktiven Prämissen ergibt, diese Prämissen sich aber aus einem spezifischen Erfahrungsraum ergeben. Alternative 56 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Prämissen und Propositionen können die konkludierte Regel anzweifeln (Induktionsproblem). Während Deduktion und Induktion bereits in der syllogistischen Logik von Aristoteles untersucht werden, führt Peirce einen dritten Schlussfolgerungsprozess in die Erkenntnislogik ein, welcher neue Erfahrungen, Überzeugungen und Hypothesenbildung in der Erkenntnispraxis ermöglicht: Abduktionen. Die konstitutive Kraft abduktiver Inferenzen liegt in einer Erzeugung neuer Propositionen, die sich nicht notwendigerweise aus den Prämissen ergeben. Vielmehr wird kraft des Abduktionsprozesses ein Erkenntnisüberschuss erzeugt, der sich als neue/ kreative Überzeugung (Konklusion) präsentiert und damit Hypothesen bildet. Auch das Bohnenbeispiel, welches bereits deduktive und induktive Inferenzprozesse veranschaulicht hat, kann abduktive Prozesse darstellen (cf. CP 2.623): Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß. Ergebnis: Diese Bohnen sind weiß. Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack. Aus den beiden Prämissen (Regel und Ergebnis) wird auf den aktuellen Fall geschlossen. Formal scheinen sich deduktive und abduktive Inferenzen deshalb zunächst nicht zu unterscheiden. Beide generieren aus einer Regel und einer Proposition eine andere Proposition. Abduktionen unterscheiden sich in zwei wesentlichen Aspekten von Deduktionen: Zeit und Überraschung. In abduktiven Inferenzen sind Ergebnis und Fall zeitlich differente Propositionen. Das Ergebnis wird im abduktiven Erfahrungsprozess wahrgenommen, während der Fall erklärt, warum das Ergebnis (unter der Regel) stattfinden kann. Damit findet/ fand der Fall zeitlich versetzt zum Ergebnis statt. Das Verhältnis von Fall und Ergebnis zeichnet sich also nicht allein durch eine formallogische Relation, sondern durch ein temporales Ereigniskonditional (Wenn x t0 , dann y t1 ) aus. Während der Informationsgehalt der Konklusion bei Deduktionen bereits in den Prämissen impliziert ist, ist das Ergebnis in abduktiven Inferenzprozessen überraschend bzw. unerwartet und muss mittels bisheriger Erfahrungen und/ oder Überzeugungen interpretiert werden. Somit ist die Überraschung selbst konstitutiv für die Erkenntnislogik der abduktiven Erfahrungspraxis: Eine überraschende Tatsache C wird beobachtet; aber wenn A wahr wäre, würde C eine Selbstverständlichkeit sein; folglich besteht Grund zu vermuten, daß A wahr ist. (VP: 129) Etwas Überraschendes ereignet sich. Die Erklärung dieses Sachverhaltes erfordert eine Prämisse, die aber nicht eingetreten sein muss, sondern kann. Es muss also erklärt werden, wie der Sachverhalt möglich ist, ohne die geltende Regel zu verletzen. Ein alltägliches Beispiel: Ich sitze morgens in der Küche und frühstücke. Pünktlich um 8 Uhr, wenn ich meinen Kaffee getrunken habe, klingelt normalerweise der Zeitungsbote und bringt mir meine Tageszeitung. Heute allerdings warte ich vergeblich. Es ist bereits 8: 30 Uhr und der Zeitungsbote ist immer noch nicht da. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 57 In einem solchen Szenario können abduktive Schlussprozesse den überraschenden Sachverhalt erklären. Logisch lässt sich das Szenario folgendermaßen notieren: Regel: Normalerweise bringt mir der Zeitungsbote um 8 Uhr die Tageszeitung. Ergebnis: Es ist 8: 30 Uhr und der Zeitungsbote hat noch nicht geklingelt. Fall: ? Um das Ergebnis (das Nichterscheinen des Zeitungsboten) zu erklären, muss eine Hypothese gebildet werden, die mir erklärt, unter welchem Fall die Regel erhalten bleibt. Der erklärende Fall ergibt sich nicht notwendigerweise aus Regel und Ergebnis, sodass als Konklusion viele Propositionen möglich sind: Der Zeitungsbote könnte die Zeitung in meinen Briefkasten geworfen haben, er könnte in einen Unfall verwickelt sein, der Verlag der Tageszeitung könnte Insolvenz angemeldet haben etc. Die Möglichkeiten der Hypothesenbildung sind dabei potenziell unbegrenzt, aber nicht willkürlich: Zur Erklärung des Sachverhalts wird die Hypothese gewählt, die plausibel erscheint (cf. Harman 1965). Dabei wird Welt- und Kontextwissen (also z. B. andere Überzeugungen) herangezogen, welches sich in anderen Zeichenprozessen sedimentiert hat und damit auch ein Zeicheneffekt vergangener Semiosen ist. Anschließend kann ich auf Spurensuche gehen und diese Hypothese bestätigen oder verwerfen, indem ich z. B. zum Briefkasten gehe und nachschaue oder mich bezüglich der Insolvenz des Zeitungsverlags erkundige. Solche Ad-hoc-Hypothesenbildungen sind nicht periphere Erkenntnismomente, sondern als Erklärung überraschender Sachverhalte fundamental für die Erfahrungspraxis. Der Übergang von möglichen Konklusionen (abduktiv) zu logischen Notwendigkeiten (deduktiv) geschieht dabei flüchtig, denn die “ Abduktion ist der Prozeß von Assoziationen in Abstraktionen und Implikationen ” (Wirth 1995: 408). Ereignisse der Wirklichkeit werden in Zusammenhänge gebracht und regulativ mit induktiven und deduktiven Inferenzen gerechtfertigt. Einfach ausgedrückt: Abduktion ist Hypothesenbildung. Strukturen und Funktionen, Verhaltens- und Handlungsweisen und Effekte zwischen Ergebnis und Fall werden erklärt. Hypothesen sind nicht exzeptionell wissenschaftlich, sondern erfassen Logiken, Rationalitäten und Erklärungsmuster, die in unterschiedlichen diskursiven Praktiken erscheinen. Ereignisse, die an bisherigen Überzeugungen zweifeln lassen, erfordern die Auseinandersetzung mit diesen. Abduktionen dienen deshalb zunächst dazu, in “ das verworrene Durcheinander gegebener Tatsachen eine nicht gegebene Idee einzuführen, deren einzige Rechtfertigung darin besteht, dieses Durcheinander in Ordnung zu bringen ” (NZ: 333). Mithilfe der Abduktion können nun entsprechende Tatsachen in ein Ordnungssystem eingegliedert werden. Zusammenfassend lassen sich die Eigenschaften von Deduktion, Induktion und Abduktion folgendermaßen zusammenfassen: Deduction proves that something must be; Induction shows that something actually is operative; Abduction merely suggests that something may be. (CP 5.171, Hervorh. im Original) Notwendigkeit (deduktiv), Operativität (induktiv) und (temporal-konditionale) Probabilität (abduktiv) sind damit die wesentlichen Eigenschaften, die Inferenzprozesse nach Peirce 58 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen aufweisen, und können so zur Untersuchung verschiedener Zeichenprozesse genutzt werden. 29 Die strukturellen Ebenen der logischen Interpretanten, aber auch ihrer inferenziellen Qualitäten differenzieren eine Analyse von sprachlichen und diskursiven Praktiken aus, indem die inferenziellen Relationen in Zeichen- und Interpretationsprozessen mithilfe der verschiedenen Konzepte erklärt werden können. Peirce stellt ein semiotisches Vokabular bereit, welches die inferenziellen Relationen in Zeichen- und Interpretationsprozessen auf ihren unterschiedlichen Wirkungsebenen beschreibt, sodass sowohl begriffliche, propositionale, aber auch inferenzielle Aspekte untersucht werden können. Peirce nimmt in der Darstellung bereits inferenzialistische Theorien vorweg, die den Beitrag verschiedener logischer bzw. semiotischer Aspekte zu Inferenzen untersuchen. Peirces Konzept des Interpretanten, so hat sich gezeigt, lässt sich nicht auf rationale Interpretationen reduzieren, sondern umfasst eine Vielfalt an affektiven, verhaltensmäßigen, habituellen, kognitiven, bewussten, unbewussten und rationalen Zeicheneffekten und -kräften, die sich im Rahmen von Interpretations- und Erkenntnisprozessen entfalten können. Insofern ist es sinnvoll, die verschiedenen Aspekte des Interpretantenbegriffs Peirces noch einmal zusammenzufassen und für Interpretations- und Erkenntnisprozesse zu systematisieren. Interpretations- und Erkenntnisprozess Zeicheneffekte und -kräfte unmittelbar: Möglichkeit der Interpretierbarkeit des Zeichens (erstheitlich) dynamisch: aktuelles Ereignis des Interpretanten (zweitheitlich) final: idealer Zeicheneffekt (drittheitlich) emotional: Affekt bzw. Gefühl (erstheitlich) energetisch: Verhalten bzw. Tätigkeit (oder Handlung i. w. S.) (zweitheitlich) logisch: Logik, (schlussfolgerndes) Denken, Rationalität (drittheitlich) Rhema: Begriff (erstheitlich) Dicizeichen: Proposition (zweitheitlich) Argument: Inferenz (drittheitlich) Deduktion Induktion Abduktion Tab. 2: Typologie der Interpretanten 29 Notwendigkeit, Operativität und Probabilität sind nicht nur Eigenschaften sprachlicher Zeichen. Deduktion, Induktion und Abduktion sind universalsemiotisch, insofern, dass sich inferenzielle Prozesse auch bei der Wahrnehmung und Interpretation anderer (multimodaler) Zeichenprozesse nachweisen lassen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 59 Die verschiedenen Ebenen des Interpretations- und Erkenntnisprozesses und die unterschiedlichen Zeicheneffekte und -kräfte lassen sich modellhaft für eine Analyse gegenüberstellen (Tab. 2). Zeichenprozesse involvieren damit einerseits unmittelbare, dynamische und/ oder finale Interpretanten, lassen sich aber gleichzeitig nach ihren emotionalen, energetischen und/ oder logischen Interpretanten befragen. Die verschiedenen Ebenen des Interpretations- und Erkenntnisprozesses und die unterschiedlichen Zeicheneffekte und -kräfte können sich in der Analyse insofern ergänzen, als dass sie unterschiedliche Facetten des Zeichenprozesses beleuchten. So kann z. B. eine Melodie hinsichtlich Interpretations- und Erkenntnisprozess und Zeicheneffekt und -kraft untersucht werden, um damit die spezifischen Zeichenmomente zu explizieren. So könnte sie im Moment der Aufführung auf der Achse dynamischer/ emotionaler Interpretant erklärt werden, während sie als Notation z. B. auf der Achse unmittelbarer/ emotionaler Interpretant dargestellt werden kann. Die Typologie der Interpretanten zeigt also, dass Erkenntnis- und Interpretationsprozess und Zeicheneffekte und -kräfte gemeinsam betrachtet werden können. Resümierend lässt sich unter dem Zeichenaspekt des Interpretanten, welcher neben dem Zeichenmittel und der Objektrelation respektive dem Objekt eine drittheitliche Zeichenkategorie darstellt, eine Vielfalt an Momenten, Ebenen und Aspekten des Erkenntnis- und Interpretationsprozesses einerseits und den verschiedenen Zeicheneffekten und -kräften andererseits beschreiben. Unmittelbare, dynamische und finale Interpretanten erfassen, inwiefern ein Zeichen hinsichtlich seiner möglichen, aber von vagen Bedeutungseigenschaften (unmittelbarer Interpretant) in spezifischen Zeichenprozessen interpretiert werden kann (dynamischer Interpretant), obwohl jede Interpretation semiosisch weder hinreichend noch logisch abgeschlossen ist (finaler Interpretant). Die Zeicheneffekte und -kräfte, die Peirce mit den Konzepten der emotionalen, energetischen und logischen Interpretanten erläutert, umfassen z. B. affektive, habituelle und rationale Interpretationen und Reaktionen auf Zeichen. Dabei sind insbesondere, aber nicht nur logische Interpretanten für die Analyse von sprachlichen und diskursiven Praktiken relevant, weil diese die verschiedenen Ebenen von begrifflichen, propositionalen und inferenziellen Gehalten, Relationen und Prozessen analysieren können. Inferenzen nehmen dabei einen zentralen Aspekt im Rahmen von semiotischen Praktiken ein. Mithilfe von Deduktionen, Induktionen und Abduktionen lassen sich verschiedene (logische) Erkenntnis- und Interpretationsprozesse erklären, die auf Notwendigkeit, Operativität und Probabilität gründen und so z. B. Überzeugungen bestätigen oder Hypothesen (über die Wirklichkeit) bilden können. Für Untersuchungen wie diese, die an einer linguistischen Semantik-Pragmatik-Schnittstelle operieren und diskursive Praktiken zu analysieren suchen, ist der Zeichenaspekt des Interpretanten der wohl interessanteste, weil er Interpretationsprozesse, Bedeutungskonstitution und Signifikanzen darstellen kann. Insofern ist er auch für die folgende Theoriebildung maßgebend, auch wenn er als Ausdruck nicht immer explizit auftreten wird. Tatsächlich lassen sich Interpretanten weder auf semantische noch auf kognitive Aspekte reduzieren, was in den theoriebildenden Argumentationen in folgenden Aspekten nutzbar gemacht werden soll: (1) Interpretanten, insbesondere in ihrer inferenziellen Prozesshaftigkeit, finden sich (mit anderen theoretischen Implikationen) auch im normativen Inferenzialismus Robert B. Brandoms wieder, sodass mithilfe dessen Inferenzkonzepts die linguistischen und diskursiven Implikationen des Interpretantenkonzepts expliziert 60 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen werden können. Wenn also Inferenzen beschrieben werden, dann beruhen diese in der folgenden Theoriebildung immer auch auf Peirces Konzept des Interpretanten, weil dieses Konzept vor allem semiotische Aspekte von Inferenzen fokussiert. (2) Logische Interpretanten sind insbesondere deshalb interessant, weil sie, wenn man sie als Aspekte diskursiver Praktiken versteht, nicht nur begriffliche, propositionale und inferenzielle Gehalte, Prozesse und Relationen beschreiben können, sondern auch spezifische (normative und pragmatische) Signifikanzen inkorporieren. Insofern sind logische Interpretanten in Tätigkeiten und Handlungen involviert, sodass auch z. B. die Kraft von sprachlichen Handlungen mithilfe ihrer Struktur erklärt werden kann (cf. Kapitel 14). Dies ist insbesondere dann relevant, wenn die verschiedenen sozial-kommunikativen Handlungen in diskursiven Praktiken untersucht werden. Ausgehend von der sprachlichen Handlung der Behauptung, wie sie Brandom analysiert hat, kann diese Handlung mithilfe der Semiotik Peirces, aber insbesondere dem Begriff des Interpretanten, als ein semiotischer Prozess beschrieben werden (cf. Kapitel 14.2). Dabei sind nicht nur Dicizeichen respektive Propositionen wichtig, sondern auch die inferenziellen Relationen, die die semantischen Gehalte und pragmatischen Signifikanzen in diskursiven Praktiken bestimmen. Insofern kann das Konzept des logischen Interpretanten spezifische Aspekte einer analytischen Sprachtheorie semiotisieren. Auch Rhemata bzw. Begriffe sind als semiotische Kategorie deshalb wichtig, weil sie semantische und pragmatische Aspekte von Zeichenpraktiken unterhalb der Satzbzw. Äußerungsebene erklären können. Insofern können Äußerungen nicht nur auf propositionaler, sondern auch auf subsentenzialer Ebene nach ihren semantischen Gehalten bzw. pragmatischen und normativen Signifikanzen befragt werden. (3) Bei der Modellierung der Semiose der Behauptung (und anderer sprachlicher Handlungen) kann mithilfe der Darstellung des Dicizeichens nicht nur auf die spezifische Relation zwischen Subjekt und Prädikat eingegangen und diese ausgeführt werden, sondern Peirces Beschreibung des Dicizeichens eröffnet gewissermaßen Raum für theoretische Reflexion und Argumentation. Weil er der Relation zwischen Subjekt und Prädikat eine konstitutive Rolle einräumt, kann ihre semiotische Struktur untersucht werden. In der folgenden theoretischen Reflexion werden deshalb (intentionale) Verben als Zeichen dargestellt, die sich nicht auf Subjekt-Prädikat-Strukturen reduzieren lassen, sondern Relationen konstituieren können, sodass ihre Signifikanz auch für die Konstitution der Semiose der Behauptung und ihrer Folgehandlungen relevant ist. Insofern lässt sich dank des Peirce'schen Dicizeichens (und des Behauptungsbegriffs Brandoms) eine linguistische Pragmatik erklären, die auf der Signifikanz von Verben gründet (cf. Kapitel 12 und 14). (4) Es sind aber nicht nur logische Interpretanten für die folgende Theoriebildung wichtig, sondern auch andere, z. B. energetische Interpretanten. Weil sich eine linguistische Pragmatik nicht nur über sprachliche, sondern auch über performative Aspekte auszeichnet, müssen handlungstheoretische Reflexionen erklären, warum Äußerungen Performanzen sind bzw. sein können. Einige Aspekte dieser Frage lassen sich mithilfe des Verhältnisses zwischen logischen und energetischen Interpretanten beleuchten, welches erklärt, inwiefern eine Tätigkeit (energetischer Interpretant) durch sprachliche, rationale und/ oder diskursive Aspekte (logische Interpretanten) strukturiert sein kann - kurz, warum Kommunizieren Handeln ist (cf. Kapitel 8, 9, 14 und 16). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 61 2.1.4 Zeichenkonstitution Nachdem nun nicht nur die verschiedenen Aspekte des Zeichens (z. B. Repräsentamen, Objekt und Interpretant), sondern auch ihre Effekt- und Kraftverhältnisse (z. B. Medialität, Signifikation und Repräsentation) vorgestellt und zum Erkenntnisinteresse der hier vorliegenden Arbeit (nämlich der Analyse von diskursiven Praktiken, der Konstitution von diskursiven Rollen und Verbsignifikanzen) in ein Verhältnis gesetzt wurden, soll nun Zeichenkonstitution beschrieben werden. Zeichenkonstitution ist ein ambiger Begriff (cf. hierzu z. B. Lange-Seidl 1981 b, 1981 c). Zwischen der Festlegung von Zeichen und Zeichensystemen sowie ihrer Verfasstheit oszillierend (cf. Lange-Seidl 1981 a) soll im Folgenden der Moment des Prozesses erklärt werden, welcher etwas als Zeichen interpretierbar macht. In diesem Moment wird etwas zum Zeichen, ist aber gleichzeitig wieder den dynamischen Zeichenprozessen unterworfen, die der Zeichengebrauch mit sich bringt. Insofern dient das folgende Kapitel einerseits der Zusammenfassung der bisherigen Darstellung des Zeichenbegriffs Peirces, bereitet aber gleichzeitig die Analyse von Zeichen- und Interpretationsprozessen vor, welche ebenfalls zur Konstitution von Zeichen beitragen. Die unterschiedlichen konstitutiven Prozesse und Relationen des Zeichens, die mithilfe des Vokabulars Peirces entwickelt wurden, stellen ein abstraktes Modell dar, welches zur Deskription und Analyse von Einzelzeichen und potenziellen Semiosen genutzt werden kann: Anhand der universalen phaneroskopischen Kategorien lassen sich zunächst grundlegende Seins- und Zeichenstrukturen ermitteln, die sich in mannigfaltiger Weise in den unterschiedlichen Erfahrungs-, Kognitions-, Handlungs- und Zeichenprozessen manifestieren. Dabei sind es nicht nur die unterschiedlichen Seinsweisen der Möglichkeit, Existenz und Realität, die die kategoriale Struktur des Zeichens bestimmen. Insbesondere Relata sowie dyadische und triadische Relationen nehmen eine wesentliche Rolle für die Konstitution von Zeichen sowie ihre Analyse ein. Diese Relationen können je nach Authentizität (genuin oder degenerativ) auf die unterschiedlichen Verstrickungen von erst-, zweit- und drittheitlichen Kategorien hinweisen. Neben den phaneroskopischen Kategorien wird das Zeichen von der Pragmatischen Maxime flankiert. Diese stellt nicht nur ein wissenschaftstheoretisches Prinzip und eine forschungspraktische Anweisung dar, sondern etabliert das Prinzip des semiotischen Pragmatismus in der Zeichenpraxis selbst, sodass sich die Zeichenfunktionalität am Zeichengebrauch und ihren Konsequenzen messen muss. Zeichen werden also nicht nur hinsichtlich ihrer universalen Kategorien analysiert, sondern auch hinsichtlich ihrer zeichengebrauchsspezifischen Interpretations- und Erkenntnisfunktionen und -zwecke. In der Amalgamierung von universalen Kategorien und Pragmatischer Maxime findet das Zeichen in diesem Modell seinen spezifischen Ort, sodass es mithilfe der Zeichenaspekte des Zeichenmittels, des Objektes respektive der Objektrelation und des Interpretanten analysiert werden kann. Ausgehend von der Erstheit des Zeichenmittels, welches sowohl materiale als auch mediale Aspekte involviert, lassen sich Möglichkeit, Ereignis und Regelhaftigkeit der Zeichenmittel systematisieren und mithilfe der Trias Ton, Token, Typ beschreiben. Die verschiedenen Typen von Zeichenmitteln lassen sich insbesondere dann auf die Analyse von diskursiven Praktiken anwenden, wenn Zeichen (explizit oder implizit) auftreten, die hinsichtlich ihrer Sprachsystematik sowie deren Genese beschrieben werden sollen. Insbesondere mit dem Verhältnis von Token und Typ lassen sich so Darstellungen 62 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen und Analysen vornehmen, welche die verschiedenen kategorialen Ebenen des konkreten Zeichenereignisses und des abstrakten Zeichentyps unterscheiden, aber doch deren systematische Beziehung erklären. Die Analyse des Zeichenobjektes ermöglicht es, nicht nur unterschiedliche Objektkategorien zu untersuchen (unmittelbare und dynamische Objekte), sondern auch die Relationalität zwischen Zeichenmittel und Zeichenobjekt zu erklären und damit die theoretischen Begriffe der Ikonizität, Indexikalität und Symbolizität einzuführen, welche unterschiedliche objektrelationale Qualitäten darstellen. Die Beschreibung der Objekte und Objektrelationen ist insbesondere dann für die Analyse von diskursiven Praktiken relevant, wenn es um wirklichkeitskonstitutive Zeichenprozesse geht. Weil Zeichen kraft ihrer Objektrelationen ihre Objekte gewissermaßen überlagern können, dient das theoretische Vokabular der Objekte und Objektrelationen auch der Unterscheidung von Repräsentation und Repräsentiertem. Neben der Darstellung von Zeichenmitteln, Objekten und ihren Relationen dient der Begriff des Interpretanten der Deskription der Drittheit des Zeichens (hier insbesondere im Rahmen von kognitiven Semiosen). Die theoretische Entwicklung des Interpretanten entfaltet sich einerseits entlang des Interpretations- und Erkenntnisprozesses (unmittelbare, dynamische und finale Interpretanten) und andererseits der Zeicheneffekte und -kräfte (emotionale, energetische und logische Interpretanten). Während die Logik des Interpretations- und Erkenntnisprozesses die Zeichenqualitäten von Interpretierbarkeit bis zum idealen Zeicheneffekt darstellt, gliedern sich Zeicheneffekte und -kräfte in vielfältige Klassen, deren drittheitlicher Typ (logischer Interpretant) nicht nur begriffliche und propositionale, sondern auch inferenzielle Zeichenprozesse analysieren kann. Das Vokabular der Interpretanten kann verschiedene semantische und pragmatische Prozesse in diskursiven Praktiken analysieren und semiotisch begründen. Insbesondere inferenzielle Prozesse, die an der Schnittstelle von Pragmatik und Semantik stattfinden und Signifikanz und relationale Struktur von intentionalen Verben kodeterminieren, stehen dabei im Mittelpunkt der Analyse. Die Zusammenfassung der Kräfte, Prinzipien, Kategorien, Relationen und Relata, die zur Konstitution des Einzelzeichens beitragen, beschreibt das, was in methodischer Reduktion als semiotisches Dreieck bezeichnet wird. Zwar scheint die Reduktion zunächst gerechtfertigt zu sein, doch verführt die hermetische Figur des Dreiecks dazu, das Zeichen selbst als vollendet zu begreifen. Zeichen sind im semiotischen Pragmatismus aber keine hermetischen Einheiten, sondern konstituieren sich nur im Verhältnis zu anderen Zeichen, wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird. Nichtsdestotrotz können Einzelzeichen auch dann analysiert werden, wenn nicht das gesamte semiosische Spektrum angenommen und modelliert wird. Um die Diskrepanz zwischen Einzelzeichen und Zeichenverhältnissen zu berücksichtigen, ist es sinnvoll, zwischen einer internen und externen Zeichenperspektive zu unterscheiden. Erstere umfasst alle einzelne Zeichen betreffenden Aspekte (z. B. Kategorien, Pragmatische Maxime, Zeichenmittel, Objekt und Interpretant), während letztere die konstitutive Kraft zwischen verschiedenen Einzelzeichen in deren Prozess sucht. Aus einer internen Zeichenperspektive lässt sich ein Zeichen als konstituiert verstehen, wenn es im Rahmen von phaneroskopischen Kategorien und Pragmatischer Maxime über entspre- 2 Zeichentheoretische Grundlagen 63 chende Zeichenaspekte verfügt. Aus einer externen Zeichenperspektive hingegen werden Zeichen nur kraft Zeichen interpretiert (und konstituiert), sodass die dynamische Relationalität des Zeichens zu anderen Zeichen im Gebrauch ebenfalls konzeptualisiert werden muss: Aus der Perspektive eines historisch-diskursiven Zeichenprozesses sind Einzelzeichen damit unterbestimmt und können nur in transsemiotischen Relationen tatsächlich als konstituiert begriffen werden. 30 Weil die in diskursiven Praktiken involvierten Einzelzeichen nur im Verhältnis zu bisherigen Praktiken zu verstehen sind, muss die externe Zeichenperspektive ebenfalls berücksichtigt und modelliert werden. Sie erfasst die Dynamik und Konstitutivität der Semiose, die die verschiedenen Einzelzeichen in ein Kontinuum einbettet. 2.2 Semiose und Kontinuität des Zeichens Wie die Zusammenfassung der verschiedenen Zeichenaspekte und die Skizze der verschiedenen Zeichenperspektiven zeigen, erschöpft sich die Konstitution des Zeichens nicht in der Kombination von Zeichenmittel, Objekt und Interpretant. Sowohl eine interne als auch eine externe Zeichenperspektive sollte in einer theoretischen Reflexion berücksichtigt werden. Einzelne Zeichen können zwar aus einer internen Zeichenperspektive modelliert werden, doch erfassen Zeichenmodelle, die Zeichen als Summe von Zeichenaspekten begreifen, die dynamische und transformative Kraft des Zeichens kaum. Ein additives Zeichenverständnis (z. B. vertreten in Genz/ Gévaudan 2016: 39) unterschlägt, dass Zeichen im Zeichenprozess unterdeterminiert sind und dass Zeichen andere Zeichen erfordern, um interpretiert werden zu können. Zeichen erhalten ihren semantischen Gehalt und ihre Signifikanzen erst in Relation zu anderen Zeichen. 31 Dieses Interpretationsverhältnis zwischen Zeichen unterscheidet zeichendynamische Theorien von zeichenrepräsentativen Theorien, welche Zeichen allein aufgrund ihrer Einzelfunktion, zumeist Repräsentation, klassifizieren. Zeichendynamische Theorien hingegen erkennen in Zeichenprozessen die wesentliche konstitutive Funktion des Zeichens, sodass erst im Verhältnis von verschiedenen Zeichen etwas als Einzelzeichen (mit z. B. Bedeutung oder normativer Kraft) verstanden werden kann. Dieser zeichendynamischen Prämisse folgt auch die Semiotik Peirces, zumindest in der hier vertretenen Interpretation. Im Folgenden soll daher Semiose und Kontinuität des Zeichens beschrieben werden, um das Zeichen im Rahmen eines Zeichenprozesses erfassen zu können. Dabei ist es einerseits wichtig, das Verhältnis von Zeichen zu anderen Zeichen zu erfassen, aber auch deren Rückwirkung auf Pragmatische Maxime und universale Kategorien. Dabei zeigt sich, dass insbesondere der Begriff des Interpretanten eine Flexibilität besitzt, die es ermöglicht, ihn sowohl als zeichenimmanenten Aspekt, aber auch als dem Einzelzeichen äußerliches Folgezeichen zu verstehen. Entlang der verschiedenen Ebenen des Erkenntnis- und 30 Diese Unterbestimmtheit der Interpretation veranlasst T. L. Short (2007: 158), ein viertes Zeichenelement in die Zeichenkonzeption Peirces einzuführen, welche er P [purpose] nennt und dessen Funktion in der Semiose und damit auch temporalen Relationalität zu anderen Zeichen besteht. 31 Eine Möglichkeit der Modellierung zeigt z. B. Harendarski (cf. 2003: 112), der auf die traditionelle Darstellung eines semiotischen Dreiecks verzichtet und mehrere Zeichentriaden mittels signifikanter Assoziations- und Motivationsprozesse verfugt. 64 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Interpretationsprozesses kann dann außerdem begründet werden, warum das semiotische Kontinuum zwar potenziell unendlich ist, aber durch Zeichenpraktiken von Interpretationsgemeinschaften reguliert wird. Die Beschreibung der Semiose und Kontinuität des Zeichens eröffnet eine Perspektive auf die Analyse von sprachlichen Zeichen, die für die Anwendung einer Methode und das Verständnis der folgenden Argumentation fundamental ist: Selbst wenn einzelne Zeichen (später insbesondere Verben) analysiert werden, dann sind diesen die verschiedenen semantischen Gehalte und pragmatischen, diskursiven und normativen Signifikanzen nicht immanent, sondern müssen sich über verschiedene semiotische Relationen rekonstruieren lassen. Eine Theorie von sprachlichen Zeichen und ihrer konstitutiven Kraft in diskursiven Praktiken, die sich den Zeichenbegriff Peirces zu eigen machen, muss das Verhältnis von Zeichen im Prozess erklären, um es für die Analyse von Interpretations- und Kommunikationsprozessen zu gebrauchen. Ein hermetisches Verständnis des Einzelzeichens ist in der Zeichentheorie Peirces insofern ausgeschlossen, als dass die Relationalität des Zeichens im Zeichenprozess selbst angesiedelt ist. Etwas gibt sich erst als Zeichen zu erkennen, wenn es in einem Verhältnis zu anderen Zeichen steht. Insofern sind Einzelzeichen bereits eine analytische Abstraktion des semiotischen Kontinuums. Diese grundlegende Erkenntnis stellt Analysen wie theoretische Betrachtungen vor wesentliche Schwierigkeiten, weil jede zu analysierende Einheit bereits aus dem semiotischen Kontinuum herausgelöst ist und damit ihren genuin semiosischen Charakter verliert. Gleichzeitig findet jede Analysepraxis im Sinne des semiotischen Pragmatismus natürlich selbst im Rahmen eines semiotischen Kontinuums statt, sodass jede Analyse selbst Zeichen zu diesem hinzufügt. Insofern muss stets reflektiert werden, welche Zeichenaspekte tatsächlich in den jeweiligen diskursiven Praktiken stattfinden und welche z. B. auf Hypothesen der Analysierenden zurückzuführen sind. 32 Trotz dieser möglichen Schwierigkeiten hat die theoretische Begründung des semiotischen Kontinuums einen wesentlichen Vorteil gegenüber Ansätzen, die die Involviertheit von Analysierenden und/ oder die nicht hinreichende Explizitheit der zu analysierenden Einheiten zwar erkennen, aber daraus einen vorsichtigen Positivismus entwickeln: Weil sich auch implizite Zeichen des semiotischen Kontinuums im Rahmen von Zeichenpraktiken entwickelt haben, können diese mithilfe des semiotischen und semiosischen Vokabulars expliziert werden, sodass erklärt werden kann, welche impliziten Zeichen und Zeichenpraktiken zur Konstitution des spezifischen und aktuellen Zeichens beitragen, ohne dass vorsemiotische Konstrukte (wie z. B. Bedeutungsintentionen) angenommen werden müssen. Mithilfe des semiotischen Kontinuums und des entsprechenden Vokabulars lassen sich also auch kognitive Prozesse erklären und untersuchen. Kognitive Prozesse sind im Sinne des semiotischen Pragmatismus dann selbst implizit zeichenhaft, weil deren Gehalte und Signifikanzen in Zeichenpraktiken entstanden sind, sodass Kognition selbst auf impliziten Zeichen beruht, die z. B. für Interpretationen oder Handlungen sorgen. Durch deren interpretative oder performative Kraft können andere Zeichen verstanden und 32 Die Gesprächslinguistik hat sich dieses Problems ebenfalls angenommen und unter der Display-These (cf. z. B. Mroczynski 2014: 34 f.) zusammengefasst, begründet diese allerdings nicht semiotisch. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 65 interpretiert werden. Verschiedene Elemente der Wirklichkeit werden damit letztlich erst im Verhältnis verschiedener Zeichen erzeugt. Die Beschreibung des semiotischen Kontinuums schlägt sich auch auf die Darstellung der universalen Kategorien nieder: Wenn ein Zeichen drittheitlich strukturiert ist, heißt dies nicht, dass dieses Einzelzeichen phänomenal gesättigt und damit im Rahmen der Semiose hermetisch ist. Auch Drittheit, so stellt z. B. David Savan (1986: 134 f.) in Bezug auf Peirce fest, konstituiert Wirklichkeit nicht allein, sondern erfordert weitere Drittheiten (als Zeichen), um sich zu konstituieren (cf. auch Schönrich 1990: 107 f.). Insofern muss eine Beschreibung der Semiose auch phänomenologisch im Verhältnis mehrerer Drittheiten ansetzen: Relationalität ist also nicht nur dem Einzelzeichen immanent (in der Relationalität von Zeichenmittel, Objekt und Interpretant), sondern ihm auch äußerlich (in der Relationalität von Zeichen zu anderen Zeichen). Neben der Relation von Drittheiten bzw. verschiedenen Einzelzeichen muss eine Beschreibung der Semiose aber auch die Zeitlichkeit des Zeichenprozesses berücksichtigen. Denn einzelne Zeichen sind Instanziierungen in einem semiotischen Kontinuum, welches eine temporale Dimension besitzt: [T]hought cannot happen in an instant, but requires a time, is but another way of saying that every thought must be interpreted in another, or that all thought is in signs. (CP 5.253) Zeitlichkeit und Interpretation sind im semiotischen Kontinuum miteinander verbunden. Weil Interpretationen und inferenzielle Prozesse bei Peirce in Beziehung stehen und Interpretationen letztlich nichts anderes sind als Inferenzprozesse, 33 gilt die temporale Dimension auch für Inferenzen. Um die Äquivalenz von Interpretations- und Inferenzprozessen nachzuvollziehen, muss der Doppelcharakter von Interpretanten berücksichtigt werden: Interpretanten sind nicht nur Drittheit des Einzelzeichens, welche sich in unterschiedlichen Qualitäten ereignet, sondern gleichzeitig selbst Zeichen, die andere Einzelzeichen in Semiosen einbinden. Diese Interpretanten entgrenzen also gewissermaßen das Einzelzeichen, indem sie auf andere Zeichen verweisen bzw. von diesen abhängig sind. Eine ähnliche Perspektive auf Zeichen- und Interpretationsprozesse findet sich auch in der Zeichen- und Interpretationsphilosophie Günter Abels (cf. insb. Abel 1993, 1999, 2004, Dirks/ Wagner 2018), in welcher sich pragmatische Interpretationsprozesse dadurch auszeichnen, dass “ Bedeutung, Referenz, Erfüllungs- und Wahrheitsbedingungen unseres Sprechens, Denkens und Handelns jeweils auf Situation, Zeit, Zweck, Kontext und Individuum bezogen sind; daß von einem Vorrang des Handlungsgesichtspunkts, der Ersten-Person-Perspektive, vor dem Zuschauergesichtspunkt, der Dritten-Person-Perspektive, ausgegangen wird; und daß der Sinn einer Interpretation selbst eine Interpretation ist ” (Abel 1993: 481). 34 33 So Uwe Wirth (2000 a: 137): “ Folgt man Peirce, so ist alles Denken eine kontinuierliche Interpretation von Zeichen, die zugleich Bestandteil eines Arguments sind - Interpretieren ist Schlußfolgern. ” 34 Günter Abels Zeichen- und Interpretationsphilosophie und Peirces Zeichentheorie weisen in vielen Aspekten Ähnlichkeiten auf, können aber insbesondere hinsichtlich der Verwendung des Interpretationsund/ oder Interpretantenbegriffs nur vorsichtig verglichen werden. Die verschiedenen Interpretationsebenen bei Abel umfassen nicht das vollständige Repertoire des Interpretanten bei Peirce, sondern Abel stützt sich ins- 66 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Interpretationen sind laut Abel selbst nur kraft Zeichen möglich. Bei Abel findet sich außerdem eine Art Pragmatischer Maxime, wenn Zeichenhandlungen z. B. auf einen Zweck bezogen sind. Auch die Notwendigkeit der Betrachtung der Zeichen-Zeichen-Relation in der Analyse von z. B. diskursiven Praktiken wird betont. Die entsprechenden konsequenziellen Relationen und Interpretationen eines Zeichens in der Semiose müssen sich dabei den temporalen, teleologischen und kontextuellen Gegebenheiten anpassen. Insofern sind Zeichenprozesse nur mit der Perspektive des Erkenntnis- und Interpretationsprozesses modellierbar, die sich in der Ersten-Person-Perspektive manifestiert: Jedes Zeichen und jeder Zeichenprozess involviert in diesem Sinne Interpretation und wird durch diese mitbestimmt, weil sie weitere Zeichen hinzufügt. Entsprechend greifen Pragmatische Maxime, Zeichen und Interpretation ineinander, sind im Zeichengebrauch und -prozess untrennbar miteinander verschränkt und daher auch für diskursive Praktiken unhintergehbar: Der ursprüngliche und nicht noch einmal hintergehbare Charakter des In-der-Welt-seins ebenso wie das Funktionieren der symbolisierenden Zeichen können in ihren Vollzügen als interpretativ charakterisiert werden. Menschliches In-der-Welt-Sein wird nicht nachträglich auch noch, falls erforderlich, interpretiert, sondern es vollzieht sich intern als ein interpretatives Geschehen. (Abel 1999: 73, Hervorh. im Original) 35 Eben dieses interpretative Geschehen kraft Zeichen, die in semiotischen Relationen zueinander stehen, konstituiert die wesentlichen (insbesondere sozial-normativen) Welt- und Wirklichkeitsbeziehungen, die sich in einer interpretierenden Semiose ereignen. Neben der besonderen Zeichen-Zeichen-Relation, welche sich in der Doppelfunktion des Interpretanten verwirklicht, und der Zeitlichkeit des Zeichenprozesses ist das semiotische Kontinuum aber auch von der spezifischen Interpretationsgemeinschaft abhängig. Interpretations- und Zeichenprozesse sind zwar prinzipiell interpretativ offen, doch hat sich eben genau dieses Zeichen im Gebrauch ereignet (dynamischer Interpretant). Erst mit der theoretischen Annahme des finalen Interpretanten, welcher die regelhafte Dimension des Interpretations- und Erkenntnisprozesses konstituiert, zeigt sich, dass es eben nicht willkürlich ist, welches Zeichen und welche Interpretation sich tatsächlich ereignet hat. Der finale Interpretant dient, so könnte mit Hans Lenk (1993: 463) formuliert werden, “ im Kontext einer idealen Interpretationsgemeinschaft als Grenzwert einer ständigen, unendlichen Aufgabe der Interpretationsverbesserung ” und ist abhängig “ von einer Interpretationspraxis dieser Gemeinschaft, von den Deutungsaktivitäten der relevanten Interpreten und von der Fähigkeit dieser, die entsprechenden Beziehungen in dem Kontext interpretantenabhängig herzustellen ” (Lenk 1995: 122). besondere auf i. w. S. rationale Interpretationsprozesse (cf. dazu auch Briese/ Harendarski 2021). Nichtsdestotrotz betont auch Abel das irreduzible Verhältnis von Zeichen und Interpretation, welches in diesem Abschnitt hervorhoben werden soll. 35 Diese Unhintergehbarkeit von Zeichen und Interpretation ist ganz im Sinne Peirces. Zeichentheoretische Ansätze, die einem semiotischen Pragmatismus folgen, sehen den Ursprung der menschlichen Praxis in der Semiose, sodass auch Subjekt, Person und Individuum Zeichenkonstitute sind. Damit unterscheiden sie sich von Ansätzen, die z. B. die Unhintergehbarkeit beim Individuum selbst suchen (cf. z. B. Frank 1986). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 67 Lenks Interpretation des finalen Interpretanten hebt insbesondere die Abhängigkeit von einer Interpretationsgemeinschaft hervor. Hinzuzufügen ist aber zumindest auch hier die temporale Dimension, die auch finale Interpretanten berührt. Helmut Pape, der den Begriff des finalen und logischen Interpretanten synonym verwendet, hebt eher diesen Aspekt hervor: Peirces Zeichenbegriff ist in zweierlei Hinsicht prozeßhaft: sowohl der Prozeß der Annäherung an das reale Objekt wie die Folge der Interpretanten verweist auf einen offenen, noch unbestimmten Bereich. Unbestimmte Objekte gibt es also in der Beziehung auf künftige Zeichenprozesse: Sie sind in ihrer Folge zeitlich so strukturiert, daß alles, was relativ zum Zeichen vergangen ist, zur Kategorie des Objekts gehört, und alles, was relativ zukünftig ist, durch den entwickelten Interpretanten verwirklicht wird, den Peirce 1907 als ‘ logischen ’ Interpretanten bezeichnet. (Pape 1989: 400 f.) Interpretative Zeichenpraktiken können daher (nach Lenk) als Gewohnheiten, Normen, Konventionen und Regeln einer Interpretationsgemeinschaft, aber auch (nach Pape) als zukünftige Interpretanten und Interpretationen verstanden werden. Diese beiden Aspekte des finalen Interpretanten ergänzen sich, weil sie Möglichkeit und Restriktion von Interpretation miteinander vereinen: Der finale Interpretant verweist auf mögliche zukünftige Interpretationen, aber gleichzeitig ist es die Interpretationsgemeinschaft, die Zeichenbedeutung und -interpretationen verifizieren, sanktionieren oder beurteilen kann, und damit als eine Art “ Widerstand der Wirklichkeit ” (Oehler 1994: 69) dient. Nicht jedes Zeichen und jede Interpretation ist in jeder Situation und jedem Kontext adäquat oder angemessen. Da die Semiose nur kraft Interpretations-, Zeichen- und Gebrauchsgemeinschaften möglich ist, sind auch diese es, die die normative Kraft und Bedeutung des Zeichens habituieren. So heißt es bei Tilman Borsche (1994: 118) dazu: Die Grenze der Interpretationsfreiheit ist nämlich immer die Verständlichkeit als die Möglichkeit der Vermittlung mit dem, was jeweils schon verstanden, anerkannt und in diesem Sinn fraglos gültig ist. Interpretationen und Handlungen sind immer Antworten auf Fragen, sie sind situations- und problembezogen, indem sie das gestörte Verständnis dessen, was ist, d. h. dessen, was verstanden war, zu heilen versuchen. Interpretationsfreiheit, hier eher Zeichenfreiheit, ist also bereits durch Interpretationsgemeinschaften, Semiosen und semiotisches Kontinuum mitstrukturiert. Zusammenfassend zeigt die Beschreibung der Semiose und Kontinuität des Zeichens, dass Einzelzeichen immer in Zeichenprozesse eingebunden sind und dieser daher bei der Analyse nicht nur berücksichtigt werden muss, sondern auch einen Großteil zur Konstitution des Zeichens beiträgt. Insofern ist es wichtig, das Einzelzeichen zunächst in seinem Verhältnis zu anderen Zeichen zu betrachten, um zu erwägen, welche Aspekte, Eigenschaften, Gehalte, Bedeutungen und/ oder Signifikanzen sich aus dem Einzelzeichen heraus ergeben und welche kraft anderer Zeichen diesem hinzugefügt werden. Zugleich gilt der Dimension der Zeitlichkeit eine besondere Aufmerksamkeit, weil diese einen wesentlichen Unterschied der Semiose zur Betrachtung des Einzelzeichens darstellt: Zeitlichkeit strukturiert Semiose insofern mit, als dass Zeichen sich stets auf Vergangenes, aber auch auf Zukünftiges beziehen. Weil Zeichen in der Semiose eine temporale Dimension besitzen, kann sich auch ihr zeitlicher Status verändern: Sie vergehen und sind damit vergangene Zeichen (und können dann z. B. als Objekte im Rahmen von Semiosen wieder 68 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen auftreten). Zeitlichkeit ist insofern auch ein Aspekt von Modell und Analyse, denn je nach zeitlicher Markierung verhalten sich die zu analysierenden Einheiten auch unterschiedlich: Was in einem Augenblick ein Zeichen ist, ist im nächsten keines mehr. In der Semiose und Kontinuität des Zeichens nimmt der Interpretant außerdem eine besondere Doppelfunktion ein. Er ist nicht nur Aspekt des Einzelzeichens (interne Zeichenperspektive), sondern kann auch selbst als Zeichen auftreten (externe Zeichenperspektive). Insofern zeigen Interpretanten, dass Zeichen in der Semiose stets unterbestimmt sind. Insbesondere der finale Interpretant nimmt dabei eine besondere Rolle ein. Während er als Aspekt des Einzelzeichens noch ideale Zeicheneffekte und -kräfte beschreibt, entfaltet er in der Darstellung der Semiose sein vollständiges Potenzial. Finale Interpretanten richten sich einerseits auf zukünftige Interpretation, begrenzen aber gleichzeitig auch mögliche Inferenzen, indem sie den Grenzwert der Interpretationsgemeinschaft darstellen. Insofern setzt der finale Interpretant die Grenzen der Interpretation (und verrät dadurch auch etwas über die Normen einer Interpretationsgemeinschaft). Die Beschreibung von Semiose und semiotischem Kontinuum bildet für die vorliegende Arbeit nicht nur die Grundlage einer allgemeinen zeichendynamischen Perspektive auf deren Erkenntnisobjekte, also intentionale Verben und diskursive Rollen, sondern schlägt sich auch konkret in den theoretischen Reflexionen und der Modellierung nieder: (1) Inferenzen, wie sie mit Peirce, aber für sprachliche Zeichenprozesse auch mithilfe der Sprachphilosophie Brandoms modelliert werden, müssen nicht nur als zeichenhafte, sondern auch als zeichenprozesshafte Einheiten betrachtet werden. Insofern gelten die semiosischen theoretischen Prämissen des semiotischen Pragmatismus für jegliche Modellierung, sodass z. B. die zeitliche Dimension mithilfe von Zeitmarken hervorgehoben wird. (2) Auch wenn Inferenzen als zeichenhafte Prozesse verstanden werden, schlägt sich die Dynamik und Prozesshaftigkeit auch auf diejenigen Einzelzeichen nieder, die nicht als propositionale Einheiten zur Inferenzbildung (als Prämisse oder Konklusion) unmittelbar beitragen. Auch singuläre Termini, Prädikate und Relationen, also Zeichenelemente unterhalb der propositionalen Struktur, werden hinsichtlich ihres Beitrags zur Semiose und zum semiotischen Kontinuum analysiert. (3) Weil eben auch intentionale Verben (und die von ihnen evozierten diskursiven Rollen) Zeichen unterhalb der propositionalen Struktur sind, gilt die subsentenziale inferenzielle Gliederung auch für diese. Insofern lassen sich die Erkenntnisse der Beschreibung von Semiose und semiotischem Kontinuum auch in deren Modell darstellen: Subsentenziale inferenzielle Gliederung, so zeigt sich mithilfe von Peirce und Brandom dann, trägt zur Konstitution von Semiosen bei (cf. Kapitel 11). Insofern betrachte ich in den theoretischen Reflexionen dieser Untersuchung zwar Typen von Einzelzeichen, die unterhalb der propositionalen Struktur angesiedelt sind, doch schließt dies nicht aus, dass diese in die semiotischen, kontinuierlichen und sequenziellen Relationen und Prozesse der diskursiven Praxis eingebunden sind. Vielmehr ist die Darstellung dieser Relationen und Prozesse notwendig zum Verständnis ihrer Funktion in diesen diskursiven Praktiken. Die Darstellung des semiotischen Pragmatismus, der Zeichentheorie Peirces, aber insbesondere der Aspekte des Einzelzeichens und der Semiose und Kontinuität des Zeichens stellen die zeichentheoretischen Grundlagen der folgenden Arbeit dar, welche 2 Zeichentheoretische Grundlagen 69 immer wieder zum Verständnis herangezogen werden können, um die spezifischen semiotischen und semiosischen Facetten der sprachtheoretischen Reflexionen im Rahmen einer linguistischen Pragmatik nachzuvollziehen. Nun basiert diese Arbeit zwar auf semiotischen Prämissen und versteht sich als semiotischer Beitrag zur linguistischen Pragmatik und Analyse von diskursiven Praktiken, doch entwickelt sie keinen neuen Zeichenbegriff oder trägt wesentlich zum Verständnis von Semiose bei. Vielmehr steht ein sprachwissenschaftliches Interesse im Blickpunkt, wobei sprachliche Zeichen bisher nur peripher behandelt worden sind. Die Entwicklung dieser theoretischen Grundlagen soll nun nachgeholt werden, indem nicht Zeichen und Zeichenprozesse im Allgemeinen, sondern sprachliche Zeichen und Zeichenprozesse beschrieben werden. Insofern folgt nun der theoretische Schritt von den Grundlagen des Zeichens im Allgemeinen zum Fundament des sprachlichen Zeichens im Spezifischen. 70 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 3 Sprachtheoretische Grundlagen Abstract: While the foundations of semiotic pragmatism reflect on various aspects and qualities of signs in their constitution and semiosis, the foundations of language theory presented in this chapter are characterized not only by the discussion of a specific sign system (language), but also embed them in social-communicative and discursive practices. Based on Robert B. Brandom's normative linguistic pragmatism, the status of language and linguistic practices is discussed at the interface of normative pragmatics and inferential semantics. Within the framework of normative pragmatics, the eminent status of discursive norms is emphasized and the first theoretical vocabulary for analyzing them is established. Inferential semantics is then used to establish inferential relations as roles for the constitution of semantic and propositional content. Zusammenfassung: Während die zeichentheoretischen Grundlagen insbesondere verschiedene Aspekte und Qualitäten von Zeichen in ihrer Konstitution und Semiose reflektieren, zeichnen sich die sprachtheoretischen Grundlagen, die in diesem Kapitel vorgestellt werden, nicht nur die Diskussion eines spezifischen Zeichensystems (Sprache) aus, sondern betten diese in sozial-kommunikative und diskursive Praktiken ein. Ausgehend von Robert B. Brandoms normativem Sprachpragmatismus wird der Status von Sprache und sprachlichen Praktiken an der Schnittstelle von normativer Pragmatik und inferenzieller Semantik diskutiert. Im Rahmen der normativen Pragmatik wird der ausgezeichnete Status von diskursiven Normen hervorgehoben sowie erstes theoretisches Vokabular zur Analyse dieser etabliert. Die inferenzielle Semantik dient anschließt zur Etablierung inferenzieller Relationen als Rollen zur Konstitution semantischer und propositionaler Gehalte. Keywords: Robert B. Brandom, normative linguistic pragmatism, normative pragmatics, inferential semantics Schlüsselbegriffe: Robert B. Brandom, normativer Sprachpragmatismus, normative Pragmatik, inferenzielle Semantik Sprachtheorie ist keine Sprachphilosophie. Wo Theorie ihr Objekt definiert, hat Philosophie die Bedingungen solchen Definierens zu bedenken, in diesem Fall diejenigen Limitierungen, denen unsere Vorbegriffe von Sprache unterworfen sein müssen, damit Sprachwissenschaft möglich wird. Was Sprache ‘ ist ’ , kann sich philosophisch nur in der Reflexion der Grenzen wissenschaftlicher Sprachbeschreibung zeigen. (Stetter 1996: 421) Jede sprachwissenschaftliche Untersuchung basiert auf einem Sprachverständnis, welches (explizit oder implizit) die Betrachtung des zu untersuchenden Materials mitstrukturiert. Die Frage, was Sprache sei, wird dabei häufig vermieden, weil doch ontologische Annahmen mit jener einhergehen (cf. aber Nozsicska 2020). Vielmehr wird Sprache nach ihren Produktionen und Effekten befragt. Sprachbegriffe entwickeln sich dabei häufig aus ihren sprachphilosophischen Vorläufern, wobei eine Demarkationslinie zwischen den wissenschaftstheoretischen Verpflichtungen einer Sprachtheorie und den traditionsbewussten Verbindlichkeiten einer Sprachphilosophie besteht: Sprachphilosophie, die ihre eigenen paradigmatischen Gewohnheiten hat, muss sich in der Definition des Sprachbegriffs in ein Verhältnis zu anderen philosophischen Traditionen setzen, sodass metaphysische, ontologische, epistemologische und sogar ästhetische, ethische und politische Maximen der Philosophiegeschichte berücksichtigt werden könnten oder sollten. Anstatt sich dem mannigfaltigen Gebrauch sprachlicher Zeichen in unterschiedlichen diskursiven Praktiken zuzuwenden, sucht die Sprachphilosophie zumeist ihre Definition in den universalen Eigenschaften der Sprache und schlussfolgert daraus deren Wirksamkeiten in unterschiedlichen Anwendungsbereichen. Sprachtheorie hingegen wendet sich einerseits zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen (auch der Sprachphilosophie) hin, um Sprachbegriffe zu entlehnen, muss sich aber andererseits auch an sprachlichen Praktiken messen lassen. Als Menge an wissenschaftlichen Aussagen über Sprachsystem und Sprachgebrauch ist sie der Analyse, Synthese und Modellierung verpflichtet und muss sich im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen sowohl in ihrer internen logischen Struktur als auch in Abgrenzung zu anderen Sprachtheorien und Sprachbegriffen bewähren. Sprachtheorien sollten damit die Verbindung schaffen zwischen der tiefenstrukturellen Begründung ihrer Aussagen mithilfe der Argumentation sowie der Autorität ihrer eigenen Tradition und anderer wissenschaftlicher Disziplinen, aber gleichzeitig den Gütekriterien der zeitgenössischen Forschung standhalten. Eine semiotisch fundierte pragmatistische Sprachtheorie, wie die hier zu entwickelnde, steht selbst in der Tradition verschiedener Zeichen- und Sprachphilosophien. Allerdings sollte sie nicht Annahmen über Sprache und Zeichen im Allgemeinen beschreiben, sondern der Analyse von sprachlichen Zeichen in diskursiven Praktiken dienen. Die zeichentheoretischen Grundlagen bilden innerhalb des semiotischen Pragmatismus ontologische, epistemologische und methodologische Prinzipien, die sich für eine linguistische Pragmatik nutzen lassen. Allerdings hält sich der semiotische Pragmatismus (zumindest derjenige von Peirce) bezüglich einer Definition eines spezifischen Sprachbegriffs und dessen funktionaler Rolle in diskursiven Praktiken eher zurück. Es geht ihm vielmehr darum, die grundlegenden Prinzipien von Zeichenprozessen und -praktiken zu analysieren, als diese auf ein Zeichensystem (Sprache) und dessen Prozesse zu reduzieren. Zwar bilden insbesondere die Aspekte der internen wie externen Zeichenkonstitution eine semiotische Fundierung einer Sprachtheorie und auch spezifische Begrifflichkeiten (z. B. Token und Typ, Indexikalität etc.) haben ihre terminologischen Spuren in der Linguistik hinterlassen, doch ist insbesondere die Anwendbarkeit der Zeichentheorie auf alle Zeichensysteme und -prozesse für die spezifischen Qualitäten sprachlicher Zeichen ein Hindernis. Die Erkenntnis, dass sprachliche Elemente Zeichen und damit semiotisch zu erfassen sind, führt zwar einerseits zu wesentlichen Aufschlüssen bezüglich ihrer Struktur 72 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen und Prozesshaftigkeit, doch inwiefern linguistische Pragmatik und Semantik innerhalb von diskursiven Praktiken semiotische Sonderfälle darstellen, ist dadurch noch nicht erklärt. Hierzu bedarf es der Ergänzung durch sprachtheoretische Grundlagen, welche mit den zeichentheoretischen Voraussetzungen vereinbar sind, sie aber linguistisch interpretieren und somit sowohl die spezifischen Qualitäten sprachlicher Zeichen betonen als auch deren linguistische Analyse, Synthese und Modellierung ermöglichen. Im Folgenden soll deshalb insbesondere das Verhältnis zwischen linguistischer Pragmatik und Semantik aus sprachtheoretischer Perspektive betrachtet werden, um die entsprechenden Verantwortungsbereiche innerhalb von wissenschaftlichen Erhebungen festzustellen. Dazu ist eine Erklärung des Verhältnisses von Pragmatik und Pragmatismus ebenso erforderlich wie die Beschreibung der sozial-normativen Dimension der Pragmatik, welche sowohl diskursive Prozesse als auch die Konstitutivität sprachlicher Zeichen betont. Anschließend werden Prozesse inferenzieller Semantik erklärt und die dynamischen, konditionalen und inferenziellen Aspekte spezifiziert. Auch erste Begriffe des theoretischen Vokabulars sowohl zur Explikation der impliziten Normativität der diskursiven Praktiken als auch zur Analyse der inferenziellen Prozesse können auf diesem Wege eingeführt werden. In einer Verknüpfung von normativer Pragmatik und inferenzieller Semantik können dann die explanatorischen Kompetenzen beider wissenschaftlichen Heuristiken erklärt und das Wechselverhältnis der von ihnen beschriebenen Prozesse erfasst werden. Außerdem entgegne ich prototypischen Einwänden gegen einen Inferenzialismus und einen normativen Sprachpragmatismus. Nicht nur das explanatorische, sondern auch das theoretische Verhältnis zwischen Pragmatik und Semantik ist dabei folgendes: Semantische Gehalte, Relationen und Prozesse erwachsen aus diskursiven, normativen und pragmatischen Signifikanzen. Kurz: Semantik folgt Pragmatik. 3.1 Normative Pragmatik Die Begriffe Pragmatik, pragmatisch und verwendungsähnliche Ausdrücke wie Sprachgebrauch sind in der Sprachwissenschaft verbreitet. Viele theoretische, empirische sowie praktische Ansätze verfolgen zumindest rudimentär gebrauchsorientierte oder -basierte Perspektiven in ihrer Forschung bzw. schreiben sich diese Eigenschaften zumindest selbst zu und sich damit auch in die pragmatische Forschungsgeschichte ein. Was unter den entsprechenden Ausdrücken zu verstehen ist, welche sprachtheoretischen wie praktischen Konsequenzen aus ihnen erwachsen, bleibt jedoch oft implizit bis unterbestimmt. Die Definitionen der Pragmatik sind dabei nicht nur äußerst zahlreich, sondern schwanken zwischen mathematischen Gleichungen wie “ pragmatics = semantics - truth conditions ” (Gazdar 1979: 2), die letztlich wenig erklären, und vielzitierten, aber nicht immer konsequent verfolgten plakativen und aphoristischen Dikta wie Wittgensteins “ Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache ” (1984: 262). Während bereits im Rahmen der Zeichentheorie Charles S. Peirces wesentliche Grundlagen des semiotischen Pragmatismus erklärt wurden, sollen nun die Grundlagen einer normativen und linguistischen Pragmatik expliziert werden, welche sich nicht mehr auf die Gesamtheit von Zeichensystemen und -prozessen, sondern auf sprachliche Prozesse beziehen. Somit wird nicht nur der Verantwortungsbereich der linguistischen Pragmatik 3 Sprachtheoretische Grundlagen 73 umrissen, sondern es werden auch operative Begriffe der linguistisch-pragmatischen Theoriebildung eingeführt. Entlang der Betrachtung der unterschiedlichen Erscheinungsformen von Pragmatik und Pragmatismus, wie sie Robert B. Brandom analysiert, zeichnet sich eine Definition der linguistischen Pragmatik ab, die sich methodologisch und erkenntnistheoretisch von der Semantik abgrenzt und Zeichengebrauch, implizite Normativität und die konstitutive Kraft der Sprache in den Blick nimmt. Die Unterscheidung zwischen Pragmatik und Semantik verdankt sich hierbei einer wissenschaftlichen Heuristik, die sich in mehr oder weniger abstrakten Verantwortungsbereichen äußert und innerhalb einer Sprachanalyse als komplementäre Aspekte zu verstehen sind (Semantik-Pragmatik-Schnittstelle). Mit der erkenntnistheoretischen Orientierung an der normativen Pragmatik, welche sich vom methodologischen und semantischen Pragmatismus abgrenzt, werden forschungs- und theorieleitende Prämissen entwickelt, die sich an der kritischen Diskussion der Metapher SPRACHE ALS WERKZEUG veranschaulichen lassen und die zu einem normativen Sprachpragmatismus führen, welcher die implizite Normativität diskursiver Praktiken hervorhebt. Anstatt theoretisch Regeln und Konventionen vorauszusetzen, entfaltet sich die implizite Normativität innerhalb sprachlicher Praktiken, sodass der Begriff der impliziten Normativität sowohl vom regulistischen als auch vom regularistischen Regelbegriff als auch von einem konventionalistischen Normverständnis unterschieden werden muss. 1 Mithilfe der Übersetzung des allgemeinsprachlichen Metavokabulars in eine einzelsprachliche und normative Grammatik der Modalverben zur Analyse und Explikation der impliziten Normativität erfolgt anschließend eine methodische Reflektion der erkenntnistheoretischen Prämissen der normativen Pragmatik. 3.1.1 Pragmatik, Pragmatismus und die Metapher sprache als werkzeug Robert B. Brandom, der nicht nur als herausragender Vertreter des amerikanischen Pragmatismus gilt, sondern auch Grundlagen für eine linguistische Pragmatik bietet, untersucht in Pragmatik und Pragmatismus (cf. PP) das Verhältnis zwischen kommunikativer Handlung und semantischem Gehalt. In seiner Untersuchung unterschiedlicher Pragmatismen plädiert er für ein umfassendes Verständnis von Pragmatik und Pragmatismus, welches den “ Vorrang des Praktischen ” (PP: 29) anerkennt und konsequent umsetzt. Brandom unterscheidet zwischen unterschiedlichen Erscheinungsformen von Pragmatik und Pragmatismus: Im methodologischen Pragmatismus “ gehorcht die Semantik der Pragmatik insofern, als die pragmatische Theorie das Erklärungsziel der semantischen Theorie angibt und folglich die ausschlaggebende Quelle der Adäquatheitskriterien ist ” (PP: 32). Der methodologische Pragmatismus erkenne an, dass der Sprachgebrauch für die Analyse notwendig sei und dieser die semantischen Gehalte mitbestimme. Die Semantik von Sprachzeichen fußt also auf Gebrauchsbedingungen, doch bleibt die tatsächliche sprachliche Praxis während der Anwendung der Methode letztlich irrelevant, denn sie stellt 1 Die Unterschiede zwischen Regulismus, Regularismus und Konventionalismus, welche im Folgenden veranschaulicht werden sollen, basieren auf der Regelbzw. Konventionsinvolviertheit in der Erklärung von Verhalten. Insbesondere Regulismus und Regularismus trennen zwischen Regel und Verhalten, setzen aber unterschiedlich starke Regelbzw. Regelmäßigkeitsbegriffe in ihre Modelle ein. Konventionalismus hingegen geht von einer irreduziblen Verbindung zwischen Konvention und Verhalten aus. 74 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen eben nur ein Erklärungsziel dar. Der Sprachgebrauch ist lediglich eine abstrakte Adäquanzgröße, welche z. B. Interpretationsanleitungen geben kann ( “ Der Satz X erscheint hier in Kontext Y, sodass der Gehalt von X in Bezug auf Y interpretiert werden muss. ” ). Die Beziehung zwischen Handlung und Gehalt besteht also nur methodologisch. 2 Der semantische Pragmatismus hingegen gehe davon aus, dass sprachliche Zeichen “ ihre faktische Bedeutung durch die Art und Weise [erhalten], in der die Sprecher von ihnen Gebrauch machen ” (PP: 35; Hervorh. im Original). Der semantische Gehalt bestimmt sich demnach tatsächlich erst im Sprachzeichengebrauch, sodass die tatsächliche Bedeutungskonstitution im Sprachgebrauch berücksichtigt werden muss. Während methodologischer Pragmatismus allein pragmatisches Theorievokabular zur Beschreibung der hermeneutischen wie empirischen Erkenntnisse nutzt, geht semantischer Pragmatismus davon aus, dass die pragmatischen Zeichengebrauchskonsequenzen die Bedeutung grundlegend konstituieren. Obwohl der semantische Pragmatismus die Aspekte der Handlung und des Gehalts zwar verschränkt, erklärt er kaum, welche signifikative Kraft dem Sprachgebrauch und dessen Zeichen zukommt. Zwar besteht der semantische Pragmatismus darauf, dass dem Wissenwie ein Vorrang gegenüber dem Wissen-dass (cf. z. B. Ryle 2009) eingeräumt werden sollte, doch spezifiziert dies noch nicht, was Sprachgebrauch eigentlich sei, was zu einer divergenten theoretischen Konzeption des Sprachgebrauchsbegriffs führen kann. Brandom (cf. PP: 53 f.) bemerkt, dass der Zeichengebrauch von pragmatistischen Theorieansätzen sich häufig auf den instrumentellen Charakter der Sprache reduzieren lässt. Insbesondere in der Metapher SPRACHE ALS WERKZEUG manifestiere sich dieses instrumentelle Verständnis der Sprache. Die Metapher SPRACHE ALS WERKZEUG sei zunächst auf vielerlei Weise sinnvoll, so Brandom, um konstitutive Eigenschaften der Sprache und des Sprachgebrauchs zu veranschaulichen: Erstens erkläre die Metapher, dass sprachliche Zeichen ebenso vielfältig eingesetzt werden könnten und sich in verschiedenen Gebrauchssituationen ereignen wie Werkzeuge. Sprachliche Zeichen und Werkzeuge können zu vielfältigen und unterschiedlichen Zwecken gebraucht werden. Zweitens helfe die Metapher zu verstehen, dass zum Nutzen von sprachlichen Zeichen weitere Sinnzusammenhänge nötig sind, die sich nicht aus der implizierten Struktur des Sprachzeichens selbst ergeben. Ebenso wie der Gebrauch eines Werkzeugs andere handwerkliche Utensilien erfordern würde (wie z. B. das Verhältnis von Hammer und Nagel zeigt), würden auch sprachliche Zeichen auf andere Zeichen verweisen, sodass sie ein holistisches Netz bilden würden. Drittens stelle sie einen Bezug zwischen der Angemessenheit des Gebrauchs eines Werkzeugs zur Bewältigung einer Aufgabe und sprachlichen Zeichen her. Ähnlich wie 2 Methodologischer Pragmatismus erlebt in der linguistischen Pragmatik momentan eine Renaissance. Sowohl formale Pragmatik, die sich als “ Weiterentwicklung der formalen Satzsemantik ” (Klabunde 2018: 122) versteht als auch die experimentelle Pragmatik, die sich explizit auf die Semantik H. P. Grices stützt (cf. z. B. Noveck/ Sperber 2006), tendieren in ihren Forschungspraktiken dazu, Pragmatik als situatives und kontextuellen Inferenzmethode zu verstehen, welche die lexikalische Unterspezifikation semantischer Gehalte anreichert. Entsprechend seien die Hypothesen nicht nur an formalen Sätzen und in experimentellen Settings zu veranschaulichen, sondern tatsächlich nachweisbar. 3 Sprachtheoretische Grundlagen 75 Werkzeug, welches auf richtige Weise für angemessene Aufgaben verwendet werden kann, impliziere auch die Sprache eine Dimension der normativen Bewertbarkeit, die durch die Metapher veranschaulicht werden kann. Viertens sei die Normativität der Sprache eher ein Mehr-oder-Weniger-Kriterium als ein Entweder-Oder-Maßstab. Ähnlich wie handwerkliche Arbeiten mehr oder weniger gelungen sein können, ein Werkzeug effizienter sein kann als ein anderes, sei Normativität der Sprache eine graduelle Angelegenheit. Fünftens ähnelt handwerkliche Arbeit, welche aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilt werden könne, der Vieldimensionalität der Sprache, so Brandom. Das hergestellte Bau- oder Kunstwerk könne zwar z. B. funktional, aber nicht ästhetisch sein, sodass sich dadurch die Bewertbarkeit aus unterschiedlichen Perspektiven zeige. Vielfalt, Holismus, normative Bewertbarkeit, Mehr-oder-Weniger-Kriterien und Vieldimensionalität sind fünf Kriterien, die veranschaulichen, was die Metapher S PRACHE ALS W ERKZEUG leisten und erklären kann. Allerdings, so Brandom (PP: 56 f.), versage die Metapher an einem bestimmten und zentralen Punkt. Würde Sprache - wie das Werkzeug - als Mittel zur Zweckerfüllung verstanden, dann verliere die Metapher einen wesentlichen Aspekt der Sprache aus dem Auge: Sprache ist nicht Mittel eines vorausgehenden Zwecks. 3 Vielmehr seien Performanzen erst kraft der Existenz von Sprache bzw. sprachlichen Zeichen überhaupt möglich. Sprache ist damit kein Werkzeug mehr, sondern eine conditio sine qua non sozial-kommunikativer und insbesondere sozial-normativer Vergesellschaftungsprozesse. 4 Die Konstitution kraft Sprache wird laut Brandom von methodologischen und semantischen Pragmatismen, die die instrumentelle Funktion der Sprache betonen, vernachlässigt. Stattdessen müsse die normative und konstitutive Kraft der Sprache im Mittelpunkt der Analyse stehen. Die normative Kraft, die die Distanz zwischen Mittel und Zweck überwindet, bildet damit das Fundament des normativen Sprachpragmatismus Brandoms, welcher Zeichengebrauch, Normativität und die konstitutive Kraft der Sprache miteinander vereint. Brandom etabliert also seinen normativen Sprachpragmatismus, der die konstitutive und normative Kraft sprachlicher Zeichen in den Mittelpunkt rückt, in Abgrenzung zu 3 Auf ähnliche Weise formuliert Rudi Keller (2018: 206) seine Kritik an der SPRACHE ALS WERKZEUG -Metapher: “ Sprachliche Zeichen sind in vielerlei Hinsicht mit Werkzeugen vergleichbar, aber nicht in jeder Hinsicht. Wählen wir als Beispiel einen Stock: Stöcke eignen sich zum Prügeln. Prügeln ist etwas Intentionales. Stöcke selbst sind nicht intentional. Bis hierher ist der Vergleich mit sprachlichen Zeichen in Ordnung. Nun aber wird es problematisch: Ein Stock eignet sich zum Prügeln, weil er aus Holz ist, eine bestimmte Größe und Stärke hat, eine bestimme Elastizität usw. Es ist ihre Beschaffenheit, die Werkzeuge zu ihrem Zweck geeignet macht. Die Beschaffenheit macht das Werkzeug dazu geeignet, bestimmte Intentionen zu realisieren. Ein sprachliches Symbol hingegen eignet sich zur Realisierung einer bestimmten Intention ausschließlich deshalb, weil es üblich ist, es zur Realisierung dieser Intention zu verwenden. Von einem sprachlichen Zeichen zu sagen, es sei arbiträr, heißt zu sagen, dass seine Eignung nicht in seiner Beschaffenheit begründet ist. ” Auch Christian Stetter (2005: 74) betont diese irreduzible Verschränkung von Handlungskraft und Zeichenqualität, wenn er Mittel zur Kommunikation vom Begriff des Mediums unterscheidet, welches “ eine in Operation gesetzte Apparatur [ist], sodaß durch diese Operation etwas, nämlich eine Darstellung von bestimmter Gestalt hervorgebracht wird. Medien in diesem Sinne sind, verkürzt gesprochen, symbolisierende Performanzen, genauer gesagt: das, was an der performance reiner Vollzug ist. ” (Hervorh. im Original) 4 Ohne es herauszustellen, folgt Brandom hier einer Sprachphilosophie im Sinne Humboldts (1999 a, 1999 b) und Herders (1964), die ebenfalls die konstitutive Funktion von Sprache anerkennen. 76 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen methodischen und semantischen Pragmatismen. Seine Analyse der Metapher SPRACHE ALS WERKZEUG zeigt, wie sprachliche Zeichen im Rahmen des normativen Sprachpragmatismus konzeptualisiert und modelliert werden. Auch wenn den Prämissen des normativen Sprachpragmatismus, wie sie hier formuliert wurden, in der vorliegenden Arbeit weitestgehend gefolgt wird, sind sie doch zumindest hinsichtlich des semiotischen Pragmatismus keineswegs neu. Brandom, der Peirce fälschlicherweise einen instrumentellen Pragmatismus unterstellt (cf. z. B. PP: 46 f.), übersieht, dass die Konstitutivität von Zeichen bei Peirce irreduzibel an deren Regeln, Konventionen und Normen (in Form von Drittheiten) gebunden ist (cf. z. B. Pape 2002). Insofern sind semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus theoretisch vollständig kompatibel. Was Brandom hingegen für eine linguistische Pragmatik so interessant macht, ist, dass dessen theoretische Voraussetzungen nicht nur an Zeichen, sondern an sprachlichen Zeichen ansetzen. Insofern kann anhand des normativen Sprachpragmatismus eine spezifische Semiotik sprachlicher Zeichen entwickelt werden, welche konstitutive und normative Kraft sprachlicher Zeichen erklärt und modelliert. Auch wenn die Modellierungskonsequenzen des normativen Sprachpragmatismus im Laufe der Arbeit noch entwickelt werden sollen, möchte ich zumindest skizzieren, inwiefern die Metapher SPRACHE ALS WERKZEUG , aber auch die genuine Normativität sprachlicher Prozesse sich in der Analyse und Modellierung von diskursiven Praktiken wiederfindet. Ausgehend von einer explanatorischen Verpflichtung der linguistischen Pragmatik, die implizite Normativität diskursiver Praktiken offenzulegen, folgt auch das explanatorische Potenzial der Metapher SPRACHE ALS WERKZEUG dieser grundlegenden Annahme. Insofern sind Vielfalt, Holismus, normative Bewertbarkeit, Mehr-oder-Weniger-Kriterien und Vieldimensionalität auch hinsichtlich ihrer normativen Verstrickungen zu beurteilen, was teilweise offensichtlich (normative Bewertbarkeit), teilweise weniger augenscheinlich (Holismus) ist. Sprachliche Praktiken, wie sie im Folgenden analysiert werden, lassen sich aufgrund der vielfältigen Gebrauchsweisen von sprachlichen Zeichen nicht notwendigerweise anhand ihrer Text- oder Äußerungsoberfläche erkennen. Signifikanten oder Ausdrücke sind nicht hinreichend für eine Analyse. Vielmehr müssen die verschiedenen Zeichen in ihrer Zeichenumgebung untersucht werden, in der sozial-kommunikative Akte und Performanzen nach ihren diskursiven Konsequenzen befragt werden. Hierzu wird im Folgenden ein Inferenzmodell entwickelt, welches Kontext und Performanztypen berücksichtigt, und mithilfe inferenzieller, pragmatischer und normativer Prozesse erläutert (cf. Kapitel 14). Auch der Holismus diskursiver Praktiken wird im Folgenden mithilfe inferenzieller Prozesse modelliert. Inferenzielle Relationen stellen dabei nicht nur eine Bedingung der Bedeutungskonstitution dar, sondern beeinflussen auch nichtsprachliche Praktiken wie Wahrnehmungen und Handlungen, die im Inferenzmodell ebenfalls holistisch an der Bedeutungskonstitution beteiligt sind bzw. aufgrund inferenzieller Relationen diskursive Relevanz erlangen (cf. Kapitel 8.3). Dass sprachliche und diskursive Praktiken nicht nur hinsichtlich ihrer normativen Bewertbarkeit beurteilt werden, sondern diese den Praktiken sogar implizit ist, ist eine zentrale Annahme der vorliegenden Arbeit und muss entsprechend veranschaulicht werden. Hierzu werden nicht nur soziale, diskursuniversale und diskursspezifische Normtypen definiert, sondern es wird auch deren Involviertheit in diskursiven Praktiken 3 Sprachtheoretische Grundlagen 77 erklärt, indem die normative Kraft von Verben (hier insbesondere Modalverben und intentionale Verben) untersucht wird (cf. Kapitel 12). Da sich die explizierende und normative Kraft von Verben, aber auch ihre spezifischen inferenziellen Relationen in diskursiven Praktiken nicht anhand eines einzelnen Zeichenereignisses, sondern nur im Verhältnis zu performativer Kraft, kontextuellen Faktoren und interlokutiven Relationen erklären lassen, liegt wiederum an den Mehr-oder-Weniger- Kriterien und der Vieldimensionalität der Normativität von sprachlichen Praktiken. Insofern werden auch die verschiedenen Aushandlungspraktiken, sprachlichen Handlungen und deren Voraussetzungen modelliert, da diese die konkrete Bestimmung von Verben und ihren diskursiven Rollen erst ermöglichen (cf. Kapitel 14). 3.1.2 Regeln - Implizite Normativität der diskursiven Praktiken Auch wenn die Metapher SPRACHE ALS WERKZEUG bereits einige Aspekte sprachlicher und diskursiver Praktiken erklärt, muss doch die implizite Normativität dargestellt werden, welche Zeichengebrauch und Konstitutivität der Sprache mitbestimmt. Dabei muss sie nicht nur von begriffsähnlichen Verwendungen wie Regel oder Konvention unterschieden und der epistemische, deontologische wie linguistische Status der Normativität erklärt, sondern auch eine Analysierbarkeit im Sprachgebrauch gewährleistet werden. In der linguistischen Pragmatik besteht weitestgehend Konsens darüber, dass der Gebrauch sprachlicher Zeichen durch Regeln und Konventionen bestimmt bzw. beeinflusst ist, doch erklärt sich dadurch noch nicht, was unter den jeweiligen Aspekten zu verstehen ist. Nur selten wird das jeweilige Regel-, Konventionsbzw. Normverständnis tatsächlich expliziert oder skizziert, sodass die Verwendung der Begriffe Regel und Konvention in der latenten Gefahr steht, als Letztbegründung gebraucht zu werden ( “ X ist Y, weil es unter der Regel gültig/ konventionell ist. ” ). Tatsächlich erklärt die Verwendung dieser Begriffe kaum etwas, obwohl für eine linguistische Pragmatik, die sich der Normativität des Sprachgebrauchs bewusst ist, die Konzeption eines Normbegriffs fundamental ist. Deshalb sollte auch eine linguistisch-pragmatische Sprachtheorie verpflichtet sein, ihren Normativitätsbegriff zu explizieren und ihn sowohl mit Zeichengebrauch und Konstitutivität der Sprache als auch der Analysierbarkeit (in Form eines theoretischen Vokabulars) in Einklang zu bringen. Brandoms Normativitätsbegriff, der hier kurz vorgestellt werden soll, folgt einer Traditionslinie Ludwig Wittgensteins und versucht, die grundlegende Struktur von konventionellen und regelhaften Phänomenen im Sprachgebrauch zu ergründen. Normativität stellt bei Brandom nicht nur eine sozial-kognitive Einstellung des Sollens [ought to be] dar, die sich sprachlich markieren lässt. Er grenzt seinen Normbegriff auch von anderen Begriffen wie Regelhaftigkeit und Regelmäßigkeit ab. Insbesondere von regulistischen und regularistischen Regelbegriffen distanziert sich Brandom dabei, dessen Argumente im Folgenden skizziert werden. Einen markanten und starken Regelbegriff definiert der Regulismus (cf. EV: 56 f.). Laut Regulismus erscheinen Regeln in expliziter Gestalt, z. B. in Form von Vorschriften, Verboten und Erlaubnissen (cf. EV: 57). Dank ihrer Erscheinungsform lassen sie sich demnach nicht nur als explizite Regeln nachweisen, sondern auch in spezifische Relationen zu den regulierten Tatsachen und Verhaltensweisen stellen. Sprachgebrauch und Regel 78 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen stehen im Regulismus damit in einem konstanten und hierarchischen Verhältnis, welches sich folgendermaßen zusammenfasst lässt: “ Zuerst die Regel, dann die Anwendung ” (Schneider 2008: 44). Sprachgebrauch wird demnach durch vorgeordnete Regeln mitbestimmt. Eine solche Hierarchiekonstanz zwischen Regel und Sprachgebrauch ist allerdings begründungsbedürftig und stößt auf explanatorische und praktische Schwierigkeiten der Regelbegründung. Ludwig Wittgenstein veranschaulicht dies in seinen Philosophischen Untersuchungen anhand des Beispiels der Notation von Grundzahlenreihen (cf. Wittgenstein 1984: 336 f.): Eine Lehrperson gibt einem Schüler die Aufgabe, die Grundzahlenreihe nach der Regel “ + 2 ” bis 1000 (2, 4, 6, 8, … , 1000) zu notieren. Nachdem der Schüler seine Aufgabe erfüllt hat, überprüft die Lehrperson stichprobenhaft das Ergebnis und erkennt, dass der Schüler der Regel gefolgt ist. Die Regel scheint hier die Anwendung determiniert zu haben. Nun soll der Schüler derselben Regel folgen und die Grundzahlenreihe bis 2000 vervollständigen. Nachdem der Schüler auch diese Aufgabe vollendet hat, prüft die Lehrperson abermals die Anwendung der Regel und stellt fest, dass der Schüler der Regel anscheinend nicht gefolgt ist, denn die produzierte Grundzahlenreihe weist Lücken auf, die nach der Regel “ + 2 ” nicht auftreten dürften: 1000, 1004, 1008, … , 2000. Anscheinend folgt der Schüler nicht der Regel “ + 2 ” , sondern einer anderen Regel: “ Addiere bis 1000 immer 2, bis 2000 immer 4, bis 3000 6, etc. ” (Wittgenstein 1984: 336). Nachdem die Lehrperson nun abermals die erste Grundzahlenreihe prüft, die noch unter der Anwendung der Regel “ + 2 ” produziert wurde, fällt auf, dass mehrere Regeln der Notation der Grundzahlenreihe des Schülers (Verhalten) angemessen zugeordnet werden können. Sowohl die Regel “ + 2 ” als auch “ Addiere bis 1000 immer 2, bis 2000 immer 4, bis 3000 6, etc. ” finden in der Anwendung ihre Erfüllung. Wenn nun aber verschiedene Regeln auf dasselbe Verhalten angewandt werden können, gibt es kein explizites Zuordnungsverhältnis zwischen Regel und Verhalten, welches das Verhalten erklärt, da eine potenziell unendliche Anzahl an Regeln auf das Verhalten des Schülers angewandt werden kann. Die Konstanz von Regel und Verhalten lässt sich damit nicht mehr fraglos annehmen, sondern ist durch eine Regelkontingenz bestimmt: Aus dem jeweiligen Verhalten lässt sich keine Regel explizieren. Um nun aber die Regel unter den Regeln zu bestimmen, welche tatsächlich zur Anwendung gekommen ist, ist abermals eine Regel erforderlich, die, wenn sie die gleiche explanatorische Qualität haben soll wie die zu erklärende Regel, selbst reguliert werden muss. Die explanatorische Hierarchie zwischen den Regeln kann dann nur metaperspektivisch begründet werden, da ansonsten ein infiniter Regelregress droht. Doch dann würde nicht mehr jede Regelanwendung reguliert werden müssen, was die fundamentale Annahme des Regulismus, welche eine regulative Konstanz zwischen Regel und Verhalten annimmt, infrage stellt. Daraus folgt, dass das Verhältnis von Regel und Verhalten unter regulistischen Prämissen zu einem Paradox des Regelfolgens führt, denn “ eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen sei ” (Wittgenstein 1984: 345). Anstatt von Regeln bzw. deren Formulierungen auszugehen, könnte die Lösung der Paradoxie des Regelfolgens in der Hinwendung zum Regelinterpretationsprozess Abhilfe 3 Sprachtheoretische Grundlagen 79 leisten. Schließlich spielen unterschiedliche Interpretationen von Regeln eine wichtige Rolle in Zeichen- und Kommunikationsprozessen. Allerdings führt auch die Hinwendung zur Regelinterpretation nicht zu einem haltbaren Regelbegriff, denn was als angemessene Interpretation gilt, müsste wiederum nach regulistischen Prämissen reguliert werden. Stattdessen ist es zielführend, wenn Regeln innerhalb von sozialen und diskursiven Praktiken gesucht werden, die sich im jeweiligen (sprachlichen) Verhalten zeigen. Regeln sind damit nicht dem (sprachlichen) Verhalten vorgeordnet, sondern diesen inhärent, sodass man im Sinne Gilbert Ryles (2009) davon sprechen kann, dass das Regelwissen-Wie dem Regelwissen-Dass vorausgeht. Regulismus allerdings versteht Regeln als der (sprachlichen) Praxis vorgeordnet. Ludwig Wittgenstein hält dem Regulismus deshalb einen Regelbegriff entgegen, der sozial und praxisbasiert ist. Regeln, so gibt Brandom Wittgensteins Regelbegriff wider, werden nicht interpretiert, sondern erfasst und “ eine Regel zu erfassen, ohne sie zu interpretieren, heißt, sie in einer Praxis zu erfassen statt vermittels des Ersetzens eines Regelausdruckes durch einen anderen ” (EV: 120). Regeln zu folgen bedeutet demnach, dass gemäß der impliziten Normativität diskursiver Praktiken gehandelt wird, ohne sich zwingenderweise auf explizite Regeln berufen zu können oder zu müssen. Die Paradoxie des Regelfolgens und der infinite Regress des Regulismus lassen sich vermeiden und Regeln innerhalb von Handlungspraktiken situieren, indem regelhaftes Verhalten nicht mehr als gelernte (und damit explizite) Regel, sondern als Regularität bzw. Regelmäßigkeit in der jeweiligen Verhaltensweise verstanden wird. Verhalten setzt dann keine Regeln mehr voraus. Diese regularistische Position erkennt das Regelwissen-Wie an, indem es Regeln aus dem regelmäßigen Verhalten expliziert. Ob sprachliches Verhalten angemessen oder unangemessen ist, wird nach dem Regularismus mit regelmäßigem und unregelmäßigem Verhalten erklärt. Der Regularismus scheint auf den ersten Blick eine angemessene Theorie der Normativität sprachlicher Praktiken zu sein, weil er tatsächlich von einer impliziten Normativität diskursiver Praktiken ausgeht. Allerdings eröffnen sich bei genauerer Betrachtung auch Schwierigkeiten bei einem regularistischen Regelbegriff. Problematisch ist zunächst, dass unregelmäßiges Verhalten eine untergeordnete Rolle im Vergleich zum regelmäßigen Verhalten einnimmt. Im Fokus regularistischer Regelanalyse steht die markante Beziehung zwischen Regelmäßigkeit und Verhalten, doch inwiefern unregelmäßiges Verhalten selbst regelhaft und nicht willkürlich ist, bleibt weitestgehend offen. Regelmäßigkeiten zu untersuchen, eröffnet eine strikte Trennung, die sich kaum rechtfertigen lässt, ohne abermals eine metaperspektivische Unterscheidung zu treffen. Virulent wird der Fokus auf Regelmäßigkeit, wenn innerhalb diskursiver Praktiken neuartiges Verhalten auftritt, welches ebenfalls auf Regelwissen-Wie basiert. Verweilt der Blick des regularistischen Regelbegriffs auf dem regelmäßigen Verhalten, ist die Anwendbarkeit des Regelfolgens auf neues Verhalten ausgeschlossen. Dies liegt insbesondere daran, so zeigt es Brandom (EV: 69 f.), dass jedes sprachliche Verhalten verschiedene Regelmäßigkeiten aufweist. Insofern ist die Kritik am Regulismus bezüglich der Kontingenz der anzuwendenden Regel auch auf den Regularismus anwendbar: Es gibt nicht eine spezifische Regelmäßigkeit, die sich in einem spezifischen sprachlichen Verhalten zeigt. Entsprechend müsste auch der Regularismus festlegen, welche die bevorzugte Regelmäßigkeit ist, die das Verhalten erläutern soll 80 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen und sich auch auf künftiges Verhalten anwenden lassen kann. Die entsprechende Bestimmung einer solchen privilegierten Regelmäßigkeit vermeidet der Regularismus allerdings, um nicht in einen Regress der Regelmäßigkeiten zu geraten. Diese konzeptuellen und theoretischen Probleme von Regulismus und Regularismus sind innerhalb der linguistischen Pragmatik bekannt, sodass Regelbegriffe oft anderen linguistischen Disziplinen wie Syntax oder Grammatik überlassen oder nur behutsam eingesetzt werden. Stattdessen ersetzt der Begriff der Konvention den Begriff der Regel, um die implizite Normativität diskursiver Praktiken zu erläutern. Der Begriff der Konvention ist insofern bereichernd, als dass er den Aspekt der sozialen Praxis, welcher sprachlichen Verhaltensweisen innewohnt, impliziert. Konventionalistische Regelbegriffe bilden z. Z. das Kernstück innerhalb der Theoriebildung der linguistischen Pragmatik (cf. aktuell z. B. Sander 2018), da sie häufig einen genuin sozial-kommunikativen und sprachlichen Aspekt aufweisen. Nur selten aber wird der Begriff der Konvention tatsächlich definiert. So hebt Jaroslav Peregrin (2012: 219) hervor, dass der Ausdruck Konvention unterschiedliche Bedeutungen involviert, die zu unterschiedlichen Definitionen führen können. Konventionen können demnach z. B. Gewohnheiten des Handelns, Menschengemachtes, was sich von der Natur unterscheidet, oder explizite Abmachungen sein. David Lewis (2002) z. B., dessen Standardwerk zum Konventionsbegriff immer wieder zitiert wird, versteht Konventionen als spieltheoretische Konstrukte, die als Problemlösungsstrategien funktionieren. Dabei bleibt allerdings häufig ungeklärt, ob der Konventionsbegriff nach Lewis tatsächlich die implizite Normativität diskursiver Praktiken erklären kann und sich sprachliches Verhalten auf Problemlösen reduzieren lässt. Auch die konstitutive Kraft der Sprache nimmt bei Lewis keinen theoretischen Raum ein, sondern wird als Problemlösungsstrategie den Konventionen nachgeordnet. Inwiefern es spezifische Formen der Normativität nur kraft Sprache gibt, wird nicht diskutiert. Tatsächlich kann der Konventionsbegriff für die Analyse sprachlicher Praktiken sogar hinderlich sein, weil er die situative Sensibilität von Konventionen und Normen kaum berücksichtigt, was aber nicht bedeutet, dass der Konventionsbegriff von Lewis für die Analyse von sozialen Praktiken strikt abzulehnen sei. Die hier vertretene normative Pragmatik folgt weder Regulismus noch Regularismus und lehnt einen starken Konventionalismus ab, der Konventionen mit Problemlösungen gleichsetzt bzw. jegliche Normativität mithilfe von Konventionen erklärt. Stattdessen supplementiert der Begriff der impliziten Normativität bzw. der impliziten Normen sowohl einen Konventionsals auch einen Regelbegriff. Die genuine Normativität, die sich innerhalb diskursiver Praktiken konstituiert, reproduziert und perpetuiert, aber auch die jeweiligen sozialen und diskursiven Normen stellen den zentralen Bereich der hier zu entwickelnden linguistischen Pragmatik dar. Zur Erklärung von sozial-kommunikativen, diskursiven und sprachlichen Praktiken werden Regel- und Konventionsbegriff damit keineswegs abgelehnt. Vielmehr handelt es sich bei verhaltens- und handlungsleitenden Konventionen und Regeln um verfestigte Normen, die sich aus der impliziten Normativität diskursiver Praktiken ableiten lassen. Im Sinne Brandoms wird davon ausgegangen, dass diskursive Praktiken genuin normativ sind, denn “ Normen, die explizit in Form von Regeln sind, setzen Normen, die implizit in Praktiken enthalten sind, voraus ” (EV: 58, Hervorh. im Original). 3 Sprachtheoretische Grundlagen 81 Nach Peregrin lässt sich eine sozial-kommunikative Normativität sprachlicher Praktiken, die in der normativen Pragmatik untersucht wird, unter folgenden handlungs- und forschungsleitenden Prämissen zusammenfassen: a. “ Rules and what we called the normative dimension are crucial for so many things we humans do that to analyze humans as social beings is not really possible without paying due attention to them; and b. though there may be no reason to reject the claim that any talk to rules and of what is correct is in principle reducible, no such reduction is realistic and hence rules must figure in many essential explanations of human social life. [ … ] c. Talk about what is correct or what should be done is not reducible - not even ‘ in principle ’ - to non-normative talk. ” (2016: 67 f.) Peregrin betont die Irreduzibilität der normativen Dimension, die uns als diskursive Wesen ausmacht. Jede Analyse sozialer Praktiken, zu denen auch insbesondere sprachliche Praktiken gehören, erfordert eine Analyse der Normativität, die den sozialen Praktiken einerseits zugrunde liegt, aber gleichzeitig stets mitverhandelt, prozessiert und reproduziert wird. Sprachgebrauch gehört dabei zu den exklusiven sozialen Praktiken, sodass auch hier weder Konventionsnoch Regelbegriff entkoppelt werden können. Jede sprachliche Äußerung stellt normative Ansprüche, die in diskursiven Praktiken implizit diskutiert werden. Die der sprachlichen Praxis implizite Normativität ist damit keine starre und hierarchisch strukturierte Analysekategorie, sondern eine prozesshafte und dynamische Angelegenheit, die sich jedweder Festsetzung entzieht. Bei der impliziten Normativität diskursiver Praktiken geht es mehr um implizite Wirklichkeitsvorstellungen, die mittels Wirklichkeitsansprüchen zur Wirklichkeitskonstitution beitragen können, als um tatsächliche unhintergehbare Wirklichkeitskriterien z. B. im Rahmen anthropologischer Konstanten. Die ständige Involviertheit diskursiver Wesen in die Normativität der Praktiken sorgt auch für eine entsprechende Empfindsamkeit gegenüber Normgebrauch (und auch Normverletzungen). Deshalb folgt auch die Analyse impliziter Normativität innerhalb der normativen Pragmatik den Grundsätzen, “ daß wir nicht nur nach Regeln, sondern nach Regelvorstellungen handeln ” (EV: 76) und “ daß wir nicht nur Normen unterworfen, sondern auch sensibel ihnen gegenüber sind ” (ebd., Hervorh. im Original). 5 Beschreibung und Kritik verschiedener Regelbzw. Konventionsbegriffe und die Hervorhebung der Normsensibilität diskursiver Wesen erläutern aber noch nicht, was diese Arbeit unter Normativität und Norm versteht. Auch wenn ich keinen Beitrag zur Normativitätsbzw. Normtheorie leisten möchte und kann, ist es doch sinnvoll, entsprechende Arbeitsbegriffe darzustellen, um zu erfassen, mit welcher Gebrauchsdefinition von Normativität und Norm im Folgenden operiert wird. Daher möchte ich zumindest skizzieren, was Normativität und Normen im Rahmen von sprachlichen und diskursiven Praktiken darstellen und inwiefern sie ihre Kräfte in diskursiven Praktiken entfalten können. Des Weiteren möchte ich die verschiedenen Normen, die in sprachlichen, sozialen und diskursiven Praktiken wirken, näher differenzieren: Soziale, diskursuniversale und 5 Diese Sensibilität für Normativität betont auch Christian Stetter, wenn er von sprachlichem Handeln gemäß Regeln schreibt. Dieses “ impliziert das Vermögen, ad hoc zu beurteilen, ob ein Ausdruck in eine bestimmte Situation, in einen bestimmen Handlungszusammenhang ‘ paßt ’” (1999: 91). 82 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen diskursspezifische Normen, wie sie eine normative Pragmatik beschreiben kann, unterscheiden sich dabei sowohl in ihrer Involviertheit als auch in ihrer Gültigkeit in Verhaltens- und Handlungspraktiken. Die beiden Konzepte Normativität und Norm müssen voneinander unterschieden werden, nicht nur im Rahmen einer Normativitätsbzw. Normtheorie, sondern auch für die vorliegende Arbeit: Normativität ist ein, wenn nicht sogar der grundlegende Aspekt diskursiver Praktiken, während Normen spezifische (handlungsbzw. verhaltensleitende) Prinzipien darstellen. Normativität erfasst damit einen wesentlichen Aspekt, der sozialen und diskursiven Praktiken innewohnt: Die verschiedenen Tatsachen, Sachverhalte, Verhaltensweisen, Personen und AkteurInnen, die in diskursive Praktiken involviert sind, sind nicht nur teilweise normsensibel, sondern in ihrer diskursiven Konstitution stets auch normativ strukturiert. Die jeweilige diskursive Konstitution von Performanzen und Sachverhalten in diskursiven Praktiken ist zunächst hinsichtlich ihrer normativen Involviertheit zu befragen, die sich z. B. in spezifischen institutionellen Normen äußert. Was dann z. B. gültig ist, was Geltung erlangt, basiert auf der impliziten Normativität diskursiver Praktiken, was nicht bedeutet, dass es außerhalb von diskursiven Praktiken keinerlei Existenzbedingungen und/ oder agierende Wesen gäbe, die nicht normativ strukturiert sind. Normen hingegen stellen spezifische Strukturen der impliziten Normativität diskursiver Praktiken dar. Doch ein alltäglicher Normbegriff umfasst unterschiedliche Regeln, Gesetze, Vorschriften, Manieren, Anweisungen und Sitten. Hinzu kommen verschiedene moralische, ästhetische und technische Normverständnisse. Deshalb soll der hier verwendete Normbegriff entsprechend klar abgegrenzt werden. Zunächst ist es daher sinnvoll einer allgemeinen Normdefinition zu folgen, welche das grundlegende Verhältnis zwischen Normen und Verhalten veranschaulicht: A norm can be understood generally as a principle which enables one to judge actions as right or wrong, and which hence can guide people's actions (Mäkilähde/ Leppänen/ Itkonen 2019 a: 2) Diese ganz allgemein gehaltene Erklärung veranschaulicht zunächst noch einmal die Beziehung zwischen Normen einerseits und Handlungen bzw. Verhalten andererseits. Normen stehen nicht für sich, sondern sind in Handlungen und Verhalten eingebettet. Tatsächlich, so lässt sich nach der oben formulierten Kritik an Regulismus und Regularismus konstatieren, stehen Handlungen/ Verhalten in einem irreduziblen Verhältnis zu Normen: Verhalten bzw. Handlungen können einerseits mittels Normen beurteilt werden, leiten aber diese Handlungen und Verhalten auch an. Beschreibungen der Konzepte von Normativität und Norm sind allerdings insofern problematisch, als sich Normativität und Normen nicht unvermittelt beobachten bzw. erfassen lassen. Sie treten, selbst wenn sie explizit erscheinen, in Normformulierungen auf, die nicht mit der formulierten Norm gleichgesetzt werden dürfen. Zudem, und diese Facette wiegt für eine Darstellung schwerer, handelt es sich bei Normativität und Normen nicht um Seiendes (im Sinne einer Ontologie). Daher ist die Frage, was Normativität und Norm eigentlich sind, insofern irreführend, als dass sie einen Kategorienfehler nahelegt. Die Erläuterung von Normativität und Norm fällt vielmehr in den Bereich einer Deontologie, welche die Konsequenzen von Handlungen und Verhalten hinsichtlich ihrer Normhaftigkeit erklärt. Deskriptionen von Normativität und Norm müssen also Abstand zur Seins- 3 Sprachtheoretische Grundlagen 83 Kategorie nehmen und die Effekte und Verhaltensbzw. Handlungskonsequenzen von Normativität und Norm erfassen. Normativität und Norm sind also nur im Verhältnis zu Handlungen, Performanzen und Verhalten erfassbar. Für die folgende Arbeit ist die Erfassung von Normen zwar maßgeblich, doch sollten zumindest zwei Aspekte konkretisiert werden, um sie für eine linguistische Pragmatik nutzbar zu machen und mit den Prämissen des normativen Sprachpragmatismus in Einklang zu bringen: 1. die Beschreibung des Verhältnisses von Verhalten und Norm und 2. die Spezifikation der zu untersuchenden Normen selbst. Dass das Verhältnis von Verhalten und Normen irreduzibel ist, gilt für diese Arbeit ebenfalls. Allerdings ist es für das theoretische Vokabular relevant, dieses Verhältnis angemessen zu analysieren. Die oben gewählte Formulierung, dass Normen handlungsleitend [guide people's actions] sind, ist insofern passend, als dass die Kraft von Normen als Motivierung von Verhalten erfasst wird. Auf ähnliche Weise, allerdings aus einer anderen theoretischen Perspektive, können Handlungen auch als normfolgend erklärt werden. Die Formulierungen der handlungsleitenden Norm und der normfolgenden Handlung verhalten sich komplementär zueinander, hierarchisieren aber entweder Handlung oder Norm, sodass sich beide in eine gemeinsame Formulierung einbetten lassen: Die Norm leitet, die Handlung folgt. Diese Deskription des hierarchischen Verhältnisses von Norm und Verhalten leuchtet im Rahmen der Analyse von diskursiven Praktiken der linguistischen Pragmatik insofern ein, als dass Normen nicht nur in sprachlichen Praktiken entstehen können. Auch nichtsprachlich instruierende Normen können Einfluss auf diskursive Praktiken haben und sind dann z. B. Voraussetzungen im Rahmen des dann folgenden Verhaltens. Allerdings sind Normen, die im Rahmen von diskursiven Praktiken zutage treten, keine starren Konstrukte, wie die Formulierung der handlungsleitenden Norm und der normfolgenden Handlung nahelegt. Die gültigen Normen, die zum Verhalten in einem Verhältnis stehen, werden kraft des Verhaltens auch reproduziert, perpetuiert, aber auch gleichzeitig zur Disposition gestellt. Iterationen des Verhältnisses von Verhalten und Norm führen auch in der Regel dazu, dass sich die Gültigkeit der Norm verändert bzw. verändern kann, wobei offenbleibt, ob sie sich verstetigt oder verflüchtigt. Hier besteht auch der zentrale Unterschied zwischen konventionstheoretischen Ansätzen wie von David Lewis (2002), die Konventionen zwar als dem Verhalten irreduzible, aber doch hierarchisch vorgeordnete Kategorie verstehen, und einer normativen Pragmatik wie der von Robert Brandom, die die relevanten Norm-Verhaltens-Relationen in ihren verschiedenen Iterationen als eher instabile Verhältnisse betrachtet. Insofern ist es angemessener, Verhalten als normgebunden zu beschreiben, weil diese Bezeichnung einerseits die empirische Irreduzibilität von Norm und Verhalten betont, aber andererseits keine Hierarchie voraussetzt. Der Begriff der Normgebundenheit lässt offen, ob sich das Verhältnis der Normen zum Verhalten in den verschiedenen Iterationen verändern kann. Insbesondere bei der Analyse von sprachlichen Praktiken sollte diese Möglichkeit in Betracht gezogen werden, denn auch sprachliche Äußerungen können das Verhältnis von Norm und Verhalten verändern und neue Normen etablieren (cf. PP). 84 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Die Metapher der Normgebundenheit, wie sie z. B. Heinrich Popitz (2006: 61) gebraucht, ermöglicht es außerdem, dass analytisch zwischen Verhalten und Norm unterschieden und das Verhältnis entsprechend modelliert werden kann, ohne die Irreduzibilität von Verhalten und Norm anzuzweifeln. Insbesondere bei der Modellierung und Analyse intentionaler Verben, die in diskursiven Praktiken das Verhältnis zwischen diskursiven Normen und Verhalten herstellen können, ist die Unterscheidung analytisch insofern wertvoll, als sie ein Erklärungsvokabular ermöglicht, welches beschreibt, warum gerade jene spezifische Norm an Verhalten gebunden ist und warum nicht andere Normen das Verhalten an entsprechender Stelle beurteilen. 6 Neben dem Konzept der Normgebundenheit, mit welchem ich versuche, das irreduzible Verhältnis von Verhalten und Norm möglichst neutral zu erfassen, sind für diese Theorie der Pragmatik von diskursiven Praktiken aber nicht alle Normen interessant: Es geht insbesondere um soziale, diskursuniversale und diskursspezifische Normen, also diejenigen, die sich auf das soziale und diskursive Miteinander in gesellschaftlichen und kommunikativen Praktiken auswirken. Eine entsprechende Differenzierung verschiedener Normtypen ist insofern sinnvoll, als dass sie verschiedene Aspekte sozialer, sprachlicher und diskursiver Praktiken betont. Das Konzept der sozialen Norm, welches insbesondere zur Erklärung von sozialem Verhalten verwendet wird, kann hier zunächst als Matrize der Analyse von Verhalten dienen. Dabei ist z. B. die Beschreibung von Heinrich Popitz (cf. 2006: 65 f.) zielführend, welcher wesentliche Aspekte sozialer Normen erfasst: 1. Soziale Normen typisieren Handlungen, Situationen und Verhalten; 2. konstituieren Normstrukturen, die Personen involvieren, wobei 3. diese Personen Träger unterschiedlicher sozialer Rollen sein können; 4. lassen sich hinsichtlich ihrer Geltung befragen, welche selbst graduell ist; 5. sind tradierbar (und tradiert). Popitz' Darstellung erfasst nicht nur das Verhältnis zwischen sozialen Normen und Verhalten, sondern zeigt auch, dass soziales Verhalten auch immer Personen involviert, die in einem spezifischen sozialen Verhältnis zueinander stehen. Insofern wird die Irreduzibilität von Norm und Verhalten bei sozialen Normen um den Aspekt der Person erweitert. Auch der Aspekt der Typisierung ist hervorzuheben, denn er zeigt, dass verschiedene (hier insbesondere soziale) Handlungen, Situationen und Verhaltensweisen kraft sozialer Normen unter spezifischen Normtypen vereint werden können. Außerdem 6 Im Folgenden wird hierfür der Modellbegriff Attraktion eingeführt, welcher beschreibt, inwiefern Normen kraft des intentionalen Verbs ein Verhalten beurteilbar machen (cf. Kapitel 16). Der Begriff Attraktion weist eine gewisse Affinität zum Konzept des Attraktors in der Theorie dynamischer Systeme auf (cf. z. B. Milnor 1985, Thom 1972: 38 f.), obwohl es nicht als geborgtes Konzept verstanden werden sollte. Verben können im sprachlichen Kontinuum fixpunktartige Zeichen sein, die eine diskursive Verbindung zwischen Normen und Verhalten an der zeitlich-räumlichen diskursiven Position herstellen. Sie attrahieren soziale oder diskursive Normen, die dann für entsprechendes Verhalten gelten. Attraktionen sind strukturähnlich zu Evokationen und beide verhalten sich dabei entsprechend komplementär: Während intentionale Verben z. B. semantische bzw. diskursive Rollen evozieren und damit über die Ereignisbeschreibung hinweg auch z. B. Diskursakteure benennen bzw. involvieren, stellt das Verb kraft Attraktion auch jeweilige Normen bereit, die dann genutzt werden können, um Verhaltensereignis und Personen beurteilbar zu machen. 3 Sprachtheoretische Grundlagen 85 ähneln einige der Beschreibungen Popitz' den Grundlagen der normativen Pragmatik. Sowohl Vielfalt (hier z. B. der sozialen Rollen), Mehr-oder-Weniger-Kriterien (in Form von gradueller Geltung) und Vieldimensionalität (der Normstruktur) werden berücksichtigt. Mit sozialen Normen kann damit Verhalten in sozialen Situationen beschrieben werden, um anschließend zu erklären, warum Verhalten sozial typisiert wird. Die Beschreibung von sozialen Normen ist für die vorliegende Arbeit zwar interessant und einige Aspekte können für die folgenden Analysen auch übernommen werden, doch handelt es sich hier um eine Analyse von diskursiven Praktiken, welche nicht notwendigerweise deckungsgleich mit sozialen Praktiken und damit sozialen Normen sind. Tatsächlich können zwar diskursive Normen auch soziale Normen sein, doch sind nicht alle sozialen Normen auch notwendigerweise diskursiv. So ist z. B. die Norm, dass man sich zur Begrüßung die Hände schüttelt, notwendigerweise eine soziale Norm, weil sie soziales Verhalten normiert. Ähnliches gilt für Tischsitten. Allerdings entfalten diese sozialen Normen nicht notwendigerweise eine diskursive Wirksamkeit, auch wenn dies natürlich möglich ist. Diskursive Normen zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie etwas über diskursive Praktiken vermitteln, was sich nicht unmittelbar erfassen lässt: die sprachlichen, konstitutiven, historischen, institutionellen, regulativen Normen, die in die entsprechenden Praktiken involviert sind. So kann zumindest auch Michel Foucaults Diskurstheorie verstanden werden (cf. z. B. Foucault 1973). Weil die folgenden theoretischen Betrachtungen diskursiver Praktiken insbesondere sozial-normatives Verhalten im Blick haben, sind die meisten der zu untersuchenden Normen sowohl sozial als auch diskursiv. Allerdings ist es für die Analyse diskursiver Praktiken relevant, die zu untersuchenden diskursiven Normen noch einmal zu untergliedern. Denn es soll sich noch zeigen, dass unterschiedliche diskursive Normen auch unterschiedliche Kraft hinsichtlich der Konstitution von diskursiven Praktiken haben: Diskursuniversale Normen tragen zum Zustandekommen und Gelingen von diskursiven Praktiken bei, während diskursspezifische Normen etwas über die Besonderheiten der jeweiligen diskursiven Praxis verraten (cf. Kapitel 16). Diskursuniversale Normen sind also hinsichtlich ihrer Wirksamkeit robuster, weil ihre Geltung sich über verschiedene diskursive Praktiken erstreckt. Diskursuniversale Normen konstituieren also diejenigen Praktiken, die für das Zustandekommen diskursiver Prozesse notwendig sind. Insofern beschreibt die Universalität der diskursiven Normen nicht Normen, die eine anthropologische Konstante bilden (wie z. B. das Inzesttabu). Im Rahmen der linguistischen Pragmatik können z. B. die Konversationsmaximen Grices als diskursuniversale Normen gelten, die auch in unterschiedlichen diskursiven Praktiken Anwendung finden. Die Universalität dieser Normen besteht darin, unterschiedliche soziale und diskursive Prozesse zu normieren, wobei kulturelle Differenzen damit nicht ausgeschlossen sind (cf. hierzu z. B. Levinson 2006). Im Folgenden wird außerdem argumentiert, dass (diskursive) Intentionalität selbst als Emergenzphänomen auf diskursuniversalen Normen beruht, deren Gültigkeit sich in Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen konstituiert (cf. Kapitel 13). Neben den diskursuniversalen Normen gibt es außerdem diskursspezifische Normen, die sich mithilfe einer normativen Pragmatik analysieren lassen. Diese diskursiven Normen 86 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen sind weniger robust, insofern, als dass ihre diskursive Spezifik an die jeweilige diskursive Praxis gebunden ist. Zu den diskurspezifischen Normen gehören also alle Normen, auch und insbesondere soziale, die die entsprechende diskursive Praxis normieren, aber nicht notwendigerweise Gültigkeit in anderen diskursiven Praktiken beanspruchen. So entfaltet z. B. die diskursive Norm “ Wer etwas sagen möchte, soll sich melden ” nicht in allen diskursiven Praktiken ihre Kraft, sondern ist auf spezifische Praktiken reduziert (hier z. B. schulische Praktiken) und kann bei der Anwendung in anderen Praktiken sogar zu Irritationen führen. Die Differenz von sozialen, diskursuniversalen und diskursspezifischen Normen ermöglicht es nun, unterschiedliche Perspektiven auf die verschiedenen sozial-normativen Prozesse diskursiver Praktiken zu entwickeln und diese zu analysieren. Zusammenfassend lassen sich soziale und diskursive Normen als theoretisches Substitut für Regelbzw. Konventionsbegriffe erklären. Sie stellen einen fundamentalen Aspekt diskursiver Praktiken dar und lassen sich mithilfe des entsprechenden theoretischen Vokabulars explizieren. Die Darstellung von sozialen und diskursiven Normen sowie deren Abgrenzung von Regel- und Konventionsbegriffen ist insbesondere dann für die Analyse diskursiver Praktiken und die folgenden theoretischen Reflexionen wichtig, wenn es um die performativen und intersubjektiven Aspekte geht: Performanzen, Handlungen, Sprechakte, aber auch die intersubjektiven Beziehungen zwischen Interlokutoren werden im Folgenden mithilfe der von Verben explizierten sozialen und diskursiven Normen erklärt (cf. Kapitel 12). 3.1.3 Modalität und Modalverben - Theoretisches Vokabular zur Explikation der impliziten Normativität diskursiver Praktiken Die Annahme einer impliziten Normativität diskursiver Praktiken erfordert eine methodische Rekonstruktion. Innerhalb einer linguistischen Pragmatik, die nicht nur diese implizite Normativität sprachlicher Praktiken konstatieren kann, sondern sie nutzt, um “ die Signifikanz verschiedener Sprechakte anhand der praktischen Richtigkeiten [ … ] zu erklären ” (EV: 220, Hervorh. im Original), ist eine entsprechende Modellierung zur Analyse von diskursiven Praktiken unerlässlich. Das erkenntnistheoretische Verhältnis von Implizitheit und Explizitheit kann dazu genutzt werden, um ein erklärendes Vokabular (Metavokabular) zu suchen, welches die implizite Normativität expliziert und damit für die Analyse rekonstruiert. Dabei ist es notwendig, dass ein metasprachliches Vokabular gewählt wird, welches selbst innerhalb von diskursiven Praktiken genutzt wird, damit keine explanatorische Kluft zwischen Meta- und Objektsprache entsteht. Schließlich kann ein Sprachpragmatismus, der seine erkenntnistheoretischen Voraussetzungen und insbesondere die Konstitutivität sprachlicher Zeichen hinsichtlich diskursiver Normen anerkennt, keine ontologische Demarkation zwischen unterschiedlichen Vokabularen treffen. Daher wird das normative Vokabular der Alltagssprache entlehnt, um die implizite Normativität zu explizieren. Ein entsprechendes Vokabular findet Brandom in der modalen Logik, welches sich mit Deskriptionen wie notwendig, hinreichend, möglich, unmöglich und kontingent beschäftigt. Brandoms Gebrauch des modalen Vokabulars orientiert sich an seiner Interpretation von 3 Sprachtheoretische Grundlagen 87 Kants Modalitäten der transzendentalen Logik (cf. Kant 1997: 119): 7 Was notwendig, hinreichend, möglich, unmöglich oder kontingent ist, lässt sich nicht ontologisch bestimmen. Vielmehr geht es um Perspektiven und Gültigkeiten innerhalb von diskursiven Praktiken, die normativ wirksam sind und die sich mithilfe des modalen Vokabulars offenlegen lassen. Brandom gründet seine Interpretation der Modalitäten damit weder auf einer Modallogik im Sinne Saul Kripkes (1981) noch auf einer deontischen Logik im Sinne Georg Henrik von Wrights (1977), denn weder die modale Logik Kripkes noch die deontische Logik Wrights untersuchen Modalität und Normativität auf eine Weise, die sprachlich basiert ist. 8 Ulf Harendarski (2012: 264 f.) erweitert diese Bestimmung des zu verwendenden Metavokabulars, indem er sie nicht nur allgemeinsprachlich (im Sinne einer philosophischen Sprachlogik), sondern einzelsprachlich (im Sinne eines spezifischen Zeichenrepertoires) erklärt. Das Metavokabular ist demnach tatsächlich aus dem jeweiligen Einzelsprachgebrauch zu explizieren und erfüllt damit nicht nur die Kriterien eines Sprachpragmatismus. Harendarski schlägt vor, die verschiedenen Bedeutungs- und Gebrauchsweisen deutscher Modalverben zu nutzen, um die implizite Normativität diskursiver Praktiken zu explizieren. Als entsprechendes Analysewerkzeug kann daher folgendes Verzeichnis der Bedeutung deutscher Modalverben dienen (cf. Zifonun/ Hoffmann/ Strecker 1997: 1910): modale Relation Redehintergrund möglich notwendig epistemisch können, dürfen, mögen müssen, nicht brauchen [sollen, wollen] extrasubjektiv circumstantiell können müssen, nicht brauchen normativ können, dürfen müssen, nicht brauchen sollen teleologisch können, dürfen müssen, nicht brauchen sollen volitiv dürfen sollen [mögen], müssen, nicht brauchen intrasubjektiv circumstantiell können volitiv wollen, mögen/ möchte, müssen 7 Inwiefern Brandoms Kantverständnis angemessen ist, ist ausführlich diskutiert worden (cf. z. B. Beiträge in Barth/ Sturm 2011). Es zeigt sich, dass Brandoms Rezeption sich von der traditionellen Kant-Forschung unterscheidet. Inwiefern Kant tatsächlich als Autorität der Sprachphilosophie Brandoms angesehen werden kann, sei dahingestellt. Dennoch entwickelt er damit ein adäquates Vokabular für die Normativität des sprachlichen Zeichengebrauchs. 8 Auf die von Brandom in seinem späteren Werk (cf. z. B. BSD, WI, AST) eingeführten Differenzierungen im modalen Vokabular (deontisch, normativ, alethisch) sowie dessen Formalisierungen soll hier nicht eingegangen werden. 88 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Die Modalverben in epistemischer Verwendung (einschließlich des Konjunktivs dürfte und der modalen Verwendung von werden) bilden das folgende Feld: epistemisch möglich epistemisch wahrscheinlich (auf einer Skala zwischen notwendig und möglich) epistemisch notwendig vom Sprecher selbst inittierte Inferenzen eher intersubjektiv zugängliche Wissenbasen können, adverbiale Paraphrase: möglicherweise, vielleicht dürfte, adverbiale Paraphrase: vermutlich müssen, adverbiale Paraphrase: sicher, gewiß Wissenbasen weniger intersubjektiven Charakters werden, adverbiale Paraphrase: kontextabhängig von bestimmt bis wohl, vielleicht Einräumung mögen für den Sprecher fremdinitiierte Inferenzen intrasubjektiv wollen extrasubjektiv sollen Tab. 3: Modalverben zur Explikation impliziter Normativität nach Zifonun/ Hoffmann/ Strecker (1997: 1910) Auch wenn die Modalitätsforschung innerhalb der germanistischen Linguistik seither unterschiedliche Gebrauchsweisen von Modalität und modalen Verben untersucht hat (cf. z. B. Baumann 2017, Abraham/ Leiss 2013), reicht eine entsprechende Tabelle für die Explikation impliziter Normativität vollkommen aus. Schließlich soll nicht das entsprechende normative und modale Vokabular der jeweiligen Einzelsprache (Modalverben) untersucht, sondern die Tabelle lediglich als Analyseinstrument genutzt werden, welches aus der jeweiligen Einzelsprache gewonnen wird. Modalverben (aber im Folgenden, so soll sich zeigen, auch intentionale Verben) dienen also im Rahmen des normativen Sprachpragmatismus als theoretisches Vokabular zur Explikation der impliziten Normativität diskursiver Praktiken bzw. können verschiedene soziale und diskursive Normen, die in diesen Praktiken wirksam sind, anzeigen. Die Beschreibung der normativen Pragmatik, die aus den Grundlagen des normativen Pragmatismus, der Beschreibungen der Begriffe der impliziten Normativität, sozialen und diskursiven Normen sowie der Einführung des theoretischen Vokabulars der Modalverben besteht, soll den genuin normativen Aspekt diskursiver Praktiken erfassen. Tatsächlich sind implizite Normativität und soziale bzw. diskursive Normen auch Ausgangspunkt der Analyse und ihnen wird eine konstitutive Kraft in der Emergenz von sprachlichen Handlungen und Performanzen, aber auch semantischen Gehalten attestiert. Daher gelten auch semantische Gehalte von Äußerungen als bestimmte Effekte, die aus spezifischen 3 Sprachtheoretische Grundlagen 89 sozialen und diskursiven Normen in den jeweiligen Praktiken erwachsen. Insofern sollte bei der Analyse semantischer Gehalte, Relationen und Prozesse stets deren Involviertheit in normative Praktiken berücksichtigt werden. 3.2 Inferenzielle Semantik Normative Pragmatik, die sowohl Signifikanz von sprachlichen Handlungen als auch inferenzielle Gehalte erklärt, berührt das Feld der Semantik. Da sich die implizite Normativität sprachlicher Zeichen nicht nur in dynamischen und sozialen Praktiken, sondern auch in unterschiedlichen Normsystemen und -konstellationen manifestiert, muss auch eine die normative Pragmatik komplementierende Semantik entsprechende Dynamik mitbedenken: In diskursiven Praktiken, die sich durch entsprechende Normativität auszeichnen, sind auch die semantischen Relationen und Gehalte stets dynamisch und durch implizite Aushandlungsprozesse mitbestimmt. Diese Prozesshaftigkeit, die innerhalb der Semantik stets (kraft aktualer Inferenzen) konstitutiv wirkt, begründet das Bedeutungsmodell der inferenziellen Semantik (auch Inferenzialismus), welche Bedeutungsgehalte als relationale, dynamische und holistische Konzepte (inferenzielle Relationen) versteht. Eine repräsentationale 1: 1-Zuordnung (aliquid stat pro aliquo) von Ausdruck und Gehalt ist innerhalb einer inferenziellen Semantik kategorial ausgeschlossen, obwohl diese erklären kann, warum sprachliche Zeichen innerhalb von diskursiven Praktiken als spezifischen semantischen Gehalten zugeordnet verstanden werden. Von Inferenzen bzw. inferenziellen Relationen und sprachlichen Zeichen zu sprechen, ist zunächst nichts Neues. Theorien zu Inferenzen gibt es in der Sprachphilosophie bereits vor dem linguistic turn und ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen innerhalb des semantischen Holismus sind vielfach diskutiert worden (cf. hierzu z. B. Bertram/ Lauer/ Liptow/ Seel 2008). Im weiteren Sinne kann sich demnach fast jede Sprachtheorie inferenziell nennen, solange sie Inferenzen als theoretisches Konzept zulässt. Eine inferenzielle Semantik (insbesondere in Bezug auf Robert B. Brandom) im engeren Sinne hingegen spricht inferenziellen Relationen die grundlegende Funktion in sprachlichen Zeichenprozessen zu. Das Interesse am Inferenzialismus ist in den letzten Jahren nicht nur in sprachphilosophischer und -theoretischer Forschung gestiegen (cf. z. B. Beran/ Kolman/ Kore ň 2018, Gurova 2012), sondern findet auch Anwendungen in nicht-sprachlichen Disziplinen (cf. z. B. Canale/ Tuzet 2007, Derry 2017, Klatt 2008, Marshall 2013). In der Sprachwissenschaft findet sich hingegen kaum eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Inferenzialismus (cf. aber Harendarski 2012), obwohl er für aktuelle sprachwissenschaftliche Diskussionen durchaus anschlussfähig ist und auch wahrgenommen wurde (cf. z. B. Deppermann 2002). Im Folgenden sollen die spezifisch semantischen Aspekte sprachlicher und diskursiver Praktiken skizziert werden, indem Brandoms normativer Inferenzialismus vorgestellt wird, welcher die theoretischen Prämissen des normativen Sprachpragmatismus auf semantischer Ebene einzulösen sucht. Mithilfe des theoretischen Konzepts der Expression, welches die inferenziellen Relationen sprachlicher Zeichen zu explizieren sucht, wird das erste inferenzielle Vokabular zur Analyse semantischer Gehalte eingeführt. Mithilfe der 90 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Umstände und Folgen von Äußerungen, die sich mithilfe von Konditionalen rekonstruieren lassen, soll gezeigt werden, wie weitreichend das Konzept der Inferenz bzw. der inferenziellen Relationen im normativen Inferenzialismus ist: Spezifische Inferenzen und inferenzielle Relationen sind im normativen Inferenzialismus nämlich wesentlich an soziale und diskursive Normen der Praktiken gebunden und lassen sich nun unter Rekurs auf diese explizieren. Anschließend kann Brandoms Inferenzialismus von anderen Bedeutungstheorien, die Inferenzen in ihre Analyse semantischer Gehalte inkorporieren, abgegrenzt werden. Dabei folge ich der von Robert Brandom und Jaroslav Peregrin eingeführten Unterscheidung von schwachem Inferenzialismus, starkem Inferenzialismus und Hyperinferenzialismus, um zu zeigen, auf welchen theoretischen Annahmen diese jeweils beruhen, und um dann die Konzepte der Inferenz und der inferenziellen Relation auch im gesamten theoretischen Projekt des normativen Sprachpragmatismus zu verorten. 3.2.1 Konditionalistische Inferenzexplikation Um Inferenzen und ihre inferenziellen Relationen innerhalb von Äußerungen und diskursiven Praktiken ausfindig zu machen, ist Explikation erforderlich, denn Inferenzen und inferenzielle Relationen sind nicht immer an der Text- oder Äußerungsoberfläche nachzuweisen. Sie müssen sowohl von Theoretikern als auch Gesprächs- und Diskursteilnehmern inferiert werden. Brandoms Inferenzialismus nimmt allerdings kein formales Gültigkeitssystem an, welches gute und schlechte Inferenzen sortiert, sondern entwickelt ein eigenständiges Vokabular und Modell, um angemessene inferenzielle Relationen von Äußerungen und Äußerungskomplexen aufzuzeigen. Brandom führt hierzu den Begriff der Expression bzw. der Expressiven Vernunft ein, die auch dessen Hauptwerk in der deutschen Übersetzung (EV) betitelt. Dabei geht es darum, dass “ das paradigmatisch rationale Vorgehen [ … ] von der Möglichkeit abhängt, implizite Festlegungen in der Form von Behauptungen [claims, J. B.] 9 explizit zu machen. Indem man sie auf diese Weise ausdrückt, bringt man sie in das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen als solche ein, die jene besondere Rolle spielen, kraft deren etwas überhaupt einen begrifflichen Gehalt besitzt, nämlich eine inferentielle Rolle, als Prämisse und Konklusion von Inferenzen ” (BB: 81, Hervorh. im Original). Wenn Brandom von Rationalität spricht, dann handelt es sich nicht um eine abstrakte und übergeordnete Rationalität, sondern um diskursspezifische Rationalitäten. Die Inferenzen, die auf dem normativen Sprachgebrauch basieren, sind von diskursiver Praktik zu Praktik unterschiedlich. Rationalitäten folgen unterschiedlichen Geltungsansprüchen und Normen, wobei sich diese teilweise überlagern und teilweise inkompatibel miteinander sind. Das Konzept der expressiven Vernunft ermöglicht es nun, dass die entsprechenden Inferenzen offengelegt werden können. Dazu ist ein inferenzielles Vokabular erforderlich, 9 Im amerikanischen Originaltext heißt es “ possibility of making implicit commitment explicit in form of claims ” (AR: 57). “ Claims ” mit “ Behauptungen ” zu übersetzen ist hier jedoch insofern irreführend, als dass das Konzept der Behauptung bei Brandom sich von Ansprüchen dieser unterscheidet: Während Behauptungen sprachliche Handlungen sind, sind Ansprüche eine Funktion, die diese sprachlichen Handlungen übernehmen können. 3 Sprachtheoretische Grundlagen 91 um die inferenziellen Gehalte der Inferenzen analysieren zu können. Hierzu führt Brandom die Ausdrücke der festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen ein, die erklären, wie sich Äußerungen in ihren bedeutungs- und handlungskonstitutiven Funktionsrelationen verhalten. Das logische Vokabular der inferenziellen Relationen komplementiert nicht nur das theoretische Vokabular zur Explikation impliziter Normativität, sondern stellt der normativen Pragmatik zugleich eine Bedeutungsdimension zur Seite, die von der impliziten Normativität der sozialen und diskursiven Normen motiviert wird. Das logische Vokabular der inferenziellen Relationen etabliert drei wesentliche inferenzielle Rollen, die die Bedeutungsdimension innerhalb von diskursiven Praktiken konstituiert: (1) Georg ist Tischler. (2) Georg ist berufstätig. (3) Georg ist bodenständig. (4) Georg ist arbeitslos. Der semantische Gehalt der Äußerung (1) lässt sich mithilfe seiner inferenziellen Relationen zu (2), (3) und (4) analysieren. Allerdings unterscheiden sich die inferenziellen Relationen in ihrer logischen Struktur. Die inferenzielle Relation zwischen (1) und (2) ist eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation, denn kraft der diskursiven Normen impliziert die Äußerung von (1) den semantischen Gehalt von (2). Das Verhältnis von (1) zu (2) ist eher deduktiv motiviert. Die Relation zwischen (1) und (3) hingegen beruht nicht auf einem Implikationsverhältnis. Nicht jeder Tischler ist (unter den spezifischen Normen) notwendigerweise bodenständig. Dennoch ist es eine naheliegende Möglichkeit, die das Verhältnis zwischen (1) und (3) auszeichnet, sodass die Relation auf Assoziations- oder Implikaturverhältnissen beruht, die induktiv sind und die Brandom berechtigungserhaltende inferenzielle Relationen nennt. Die Äußerung von (1) schließt allerdings die Äußerung von (4) aus, weil der semantische Gehalt von (1) in einer inkompatiblen inferenziellen Relation zum semantischen Gehalt von (4) steht. Im Rahmen von diskursiven Praktiken ist es daher nicht möglich, dass sich Interlokutoren sowohl auf (1) als auch auf (4) festlegen, da die Inkompatibilitätsrelation zwischen (1) und (4) ausschließt, sich sowohl auf (1) als auch auf (4) festzulegen. Bei entsprechender Tilgung eines der semantischen Gehalte (bezüglich des Referenzobjektes, hier: Georg) kann die festlegungserhaltende inferenzielle Relation wieder ermöglicht werden. Auch wenn bei Brandom der propositionale Gehalt die zentrale Position der inferenziellen Gliederung einnimmt, werden damit nicht nur sentenziale, sondern auch intersentenziale Gehalte (Text und Diskurs) untersucht. Denn der relevante Gehalt propositionaler Strukturen ergibt sich stets aus dessen Bezug zu anderen propositionalen Gehalten. Daher geht es bei der Analyse der sentenzialen semantischen Gehalte auch um Folgerelationen, die Äußerungen und semantische Gehalte zu anderen Äußerungen und semantischen Gehalten eingehen. Dabei wird zudem darauf geachtet, welche lexikalischen Einheiten, aber auch pragmatischen Elemente die sentenziale Äußerungsstruktur beeinflussen und konstituieren, sodass 92 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen subsentenziale inferenzielle Rollen ebenfalls als Analysekategorie zur Bedeutungs- und Sprachhandlungskonstitution herangezogen werden (cf. Kapitel 11). Die formale Darstellung der inferenziellen Relation mithilfe des logischen Vokabulars kann über die sequenzielle Dimension inferenzieller Prozesse hinwegtäuschen. Tatsächlich muss auch dieser Aspekt bei der Analyse inferenzieller Prozesse berücksichtigt werden. Um die temporale Dimension der inferenziellen Relationen zu betonen, verweist Brandom auf die Konditionalität inferenzieller Prozesse, da das Konditional “ inferentielle Festlegungen als die Gehalte von Urteilen explizit ” (BB: 85) macht. Ein Konditional gehört damit nicht nur zum logischen Vokabular der Inferenzexplikation, sondern verweist in seiner Folgebeziehung auch auf einen temporalen Aspekt diskursiver Praktiken. Die propositionalen Gehalte und die entsprechenden Äußerungen sind nicht nur als logisches Konditional sortiert, sondern werden als Äußerungen kraft ihrer temporalen Bezüglichkeit in ein sequenzielles Muster geordnet: Eine Äußerung, die sich ereignet hat, ist damit nicht nur relevant für die jetzige diskursive Praxis, sondern ist ihrerseits eine Konsequenz vorheriger diskursiver Praktiken. Das Konditional nimmt damit eine besondere Rolle im logischen Vokabular ein, sodass sich die inferenzielle Semantik Brandoms auch als konditionalistisch bezeichnen lässt (cf. Rescher 2001: 9). Dieser Konditionalismus, welcher semantische Gehalte in sequenziellen Prozessen untersucht, lässt sich mithilfe zweier theoretischer Begriffe spezifizieren, die beide eine ebenbürtige Funktion bei der Analyse der semantischen Gehalte und des Gebrauchs des sprachlichen Ausdrucks haben: “ die Umstände, unter denen er in richtiger Weise angewendet, geäußert oder gebraucht wird, und die angemessenen Folgen seiner Anwendung, seiner Äußerung oder seines Gebrauchs ” (BB: 87). Sowohl die Umstände als auch die Folgen des Gebrauchs eines sprachlichen Zeichens sichern damit den Übergang zur normativen Pragmatik bzw. etablieren die diskursive Signifikanz von Äußerungen. Formal lässt sich der Zusammenhang von Umständen und Folgen derart demonstrieren, dass das Konditional p → q danach befragt wird, inwiefern und unter welchen Umständen p auftritt und welche inferenziellen Folgen sich aus der Anwendung von p ergeben. Wichtig ist, dass dabei nicht nur die Umstände des Ereignisses von p befragt werden, sondern zugleich die Folge der Äußerung des propositionalen Gehalts p, um das Beherrschen eines Begriffs nicht als “ Anknipsen eines cartesianischen Lichts ” (BB: 89) zu verstehen. Den angemessenen Gebrauch sprachlicher Zeichen, also deren Umstände und Folgen, demonstriert Brandom am Beispiel des Ausdrucks Boche (diffamierender Ausdruck für “ Deutsche ” ). Er borgt sich dieses Beispiel von Michael Dummett, der schreibt: The distinction is thus meant as no more than a rough and ready one, whose application, in a given vase, will depend in part on how we choose to slice things up. It remains, nevertheless, a distinction of great importance, which is crucial to many forms of linguistic change, of the kind we should characterize as involving the rejection or revision of concepts. Such change is motivated by the desire to attain or preserve a harmony between the two aspects of an expression's meaning. A simple case would be that of a pejorative term, e. g. ‘ Boche ’ . The condition for applying the term to someone is that he is of German nationality; the consequences of its application are that he is barbarous and more prone to cruelty than other Europeans. We should envisage the connections in both directions as sufficiently tight as to be involved in the very meaning of the word; neither could be severed without altering its meaning. Someone who rejects the word does so because he does not 3 Sprachtheoretische Grundlagen 93 want to permit a transition from the grounds for applying the term to the consequences of doing so. The addition of the term ‘ Boche ’ to a language which did not previously contain it would be to produce a non-conservative extension, i. e. one in which certain statements which did not contain the term were inferable from other statements not containing it which were not previously inferable. (1981: 454) Was für den Ausdruck “ Boche ” gilt, gilt für jedes sprachliche Zeichen in einem spezifischen normativen Sinne. “ Boche ” angemessen anzuwenden bedeutet, dass er in der angemessenen Situation und auf die angemessene Person zutrifft und dass die Folgen, also inferenziellen Relationen, die mit dem Ausdruck einhergehen, anerkannt werden. Wer diese inferenziellen Relationen nicht eingehen will, der muss schlichtweg darauf verzichten, diesen Ausdruck zu verwenden. Wer hingegen den Ausdruck “ Boche ” verwendet, aber gleichzeitig bestreitet, dass es eine Beleidigung ist, beherrscht weder semantischen Gehalt noch diskursive Signifikanz des Ausdrucks, weil er die inkompatible inferenzielle Relation zwischen den semantischen Gehalten nicht erkennt. Das konditionalistische Vokabular der Inferenzexplikation dient nun dazu, dass Umstände und Folgen (normative Strukturierung der inferenziellen Gliederung) erfasst werden können. Brandoms Inferenzialismus bietet also die Möglichkeit, die dynamischen semantischen Gehalte auf unterschiedlichen Ebenen mithilfe unterschiedlicher inferenzieller Relationen zu untersuchen. Unterschiedliche Äußerungen werden demnach nach ihren unterschiedlichen inferenziellen Rollen, die sich in Umständen und Folgen manifestieren, befragt. Dabei ist sowohl eine stetige Hinwendung an die implizite Normativität der Sprache, ihre Gebrauchsnormen, -konventionen und -regeln notwendig, als auch ein Metavokabular, mit dessen Hilfe die materialen Inferenzen diskursiver Praktiken analysiert werden können, ohne anzunehmen, dass diskursive Praktiken diesem logischen Vokabular tatsächlich im engeren Sinne folgen. 3.2.2 Normativer Inferenzialismus Von den unterschiedlichen Inferenzialismen (für eine Übersicht cf. z. B. Murzi/ Steinberger 2017: 198 f.) ist es der normative Inferenzialismus, welcher die diskursspezifischen und -sensiblen Eigenschaften sprachlicher Praktiken im Rahmen inferenzieller Relationen darzustellen vermag. Deshalb bietet sich auch Brandoms inferenzielle Semantik als Komplement zur normativen Pragmatik an. Brandom geht davon aus, dass etwas, um semantischen Gehalt zu haben, inferenziell gegliedert sein muss. Entgegen der repräsentationalistischen Tradition, die über Zuordnungsprozesse von Signifikant und Signifikat bzw. Sachverhalt semantische Repräsentationen erklärt, bekräftigt er, dass inferenzielle Relationen der Repräsentation vorzuordnen sind: “ Zustände und Handlungen erhalten dadurch Gehalt, daß sie - als Prämissen und Konklusionen - in Folgerungen, in Inferenzen eingebunden sind ” (BB: 68). Die entsprechende explanatorische Position erfordert es daher, dass semantische Gehalte von sinnlichen Gehalten unterschieden werden können. Um einen Begriff vom Ausdruck “ rot ” zu haben, müssen entsprechende Inferenzen an diesen semantischen Gehalt angegliedert sein (z. B. “ farbig ” , “ nicht blau ” etc.). Zwar können nicht-diskursive Wesen auf Reize der Röte reagieren, aber verfügen deshalb noch nicht über (diskursive) Repräsentationen des begrifflichen Gehalts. Weder Papageien noch andere Tiere oder Apparaturen und 94 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Maschinen können über den entsprechenden Begriff verfügen, weil sie nicht über die sinnlichen bzw. computationalen Eindrücke hinweg richtige oder falsche Inferenzen ziehen können. 10 Mit einem explanatorischen Vorrang des Begriffs der Inferenz wird der Begriff der Repräsentation aber nicht verworfen. Allein, Repräsentationen müssen inferenziell gegliedert sein, um überhaupt als Repräsentationen zu gelten. Das, was entsprechende Gehalte nun repräsentiert, wird damit nicht über sinnliche oder referenzielle Zuordnungsprozesse, sondern über die inferenziellen Rollen entschieden, die zur Repräsentation beitragen. Dass sich semantische Gehalte durch ihre inferenziellen Relationen bzw. Rollen bestimmen, heißt nicht, dass andere Gehalte in Brandoms inferenzieller Semantik unberücksichtigt bleiben. Tatsächlich spielen nicht-inferenzielle Berichte bzw. sogenannte Sprachein- und ausgänge (auch Wahrnehmungen und Handlungen) eine wesentliche Rolle, die allerdings innerhalb diskursiver Praktiken selbst als inferenziell gegliedert gelten müssen: Um einen begrifflichen Gehalt zu besitzen, muß eine Reaktion schlicht die Rolle in dem inferentiellen Spiel des Aufstellens von Behauptungen, des Gebens und Verlangens von Gründen spielen. Einen solchen Begriff zu begreifen oder zu verstehen heißt, die Inferenzen, in die er verwickelt ist, praktisch zu beherrschen - zu wissen, d. h. praktisch unterscheiden zu können (und das ist ein Wissen-wie), was aus der Anwendbarkeit eines Begriffs folgt und woraus diese Anwendbarkeit ihrerseits folgt. (BB: 71) Aus dieser grundlegenden Annahme folgen für den normativen Inferenzialismus zwei Konsequenzen (cf. BB: 71 f.): Um einen Begriff zu verstehen und anwenden zu können, müssen mehrere (ebenfalls inferenziell gegliederte) Begriffe verstanden und angewandt werden können (Holismus) und auch nicht-inferenzielle Berichte sowie Handlungen müssen als Prämissen und Konklusionen in inferenzielle Relationen implementiert werden können. Erkennt man den Vorrang der Inferenz sowohl bezüglich Repräsentationen als auch nicht-inferenziellen Berichten und Handlungen an, dann muss die Signifikanz inferenzieller Relationen spezifiziert werden. Wenn sich semantische Gehalte durch ihre inferenziellen Relationen bestimmen lassen, diese aber selbst wieder inferenziell gegliedert sind, steht der normative Inferenzialismus im Verdacht, in einen infiniten Regress zu geraten. Demnach wären semantische Gehalte nicht nur von Interlokutor zu Interlokutor unterschiedlich, sondern es wäre niemals abschließend zu klären, welchen semantischen Gehalt sprachliche Zeichen in den spezifischen diskursiven Praktiken hätten. In Bezug auf Gottlob Freges Begriffsschrift (1993 a: 2 f.) macht Brandom (BB: 74) allerdings klar: “ Zwei Behauptungen haben den gleichen begrifflichen Gehalt dann und nur dann, wenn sie die gleiche inferentielle Rolle spielen ” . Nach diesem regulativen Prinzip ist es also nicht nur möglich, dass semantische Gehalte die gleiche Bedeutung haben, sondern sind die spezifischen Gehalte auch an die normative Pragmatik gekoppelt. Erst wenn die sprachlichen Zeichen die gleiche Rolle spielen, also auf die gleiche Weise angewandt werden, 10 Insofern unterscheidet sich der sozial-normative Inferenzbegriff von anderen Inferenzbegriffen. Brandoms Inferenzbegriff gilt tatsächlich nur für diskursive Wesen, sodass andere Kognitionsmodelle (cf. z. B. Tomasello/ Call 1997), die auch für andere Lebewesen, die über komplexe kognitive Prozesse verfügen (z. B. Primaten oder Rabenvögel), gültig sind, nicht in Konkurrenz zum Inferenzbegriff Brandoms stehen. 3 Sprachtheoretische Grundlagen 95 erhalten sie den gleichen semantischen Gehalt. Wenn zwei Äußerungen innerhalb eines Sprachspiels die gleichen semantischen Gehalte oder diskursiven Signifikanzen haben, dann haben sie auch dieselben inferenziellen Relationen. Wenn Brandom von Inferenzen spricht, dann meint er also weder formale noch logische Inferenzen (im engeren Sinne). Vielmehr geht es um materiale Inferenzen, “ deren Korrektheit die begrifflichen Gehalte ihrer Prämissen und Konklusionen bestimmen ” (BB: 76). Brandom weist darauf hin, dass das Verstehen von materialen Inferenzen “ ganz unabhängig von irgendeiner spezifisch logischen Kompetenz ” (ebd.) möglich ist. Materiale Inferenzen konstituieren sich als sprachliche Zeichen innerhalb von diskursiven Praktiken und können daher nicht auf formallogische Inferenzen reduziert werden. Vielmehr sind formallogische Inferenzen selbst eine Form materialer Inferenzen (cf. BB: 79). Materiale Inferenzen leiten alle Handlungen, nicht nur formallogische. Deshalb sind formallogische Fehlschlüsse im Rahmen einer Sprachtheorie, die sich auf materiale Inferenzen stützt, nicht nur erwartbar, sondern werden als gültige Inferenzen konzeptualisiert, die Indizien für inferenzielle Relationen sein können. Da formallogische Inferenzen selbst den material richtigen Inferenzen untergeordnet werden, sind auch diese diskursspezifisch: In formallogischen Kontexten ist es schlichtweg angemessen, formallogische Inferenzen zu ziehen. Für Brandoms Inferenzialismus sind unlogische Inferenzen in experimentellen Settings (cf. z. B. Kahnemann 2012, Mercier/ Sperber 2017) damit auch keine Überraschung, weil kognitive und sprachliche Prozesse nicht auf formallogischen Schlüssen, sondern auf materialen Inferenzen beruhen, die von Normen diskursiver Praktiken motiviert werden. Was eine material gute Inferenz ist, lässt sich nicht anhand eines formallogischen Systems bestimmen. Zusammenfassend lässt sich der normative Inferenzialismus als ein spezifischer Inferenzialismus beschreiben, welcher die Irreduzibilität von semantischen Gehalten und Performanzen einerseits und diskursiven und sozialen Normen andererseits annimmt und dabei stets die Einbettung von Inferenzen in die entsprechenden Normen zu erklären sucht. 3.2.3 Schwacher Inferenzialismus, starker Inferenzialismus und Hyperinferenzialismus Die Tatsache, dass Inferenzen die grundlegende Funktion in Brandoms Inferenzialismus übernehmen, ist erklärungsbedürftig. Vergleichbar mit der Darstellung der konstitutiven Bedingungen des normativen Sprachpragmatismus muss sich auch eine inferenzielle Semantik von anderen Bedeutungstheorien unterscheiden lassen, indem das theoretische Vokabular erklärt und somit von anderen bedeutungsähnlichen Ausdrücken abgegrenzt wird. Insbesondere drei Themen zeigen dabei auf, inwiefern sich die Grundannahmen der inferenziellen Semantik von anderen Semantiken unterscheiden: die Hierarchie von repräsentationaler und inferenzieller Relation, das Verhältnis von Normativität und Kausalität sowie der Aspekt der Kompositionalität. Unterschiedliche Bedeutungstheorien lassen sich je nach Involviertheit und Konstitutivität der Inferenzen untersuchen, sodass eine Unterscheidung zwischen schwachem Inferenzialismus, starkem Inferenzialismus und Hyperinferenzialismus eingeführt werden kann (cf. BB: 44 f., Peregrin 2014: 6 f.). 96 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Schwache inferenzialistische Ansätze gehen wie die Semantik konzeptueller Rollen (conceptual role semantics) davon aus, dass inferenzielle Relationen zwischen begrifflichen Gehalten notwendig sind, um die untersuchten begrifflichen Gehalte zu bestimmen. Sprachliche Zeichen zeichnen sich demnach durch spezifische semantische Gehalte aus und können je nach Kontext und Gebrauchssituation durch andere semantische Gehalte ergänzt werden. (Mehr oder weniger) beständige Lexeme werden also durch periphere semantische Gehalte angereichert. Daher gelten nicht nur Semantiken konzeptueller Rollen, sondern auch viele kognitive und gebrauchsorientierte Semantiken als schwache Inferenzialismen. Insbesondere letztere haben im Anschluss an H. P. Grice (1989) die Unterscheidung zwischen lexikalischer Bedeutung und pragmatischen Anreicherungen (what is said/ what is implicated) zu ihrer konstitutiven Bedingung gemacht (für einen Überblick cf. z. B. Liedtke 2016). Der starke Inferenzialismus hingegen, der auch in dieser Arbeit vertreten wird, erklärt, dass inferenzielle Relationen für die Analyse begrifflicher Gehalte nicht nur notwendig sind, sondern explanatorisch hinreichen. Das Verhältnis zwischen lexikalischer Bedeutung und pragmatischer Anreicherung verschiebt sich strukturell: Kraft der inferenziellen Relationen haben sprachliche Zeichen lexikalische Bedeutung. Damit wird Inferenzen der explanatorische Vorrang gegenüber repräsentationalen semantischen Gehalten eingeräumt. Anstatt also von einem semantischen Gehalt auszugehen, der bereits vor der Sprachanalyse lexikalisch bestimmt ist, untersucht der starke Inferenzialismus alle (möglichen) Gehalte, zu denen das zu untersuchende sprachliche Zeichen in inferenziellen Relationen steht, wobei die inferenziellen Relationen erklären, welche Inferenzen sich tatsächlich ereignen können. Zugleich werden die inferenziellen Relationen innerhalb der diskursiven Praxis untersucht, sodass sprachliche Zeichen in unterschiedlichen Normsystemen und -konstellationen auch unterschiedliche inferenzielle Relationen eingehen können, die sich in unterschiedlichen semantischen Gehalten äußern. Eine entsprechende Annahme, die den inferenziellen Relationen die grundlegende explanatorische Funktion innerhalb von diskursiven Praktiken zuweist, ist nicht nur begründungsbedürftig, sondern muss sich gegenüber einem Hyperinferenzialismus abgrenzen. Hyperinferenzielle Ansätze, zu denen z. B. einige poststrukturalistische Sprach- und Zeichentheorien zählen können ( “ frei flottierende Signifikanten ” ), vertreten einen Inferenzbegriff, der keine nicht-inferenziellen bzw. nicht-diskursiven Gehalte und Strukturen zulässt. Demnach gibt es keine nicht-inferenziellen Entitäten, die eine Rolle in diskursiven Praktiken spielen (z. B. Wahrnehmungen, Tätigkeiten etc.). Der starke Inferenzialismus unterscheidet sich hier von Hyperinferenzialismen, denn er geht davon aus, dass es zwar nicht-inferenzielle Relationen gibt, dass diese aber trotzdem inferenziell gegliedert sein müssen, um sozial-kommunikativ und diskursiv relevant zu werden. Das Verhältnis von inferenziellen und nicht-inferenziellen Relationen thematisiert die grundlegende Beziehung zwischen diskursiver Normativität und Kausalität im Inferenzialismus. Wenn semantische Gehalte durch inferenzielle Relationen bestimmt sind, die innerhalb diskursiver Praktiken konstituiert werden, dann lassen sich inferenzielle Relationen und die entsprechenden semantischen Gehalte nur in Bezug auf die implizite Normativität dieser Praktiken nachvollziehen. Die Analyse inferenzieller Relationen muss die Dimension der impliziten Normativität also stets mitbedenken. 3 Sprachtheoretische Grundlagen 97 Der hier vertretende normative Inferenzialismus geht von einer genuinen Normativität sprachlicher Praxis aus, die sich in inferenziellen Relationen zeigt. Nicht jeder Inferenzialismus teilt die Ansicht, dass die inferenziellen Relationen der Semantik von der impliziten Normativität der Pragmatik abhängig sind. Insbesondere Semantiken konzeptueller Rollen, teils mit computationalem Hintergrund, gehen davon aus, dass die Relationen zwischen semantischen Gehalten kausal zu erklären seien (cf. z. B. Fodor 1990, Harman 1987, für eine Debatte zwischen normativen und kausalistischen Ansätzen cf. Zangwill 2005). Eine inferenzielle Semantik hingegen, die von einer normativen Pragmatik ausgeht, flexibilisiert und dynamisiert die Bedeutungsprozesse. Innerhalb diskursiver Praktiken werden semantische Gehalte ebenso wie die implizite Normativität stets zwischen den Interlokutoren ausgehandelt. Dies gilt nicht nur für lexikalische Bedeutung, sondern auch für semantische Folgerelationen. Unter unterschiedlichen sozial-kommunikativen und diskursiven Bedingungen können dann auch unterschiedliche semantische Gehalte unterschiedliche Konsequenzen haben. Ein normativer Inferenzialismus lehnt Kausalität als Konzept weder ab noch zweifelt er an Ursache-Wirkungsrelationen und Naturgesetzen. Er beruht allerdings auf der Annahme, dass die sozial-diskursive Konstitution von Kausalität einer normativ-inferenziellen Gliederung unterworfen ist: Etwas als kausal zu behandeln, ist nach dem normativen Inferenzialismus selbst eine normative Einstellung. Dass etwas kausal funktioniert, können vermutlich nur diskursive Wesen beurteilen. Das Verhältnis von Normativität, Kausalität und Inferenz führt direkt zur Frage der Repräsentation. Repräsentationalistische und auch schwache inferenzialistische Ansätze orientieren sich in der Erklärung der theoretischen Sachverhalte an der Repräsentation, also dem Verhältnis zwischen Zeichen und Sachverhalt bzw. Objekt, um anschließend aus diesem Verhältnis inferenzielle Relationen explizieren zu können. Der starke Inferenzialismus hingegen kehrt die Erklärungsstrategie auf gewisse Weise um: Damit ein (sprachliches) Zeichen etwas repräsentieren kann, muss es in inferenziellen Relationen stehen, welche nicht nur diskursiv konstituierend wirken, sondern zugleich handlungs- und kommunikationsleitende Funktionen für die Interlokutoren haben: Über einen begrifflichen, kognitiven, semantischen oder propositionalen Gehalt zu verfügen, heißt, unter den gegebenen impliziten Normen der diskursiven Praxis über angemessene Inferenzen zu verfügen, was sich am folgenden Beispiel zeigt: (5) Fische sind aquatisch. (6) Fische haben Kiemen. Sprach- und Zeichentheorien, die der Repräsentation den explanatorischen Vorrang einräumen, sehen im Verhältnis zwischen dem Zeichen und Sachverhalt von (5) eine hinreichende Bedingung zur Analyse des semantischen bzw. propositionalen Gehalts ( “ Fische sind aquatisch [als semantischer Gehalt], weil Fische aquatisch sind [als Objekte der Wirklichkeit]. ” ). Schwache Inferenzialismen hingegen erkennen eine inferenzielle Relation wie (6) als mögliche semantische Explikation des repräsentierten Gehalts an, aber verstehen (5) als weiterhin hinreichend für die Explanation des Gehalts ( “ Fische sind aquatisch [als semantischer Gehalt], weil Fische aquatisch sind [als Objekte der Wirklichkeit] und diese Tatsache kann durch “ Fische haben Kiemen ” [als Sachverhaltsdeskription] analysiert werden. ” ). 98 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Starke Inferenzialismen analysieren weder in (5) noch in (6) einen repräsentationalen Gehalt, sondern diese in ihrer inferenziellen Relation zueinander, sodass (5) nur etwas repräsentiert, weil es in inferenzieller Relation zu (6) steht. Eine Zeichenemission von (5) (mit entsprechendem Sachverhalt) ist demnach noch kein hinreichender Beleg, dass (6) etwas repräsentiert. Erst wenn die inferenzielle Gliederung von (5) zu (6) gültig wird, kann von Repräsentation gesprochen werden. Der normative Inferenzialismus ergänzt zudem, dass die inferenzielle Relation zwischen (5) und (6) diskursspezifisch ist, sodass (6) nicht innerhalb jeder diskursiven Praxis als semantischer Gehalt von (5) gelten muss. Die Darstellung vom schwachen Inferenzialismus, starken Inferenzialismus und Hyperinferenzialismus zeigt also, dass unter dem Begriff der Inferenz zwar ähnliche Konzepte verstanden werden, diese aber bei der Bedeutungskonstitution in diskursiven Praktiken eine unterschiedliche Funktion einnehmen. Wenn im Folgenden Inferenzen und inferenzielle Relationen beschrieben und modelliert werden, dann folgt die Deskription den Annahmen des starken Inferenzialismus. 3.3 Normative Pragmatik und inferenzielle Semantik - Kritik und Konnexion Brandoms normativer Inferenzialismus erfährt Widerspruch von unterschiedlichen Seiten. Einige dieser Einwände sollen im Folgenden vorgetragen werden, nicht nur, um sich gegenüber etwaiger Kritik abzusichern, sondern insbesondere, um die theoretischen Konsequenzen der hier vorgetragenen Grundlagen des normativen Sprachpragmatismus noch einmal zu konkretisieren. Insofern dient das vorliegende Kapitel der Explikation der Theorie im Verhältnis zu anderen linguistischen Theorien, aber auch als eine Skizze der Verbindung von normativer Pragmatik und inferenzieller Semantik. Ein Einwand, der gegen den normativen Inferenzialismus immer wieder vorgebracht wird, ist, dass er nicht kompositional sei und zirkulär argumentiere. Diese Einwände erweisen sich allerdings als gegenstandslos, wenn das Verhältnis zwischen normativer Pragmatik und inferenzieller Semantik expliziert wird. Argumente gegen die Kompositionalität und für die Zirkularität des Inferenzialismus kommen insbesondere vonseiten eines Modularismus. Jerry Fodor und Ernest Lepore (cf. 2001, 2010) werfen nicht nur Brandom, sondern auch anderen inferenziellen Theorien vor, zirkulär zu argumentieren. Wenn, so das Verständnis von Fodor und Lepore, inferenzielle Gehalte durch andere inferenzielle Gehalte bestimmt wären, dann könnte nicht für spezifische inferenzielle Gehalte selbst argumentiert werden. Wenn untersucht werden soll, welche inferenziellen Relationen den inferenziellen Gehalt bestimmen, dann müssten wiederum die inferenziellen Gehalte der Relata des zu untersuchenden inferenziellen Gehalts bestimmt werden. Diese seien aber bereits durch den zu untersuchenden inferenziellen Gehalt bestimmt. Fodor und Lepore übersehen dabei die hierarchische Orientierung inferenzieller Semantik im Inferenzialismus. Inferenzielle Relationen bestimmen sich nicht ausschließlich durch andere inferenzielle Relationen - das wäre ein kausalistisches Verständnis - , sondern Inferenzen werden durch implizite Normen diskursiver Praktiken organisiert, die inferenziellen Relationen übergeordnet sind. Damit ist auch nicht jede Inferenz notwendig, um den inferenziellen Gehalt bestimmen zu können, sondern es sind lediglich jene relevant, die eine diskursive Funktion innerhalb der untersuchten Praktiken haben. Es gibt also ein 3 Sprachtheoretische Grundlagen 99 hierarchisches Verhältnis zwischen den erklärenden Normen und den zu erklärenden semantischen Gehalten und diskursiven Signifikanzen. Neben dem Einwand der Zirkularität lässt sich auch der Einwand gegen die fehlende Kompositionalität des Inferenzialismus nicht aufrechterhalten. Auch wenn semantische Gehalte über inferenzielle Relation konstitutiv miteinander verbunden sind, bedeutet dies nicht, dass Zeichen nicht auch kompositional sind. Ganz im Gegenteil ist der Inferenzialismus genuin durch diese konstitutiven Kompositionalitätsbedingungen über, auf und unterhalb der Äußerungsebene bestimmt. Kompositionalität von inferenziellen Gehalten ist, so Jaroslav Peregrin, “ not direct their modus existendi, then clearly their modus individuandi. They are contributions that individual expressions bring to the inferential potentials of the sentences in which they occur; and it is only the principle of compositionality that makes it possible to individuate such contributions. ” (2014: 61, Hervorh. im Original) Für den Inferenzialismus ist Kompositionalität “ just trivial ” (ebd.). Kompositionalitäts- und Kontextprinzip (cf. Frege 1884: 71, 2008 a) werden im Inferenzialismus nicht nur prinzipiell angenommen, sondern mithilfe des theoretischen Vokabulars zur Explikation impliziter Normativität als auch des konditionalistischen Vokabulars zur Inferenzexplikation modelliert, sodass sich Effekte dieser Prinzipien bei jeder Äußerungsanalyse zeigen. So können z. B. Behauptungen, die im normativen Inferenzialismus die grundlegende Zeicheneinheit darstellen, in subsentenzialen Einheiten untergliedert werden, welche zur Konstitution der gesamten Einheit beitragen (cf. Kapitel 14.1). Auch Wolfram Hinzens Einwand (2001: 165), dass Brandom beide Erklärungsreihenfolgen (von Semantik zu Pragmatik und von Pragmatik zu Semantik) verfolge und damit zirkulär argumentiere, verkennt den ereignis- und zeitsequenziellen Aspekt der Zeichenprozesse von normativer Pragmatik und inferenzieller Semantik. Die Idee des Inferenzialismus ist, dass “ language involves practical mastering of a certain cluster of unwritten rules, which remain implicit to the practices as passed down from generation to generation ” (Peregrin 2009: 155, Hervorh. im Original). Normative Pragmatik und inferenzielle Semantik enthalten also ein zeitliches, bisweilen historisches Moment. Normative Pragmatik beeinflusst inferenzielle Semantik und vice versa, aber diese Bedingung gilt bzw. wirkt nie gleichzeitig, sondern sequenziell. Inferenzielle Gehalte können als implizite Normen für weitere inferenzielle Gehalte dienen, sodass etwas, was inferenzieller Gehalt ist, künftig diskursive Signifikanz haben kann. Jetzige diskursive Normen können selbst in inferenzielle Bedeutungs-, Handlungs- und Kommunikationsrelationen eingebettet gewesen sein. Andersherum können auch soziale und diskursive Normen selbst wieder (metasprachlich) expliziert und als inferenzielle Gehalte in Schlussprozesse eingebunden werden. Eben diese Signifikanz sprachlicher Zeichen betont Brandom, wenn er (eher pragmatische) Handlungsumstände und (eher temporal-semantische) Handlungsfolgen gleichberechtigt behandelt. Das Wechselspiel zwischen Semantik und Pragmatik ist damit eher eine dynamische Oszillation als eine statische Erklärungsreihenfolge. Zusammenfassend lassen sich normative Pragmatik und inferenzielle Semantik als komplementäre Heuristiken darstellen, die die verschiedenen Aspekte diskursiver Praktiken zu erklären suchen. Dabei ist das explanatorische wie theoretische Verhältnis eindeutig: Semantische Gehalte, die auf inferenziellen Relationen beruhen, bedienen sich der diskursiven Signifikanzen, die die normative Pragmatik analysiert, wobei dies 100 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen impliziert, dass semantische Gehalte in Folgepraktiken als diskursive Signifikanzen auftreten können. Die Darstellungen des normativen Sprachpragmatismus, welcher sich in normative Pragmatik und inferenzielle Semantik gliedert, dienen im Folgenden als sprachtheoretische Grundlagen zur Analyse diskursiver Praktiken. Insbesondere, wenn diskursive Signifikanzen und inferenzielle Relationen beschrieben werden sollen, dienen die hier formulierten theoretischen Annahmen stets als implizite Begründung der gewählten Erklärungsreihenfolge. Dies betrifft insbesondere (1) das Konzept der diskursiven Intentionalität, welches zwar als intentionale Relation mit semantischen Gehalten modelliert wird, aber auf der konstitutiven Kraft diskursiver Normen beruht und sich damit auch in der semiotischen und linguistischen Analyse intentionaler Verben niederschlägt. Semantische Gehalte, die sich aus der konstituierten intentionalen Relation ergeben, sollten dann als aus der diskursiven Signifikanz des Verbs abgeleitet begriffen werden (cf. Kapitel 12). (2) Die Modellierung und Analyse der Semiose der Behauptung sowie anderer sprachlicher Handlungen ergibt sich aus pragmatischen Signifikanzen, aus denen ggf. auch semantische bzw. propositionale Gehalte folgen. Auch hier geht es zunächst um die konventionelle bzw. normgebundene Handlungskraft von Äußerungen und erst anschließend um etwaige semantische bzw. propositionale Gehalte dieser (cf. Kapitel 14). (3) Aus diskursiven Rollen, welche diskursive Signifikanzen aufweisen, können semantische Rollen (und damit Gehalte) folgen, aber zunächst steht dort die Betrachtung der möglichen Handlungskraft im Mittelpunkt (cf. Kapitel 12 und 14). Insofern sind diskursive und semantische Rollen an verschiedenen Punkten der Pragmatik-Semantik-Schnittstelle des normativen Sprachpragmatismus zu verorten. Sie erklären unterschiedliche Aspekte der konstitutiven Kraft sprachlicher Zeichen. 3 Sprachtheoretische Grundlagen 101 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus - Theorievergleich und reziproke Integration Abstract: In this chapter, the theories of Charles S. Peirce and Robert B. Brandom are compared and placed in a theoretical relationship for pragmatics. Even though both thinkers refer to the tradition of pragmatism, they differ in some relevant theoretical aspects. The comparison of these theories focuses on the respective understanding of pragmatism, inferences, conditional relations, the social-normative dimension of discursive practices and the phenomenological or categorial basic structure. The comparison shows that the two approaches can benefit from each other within the framework of pragmatics by assuming both an elaborated concept of signs and an irreducible socialnormative dimension of discursive practices. Zusammenfassung: In diesem Kapitel werden die Theorien Charles S. Peirces und Robert B. Brandoms miteinander verglichen und in ein theoretisches Verhältnis für eine linguistische Pragmatik gesetzt. Denn auch wenn sich beide Denker auf die Tradition des Pragmatismus berufen, unterscheiden sie sich in einigen relvanten theoretischen Aspekten. Im Mittelpunkt dieses Theorievergleichs stehen dabei das jeweilige Verständnis von Pragmatismus, Inferenzen, konditionalen Relationen, der sozial-normativen Dimension diskursiver Praktiken sowie der phänomenologischen bzw. kategorialen Grundstruktur. Der Vergleich zeigt, dass die beiden Ansätze im Rahmen einer linguistischen Pragmatik voneinander profitieren können, indem sowohl ein elaborierter Zeichenbegriff als auch eine irreduzibel sozial-normative Dimension diskursiver Praktiken angenommen wird. Keywords: Charles S. Peirce, semiotic pragmatism, Robert B. Brandom, normative linguistic pragmatism Schlüsselbegriffe: Charles S. Peirce, semiotischer Pragmatismus, Robert B. Brandom, normativer Sprachpragmatismus Sowohl der semiotische Pragmatismus Charles S. Peirces als auch der normative Sprachpragmatismus Robert B. Brandoms, wie sie bisher vorgestellt wurden, sind komplexe theoretische Systeme, deren Anwendungsbereiche hier nur skizziert und deren theoretische Konsequenzen allenfalls angedeutet werden können. Tatsächlich handelt es sich bei beiden Zeichenbzw. Sprachphilosophien nicht um anwendungsbezogene Theorieentwürfe, die ohne Erklärungen in eine linguistische Pragmatik überführbar sind. Erläuterungen zur Überführung in eine linguistische Pragmatik sind demnach notwendig, um den Gebrauch dieser Theorien innerhalb der Linguistik zu rechtfertigen. Zugleich erfordert die Exemplifikation dieser Zeichenbzw. Sprachphilosophien eine Argumentation, die begründet, inwiefern die Veranschaulichung und Erklärung mehrerer Theorien sowie die entstandenen Überschneidungen erforderlich sind, um die folgende sprachtheoretische Untersuchung durchzuführen, deren Argumente zu plausibilisieren und nachzuvollziehen. Insbesondere die Frage, inwiefern beide Ansätze für sich allein für eine Analyse diskursiver Praktiken im Rahmen einer linguistischen Pragmatik nicht hinreichend sind bzw. voneinander profitieren können, soll im Folgenden daher eingehend beantwortet werden. Entlang der Beantwortung, warum sowohl der semiotische Pragmatismus als auch der normative Sprachpragmatismus theoretische Leerstellen für das folgende Vorhaben aufweisen, die sie aber wechselseitig füllen können, findet zudem ein Theorievergleich statt, welcher die Vor- und Nachteile, Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Ansätze diesbezüglich veranschaulicht. Ziel ist eine reziproke Integration, aus welcher ein Programm für eine linguistische und kognitiv-semiotische Pragmatik folgt, welches im Rahmen dieser Untersuchung handlungsleitend sein soll. Ein Theorievergleich des semiotischen Pragmatismus und des normativen Sprachpragmatismus findet sich in der zeitgenössischen Philosophie und Wissenschaft nur in Aspekten. Vereinzelte Gesichtspunkte beider Zeichen- und Sprachphilosophien werden dabei zusammengeführt oder kontrastiert (cf. z. B. Champagne 2016, Keeler 2004, Legg 2008, Pape 2002), wobei erschöpfende Theorievergleiche bisher ausgeblieben sind. Auch im Folgenden sollen lediglich diejenigen Aspekte des semiotischen Pragmatismus und des normativen Sprachpragmatismus verglichen werden, die für eine linguistische und kognitiv-semiotische Pragmatik nützlich sind und deren Eigenschaften eine reziproke Integration beider Ansätze erlauben, sodass sie gemeinsam in eine Linguistik überführt werden können. Als zeichentheoretische Grundlage der folgenden Betrachtungen dient Charles S. Peirces semiotischer Pragmatismus, um die semiotischen Aspekte sprachlicher Zeichenprozesse zu erfassen. Die Kraft- und Effektverhältnisse, die Zeichen und Zeichenprozesse sowie Medialität, Signifikation, Referenz, Repräsentation und Inferenz erfassen, lassen sich mithilfe des theoretischen Vokabulars Peirces erklären. Insofern dient der semiotische Pragmatismus zur Deskription der zeichenhaften Dimension der Sprache, die im Folgenden als fundamentaler Aspekt gelten kann. Das theoretische Vokabular zur Analyse der zeichenhaften Dimension der Sprache kann allerdings um weiteres Vokabular ergänzt werden. Dieses Vokabular, welches eher diskursive Praktiken analysieren kann, nimmt dabei die sozial-kommunikative und normative Dimension sprachlicher Prozesse in den Blick. Diese Dimension ist zwar nicht weniger semiotisch, erfordert aber eine spezifische Erklärung, welche ein allgemeinsemiotisches Vokabular nicht leisten kann. Tatsächlich sind sprachliche Prozesse nämlich nicht nur zeichenhaft, sondern auch sozial-normativ in Kommunikationsprozesse eingebettet, in welchen unterschiedliche Kommunikationsinstanzen und -teilnehmer verschiedene Funktionen und sozial-normativen Einfluss auf den Prozess haben. Entsprechende Thesen zum Kommunikationsprozess finden sich sowohl bei Peirce als auch bei Brandom. Peirce berücksichtigt zwar die kommunikative Dimension sprachlicher (und anderer) Zeichen, hat aber die Spezifik sprachlicher Kom- 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus 103 munikationsprozesse selbst nicht in einer Weise ausgearbeitet, die mit einer zeitgenössischen Konversationsanalyse, Gesprächs- und Interaktionalen Linguistik zu vergleichen ist. Insbesondere die fehlende Berücksichtigung verschiedener Interaktionskonfigurationen und die daraus folgenden sozial-normativen und perspektivischen Konsequenzen bleiben bei Peirce in einer allgemeinsemiotischen Perspektive verhaftet, da sein theoretisches Augenmerk schlichtweg auf die Zeichenkonstitutivität und nicht auf die kommunikationstheoretischen Konsequenzen gerichtet ist. Vereinzelt verweist Peirce zwar auf die jeweiligen Kommunikationsinstanzen, die sich bei ihm allerdings eher exemplarisch in dialogischen utterer-interpreter-Paaren äußern (cf. z. B. CP 5.447, Johansen 1993: 190 f.). Insofern sind interaktionale Prozesse im theoretischen Vokabular Peirces zwar mitgedacht, doch kommunikations- und interaktionstheoretisch nicht ausführlich konzipiert bzw. ausgearbeitet. Die Reduktion auf Dialogstrukturen und -paare innerhalb eines interaktionalen Rahmens ist im Rahmen der zeitgenössischen Konversationsanalyse, Gesprächslinguistik und Interaktionalen Linguistik nicht mehr haltbar, weil sie die multiperspektivische Wirksamkeit von sprachlichen Zeichen nicht erfasst: Das recipient design, welches innerhalb der Konversationsanalyse als Kritik an dialogischen Kommunikationsmodellen und zur Etablierung diverser Kommunikationsinstanzen genutzt wird, kann hier unterstützen (cf. hierzu z. B. Schegloff 1996, Goffman 1981, für einen Überblick cf. z. B. Hitzler 2013). Tatsächlich sind an kommunikativen Prozessen häufig mehr als zwei Instanzen beteiligt, sei es als eine andere Form der partizipativen Kommunikationsrolle (cf. z. B. eavesdropping bei Goffman 1981: 131 f.), als berufene Autorität oder als behauptende Instanz, die in eine Äußerung (z. B. durch direkte oder indirekte Rede) integriert ist. Zugleich können Äußerungen auch an mehrere Kommunikationsinstanzen adressiert sein (cf. z. B. Kühn 1995). Wie an den unterschiedlichen Funktionen und Rollen, die kommunikative und andere beteiligte Instanzen einnehmen können, zu erkennen ist, lassen sich die partizipativen Instanzen nicht darauf reduzieren, ob sie phonische oder graphische Zeichenemissionen produzieren oder rezipieren und damit in einem entsprechenden Austausch stehen. Aus den unterschiedlichen kommunikativen Zeichenprozessen folgen auch sozial-normative Konsequenzen, die sich einerseits auf entsprechende Referenzobjekte, aber gleichzeitig auch auf die Kommunikationsinstanzen selbst auswirken. Dieses stancetaking (cf. z. B. Englebretson 2007, Jaffe 2009) integriert eine evaluative und damit normative Dimension in den kommunikativen Prozess. Sowohl recipient design als auch stancetaking sind im Rahmen des semiotischen Pragmatismus nicht ausgearbeitet, sollten aber berücksichtigt werden, wenn die sozialnormativen Umstände und Folgen von kommunikativen Prozessen analysiert werden sollen. Brandoms normativer Sprachpragmatismus hingegen kann insbesondere in diesen Bereichen seine theoretischen Stärken ausspielen. Der zentrale Begriff der sozialen Normativität, der sich auch auf stancetaking bezieht und damit die unterschiedlichen Objekte und KommunikationsteilnehmerInnen als bewertbar und beurteilbar konstituiert, wird von Brandom durch ein flexibles Kommunikationsmodell ergänzt, welches diskursive Normen einem stetigen und dynamischen Aushandlungsprozess unterwirft und zugleich (im Sinne des recipient design) unterschiedliche und plurale Kommunikationsinstanzen unter dem Begriff Interlokutor fasst. Brandoms deontische Kontoführung (cf. EV: 272 f.), 104 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen welche als Kommunikationsmodell sowohl diskursive Normen als auch unterschiedliche Interlokutoren sowie deren reziproke Relationen umfasst, ist damit eine geeignete Ergänzung zum semiotischen Pragmatismus. 1 Wenn sich nun mithilfe des Kommunikationsmodells Brandoms und dessen theoretischen Implikationen diskursive Praktiken analysieren lassen, scheint dieses Modell vielleicht zunächst hinreichend, um soziale Normativität und sprachliche Zeichenprozesse erklären zu können. Und tatsächlich wirkt Brandoms Sprachphilosophie zunächst so, als sei sie ein vollständiges Modell aller sprachlichen Zeichenprozesse, was z. B. Henrik Jøker Bjerre (cf. 2008: 538) dazu veranlasst, Brandoms Texten einen Mangel an Mangel zu diagnostizieren. Inwiefern ein entsprechender Befund zutrifft, soll hier nicht beurteilt werden und doch erweist sich Brandoms normativer Sprachpragmatismus in einem wesentlichen Aspekt, der für eine linguistische und kognitiv-semiotische Pragmatik zentral ist, als lückenhaft: Robert B. Brandoms Sprachphilosophie fällt in vielen Aspekten hinter Erkenntnisse von Zeichentheorien zurück, was allerdings für moderne und insbesondere analytische Philosophie nicht ungewöhnlich ist (cf. hierzu Deely 2012). Tatsächlich fallen die expliziten Bezüge Brandoms zum Zeichenbegriff eher gering aus. Zwar finden sich Indizien, die auf ein Zeichenverständnis hinweisen, 2 doch reichen diese kaum aus, um von einem entwickelten und zeitgemäßen Zeichenbegriff zu sprechen. Auch Verweise auf eine Zeichenpraxis sind allenfalls implizit. Dennoch lassen sich Aspekte des theoretischen Vokabulars Brandoms zeichentheoretisch interpretieren. Insbesondere der Begriff der (diskursiven, pragmatischen bzw. normativen) Signifikanz legt nahe, dass ein impliziter Zeichenbegriff in Brandoms Sprachphilosophie operiert oder zumindest mitgedacht werden muss und theoretisch expliziert oder ausgearbeitet werden kann, um auch die semiotische Dimension diskursiver Praktiken zu betonen (cf. hierzu Harendarski 2016). Die folgende Untersuchung versucht, dazu einen wesentlichen Teil beizutragen. Auch die wissenschaftstheoretischen Referenzen auf semiotische Traditionen sind bei Brandom marginal. Er erweist sich eher als Skeptiker der Semiotik, der auf vermeintliche theoretische Missstände des Strukturalismus besteht: Now it is one of the founding insights of analytic philosophy of language that the results of a Procrustean assimilation of all semantic relations to this nominalistic model are disastrous. That is 1 Brandoms Modell der deontischen Kontoführung wird später, wenn es um sprachliche Handlungen und pragmatische Signikanz geht, ausführlicher vorgestellt (cf. Kapitel 14). Für diese Ausführungen reicht zunächst folgende Kurzbeschreibung: Deontische Kontoführung erfasst die verschiedenen kommunikativen Performanzen, die Interlokutoren in diskursiven Praktiken ausführen und die sie jeweils aus eigener Perspektive für sich und andere verbuchen und bewerten. Verschiedene Performanzen führen auf Basis der inferenziellen Gliederung diskursiver Praktiken dazu, dass diese unterschiedlich verstanden werden und aus ihnen Unterschiedliches kommunikativ folgt. Jede Performanz und deren Gehalte werden von den beteiligten Interlokutoren unter Berücksichtigung anderer Performanzen und Gehalte, die von derselben Person in der diskursiven Praxis geäußert wurden, beurteilt und gehen auf die “ Konten ” der jeweiligen Person ein. Daraus entsteht ein komplexes Netz, nicht nur zwischen kommunikativen Gehalten (i. S. v. “ Du hast vorhin gesagt, dass du keine Zeit hast, um abzuwaschen. Warum hast du jetzt Zeit, um Zeitung zu lesen? ” ), sondern auch zwischen Interlokutoren und andere gesprächsbeteiligten Personen, z. B. in Form von Berufung auf Autorität (i. S. v. “ Philip hat mir gesagt, dass er heute nicht zur Schule kommen kann. ” ). 2 “ Geräusche und Striche auf Papier bedeuten an sich überhaupt nichts. Zur Bedeutung gehört Verstehen, und sie verstehen nichts. Doch wir können sie als Ausdruck eines Gehalts verstehen, zu dem jene Anwendung von Begriffen gehört, die dafür sorgt, dass sie etwas bedeuten. ” (EV: 113, Hervorh. im Original) 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus 105 a lesson taught originally by Frege, and again by both the Wittgenstein of the Tractatus and the Wittgenstein of the Investigations, each in his own way. (The mistake lives on in semiotics and in the structuralist heirs of de Saussure. Derrida was sufficiently in the grip of this traditional picture that the only alternative to it he could conceive was that signs should be understood to stand exclusively for . . . other signs.) (EE: 179 f., Hervorh. im Original) Die Reduktion des Strukturalismus auf den Ferdinand de Saussure der Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft und die semiotische Verweisstruktur zwischen Zeichen bzw. Signifikanten bei Jacques Derrida widerlegt allerdings weder Semiotik noch strukturalistische Semiologie. Zunächst lässt sich in Ferdinand de Saussures Tagebüchern und Notizen (cf. 2003 a, 2003 b) ein fortschrittlicheres Zeichenmodell nachweisen, welches die Schwierigkeiten eines idealistischen Strukturalismus umgeht, sodass die Kritik schon hier auf die Semiologie nicht notwendigerweise zutrifft. Außerdem teilen strukturalistische Theorien einige ihrer konstitutiven Bedingungen mit Brandoms inferenzieller Semantik (cf. Peregrin 2001, 2008), sodass eine trennscharfe Demarkation von Strukturalismus und Inferenzialismus bezüglich der Bedeutungskonstitution noch längst nicht ausgemacht ist. Nichtsdestotrotz gilt insbesondere bei zweiwertigen Zeichenmodellen, zu denen strukturalistische Zeichenbegriffe i. d. R. gehören, dass sie teilweise kausale Wirksamkeiten auf Diskurseffekte reduzieren und Objektrelationen nicht in ihr Zeichenmodell integrieren. Insofern ist die Reduktion jeder Zeichenrelation auf semantische Relationen tatsächlich problematisch. 3 Der semiotische Pragmatismus Charles S. Peirces bietet jedoch einen Zeichenbegriff, der die unterschiedlichen Zeichenrelationen und -aspekte nicht nur voneinander unterscheidet, sondern auch semantische und referenzielle bzw. objektbezogene Relationen modelliert. Zugleich ist er als pragmatistischer Zeichenbegriff nicht nur mit dem theoretischen Fundament Brandoms vereinbar, sondern löst zeichensystematische Schwierigkeiten, die die strukturalistische Tradition betreffen: Pragmatische Zeichenbegriffe betrachten eine Systematizität des Zeichengebrauchs, ohne dass eine ideale Strukturalität der Zeichenpraktiken angenommen wird. Es werden vielmehr Strukturen im Zeichengebrauch und -prozess gesucht. Auch wenn sich gegenseitige Ergänzungspotenziale aufzeigen lassen, erfordert die Annahme, dass sich semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus wechselseitig ergänzen können, einen Theorievergleich, welcher beide Ansätze nach Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschieden durchmustert. Insbesondere in den Bereichen des Pragmatismus, der inferenziellen Prozesse, der konditionalen Relationen, der sozial-normativen Dimension diskursiver Praktiken und der Kategorien bzw. kategorialen Struktur finden sich Gemeinsamkeiten, die eine Integration beider Ansätze erlauben. Im 3 In Anschluss an Gottlob Frege unterscheidet Brandom daher z. B. zwischen Sinn- und Referenz-Abhängigkeiten [senseand reference-dependent], um semantische und referenzielle bzw. objektbezogene Relationen zu analysieren: “ Xs are sense-dependent on Ys just in case one cannot in principle count as grasping the concept X unless one also grasps the concept Y. In this sense, the concept sunburn is sense-dependent on the concepts sun and burn, and the concept parent is sense-dependent on the concept child. [ … ] Xs are reference-dependent on Ys just in case there cannot be Xs (referents of the concept X) unless there are Ys (referents of the concept Y). If Mrs. O'Leary's cow kicking over a lantern was indeed the necessary and sufficient cause of the Great Chicago Fire of 1871, then the Great Chicago Fire of 1871 is reference-dependent on Mrs. O'Leary's cow. ” (AST: 206, Hervorh. im Original) 106 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Folgenden sollen also unter den Schlagworten Pragmatismus, inferenzielle Prozesse, konditionale Relationen, sozial-normative Dimension diskursiver Praktiken und Kategorien bzw. kategoriale Struktur verschiedene Aspekte des semiotischen Pragmatismus und normativen Sprachpragmatismus verglichen werden, um eine reziproke Integration beider Ansätze zu rechtfertigen. Der Vergleich ist dabei nicht vollständig, sondern skizziert lediglich relevante theoretische Annahmen für diese Arbeit: Pragmatismus: Sowohl Peirce als auch Brandom operieren mit dem Begriff des Pragmatismus und teilen damit semantische, epistemologische und methodologische Grundannahmen. Brandom, der Peirce als Pragmatisten anerkennt (cf. z. B. PP: 46), teilt allerdings wesentliche Prinzipien des klassischen Pragmatismus nicht, zu deren Hauptvertretern er z. B. Charles S. Peirce, William James und John Dewey zählt, wenn er diese als instrumentalistische Pragmatisten interpretiert (cf. PP: 47 f., insbesondere auch PoP). Der klassische Pragmatismus betrachte einerseits nur die praktischen Konsequenzen und Folgen von Handlungen und semantischen Gehalten und nicht ihre Voraussetzungen (cf. EV: 196) und berücksichtige andererseits das Verhältnis von Normativität und sprachlichen Prozessen nicht angemessen (cf. PP: 52 f.). Was für Pragmatismus nach William James und Richard Rorty gelten mag, gilt allerdings nicht für den semiotischen Pragmatismus Charles S. Peirces, wie Helmut Pape (2002) zeigt. Dass pragmatische Prozesse grundlegend normativ und semantische Gehalte inferenziell gegliedert sind, räumt Peirce ebenso ein wie eine sozial-normative Dimension der Rationalität (cf. Pape 2002: 521). Damit berücksichtigt Peirce in seinem Modell der semiosischen Zeichenkonstitution sowohl semantische als auch pragmatische Konsequenzen und Folgen sowie Voraussetzungen des Zeichenprozesses. Auch die konstitutive und normative Funktion von sprachlichen Zeichen erfasst Peirce. Allerdings liegt sein Interesse weniger auf den exklusiven Funktionen, die sprachliche Zeichen im diskursiven Gebrauch aufweisen, sondern vielmehr in den universalen semiotischen Eigenschaften, die alle Zeichenprozesse teilen. Insofern ist die normative und konstitutive Kraft sprachlicher Zeichen bei Peirce zwar integriert, entwickelt sich aber nicht in diskursivem Kontrast zu anderen Zeichenprozessen: Peirce erfasst vielmehr Zeichen als universales Element unserer Rezeptions-, Wahrnehmungs-, Interpretations-, Verhaltens- und Handlungsprozesse, aber untersucht nicht Zeichengebrauchshierarchien, die sich innerhalb diskursiver Praktiken zwischen verschiedenen Zeichensystemen, Codes oder Modalitäten bilden. Und in diesem Verhältnis von Zeichensystemen nimmt das Sprachsystem eine außerordentliche Rolle ein (cf. hierzu z. B. Borsche 2009, 2011, 2018). Insofern trifft der Einwand, dass Peirce die konstitutive Kraft sprachlicher Zeichen unbeachtet lasse, nur bedingt zu. Es ist schlichtweg für den semiotischen Pragmatismus nicht von primärem Interesse, ob es spezifische Zeichensysteme gibt, welche exklusive Funktionen innerhalb der Konstitution von sozial-normativen Verhältnissen und in Bezug zu anderen Zeichensystemen einnehmen. Nichtsdestotrotz schließt der semiotische Pragmatismus eine solche Exklusivität auch nicht aus. Insofern lassen sich Brandoms Einwände zu den semantischen und pragmatischen Grundannahmen des semiotischen Pragmatismus entkräften, sodass semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus miteinander vereinbar sind. Beide Pragmatismen betrachten lediglich unterschiedliche Facetten von Zeichenprozessen. Zugleich wird damit aber dennoch die 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus 107 wesentliche Rolle sprachlicher Zeichen in der Konstitution von sozial-normativen und diskursiven Praktiken betont. Inferenzielle Prozesse: Neben den geteilten semantischen, epistemologischen und methodologischen Grundannahmen nehmen in beiden Pragmatismen auch inferenzielle Relationen eine wesentliche Rolle in der Bestimmung der semantischen und pragmatischen Struktur ein. Brandoms Inferenzvokabular der festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relation und Peirces Erklärung von deduktiven, induktiven und abduktiven Inferenzen sind inferenzialistische Analysemodelle von sprachlichen bzw. semiotischen Prozessen oder zumindest Vorläufer dieser. Allerdings sind die Ähnlichkeiten von Brandoms inferenzieller Semantik und Peirces Interpretantenbeschreibung zunächst nicht offensichtlich. Während Brandoms festlegungserhaltende und berechtigungserhaltende inferenzielle Relationen zwar ebenfalls deduktive und induktive Inferenzen implizieren, ist die Kategorie der inkompatiblen inferenziellen Relation nicht mit abduktiven Inferenzen vergleichbar. Tatsächlich positioniert Peirce seine Konzeption von Inkompatibilität nicht an prominenter Stelle, da es im Rahmen der deduktiven, induktiven und abduktiven Inferenzen um gelingende Schlussfolgerungsprozesse geht. Inkompatible inferenzielle Relationen hingegen sind virtuelle inferenzielle Relationen, die in actu Zeichenereignisse verhindern bzw. ihre Plausibilität in Zweifel ziehen. Folglich ist die Ergänzung von inkompatiblen inferenziellen Relationen innerhalb des semiotischen Pragmatismus möglich. Abduktive Inferenzen finden sich bei Brandom hingegen nicht im Rahmen der inferenziellen Relationen, sondern nehmen einen gesonderten Platz unter dem Begriff der Modalität ein (cf. Keeler 2004: 256). Gültige abduktive Inferenzen können über ihren modalen Status indiziert werden, indem mögliche Handlungen, Ereignisse oder propositionale Gehalte in inferenzielle Prozesse substituiert werden. Somit bleibt der Status des Zweifels, welcher konstitutiv für abduktive Inferenzen ist, über den modalen Status bei Brandom erhalten. Neben der Implikation von deduktiven, induktiven, abduktiven und inkompatiblen Inferenzen ähneln sich der semiotische Pragmatismus und der normative Sprachpragmatismus insbesondere in der Erklärung der Verhältnisse und Strukturgrößen von Signifikanzen und semantischen Einheiten. Während Peirce von Begriff (Rhema), Proposition (Dicizeichen) und Inferenz (Argument) spricht, sind die entsprechenden indizierten Größen bei Brandom singuläre Termini bzw. Prädikate, Deklarativsätze/ Behauptungen und Konditionale/ Inferenzen. Damit beschreiben und analysieren Peirce und Brandom Signifikanzen und semantische Gehalte nicht nur auf propositionaler Ebene, sondern sie sehen im propositionalen Gehalt bzw. dessen Behauptung/ Äußerung die fundamentale Struktur- und Gebrauchseinheit sprachlicher Praktiken. Ausgehend vom Äußerungsereignis eines propositionalen Gehalts lassen sich damit Signifikanzen und semantische Gehalte sowohl unterhalb als auch oberhalb des propositionalen Gehalts analysieren. Somit stützen sowohl Brandom als auch Peirce ihre Sprachbzw. Zeichenphilosophie auf grundlegende inferenzielle Relationen, die sich um die Signifikanz eines propositionalen Gehalts gruppieren, um die linguistische bzw. semiotische Konstitution diskursiver Praktiken zu analysieren. Das Verhältnis der Inferenztheorien beider und ein Blick auf die Typologie der Interpretanten (cf. Tab. 2) zeigt außerdem, dass sich Brandoms Sprach- 108 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen philosophie vorwiegend im Bereich der linguistischen logischen Interpretanten bewegt. Denn er analysiert insbesondere diejenigen inferenziellen Relationen, die sich (im Sinne Peirces) mit Begriff, Proposition und Inferenz übersetzen lassen. Andere Interpretanten schließt Brandom dabei nicht aus, wenn er z. B. von Wahrnehmungen und Handlungen als nicht-inferenziellen Gehalten spricht (cf. EV: 296 f.). Weitere Zeicheneffekte und -kräfte (z. B. im Rahmen der tierischen und zellularen Kommunikation) werden von Brandom weder untersucht noch explizit angezweifelt. Denn es geht ihm schließlich um die Analyse von diskursiven Praktiken. Insofern ist der Inferenzbegriff Peirces auf viele andere Zeichenprozesse anwendbar, während Brandoms Inferenztheorie allein linguistisch-kognitive Zeichengebrauchsstrukturen erfasst. Für eine Sprachtheorie, die sich entlang einer sozial-normativen und einer kognitiv-semiotischen Achse entwickelt und der linguistischen Pragmatik verpflichtet ist, ist dies jedoch kein Hindernis. Konditionale Relationen: Sowohl Brandoms als auch Peirces Inferenzialismus unterscheiden sich von formalen Inferenzmodellen. Für Brandom äußert sich die Prozessualität der Inferenzen, welche sowohl konsequenzielle Ereignisse als auch deren Temporalität erfasst, durch den Junktor des Konditionals. Brandoms Konditionalismus markiert dabei weder den Junktorgebrauch in formallogischen Inferenzmodellen noch den expliziten Gebrauch von Konditionalsätzen innerhalb diskursiver Praktiken. Stattdessen wird dem Prinzip der Prozessualität eine allgemeine Kraft eingeräumt, welche den zeitlich-räumlichen, normativen, signifikativen sowie semantischen Veränderungen eine maßgebliche Kraft bezüglich der Bedeutungs- und Signifikanzkonstitution einräumt. Während Brandom das Prinzip der Prozessualität durch das Konditional markiert, ist bei Peirce die Prozesshaftigkeit innerhalb der Semiose bereits enthalten. Zudem betont auch Peirce die Abhängigkeit der Zeichenereignisse von vorherigen und folgenden Zeichen. Helmut Pape nennt dieses Prinzip der Prozessualität bei Peirce daher auch Sequenzialismus, “ [a] generalized and realistically interpreted version of inferential transitivity, sometimes in conjunction with the thesis that we know all empirical, experiential relations by knowing first consequences and that infer their (probable) antecedents ” (Pape 2002: 522). Sowohl Brandoms Beschreibungen mithilfe des Konditionals als auch Peirces sequenzielle Zeichenfolgen erheben damit Prozessualität zum grundlegenden Prinzip, welches inferenzielle Relationen in diskursiven Praktiken transformiert. Sozial-normative Dimension diskursiver Praktiken: Brandom betrachtet die sozial-normative Dimension als ein wesentliches Merkmal diskursiver Praktiken, welche sich dadurch von anderen sozialen und kommunikativen Praktiken unterscheiden. Diskursive Normen haben dabei eine wesentliche Funktion in der Konstitution von spezifischen sozialkommunikativen Relationen, Handlungsgründen und -folgen. Und diese diskursiven Normen werden durch Äußerungen (bei Brandom insbesondere Behauptungen) zur Geltung gebracht. Helmut Pape (2002: 522) sieht auch in Peirces semiotischem Pragmatismus “ an irreducible normative and social side ” . Im Rahmen der grundlegenden strukturellen Einheit der Äußerung lässt sich Peirces Verständnis der sozial-normativen Dimension tatsächlich nachvollziehen: To assert a proposition is both (1.) claim validity, (for example truth) in a normative sense for what the proposition which expresses the belief says and (2.) to acknowledge that one is willing to accept 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus 109 the negative consequences, e. g., some sort of social or moral sanctions, if the validity claim is refuted and the belief turns out to be wrong. (Pape 2002: 523) Pape erklärt hier nicht nur, dass mit Behauptungen Geltungsansprüche (gegenüber jemandem bezüglich etwas) erhoben werden, sondern auch, dass aus den impliziten Geltungsansprüchen von Behauptungen sozial-normative Konsequenzen folgen. Die sozial-normativen Konsequenzen müssen entgegen Papes Formulierung nicht nur sanktionieren, sondern können (z. B. in Form von Bestätigungen oder Belohnungen) auch affirmierend sein. Jeder propositionale Gehalt, welcher kraft Behauptung in diskursive Praktiken eingebettet wird, ist damit auch sozial-normativen Bedingungen und Folgen unterworfen. Sowohl Geltungsansprüche als auch sozial-normative Konsequenzen finden sich innerhalb von Brandoms normativem Sprachpragmatismus. Nicht nur sind Behauptungen eben die fundamentalen Äußerungseinheiten, sondern das Vokabular der Folgen und Umstände von Behauptungen fasst eben jene sozial-normativen Konsequenzen, welche kraft inferenzieller Relationen in Beziehung zur getätigten Äußerung stehen. Insofern nehmen sowohl im semiotischen Pragmatismus als auch im normativen Sprachpragmatismus die sozial-normative Dimension der Behauptung und anderer sprachlicher Handlungen sowie deren Folgen und Umstände eine zentrale Rolle ein. Kategorien bzw. kategoriale Struktur: Während die pragmatistischen, inferenziellen, konditionalistischen und sozial-normativen Bedingungen des semiotischen Pragmatismus und des normativen Sprachpragmatismus für eine oberflächenstrukturelle Vergleichbarkeit sorgen, lassen sich auch tiefenstrukturelle Gemeinsamkeiten finden, welche die universalen Kategorien beider Ansätze ins Verhältnis setzen. Zur Erinnerung: Peirces phaneroskopische Kategorienlehre bildet das phänomenologische Rückgrat des semiotischen Pragmatismus. Die Kategorien Erstheit, Zweitheit und Drittheit finden sich in verschiedenen zeicheninternen wie -externen Prozessen in unterschiedlicher Zeichenform wieder, sodass jedes Zeichen und jeder Zeichenprozess durch diese allgemeinen Kategorien strukturiert ist und entsprechend ihrer Universalität analysiert werden kann. Brandom hingegen entwickelt bzw. expliziert erst im Rahmen seiner Hegel-Lektüre ein Kategoriensystem zur Deskription von sprachlichen Prozessen, welches seinen normativen Sprachpragmatismus kategorial strukturiert und von ihm in folgender Tabelle zusammengefasst wird: Objective Ontological or Metaphysical Categories Subjective Pragmatic Categories Syntactic Categories Object/ Properties or Particulars/ Universals Referring/ Classifying Singular Terms/ Predicates Facts Asserting, Claiming, or Judging Declarative Sentences Laws Explaining as Inferring Universally Quantified Subjunctive Conditionals Tab. 4: Robert B. Brandoms kategoriale Struktur der Festlegung nach Brandom (AST: 209) Wenn man Robert B. Brandoms kategoriale Struktur der Festlegung (Tab. 4) mit Charles S. Peirces universalen Kategorien (Tab. 1) vergleicht, zeigt sich, dass sich die verschiedenen 110 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Zeilen von Brandoms kategorialer Struktur der Festlegung auch mithilfe der universalen Kategorien beschreiben lassen. Die Kategorie der Objekte und Eigenschaften bzw. Einzelheiten und Universalien ähnelt der Kategorie der Erstheit, also der qualitativen Möglichkeit. Sie enthält Entitäten, die (noch) nicht in faktive Strukturen eingebunden, sondern lediglich als Einzelheiten ermöglicht sind. Sie müssen z. B. als singuläre Termini oder Prädikate in propositionale Strukturen eingebettet werden, um als Teil einer Tatsache etabliert zu werden. Die Kategorie der Objekte und Eigenschaften bzw. Einzelheiten und Universalien bilden also allein Potenziale (wie auch Erstheiten), welche sich innerhalb von diskursiven Behauptungsstrukturen etablieren und wirksam werden können. Die Kategorie der Tatsache, welche pragmatisch verschiedene Äußerungsakte und syntaktisch insbesondere den Deklarativsatz umfasst, kann mithilfe der Zweitheit umschrieben werden. Mittels verschiedener Äußerungsakte (und deren syntaktischer Form) werden verschiedene Objekte und Eigenschaften bzw. Einzelheiten und Universalien in einer Tatsache zusammengeführt, welche dann z. B. einen propositionalen Gehalt bildet. Es ist also die besondere Qualität der Tatsache, dass sie aus Objekten und Eigenschaften bzw. Einzelheiten und Universalien (Erstheiten) Existenzen (z. B. propositionale Gehalte) bildet (Zweitheiten). Die Kategorie des Gesetzes ähnelt der Kategorie der Drittheit Peirces, was sich insbesondere daran zeigt, dass inferenzielle und konditionale Struktur im Rahmen der pragmatischen und syntaktischen Kategorien markiert sind. Inferenzen sind bei Peirce drittheitliche Strukturen und führen mehrere Tatsachen unter einer Regel bzw. einem Gesetz zusammen und ähneln damit dem Konditional Brandoms. Trotz dieses knappen Vergleichs der Kategorien bei Brandom und Peirce ist es plausibel, zumindest strukturelle Ähnlichkeiten in der tiefenstrukturellen bzw. phänomenologischen Beschreibung von Zeichenbzw. Sprachprozessen beider Ansätze anzunehmen. Es lässt sich allerdings bereits an der Akzentuierung pragmatischer und syntaktischer Kategorien erkennen, dass die kategoriale Struktur, die Brandom im Blick hat, insbesondere linguistische Prozesse erfassen soll. Daher lässt sich die Gültigkeit der kategorialen Struktur zumindest innerhalb der Typologie der Interpretanten (Tab. 2) eingrenzen: Allein logische Interpretanten betrifft die Kategoriestruktur Brandoms, während die phaneroskopischen Kategorien nicht nur in alle Interpretantentypen, sondern in jedem Zeichenaspekt involviert sind. Dies ist für eine Analyse sprachlicher Zeichen kein Hindernis, da sich die beiden Kategoriensysteme bezüglich sprachlicher Zeichen derart nahekommen, dass dies eine reziproke Integration in eine Sprachtheorie nicht ausschließt. Sowohl die oberflächenstrukturellen Prämissen des Pragmatismus, der inferenziellen und konditionalen Prozesse und Relationen, der sozial-normativen Dimension diskursiver Praktiken als auch der kategorialen Strukturen scheinen eine reziproke Integration beider Pragmatismen zu plausibilisieren. Zugleich können aber auch einige Unterschiede beider Ansätze für die Theoriebildung genutzt werden, insbesondere diejenigen, die verschiedene Akzente in der Analyse setzen. Zunächst ist dies der unterschiedliche Fokus: Während Peirce sämtliche Zeichenprozesse im Blick hat, untersucht Brandom allein sprachliche Zeichen. Insofern bildet die Zeichentheorie Peirces für diese linguistische Untersuchung einen theoretischen Überschuss, welcher nicht unmittelbar in theoretische Erkenntnis 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus 111 umgedeutet werden kann. Dieses theoretische Surplus kann aber die Grenzen der Sprache im Vergleich zu anderen Zeichen und Zeichenprozessen anzeigen, sodass die Möglichkeiten sprachlicher Zeichen ausgelotet werden können (cf. hierzu z. B. Bierwisch 2008). Insofern sollte in einer semiotischen Betrachtung stets reflektiert werden, welche Signifikanzen tatsächlich auf sprachliche Zeichen zurückzuführen sind und ob auch andere Zeichen ebenfalls diese Signifikanzen aufweisen können. Außerdem ist insbesondere die sozial-normative Dimension diskursiver Praktiken, welcher zwar sowohl von Brandom als auch von Peirce betont wird, aber eine unterschiedliche Taxierung erhält, für die linguistische Pragmatik zentral und wird durch Brandom prominent in dieser platziert. Während Peirce insbesondere die drittheitliche Struktur als zeichenkonstitutiven Aspekt im Blick hat, zentralisiert Brandom die sozialnormative Dimension diskursiver Praktiken derart, dass sie zur conditio sine qua non im Rahmen von wirklichkeitskonstitutiven, performativen sowie interlokutiven Prozessen wird. Damit entwickelt Brandom ein Verständnis vom Verhältnis zwischen Wirklichkeit, Handlung und Kommunikation, welches die sozial-normative Struktur des sprachlichen Zeichens in den Mittelpunkt setzt. Auch die intersubjektiven bzw. interlokutiven Aushandlungsprozesse, welche bei Peirce als dialogische Strukturen skizziert werden (cf. CP 5.447, Johansen 1993: 190 f.), lassen sich mithilfe des normativen Sprachpragmatismus modellieren, ausdifferenzieren und erweitern (cf. Kapitel 14.1). Wirklichkeitskonstitution und Performativität können somit mithilfe der Funktion von Interlokutoren erklärt werden, ohne dass diesen Kommunikationsinstanzen eine egozentrische Autorität, intrinsische Handlungskraft oder privilegierte Perspektive innerhalb von diskursiven Praktiken zugewiesen werden muss. Vielmehr können der interlokutive Prozess selbst sowie dessen soziale Normen untersucht werden (cf. Kapitel 15 und 16). Die theoretischen Reflexionen zu einer normativen, linguistischen und kognitivsemiotischen Pragmatik beruhen also auf folgenden Thesen, deren Gültigkeit im Laufe der Argumentation belegt werden soll: Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus lassen sich dank ihrer Gemeinsamkeiten und ihrer wechselseitigen Bereicherung ineinander integrieren. Dabei können sie sich nicht einfach gegenseitig ergänzen oder komplementieren, sondern müssen in ein transversales Verhältnis gesetzt werden, welches die Durchquerung beider Ansätze ermöglicht, ohne dass es zu Bruchlinien zwischen den theoretischen Aussagen kommt. Eine reziproke Integration, welche das transversale Verhältnis würdigt, muss bei Zeichenprozessen beginnen und die kognitivsemiotische Konstitutivität im Rahmen von sozial-normativen, diskursiven und interlokutiven Prozessen erklären. Damit entwickeln sich entlang der kognitiv-semiotischen Fluchtlinien die unterschiedlichen normativen und pragmatischen Signifikanzen der diskursiven Praktiken, die wiederum anhand von Zeichenprozessen nachgewiesen werden können. Linguistische Prozesse, die diskursive und sozial-normative Effekte haben und Kraftlinien entwickeln, können somit auf deren zeichenhafte Struktur zurückgeführt werden. Das Resultat einer reziproken Integration von semiotischem und normativem (Sprach-) Pragmatismus ist damit eine sprachtheoretische Orientierung, die die diskursive Signifikanz und konstitutive Kraft sprachlicher Zeichen in ihr Zentrum stellt. Dabei werden 112 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen sowohl intersubjektive und interlokutive Aushandlungen als auch temporale und konditionale Zeichenprozesse nicht nur aus semiotischer Perspektive, sondern aus der Perspektive des Zeichens selbst betrachtet, ohne von frei flottierenden Signifikanten ausgehen zu müssen. Entlang einer sozial-normativen und einer kognitiv-semiotischen Achse lässt sich das Entwicklungspotenzial sprachlicher Zeichen sowohl pragmalinguistisch, kognitiv-linguistisch als auch diskurslinguistisch aufzeigen und schließt damit an aktuelle kognitiv-diskursive Ansätze an (cf. z. B. Ziem/ Fritsche 2018). 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus 113 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 5 Exkurs: Diagrammatik und die Signifikanz des Denkens - Die Semiotik des Modells Abstract: Pragmatics that invokes a semiotic dimension to all discursive practices must also reflect semiotically on its own practices. Therefore, this chapter explains the practice of modeling within the framework of a theory using diagrammatic principles. It shows the relationship between diagrams as models and their epistemic objects and what epistemological consequences arise from this and how these can be used for theoretical elaboration. Zusammenfassung: Eine linguistische Pragmatik, die sich auf eine semiotische Dimension aller diskursiver Praktiken beruft, muss auch ihre eigenen Praktiken semiotisch reflektieren. Daher wird in diesem Kapitel die Praxis der Modellierung im Rahmen einer Theorie mithilfe diagrammatischer Prinzipien erklärt. Dabei wird gezeigt, in welchem Verhältnis Diagramme als Modelle zu ihren Erkenntnisobjekten stehen und welche epistemologischen Konsequenzen daraus erwachsen bzw. wie diese für theoretische Konsequenzen genutzt werden können. Keywords: diagrammatics, model, semiotics Schlüsselbegriffe: Diagrammatik, Modell, Semiotik Die Zusammenführung unterschiedlicher theoretischer Ansätze, die insbesondere semiotische, inferenzielle und normative Aspekte der Sprache betreffen, und deren Anwendung auf Aspekte der Personalität und Intentionalität basieren in dieser Arbeit vor allem auf Exemplifizierungen und Schlussprozessen. Entsprechende argumentative Passagen stellen also den Großteil der Arbeit dar. Wesentliche Erkenntnisse sollen aber zudem als Modelle bzw. Diagramme veranschaulicht werden. Graphische Darstellungen und Modellierungen sind in der Wissenschaftsgeschichte und auch bei kognitivorientierten Ansätzen populär, sodass es umso wichtiger ist, die Darstellungsweise selbst zu reflektieren. Ansonsten besteht die Gefahr, Darstellung und Darstellungsweise als selbstverständlich wahrzunehmen. Die Darstellungsweise von Diagrammen unterscheidet sich dabei wesentlich von anderen Erkenntnisprozessen wie denjenigen, die durch argumentative Texte ausgelöst werden können. Während schriftliche Texte kraft konventioneller Zeichen Erkenntnis ermöglichen, sind Diagramme vorrangig bildliche Zeichen. Aus einer semiotisch-epistemologischen Perspektive kann der Erkenntnisprozess, der durch konventionelle oder bildliche Zeichen evoziert wird, nicht gleichgesetzt werden, basiert er doch auf unterschiedlichen Zeichenprozessen. Im Folgenden sollen diagrammatische Praktiken kurz erläutert werden, nicht nur um den Erkenntnisprozess von Diagrammen nachzuzeichnen, sondern auch, weil Diagramme angesichts ihres geringeren Grads an Konventionalisierung missverständlich sein können. Einerseits wirken sie zunächst (kraft ihrer ikonischen Relation) eindeutig, weisen aber andererseits, sobald sie in Argumentationen und diskursive Strukturen eingebunden werden, Ambiguitäten auf. Insofern soll eine Erklärung dabei helfen, die folgenden Diagramme dieser theoretischen Reflexionen bereits semiotisch zu beschreiben und ggf. Missverständnissen vorzubeugen. Diagramme sind, so formulieren es Schüller und Mittelberg (2016: 12), “ die schematischen Mittler zwischen Anschauung und Vorstellung ” . Sie haben demonstratives Potenzial und können so auf andere Weise erkenntnisfördernd sein als konventionelle Zeichen. Diagrammatische Analysen untersuchen eben jene Erkenntnis- und Zeichenprozesse, die mit der Schematisierung von Diagrammen einhergehen (cf. z. B. Bauer/ Ernst 2010, Krämer 2016, Krämer/ Ljungberg 2016). Sie erfassen also nicht nur die Semantik der dargestellten Objekte und Relationen, sondern insbesondere die Signifikanz der Darstellungsweise des Diagramms selbst. Die wesentliche Zeichenrelation, die dem Diagramm innewohnt, ist ikonisch. Sie verweist auf ihre Darstellungsobjekte und -relationen in Ähnlichkeitsrelationen, wobei bei abstrakten Objekten und Relationen die Existenz des Dargestellten nicht notwendig ist. Die Ikonizität von Diagrammen unterscheidet sich damit von anderen ikonischen Zeichenrelationen, wie Charles S. Peirce nicht nur herausstellt, sodnern auch begründet hat (cf. CP 2.277). Ihre Qualität liegt insbesondere darin, dass die Relationen von Diagrammen Relationen darstellen können, ohne dass sie eine unvermittelte Ähnlichkeit zu diesen aufweisen müssen. Das Diagrammatische von Relationen liegt eben in dieser Qualität, sodass daraus eine eigene Logik entwickelt werden kann, die sich nicht auf unmittelbare Ähnlichkeiten zu Objekten der Welt reduzieren muss (cf. z. B. CP 1.54, CP 4.394). Ein Diagramm “ is an iconic representation of some components of the process and a set of operators that make some components affect other components in such way that a chain of event is released, and that the visible result of releasing the chain is a process analogous to the process I wanted to model ” (Brandt 1995: 263 f.). Um inferenzielle bzw. kognitivsemiotische Relationen und Prozesse darzustellen, eignen sich Diagramme daher besonders. Da Diagramme nicht nur einzelne Zeichen, sondern letztlich Zeichenkomplexe aus unterschiedlichen Konstituenten (Relationen, Relata und entsprechenden Operatoren und Operationen) sein können, kann die Struktur des Diagramms ggf. auch auf die jeweiligen Diagrammelemente angewandt werden: Diagramme können somit wiederum selbst aus einer bestimmten Menge an Diagrammen bestehen. Weil Diagramme die dargestellten Objekte und Relationen notwendigerweise auf eine Darstellung reduzieren müssen, weisen sie eine Art skeletthafte Form auf, die allein relevante Aspekte des Dargestellten erfasst (cf. Stjernfelt 2007: 94). Diese skeletthafte Form des Diagramms skizziert und reduziert die darzustellenden Zeichenereignisse auf ihre wesentlichen Strukturen, sodass mithilfe der Diagramme die Elemente in der Darstellung vernachlässigt werden können, die für die zu untersuchenden Relationen und Prozesse nicht notwendigerweise darstellungspflichtig sind. Neben der Reduktion des Dargestellten des Diagramms ermöglicht das Diagramm allerdings noch Weiteres. Der Erkenntnisprozess, der kraft des Diagramms ermöglicht 5 Exkurs: Diagrammatik und die Signifikanz des Denkens - Die Semiotik des Modells 115 wird, “ is a sort of natural mathematics of the mind; it grounds abstraction in the embodied human world, and it has internal principles of optimality ” (Brandt 2004: 88). Solche graphentheoretische Prinzipien erlauben es nicht nur, Partikularerkenntnisse aus dem Diagramm zu inferieren, sondern erhöhen gleichzeitig die epistemische Produktivität des Diagramms, da die verschiedenen Diagrammelemente nicht nur in Beziehung gesetzt, sondern auch rekursiv miteinander verbunden und in Teil-Ganzes-Relationen geordnet werden können. Im Abstraktionsraum des Diagramms können deshalb Untersuchungen stattfinden, die durch Beobachtungen verschiedener Ereignisse selbst nicht möglich sind. Die Abstraktion erlaubt es, mit den unterschiedlichen diagrammatischen Elementen zu experimentieren, sodass unterschiedliche Zeichenkomplexe entstehen, die sich wiederum in Korrelation zu den darzustellenden Relationen, Relata, Prozessen und Ereignissen befinden. Das Diagramm entwickelt so seine eigene semiotische Prozesshaftigkeit, die sich theoretisch nutzbringend einsetzen lässt. Eine diagrammatische Perspektive auf den Erkenntnisprozess von Diagrammen, wie ich sie im Folgenden vertrete, unterscheidet sich in einigen wesentlichen kognitiv-ontologischen Annahmen von einer Diagrammatologie, wie sie z. B. von Frederik Stjernfelt (2007) vertreten wird. Stjernfelts Diagrammatologie ist semiotisch und erkenntnistheoretisch einflussreich in der zeitgenössischen Analyse von Diagrammen, geht aber noch einen Schritt weiter, indem sie eine “ metaphysische These eines apriorischen Realismus der diagrammatischen Objekte ” (Pape 2009: 412) vertritt. Stjernfelt (2007: xiv) geht es darum, die Ähnlichkeit zwischen dem Zeichen des Diagramms und den dargestellten Objekten selbst herauszuarbeiten. Denken ist demnach genuin ikonisch-diagrammatisches Denken, welches in Analogiebeziehungen zum gedachten Gehalt und dessen Objekten steht. Stjernfelts Diagrammatologie beansprucht, jegliche Zeichenereignisse auf diese Weise analysieren zu können und damit Auskünfte über die Realität der Zeichen zu machen. Der Kritik Helmut Papes (2009), der die Arbeit Stjernfelts zwar würdigt, sie aber wegen der metaphysischen Begründung problematisiert, schließe ich mich an. Insbesondere bei der Analyse sprachlicher Zeichen, die indexikalische Referenzierungsprozessen eine konstitutive Kraft zuweist und die sozial-normative und diskursive Dimension sprachlicher Zeichen berücksichtigt, kann eine Reduktion auf Ikonizität problematisch sein. Die hier vertretene Diagrammatik geht also davon aus, dass sprachliche Zeichenprozesse mithilfe von Diagrammen schematisiert werden können und Kognition als prozessuales Ereignis in ikonischer Relation zum Diagramm steht. Entgegen dem ikonischen Realismus, den Stjernfelt vertritt, wird die Normativität und Indexikalität sprachlicher Zeichen in der folgenden Untersuchung zwar ebenfalls in Diagrammen abgebildet, doch soll sich daraus keinesfalls eine empirische Ähnlichkeit zwischen Darstellung und Dargestelltem ableiten lassen können. Das objektrelationale Verhältnis zwischen Diagramm und schematisiertem Erkenntnisobjekt hat allerdings keinen Einfluss auf die epistemischen Prozesse von Diagrammen. Vielmehr bleibt das Diagramm als Erkenntnis- und Experimentierraum selbst von ontologischen und metaphysischen Annahmen unangetastet und kann selbst als Darstellungsform und Forschungsinstrument dienen. Neben der ikonischen Dimension des Diagramms werden bei entsprechender Notwendigkeit die ikonischen Zeichen mittels konventioneller Zeichen ergänzt, um die Relata 116 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen und Relationen zu spezifizieren. Ikonische, indexikalische und symbolische Zeichen bzw. deren Kategorie der Erstheit, Zweitheit und Drittheit werden also mithilfe von ikonischen und symbolischen Zeichen schematisiert. 5 Exkurs: Diagrammatik und die Signifikanz des Denkens - Die Semiotik des Modells 117 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Die bisherigen Reflexionen zu zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen eines semiotischen und normativen Sprachpragmatismus, der das philosophische Fundament einer linguistischen Pragmatik bilden kann, umfassen allgemeine Prinzipien und Prozesse sprachlicher Zeichen. Eine linguistische Pragmatik allerdings, die die Signifikanz sozialer und diskursiver Normen von Praktiken an der Schnittstelle von sprachlichen Zeichen und Handlungen zu modellieren sucht, sollte ihre philosophischen und theoretischen Grundlagen auch auf ihre fundamentalen Begriffe anzuwenden wissen. Im Folgenden steht dabei der Begriff der Intentionalität im Mittelpunkt der Betrachtungen, welcher für eine linguistische Pragmatik einen Grundbegriff darstellt. Intentionalität bildet nicht nur für Handlungstheorien, sondern auch für diskursive und linguistische Praktiken eine wesentliche Heuristik, um Verhalten auf bestimmte Weise bzw. unter bestimmten Normen zu typisieren. Insbesondere im Bereich der Analyse kommunikativer Rollen (also SprecherIn, HörerIn etc.) und sprachlicher Handlungen ist der Begriff unerlässlich. Das folgende Kapitel steht unter folgender These: Diskursive Intentionalität - ein Begriff, den ich im Folgenden entwickeln werde - ist kein Merkmal des Geistigen (cf. Crane 2007), sondern eine Form der diskursiven Signifikanz von sprachlichen Zeichen (insbesondere Verben), die sich im Rahmen der diskursiven Praxis mithilfe von Zuschreibungen, Attribuierungen, Inskriptionen und Inaugurationen entfaltet. Als diskursive Heuristik und Emergenzeffekt dient sie sowohl der Konstitution von sprachlichen Handlungen (pragmatische Signifikanz) als auch der Konstitution von sozial-normativen Kommunikationsteilnehmern (später dann Interlokutoren und Delokutoren genannt) und deren Verantwortlichkeiten, Verpflichtungen, Sanktionsfähigkeiten und Handlungsbegründungen (normative Signifikanz). Da Intentionalität und begriffsähnliche Ausdrücke (insbesondere phänomenale Intentionalität, Intention, Absicht und Volition) nicht nur in verschiedenen Disziplinen und wissenschaftlichen Zusammenhängen unterschiedlich definiert, sondern teilweise auch synonym verwendet werden, soll zunächst der Erkenntnisgegenstand abgegrenzt werden. Denn es gibt eine wesentliche Differenz zwischen phänomenaler Intentionalität, welche vorwiegend in der Phänomenologie analysiert bzw. vorausgesetzt wird, und diskursiver Intentionalität, welche im Rahmen von sozial-normativen und diskursiven Handlungszusammenhängen eine Rolle spielt. Auch Intentionalität und Intention sowie Intentionalität und Volition bzw. Agentivität erfassen unterschiedliche Aspekte im Rahmen (der Darstellung) von Tätigkeitsbzw. Verhaltensanalysen. Erstere Unterscheidung, also von Intentionalität und Intention, betrifft die Konzeption von handlungstheoretischen Elementen einer linguistischen Pragmatik, während letztere, also von Intentionalität und Volition bzw. Agentivität, unterschiedliche Deskriptionsebenen von pragmatischen Prozessen und Ereignis- und Verbsemantik darstellen. Trotz des Versuchs, sowohl die erkenntnistheoretischen als auch die methodologischen Grenzen der Untersuchung der verschiedenen Begriffe aufzuzeigen, erweisen sich die verschiedenen Begriffe nicht nur in ihrer Differenz als konstitutiv, sondern weisen Strukturäquivalenzen zur diskursiven Intentionalität auf, die in eine Modellierung von intentionalen Verben einfließen können. Ist diskursive Intentionalität erst einmal definitorisch umrissen, muss sie in ihrer pragmatischen Tradition betrachtet werden. Insbesondere Gründungsväter der linguistischen Pragmatik wie John R. Searle und H. P. Grice haben einen Intentionalitätsbegriff II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 121 vertreten, welcher Intentionalität als notwendige Voraussetzung der Kommunikation versteht. Trotz vielseitiger Kritik an dieser kategorialen Voraussetzung von Intentionalität und Intentionen in diskursiven Praktiken gelten diese intentionalistischen Prämissen weiterhin in vielen Bereichen der linguistischen Pragmatik. Daher werden im Folgenden nicht nur die sprach- und handlungstheoretischen Annahmen der Gründungsväter präsentiert und exemplarisch bis in die heutige Theoriebildung verfolgt, sondern auch mithilfe verschiedener Kritiken am Intentionalismus ein Desiderat der diskursiven Intentionalität aufgezeigt. Mithilfe einer Interpretation der Sprach- und Zeichentheorien Robert B. Brandoms, T. L. Shorts und Ruth Millikans kann dieses Desiderat erfüllt werden, so die These. Robert Brandom bieten in seinem Werk nicht nur eine Abgrenzung zum Intentionalismus an und definiert Intentionalität im Rahmen ihrer Signifikanz in diskursiven Praktiken, sondern erklärt auch, wie diskursive Intentionalität in Praktiken entsteht. Trotz ausführlicher sprachphilosophischer Beschreibungen bleibt bei Brandom eine Analyse spezifischer Zeichen bzw. Zeichenkonfigurationen, welche für Emergenzeffekte diskursiver Intentionalität wichtig sind, aus. Insbesondere T. L. Shorts Analyse des Verhältnisses von Intentionalität und Signifikanz, aber auch dessen theoretische Entwicklung intentionaler Verben kann daher die Analyse diskursiver Intentionalität spezifizieren, indem konkrete Zeichenprozesse analysiert werden, die für die Zuschreibung bzw. Attribuierung von diskursiver Intentionalität zuständig sind. Neben der Analyse intentionaler Verben von T. L. Short kann aber auch Ruth Millikan zu dieser Spezifikation beitragen. Denn sie entwickelt nicht nur eine Theorie intentionaler Zeichen, sondern erfasst über die Beschreibung der Funktionen von intentionalen Ikons auch eine kooperative Ebene, die sich in die Analyse intentionaler Verben integrieren lässt. In einem Vergleich der verschiedenen Erklärungen der Intentionalität kann dann das theoretische Vokabular der Analyse der diskursiven Intentionalität zusammengefasst werden. Für eine linguistische Pragmatik reichen theoretische Darstellungen und Analysen, wie sie Brandom, Short und Millikan vornehmen, allerdings nicht aus, muss sich eine linguistische Pragmatik doch auf die Analyse sprachlicher Zeichen stützen. Daher folgt auf die Deskription diskursiver Prozesse und Praktiken eine Analyse der diskursiven Signifikanz intentionaler Verben. Hierzu etabliere ich die diskursive Signifikanz im Rahmen einer Abstraktionslogik, die sich von einer ontologischen Analyse des vom Verb beschriebenen Ereignisses löst. Dass diese Logik mit anderen (semantischen und pragmatischen) Verbanalysen kollidiert, zeigt sich, wenn anhand einer exemplarischen Beschreibung von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben veranschaulicht wird, dass diese Analysen andere Strukturen und Prozesse von Verben untersuchen als die hier verfolgten. Nichtsdestotrotz finden sich auch hier strukturähnliche Elemente, die für ein Modell intentionaler Verben genutzt werden können. Dass intentionale Verben eine außerordentliche Logik aufweisen, kann anschließend auch die relationale Logik Charles S. Peirces aufzeigen. Die verschiedenen logischen Relationstypen lassen sich auf intentionale Relationen, die kraft intentionaler Verben konstituiert werden, anwenden. Nicht nur zeigt sich, dass intentionale Relationen eine irreduzible normative Dimension besitzen, sondern auch, dass Transitivität nicht auf 122 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben intentionale Verben anwendbar ist, zumindest dann nicht, wenn nicht auch das holistische Verhältnis zu anderen Verben und der Involviertheit diskursiver Normen berücksichtigt wird. Mithilfe der inferenziellen und semiotischen Darstellungen von diskursiver Intentionalität und intentionalen Verben, aber auch der Logik der intentionalen Relationen kann dann ein Grundlagenmodell intentionaler Verben entwickelt werden, was eine Analyse dieser Verben in diskursiver Praxis erlaubt. Das Modell zeigt nicht nur, dass Verben eine intentionale Relation konstituieren, sondern auch, wie und welche Relata diese Relation evoziert. Das Grundlagenmodell ist allenfalls ein Fundament zur Analyse mannigfaltiger Verbpraktiken. Bereits bei der Integration von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen wird sich zeigen, dass intentionale Verben sich nicht auf “ Subjekt- Objekt-Relationen ” reduzieren lassen und oftmals mehr als zwei Relata evozieren. Daher werden Analyseelemente ergänzt, die auch soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen erklären können. Außerdem wird die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben veranschaulicht, sodass sowohl ihr Verhältnis zu anderen Verben, als auch ihre prämissiven und konklusive Beziehung zur diskursiven Intentionalität erfasst werden. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Verben (durch ihre signifikative Suffizienz) hinreichen, um jemandem Intentionalität zuzuschreiben, und welche Verben weitere Inferenzen erfordern, um diese zu attribuieren. Diese verschiedenen Darstellungen münden in einer Skizze einer linguistischen Verbpragmatik, welche einige exemplarische Analysen von intentionalen Verben enthält. Diese linguistische Verbpragmatik kann dann als Entwurf eines linguistischen Forschungsprogramms gelten, welches aus der Perspektive intentionaler Verben wesentliche Prozesse und Strukturen von diskursiven Praktiken analysiert. Eine erste Anwendung findet die linguistische Verbpragmatik dann nicht nur anhand exemplarischer Analysen, sondern auch in der Beschreibung von Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration, die als konstitutive Praktiken für Emergenz von diskursiver Intentionalität gelten können. II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 123 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation Abstract: The discussion and establishment of intentionality as a discursive heuristic in social-communicative practices requires an exploration of various notions that have dealt with intentionality and similar concepts to explain behavior as action in different scientific disciplines. Discursive intentionality, as will be discussed below, differs in particular from phenomenal intentionality, which stands in the tradition of Franz Brentano and Edmund Husserl, because it sees itself as fundamentally social-normative. Theoretical concepts such as intention, volition, cognitive causation and agentivity also differ from discursive intentionality, which are either possible logical consequences of already ascribed discursive intentionality or prefer an individual perspective on intentionality. The discussion results in a specific concept of intentionality that is compatible with theory of action and semiotics. Zusammenfassung: Die Diskussion und Etablierung von Intentionalität als diskursive Heuristik in sozial-kommunikativen Praktiken erfordert eine Sondierung verschiedener Begriffe, die sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit Intentionalität und ähnlichen Konzepten zur Erklärung von Verhalten als Handlung beschäftigt haben. Diskursive Intentionalität, wie sich im Folgenden diskutiert wird, unterscheidet sich dabei insbesondere von phänomenaler Intentionalität, die in der Tradition Franz Brentanos und Edmund Husserls steht, weil sie sich als grundlegend sozial-normativ versteht. Auch theoretische Begriffe wie Intention, Absicht, Volition, kognitive Verursachung und Agentivität unterscheiden sich von diskursiver Intentionalität, welche sie entweder mögliche logische Folgen bereits zugeschriebener diskursiver Intentionalität sind oder eine individuelle Perspektive auf Intentionalität präferieren. Aus der Diskussion resultiert ein spezifischer Begriff von Intentionalität, der handlungstheoretisch und semiotisch anschlussfähig ist. Keywords: discursive intentionality, phenomenal intentionality, intention, volition, cognitive causation, agentivity Schlüsselbegriffe: diskursive Intentionalität, phänomenale Intentionalität, Intention, Absicht, Volition, kognitive Verursachung, Agentivität Verhalten und Intentionalität stehen in einem Verhältnis zueinander. Diese Annahme ist unstrittig. Mit welchem theoretischen Vokabular Verhalten allerdings beschrieben wird, hat wesentlichen Einfluss auf die Konsequenzen der Theoriebildung. Und tatsächlich analysieren verschiedene Disziplinen Verhalten und die dieses motivierenden, verursachenden bzw. begründenden Strukturen und Prozesse mithilfe unterschiedlicher Konzepte, die teilweise miteinander konkurrieren. Auch in der Linguistik und der linguistischen Pragmatik werden solche Strukturen und Prozesse untersucht, sind teilweise sogar konstitutiv für die Disziplin. Diskursive Intentionalität, also diejenige, die Handlungsinvolviertheit mithilfe normativer und pragmatischer Signifikanzen in diskursiven Praktiken erklären soll, ist ein solches Konzept. Bevor jedoch diskursive Intentionalität theoretisch entwickelt werden kann, sollen andere familienähnliche Begriffe und Konzepte vorgestellt werden. Insbesondere die Phänomenologie, die aus der Beschreibung der kategorialen Wahrnehmungs- und Erfahrungsprozesse des Bewusstseins einen differenzierten Intentionalitätsbegriff entwickelt hat, scheint hier durch die strukturellen Ähnlichkeiten mit einem handlungstheoretischen Intentionalitätsbegriff der linguistischen Pragmatik zu konkurrieren. Im Folgenden sollen daher zwischen phänomenaler und diskursiver Intentionalität unterschieden und die verschiedenen Aspekte der explanatorischen Potenziale dieser Konzepte skizziert werden. Anschließend möchte ich mich der Handlungstheorie zuwenden, die Intentionalität ebenfalls als grundlegendes Konzept erfasst. Insbesondere aus der Darstellung von handlungsinvolvierten Intentionen, also Absichten, die strukturell mit Handlungen in Beziehung stehen, können verschiedene Erkenntnisse gezogen werden, die für die spätere Analyse von intentionalen Relationen und der Modellierung intentionaler Verben relevant sind. Gleichzeitig wird sich aber zeigen, dass handlungstheoretisch zwischen Intentionen und Intentionalität unterschieden werden muss, da erstere spezifische propositionale Gehalte und Einstellungen darstellen, die in Handlungen involviert sind, während letzte die Strukturbedingung für die Emergenz entsprechender propositionaler Gehalte in diskursiven Praktiken ist. Auch Psychologie und Kognitionsbzw. Neurowissenschaften untersuchen das Verhältnis von Verhalten und seiner Entstehung. Die Konzepte Volition, Agentivität und kognitive Verursachung dienen hier der Beschreibung eben jenes Verhältnisses. Insbesondere in verb- und ereignissemantischen Beschreibungsmodellen hat sich dieses theoretische Vokabular vorwiegend durchgesetzt und zieht sich bis in die Analyse semantischer Rollen durch. In Explikation des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit werden diese Konzepte nicht nur vorgestellt. Sie dienen gleichzeitig der Differenzierung zwischen einer Verbsemantik, die die Repräsentation von Kausation erfasst, und einer zu entwickelnden Verbpragmatik, die die normative und pragmatische Signifikanz in diskursiven Praktiken zu explizieren sucht. Die Vorstellung der verschiedenen Begriffe und Konzepte, die in Phänomenologie, Handlungstheorie, Psychologie und Kognitionswissenschaften verwendet werden, um Verhalten zu erklären, eröffnet anschließend ein theoretisches Feld, um diskursive Intentionalität als Signifikanz und Emergenzeffekt im Rahmen diskursiver Praktiken zu konzeptualisieren. 6.1 Phänomenale Intentionalität Der Ausdruck Intentionalität gilt in der zeitgenössischen Theoriebildung zunächst als Terminus der Phänomenologie und hat sich dort insbesondere in Anschluss an Franz Brentano und Edmund Husserl entwickelt: Die Gerichtetheit des Bewusstseins oder anderer 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 125 mentaler und phänomenaler Prozesse involviert in der Phänomenologie eine Relation zwischen einer mentalen Entität und dessen relationalem, ergo intentionalem Objekt. Der in den folgenden Kapiteln entwickelte Intentionalitätsbegriff, der sich auf die Signifikanz sprachlicher Zeichen stützt, weist einerseits strukturelle Affinität oder gar Wesensverwandtschaft zu diesem Begriff der phänomenologischen Intentionalität auf, ist aber andererseits nicht allein mittels phänomenaler Erkenntnisrekonstruktion in der diskursiven Praxis erfassbar. Auch wenn der im Folgenden entwickelte Intentionalitätsbegriff über eine phänomenale Struktur verfügt, nämlich in Form seiner phaneroskopischen Kategorienzugehörigkeit (cf. Kapitel 12.3), verweigert sich die Hinwendung zur Signifikanz sprachlicher Zeichen einer genuin phänomenologischen Rekonstruktion. Dennoch muss der Intentionalitätsbegriff der Phänomenologie zunächst in seinen Grundzügen erfasst werden, um nicht nur theoretischen Missverständnissen vorzubeugen, sondern auch dessen Affinitäten zur Intentionalität in diskursiven Praktiken vorzubereiten. Im Folgenden wird daher der Begriff der phänomenalen Intentionalität in Anschluss an die phänomenologische Tradition skizziert, um ihn dann von anderen, insbesondere handlungstheoretischen Intentionalitätsbegriffen abzugrenzen. Denn Intentionalitätsbegriffe erscheinen mindestens in zwei Traditionslinien, welche unterschiedliche Erklärungen für phänomenale bzw. pragmatische Ereignisse suchen: Phänomenologie und Handlungstheorie. Während der Ausdruck z. B. bei Franz Brentano und Edmund Husserl, die Intentionalität als Gerichtetheit des Geistes definiert, umfasst er z. B. bei John Searle nicht nur die Gerichtetheit, sondern involviert diese in die Strukturen von zweckmäßigen, bedeutungshaften und absichtsvollen Handlungen [purposeful, meaningful and intentional actions] (cf. Malle/ Moses/ Baldwin 2001a: 3). Die Integration der Gerichtetheit des Bewusstseins in Handlungen (und damit auch Handlungsplanungen, -motivationen, -konsequenzen, -folgen, -gründen und -dispositionen) führt zu einer wesentlichen Transformation der Analyse der Intentionalitätsstrukturen, sodass Intentionalität auch für die Zeichenwerdung von Sprachhandlungen in sozialen Kommunikationspraktiken relevant wird. In der Tradition der Phänomenologie hat phänomenale Intentionalität (cf. z. B. Kriegel 2013) hingegen insbesondere Kognitionswissenschaften, aber auch kognitive Linguistik beeinflusst (cf. z. B. Petitot 2011: 15 f.; Zlatev 2010, 2016). Insbesondere die Konstitution von image schemata (cf. z. B. Johnson 1987, Lakoff 1987), die sich aus sinnlicher Erfahrung speisen, verkörpert [embodied] werden (cf. z. B. Lakoff/ Johnson 1999) und sich in den Strukturen sprachlicher Zeichen sedimentieren, basiert auf einem Begriff phänomenaler Intentionalität. Phänomenale Intentionalität wird hier als Voraussetzung der sinnlichen Involviertheit mit einem wahrnehmbaren, erfahrbaren Kontinuum verstanden. Betrachtungen des Konzepts der phänomenalen Intentionalität beginnen häufig mit Franz Brentanos Definition aus Psychologie vom empirischen Standpunkt: Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben, und was wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Ausdrücken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter hier nicht eine Realität zu verstehen ist) oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl nicht jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem Urteile ist etwas anerkannt oder verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse gehaßt, in dem Begehren begehrt usw. Diese intentionale 126 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Inexistenz ist den psychischen Phänomenen ausschließlich eigentümlich. Kein physisches Phänomen zeigt etwas Ähnliches. Und somit können wir die psychischen Phänomene definieren, indem wir sagen, sie seien solche Phänomene, welche intentional einen Gegenstand in sich enthalten. (Brentano 1973: 124 f.) Brentano, der mit seinem Begriff der intentionalen Inexistenz den Begriff der phänomenalen Intentionalität vorwegnimmt, beschreibt diese als eine “ Beziehung auf einen Inhalt ” bzw. “ Richtung auf ein Objekt ” . Das Verhältnis zwischen mentalem Phänomen und Objekt ist dabei nicht nur monadisch, sondern ist in den Strukturen der Psyche enthalten. Dies veranlasst anschließend Edmund Husserl, die psychische Irreduzibilität der intentionalen Inexistenz Brentanos zu verwerfen und dessen Psychologismus aufzugeben. Insbesondere Brentanos Objektbegriff sei Husserl zufolge allenfalls skizzenhaft, da weder eindeutig sei, ob das Objekt der intentionalen Inexistenz selbst psychischer Natur ist oder ob gar die Psyche selbst zum Objekt werden könne (cf. Husserl 2009: 384 f.). Für Husserl involviert Intentionalität somit nicht mehr allein psychische Strukturen, sondern auch ein erfahrbares und wahrnehmbares Objekt, welches sich nicht im Psychischen erschöpft. Husserl entwickelt nun aus Brentanos Konzept der intentionalen Inexistenz einen phänomenalen Intentionalitätsbegriff, welcher die Struktur des Bewusstseins und dessen Erfahrungen beschreiben soll, ohne sie auf psychologische Strukturen zu reduzieren. Hierzu führt er unterschiedliche theoretische Termini ein, die phänomenale Erfahrung einerseits differenziert analysieren können, aber andererseits auf spezifische und diskursive Bedeutungskonstitutionen und -zuweisungen verzichten. Die phänomenale Struktur des Bewusstseins (cf. Husserl 2009: 425 f.) ähnelt daher z. B. nicht nur der logischen Struktur des propositionalen Gehalts in der sprachanalytischen Philosophie, sondern ist hinsichtlich seiner ontisch-ontologischen Struktur mit den universalen Kategorien Charles S. Peirces vergleichbar, wobei ersterer Bewusstseinsstrukturen differenziert, während letzterer die Grundlage aller Zeichenprozesse zu erklären sucht. Für Husserls Begriff der Intentionalität gilt daher Folgendes: Intentionale Erlebnisse sind Husserl zufolge auf intentionale Inhalte bzw. Objekte gerichtet, sodass es zu Erfahrungen dieser Inhalte bzw. Objekte kommen kann. Die Bedingung dieser intentionalen Erfahrung ist, dass das Erkenntnissubjekt über Intentionalität verfügt und somit eine Relation zwischen Erkenntnisakt bzw. -subjekt und intentionalem Objekt hergestellt werden kann bzw. wird. Phänomenale Intentionalität setzt im Rahmen einer Erkenntnisstaffelung vor dem Zeichenereignis an und dient als Voraussetzung, damit etwas überhaupt als Zeichen wahrgenommen werden kann. Sie strukturiert aber auch selbst den Zeichenprozess, so wie auch die universalen Kategorien Charles S. Peirces im Zeichenprozess vorhanden sind. Daher ist phänomenale Intentionalität im Grenzbereich von Phänomenologie und Semiotik anzusiedeln, welcher auf der Erkenntnis beruht, dass sowohl Phänomene als auch Zeichen zur Erfahrungswelt beitragen (cf. hierzu auch Waldenfels 2014). Es geht dabei um nicht weniger als die Markierung der Grenze von sinnlicher und eindrücklicher Erfahrung einerseits und inferenzieller und diskursiver Bedeutungs- und Normkonstitution andererseits. Aber dazu später mehr. Der Begriff der phänomenalen Intentionalität ist daher auch von einem Begriff der diskursiven Intentionalität abzugrenzen, wie er im Folgenden entwickelt werden soll. 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 127 Edmund Husserls Perspektive auf intentionale Bewusstseinsakte ist gewissermaßen zeichenlos, ist sie doch im Rezeptionsereignis situiert und erklärt die Bedingungen der reziproken Relation zwischen Erkenntnisakt bzw. -subjekt und einem weltlichen, wahrnehmbaren und erfahrbaren Kontinuum. Diskursive Intentionalität, so wird sich zeigen, entfaltet sich voll und ganz in der Sphäre der Semiose, auch wenn sie sich ebenfalls auf universale Kategorien der Phaneroskopie stützt. Sie eröffnet das Feld der theoretischen Modellierung gewissermaßen vonseiten der stetigen Zeichenprozesse und nicht vonseiten der Bedingung der Erfahrung. Diskursive Intentionalität ist ein Effekt ihrer semiosischen Strukturen und Relationen, sodass sie hinsichtlich ihrer Zeichenrelationen untersucht werden muss, um ihr vollends gerecht zu werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass phänomenale Intentionalität ein Terminus der Phänomenologie ist, welche die Bedingung der sinnlichen Erfahrung darstellt. Diskursive Intentionalität hingegen wird im Folgenden als semiosischer Emergenzeffekt analysiert. 6.2 Intention und Absicht Neben dem Begriff der phänomenalen Intentionalität stehen insbesondere die Konzepte Intention und Absicht bzw. intentional und absichtlich im Blickpunkt von Handlungstheorie und linguistischer Pragmatik. Daher muss sich diskursive Intentionalität nicht nur von phänomenaler Intentionalität, sondern auch von verschiedenen Begriffen der Intention bzw. Absicht abgrenzen. Im Folgenden soll insbesondere der Begriff der Intention in Handlungstheorien beschrieben werden. Handlungstheoretischen Annahmen, die um das Konzept handlungsinvolvierter Intentionen kreisen und sowohl das Verhältnis von Verhalten und Intention, aber auch die Involviertheit von Interpretation beinhalten, möchte ich zusammenfassen. Ich veranschauliche nicht nur, dass sich Intention und Intentionalität unterscheiden, sondern auch, dass die unterschiedliche Handlungsinvolviertheit von Intentionen (vorausgehende Absichten und Handlungsabsichten) für die Analyse von Intentionalität relevant ist. Aus der Darstellung der verschiedenen Intentionsbegriffe werden dann einige Annahmen destilliert, die im Rahmen der Analyse diskursiver Intentionalität, intentionaler Relation und intentionaler Verben immer wieder aufgerufen werden können. Der Begriff der Intention findet sich bereits in Husserls Logischen Untersuchungen und übernimmt dort eine grundlegende Funktion. Tatsächlich ähnelt der phänomenologische Intentionsbegriff, wie er bei Husserl zu finden ist, eher dem Konzept der Proposition, wie er in der traditionellen analytischen Philosophie verwendet wird. Intention und Proposition bilden skeletthafte Erfahrungsstrukturen des Bewusstseins. Intentionen haben in der Phänomenologie daher ebenso wenig mit Absicht zu tun wie phänomenale Intentionalität mit Absichtlichkeit. Neben dem Verständnis von phänomenalen Intentionen ist der Begriff der Absicht für die philosophische Handlungstheorie und damit auch für eine handlungstheoretisch fundierte linguistische Pragmatik unabdingbar. In dieser werden die Begriffe Absicht und Intention weitestgehend synonym verwendet. Schwieriger zu erfassen ist hingegen das Verhältnis von Absicht und handlungsinvolvierter Intention und kann für Missverständnisse sorgen. Denn nicht alle handlungsinvolvierten Intentionen sind notwendigerweise Handlungs- 128 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben absichten. Analytische Modelle von Handlungen nehmen unterschiedliche Funktion von Intentionen in Handlungen an, sodass nicht jede Absicht auf dieselbe Weise zur Ausführung, Motivation oder zum Gelingen einer Handlung beiträgt. Auch der Unterschied von handlungsinvolvierter und phänomenaler Intention lässt sich nicht anhand einer Gegenüberstellung nachhaltig klären. Je nach Perspektive sind handlungsinvolvierte Intentionen entweder eine spezifische Form von phänomenalen Intentionen, welche ihrerseits weitere propositionale Einstellungen beteiligen. Handlungsinvolvierte Intentionen können aber auch allein für Handlungsinterpretation notwendig sein, sodass phänomenale Intentionen für die Handlungstheorie insofern irrelevant sind, als dass sie als spezifische Bewusstseinsstrukturen der Handlung vorgelagert und somit nicht erklärungsbedürftig sind. Dieses Verhältnis von handlungsinvolvierten und phänomenalen Intentionen hat mit den unterschiedlichen Ausrichtungen von Phänomenologie und Handlungstheorie zu tun. Während Phänomenologie insbesondere die kategorialen Grundstrukturen des Bewusstseins hinsichtlich ihrer Involviertheit mit einer Erfahrungswelt erfasst, untersucht Handlungstheorie nicht nur das Vorhandensein von handlungsinvolvierten Intentionen, sondern analysiert deren Erfüllungsbedingungen und -effekte in der Handlungsumgebung: Die Phänomenologie erklärt ein Welt-zu-Bewusstsein-Erkenntnisverhältnis, während die Handlungstheorie insbesondere ein Handlung-zu-Welt-Erkenntnisverhältnis (Stichwort: Performativität) erläutert. Die verschiedenen Interpretationen des Lexems Intention zeigen, dass dieses sowohl phänomenologisch als auch handlungstheoretisch verstanden werden kann. Die folgenden Betrachtungen und Abgrenzungen beschränken sich auf handlungstheoretische und linguistisch-pragmatische Reflexionen. In der anglo-amerikanischen Handlungs- und Sprachphilosophie nehmen handlungsinvolvierte Intentionen einen zentralen Platz ein. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht nicht nur das Verhältnis von Handlungsereignis und Intention, sondern auch deren Begründungs- und Urteilsrelationen sowie die Beziehung zwischen handlungsmotivierenden Intentionen und die die Handlung protegierenden Überzeugungen. Intentionen sind dort ein spezifischer Typ von propositionalen Gehalten, welche in besonderen Wirkungsbzw. Effektzusammenhängen zur ausgeführten Handlung stehen, wobei dieser Wirkungsbzw. Effektzusammenhang entweder über Ursachen (kausal) oder über Gründe (normativ) erklärt wird. Handlungsereignis und dessen Intentionen werden vorwiegend aus der Perspektive der ersten Person konzeptualisiert (cf. z. B. Chisholm 1992), insbesondere deshalb, weil die Motivation der Handlung über mentale Zustände (z. B. Intentionen und Überzeugungen) erklärt wird. Durch die Erste-Person-Perspektive können Effektverhältnisse zwischen mentalen Zuständen und den Handlungen angenommen werden, ohne dass spezifische sozial-kommunikative oder -normative Aspekte der Handlungsmodellierung vorausgesetzt sein müssen. 1 1 In den folgenden Kapiteln wird eine Alternative zur Erste-Person-Perspektive der analytischen Handlungstheorie vorgeschlagen, die die Konstitution eines Verhaltensereignisses als sozial-normative Handlung nicht mit deren Verhältnis zu mentalen Zuständen erklärt, sondern anhand von Zeichenereignissen. Daher nehmen die folgenden Erklärungen auch nicht eine Person-Perspektive, sondern eine Zeichen-Perspektive ein, welche mit dem semiotischen Pragmatismus und dem normativen Sprachpragmatismus vereinbar ist. 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 129 In der analytischen Handlungstheorie gilt z. B. Donald Davidsons Handlungen, Gründe und Ursachen als kanonischer Text, welcher die unterschiedlichen handlungstheoretischen Modellierungen beeinflusst. Davidson modelliert dort Intentionen, Proeinstellungen und entsprechende Überzeugungen, die eine Handlung anleiten und die er primäre Gründe nennt (cf. Davidson 1990 b: 20). Verhalten, das auf primären Gründen beruht, wird als Handlung bezeichnet. Die Intention, die die Handlung konstituiert, ist dieser strukturell wie zeitlich vorgelagert, sodass es zu einem sequenziellen Strukturverhältnis zwischen Intention und Handlung kommt. Insbesondere dieses sequenzielle Strukturverhältnis von Intention und Handlung kritisiert G. E. M. Anscombes Monographie Absicht, wenn sie das Verfügen über die Handlungsintention als Teil der Handlung selbst konzeptualisiert. Es ist vielmehr die Involviertheit der Intention in das Verhaltensereignis, welche dieses zur Handlung macht. Mit dem Verfügen der Handlungsintention beginnt die Handlung (cf. Anscombe 2011: 65 f.). Diese Involviertheit der Intention im Handlungsereignis gilt auch noch in Handlungsmodellierungen wie z. B. dem belief-desire-intention model Michael E. Bratmans in Intentions, Plans, and Practical Reasoning (1987), die heutzutage noch relevant sind. Die Frage nach Sequenzialität und Ereignishaftigkeit, Vor- und Gleichzeitigkeit von Intention und Handlung führt außerdem zu einer Binnendifferenzierung von handlungsinvolvierten Intentionen, indem z. B. zwischen projektiver Handlungsplanung und Handlungsintention unterschieden wird. John Searle (1987: 108 f.) führt deshalb die Begriffe der vorausgehenden Absicht und Handlungsabsicht ein, die sich aufgrund ihrer Handlungsinvolviertheit unterscheiden. Vorausgehende Absichten beeinflussen mögliche Handlungen, führen aber nicht notwendigerweise zu ihrer Durchführung. Handlungsabsichten hingegen sind jene, die unmittelbar in Handlungen involviert sind, also primäre Gründe in Sinne Davidsons liefern, und stellen damit das traditionelle Verständnis des Begriffs der Intention dar. Neben der Binnendifferenzierung von handlungsinvolvierten Intentionen in vorausgehende Absichten und Handlungsabsichten ist auch die Erklärung ihres Verhältnisses zu anderen propositionalen Einstellungen relevant, da nicht nur Intentionen, sondern auch andere propositionale Einstellungen wie Überzeugungen oder Wünsche in Handlungen involviert sind bzw. sein können. Insbesondere propositionale Einstellungen der Überzeugung sind für die Modellierung des Handlungsereignisses offenkundig interessant. Überzeugungen stehen in einem Verhältnis zur Umwelt und dienen dem Wechselverhältnis und der Wahrheitsfunktionalität von propositionalen Gehalten. Überzeugungen sind in diesem Verständnis entweder wahr oder falsch, je nachdem, ob sie mit bestimmten Sachverhalten korrelieren. Intentionen hingegen sind handlungsmotivierende propositionale Einstellungen, die sich primär nicht über ihr Verhältnis zur Umwelt definieren, sondern über eine Handlungskraft verfügen. Überzeugungen liefern daher zwar keine primären Gründe für Handlungen, können diese aber z. B. als Hintergrundüberzeugungen beeinflussen. Trotz der Involviertheit von Intentionen in Handlungen reicht die Definition Handlung = Intention + Verhalten (+ andere propositionale Einstellungen und Gehalte) nicht aus. Vielmehr muss das Verhältnis von Verhalten bzw. Handlung und Intention selbst in seiner prozessualen Struktur modelliert werden. Erst die Relation zwischen Verhalten und 130 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Intention ermöglicht nicht nur eine Differenzierung beider, sondern bestimmt auch deren Form und Gehalt. Diese Reduktion von Handlung auf Verhalten + Intention haben sowohl Sprachals auch Handlungsphilosophien kritisiert und sich in ihrem jeweils eigenen theoretischen Vokabular damit beschäftigt. Was Donald Davidson (1990 b: 77) Interpretation oder Beschreibung eines Aspekts, was G. E. M. Anscombe (2011: 49 f.) Bezeichnung [under a description] oder Georg Henrik von Wright (1974: 108) Perspektive des Handelnden oder Beobachters nennt, bezieht sich eben auf diese Notwendigkeit, die Relation von Verhalten und Intention zu modellieren (cf. dazu auch Harras 2004: 12 f.): Es geht darum, dass Intention und Verhalten nur in ihrer Interpretation in Beziehung gesetzt werden können. Das Verhältnis zwischen Verhalten und Verhaltensinterpretation steht auch in den folgenden Beschreibungen zum Begriff der diskursiven Intentionalität im Mittelpunkt. Anstatt aber in diesem Verhältnis den Aspekt der Interpretation zu privilegieren, soll im Folgenden der involvierte Zeichenprozess reflektiert und so ein entscheidender Schritt vorgenommen werden: Eine Beschreibung des Prozesses als Interpretation ist dann nicht mehr hinreichend, sondern es soll erklärt werden, warum das Verhältnis von Verhalten und Intention auf eine spezifische Weise interpretiert werden kann. Es geht also darum, dass zeichentheoretisches Vokabular etabliert wird, welche nicht nur mit semiotischem Pragmatismus und normativem Sprachpragmatismus vereinbar ist, sondern auch das Verhältnis zwischen Verhalten und Verhaltensinterpretation semiotisiert. Hier bietet sich der Begriff der Signifikanz an, der die spezifische Zeichenhaftigkeit und Zeichenwerdung dieses Verhältnisses erklären kann. Die Relation von Verhalten und Intention sowie das Verhältnis zwischen Verhalten und Verhaltensinterpretation müssen dann nicht mehr über Folgehandlungen bzw. -interpretation analysiert werden. Vielmehr kann eine Analyse der Signifikanz des Zeichens, welches die Relation von Verhalten und Intention in diskursiven Praktiken herstellt, die Konstitution von Verhalten als Handlung erläutern. Insofern ist der Begriff der Interpretation nicht hinreichend, wenn er eine Art hermeneutischen Decodierungsprozess impliziert, welcher die Existenz der Relation von Verhalten und Intention voraussetzt. Beinhaltet er hingegen, dass sich kraft der Interpretation von Zeichen das Verhalten als hinsichtlich seiner Intentionen signifikant erweist, erfasst er die Struktur des Zeichens in der Verhaltensdeskription und Handlungskonstitution. Nach der Kontrastierung von phänomenalen und handlungsinvolvierten Intentionen, vorausgehenden und Handlungsabsichten sowie dem Verhältnis von Verhalten und Intention bzw. Verhalten und Verhaltensinterpretation ist auch eine Abgrenzung des Begriffs der Intention zum Konzept der Intentionalität notwendig. Trotz einiger konzeptioneller Ähnlichkeiten ist ein handlungstheoretischer Intentionalitätsbegriff weder mit phänomenaler Intentionalität noch mit handlungsinvolvierten Intentionen gleichzusetzen. Dass jemand über Intentionalität (im handlungstheoretischen Sinne) verfügt, ist vielmehr eine Bedingung dafür, dass das Verhalten dieser Person hinsichtlich spezifischer handlungsinvolvierter Intentionen und anderer propositionaler Gehalte signifikant sein kann. Intentionalität im handlungstheoretischen Sinne ist daher nicht auf die Gerichtetheit des Bewusstseins (im phänomenalen Sinne) reduzierbar, sondern impliziert eine Einbettung des zu signifizierenden Verhaltens in die jeweilige diskursive Handlungssituation und deren Strukturen und Muster. Die folgenden Reflexionen zu und Modellierungen von einem Intentionalitätsbegriff, intentionalen Relationen und Verben betrachten allein die hand- 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 131 lungsspezifischen Aspekte und lassen phänomenale Intentionalität außen vor, was aber nicht ausschließt, dass handelnde Personen nicht auch über phänomenale Intentionalität verfügen. Dies ist aber aus einer Perspektive, die diskursive Praktiken zu analysieren sucht, zunächst irrelevant. Es geht allein um die Einbettung in Handlungsstrukturen, die durch soziale und diskursive Normen typisiert werden und die mit diskursiver Intentionalität, also Intentionalität in diskursiven Praktiken, erfassbar sind. Der Begriff der diskursiven Intentionalität, der diskursive Handlungspraktiken anvisiert, unterscheidet sich also nicht nur vom Begriff der phänomenalen Intentionalität, sondern auch von Begriffen phänomenaler und handlungsinvolvierter Intentionen bzw. Absichten. Insbesondere letztere können aber nicht nur diskursive Folgen der Signifikanz von diskursiver Intentionalität sein, sondern sind für noch folgende Darstellungen von verbpragmatischen Strukturtypen äußerst relevant. Denn sie eröffnen eine potenzielle Differenzierung von verschiedenen normativen und pragmatischen Signifikanzen verschiedener Verben (cf. Kapitel 12). Daher können aus den handlungstheoretischen Darstellungen verschiedene Erkenntnisse gezogen werden, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden sollen: 1. Verhältnis zwischen Verhalten und Intention bzw. Intentionalität 2. Differenz von vorausgehenden Intentionen und Handlungsintentionen 3. Signifikanz der diskursiven Intentionalität 1. Das Verhältnis zwischen Verhalten und Intention bzw. Intentionalität, was u. a. durch Interpretation des Verhaltens hergestellt wird, ist insbesondere für die Analyse diskursiver Praktiken relevant, wenn es um die Handlungskraft von Verhalten, insbesondere sprachlichem, geht. Was ich im Folgenden als pragmatische Signifikanz beschreiben werde, erfasst eben die Handlungskraft, die z. B. Äußerungen aufweisen, wenn sie als sprachliche Handlungen verstanden werden. Mithilfe von Verben kann das Verhältnis zwischen Verhalten und Intentionalität nicht nur erfasst, sondern es kann deren diskursive Signifikanz analysiert werden, die dieses Verhältnis erst stiftet (cf. Kapitel 12). 2. Die Differenz von vorausgehenden Intentionen und Handlungsintentionen, die in der Handlungstheorie vorgenommen wird, mag auf den ersten Blick nicht mit der Analyse diskursiver Intentionalität einhergehen, sind Intentionen und Intentionalität handlungstheoretisch doch unterschiedliche Kategorien. Dennoch ist diese Unterscheidung z. B. für Verantwortung von Personen relevant: Gelten für ein spezifisches Verhalten bestimmte Handlungsintentionen, dann kann die ausführende Person für die Handlung verantwortlich gemacht werden. Aus vorausgehenden Intentionen erwächst nicht notwendigerweise eine entsprechende Verantwortung hinsichtlich des signifizierten Verhaltens. Die normative Signifikanz unterscheidet sich hier. Was noch abstrakt bleibt, wird später bei einer semiotischen Analyse intentionaler Relationen klar: Obwohl viele intentionale Relationen Personen Intentionalität zuschreiben bzw. attribuieren, verfügen die Personen diskursiv (nach Zuschreibung oder Attribuierung) nicht notwendigerweise über Handlungsabsichten, sondern teilweise über vorausgehende Absichten, was ihnen die Verantwortung für die Handlung nicht zwingend ebenfalls zuschreibt bzw. attribuiert (cf. Kapitel 8.3 und 12). Eine semiotische Strukturanalyse von intentionalen Verben wird zeigen, dass diese Verben 132 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben unterschiedliche normative Signifikanzen aufweisen, die zu unterschiedlichen diskursiven Konsequenzen führen können. 3. Die theoretische Entwicklung der Signifikanz diskursiver Intentionalität führt außerdem über die logische Deskription intentionaler Relationen zu einer verbpragmatischen Analyse, welche pragmatische und normative Signifikanzen intentionaler Verben zu analysieren sucht (cf. Kapitel 12.6). Auf die Aspekte 1., 2. und 3. wird sowohl in der Darstellung der diskursiven Intentionalität, der logischen Analyse von Relationen als auch der Modellierung intentionaler Verben wieder Bezug genommen. 6.3 Volition, kognitive Verursachung und Agentivität Intentionalität und Intention sind nicht die einzigen Begriffe, die zur Deskription von Verhalten und Handlung verwendet werden. Im Rahmen von psychologischer und kognitionswissenschaftlicher Forschung hat sich vielfach der Begriff der Volition durchgesetzt, um die Involviertheit von kognitiven Strukturen in Verhalten zu analysieren, und ist bisweilen in die linguistische Semantik und Syntax vorgedrungen. Im Folgenden sollen also der Begriff Volition sowie die Konzepte kognitive Verursachung und Agentivität in Abgrenzung zu Intentionalität und Intention beschrieben werden. Insbesondere deshalb, weil diese Konzepte in verbsemantischen Modellen verbreitet sind (und damit auf den ersten Blick mit der im Folgenden zu entwickelnden Verbpragmatik zu konkurrieren scheinen), ist eine trennscharfe Deskription der Konzepte unabdinglich. In der folgenden Argumentation basiert insbesondere die Abgrenzung von semantischen und diskursiven Rollen auf dem Unterschied von Agentivität und diskursiver Intentionalität (cf. Kapitel 12.3 und 12.4). Volition lässt sich mit Willen bzw. Willenskraft übersetzen. Auch wenn für Handlungen häufig ein volitionaler Status erforderlich ist, ist sie dadurch noch nicht äquivalent zur Intention. So erklärt Wolfgang Prinz in Selbst im Spiegel: Wenn wir sagen, daß Menschen willentlich handeln, meinen wir, daß sie selbst entscheiden, welche Zwecke oder Ziele sie verfolgen und welche Mittel oder Handlungen sie einsetzen, um diese Ziele zu erreichen. Der Wille ermöglicht ihnen, sich Ziele zu setzen, sie im Spiel zu halten, damit konkurrierende Ablenkungen und Versuchungen zu ignorieren oder zu unterdrücken, nach Gelegenheit zu ihrer Realisierung Ausschau zu halten, geeignete Handlungen zu vollziehen, ihre Ergebnisse zu bewerten, usw. Dementsprechend bezeichnet ‘ Wille ’ eine Menge geistiger Funktionen, die eine entscheidende Rolle für unser Verständnis dessen spielen, wie sich der Geist in sozialen Kontexten verhält. (2013: 167 f.) Volition bewegt sich also eher im semantischen Feld der Entscheidungsfreiheit, Handlungsmotivierung und -verursachung und beinhaltet auch Willenshandlungen (für einen Überblick cf. Vierkant 2008). Es ist eine psychologische Fertigkeit, die sich in der Erwägung von konkurrierenden kognitiven Handlungsmöglichkeiten zeigt. Volition ist damit eine Menge geistiger Funktionen und bereits diese Formulierung verweist auf deren Status: Volitionen und andere geistige Funktionen bilden die Grundlage phänomenaler und sinnlicher Erfahrungen, sind aber selbst weder phänomenal zugänglich noch diskursiv signifikant. 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 133 Diese grundlegende Funktionalität von Volitionen in der Handlungsausführung grenzt diese daher von handlungsinvolvierten Intentionen ab, indem Intentionen und Volitionen in eine Struktur-Funktions-Relation gestellt werden, in welcher Volitionen eine strukturierende Funktionalität übernehmen: Während Handlungsontologien strukturelle Informationen liefern, bieten Steuerungsmodelle funktionale Informationen. Steuerungsmodelle geben an, wie Handlungen ausgewählt und eingeleitet werden und wie sichtbare Handlungen von unsichtbaren physikalischen Kräften und den hinter diesen stehenden geistigen Kräften angetrieben werden. (Prinz 2013: 179) Wolfgang Prinz erklärt die funktionalen Informationen von Steuerungsmodellen, die auch Volitionen umfassen, indem er deren Vorgeordnetheit vor der Explanation von Handlungsontologien setzt. Die Steuerung von Handlungen durch Volitionen setzt somit vor der Handlungsmodellierung und -theorie ein. Gleichzeitig zeigt das mechanistische Vokabular von Wolfgang Prinz ( “ Steuerungsmodelle ” , “ physikalische Kräfte ” , “ angetrieben ” etc.) 2 an, dass hinter der Theorie von Volitionen auch entsprechende ontologische Vorstellungen stehen. Es handelt sich bei Volitionen eben um funktionale Informationen, die an kybernetische Beschreibungsmodelle angelehnt sind und sich auf die mechanischen und physikalischen Kräfte der Verhaltensverursachung beschränken. Die Normativität diskursiver Praktiken, die in spezifischen Handlungen und Handlungsmustern involviert ist und welche im Folgenden untersucht wird, kann und soll von solchen Modellen nicht erfasst werden. Zumindest bisher nicht. Volitionen sind das “ Schlüsselmerkmal von Agentivität und agentiver Steuerung ” (Prinz 2013: 186) und implizieren die kognitive Verursachung von volitionalem Verhalten, aber nicht die soziale Normativität von diskursiven Handlungen. Nicht nur in Kognitions- und Neurowissenschaften bzw. sozialer Psychologie gehören Konzepte wie Volition, (kognitive) Verursachung [causation] und Agentivität zum Standardrepertoire. Auch Ereignis- und Verbsemantik, -syntax und -grammatik und deren Realisierung und Kategorisierung von Argumenten und semantischen Rollen lehnen sich häufig an diesen Kategorien an (cf. z. B. Croft 2012, Dowty 1991, Jackendoff 1995, Levin/ Rappaport Hovav 2005, Talmy 1976, Van Valin/ Wilkins 1999). Das theoretische Vokabular wird dort teilweise um den Begriff der Volitionalität [volitionality] erweitert und es werden die Prädikate VOLITIONAL [volitional] und ABSICHTLICH [intentional] gebraucht, welche teilweise synonym verwendet werden. Volition, kognitive Verursachung und Agentivität haben dabei insbesondere in der Deskription von semantischen Rollen eine distinktive Funktion, wenn sich z. B. das PROTO - AGENS durch folgende Eigenschaften auszeichnet: “ volitional involvement in the event or state ” (Dowty 1991: 572) und “ causing an event or change of state in another participant ” (ebd.). Die semantische Rolle des AGENS , welche zur Ereignisbeschreibung des Verbs beiträgt, involviert dabei sowohl Volition als auch Verursachung, um als agentive Rolle erkannt zu werden. Auch hier verweist das Vokabular auf die geistigen Funktionen der Verursachung 2 Eine sprachkritische Auseinandersetzung mit mechanistischem und anderem Hirnforschungsvokabular hat Peter Janich (2009) vorgelegt. Bei Lily E. Kay (2005: insb. 34 f.) findet sich die Analyse von informationstheoretischen und kybernetischen Begriffen und Metaphern in den Lebenswissenschaften. 134 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben und nicht auf Normativität diskursiver Praktiken und ihrer Handlungen. Damit geht es also vielmehr um die Darstellung und Repräsentation von psychischen Strukturen und Prozessen mithilfe von Verben als um Signifikanz sprachlicher Zeichen, pragmatische und normative Prozesse, Handlungskonstitution oder Verantwortungszuschreibung bzw. -attribuierung, die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen. Zusammenfassend zeigt sich, dass Volition, kognitive Verursachung und Agentivität auf Modellen beruhen, die die psychischen Strukturen von Akteuren in ihrer Verhaltensverursachung zu analysieren suchen. Der hier vertretene Ansatz betrachtet diskursive Intentionalität als für diskursive Praktiken relevant, nähert sich Handlungsbeschreibungen also nicht von Seiten der psychologischen Strukturen, sondern betrachtet diskursive Normen in Handlungskonstitutionen. Daher ist auch das Konzept der semantischen Rolle aus der Perspektive der diskursiven Praktiken zunächst irrelevant, weil es nicht um die Repräsentation von kognitiven Strukturen mithilfe von Verben, sondern um pragmatische und normative Signifikanzen geht. Die Skizze der verschiedenen Konzepte der Phänomenologie, der Handlungstheorie, Psychologie und Kognitionsbzw. Neurowissenschaft, die in Verhaltens- und Handlungsbeschreibung involviert sind, verweist nicht nur auf die Notwendigkeit einer differenzierten Theoriebildung, sondern auch auf deren potenzielle Interdependenzen. Das Vokabular der phänomenalen Intentionalität, der Volition und Agentivität rahmt einen diskursiven Intentionalitätsbegriff für die linguistische Pragmatik ein, indem es Grenzphänomene erfasst, die zwar an Verhaltensverursachung und -deskription beteiligt sein können, für Analysen diskursiver Praktiken aber nur marginal interessant sind. Sie bilden eher Aspekte des Gelingens von agentiven Verhaltens- und Wahrnehmungsprozessen ab und können daher aus Perspektive einer linguistischen Pragmatik, die pragmatische und normative Signifikanzen analysiert, unberücksichtigt bleiben. Wissenschaftliche bzw. philosophische Tradition Phänomenale, semiotische bzw. kognitive Involviertheit Phänomenologie (Analytische) Handlungstheorie (Sozial-)Psychologie und Kognitionswissenschaft Strukturbedingungsbeschreibung Phänomenale Intentionalität Diskursive Intentionalität Volitionalität und Agentivität Strukturbeschreibung Phänomenale Intention Handlungsinvolvierte Intention (alltägl.: Absicht) Volition und (kognitive) Verursachung Tab. 5: Diskursive Intentionalität im Feld der Wissenschaften Die Zusammenfassung der verschiedenen Beschreibungen von phänomenaler Intentionalität, phänomenalen und handlungsinvolvierten Intentionen sowie Volition, Volitiona- 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 135 lität, Agentivität und kognitiver Verursachung rahmen ein theoretisches Feld, welche hinsichtlich der Strukturbedingungsbeschreibung im Rahmen einer Handlungstheorie, hier linguistische Pragmatik, offenbleibt (Tab. 5). Dieses Konzept, welches die spezifischen pragmatischen und normativen Signifikanzen in diskursiven Praktiken darzustellen versucht, soll im Folgenden theoretisch entwickelt werden: diskursive Intentionalität. 136 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären Abstract: Intentionality as an element of theories of action in pragmatics is particularly associated with the tradition of intentionalism, which assumes that linguistic meaning and communication can be explicated with the help of mental states. The establishment of discursive intentionality as a fundamentally social-normative aspect of practices pursued here runs counter to this assumption of intentionalism. This chapter therefore explicates the theoretical premises of intentionalism and summarizes central points of criticism of this tradition of thought under the myth of the illocutionary. This results not only in a rejection of intentionalism, but also in a desideratum with regard to actiontheoretical aspects of pragmatics, which prepares the theorization of the following chapters. Zusammenfassung: Intentionalität als Element von Handlungstheorien ist in der linguistischen Pragmatik insbesondere mit der Tradition des Intentionalismus verbunden, die annimmt, dass sprachliche Bedeutung und Kommunikation sich mithilfe mentaler Zustände explizieren lassen. Die hier verfolgte Etablierung von diskursiver Intentionalität als grundlegend sozial-normativem Aspekt von Praktiken steht dieser Annahme des Intentionalismus entgegen. Daher expliziert dieses Kapitel die theoretischen Prämissen des Intentionalismus und fasst zentrale Kritikpunkte an dieser Denktradition unter dem Mythos des Illokutionären zusammen. Daraus resultiert nicht nur eine Abkehr vom Intentionalismus, sondern auch ein Desiderat hinsichtlich handlungstheoretischer Aspekte linguistischer Pragmatik, die die Theoriebildung der folgenden Kapitel vorbereitet. Keywords: intentionalism, speaker meaning, speech act theory, illocution Schlüsselbegriffe: Intentionalismus, Sprecherbedeutung, Sprechakttheorie, Illokution Im Folgenden soll ein Konzept der Intentionalität entwickelt werden, welches unterschiedliche diskursive Performanzen und Signifikanzen, zu denen auch sprachliche Handlungen gehören, erklären kann. In der linguistischen Pragmatik sind intentionalistische Sprach- und Handlungstheorien, welche Intentionen als Voraussetzungen für sprachliche Handlungen betrachten, trotz ausführlicher Kritik (cf. z. B. Arundale 1999, 2008, 2020; Cooren 2000; Levinson 1981, 1983; Sbisà/ Fabbri 1980; Schegloff 1988) weiterhin verbreitet, sodass eine Forschungsarbeit, die sich auch mit sprachlichen Handlungen auseinandersetzt, mit entsprechenden Ansätzen konkurriert. Da intentionalistische sprach- und handlungstheoretische Annahmen aber nicht mit den bisher eingeführten zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen vereinbar sind, soll anhand zweier Gründungsväter der linguistischen Pragmatik, H. P. Grice und John R. Searle, die Kritik am Intentionalismus exemplarisch wiederholt werden. Anstatt aber bei einer Kritik zu verweilen, soll anschließend anhand verschiedener Kritikpunkte ein Desiderat aufgezeigt werden. Anschließend entwickle ich ein zeichen- und sprachgebrauchsbasiertes Konzept von Intentionalität. Das Konzept der diskursiven Intentionalität soll außerdem mithilfe einer inferenzialistischen und pragmatisch-semiotischen Perspektive weiterentwickelt werden, indem mithilfe des Ansatzes Robert Brandoms ein Intentionalitätsbegriff vorgestellt wird, welcher seine Produktivität in diskursiven Praktiken entfaltet, ohne mentale oder kognitive Vorannahmen zu machen, die sich unmittelbar auf diese Praktiken auswirken. In der Interpretation von Brandoms Theorie der diskursiven Praxis und diskursiven Intentionalität wird sich zeigen, dass dessen Zeichenbegriff für semiotische Analysen nicht hinreichend ist. Daher wird dessen Konzept anschließend nicht nur mit den Zeichentheorien T. L. Shorts und Ruth Millikans, die beide ebenfalls Intentionalitätsbegriffe entwickelt haben, kontrastiert, sondern es werden einige wesentliche Erkenntnisse der beiden in Brandoms Theorie integriert: Anstatt diskursive Intentionalität allein als eine diskursive Festlegung in der sozial-kommunikativen Praxis zu betrachten, so Brandoms Perspektive, kann die Signifikanz dieser Festlegung mithilfe der Involviertheit von spezifischen sprachlichen Zeichen erklärt werden: intentionalen Verben. Das folgende Kapitel dient also zum einen der theoretischen Abgrenzung der handlungs-, kommunikations- und normtheoretischen Aspekte der zu entwickelnden linguistischen Pragmatik von anderen theoretischen Ansätzen (hier insbesondere Intentionalismus). Gleichzeitig wird anlässlich eines Desiderats ein Begriff der diskursiven Intentionalität entwickelt, der es erlaubt, verschiedene normative und pragmatische Signifikanzen, die in diskursiven Praktiken wirksam sind, anhand spezifischer sprachlicher Zeichen zu analysieren. Linguistische Pragmatik orientiert sich in ihrer Theoriebildung seit jeher an sprachphilosophischen Traditionen. Insbesondere die Sprecherbedeutung H. P. Grices und die Sprechakttheorie John R. Searles sind dabei bis heute Inspirationen linguistischer Theorien, wenn es um Fragen der pragmatischen Bedeutungskonstitution und der Kraft sprachlichen Handelns geht. Beide Sprachphilosophien können dem Intentionalismus zugeordnet werden, der auf der theoretischen Prämisse beruht, dass Intentionalität und Intentionen nicht nur Voraussetzungen für die Bedeutung bzw. Handlungskraft sprachlicher Äußerungen sind, sondern auch unabhängig von Kommunikations-, Sprach- und Zeichenprozessen konzeptualisiert werden und ihre Effekte entfalten können. H. P. Grice und John R. Searle sind dabei nicht die einzigen Vertreter des Intentionalismus - zu nennen sind traditionell zumindest noch Jonathan Bennett (1982) und Stephen R. Schiffer (1972) - , doch haben die beiden die linguistische Pragmatik derart geprägt, dass ihre theoretischen Grundlagen nicht nur als theoriehistorische Beispiele dienen, sondern auch konzeptionell weiterhin Einfluss haben: Ihre sprachtheoretischen Werke werden weiterhin nicht nur zitiert, sondern auch in ihren Grundlagen (teils unhinterfragt) übernommen. Insofern soll im Folgenden die Kritik am Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik nicht nur wiederholt und spezifiziert, sondern auch für die Entwicklung eines sprachgebrauchs- und zeichenbasierten Konzepts von diskursiver Intentionalität genutzt werden. Zunächst 138 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben werden die Konzepte der Sprecherbedeutung H. P. Grices sowie Illokution und Perlokution bei John Searle beschrieben, um sowohl deren Sprachbegriff, als auch deren Verständnis des Verhältnisses von Kognition und sprachlichen Zeichen herauszustellen. Anhand dieser Darstellung lässt sich anschließend nicht nur die Kritik am Intentionalismus, sondern auch die Wirksamkeit deren sprachtheoretischer Prämissen (Mythos des Illokutionären) aufzeigen. 7.1 Intentionalismus von Sprecherbedeutung und Sprechakttheorie H. P. Grices Konzept der Sprecherbedeutung bildet mit seinem Kooperationsprinzip, den Konversationsmaximen und den implikaturtheoretischen Überlegungen eine Grundlage der heutigen linguistischen Pragmatik. Das Konzept der Sprecherbedeutung stützt sich dabei insbesondere auf den Artikel Meaning, auch wenn Grice in seinem späteren Werk, z. B. in Logic and Conversation und Meaning Revisited, einige Aspekte der Sprecherbedeutung aufgegriffen bzw. angepasst hat. Im Mittelpunkt der sprach- und handlungstheoretischen Reflexionen Grices steht die Frage nach der Bedeutung sprachlicher Zeichen. Grice unterscheidet hierbei zunächst zwischen natürlicher N und nicht-natürlicher NN Bedeutung. Bedeutung N umfasst z. B. indexikalische Zeichen, deren Verweisstruktur unmittelbar auf ihr Bedeutungsobjekt verweist (z. B. rote Hautflecken auf Masern). Bedeutung NN hingegen impliziert nicht nur die Konventionalität sprachlicher Zeichen, sondern bezieht auch deren Äußerungskraft ein, die die semantischen Gehalte einer Äußerung bestimmen, sodass sich Bedeutung NN in Folge Grices noch in what is implicated und what is said unterteilt. Damit lässt sich Bedeutung NN nicht auf die Semantik eines sprachlichen Ausdrucks reduzieren (what is said), sondern involviert einen gewissen pragmatischen Überschuss (what is implicated), was sich auch in der deutschen Übersetzung des Artikels Meaning niederschlägt. 1 Das Konzept der Bedeutung NN ist damit nicht einer formalen Semantik zuzuordnen, sondern ist eine pragmatische Kategorie. 2 Sie bezieht sich auf die Frage, was jemand mit einer Äußerung meint und sich nicht aus der konventionellen Wortbzw. Satzbedeutung rekonstruieren lässt. Grice geht deshalb von einer Relation zwischen der Bedeutung NN einer Äußerung und den Intentionen von Sprechern aus, denn “ [c]harakteristisch für seine Erklärung [der Sprecherbedeutung, J. B.] ist, daß sie intentional ist - intentional in dem Sinne, daß sie auf eine Absicht des Sprechers und zugleich auf deren Erkanntwerden durch den Hörer rekurriert ” (Rolf 2013: 31, Hervorh. im Original). Die Sprecherbedeutung basiert also auf der Intention des Sprechers. Sie drückt das aus, was “ der Sprecher sagen will ” (Rolf 2013: 32, Hervorh. im Original). 1 Die deutsche Übersetzung Intendieren, Meinen, Bedeuten spielt mit der englischsprachigen Mehrdeutigkeit des Ausdrucks meaning im Titel des Artikels Grices, worauf der Übersetzer des Artikels in einer Fußnote hinweist (cf. Grice 1993: 2). 2 Der von Grice vertretene Pragmatikbegriff impliziert vor allem die kontextuelle, konventionelle und konversationelle Anreicherung von Äußerungsgehalten sowie in dessen Nachfolge auch die Projektion dieser Gehalte in einen gemeinsamen Erfahrungs- und Wissensraum der Interlokutoren. Insofern bleibt sein Pragmatikbegriff hinsichtlich der Äußerungskraft, normativen und pragmatischen Signifikanz weitestgehend offen. 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 139 Die Relation zwischen Intention, konventioneller Bedeutung der sprachlichen Zeichen sowie deren pragmatischen Anreicherungen steht damit nicht nur in einem repräsentationalen Verhältnis zueinander. Die Intention bestimmt auch den semantischen und pragmatischen Gehalt der Äußerung. Oder: Der Äußerungsbedeutung geht die Intention voraus. Erst wenn jemand über eine Intention verfügt (und diese dann nachträglich von Hörern erkannt wird), dann kann eine Äußerung Bedeutung NN erhalten. Die Äußerungsbedeutung ist aber nicht nur auf Sprecherbedeutung angewiesen, sondern auch auf Sprecher selbst. Die Sprecherbedeutung wird durch Sprecher gesetzt, ist also sprecherzentriert und muss durch Hörer erkannt werden. Hierzu inferieren Hörer mittels der Äußerungsbedeutung, welche Intention hinter der Emission sprachlicher Zeichen steht. Von Hörern wird damit allein die kommunikative Funktion von Decodierern gefordert, doch sind sie nicht wesentlich an Bedeutungskonstitution beteiligt. Grices Elaboration über die Sprecherbedeutung kulminiert in drei Regeln, die die Sprecherbedeutung definieren sollen: ‘ A meant NN something by x ’ is (roughly) equivalent to ‘ A intended the utterance of x to produce some effect in an audience by means of the recognition of this intention ’ ; and we may add that to ask what A meant is to ask for a specification of the intended effect (though, of course, it may not always be possible to get a straight answer involving a ‘ that ’ clause, for example, ‘ a belief that …’ ). ‚ x meant something is (roughly) equivalent to ‘ Somebody meant NN something by x. ’ Here again there will be cases where this will not quite work. I feel inclined to say that (as regards traffic lights) the change to red meant NN that the traffic was to stop; but it would be very unnatural to say, ‘ Somebody (e. g. the Corporation) meant NN by the red light that the traffic was to stop. ’ Nevertheless, there seems to be some sort of reference to somebody's intentions. ‘ x means NN (timeless) that so-and-so ’ might as a first shot be equated with some statement or disjunction of statements about what ‘ people ’ (vague) intend (with qualifications about ‘ recognition ’ ) to effect by x. (Grice 1989: 220, Hervorh. im Original) Es bestätigt sich, dass Sprecherbedeutung nicht nur intentions-, sondern auch sprecherzentriert ist. Alle drei Regeln bleiben sprecherperspektivisch, während den sprachlichen Zeichen ein spezifischer instrumenteller Charakter zukommt: der Ausdruck der Intention. Die Intention ist gesetzt, das sprachliche Zeichen transformiert diese und repräsentiert sie dann in der Äußerung. Somit kann das Forschungsprogramm Grices unter dem Titel “ Eine kommunikative Intention ausdrücken ” (Liedtke 2016: 33) zusammengefasst werden. Während Grice die sprecherzentrierte Bedeutungskonstitution kraft Intentionen modelliert, betrachtet John R. Searle sprachliches Handeln und die Handlungskraft von Äußerungen. Ausgehend von John Austins Theorie der Sprechakte entwickelt Searle eine eigene Typologie. Er unterscheidet im sprachlichen Handeln mehrere Teilakte, die er Äußerungsakt, propositionaler Akt, illokutionärer Akt und perlokutionärer Akt nennt. Mit dem Äußerungsakt werden lautliche Emissionen hervorgebracht, die nach den Regeln einer entsprechenden Grammatik wohlgeformt sein müssen, um als sprachliche Zeichen interpretiert zu werden. Der propositionale Akt beschreibt den semantischen Gehalt der sprachlichen Handlung, welcher sich im Sinne der Beschreibung von logischen Propositionen in Referenz und Prädikation untergliedert. Erst mit dem illokutionären und perlokutionären Akt erlangt eine Äußerung ihre Handlungskraft und wird so zur sprachlichen Handlung. Sprachliche Emissionen haben durch illokutionäre Akte “ Bedeutung, und der, der sie verwendet, meint etwas damit ” (Searle 140 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 1971: 68, Hervorh. im Original). Ähnlich der Beschreibung von Bedeutung und Intention bei Grice hänge die Äußerungsbedeutung und deren Handlungskraft wesentlich von der Intention ab. Illokutionen würden also die sprachlichen Handlungen bestimmen, die Sprecher durch die Äußerung hervorbringen. Akte wie Behaupten, Fragen, Befehlen oder Versprechen könnten den illokutionären Akten zugeordnet werden und würden auf den Intentionen der SprecherInnen basieren. Perlokutionäre Akte hingegen sind die “ Konsequenzen oder Wirkungen ” (Searle 1971: 42, Hervorh. im Original) illokutionärer Akte. Unterschiedliche Illokutionen hätten demnach spezifische konventionelle bzw. kausale Folgen für Hörer: Auf einen kommissiven Sprechakt wie Versprechen, welcher sich durch seine kommissive Illokution auszeichnet, folgt die Erwartung der Einhaltung des entsprechenden propositionalen Gehalts. Andererseits können perlokutionäre Akte auch perlokutionäre Effekte auf Hörer haben, wenn z. B. eine Behauptung dazu dient, jemanden zu überzeugen. Neben den Schwierigkeiten der empirischen Nachweisbarkeit von Perlokutionen ist insbesondere die Relation zwischen Illokution und Perlokution theoretisch undeutlich (cf. z. B. Henn-Memmesheimer 2006). Sie ist außerdem ein Indiz für Searles intentionalistische Sprachtheorie: Die vorgeordnete Intention motiviert nicht nur den Handlungsaspekt der Illokution, sondern steuert auch perlokutionären Akt und Effekt. Ähnlich der Sprecherbedeutung Grices würden perlokutionäre Akte auf Hörer einwirken, sodass Illokution bzw. Perlokution entschlüsselt werden müssen. Während Grice allerdings keinen Begriff der Intentionalität entwickelt, expliziert Searle diesen in Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes (1987). Er entwickelt ein Verhältnis zwischen Illokution und Intentionalität, weitet seine Sprechakttheorie auf eine allgemeine Handlungstheorie aus und führt auf diesem Wege auch die Unterscheidung von vorausgehenden Absichten und Handlungsabsichten ein. Searle modelliert Handlungen, auch sprachliche, aus der Perspektive von vorausgehenden Absichten und Handlungsabsicht, die kraft ihrer Effekte ein Verhalten verursachen (cf. Searle 1987: 125). Auch wenn er in seiner unmittelbaren Beschäftigung mit dem Verhältnis von Absichten und der Verursachung von Handlungen nicht explizit auf den ontologischen Status von Intentionalität eingeht, zeigt bereits sein eher kausalistisches Vokabular, dass Searle Intentionalität als einer Handlung vorgeordnet definiert. Intentionalität wird bei Searle naturalisiert und sei eines unter vielen biologischen Phänomenen (cf. Searle 1987: 293). Die Biologie der Intentionalität sei demnach die Voraussetzung, um Illokutionen hervorzubringen und entsprechend zu handeln. Das Verhältnis von Intentionalität, Intention und Verhalten gilt auch für sozialkommunikative Prozesse, die Searle am Beispiel des Arm-Hebens demonstriert: Angenommen, Sie und ich haben im voraus abgemacht, daß, wenn ich meinen Arm hebe, dies als Signal gilt, daß das-und-das der Fall ist. Angenommen, es handelt sich um einen militärischen Kontext, ich stehe auf einem Hügel und signalisiere Ihnen herüber, daß der Feind sich zurückgezogen hat - und zwar tue ich das gemäß vorheriger Abmachung dadurch, daß ich den Arm hebe. (Searle 1987: 211) Die konventionalisierte Bewegung des Arms dient hier als kommunikativer Akt, der - so Searle - nur dann gelingen könne, wenn die entsprechende Handlungsabsicht vorausgesetzt würde und damit ein spezifischer propositionaler Gehalt vermittelt werden solle 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 141 (Repräsentations- und Kommunikationsabsicht). Die mechanische Basishandlung des Arm- Hebens würde kraft der Handlungsabsicht zum illokutionären Akt des Befehls, welcher zu dessen Befolgung führe bzw. führen solle (perlokutionärer Effekt und Akt). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass H. P. Grice und John Searle nicht nur deren exklusiver Einfluss auf die linguistische Pragmatik eint, indem sie den Geltungsbereich der Pragmatik um die Unterscheidung von Ausdrucks- und Äußerungsbedeutung und die Handlungskraft von Äußerungen erweitern. Sie setzen zudem Intentionen und Intentionalität als mentale (und statische) Eigenschaften und Strukturen des Bewusstseins voraus und nehmen an, dass sie grundlegenden Einfluss auf sozial-kommunikative und diskursive Praktiken haben. 7.2 Der Mythos des Illokutionären und das Desiderat der diskursiven Intentionalität 3 Die Darstellung der theoretischen Ansätze H. P. Grices und John R. Searles sollte zeigen, dass intentionalistische Theorien vereint, dass sie sozial-kommunikativ relevante Prozesse, Strukturen und Relationen aus den mentalen bzw. kognitiven Strukturen deduzieren oder zumindest deren Existenz voraussetzen bzw. präsupponieren, die in einem spezifischen Effektverhältnis zur Konstitution und Signifikanz sprachlicher Zeichen stehen. Trotz permanenter Kritik am intentionalistischen Paradigma (cf. aktuell z. B. Beiträge in Meier et al. 2019) bleibt das theoretische Vokabular des Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik nicht nur im Rahmen von Relevanztheorie und Postbzw. Neo- Grice'schen Ansätzen weit verbreitet. 4 Diskussionen um Intentionen und Intentionalität evozieren auch in der zeitgenössischen Linguistik häufig das Bedürfnis nach der Beschreibung mentaler Zustände und Gehalte. Somit wirkt trotz der kritischen Betrachtung häufig ein Mythos des Illokutionären, welcher eine Notwendigkeit und Ableitbarkeit des Verhältnisses von Bewusstsein und Kommunikation nicht nur annimmt, sondern auch prominent in die theoretische Modellierung einbringt. Dass ein strenges Verhältnis zwischen Intention/ Intentionalität und Bedeutung/ Handlung zu theoretischen wie empirischen Konflikten führt, wurde nicht nur von erkenntnistheoretischen Positionen wie dem Konstruktivismus, sondern auch von linguistischen Ansätzen wie der Konversationsanalyse, Gesprächslinguistik, Interaktionalen Linguistik 3 Eine gekürzte und sprachlich geänderte Fassung dieses Kapitels findet sich in Briese 2019: 205 f. 4 Ein paar Beispiele: Laut Deirdre Wilson und Dan Sperber (cf. z. B. Sperber/ Wilson 1995: 25, Wilson/ Sperber 2012: 291) involviert Kommunikation notwendigerweise, dass Intentionen des Sprechers von Hörern (inferenziell) erkannt werden [recognition of intentions] ( “ recognize ” präsupponiert Existenz, cf. auch Marco Mazzone (2019: 27 f.)). Robyn Carston (2002 b: 18) bemerkt, dass “ some specific elements of the meaning encoded in the linguistic form the speaker employs falls outside any intention she has in producing the utterance ” ( “ some ” implikatiert skalar, dass (andere) Intentionen die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung mitstrukturieren). Robert Stalnaker (cf. z. B. 1984: 27 f., 2014: 2) stellt klar, dass die Erklärung der Intentionalität von mentalen Zuständen sich an der Intentionalität der Sprache orientieren müsse, in welcher diese ausgedrückt werden [in which they are expressed] ( “ express ” präsupponiert Existenz). Auch der Begriff des “ Mind Reading ” , welcher insbesondere in der Experimentellen Pragmatik und Psychologie aktuell wieder vermehrt verwendet wird (cf. hierzu z. B. Chapman 2017), vermeidet nur als Metapher die Ontologisierung und Unabhängigkeit des Bewusstseins von kommunikativen Prozessen (für eine Kritik cf. z. B. Zawidzki 2013). 142 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben oder Diskurslingustik erkannt. Insbesondere der Begriff der Intention wird dabei (oft vehement) abgelehnt. So wird z. B. in der “ Konversationsanalyse darauf [verzichtet], isolierten Äußerungen Sprecherintentionen zuzuschreiben ” (Deppermann 2007: 41, cf. auch Deppermann 2014) und auch für Diskurslinguistik ist “ die Kategorie der Intention funktionallinguistisch [nicht] relevant ” (Spitzmüller/ Warnke 2011: 161). Stattdessen werden entweder keine Aussagen über Intentionen der Interlokutoren getroffen oder es wird die diskursive Signifikanz von sprachlichen und anderen Zeichen betont, ohne aber auch die spezifischen Strukturen von sprachlichen Zeichen und ihrer Signifikanz hinsichtlich Intentionen und Intentionalität einzugehen. Im Folgenden soll nicht nur exemplarisch gezeigt werden, welche Gegenargumente es gegen den Intentionalismus gibt, sondern auch, welche grundsätzlichen Prämissen zur Analyse der diskursiven Intentionalität notwendig sind. Anstatt einen Anspruch auf Vollständigkeit zu stellen (einen Überblick gibt aber Petrus 2006), sollen vielmehr diejenigen Argumente exemplifiziert werden, die zur Erstellung eines Konzepts der diskursiven Intentionalität führen können. Max Blacks Kritik am Intentionalismus (cf. 1993) entfaltet sich an H. P. Grices Meaning (1957). Er argumentiert implizit aber ebenfalls gegen Searles Illokutions- und Kommunikationsbegriff. Am Beispiel des Händeschüttelns (cf. Black 1993: 59 f.) zeigt Black, dass die Bedingungen der Sprecherbedeutung Grices nicht hinreichend sind. Zwar erfüllt Händeschütteln im Allgemeinen alle drei Kriterien der Sprecherbedeutung, doch ist zumindest fragwürdig, ob der erfolgreiche Akt des Händeschüttelns eine Intention erfordert und nicht auch unter anderen Bedingungen gelingen kann. Plausibler scheint zumindest Black zu sein, dass “ die mit dem Händeschütteln verknüpften Konventionen einen prima facie- Schluß darauf zulassen, daß ich meinem Gegenüber wahrscheinlich nicht übelgesinnt bin ” (Black 1993: 59, Hervorh. im Original). Black verweist hier nicht nur auf die Konstitutivität von Konventionen. Er betont auch, dass diese Konventionalität mit Inferenzen in Relation steht, deren Beziehung nicht auf der Ähnlichkeit von Sprecherbedeutung und Äußerungsbedeutung, sondern auf probabilistischen Inferenzen beruht, aus deren Prozessen normative Folgen resultieren. Andererseits sind die Regeln der Sprecherbedeutung nicht notwendig. Am eindrücklichsten ist hier wohl Max Blacks Beispiel des wahrheitsliebenden Lügners (cf. Black 1993: 61 f.): Jemand, der bekanntermaßen ein notorischer Lügner ist, wird vor Gericht gefragt, ob er Kommunist sei. Wenn er nun “ Ja ” antworte, wisse er, dass Hörer diese Antwort in “ Nein ” umdeuten werde. Um den intendierten Effekt bei Hörern auslösen zu können, müsse er nun die Wahrheit sagen. Er müsse also den kontradiktorischen Ausdruck zu seiner Intention wählen. Entsprechend bleibt das Verhältnis zwischen Ausdruckswahl, Ausdruck und Intention nicht zwingend. H. P. Grices Lösung für Fälle, in denen trotz fehlender Intention ein Effekt bei Hörern ausgelöst wird bzw. trotz Intention ein Effekt fehlt, eine andere oder falsche ausgelöst wird, ist nun folgende: Im Falle fehlender Intentionen spricht er dem Zeichenakt die kommunikative Dimension ab, sind die Effekte unerwartet, bleiben aus oder kommen hinzu, erweitert er entweder je nach Bedarf die möglichen Effekte oder schließt mögliche Effekte aus, um an der Sprecherintention als konstitutiver Kategorie festhalten zu können. Eine 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 143 solche Strategie, die sich als Äquivalenz des Verhältnisses von Illokution und Perlokution begreifen lässt, ist nun aber, wie Black (1993: 65) treffend formuliert, sowohl “ unbegrenzt anpassungsfähig ” als auch “ unverbesserlich starr ” , denn sie halte einerseits am ursprünglichen Modell fest, erweitere es andererseits aber auf beliebige Weise. Dadurch sei die Theorie einerseits kaum noch falsifizierbar und andererseits sei fragwürdig, welche Erkenntnis ein Modell ermögliche, welches alle kommunikativen Prozesse zu erklären vorgebe und damit zwischen verschiedenen Erkenntnisprozessen kaum zu unterscheiden sei. Um also epistemische Relevanz zu erlangen, muss das Modell Grices spezifische Effekte den jeweiligen ausgedrückten Intentionen zuordnen, aber gleichzeitig die Diskrepanzen zwischen Intention und kommunikativen Effekten erläutern können. Hierbei hilft zwar die bereits durch die Sprechakttheorie eingeführte Unterscheidung zwischen Illokution und Perlokution, doch durch die Distinktion von Bedeutungs- und Kommunikationsabsicht einerseits und den intendierten sowie eintretenden Effekten andererseits folgen andere theoretische Schwierigkeiten des Intentionalismus: Aus einem Sprechakt wie “ Mach das Fenster zu! ” muss nicht notwendigerweise die intendierte Handlung folgen, sondern diese kann auch unterlassen werden oder es kann eine andere Folgehandlung eintreten. Trotzdem handelt es sich um einen kommunikativen Prozess, was aber nicht an der (ausbleibenden) Folgehandlung liegt, sondern daran, dass Hörer verstanden haben, was Sprecher mit Äußerungen bezwecken möchten (bzw. diesen einen Zweck zuweisen). Die spezifische Folgehandlung ist also irrelevant für das Gelingen von Kommunikation. Die Intention von Sprechern, bei Hörern Verstehen hervorzurufen, indem wohlgeformte Sätze geäußert werden, so Black (cf. 1993: 71), sei in diesem Fall hinreichend. Allerdings sei es kaum sinnvoll, die Sprecherbedeutung über Verstehen zu definieren: Hörer-Verstehen und Sprecher-Bedeutung sind zwei Seiten eines einzigen sprachlichen Vorganges: Eines durch Rekurs auf das andere zu erklären, wäre so zwecklos wie ‘ Gattin ’ durch ‘ Frau ’ zu definieren. Dieser Einwand [der Unhintergehbarkeit des wechselseitigen Sprachprozesses, J. B.] richtet sich, wenn ich nicht irre, gegen jede intentionalistische Theorie, die Sprecherbedeutung durch Rekurs auf eine abtrennbare und unabhängige charakterisierbare Reaktion des Hörers bzw. die Absicht eine solche Reaktion zu zeigen, erklären will. Denn es gibt keine entsprechende Standard-Reaktion, keine reguläre und semantisch relevante Wirkung einer Äußerung - außer daß sie verstanden wird. Das ist allerdings nicht gerade eine Reaktion im Sinne eines spezifizierbaren Ereignisses oder Zustandes: Es gibt kein besonderes oder alleiniges Kriterium für das Verstehen eines Kommunikationsversuchs. (Black 1993: 71) Anstatt Verstehen und Gelingen von Kommunikation an SprecherInnen und entsprechende Intentionen zu koppeln, muss also auch die Position von Hörern modelliert werden, die auf gleiche Weise und sozial an der Konstitution der Kommunikation und Bedeutung beteiligt sind. Auch die Erklärung der Konstitution von Bedeutung über Sprecherintentionen sei bei Berücksichtigung der Kommunikation problematisch, denn Sprecherbedeutung kraft Sprecherintentionen führe zu einem Zirkelschluss bzw. infiniten Regress. Da die Äußerungsbedeutung (teilweise) an die Sprecherintentionen gebunden sei, müsse die Sprecherintention selbst übermittelt werden, was Sprecherintentionen selbst zu rekursiven Sprecherbedeutungen transformiere: Eine Äußerung p impliziere demnach die Übertragung 144 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben einer Sprecherabsicht, die sich - so Black (1993: 76) - als eine Intentionsformel im Sinne von “ Ich will, daß du denkst, daß …” definieren lasse. Während der semantische Gehalt von p die eigentliche Bedeutung der Äußerung sei, sei Sprecherabsicht nach Grice die Stätte, welche die Kommunikation gelingen lässt. Eine solche Konzeption von Äußerungsbedeutung und Sprecherintention müsse nun aber erklären, inwiefern beide Bestandteile der Äußerung verstanden werden könnten. Doch wenn erstens zunächst der semantische Gehalt verstanden würde, dann würden sich Sprecherbedeutung und Sprecherintention gegenseitig definieren, denn das Verstehen des einen setze das Verstehen des anderen voraus (und vice versa). Verstehe man nun aber zweitens zunächst die Sprecherintention, dann sei diese selbst wieder in eine Sprecherintention rekursiv integriert, was zu einem infiniten Regress führe (Ich will, dass du weißt, dass ich will, dass du weißt, dass … usw.), woraus folgt: Nicht das Erfassen der Sprecherabsicht, bestimmte angestrebte Wirkungen im Hörer hervorzurufen, erlaubt es dem Hörer, die Bedeutung des Gesagten zu bestimmen, sondern umgekehrt: Die Entdeckung der Sprecherbedeutung ermöglicht es einem entsprechend kompetenten Hörer, mithilfe früherer Erfahrungen und durch Interpretationen des in dieser Redesituation produzierten Zeichens auf die Sprecherabsicht zu schließen. (Black 1993: 77) Auch in diesem Argument findet sich die Notwendigkeit der Verschiebung der theoretischen Position von einer individuellen und mentalen zu einer sozialen und auf inferenziellen (Zeichen-)Relationen beruhenden Bedeutungs- und Performanzkonstitution. Während Max Black insbesondere das Konzept der Sprecherbedeutung kritisiert, wendet sich Karl-Otto Apel dem Begriff der Intentionalität bei John R. Searle zu. Er zeigt sich überrascht von einer paradigmatischen Wende, welche Searle in seiner handlungstheoretischen Position vollzogen habe (cf. Apel 1990: 18 f.). Während sich Sprechakte - Ein sprachphilosophischer Essay (1971) noch mit der konstitutiven Kraft von sprachlichen Zeichen beschäftige (oder sich zumindest so lesen lasse), wende sich Intentionalität - Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes (1987) unzweifelhaft einer Reduktion der Sprache auf mentale Zustände zu. Apel versucht anschließend Searle II, den Intentionalisten, mit Hilfe von Searle I, dem Sprechakttheoretiker, zu verstehen. Dabei geht es Apel um nichts Geringeres als die Frage eines kategorialen a priori: Was muss als vorausgehende Eigenschaft angenommen werden? Intentionalität oder Bedeutung? 5 Apels Betrachtungen beginnen mit Searles Unterscheidung von Repräsentations- und Kommunikationsabsicht: Kommunikation ist eine Sache des Hervorrufens von Wirkungen beim Hörer, doch kann man die Absicht haben, etwas zu repräsentieren, ohne sich überhaupt darum zu scheren, welche Wirkungen man etwa bei seinem Hörer hervorruft. Man kann eine Feststellung machen, ohne die Absicht zu haben, seine Hörer zu überzeugen, und auch ohne die Absicht zu haben, seine Hörer zu der Überzeugung zu bringen, daß man selbst glaubt, was man sagt; ja sogar ohne die Absicht zu haben, daß die Feststellung überhaupt verstanden wird. Es gibt folglich zwei Aspekte der Bedeutungsabsicht: die Absicht zu repräsentieren und die Absicht zu kommunizieren. (Searle 1987: 209 f.) 5 Karl-Otto Apel wendet sich damit der grundlegenden Beziehung zwischen Sprache, Kommunikation und Bewusstsein zu, deren Nuancen hier nicht ausführlich wiedergegeben werden können. 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 145 Die Beschreibung von Kommunikation als sprecherzentrierte Effekte erinnert nicht nur zufällig an das Konzept der Sprecherbedeutung, sondern ist auch den gleichen Schwierigkeiten unterworfen. Anstatt aber auf die genuine Sozialität von kommunikativen Prozessen einzugehen, kritisiert Apel den fehlenden bzw. unterrepräsentierten Aspekt der Konventionalität in der Handlungstheorie Searles. Am Beispiel des Arm-Hebens, welches Searle (1987: 211, s. o.) zur Demonstration seiner Handlungstheorie gebraucht, zeigt Apel (1990: 17), dass eine Intention zum Gelingen der Kommunikation, des Sprechakts und anderer Handlungen nicht notwendig ist, sondern all dies vielmehr über den konventionellen und institutionalisierten Kontext bestimmt wird: In einer stark regulierten Institution wie dem Militär mag das Arm-Heben eines Kommandanten zwar zu einer unmittelbaren Folgehandlung (perlokutionärer Effekt) führen, was die Notwendigkeit und konstitutive Kraft der Konventionalität dieses Akts aber nicht tilgt. Vielmehr sind es die sozial-kommunikativ ausgehandelten Regeln selbst, welche Sprechakt und Handlung gelingen lassen. Intentionen sind hier allenfalls marginal beteiligt. Nun sei aber auch eine Erklärung von Intentionen und Intentionalität auf Basis der konventionellen Bedeutung des Sprachsystems (im Sinne des linguistic turn) nicht hinreichend, so Apel. Eine Analyse des Sprachsystems reduziere Intentionen und Intentionalität letztlich auf sprachliche Bedeutung, was aber nicht deren Involviertheit ins sprachliche Handeln erkläre. Deshalb fordert Apel eine “ pragmatische Erweiterung der Analyse der Zeichenfunktion ” (1990: 24, Hervorh. im Original) im Sinne des pragmatic turn (cf. hierzu z. B. Bernstein 2010 und Beiträge in Egginton/ Sandbothe 2004), denn “ die Identifikation eines sprachlich gemeinten Gegenstandes in der realen Welt ist eine Sache des intentionalen und interpretativen Sprachgebrauchs durch einen Sprecher oder Hörer ” (ebd., Hervorh. im Original). Diese Hinwendung zum sprachlichen Zeichengebrauch (sowie im Weiteren auch der pragmatischen und normativen Signifikanz sprachlicher Zeichen) erweitert die Sprechakttheorie Searles insofern, als dass sie (ganz im Sinne des semiotischen Pragmatismus) die verschiedenen Zeichenaspekte des signifikanten Zeichens ins Zeichenhandeln einbindet. Apel weist allerdings auch darauf hin, dass eine Theorie der Intentionen und Intentionalität dennoch materiale Dispositionen erfordert, die allerdings von der Pragmatik der sprachlichen Zeichen unterschieden werden müssen. Selbstverständlich setze z. B. ein Sprechakt die wahrnehmbare “ Evidenz der phänomenalen Gegebenheit des Sachverhalts ” (Apel 1990: 27) voraus, doch sei dies keineswegs eine notwendige oder hinreichende Bedingung für das Gelingen von kommunikativen Akten. Phänomenale Intentionalität ist demnach womöglich eine ontologische Voraussetzung für die Wahrnehmung von Sachverhalten, doch erlangt sie dadurch nicht diskursive Relevanz, geschweige denn lässt sich diese Relevanz aus der phänomenalen Intentionalität deduzieren. Apel fährt fort: Das Bewusstsein und seine Intentionalität verweise allein auf die “ Festlegung der interpretationsfreien Erfüllungsevidenz für mich ” (Apel 1990: 29, Hervorh. im Original), erkläre aber nicht die “ möglichen intersubjektiv gültigen Bedeutung[en] des intentionalen Gehalts ” (ebd., Hervorh. im Original). Apels Kritik an der Handlungstheorie Searles sowie deren Konsequenzen für die Interpretation der Sprechakttheorie führt vom Apriori der mentalen Intentionen und Intentionalität über Konventionalität und kommunikative Gelingensbedingungen zur 146 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben konstitutiven Kraft sprachlicher Zeichen, auch hinsichtlich diskursrelevanter Intentionen und Intentionalität. So lässt sich zusammenfassen: Im Sinne einer genuin pragmatischsemiotischen Orientierung lässt sich diskursive Intentionalität nicht auf semantische oder mentale Aspekte reduzieren, sondern konstituiert sich kraft des Gebrauchs sprachlicher Zeichen. Dies schließt nicht aus, dass diskursive Wesen nicht auch über volitionale oder phänomenal-intentionale kognitive Strukturen verfügen. Allein deren Notwendigkeit bzw. diskursive Relevanz in sozial-kommunikativen Prozessen in diskursiven Praktiken soll damit bezweifelt werden. Auch Robert Brandom kritisiert den Intentionalismus, wenn er dessen Verständnis des Verhältnisses von Sprachgebrauch und Kognition erkundet. Der Sprachgebrauch sei nach Grice und Searle als instrumentell aufzufassen, denn Sprache habe den Zweck, Überzeugungen ausdrücken. Brandom (EV: 226 f.) borgt sich zur Beschreibung solcher Sprachtheorien deshalb den Begriff der Aktoren-Semantik von Jay F. Rosenberg. 6 Statt nun Theorien des instrumentellen Sprachgebrauchs bzw. der Aktoren-Semantik zu folgen, schlägt Brandom vor, eine funktionalistische Auffassung vom Verhältnis von Sprachgebrauch und Intentionen zu vertreten. Nach dieser Auffassung sind “ intentionale Zustände gehaltvoll kraft ihrer Rolle, die sie beim richtigen Funktionieren eines Systems spielen, von dem sie ein Teil sind ” (EV: 227). Intentionen und Intentionalität sind in diskursiven Praktiken keine mentalen Zustände mehr, sondern erhalten als kognitive Funktionen und Relationen ihre diskursive Signifikanz in Handlungszusammenhängen und sind daher eher kognitiv-semiotische Funktionen und Relationen. Sie definieren sich über ihre pragmatischen Funktionen, die sie kraft ihres Gebrauchs haben. Daher betrachtet Brandom anschließend die Relation zwischen Intention und sprachlichen Zeichen und entwirft einen zuweisungsrelationalen Ansatz. Dieser geht davon aus, dass “ die Fähigkeit des Theoretikers oder Interpreten, gehaltvolle intentionale Zustände zuzuweisen [ … ] sich zunächst einmal parasitär gegenüber der Fähigkeit verhält, gehaltvolle Sprechakte denselben Individuen zuzuweisen ” (EV: 231). Deshalb kann dieser Ansatz “ die Möglichkeit des Sprechens als wesentlich für die Intentionalität ansehen ” (ebd.). Dieser zuweisungsrelationale Ansatz muss die Frage nach der kategorialen Ordnung von Sprache, Intention, Intentionalität und Kognition nicht stellen, denn “ sprachliche Praxis und rationales Handeln lassen sich als zwei Aspekte eines Komplexes gemeinsam gehaltsvermittelnder Praktiken darstellen ” (EV: 232), sodass die Ordnungselemente für den Ansatz nur in Handlungssituationen relevant werden, wenn sie dort eine “ bestimmte Art von Signifikanz ” (EV: 233) erlangen. Das funktionale Verhältnis von sprachlichen Handlungszeichen und kognitiven Prozessen bilde sich bereits im Verhältnis des Glaubens (im Sinne von Überzeugt-sein) und dem Akt des Behauptens (im Sinne von eine Überzeugung äußern) nach. Damit propositionale Gehalte (als semiotisch-kognitive Strukturen) intersubjektive und interlokutive Relevanz erlangen könnten, müssten diese im Rahmen der deontischen Kontoführungspraxis, Brandoms Kommunikationsmodell (cf. Kapitel 14.1), Signifikanz erlangen. 6 “ Agent-semantics has as its root philosophical motivation the desire to account language as a vehicle of communication. ” (Rosenberg 1974: 10) 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 147 Trotz ihrer funktionalen Reziprozität müssten propositionale Gehalte und Behauptungen sowohl im theoretischen Vokabular als auch in ihrer modellierten Funktion unterschieden werden: Kein intentionaler Zustand (oder normativer Status), der vielleicht in Begriffen der Behauptung rekonstruiert werden kann, liefert eine brauchbare Analogie zur Überzeugung, wenn er nicht diesen Kontrast konserviert, indem er die Möglichkeit zuläßt, sich in dem fraglichen intentionalen Zustand zu befinden, ohne den entsprechenden Behauptungsakt hervorzubringen, und den Behauptungsakt zu vollziehen, ohne im entsprechenden intentionalen Zustand zu sein. Es muß also nicht nur analysiert werden, worin die behauptende Signifikanz eines Sprechakts besteht, sondern auch die Beziehung zwischen der Zuschreibung eines solchen Sprechakts und der des von ihm ausgedrückten intentionalen Zustands. (EV: 239 f.) Propositionale Gehalte und ihre entsprechenden Einstellungen ließen sich so einerseits als Effekte einer diskursiven Praxis betrachten, können aber gleichzeitig auch diskursive (aber nicht mentale) Voraussetzungen sein, die nicht explizit behauptet werden müssen, aber doch als kognitive Hintergrundannahmen eine latente Signifikanz entwickeln. Gleichzeitig müssen einige Behauptungsakte möglich sein, ohne dass Interlokutoren tatsächlich über den entsprechenden propositionalen Gehalt verfügen. Georg W. Bertram (2002) wendet sich in seiner sprachphilosophischen Kritik sowohl gegen intentionalistische als auch linguistisch-behavioristische Ansätze und wendet sich damit auch gegen einige Lösungsvorschläge Max Blacks (1993), der das Heil des Verhältnisses von sprachlichen Zeichen und Intentionen noch in der konventionellen Bedeutung sucht. Intentionalistische und linguistisch-behavioristische Ansätze seien gegenüber der jeweils anderen Position reduktionistisch, da sie Bedeutung über Intention bzw. Intention über Bedeutung erklären wollten (cf. Bertram 2002: 16). Anstatt von einer Reduktion auf Sprache oder Kognition zu sprechen, vertritt er (ähnlich wie Brandom) einen funktionsrelationalen Ansatz, der von einer genuinen Relation von sprachlichen Zeichen und kognitiven Prozessen ausgeht, ohne jedoch das eine mit dem jeweils anderen zu definieren. Um diese Funktionsrelation zu erklären, führt Bertram u. a. Jacques Derrida (2001) ins Feld, welcher Intentionen als notwendiges Element in der Kommunikation anerkennt, sie aber anders verortet, als es der Intentionalismus tut: Könnte eine performative Aussage gelingen, wenn ihre Formulierung nicht eine ‘ codierte ’ oder iterierbare Aussage wiederholen würde [ … ]? Es gilt [ … ] nicht so sehr, das Zitat und die Iteration der Nicht-Iteration eines Ereignisses entgegenzusetzen, als vielmehr eine differentielle Typologie von Iterationsformen zu konstruieren, unter der Voraussetzung, daß dieses Vorhaben durchführbar sei und einem erschöpfenden Programm stattgeben könne, eine Frage, die ich auf später verschiebe. Die Kategorie der Intention wird in dieser Typologie nicht verschwinden, sie wird ihren Platz haben, wird aber von diesem Platz aus nicht mehr die ganze Szene und das ganze System der Äußerung steuern können. Vor allem wird man es dann mit verschiedenen Arten iterierbarer Zeichen [marques] oder Zeichenketten zu tun haben und nicht mit einer Opposition von zitathafter Aussage einerseits und singulärer und originaler Ereignis-Aussage andererseits. Die erste Konsequenz davon wird die folgende sein: Wenn die Iterationsstruktur gegeben ist, wird die Intention, die die Äußerung beseelt, niemals sich selbst und ihrem Inhalt durch und durch präsent sein. Die Iteration, die sie a priori strukturiert, bringt eine wesentliche Dehiszenz und einen wesentlichen Bruch in sie hinein. (Derrida 2001: 40, Hervorh. im Original) 148 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Derrida fasst unter die differenzielle Typologie der Iterationsformen ein Typ-Token- System, welches Intentionen nicht ablehnt, aber ihre Ursprünglichkeit anzweifelt. Intentionen und Intentionalität haben im Zeichengebrauch demnach keinen vorgeordneten Ursache-Wirkungs-Charakter, sondern müssen sich ebenfalls der Iterabilität des Zeichens unterwerfen. Intention und Intentionalität semiotisieren, sind also durch zeichenprozessuale wie -systematische Aspekte motiviert. Mithilfe der iterativen Typ-Token-Rekurrenz der Intentionen Derridas setzt Bertram Intentionalität als Element im Rahmen sprachlicher Prozesse: Am Begriff der Schrift wird expliziert, daß Zeicheninterpretation grundsätzlich auch ohne Rekurs auf Intentionen möglich ist. Diese Möglichkeit gilt uneingeschränkt. Also ist Interpretation nicht an bestimmte Intentionen gebunden. Dennoch kündigt dieser Schritt nicht den Bezug von Sprache und Intentionalität, sondern faßt ihn neu. Es steht nicht der Begriff der Bedeutungsfülle, sondern die Idee der einfachen bzw. unverzweigten Korrespondenz von einzelnen intentionalen Zuständen mit einzelnen Zuständen sprachlicher Bedeutung in Frage. Sprache steht, so muß man nach Derrida sagen, nicht in einfachen Korrespondenzen zu, sondern grundsätzlich in der Dimension der Intentionalität. Diese Dimension ist der Sprache - so wie wir sie als Sprache verstehen, könnte man einschränkend sagen - irreduzibel. Keine Bindung einzelner Interpretationsakte an bestimmte einzelne intentionale Zustände, aber ein grundsätzlicher Rekurs auf Intentionalität in ihnen[.] (Bertram 2002: 19 f., Hervorh. im Original) Bertram unterscheidet Intention und Intentionalität hinsichtlich ihrer kognitiv-semiotischen Funktionen. Während er Intentionen als spezifische, konkrete und realisierte geistige Zustände bzw. Prozesse analysiert, sei die Dimension der Intentionalität eine genuine und irreduzible Eigenschaft sprachlicher Zeichen. Um anschließend auch den semiotischen Holismus von Intentionalität, welcher auch in Derridas Konzept der Iterabilität impliziert ist, zu erfassen und ihn von einer Analogierelation abzugrenzen, führt Bertram den Terminus der verzweigten Korrespondenz ein: Unverzweigte Korrespondenz heißt, daß das Paradigma der Korrelation darin besteht, daß ein Sprechakt mit einer Überzeugung verbunden ist, die er zum Ausdruck bringt. Die These, daß Zeichenverstehen immer in der Dimension der Intentionalität geschieht, bringt hingegen die Idee einer verzweigten Korrespondenz zur Geltung. Demnach bestehen keine einzelnen bestimmten bzw. bestimmenden Korrelationen zwischen sprachlichen Ausdrücken und intentionalen Zuständen. Vielmehr sind die Korrelationen in jedem einzelnen Fall vielfältig und verzweigt, so daß jedes Bedeutungsereignis von vielen intentionalen Zuständen her artikuliert ist und auch jeder intentionale Zustand mit vielen Bedeutungsereignissen in Beziehung steht. (Bertram 2002: 27 f., Hervorh. im Original) Neben dem funktionalen Verhältnis von Intentionen und sprachlicher Bedeutung entfaltet sich deren Relation hinsichtlich ihrer zeichenrelationalen Mehrgliedrigkeit. Anstatt einen aliquid-stat-pro-aliquo-Zeichenbegriff zu vertreten, skizziert Bertram mit der Relationalität des Zeichens zu anderen Zeichen ihre Verzweigtheit, welche die Zeichenverhältnisse über deren korrespondierende Funktion stellten. Intentionen müssen demnach hinsichtlich ihrer entfalteten Zeichenrelationen beurteilt werden, die sich rekurrent und iterativ im Gebrauch entwickeln. Ulf Harendarski widmet sich dem Verhältnis von Intentionalität und Semiose und entwickelt so ebenfalls eine Kritik an der unvermittelten Involviertheit von Intentionalität 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 149 in kommunikativen Praktiken. Auch wenn er insbesondere kollektive Intentionalität (cf. z. B. Schmid/ Schweikard 2009) untersucht, lassen sich seine Überlegungen auf eine Kritik des Intentionalismus und ein Desiderat der diskursiven Intentionalität übertragen. Harendarski (2013: 228) geht dabei über die Konzepte der Illokution und Sprecherbedeutung hinaus, wenn er sich fragt, ob kollektive Intentionalität dem Erwerb sprachlicher Zeichen vorausgehe oder ob sich Intentionalität auf Intentionen reduzieren lasse. Sowohl die Voraussetzung von Intentionalität als auch die Reduktion auf Intentionen lehnt er ab, da sich Intentionalität damit letztlich entweder auf Kognition oder auf sprachliche Bedeutung reduzieren würde. Stattdessen beschreibt er Intentionalität als emergentes Phänomen: Intentionalität ist eine begriffliche Voraussetzung für Kommunikation als Abfolge kooperativer Handlungen zwischen Menschen. Weitreichende Konsequenzen hat, ob Intentionalität vor der Semiose oder als etwas konzeptualisiert wird, dass während und aufgrund der Semiose entsteht. (Harendarski 2013: 235, Hervorh. im Original) 7 Harendarski verortet Intentionalität im Folgenden im Zeichenprozess selbst und fordert damit nicht weniger als eine semiotische Neuordnung und Begründung von Sprach- und Kommunikationsprozessen. Anstatt auf vorhergehende kognitive Strukturen zu rekurrieren, entsteht diese erst im Zeichenprozess selbst und ist somit auch diesen Prozessen unterworfen. Intentionalität ist damit zwar eine logische Voraussetzung von sprachlichen Praktiken, aber diskursiv selbst in die sprachlichen Kommunikate eingebettet: Zwar muss Intentionalität als begriffliche Voraussetzung für Kommunikation verstanden werden, ohne dass sie zugleich als mentaler Zustand vorher besteht. Zweifellos ist der Kern von Intentionalität sozial per Normativität, zugleich aber sind einerseits intentionale Prozesszustände auch aufgrund imaginierter Kommunikation möglich und sie können sich andererseits nicht komplett im Kommunikat erschöpfen. Nicht trotz, sondern wegen der Intentionalität ist Kommunikation für vergesellschaftete Wesen notwendig, damit sie Interlokutoren sein können und nicht bloß Sprecher-Hörer-Paare. (Harendarski: 239, Hervorh. im Original) Auch wenn Harendarski hier eine spezifische Definition der Intentionalität (im sozialnormativen Sinne) vermissen lässt (cf. aber Harendarski 2021 a), weist er doch auf die Notwendigkeit hin, dass Semiose und Normativität in einer Analyse der Intentionalität berücksichtigt werden müssten. Anstatt Intentionalität einerseits und Normativität und Zeichenprozesse andererseits diskursiv zu unterscheiden - wie es Grice und Searle noch tun - , zeigt er deren wechselseitige Involviertheit auf. Beate Henn-Memmesheimer (2006) wendet sich in ihrer Kritik insbesondere gegen den Sprechakt-Searle (s. o.), konzentriert sich auf die Konventionalität sprachlicher Zeichen und den Begriff der Perlokution und wendet sich dann aber insbesondere der Rolle von Regeln und Sprechaktverben zu. Anlass von Henn-Memmesheimers Argumentation ist die Kritik Searles an H. P. Grice. Dieser hatte Grice vorgeworfen, er unterschätze die Konventionalität sprachlicher Zeichen. Die Bedeutung eines Satzes bzw. einer Äußerung sei “ durch Regeln festgelegt ” (Searle 1971: 76), die bestimmen, welche semantischen Bedingungen dieser Äußerung zukommen. Auf Basis dieser Regeln konzipiere Searle nun seine Sprechakt- 7 Ein ähnliches Argument nennt auch Martin Seel (1998: 249), wenn er das Verhältnis von Medialität und Intentionalität beschreibt. 150 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben theorie und deren Sprechhandlungstypen. Searles Regelbegriff lasse sich nun aber entsprechend der Kritik am Regulismus und Regularismus verwerfen, da er Regeln vor sprachlichen Prozessen (cf. hier auch den Konventionalismus von Lewis 2002) und auch vor der Intentionalität sprachlichen Handelns modelliert, was nicht weniger problematisch sei als die Annahme der Sprecherbedeutung, so Henn-Memmesheimer. Wenn Regeln gesetzt werden, dann erklärt dies weder, wie Regeln entstehen (z. B. über sprachliche Kommunikationsprozesse), noch bietet es Raum für Unregelmäßigkeiten im sprachlichen Handeln bzw. sprachliche Innovationen. “ Searle ” , betont Henn-Memmesheimer (2006: 203) daher, “ beschreibt letztlich nicht Sprechakte, sondern vorgängig kodierte Verben, die etwas über die Redesituation vermitteln. ” Die Kritik am Regelbegriff Searles gelte aber nicht nur für die Beschreibung der Illokution, sondern auch für perlokutive Effekte. Mithilfe von regelhaften und regelmäßigen perlokutiven Effekten einen Sprechhandlungseffekt zu beschreiben, verkenne sowohl die soziale Ko-Konstruktion als auch die dynamische Normativität von diskursiven Praktiken. So verweist Henn-Memmesheimer mit Jürgen Habermas auf diese reziproke Abhängigkeit der Interlokutoren in Interaktion: Die Intention, die ein Sprecher mit einer Äußerung verbindet, erschöpft sich nicht darin, daß ihm ein Interpret eine entsprechende Meinung zuschreibt, ohne daß er an der Stellungnahme des Interpreten zu dieser Meinung interessiert wäre. Als Kommunikationsteilnehmer richtet der Sprecher vielmehr mit seiner Behauptung an einen Adressaten den Anspruch, öffentlich ‘ Ja ’ oder ‘ Nein ’ zu sagen; er erwartet von ihm jedenfalls irgendeine Reaktion, die als Antwort zählen und für beide Seiten interaktionsfolgenrelevante Verbindlichkeiten herstellen kann. Nur eine ‘ Antwort ’ kann Auffassungen bestätigen oder revidieren, auf die (und auf deren Implikationen) sich beide Seiten im weiteren Verlauf ihrer Interaktion müssen verlassen können. (Habermas 2004: 175, Hervorh. im Original, cf. auch Henn-Memmesheimer 2006: 212) Perlokutionen können somit nicht mehr als quasi-kausale Effekte modelliert werden, sondern involvieren das Verhältnis der sich in der Interaktion befindlichen Interlokutoren. Perlokutionen sind demnach nicht sprecherInzentriert, sondern “ als Intentionen und antizipiertes Ergebnis von Sprechhandlungen darauf ausgerichtet, eine Handlungssituation zu ändern ” (Henn-Memmesheimer 2006: 213). Die verschiedenen Kritiken an intentionalistischen Theorien zeigen, dass die theoretischen Prämissen des Intentionalismus nicht nur mit semiotischem Pragmatismus und normativem Sprachpragmatismus inkompatibel sind, sondern auch, dass dieses Paradigma argumentativ kaum aufrechtzuerhalten ist. Die hier zusammengefasste Kritik am Intentionalismus ist allerdings nicht ungehört geblieben. Exemplarisch für die Rezeption soll hier ein Artikel von Klaus Petrus dienen, der sich nicht nur als ein bemerkenswerter Experte in Fragen der Sprecherbedeutung und Sprechakttheorie zeigt, sondern auch Kritiken und Modifikation der Theorien rezipiert und kommentiert hat. 8 8 Auch Frank Liedtke (2018) geht auf die Kritik am Intentionalismus ein, wenn er das Paradigma der Kognitiven Pragmatik erklärt und dessen Forschungsschwerpunkte in der Relevanztheorie und Neo-Grice'schen Pragmatik verortet (für eine Kritik cf. Briese 2020 a: 120 f.). 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 151 Petrus (2006: 126 f.) weist dabei auf fünf wesentliche Problembereiche hin, in denen Sprechakttheorie und Grice'sche Theorien erklärungsbedürftig sind: 1. Das wesentliche Merkmal des Illokutionären 2. Die Einheit des Illokutionären 3. Die Unterscheidung zwischen Illokution & Perlokution 4. Das Verhältnis von Illokution & Bedeutung 5. Das Verhältnis von Illokution & Kommunikation Beeindruckend ist hier nicht nur die minutiöse Analyse, sondern auch die Erkenntnis, dass letztlich in jedem pragmatischen Kernbereich, der die Schnittstellen Intention-Bedeutung- Kommunikation betrifft, theoretische Präzisierungen erforderlich sind. Petrus führt anschließend viele Argumente gegen den Intentionalismus auf, sodass zunächst eine Distanzierung von Sprechakttheorie und Sprecherbedeutung naheliegt. Überraschend ist dann jedoch, dass auch er das intentionalistische Vokabular letztlich nicht überwindet: Nun ist es eine (und sicherlich zentrale) Aufgabe herauszufinden, worin der sprechakttheoretische Irrtum genau besteht; eine andere ist es, diese Diagnose positiv zu nutzen und eine Route zu entwickeln, die beim Begriff des Illokutionären ansetzt und die Grundbegriffe der Analyse illokutionärer Akte jenseits des festgefahrenen Schemas ‘ Konventionalismus vs. Intentionalismus ’ aufeinander bezieht. (Petrus 2006: 128) Trotz seiner zentralen Forderung, den sprechakttheoretischen Schwierigkeiten (im Rahmen von linguistischer Grundlagenforschung) auf den Grund zu gehen, bleibt Petrus hier bei einer illokutionszentrierten Theoriebildung. Die Kritik am Intentionalismus entfaltet sich grade an der (unhinterfragten) Bedingung der Illokution. Somit ist eine solche Untersuchung nicht notwendigerweise an die Diagnose der sprechakttheoretischen Irrtümer bzw. das Ansetzen am Begriff des Illokutionären gebunden. Was Petrus hier nicht in Betracht zieht, ist die Möglichkeit, sich vom sprachtheoretischen Fundament der Sprecherbedeutung und Sprechakttheorie zu lösen, dennoch deren empirische Erkenntnisse zu berücksichtigen und nach einer grundlegenden Rekonzeptualisierung der Sprachtheorie zu suchen, die die Probleme des Intentionalismus ausbessert. Zweifelsohne hat diese Theorie wesentliche Erkenntnisse im Rahmen des sprachlichen Handelns geliefert. Eine Modifizierung ist aber nur dann angemessen, wenn sich das theoretische Fundament als Grundbaustein erweist, woran die grundlegende Kritik am Intentionalismus nicht nur zweifeln lässt, sondern in der zeitgenössischen Linguistik kaum aufrechtzuerhalten ist. Das ambitionierte Projekt von Petrus (2006: 128) ist es nun, trotz Beibehaltung des theoretischen Fundaments einen neuen Weg einzuschlagen. Seine Illokutionstheorie geht in drei Etappen vor: Zunächst wird die Vollzugsweise von Handlungstypen erklärt, sodann eine illokutionsbasierte Gebrauchs- und Kommunikationstheorie aufgestellt. Die Definition des Vollzugs illokutionärer Akte wird dabei als hinreichend gesetzt (Petrus 2006: 130), sodass Gebrauchs- und Kommunikationstheorie Derivate des illokutiven Vollzugs und dessen theoretische Prämissen sind. Trotz vieler präziser Antworten und Verbesserungen wirkt auch hier der Mythos des Illokutionären: Petrus vertritt weiterhin die Voraussetzung mentaler Strukturen in sozial-kommunikativen Prozessen, sodass seine Antworten teilweise sehr an die ursprünglichen Prämissen der Sprechakttheorie erinnern. So konstatiert er in Hinblick auf das Verhältnis von Illokution und Kommunikation: “ Illokution ist das 152 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben eine, Kommunikation ist etwas anderes. ” (Petrus 2006: 14) Er reproduziert damit die Differenz von Repräsentationsabsicht und Kommunikationsabsicht Searles. Die Setzung des Begriffs der Illokution und dessen theoretische Fundierung scheinen in dieser Tradition kaum verhindert werden zu können. Auch wenn Klaus Petrus nur ein spezifischer Vertreter (von vielen) intentionalistischer Theoriebildung ist, so lassen sich doch immer wieder (oftmals implizite) Rekurrenzen auf sprachtheorische Prämissen des Intentionalismus finden. Selbstverständlich betrifft dies nicht alle linguistischen Theorien und insbesondere in Konversationsanalyse und Gesprächslinguistik gibt es z. Z. Ansätze, die z. B. interaktionale Bedeutung als ko-konstruiertes Phänomen betrachten (cf. z. B. Arundale 2020) oder sogar Intentionen (cf. z. B. Deppermann 2014) bzw. Intentionalität (cf. z. B. Proske 2017) auf diese Weise analysieren wollen. Dies zeigt, dass hier nicht nur ein theoretisches Bedürfnis in der Grundlagenforschung besteht, sondern auch, dass dieses Desiderat weder gefüllt noch notwendigerweise vollständig beschrieben worden ist. Aus dieser skizzenhaften und exemplarischen Darstellung der Kritik am Intentionalismus sowie Erörterungen können wesentliche Aspekte extrahiert werden, die eine Notwendigkeit in der Modellierung diskursiver Intentionalität darstellen. Tatsächlich finden sich diese Aspekte in vielen Theorien der Intentionalität bereits auf die eine oder andere Weise, doch kaum in ihrer Vollständigkeit: 1. Unhintergehbarkeit der Sozialität der Intentionalität 2. Semiose der Intentionalität 3. Entkopplung des Intentionalitätsbegriffs von der ersten (und anderen) Person(en) 4. Semiotisch-holistische Strukturierung von Zeichenhandlungen 5. Kein kategoriales Apriori von Intention und Intentionalität, aber der phänomenalen Intentionalität 6. Exploration der Intentionalität im (sozial-normativen) Zeichen- und Sprachgebrauch 1. verweist auf die Notwendigkeit, die interaktionale Ko-Konstruktivität von Intentionalität und deren soziale Konsequenzen zu modellieren. Diese Sozialität der Intentionalität ist dabei weder gegeben noch unmittelbar erfahrbzw. wahrnehmbar, sondern entsteht in diskursiven Praktiken. Wegen der Notwendigkeit der Medialität und Semiotik muss Intentionalität 2. im Zeichenprozess analysiert werden. Dies erfordert nicht nur die Sensibilität für die Dynamik von diskursiven Praktiken und Zeichenhandlungen, sondern sollten auch zeitlich-räumliche Transformationen von Zeichen berücksichtigt werden, die die diskursiven Praktiken und Zeichenhandlungen beeinflussen. Intentionalität muss außerdem 3. sowohl vom Begriff der Person als auch von deren Bezugsobjekten unterschieden werden. Da Intentionalität für Personen aber diskursiv relevant ist, muss erklärt werden, inwiefern Intentionalität Personen dennoch zugeordnet werden kann. Auch wenn Intentionalität sich zunächst als Ereignis in der Semiose herausstellt, darf sie keine singulären Eigenschaften besitzen. Sie sollte 4. holistisch (z. B. mithilfe inferenzieller und semiotischer Relationen) mit anderen Zeichenhandlungen verbunden sein bzw. ermöglichen, dass sich diese diskursiv entfalten. Damit präsentiert sich Intentionalität nicht nur als Effekt, welcher über zeitlich-räumliche Transformationen erhalten bleibt, sondern kann mithilfe von Typ-Token-Rekurrenzen im Sprachgebrauch spezifiziert 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 153 werden. Entsprechend anderer Aspekte der Intentionalität kann sie nicht als der diskursiven und semiosischen Praxis vorgelagert modelliert werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass 5. keinerlei ontologische Voraussetzungen für diskursive Intentionalität im phänomenalen Kontinuum bestehen. Selbstverständlich erfordert die Teilnahme an diskursiven Praktiken auch TrägerInnen phänomenaler Intentionalität, die der sinnlichen Erfahrung fähig sind, doch lassen sich aus diesem Faktum keinerlei Konsequenzen für diskursive Praktiken ableiten (bis auf einige theoretische Strukturähnlichkeiten wie z. B. die Relation zu einem intentionalen Objekt). Anstatt katasterhafte Sammlungen von Intentionalität in diskursiven Praktiken und Zeichenhandlungen zu erstellen, muss sich 6. sowohl die Erklärung als auch die Analyse von diskursiver Intentionalität am Sprach- und Zeichengebrauch orientieren. Die Mannigfaltigkeit der diskursiven Praktiken erfordert es daher, dass ein Modell der Intentionalität entwickelt wird, das sowohl die verschiedenen Dimensionen von Sprach- und Handlungspraktiken berücksichtigt, aber gleichzeitig über spezifische Einzelzeichen hinaus Gültigkeit besitzt (z. B. wenn Sprachwandelprozesse die Einzelzeichen verändern oder wenn andere Sprachsysteme nicht über den entsprechenden grammatischen Typ verfügen). Die verschiedenen Aspekte der diskursiven Intentionalität, die in einem Modell verwirklicht werden sollen, können die sozial-normative Emergenz diskursiver Intentionalität veranschaulichen, welche auf den diskursiven Normen von diskursiven Praktiken beruht. 154 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive Abstract: In this chapter, intentionality is analyzed within the framework of Robert B. Brandom's normative linguistic pragmatism. Discursive intentionality is understood here as social-normative and inferentially structured. Instead of describing it as an essential property of mental states, it is integrated into the “ game of giving and asking for reasons ” : Via attributions and attributions in discursive practices, it is used as a heuristic to explain behavior as action. The inferential structure of discursive intentionality is not limited to semantic relations. It is understood as relevant to action theory in that the distinction between actions for reasons and actions with reasons is also understood as inferential. This results in a concept of discursive intentionality that is based on discursive emergence. Zusammenfassung: In diesem Kapitel wird Intentionalität im Rahmen von Robert B. Brandoms normativem Sprachpragmatismus analysiert. Diskursive Intentionalität wird hier als sozial-normativ und inferenziell gegliedert verstanden. Anstatt sie als essenzielle Eigenschaft mentaler Zustände zu beschreiben, ist sie in das “ Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen ” eingebunden: Über Zuschreibungen und Attribuierungen in diskursiven Praktiken wird sie als Heuristik zur Erklärung von Verhalten als Handlung verwendet. Die inferenzielle Gliederung diskursiver Intentionalität beschränkt sich dabei nicht auf semantische Relationen. Sie wird als handlungstheoretisch relevant verstanden, indem die Unterscheidung zwischen Handlungen aus Gründen und Handlungen mit Gründen ebenfalls als inferenziell verstanden wird. Daraus resultiert ein Begriff der diskursiven Intentionalität, welcher auf diskursiver Emergenz beruht. Keywords: Action theory, discursive intentionality, intentional stance, reasons for action Schlüsselbegriffe: Handlungstheorie, diskursive Intentionalität, Intentional Stance, Handlungsgründe Aus der Darstellung der Begriffe der phänomenalen Intentionalität, handlungsinvolvierten Intention und Volition sowie der Kritik an kommunikations-, zeichen- und sprachtheoretischen Prämissen des Intentionalismus ergibt sich nicht nur ein entsprechendes Desiderat, sondern auch die Notwendigkeit, ein Intentionalitätskonzept zu erstellen, welches dessen Verhältnis zu (sprachlichen) Handlungen und diskursiven Praktiken einerseits und der linguistischen Pragmatik andererseits expliziert. Dieses Verhältnis erklärt sich dabei aus drei Perspektiven respektive Erklärungsstrategien: Das Phänomen, welches mithilfe des Konzepts der diskursiven Intentionalität analysiert werden soll, wird 1. zunächst als Effekt von Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen erklärt, um es dann 2. mithilfe einer semiotischen Erklärung als Eigenschaft spezifischer Zeichen zu erfassen. Anschließend lässt sich 3. anhand des expliziten und impliziten Gebrauchs von intentionalen Verben Intentionalität als diskursive Signifikanz von Verben analysieren. Das folgende Kapitel widmet sich der Darstellung diskursiver Intentionalität als emergentem Phänomen und betrachtet dieses aus inferenzialistischer Perspektive. Dazu soll diskursive Intentionalität im Sinne Robert B. Brandoms skizziert und erklärt werden. Diskursive Intentionalität kann dadurch von anderen Intentionalitätsbegriffen, die einen ähnlichen Phänomenbereich beanspruchen, abgegrenzt werden. Gleichzeitig lassen sich Binnendifferenzierungen von explanatorischen Intentionalitätsbegriffen bilden. Um aber den ephemeren Charakter von diskursiver Intentionalität aufzuzeigen, reicht eine Beschreibung nicht aus. Ihr Phänomenbereich soll im Rahmen von diskursiven Praktiken erklärt werden: Zunächst wird mithilfe von Daniel C. Dennetts Theorie der intentionalen Einstellung und Systeme* 1 kognitionsphilosophisch gezeigt, wie diskursive Intentionalität entsteht, um anschließend wesentliche Konzepte in eine Handlungs- und Sprachtheorie zu überführen. Diskursive Intentionalität ist nach dieser Erklärung dann nichts, was inhärente Eigenschaften von Akteuren bzw. Personen beschreibt, sondern eine aus Praktiken der Zuschreibung und Attribuierung erwachsene Emergenz, welche sozial-kommunikativen und sozial-normativen Relationen unterworfen ist. 8.1 Diskursive Intentionalität - Eine definitorische Skizze Diskursive Intentionalität nimmt in Robert B. Brandoms Sprachphilosophie einen wesentlichen Platz ein (cf. hierzu z. B. Grönert 2006, Grüne 2011; Knell 2004, 2005, Lauer 2009), ist aber in der linguistischen Pragmatik bisher kaum beachtet worden (cf. aber Briese 2019, 2020 b, 2021; Harendarski 2012, 2013, 2016, 2021 a). Im Mittelpunkt der Betrachtung der diskursiven Intentionalität Brandoms sowie von deren sozial-normativen Effekten steht die Frage nach den grundlegenden Fähigkeiten, die es uns ermöglichen, als diskursive Wesen aufzutreten und an diskursiven Praktiken teilzunehmen: “ [D]amit etwas zu ‘ uns ’ zählt, sollte es lediglich die grundlegenden Fähigkeiten besitzen, die die Teilnahme an jenen ausschlaggebenden Tätigkeiten ermöglicht, über die wir uns selbst definieren. ” (EV: 36) 2 1 Der Begriff des Systems, wie er im Folgenden von Dennett und Brandom verwendet wird, sollte aus einer sozial-kommunikativen und linguistischen Perspektive mit gewisser Skepsis betrachtet werden. Als systemisch gelten dort jene Entitäten, die mechanische oder computationale Kopplung aufweisen, ganz im Sinne eines informationstheoretischen und kybernetischen Verständnisses des Konzepts. Für Dennett ist dies wohl angemessen. Bei Brandom, der sozial-normative Aspekte diskursiver Praktiken im Blick hat, scheint das Konzept zumindest missverständlich. Denn soziale und kommunikative Systeme weisen einen anderen normativen Status auf als mechanische Systeme (cf. Arundale 2020, Luhmann 1987). Gleichzeitig ist der Systembegriff in der Linguistik stets mit den Strukturen von Einzelsprachen besetzt. Wenn im Folgenden der Begriff des Systems im Sinne Dennetts (und Brandoms) verwendet wird und auf ein eher mechanistisches und kybernetisches Verständnis hingewiesen werden soll, verwende ich den Ausdruck mit Asterisk (System*). Die Verwendung der später eingeführten Akronyme für einfache intentionale Systeme (EIS) und interpretierende intentionale Systeme (IIS) verweist stets auf dieses Verständnis. 2 Dass Brandom hier die erste Person Plural verwendet, ist keine saloppe Formulierung oder gar ein Übersetzungsfehler. Vielmehr verweist Brandom hier bereits darauf, dass die genuine Sozialität diskursiver 156 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Diese Fähigkeit, die die Teilnahme an diskursiven Praktiken ermöglicht und dazu befähigt, ist diskursive Intentionalität. Tatsächlich lässt sich Brandoms Expressive Vernunft als ein Versuch lesen, den Begriff der diskursiven Intentionalität zu entwickeln und in die analytische Philosophie einzuführen. So verweist Brandom selbst darauf, dass seine Sprach- und Handlungsphilosophie “ sich als eine Analyse der Einstellungen des Zuweisens ursprünglicher Intentionalität auffassen ” (EV: 114) lassen kann. Brandom unterscheidet diskursive Intentionalität zunächst von Empfindungsfähigkeit. Er differenziert zwischen sentience und sapience, wobei erstere “ awareness in the sense of being awake ” (IL: 348) beschreibt. Sapience hingegen umfasst “ having intentionally contentful states such as beliefs, desires, and intentions: believing, desiring, or intending of the dog that it is sitting, will sit, or should sit ” (ebd.). Im Gegensatz zur sentience ist sapience allein diskursiven Wesen vorbehalten: denjenigen Wesen, die an diskursiven Praktiken teilnehmen können. Die Interaktion von diskursiven Wesen unterscheidet sich daher auch von Wesen, die allein über sentience verfügen, weil jene sich auf sozialnormative Weise auf die Welt und andere diskursive Wesen beziehen können. Brandom markiert seine theoretische Grenze also zwischen der Interaktion von und zwischen diskursiven Wesen und derjenigen Interaktion von anderen empfindungsfähigen Wesen: Es geht hier also um Intentionalität in dem Sinne, daß Einstellungen propositional gehaltvoll sind und nicht im Sinne der Gerichtetheit der Sinne (falls sich das als etwas davon verschiedenes herausstellen sollte). Das Ziel ist, uns selbst als Urteilende und Handelnde zu verstehen, als Verwender von Begriffen, die mit der Fähigkeit zum theoretischen wie praktischen Denken und Begründen ausgestattet sind. (EV: 40) Intentionalität sei demnach Verstandesfähigkeit, die es ermöglicht, bestimmte propositionale Gehalte im diskursiven Sinne zu verwenden, indem diese in Urteils- und Handlungsprozesse eingebunden werden. Kurz: “ Verstandesfähigkeit, diskursive Intentionalität, [ist] Hantieren mit Begriffen. ” (EV: 42) Brandom verweist mit seiner Darstellung der diskursiven Intentionalität nicht nur auf eine semantische Dimension, die sich in der Forderung eines propositionalen Gehalts erfüllt, sondern betont den Performanzaspekt, der dem Begriff der diskursiven Intentionalität innewohnt. Mit dem Handlungsaspekt der diskursiven Intentionalität wird nicht nur die Abgrenzung zur Empfindungsfähigkeit, sondern zugleich die pragmatische Signifikanz hervorgehoben. Zwischen Gehalt (semantischer Struktur) und Performanz (pragmatischer Signifikanz) ist diskursive Intentionalität damit ein Grenzbegriff von inferenzieller Semantik und normativer Pragmatik: [D]iscursive intentionality is a pragmatically mediated semantic relation that essentially involves both what one is doing in saying something, and what is said about how it is with what one is thereby talking about. (BSD: 196, Hervorh. im Original) Diese Definition der diskursiven Intentionalität involviert wesentliche Aspekte, die Brandom in seiner weiteren Sprach- und Handlungsphilosophie ausführt: 1. Diskursive Intentionalität ist eine semantische Relation (zwischen jemandem und etwas), die von diskursiven Normen des Gebrauchs vermittelt wird. Damit erfasst Brandom sowohl die Praktiken in seiner Theorie ein zentrales Element ist, welches sich auch auf die Konstitution von Individuen auswirkt (cf. dazu z. B. Reichold 2016, Stekeler-Weithofer 2011). 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 157 Konstitution der diskursiven Intentionalität im Sprachgebrauch als auch die Notwendigkeit, die jeweiligen Normen der diskursiven Praxis in der Analyse zu berücksichtigen. 2. Der Phänomenbereich, der vom Begriff der diskursiven Intentionalität umfasst werden soll, beinhaltet sowohl sprachliche als auch performative Aspekte, sodass sowohl pragmatische Signifikanz als auch sprachsystematische Aspekte Einfluss auf diesen haben. 3. Außerdem spielt das Verhältnis von sprachlichen Praktiken und Wirklichkeitsbezug eine wesentliche Rolle, sodass auch dies in einer Modellierung berücksichtigt werden muss. Sowohl holistisch-inferenzielle als auch repräsentationale Aspekte der diskursiven Intentionalität sollten sich in einer Analyse der diskursiven Praktiken und ihrer Intentionalität niederschlagen. Insbesondere für inferenzielle und repräsentationale Aspekte der Darstellung der diskursiven Intentionalität findet Brandom unterschiedliche Begriffe, die sein theoretisches Vokabular spezifizieren: Intentionality - semantic contentfulness - comes in two flavors: ‘ of ’ -intentionality and ‘ that ’ intentionality. The first, or representational, dimension is semantic directedness at objects: what one is thinking of or talking about. The second, or expressive, dimension concerns the content of our thought and talk: what one is thinking or saying (about what one is thinking or talking about). So one can think of or about foxes, that they are nocturnal omnivores. (RP: 42, Hervorh. im Original) Das Konzept der diskursiven Intentionalität beinhaltet also zwei verschiedene Aspekte, die miteinander in Beziehung stehen und in der Deskription diskursiver Praktiken unterschiedliche Funktionen einnehmen: Expressive Intentionalität 3 umfasst die inferenziellen und diskursnormativen Elemente der Intentionalität selbst, aber auch deren propositionale und semantische Gehalte sowie Performanz- und Handlungsgründe, -folgen und -dispositionen. Repräsentationale Intentionalität beinhaltet all jenes, was mit Referenzbzw. Verweisstruktur der intentionalen Relation ermittelt werden kann, und sichert somit, dass die entsprechenden intentionalen Relationen, Strukturen und Prozesse auch einen Wirklichkeitsbezug aufweisen. Expressive und repräsentationale Intentionalität sind zwar zwei Aspekte der Erklärungsstrategie von Verhalten, sind aber im Sinne des normativen Sprachpragmatismus nicht explanatorisch gleichberechtigt. Brandom betont, dass expressive Intentionalität repräsentationale Intentionalität erklären müsse (cf. z. B. IL: 350). Erst ein Zugang zu den inferenziellen und normativen Aspekten der diskursiven Intentionalität ermögliche, auch die repräsentationalen Aspekte angemessen zu analysieren. Der explanatorische Vorrang der expressiven Intentionalität hat Konsequenzen für die Analyse diskursiver Praktiken. Es ist deshalb sinnvoll hervorzuheben, was das Verfügen über semantische und propositionale Gehalte bei Brandom bedeutet. Diese sind keine kognitiven Abbildungen weltlicher Objekte, Sachverhalte und Ereignisse, sondern werden zunächst über ihre inferenziellen und normativen Relationen sowie ihren Performanzaspekt definiert: 3 Brandom nennt expressive Intentionalität auch “ dass ” -, begriffliche bzw. expressiv-begriffliche (cf. z. B. WI: 168) oder propositionale Intentionalität (cf. IL: 349). Im Weiteren werden die Bezeichnungen synonym verwendet. 158 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Der Verstand, das Vermögen der Begriffe, ist das Vermögen des Regelverstehens - dort wird dem Unterschied zwischen richtiger und falscher Regelanwendung Rechnung getragen. Das Besondere am Urteilen und Tun - also von Akten mit Inhalten, die man für wahr halten oder wahr machen kann und für die das Einfordern von Gründen angebracht ist - ist die Art und Weise, wie sie Regeln unterworfen sind. Sie sind begrifflich gehaltvoll und damit gemäß der Regeln zu beurteilen, die diese Gehalte ausdrücken. Sich in einem intentionalen Zustand zu befinden oder eine absichtliche Handlung zu vollziehen ist demnach normativ signifikant. (EV: 42 f.) Brandom greift hier nicht nur seine Definition der diskursiven Intentionalität auf, indem er die Normativität, Inferenzialität und Performativität betont, sondern erklärt Notwendigkeit von Regelverstehen und Regelanwendung (was hier eher als Normverstehen bzw. -anwendung verstanden werden sollte): Wer über diskursive Intentionalität verfüge, sei der normativen und pragmatischen Anwendbarkeit der entsprechenden propositionalen Gehalte unterworfen, kann diese z. B. begründen und nach ihnen handeln. Die normative Signifikanz, die Brandom hier erläutert, dient der Darstellung des Verhältnisses von propositionalen Einstellungen, ihren Gehalten und Performanzen. Es geht also darum, dass “ alles, was als intentionaler Zustand erkennbar ist [ … ], normative Bewertungen erfüllen muß in Hinblick darauf, ob die Dinge dem betreffenden Zustand zufolge auch so sind, wie sie sein sollten - ob der Zustand den durch seinen Gehalt festgelegten Standards zufolge korrekt oder erfolgreich ist ” (MNI: 386, Hervorh. im Original). Die inferenzielle Gliederung, die aus expressiver Intentionalität folgt, bestimmt also, inwiefern Verhalten im zeitlichräumlichen Kontinuum als sozial-normativ strukturiert begriffen wird, indem diskursive Normen und Verhaltensereignis in ein signifikantes Verhältnis gesetzt werden: Etwas geschieht und muss nun beurteilt werden. Da diese Beurteilung aber selbst bereits inferenziell gegliedert ist, dienen ihre inferenziellen Relationen selbst als Erklärungsstrategie des jeweiligen Verhaltensereignisses bzw. entfalten sich erst hinsichtlich der gewählten intentionalen Erklärungsstrategie, z. B. in Form von Handlungsfolgen. Die normative Signifikanz der expressiven Intentionalität hat nicht nur diskursive Folgen für das Verhalten, sondern auch für das Wesen, welches dieses Verhalten ausführt: The difference between discursive and non-discursive creatures is not as Descartes had thought, an ontological one (the presence or absence of some unique and spooky sort of mind-stuff), but a deontological, that is, normative one: the ability to bind oneself to concepts, which are understood as a kind of rule. (IL: 351, Hervorh. im Original) Brandoms Unterscheidung Ontologie und Deontologie greift hier (implizit) dasjenige auf, was ich im vorherigen Kapitel mit der Differenz von phänomenaler und diskursiver Intentionalität skizziert habe. 4 4 Es gibt andere Lebewesen, Organismen und Automaten, die über sinnliche und phänomenale Erfahrungen verfügen können (im Sinne des mind-stuff), aber nur diskursive Wesen können kraft diskursiver Intentionalität in diskursiven Praktiken Handlungen ausführen, die semantische, inferenzielle und propositionale Gehalte aufweisen. Oder so: Es gibt eine unüberbrückbare Differenz zwischen unserer sinnlichen Wahrnehmung der Welt und der diskursiven, von Normen, Konventionen und Regeln durchzogenen Wirklichkeit. Insofern konkurriert Brandoms Intentionalitätstheorie auch nicht mit Theorien, welche Tierkognition und -intentionalität modellieren (cf. z. B. Danón 2019, Hutto/ Satne 2015, Hutto/ Myin 2017). Tatsächlich nimmt Brandom eine Form der “ Ur-Intentionality ” (cf. z. B. Abramova/ Villalobos 2015, Hutto/ Myin 2017: 93 f.) bzw. der basalen Intentionalität an, wenn er nicht-diskursive Praktiken mithilfe eines TOTE-Modells (Test- 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 159 Zusammenfassend lässt sich Brandoms Begriff der diskursiven Intentionalität als theoretische Vokabel verstehen, mit welcher er Handlungs- und Verpflichtungspotenziale in diskursiven Praktiken zu explizieren sucht. Das Konzept unterscheidet sich dabei nicht nur von phänomenaler Intentionalität und sentience, sondern gliedert sich theoretisch auch in expressive und repräsentationale Intentionalität, die verschiedene explanatorische Funktionen übernehmen. Sie erklären die kraft der diskursiven Normen konstituierten Handlungsgründe, -folgen und -dispositionen (normative Signifikanz) und Handlungspotenziale (pragmatische Signifikanz) einerseits, sichern aber auch die repräsentationale Intentionalität und damit den analytischen Zugang zu Verhalten, Ereignissen, Objekten und Akteuren andererseits. Abb. 1: Intentionalität in Brandoms Sprach- und Handlungsphilosophie Abb. 1 fasst diese Verhältnisse noch einmal zusammen und zeigt, in welchem explanatorischen Verhältnis die verschiedenen Aspekte stehen. Insbesondere die explanatorische Hierarchie von expressiver und repräsentationaler Intentionalität ist interessant, weil sie die traditionelle Unterscheidung der analytischen Philosophie in “ intentionality as aboutness ” (Ciecierski 2016: 36, Hervorh. im Original) und “ intentionality as contentfulness ” (ebd., Hervorh. im Original) zwar beibehält, sie aber in ein Verhältnis setzt. Gleichzeitig hat dieses Verhältnis, so wie die gesamten Aspekte diskursiver Intentionalität, auch Einfluss auf die Analyse verschiedener semantischer Gehalte und unterschiedlicher Performanzen in diskursiven Praktiken. Operate-Test-Exit) erklärt (cf. BSD: 176 f.). Aber dies ist für eine linguistische Theorie diskursiver Praktiken kein relevantes Faktum. 160 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Diskursive Intentionalität, so kann man zunächst Brandoms Begriff zusammenfassen, ist also Handlungsfähigkeit in diskursiven Praktiken. Sie umfasst die Fähigkeit, über propositionale Gehalte (im Sinne einer inferenziellen Gliederung) zu verfügen und diese in (sprachliche) Handlungen zu involvieren (Handlungsgründe, -folgen, -dispositionen). Diese kann außerdem auf spezifisches Verhalten angewandt werden, sodass dieses dann (im Sinne einer inferenziellen Gliederung) als intentional gelten kann. 8.2 Intentional Stance und intentionale Systeme* Neben der Darstellung der diskursiven Intentionalität, ihrer Binnendifferenzierung sowie ihrer unterschiedlichen sozial-normativen, inferenziellen und referenziellen Aspekte, muss erklärt werden, inwiefern diskursive Intentionalität in diskursiven Praktiken Relevanz erlangt und wie sie mit den sozial-normativen Aspekten diskursiver Praktiken verbunden ist. Da Intentionalität hier keine mentale, nichtbzw. vorsprachliche bzw. -diskursive Eigenschaft ist, sondern als diskursives Emergenzphänomen zu verstehen ist, soll hier skizziert werden, wie diskursive Intentionalität entsteht. Dazu wird zunächst Daniel C. Dennetts Konzept des Intentional Stance bzw. der intentionalen Systeme* (cf. insbesondere 1981, 1989) vorgestellt und dann mithilfe von Brandoms Interpretation des Modells für eine linguistische Pragmatik fruchtbar gemacht. 5 Mithilfe der Konstitutionsprozesse der Zuschreibung und Attribuierung 6 , die ich in Kapitel 13 noch vertiefen werde, soll Intentionalität dann als diskursives Emergenzphänomen erklärt werden: Sie ist nicht in Praktiken enthalten, sondern konstituiert, reproduziert und perpetuiert sich während diskursiver Praktiken. Daniel C. Dennett (1981: 3 f.) unterscheidet zwischen drei verschiedenen Einstellungen, die man gegenüber organisierten Entitäten bzw. Systemen* der Welt und deren Verhalten einnehmen kann: funktionale, physikalische und intentionale Einstellungen. Den Unterschied dieser Einstellungen erklärt er am Beispiel eines Schachspiels gegen einen Computer, in welchem die verschiedenen Einstellungen gebraucht werden können, um diesen zu besiegen. Die funktionale Einstellung nähmen Spieler ein, wenn sie die Funktionen des Schachcomputers kennen, also wissen, wie sich die Spielzüge errechnen ließen. Unter der Annahme, dass der Computer seine Aufgabe gemäß Rechenprotokoll erfülle, würden sich 5 Daniel C. Dennett (cf. 2010: 48) selbst hat Brandoms Interpretation zur Kenntnis genommen und stimmt dessen Verständnis von intentionalen Systemen* weitestgehend zu. Die Differenzen, die sich zwischen Dennett und Brandom entfalten, liegen insbesondere in deren unterschiedlichem Verständnis von diskursiver und phänomenaler Intentionalität, was die Integration von intentionalen Systemen* in eine sprach- und handlungstheoretisch fundierte kognitive Pragmatik aber nicht betrifft. 6 Gleich vorweg: Der Attribuierungsbegriff, der hier vertreten wird, orientiert sich nur marginal an der Attributionstheorie, wie sie zunächst in der Sozialpsychologie (cf. z. B. Heider 1977, Kelley 1967, Malle 2006) und dann aber auch an der Schnittstelle von Sprache und sozialer Kognition (cf. z. B. Fiedler/ Freytag 2009) vertreten wird. Attributionstheorien gehen häufig von unabhängigen Verhaltensweisen aus und erklären diese im Rahmen eines kausalen Kognitionsmodells, wie z. B. die Beiträge in Causal Cognition (Sperber/ Premach/ Premack 2000) zeigen. Das hier verfolgte Modell, welches sich sowohl Daniel C. Dennetts als auch Robert B. Brandoms Verständnis der Zuschreibung und Attribuierung bedient, deren Modelle aber weiterzuentwickeln versucht, wendet sich unmittelbar gegen die kategoriale Differenz von Verhalten und Deskription sowie die Annahme der Kausalität. Vielmehr sollen die sozial-normativen Prozesse einerseits sowie Verknüpfungen von Zeichenkonstitution und Verhaltensrelation andererseits fokussiert werden. 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 161 Aussagen über dessen Folgezüge formulieren und diese voraussagen lassen. Eine solche Einstellung sei insbesondere für mechanische Systeme* zweckmäßig, da sich so effektiv die verschiedenen Funktionsweisen erkennen ließen. Sobald die Funktionen des Systems* allerdings versagen würden, dem Rechenprotokoll nicht mehr gefolgt würde und die Folgezüge sich nicht mehr funktional erklären ließen, scheitere die funktionale Einstellung. Um nun die Folgezüge voraussagen zu können, könne eine physikalische Einstellung eingenommen werden. Die physikalische Einstellung nähmen Spieler ein, wenn sie anhand des Wissens der physikalischen Verfasstheit des Schachcomputers dessen Züge voraussagen würden. Die physikalische Einstellung sei insofern fehlerresistenter, als dass sie trotz Fehlfunktionen das Verhalten des Computers voraussagen könne, da die Funktionen des Computers auf seiner physikalischen Verfasstheit beruhen würden. Allerdings erfordere die physikalische Einstellung die Kenntnis einer Vielzahl an naturwissenschaftlichen Gesetzen sowie den Überblick über die physikalischen Gegebenheiten, was zwar effektiv, aber kaum effizient (und für menschliche Kognition kaum zu leisten) sei. Funktionale und physikalische Einstellungen seien bei einfachen funktionalen bzw. physikalischen Systemen* noch zielführend, doch bei komplexen Systemen* würden diese Einstellungen an ihrer Anwendbarkeit scheitern. Intentionale Einstellungen könnten im Falle von komplexen Systemen* Abhilfe leisten und Spieler nehmen diese ein, wenn sie das System* als vernünftig begreifen. Die beste Möglichkeit für jemanden, die Spielzüge des Schachcomputers vorauszusagen (und zu gewinnen) “ is to predict its responses by figuring out as best he can what the best or most rational move would be, given the rules and goals of chess ” , so Dennett (1981: 5). Diese allgemeine Rationalitätsannahme, die durch die intentionale Einstellung vertreten würde, ermögliche einen effektiven wie effizienten Umgang mit dem System*, wobei die spezifischen Aussagen über das Verhalten durch die Regeln und Ziele des Spielsystems* definiert seien. Brandom interpretiert nun das Konzept der intentionalen Einstellung, integriert es in seine Sprach- und Handlungsphilosophie und versucht damit, den diskursiven Emergenzeffekt der diskursiven Intentionalität zu erklären. Er untersucht dabei sowohl das Verhältnis von diskursiver Intentionalität und Rationalität als auch deren normative, diskursive und sprachliche Aspekte. Während Dennett unter der intentionalen Einstellung eine Rationalitäts- und Kohärenzannahme versteht, erklärt Brandom zunächst, dass diskursive Intentionalität in der Erklärungsreihenfolge vor Rationalität und kognitiver Kohärenz rangiert: Dennett [verbindet] seine Anerkennung der konstitutiven Rolle der Rationalität bei intentionalen Erklärungen mit der Behauptung, eine solche Erklärung enthalte eine substantielle ‘ Rationalitätsannahme ’ , nämlich daß das System im großen und ganzen tatsächlich so handeln werde, wie es rationalerweise handeln sollte. Solche Erklärungen kann man durchaus als intentionale Erklärungen betrachten, aber es ist wichtig, normative intentionale Erklärungen und kausale intentionale Erklärungen auseinanderzuhalten. Erstere erklären nur, was das Subjekt der intentionalen Zustände kraft derselben (rationalerweise) tun sollte oder zu tun verpflichtet ist oder festgelegt ist. Letztere machen die substantielle Rationalitätsannahme und erklären danach auch noch, was tatsächlich geschieht. Normative intentionale Erklärungen sind grundlegender; die kausalen setzen diese voraus und bauen auf ihnen auf. (EV: 52 f.) 162 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Wenn Brandom hier von verschiedenen intentionalen, kausalen, rationalen und normativen Erklärungen spricht, dann nimmt er das vorweg, was er später als Zuschreibungen bzw. Attribuierungen einführt. Kurz: Zuschreibung und Attribuierung von diskursiver Intentionalität und die aus der diskursiven Intentionalität folgende Rationalität, kognitive Kohärenz sowie auch die ggf. involvierten Handlungen bzw. Handlungsrelationen sollten voneinander unterschieden werden. Anstatt etwas als rational zu behandeln, was dann auch intentionale Handlungen ermöglicht, initiieren Zuschreibungen und Attribuierungen von diskursiver Intentionalität erst rationale und kohärente Handlungs-, Sprach- und Kognitionsmuster. Also: Nur Wesen, denen diskursive Intentionalität zugeschrieben wurde, können demnach auch als rational verstanden werden. Neben der initiativen Kraft der diskursiven Intentionalität tritt außerdem eine Hierarchie von normativen Erklärungsstrategien von Verhalten zutage. Intentionale Erklärungen sind normativ aus der Perspektive des explanans. Das zu beschreibende Verhalten (explanandum) hingegen kann entweder mithilfe von normativen oder kausalen intentionalen Erklärungen erfasst werden. Nicht jedes Verhalten eines intentionalen Systems* kann auch mithilfe diskursiver Normen erklärt werden. Während ein spezifisches Verhalten eines intentionalen Systems* z. B. auch mechanistisch erklärt werden kann, kann anderes Verhalten hinsichtlich diskursiver Normen sensibel sein. Brandom (EV: 198) unterscheidet daher zwischen deskriptiven und präskriptiven Konklusionen zur Beschreibung eines intentionalen Systems*. Während beide Beschreibungen sowie deren inferenzielle Gliederungen auf sozialer und diskursiver Normativität beruhen, konstituieren nur die präskriptiven Konklusionen das Explanandum selbst als diskursiv sensibel, was diskursive Folgen für die Kohärenz- und Rationalitätsannahme vom System* haben kann. Die intentionale Einstellung, die jemand gegenüber einem Wesen, einem Verhalten oder Ereignis einnimmt, kann demnach nur auf Basis von normativen Handlungsdispositionen, -gründen und -folgen bzw. spezifischen inferenziell gegliederten propositionalen Gehalten eingenommen werden. Hier greift Brandom implizit seinen Begriff der expressiven Intentionalität wieder auf. Deskriptive Konklusionen von intentionalen Erklärungen sind demnach auch nicht genuin kausal, sondern basieren selbst auf normativen Einstellungen, nämlich, dass sich das System* entsprechend der Vorstellung der kausalen Wirksamkeiten verhalten wird bzw. soll. Die normative Einstellung der Kausalität wird hier auf das Verhalten bzw. System* projiziert. Die Differenzierung von diskursiver Intentionalität und Rationalitätsbzw. Kohärenzannahmen einerseits und der Hierarchisierung von genuiner Normativität und Projektionen von diskursiver Normativität bzw. Kausalität andererseits ermöglicht die Spezifikation der Differenz: Diskursive Intentionalität (normative intentionale Konstitution): allgemeine Intentionalitätszuschreibung bzw. -attribuierung → Expressive Intentionalität (kausale bzw. normative intentionale Erklärung von Verhalten): Handlungsdispositionen, -folgen und -gründe eines spezifischen Verhaltens inklusive Kohärenzbzw. Rationalitätsannahme und ihre retro- und prospektiven inferenziellen Relationen 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 163 Die Erklärung und Anreicherung des Verhältnisses von diskursiver und expressiver Intentionalität zur Erklärung von Verhalten, so wird sich in Kapitel 13 zeigen, lässt sich auch anhand linguistischer Strukturen und Prozesse nachzeichnen: Intentionalitätszuschreibungen bzw. -attribuierungen, welche ein Verhalten als intentional und damit sensibel hinsichtlich spezifischer diskursiver Normen konstituieren, basieren auf der Signifikanz subsentenzialer sprachlicher Zeichen. Der entsprechende Effekt der expressiven Intentionalität, welcher spezifisches Verhalten sowie dessen sprachlichen, kognitiven und performativen Relationen (mithilfe der Rationalitätsbzw. Kohärenzannahme) erklärt, bezieht sich vielmehr auf die inferenzielle Makrostruktur sprachlicher Zeichen. Diese Makrostruktur kann dann als Handlungsfolgen-, -gründe und -dispositionen modelliert werden. Präferiert werden hier also nicht subsentenziale Zeichen, sondern textuelle Relationen und Prozesse. Neben der Differenz von Intentionalität und Rationalität respektive diskursiver und expressiver Intentionalität sowie den unterschiedlichen Verhaltenserklärungen analysiert Brandom außerdem das Verhältnis von intentionalen Systemen* zueinander. Die Erkenntnis, dass Einstellungen gegenüber Systemen* - egal, ob funktional, physikalisch oder intentional - selbst normativ sind, zeigt, dass Theoretiker das Verhältnis von zuweisender und zugewiesener Instanz erklären müssen. Laut Brandom entsteht zwischen diesen beiden Instanzen ein asymmetrisches Verhältnis: Zwischen einfachen intentionalen Systemen, die lediglich intentional interpretierbar sind, und interpretierenden intentionalen Systemen zu unterscheiden, als zwischen Systemen, gegenüber denen die intentionale Einstellung eingenommen werden kann, und Systemen, die diese Einstellung anderen gegenüber einnehmen können, heißt, zwischen instituierender und instituierter Intentionalität zu unterscheiden. Die einfache Intentionalität, die hiernach im Auge des Betrachters liegt, ist aus diesem Grund abhängig und in einem wichtigen Sinn abgeleitet von der Intentionalität, die den Interpreten zukommt. [ … ] Sie machen, daß ein Ereignis etwas bedeutet, indem sie unterstellen, daß es etwas bedeutet, indem sie es so verstehen. (EV: 112 f., Hervorh. im Original) Diskursive Intentionalität von interpretierenden intentionalen Systemen* (IIS) und einfachen intentionalen Systemen* (EIS) scheinen also auf den ersten Blick unterschiedliche Qualitäten zu besitzen, spricht Brandom doch davon, dass die diskursive Intentionalität der EIS von der Perspektive der IIS abgeleitet sei. Interpretationen, Zuschreibungen und Attribuierungen von diskursiver Intentionalität der EIS wären somit nur Derivate und IIS würden über ursprüngliche diskursive Intentionalität verfügen. Allerdings ist die Darstellung von IIS und EIS selbst durch drei wesentliche Eigenschaften von Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen und diskursiver Intentionalität strukturiert, die keine entsprechende starke Unterscheidung von IIS und EIS erlauben: 1. das Verhältnis von Zuschreibung/ Attribuierung und den verschiedenen Systemen*, 2. die sprachliche und 3. die soziale Dimension der diskursiven Intentionalität. 1. Die Unterscheidung zwischen IIS und EIS kann nur aus der Perspektive des jeweiligen IIS getroffen werden. Der Schluss, dass damit ein Unterschied zwischen ursprünglicher und abgeleiteter Intentionalität besteht, wird aber aus der Dritte-Person-Perspektive getätigt. Sinnvoller sei es, die Teilnehmerperspektive einzunehmen, denn dass “ etwas von jemandem als intentionales System betrachtet oder behandelt wird, rangiert in der Reihenfolge der 164 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Erklärung vor der Tatsache, daß es ein intentionales System ist ” (EV: 109). Damit sind Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse dasjenige, wodurch IIS und EIS erst als intentionale Systeme* behandelt werden. Ursprung und Derivat diskursiver Intentionalität sind somit keine ontologischen Annahmen, sondern eine Frage der Perspektive. 2. Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse sind laut Brandom außerdem an sprachliche Zeichen gebunden und müssen daher auch einer zeichentheoretisch basierten Analyse standhalten. Nicht nur erklärt Brandom, dass diskursive Intentionalität auch eine Eigenschaft von Ausdrücken sei (cf. EV: 115), sondern er betont, dass “ [u]rsprüngliche, unabhängige bzw. nicht abgeleitete Intentionalität eine rein sprachliche Angelegenheit [ist] ” (EV: 221). Intentionalität sollte sich daher unter linguistischen und semiotischen Gesichtspunkten analysieren lassen. Die Abhängigkeit von diskursiver Intentionalität und sprachlichen Zeichen reiht sich ausnahmslos in die Annahme des Primats von Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen (vor einer intentionalen und ontologischen Existenz) ein und ergibt mit der Perspektivität von Zuschreibungs- und Attribuierungspraktiken folgende Annahme: IIS sind kraft Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen von sprachlichen Zeichen konstituiert worden, während EIS kraft Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen als intentionale Systeme* konstituiert werden. Es besteht also ein asymmetrisches Verhältnis zwischen IIS und EIS, insofern, dass IIS während der Prozesse eine Konstitutionsautorität eingeräumt werden muss (cf. Kapitel 15). Im Sinne der auf sprachlichen Zeichen basierenden Praktiken können IIS EIS dann als intentional konstituieren. 3. Durch die sprachliche Dimension von Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen mögen diese zwar individuelle Tätigkeiten sein, sind aber (und das ist das Relevante) an die soziale und diskursive Gemeinschaft gebunden. Sprachliche Zeichen, Interpretations-, Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse müssen sich in der diskursiven Praxis als verlässlich erweisen, sodass sich diskursive Wesen “ gegenseitig in der Praxis als solche betrachten oder behandeln, die intentional gehaltvolle Festlegungen und andere normative Status eingehen ” (EV: 114). Aus der Theorie intentionaler Systeme* leitet Brandom also eine Theorie der Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse von diskursiver Intentionalität kraft sprachlicher Zeichen ab, die aus den sozial-kommunikativen und normativen Aspekten sprachlicher Prozesse erwächst (cf. Abb. 2). 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 165 Abb. 2: Relationen von IIS, EIS und IZ Die Funktion intentionaler Zeichen (IZ), also jener sprachlichen Zeichen, die die Zuschreibung bzw. Attribution von diskursiver Intentionalität ermöglichen, besteht sowohl in der konstitutiven Kraft für IIS, als auch in der Möglichkeit, dass EIS konstituiert werden, indem sie Interpretations-, Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse ermöglichen. Die systemtheoretischen* Darstellungen der intentionalen Systeme* Brandoms lassen sich damit als grundlegende sozial-kommunikative Verhältnisse in diskursiven Praktiken verstehen. Zusammenfassend dient die Etablierung des Intentional Stance, der intentionalen Einstellung bzw. intentionaler Systeme* in die linguistische Pragmatik der Sensibilisierung für die konstitutive Kraft von sprachlichen Zeichen, nicht nur hinsichtlich Bedeutung, sondern hier insbesondere bezüglich Performanzen, Handlungsgründen und -folgen sowie sich gegenseitig interpretierende und erklärende diskursive Wesen (also IIS und EIS). Eine Analyse der sprachlichen Zeichen soll später aufdecken, dass diese über die entsprechenden pragmatischen und normativen Signifikanzen verfügen, um die Konstitution zu gewährleisten. Gleichzeitig dient die Zusammenfassung von Dennetts Theorie der intentionalen Einstellung sowie ihrer Interpretation durch Brandom auch zur Vorbereitung einer konkreten Analyse von diskursiven Praktiken, die über unmittelbare Zuschreibungen und Attribuierungen hinausgehen. 8.3 Diskursive Festlegungen und Intentionalität - Handeln mit Gründen und Handeln aus Gründen Neben dem Verhältnis intentionaler Systeme*, die mittels Zuschreibungen und Attribuierungen für die Emergenz diskursiver Intentionalität sorgen, gliedert Brandom auch handlungstheoretische Aspekte in seine Intentionalitätstheorie ein. Es geht darum, dass das Vokabular der diskursiven Praxis zugleich eine Differenzierung zwischen verschiedenen Formen von diskursiven Festlegungen ermöglicht, die diskursive Intentionalität betreffen: Überzeugungen, die hinter Handlungen stehen und Absichten, die zu einer Handlung berechtigen oder diese ausschließen, folgen demnach zwei unterschiedlichen Festlegungstypen, also normativen Einstellungen, die allerdings miteinander verbunden seien. 166 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Brandom geht davon aus, dass “ es zwei Spezies diskursiver Festlegungen gibt: die kognitiven (oder doxastischen) Festlegungen und die praktischen Festlegungen. Letztere sind Festlegungen auf ein Handeln. Anerkennungen der ersten Sorte von Festlegungen entsprechen Überzeugungen; wohingegen Anerkennungen der zweiten Sorte von Festlegungen den Absichten entsprechen. Die ersteren sind Für-wahr-halter, die zweiten Wahrmacher. ” (BB: 110, Hervorh. im Original) Die Differenz von kognitiven und praktischen Festlegungen ist notwendig, um nicht nur das Verhältnis von sprachlichen Zeichen, kognitiven Strukturen und Prozessen, sondern auch von diskursiven Festlegungen und Handlungen bzw. Handlungsmustern zu erklären: (1) Die Sonne scheint. (2) Ich werde nachher das Geschirr abspülen. Durch Behauptungen wie (1) legen sich Interlokutoren auf eine entsprechende Überzeugung fest, die als propositionaler Gehalt formuliert werden kann: F (x) = [dass die Sonne scheint] bzw. scheinen Sonne . Daraus folgen im Sinne der deontischen Kontoführung (cf. Kapitel 14.1) entsprechende inferenzielle Relationen, die sich z. B. als [dass es nicht regnet], [dass die Sonne existiert] und ggf. [dass wir an den Strand gehen sollten] notieren lassen. Die Zeichenhandlung ermöglicht also eine kognitive Festlegung, die sich als Überzeugung erfassen lässt. (2) hingegen weist eine andere Signifikanz auf. Hier steht nicht der propositionale Gehalt der Äußerung im Mittelpunkt, sondern eine pragmatische Signifikanz, die auf eine sprachliche Handlung verweist. (2) lässt sich daher nicht allein als kognitive Festlegung erläutern. Interlokutoren gehen mit der Äußerung von (2) eine Handlungsverpflichtung ein, die sie zum Zeitpunkt t 1 einlösen sollten. Sie legen sich darauf fest, dass sie die entsprechende Handlung künftig tätigen, und gehen damit eine praktische Festlegung ein. In diesem Fall handelt es sich um eine Verpflichtung, die erst erfüllt ist, wenn die Handlung, auf die sich die Interlokutoren verpflichtet haben, vollendet ist. Entsprechende Folgeäußerungen, die (2) betreffen, können eine praktische Festlegung nicht einlösen. Die Unterscheidung von kognitiven und praktischen Festlegungen ermöglicht, zwischen der Äußerungsbedeutung und Handlungsabsichten zu unterscheiden, ohne dass auf mentale Strukturen rekurriert werden muss. Gleichzeitig wird auch hier noch auf Erfüllungsbedingungen von Festlegungen verzichtet. Es handelt sich sowohl bei kognitiven als auch bei praktischen Festlegungen zunächst um Dispositionen, die zwar entsprechende Erfüllungsbedingungen implizit markieren, aber noch nicht an ihre Erfüllung gebunden sind. Deshalb können kognitive und praktische Festlegungen nicht in das sprechakttheoretische Vokabular überführt werden, denn auch kognitive Festlegungen sind nicht allein Aufgabe von Sprechern, sondern soziale Angelegenheiten. Es geht darum, dass Interlokutoren sich wechselseitig als auf einen propositionalen Gehalt festgelegt behandeln, dass diese die Proposition für wahr halten, was aber nicht notwendigerweise deren Wahrheit (im Sinne eines repräsentationalen Verhältnisses) impliziert. Auch praktische Festlegungen gehen über die Funktion z. B. kommissiver Sprechakte hinaus, denn auch hier müssen Interlokutoren Sprecher als festlegt behandeln, damit diese die sprachliche Handlung vollziehen bzw. praktisch festgelegt sein können. Deshalb kann für die diskursiven Festlegungen auch nicht die Unterscheidung von Wort-auf-Weltbzw. Welt-auf-Wort-Ausrichtungen (cf. Searle 1982: 31 f.) übernommen werden. Auch kognitive 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 167 Festlegungen sollten im Sinne Brandoms selbst nicht vorrangig als an ihre Wahrheitsbedingungen in der Referenz gebunden verstanden werden - wobei auch diese dazu führen können, dass entsprechende Festlegungen nicht akzeptiert werden - , sondern hängen von inferenziellen Relationen der diskursiven Praxis ab, die sowohl ihre semantischen Gehalte als auch pragmatischen und normativen Signifikanzen konstituieren. Praktische Festlegungen stehen zwar in einer Verweisrelation zur entsprechenden korrespondierenden Handlung, doch gelingen sie auch, wenn die entsprechende Handlung der Handlungsverpflichtung nicht ausgeführt wird: Ein Versprechen ist auch ein Versprechen, wenn es nicht eingelöst wird, aber eben ein zu sanktionierendes. Sowohl kognitive als auch praktische Festlegungen entstehen nur unter der Akzeptanz der Bedingung der diskursiven Intentionalität, denn wer nicht als diskursives Wesen anerkannt wird, dessen Äußerungen können nicht als sprachliche Handlung konstituiert werden. Allerdings ergeben sich aus kognitiven und praktischen Festlegungen unterschiedliche diskursive Konsequenzen auf Basis von Signifikanz: Während kognitive Festlegungen insbesondere für propositionale Gehalte der deontischen Konten von Interlokutoren signifikant sind, sind praktische Festlegungen für die Deskription und das Gelingen von Handlungen ausschlaggebend. Deshalb ist es sinnvoll, sich an diesem Punkt der handlungstheoretischen Implikationen der Sprachphilosophie Brandoms zuzuwenden, die zeigen, dass Signifikanz von kognitiven und praktischen Festlegungen unterschiedliche Konsequenzen für die Deskription von diskursiven, sozialen und/ oder kommunikativen Handlungen haben. 7 Im Folgenden werden diese performativen Strukturen anhand der Begriffe Handlung aus Gründen und Handlung mit Gründen expliziert. Um sich das Verhältnis von sprachlichen Zeichen und Handlungen sowie diskursiver Intentionalität nochmal zu vergegenwärtigen, ist eine Verortung von Handlungen und damit auch pragmatischer Signifikanz im Rahmen von Brandoms Sprach- und Handlungsphilosophie sinnvoll. Konstantin Pollok (2012: 120) hat dies veranschaulicht, indem er inferenzielle Relationen und ihr Verhältnis zu entsprechenden Wahrnehmungsbzw. Handlungspraktiken aufzeigt: Abb. 3: Wahrnehmungs- und Handlungspraktiken im Inferenzialismus nach Pollok (2012: 120) 7 Brandom unterscheidet deshalb “ zwei komplementäre ‘ Ausrichtungen ’” (MNI: 387), die durch Überzeugungen bzw. Absichten, kognitive bzw. praktische Festlegungen und deklarative bzw. imperative Äußerungen repräsentiert sind. Bei beiden handelt es sich um intentionale Gehalte, die sich aus der Normativität diskursiver Intentionalität speisen. 168 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Die Darstellung der Wahrnehmungs- und Handlungspraktiken sollte aus Perspektive der inferenziell gegliederten diskursiven Praxis betrachtet werden. Insofern dienen die Pfeile in Polloks Darstellung der Perspektive, die für das Verständnis eingenommen werden sollte. Die peripheren Fluchtpunkte der horizontalen Achse bilden Wahrnehmungen oder Handlungen im Rahmen diskursiver Praxis. Diese sind zwar nicht genuin diskursiv bzw. sprachlich, aber doch diskursiv bzw. sprachlich strukturiert, hängen sie doch von den inferenziellen Gliederungen der Praxis ab. Bemerkenswert ist also insbesondere die Differenz zwischen der inferenziellen Gliederung einerseits und Wahrnehmungen oder Handlungen andererseits. Diskursive Eingangsbzw. Ausgangsschwellen ermöglichen, dass entweder Wahrnehmungsgehalte inferenziell eingegliedert, versprachlicht bzw. kognitiv relevant werden oder dass Äußerungen und anderes Verhalten pragmatische und normative Signifikanz erlangen und als Handlungen verstanden werden. Was Konstantin Pollok hier diskursive Eingangs- und Ausgangsschwellen nennt, basiert letztlich auf dem theoretischen Vokabular Wilfrid Sellars. Sellars (cf. 1953, 1954, 1969) unterscheidet in seinem theoretischen Vokabular zwischen language entrance transitions, language exit transitions und intra-linguistic transitions, um die verschiedenen dynamischen Relationen zwischen sprachlichen Zeichen, Wahrnehmungs- und Handlungsgehalten zu erläutern: Intra-linguistic transitions umfassen das, was Brandom inferenzielle Relationen nennt, also all jene Relationen, die unmittelbar auf diskursive Normen zurückzuführen sind. Language entrance transitions und language exit transitions hingegen stehen in unterschiedlicher Weise in Relation zum diskursiven Kontinuum. Language entrance transitions betreffen das Verhältnis von Wahrnehmungen, ihrer Versprachlichung und diskursiven Einbettung. Language exit transitions stellen die Sprachausgänge dar und erfassen insbesondere den Zusammenhang von sprachlichen Handlungen, aber auch von anderen Performanzen, die von der inferenziell gegliederten diskursiven Praxis (semantisch und pragmatisch) beeinflusst werden. Jener Grenzbereich, welcher von den language exit transitions erfasst wird, stellt also auch die pragmatische und normative Signifikanz von Sprachhandlungen und anderen Performanzen her. Language exit transitions, die sich auch Brandom in seinen handlungstheoretischen Modellierungen zu eigen macht, sollen im Folgenden hinsichtlich ihres Anteils am Konzept der diskursiven Intentionalität untersucht werden. Um pragmatische Signifikanz von sprachlichen Zeichen nachvollziehen zu können, soll ein Einblick in die Handlungstheorie Brandoms gegeben werden. 8 Anstatt Verhalten im Allgemeinen zu beschreiben, soll hier das Verhältnis von diskursiven Praktiken, sprachlichen Zeichen und Handlungen fokussiert werden, denn im Zentrum steht weiterhin die Frage nach den Strukturen und Prozessen der diskursiven Intentionalität. Handlungen, so entwickelt es Brandom, unterscheiden sich von anderen Formen des Verhaltens durch die Involviertheit diskursiver Intentionalität. Nur wer sich auf diskursive Intentionalität festlege bzw. als auf diese festgelegt behandelt werde, dem könnten auch spezifische Handlungen zugeschrieben werden. Handlungen selbst sind bei Brandom nicht- 8 Unterschiedliche Handlungstheorien sowie kausalistische und teleologische Handlungserklärungen sind ausführlich dokumentiert worden (cf. z. B. Meggle 1985, Beckermann 1985, Horn/ Löhrer 2010), sodass diese verschiedenen Traditionen hier nicht wiederholt werden sollen. 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 169 inferenziell gegliedert, d. h. sie sind zwar an die inferenzielle Gliederung der diskursiven Praxis gebunden, aber bilden selbst keine genuin inferenzielle Relation. Erst ihre Einbettung in diskursive Praxis und damit in inferenzielle Relationen lässt sie dann als inferenziell gegliedert erscheinen. Anstatt nun Handlung allein über kognitive Strukturen zu analysieren, transformiert Brandom John Searles Unterscheidung von Handlungsabsichten und vorausgehenden Absichten (cf. Searle 1987: 108 f.), indem er sie mithilfe von kognitiven und praktischen Festlegungen beschreibt und sie damit als mit diskursiven Strukturen verknüpft etabliert: Man kann mit einem Grund, aber ohne Absicht handeln (etwa wenn einem Festlegungen nicht gegenwärtig sind, die in den Augen eines Zuweisenden den Grund liefern könnten). Doch aus einem Grunde kann man nur intentional handeln - während man intentional, aber ohne einen Grund handeln kann. Nur rationale Wesen können Handelnde sein, aber es gibt so etwas wie irrationale Handlungen, etwa wenn jemand intentional, aber impulsiv und nicht entlang dessen, wofür man Grund hat, handelt. Aus deontischer Sicht sind solche irrationalen Handlungen insofern intentional, als sie Anerkennungen praktischer Festlegungen sind (oder aus der Ausübung verläßlicher nichtinferentieller Dispositionen, unterscheidend zu reagieren, hervorgehen), und irrational sind sie insofern, als die praktische Festlegung keine ist, zu der der Handelnde berechtigt ist durch die ordnungsgemäße praktische Inferenz aus Prämissen, auf die er festgelegt und zu denen er berechtigt ist - sei es, weil er keinen Grund hat oder weil er einen stärkeren Grund hat, etwas zu tun, was mit dem, was er tatsächlich tut, inkompatibel ist. Da diese Berechtigung einen Grund für den Vollzug einer Handlung voraussetzt, werden praktische Festlegungen und somit Handlungen (intentionale Akte) nur denjenigen zuerkannt, die sich im Raum des Gebens und Verlangens von Gründen bewegen - das sind diejenigen, die rational sind (oder als solche behandelt werden). (EV: 358 f., Hervorh. im Original) Brandoms Handlungsbeschreibung mithilfe der Begriffe der Handlungen mit bzw. aus Gründen, die eben jenen Phänomenbereich erfasst, den Searles Konzepte der vorausgehenden Absichten und Handlungsabsichten zu analysieren suchen, muss also als in diskursive Praktiken integriert verstanden werden. Kognitive und praktische Festlegungen sind zunächst diskursiver Natur und basieren damit nicht auf Absichten im engeren Sinne. Insofern wäre auch eine Gleichsetzung der Termini Brandoms und Searles irreführend. Brandoms Darstellung von Handlungen erlaubt vielmehr die Hinwendung zu Begründungsbzw. Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen diskursiver Praktiken, sodass sich mithilfe der inferenziellen Relationen auch Handlungen und ihre Gründe, Folgen und Dispositionen als inferenziell strukturiert analysieren lassen. Kognitive Festlegungen sind damit keine mentalen Voraussetzungen für Handlungen mehr, sondern definieren sich über ihre Handlungsinvolviertheit und diskursive Begründungsstruktur, die sich mithilfe sprachlicher Zeichen rekonstruieren lassen. Sie stehen in Begründungszusammenhängen, welche das Zustandekommen aktueller und vorgängiger Absichten, Wünsche und Überzeugungen und anderer kognitiver Festlegungen nicht nur erläutern, sondern letztlich auch als diskursiv konstituiert definieren. Intentionales Handeln nicht nur über Handlungen aus Gründen, sondern auch mit Gründen zu erklären, ist zwar nicht einzigartig (cf. z. B. auch Jacob 1997: 261), aber bringt Brandoms Perspektive doch neue Facetten in die Analyse von Handlungsmustern, ihrer diskursiven bzw. pragmatischen Signifikanz sowie der Strukturierung und Deskription von diskursiven Wesen. Bevor jedoch die Unterscheidung von kognitiven (doxastisch-infe- 170 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben renziellen) und praktischen Festlegungen und Berechtigungen auf die an den diskursiven Praktiken Beteiligten angewandt wird, sollen Differenz und Verhältnis von Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen vertieft und für die linguistische Pragmatik spezifiziert werden. Ich orientiere mich im Folgenden an der Interpretation und Darstellung Ulf Harendarskis (2012: 262), beziehe die Differenz von Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen dann aber auf diskursive Intentionalität im Spezifischen: ! " # ! $ % & ! ' ( ) # ! $ ! * +! , - . # / # . # / % # 0 . # / % ( ) # ! 1 # 2 / / Abb. 4: Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen nach Harendarski (2012: 262) Harendarskis Modell der Handlungselemente und ihrer Relationen (Abb. 4) stellt dar, wie sich Verhalten im Rahmen diskursiver Praktiken mithilfe des theoretischen Vokabulars Brandoms als pragmatisch signifikant erfassen lässt. Verhalten ist hier also nicht an sich eine diskursive Handlung, sondern konstituiert sich über Zuschreibungen von propositionalen Einstellungen und Gehalten, die sich in der diskursiven Praxis mithilfe von kognitiven Festlegungen, Berechtigungen und Dispositionen analysieren lassen. Handlungen aus Gründen basieren dabei auf Absichten, die die Handlung begründen. Kognitive Festlegungen sind hier also die wesentlichen Gründe für Handlungen. Allerdings seien kognitive Festlegungen nicht hinreichend für Handlungen aus Gründen, denn Handlungen aus Gründen würden sich auf Zustandsveränderungen richten, die sich kraft einer weiteren kognitiven Festlegung beschreiben ließen (als Wille bzw. Wunsch). Der Wille bzw. Wunsch der Handlung aus Gründen besteht laut Harendarski darin, dass ein Zustand q auf der Basis von p hergestellt werden solle. Die Relation von p, des Willens bzw. Wunsches, und q, dem angestrebten Zustand, sei inferenziell gegliedert und definiere sich diskurspraktisch über 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 171 diskursive Normativität, welche die Praktiken leite. Da q aber zum Zeitpunkt von p noch nicht hergestellt ist, legen sich Interlokutoren mit der Absicht p nicht auf q fest, sind aber zu q berechtigt (cf. auch EV: 372). Diese Berechtigung zu q sei neben der Festlegung auf p notwendig für Handeln aus Gründen: Wer sich z. B. auf ein Versprechen festlegt, also z. B. verspricht, zu einer Geburtstagsfeier zu kommen (bzw. kommen will), ist gleichzeitig berechtigt, dieses Versprechen einzulösen: Wer zu t 1 verspricht, dass p (inklusive Absicht), der kann sich zu t 2 auf die implizierte Berechtigung von t 1 festlegen (hier: das Erscheinen bei der Geburtstagsfeier). Somit involviert p hier auch eine Berechtigung zu einer praktischen Festlegung. Handlungen mit Gründen hingegen basieren nicht notwendigerweise auf Absichten, sondern auf Überzeugungen (als kognitiven Festlegungen). Auch hier wird also eine Festlegung zugewiesen, die allerdings nicht unmittelbar handlungsleitend sei, diese Handlungen bzw. Handlungsmuster aber disponiere. Handlungen mit Gründen basieren damit auf vorausgehenden propositionalen Einstellungen und Gehalten (als diskursive Festlegungen): Wenn die Handlung zu t 1 stattfindet, dann basiert sie auf einer diskursiven Festlegung zu t 0 , d. h. dass die diskursive Festlegung Anlass zur Handlung ist bzw. sein kann, aber sie nicht unmittelbar bestimmt (z. B. über Begleitüberzeugungen). Diese Diskrepanz zwischen t 1 und t 0 führt dazu, dass auf eine Festlegung auf einen propositionalen Gehalt nicht notwendigerweise eine Berechtigung folgt, da die handlungsleitende Überzeugung zu t 0 nicht notwendigerweise zu einem propositionalen Gehalt zu t 1 berechtigt. Wenn dann eine Absicht zu t 1 weiterhin besteht bzw. sich die diskursive Festlegung auf eine Überzeugung zu einer Absicht transformiert, dann transformiert sich eine Handlung mit Gründen zu einer Handlung aus Gründen: In eine U-Bahn einsteigen oder spazieren gehen können so mithilfe des Konzepts Handlung mit Grund beschrieben werden. Beide Handlungen basieren auf vorausgehenden Absichten, Überzeugungen oder anderen propositionalen Gehalten und Einstellungen, die aber während der Handlung nicht unmittelbar präsent sind bzw. sein müssen und damit nicht unmittelbar die Handlung leiten: Wenn ich beschließe, dass ich zur Arbeit fahren möchte oder dass ich einen Spaziergang um den örtlichen See machen will, dann basieren die Handlungen auf propositionalen Einstellungen. Doch während ich auf dem Weg zur Arbeit in die U- Bahn einsteige oder spaziere, sind die diskursiven Festlegungen nicht präsent. Es gibt zwar eine diskursive Festlegung zu t 0 , woraus aber nicht folgt, dass dieser propositionale Gehalt (als Grund) notwendigerweise auch zu t 1 handlungsleitend ist. Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen unterscheiden sich also in ihrer Festlegungs- und Berechtigungsstruktur, was z. B. Konsequenzen hinsichtlich der Verantwortlichkeit für Handlungen hat. Nur Personen, die aus Gründen handeln, können zum Zeitpunkt der Handlung für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden, da eine unmittelbare diskursive Festlegung (in Form einer Absicht) und die notwendige Berechtigung zur Folgefestlegung bestehen. Personen, deren Verhalten als Handlung mit Gründen konstituiert werden, können nicht in dem gleichen Maß verantwortlich für ihre Handlungen gemacht werden wie Personen, deren Verhalten als Handlung aus Gründen interpretiert wird, da die notwendige implizierte Berechtigung zur diskursiven Festlegung (Absicht) fehlt. Um sie auf die gleiche Weise verantwortlich zu machen, müssten von Interlokutoren weitere Prämissen als 172 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben kognitive Festlegungen inferenziell hinzugefügt werden, sodass eine Handlung mit Gründen zu einer Handlung aus Gründen wird. Für diese Analyse gilt zunächst, dass sowohl Handlungen mit Gründen als auch Handlungen aus Gründen diskursive Intentionalität involvieren, 9 wobei das spezifische theoretische Inferenzvokabular und die pragmatischen Akte, die dies erklären, später ausgeführt werden sollen (cf. Kapitel 11 und 13). Denn nur wer über diskursive Intentionalität verfügt, der kann auch handeln bzw. als handelnde Person gelten. Es zeigt sich, dass der Begriff der diskursiven Intentionalität weiter zu fassen ist, als es traditionelle Handlungstheorien tun. Er involviert nicht nur signifikative Handlungsabsichten (als Ergebnisse diskursiver Festlegungen), sondern auch Handlungsberechtigungen, die in inferenziellen Relationen zu Festlegungen stehen. Dass sich Handlungen nicht allein über kognitive Festlegungen erfassen lassen, sondern auch praktische Festlegungen involvieren (können), soll anhand exemplarischer Inferenzprozesse dargestellt werden, um die Differenz von propositionalen Gehalten im Allgemeinen und ihrer Handlungsinvolviertheit zu beschreiben. Praktische Festlegungen umfassen bekanntlich jene diskursiven Sprachausgänge, die kognitive Festlegungen konkludieren können, aber selbst nicht genuin inferenziell gegliedert sind: Es sind Tätigkeiten, die kraft ihrer inferenziellen Einbettung als Folgen der diskursiven Praxis gelten. Sie können aber in der weiteren diskursiven Praxis auch als Prämissen fungieren (z. B. “ Weil du mich angelogen hast, glaube ich dir nicht mehr. ” ). Auf eine entsprechende kognitive Festlegung kann durch praktisches Begründen deshalb eine praktische Festlegung folgen: (3) Das Dach meines Hauses ist undicht und es regnet auf meinen Schreibtisch. (Kognitive Festlegung der Überzeugung) (4) Ich will, dass mein Schreibtisch trocken bleibt. (Kognitive Festlegung des Willens bzw. Wunsches) (5) Deshalb werde ich den Dachdecker rufen. (Berechtigung zur praktischen Festlegung der Absicht) 10 Aus den Prämissen (3) und (4), die als diskursive Festlegungen fungieren, folgt die Berechtigung zur praktischen Festlegung der Absicht (5). Während (3) propositionale Gehalte in Form von Überzeugungen involviert, die gemeinsam mit dem Willen bzw. Wunsch (4) zur Absicht (5) führen (können), können keine weiteren kognitiven Festlegungen zur Zustandsveränderung führen. Nur eine Performanz, die die praktische Festlegung einlöst, kann die kognitive Festlegung erfüllen. Die Hierarchie von praktischen und kognitiven Festlegungen ist hier offenkundig: ohne kognitive Festlegungen keine praktischen Festlegungen im Rahmen diskursiver Praktiken. Erst wenn Gründe für Performanzen diskursiv bestehen, können praktische Festlegungen und ihre Äquivalenzhandlungen überhaupt stattfinden. 9 Dass auch Handlungen mit Gründen diskursive Intentionalität involvieren, lässt sich z. B. anhand des gemeinsamen Spaziergangs demonstrieren. Denn auch wenn diese Tätigkeit z. B. in wöchentlichem Rhythmus stattfindet und daher nicht auf unmittelbaren Handlungsgründen basieren muss, ist diese Tätigkeit doch Ergebnis von gemeinsamen normativen Aushandlungsprozessen (cf. dazu Schweikard 2021). 10 Ein ähnliches Beispiel findet sich bei Brandom (RP: 140). 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 173 Für eine Analyse diskursiver Intentionalität und entsprechender Praktiken ist dieser inferenzielle Sprachausgang deshalb interessant, weil er die Schnittstelle zwischen genuin diskursiven Strukturen und Tätigkeiten untersucht. Die Schnittstelle offenbart, warum auch nicht-sprachliche Tätigkeiten als diskursiv signifikant gelten können. Wichtig ist hierbei das Verhältnis von kognitiver und praktischer Festlegung, wobei die diskursivkognitive Festlegung den explanatorischen Vorrang hat. Die Darstellung von Brandoms Handlungstheorie, der Etablierung und Positionierung von Handlungen im Rahmen diskursiver Praktiken und der Einführung des Vokabulars von Handlung mit bzw. aus Gründen sowie kognitiver und praktischer Festlegung dient also der Spezifikation von diskursiver Intentionalität. Die verschiedenen Konzepte dienen hier zunächst als Skizze, werden aber dann wieder aufgegriffen, wenn es um die spezifische Analyse der Signifikanz von sprachlichen Zeichen geht (cf. Kapitel 12). Die Betrachtung der diskursiven Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive etabliert diese als einen sozial-normativen Effekt, der auf verschiedenen Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen diskursiver Praktiken gründet. Sie unterscheidet sich nicht nur von einer Empfindungsfähigkeit [sentience] diskursiver Wesen, sondern wird zugleich begrifflich in expressive und repräsentationale Intentionalität untergliedert. Die Begriffe erfassen sowohl die inferenzielle Gliederung von Handlungsgründen, -folgen und -dispositionen als auch deren Bezug zu Objekten und Sachverhalten. Dass diskursive Intentionalität stets als ko-konstituiert verstanden werden muss, zeigt sich bei der Analyse intentionaler Systeme*. Anstatt von Intentionalität als inhärenter Eigenschaft auszugehen, rückt hier der Begriff der Zuschreibung in den Mittelpunkt, in welchem intentionale Zeichen einen zentralen Aspekt einnehmen. Die Unterscheidung von interpretierenden intentionalen Systemen* und einfachen intentionalen Systemen* bereitet gleichzeitig eine Analyse von Interlokutoren in diskursiven Praktiken vor. Die Etablierung einer Handlungstheorie im Rahmen der Analyse diskursiver Praktiken zeigt außerdem, dass diskursive Intentionalität nicht nur in verschiedene Performanzen involviert ist, sondern auch im Rahmen von Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen diskursiver Praktiken analysiert werden kann. 174 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive Abstract: The concept of discursive intentionality is approached in this chapter from a semiotic perspective. The relationship between signs and intentionality is reflected on the basis of semiotic pragmatism, with a particular focus on the theories of T. L. Short and Ruth Millikan. On the one hand, the focus is on the concepts of significance and signification, which accompany a pragmatist concept of signs, explain the continuous transition between behavior, interpretation of action and constitution of action and enable flexible modeling. On the other hand, a critical discussion of Millikan's concept of the intentional icon allows us to understand the relationship between significance and intentionality as socially and inferentially structured. Zusammenfassung: Dem Konzept der diskursiven Intentionalität wird sich in diesem Kapitel aus semiotischer Perspektive genähert. Dabei wird das Verhältnis von Zeichen und Intentionalität auf Basis des semiotischen Pragmatismus reflektiert, wobei insbesondere die Theorien T. L. Shorts und Ruth Millikans vorgestellt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei einerseits die Begriffe Signifikanz und Signifikation, die einen pragmatistischen Zeichenbegriff begleiten, den kontinuierlichen Übergang zwischen Verhalten, Handlungsinterpretation und Handlungskonstitution erklären und eine flexible Modellierung ermöglichen. Andererseits erlaubt eine kritische Diskussion des Konzepts des intentionalen Ikons Millikans, das Verhältnis von Signifikanz und Intentionalität als sozial und inferenziell gegliedert zu verstehen. Keywords: T. L. Short, Charles S. Peirce, significance, signification, Ruth Millikan, intentional icons, significant sufficiency Schlüsselbegriffe: T. L. Short, Charles S. Peirce, Signifikanz, Signifikation, Ruth Millikan, Intentionale Ikons, signifikative Suffizienz Die bisherigen Beschreibungen zur diskursiven Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive erklären zwar, dass Intentionalität ein Emergenzphänomen diskursiver Praktiken ist, legen sich aber noch nicht auf spezifisch semiotische Aspekte von Intentionalität fest. Brandom, der die Zuschreibungen von propositionalen Einstellungen selbst untersucht hat (cf. EV: 689 f.), verbleibt bei seiner Analyse der Strukturen und Prozesse in einem formalanalytischen Vokabular (cf. insbesondere BSD), ohne dabei eine Spezifik des Zeichens zu entwickeln. Die formallogische Erfassung der propositionalen Einstellungen und Gehalte mithilfe der Darstellung von singulären Termini und Prädikaten, so wie Brandom es vorschlägt, ist analytisch möglich und für eine analytische Philosophie durchaus gewinnbringend. Doch verdeckt diese Darstellung auch Spezifika sprachlicher Zeichen, die sich nicht in singulären Termini und Prädikaten erschöpfen. Daher beschäftigt sich die zeitgenössische linguistische Forschung nicht (nur) mit singulären Termini und Prädikaten, sondern entwickelt eine komplexe Grammatik sprachlicher Zeichen. Was für sprachliche Zeichen im Allgemeinen gilt, soll hier auch für Emergenz von diskursiver Intentionalität gelten. Daher analysiere ich diskursive Intentionalität im Folgenden semiotisch, um eine Analyse mithilfe linguistischen Vokabulars vorzubereiten. Wie bereits die Darstellung der zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen dieser Arbeit gezeigt hat, bietet sich der Zeichenbegriff Charles S. Peirces als integratives Element für Brandoms Inferenzialismus und dessen Analyse diskursiver Praktiken an, da Brandom und Peirce eine Vielzahl an theoretischen Prämissen teilen (cf. Kapitel 4). Diese theoretische Äquivalenz gilt für die Beschreibung von diskursiver Intentionalität insoweit, als dass sich ein semiotischer Intentionalitätsbegriff in die Analyse von diskursiven Praktiken integrieren lässt. Im Rahmen eines semiosischen und von Peirce inspirierten Intentionalitätsbegriffs bieten sich dabei insbesondere T. L. Shorts Analyse intentionaler Zeichen und Ruth G. Millikans Analyse intentionaler Ikons an, sodass diese im Folgenden skizziert und nach Integrationsmöglichkeiten abgetastet werden: T. L. Short entwickelt einen Intentionalitätsbegriff, der Intentionalität anhand der Signifikanz spezifischer Zeichen erfasst. Insbesondere die theoretische Nähe Shorts zum semiotischen Pragmatismus ermöglicht es dann, dass seine Begriffe der Intentionalität und Signifikanz in ein normatives Vokabular der Analyse diskursiver Praktiken übersetzt werden. Ruth G. Millikans theoretische Entwicklung von intentionalen Ikons, die anschließend vorgestellt wird, beruft sich explizit auf Charles S. Peirce. Gleichzeitig distanziert sie sich aber in relevanten Aspekten von theoretischen Prämissen Brandoms. Diese Diskrepanz, die eine Interpretation des teleosemantischen Denken Millikans für diese Arbeit zunächst auszuschließen scheint, ist allerdings insofern fruchtbar, als dass argumentative Fragmente nicht nur als Spezifikation des intentionalen Zeichens T. L. Shorts, sondern auch als Erweiterungen des theoretischen Vokabulars Brandoms verstanden werden können. Insbesondere Millikans Begriff des intentionalen Ikons (mit kooperativen Funktionen), aber auch ihre Unterscheidung von genuinen [pure] und synthetischen [impure] intentionalen Zeichen können im Folgenden dann Brandoms und Shorts Perspektive auf Intentionalität erweitern. Diese Unterscheidung der intentionalen Zeichen Millikans wird im Folgenden unter dem Begriff der signifikativen Suffizienz behandelt und untersucht. Die beiden Reflexionen zur semiotischen Perspektive auf Intentionalität spezifizieren nicht nur das Vokabular für die Analyse diskursiver Intentionalität, sondern bereiten auch die linguistische Betrachtung diskursiver Intentionalität vor, indem intentionale Verben und ihre Signifikanz in den Mittelpunkt rücken. Dieses Kapitel soll also Folgendes erreichen: Der Begriff der Intentionalität wird mithilfe des Begriffs der Signifikanz genauer erläutert und anhand intentionaler Zeichen bzw. Verben analysierbar gemacht. Gleichzeitig werden sowohl aus T. L. Shorts als auch Ruth Millikans Schriften Theorieelemente destilliert, die dann zur Analyse und Differenzierung von intentionalen Zeichen bzw. Verben in diskursiven Praktiken genutzt werden können. 176 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 9.1 Intentionalität und Signifikanz T. L. Short untersucht in seinem Werk Peirce's Theory of Signs die Peirce'sche Zeichentheorie und widmet sich auch dessen Begriff der Intentionalität. Anstatt aber Peirce nur wiederzugeben, legt er eine Interpretation vor, die sich in das bisher hier vorgestellte theoretische Programm integrieren lässt. T. L. Shorts frühe Peirce-Exegese sowie dessen Beschäftigung mit Intentionalität (cf. insb. 1981) zeichnen sich noch durch teleologisches Denken aus, welches zwischen Kausalität und Finalität changiert, wie Stefan Kappner (2004: insb. 235 f.) gezeigt hat. Dieser teleologischen Perspektive widmet sich Short in seinem Hauptwerk nur peripher, sodass sich Peirce's Theory of Signs für eine Integration in das hier vorzulegende Vokabular zur Analyse diskursiver Praktiken besser eignet. Im Folgenden sollen Shorts Gedankengänge und Argumentationen skizziert werden. T. L. Short beginnt seine Argumentation zur Intentionalität mit Franz Brentanos grundlegenden Erklärungen zur intentionalen Inexistenz (cf. Kapitel 6.1): Brentanos traditionelle Definition der Intentionalität muss laut Short (2007: 7) hinsichtlich dreier Aspekte hinterfragt werden: (1) Inwiefern überschneidet sich intentionale Inexistenz mit dem Begriff der Kognition? (2) Inwiefern erfordert intentionale Inexistenz ein inexistentes Objekt? Und (3) inwiefern ist ein inexistentes Objekt in der intentionalen Inexistenz enthalten? Insbesondere das Verhältnis von intentionaler Inexistenz und inexistentem Objekt ist für Short Ausgangspunkt seiner Analyse von Intentionalität. Laut Short akzeptiert Brentano nicht nur, dass intentionale Inexistenz ein inexistentes Objekt erfordert, sondern steht dieser theoretische Aspekt auch im Widerspruch zu den anderen Prämissen (der Deckungsgleichheit von intentionaler Inexistenz und Kognition und dem Enthaltensein des inexistenten Objekts in der intentionalen Inexistenz): Der Objektbegriff Brentanos beziehe sich zwar nicht nur auf physische, sondern auch auf mentale Objekte, dennoch bleibe die Relation zwischen intentionaler Inexistenz bzw. Intentionalität und inexistentem bzw. intentionalem Objekt schemenhaft. Wenn sich Intentionalität nun auf ein Objekt beziehe, dann könne kraft der Bezugnahme auf dieses Objekt die intentionale Inexistenz nicht deckungsgleich mit kognitiven Prozessen sein und auch das intentionale Objekt könne (im engeren Sinne) nicht Inhalt des Denkens werden. Brentano postuliere hier also ein hermetisches Denken (intentionale Inexistenz), welches aber ein Objekt erfordere, welches sich nicht allein aus diesem Denken ergeben könne. Aus diesem Widerspruch in der Beschreibung Brentanos lasse sich nun eine erste Präzisierung des Begriffs der Intentionalität vornehmen: Etwas verfüge über ein intentionales Objekt, wenn es nicht vollständig beschrieben werden könne, ohne dass dieses Objekt spezifiziert würde (cf. Short 2007: 7). Demnach könne Intentionalität kein rein mentales bzw. kognitives Phänomen sein, da die Erklärung und Explikation jeweils ein intentionales Objekt reklamiere, auf welches sich Intentionalität beziehe. Shorts Kritik deckt sich damit in vielen Aspekten mit Husserls antipsychologischem Programm, doch geht er über dessen Kritik an Brentano hinaus: Anstatt seine Kritik der Intentionalität allein auf der objektrelationalen und strukturellen Offenheit der Intentionalität beruhen zu lassen, hält Short aber auch eine zweiwertige Relation (Erkennt- 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive 177 nissubjekt und intentionales Objekt) nicht für erklärungsadäquat. Vielmehr müsse dieses Verhältnis selbst genuin triadisch organisiert sein: This explanation of the intentionality of signs does not consist in deriving it from the intentionality of interpretants. For although B [an action, J. B.] is done as a means of achieving C [a goal, J. B.], and although B will be an effective means to C only if O [an object, J. B.] obtains, still, B cannot be said to be intentionally related to O except through its having been elicited by A [a stimulus/ sign, J. B.]. If this were not so, then we would be unable to explain why B did not occur until A occured. [ … ] Only because it is elicited by a definite sign, A, is an action, B, a response to some definite object, O. But O can be real or unreal. Therefore, this goal-directed action is intentionally related to the object, O. My point in this paragraph is that goal-directed action is intentionally related to an object only if it is also the interpretant of a sign of that object. One and the same analysis accounts for the intentionality both of signs and of their interpretants. (Short 1981: 208, Hervorh. im Original) Aus Shorts Erklärung von Intentionalität geht hervor, dass weder das Verhältnis zwischen B und C (Brentanos Erklärung) noch zwischen B/ C und O (Husserls Erklärung) hinreichend ist, um Intentionalität zu analysieren. Erst die Involviertheit eines Zeichens (hier: A), welches die konstitutive Kraft der intentionalen Relation trägt, führe zu einem Verhältnis zwischen Verhalten und Objekt. Kurz: Die intentionale Relation besteht kraft des intentionalen Zeichens. Damit verfolgt Short mit seiner Erklärungsstrategie kein phänomenologisches, sondern ein genuin semiotisches Ziel Kraft intentionaler Zeichen kann also das Verhältnis zwischen Erkenntnissubjekt und intentionalem Objekt als Handlung erklärt werden, wie sich an folgenden Äußerungen exemplifizieren lässt: (1) I 1 : “ Hiermit bitte ich dich, das Fester zu schließen. ” (2) I 1 : “ Es ist kalt! ” Die hier interaktiv signifizierte Handlung kann nur gelingen bzw. misslingen, wenn es ein entsprechendes Zeichen gibt, welches das Verhältnis von Handlung und Objekt für Interlokutoren herstellt. Während die formelhafte Äußerung (1) ein Hinweis auf eine Handlung sein kann, 1 weist (2) eine Deklarativsatz-Form auf. Bei kontextueller Anreicherung kann (2) dennoch als dieselbe sprachliche Handlung verstanden werden wie der Hinweis von (1), was sich über implizite Signifikanz erklären lässt: (1) expliziert eine Handlungsdeskription, die für eine explizite Signifikanz sorgt bzw. sorgen kann. (2) kann kraft eines intentionalen Zeichens als Aufforderung interpretiert werden, weil dieses im Interpretations- und Verstehensprozess inferenziell hinzugefügt wird bzw. werden kann. (1) und (2) unterscheiden sich damit zunächst nur hinsichtlich ihrer impliziten bzw. expliziten Signifikanz. Daraus ergibt sich, dass sowohl für eine Analyse der Interpretation von Verhalten als auch von sprachlichen Handlungen und anderen Performanzen ein gemeinsames Konzept von Signifikation und Signifikanz notwendig ist, weil diese den genuinen Zeichencharakter dieser Prozesse nicht nur zeigen, sondern auch analytisch zugänglich machen können. 1 Obwohl (1) vermeintlich eine explizite Sprachhandlung darstellen könnte, weist die formelhaft-performative Äußerung Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Signifikanz auf. Denn die explizite Nennung des performativen Verbs sowie die explizite Markierung eines vermeintlich unmittelbaren Ichs führen dazu, dass die Äußerung eher eine Handlungsdeskription als eine Handlung ist (cf. ausführlich Derrida 2001). Dennoch kann eine solche Äußerung als Hinweis zur Handlungsbefolgung dienen und ist daher als Beispiel für die folgende Argumentation hinreichend. 178 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Signifikation erklärt hier, inwiefern etwas (Verhalten, Ereignis, Objekt etc.) eine spezifische Relevanz (semantisch, pragmatisch, diskursiv etc.) erlangt: [S]ignification is a triadic relation: it is never a relation just between a sign and what the sign signifies (its object). A sign signifies only what it is capable of being interpreted as signifying; hence, that in which a sign is or would be interpreted (its interpretant) is the third relatum of signification. (Short 1981: 199) Die hier von Short beschriebene Zeichenwerdung (Signifikation) steht am Beginn einer Analyse von Verhalten als Handlung, denn sie stellt dar, warum Verhalten überhaupt als Zeichen für eine Handlung interpretiert werden kann. Shorts Definition der Zeichenwerdung als Relation ist allerdings insofern missverständlich, als dass man sich Zeichenwerdung vielmehr als einen Prozess oder eine Bewegung hin zum dann signifizierten Objekt vorstellen sollte. In diesem Prozess der Funktionswerdung von signifikativen Elementen bewegt sich die Einheit von signifikantem Zeichenmittel und Interpretant zum Objekt hin, sodass erst die prototypische semiotische Relation (aliquid stat pro aliquo) entsteht und das Objekt signifiziert wird. Die Ausformung des sich in Zeichenwerdung befindenden Zeichens (als triadische Relation) lässt sich dann als Signifikanz definieren. Dabei handelt es sich um die strukturellen Eigenschaften des Zeichens in der Zeichenwerdung, die nicht nur für eine abstrakte Zeichenhaftigkeit sorgen, sondern die spezifischen Elemente bereitstellen, die die konkrete Interpretation von etwas (als Zeichen) ermöglichen. Mit der Analyse und Modellierung der signifikativen Struktur eines spezifischen Zeichens können also verschiedene sich in Beziehung befindende Zeichenelemente dargestellt werden, die im Prozess zum Zeichen werden können. Zeichen sind dann die Ergebnisse der Zeichenwerdung, wobei diese weiterhin nicht als statische Produkte, sondern als abstrahierte Elemente einer Semiose analysiert werden sollten. Sie weisen signifikative Strukturen auf, die analytisch zugänglich gemacht werden können. Über die Ebene der Signifikanz bzw. signifikativen Struktur des Zeichens können Elemente veranschaulicht werden, die selbst keine Zeichen sind, aber zur gesamten Einheit des Zeichens beitragen. Das Verhältnis von Zeichen, Signifikanz und Zeichenwerdung kann daher auch darstellen, warum (2) als direktive sprachliche Handlung interpretiert werden kann: Die Zeichenemission kann kraft eines intentionalen Zeichens in der Zeichenwerdung ergänzt werden, sodass die Äußerung als sprachliche Handlung interpretiert wird. Short zeigt nun außerdem, dass sich Signifikanz und Zeichenwerdung entlang einer normativen Dimension entfaltet: Whether semeiotical or not, the relation that justifies an actual interpretant, R, is logically prior to R. We may therefore speak of it as a ‘ prior relation ’ . It is a relation that X 2 has to the object, O, independently of R. This talk of X's relation to O will be understood to include cases where the relation is between X's type and O's type. As Peirce pointed out, we frequently speak of meaning or significance in a variety of related ways: for example, what Jones meant by what he said, what his words mean to Smith, their ultimate significance ( ‘ This means war! ’ ), and so on. But we shall give 2 Das erläutert Short (2007: 160) so: “ X is a sign, S, of O, if and only if X has such a relation to O, or things of X's type have such a relation to things of O's type, that, for a possible purpose, P, X justifiably be interpreted on that basis as being a sign of O. ” 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive 179 pride of place to the significance of the sign itself, for example, to what Jones' words mean even if that is not quite what he had meant to say when he uttered them or what the oversensitive Smith took them to mean. Significance in that sense is what makes a sign a sign; moreover, it makes the sign to be the sign that it is, a sign of O and not of something else. To say that X has that significance is to say that X is S, that is, that it does signify O. Now, this significance consists in X's being justifiably interpretable as a sign of O. And what justifies such an interpretation, assuming some relevant purpose, is the prior relation of X to O. We may therefore refer to a prior relation as the ‘ ground ’ of a sign's significance, and we may define significance as grounded interpretability. (Short 2007: 162) Short erläutert hier nicht nur die relationalen Elemente der Signifikanz in der Zeichenwerdung, sondern betont auch, dass das Zeichen berechtigterweise als Zeichen des Objekts interpretiert wird [X's being justifiably interpretable as a sign of O]. Damit erfasst er nicht nur die basale Ebene der Signifikanz, die in der Zeichenwerdung unterschiedliche signifikative Strukturen annehmen kann. Das Verhältnis von Zeichen und Objekt kann nach dieser Prämisse auch kein kausales sein, denn es basiert auf einer vorausgehenden Relation [prior relation], die die Signifikanz des Zeichens erst konstituiert. Und im Rahmen einer Analyse von Zeichen und Signifikanz in diskursiven Praktiken kann diese vorausgehende und konstituierende Relation von diskursiven Normen (als drittheitlichem Element) bereitgestellt werden. Anstatt es allerdings bei der Signifikanz von Zeichen und deren Einfluss auf Interpretationen zu belassen, wendet sich Short spezifischen Zeichen zu, um deren Relevanz in der Konstitution von Intentionalität zu erläutern. Sein Verhältnis von Zeichen, Handlung, Handlungsziel bzw. -zweck und Objekt (A, B, C und O) aufgreifend, beschreibt er spezifische Zeichen, die Intentionalität signifizieren: X possesses intentionality if it cannot be fully described without implying a grammatically simple affirmation about it which cannot be expressed without employing one or another intentional verb (or gerund, etc., derived from that verb). [ … ] 3 [A]ny interpretative act is purposeful and purposeful behavior cannot fully be described except in language employing intentional idioms (as defined here) or implying propositions only expressible by intentional idioms. (Short 2007: 174) Short betont hier das Verhältnis von Intentionalität, intentionalen Verben (bzw. deverbalen Derivationen) und dem korrespondierenden Verhalten (sowie Ereignissen und Objekten): Im Akt der Signifikation wird kraft eines intentionalen Verbs (und dessen signifikativer Struktur) ein entsprechendes Verhalten zu einer intentionalen Handlung. Wie sich gezeigt hat, geht Short mit seiner Analyse der Intentionalität einen wesentlichen Schritt über traditionelle Handlungsbeschreibungen hinaus, die die Verbindung von Intentionalität und Verhalten mit Interpretation erklären (cf. Kapitel 6.2): Anstatt explanatorisch beim Konzept der Interpretation zu verweilen, erklärt er nicht nur, dass Interpretation mithilfe von Signifikanz und Signifikation analysiert und damit spezifiziert werden kann. Er hebt auch spezifische Zeichen hervor, die diese Signifikanz aufweisen (intentionale Zeichen), und wendet sich außerdem intentionalen Verben zu. Handlungsbeschreibungen sind in diesem Verständnis dann Spuren von bestimmten Handlungs- 3 Short (ebd.) erhebt anschließend Transitivität zum genuinen Merkmal intentionaler Verben. Allerdings zeigt sich, dass Transitivität (zumindest im engeren Sinne) grade kein genuines Merkmal von diskursiver Intentionalität ist (cf. Kapitel 12.2.2). 180 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben interpretationen, sodass sich beide eher hinsichtlich Explizitheit (Handlungsdeskription) und Implizitheit (Handlungsinterpretation) unterscheiden. Hiermit ist ein Grundstein gelegt für eine Analyse diskursiver Praktiken, die auf Signifikanz intentionaler Verben fußt. Aus den Ausführungen T. L. Shorts zu Intentionalität und intentionalen Verben lassen sich nun Konsequenzen für eine später folgende Modellierung von intentionalen Verben ziehen, die sich in einer verbpragmatischen Analyse niederschlagen können: 1. Etwas (X) verfügt über Intentionalität, wenn es sich kraft eines intentionalen Verbs (bzw. seiner Derivationen) beschreiben lässt. 2. Intentionale Handlungen können ausschließlich kraft intentionaler Verben (und deren implizierten propositionalen Gehalten) beschrieben werden. 3. Die Signifikanz intentionaler Verben beruht auf vorausgehenden Relationen, z. B. diskursiven Normen. Entlang der Signifikanz intentionaler Verben lässt sich damit eine sozial-normative Struktur aufzeigen, welche von diesen Verben konstituiert wird. Insbesondere der Aspekt der vorausgehenden Relationen respektive diskursiven Normen zeigt, dass hier ein Anschlusspunkt für die Integration in Brandoms normativen Sprachpragmatismus besteht. Denn diese sozial-normative Struktur der vorausgehenden Relationen kann z. B. mithilfe von Handlungsgründen im Sinne Brandoms (cf. Kapitel 8.3) expliziert werden. 9.2 Intentionale Ikons, kooperative Funktion und signifikative Suffizienz Ruth G. Millikan erklärt Intentionalität biologistisch (cf. Millikan 2001: 85 f.) und steht dabei in einer teleosemantischen Tradition. 4 Ansätze, die sich als teleosemantisch bezeichnen bzw. bezeichnet werden, untersuchen, inwiefern zweckgebundenes Verhalten durch bestimmte Funktionen [proper functions] erklärt werden kann. Sie findet dabei nicht nur ihre Anwendung in biologischen Prozessen - und steht damit z. B. der Biosemiotik nahe - , sondern versucht zudem, menschliche Kommunikationsprozesse zu ergründen. Sich an dieser Stelle ausführlicher mit Ruth Millikans Intentionalitätstheorie zu beschäftigen, mag insofern überraschend sein, als dass nicht nur Short, sondern auch Brandom eine biologistische Erklärung von Intentionalität ablehnen und die Integration von Millikans Erkenntnissen zunächst unvereinbar mit den theoretischen Prämissen Shorts und Brandoms zu sein scheinen. Was für die theoretischen Prämissen gilt, gilt aber nicht notwendigerweise für theoretische Argumente und Erkenntnisse. Im Sinne der Theoriebildung für eine linguistische Pragmatik lassen sich daher folgende Hinweise ergänzen, die eine Beschäftigung mit Millikans Theorie für die Modellierung von Intentionalität, intentionalen Relationen und intentionalen Zeichen bzw. Verben sinnvoll machen und rechtfertigen: Millikan ist eine profunde Peirce-Kennerin, sodass sich ihre Darstellungen mit entsprechender Lesart auf einen semiotischen Pragmatismus anwenden lassen können. Für eine hier verfolgte linguistische Pragmatik sind Millikans Teleosemantik und deren Intentionalitätsbegriff deshalb untersuchungswürdig, weil sie nicht nur explizit semiotisch 4 Eine ausführliche Einführung in den teleosemantischen Intentionalitätsbegriff findet sich bei Stefan Kappner (2004: 278 f.) 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive 181 orientiert sind, sondern auch entlang eines Peirce'schen Zeichenbegriffs entwickelt werden. Während Brandoms Sprachphilosophie ihren semiotischen Bezugsrahmen offenlässt (cf. aber Harendarski 2016), verweist Millikan explizit auf die Semiotik Peirces, wenn sie Intentionalität erklärt (cf. z. B. 2001: 95). Ganz im Sinne ihrer teleosemantischen und biologistischen Tradition beschreibt Ruth Millikan aber zunächst Intentionalität folgendermaßen: [I]ntentionality is grounded in external natural relations, Normal [sic] and/ or proper relations, between representations and representeds, the notions ‘ Normal ’ [sic] and ‘ proper ’ being defined in terms of evolutionary history - of either the species or the evolving individual or both. (Millikan 2001: 93, Hervorh. im Original) Intentionalität (von Verhalten) lasse sich entsprechend der in der evolutionären Geschichte entwickelten natürlichen Relationen bzw. Funktionen erfassen. Ein entsprechendes Konzept von Intentionalität ist mit dem Begriff der diskursiven Intentionalität (und deren semiotischer Interpretation im Sinne T. L. Shorts) zunächst inkompatibel, da dieser keine Perspektive auf biologische, natürliche und evolutionäre Relationen und Prozesse entwickelt, sondern allein an der Analyse diskursiver Praktiken interessiert ist. Berücksichtigt man aber auch hier die Peirce-Kenntnis Millikans und setzt eine Peirce'sche Zeichenperspektive an, dann können Millikans Darstellungen von Intentionalität in sprachlichen Prozessen schon eher der hier vorgelegten Theorie einer linguistischen Pragmatik zuträglich sein: Thus the intentionality of a public-language sentence is not derived from the intentionality of the inner representations that is Normally [sic] produced or expressed. Sentences are basic intentional items. And they are intentional for reasons that can be described without raising or answering any questions about what the mental is as such. (Millikan 2001: 90, Hervorh. im Original) Anstatt Intentionalität aus mentalen Strukturen abzuleiten, erklärt Millikan Intentionalität auch anhand sprachlicher Zeichen. Intentionalität sprachlicher Zeichen ist dabei weder ein Derivat noch muss dabei auf Erklärungen von Mentalem zurückgegriffen werden. Inwiefern die Einheit des Satzes als grundlegende intentionale Struktur semiotisch erfasst werden kann, erklärt sich aber erst über die Erfassung des Zeichenbegriffs Millikans: Zeichen sind Dinge, die für den Gebrauch durch Zeichennutzer geeignet sind. Intentionale Zeichen sind Zeichen, die zielgerichtet für den Gebrauch durch Zeichennutzer erzeugt werden. (Millikan 2008: 111) Zwar verweist Millikan auf eine gebrauchsfunktionale Zeichendimension und reduziert Zeichen nicht auf ihren Nutzwert, doch suggeriert die Formulierung nicht nur, dass Zeichennutzer dem Zeichen vorgeordnet sind, sondern auch, dass Zielgerichtetheit Element des Zeichens selbst sei. Insofern vertritt Millikan sowohl einen instrumentalistischen, als auch einen intentionalistischen Zeichenbegriff, welcher die Ziele des Zeichengebrauchs dem Zeichen grundlegend vorordnet (cf. z. B. auch Millikan 2012: 36), und widerspricht damit den Grundlagen des semiotischen Pragmatismus und normativen Sprachpragmatismus, welche von einer irreduziblen Vorgeordnetheit der Semiose (und nicht Zeichennutzern oder Telos) ausgehen (cf. Kapitel 3.1.1). Millikans Perspektive lässt sich aber insofern nachvollziehen, als dass sie nicht diskursive Praktiken, sondern auch andere kommunikative Prozesse untersucht. 182 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Trotz dieser Differenz zur Analyse diskursiver Praktiken und ihrer Intentionalität ist aber die Spezifizierung Millikans interessant, die es nicht bei der Beschreibung intentionaler Zeichen bzw. Sätze belässt, sondern ihr theoretisches Vokabular präzisiert, indem sie den Begriff des intentionalen Ikons [intentional icons] einführt, welcher über eine Struktur verfügt, die als Signifikanz der Intentionalität erfasst werden kann. Für diese gelten nach Millikan (2001: 97 f., Hervorh. im Original) folgende theoretische Merkmale: 1. “ An intentional icon is a member of a reproductively established family having direct proper functions. [ … ] 2. An intentional icon Normally [sic] stands midway between cooperating devices, a producer device and an interpreting device, which are designed or standardized to fit one another, the presence and cooperation of each being a Normal [sic] condition for the proper performance of the other. [ … ] 3. Normally an intentional icon serves to adapt the cooperating interpreter device to conditions such that proper functions of that device can performed under those conditions. [ … ] 4. (4.a.) In the case of imperative intentional icons, it is a proper function of the interpreter device, as adapted to the icon, to produce something onto which the icon will map in accordance with a specific mapping function of a kind to be described below. (4.b.) In the case of indicative intentional icons, the Normal [sic] explanation of how the icon adapts the interpreter device such that it can perform its proper functions makes reference to the fact the icon maps onto something else in accordance with a specific mapping function of a kind to be described below. ” Eine solch naturalistische Beschreibung intentionaler Zeichen lässt sich nun mithilfe von theoretischen Modifikationen in eine kognitiv-pragmatistische Intentionalitätstheorie integrieren. Hierzu sollen nach einigen allgemeinen Anmerkungen die verschiedenen Merkmale 1., 2., 3., 4.a. und 4.b. aus der Perspektive eines semiotischen Pragmatismus bzw. normativen Sprachpragmatismus betrachtet werden, um sie anschließend auf eine Analyse intentionaler Verben zu übertragen. Dass Millikan als grundlegende intentionale Einheiten Sätze annimmt und sie mithilfe ikonischer Zeichen erfasst, scheint zunächst dafür zu sprechen, dass diese auf einem genuinen Ähnlichkeitsverhältnis beruhen. Sätze würden demnach in einem ikonischen Verhältnis zu ihren korrespondierenden Objekten, Ereignissen bzw. Sachverhalten stehen. Doch Millikan vertritt keinesfalls ein solches Repräsentationsverhältnis: [T]he Normal [sic] explanation [ … ] makes reference at some point to the same mapping rules as for every other comprehending hearer. These are rules in accordance with which a critical mass of sentences have mapped onto affairs in the world in the past, thus producing correlation patterns between certain kinds of configurations of sentence elements and certain kinds of configurations in the world, to which correlation patterns Normally [sic] functioning hearer interpreter devices are adapted, this adaption explaining their successes. (Millikan 2001: 99, Hervorh. im Original) Anstatt also eine genuine Analogie der korrelativen Muster von Sätzen und Objekten, Ereignissen bzw. Sachverhalten anzunehmen, ist die Ikonizität von Sätzen von den entsprechenden Regeln abgeleitet, welche sich in Selektions- und Adaptionsprozessen als erfolgreich erwiesen haben. Erfolgreiche korrelative Muster setzen sich demnach als ikonische Verhältnisse in kommunikativen Praktiken durch. Zwar ist dieses teleosemantische Ikonizitätsverständnis nur bedingt in die Analyse diskursiver Praktiken überführbar, doch zeigt sich, dass Regeln, Konventionen und diskursive Normen De- und Rekonfigurationsprozessen unterworfen sind, die sich zwar einerseits historisch sedimentiert 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive 183 haben können, jedoch andererseits die Möglichkeit bieten, unter entsprechenden Umständen im Gebrauch transformiert zu werden. Im Sinne Millikans, aber auch im Sinne eines semiotischen Pragmatismus lässt sich dieses Verhältnis als ein ikonischer Effekt bezeichnen, der auf konventioneller bzw. abgeleiteter Ikonizität basiert. Dabei geht es um semiotische Relationen, die auf der Ähnlichkeit von signifikantem Zeichenmittel und Objekt beruhen, aber dennoch auf Konventionen fußen. Dies gilt z. B. auch für konzeptuelle Metaphern, deren metaphorische Relationen ebenfalls auf vermeintlicher Ähnlichkeit von Quell- und Zieldomäne beruhen, wobei sich diese Ikonizität aus gesellschaftlichen Normen speist. Auch Sätze weisen in Teilen ikonische Effekte auf, die ebenfalls auf Konventionen beruhen. Einige Elemente von Sätzen bzw. den von ihnen ausgedrückten propositionalen Gehalten übernehmen einen Ähnlichkeitseffekt in ihrer Relation zu den Objekten. In Rückbesinnung auf die Darstellung von Propositionen bei Peirce lassen sich Sätze aber nicht auf ikonische Objektrelationen reduzieren, weil sie (neben den involvierten Regeln, Konventionen und diskursiven Normen) auch spezifische zeitlich-räumliche Situierungen aufweisen, zumindest in sozial-kommunikativen Prozessen. Diese Zeichenqualität lässt sich unter dem Begriff der Indexikalität fassen. Zur Erinnerung: Prädikate haben ikonische Objektrelationen, während singuläre Termini insbesondere indexikalische Funktionen übernehmen (cf. Kapitel 2.1.3.3). Diese indexikalische Funktion findet bei Millikan kaum Beachtung. Eben weil Indexikalität bei Millikan kaum berücksichtigt wird bzw. konventionelle Ikonizität oftmals die Erklärungslast trägt, schlägt Stefan Kappner vor, die “ diagrammatische Ähnlichkeit zwischen Zeichen und Objekt von Millikan auf der Erklärungsebene ” (2004: 307, Hervorh. im Original) und somit als ein Verhältnis innerhalb des Modells und nicht als ein ontologisches Verhältnis zu verstehen. Solch eine Erklärung ermöglicht es, intentionale Ikons als Erklärungseinheiten von dahinterliegenden relationalen Prozessen zu verstehen und aus diesem Erklärungsmodell die semiosischen Implikationen zu entwickeln. Diese Perspektive auf ikonische Effekte im Rahmen des Erklärungsmodells führt zu einer Interpretation des theoretischen Vokabulars, welches die Terminologie theoretisch wie strukturell hinsichtlich des Explanans verschiebt, ohne dabei die theoretischen Grundlagen der Darstellung von Propositionen im Sinne Peirces zu verkennen. Es geht also darum, das theoretische Vokabular Millikans für das Modell zu nutzen, ohne dabei einen Anspruch auf ein ontologisches Verhältnis zu stellen. Es geht allein darum, zu betrachten, welchen funktionalen und theoretischen Beitrag ikonische Zeichen im Modell zur Konstitution diskursiver Intentionalität leisten. Die theoretische und strukturelle Verschiebung soll also eine Suche nach den ikonischen Zeichen in Propositions- und Satzstrukturen (später auch in Äußerungen und sprachlichen Handlungen) ermöglichen, wobei sich die Antwort bereits aus der Semiose propositionaler Gehalte im Sinne Peirces explizieren lässt: Prädikate bzw. prädikative Relationen und Prozesse dienen der Veranschaulichung ikonischer Objektrelationen. Insofern fokussiert die folgende Betrachtung der theoretischen Merkmale intentionaler Ikons 1., 2., 3., 4.a. und 4.b. stets die Ebene von Prädikaten und prädikativen Relationen und Prozessen und widmet sich nicht mehr der vollständigen Einheit des Satzes. 184 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Das theoretische Merkmal 1. des intentionalen Ikons informiert über die Genealogie (der Gehalte und Funktionen) des Ikons. Die funktionalen Eigenschaften intentionaler Ikons sind demnach von der Familiengeschichte abhängig, die konstant reproduziert wird. Millikan verweist hier auf die evolutionären Adaptions- und Selektionsprozesse, die dem intentionalen Ikon ihre Zweckmäßigkeit zuweisen und damit ihre Funktion bestimmen. Was Millikan mit Familiengeschichten in evolutionären Adaptions- und Selektionsprozessen erfasst, ist ein Prozess, der sich mithilfe der bisher eingeführten theoretischen Prämissen, Grundlagen und Konzepte auch für die Analyse diskursiver Praktiken interpretieren lässt: Eine Konstitution und Reproduktion von diskursiven, normativen und pragmatischen Signifikanzen kann auf ähnliche Weise modelliert werden. Nimmt man an, dass sich die Funktion von intentionalen Ikons auch in diskursiven Praktiken verändert bzw. verändern kann, dann kann dies über kommunikative Formen von Adaptions- und Selektionsprozessen erklärt werden. Denn Bedeutung und Funktion von Zeichen werden im Rahmen dieser Arbeit nicht als etwas Festgeschriebenes, sondern als dynamisch verstanden, was sich später auch über eine Beschreibung des hier vertretenen Kommunikationsmodells zeigen wird (cf. Kapitel 14.1). In diesem sich an Brandoms deontischer Kontoführung anlehnenden Modell sind sowohl semantische Gehalte als auch normative und pragmatische Signifikanzen von inferenziellen Relationen abhängig, die sich im Rahmen kommunikativer Prozesse (in diskursiven Praktiken und nicht nur dem unmittelbaren Gespräch der Interlokutoren) etabliert haben. Diese inferenziellen Relationen, die implizit auch kommunikativ zur Disposition stehen, markieren einen prozessualen Aspekt von Zeichen, der, wenn man diesen Annahmen folgt, auch für intentionale Ikons gilt. Diese prozessuale Dimension der Konstitution der Zeichen- und Sprachpraktiken lässt sich als Genealogie erfassen, in welcher sich diese Zeichen hinsichtlich der zugewiesenen Funktion erproben. Welche Signifikanz sprachliche Zeichen aufweisen, ist dann von den stets mitverhandelten Gebrauchsbedingungen ( “ Umstände und Folgen ” ) abhängig. Das theoretische Merkmal 2. intentionaler Ikons verweist auf einen kooperativen Aspekt dieser. Intentionale Ikons haben nach Millikan eine mediale Funktion zwischen einem producer device und einem interpreting device, welche in einer kooperativen Relation stehen. Die kooperative Funktion intentionaler Ikons ergänzt sich um einen weiteren Aspekt, welcher besagt, dass die kooperativen Organismen bzw. Apparaturen [devices] füreinander gestaltet [designed] bzw. standardisiert sind, wobei Millikans Passivkonstruktion offenlässt, wer oder was diese Standardisierung vornimmt. In Die Vielfalt der Bedeutung (2008) erläutert Millikan anhand eines Beispiels, was sie unter der kooperativen Funktion von intentionalen Zeichen versteht: Angenommen, ich verscheuche zweck- und absichtsvoll Fliegen mit einem Schlenker meiner Hand. Die Schlenker meiner Hand verursachen das Wegfliegen der Insekten, weil sie den Fliegen als natürliches Zeichen für Gefahr dienen - und das ist meine Absicht. Sind die Schlenker meiner Hand darum intentionale Zeichen? Wir können dieses Problem recht einfach lösen, indem wir sagen, daß sie zwar intentionale Zeichen sein mögen, aber keine intentionalen Zeichen mit kooperativen Funktionen sind, und daß Menschen üblicherweise Zeichen mit solchen Funktionen im Sinne haben, wenn sie von intentionalen Zeichen sprechen. Kooperative intentionale Zeichen werden von Systemen erzeugt, die dazu bestimmt sind, natürliche Zeichen für den Gebrauch durch kooperierende Interpretationssysteme herzustellen. Das heißt, das System der Zeichenerzeugung und das System zum Zeichengebrauch müssen auf dem Weg der Evolution oder der absichtsvollen 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive 185 Gestaltung die Eigenschaft erworben haben, symbiotisch zu funktionieren. Die Erzeuger kooperativ funktionierender intentionaler Zeichen müssen so gestaltet sein, daß sie mit interpretierenden Systemen kooperieren, die wiederum so gestaltet sind, daß sie mit ersteren kooperieren. Ein kooperatives intentionales Zeichen wird stets auf halbem Weg zwischen zwei Systemen situiert, die zur Kooperation miteinander bestimmt sind. (Millikan 2008: 111) Das entsprechende Verhalten (Schlenker der Hand) werde kraft der Absicht zur Handlung, zeichne sich damit zwar als intentionales Zeichen aus, aber verfüge nicht über eine kooperative Funktion. Eine kooperative Funktion habe dieses erst, wenn der erzeugende Apparat [producer device] mit einem interpretierenden Apparat [interpreting device] hinsichtlich eines bestimmten (kommunikativen) Zwecks kooperiere. Zwar beruhe diese Kooperation weiterhin auf einer kommunikativen bzw. kooperativen Absicht, doch seien kooperative intentionale Zeichen eher zwischen dem erzeugenden und interpretierenden Apparat angeordnet. Und hier liegt die Krux der Millikan'schen Theorie: Während andere zeitgenössische Theorien die Entstehung von Intentionalität durchaus an Zeichenpraktiken (z. B. Zeigegesten) binden (cf. z. B. Tomasello 2002, 2011), analysiert Millikan die Funktion der Kooperation anhand spezifischer Zeichen. Damit schafft sie die Möglichkeit, die Emergenz von Kooperativität in diskursiven Praktiken anhand spezifischer Zeichen zu analysieren. Mithilfe einer zeichenzentrierten Perspektive, die auf Signifikanz beruht, kann die kooperative Funktion intentionaler Zeichen auch ohne Rekurs auf eine kommunikative bzw. kooperative Absicht erklärt werden. Stattdessen wird die entsprechende kooperative Struktur aus der Signifikanz des Zeichens bzw. der intentionalen Verben rekonstruiert (cf. Kapitel 12). Dass Apparate (im Sinne Millikans) Zeichen emittieren, wird dabei weder angezweifelt noch abgelehnt. Allein die kommunikative Vorordnung der Apparate in ihrer diskursiven Funktion steht zur Disposition. Wie bereits die Kritik am Intentionalismus und das Desiderat der diskursiven Intentionalität gezeigt haben (cf. Kapitel 7), wird nicht den beteiligten Instanzen die konstitutive Funktion von intentionalen Zeichen zugewiesen. Stattdessen steht die Signifikanz des Zeichens selbst im Mittelpunkt: Erst kraft eines entsprechenden Zeichens bzw. dessen Signifikanz entsteht eine spezifische Relation in diskursiven Praktiken. Mithilfe dieser Erkenntnisse lässt sich annehmen, dass auch intentionale Zeichen über diskursive Signifikanz verfügen, welche im Gebrauch auch ihre angegliederten Instanzen (später: diskursive Rollen) entsprechend ihrer Signifikanz mitkonstituiert: Intentionalität und deren Kooperativität sind in diskursiven Praktiken damit Produkte und Effekte von (kooperativen) intentionalen Zeichen. Mithilfe der Modifikation durch das theoretische Merkmal 1. kann 2. außerdem das Verhältnis zwischen kooperierenden Entitäten, intentionalen Zeichen und deren zeichensystematischen Eigenschaften präzisieren: Nicht kommunikative Instanzen (Sprecher, Hörer etc.), sondern Zeichenbzw. Sprachsystematiken (und deren genealogische Familienähnlichkeiten) konstituieren zunächst intentionale Zeichen. Damit wird die These, dass die kooperative Funktion von intentionalen Zeichen eine zeichensystematische Eigenschaft ist, gestützt: Explizite wie implizite intentionale Zeichen sind dann nicht nur die Bedingung dafür, dass Interlokutoren in eine sozial-kommunikative bzw. diskursive Relation zueinander treten können, sondern intentionale Zeichen evozieren etwas, das die Konstitution dieser konkreten, hier kooperativen, Relation ermöglicht und was später als 186 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben diskursive Rollen (als strukturelle Äquivalenz zu semantischen Rollen, die aber auf normativer und pragmatischer Signifikanz beruht) eingeführt werden wird (cf. Kapitel 12.3). Diese zeichensystematischen Aspekte intentionaler Zeichen mit kooperativen Funktionen lassen bereits erahnen, dass hier eine Differenzierung zwischen Zeichen vorgenommen werden kann, die auf Strukturrelationen von Kooperativität in diskursiven Praktiken abzielt (cf. Kapitel 12.4). Das theoretische Merkmal 3. des intentionalen Ikons greift die Bedingungen und Umstände [conditions], die unter 1. und 2. bereits genannt werden, auf und führt diese aus. Am Beispiel des Bienentanzes erklärt Millikan (2001: 98 f.), was sie unter der Adaption und Selektion von Bedingungen und Umständen versteht: Agiert eine Biene nach Wahrnehmung des Bienentanzes entsprechend, indem sie Richtung Nektar fliegt, handelt es sich um eine gelungene Kooperation zwischen den Bienen. Bedingung dieser Kooperation ist der Ort des Nektars, der über den Bienentanz vermittelt wird. Das anschließende Verhalten ist die Funktion, die sich über den Adaptions- und Selektionsprozess etabliert hat. Dieses theoretische Merkmal lässt sich auch für intentionale Zeichen in diskursiven Praktiken übernehmen, wenn es in entsprechendes Vokabular übersetzt wird: Die theoretische Entwicklung der Bedingungen und Umstände lässt sich (ebenso wie Brandoms Umstände und Folgen) nicht einfach in den Begriff des Kontexts überführen. Vielmehr muss die prozesshafte Dimension der Bedingungen und Umstände berücksichtigt werden. Die verschiedenen intentionalen Zeichen der diskursiven Praxis verändern nicht nur die diskursiven Umstände und Folgen und transformieren damit das, was Robert Stalnaker Common Ground nennt (cf. z. B. 2002, 2014). Wichtiger ist vielmehr, dass Bedingungen und Umstände auch Konsequenzen für Verhalten und Handlungen in diskursiven Praktiken sowie die Selbst- und Fremdbeschreibung von Interlokutoren und Handelnden haben. Das theoretische Merkmal 4. gliedert sich entlang der Unterscheidung von imperative 4.a. und indicative intentional icons 4.b. auf. Imperative intentionale Ikons haben einen illokutiven Effekt hinsichtlich der Bedingungen und Umstände. Indikative intentionale Ikons hingegen verweisen auf Bedingungen und Umstände und korrespondieren mit den entsprechenden Strukturen (z. B. hinsichtlich Korrektbzw. Inkorrektheitsbestimmungen). Imperative bzw. indikative intentionale Ikons interagieren also unterschiedlich mit Umständen und Bedingungen der eigenen Struktur: Imperative intentionale Ikons werden von den Umständen und Bedingungen angereichert, indem ihr Ereignis Konsequenzen für den entsprechenden Sachverhalt hat. Indikative intentionale Ikons hingegen fügen den bestehenden Umständen und Bedingungen neue Elemente hinzu bzw. konstituieren und/ oder aktualisieren diese. Für die Signifikanz von intentionalen Zeichen bietet diese Differenz außerdem eine weitere Äquivalenzformulierung an, die im theoretischen Vokabular Brandoms bereits getroffen wurde: Imperative und indikative intentionale Ikons stellen das Äquivalent zu praktischen und kognitiven Festlegung dar, welche deontische Überzeugungs- und Intentionsstrukturen erklären. Im Folgenden wird dieses Vokabular synonym verwendet. Die Beschreibung des Konzepts des intentionalen Ikons von Millikan lässt sich also mit den sprach- und zeichentheoretischen Prämissen des semiotischen Pragmatismus und des normativen Sprachpragmatismus in Einklang bringen, wenn es mit den Erkenntnissen der theoretischen Prämissen Peirces, Brandoms und Shorts in Verbindung gebracht wird. 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive 187 Insbesondere Familienähnlichkeit, kooperative Funktion, die Wechselverhältnisse zu Bedingungen und Umständen sowie der Unterschied von imperativen (praktische Festlegung) und indikativen (kognitive Festlegung) intentionalen Zeichen stehen dabei im Mittelpunkt. Für die folgenden Analysen von intentionalen Zeichen, Relationen und Verben sollen diese Erkenntnisse berücksichtigt werden. Neben den theoretischen Merkmalen des intentionalen Ikons 1., 2., 3. 4.a. und 4.b. führt Millikan in Beyond Concepts eine weitere Differenz für intentionale Zeichen ein, welche diese hinsichtlich ihrer signifikativen Suffizienz spezifiziert: What began as a nonintentional infosign 5 useful to fawns may thus have become, in part, an intentional sign, but older mechanisms continue to be involved in continuing the infosign-signified correlation on which it rests. Call it an ‘ impure intentional sign ’ and call its REF [reproductively established family, J. B.] an ‘ impure ’ or ‘ mixed ’ REF. A ‘ purely intentional sign ’ on the other hand is entirely self-sufficient or self-supporting in reproducting its infosign-signified pairs. The signsignified pair continues to reproduce for no other reason than its very own history as an intentional sign. It has no function other than beyond that of communication. ” (Millikan 2017: 160 f.) Die Differenz zwischen genuin [pure intentional signs] und synthetisch intentionalen Zeichen [impure intentional signs] entfaltet sich auf einer anderen Achse als die Differenz von intentionalen Zeichen mit und ohne kooperativer Funktion. Millikans Verweis auf Familienähnlichkeiten [REF] von genuin und synthetisch intentionalen Zeichen zeigt, dass es sich zwar bei beiden um intentionale Zeichen handelt, sie sich aber im Grad der signifikativen Suffizienz unterscheiden. Kurz: Signifikanz von genuin intentionalen Zeichen ist hinreichend, um Intentionalität zuzuschreiben. Die Funktionen, die sich entlang ihrer Struktur entfalten, lassen sich - das ist eine wesentliche Annahme dieser Arbeit - allein aus deren Struktur in Zeichenbzw. Sprachsystematiken ermitteln. Die Signifikanz von synthetischen intentionalen Zeichen hingegen lässt sich nicht auf ein spezifisches Zeichen im Gebrauch reduzieren. Dieses ist zwar notwendig für Signifikanz von Intentionalität, doch muss zumindest ein weiteres Zeichen oder Zeichenelement hinzukommen, damit Intentionalität signifiziert werden kann. Millikans Differenzierung ist insofern bereichernd, als dass sie zeigt, dass eine binäre Unterscheidung zwischen intentionalen und nichtintentionalen Zeichen im Rahmen der Analyse nicht angemessen ist. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll diese Differenz mithilfe von inferenziellem Vokabular modelliert und für die Analyse von intentionalen Verben aufgegriffen werden (cf. Kapitel 11 und 12.5). Zusammenfassend zeigt die Beschäftigung mit Ruth Millikans teleosemantischer Intentionalitätstheorie, dass sie trotz anderer theoretischer Prämissen eine tiefgehende Perspektive auf Intentionalität entwickelt. Diese ist für eine Analyse diskursiver Praktiken im Rahmen einer linguistischen Pragmatik insofern reizvoll, als dass sie sowohl die Frage nach der Kooperativität von z. B. Interlokutoren als auch die Frage nach der signifikativen Suffizienz stellt, welche von Brandom und Short nicht explizit vorgenommen werden. 5 “ An infosign is, first and foremost, a member of an infosign-infosigned pair that exemplifies a non-accidental correlation between signs and states of affairs, the signs all corresponding to the infosignified states of affairs according to the same projection rules. ” (Millikan 2017: 110) K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 10 Zwischenfazit: Diskursive Intentionalität, Signifikanz und intentionale Zeichen Abstract: This chapter summarizes the discussion on the concept of discursive intentionality from inferentialist and semiotic perspectives and compares the different perspectives in order to demonstrate theoretical potential. This results in a conceptual apparatus that is relevant for the further analysis of discursive intentionality in the context of pragmatics. Zusammenfassung: Dieses Kapitel fasst die Diskussion zum Konzept der diskursiven Intentionalität unter inferenzialistischer und semiotischer Perspektive zusammen und vergleicht die verschiedenen Perspektiven, um theoretisches Potenzial aufzuzeigen. Daraus resultiert ein Begriffsapparat, der für die weitere Analyse diskursiver Intentionalität im Rahmen linguistischer Pragmatik relevant ist. Keywords: discursive intentionality, Robert B. Brandom, T. L. Short, Ruth Millikan Schlüsselbegriffe: diskursive Intentionalität, Robert B. Brandom, T. L. Short, Ruth Millikan Die Beschäftigung mit einer inferenzialistischen (Brandom) und semiotischen (Short und Millikan) Perspektive auf Intentionalität ermöglicht es nun, die Erfüllung des Desiderats der diskursiven Intentionalität insofern vorzubereiten, als dass die theoretischen Grundlagen und Erklärungen für eine Modellierung von diskursiver Intentionalität respektive intentionalen Verben nun offenliegen. Bevor nun aber auf Basis der theoretischen Annahmen spezifische Modellierungen vorgenommen werden können und sollen, möchte ich in einem Vergleich der verschiedenen Beschreibungsmodelle von Intentionalität ein Zwischenfazit ziehen, welche die unterschiedlichen Schwerpunkte der Ansätze beleuchtet und zeigt, inwiefern sie alle auf ihre Weise zur dann folgenden Modellierung beitragen. Hierzu sollen einige Elemente der eben vorgestellten Theorien, die in Hinsicht auf die weiteren Überlegungen zu Intentionalität relevant sind, zunächst wiederholt und dann miteinander in Beziehung gesetzt werden. Folgende Aspekte werden dabei berücksichtigt: Robert B. Brandom T. L. Short Ruth G. Millikan Definition der diskursiven Intentionalität Beschreibung von Intentionalität (A, B, C und O) Beschreibung der Funktion der Objektrelationen Intentionale Systeme* (IIS und EIS) (später dann diskursive Rollen) Verhältnis von Signifikanz und Intentionalität Definition und theoretische Merkmale von intentionalen Ikons Differenz von kognitiven und praktischen Festlegungen Konstitutive Funktion von intentionalen Verben Unterscheidung von genuin und synthetisch intentionalen Zeichen (auch signifikative Suffizienz) Differenz von Handlungen mit und aus Gründen Tab. 6: Aspekte zur Theorieintegration bei Brandom, Short und Millikan Robert B. Brandoms Analyse diskursiver Praktiken, diskursiver Intentionalität und intentionale Systeme* kann mithilfe des Konzepts der Signifikanz (Short) und der Beschreibung von intentionalen Ikons (Millikan) erweitert bzw. semiotisiert werden. Insbesondere Brandoms Definition der diskursiven Intentionalität, welche an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle changiert, ermöglicht eine Integration in ein semiotisches Verständnis diskursiver Praktiken. Hierzu werden kommunikative, sprachliche und diskursive Praktiken eben danach untersucht, ob sie kraft Signifikanz über entsprechende intentionale Relationen verfügen bzw. diese aufweisen. Ausgangspunkt der Betrachtung muss dabei ein spezifisches Zeichen sein, welches eine intentionale Relation signifiziert. Allerdings ist auch Brandoms Darstellung von intentionalen Systemen* sowie deren Binnendifferenzierung für eine semiotische Perspektive interessant. Betrachtet man nicht nur das Verhältnis von intentionalen Zeichen (bzw. intentionalen Verben) und Verhalten, sondern fragt zugleich nach den beteiligten intentionalen Systemen*, dann kann auch hier die konstitutive Funktion von intentionalen Verben (Short) in den Mittelpunkt rücken: Intentionale Verben konstituieren dann kraft ihrer Signifikanz nicht nur Verhalten als Handlung, sondern weisen auch Strukturen auf, die es ermöglichen, dass jemand bzw. etwas an der Handlung beteiligt ist, individuell oder kooperativ (diskursive Rollen, cf. Kapitel 12.3 und 12.4). Mithilfe einer Analyse der Signifikanz lässt sich also die konstitutive Kraft intentionaler Verben als erweitert veranschaulichen. Intentionale Verben stellen damit das signifikative Zentrum von diskursiven Zeichenpraktiken dar und lassen so einen anderen Blick auf die Analyse diskursiver Praktiken, intentionaler Systeme*, diskursiver Normen und sprachlicher Handlungen zu. Verben, insbesondere intentionalen, wird damit eine strukturelle Vorordnungsfunktion eingeräumt, die linguistisch zunächst nicht neu ist (cf. z. B. schon Tesnière 1980), doch hier über syntaktische und semantische Analysen hinaus auf Signifikanzen von diskursiven Praktiken ausgeweitet wird. Für intentionale Verben gilt daher auch das theoretische und praktische Vokabular, welches für die Analyse diskursiver Praktiken gilt: Sie können mithilfe von Festlegungen und Berechtigungen untersucht werden. Insofern wird auch die Differenz von kognitiven und praktischen Festlegungen auf intentionale Verben angewandt. Gleiches gilt auch für die 190 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Differenz von Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen, welche eine inferenzielle Struktur intentionaler Verben spezifizieren kann. Ruth G. Millikans Beschreibung der Objektrelationen dient dann der spezifischen Begründung intentionaler Verben als Element in diskursiven Praktiken und Signifikanzen. Die Darstellung von intentionalen Ikons lässt sich insofern auf intentionale Verben übertragen, als dass die entsprechenden theoretischen Merkmale leicht abgewandelt und in entsprechendes Vokabular übersetzt werden können und damit im Rahmen einer Analyse diskursiver Praktiken zugänglich werden: 1. Intentionale Verben stellen prädikative Relationen bereit, die über spezifische Funktionen verfügen. 2. Einige intentionale Verben können über eine kooperative Funktion verfügen, sodass die prädikative Relation kooperative und intentionale Relata evoziert. 3. Intentionale Verben wirken sich auf Verhalten, Umstände und Folgen der diskursiven Praxis sowie intentionale Systeme* aus. 4. Intentionale Verben können entweder a. praktische Festlegungen oder b. kognitive Festlegungen evozieren. 5. Intentionale Verben sind entweder a. genuin intentionale Zeichen und hinreichend zur Konstitution diskursiver Intentionalität oder b. synthetische intentionale Zeichen und erfordern weitere inferenzielle Relationen bzw. Signifikanzen, um diskursive Intentionalität zu signifizieren. Dieser Übertrag von Millikans Beschreibung intentionaler Ikons in ein theoretisches Vokabular Brandoms bzw. Shorts ermöglicht eine entsprechende Eingliederung in das gesamte theoretische Programm. Aus der Beschreibung intentionaler Ikons bzw. intentionaler Verben in den Eigenschaften 1. bis 4. bereichert insbesondere der Aspekt der signifikativen Suffizienz intentionaler Zeichen 5. die Analyse. Hiermit können intentionale Verben auf eine andere Weise erfasst werden, indem sie nämlich in ihrem phänomenalen Zugriff analysiert und hinsichtlich ihrer signifikativen Oberfläche befragt werden. Dieser Aspekt erfährt weder bei Brandom noch bei Short eine ausführliche Reflexion, ist aber notwendig, um die Vielfalt intentionaler Verben zu erfassen, wie sich zeigen wird (cf. Kapitel 12.5). 10 Zwischenfazit: Diskursive Intentionalität, Signifikanz und intentionale Zeichen 191 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 11 EMSIFs, EMSIIs, EMSIBs - Theoretisches Vokabular zur Analyse subsentenzialer inferenzieller Relationen Abstract: Intentional signs are located below the level of propositional content. A theoretical vocabulary that considers inferences solely at the level of propositions is therefore unsuitable for the following analyses. Therefore, this chapter develops a theoretical vocabulary below the level of propositions, whose functions as inferential relations contribute to the structuring of discursive practices. Conceptually, this vocabulary is based on Robert B. Brandom's distinction between commitments, entitlements and incompatibilities, but extends this to their applicability to subsentential contents and relations. Zusammenfassung: Intentionale Zeichen sind unterhalb der Ebene der propositionalen Gehalte angesiedelt. Ein theoretisches Vokabular, welches Inferenzen allein auf Ebene von Propositionen betrachtet, ist daher für die folgenden Analysen ungeeignet. Deshalb entwickelt dieses Kapitel ein theoretisches Vokabular unterhalb der Ebene der Propositionen, deren Funktionen als inferenzielle Relationen zur Gliederung diskursiver Praktiken beitragen. Begrifflich orientiert sich dieses Vokabular an Robert B. Brandoms Unterscheidung von Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten, erweitert dies aber um ihre Anwendbarkeit auf subsentenziale Gehalte und Relationen. Keywords: inferences, Robert B. Brandom Schlüsselbegriffe: Inferenzen, Robert B. Brandom Die bisherigen theoretischen Erklärungen zur diskursiven Intentionalität beschränken sich auf die Funktionen im Rahmen diskursiver Praktiken und semiotischer Prozesse im Verhältnis Handlung und Verhalten respektive Kooperativität und signifikativer Suffizienz. Allerdings habe ich bisher noch kein theoretisches Vokabular vorgeschlagen, um diskursive Intentionalität in der inferenziellen Struktur zu analysieren. Zwar ist in Anlehnung an Peirces semiotischen Pragmatismus schon einiges über Signifikanzen und ikonische Relationen von prädikativen Strukturen gesagt und auch Brandoms Vokabular der kognitiven und praktischen Festlegung herangezogen worden, um die Analysierbarkeit diskursiver Intentionalität im Rahmen semiotischer und inferenzieller Prozesse zu verorten. Aber insbesondere Brandoms theoretisches Vokabular, welches sich im Rahmen der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur diskursiver Praktiken bewegt (Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten), ermöglicht bisher nur holzschnittartige Analysen, da sie die hier favorisierten sprachlichen Zeichen nur bedingt erfasst: Während Brandoms theoretisches Vokabular der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur die propositionale Struktur kommunikativer Prozesse analysierbar macht, sind intentionale Verben zwar in propositionalen Strukturen involviert, sind aber selbst subsentenziale sprachliche Zeichen. Hier findet also eine Verschiebung des theoretischen Fokus von propositionaler auf eine subsentenziale Ebene statt, die aber auch kategoriale Konsequenzen hat. Denn mit Blick auf Peirces Inferenzkategorien (cf. Kapitel 2.1.3.3) kann man feststellen: Geschlussfolgert wird ausschließlich in propositionalen Strukturen, intentionale Verben und andere prädikative Relationen und Strukturen tragen in ihrer subsentenzialen Struktur etwas zur propositionalen Struktur bei, sind aber selbst im engeren Sinne keine vollwertigen Strukturen in Inferenzen. Insofern ist eine Übertragung des inferenziellen Vokabulars zur Analyse von diskursiver Intentionalität respektive intentionaler Verben nicht automatisch möglich. Im Folgenden wird sich zeigen, dass sich die Begriffe der inferenziellen Analyse der propositionalen Struktur in das Vokabular zur Analyse subsentenzialer sprachlicher Zeichen übersetzen lassen. Dabei kommt es zwar zu einer konzeptionellen Verschiebung, die aber inferenzielle Gliederungen auf subsentenzialer Ebene präzise analysieren kann und sich nicht in semantischen Gehalten erschöpft. Die inferenzielle Gliederung von subsentenzialen Gehalten, also auch von prädikativen Relationen von intentionalen Verben, lässt sich dennoch mithilfe einer inferenziellen Struktur modellieren. Die unterschiedlichen subsentenzialen semantischen Gehalte und Signifikanzen sind dabei Derivate der kommunikativen und diskursiven Praxis und deren Festlegungen und Berechtigungen, sodass auch die subsentenzialen Gehalte von diskursiven Normen bestimmt sind. Im Folgenden soll daher die These eingelöst werden, dass es auf subsentenzialer Ebene Äquivalenzstrukturen zur Festlegungs- und Berechtigungsstruktur diskursiver Praktiken gibt, die die inferenziellen Gehalte subsentenzialer Zeichen bestimmen und analysiert werden können. 1 Die verschiedenen subsentenzialen inferenziellen Relationen (EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs), die hier vorgestellt werden sollen, dienen also der Konkretisierung für linguistische Analysen. Mithilfe dieser Konzepte lässt sich die Qualität der unterschiedlichen subsentenzialen inferenziellen Relationen spezifizieren, die im Weiteren auch in der Analyse diskursiver Intentionalität Anwendung finden wird: Die unterschiedlichen zeichentheoretischen Strukturen und Signifikanzen intentionaler Verben werdem, da diese nicht als strikt semantisch gelten sollen, über unterschiedliche subsentenziale inferenzielle Relationen erklärt (cf. Kapitel 12). Dass es sich dabei nicht um semantische Gehalte handelt, sondern die unterschiedlichen subsentenzialen Gliederungen Konsequenzen für diskursive Praktiken haben, zeigt sich pragmatisch auch an der Unterscheidung von Zuschreibung und Attribuierung: Zuschreibungen basieren auf subsentenzialen Festlegungen, Attribuierung lediglich entsprechenden Berechtigungen (cf. Kapitel 13). Dies wirkt sich auf die Gültigkeit und Inaspruchnahme von Zuschreibungen bzw. Attribuierungen aus, sodass z. B. Zuschreibungen nicht auf gleiche Weise diskursiv tilgbar sind wie Attribuierungen. Insofern tragen subsentenziale inferenzielle Relationen nicht nur zur Signifikanz von Verben bei, sondern auch zur Gültigkeit diskursiver Normen in sozial-kommunikativen Praktiken. 1 Das Verhältnis zwischen den Äußerungsbzw. Propositionsstrukturen und den subsentenzialen Strukturen ist allein hinsichtlich ihrer logischen Form äquivalent. Insbesondere im Rahmen inferenzieller Prozesse findet sich ein wesentlicher Unterschied: Während propositionale Gehalte tatsächlich in Schlussfolgerungsverhältnissen stehen, tragen subsentenziale inferenzielle Relationen nur zur Inferenzbildung bei. 11 EMSIFs, EMSIIs, EMSIBs 193 Laut Robert Brandom sind diejenigen konstitutiven strukturellen Einheiten, welche subsentenziale semantische Gehalte bestimmen, die einfachen materialen substitutionsinferenziellen Festlegungen (cf. EV: 529 f.), die er kurz EMSIFs nennt. Was auf der Ebene der propositionalen Gehalte für festlegungserhaltende inferenzielle Relationen gilt, reproduziert sich auf subsentenzialer Ebene, sodass unterschiedliche subsentenziale Einheiten ihre Qualitäten zur Äußerungseinheit beitragen. Die lässt sich anhand von Substitutionsprozessen veranschaulichen: (1) I 1 : (PAUL MASON IST DER AUTOR VON POSTKAPITALISMUS) (2) I 1 : PAUL MASON IST ANHÄNGER VON MANCHESTER UNITED (3) I 1 : DER AUTOR VON POSTKAPITALISMUS IST ANHÄNGER VON MANCHESTER UNITED 2 Die Nominalphrasen von (2) und (3) können hier wechselseitig substituiert werden, weil die Verbalphrase (als Prädikat) einen inferenziell gegliederten Rahmen bildet, der kraft EMSIF die Substituierbarkeit garantiert. Wenn I 1 (2) behauptet, legt sich I 1 auf subsentenzialer Ebene auch auf die Identität mit dem Gehalt der Nominalphrase von (3) fest, weil die Äußerung der Nominalphrase von (2) eine einfache materiale substitutions-inferenzielle Festlegung auf den Gehalt der Nominalphrase von (3) impliziert. 3 Entsprechend sind Substitutionsinferenzen erst möglich, wenn zwei oder mehr semantische Gehalte durch EMSIFs miteinander relationiert sind. (1) ist die konditionale Bedingung für die Substitutionsinferenz von (2) und (3). Während Substitutionsinferenzen also konkrete inferenzielle Prozesse darstellen und die Transformationsprozesse semantischer Gehalte mitbestimmen, ermöglicht die inferenzielle Gliederung auf subsentenzialer Ebene der EMSIFs erst die Substitution. EMSIFs sind also spezifische subsentenziale inferenzielle Relationen, die für die Konstitution eines inferenziellen Gehalts im Rahmen diskursiver Praktiken hinreichend sind. EMSIFs stellen in Robert Brandoms Expressiver Vernunft die wesentlichen Einheiten subsentenzialer semantischer Gehalte dar. Während sich propositionale Gehalte noch über festlegungserhaltende, berechtigungserhaltende und inkompatible inferenzielle Relationen bestimmen, definiert Brandom für die subsentenzialen Gehalte allein EMSIFs, die den spezifischen Gehalt von singulären Termini und Prädikaten bestimmten. EMSIFs strukturieren also semantische Gehalte subsentenzialer Zeichen, sodass gilt, dass die Semantik eines spezifischen sprachlichen Zeichens die Menge aller es betreffenden EMSIFs ist. Weil EMSIFs ähnlich wie Festlegungen eine flexible Kategorie darstellen und durch diskursive Normen der Praxis angeleitet werden, können sich spezifische semantische Gehalte eines sprachlichen Zeichens je nach Praxis durchaus unterscheiden. Trotz der Flexibilität der kategorialen Analyse der EMSIFs, die eine Mannigfaltigkeit von semantischen Gehalten in unterschiedlichen diskursiven Praktiken gewähren, bleibt die Kategorie für die Analyse von diskursiven Praktiken und ihren sprachlichen Zeichen 2 Hier und im Folgenden verwende ich Majuskeln immer dann, wenn es nicht um die explizite sprachliche Form, z. B. von Äußerungen, sondern um ihr semiotisch-kognitiven und inferenziellen Aspekte geht. 3 Das Verhältnis ändert sich bei intensionalen Sätzen, aber hier geht es noch nicht um singuläre Termini in ihrer Bezugsfunktion. Sobald singuläre Termini z. B. im Konstituentensatz formuliert werden, sind sie nicht mehr ohne Weiteres substituierbar und bekommen damit einen prädikativen Charakter. 194 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben unzureichend. EMSIFs erklären zwar die implizierten (und teilweise auch implikatierten) inferenziellen Gehalte, doch gibt ein Fokus auf EMSIFs die Dynamik der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur auf propositionaler Ebene auf. In Hinsicht auf die Analysierbarkeit von diskursiven Praktiken zeigt sich aber, dass inferenzielle Gehalte weder für Interlokutoren noch für Analysierende hinreichend mit EMSIFs erfasst bzw. analysiert werden können. Gehalte stehen oftmals nicht transparent in einem Implikationsverhältnis zur geäußerten kommunikativen Einheit, sondern es kann angenommen werden, dass sprachliche Zeichen eher eine Menge an ambigen und latenten Gehalten involvieren, die von den Interlokutoren eher vermutet werden können. Die Konturen inferenzieller Gehalte sind damit keineswegs klar. Im Folgenden soll also ein inferenzielles Vokabular für subsentenziale Gehalte entwickelt werden, welches sich an der inferenziellen Gliederung propositionaler Strukturen orientiert, aber auch latente und ambige Gehalte analysierbar machen kann. Um die diffusen Grenzen inferenzieller Gehalte modellieren zu können, ist es zunächst notwendig, sich die inferenzielle Strukturbeschaffenheit der EMSIFs zu vergegenwärtigen und entlang der Struktureigenschaften zu spezifizieren. Nach der Erfassung der Strukturbeschaffenheit der EMSIFs lässt sich folgender propositionaler Gehalt hinsichtlich seiner subsentenzialen inferenziellen Struktur aufgliedern und es lassen sich so prädikative Strukturen offenlegen: (4) I 1 : CHARLOTTA IST MENSCHLICH (5) MENSCHLICH (X) (6) ZWEI ARME UND BEINE (X) (7) SPRECHEND (X) (8) STERBLICH (X) Der propositionale Gehalt (4) lässt sich formal als (5) notieren, strukturiert sich aber zugleich entlang spezifischer subsentenzialer inferenzieller Gehalte: Die prädikativen Strukturen in (6) bis (8) veranschaulichen hier mögliche subsentenziale inferenzielle Strukturen (als EMSIFs), auf die sich Interlokutor I 1 festlegt (bzw. festgelegt werden kann), wenn (4) geäußert wird. Entsprechend der subsentenzialen inferenziellen Relationen können die prädikativen Strukturen von (6) bis (8) in die prädikative Struktur von (5) hineinsubstituiert werden. Die Bestimmung der subsentenzialen inferenziellen Gehalte von (4) bzw. (5) mithilfe von EMSIFs erinnert zunächst an traditionelle Implikationsverhältnisse im Rahmen semantischer Analysen und Deskriptionen. EMSIFs gehen allerdings über eine Analyse von semantischen Gehalten hinaus. Weil EMSIFs nicht nur semantische Gehalte (im engeren Sinne) erfassen, sondern inferenzielle Relationen bereitstellen, lässt sich mit ihnen auch normative und pragmatische Signifikanz analysieren. Sie tragen also nicht nur zur Konstitution von semantischen Gehalten, sondern auch von sprachlichen Handlungen bei. Eine Analyse von sprachlichen Zeichen mithilfe von EMSIFs kann sowohl den inferenziellen Charakter subsentenzialer semantischer Gehalte als auch pragmatische Signifikanz von sprachlichen Handlungen explizieren. Weil, so die These, sich semantische Gehalte, normative und pragmatische Signifikanzen aber nicht nur über EMSIFs, sondern auch über andere inferenzielle Relationen auszeichnen, soll dieses weitere Vokabular nun etabliert werden. 11 EMSIFs, EMSIIs, EMSIBs 195 Robert Brandom modelliert in Between Saying and Doing die inferenzielle Semantik propositionaler Gehalte mithilfe einer Inkompatibilitätssemantik, während sich propositionale Gehalt in Expressive Vernunft noch um Festlegungen und Berechtigungen anordnen. 4 Statt vorwiegend festlegungserhaltende und berechtigungserhaltende inferenzielle Relationen auf Ebene der propositionalen Gehalte und EMSIFs auf subsentenzialer Ebene zu fokussieren, steht Brandoms Inkompatibilitätssemantik unter folgendem Leitprinzip: Here is a semantic suggestion: represent the propositional content expressed by a sentence with the set of sentences that express propositions incompatible with it. More generally, we can associate with each set of sentences, as its semantic interpretant, the set of sets of sentences that are incompatible with it. (BDS: 123, Hervorh. im Original) Propositionale und semantische Gehalte konstituieren sich demnach über ihre Inkompatibilitätsrelationen. Zwar argumentiert Brandom weiterhin mithilfe von Festlegungen und Berechtigungen (cf. z. B. BSD: 122), ordnet diese aber allein einer normativen Pragmatik zu, sodass diese Voraussetzungen der Inkompatibilitätsrelationen inferenzieller Semantik sind. Damit stünden normative Pragmatik und inferenzielle Semantik weiterhin in einem Erklärungsverhältnis zueinander, doch ließen sich semantische Effekte in der Inkompatibilitätssemantik allein über unvereinbare semantische Relationen modellieren. Inkompatibilität beschreibt Brandom folgendermaßen: Incompatibility of p and q: If S is committed to p, then S is not entitled to q. (BDS: 129, Hervorh. im Original) Die propositionale Relation der Inkompatibilität, die sich auf Interlokutoren bezieht, bleibt hier konditional (if … , then … ), doch verschiebt Brandom theoretische Verantwortlichkeiten: Aus der pragmatischen Festlegungs- und Berechtigungsstruktur [commitment and entitlement] folgt eine inkompatible semantische Relation. Die Definition der propositionalen Relation der Inkompatibilität lässt sich damit folgendermaßen darstellen: (9) I 1 : CHARLOTTA SCHLÄFT (Festlegung auf p) (10) I 1 : CHARLOTTA KORRIGIERT ABSCHLUSSARBEITEN (Berechtigung zu q) (11) I 1 : SCHLÄFT - KORRIGIERT ABSCHLUSSARBEITEN (INKOMP) Diese Darstellung der inferenziellen Relationen erfasst die handlungslogische Inkompatibilität der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur der Handlungsdeskriptionen von schlafen und Abschlussarbeiten korrigieren. Jemand kann nicht gleichzeitig auf beide Handlungsdeskriptionen festgelegt sein: Die spezifische Inkompatibilität der propositionalen Gehalte von (9) und (10) erklärt sich mithilfe der Inkompatibilitätsrelation (11): 4 Diese Kehrtwende ist aus der Perspektive seines Frühwerks nur bedingt nachzuvollziehen. Auch wenn sich Between Saying and Doing (2008) weiterhin mit dem formalen Vokabular deontischer Kontoführungspraktiken beschäftigt, findet sich doch eine Abwendung von der vorrangig Kantianischen Tradition der Expressiven Vernunft (2000) hin zu einer vor allem durch Hegel geprägten Theorie, wie auch aktuellere Publikationen (cf. WI, AST) belegen. Sein Konzept der Inkompatibilität erinnert an die “ reine einfache Negativität ” (Hegel: 1970: 23, Hervorh. im Original). Wenn Brandom davon ausgeht, dass Inkompatibilitäten bedeutungskonstitutiv sind, dann erinnert dies an Hegels Formulierung, dass die “ Erscheinung das Existierende [ist], vermittelt durch seine Negation, welche sein Bestehen ausmacht ” (Hegel 1986 b: 150). 196 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Wer sich auf (9) festlegt, der ist nicht berechtigt, (10) zu äußern, weil (9) und (10) inkompatibel sind. Die Beschreibung der Inkompatibilität propositionaler Gehalte legt nahe, dieses Imkompatibilitätsprinzip auch auf subsentenziale inferenzielle Relationen zu übertragen und damit die Inkompatibilität propositionaler Gehalte auch auf subsentenzialer Ebene zu suchen. Hierzu lässt sich strukturäquivalent zu EMSIFs die subsentenziale Einheit der einfachen materialen substitutions-inferenziellen Inkompatibilitäten (EMSIIs) einführen. Damit wird theoretisches Vokabular der Inkompatibilitätsstrukturen nicht allein auf Ebene der propositionalen Struktur verortet, sondern auch auf Ebene von prädikativen Relationen, welche sowohl semantische Gehalte als auch normative und pragmatische Signifikanzen umfassen. Kurz: EMSIIs sind diejenigen subsentenzialen inferenziellen Relationen, welche spezifische semantische Gehalte, normative und pragmatische Signifikanzen diskursiv tilgen oder blockieren können. EMSIIs dienen der Erfassung eines materialen Verhältnisses zwischen subsentenzialen inferenziellen Gehalten und können erklären, welche semantischen Gehalte, normativen und pragmatischen Signifikanzen im Rahmen von diskursiven Praktiken nicht in Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen beurteilt werden können. EMSIIs blockieren daher auch Substitutionen und unterbinden spezifische inferenzielle propositionale Folgegehalte. EMSIIs können die nicht gesetzten und nicht substituierten inferenziellen Gehalte modellieren und damit erklären, warum spezifische semantische und auch propositionale Gehalte in der diskursiven Praxis nicht auftreten, aber doch (in ihrer Inkompatibilitätsrelation) latent vorhanden sind. Der Status von Inkompatibilität in der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur von Interlokutoren lässt sich also um folgende EMSII-Definition erweitern: (EMSII): Wenn I 1 festgelegt auf EMSII (als Element eines propositionalen Gehalts), dann ist I 1 nicht berechtigt zu EMSIF (als Element eines propositionalen Gehalts). Die subsentenziale Inkompatibilität der EMSIIs strukturiert somit die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur der Interlokutoren, indem sie die materialen Bedingungen der Substitution und Inferenz modifiziert. Die Einführung der Inkompatibilität der propositionalen und subsentenzialen Strukturen hat den Vorteil, dass sich die Analyse von semantischen Gehalten und pragmatischen Signifikanzen nicht nur entlang von positiven Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen, sondern ein inferenzielles Vorhandensein von Negativität impliziert, was bis zu Unsagbarkeiten tendiert. Entgegen der Inkompatibilitätssemantik Brandoms impliziert die hier favorisierte inferenzielle Semantik nicht nur entlang von Inkompatibilitäten bzw. EMSII, sondern impliziert (auf gleichberechtigte Weise) EMSIFs, die die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur ebenfalls modifizieren. Die strukturelle Symmetrie des theoretischen Vokabulars der EMSIIs und EMSIFs erfolgt dabei aus folgenden Gründen: Zwar stellt Brandoms Inkompatibilitätssemantik sowohl deontologisch als auch epistemologisch eine Korrektur der Festlegungs- und Berechtigungssemantik der Expressiven Vernunft (2000) dar, doch erlaubt die Implikation von EMSIFs und anderen substitutions-inferenziellen Relationen im Rahmen einer sprachwissenschaftlichen und pragmatischen Analyse eine feinere Unterscheidung hinsichtlich der Funktionen sprachlicher Zeichen. Anstatt also den philosophischen Grundlagendisziplinen zu folgen, ermöglicht eine sprachtheoretische Perspektive 11 EMSIFs, EMSIIs, EMSIBs 197 auf subsentenziale inferenzielle Relationen ein Modell von semantischen Gehalten und Folgegehalten sowie normativen und pragmatischen Signifikanzen, das für linguistische Analysen nutzbar ist. Für eine sprachwissenschaftliche Perspektive ist es zunächst hinreichend, zu fragen und zu modellieren, inwiefern EMSIFs und EMSIIs die semantischen Gehalte und pragmatischen Signifikanzen von Substantiven, Verben, Adjektiven, Präpositionen etc. auf inferenzielle Art und Weise konstituieren bzw. eine Analyse und Deskription dieser ermöglichen. EMSIFs und EMSIIs sind hinsichtlich ihrer Struktureigenschaften eigentümlich konkret: EMSIFs umfassen eher deduktiv motivierte Gehalte und stehen damit Implikationen sehr nahe. EMSIIs hingegen erfassen diejenigen Gehalte, die sich spezifischen inferenziellen Prozessen entziehen, weil sie eben nicht inferiert werden können bzw. sollen. Damit scheinen beide theoretischen Begriffe inferenzielle Gehalte zu analysieren, die entweder eine klare Zugehörigkeit eines inferenziellen Gehalts zu einem sprachlichen Zeichen einerseits oder eine eindeutige Unvereinbarkeit andererseits erfassen. Das Verhältnis zwischen sprachlichen Zeichen und semantischen Gehalten, normativen und pragmatischen Signifikanzen in diskursiven Praktiken ist aber keinesfalls so eindeutig und häufig eher durch Vagheit bestimmt. Das ist eine linguistische Binsenweisheit und schlägt sich schon im Konzept der fuzzy boundaries nieder. Die Darstellung inferenzieller Vagheit ist in der Reflexion subsentenzialer inferenzieller Relationen bisher ausgeblieben. Innerhalb des normativen Sprachpragmatismus modelliert Brandom keine subsentenziale inferenzielle Relation, die die Vagheit inferenzieller Gehalte zu erklären sucht. Dabei ermöglicht eine subsentenziale kategoriale Analyse der propositionalen Kategorie der Berechtigung die Einführung von einfachen materialen substitutions-inferenziellen Berechtigungen (EMSIBs), welche den Beitrag von subsentenzialen Strukturen zur Berechtigung erklären. EMSIBs sind also subsentenziale inferenzielle Relationen, die für semantische Gehalte, normative und pragmatische Signifikanzen zwar notwendig, aber nicht hinreichend sind und damit im Moment ihrer Signifikation einen gewissen Grad an Vagheit aufweisen. Berechtigungen stellen diskurslogisch eine Übergangskategorie zwischen zwei Festlegungen dar. Im Moment der Festlegung entsteht (kraft anderer Festlegungen und Berechtigungen) eine Potenz an Berechtigungen, deren inferenzielle Gehalte sich in der diskursiven Folgepraxis in Festlegungen oder Inkompatibilitäten transformieren können, aber nicht müssen. Berechtigungen implizieren also die notwendige Ambiguität der Erfüllung der inferenziellen Gehalte, die zur Modellierung von semantischer, pragmatischer und normativer Vagheit notwendig ist. Robert Brandom verweist darauf, dass sich Induktionen auf berechtigungserhaltende inferenzielle Relationen stützen (cf. EV: 255). Der Moment der spezifischen empirischen Erkenntnis berechtigt zur Festlegung auf eine entsprechende Regel bzw. allgemeine Erkenntnis, wobei die Festlegung selbst noch nicht stattgefunden hat. Allerdings ist es weniger die Relation zwischen Spezifik und Allgemeinheit, die die berechtigungsstrukturelle Eigenschaft von Induktion ausmacht, sondern vielmehr der Aspekt der Vagheit und der Temporalität. Daraus folgt, dass zwar Induktionen der diskursiven Praxis auf berechtigungserhaltenden inferenziellen Relationen beruhen, aber nicht alle berechtigungserhaltenden inferenziellen Relationen auch induktive Relationen sind. Tatsächlich 198 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben implizieren auch abduktive Inferenzen berechtigungserhaltende inferenzielle Relationen, da sich die Vagheit der Konklusion nicht nur auf Allgemeinheiten (Regeln und Gesetze), sondern auch auf spezifische Sachverhalte (Fälle) beziehen kann. Die abduzierte Hilfshypothese, welche sich inferenziell auf den Fall auswirkt, ist in der Erkenntnis selbst noch ambig, da deren Gültigkeit über die Substitution anderer Hilfshypothesen jederzeit angezweifelt werden kann, ohne dass der Fall getilgt wird. Kurz: Abduktionen sind Inferenzen auf Basis eines latenten Sets an EMSIBs, während Induktionen tatsächlich relevante und realisierte inferenzielle Relationen auf Basis von Berechtigungen sind. Es zeigt sich also, dass die Vagheit, welche sich in der Ambiguität der Erfüllung äußert, die konstitutive Bedingung der Berechtigung (und damit auch der EMSIBs) ist, aber zugleich als Faktor der Erfüllung die EMSIBs mitstrukturiert. Die Ambiguität der Erfüllung zu einem Zeitpunkt t 2 lässt sich für eine Modellierung der EMSIBs nutzen, indem vage inferenzielle Gehalte hinsichtlich ihrer signifikativen Erfüllungsbedingungen untersucht werden: (12) I 1 : PETER FÄLLT HIN (t 2 ) (13) I 1 : PETER STOLPERT (t 1 ) (14) I 1 : PETER WIRD GESTO ß EN (t 1 ) (15) I 1 : DIE ERDE BEBT (t 1 ) Die subsentenziale inferenzielle Struktur von (12) demonstriert eine Ereignisdeskription, die kraft der im Verb implizierten prädikativen Struktur evoziert wird. Ereignisdeskription und Ereignissequenz sind hier gegenläufig dargestellt, um die Ambiguität der inferenziellen Relation von (12) zu t 2 zu demonstrieren. Denn (13), (14) und (15) sind zu t 2 verschiedene Erklärungen des in (12) dargestellten Ereignisses und können als EMSIB-Relationen modelliert werden: Aus (12) folgen weder (13), (14) noch (15) notwendigerweise als Ereigniserklärungen. Dennoch schränkt die Ereignisdeskription (12) mögliche Ereigniserklärungen ein bzw. plausibilisiert sie auf Basis des gewählten Verbs. Welche spezifische inferenzielle Relation zur Erklärung von (12) führt, ist aber zu t 2 noch ambig. Die Erklärung kann allerdings in der weiteren diskursiven Praxis explizit gemacht werden. EMSIBs sind also subsentenziale sprachliche Strukturen, die noch darauf warten, durch andere Zeichen erfüllt zu werden. Sie implizieren damit eine latente Signifikanz, die aber mithilfe anderer subsentenzialer inferenzieller Relationen (EMSIFs oder EMSIIs) tatsächlich auf Inferenzketten einwirken kann. Ihnen fehlt allerdings, so könnte man sagen, die “ Festlegung als Hilfshypothese ” (EV: 662), um vollwertige Signifikanzen zu entwickeln. Aus Latenz und Vagheit der EMSIBs folgt jedoch nicht, dass sie im Rahmen der diskursiven Praxis effektlos wären und mangelhafte theoretische Substitute für EMSIFs und EMSIIs seien. Tatsächlich eröffnen EMSIBs gerade einen semantischen und pragmatischen Kontingenzraum. Insbesondere eine sprachliche Handlung wie nachfragen orientiert sich subsentenzial an der Struktur der EMSIBs, sodass die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur hinsichtlich ihrer latenten subsentenzialen Gehalte untersucht und zu den Erfüllungsbedingungen von EMSIBs Stellung genommen werden kann (cf. Kapitel 14.1). EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs stellen damit das logische Äquivalent zu Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten in Brandoms inferenzieller Semantik dar. Sie fokussieren allerdings nicht eine propositionale Ebene, sondern den subsentenzialen Beitrag sprachlicher Zeichen zu dieser Ebene. Die eröffnet andere Möglichkeit linguis- 11 EMSIFs, EMSIIs, EMSIBs 199 tischer Analysen (cf. Kapitel 14 - 16): Ohne die Textebene und deren inferenzielle Gliederung außer Acht zu lassen, kann der Beitrag sprachlicher Zeichen zur Inferenzbildung untersucht werden. Für die hier angestrebte Analyse heißt das: Mit dem theoretischen Vokabular der EMSIFs, EMSIIs und EMSIBs zur Analyse von subsentenzialen inferenziellen Strukturen und Gliederungen, insbesondere prädikativen Relationen und siginfikativen Strukturen, steht nun ein Vokabular bereit, um inferenzielle Aspekte intentionaler Verben zu erfassen. Weil mit diesem theoretischen Vokabular nicht nur semantische Gehalte analysiert, sondern auch andere inferenziell gegliederte Aspekte diskursiver Praktiken erfasst werden kann (hier insbesondere normative und pragmatische Signifikanz), bietet es sich für eine Analyse an. Nicht nur dort, wo es um eine inferenzielle Gliederung sprachlicher Zeichen, sondern auch dort, wo es um deren Verhältnis und Projektion auf andere gehaltvolle Aspekte diskursiver Praktiken geht, entwickelt das theoretische Vokabular explanatorisches Potenzial. Also auch an der Schnittstelle von sprachlichen Zeichen und Handlungen. 200 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben Abstract: Intentional verbs represent the central sign unit of the reflection of discursive intentionality and are analyzed and modeled on the basis of semiotic and inferentialist assumptions. For this purpose, the already established logical conceptual apparatus is extended by relational logic and intentional verbs are distinguished from other verbs. An analysis of intentional relations and the significance of intentional verbs leads to a basic model which can be used for the analysis of action descriptions and their significance in pragmatics. The basic model is then extended to include various types of intentional relations. The concept of discursive roles is introduced in order to describe the pragmatic functions involved, which we identify, for example, as speakers or listeners, and to show the inferential organization of these relations. The basic model also allows us to reflect on the analytical foundations of pragmatics, which is developed on the basis of the significance of intentional verbs and is called verb pragmatics. Zusammenfassung: Intentionale Verben stellen die zentrale Zeicheneinheit der Reflexion diskursiver Intentionalität dar und werden auf Basis der semiotischen und inferenzialistischen Annahmen analysiert und modelliert. Hierzu wird der bereits etablierte logische Begriffsapparat um eine relationale Logik erweitert und intentionale Verben von anderen Verben abgegrenzt. Eine Analyse intentionaler Relationen und der Signifikanz intentionaler Verben mündet in einem Grundlagenmodell, welches für die Analyse von Handlungsdeskriptionen und ihre Signifikanz in der linguistischen Pragmatik verwendet werden kann. Anschließend wird das Grundlagenmodell um verschiedene Typen intentionaler Relationen erweitert. Es wird das Konzept der diskursiven Rolle eingeführt, um beteiligte pragmatische Funktionen, die wir z. B. als Sprecher oder Hörer identifizieren, zu beschreiben und die inferenzielle Gliederung dieser Relationen aufzeigt. Das Grundlagenmodell ermöglicht außerdem die Reflexion der analytischen Grundlagen der linguistischen Pragmatik, die ausgehend von der Signifikanz intentionaler Verben entwickelt und linguistische Verbpragmatik genannt wird. Keywords: intentional verbs, discursive significance, relational logic, inferences, discursive roles, verb pragmatics Schlüsselbegriffe: intentionale Verben, diskursive Signifikanz, relationale Logik, Inferenzen, diskursive Rolle, linguistische Verbpragmatik Die ausführliche Beschreibung der diskursiven Intentionalität und deren Integration in die theoretischen Modelle Brandoms, Shorts und Millikans ist bisher im Rahmen theoretischer Grundlagenforschung positioniert worden, aber ihre spezifische Anwendbarkeit in der linguistischen Pragmatik ist noch erklärungsbedürftig. Im Folgenden soll über die Signifikanz intentionaler Verben ein analytischer Zugang zu Aspekten der Intentionalität, der diskursiven Normen sowie Interlokutoren modelliert werden. Verben im Allgemeinen nehmen nicht nur im Spracherwerb eine besondere Rolle ein (cf. z. B. Verbinselkonstruktionen bei Tomasello 2002: 178 f.), sondern sind für den Erwerb einer Theory of Mind bzw. Theory of Intention ebenfalls relevant (cf. z. B. Beiträge in Astington 2000, Astington/ Baird 2005, Astington/ Harris/ Olson 1988, Zelazo/ Astington/ Olson 1999). Anstatt sich aber ihrer phylo- oder ontogenetischen Relevanz zuzuwenden, soll hier diskursive Signifikanz intentionaler Verben in diskursiven Praktiken analysiert und modelliert werden, welche sowohl pragmatische als auch normative Aspekte umfasst. Diskursive Signifikanz und deren Strukturen leiten sich dabei aus diskursiven Normen ab. Hierunter fallen sowohl diskursuniversale Normen (wie z. B. das Kooperationsprinzip) als auch diskurspezifische Normen, die sich in verschiedenen Praktiken etabliert haben. Diskursive Signifikanz umfasst also die Involviertheit in diskursive - und nicht nur soziale oder kommunikative - Praktiken. Um eine Analyse intentionaler Verben (im Rahmen einer linguistischen Verbpragmatik) vorzuschlagen, soll diskursive Intentionalität zunächst im Rahmen der Analyse des semiosischen Kontinuums etabliert werden. Dabei zeige ich, dass diskursive Intentionalität nicht mit ontologischen Termini erfasst werden kann, aber dennoch im Rahmen einer virtuellen Logik eine Heuristik in diskursiven Praktiken darstellt (cf. Kapitel 12.1.1). Diese Erkenntnis wirkt sich auch auf die Betrachtung von Analysen von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben aus, die auf einer anderen Abstraktionsebene operieren, als es die Analyse von intentionalen Verben tut. Nichtsdestotrotz lassen sich aus einer exemplarischen Diskussion der Analyse von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben Erkenntnisse destillieren, welche für eine theoretisch-analytische Modellierung der Struktur intentionaler Verben relevant sind (cf. Kapitel 12.1.2). Insbesondere die relationale Logik Charles S. Peirces, so zeige ich dann, kann kategoriale Verhältnisse einer sozialen, diskursiven, pragmatischen und normativen Analyse intentionaler Verben präzisieren und intentionalen Relationen eine spezifische phänomenologische Struktur zuweisen (cf. Kapitel 12.2.1). Diese Illustration der Strukturen und Prozesse ermöglicht dann die Rechtfertigung der These, dass weder diskursive Intentionalität noch intentionale Relationen oder Verben transitive Relationen im engeren Sinne sind, sondern sie ihre Transitivität über ihr (inferenzielles) Verhältnis zu anderen Verben erhalten (indirekte Transitivität). Insbesondere eine Interpretation von Vincent Descombes' anthropologischem Holismus (cf. insb. 2001, 2014) kann diese These nicht nur begründen, sondern auch eine weitere theoretische Kontaktstelle zwischen Peirces semiotischem Pragmatismus und Brandoms normativem Sprachpragmatismus herstellen (cf. Kapitel 12.2.2). Nachdem das Konzept der indirekten Transitivität etabliert ist, welches bereits die Involviertheit diskursiver Normen in der Konstitution von intentionalen Relationen theoretisch impliziert, kann ein Grundlagenmodell intentionaler Verben vorgestellt werden, welches die notwendigen, aber basalen Relationen und Relata intentionaler 202 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Verben erklärt. Insbesondere das Subjekt-Objekt-Verhältnis (X und Y) steht dort im Mittelpunkt. Die verschiedenen Elemente sollen mithilfe des bisher eingeführten Vokabulars beschrieben und analytisch zugänglich gemacht werden (cf. Kapitel 12.3). Dass sich dieses Grundlagenmodell aber in der analytischen Praxis nicht als hinreichend erweist, zeigt dann die Differenzierung der intentionalen Relationen in soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen. Hierbei wird durch Bezug auf Millikans Begriff der kooperativen Funktion ein komplexes Geflecht von Relata dargestellt, welches sich nicht auf Subjekt-Objekt-Relation reduzieren lässt. Insbesondere für die Analyse von sozialkommunikativen Praktiken sind diese intentionalen Verben mit sozialen, kooperativen und kollektiven Funktionen besonders aufschlussreich (cf. Kapitel 12.4). Ganz im Sinne des Inferenzialismus veranschauliche ich außerdem, dass sich intentionale Verben nicht immer einwandfrei hinsichtlich ihrer Involviertheit von diskursiver Intentionalität analysieren lassen. Vielmehr weisen viele Verben nur nach inferenzieller Anreicherung eine Signifikanz diskursiver Intentionalität auf. Hier greift einerseits das Konzept der signifikativen Suffizienz und andererseits das theoretische Vokabular von subsentenzialen inferenziellen Relationen (EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs). Indem ich die intentionalen Relationen hinsichtlich der subsentenzialen inferenziellen Relationen unterscheide, kann ich analysieren, welche Verben tatsächlich über eine signifikative Struktur verfügen, die die Involviertheit von diskursiver Intentionalität in diskursiven Praktiken ermöglicht (cf. Kapitel 12.5). Die Darstellung der relationalen Logik der intentionalen Relationen, der indirekten Transitivität sowie die Modellierung intentionaler Verben und deren Expansion mithilfe sozialer, kooperativer und kollektiver intentionaler Relationen und der subsentenzialen inferenziellen Gliederung führt dann zu einem ersten Entwurf einer linguistischen Verbpragmatik. Diese bildet das zu etablierende Forschungsprogramm und kann zeigen, welche Verben diskursive Intentionalität signifizieren bzw. die entsprechenden diskursiven Normen (im Modell) attrahieren 1 , die zur Beurteilung von Verhalten, Sachverhalten und Personen verwendet werden. Dieses Programm einer linguistischen Verbpragmatik unterscheidet sich dabei von verbsemantischen, -syntaktischen, und -grammatischen Analysen, weil es Effekte diskursiver Normen in den Mittelpunkt stellt. Es soll einen neuen Zugang zur Analysierbarkeit von sprachlichen, kommunikativen und sozialen Prozessen bieten, der über die Struktur des Verbs hinaus auch Interlokutoren und Diskursakteure, Handlungsstrukturen und diskursive Normen offenlegen kann (cf. Kapitel 12.6). 1 Der Begriff der Attraktion wurde bereits in Kapitel 3.1.2 eingeführt, soll hier aber kurz wiederholt werden: Attraktionen führen (kraft intentionaler Verben) dazu, dass etwas (Verhalten) oder jemand (Personen) an diskursiven (und zeitlich-räumlichen) Positionen des semiotischen Kontinuums durch entsprechende diskursive Normen beurteilbar wird. Damit ähnelt der Begriff dem Konzept des Deutungsmusters bzw. Interpretationsschemas, ist aber ein Modellbegriff, der unterhalb der tatsächlichen Interpretationsebene strukturstiftende Momente zu erfassen sucht. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 203 12.1 Intentionale Verben - Spezifische Logik und affine Verbanalysen Intentionale Verben nehmen einen zentralen Status in der Analyse diskursiver Intentionalität ein. Um ihre Funktion in diskursiven Praktiken zu erklären, ist allerdings etwas Vorarbeit nötig. Denn intentionale Verben, wie sie im Weiteren entwickelt werden, folgen einer eigenen Signifikanzlogik. Diese Logik, die diskursiver Intentionalität und damit auch intentionalen Verben eine spezifische Funktion im Verstehen von Verhalten als Handlung zuweist, soll in diesem Kapitel demonstriert werden, um intentionale Verben anschließend von anderen bedeutungsähnlichen Verbbegriffen anzugrenzen. Damit können intentionale Verben als diskursive Elemente etabliert werden, die implizit Kraft entfalten. Die folgende Beschreibung und Modellierung intentionaler Verben findet damit nicht nur im Rahmen einer Analyse diskursiver Praktiken statt, sondern soll entlang einer bestimmten Erkenntnislogik entwickelt werden. Was vielleicht wie eine weitere theoretische Schleife wirkt, erklärt sich insbesondere dann, wenn man den Begriff der Intentionalität mit dem Begriff der Intention kontrastiert: Intentionen sind spezifische mentale Strukturen und Prozesse, die bestimmten ontologischen Annahmen unterworfen sind. Diskursive Intentionalität hingegen entfaltet sich entlang einer spezifischen Logik, die die Involviertheit diskursiver Normen priorisiert und damit deontologisch ist. Es handelt sich also um zwei unterschiedliche Perspektiven auf Sachverhalte der Wirklichkeit, die im Rahmen einer Analyse diskursiver Praktiken aber eine immanente Gliederung aufweisen. Aufgrund dieses Kontrasts muss diese Logik erkenntnistheoretisch skizziert und deren Konsequenzen zur Modellierung der diskursiven Intentionalität berücksichtigt werden. Dabei wird sich zeigen, dass diskursive Intentionalität eine diskursive Heuristik ist, deren virtuelle Logik sich aus einer doppelten Abstraktion, Abstraktion zweiter Ordnung bzw. hyperonymischen Abstraktion ergibt. Diese Entwicklung des deontisch-diskursiven Status von Intentionalität muss dann bei der Darstellung verschiedener und den intentionalen Verben durchaus affinen Verbanalysen herangezogen werden, wenn es etwa um diskursive Involviertheit von Intentionen und Intentionalität geht. Die Darstellung dieser Verbanalysen unterstützt einerseits die Abgrenzung zu anderen Theorien, zeigt aber zugleich Ähnlichkeiten auf. Insgesamt hilft die Betrachtung verschiedener Verbanalysen außerdem, das theoretische Feld intentionaler Verben zu begründen, ohne dabei die Möglichkeiten der Analyse von z. B. Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben zu vernachlässigen. Am Ende können somit nicht nur strukturelle und prozessuale Analogien erfasst, sondern auch theoretische Konsequenzen für das weitere verbpragmatische Forschungsprogramm formuliert werden. 12.1.1 Virtuelle Logik, diskursive Heuristik und hyperonymische Abstraktion Bevor ich mich der diskursiven Signifikanz intentionaler Verben zuwenden kann, möchte ich zunächst den Erkenntnisprozess und dessen Logik nachzeichnen, welche die Signifikanz diskursiver Intentionalität erkennbar machen. Diese Erklärung ist insofern notwendig, als dass sie den besonderen epistemischen Status diskursiver Intentionalität markiert. Denn wenn bisher, hier und im Folgenden von diskursiver Intentionalität gesprochen wurde, dann geht es nicht um Objekt, dass man anschauen oder wenden kann. Diskursive 204 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Intentionalität sollte vielmehr als eine auf diskursiven Normen beruhende Heuristik verstanden werden. Mithilfe einer auf Virtualität beruhenden Logik lässt sich diese Heuristik als aus Abstraktion bestehend verstehen, die auf der diskursiven Normativität unserer Praktiken beruht. Dieses epistemologische Verständnis von diskursiver Intentionalität schließt einerseits an Brandoms Verständnis von Intentionalität und der Involviertheit diskursiver Normen an, fusst aber zugleich auch auf Peirces Inferenz- und Zeichenbegriff als eine Art von Typenbildung. Ein Konzept virtueller Logik protegiert das Konzept der hyperonymischen Abstraktion, die veranschaulicht, dass diskursive Intentionalität nicht als ein Element von Kognition verstanden werden sollte, sondern dass sie verschiedene kognitive Heuristiken transversal durchzieht. Diese epistemologische Beschreibung diskursiver Intentionalität bestärkt das Argument eines Perspektivwechsels, der mit der Analyse diskursiver Intentionalität einhergeht: Diskursive Intentionalität ist weder semantischer noch kognitiver Gehalt, sondern signifikativ und damit ein Element dynamischer Erklärungsstrategien von Verhalten als Handlung. Wenn Brandom Intentionalität (mithilfe seiner Ontologie-Deontologie-Dichotomie) als deontisches Element diskursiver Praktiken erfasst, heißt das, dass sich deren Signifikanz nicht aus Verhalten ableiten lässt. Dennoch ist sie als Erklärungsstrategie im Rahmen diskursiver Praktiken nicht nur vorstellbar, sondern schlichtweg unerlässlich, um an dieser Praxis teilnehmen zu können. Dieser Erkenntnisprozess folgt daher zwei Annahmen: 1. Diskursive Intentionalität existiert nicht. Wenn Intentionalität also vorausgesetzt oder präsupponiert wird, dann handelt es sich um die Voraussetzung/ Präsupposition eines Abstraktums sowie dessen virtueller Logik. 2. Auch wenn diskursive Intentionalität im engeren Sinne nicht existiert, ist sie doch als diskursive Heuristik notwendig, um spezifische Ereignisse (hier insbesondere Verhalten) in diskursiven Praktiken zu erklären. Ausgangspunkt der folgenden Argumentation ist die begründete Überzeugung, dass Wirklichkeit ein differenter Ereignisraum ist, dessen signifikante Wahrnehmbarkeit kraft seiner Prägnanz, die “ dem Vorhandenen Bedeutung gibt ” (Brandt 2009: 106), entsteht. Entlang gestaltpsychologischer und phänomenologischer Prinzipien werden mannigfaltige Ereignisse kraft ihrer Prägnanz zu Zeichen. In diesem Ereignisraum finden nun Zeichenprozesse statt, die sich z. B. nach experimenteller, empirischer oder introspektiver Methode untersuchen lassen. Einige dieser Zeichenprozesse sind mit bloßem Auge wahrnehmbar und erkennbar, auch wenn nicht notwendigerweise ihre theoretischen Voraussetzungen verstanden werden müssen (z. B. bei Gravitation). Wenn man nun die epistemologische Granularität erhöht und Zeichenprozesse wählt, die mit menschlichen Sinnesapparaten nicht mehr hinreichend zugänglich sind, sondern Instrumente erfordern (z. B. Photo- oder Biosynthese), lassen sich diese Zeichenprozesse theoretisch ausdifferenzieren (cf. z. B. Hoffmeyer 2008), ohne dabei die Naturhaftigkeit dieser Prozesse zu bezweifeln. Das Verhältnis von Erkenntnisobjekt und theoretischer Modellierung bleibt distinkt. In einigen Momenten stößt man nun an Erkenntnisschwierigkeiten, da die untersuchten Erkenntnisobjekte nicht auf kausalen Naturprozessen, sondern auf normativen Prozessen beruhen. Sie sind nicht mehr unver- 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 205 mittelt zugänglich, sondern erfordern das Wissen über Regeln, Konventionen und Normen (im Sinne des knowing how), um ihre Zeichenhaftigkeit zu erfassen. Zu diesen Zeichen gehören auch viele kognitive Zeichenprozesse, die sich in ihrer Mannigfaltigkeit ereignen. Zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten finden diese Prozesse statt, sodass es eine Aufgabe der Forscher, Laien oder Experten ist, von einer zeitlich-räumlichen Dimension zu abstrahieren und die Ereignispraktiken zu bündeln. Hierzu müssen Forschende über eine Fähigkeit verfügen, die man im Sinne Jan Georg Schneiders als “ Typenbildungskompetenz ” (2009: 65 f.) bezeichnen könnte. Aus dem differenten Zeichenereignisraum lassen sich damit unterschiedliche Zeichenvorkommnisse unter Zeichentypen fassen. Es werden also Ähnlichkeiten aus den Zeichenvorkommnissen geschlussfolgert, um einen Typ aus der Zeichenpraxis zu erlernen. Dieses Schlussverfahren, das für die Analogiebildung zuständig ist, ist erkenntniserweiternd, sodass man von Ikonizität kraft Abduktion sprechen kann (cf. Minnameier 2010). Für spezifische kognitive Prozesse gilt: Zutage treten unterschiedliche Typen wie Überzeugung, Wunsch, Wissen oder Hoffnung, die sich systematisch durch ihre Differenz zueinander, aber auch durch ihre Analogie auszeichnen. Während sich Überzeugung und Wissen z. B. durch ihren epistemischen Status unterscheiden, gleichen sich Überzeugungen untereinander (als Zeichenvorkommnisse) in diesem, nehmen aber unterschiedliche Ereignisgestalten an, haben z. B. unterschiedliche semantische oder propositionale Gehalte. Diese abduktive Abstraktion, welche differente Ereignisse in einer ikonischen Relation zusammenführt, ist die erste notwendige Inferenz zur Heuristik diskursiver Intentionalität, eine Abstraktion erster Ordnung. Nachdem Forschende aus kognitiven Zeichenprozessen unterschiedliche Typen gebildet haben und sie nach Ikonizitätsprinzipien miteinander (Typ-Token-Relation) einerseits und der Differenz untereinander (Typ-Typ-Relation) andererseits klassifiziert haben, ist eine weitere epistemische Inferenz notwendig, um diskursive Intentionalität als Bedingung der Möglichkeit der Abstraktion erster Ordnung zu erkennen. Sie ist zwar bereits in der Abstraktion vom Zeichenereignisraum zur Typenbildung aufgehoben, muss aber expliziert werden: Die unterschiedlichen Typen, die aus dem Zeichenereignisraum expliziert wurden, sind nicht vollkommen unterschiedlich, sondern besitzen Eigenschaften und Merkmale, die sich abermals ähneln. Diese Erkenntnis rechtfertigt aber nicht die Bildung eines weiteren Typs, weil die analytische Präzision der Erkenntnis bei der Subsumierung verloren geht. Es wird also kein Typ der Typen (Metatyp) abduziert und damit die vorhergehende Typ-Token- Relation aufgelöst, sondern ein Typ von Eigenschaften und Merkmalen, der Token dieser Typ-Typ-Relation verbindet: Die Typen Überzeugung, Wunsch, Wissen und Hoffnung verbindet die Kategorie der Intentionalität, sodass Intentionalität als transversale Eigenschaft der Typen abstrahiert werden kann. Da hier nicht ein übergeordnetes Konzept, sondern lediglich Begriffe der Konzepte in Ähnlichkeitsrelation gebracht werden, kann diese zweite Abstraktionsebene auch hyperonymische Abstraktion genannt werden. Die hyperonymische Abstraktion ist damit eine Abstraktion zweiter Ordnung, die Niklas Luhmanns Beobachtung zweiter Ordnung (cf. z. B. Luhmann 1997) strukturell ähnelt und sich erst auf Basis der Beobachtung der Typen bildet. Diskursive Intentionalität ist damit kein Phänomen der Wirklichkeit im ontologischen Sinne, sondern ein Abstraktionsobjekt, welches kraft Hyperonymbildung entsteht. Sie produziert sich in abduktiver Analogiebildung. 206 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Abb. 5: Inferenzen vom Zeichenereignisraum zum Abstraktionsobjekt Aus der Akzeptanz dieses Modells, welches darstellt, wie diskursive Intentionalität aus hyperonymischer Abstraktion entsteht (und zwar für Forschende, TheoretikerInnen, aber auch für DiskursteilnehmerInnen), lässt sich je nach erkenntnistheoretischer wie theoriebildender Präferenz Folgendes ableiten: Entweder akzeptiert man den epistemischen Status der diskursiven Intentionalität, lehnt aber die weitere theoretische wie methodische Analyse der Intentionalität ab, da sie nur eine Abstraktion zweiter Ordnung sei. Man folgt damit Annahme 1., lehnt aber Annahme 2. (zumindest implizit) ab. Alternativ akzeptiert man den Erkenntnisgewinn, der in einer solchen Abstraktionsleistung auch für diskursive Praktiken liegt. Ein solcher Erkenntnisgewinn entsteht insbesondere dann, wenn man die Argumentation vom Ereignisraum zur hyperonymischen Abstraktion umkehrt und den Erkenntnisprozess von Intentionalität zum differenten Ereignisraum betrachtet: Wer erkennt, dass diskursive Intentionalität eine kraft Typenbildung und hyperonymischer 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 207 Abstraktion entstandene Heuristik ist, der kann kaum bezweifeln, dass sich die Heuristik auf allerlei Zeichenprozesse im Ereignisraum (z. B. Verhalten) anwenden lässt. Diese methodologische wie erkenntnistheoretische Kehre zeigt, dass auch, wenn Intentionalität nicht realiter notwendig ist, sie doch als analytische Rekonstruktion Erklärungen von Verhalten liefern kann. Wenn es eine Menge kognitiver Zeichenprozesse gibt, die sich als Zeichenvorkommnisse unterscheiden, aber die Eigenschaft der diskursiven Intentionalität teilen, dann lässt sich ebenso festhalten, dass die Existenz, die kraft der analytischen Rekonstruktion entsteht, die Bedingung ist, um sie überhaupt in Ähnlichkeitsrelationen setzen zu können bzw. voneinander abgrenzen zu müssen. Denn Abgrenzungen sind nur dort notwendig, wo zwei Zeichen oder Zeichenprozesse potenzielle Ähnlichkeiten aufweisen: Zahnbürsten und Froschlaich müssen schlichtweg nicht voneinander abgegrenzt werden, da bereits vor dem Erkenntnisprozess keiner Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den beiden Entitäten besteht, sieht man von ontologischen Bedingungen wie Existenz einmal ab. Intentionalität ist damit eine Bedingung der Möglichkeit (cf. Kant 1997), um überhaupt die systematischen Analogien differenter kognitiver Zeichenprozesse in diskursiven Praktiken zu erfassen. Erst durch die analytische Präsenz von Intentionalität als kompositionales Element lassen sich dann auch unterschiedliche kognitive Zeichenprozesse verstehen, die eine gemeinsame Eigenschaft teilen. Die Typen intentionaler Einstellungen sind unterschiedliche Zeichenereignisse, stehen aber gerade in ihrer Variation des gleichen Abstraktionsthemas in einer sie konstituierenden Differenz. Eine entsprechende Analyse diskursiver Intentionalität kann nun aber nicht auf ihrem Abstraktionsobjekt verweilen, sondern muss sich sowohl der Typen als auch der Token bedienen, aus der sich das Abstraktionsobjekt erkenntnistheoretisch ergeben hat. Eine Analyse diskursiver Intentionalität, die ihren erkenntnistheoretischen Prozess vergessen hat, gerät in die Gefahr, zum Abstraktionsthema ohne Variationen zu werden und die entsprechenden Erkenntnisse nicht mehr in Hinblick auf die Praxis der Zeichentypen und -token zu betrachten. Hierzu ist eine Zeichenlogik notwendig, die die Intentionalität der Zeichenvorkommnisse von anderen Zeichen unterscheidet und gleichzeitig über die spezifischen propositionalen Einstellungen hinaus das Abstraktionsobjekt analysiert. Diese Zeichenlogik muss einen Schritt weitergehen als Jacques Derrida (2001: 40), welcher ein Typ-Token-System nur für spezifische intentionale Einstellungen fordert, also in einer Abstraktion erster Ordnung verbleibt: Eine Logik der Intentionalität muss nicht nur Intentionen, sondern auch andere Typen von intentionalen und propositionalen Einstellungen analysieren können. Um sowohl dem Faktum Rechnung zu tragen, dass Intentionalität ein Abstraktionsobjekt zweiter Ordnung, aber zugleich eine Bedingung der Möglichkeit ist, muss eine solche Logik durchaus dialektisch entwickelt werden. Setzt sie zu formal an, dann vergisst sie, die Mannigfaltigkeit der Zeichenpraxis zu berücksichtigen, setzt sie allein am Zeichengebrauch an, entgleitet ihr die Abstraktion. Eine Möglichkeit, weder im Formalen noch im Konkreten zu verweilen, ist, eine virtuelle Zeichenlogik zu entwickeln, die dem Zwischenraum dieses Spektrums Rechnung trägt. Um den Begriff der Virtualität zu erfassen und in Einklang mit einem semiotischen Pragma- 208 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben tismus zu bringen, ist ein Blick in das Dictionary of Philosophy and Psychology (1902) sinnvoll, in welchem Peirce das Adjektiv virtual definiert: (1) A virtual X (where X is a common noun) is something, not a X, which has the efficiency (virtus) of an X. This is the proper meaning of the word; but (2) it has been seriously confound with ‘ potential, ’ which is almost is contrary. For the potential X is of the nature of X, but is without actual efficiency. (V: 763, Hervorh. im Original) Die Differenz von Virtualität und Möglichkeit ist ganz im Sinne der hyperonymischen Abstraktion, da Möglichkeiten auf der Ebene der Zeichenvorkommnisse anzusiedeln sind. Möglichkeiten ähneln damit den Qualizeichen, die allein der Qualität von Zeichen dienen, aber ihre Ereignishaftigkeit nicht markieren (PLZ: 123) und damit eine “ bloße Möglichkeit ” (PLZ: 60, Hervorh. im Original), eine “ Erstheit ohne Zweitheit ” (ebd.) sind. Virtualitäten sind keine Möglichkeiten, sondern stellen vielmehr eine als ob-Modalität dar, ohne sie als Derivat zu betrachten. Im Sinne einer Logik der Intentionalität sollte man also so analysieren, als sei Intentionalität realiter vorhanden - und sie ist es tatsächlich auch innerhalb der virtuellen Logik diskursiver Praktiken - , muss sich aber stets bewusst sein, dass Intentionalität innerhalb dieser spezifischen Modalität operiert. Die virtuelle Logik der Intentionalität unterscheidet sich damit auch von der Virtualität in Ferdinand de Saussures Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, der die Virtualität sprachlicher Zeichen als deren vorgängige Systematizität versteht, die “ in jedem Gehirn existiert ” (Saussure 2001: 16). Die virtuelle Logik der Intentionalität muss sich aus den Normen diskursiver Praktiken ergeben und ist damit diskursiv motiviert. Virtualität wird demnach als Zeichenmodalität im Gebrauch konstituiert, die zwischen einer in actu- Wirklichkeit der Zeichen und der Logik liegt. Die virtuelle Logik und das Konzept der hyperonymischen Abstraktion können also aufzeigen, welche Status diskursive Intentionalität als Heuristik hat: Sie dient einerseits der Differenzierung zwischen diskursivierten Objekten und anderen Objekten, gliedert aber zugleich auf die diskursivierten Objekte. Diskursive Intentionalität durchzieht einige dieser Erkenntnisobjekte, z. B. propositionale Einstellungen, als Signifikanz diskursiver Normen. Mit dieser Differenzierung und Gliederung von diskursiver Intentionalität geht einher, dass diskursive Intentionalität nicht unmittelbar gesucht, gefunden oder betrachtet und damit auf rein kognitive Aspekte reduziert werden kann. Denn die Gliederung auf Basis diskursiver Normen bedeutet auch, Intentionalität als sozial-kommunikative Emergenz zu begreifen, die allenfalls als Spur zugänglich ist. Die Analyse intentionaler Verben sowie das Verständnis von Intentionalität als diskursiver Signifikanz, wie sie in Kapitel 12 verfolgt wird, beruht eben auf dieser grundlegenden Annahme. 12.1.2 Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologische Verben und phänomenologische Intentionalitätsverben Im Mittelpunkt der folgenden Analyse steht das Konzept des intentionalen Verbs. Während die bisherigen Reflexionen insbesondere die Eigenschaftsstatus von diskursiver Intentionalität beleuchtet haben, wird in diesem Kapitel das Verb als Zeichen diskutiert. Die Beschreibung der virtuellen Logik und der hyperonymischen Abstraktion wird hierzu auf Zeichen angewandt, die als Verben gelten können, also nicht nur Verben in ihrer grammatischen Form, sondern auch Deverbalisierungen. Über die Sondierung verschie- 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 209 dener Theorien, in denen Verben eine wichtige Rolle spielen, möchte ich aufzeigen, dass ein Blick auf Verben, der durch virtuelle Logik geschieht, zu anderen semiotischen Konsequenzen in der Analyse diskursiver Intentionalität führt, eine Perspektive, die ich in weiteren Kapiteln erarbeite. Im Folgenden geht es aber zunächst darum, das Konzept des intentionalen Verbs als distinkt zu etablieren. Sprechakttheorie und Verbsemantik haben auf unterschiedliche Weisen Verbanalysen durchgeführt und betrachten außerdem das Verhältnis von Verben, Handlungen und Kognition. Insofern könnte sich eine Analyse der diskursiven Signifikanz von intentionalen Verben bereits auf eine ausführliche und differenzierte Tradition berufen. Dass aber weder Sprechaktnoch Verbanalyse bisher eine Klasse intentionaler Verben entwickelt haben, die der hier beschriebenen virtuellen Zeichenlogik folgen, werde ich bei einer exemplarischen Darstellung verschiedener wissenschaftlicher Erkenntnisse im Umfeld von Handlung, Verb und Kognition zeigen. Trotz nuancierter Unterschiede können sie die Modellierung und Analyse intentionaler Verben aber grundlegend bereichern und positionieren die Verbpragmatik gleichzeitig im wissenschaftlichen Feld. Schon John Austin entwickelt in Anschluss an seine Sprechakttheorie eine Analyse von Verben, “ die die illokutionäre Rolle einer Äußerung explizit machen ” (Austin 2002: 168, Hervorh. im Original). Abgesehen von Austins intentionalistischer Orientierung zeigt er auf, dass Verben für einen Hinweis auf Illokutionen einen entsprechenden Wert haben. Austins Klassifizierung in verdiktive, exerzitive, kommissive, konduktive und expositive Äußerungen (cf. Austin 2002: 168 f.) stellt eine ausführliche Liste von Sprechakttypen dar und führt auch eine Liste von Verben an, die die jeweiligen Sprechakte anzeigen. Insofern erscheint Austins Analyse von Sprechaktverben zunächst als ein ausgezeichneter Beginn zur Analyse intentionaler Verben. Trotz der offensichtlichen Verbundenheit von Sprechaktverben und intentionalen Verben sind diese nicht kongruent, was sich u. a. am vorgeschlagenen Test zur Analyse sprachlicher Performanz Austins erkennen lässt. Austin schlägt vor, Verblexika zu nutzen und die extrahierten Verben in die erste Person Indikativ Präsens Aktiv zu setzen, um zu untersuchen, ob sie Sprechakte explizieren (cf. Austin 2002: 168). Dieser Test scheint für sprechakttheoretische Zwecke zunächst angemessen, weil er die illokutionäre Kraft zunächst von sprachlichen Zeichen entkoppelt, ihnen aber eine Hinweisfunktion zuweist. Verblexika könnten durchaus hilfreich sein bei einer Untersuchung der Lemmata, weil sie von diskursiven Praktiken unabhängig sind. Intuitiv scheint dieser Test auch auf intentionale Verben (oder zumindest eine Teilklasse dieser) anwendbar zu sein, doch erweist sich dieser Test aus mehreren Gründen als nicht hinreichend: Bereits anhand der Unterscheidung der fünf Sprechaktklassen ist zu erkennen, dass Austin mit seinem Test formelhafte Äußerungen (mit integriertem Verb) hinsichtlich ihrer illokutionären Rolle untersucht. Verben dienen dabei lediglich als Hinweismarker. Damit analysiert Austin Äußerungen und deren Verhältnis zu illokutionären Rollen, aber nicht sprachliche Zeichen auf subsentenzialer Ebene. Anstatt pragmatische, normative, diskursive bzw. performative Signifikanz von sprachlichen Zeichen zu betrachten, verbleibt Austin auf propositionaler Ebene der Äußerungen. Die Markierung der illokutionären Rollen mithilfe des Verbs wird in Austins Test (ganz im Sinne des Fokus auf die propositionale Ebene) durch die Integration eines latenten Personmarkers ergänzt, welcher mittels des Verbs entweder die erste Person Indikativ 210 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Präsens Aktiv oder alternativ die zweite oder dritte Person (Singular und Plural) im Passiv (Austin 2002: 77) ist. Während ersterer eine Handlungsposition eindeutig markiert, ist diese in den Passivkonstruktionen zumindest latent vorhanden. Hiermit findet die strukturelle Vorgeordnetheit der illokutionären Rolle seine sprecherInzentrierte Erfüllung, sodass die performative Signifikanz der Sprechaktverben bei Austin sich nicht aus dem Verb selbst, sondern aus der Positionierung von Sprechern ergibt. Insofern ist Austins Sprechakttest im engeren Sinne keine Analyse von Sprechaktverben, sondern vielmehr eine indiziengeleitete Beschreibung von Äußerungen und ihren illokutionären Rollen, wobei auch hier eine Kritik an der Vorkodierung der Verben greift (cf. Henn-Memmesheimer 2006: 203, Kapitel 7.2). Die Markierung der ersten Person Indikativ Präsens Aktiv als auch der zweiten und dritten Person im Passiv ist theoretisch keineswegs so unschuldig, wie es der Test Austins nahelegt, sondern hat signifikative Folgen für die pragmatische Signifikanz von Äußerungen. Wenn die Markierung auf Interlokutoren verweist (wie im Test Austins), dann impliziert diese bereits diskursive Intentionalität, weil sie als interpretierende intentionale Systeme* (IIS) anerkannt werden. Es kann nicht mehr zwischen einer pragmatischen Signifikanz des Verbs und einer vorgeordneten Intention unterschieden werden. Mit Austins Test kann außerdem zwar - mehr oder weniger genauer - bestimmt werden, welche Äußerung mithilfe des entsprechenden Verbs welcher Sprechaktklasse zugewiesen werden kann, doch bleiben inferenzielle Folgen und Umstände der Äußerung (abgesehen vom perlokutionären Effekt) ausgeklammert. Eine Analyse von Sprechaktverben legt letztlich erst Zeno Vendler vor, indem er seine Klassifikation der Aktionsarten (cf. hierzu Vendler 1957) 2 auf Sprechaktverben überträgt. Während Austin noch bei Äußerungen und ihren illokutionären Rollen ansetzt, untersucht Vendler tatsächlich Verben, sodass sich die Perspektive bei Vendler vom Sprechakt auf die Struktur des Verbs verschiebt. Vendler stellt fest, dass Austins performative Verben den Verben von propositionalen Einstellungen ähneln würden, denn sie würden neben der Nominativposition nicht nur ein einfaches Substantiv bzw. Objekt, sondern auch einen (latenten) subordinierten Satz fordern (cf. Vendler 1972: 11). Hinsichtlich der Aktionsart allerdings würden sich performative Verben von Verben propositionaler Einstellungen unterscheiden. Während erstere achievement verbs seien, seien zweitere state verbs (cf. Vendler 1972: 14). Andere achievement verbs wie erkennen hingegen, die propositionale Einstellung bzw. subordinierte Sätze involvierten, würden aber nicht zur Klasse der performativen Verben gehören (cf. Vendler 1972: 15). Somit lasse sich ein Verhältnis zwischen Aktionsarten, performativen Verben und Verben propositionaler Einstellungen feststellen: Alle performativen Verben würden propositionale Einstellungen involvieren, sodass sie sich unter die Klasse der propositionalen Einstellungsverben subsumieren lassen, wobei sich die Klasse wiederum binnendifferenziert: “ (a) performatives, with achievement time-schema and unmodified first person singular present occurrence; (b) the decide-group with the same time-schema but no such present occurrence; (c) propositional attitude verbs with the state time-schema ” (Vendler 1972: 16, Hervorh. i. Orig). Zu (a) gehören demnach 2 Vendler unterteilt Verben in Verbs and Times (1957) in vier Aktionsarten: Activities sind dynamisch, durativ und atelisch (ohne Kulminations- oder Endpunkt des Ereignisses), accomplishments sind dynamisch, durativ und telisch (mit Kulminations- oder Endpunkt des Ereignisses), achievements sind dynamisch, punktuell und telisch und states sind statisch, durativ und atelisch. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 211 performative Verben wie behaupten, schwören oder warnen, zu (b) entscheiden, erkennen, verstehen oder identifizieren, die zwar Ähnlichkeiten zu performativen Verben aufweisen, aber keine Kopräsenz von Verb und Performanz erfordern, und zu (c) propositionale Einstellungsverben wie denken, glauben oder wünschen. Vendlers Erweiterung der Verbanalyse auf propositionale (Einstellungs-)Verben ist erkenntnisfördernd, weil sie sich von illokutionären Rollen und Sprechakten distanziert und allgemeinere Verbanalysen ermöglicht. Sie zeigt, dass sich Involviertheit von propositionalen Einstellungen und Gehalten nicht auf performative Verben bzw. den Handlungsvollzug beschränkt. Auch wenn Vendlers Klassifikation von propositionalen Einstellungsverben in Teilen skizzenhaft bleibt, ermöglicht sie doch die Analyse ohne Rekurs auf die erste Person Singular Aktiv Präsens respektive Passiv der zweiten und dritten Person. Damit kann sich ganz der Signifikanz des Verbs gewidmet und weitere, dem Verb eher externe grammatische Markierungen, können zunächst vernachlässigt werden. Trotz einer ausführlichen Analyse propositionaler Einstellungsverben lässt sich Vendlers Verbanalyse nur bedingt auf intentionale Verben anwenden. Vendler beschränkt sich zurecht mit seiner Unterscheidung von performativen und propositionalen Verben auf Ereignisse und Ereignistypen, wenn er seine Aktionsartenkategorien auf diese anwendet. Die Logik intentionaler Verben hingegen lässt sich nicht auf die Aktionsarten Vendlers beschränken, sondern ist kraft ihrer normativen Struktur diskurssensibel, sodass Aktionsarten nicht lexikalisch zugeordnet werden können. Die Abstraktion der Typenbildung, wie sie Vendler betreibt, reicht zur Erfassung intentionaler Verben nicht aus, sondern muss um eine Abstraktionsebene ergänzt werden, um als diskurssensitive Heuristik erklärt zu werden. Letztlich lässt sich für jede Aktionsart auch ein intentionales Verb finden, wobei die meisten (insbesondere bei praktischen Festlegungen) wohl activities, accomplishments und ggf. noch achievements sind. Intentionale Verben können aber auch states sein (z. B. schweigen). Dies liegt daran, dass die Ereignisstruktur und -deskription, die das Vokabular der Aktionsarten leisten sollen, sich auf Ebene der Ereignisverursachung und nicht auf der Ebene der normativen und pragmatischen Signifikanz bewegen. Es werden Strukturen einer Ereignissemantik erklärt, aber nicht die Effekte einer diskursiven Signifikanz in diskursiven Praktiken. Die fehlende Analyse der normativen und pragmatischen Signifikanz von Verben und ihrer diskursiven Rollen lässt sich auch in einer kognitionslinguistischen Nachfolge Zeno Vendlers nachzeichnen: William Croft (2012: 173 f.) entwickelt z. B. mithilfe von Leonard Talmys Force-Dynamic Relations (cf. z. B. Talmy 1976, 1988) eine Theorie der kognitiven Argumentrealisation. Das Konzept der volitionalen Kausation, welches die prototypische semantische Rolle AGENS impliziert (cf. auch Dowty 1991), zeichnet sich z. B. nicht durch diskursive Normen aus, sondern durch mentale Verursachung mit einem physikalischen Folgeereignis: “ Volitional causation: mental initiator, physical endpoint ” (Croft 2012: 200, Hervorh. im Original). Hier greift der bereits eingeführte Unterschied zwischen Ereignisverursachung durch Volition und diskursiver Intentionalität (cf. Kapitel 6.3) Im deutschsprachigen Raum haben sich insbesondere Gisela Harras et al. (cf. z. B. Grabowski/ Harras/ Herrmann 1996, Harras 2001 b, Harras 2004, Harras et al. 2004, Harras/ Winkler/ Proost 2004, Proost 2006, 2007, Proost/ Winkler 2006, Proost/ Harras/ Glatz 2006) 212 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben um die konzeptuelle Ausarbeitung von propositionalen Verben, performativen Verben, Kommunikations- und Sprechaktverben verdient gemacht (cf. jüngst aber auch Harendarski 2021 a). Im Rahmen der Forschungsprojekte Erklärende Synonymik kommunikativer Ausdrücke und Tendenzen der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte wurde nicht nur ein wesentlicher Beitrag zu kategorialen Aspekten von Kommunikationsverben geleistet. Vielmehr sind diese Verben auch im Handbuch deutscher Kommunikationsverben zusammengeführt worden. Das Handbuch bietet dabei nicht nur einen Verbkorpus, sondern systematisiert auch die illokutionären Kräfte, die von Verben markiert werden. In Anschluss an sprechakttheoretische Vorannahmen, die sich insbesondere in Kommunikationsverben. Konzeptuelle Ordnung und semantische Repräsentation (Harras 2001 b) finden lassen, fasst die Kommunikationsverbanalyse vier wesentliche kategoriale Aspekte: 1. den Aspekt des propositionalen Gehalts 2. den Aspekt der propositionalen Einstellung des Sprechers 3. den Aspekt der intentionalen Einstellung des Sprechers 4. den Aspekt der Vorannahmen des Sprechers (cf. Harras 2001 a: 28) Die Analyse von Kommunikationsverben entfällt also insbesondere auf die verschiedenen propositionalen Einstellungen und Gehalte, wobei die intentionale Einstellung ebenso wie die Vorannahmen (z. B. in Form von Hintergrundüberzeugungen) gesondert aufgeführt werden. Die verschiedenen illokutionären Kräfte und perlokutionären Effekte ergeben sich dann aus den verschiedenen Aspekten. Hier gliedern sich die verschiedenen Aspekte von Kommunikationsverben nicht nur aus, sondern bieten auch einen systematischen Überblick über die Vielfalt von Verben in diskursiven Praktiken. Nichtsdestotrotz ist auch die Übernahme der Analyse der Kommunikationsverben für intentionale Verben nur bedingt möglich. Zwar markiert die Forschungsgruppe um Gisela Harras die unterschiedlichen Einstellungen und Gehalte, die für Kommunikationsverben relevant sind, doch ist die SprecherInzentrierung nicht nur latent, sondern ganz explizit ein Element der verbanalytischen Aspekte. Kommunikationsverben dienen damit auch hier als kommunikative Indizien für tatsächlich wirksame propositionale sowie intentionale Einstellungen und Gehalte. Zugleich besteht das Interesse in der Beschreibung spezifischer Kommunikationsverben und ihrer verschiedenen Klassen, aber nicht in der übergeordneten Deskription intentionaler Verben. Dennoch lässt sich festhalten, dass die meisten Kommunikationsverben auch intentionale Verben sind, insofern, dass sie eine pragmatische Signifikanz zur Deskription von Verhalten aufweisen. Dies gilt allerdings nicht notwendigerweise für Verben wie brüllen, zumindest dann nicht, wenn man es nicht als modales Kommunikationsverb klassifiziert. 3 Die Ausweitung der Analyse von Sprechaktverben auf Kommunikationsverben ist außerdem insofern sinnvoll, als dass der erste Band des Handbuchs deutscher Kommunikationsverben nicht nur die klassischen Sprechaktverben (Repräsentative, Direktive, 3 Hier unterscheiden sich brüllen 1 (i. S. v. “ Der Löwe brüllt. ” ) und brüllen 2 (i. S. v. “ Der Kompaniechef brüllt. ” ). Denn brüllen 2 als modales Kommunikationsverb impliziert einen latenten propositionalen Gehalt und steht damit inferenziell im Verhältnis zu einem vollwertigen sozialen Kommunikationsverb wie z. B. befehlen. Somit lässt sich die signifikative Struktur eher auf das implizite intentionale Verb zurückführen als auf den Modus der Kommunikation. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 213 Kommissive, Expressive, Deklarative) erfasst, sondern außerdem allgemeine verba dicendi, gesprächs- und themenstrukturierende, Redesequenz-, modale, mediale, kommunikationseröffnende und -abschließende Verben erfasst. Somit ist die Klasse der Kommunikationsverben umfassender als die Klasse der performativen bzw. Sprechaktverben, wie sie noch bei Austin oder Vendler zu finden ist. Für eine Reflexion der theoretischen Grundlagen, die in dieser Arbeit vorgenommen wird, ist insbesondere das theoretische Verhältnis von Kommunikationsverben und Intentionalität interessant, welches die Grundlage der Modellierung von Kommunikationsverben der Gisela-Harras-Forschungsgruppe bildet. Insgesamt lassen sich aber nur vereinzelt Hinweise finden, die auf den Intentionalitätsbegriff verweisen und das Verhältnis zu Kommunikationsverben erfassen. Ein Anhaltspunkt lässt sich in der Definition von Kommunikationsverben finden: “ Kommunikationsverben sind Verben, die kommunikative Akte bezeichnen, welche mit sprachlichen Mitteln ausgeführt werden. ” (Glatz 2001: 33) Laut Glatz besteht also ein Bezeichnungsverhältnis zwischen kommunikativen Akten und Kommunikationsverben. Dies legt nahe, dass auch zwischen propositionalen und intentionalen Einstellungen, wie sie die Gisela-Harras-Forschungsgruppe beschreibt, und sprachlichen Zeichen ein repräsentationales Verhältnis besteht. Damit benennen Kommunikationsverben kommunikative Akte, aber konstituieren sie nicht kraft ihrer pragmatischen und normativen Signifikanz. Den sprachlichen Zeichen kommt allein eine Mittelfunktion zu, um die propositionalen und intentionalen Einstellungen auszudrücken. Eine Diskussion des Intentionalitätsbegriffs findet sich bei Gisela Harras insbesondere in ihren früheren Schriften, die der Erstellung des Handbuchs deutscher Kommunikationsverben zwar vorausgehen, aber dennoch als diesbezüglich einflussreich gelten können. Binsenweisheit sei nach Harras (1996: 67), dass Menschen “ mit dem, was sie sagen, oder dadurch, daß sie etwas Bestimmtes sagen, eine bestimme Wirkung auf ihre Adressaten ausüben ” und dass die “ Struktur der Sprache als angelegte Sprachfähigkeit und die Struktur der Sprachen als parametrisierte (Grammatiken von) Einzelsprachen [ … ] unabhängig von der Möglichkeit ihres Gebrauchs untersucht werden ” können. Sprachtheoretisch verortet sich Harras hiermit sowohl in der intentionalistischen Tradition als auch (mit ihrer strikten Trennung von Sprachsystem und Sprachgebrauch und der Hervorhebung der veranlagten Sprachfähigkeit) im Strukturalismus der Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (cf. Saussure 2001) oder der generativen Grammatik (cf. z. B. Chomsky 2002). Auch wenn Harras den Strukturalismus (Genfs und Nordamerikas) durchaus kritisch beurteilt, behält sie doch die strikte Unterscheidung von sprachlichen Zeichen, Intentionalität und Normativität bei: “ Konventionen müssen - im Unterschied zu genetisch vorgeprägten Strukturprinzipien von Sprache - im Sozialisationsprozeß erlernt werden ” (Harras 1996: 83), heißt es, ohne die konstitutive Kraft von sprachlichen Zeichen in der Genese von Konventionen zu reflektieren. Auch für Intentionalität möchte Harras grade nicht behaupten, “ daß das Konzept der Intentionalität als solches erlernt werden muß, sondern lediglich das Konzept der kommunikativen Intention ” (Harras 1996: 83), sodass sich “ die Frage nach der Intentionalität in all den Fällen nicht [stellt], in denen das, was der Sprecher meint, von der Bedeutung seiner verwendeten Ausdrücke determiniert wird ” (Harras 1996: 85). 214 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Die Vorgeordnetheit der Intentionalität des Menschen verbindet Harras außerdem mit einer fundamentalen Autorität der ersten Person (cf. Harras 2004: 143 f.). Zwar würden alle Menschen über Intentionalität verfügen, aber die Performativität sei der ersten Person vorbehalten. Deshalb werden Sprechakt- und Kommunikationsverben auch in der ersten Person Indikativ Aktiv Präsens analysiert, ganz in sprechakttheoretischer Tradition. Allerdings liegt eben hier die Problematik der Analyse und Klasse von Kommunikationsverben. Da Intentionalität vorausgesetzt wird, kann diese auch in jeglichen Gebrauch des untersuchten Verbs hineinprojiziert werden. Bei genauerer Betrachtung ist aber bereits bei der Verschiebung in z. B. die dritte Person Indikativ Aktiv Präsens weder notwendigerweise eine propositionale oder intentionale Einstellung involviert noch diskursive Intentionalität impliziert: Einige modale Kommunikationsverben wie schreien werden mithilfe der SprecherInautorität zum Kommunikationsverb, wenn also ein intentionaler bzw. propositionaler Gehalt der kommunikativen Instanz zugeschrieben wird. Schreien selbst ist aber nicht hinreichend für intentionale Handlungen. Die Grenze zwischen Verhalten und intentionalen Handlungen kann somit nicht allein mithilfe der Kommunikationsverben untersucht werden, wobei Kommunikationsverben häufig Intentionalität zuschreiben. Auf Basis des theoretischen Fundaments von Harras ist eine solche Unterscheidung von Verhalten, kommunikativen und intentionalen Handlungen nicht zwingend notwendig, da Intentionalität sowieso vorausgesetzt wird. Wenn allerdings die Genese von Intentionalität in diskursiven Praktiken untersucht werden soll, muss eine entsprechende Trennung notwendigerweise vorgenommen werden. Das Handbuch deutscher Kommunikationsverben ist dennoch eine ausführliche Sammlung von Verben in der Kommunikation und bietet für die Analyse von intentionalen Verben nicht nur einen Verbkorpus, sondern hilft auch, die Unterscheidung von Kommunikations- und intentionalen Verben zu treffen: Nicht alle Kommunikationsverben sind intentionale Verben und nicht alle intentionalen Verben sind Kommunikationsverben. Neben der Untersuchung von Sprechakt- und Kommunikationsverben ist insbesondere die Analyse von psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben 4 hervorzuheben, da diese sich ebenfalls mit mentalen Prozessen und deren Involviertheit in Tätigkeitsbzw. Wahrnehmungsdeskription auseinandersetzen. Diese Verben verfügen weder notwendigerweise über eine pragmatische Signifikanz, noch schließen sie eine bestimmte diskursive Relevanz ein, doch ist ihre Struktur den intentionalen Verben in vielen Belangen ähnlich. Psychologische Verben wie sehen, hören, hoffen oder denken fordern ein entsprechendes Objekt (z. B. ein Kognitions- oder Wahrnehmungsobjekt), welches in Form von Substantiven, Nominalphrasen oder subordinierten Sätzen bzw. (latenten) propositionalen Gehalten in sprachlichen Strukturen oder Prozessen auftritt (cf. Geach 1957: 1). Phänomenologische Intentionalitätsverben fordern außerdem ein intentionales Objekt, welches 4 Traditionell werden diese Verben ebenfalls intentionale Verben genannt (cf. z. B. Moltmann 2008, 2015). Um Missverständnisse zu vermeiden, werde ich an Textstellen, die sowohl den Gebrauch von phänomenologischen als auch von diskursiven Intentionalitätsverben nahelegen, die entsprechende Eigenschaft explizit markieren. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 215 sich sprachlich als Akkusativbzw. Dativobjekt präsentiert (cf. Anscombe 2014 a: 235). 5 Der wesentliche Unterschied zwischen psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben liegt in der vektoriellen Ausrichtung, in der Involviertheit ihrer Objekte, die sich z. B. über semantische Rollen modellieren lassen. Während der phänomenale Prozess phänomenologischer Intentionalitätsverben auf ein intentionales Objekt gerichtet ist, fordern psychologische Verben diese vektorielle Ausrichtungshierarchie nicht und strukturieren sich bezüglich ihres Objekts egalitär. Psychologische Verben zeichnen sich daher auch durch EXPERIENCER - und THEMA bzw. OBJEKT -Rollen aus (cf. z. B. van Voorst 1992, Alexiadou/ Iord ă chioaia 2014): Das Verhalten sehen lässt sich damit mithilfe eines psychologischen Verbs beschreiben, während sich zusehen mithilfe eines phänomenologischen Intentionalitätsverbs explizieren lässt. Die semantischen Rollen, die Argumentrealisation bzw. die Forderung von grammatischen Objekten und die impliziten Eigenschaften von phänomenologischen Intentionalitätsverben sind vielfach diskutiert worden, da die Relation zwischen Subjekt und Objekt - also die phänomenologische Intentionalitätsrelation - sich schwieriger modellieren lässt als die von psychologischen Verben. Während psychologische Verben kausale Relationen beschreiben, implizieren phänomenologische Intentionalitätsverben eine diskursive Signifikanz, die es darzustellen gilt. Anscombe (2014 a: 232) fasst diese Signifikanz in ihren drei Merkmalen von Intentionen zusammen, die auch auf phänomenologische Intentionalitätsverben zu übertragen sind: Erstens sind Handlungen nur unter Deskription als intendierte zu verstehen, zweitens sind diese Deskriptionen vage und unterbestimmt und drittens muss die Beschreibung der Handlung nicht wahr sein, sodass Fehlausführungen von Handlungen ebenfalls unter die Definition fallen. Während also z. B. die Objekte von psychologischen Verben notwendigerweise existieren, kann die objektale Erfüllung von phänomenologischen Intentionalitätsverben unterspezifiziert oder imaginiert bleiben. Außerdem involviert das von phänomenologischen Intentionalitätsverben beschriebene Verhalten eine Misslingensmöglichkeit, welche bei psychologischen Verben nicht besteht. T. L. Short führt diese Qualität von phänomenologischen Intentionalitätsverben aus, indem er über die Darstellung G. E. M. Anscombes hinausgeht: Consider the transitive verbs ‘ throw ’ and ‘ look for ’ . What is thrown must exist, what is looked for need not exist. There are grammatical contexts in which neither verb takes an object that must exist, for example, ‘ Joe does not throw a ball ’ , ‘ Joe should throw a ball ’ , ‘ Grandpa would like to see Joe throw a ball ’ . And there are ways of specifying the object ( ‘ the ball ’ , ‘ his ball ’ ) that imply its existence in any case. But in the grammatically simplest singular affirmations where the object is indefinite ( ‘ a ball ’ ), the difference between these two verbs is clear. From ‘ Joe throws a ball ’ , we may infer that a ball exists; from ‘ Joe looks for a ball ’ , that same inference may not be made. We shall call any verb of the latter kind ‘ intentional ’ , regardless of the context in which it occurs. A parallel distincton [sic! ] can be made between verbs ( ‘ believes that ’ , ‘ sees that ’ ) that take propositional objects, the question being whether, in a simple singular affirmation, the proposition may be inferred. (Some verbs, e. g., ‘ disproves ’ , license inference to the denial of the propositional object; for our purposes, we may, for the sake of simplicity, mandate restatement by which, e. g., ‘ S disproves p ’ is replaced by ‘ S proves not-p ’ , making p's negation the propositional object.) 5 Das philosophische bzw. phänomenologische Kriterium des Akkusativbzw. Dativobjektes ist linguistisch nicht besonders relevant und kann sogar irreführend sein: Denn alle zweistelligen Verben fordern, ganz unabhängig von phänomenaler Intentionalität, entsprechende grammatische Objekte. 216 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Wrapping up the two cases together, let us say that a verb is intentional if its use in simple singular affirmations does not license an inference that its object, if indefinite, exists or, if propositional, obtains. This definition is stipulative and not subject to disproof by counterexample (of course, it might be open to other kinds of objection). It makes no difference that many verbs used to ascribe intentionality are not by this definition intentional. It makes no difference that instances can be found of verbs that are intentional by this definition, for example, ‘ wants ’ , that are not invariably used to ascribe intentionality ( ‘ This frying pan wants a handle ’ ). The claim is that something possesses intentionality if it cannot fully be described without implying the truth of a simple affirmation about it that employs an intentional verb (or gerund, etc., derived from that verb). (No one such verb is privileged; the same thing can be said in many ways. Also, the implied affirmation may be specified or it may be an unspecified member of a specified class.) The fact expressed in ‘ This frying pan wants a handle ’ can be stated without making any simple affirmation that is about the pan and employs an intentional verb. (It may be that such a verb must be applied to something else, e. g., that someone wishes that the pan had a handle.) There are a great many examples not so easily decided. Can the behavior of a paramecium be described fully without implying one or another proposition on the order of ‘ It seeks X ’ ? (Short: 2007: 14 f.) Shorts Ausführung zu phänomenologischen Intentionalitätsverben umfasst sowohl die Aspekte Anscombes, geht aber in ihrer Erklärung über sie hinaus und zeigt (implizit) die Unterschiede und Ähnlichkeiten zu intentionalen Verben auf, wie sie im Rahmen der hier vorgenommenen Modellierung verstanden werden sollen. Anstatt nur auf die grammatischen Strukturen von phänomenologischen Intentionalitätsverben einzugehen (und damit auch Anscombes Akkusativ- und Dativobjekte zu implizieren), geht Short auf die Existenzbedingungen der Objekte von phänomenologischen Intentionalitätsverben ein. Am Beispiel von werfen [throw] und suchen bzw. nachsehen [look for] zeigt sich, dass die Objektexistenz bei phänomenologischen Intentionalitätsverben trotz des intentionalen Objektbezugs nicht gegeben sein muss. Zwar kann die Existenz des Tätigkeitsobjekts von werfen durch grammatische Modulation (z. B. mithilfe von Modalverben) getilgt werden, was aber die objektkonstitutive Kraft des Verbs selbst nicht berührt. Das gleiche gilt für Verben, die nicht nur Objekte, sondern einen eingebetteten propositionalen Gehalt fordern. Einige Verben involvieren das kognitivpropositionale Vorhandensein des propositionalen Objektes, während andere dieses Vorhandensein explizit tilgen. Daher zeigt sich auch hier, dass das Vorhandensein des propositionalen Gehalts nicht nur nicht notwendig ist, sondern dass sich phänomenologische Intentionalitätsverben durch ihre objektbedingte Unterspezifizierung auszeichnen. Dass diese Differenz nicht nur für phänomenologische Intentionalitätsverben, sondern auch für intentionale Verben gilt, legt Shorts Verwendung des Vollverbs widerlegen [disprove] und des Modalverbs wollen [want] nahe. Auch in diskursiven Handlungszusammenhängen fordert das intentionale Verb weder ein existentes Objekt noch einen gültigen propositionalen Gehalt, wobei sowohl Existenz als auch Gültigkeit sozialkommunikativ bzw. diskursiv ergänzt werden können. Im Unterschied zur Deskription des intentionalen Objekts wendet sich Short auch Folgen des phänomenologischen Intentionalitätsverbs für das Erkenntnissubjekt zu. Das gewählte Beispiel Shorts [ “ This frying pan wants a handle ” ] ist wegen seines figurativen Gebrauchs zwar nur begrenzt durch Analyse intentionaler Verben exemplifizierbar, zeigt aber doch deren Relevanz an. Dass sich dieses Beispiel nicht wörtlich verstehen lässt, verweist darauf, 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 217 dass sowohl phänomenologische Intentionalitätsverben als auch intentionale Verben Konsequenzen für ihre Erkenntnissubjekte respektive semantische bzw. diskursive Rollen haben. So lässt sich im Sinne des theoretischen Inferenzvokabulars feststellen: Weil wollen und Bratpfanne in einer inkompatiblen Relation zueinander stehen, kann der Satz nicht wörtlich verstanden, aber doch z. B. durch die Einbettung in einen Matrixsatz ( “ X will, dass die Pfanne einen Griff bekommt. ” ) korrigiert werden. Damit wird gewissermaßen der figurative Gebrauch aufgehoben. Somit fordern phänomenologische Intentionalitätsverben, aber auch intentionale Verben zumindest zwei Objekte, die sich einerseits als intentionales Objekt und andererseits als Erkenntnissubjekt beschreiben lassen. Zusammenfassend zeigt die Darstellung von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben, dass es eine lange Tradition gibt, die sich mit der Markierung von Handlungskraft in Äußerungen, semantischen Gehalten, aber auch den involvierten Objekten von Verben beschäftigt. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Konzepte, die jeweils verschiedene Aspekte des Verbs fokussieren. Auch wenn sich die hier vorgestellten Forschungsperspektiven nicht vollständig mit der Theorie intentionaler Verben decken, bieten sie doch Ansatzpunkte für deren Modellierung. Das betrifft insbesondere (1) die personenautoritäre Unabhängigkeit, (2) die Differenz zur Analyse mithilfe von Aktionsarten und volitionaler Kausation, (3) die Involviertheit von propositionalen bzw. intentionalen Einstellungen und Gehalten, (4) die Strukturanalogien zu phänomenologischen Intentionalitätsverben sowie (5) die objektrelationalen und -evozierenden Konsequenzen von Verben. Insofern finden sich Aspekte dieser Forschungsperspektiven auch in der Modellierung intentionaler Veren wieder (cf. Kapitel 12.3 - 12.5). Nichtsdestotrotz bilden unter Annahme virtueller Logik und hyperonymischen Abstraktion intentionale Verben eben nicht eine weitere Klasse von Verben unter sprechakttheoretischen oder verbsemantischen Prämissen. Sie signifizieren vielmehr eine Eigenschaft, die sich durch unterschiedliche Klassen von Verben zieht, aber nicht mit diesen deckungsgleich ist. Insofern kann die Modellierung intentionaler Verben aus den bisherigen Erkenntnissen der Verbdeskription Erfahrungen ziehen, muss aber insbesondere hinsichtlich der Aspekte der Zeichenkonstitutivität und der diskursiven Normen und Signifikanzen ihren eigenen Weg gehen. Durch die Darstellung der virutellen Logik, der hyperonymischen Abstraktion sowie der Beschreibung von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben lassen sich intentionale Verben nun als folgende Zeichenstrukturen beschreiben: Intentionale Verben sind diskursive Elemente, die implizit unser Verständnis, die Konstitution sowie Geltung und Gültigkeit von Verhalten als Handlung mitstrukturieren. Sie können zwar in Texten oder Gesprächen expliziert werden (cf. das Beispiel in Kapitel 1), sind aber als implizite Zeichenstrukturen bereits an der Konstitution als Handlung beteiligt. Was in Texten und Gesprächen zwar auch als semantischer Gehalt erscheint, hat, so zeigt die virtuelle Logik, für sozialkommunikative Gemeinschaften insbesondere eine pragmatische Funktion. Diskursive Normen, die Aspekte dieser vom intentionalen Verb signifizierten Zeichenstruktur sind, ermöglichen die Beurteilung von Verhalten mithilfe einer spezifischen explanatorischen Heuristik: diskursiver Intentionalität. 218 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 12.2 Relationale Logik und intentionale Verben Virtuelle Logik, hyperonymische Abstraktion und die Darstellung der Analysen von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben haben einen Rahmen für eine Analyse intentionaler Verben vorbereitet, der im Folgenden um relationslogische Aspekte ergänzt werden soll. Hierzu wende ich mich insbesondere den relationslogischen Reflexionen von Charles S. Peirce und Vincent Descombes zu. Ausgehend von der Annahme, dass intentionale Verben intentionale Relationen signifizieren, stelle ich ein grundlegendes relationslogisches Vokabular zur Analyse vor. Dieses wird vorallem am Begriff der Transitivität erprobt, welcher intuitiv mit dem Konzept der intentionalen Relation in Verbindung gebracht wird, da diese Relationen direkte Objekte fordern. Eine Diskussion von Transitivität als semiotische Qualität veranschaulicht allerdings, dass Transitivität als grammatisches Oberflächenphänomen nicht sinnvoll zur Beschreibung von intentionalen Relationen ist. Vielmehr demonstriere ich über das Konzept der indirekten Transitivität, dass intentionale Verben in inferenziellen und systematischen Beziehungen zu anderen Relationen und Relationstypen stehen. Dieses Kapitel ergänzt damit einerseits die logischen Grundlagen intentionaler Verben (cf. Kapitel 12.1), skizziert andererseits schon erste Qualitäten intentionaler Verben, die in der weiteren Arbeit entwickelt werden (cf. insbesondere Kapitel 12.3 - 12.6). Die Darstellung der Analysen von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben zeigt, dass sie zwar verschiedene Aspekte sprachlicher Zeichen und Prozesse erfassen, aber die diskursive Signifikanz intentionaler Verben eine Facette umfasst, die im Rahmen der oben vorgestellten Analysen nicht modelliert wird. Um grundlegende Unterschiede zwischen jenen Verben und intentionalen Verben aufzuzeigen und anschließend ein Modell intentionaler Verben zu entwickeln, ist es notwendig, die Struktur intentionaler Verben präzise zu analysieren, um Aspekte zu ermitteln, die sich z. B. nicht bei einer grammatischen oder semantischen Analyse herausstellen lassen. Im Folgenden demonstriere ich dies mithilfe einer relationslogischen Analyse, die an Signifikanzen anschließt. Denn mithilfe der relationalen Logik Charles S. Peirces lassen sich nicht nur unterschiedliche Relationen analysieren und nach ihren universalen Kategorien untersuchen. Entlang einer Typologie von dyadischen und triadischen Relationen können auch unterschiedliche Momente des semiosischen Kontinuums herausgestellt werden. Auch intentionale Relationen nehmen dort einen prominenten Platz ein, sodass eine relationale Logik Einblicke in die Strukturen intentionaler Zeichen und Verben bietet. Dieser Zugriff auf diskursive Intentionalität ist also zunächst relationslogisch und semiotisch motiviert, soll dann aber auch für eine linguistische Analyse nutzbar gemacht werden. Dies zeigt sich schon dort, wo mithilfe der relationalen Logik die vermeintliche Transitivität von intentionalen Verben analysiert wird. Denn intentionale Verben erweisen sich unter den Bedingungen der Relationslogik als nur indirekt transitive Zeichen, die nur in einem inferenziellen System zu anderen Verben als transitiv gelten können. Eine relationslogische Analyse veranschaulicht außerdem, dass Transitivität theoretisch nicht mehr so relevant ist, wie es phänomenologische Analysen von Intentionalität nahelegen. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 219 Die These der indirekten Transitivität, die anhand einer kurzen Analyse exemplifiziert wird, soll dann auch zeigen, dass eine oberflächengrammatische und semantische Betrachtung intentionaler Verben nicht hinreichend ist, wenn man die verschiedenen Signifikanzen in diskursiven Praktiken analysieren möchte, die kraft diskursiver Normen entstehen. Die relationslogische Analyse sowie die Beschäftigung mit verschiedenen Formen von Transitivität bereitet dann nicht nur ein Grundlagenmodell intentionaler Verben vor, sondern eröffnet auch eine neue Perspektive auf die Involviertheit von Verben in diskursiven Praktiken, die im Forschungsprogramm der linguistischen Verbpragmatik erfasst werden soll. 12.2.1 Grundzüge einer Logik der intentionalen Relation Intentionale Verben signifizieren etwas Relationales. Diese These leitet sich aus der Annahme ab, dass Intentionalität auf Relationen beruht (cf. z. B. Taieb 2019). Insofern ist es naheliegend, dass auch eine Logik, die intentionale Verben analysieren können soll, auf Relationen fusst. Daher möchte ich im Folgenden die Grundzüge einer Relationslogik vorstellen, die intentionale Verben und damit auch deren intentionale Relationen analysieren kann. Die relationale Logik, die sich insbesondere an Charles S. Peirces Relationslogik orientiert und damit mit den sprach- und zeichentheoretischen Grundlagen dieses Forschungsprogramms vereinbar sind (cf. insbesondere Kapitel 2), ergänzt dabei die virtuelle Logik der diskursiven Intentionalität: Während eine virtuelle Logik diskursive Intentionalität als ein transversales Element innerhalb diskursiver Praktiken etabliert und deren deontologisches Status betont, beruht die hier verfolgte relationale Logik auf der Signifikanz des Zeichens, hier intentionale Verben, selbst. Es geht also darum, die den spezifischen Beitrag einzelner Zeichen bzw. einer Gruppe von Zeichen zur Konstitution von Verhalten als Handlung in diskursiven Praktiken zu analysieren. Eine Relationslogik bietet hierzu einen geeigneten Rahmen. Entlang der Kategorienlehre Peirces können so unterschiedliche Relationstypen aufgezeigt werden, die bei der Analyse von intentionalen Verben Anwendung finden. Sie zeigt, welche grundlegenden Eigenschaften eine intentionale Relation aufweisen muss, um sich von anderen Relationen zu unterscheiden. Eine Logik von Relationen, die auch intentionale Relationen von Verben erfassen soll, erfordert zunächst eine Unterscheidung der Qualitäten von Relationen und ihrer Relata hinsichtlich des transformatorischen Potenzials von Relationen. Es geht hierbei um die Frage, ob die zu untersuchende Relation in einem Transformationsverhältnis zu ihren Relata steht und ob die Relation Auswirkungen auf ihre relationalen Objekte hat. Hierbei hilft die Unterscheidung von externen und internen Relationen: External relations are relations whose reality follows that of the terms, since they are exterior to the reality of those terms. The relation does not affect the things related. (Descombes 2014: 186, Hervorh. im Original; cf. auch Benoist 2005: 330) Demnach bestehen externe Relationen zwar zwischen verschiedenen Relata, doch hat die Veränderung, Transformation oder Tilgung der externen Relation keine Auswirkung auf ihre Relata. So kann z. B. das Verhältnis zweier Objekte in einem Anschauungsraum mithilfe einer externen Relation erfasst werden (Distanz). Verändert sich die Distanz der 220 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Objekte, dann ändern sich nicht deren Merkmale oder Eigenschaften, sondern lediglich deren räumliches Verhältnis (als Relation) zueinander. Die Konstanz der Objekte trotz Transformation der Relation ist das grundlegende Merkmal, was externe Relationen von internen Relationen unterscheidet: Internal relations, by contrast, are those relations that cannot be changed without changing the reality of their terms. This can be expressed as follows: if the relation ceases to exist, the things related (the relata) cease to exist. (Descombes 2014: 187, Hervorh. im Original; cf. auch Benoist 2005: 330) Die Struktur der internen Relation bedingt also die Struktur ihrer relationalen Objekte. So bestimmt das Größenverhältnis (als Relation) zweier Objekte zwar nicht deren Größe (als monadische Eigenschaft), aber doch deren Vergleich (als relationale Eigenschaft). Erst im Verhältnis zueinander kann die Eigenschaft der Größe der Objekte verglichen werden, sodass die Annullierung der Relation des Größenverhältnisses den Vergleich (als relationale Eigenschaft) tilgt. Interne Relationen strukturieren also ihre Relata mit. Das Kraftverhältnis von Relation und Relata, welches mithilfe von externen und internen Relationen erklärt werden kann, gilt allerdings nicht nur bezüglich der Existenz von Relationen und Relata, sondern kann auch graduell oder aspektuell sein. So verschiebt die Veränderung der Distanz (hier als interne Relation) die Gravitationskraft zweier Körper graduell. Insofern können interne Relationen hinsichtlich ihres Kraftverhältnisses auf ihre Relata äußerst flexibel sein. Nun lassen sich mithilfe der Unterscheidung von internen und externen Relationen weder intentionale Relationen vollständig analysieren noch ist der Unterschied auf intentionale Verben einerseits und Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologische Verben und phänomenologische Intentionalitätsverben andererseits anwendbar. Bevor diese These mithilfe weiterer relationslogischer Argumente begründet werden kann, zeigt sich bereits an der Mannigfaltigkeit der Signifikanzen von Verben, dass diese niemals vollständig der internen oder externen Relationslogik zugeordnet werden können. Allein ein Verb wie versprechen involviert neben lautlich motivierten Emissionen (als externe Relation) auch normative Verpflichtungsverhältnisse (als interne Relation), sodass eine Analyse spezifischer Verben durchaus mehrere Relationen berücksichtigen sollte. Die Differenz von externen und internen Relationen ermöglicht damit zwar die Erfassung des basalen Verhältnisses von Relation und Relata, aber ist für die Erklärung intentionaler Relationen respektive intentionaler Verben nicht hinreichend. Allerdings ist es sinnvoll, einerseits die Differenz von externen und internen Relationen im Hinterkopf zu behalten, sie aber andererseits mithilfe einer relationalen Logik zu erweitern. Hierbei bietet sich nicht nur aufgrund der semiotischen und pragmatistischen Grundlagen die relationale Logik Charles S. Peirces an. Denn Peirces relationale Logik (insbesondere in R1, R2) ist dabei nicht nur ausdifferenziert und findet in Bild- und andere diagrammatischen Logiken Anwendung (cf. z. B. schon Pape 1997: 417 f.), sondern kann auch die Analyse von Verben bereichern und in Bezug zu den diagrammatischen Grundlagen dieser Arbeit setzen (cf. Kapitel 5). Die relationale Logik Peirces entfaltet sich mithilfe seiner universalen Kategorienlehre, die sich wiederum anhand der Kategorien Erstheit, Zweitheit und Drittheit, sowie der Authentizität von Relationen - genuin oder degenerativ (cf. z. B. Kruse 1991) - erfassen lässt (cf. auch Kapitel 2.1.1). Entsprechend kann jede Relation entlang ihrer zweitheitlichen und 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 221 drittheitlichen Strukturen klassifiziert werden, 6 wobei anschließend einerseits nach der Involviertheit anderer Relationen in die Konstitution der zu untersuchenden Relation gefragt und andererseits die Möglichkeit ihrer Diskriminierung auf andere Relationsklassen untersucht wird. Im Folgenden sollen die verschiedenen Relationstypen nach Peirce vorgestellt und anschließend auf intentionale Relationen angewandt werden. Dyadische Relationen, also Relationen, die sich durch Zweitheit auszeichnen, basieren auf einem binären Verhältnis. Diese lassen sich anhand von Peirces Verständnis von brute force erklären: For the idea of brute force is little more than that of reaction; and this is pure binarity. Imagine two objects which are not merely thought as two, but of which something is true such that neither could be removed without destroying the fact supposed true of the other. (CP 2.84, Hervorh. im Original) Dyadische Relationen zeichnen sich durch ihre strukturelle Geschlossenheit aus, erschöpfen sich also in ihrer Relation und ihren zwei Relata, die in einem Verhältnis roher Kraft [brute force] zueinander stehen. Diese dyadische Relation kann mithilfe von physikalischen oder anderen Naturgesetzen beurteilt werden, welche sich aber nicht auf die Relation und ihre Relata selbst auswirken. Im Rahmen der Beschreibung von zweitheitlichen Relationen lassen sich außerdem reale [real relations] und rechtfertigende Relationen [relations of reason] unterscheiden. Diese Differenz, die den externen und internen Relationen zunächst nicht unähnlich ist, perspektiviert sie allerdings anders: A real relation subsists in virtue of a fact which would be totally impossible were either of the related objects destroyed[.] (CP 1.365, cf. auch CP 6.336) Anstatt die Kraft der zweitheitlichen Relation anhand ihrer inhärenten Eigenschaften zu erläutern, betrachtet Peirce die Existenz der Relation aus Perspektive der relationierten Objekte. Ihre Tilgung tilgt auch ihre Relation. Die Relation ist insofern extern, als dass sie sich aus externen Tatsachen [external facts] konstituiert (cf. CP 1.365). So lässt sich z. B. das Verhältnis zwischen einem fliegenden Pfeil und einer Zielscheibe durch die Tilgungen eines der relationierten Objekte ebenfalls tilgen, weil die Eigenschaften der Objekte die Relation erst ermöglichen. Reale Relationen, die man wohl auch genuin dyadische Relationen nennen kann, unterscheiden sich von rechtfertigenden Relationen, die auf degenerativen Dyaden beruhen. Die Tilgung eines Relatums einer rechtfertigenden Relatums führt nicht zur Tilgung des anderen: [A] relation of reason subsists in virtue of two facts, one only of which would disappear on the annihilation of either of the relates. (CP 1.365) Für zwei Relata und das ihren Vergleich rechtfertigende Element gilt daher: Der Vergleich zweier relationierter Objekte z. B. hinsichtlich ihrer Größe, Geschwindigkeit oder ihres 6 Dass die Kategorie der Erstheit zwar für die universale Kategorienlehre, aber nicht für die relationale Logik relevant ist, liegt daran, dass es keine monadischen Relationen geben kann, wohl aber monadische Terme, die dann als singuläre Termini oder Prädikate funktionieren. 222 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Gewichts führt bei der Tilgung des einen Objekts zwar zur Tilgung der Relation, aber nicht zur Tilgung der entsprechenden Eigenschaften (Größe, Geschwindigkeit, Gewicht), welche für die Relation relevant sind. Insofern hat die Tilgung des Relatums zwar Auswirkungen auf die Relation, aber nicht auf das andere Relatum. Die Relation beruht also auf internen Eigenschaften, die nicht unmittelbar von der Relation erfasst werden. Diese Differenz zwischen externen und internen Eigenschaften erfasst Peirce mit seiner Unterscheidung von genuinen und degenerativen Relationen: Genuin dyadische Relationen sind extern, während degenerative dyadische Relationen einen internen Aspekt haben. Anstatt nur dyadische Relationen zu analysieren, umfasst die relationale Logik Peirces auch triadische Relationen. Während sich dyadische Relationen in ihrer Echtheit (genuin/ degenerativ) unterscheiden, aber hinsichtlich ihrer Relata saturiert sind, ist es insbesondere der Aspekt der Saturiertheit, welcher triadische von dyadischen Relationen unterscheidet: Triadische Relationen erscheinen womöglich als dyadische Relationen, umfassen aber weitere Aspekte, die eine Reduktion auf dyadische Relationen bisweilen verhindern. Zudem lassen sich auch triadische Relationen in genuine und degenerative Relationen unterteilen, wobei sich außerdem zwei Formen der degenerativen Relationen bestimmen lassen. Im Folgenden werden daher doppelt degenerative triadische Relationen, einfach degenerative triadische Relationen und genuin triadische Relationen vorgestellt. 7 Doppelt degenerative triadische Relationen [doubly degenerated triadic relations] “ involves neither any true element of combination nor any true element of action ” (Parker 1998: 64, cf. auch Jappy 2018: 44 f., Murphey 1961: 304). Sie lassen sich mühelos auf mehrere dyadische Relationen reduzieren und involvieren keinen genuin drittheitlichen Aspekt. So lassen sich z. B. die Geschwindigkeitseigenschaften mehrerer Objekte in polyvalenten Relationen mit mehreren dyadischen Relationen erfassen, ohne dass es zu einem Informationsverlust und einer Tilgung relationsrelevanter Aspekte kommt. Wenn z. B. die Objekte X, Y und Z in einem aufsteigenden Verhältnis der Geschwindigkeit zueinander stehen, dann steht Y in einer Relation zu X und Z, die sich mit [[Y]IST SCHNELLER ALS[X] UND LANGSAMER ALS[Z]] beschreiben lässt. Allerdings lässt sich diese Relation auch mithilfe von zwei degenerativen dyadischen Relationen darstellen: [[Y]IST SCHNELLER ALS[X]] und [[Y]IST LANGSAMER ALS[Z]]. Doppelt degenerative triadische Relationen sind also keine triadischen Relationen im engeren Sinne, sondern eine Menge an dyadischen Relationen. Einfach degenerative triadische Relationen [singly degenerated triadic relations] “ can be reduced to a pair of dyadic relations ” (Parker 1998: 64, cf. auch Murphey 1961: 304). Anstatt sich aber vollständig auf mehrere dyadische Relationen reduzieren lassen zu können, involvieren einfache degenerative triadische Relationen tatsächlich einen Aspekt der Kombination. So lässt sich das Ereignis TÖTEN, welches formal mit [[X]TÖTET[Y]] notiert werden kann, z. B. anhand der dyadischen Relationen [[X]WIRFT[Z]] und [[Z]TRIFFT[Y]] 7 John Deely erweitert das Spektrum der universalen Kategorien bzw. der Relation um eine pregenerative Drittheit [pregenerative thirdness] (cf. Deely 2015, West 2018), die aber in diesem Rahmen nicht erklärt werden soll, da sie über die notwendigen Analysen der Relationen von diskursiver Intentionalität hinausgeht. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 223 beschreiben (cf. hierzu das Beispiel in CP 1. 345 oder CP 1.366). Allerdings reichen die beiden dyadischen Relationen unabhängig voneinander nicht aus, um das vollständige Ereignis zu explizieren. Vielmehr ist es die Kombination der beiden dyadischen Relationen, eine Relation der Relationen, welche die Ereignisdeskription vervollständigt (i. S. v. “ Weil X Z geworfen hat, wurde Z von Y getroffen. ” ). Somit involvieren einfache degenerative tradische Relationen neben ihren dyadischen Relationen auch einen Aspekt der Kombination. Neben degenerativen triadischen Relationen (doppelt und einfach) gibt es in der relationalen Logik Peirces auch Relationen, die sich durch ihre genuine Drittheit auszeichnen. Eine genuin triadische Relation [genuin triadic relation] “ is inexpressible by means of dyadic relations alone [ … ] [and] involves thought or meaning ” (CP 1.345, Hervorh. im Original). Anstatt allein aus dyadischen Relationen zu bestehen, konstituiert sich eine genuin triadische Relation über ein drittheitliches Element (hier bei Peirce: thought or meaning). Dieses ist nicht nur ein logisch-formaler Aspekt (wie der Aspekt der Kombination bei der einfach degenerativen triadischen Relation), sondern auch zeichen- und relationskonstitutiv. Hinter der Involviertheit von Gedanken [thoughts] oder Bedeutung [meaning] steht also vielmehr ein spezifischer logischer Interpretant, der die dyadischen Relationen bzw. die Relata der triadischen Relationen zusammenführt. Es handelt sich also vielmehr um Signifikation und Mediation als um eine spezifische Bedeutungszuweisung. 8 Genuin triadische Relationen lassen sich anhand der Differenz von TÖTEN und ERMORDEN veranschaulichen. Während TÖTEN eine einfache degenerative triadische Relation involviert, lässt sich das Ereignis ERMORDEN nur mithilfe einer genuin triadischen Relation analysieren. Dies liegt nicht daran, dass nicht beide über eine bestimmte Semantik verfügen würden, sondern daran, dass ERMORDEN nicht nur ein kognitives, sondern einen situationellen und bisweilen diskursiven Legitimitätsaspekt impliziert, welcher sich mithilfe diskursiver Normen erklären lässt: TÖTEN kann auf vielerlei Weise geschehen, ERMORDEN hingegen involviert zumindest die Handhabung der Situation, der Aktivitäten, der Willensentscheidung, aber auch der diskursiven Umstände und Folgen. 8 Auf ähnliche Weise, auch mit Bezug auf Peirces relationale Logik, erfasst auch Vincent Descombes diese Funktion: “ The humanization of the relations between the human animal and its partner (whatever it may be) assumes the introduction of a third party, a mediator. [ … ] This mediator is Lacan's ‘ Symbolic Third. ’ Each has a place that is in some way legitimate (instead of being perpetually in play). ” (Descombes 2014: 228, Hervorh. im Original). Es geht hierbei also vielmehr um die Legitimierung der in der genuin triadischen Relation vermittelten Verbindung, als um die Integration eines weiteren relationalen Elements. 224 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Name Beschreibung Formale Relation Dyadische Relationen Genuin dyadische Relation “ A real relation [or genuine resp. external dyadic relation, J. B.] subsists in virtue of a fact which would be totally impossible were either of the related objects destroyed ” (CP 1.365, cf. auch CP 6.336) [[X]IST VERWANDT MIT [Y]], [[X]BERÜHRT[Y]] Degenerative dyadische Relation “ [A] relation of reason [or degenerated resp. internal dyadic relation, J. B.] subsists in virtue of two facts, one only of which would disappear on the annihilation of either of the relates ” (CP 1.365) [[X]IST GRÖSSER ALS[Y]] Triadische Relationen Doppelte degenerative triadische Relation A doubly degenerated triadic relation “ involves neither any true element of combination nor any true element of action ” (Parker 1998: 64, cf. auch Jappy 2018: 44 f., Murphey 1961: 304). [[Y] IST SCHNELLER ALS [X]UND LANGSAMER ALS[Z]] = [[Y]IST SCHNELLER ALS [X]] & [[Y]IST LANG- SAMER ALS[Z]] Einfache degenerative triadische Relation A singly degenerated triadic relation “ can be reduced to a pair of dyadic relations ” (Parker 1998: 64, cf. auch Murphey 1961: 304). [[X]TÖTET[Y]] = [[X]WIRFT[Z]] & [[Z] TRIFFT[Y]] + ? Genuin triadische Relation A genuine triadic relation “ is inexpressible by means of dyadic relations alone [ … ] [and] involves thought or meaning ” (CP 1.345, Hervorh. im Original). [[X]ERMORDET[Y]] Tab. 7: Grundzüge der relationalen Logik Mithilfe der Grundzüge der relationalen Logik Charles S. Peirce lassen sich also verschiedene Relationstypen analysieren (Tab. 7), sodass sich auch intentionale Relationen mithilfe der relationalen Logik explizieren lassen müssten. Diese Relationstypen werden nun auf intentionale Relationen bzw. Verben angewandt. Intentionalität als Relation zu verstehen, hat lange Tradition (cf. hierzu z. B. Taieb 2019: 63 f.). Dass deren qualitativer Relationsstatus sich nicht intuitiv ergibt, liegt insbesondere an der Schwierigkeit, die der Status der Objekte einer intentionalen Relation mit 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 225 sich bringt. Insbesondere das intentionale Objekt kann imaginiert (intern) oder real (extern) sein, sodass dadurch nicht nur die qualitative Bestimmung der Relation, sondern auch die Möglichkeit in Frage steht, Intentionalität als Relation zu analysieren. Jocelyn Benoist (2007) schlägt deshalb vor, Intentionalität bzw. intentionale Relationen sowohl als interne als auch als externe Relationen zu verstehen. Tatsächlich klingt dieser Vorschlag zunächst paradox, lässt sich aber mit einer spezifischen Deskription intentionaler Relationen und ihrer Logik erklären. Anstatt sich aber Benoists realistischer Philosophie zuzuwenden, kann das obskure Verhältnis zwischen internen und externen Relationen bzw. zwischen intentionalen und realen Relationen mithilfe des anthropologischen Holismus Vincent Descombes' spezifiziert werden. Dieser beruft sich nicht nur explizit auf die relationale Logik Peirces, sondern sieht seine Theorie auch komplementär zu Robert B. Brandoms Expressive Vernunft (2000), wie er in der Einführung zur englischen Übersetzung seines Werke The Institutions of Meaning bekennt (cf. Descombes 2014: xxix). 9 Um das Verhältnis verschiedener relationaler Aspekte der Intentionalität bei Descombes nachvollziehen zu können, welches unmittelbar zu intentionalen Relationen und Verben führen kann, muss zunächst dessen Verständnis von intentionalen Relationen erklärt und in seinem theoretischen Zusammenhang betrachtet werden: [A]n intentional relation in discourse is a relation by which this discourse refers to the world. This relation is definitively underwritten by the fact that something is inserted into the discourse whose function might almost be said to be to insert the thing itself into language. Needless to say, this introduction of the thing into discourse is merely an appearance, for it is only in language that contact is made between the predicate and the thing (for example, in the association of the noun and the verb). Contact is made in language, but it is not made in the predicative part of the proposition. Nothing in the predicate indicates that it is intended by the author of the proposition to describe one thing rather than another. This information must be provided elsewhere, in a discrete part or, as Peirce puts it, ‘ separately. ’ There are words and linguistic constructions that have this function of ensuring that the predicate applies to one thing rather than another. They can do this because they make use of a real relation in order to base an intentional relation on it. (Descombes 2014: 17, Hervorh. im Original) Descombes' Definition von intentionalen Relationen muss hier vor dem Hintergrund eines Theoretikers analysiert werden, der sowohl den semiotischen Pragmatismus als auch den normativen Sprachpragmatismus nicht nur zur Kenntnis genommen hat, sondern deren theoretische Prämissen auch in seine theoretischen Erklärungen aufnimmt. Die doch zunächst befremdliche, weil metonymische bis metaphorische Beschreibung lässt sich daher vor diesem Hintergrund interpretieren: Wenn Descombes hier also die referenzielle Dimension des Diskurses auf die Wirklichkeit hervorhebt, dann steht dabei im Mittelpunkt, dass die jeweiligen spezifischen diskursiven Normen kraft der intentionalen Relation reale Relationen überlagern. Es geht also eingangs weniger um das traditionelle Verhältnis zwischen Erkenntnissubjekt und intentionalem Objekt, sondern um die normativen 9 Es scheint überhaupt zu einem Austausch der theoretischen und philosophischen Ideen zwischen Vincent Descombes und Robert Brandom gekommen zu sein, denn zu den vielen Kommentatoren auf einem Symposium zu Descombes' The Mind's Provisions (2001), welches als Vorläuferwerk zu The Institutions of Meaning gelten kann, gehört auch Robert Brandom (cf. CCI). 226 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Verhältnisse dieser Relation. Sprachliche Zeichen, so kann man konstatieren, stellen diese Relation zwischen diskursiven Normen und den aus dem semiosischen Kontinuum diskriminierten Objekten her, indem sie ihre Objekte (kraft Objektrelationen) in sprachliche Prozesse eingliedern. Diese exklusive relationsstiftende Kraft sprachlicher Zeichen lässt sich aber nicht mithilfe einer propositionalen Logik erklären, weil Prädikate nicht über diese signifikative Kraft verfügen. Vielmehr sind es andere sprachliche Zeichen [words and linguistic constructions], die sich nicht auf Prädikate reduzieren lassen, aber über die Signifikanz verfügen, Objekte eines Kontinuums in sprachliche Prozesse zu integrieren. Kurz: Erst Verben integrieren ihre verschiedenen evozierten (und ggf. in propositionale Gehalte eingegliederten) Objekte in sprachliche und damit auch diskursive Prozesse. Descombes hebt außerdem das Verhältnis zwischen intentionalen und realen Relationen hervor. Die spezifischen sprachlichen Zeichen (intentionale Verben), stellten das Verhältnis zwischen diesen beiden Relationen her. Aus dieser Annahme der Relationalität von realen und intentionalen Relationen erwächst außerdem die Notwendigkeit, dieses Verhältnis zu reflektieren. Insbesondere die Möglichkeit, aber nicht Notwendigkeit der realen Existenz des intentionalen Objekts muss in diese Reflexion einfließen: The intention of a relation to something is insufficient to establish an intentional relation to something. There then remain two possibilities: (1) intentional relations are not relations at all - they are pseudo-relations, pure appearances, and unable to engender an intentional passive; (2) intentional relations are not independent relations that one might find between an act (taken in itself) and an object but are rather fragments of a greater system that unites internal relations to external relations (this would be the holistic conception). In both cases one ceases treating intentional verbs as transitive verbs. In the first hypothesis one is resigned to saying that they are intransitive, in the second hypothesis that they are neither intransitive like verbs for states of affairs nor transitive like verbs of real action. (Descombes 2014: 66) Die Kontingenz der Existenzbedingungen des intentionalen Objekts sowie das Verhältnis zwischen realen und intentionalen Relationen verunmöglicht die Konzeption der intentionalen Relation als unmittelbarem Transitivverhältnis (cf. Kapitel 12.2.2). Descombes verweist hier aber auf zwei weitere Möglichkeiten, die Besonderheit der intentionalen Relation zu konzeptualisieren: Entweder sind intentionale Relation Scheinrelationen, die selbst überhaupt keine Passivkonstruktion und damit saturierte Subjekt-Objekt-Relation zulassen (zum intentional passive cf. auch Descombes 2014: 32 f.). Dann wären intentionale Relationen intransitive Relationen. Alternativ, und das ist die Position des anthropologischen Holismus Descombes', sind intentionale Relationen abhängig von anderen Relationen, die sich in einem System von internen und externen Relationen formieren. Intentionale Relationen müssen demnach stets in ihrem Verhältnis zu anderen internen, aber auch zu realen Relationen betrachtet werden. Dies hat Auswirkungen auf das Transitivverhältnis intentionaler Relationen, denn sie sind weder intransitiv noch (im engeren Sinne) transitiv. Vielmehr hängt diese Qualität vom Verhältnis der intentionalen Relationen zu anderen (intransitiven oder transitiven) Relationen ab. Das Verhältnis von intentionalen und realen Relationen folgt dabei einer doppelten vektoriellen Ausrichtung. Reale Relationen bestehen einerseits im Kontinuum, sodass 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 227 intentionale Relationen diese diskriminieren und sich ggf. auf diese aufsatteln können. Andererseits können intentionale Relationen auch reale Relationen hervorbringen: [I]ntentionality is not so much a relation of a subject to an object as it is the condition for such a real relation to result from an intentional act. (Descombes 2014: 218 f.) Ganz im Sinne einer virtuellen Logik der hyperonymischen Abstraktion zeichnet sich Intentionalität für Descombes durch ihr konditionales Verhältnis zu Performanzen aus. Es geht hier also um Bedingungen der Möglichkeit der Realisation. Dabei leugnet er nicht, dass Intentionalität selbst relational ist, sondern ordnet die Relationalität der Konditionalität unter. Insofern sollte der (theoretische wie analytische) Blick stets auf der konditionalen Struktur von Intentionalität verweilen, die sich mithilfe der diskursiven Normen explizieren lässt, und es sollten nur unter deren Bedingung die relationale Struktur sowie die evozierten Objekte betrachtet werden. Daher lässt sich die Definition Descombes' von intentionalen Relationen und Intentionalität auch mit der relationalen Logik Peirces zusammenbringen: Peirce would appear to have been right: intentional relations are assuredly irreducible to real relations, but they nevertheless depend on a real relation in order to establish themselves. We must therefore understand how an intentional relation to an object can be based on a real relation to an object. We have thus far been considering two lines of response to the question of the status of intentional verbs. The Brentanians tell us that they are transitive verbs and that, indeed, they are more transitive than other such verbs because they are unconditionally so. The consequence of this view, however, is that such transitivity cannot be an authentic transition to something other than the act itself. Intentionality, it will then be claimed, is not a relation but rather a quasi-relation, since it may turn out to be a relation to a ‘ something ’ that does not exist. (Descombes 2014: 76, Hervorh. im Original) Descombes hebt hier nicht nur das Verhältnis zwischen intentionalen und realen Relationen hervor, sondern auch die quasi-relationale Qualität von Intentionalität. Im Rahmen der relationalen Logik Peirces können intentionale Relationen und Intentionalität daher ebenfalls beurteilt werden: Sie können keine dyadischen Relationen sein, weil sie sonst (interne oder externe) Objekte fordern und sich als Transitivverhältnisse herausstellen würden. Sie können aber auch nicht, wie degenerative triadische Relationen, in dyadische Relationen dekomponiert werden. Vielmehr sind intentionale Relation notwendigerweise genuin triadische Relationen, weil sie entweder reale Relationen fordern oder sie konstituieren, aber immer kraft ihrer konditionalen Drittheit zustande kommen. Hier treffen sich sowohl Descombes' Begriff der intentionalen Relation und Peirces relationale Logik, aber auch Brandoms Analyse der diskursiven Intentionalität: Die pragmatische Vermittlung, die man mit Peirce auch Mediation nennen könnte, der semantischen Relation stiftet sich kraft diskursiver Normen, die die spezifische reale Relation einerseits hervorbringt, sich aber andererseits (über inferenzielle Relationen) anderer realer Relationen bedient. Kurz: Intentionale Relationen sind kraft konditionaler diskursiver Normen konstituierte semantische Relationen. Eine relationale Logik, so lässt sich zusammenfassen, ermöglicht die Differenzierung unterschiedlicher Relationen, hier insbesondere mit Blick auf intentionale Relationen und damit auch intentionale Verben. Die verschiedenen Relationstypen, die mithilfe von Peirces Kategorienlehre entwickelt wurden, zeigen, dass sich Relationen hinsichtlich interner 228 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Qualitäten unterschieden und dass deren Objekte nicht auch in vermittelter Beziehung zueinanderstehen können. Diese Vermittelheit ist insbesondere für die Analyse intentionaler Relationen relevant, wie sie auf Basis der Analyse intentionaler Verben von Vincent Descombes vorgenommen wurde. Intentionale Relationen, die von intentionalen Verben signifiziert werden, sind daher zweierlei: Sie sind im Sinne Peirces genuin triadische Relationen, weil sie sich nicht auf dyadische Relationen reduzieren lassen. Sie sind aber auch irreduzibel auf reale Relationen im Sinne Descombes', stehen aber mit diesen in inferenzieller Beziehung. Insbesondere diesen zweiten Aspekt möchte ich im Folgenden unter dem Begriff der Transitivität diskutieren. 12.2.2 Transitivität und relationale Logik Nach der Betrachtung der relationalen Logik liegt es nahe, intentionale Verben als transitive Verben zu betrachten, denn grammatisch können sie ein direktes Objekt fordern, eine Eigenschaft, die sie mit intensionalen transitiven Verben oder Verb propositionaler Einstellungen teilen. Ein solcher Schluss übergeht allerdings die besonderen Qualitäten intentionaler Relationen. Intentionale Verben als transitive Verben zu bezeichnen, bedeutet, allein deren grammatischen Oberfläche zu beurteilen. Intentionale Verben sind aber komplexe Zeichenstrukturen, die mit diskursiven Normen unserer sozial-kommunikativen Praktiken verwoben sind. Insofern muss das Konzept der Transitivität hinsichtlich intentionaler Verben revidiert werden. Im Folgenden betrachte ich Transitivität daher nicht als ein grammatisches Oberflächenphänomen, sondern als eine tiefenstrukturelle semiotische Eigenschaft, die sich auf semiotische und daher auch intentionale Verben anwenden lässt oder eben nicht. Eine Reflexion des Verhältnisses von Transitivität und intentionalen Relationen erweist sich unter Kenntnis der relationslogischen Beschreibung Decombes' allerdings als komplex. Denn intentionale Verben und ihre intentionalen Relationen stehen in einem systematischen (und inferenziellen) Verhätnis zu anderen Verben und Relationen, was die Betrachtung einzelner Relationen erschwert. Um dieses systematische Verhältnis von intentionalen Relationen unter Berücksichtigung der relationalen Logik zu erhalten, wird in diesem Kapitel der Begriff der indirekten Transitivität eingeführt. Indirekte Transitivität beschreibt die Eigenschaft intentionaler Verben, als transitiv wahrgenommen zu werden, obwohl diskursive Intentionalität selbst nicht transitiv ist. Hierzu wird auf das Verhältnis von intentionalen Relationen (z. B. als sozial-kommunikative Handlung) und realen Relationen (z. B. Verhalten) eingegangen. Über die Reflexion zum Begriff der Transitivität unter relationslogischen Prämissen wird einerseits möglichen Missverständnissen vorausgegriffen, insbesondere jenen, die intentionale Verben als grammatische Oberflächenstrukturen begreifen. Über den Begriff der indirekten Transitivität wird andererseits aber auch die inferenzielle und systematische Gliederung intentionaler Verben vorbereitet (cf. Kapitel 12.5). Nach der Etablierung einer relationalen Logik, die auch intentionale Relationen erfasst, soll nun also spezifisch auf das Verhältnis zwischen intentionalen Relationen und intentionalen Verben eingegangen werden. Diese Beziehung, so die These, hat Konsequenzen für die Transitivität dieser Verben, wenn man sie als Element im inferenziellen Geflecht diskursiver Praktiken betrachtet. Ein Verhältnis zwischen Verben, Transitivität und intentionalen Relationen anzunehmen, ist allerdings begründungsbedürftig. Vincent 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 229 Descombes' anthropologischer Holismus, aber auch semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus gehen dabei von einem irreduziblen Verhältnis von intentionalen Relationen und intentionalen Verben aus, sodass eine Unterscheidung zwischen Relationen einerseits (ontologisch bzw. deontologisch) und sprachlichen Strukturen und Prozessen andererseits (linguistisch und grammatisch) zwar analytisch hergestellt werden kann, aber nicht empirisch erfassbar sind. Descombes fasst dieses Verhältnis folgendermaßen zusammen: The correct expression of the intentionality of our acts, therefore should not be ontological but grammatical: their common factor is to be signified by verbs, all of which require a direct object. (Descombes 1986: 127) Descombes wendet sich hier gegen eine explizit ontologische Beschäftigung mit Intentionalität und fordert eine Betrachtung sprachlicher Strukturen und insbesondere Verben. Der Verweis auf Verben, die direkte Objekte, also Akkusativobjekte, fordern, legt außerdem eine Analyse transitiver Strukturen nahe. Descombes' einfache Beschreibung von Transitivität scheint zunächst das Verhältnis von intentionalen Relationen und Verben eindeutig zu explizieren: Intentionale Verben sind transitiv, also sind es intentionale Relationen. Weil auch T. L. Short Transitivität zum notwendigen Merkmal intentionaler Verben erhebt (cf. 2007: 174), scheint hier die Debatte zur Transitivität intentionaler Verben intuitiv abgeschlossen zu sein. Allerdings impliziert bereits die relationslogische Analyse intentionaler Relationen, dass diese Relationen über eine außergewöhnliche Relationsstruktur verfügen, die sich nicht notwendigerweise mit dem Begriff der Transitivität erfassen lässt. In einer genuin semiotischen Perspektive auf Verben, die sich in linguistischen und grammatischen Strukturen niederschlägt, sollte ein entsprechender Begriff vorsichtig verwendet werden, weil er involvierte Strukturen und Prozesse, die zur Relation von Objekten führen, zu vernachlässigen droht. Daher ist es geboten, sich Transitivität als grammatischer Eigenschaft von Verben und ihrer obligatorischen und/ oder fakultativen Forderung von Akkusativ- und Dativobjekten hier ausführlicher zuzuwenden. Die grammatische Kategorie der Transitivität findet bereits in der Grammatik von Port- Royal Anwendung, 10 ist aber auch noch in der aktuellen kognitiven Linguistik verbreitet, z. B. in der Konstruktionsgrammatik. Insbesondere das Beispiel der ditransitiven Konstruktion mit (intend)-CAUSE-RECEIVE-Prädikat wie geben (cf. z. B. Goldberg 1992, 1995: 141 f., 2006: 20 f.) zeigt hier, inwiefern ein Verb mehrere Argumente kraft seiner Ditransitivität realisiert. Insofern gehört Transitivität weiterhin zum grundlegenden Vokabular linguistischer bzw. grammatischer Betrachtungen. 10 “ Those verbs which signify actions which are transmitted beyond the agent, such as to beat, to break, to heal, to love, to hate, have subjects which receive these actions, or objects which these actions concern. For if one beats, one beats someone; if one loves, one loves something, etc. And thus these verbs require that they be followed by a noun which will be either the subject or the object of the action which the verbs signify. It is this which has caused a new ending, called the accusative, to be given to nouns in languages which have cases. For example, amo Deum (I love God), Caesar vicit Pompeium (Caesar conquered Pompey). ” (Arnauld/ Lancelot 1975: 83 f., Hervorh. im Original) Der Akkusativ steht in unmittelbarer Beziehung zur Transitivität und findet in der Grammatik von Port-Royal auch Anwendung auf das Verhältnis von intentionalen Handlungen und ihren Objekten (cf. Arnauld/ Lancelot 1975: 142 f.). 230 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Trotz der klaren Orientierung an grammatischen Objekten wird die semiosische und relationslogische Dimension der Transitivität nur selten beachtet: Dass es eine Relation zwischen Objekten bzw. ein Verhältnis zwischen Verb und Argument gibt, ist unstrittig, doch zeigt die relationale Logik Peirces, dass dies nicht die qualitative Dimension der Relation und ihrer Objekte erklärt. Diese ist im Begriff der Transitivität aber impliziert. Insofern reicht bei einer Analyse von intentionalen Relationen und Verben eine zweidimensionale Perspektive auf Verben nicht aus. Sie sollte um eine relationskonstitutive Funktion erweitert werden, welche die Spezifika diskursiver Praktiken erfassen kann. Kurz: Es geht um die Signifikanz einer [[X]VERB[Y]]-Relation. Und hier kann die linguistische Verbpragmatik helfen zu erklären, welche qualitativen Eigenschaften diese Verben auszeichnet, die nicht auf Transitivität reduzierbar sind. Um eine entsprechende linguistische Verbpragmatik zu etablieren, die die vermeintliche Transitivität von Verben, insbesondere intentionalen, untersucht, ist eine Perspektive des anthropologischen Holismus auf Verben instruktiv. Diese kann spezifizieren, warum Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben nicht transitiv (im engeren Sinne) sind: If we apply them [the formulas of the Brentanians or Husserlians, that ‘ all consciousness is consciousness is something ’ or ‘ to perceive is always to perceive something ’ , J. B.] not to mental acts of states of mind but to the descriptions of those acts and states, the formulas provide the starting point of any analysis of intentionality. They highlight the fact about the language in which we ascribe mental action to someone: this language cannot contain just a verb, but must also have a direct or indirect object specifying the content of the verb. To say that ‘ someone is imagining ’ is elliptical until one has specified what is being imagined, the object of the person's imagination. What conclusion can we draw from this analysis of the language of the mental regarding the analysis of the mental itself? It is in making this step that formulas like ‘ Every cogitatio is a cogitatio of a cogitatum ’ become misleading. They have the flaw of covering up the decisive issue by conflating the intentionality of acts or mental states with a certain grammatical transitivity or property by which certain verbs require a direct object. Yet the notion of intentionality is useful precisely to the extent that it allows us to avoid conflating the grammar of psychological verbs (like ‘ to perceive ’ or ‘ to love ’ ) with those of ordinary transitive verbs. From a purely linguistic point of view, the grammar of the verb ‘ to seek ’ cannot be distinguished from that of the verb ‘ to find. ’ Both require an object. But, from a logical perspective, the philosopher cannot help but notice the following difference: it cannot be true that someone has found something unless there is a something that he has found; but it can be true that someone is seeking something without there being any real entity that is what he seeks. [ … ] The classic formulas for intentionality construe it as a complication of the relationship between subject and object. They thereby mask or attenuate what should really be emphasized: that intentionality is in no way a kind of transitivity. (Descombes 2001: 22, Hervorh. im Original) Vincent Descombes' anthropologischer Holismus setzt hier zwar bei einer psychologischen bzw. phänomenologischen Perspektive auf Intentionalität an (Brentano und Husserl), widmet sich dann aber nicht mentalen Prozessen, sondern deren sprachlichen Deskriptionen, die sich mithilfe von Verben realisieren lassen. Sprachliche Zeichen, also hier intentionale Verben, sind also auch bei ihm der Ausgangspunkt der Analyse von Intentionalität. Insbesondere Verben dienen dann nicht nur der Zuschreibung von kognitiven Strukturen, sondern zeichnen sich auch durch ihre unterspezifizierte Struktur aus: Sie fordert Akkusativ- oder Dativobjekte, die ihre Struktur komplettieren. Insofern zeigt 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 231 Descombes' Perspektive auf das Verb eben jede Unterspezifiziertheit an, die bei T. L. Short über die Existenzbedingungen intentionaler Objekte benannt wird. Descombes' exemplarische Analyse von Verben, welche im Rahmen mentaler Strukturen zu verorten sind (hier: to perceive, to love, to seek, to find), zeigt zudem, dass eine oberflächengrammatische Analyse eine wesentliche relationslogische Differenz dieser Verben nicht erfassen kann: Denn diese Verben unterscheiden sich hinsichtlich der Spezifik der Akkusativbzw. Dativobjekte und daher auch in ihrer Transitivität. Kurz: Dass ein Verb ein Akkusativbzw. Dativobjekt fordert, ist weder ein hinreichender Beweis für diskursive Intentionalität noch ein vollständiger Hinweis auf Transitivität, zumindest nicht im relationslogischen Sinne. Diese Unterscheidung der Verben hinsichtlich ihrer Objektunterspezifiziertheit korreliert mit Descombes' Perspektive auf Ereignisse der Wirklichkeit, die mithilfe von Verben erfasst werden können. Anhand der Unterscheidung von natürlichen und intentionalen Ereignissen [natural and intentional events] lässt sich die Erklärung von Sachverhalten in diskursiven Praktiken erklären, die an die bereits vorgestellte virtuelle Logik der hyperonymischen Abstraktion erinnert: I have set in opposition two types of events: natural events and intentional events. This opposition can be easily transposed into other ontological categories: natural abilities and intentional abilities, natural relations and intentional relations. Are intentional events also mental events? Yes, they are, but only if we hold mental events to be those that are meaningful. Thus, to say that it is raining is an intentional event (and therefore mental in this sense), not because it comprises an interior part (thought) added to the exterior part (language), but because I have done something other than describe the event of the speech act as a speech act if I have failed to mention that the words uttered meant something. What serves here as the criterion of the mental is not interiority but rather signification. In other words, mind is not found first in our heads and then, derivatively or as an effect, in signs. To make this claim is not to deny that there are interior mental acts or unexpressed mental episodes. It is only to point out that, from the perspective of meaning or intentionality, the interior is not to be privileged - there is a complete equivalence between the interior and the exterior. (Descombes 2014: 4 f., Hervorh. im Original) Descombes unterscheidet hier nicht nur zwischen natürlichen und intentionalen Ereignissen, die der Differenz von ontologischen und deontologischen Prozessen Brandoms in vielen Belangen sehr nahekommt, sondern etabliert auch einen Zeichenbegriff, der auf Irreduzibilität beruht. Das Verhältnis von interioren und exterioren Anteilen des Zeichens ist nicht nur ein reziprokes Verhältnis, sondern auch hinsichtlich der Ereignisdeskription unterspezifiziert, sodass das Verhältnis von interioren und exterioren Anteilen einen Überhang produziert. Dieser lässt sich im Sinne Brandoms als inferenzielle Relation interpretieren. Anstatt das Verhältnis von interioren und exterioren Anteilen also mithilfe mentaler Strukturen zu analysieren, wendet sich Vincent Descombes, ebenso wie Robert Brandom und T. L. Short, der Signifikanz zu, indem er dem Zeichenverhältnis die konstitutive Funktion von Intentionalität zuweist. Insofern lassen sich auch intentionale Relationen und Verben mithilfe eines Zeichenbegriffes analysieren, welcher auf Irreduzibilität beruht und nach dem Verhältnis von Signifikanz und Intentionalität fragt (cf. Kapitel 9.1). Das gilt für die Analyse der Transitivität von intentionalen Relationen und Ereignissen (logisch) ebenso wie für die Transitivität von intentionalen Verben (grammatisch). 232 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Intentionalen Verben, ebenso wie intentionalen Relationen und Intentionalität, ihre transitive Funktion argumentativ abzuerkennen, indem die Verbstruktur über die grammatische Funktion hinaus betrachtet wird, führt allerdings zu einer theoretischen Schwierigkeit, die erklärt und gelöst werden sollte: Wenn Intentionalität weniger eine Relation zweier Objekte, also zwischen Subjekt und Akkusativbzw. Dativobjekt, darstellt, sondern eher die Bedingung ihrer Zusammenkunft ist, dann sollte erklärt werden, warum Intentionalität stets als Verhältnis von Subjekt und Akkusativbzw. Dativobjekt (z. B. von Psychologie oder Phänomenologie) verstanden wird. Hierzu ist es unverzichtbar, sich die exakte Struktur von transitiven, psychologischen und/ oder intentionalen Verben anzusehen: Verben wie treten sind im grammatischen Sinne transitiv, weil sie ein Akkusativobjekt fordern, sind aber keine intentionalen Verben. (Sich etwas) vorstellen hingegen ist ein psychologisches 11 Verb und ebenfalls transitiv. Allerdings unterscheiden sich beide in ihrer transitiven Struktur voneinander: Nur letzteres ist “ intrinsically transitive ” (Descombes 2014: 28, Hervorh. im Original), weil sich deren Objektrelation allein anhand intrinsischer Strukturen und Funktionen erfassen lässt. Treten hingegen vermittelt zwischen Vorstellung und physischer Tätigkeit, sodass die Transitivität kontingent bleibt: Es kann nach etwas getreten werden, was nicht existiert. 12 Bei der Erfassung der vermeintlichen Transitivität intentionaler Verben steht die Analyse außerdem vor weiteren Problemen: Intentionale Verben, so Descombes, zeichnen sich weder durch intrinsische noch durch extrinsische Transitivität aus und haben zugleich kontingente Objektrelationen: “ intentional verbs are neither purely relational (transitive) nor definitively intransitive (monadic). They may nevertheless become indirectly transitive. ” (Descombes 2014: 193) Mit dem Begriff der indirekten Transitivität steht damit ein Begriff bereit, die diesen besonderen Status von intentionalen Verben erfassen kann und das Verhältnis von realen und intentionalen Relationen widerspiegelt. Er ist dabei nicht selbstwidersprüchlich, sondern ermöglicht, die exklusive Stellung von intentionalen Verben hervorzuheben: It is necessary and sufficient that intentional verbs be both transitive and intransitive. If that condition proved contradictory, a dialectical solution would be required. Yet I do not believe it to be contradictory because it can be understood in the following way: an intentional verb, by itself, is not transitive; nevertheless, it must not be classed among the intransitive verbs, for it can become transitive, not by itself but through its association with another verb that is usually transitive. Instead of speaking of an extraordinary transitivity (which is ultimately unintelligible) of intentional verbs, we would then have to say that these verbs are bestowed with an ordinary transitivity (that they do not possess in themselves) by virtue of their internal link with other verbs that are transitive in the ordinary way. The proposed solution is this: intentional verbs are transitive 11 Descombes verwendet hier den Ausdruck “ intentional transitive verb ” (2014: 28), was insofern missverständlich ist, als dass sich sein Argument entlang der Transitivität psychologischer Verben entfaltet. Auch wenn (sich etwas) vorstellen auch ein intentionales Verb ist, geht es hier um die intrinsische Relations- und Objektstruktur dieser Verben, sodass eine entsprechende Übersetzung an dieser Stelle angemessen ist. 12 Physische Tätigkeiten oder andere Formen der kausalen Verursachung können außerdem mithilfe externer Termini beschrieben werden, sodass diese in extrinsischen Verhältnissen bestehen (cf. Descombes 2014: 27, der an Michael Dummetts Argumentation anknüpft (cf. Dummett 1991: 264)). Auch wenn die Differenz von intrinsischen und extrinsischen Relationen für intentionale Relationen nicht aufrechtzuerhalten ist (cf. Descombes 2014: 196 f.), kann die Transitivität von extrinsischen Relationen auch extrinsische Transitivität genannt werden. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 233 because they are intentional in a system that must contain transitive verbs (that are really transitive). In other words, intentionality is a property that is conferred upon some acts or processes in virtue of their integration within a more general system. This response boils down to saying that the intentionality of the mental is nothing but an aspect of the holism of the mental. (Descombes 2014: 77, Hervorh. im Original) Descombes stellt heraus, dass die exklusive Betrachtung intentionaler Verben sich weder in Transitivität noch Intransitivität auflösen lässt, doch hier betont er die systematische Dimension intentionaler Verben: Weil intentionale Verben mit anderen (auch intentionalen) Verben in einem systematischen Verhältnis stehen (cf. auch Descombes 2014: 86), werden diese als indirekte transitive Verben behandelt. Erst im Verhältnis zu anderen Verben erweisen sie sich nicht nur als transitiv, sondern können (im engeren Sinne) auch grammatische Objekte bzw. Relata fordern. Descombes' Exponat der indirekten Transitivität, welche sich genuin transitiver Relationen parasitär bedient, steht dabei nicht im Widerspruch zu dessen Behauptung, dass Intentionalität, intentionale Relation und damit auch intentionale Verben die Kondition der Genese einer realen Relation, z. B. intrinsischer bzw. extrinsischer Transitivität, sei. Vielmehr betont er hier zunächst den systematischen Aspekt des Verhältnisses zwischen Verben, aber noch nicht die Kraftverhältnisse intentionaler und realer Relationen. Zunächst lässt sich aber festhalten, dass intentionale Verben, weil sie nicht reduzierbar auf reale Relationen sind, stets einen ihnen inhärenten Aspekt in das semiosische Kontinuum einbringen, welches nicht in realen Relationen zu finden ist. Der Kraftentwicklung muss sich dabei aber nicht auf eine Transformationsrichtung [[X]INTENTIONAL[Y]] → [[X] REAL[Y]] beschränken. Schon Robert Brandoms Differenz von kognitiven und praktischen Festlegungen zeigt, dass es sich um ein multidirektionales Verhältnis handelt: Intentionale Relationen können reale Relationen und ihre grammatischen Objekte konstituieren (performativ) oder sich derer bedienen, indem sie diese überlagern. Mit dieser Wendung hin zu einem System an Verben, welche in ihren Bezügen transitive Funktionen erhalten können, können inferenzielle Relationen in diskursiven Praktiken offengelegt werden, sodass im Folgenden nicht nur intentionale Verben allein, sondern sie auch im Verhältnis zu anderen Verben betrachtet werden. Um aber weiterhin von der spezifischen Klasse von intentionalen Verben sprechen zu können, muss auch hier zwischen Verben unterschieden werden, die kraft ihrer Struktur immer Intentionalität zuschreiben, und denjenigen, die nur kraft weiterer inferenzieller Relationen Intentionalität attribuieren können (signifikative Suffizienz): The conclusion to be drawn from this systematic link is that to speak of the intentionality of the mental is a way of speaking of the holism of the mental. An intentional verb is not intentional in isolation; it is intentional by virtue of its integration within a system of intentional verbs. Among these intentional verbs, a distinction must be made between strictly intentional verbs such as ‘ to look for ’ and verbs that are sometimes intentional, such as ‘ to find. ’ One might say that the former have a full-time intentionality, meaning that they are never directly transitive and that, at least in philosophical grammar, they are not constructed with a direct object (however they may be constructed in a given language). The latter verbs possess a part-time intentionality, and that is what allows them to provide the entire group of intentional verbs with a contact with or positive connection to reality. This contact should be conceived as a reciprocally real relation between two clearly individuated entities. (Descombes 2014: 85, Hervorh. im Original) 234 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Die holistischen Relationen intentionaler Verben ermöglichen also deren Betrachtungen in einem System sprachlicher Zeichen, welche entweder immer über Intentionalität verfügen oder welche nur unter bestimmten kontextuellen und situativen Bedingungen Intentionalität aufweisen. Das Verhältnis zwischen intentionalen und realen Relationen bzw. intentionalen Verben und z. B. psychologischen Verben oder Tätigkeitsverben stellt also nicht nur die Besonderheit der Transitivität heraus, sondern lässt sich auf die gesamte konstitutive Kraft intentionaler Verben erweitern. Wenn intentionale Verben nicht unabhängig von einem System an Verben analysiert und beurteilt werden können (und da sind sich Descombes und Brandom einig), dann wirken sich deren systematische Relationen auch auf spezifische Sachverhalte, das Verhalten bzw. die involvierten Personen in der diskursiven Praxis aus: “ By attributing an intention to someone, we presuppose an entire context made up of institutions and customs. ” (Descombes 2001: 224) Die bisherigen Beschreibungen tragen weiteres Vokabular zur relationslogischen, inferenziellen und linguistischen Analyse intentionaler Verben und diskursiver Praktiken bei. Die verschiedenen Klassen der Transitivität (intrinsisch, extrinsisch und indirekt) und der systematische Aspekt von intentionalen Verben sollen im Folgenden nun exemplarisch auf Verben angewandt werden. Aufgrund des irreduziblen Verhältnisses zwischen Verb und Sachverhalt, Verhalten bzw. Ereignis kann diese Analyse auch auf intentionale Handlungen übertragen werden, denn auch “ intentional activity is not yet a transitive act or a real relation ” (Descombes 2014: 218, Hervorh. im Original). Diese folgende Analyse dient dabei der Veranschaulichung der bisher eingeführten theoretischen Elemente und wird später um empirische Belege erweitert (cf. Kapitel 12.5 und 12.6). Descombes veranschaulicht indirekte Transitivität von intentionalen Relationen und Verben anhand des Verbs ermorden [to murder] 13 , welches bereits im Rahmen der relationalen Logik Peirces eine prominente Rolle einnimmt: A man is a murderer on condition that he is the murderer of someone. A man is a victim on condition that there be someone of whom he is the victim. Cain has a relation with regard to Abel: he is his murderer. Abel has the converse relation with regard to Cain: he is his victim. Yet these relations are but a single relation. Above, we were dealing with a relation between two facts - which could be symbolized by characterizations of the two objects, a and b: Fa, Fb - from which we concluded that there was a relation of resemblance (with regard to property F) between a and b. In the present case, we have first a relation aRb and only afterwards do we have the distinct facts that follow from it. These facts can be expressed by opposed and complementary predicates: Cain killed Abel; therefore Cain is the murderer, Abel the victim. (Descombes 2014: 215, Hervorh. im Original) Die [[X]ERMORDEN[Y]]-Relation birgt also verschiedene Facetten, die sich inferenziell entfalten und relationslogisch analysieren lassen. Durch die Relation erhalten ihre Relata ihre wechselseitigen Funktionen (hier: Täter und Opfer), die sich zwar mithilfe unter- 13 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Übertragung der englischsprachigen Beispiele Descombes' in das Deutsche nur bedingt möglich ist. Auch wenn ermorden hier die angemessene Übersetzung von to murder ist (und daher als relationslogisches Beispiel taugt), so verhält sich das Verb ermorden systematisch wohl anders als to murder: Denn im Deutschen gibt es zumindest die Opposition von ermorden und morden, welche signifikative Elemente im Präfix nahelegt, die erst die Ergänzung eines Akkusativobjektes ermöglichen. Außerdem ist ermorden im Deutschen eher perfektivisch, während to murder eher prozesshaft ist. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 235 schiedlicher propositionaler und inferenzieller Gehalte formulieren lassen, aber eine spezifische Relation darstellen. Im Zentrum des Verhältnisses von Subjekt und Akkusativobjekt steht also eine Relation, die nicht nur die Funktionen zuweist, sondern auch die inferenzielle Gliederung mithilfe der Prädikate ausgestaltet. Es handelt sich also einerseits um eine Analyse der Relation, aber andererseits auch um eine Darstellung von Subjekt und Akkusativobjekt als Relata, die sich hier nicht hinreichend mit einem AGENS-PATIENS- Verhältnis erfassen lässt. Dass dies nicht hinreicht und dass die Deskription mithilfe des Verbs mehr als eine Relation involviert (System), zeigt sich, wenn das Verb das Verhalten als intentionale Handlung beschreibt: A murders B. The concept of murdering is that of an intentional act, unlike the concept of killing, which is a brute description (i. e., a description that does not tell us whether the act was intentional or not). In order for A to murder B, A must do something with the intention of putting B to death, for example, by shooting a revolver in such a way as to mortally wound him. Thus the proposition ‘ A murders B ’ is at first glance dyadic, since it uses a transitive verb. One might then be led to believe that murdering is a dyadic action like ‘ pulling the trigger ’ or ‘ plunging the dagger. ’ It is not: this apparent dyad is, in reality, a triad. (Descombes 2014: 221, Hervorh. im Original) Die [[X]ERMORDEN[Y]]-Relation beinhaltet nicht nur semantische Gehalte, sondern muss als triadische Relation analysiert werden, denn ermorden umfasst eine intentionale Handlung. Der Sachverhalt wird nicht nur beschrieben und in einen Rahmen diskursiver Beurteilbarkeit gesetzt, sondern den beteiligten Rollen wird auch ein gewisser Grad an Normverfügen zugebilligt. Dieses Normverfügen geht über die übliche Darstellung mithilfe semantischer Rollen hinaus und etabliert grammatische Objekte intentionaler Relationen als diskursive Wesen, sodass sich hier der Begriff der diskursiven Rolle anbietet, um diese Funktion intentionaler Verben zu erfassen (cf. Kapitel 12.3 und 12.4). Ermorden selbst stellt sich außerdem als Verb heraus, welches im relationslogischen Sinne keinerlei eigenständige Transitivität aufweist. Vielmehr borgt es sich die Transitivität indirekt von denjenigen Verben, die inferenziell mit ermorden in Verbindung stehen und die die intentionale Relation überlagert, hier z. B. töten [to kill], abdrücken [to pull the trigger], stechen [to pludge the dagger]. Diese Verben erfassen nicht nur Teilaspekte der intentionalen Handlung, sondern weisen sich teilweise als rohe Deskriptionen [brute descriptions] aus, die selbst dyadische Relationen beinhalten. Die diskursiven Normen, die für ermorden gelten, gelten damit auch für die anderen Verben, die Teilaspekte sind oder Folgesachverhalte erfassen. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verben selbst keine genuin triadischen Relationen signifizieren, sondern dyadische Relationen anzeigen. Die Analyse der vermeintlichen Transitivität intentionaler Verben zeigt also, dass hinter der grammatischen Oberfläche eine vielfältige inferenzielle Gliederung steckt, deren Relationen auch mithilfe einer relationslogischen Analyse erfasst werden können. Dabei ist es nicht nur wichtig, zwischen verschiedenen Formen der Transitivität zu unterscheiden, sondern auch, die spezifischen Qualitäten der Relationen offenzulegen, um anschließend ihre systematischen Verquickungen zu veranschaulichen. Der Begriff der indirekten Transitivität zeigt dabei, dass intentionalen Verben als signifikative Strukturen eine besondere Qualität aufweisen: Ihre intentionalen Relationen stehen in Verhältnissen zu ähnlichen realen Relationen, sodass intentionale Verben zwar wirken als seien sie transitiv, wobei sich diese Eigenschaft aus den realen Relationen speist. Das Beispiel ermorden 236 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben veranschaulicht außerdem, dass eine inferenzielle Relationen zwischen der intentionalen und der realen Relation besteht. Über dieses Verhältnis wird klar, warum Verhalten (reale Relation) als Handlung (intentionale Relation) verstanden wird. Hier entfaltet ein semiotischer Begriff von (indirekter) Transitivität seine volle Wirkung. Insbesondere bei der Darstellung der inferenziellen Gliederung intentionaler Verben wird dieses Verhältnis noch einmal aufgegriffen (cf. Kapitel 12.5). Bevor ich mich im nächsten Kapitel dem Grundlagenmodell der intentionalen Verben zuwende, welches nicht nur normative und pragmatische Signifikanz modelliert, sondern auch eine neue Perspektive auf die Analyse diskursiver Praktiken eröffnen soll, ist es sinnvoll, die bisherigen theoretischen Ausführungen zu resümieren. Die hier vorgenommene Analyse von Relationen mithilfe von logischen Verfahren veranschaulicht die grundlegenden Prozesse und Strukturen, welche intentionale Verben (implizit oder explizit) in diskursiven Praktiken aufweisen. Hervorzuheben ist dabei einerseits die Qualität der Relation selbst, welche mithilfe der relationslogischen Klassifikation untersucht werden kann. Ebenso wichtig sind aber auch deren Relata, die als Subjekt sowie Akkusativ- und Dativobjekt Teil der evozierten Strukturen sind und sich je nach Relation unterscheiden können. Die Relationsqualität und die Frage der Involviertheit diskursiver Normen hat unmittelbare Folgen für die Beurteilung des Verbs als intrinsisch, extrinsisch oder indirekt transitiv. Dabei eröffnet sich in Anschluss an Descombes nicht nur eine Analyse der dyadischen oder triadischen Relationen, sondern auch eine inferenzielle Darstellung zwischen verschiedenen Verben in ihrem systematischen Zusammenhang. Die relationslogische Perspektive auf intentionale Verben ergänzt die bisherigen theoretischen Analysen insofern, als dass der intentionalen Relation ein Ankerpunkt in der Konstitution von wesentlichen Aspekten diskursiver Praktiken eingeräumt wird und diese gleichzeitig analysierbar gemacht werden. Die Analyse der diskursiven Intentionalität Brandoms sowie die semiotischen Spezifikationen Shorts und Millikans insbesondere hinsichtlich Signifikanz bieten dabei eine theoretische Rahmung der Analyse und Interpretation intentionaler Verben und deren relationslogischen Signifikanzstrukturen. 12.3 Grundlagenmodell der intentionalen Verben Intentionale Verben stehen im Mittelpunkt, wenn es um die Frage von diskursiver Intentionalität in sozial-kommunikativen Praktiken geht. Sie stellen eine Gruppe von Zeichenstrukturen dar, die implizit an der Konstitution von Verhalten als Handlung mitwirkt. Dass sich nicht einfach grammatische Strukturen oder syntaktische Einheiten als intentionale Verben klassifizieren lassen, haben die Diskussion im Rahmen von virtueller Logik und Relationslogik gezeigt. Doch auch wenn sie die verschiedenen intentionalen Verben qualitativ ebenso unterscheiden wie es Sprechaktverben tun, teilen sie doch eine gewisser semiotische Grundstruktur. Diese Grundstruktur möchte ich anhand eines Grundlagenmodell erarbeiten. Hierzu werden die verschiedenen Zeichenaspekte, die in Anlehnung an Brandom, Peirce und Millikan erarbeitet wurden (cf. Kapitel 6 - 9), in ein Modell intentionaler Verben überführt. Die relationslogischen Prämissen bleiben dabei allerdings erhalten und werden in der Grundstruktur berücksichtigt. Das Grundlagenmodell, dass aus diesen Annahmen entwickelt wird, bildet abschließend den kleinsten 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 237 gemeinsamen Nenner intentionaler Verben und ist damit Ausgangspunkt weiterer theoretischer Reflexionen und Modellierungen (cf. 12.4 - 12.6). Nachdem mithilfe der Analyse der diskursiven Intentionalität Brandoms, der Signifikanz und Intentionalität von Verben Shorts (und Millikans) und der relationalen Logik Peirces und Descombes' die Grundlagen für die Verbanalyse geschaffen wurden, kann nun ein Modell entwickelt werden, welches signifikative Strukturen intentionaler Verben offenlegt, analytisch zugänglich macht und neue Perspektiven auf diskursive Praktiken ermöglicht. Hierfür ist es wichtig, die intentionale Relation sowie deren Involviertheit in propositionale Einstellungen, Prädikate und relationale Objekte bzw. Relata zu erfassen und linguistisch zu modellieren. Gleichzeitig muss aber auch deren Verhältnis zu anderen Relationen und Verben berücksichtigt werden, um zu erklären, welche Verben intentionalen Verben indirekte Transitivität verleihen, in welchem systematischen Verhältnis intentionale Verben zu anderen Verben überhaupt stehen, aber insbesondere, wie sich intentionale Verben auf Verhalten und Objekte beziehen. Weil die bisherigen Kapitel viele theoretische Begriffe eingeführt haben, die sich konzeptuell wie strukturell ergänzen, aber teilweise auch überlappen, sollen die relevanten zu modellierenden Aspekte intentionaler Verben zunächst zusammengefasst und damit die Elemente der Modellierung bereitgestellt werden. Erst in einem zweiten Schritt sollen Elemente diagrammatisch in ein Verhältnis gesetzt werden, um Kraft- und Effektverhältnisse im Rahmen der signifikativen Struktur aufzuzeigen. Die Begriffe, die zur Modellierung verwendet werden, beruhen dabei auf den theoretischen Konzepten Brandoms, Peirces, Shorts, Millikans und Descombes', wobei im ersten Schritt insbesondere relationslogische (Peirce und Descombes), signifikanztheoretische (Short) und handlungstheoretische (Brandom) Aspekte benannt werden. Millikans Aspekte, die ich unter den Begriffen kooperative Funktion und signifikative Suffizienz beschrieben habe, finden insbesondere bei einer differenzierten Beschreibung intentionaler Relationen und Verben Anwendung, die auf das Grundlagenmodell intentionaler Verben folgt (cf. Kapitel 12.4 und 12.5). 14 Diskursive Intentionalität, die von Verben signifiziert wird, so lässt sich bisher zusammenfassen, ist ein komplexes Konglomerat aus signifikativen Relationen und Relata, deren konditionalen Bedingungen, Objektrelationen und systematischen Beziehungen. Folgende Aspekte lassen sich unter Berücksichtigung des eingeführten theoretischen Vokabulars für eine Modellierung intentionaler Verben zusammenfassen: 1. diskursive Normen 2. semantische Relation 3. signifikative propositionale Einstellung 4. mindestens zwei Relata a. signifikative Leerstelle zur Evokation einer diskursiven Rolle b. signifikative Leerstelle zur Evokation eines intentionalen Objekts, welches selbst inferenziell gegliedert und propositional eingebettet ist 14 Reduzierte Modelle von intentionalen Verben, die sich allein auf Brandom und Short stützen, finden sich bereits in Briese 2019 und 2020 a. 238 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Bevor die jeweiligen Elemente intentionaler Verben beschrieben und dann in ein diagrammatisches Verhältnis zueinander gestellt werden, zeigt bereits die Wahl des deskriptiven Vokabulars, an welcher Stelle die Aspekte konzeptionell anschließen. 1. Diskursive Normen schließen theoretisch an der notwendigen Involviertheit dieser in diskursiven Praktiken an, wie sie im Rahmen des normativen Sprachpragmatismus, aber auch im semiotischen Pragmatismus angenommen werden (cf. Kapitel 4). 2. Semantische Relationen, die dann auch im Verhältnis zu diskursiven Normen stehen, folgen begrifflich zunächst Brandoms Definition von diskursiver Intentionalität ( “ pragmatically mediated semantic relation ” ), werden im Folgenden aber insofern relationslogisch erweitert, als dass sich hier auch die Schnittstelle zwischen intentionalen und realen Relationen eröffnet, die sich z. B. entlang von kognitiven und praktischen Festlegungen erfassen lässt (cf. Kapitel 8). 3. Signifikative propositionale Einstellungen schließen theoretisch am Signifikanzbegriff Shorts an und markieren gleichzeitig den semiotischen “ Zugang zum Mentalen ” , der kraft des Verbs diskursiv erzeugt werden kann (cf. Kapitel 9). 4. Die Relata markieren jene relationslogischen Aspekte, die die Relation selbst übersteigen, also nicht die Qualität der Relation selbst betreffen. Auch hier geht es um Signifikanzen, aber auch um eine latente inferenzielle Gliederung der evozierten Relata. Insbesondere bei diskursiven Rollen kommt außerdem ein handlungstheoretischer Aspekt zum Tragen, der sich an Brandoms Handlungstheorie anlehnt (cf. Kapitel 8.3). 1. Diskursive Normen nehmen in der Aufzählung der Elemente des Modells intentionaler Verben nicht nur tabellarisch, sondern auch perspektivisch die zentrale Position ein. Denn auch anhand der semiotischen und sprachtheoretischen Grundlagen, die sich beide auf diskursive Normativität berufen, lassen sich die wesentlichen Kräfte diskursiver Normen entsprechend zusammenfassen: Sie gelten hier als strukturbildende und -konstituierende Elemente diskursiver Praktiken, deren Kraft z. B. in der Bildung semantischer Relationen liegt. Diskursive Normen als eigenständiges Element zu betrachten, ist eine analytische Perspektive, die bei der Modellierung hilft. Tatsächlich gilt hier, dass sie nur kraft Zeichenprozesse diskursive Relevanz erlangen und nicht vor den diskursiven Praktiken existieren. Erst während der Praktiken können sie sich entfalten. Nichtdestotrotz ist es im Sinne einer analytischen Perspektive sinnvoll, hier kurz diskursive Normen isoliert zu betrachten und danach in ein Verhältnis zu den anderen Elementen intentionaler Verben zu setzen. Das Konzept der diskursiven Normen ist hier bewusst vage gehalten, denn es umfasst kein Set an spezifischen Normen, das auf jeden Sachverhalt bzw. jedes Verhalten anwendbar ist, der bzw. das kraft des Verbs diskursive Intentionalität involviert (cf. Kapitel 16). Selbst diskursuniversale Normen (wie z. B. diejenigen, die mithilfe des Kooperationsprinzips dargestellt werden können) müssen nicht notwendigerweise über jedes intentionale Verb ihre Kraft entfalten. Dennoch umfasst jedes intentionale Verb einen Aspekt der normativen Beurteilbarkeit, welcher normative Folgen für das signifizierte Verhalten bereitstellt. Diese sind meist diskursspezifisch, gründen aber wohl auf einer epistemisch starken Opposition für die Deskription von Verhalten: kausal vs. intentional. Über diskursive Normen wird Verhalten auf eine andere Weise beurteilbar, als es bei einer kausalen Deskription der Fall wäre. Hier zeigen sich implizit bereits relationslogische Prämissen, die zwischen triadischen und dyadischen Relationen unterscheiden (cf. auch die Opposition von ermorden und töten in Kapitel 12.2). 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 239 2. Die semantische Relation, die auf Basis diskursiver Normen entsteht, stellt traditionell den Fokus der Analyse von Intentionalität dar. Im Rahmen dieses Modells intentionaler Verben ist die semantische Relation nicht nur ein Derivat diskursiver Normen, sondern weist sich strukturell auch als flexibler Aspekt aus. Denn sie kann sich je nach intentionalem Verb unterschiedlich ausgestalten: Sowohl bei intentionalen Verben, die reale Relationen (z. B. kraft praktischer Festlegung) konstituieren als auch bei jenen, welche reale Relationen (z. B. bei kognitiven Festlegungen) parasitär nutzen, stellen semantische Relationen den Scheitelpunkt dar. Eine semantische Relation ist also nicht äquivalent mit der intentionalen Relation. Während die intentionale Relation eher das kraft der diskursiven Normen gestiftete semantische Relationspotenzial ist (ganz im Sinne der hyperonymischen Abstraktion und virtuellen Logik), ist die semantische Relation eine spezifische, aber abstrakte Relation, die die relevanten Objekte des Verhaltens bzw. des Sachverhalts über Relata in Beziehung setzt. Die semantische Relation, hier als Abstraktion erster Ordnung, realisiert sich in diskursiven Praktiken auf verschiedene Weise und umfasst dann semantische Gehalte, die über die hier zu untersuchenden Relationen hinausgehen. So umfasst z. B. das kraft des Verbs (sich) unterhalten signifizierte Verhalten prototypisch auch artikulatorische, auditive und akustische Relationen und Gehalte, die aber, weil sie reale Relationen sind, zunächst für diskursive Intentionalität nur marginal interessant sind (und erst über die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben relevant werden). 3. Anstatt verschiedene semantische Gehalte zu berücksichtigen, ist insbesondere die Involviertheit einer signifikativen propositionalen Einstellung zur Modellierung relevant. Anstatt mit diesem Konzept auf tatsächliche mentale Strukturen zu rekurrieren, erfasst das Konzept der signifikativen propositionalen Einstellung Signifikanzen diskursiver Praktiken. Es geht also um die in der kraft des intentionalen Verbs vorgetragene Deskription des Verhaltens und nicht um volitionale Strukturen von Lebewesen. Beim Konzept der signifikativen propositionalen Einstellung geht es aber auch nicht um eine vollwertige “ Theory of Mind ” , denn es handelt sich hier allein um Signifikanzstrukturen von Verben. Es geht schlichtweg darum, dass zum Verstehen und Hantieren mit intentionalen Verben dazugehört, propositionale Einstellungen zu signifizieren. Auch hier eignet sich die Opposition von ermorden und töten zur Betrachtung der Differenz (cf. Kapitel 12.2). Allerdings qualifiziert sich nicht jede signifizierte mentale Struktur auch als propositionale Einstellung. Tatsächlich signifizieren z. B. Wahrnehmungsverben wie sehen oder hören kognitive bzw. quasi-kognitive Strukturen, die aber nicht propositional sind bzw. sein müssen. Intentionale Verben zeichnen sich grade deshalb durch ihre signifikativen propositionalen Einstellungen aus, weil diese die am Verhalten bzw. Sachverhalt beteiligten Personen ein gewisses Maß an inferenzieller Fähigkeit zuweisen, die über die Gerichtetheit mentaler Strukturen hinausgehen. Auffällig ist außerdem, dass das Konzept der signifikativen propositionalen Einstellung weder mit der Handlungsabsicht noch mit intentionalen Einstellungen übereinstimmt. Auch hier zeigt sich der Grad der Abstraktion: Als diskursive Wesen, die mit diskursiver Intentionalität ausgestattet sind, gelten nicht nur Handelnde, sondern auch andere, wobei sich die spezifischen Strukturen hier selbstverständlich unterscheiden (cf. Kapitel 8.3). 4. Neben diskursiven Normen, semantischer Relation und signifikativen propositionalen Einstellungen sind für Strukturen von intentionalen Verben auch diejenigen Signifikanzen 240 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben relevant, die über die Oberflächenstruktur hinausgehen. Mithilfe von Relata lassen sich diejenigen Elemente intentionaler Verben analysieren, die nicht unmittelbar die Qualität der intentionalen Relation betreffen, aber doch beteiligt sind. Was in der traditionellen Darstellung von Intentionalität als Subjekt und Objekt der Relation beschrieben wird, ist ebenfalls als signifikative Leerstellen der Verbstruktur impliziert. Es handelt sich dabei um signifikative Leerstellen, weil sie einerseits auf Signifikanz beruhen und andererseits über andere sprachliche Zeichen, die keine Verben sind, realisiert werden müssen (z. B. als Substantive). Trotz der Realisierung durch andere sprachliche Zeichen ist ihre Evokation bereits im Verb angelegt, sodass diese ebenfalls im Modell intentionaler Verben erfasst werden sollten. 4.a. Die signifikative Leerstelle, die eine diskursive Rolle evoziert, ist strukturähnlich zum Konzept des Subjekts, ist aber aus der Perspektive des intentionalen Verbs zu betrachten und damit strukturabhängig. Kraft des intentionalen Verbs verfügt die diskursive Rolle über spezifische Eigenschaften, die mithilfe des theoretischen Vokabulars erklärt werden sollen. Weil es sich dabei um die Abhängigkeit von der intentionalen Relation in diskursiven Praktiken handelt und damit weder um syntaktische (Aktanten) noch semantische (semantische Rollen) Strukturen, bildet der Begriff der diskursiven Rolle hier ein handlungswie diskurstheoretisches Äquivalent. Da pragmatische und diskursive Aspekte in der Konstitution diskursiver Rollen berücksichtigt werden, kann hier das handlungstheoretische Vokabular Brandoms (Handlungen aus Gründen und Handlungen mit Gründen) verwendet werden, um Unterscheidungen verschiedener diskursiver Rollen zu ermöglichen, ohne spezifische semantische Gehalte zu analysieren. Das handlungstheoretische Vokabular Brandoms bietet sich hier außerdem an, weil es eine inferenzielle Gliederung im Rahmen diskursiver Praktiken impliziert, welche dann auch für diskursive Rollen gelten kann bzw. entsprechend modelliert wird. 4.b. Neben einer signifikativen Leerstelle für eine diskursive Rolle evoziert ein intentionales Verb außerdem ein intentionales Objekt und ist damit von diesem ebenfalls strukturabhängig. Dieses intentionale Objekt realisiert sich ebenfalls nicht als Verb, sondern über andere sprachliche Zeichen (Akkusativobjekte etc.). Anstatt aber hier nur auf die konkrete Äußerungsebene zu blicken, ist für das evozierte intentionale Objekt insbesondere wichtig, dass es selbst inferenziell gegliedert ist, weil es propositional eingebettet wird bzw. sein kann. Es geht hier also auch weniger um spezifische semantische Gehalte des intentionalen Objekts, sondern um eine Signifikanz der Struktur. Das kraft des intentionalen Verbs evozierte intentionale Objekt unterscheidet sich außerdem vom Objekt der phänomenologischen Intentionalität. Während z. B. Wahrnehmungsverben wie sehen oder zusehen zwar Objekte fordern, die sich durch ihre Involviertheit in phänomenologische Intentionalität auszeichnen, qualifizieren sich diese nicht als intentionales Objekt im Rahmen diskursiver Intentionalität. Denn diese zeichnet sich weniger über die Gerichtetheit als über die inferenziellen Strukturen aus, die kraft der diskursiven Normen entstehen. Zusammenfassend bilden diskursive Norm, semantische Relation, signifikative propositionale Einstellung sowie die Relata die grundlegenden Elemente von intentionalen Verben. Eine Darstellung der verschiedenen Elemente der intentionalen Relation bzw. Verben reicht jedoch zur Bestimmung der verschiedenen Strukturen, Prozesse und Verhältnisse des 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 241 Modells nicht aus. Daher ist es notwendig, die Elemente in ein diagrammatisches Verhältnis zu setzen, um weitere Aspekte aufzuzeigen (cf. Abb. 6). Abb. 6: Intentionale Verben Das Diagramm, welches die oben beschriebenen Elemente intentionaler Verben darstellt, wird im Folgenden mit der formelhaften Abkürzung [[X]INTENTIONAL → [Y]] bezeichnet. Damit wird nicht nur die relationslogische Einbettung, sondern auch bereits das vektorielle Verhältnis zwischen den Relata beschrieben. Im Folgenden sollen aus Perspektive der beschriebenen Elemente von intentionalen Verben die Verhältnisse dieser und Relationen, die über das Modell hinausgehen, erfasst werden. Dabei gibt es gewissermaßen zwei unterschiedliche Leserichtungen, je nachdem, welches Erkenntnisinteresse mit diesem Diagramm verfolgt wird: Die relationslogische Leserichtung erfasst die Signifikanzstruktur intentionaler Verben als Spuren der Signifikation (Zeichenwerdung). Demnach entsteht auf Basis diskursiver Normen eine intentionale und auch semantische Relation, die sich auf Verhalten und Personen der Wirklichkeit bezieht und damit eine Interpretation eines Verhaltens als Handlung ermöglicht. Aus einer verbstrukturellen Leserichtung, die die (explizite oder implizite) Instanziierung des Verbs aus Ausgangspunkt nimmt, stellen sich die Elemente etwas anders dar: Durch die fixpunktartige Instanziierung des Verbs werden erst diskursive Normen herangezogen (Attraktion), die dann Verhalten als Handlung beurteilbar machen und konstituieren. Im Folgenden steht insbesondere die relationslogische Perspektive im Mittelpunkt. Zur Erfassung des Diagramms ist zunächst ein Hinweis zur Struktur der Ebenen notwendig, welcher bereits semiotische und kategoriale Differenzierungen einführt. Es sollte zwischen drei Ebenen unterschieden werden: 1. Ebene der konstituierenden Konditionen (hier: diskursive Normen), 2. Ebene der Struktur (hier: semantische Relation, Relata (X und Y) und signifikative propositionale Einstellung) und 3. Ebene der Objektrelationen. Diese drei Ebenen unterscheiden sich sowohl in ihrer kategorialen Zugehörigkeit als auch in ihrer Funktion. Neben den drei Ebenen gliedert sich das Diagramm außerdem entlang zweier Achsen, die bereits in den Ebenen angelegt sind, aber dennoch expliziert werden sollten. Denn in den 242 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Achsen spiegelt sich der Unterschied zwischen repräsentationaler Intentionalität [ofintentionality] und expressiver Intentionalität [that-intentionality] wider (cf. Kapitel 8): Während eine Interpretation des Diagramms auf einer vertikalen Achse erklärt, inwiefern spezifische diskursive Normen, semantische und inferenzielle Gehalte ihre diskursive Gültigkeit für Objekte der Wirklichkeit erlangen können (repräsentationale Intentionalität), stellt die horizontale Ebene (expressive Intentionalität) die Involviertheit von diskursiven Rollen, semantischen Relationen, signifikativen propositionalen Einstellungen und Gehalten in diskursiven Praktiken dar. Damit ermöglicht das Modell sowohl eine Beschreibung der inferenziellen Überlagerung, parasitären Nutzung und Integration von Objekten der Wirklichkeit in diskursiven Praktiken als auch die Analyse von Diskursivität dieser Praktiken. 1. Diskursive Normen, die hier als einziges Element auf der Ebene der konstituierenden Konditionen vertreten sind, bedingen kraft ihrer drittheitlichen Qualität die Ebene der Struktur. Dies umfasst, dass intentionale Relationen kraft konditionaler diskursiver Normen genuin triadische Relation sind. Das Diagramm zeigt aber nicht nur die kategoriale Qualität (Drittheit) und die Effektrichtung der diskursiven Normen (Vektorpfeil) an, sondern auch, dass diskursive Normen nicht nur die semantische Relation, sondern auch die Relata beeinflussen. Für die Objekte der signifikativen Leerstellen (X und Y bzw. diskursive Rolle und signifikatives intentionales Objekt) gelten die konditionalen diskursiven Normen also auf spezifische Weise, z. B. als Normverfügen oder Beurteilbarkeit. 2. Entlang der diskursiven Normen ist es aber eine semantische Relation, welche X und Y in ein Verhältnis setzt. Als semiotische Relation signifiziert diese Relata, deren Objekte (der Ebene der Objektrelationen) nur kraft der intentionalen Relation in Beziehung stehen. Bei der diagrammatischen Darstellung der semantischen Relation ist außerdem die kategoriale Struktur der Relation markiert (Quasi-Zweitheit). Diese ergibt sich aus ihrer Ableitung aus den konditionalen diskursiven Normen. Neben dieser findet sich im Diagramm auch eine doppelte vektorielle Ausrichtung der Relation. Damit ist nicht nur der Evokationseffekt der Signifikanz der Relation modelliert, sondern es verbergen sich dahinter auch zwei wesentliche strukturelle Aspekte, die die Qualität intentionaler Relationen auszeichnen: Zuschreibung bzw. Attribuierung und Gerichtetheit. Diese strukturellen Aspekte stehen (über die semantische Relation) in einem Verhältnis zueinander. Die Zuschreibung bzw. Attribuierung der Signifikanzstruktur der diskursiven Intentionalität gilt für X, aber nicht für Y. X stellt also das Subjekt der signifizierten Handlung dar. Y hingegen ist das Objekt der Gerichtetheit, wobei sich die Gerichtetheit in zwei Richtungen entfaltet. In Bezug auf Zuschreibung bzw. Attribuierung bedeutet dies, dass auch immer etwas (Y) zugeschrieben bzw. attribuiert wird. Gleichzeitg erfordert Gerichtetheit nicht nur ein Objekt (Y), sondern immer auch jemanden (X), der auf etwas (Y) gerichtet ist. Insofern markieren die Vektoren zwar unterschiedliche Qualitäten, die aber nicht distinkt sind. Dass die semantische Relation im Modell selbst keine Objektrelation aufweist (Ebene der Objektrelationen), heißt nicht, dass das im intentionalen Verb beschriebene Verhalten selbst keine Objektrelationen involviert. Offensichtlich gibt es zu jedem intentionalen Verb ein korrespondierendes Verhalten bzw. eine Struktur, sei sie performativ erzeugt oder 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 243 referenziell eingebettet. Für eine Analyse der diskursiven Intentionalität ist dieses Verhältnis aber zweitrangig, insbesondere deshalb, weil sich intentionale Relationen durch indirekte Transitivität auszeichnen und der objektrelationale Bezug daher auch über andere inferenziell angegliederte Verben erfasst werden kann. 3. Die semantische Relation involviert außerdem eine dem Verb implizite signifikative propositionale Einstellung. Diese stellt eben jene Strukturen bereit, die für die handlungstheoretische Deskription des Verhaltens notwendig ist (Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen). Insofern tendiert die signifikative propositionale Einstellung zu X (mittels Zuschreibung bzw. Attribuierung). Gleichzeitig begleitet sie als Bereitstellung propositionaler Strukturen auch die Einbettung von Y in inferenzielle Strukturen. Die Objektrelation der signifikativen propositionalen Einstellung beinhaltet diejenigen Aspekte, die der Darstellung der semantischen Relation noch fehlten: Sie zeigt an, dass die semantische Relation über eine signifikative propositionale Einstellung entweder reale Relationen konstituieren (praktische Festlegung) oder sich derer bedienen (kognitive Festlegung) kann. Bei beiden Verfahren kommt es jedoch zu einem strukturellen Projektionsverhältnis zwischen der signifikativen Struktur und der Ebene der Objekte bzw. Objektrelationen. 4. Neben den Verhältnissen der diskursiven Normen, semantischen Relation und signifikativen propositionalen Einstellung sind insbesondere die markierten signifikativen Leerstellen X und Y (diskursive Rolle und intentionales Objekt) für die Modellierung intentionaler Verben relevant. Neben der Beeinflussung der signifikativen Leerstellen durch diskursive Normen (z. B. als Normverfügen, Beurteilbarkeit, Verantwortung) ist insbesondere deren strukturelle Abhängigkeit von der semantischen Relation erklärungsbedürftig: Sie ist ein Effekt der kraft der diskursiven Normen quasi-zweitheitlichen Relation, sodass sich deren Signifikanzen auch strukturell vererben. 4.a. Für X gilt hier, dass es auf der Ebene der konstituierenden Konditionen, der Struktur und der Objektrelationen zu beschreiben ist. Für die diskursiven Normen kann X bzw. dessen Objekt z. B. für die Handlung verantwortlich gemacht oder als diskursive Autorität anerkannt werden. Es wird ein gewisser Grad an Normverfügen durch die diskursive Rolle auf sein Objekt projiziert. Zugleich wird X über die semantische Relation eine signifikative propositionale Einstellung zugeschrieben bzw. attribuiert, sodass das Normverfügen mit einer signifikativen propositionalen Struktur korreliert. Zugleich steht die signifikative Struktur der Leerstelle in einem Verhältnis zu Objekten der Wirklichkeit (Ebene der Objektrelationen), sodass auch die projizierten Strukturen und Normen Geltung für das Objekt von X entfalten können. 4.b. Für Y gilt ebenfalls, dass es auf der Ebene der konstituierenden Konditionen, der Struktur und der Objektrelationen zu beschreiben ist. Allerdings unterscheiden sich die theoretischen Konsequenzen für Y von denen für X. Diskursive Normen haben insofern einen Einfluss auf Y, als dass sie das Objekt von Y in die diskursive Praxis eingliedern und damit unter entsprechenden Normen beurteilbar machen. Damit ist Y auch inferenziell gegliedert. Auf der Ebene der Struktur zeichnet sich eine Signifikanz des intentionalen Objekts nicht nur durch Gerichtetheit aus, sondern (und das unterscheidet es von einer phänomenologischen Perspektive) durch inferenzielle Gliederung. Insofern müssen bei der Modellierung sowie der Analyse der Signifikanz des intentionalen Objekts stets latente Prädikate mitgedacht werden, 244 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben die die propositionale Struktur vervollständigen. Es handelt sich dabei aber nicht um spezifische oder konkrete Prädikate, sondern allein um das Potenzial im Rahmen der diskursiven Struktur. Insofern sind sie weder semantisch noch normativ festgelegt, aber dennoch durch diskursive Normen bestimmt, wie der Übergang zwischen der Ebene der konstituierenden Konditionen und der Ebene der Struktur zeigt. Insofern ist auch die Beziehung zwischen der Signifikanzstruktur des intentionalen Objekts und den latenten prädikativen Strukturen als kategoriale Quasi-Zweitheit modelliert. Außerdem verfügt Y über eine Objektrelation, die einen Bezug zu Objekten der Wirklichkeit ermöglicht. Insgesamt ist es außerdem sinnvoll, noch einmal die Ebene der Objektrelation zu betrachten. Denn diese unterscheidet sich in der Qualität der Existenzpräsupposition bzw. -konstitution. Damit eine Zuschreibung bzw. Attribuierung von diskursiver Intentionalität gelingen kann, muss angenommen werden, dass X im Rahmen der zu untersuchenden Praxis existiert. Insofern bringt die semantische Relation diese Existenzpräsupposition inferenziell mit. Auf ähnliche Weise gilt dies auch für die Objektrelation der signifikativen propositionalen Einstellung (und damit auch der semantischen Relation). Es muss entweder ein Verhalten angenommen werden (als Präsupposition) oder es wird performativ erzeugt (als Konstitution). In beiden Fällen gilt aber, dass es eine Objektrelation zu einem spezifischen Verhalten gibt (projiziert oder nicht). Die Qualität der Objektrelation von Y zeichnet sich nicht durch Existenz aus, denn es kann auch das Verfügen über ein intentionales Objekt zugeschrieben bzw. attribuiert werden, das nicht existiert. Insofern ist Existenz keine notwendige Eigenschaft dieser Relation. Alle Objektrelationen, die im Modell intentionaler Verben skizziert sind, zeichnen sich durch Indexikalität aus. Das heißt, dass das Verhältnis zwischen Struktur und Objekten (und nicht den Relata bzw. signifikativen Leerstellen) eine unmittelbare Kontiguität aufweist, die diskursiv eine Unterscheidung der Ebenen erschwert, aber analytisch zugänglich gemacht werden kann. Dass es sich bei intentionalen Verben um konventionelle Zeichen handelt, wird damit nicht angezweifelt und auch die Ebene der konstituierenden Konditionen zeigt, dass hier ein Aspekt der Drittheit involviert ist. Doch hier geht es nicht vorrangig um den regelhaften Bezug zwischen sprachlichen Zeichen und Welt, sondern um das stetige Verhältnis beider, welches z. B. in der Eingliederung von Objekten in diskursive Praktiken münden kann (zur Indexikalität des Verhältnisses zwischen Zeichen und Wirklichkeit cf. z. B. Harendarski 2012, Jäger 2008, 2018 b). Nach der Darstellung der Elemente des Modells sowie des Diagramms [[X]INTEN- TIONAL → [Y]] lässt sich dieses anhand folgender Äußerung exemplarisch veranschaulichen: (1) I 1 : “ Peter weiß, dass Hunde beißen. ” Das Verb wissen signifiziert eine intentionale Relation [[X]WISSEN → [Y]], wobei Peter (X) und Hunde (Y) in ein Verhältnis gesetzt werden. Die Zuschreibung von diskursiver Intentionalität gelingt hier allein durch das Vollverb. Wissen schreibt hier aber nicht nur eine signifikative propositionale Einstellung der (wahren gerechtfertigten) Überzeugung zu, sondern auch die Fähigkeit, über propositionale Einstellungen im Allgemeinen verfügen zu können, denn nur wer diese Bedingung erfüllt, der kann auch spezifische propositionale Einstellungen haben. Ohne diese Bedingung der Möglichkeit ist die Zuschreibung einer spezifischen propositionalen Einstellung nicht möglich. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 245 Die Äußerung stellt aber nicht nur eine kognitive Festlegung für I 1 dar, sondern auch für X: X wird kraft der Intentionalitätszuschreibung auf den propositionalen Gehalt des Konstituentensatzes festgelegt. Im Rahmen dieser Äußerung lässt sich auch die Differenz von expressiver und repräsentationaler Intentionalität demonstrieren. Der Konstituentensatz handelt nicht nur von Hunden und deren Bissigkeit (repräsentationale Intentionalität), sondern involviert diskursive Normen, welche sich diskursspezifisch entfalten können und die inferenzielle Gliederung des kognitiven Gehalts von X bestimmen, z. B. “ Der Hund beißt, also werde ich wohl den Hund nicht streicheln. ” , “ Der Hund beißt, also werde ich wohl einen anderen Weg nehmen. ” etc. (vertiefend cf. EV: 360 f.) Dass sich Zuschreibung diskursiver Intentionalität kraft intentionaler Verben nicht nur auf kognitive Festlegungen beschränkt, zeigt das Beispiel der Zuschreibung einer kommissiven sprachlichen Handlung: (2) I 1 : “ Peter hat versprochen, den Müll rauszubringen. ” Hier besteht ebenfalls eine intentionale Relation, [[X]VERSPRECHEN → [Y]], welche zwischen Peter (X) und seinem Versprechen (Y) besteht. Während die intentionale Relation in (1) allerdings eine reale Relation überlagert, indem spezifische mentale Strukturen hinsichtlich diskursiver Normen beurteilbar werden (als Normverfügen), konstituiert die intentionale Relation in (2) erst das Verhältnis zwischen X und Y: Ohne intentionale Relation gibt es weder eine Funktion des Versprechens noch das Versprechen selbst. Gleichzeitig sorgt die Intentionalitätszuschreibung hier für eine praktische Festlegung, welche die Folgehandlung erfordert und sich an der Schnittstelle der diskursiven Praxis und ihrer nicht-inferenziellen Handlungen bewegt. Die praktische Festlegung lässt sich z. B. mit “ Also sollte er es auch tun. ” explizieren, doch reicht eine kognitive Begründung für den konstituierten Sachverhalt nicht aus: Um die inferenziellen Umstände und Folgen zu erfüllen, muss X praktisch begründen, also die kraft des propositionalen Gehalts und des Verbs erforderte Handlung einlösen. Anhand dieser skizzenhaften Analyse, die die Perspektive des intentionalen Verbs auf diskursive Praktiken demonstriert, lässt sich die Funktionalität des Modells also zeigen. Die Modellsätze dienen dabei nicht als Ersatz für empirische Belege, sondern sollen allenfalls die verschiedenen Prozesse und Strukturen, die das Modell intentionaler Verben darstellt, veranschaulichen. Das hier präsentierte Grundlagenmodell intentionaler Verben dient als Substrat für weitere Analysen und Elaborationen zu intentionalen Relationen und damit auch diskursiver Intentionalität. Es demonstriert die theoretischen Reflexionen der vorherigen Kapitel und schließt somit an die zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen und Reflexionen von Peirce und Brandom an: Intentionale Verben signifizieren, so lässt sich mit Peirce sagen, genuine triadische Relationen. Diese genuin triadischen Relationen involvieren diskursive Rollen und intentionale Objekte und beruhen auf diskursiven Normen, was sie z. B. von realen Relationen unterscheidet. Dieses Grundlagenmodell dient also semiotische Voraussetzung für theoretische Differenzierungen (cf. Kapitel 12.4 - 12.6), ist aber gleichzeitig eine semiotische Begründung für jene Zeichenpraktiken, die Brandom in seiner deontischen Kontoführung im Blick hat. Insofern bezieht sich auch die Unterschei- 246 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben dung von Zuschreibung und Attribuierung auf die semiotische Grundstruktur intentionaler Verben (cf. Kapitel 13). 12.4 Soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen Das Grundlagenmodell intentionaler Verben ist zwar ein Substrat zur Analyse diskursiver Intentionalität, reicht aber insbesondere für sozial-kommunikative Praktiken nicht aus. Denn sprachliche Praktiken werden zwar häufig individuell ausgeführt, sind aber sozial eingebettet. Ihnen liegt eine interlokutive Dimension zugrunde, die entweder präsupponiert oder durch die jeweilige Praktik projiziert wird. Während das bisher vorgestellte Grundlagenmodell die Subjekt-Objekt-Relation fokussiert, soll im Folgenden auf die soziale Dimension intentionaler Verben eingegangen werden. Dies schließt an Brandoms Annahme der deontischen Kontoführung als interlokutiver Praxis an, versteht diese Praxis aber gleichzeitig als relationslogisch rekonstruierbar und verfolgt damit die logischen Prämissen der Peirce'schen Semiotik (cf. Kapitel 12.2). Über die logische Differenzierung von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen, die jeweils mehrere diskursive Rollen involvieren, sollen unterschiedliche soziale Beziehungen hinsichtlich diskursiver Intentionalität in sozial-kommunikativen Praktiken veranschaulicht werden. Neben den jeweiligen Relationstypen, die ich im Folgenden differenziere, finden auch Brandoms Handlungstheorie in diesem Kapitel Anwendung. Das Verhältnis von diskursiver Festlegung und Intentionalität (cf. Kapitel 8.3) wird als semiotische Qualität intentionaler Verben für eine Unterscheidung von diskursiven Rollen verwendet. Die Unterscheidung von Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen, die dort vorgenommen wird, ermöglicht eine handlungslogische und zeichenkonsequenzielle Analyse unterschiedlicher Signifikanzen, ohne auf mentale Strukturen rekurrieren zu müssen. Die Darstellung der intentionalen Relation von X und Y als Subjekt-Objekt-Relation reicht weder für eine Analyse der Evokation diskursiver Rollen noch für eine Analyse der diskursiven Signifikanz respektive Intentionalität aus. Wenn sich diskursive Intentionalität und intentionale Verben allein als diese Relation verstehen lassen würden, dann würde man die normative Kraft intentionaler Verben letztlich auf eine Zuschreibung propositionaler Einstellungen und Gehalte reduzieren. Diese Reduktion der Intentionalität, die sowohl in der anglo-amerikanischen analytischen Philosophie (zurückgehend auf Freges Über Sinn und Bedeutung (2008 a), cf. aber auch EV: 689 f.) als auch in der linguistischen Forschung (cf. z. B. Jaszczolt 1999, 2000) verbreitet ist, erfasst allein eine Facette intentionaler Verben, die auch von Verben propositionaler bzw. kognitiver Einstellungen repräsentiert werden kann. Auch wenn sich Verben wie wissen oder glauben durchaus mithilfe diskursiver Intentionalität erfassen lassen, so sind sie für die Analyse diskursiver Praktiken wohl keine prototypischen Beispiele, sondern dienen als Modellverben eher der Demonstration grundlegender propositionaler Einstellungen und Strukturen. Im Folgenden soll die Analyse der Signifikanz intentionaler Verben erweitert werden, indem eine Analyse sozialer, kooperativer und kollektiver intentionaler Relationen entwickelt wird. Diese Erweiterung schränkt das Modell intentionaler Verben nicht ein, denn diese intentionalen Relationen involvieren auch die im Modell dargestellten Ebenen, Achsen und Strukturen. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 247 Allerdings stellt sich die relationslogische Struktur als komplexer heraus, weil soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen mehrere diskursive Rollen evozieren. Diese diskursiven Rollen sind nicht unabhängig von der intentionalen Relation [[X] INTENTIONAL → [Y]], sondern sind in diese relational eingepflegt, sodass es zu Triangulationseffekten kommt (cf. Kapitel 14.3 und 15). Die Involviertheit sozialer, kooperativer und kollektiver Funktionen lässt sich schon an der oben analysierten Relation [[X]VERSPRECHEN → [Y]] skizzieren. Denn bei genauerer Betrachtung von [[X]VERSPRECHEN → [Y]] reicht eine Übersetzung in die intentionale Relation [[X]INTENTIONAL → [Y]] nicht aus. Versprechen als sozial-kommunikative Handlung involviert eine weitere diskursive Rolle, die ebenfalls modelliert und damit expliziert werden muss. Dass Handlungen im Rahmen linguistischer Analysen mehrere Personen involvieren können, hat bereits Karl Bühler beschrieben: Das Geben, von welchem der Dativ seinen Namen empfing, ist eine psychologisch verwickelte Verhaltensweise. Doch kann natürlich auch sie zum Grundmodell erhoben werden. Dann stehen im Dativ und Nominativ ursprünglich zwei Personen, die auch in unserem Organonmodell vorkommen, nämlich der Sender und Empfänger. Diesmal aber nicht als Sender und Empfänger, sondern eines Gutes oder eines (sachlichen) Geschehens. Wenn wir auf einen Brief ‘ Herrn N. N. ’ schreiben, verwenden wir diesen durchaus originär denkbaren Dativus, der keinen Akkusativ neben sich haben müßte, während unsere Sprache sonst den Dativ nur zusätzlich und ganz, wie man sich ausdrückt, als Kasus des ferneren Objektes verwendet. Ich könnte mir diesen Adressendativ als einen einzigen neben dem Nominativ als Normalfall vorstellen. (Bühler 1999: 251) Der Adressendativ (cf. auch Waldenfels 2005: 282 f.) ist eine grammatische Markierung, die anzeigt, dass die Struktur sozialer Handlungen über Subjekt-Objekt-Relationen hinausgeht. Doch obwohl der Adressendativ bereits eine weitere latente diskursive Rolle im Rahmen intentionaler Relationen andeutet und in der Linguistik auch auf das Verhältnis von Dativobjekt und Intentionalität hingewiesen wurde (cf. z. B. Wettler 1980: 304 f.), reicht eine grammatische Beschreibung für eine Analyse intentionaler Relationen nicht aus. Vielmehr müssen sich diese Relationen (1) mithilfe einer relationalen Logik analysieren lassen und (2) die Spezifik ihrer Relata im Rahmen einer Handlungslogik dargestellt werden. Außerdem ist es sinnvoll, zwischen verschiedenen Formen der sozialen Reziprozität der diskursiven Rollen zu unterscheiden. Bei der Deskription von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen kann dabei auf die theoretischen Prämissen Millikans zurückgegriffen werden, die intentionale Zeichen bzw. Ikons schon in ihrer kooperativen Funktion analysiert hat (cf. Kapitel 9.2). In der kooperativen Funktion liegt damit bereits ein theoretischer Keim, der im Folgenden ausdifferenziert wird, indem eine Typologie der Relationen diskursiver Rollen vorgeschlagen wird. Soziale intentionale Relationen involvieren nicht nur [[X]INTENTIONAL → [Y]], sondern auch eine Relation, die sich [[X] ← INTENTIONAL → [Z]] nennt, wobei Z eine weitere potenzielle diskursive Rolle markiert. Tatsächlich signifizieren sowohl versprechen als auch ermorden solche sozialen intentionalen Relationen, aber auf unterschiedliche Weise. Versprechen evoziert sowohl [[X]INTENTIONAL → [Y]] ( “ X verspricht Y ” ) als auch [[X] ← INTENTIONAL → [Z]] ( “ X verspricht Z etwas ” ), wobei diese beiden Relationen in einem Verhältnis stehen, welches sich folgendermaßen relationslogisch analysieren lässt: 248 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben [[X]INTENTIONAL → [Y]] und [[X] ← INTENTIONAL → [Z]] sind beim intentionalen Verb versprechen zwei genuin triadische Relationen, die unter dieselbe diskursive Norm (Ebene der konstituierenden Konditionen) fallen: Vor Z wird das Versprechen (Y) von X getätigt, was zu einer Verpflichtung (normativ) führt, die durch eine praktische Begründung (Handlung) eingelöst werden kann. Die Unabhängigkeit der beiden intentionalen Relationen ist insbesondere dann ersichtlich, wenn die potenziellen Folgehandlungen und Handlungsverben bzw. intentionalen Verben betrachtet werden, die Z betreffen. Denn für Z folgen aus den beiden intentionalen Relationen Berechtigungen, die sich ebenfalls modellieren lassen: Wenn X Y verspricht, dann darf (als Berechtigung) Z X auf Y verpflichten. Es gibt also eine zeitlich versetzte Komplementärhandlung bzw. ein Verb, welches diese beschreibt: Nach dem Versprechen von X (t 1 ) kann Z X verpflichten (t 2 ). Das Verhältnis von Handlung und Komplementärhandlung ist insbesondere bei sozial-kommunikativen Handlungsverben erkennbar, z. B. im Verhältnis von fragen und antworten (cf. dazu ausführlich Waldenfels 1994): Wenn X Z fragt, ob Y ([[X]INTENTIONAL → [Y]] und [[X] ← INTENTIONAL → [Z]]), dann ist Z aufgefordert zu antworten und in die Pflicht genommen ([[Z]INTENTIONAL → [Y]] und [[Z] ← INTENTIONAL → [X]]). Das Verb ermorden hingegen scheint seine soziale intentionale Relation zu verschleiern, ist aber nicht weniger durch diese gekennzeichnet. Bereits bei der Erklärung des Unterschieds von töten und ermorden im Rahmen der Logik der Relationen hat sich gezeigt, dass es hier eine signifikante Differenz hinsichtlich der diskursiven Normen gibt (cf. dazu auch Shuy 2014). Tatsächlich unterscheiden sich töten und ermorden noch durch einen weiteren wesentlichen Aspekt: Wörtlich können nur diskursive bzw. sozial-normative Wesen ermordet werden, während getötet werden gewissenmaßen allen Lebewesen (z. B. Tiere und Pflanzen) offensteht. Somit evoziert die Struktur des intentionalen Verbs ermorden also ein soziales Wesen, welches ebenfalls durch diskursive Normen bestimmt ist. Insofern ist ermorden eine soziale Handlung, sodass auch das intentionale Verb eine soziale intentionale Relation signifiziert. Zusammenfassend lassen sich soziale intentionale Relationen als diejenigen intentionalen Relationen bezeichnen, die zwar auch [[X]INTENTIONAL → [Y]] involvieren, aber sich insbesondere durch die Evokation einer weiteren diskursiven Rolle auszeichnen, welche sich nicht auf ein signifikatives intentionales Objekt reduzieren lässt. Kooperative intentionale Relationen ähneln sozialen Relationen, weil sie auch ein Relatum Z fordern. Allerdings unterscheiden sie sich insbesondere hinsichtlich der zeitlichen Ereignisstruktur ihrer Komplementärhandlungen, was sich auch auf die relationale Logik auswirkt. Zunächst ist es sinnvoll, sich die kooperative Funktion von Verben anzusehen, denn nicht alle Verben mit kooperativer Funktion fordern notwendigerweise sozialnormative Wesen bzw. evozieren diskursive Rollen. Geben im Sinne von “ etwas verabreichen ” (cf. Schumacher et al. 2004: 401), welches eine Komplementärhandlungen nehmen involviert, kann auch andere Relata evozieren (z. B. “ Die Äffin gibt ihrem Jungen eine Banane. ” (ebd.)). Das Verb involviert also nicht notwendigerweise eine diskursive Norm, sodass es sich hier um mehrere dyadische Relationen handelt. Andere Verben bzw. Verbkomplexe wie kaufen/ verkaufen des commercial transaction frames (cf. z. B. Croft 2001) hingegen involvieren notwendigerweise diskursive Rollen und damit auch entsprechende Normen. Bei einem Vergleich von sozialen intentionalen Relationen und ihren Komplementärhandlungen wie fragen/ antworten und den kooperativen intentionalen Relatio- 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 249 nen wie kaufen/ verkaufen zeigt sich, dass die Temporalität der Komplementärhandlungen in den Mittelpunkt rückt und Einblicke in die Handlungsverpflichtungsrelationen gibt. Kaufen und verkaufen (ebenso wie geben und nehmen) finden synchron bzw. simultan statt und sind reziprok, während sich die Komplementärhandlungen von sozialen intentionalen Relationen konsekutiv ereignen. Dies hat für die relationslogische Analyse wesentliche Konsequenzen, denn während soziale intentionale Relationen unabhängig voneinander bestehende genuin triadische Relationen sind, konstituieren kooperative intentionale Verben doppelte genuin triadische Relationen, welche sich durch ihre gemeinsame, eben kooperative, Relation zu Y auszeichnen. Soziale intentionale Relationen sind durch ihre zeitlich verschobenen Komplementärhandlungen bestimmt, sodass auch die Relationen zu Y dieser Temporalität unterworfen sind: Während [[X]INTENTIONAL → [Y]] zu t 1 stattfindet, kann [[Z]INTENTIONAL → [Y]] zu t 2 stattfinden. Die Relation zu Y ist bei kooperativen intentionalen Relationen hinsichtlich der temporalen Dimension anders, denn [[X]INTENTIONAL → [Y]] und [[Z]INTENTIONAL → [Y]] finden beide zu t 1 statt, sodass beide intentionalen Relationen nicht voneinander getrennt werden können, ohne deren genuin doppelte Relationalität zu tilgen. Diese Eigenschaft kooperativer intentionaler Relationen wirkt sich auch auf die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur dieser intentionalen Verben aus: Die Festlegung auf [[X]INTENTIONAL → [Y]] legt gleichzeitig auch auf die Komplementärhandlung [[Z]INTENTIONAL → [Y]] fest. Zusammenfassend sind kooperative intentionale Relationen also intentionale Relationen, die sich durch simultane (temporal) und reziproke (kooperativ) signifizierte Komplementärhandlungen auszeichnen und damir ihre diskursiven Rollen auf besondere Weise zusammenführen. Kollektive intentionale Relationen verschärfen die Spezifik kooperativer intentionaler Relationen. Verben wie diskutieren, besprechen, (sich) unterhalten, verhandeln evozieren nicht nur mehrere diskursive Rollen und legen auf eine Komplementärhandlung fest, sondern signifizierte Komplementärhandlungen zeichnen sich durch ihre identische performative und kognitive Struktur aus: Wenn X mit Z diskutiert, dann diskutiert Z auch mit X. Außerdem werden beiden diskursiven Rollen dieselben signifikativen propositionalen Einstellungen zugeschrieben, wobei signifikative propositionale Gehalte (z. B. Hintergrundüberzeugungen), die zu den kollektiven Simultanhandlungen führen, divergieren können. Geteilt wird bei diskutieren eine signifikative Kommunikationsabsicht. Relationslogisch stellen diese kollektiven Simultanhandlungen insofern ein Hindernis dar, als dass eine Deskription der kollektiven intentionalen Relationen als doppelte genuin triadische Relation den Aspekt der Kollektivität nicht hinreichend berücksichtigt. Dass dieser aber sowohl für eine inferenzielle Struktur als auch für diskursive Normen relevant ist, zeigt sich, wenn man die latente Pluralmarkierung von Verben analysiert, die kollektive intentionale Relationen signifizieren: Sie lassen sich auf besondere Weise mit dem Adverb miteinander bilden und zeigen so ihre Kollektivität auf. 15 Somit handelt es sich zwar numerisch um mehrere, aber relationslogisch nur um ein Relatum, sodass kollektive 15 Natürlich können auch andere Verben mit miteinander stehen. Doch trägt dann das Adverb semantische Gehalte zum Satz bei, während es bei kollektiven intentionalen Relationen die latente Pluralstruktur expliziert. 250 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben intentionale Relationen selbst genuin triadische Relationen mit einem pluralen Relatum (als Nominativergänzung) sind. Damit zeichnen sich kollektive intentionale Relationen durch ihre identische Handlungsstruktur der Relata X und Z aus. Die Unterscheidung von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen ermöglicht also eine Ausdifferenzierung des Grundlagenmodells intentionaler Verben hinsichtlich der Relationen der diskursiven Rollen. Neben der Markierung der vektoriellen Ausrichtung im Rahmen der Notation (hier z. B. [[X] ← INTENTIONAL → [Z]]) bietet sich außerdem eine Markierung der intentionalen Relation selbst an, um die soziale, kooperative bzw. kollektive Struktur zu bezeichnen. Daher kann für eine Analyse die folgende Bezeichnung der signifikativen Struktur verwendet werden: 1. [[X] ← SOZ INTENTIONAL → [Z]] (soziale intentionale Relation) 2. [[X] ← KOOP INTENTIONAL → [Z]] (kooperative intentionale Relation) 3. [[X] ← KOLL INTENTIONAL → [Z]] (kollektive intentionale Relation) Allerdings ist das Verhältnis zwischen Sozialität, Kooperativität und Kollektivität (als signifikative Struktur) und diskursiver Intentionalität nicht immer so eindeutig, wie die Differenzierung zunächst nahelegt. Und dies liegt insbesondere an der latenten Handlungsstruktur, die die diskursiven Rollen involvieren: Während die signifikative Struktur des Verbs diskutieren diskursive Rollen fordert, die über eine signifikative Kommunikationsbzw. Handlungsabsicht (Handlung aus Gründen) verfügen, ist diese Struktur aber nicht bei allen intentionalen Verben vorzufinden, die kollektive intentionale Relationen signifizieren. So kann z. B. spielen (unter bestimmten Umständen) den Pluraltest erfüllen und fordert auch diskursive Rollen, doch müssen diese nicht über eine Signifikanz verfügen, die sich mit “ aus Gründen handeln ” beschreiben lässt. Vielmehr ist hier das Verfügen über vorausgehende Absichten (Handlung mit Gründen) notwendig, die aber während der kollektiven Simultanhandlung (spielen) nicht handlungspräsent sein müssen. Es reicht, wenn eine signifikative Absicht die Handlung als vorausgehend motiviert erfasst. Das hier exemplarisch skizzierte ambige Verhältnis von kollektiven intentionalen Relationen und Handlungsstruktur der diskursiven Rollen zeigt, dass die Differenz von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen mithilfe einer Handlungslogik spezifiziert werden muss, um die evozierte Handlungsinvolviertheit der diskursiven Rollen erklären zu können. Damit wird eine Festlegungs- und Berechtigungsstruktur der Komplementärbzw. Simultanhandlungen bzw. -handlungsverben um eine Handlungslogik diskursiver Rollen erweitert. Die Unterscheidung zwischen Handlungen mit und Handlungen aus Gründen hilft dann dabei, neben den Relationen auch die Spezifik der jeweiligen Relata zu analysieren. Die handlungslogische Unterscheidung der Beschreibungen von Handlungen mit bzw. Handlungen aus Gründen kann hier eine weitere Achse in die Deskription diskursiver Rollen als Evokationspotenziale intentionaler Verben eingliedern. Neben der Differenz von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen geht es hier also um die Frage, inwiefern die evozierten Relata kraft der intentionalen Relation über spezifische handlungslogische Strukturen verfügen sollen, können oder müssen. Für die Modellierung der handlungslogischen Struktur der evozierten Relata soll folgende Differenzierung dienen, die neben der diskursiven Rolle auch das Relatum des intentionalen Objekts aufnimmt: 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 251 1. Diskursive Rolle aus Gründen (DRausG) 2. Diskursive Rolle mit Gründen (DRmitG) und 3. Intentionales Objekt (iO) Mit dieser Unterscheidung kann die Handlungstheorie Brandoms in das Modell der intentionalen Verben integriert werden. Die Handlungsdeskription und -beurteilung ist damit ein Effekt der konstituierten Handlungsstruktur des intentionalen Verbs. Neben der Unterscheidung von Handlung aus Gründen und Handlung mit Gründen (als Signifikanzen) wird auch das intentionale Objekt als potenzielles Relatum modelliert, wie bereits das Grundlagenmodell intentionaler Verben zeigt. Um die handlungstheoretische Signifikanz für diskursive Rollen zu veranschaulichen, ist es sinnvoll, die formale relationslogische Notation der Variablen (X, Y & Z) zu ergänzen und die Kategorie der differenzierten Handlungslogik zu verwenden, um die handlungskonstitutiven Funktionen der Relata der intentionalen Relation zu analysieren. 16 Die handlungslogisch neutrale Notation ist hierbei [[? ]INTENTIONAL[? ]] und verzichtet dabei zunächst auf weitere Strukturdifferenzierungen, nimmt aber verschiedene vektorielle Ausrichtungen, wenn theoretisch angemessen, bereits auf. Bevor die Handlungsstruktur intentionaler Relationen, und insbesondere sozialer, kooperativer und kollektiver, veranschaulicht wird, kann eine kombinatorische Analyse zeigen, welche Ensembles handlungsstrukturell mithilfe der hier gewählten Handlungspotenziale möglich sind. Eine entsprechende Darstellung impliziert jedoch nicht, dass es für jede Kombination auch notwendigerweise ein entsprechendes intentionales Verb gibt: 1. [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] 2. [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] 3. [[X DRausG ]INTENTIONAL → [Y iO ]] 4. ? [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] 5. [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] 6. [[X DRmitG ]INTENTIONAL → [Y iO ]] 7. *[[Y iO ]INTENTIONAL[Z DRausG ]] 8. *[[Y iO ]INTENTIONAL[Z DRmitG ]] 9. *[[Y iO ]INTENTIONAL[Y iO ]] Für eine Darstellung der neun kombinatorischen Möglichkeiten und der sich daraus ergebenden Handlungsstrukturen diskursiver Rollen sowie intentionaler Verben sind im Folgenden allein die ersten sechs Strukturbestimmungen relevant. Die anderen drei Strukturbestimmungen, die das intentionale Objekt sequenziell an die erste Position setzen, können vernachlässigt werden, was sich auch in der fehlenden Markierung der vektoriellen Ausrichtung zeigt. Dies hat sowohl einen strukturellen als auch einen signifikativen Grund. Würde die vektorielle Ausrichtung sich strukturell am Grundlagenmodell intentionaler Verben orientieren und damit allein einen Vektor zum inten- 16 Dies betrifft insbesondere das Verhältnis von X und Z und die Kategorien Diskursive Rolle aus Gründen und Diskursive Rolle mit Gründen. Y und Intentionales Objekt sind strukturäquivalent, verweisen aber auf eine unterschiedliche theoretische Involviertheit: Während Y eine relationslogische Bezeichnung ist, ist iO (und auch DRausG und DRmitG) eine handlungslogische Bezeichnung. 252 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben tionalen Objekt hin erlauben, dann wäre sie teilweise strukturäquivalent zu den anderen Strukturbestimmungen (Argument der Struktur). Bestünde hier die Möglichkeit, die vektorielle Ausrichtung umzukehren und einen Vektor vom intentionalen Objekt auf eine diskursive Rolle zu markieren, dann würde dies die Zuschreibung bzw. Attribuierung diskursiver Intentionalität signifikativ implizieren. Dies ist im Grundlagenmodell intentionaler Verben allerdings strukturell ausgeschlossen (Argument der Signifikanz). Im Folgenden sollen die verschiedenen Strukturen intentionaler Verben, die sich aus der Erweiterung mit der Handlungslogik ergeben, dargestellt werden, um sie als Matrize zur Analyse von Verben in diskursiven Praktiken nutzen zu können. Dabei werden zunächst die sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen erklärt und anschließend diejenigen, die intentionale Objekte markieren. [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] ist eine intentionale Relation, die diskursive Rollen evoziert, die im Rahmen der Signifikanz des Verbs beide aus Gründen handeln bzw. über die entsprechende signifikative Handlungsstruktur verfügen. Diese handlungslogische Deskription erfasst allerdings nur die Struktur der zugeschriebenen signifikativen Handlungsabsichten, aber keinesfalls die spezifischen propositionalen Gehalte. Vielmehr ermöglicht diese handlungslogische Analyse zunächst nur die Deskription der Handlungsfunktion der diskursiven Rolle im Handlungsereignis selbst. Auch die Identität der spezifischen zugeschriebenen signifikativen Handlungsüberzeugungen ist hier handlungslogisch nicht impliziert, aber doch der übergeordneten Handlungsstruktur, wie z. B. die Differenz der Verben diskutieren und streiten veranschaulicht. Diskutieren erfüllt sowohl eine handlungslogische Struktur im Sinne von [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]], zeichnet sich durch eine kollektive intentionale Relation aus und erfordert eine Menge an geteilten signifikativen Überzeugungen. Streiten hingegen, welches ebenfalls eine kollektive intentionale Relation signifiziert und der Handlungsstruktur [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] folgt, fordert hinsichtlich des Streitereignisses eben keine geteilte Menge an spezifischen zugeschriebenen Handlungsüberzeugungen. Dennoch weist streiten ebenso wie diskutieren eine “ kollektivistische Superstruktur von Gemeinschaftshandlungen ” (Harendarski 2011: 102) auf. Die handlungslogische Struktur [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] unterscheidet sich von [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]], indem das Verb an der Z-Position eine diskursive Rolle fordert, welche über eine signifikative Handlungsstruktur verfügt, die sich mithilfe von Handlungen mit Gründen beschreiben lässt. Die X-Position zeichnet sich weiterhin durch Handlungen aus Gründen aus. Mithilfe von [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] lassen sich verschiedene soziale intentionale Relationen erfassen und bilden die wohl prominenteste Klasse der intentionalen Verben. 17 Neben den bereits beschriebenen sozialen intentionalen Verben versprechen und ermorden sind insbesondere sozial-kommunikative Handlungsverben bzw. Kommunikationsverben (cf. Harras/ Winkler/ Erb/ Proost 2004) herausragende Exponenten dieser Analyse. Nicht nur für eine Analyse sprachlicher Handlungen, sondern auch für die gesamte linguistische Pragmatik sind Verben wie sagen, behaupten oder fragen relevant, weil sie verschiedene 17 Daher stehen soziale Handlungsverben auch im Zentrum der Zuschreibungs- und Zuweisungsstheorie intentionaler Verben von Ulf Harendarski (2021 a). 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 253 Handlungsereignisse und deren pragmatische Signifikanz analysierbar machen können. Insbesondere bei einer verbpragmatisch orientierten Analyse von sprachlichen Handlungen stehen diese intentionalen Relationen im Mittelpunkt (cf. Kapitel 14). So fordert behaupten z. B. eine diskursive Rolle (X), die als aus Gründen handelnd markiert ist (hier: mit Kommunikationsabsicht), wobei in der handlungslogischen Struktur der spezifische propositionale Gehalt irrelevant ist und erst durch Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse konkreter propositionaler Einstellungen und Gehalte und der entsprechenden inferenziellen Gliederung in die diskursive Praxis kommt. Für die diskursive Rolle der Z- Position hingegen wird keine Kommunikationsabsicht signifiziert, denn in der Handlungsdeskription ist allein die X-Position explizit handlungsmotiviert. Die Z-Position impliziert jedoch eine latente Handlungsstruktur, die sich mithilfe von Handlungen mit Gründen beschreiben lässt, weil diese diskursive Rolle doch in der gesamten Handlung involviert, aber nicht unmittelbar tätig ist. Hier wird also eine Handlungsmöglichkeit kraft der sozialen intentionalen Relation motiviert, welche z. B. über Komplementärhandlungen bzw. ihre Handlungsverbdeskriptionen eingelöst werden kann und damit im Rahmen der weiteren inferenziellen Gliederung stattfindet. Die Differenzierung der Handlungsstruktur (Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen) lässt sich an einigen Verben, die der [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]]- Struktur zuzuordnen sind, besonders gut demonstrieren. Denn diese verfügen einerseits über eine latente Handlungsstruktur der Z-Position, aber auch über eine evidente Handlungsstruktur der X-Position. So gilt für das intentionale Verb fragen nicht nur das Grundlagenmodell der intentionalen Verben, sondern auch eine Handlungsstruktur, die sich auf X und Z auswirkt: Während X evident als diskursive Rolle konstituiert wird, die aus Gründen handelt (z.B mit Kommunikationsabsicht), verfügt Z während der im Verb beschriebenen Handlung nicht notwendigerweise über signifikative propositionale Einstellungen und Gehalte. Allerdings impliziert fragen in seiner inferenziellen Gliederung Folgehandlungen (antworten), die die Handlungspositionen strukturell umkehren können (X fragt Z, Z antwortet X). Weil hier diese Folgehandlung bereits latent vorhanden ist, kann sich eine Frage (im wörtlichen Sinne) nur an Entitäten richten, die zumindest über eine latente Handlungsstruktur verfügen und damit handlungsfähig sind. Demnach evoziert fragen auch für Z zumindest eine signifikative Handlungsstruktur, die sich mithilfe des handlungstheoretischen Vokabulars erfassen lässt. Während beide bisher vorgestellten Strukturen [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] und [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] eine Vielzahl an intentionalen Verben zur Analyse diskursiver Praktiken abdecken dürften, ist auch [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRausG ]] kombinatorisch, relationslogisch und handlungsstrukturell möglich und unterscheidet sich außerdem durch die Verhältnisse von signifikativer Leerstelle (X und Z) und Handlungsstruktur von [[X DRausG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]]. Ein entsprechendes Verb würde eine Form von signifikativer Handlungsabsicht aufseiten der (zumeist) adressierten diskursiven Rolle Z erfordern, während sich X allein mit dem theoretischen Vokabular “ Handlung aus Gründen ” erfassen ließe. Entsprechende intentionale Verben scheinen (im Deutschen) nicht nur unwahrscheinlich, sondern sind handlungslogisch wohl ausgeschlossen. Dies liegt insbesondere daran, dass die Signifikanz der diskursiven Intentionalität zu X tendiert 254 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben (Zuschreibung und Attribuierung). Die signifikativen propositionalen Einstellungen und Gehalte (Handlungen aus Gründen und Handlungen mit Gründen), die in der vom Verb beschriebenen Handlung involviert sind, können dadurch für Z nicht handlungsmodellierender sein als für X. Doch das wären Handlungen aus Gründen (als Festlegung) aber handlungslogisch im Vergleich zu Handlungen mit Gründen (als Berechtigungen). Einen besonderen Fall der sozialen intentionalen Relation stellt die Handlungsstruktur [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] dar. Die diskursiven Rollen verfügen dabei über eine signifikative Handlungsstruktur, die sich mit “ Handlung mit Gründen ” beschreiben lässt. [[X DRmitG ] ← INTENTIONAL → [Z DRmitG ]] kann sich auf verschiedene Weise realisieren, wobei zwei unterschiedliche hier exemplarisch genannt werden sollen. Ein Beispiel wären modale Kommunikationsverben (cf. Harras et al. 2004: 427 f.). Diese verweisen in ihrer Signifikanzstruktur nur vermittelt bzw. inferenziell auf einen sozialen Kommunikationsakt und markieren vielmehr dessen Modalität, z. B. in Bezug auf Lautstärke oder Intonation wie flüstern oder stammeln. Dennoch implizieren modale Kommunikationsverben latent sozialkommunikative Handlungsdeskriptionen. Diese müssen aber erst inferenziell expliziert werden. Modale Kommunikationsverben fordern auf ihrer signifikativen Oberfläche also keine Kommunikationsabsicht oder andere propositionale Strukturen, die sich als Handlung aus Gründen beschreiben lassen. Dennoch ist Handlungspotenzial im modalen Kommunikationsverb inferenziell enthalten, weil die Ereigniskonstitution des Flüsterns einen Kommunikationsakt inferenziell voraussetzt. Neben modalen Kommunikationsverben gibt es außerdem eine Menge an sozialen Handlungsverben, die diskursive Rollen fordern, aber keine Signifikanzstruktur “ Handlung aus Gründen ” . So kann z. B. (miteinander) spielen eine solche Handlungsstruktur aufweisen. Das Verb fordert zwei diskursive Rollen (X DRmitG und Z DRmitG ), die beide während des Handlungsereignisses nicht über Handlungsabsichten verfügen müssen, aber über andere propositionale Einstellungen und Gehalte. Außerdem bleibt eine vorausgehende signifikative Handlungsintention (als Berechtigung) für diskursive Rollen latent vorhanden, sodass sie z. B. als handlungsinvolvierte Überzeugung das Handlungsereignis saturieren kann. Die beiden handlungslogischen Signifikanzstrukturen, die intentionale Objekte evozieren, also [[X DRausG ]INTENTIONAL → [Y iO ]] und [[X DRmitG ]INTENTIONAL → [Y iO ]], stellen keine sozialen, kooperativen oder kollektiven intentionalen Relationen dar, sondern umfassen Varianten des Grundlagenmodells intentionaler Verben. Die Variation besteht darin, dass die diskursive Rolle der X-Position mithilfe unterschiedlicher handlungstheoretischer Begrifflichkeiten entwickelt wird. Obwohl es sich hierbei nicht um soziale bzw. sozial-kommunikative Handlungsverben handelt, eröffnet die Unterscheidung bei der Analyse der X-Position eine Differenzierung verschiedener intentionaler Verben. Dabei geht es einerseits um individuelle Handlungen, die aber in kulturelle und diskursive Zusammenhänge eingebettet und damit auch hinsichtlich der diskursiven Normen beurteilbar sind. Andererseits umfassen diese beiden Signifikanzstrukturen auch Verben, die auf mentale bzw. kognitive Strukturen rekurrieren bzw. diese explizieren, aber auch deren diskursive Einbettung ermöglichen. Zur Klasse der intentionalen Verben, die über keine soziale bzw. sozial-kommunikative Handlungsstruktur verfügen, aber doch individuelle Handlungen, also im Rahmen des 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 255 handlungstheoretischen Vokabulars beschreibbare, signifizieren, gehört z. B. spazieren (gehen). Spazieren (gehen) fordert nicht nur z. B. ein Präpositionalobjekt (z. B. nach Hause), sondern ist als kulturelle Handlung ebenso diskursiven Normen unterworfen. Insbesondere in der Substitution mit z. B. gehen oder laufen, die motorisch ähnliche Tätigkeiten beschreiben, zeigt sich die Involviertheit diskursiver Normen, die sich auch auf X auswirken. Denn wer spaziert, der verfügt zumindest über eine vorausgehende signifikative Handlungsintention, die zur Handlung motiviert hat ([[X DRmitG ]INTENTIONAL → [Y iO ]]). Einer ähnlichen Signifikanzstruktur folgend, instanziiert sich auch das Verb marinieren. Auch dieses unterscheidet sich von ähnlichen Tätigkeitsverben, indem es in einen spezifischen kulturellen und diskursiven Rahmen eingebettet ist. Anders als spazieren (gehen), welches wohl aufgrund seiner Aktionsart (activity) nur vorausgehende Intentionen signifiziert, ist marinieren (als accomplishment) durch eine signifikative Handlungsintention bestimmt. Marinieren lässt sich also mithilfe der Signifikanzstruktur [[X DRausG ]INTEN- TIONAL → [Y iO ]] analysieren. Neben solchen speziellen Fällen von intentionalen Verben, die kulturelle Aspekte beinhalten, 18 können auch Verben propositionaler Einstellungen intentionale Relationen signifizieren. Wissen, glauben, wünschen oder beabsichtigen können (unter spezifischen kontextuellen Umständen) diskursive Intentionalität attribuieren, wenn sie nicht nur mentale Strukturen erfassen, sondern im Rahmen der Darstellung von Verhalten bzw. Handlungen verwendet werden. Hiermit wird dann nicht nur eine propositionale Einstellung expliziert, sondern zugleich in die inferenzielle Gliederung zur Beurteilung von Verhalten eingefügt. Diese Verben ergänzen dann gewissermaßen andere Verhaltensbeschreibungen als Berechtigungen. Z DRausG Z DRmitG Y iO X DRausG z. B. diskutieren, besprechen, (sich) unterhalten, verhandeln z. B. sagen, behaupten, fragen, sprechen, feststellen, konstatieren, lügen, dementieren z. B. beabsichtigen X DRmitG ? z. B. flüstern, nuscheln, stammeln, (miteinander) spielen z. B. spazieren, marinieren, backen, wissen, glauben, wünschen Y iO * * * Tab. 8: Typologie der handlungslogischen Struktur intentionaler Verben 19 18 Zu diesen kulturellen Handlungen gehört z. B. auch das Verb backen in der Ditransitivkonstruktion “ Sally baked her sister a cake ” (Goldberg 1995: 141), welche in der Konstruktionsgrammatik und der Kognitiven Linguistik eine gewisse Berühmtheit erlangt hat (cf. z. B. Hilpert 2014: 32, Proost 2014: 22) und teilweise in abgewandelter Form zur Analyse verwendet wird (cf. z. B. Gärdenfors 2014: 195). Die traditionelle konstruktionsgrammatische Erklärung des Verbs mittels “ X intends to cause Y to receive Z by baking ” (Goldberg 1995: 141) vernachlässigt die normative und diskursive Dimension dieser Handlung: Denn nur diskursive Wesen können Kuchen backen, weil Kuchen eben kulturelle Artefakte sind. 19 Legende: DRausG = Diskursive Rolle aus Gründen, DRmitG = Diskursive Rolle mit Gründen, iO = intentionales Objekt. 256 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Die verschiedenen Typen von handlungslogischen Strukturen (Tab. 8), die sowohl soziale, kooperative und kollektive, als auch andere intentionale Relationen umfassen, erweitern das Grundlagenmodell intentionaler Verben. Die Analyse wird hiermit über die intentionale Relation hinaus erweitert und eine handlungslogische Analyse der diskursiven Rollen ermöglicht, die sich aus der Signifikanz des Verbs speist. Die in diesem Kapitel eingeführte Unterscheidung zwischen sozialen, kooperativen und kollektiven Relationen sowie der Binnendifferenzierung diskursiver Rollen erweitert das bisher einführte Vokabular zu Analyse diskursiver Intentionalität. Spätestens diese Unterscheidungen zeigen, wie intentionale Verben auch soziale Beziehungen signifizieren und damit semiotisch mitstrukturieren. Schon einzelne Verben wie sagen sind signifikativ dann keine Deskriptionen einzelner Handlungen, sondern signifizieren eine soziale Relation. Mit dem in diesem Kapitel eingeführten Vokabular können daher die komplexen sozialen Relationen diskursiver Praktiken veranschaulicht werden, sodass selbst die Analyse individueller Handlungen zu einem Netzwerk sozialer Beziehungen führen kann (cf. Kapitel 14 und 15). 12.5 Inferenzielle Gliederung intentionaler Verben Intentionale Verben sind als subsentenziale Zeichen inferenziell gegliedert. Dies ist nicht nur eine Erkenntnis von Brandoms normativem Sprachpragmatismus (cf. Kapitel 3.2), sondern auch der Beschreibunng der subsentenzialen inferenziellen Relationen (cf. Kapitel 11). Die subsentenziale Gliederung sprachlicher Zeichen wird sich in diesem Kapitel zu eigen gemacht, indem das entsprechende theoretische Vokabular auf intentionale Verben angewandt wird. In diesem Kapitel werden damit mehrere Strategien verfolgt: 1. Die bisherigen Darstellungen setzen auf intentionale Verben als semiotische Oberflächenstruktur, also auf Verben als indexikalische Zeichen hinsichtlich handlunglogischer Aspekte. Semiotische Oberflächen und Signifikanzen sind aber nicht immer eindeutig und die Frage, ob sprachliche Zeichen indexikalische Zeichen für diskursive Intentionalität sind, ist im Rahmen diskursiver Praktiken nicht notwendigerweise offensichtlich. Ob es sich bei sprachlichen Zeichen als um intentionale Verben handelt, kann teilweise nur mithilfe ko- und kontextueller Faktoren beantwortet werden. Die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben trägt also zur Klärung von Mehrdeutigkeit bei. 2. Diskursive Signifikanz intentionaler Verben strukturiert die inferenzielle Gliederung mit. Das heißt, dass auch der weitere Verlauf soziale-kommunikativer Praxis an die Signifikanz des intentionalen Verbs gebunden ist. Über die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben kann also Auskunft über eine mögliche Strukturierung sozial-kommunikativer Praxis gemacht werden (cf. Kapitel 12.6). 3. Die inferenzielle Gliederung hat außerdem Konsequenzen für die Frage, inwiefern intentionale Verben zur Zuschreibung oder Attribuierung von diskursiver Intentionalität verwendet werden, da diese Differenzierung mit der Unterscheidung von Festlegungen und Berechtigungen verbunden ist (cf. Kapitel 13). Die Analyse intentionaler Verben, intentionaler Relationen und diskursiver Intentionalität erfasst bisher sowohl das Verhältnis der Relationen zu ihren Relata, Sozialität, Kooperativität und Kollektivität als auch erste handlungslogische Aspekte. Allerdings ist 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 257 die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben bisher nicht expliziert worden. Nur in Bereichen der handlungslogischen Strukturen (Handlungen mit Gründen und aus Gründen) habe ich das inferenzielle Vokabular der Festlegung und Berechtigung verwendet, um Handlungsinvolviertheit diskursiver Rollen zu beschreiben. Angesichts der theoretischen Prämissen des normativen Sprachpragmatismus und Inferenzialismus sind aber auch intentionale Verben (als gesamte Struktur) inferenziell gegliedert, nicht nur hinsichtlich der Handlungslogik diskursiver Rollen, sondern auch hinsichtlich der diskursiven Intentionalität selbst. Bereits die Analyse intentionaler Verben und ihrer Exemplifikation zeigt, dass sich z. B. viele Verben nicht eindeutig den intentionalen Verben zuordnen lassen, weil sie signifikativ nicht notwendigerweise entsprechende diskursive Normen in der diskursiven Praxis attrahieren müssen, also diese zur Geltung bringen. Um die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben zu erfassen, ist es notwendig, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, dass die Analyse intentionaler Verben eine Untersuchung unterhalb der Äußerungsebene ist und damit unterhalb propositionaler Strukturen und anderer Signifikanzen. Daher sind die Formulierungen, dass intentionale Verben auf z. B. eine Folgehandlung festlegen oder berechtigen, zumindest unpräzise. Im engeren Sinne verfügen nur Äußerungen, sprachliche Handlungen (und ihre Folgehandlungen), Performanzen und propositionale Gehalte über eine Festlegungs- und Berechtigungsstruktur. Subsentenziale Einheiten hingegen, zu denen auch Verben nicht nur als prädikats-, sondern auch als relationsstiftende Zeichen gehören, tragen zur Festlegungs- und Berechtigungsstruktur bei, verfügen aber selbst nicht über eine. Um die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben zu analysieren, muss also inferenzielles Vokabular herangezogen werden, welches inferenzielle Potenziale von subsentenzialen Zeichen offenlegt. Hierzu wird das in Kapitel 11 eingeführte inferenzielle Vokabular der einfachen subsentenzialen inferenziellen Relationen (EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs) auf intentionale Verben angewandt. Dabei geht es im Rahmen dieser Betrachtung weniger um spezifische subsentenziale semantische Gehalte, die sich über subsentenziale Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten erfassen lassen. Vielmehr steht hier Signifikanz im Mittelpunkt und damit die Frage, inwiefern die Instanziierung (und damit auch Interpretation und Verwendung) des intentionalen Verbs hinreichend ist, um intentionale Relationen zu konstituieren, die dem Grundlagenmodell intentionaler Verben folgen. Oder: Es geht dabei um einen epistemischen Zugriff auf die Struktur des intentionalen Verbs, welches diskursive Intentionalität involviert. Die einfachen subsentenzialen inferenziellen Relationen setzen hier also an der signifikativen Oberfläche an, um die “ Dichte ” der Signifikanz der sprachlichen Gestalt inferenziell zu bestimmen (zur Diskussion zum Verhältnis von Text, sprachlicher Oberfläche und Performanz cf. Antos 1989: 13 f., Beiträge in Linke/ Feilke 2009). Diese Betrachtung spiegelt damit nicht nur Strukturen signifikativer Suffizienz wider, sondern führt auch zur Frage, inwiefern sich bestimmte diskursive Praktiken der signifikativen Suffizienz der sprachlichen Oberfläche intentionaler Verben bedienen. Entsprechend des bisher eingeführten inferenziellen Vokabulars lassen sich die (potenziellen) intentionalen Relationen hinsichtlich ihrer inferenziellen Gliederung beschreiben und folgendermaßen formal notieren: [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]], [[X]INTEN- 258 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben TIONAL EMSIB [Y, Z]] und [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]. 20 Diese Notation sowie ihre theoretischen Implikationen führen die Vielfalt der bisherigen Betrachtung zusammen, reduzieren sie aber auf die hier wesentlichen Aspekte. Insbesondere die Ybzw. Z-Position kann hier variabel evoziert werden, da es hier noch nicht um die Explikation der Relata bzw. diskursiven Rollen geht, sondern allein um die inferenzielle Gliederung der Relationen und deren signifikative Suffizienz. Erst in einem Folgeschritt können die Konsequenzen für die Relata analysiert werden. Außerdem werden auch die vektoriellen Ausrichtungen weggelassen, denn epistemisch sind diese bei Fragen der signifikativen Suffizienz noch nicht relevant. Erst nachdem sich Signifikanz im Rahmen diskursiver Praktiken entfaltet hat, kann auf die vektorielle Ausrichtung eingegangen werden. Im Folgenden soll also das bisherige Grundlagenmodell intentionaler Verben mit dem Vokabular der subsentenzialen inferenziellen Strukturen kombiniert und exemplarisch an Verben demonstriert werden. Verben mit der inferenziellen Struktur [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] tragen dazu bei, dass mit einer Äußerung diskursive Intentionalität zugeschrieben wird, und sind damit als subsentenziale inferenzielle Relationen hinreichend für den signifikativen Prozess (hinreichende signifikative Suffizienz). Allein aus der Verbinstanziierung kann diskursive Intentionalität (von X und ggf. Z) geschlussfolgert werden bzw. trägt das Verb hinreichende signifikative Suffizienz zur Konklusion bei. Es handelt sich also um einen in normativer Hinsicht notwendigen Schluss diskursiver Signifikanz des intentionalen Verbs. Dieses ist also tatsächlich ein intentionales Verb, weil es vollwertig über eine intentionale Relation als Strukturphänomen verfügt: (3) I 1 : “ Mit Peter kann man leidenschaftlich über die Euro-Krise diskutieren. ” Das intentionale Verb diskutieren, welches bereits im Rahmen kollektiver intentionaler Relationen analysiert wurde, steht hier exemplarisch für eine inferenzielle Gliederung [[X] INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] und lässt sich entlang der bisher eingeführten Differenzierungen sogar erweitern: [[X DRausG ] ← KOLL INTENTIONAL EMSIF → [Z DRausG ]]. Auch wenn hier nur eine diskursive Rolle explizit über den Eigennamen markiert wird (X), verfügt es auch über eine weitere implizite diskursive Rolle Z. Für beide gilt, dass ihnen dank der hinreichenden signifikativen Suffizienz des intentionalen Verbs diskursive Intentionalität zugeschrieben wird. Diese Suffizienz ist kontextunabhängig hinreichend für die Zuschreibung: X (und Z) verfügen beide über eine signifikative Handlungsstruktur, die sich als Handlung aus Gründen beschreiben lässt, und diese Konklusion ergibt sich allein aus dem intentionalen Verb. Die bisher beschriebenen Verben weisen zumeist eine inferenzielle Struktur auf, die sich mit [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] analysieren lässt. Insbesondere Sprechaktverben, aber auch andere soziale und sozial-kommunikative Handlungsverben scheinen eine entsprechende inferenzielle Struktur der Signifikanz aufzuweisen. Daher handelt es sich dabei aufgrund der genuinen Signifikanzstruktur um intentionale Verben. 20 EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs stellen subsentenziale inferenzielle Relationen dar, die als signifikative Strukturen zu Inferenzprozessen beitragen: EMSIFs weisen eine hinreichende Struktur für spezifische Inferenzen auf. EMSIBs sind für diese notwendig, müssen aber inferenziell vervollständigt werden und EMSIIs blockieren bzw. tilgen jene Inferenzen in diskursiven Praktiken (cf. Kapitel 11). Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Inferenz hin zu diskursiver Intentionalität. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 259 Viele Verben qualifizieren sich nicht unmittelbar als intentionale Verben, können aber doch dazu beitragen, dass jemand (X) in diskursiven Praktiken über Intentionalität verfügt. Diese Qualität lässt sich mithilfe einer [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]-Struktur darstellen. Es handelt sich hier also um subsentenziale Berechtigungsstrukturen und aufgrund der inferenziellen Gliederung kann diese inferenzielle Struktur sowohl in diskursiven Praktiken als auch bei der Analyse intentionaler Verben für Missverständnisse sorgen. Die inferenzielle Gliederung der diskursiven Signifikanz von [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] zeichnet sich dadurch aus, dass die inferenzielle Gliederung des Verbs zwar notwendig, aber nicht hinreichend für eine Konklusion von diskursiver Intentionalität ist. Der subsentenziale Gehalt des intentionalen Verbs muss also (durch ko- oder kontextuelle Zeichen) saturiert werden, sodass Intentionalität attribuiert werden kann. [[X]INTEN- TIONAL EMSIB [Y, Z]] bildet einen Beitrag zur Prämissenbildung, ist aber weder strukturell, weil nicht propositional, noch inferenziell, weil keine festlegungserhaltende Relation, hinreichend: (4) I 1 : “ Schau! Da läuft Sonja! Sie will sich wohl Pommes frites kaufen. ” Das Verb laufen verfügt hier über eine [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y]]-Struktur, ist aber inferenziell nicht hinreichend, um X, hier durch den Eigennamen markiert, diskursive Intentionalität zuzuschreiben. Vielmehr erfordert es weitere inferenzielle Relationen, um eine Intentionalitätsattribuierung zu ermöglichen. Das Beispiel (2) muss daher als Zeichensequenz (einer Semiose) betrachtet werden. Erst die Saturation mithilfe des Modalverbs wollen (volitiv) (und des Vollverbs kaufen) ermöglicht die entsprechende Konklusion. Das hier explizierte Verhältnis der inferenziellen Gliederung von [[X]INTENTIONA- L EMSIB [Y, Z]] und dem Modalverb wollen (volitiv) erfasst die Logik intentionaler Relationen mithilfe des inferenziellen Vokabulars, findet sich aber bereits implizit in Descombes' Unterscheidung von full-time- und part-time-intentionality (cf. Descombes 2014: 85, Kapitel 12.2.2) und Millikans Differenz von genuin [pure] und synthetisch [impure] intentionalen Zeichen (Millikan 2017: 160 f., Kapitel 9.2): Das Verb laufen evoziert hier keine diskursiven, wohl aber semantische Rollen und fügt der diskursiven Praxis damit zunächst nur eine reale Relation hinzu, die keine diskursive Intentionalität zuschreibt. In der Deskription des Sachverhalts zeigt sich, dass eine Erfassung des Verhaltens als motorische Tätigkeit allerdings nicht hinreichend ist, denn es findet im Rahmen diskursiver Normen statt, die sowohl eine Beurteilbarkeit der Situation als auch der involvierten Personen ermöglicht. Laufen ist hier also nicht nur eine reale Relation, sondern bildet gewissermaßen die grundlegende Verhaltensdeskription, welche die Beurteilung der Tätigkeit mithilfe von normativem Vokabular ermöglicht. Kurz: Laufen kann zur Attribuierung von diskursiver Intentionalität berechtigen, denn ansonsten wäre eine Vervollständigung mithilfe von wollen nicht möglich. Hier überlagert also eine intentionale Relation (modales Vokabular diskursiver Normen) eine reale Relation (zielorientiertes Verhalten). Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass die Saturation der realen Relation, welche kraft laufen signifiziert wird, nicht mithilfe eines Vollverbs, sondern eines Modalverbs gelingt. Tatsächlich sind Modalverben, insbesondere deren volitionaler Gebrauch, für die Unterscheidung von [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] und [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] äußerst 260 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben relevant: [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]]+wollen ist inferenziell nicht möglich bzw. z. B. diskutieren wollen führt nicht zu einer Handlungsdeskription, sondern einer Beschreibung des Mentalen. [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]+wollen hingegen fügt der Tätigkeit tatsächlich eine signifikative propositionale Einstellung zu, die die Tätigkeit saturiert. [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] stellt also eine notwendige signifikative Suffizienz in der inferenziellen Gliederung diskursiver Praktiken bereit, die allerdings um weitere signifikative Strukturen ergänzt werden muss, um diskursive Intentionalität zu attribuieren. Auch wenn sich unter [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]] und [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] die meisten Verben hinsichtlich ihrer signifikativen Suffizienz erfassen lassen, so verfügen nicht alle Verben notwendigerweise über eine signifikative Struktur, die diskursive Intentionalität ermöglicht. Einige Verben tilgen entsprechende inferenzielle Relationen diskursiv bzw. blockieren Inferenzen und damit auch Zuschreibungen oder Attribuierungen von diskursiver Intentionalität. Solche [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]- Strukturen evozieren nicht nur keine diskursive Rollen an sich, sondern verhinderen eben eine entsprechende Konklusion im Rahmen der Handlungsdeskription. Ein Verb wie verursachen steht damit in inkompatibler Relation zu intentionalen Verben. Das heißt aber nicht, dass es für diskursive Intentionalität als Strukturphänomen und dessen inferenzielle Gliederung nicht relevant wäre. Insbesondere im inferenziellen Verhältnis von [[X] INTENTIONAL EMSII [Y, Z]] und [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]] ist die Einführung inkompatibler Folgeinferenzen aufschlussreich: (5) I 1 : “ Schau! Da läuft Sonja! Sie verursacht einen Stau. ” Diese Variation des Beispiels (4) kann zu einer anderen Inferenz führen und zeigt, dass die Berechtigung zur Attribuierung von diskursiver Intentionalität hier durch das Verb verursachen diskursiv getilgt wird. Nach der Instanziierung des Verbs verursachen markiert der Eigenname hier keine diskursive Rolle eines vermeintlichen intentionalen Verbs, sondern erfasst ein Lebewesen, was keinen Handlungsnormen unterworfen ist bzw. welche im Rahmen dieser Deskription keine Anwendung finden. In dieser beschriebenen Situation gelten entsprechende Handlungsnormen also für “ Sonja ” nicht, weil verursachen in einer inkompatiblen inferenziellen Relation zu Zuschreibungen bzw. Attribuierungen von diskursiver Intentionalität steht. Für [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]-Strukturen ist der Modalverb-Test ebenfalls erkenntnisreich. Während [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]]+wollen die Interpretation des semantischen Gehalts verschiebt und [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]+wollen eine normative Signifikanz ergänzt, führt [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]+wollen zu einem parasitären Gebrauch des Verbs: Da verursachen inferenziell mit wollen (als Explikation einer signifikativen Handlungsintention) inkompatibel ist, führt die Kombination von verursachen+wollen zu einem eher innovativen semantischen Gehalt (z. B. “ X will so tun, als ob X etwas verursacht hätte, aber eigentlich hat X Z absichtlich getan. ” ). Verben, die [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]-Strukturen aufweisen, gibt es über verschiedene Verbklassen hinweg. Während traditionell viele Vorgangsverben wie verursachen oder wachsen dazugehören, sind auch einige Zustandsverben wie liegen oder Kausativverben wie erschrecken entsprechend analysierbar. Zusammenfassend dient die Darstellung der subsentenzialen inferenziellen Relationen zur Analyse der signifikativen Suffizienz intentionaler Verben und der Involviertheit von 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 261 diskursiver Intentionalität. Dabei zeigt sich, dass auch über die Klasse genuin intentionaler Verben hinaus andere Verben in inferenzielle Prozesse eingebunden werden können, um Intentionalität zu attribuieren. Gleichzeitig können bestimmte Verben auch Inferenzen blockieren oder diskursiv tilgen. Das theoretische Vokabular der subsentenzialen inferenziellen Relationen trägt damit dazu bei, dass auch sprachliche Zeichen auf Textebene betrachtet werden können, um diskursive Intentionalität zu beschreiben. Abb. 7 fasst die verschiedenen signifikativen Suffizienzen sowie mögliche Strukturinstanziierungen zusammen. Abb. 7: Inferenzielle Gliederung intentionaler Verben Die Stemma-Darstellung präsentiert die verschiedenen Möglichkeiten der inferenziellen Gliederung von intentionalen Verb bzw. ihrer intentionalen Relation [[X]INTENTIONAL [Y, Z]]. Dabei greift die Darstellung auf einige Erkenntnisse der Analyse von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen zurück (cf. Kapitel 12.4), rückt aber die Frage nach der signifikativen Suffizienz von Verben hinsichtlich diskursiver Intentionalität in den Mittelpunkt. Ausgehend von der Allgemeinmarkierung [[X]INTENTIONAL[Y, Z]], welche verschiedene Relationen enthält, die diskursive Intentionalität beeinflussen, werden über 262 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben die Implementierung von EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs verschiedene signifikative Oberflächen dargestellt, die auf verschiedene Weise zur Entstehung von diskursiver Intentionalität in diskursiven Praktiken beitragen können (oder nicht). Dabei zeigt sich, dass insbesondere [[X]INTENTIONAL EMSIF [Y, Z]]-Relationen für Intentionalität in diskursiven Praktiken sorgen und auch die meiste signifikative Vielfalt aufweisen. Hier sind verschiedene handlungslogische Strukturen möglich und auch unterschiedliche diskursive Rollen können durch das Verb instanziiert werden (cf. hier abermals Kapitel 12.3 und 12.4). Die signifikative Suffizienz von [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]-Relationen hingegen ist nicht hinreichend, um vollwertige intentionale Relationen zu signifizieren. Insofern lässt sich aus ihnen keine signifikative Struktur ableiten, die über hinreichende Elemente verfügt, um diskursive Intentionalität zu attribuieren. Vielmehr erfordert es hierfür weitere inferenzielle Relationen. Insofern lassen sich auf Basis der signifikativen Suffizienz von [[X] INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]-Relationen auch keine weiteren Strukturanalysen vornehmen, ohne weitere Signifikanzen hinzuzuziehen. Dennoch zeigen die Beispiele einige Verben, die [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y, Z]]-Relationen aufweisen und daher inferenziell hinsichtlich diskursiver Intentionalität gesättigt werden können. Bei ihrer Instanziierung aber sind sie diesbezüglich noch ambig. Mit Verben, die [[X]INTENTIONAL EMSII [Y, Z]]-Relationen aufweisen, kann nicht nur keine diskursive Intentionalität zugeschrieben bzw. attribuiert werden, sondern diese können mögliche Ambiguitäten oder latente Zuschreibungsbzw. Attribuierungselemente diskursiv tilgen. Jene inferenziellen Relationen, die implizit diskursive Intentionalität nahelegen könnten, werden dadurch gestrichen. Daher kann auch hier keine signifikative Struktur hinsichtlich intentionaler Relationen ausdifferenziert, wohl aber können einige Beispielverben genannt werden. Zusammenfassend wird das theoretische Vokabular zur Analyse diskursiver Intentionalität über die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben erweitert. Die verschiedenen subsentenzialen inferenziellen Relationen ermöglichen die Erweiterung des Grundlagenmodell hinsichtlich inferenzieller Gliederung. Das Konzept der signifikativen Suffizienz, welche die signifikative Kraft der semiotischen Oberfläche beschreibt, kann hierzu inferenziell analysiert werden, um zu zeigen, wie unterspezifizierte sprachliche Zeichen sequenziell diskursive Signifikanz erlangen. Damit wird analytische die Möglichkeit eröffnet, an unterschiedlichen Stellen des sequenziellen Verlaufs diskursiver Praktiken nach dem jeweiligen Beitrag zur Konstitution von Verhalten als Handlung zu fragen. 12.6 Linguistische Verbpragmatik Die bisherigen Ausführungen zur den signifikativen, strukturellen, normativen und pragmatischen Aspekten intentionaler Verben bilden die Grundlage einer neuen Perspektive auf die Analyse diskursiver Praktiken. Die inferenziellen und damit auch normativen wie pragmatischen Konsequenzen der Instanziierung intentionaler Verben wurden bisher allerdings nicht vollständig berücksichtigt. Insbesondere Descombes' These der systematischen Integration intentionaler Verben (cf. Descombes 2014: 85, Kapitel 12.2.2) ist bisher nur in Teilen eingelöst worden, nämlich dort, wo handlungstheoretische Momente in die Modellierung diskursiver Rollen integriert wurden. Im Folgenden 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 263 soll eine differenzierte Systematik intentionaler Verben entwickelt werden, was nicht nur zu einer weiteren Nuance in der Analyse führt, sondern gleichzeitig ein verbpragmatisches Feld eröffnet, was Praktiken und Praktikfolgen anhand von Verben analysiert. Denn eine Logik der realen und intentionalen Relationen, der verschiedenen Formen von Transitivität, des Modells intentionaler Verben und ihrer inferenziellen Gliederung ermöglicht eine Zusammenführung in einer linguistischen Verbpragmatik. Daher werden im Folgenden die vorherigen Kapitel zusammengeführt: Linguistische Verbpragmatik versteht sich als die Einlösung virtueller Logik und hyperonymischer Abstraktion (cf. Kapitel 12.1.1) und grenzt damit intentionale Verben von anderen sprachlichen zeichen ab (cf. Kapitel 12.1.2). Sie baut auf relationslogische Prämissen und auch auf indirekte Transitivität (cf. Kapitel 12.2), wenn es um das Verhältnis verschiedener signifizierter realer und intentionaler Relationen geht. Augangspunkt bleibt dabei das intentionale Verb (cf. 12.3 - 12.5). Was eine verbpragmatische Perspektive aber darüber hinaus bietet, ist die inferenzielle Einbettung des intentionalen Verbs zu demonstrieren. Unter den Begriffen der präterialen, synchronen und konsekutiven Relationen werden inferenzielle Aspekte des intentionalen Verbs diskutiert, die mit dessen Verwendung einhergehen. Es geht dabei um jene Inferenzen, die das Verb signifikativ mitbringt, sei es als Präsupposition oder als Zeichenkonsequenz. Durch diese Begriffe werden nicht nur die inferenziellen Konsequenzen des Verbgebrauchs demonstriert, sondern - unter Annahme der Kontinuität von Verhalten, Handlungskonstitution und Handlungsdeskription - auch implizite Strukturen der Handlungskonstitution selbst expliziert. Damit wird der normative Sprachpragmatismus Brandoms eingelöst: Die Verwendung eines intentionalen Verbs geht weniger mit Referenz einher, als mit verschiedenen sozial-normativen Konsequenzen in diskursiven Praktiken. Eine Verbpragmatik untersucht weder die semantische Anreicherung im Kontext noch deren epistemische Projektion in einen Common Ground, sondern versucht vielmehr, die normativen und pragmatischen Signifikanzen, die das Verb evoziert und die sich auf Folgepraktiken auswirken, zu analysieren. Es geht dabei darum, dass diskursive Normen von Intentionalität eine Art Kipppunkt für die diskursive Praxis bedeuten, sodass ein anderes Register zur Deskription und Beurteilung von Verhalten herangezogen wird. Verbpragmatik unterscheidet sich daher nicht nur von Verbsemantik, sondern auch von gebrauchsorientierten Verbanalysen, die insbesondere kognitive Prozesse modellieren wollen oder an der Schnittstelle von what is said und what is implicated ansetzen. Auch wenn z. B. die Analyse von Sprechakt- und Kommunikationsverben hier wesentliche Fortschritte gemacht hat, geht es dabei nicht um die Analysen von Sprachhandlungsmustern (cf. z. B. Gladow/ Kotorova 2018), Handlungsmustern (cf. z. B. Ehlich/ Rehbein 1986), Dialogstrukturen (cf. z. B. Franke 1990), Handlungslogiken (cf. z. B. Brennenstuhl 1975) oder sogar um eine korpuspragmatische Implementierung von Sprachgebrauchsmustern (cf. Bubenhofer 2009). Die verschiedenen Muster und Strukturen, die die verbpragmatische Analyse offenlegt und erklärt, sind vielmehr Effekte, die als inferenzielle Gliederung aus Zuschreibungs- und Attribuierungsprozessen der diskursiven Intentionalität (für diskursive Rollen) folgen. Sie entfalten sich kraft diskursiver Intentionalität. Eine linguistische Verbpragmatik kann so zeigen, inwiefern diskursive Normen für Objekte diskursiver Rollen Gültigkeit erlangen bzw. an welchen diskursiven Positionen andere 264 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Normregister diskursiv attrahiert werden, sich gewissermaßen die Spielregeln der Praxis ändern (können). Dies wirkt sich dann auch auf Verhalten und Handlungen aus. Um diese Perspektive auf diskursive Praktiken zu demonstrieren, aber auch, um die verschiedenen Aspekte der letzten Kapitel theoretisch zusammenzuführen, sollen unterschiedliche Momente diskursiver Intentionalität veranschaulicht werden. Zur Analyse diskursiver Praktiken und deren Systematik im Rahmen einer Verbpragmatik sind folgende Aspekte notwendig, die sich teilweise explizit aus der Darstellung der verschiedenen Strukturen des Verbmodells ergeben bzw. auf deren semiotischen und relationslogischen Grundlagen beruhen: 1. (Intrinsische, extrinsische und indirekte) Transitivität 2. Reale und intentionale Relationen 3. Inferenzielle Gliederung 4. Diskursive Normen 5. Temporale Relationen Diese fünf Aspekte, die in den vorherigen Kapiteln bereits diskutiert wurden, sollen hier kurz zusammengefasst werden, um zu zeigen, welche Rolle sie in einer verbpragmatischen Perspektive spielen. Die verschiedenen Formen von Transitivität, die sich relationslogisch begründen lassen (cf. Kapitel 12.2), dienen der Beschreibung und Differenzierung verschiedener relationslogischer Strukturen hinsichtlich genuiner und degenerativer Aspekte. Weil intentionale Relationen sich durch indirekte Transitivität auszeichnen, steht diese auch im Mittelpunkt einer verbpragmatischen Perspektive. Weil indirekte Transitivität eine Unterscheidung mehrerer Relationstypen erfordert, muss auch der Unterschied zwischen realen und intentionalen Relationen berücksichtigt werden. Da intentionale Relationen in ihrer indirekten Transitivität weitere Relationen, auch reale, fordern, kann unter diesem Aspekt die weitere Involviertheit intentionaler und realer Relationen untersucht werden. Dies gilt insbesondere für die Analyse der Konstitution von Handlungskraft (und der Differenz von kognitiven und praktischen Festlegungen). Die inferenzielle Gliederung der intentionalen Relation legt hier nicht nur die subsentenzialen festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen hinsichtlich der Konstitution der diskursiven Intentionalität offen, sondern dient der Analyse des diskursiven Entfaltungspotenzials von [[X]INTENTIONAL [Y, Z]]. Kraft der intentionalen Relationen tritt diese nicht nur in diskursive Praktiken und verschiedene inferenzielle und interlokutive Relationen (z. B. als Festlegungs- und Berechtigungsstruktur) ein, sondern eröffnet weitere Inferenzen hinsichtlich der Handlungsinvolviertheit ihrer diskursiven Rollen. Mithilfe der inferenziellen Gliederung lässt sich analysieren, inwiefern die Verbinstanziierung der intentionalen Relation inferenzielle und normative Folgen und Umstände für die diskursive Praxis bereitstellt. Ausgehend von einer Instanziierung von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] können außerdem diskursive Positionen bestimmt werden, an denen bestimmte diskursive Normen Geltung erlangen. Im Sinne des theoretischen Vokabulars des Modells werden kraft der signifikativen Struktur entsprechende diskursive Normen attrahiert. Daher muss eine linguis- 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 265 tische Verbpragmatik nicht nur ein theoretisches Vokabular entwickeln, um die den diskursiven Praktiken impliziten diskursiven Normen zu explizieren, also normatives bzw. modales Vokabular (cf. Kapitel 3.1.3), sondern auch einen Begriff der diskursiven Norm entwickeln, der sich von anderen Formen von Normativität unterscheidet, die z. B. bei der Betrachtung der Sprachsystematik oder des Sprachwandels relevant werden (cf. auch Beiträge in Mäkilähde/ Leppänen/ Itkonen 2019). Diskursive Normen umfassen in einer linguistischen Verbpragmatik vielmehr das, was mit Bezug auf Eugenio Coseriu auch diskursives Wissen genannt werden könnte (cf. 1985: xxix, aber auch Zlatev/ Blomberg 2019: 89). Anstatt sich mit verschiedenen Normen, Regelmäßigkeiten und Prinzipien des Sprachsystems oder der Grammatik zu beschäftigen, soll der Begriff der diskursiven Norm sowohl verschiedene Diskursarten (cf. z. B. Lyotard 1989) als auch mögliche Diskursuniversalien (z. B. im Sinne der Präsumtionsregelerwartungen, der Konversationsmaximen oder des Prinzips der wohlwollenden Interpretation) beschreiben können (cf. Kapitel 16). Welche diskursspezifischen und -universalen Normen im Sinne des Modells attrahiert werden, hängt von der jeweiligen Verbstruktur ab. Neben diesen Aspekten, die bereits ausführlich beschrieben wurden, muss das Modell im Rahmen der linguistischen Verbpragmatik um einen weiteren Aspekt (Temporalität) ergänzt werden. Dieser wurde bisher nur implizit vorausgesetzt, kaum theoretisch begründet, aber im Rahmen der theoretischen Grundlagen benannt (cf. Kapitel 4). Hierbei geht es weniger darum, dass das vom Verb beschriebene Verhalten sich selbst zeitlich ausdehnt. Vielmehr sollen die vom Verb implizierten Folge- und Voraussetzungshandlungen analysierbar werden. Exemplarisch hat sich dieser temporale Aspekt bereits in der Darstellung des Verhältnisses von fragen und antworten gezeigt, wo fragen eine subsentenziale Berechtigungsstruktur aufweist, die inferenziell zu antworten führt. Die beiden durch das Verb beschriebenen Handlungen sind aber keine simultanen Handlungen, sondern zeitlich versetzt. Diese temporale Struktur intentionaler, aber auch anderer verbpragmatisch relevanter Verben soll über die Konzepte der präteritalen, synchronen und konsekutiven Relation analysierbar werden. Abb. 8: Verbpragmatisches Modell der intentionalen Relation Die in Abb. 8 dargestellte signifikative Handlungsstruktur umfasst auf Ebene von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] sowohl Aspekte des Grundlagenmodells intentionaler Verben als auch Aspekte der indirekten Transitivität. Für die weitere verbpragmatische Betrachtung ist insbesondere das Verhältnis zwischen temporalen Relationen und der inferenziellen Gliederung von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] hervorzuheben. Jede temporale Relation 266 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben kann selbst durch verschiedene inferenzielle Relationen von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] modelliert werden. Präteritale, also vorausliegende Relationen (also auch das Signifikanzäquivalent zu Handlungsgründen und -ursachen (cf. z. B. Davidson 1990 b: 19 f.)) umfassen alle Verhaltens-, Handlungs- und Kognitionsrelationen, die [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] vorausgehen (EMSIF) bzw. vorausgehen können (EMSIB) bzw. mit [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] inkompatibel sind (EMSII). Sie haben, wenn sich das Verb mit [[X]INTENTIONAL[Y, Z]]- Relation ereignet, ihren Telos schon erfüllt, sind aber inferenziell und temporal trotzdem mit [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] verbunden. Ein Beispiel für eine präteritale Relation des intentionalen Verbs antworten wären z. B. Relationen, die das Verb fragen bereitstellt. Denn antworten ist eine Folgerelation von fragen. Somit kann aus einer Verbinstanziierung von antworten geschlussfolgert werden, dass eine Frage (oder etwas, das ähnliche Relationen aufweist) diskursiv vorausgegangen ist. Präteritale Relationen umfassen aber nicht nur solche latenten vorausliegenden Handlungen bzw. Handlungsmuster, sondern auch signifikative propositionale Einstellungen, die der durch das Verb beschriebenen Handlung vorausgehen (z. B. als Handlungen mit Gründen). So kann z. B. das Verb lernen auf Handlungszielen, Überzeugungen oder Wünschen basieren (EMSIB), die während der Handlung selbst nicht präsent sind, aber dennoch zur Handlung geführt haben. Sie sind damit als präteritale Relationen (von lernen) zu klassifizieren. Synchrone Relationen (auch das Signifikanzäquivalent zu Basis-Handlungen (cf. z. B. Danto 1985)) sind alle Verhaltens-, Handlungs- und Kognitionsrelationen, die (von X) gleichzeitig bei [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] impliziert sind, wobei hier sowohl verschiedene Handlungen, Tätigkeiten, aber auch kognitive Deskriptionen involviert sind. So kann z. B. das Verb (sich) verabschieden weitere Handlungen und Tätigkeiten implizieren, die während der Handlung stattfinden, aber aus denen (sich) verabschieden nicht vollständig rekonstruiert werden kann: Hände schütteln, winken, sprechen, artikulieren, Lippen bewegen etc. All diese Verben bzw. Verbkonstruktionen stellen synchrone Handlungen bzw. Tätigkeiten dar (und ggf. sogar alternative Deskriptionen des Verhaltens). Synchrone Relationen sind aber nicht nur deshalb relevant, weil sie verschiedene synchrone Tätigkeiten und Handlungen erfassen, sondern insbesondere deshalb, weil hier der Unterschied zwischen intentionalen und realen Relationen inferenziell veranschaulicht und damit der Begriff der indirekten Transitivität analytisch verwendet werden kann. Denn bei der Instanziierung einer [[X]INTENTIONAL[Y, Z]]-Relation lassen sich dann diejenigen Strukturen darstellen, die auf realen Relationen beruhen, und diejenigen, die diskursive Normen (zur Beurteilung von Verhalten) in die diskursive Praxis bringen. So kann z. B. zeigen eine synchrone Relation von veranschaulichen sein, deren Tätigkeit aber nicht notwendigerweise unter spezifischen diskursiven Normen beurteilbar ist und auch keine signifikativen Handlungsgründe aufweist. 21 Zeigen ist dann eine synchrone, aber reale Relation, die inferenziell aus der intentionalen Relation von veranschaulichen rekonstruiert werden kann. Auf Basis der realen Relation können diskursive Normen der intentionalen Relation das beschriebene Verhalten dann als Handlung konstituieren, womit das Verb veranschaulichen indirekte Transitivität aufweist. 21 Auf ähnliche Weise besteht auch eine Differenz zwischen zeigen und anzeigen, illustrieren oder demonstrieren. 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 267 Neben der Differenz von realen und intentionalen Relationen können mithilfe der Unterscheidung von präteritalen und synchronen Relationen auch handlungstheoretische Aspekte modelliert werden. Denn bei Verben, die Handlungen mit Gründen signifizieren, lassen sich propositionale Einstellungen stets als präteritale Relationen veranschaulichen. Mit synchronen Relationen können zudem synchrone propositionale bzw. intentionale Einstellungen der Verhaltensbzw. Handlungsdeskription erfasst werden, also diejenigen Verben, die Handlungen aus Gründen signifizieren. Ein Verb wie z. B. versprechen weist synchrone Relationen auf, die inferenziell jene signifizierten Handlungsgründe bereitstellen, die versprechen zu einer Handlung aus Gründen machen, z. B. wollen oder beabsichtigen. Konsekutive Relationen (also auch das Signifikanzäquivalent zu Handlungsfolgen und -zwecken (cf. z. B. Wright 1974: 69)) sind Verhaltens-, Handlungs- und Kognitionsrelationen, die mit [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] in festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen Folgerelationen stehen. Hier bietet sich als Beispiel abermals das Verb antworten an, welches hier eine konsekutive Relation des Verbs fragen ist. Dadurch wird abermals gezeigt, dass die Frage, ob etwas als präteritale, synchrone oder konsekutive Relation klassifiziert wird, am jeweiligen Moment im Kontinuum bzw. der Verbinstanziierung festzumachen ist: Was zu einem Zeitpunkt eine synchrone Relation ist, kann zu einem anderen schon eine präteritale Relation sein. Ein anderes Beispiel ist das Verb versprechen, welches als konsekutive Relation, diejenige Handlung hervorruft, welche Objekt des Versprechens ist (z. B. auf “ Ich verspreche dir, den Müll herunterzubringen. ” folgt die Handlung Müll herunterbringen). Damit implizieren konsekutive Relationen nicht nur Handlungsfolgen, sondern auch Handlungsverpflichtungen. Es ist außerdem wichtig, zwischen denjenigen Relationen zu unterscheiden, die latent als konsekutive Relation in der Verbinstanziierung hervorgerufen werden, und denjenigen, die diskursiv tatsächlich folgen. Denn nicht alle auf die [[X]INTENTIONAL[Y, Z]]-Relation folgenden Relationen stehen notwendigerweise in inferenzieller Relation zu ihr. Es geht hier also vielmehr um das Potenzial, welches das Ereignis von [[X]INTENTIONAL[Y, Z]] evoziert. Mithilfe der Darstellung der verschiedenen Strukturen und Aspekte und dem verbpragmatischen Modell intentionaler Relationen können nun exemplarische Verbinstanziierungen (und deren diskursive Rollen) analysiert werden, wobei die hier veranschaulichten intentionalen Relationen Reduktionen darstellen und bei z. B. trivalenten intentionalen Verben (cf. hierzu z. B. Descombes 2017) komplexer wären. Es lässt sich z. B. das systematische Verhältnis der Verben suchen und finden - [SUCHEN]-[FINDEN] - , welchem sich auch Vincent Descombes widmet (cf. Descombes 2014: 83 f.), im Rahmen des verbpragmatischen Modells analysieren und erklären, warum suchen ein intentionales Verb ist bzw. sein kann, während finden kein intentionales Verb ist. 268 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Abb. 9: Verbpragmatik von suchen Suchen (i. S. v. “ Jemand [Person/ Institution] stellt Überlegungen oder Untersuchungen an mit dem Ziel, etwas [Konkretum: häufig Substanz/ abstr. Objekt] zu finden oder etwas zu entdecken. ” (Schumacher et al.: 713) 22 ) beinhaltet während des intentionalen Ereignisses einen Handlungsgrund, sodass es eine Handlung aus Gründen (für X) ist. Dieser wird hier durch die Relation, die das Verb beabsichtigen bereitstellt, markiert. Beabsichtigen ist allerdings nicht die einzige synchrone Relation, die während der Instanziierung besteht. Bereits die Definition von suchen legt einige Verben nahe, die als synchrone Relationen auf Basis von EMSIFs gelten können: überlegen und untersuchen. Weitere synchrone Relationen auf Basis von EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs sind dabei wahrscheinlich, sollen aber für diese Veranschaulichung der Analyse des [SUCHEN]-[FINDEN]-Verhältnisses weggelassen werden. Suchen involviert außerdem mögliche propositionale Einstellungen, die der durch das Verb markierten Handlung vorausgehen und damit präteritale Relationen sind. Diese sind aber für suchen nicht notwendig, auch wenn sie wesentlichen Einfluss auf die Entstehung der Handlung und Handlungsziele haben können. Daher werden sie hier als präteritale Relationen auf Basis von EMSIBs modelliert. Weitere präteritale Relationen habe ich hier abermals weggelassen, wobei eine weitere vorausgehende Relation, die aber auf EMSIIs beruht, finden ist. Wäre finden aus der Perspektive der Verbinstanziierung suchen nicht inferenziell als präteritale Relation ausgeschlossen, dann wäre finden keine angemessene konsekutive Relation von suchen. Denn: Wenn Y bereits gefunden wurde (präterital), muss Y nicht mehr gesucht werden (konsekutiv). Finden stellt dann eine konsekutive Relation von suchen dar, denn finden kann eine Folge von suchen sein und ist sogar kognitiv (als Handlungsziel) markiert. Dennoch muss eine [FINDEN]-Relation nicht notwendigerweise auf suchen folgen, z. B. wenn die Suche scheitert. Daher basiert die konsekutive Relation auf EMSIBs. Eine weitere konsekutive Relation, die aber auf einer ähnlichen signifikativen Struktur beruht, wäre entdecken. Y markiert in dieser Darstellung das Akkusativobjekt bzw. intentionale Objekt, welches über die Handlungssequenz hinweg beständig bleibt. Denn das Ziel der Suche ist zugleich dasjenige Objekt, welches gefunden werden soll (und damit die Suche beendet). Auch wenn das Akkusativobjekt Y hier insbesondere an der [SUCHEN]-[FINDEN]-Achse markiert wird, ist nicht auszuschließen, dass es bereits in der präteritalen Relation eine Rolle spielt (z. B. aus “ X glaubt, dass der Schatz (Y) dort vergraben ist. ” folgt “ X sucht den Schatz (Y). ” , woraus folgen kann “ X findet den Schatz (Y). ” ) 22 Bsp.: “ Das Institut Pasteur sucht nach einem Impfstoff gegen Aids. ” (ebd.) 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 269 Wendet man sich nun der [SUCHEN]-[FINDEN]-Achse aus der Perspektive von finden zu, lassen sich andere präteritale, synchrone und konsekutive Relationen ermitteln. Dabei unterscheidet sich finden nicht nur deshalb von suchen, weil es die Beendigung einer Handlungssequenz markiert (atelisch vs. telisch). Auch intentionale Relationen sind auf andere Weise involviert. Abb. 10: Verbpragmatik von finden Finden (i. S. v. “ etwas entdecken ” (Schumacher et al.: 378) 23 ) involviert nicht notwendigerweise diskursive Intentionalität als intentionale Relation. Denn etwas kann auch unvermittelt gefunden werden und muss keine Suche voraussetzen, sodass suchen hier als präteritale Relation auf Basis von EMSIBs modelliert ist. Die synchronen und konsekutiven Relationen werden in dieser Darstellung offengelassen, denn sie tragen kaum zum Verständnis der [SUCHEN]-[FINDEN]-Achse bei. Propositionale Einstellungen müssen nicht notwendigerweise als synchrone Relationen modelliert werden, weil finden unvermittelt geschehen kann. Außerdem schließt es als telisches und punktuelles Verb eine konsekutive Relation eher aus. Eine Ausnahme wäre die konsekutive Relation [SUCHEN], die auf EMSIIs beruht, denn wenn etwas bereits gefunden wurde, muss es nicht mehr gesucht werden. Dass finden aber als involviert in Handlungssequenzen mit diskursiver Intentionalität interpretiert wird bzw. werden kann, liegt weniger an der [FINDEN]-Verbinstanziierung als an inferenziellen Relationen, die finden zum Verb suchen hat bzw. haben kann. Wenn finden das Ergebnis von suchen ist, dann trägt die durch suchen signifizierte intentionale Relation gewissermaßen auch für finden. Finden wird als Einlösung des Handlungsziels interpretiert und damit aber letztlich als Konsequenz von suchen, wie bereits in Abb. 9 dargestellt. Das Verhältnis der Handlungsbzw. Tätigkeitsverben suchen und finden zeigt die Ambivalenz, Festlegungs- und Berechtigungsstruktur sowie die systematischen Relationen von Verben in diskursiven Praktiken auf, doch ist suchen kein paradigmatischer Vertreter intentionaler Verben, wenn es um die Analyse von Verbinstanziierungen geht. Denn suchen erfordert (ganz im Sinne der EMSIB-Strukturen der signifikativen Oberfläche) zumindest weitere inferenzielle Relationen, um als intentionales Verb zu signifizieren, sodass diskursive Intentionalität attribuiert werden kann. 24 Prototypisch sind wahrscheinlich sozialkommunikative Handlungsverben und insbesondere kollektive intentionale Verben wie diskutieren. Dieses Verb kann sowohl zur Demonstration der Verbpragmatik als auch zur Illustration der indirekten Transitivität intentionaler Verben genutzt werden. 23 Bsp.: “ [Immer wieder] finden Wissenschaftler neue Viren, neue Bakterienstamme. ” (ebd.) 24 Suchen können (im wörtlichen Sinne) auch Hunde, Katzen, Babys und Kleinkinder, vielleicht sogar auch Suchmaschinen. 270 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Abb. 11: Verbpragmatik von diskutieren Diskutieren (i. S. v. “ mit jemandem etwas erörtern bzw. ein Gespräch über etwas führen, wobei unterschiedliche Standpunkte dargelegt werden ” (Schumacher et al.: 297) 25 ) weist eine komplexe verbpragmatische Struktur auf, da sowohl propositionale Einstellungen als auch Simultan-, Komplementär- und Folgehandlungen sowie neben X auch Y und Z involviert sind. Das Verb weist präteritale Relationen auf Basis von EMSIFs auf, die hier als propositionale Einstellungen modelliert sind. Diskutieren basiert stets auf vorausgehenden propositionalen Einstellungen, die Einfluss auf das Handlungsereignis haben. Gleichzeitig ist es auch eine Handlung aus Gründen, sodass es synchrone Relationen involviert, die sich z. B. mit beabsichtigen erfassen lassen. Hiermit wird der Handlungsgrund signifiziert. Weitere synchrone Relationen sind diejenigen Handlungen und Tätigkeiten, die einen relationalen Status aufweisen und Teil von Diskussionen sind: reden, sagen, behaupten etc. Diskutieren kann das Ziel haben, dass X und Z sich wechselseitig überzeugen wollen, wobei überzeugen (als Folgeereignis) nicht notwendigerweise eintreten muss. Daher handelt es sich um eine konsekutive Relation auf Basis von EMSIBs. Außerdem sind in dieser Darstellung die verschiedenen diskursiven Rollen und intentionalen Objekte markiert. Da hier X im Mittelpunkt steht, gelten die diskursiven Signifikanzen von diskutieren zunächst für X. Doch weil diskutieren eine kollektive intentionale Relation signifiziert, gelten dieselben Signifikanzen auch für Z, auch wenn z. B. die spezifischen propositionalen Einstellungen und Gehalte sich unterscheiden können bzw. in diesem Fall sogar müssen, weil eine Diskussion nur unter verschiedenen Ansichten ( “ unterschiedliche Standpunkte ” ) sinnvoll ist. X und Z sind als diskursive Rollen, die aus Gründen handeln, signifiziert, wobei überzeugen für beide das Handlungsziel zum Zeitpunkt der Verbinstanziierung von diskutieren darstellt. Damit entsteht eine Achse von beabsichtigen und überzeugen (i. S. v. “ beabsichtigen zu überzeugen ” ), die über das gemeinsame Diskussionsthema (Y) geht. Damit ist zunächst einmal nichts anders dargestellt als der Fakt, dass Diskussionen dazu dienen, dass X und Z hinsichtlich Y versuchen, sich gegenseitig zu überzeugen. Das Verb diskutieren und dessen präteritale, synchrone und konsekutive Relationen sowie diskursive Rollen können diese Tatsache erklären und veranschaulichen. Dass diskutieren eine Vielfalt an verbpragmatischen Strukturen enthält und entsprechende diskursive Rollen fordert, lässt sich auch anhand eines Textbelegs exemplifizieren: 25 Bsp.: “ Der Finanzminister diskutiert mit dem Fraktionschef die Sparmaßnahmen für das nächste Jahr. ” (Schumacher/ Kubczak/ Schmidt/ de Ruiter 2004: 298) 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 271 Die wird derzeit diskutiert: Politiker von CDU und CSU haben sich in den vergangenen Tagen für eine Korrektur von Hartz IV ausgesprochen. Das System müsse verständlicher und gerechter werden, sagte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). So sei es schwierig, wenn einfache Arbeiter weniger verdienten als Hartz-IV-Empfänger. (Spiegel-Online, 17.01.2010) Das Verb diskutieren entfaltet sich hier im Rahmen der textuellen Sequenz, sodass die verbpragmatische Struktur genutzt wird, um die normativen Signifikanzen zu explizieren. Es zeigen sich der latente Plural des kollektiven intentionalen Verbs (X und Z: Politiker von CDU und CSU) und das gemeinsame Thema (Y: Korrekturen von Hartz IV), aber auch die inferenziellen Relationen von diskutieren zu anderen Verben. Sich aussprechen (i. S. v. fürsprechen) und sagen sind (intentionale) Relationen, die während der Verbinstanziierung als synchrone Relationen auftreten. Neben der Etablierung der Diskussion im Rahmen einer politischen Praxis, attrahieren diskutieren, aber auch sich aussprechen (und sagen) nicht nur diskursspezifische (politische) Normen, sondern auch diskursive und sozial-kommunikative Handlungsnormen, die sich z. B. im Rahmen von Präsumtionsregelerwartungen oder Maximen erklären lassen (cf. Kapitel 16). Dass es sich tatsächlich um eine Analyse der verbpragmatischen (und damit diskursiven Signifikanz) und nicht der verbsemantischen Ebene handelt, bestärkt die Analyse der indirekten Transitivität von diskutieren. Sie zeigt an, dass die Substitution intentionaler Verben mit anderen begriffsähnlichen sprachlichen Zeichen, die z. B. reale Relationen signifizieren, dazu führt, dass andere bzw. keine diskursiven Normen attrahiert werden. Abb. 12: Indirekte Transitivität von diskutieren Die hier erfassten inferenziellen und temporalen Relationen beschränken sich auf EMSIF- Strukturen und synchrone Relationen. Sowohl reden als auch artikulieren (i. S. v. Laute modulieren) sind in der kraft des Verbs diskutieren signifizierten Handlung notwendigerweise involviert, zumindest, wenn es sich um eine mündliche Diskussion handelt. Allerdings involvieren nur diskutieren und reden selbst diskursive Normen bzw. konstituieren sich kraft dieser. Artikulieren, welches hier nur als Beispiel dient, markiert eine reale Relation, welche über extrinsische Transitivität verfügt. [DISKUTIEREN] und [REDEN] überlagern als intentionale Relation kraft der diskursiven Normen eine reale Relation [ARTIKULIEREN]. Würden entsprechende reale Relationen, die über intrinsische 272 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben oder extrinsische Transitivität verfügen, statt der intentionalen Relation im semiosischen Kontinuum substituiert werden, würde der Aspekt der diskursiven Normen zur Beurteilung des Verhaltens, der Konstitution der diskursiven Rollen sowie des Normverfügens entfallen. Diese Skizze der linguistischen Verbpragmatik zeigt, inwiefern die Instanziierung eines intentionalen Verbs eine latente Handlungslogik enthält, die mithilfe inferenzieller und temporaler Relationen modelliert werden kann. Damit können nicht nur Verben analysiert werden, die z. B. Komplementär-, Simultan- oder Folgehandlungen anzeigen, sondern auch diejenigen extrahiert werden, welche diskursive Normen attrahieren. Insbesondere die Perspektive der Transitivität sowie der Substitution kann dann das Verhältnis diskursiver Normen und diskursiver Praktiken verbpragmatisch analysieren. Zusammenfassend kann die Erweiterung des inferenziellen Vokabulars im Rahmen einer linguistischen Verbpragmatik veranschaulichen, welchen Beitrag intentionale Verben in der Konstitution von Verhalten als Handlung haben. Anhand einzelner Verben lässt sich demonstrieren, wie diese bereits das Potenzial zur inferenziellen Verkettung in sich tragen und damit systematisch den Verlauf diskursiver Praktiken protegieren. Über die subsentenzialen inferenziellen Relationen einerseits sowie präteriale, synchrone und konsekutive Relationen andererseits kann dieser systematische Beitrag von intentionalen Verben an verschiedenen Positionen in der Praxis dargestellt werden. Hier findet dann auch der Begriff der indirekten Transitivität seine analytische Berechtigung (cf. Kapitel 12.2.2). Denn er trägt dazu bei, insbesondere bei synchronen inferenziellen Verkettungen den Übergang von sozial-normativen Gültigkeiten (indirekte Transitivität) zu physikalischen Gesetzmäßigkeiten (extrinsische Transitivität) zu demonstrieren. Die Darstellung der linguistischen Verbpragmatik und des systematischen Beitrags von intentionalen Verben zur Konstitution von Verhalten als Handlung schließt die Reflexionen zur diskursiven Signifikanz intentionaler Verben ab: Ausgehend von der Annahme, dass intentionale Verben einen besonderen Beitrag zu diskursiven Praktiken leisten, wurde deren logischer Status reflektiert. Virtuelle Logik und hyperonymische Abstraktion haben diskursive Intentionalität als transversale Eigenschaft verschiedener sozial-normativer Status etabliert (cf. Kapitel 12.1.1), um intentionale Verben anschließend von spezifischen Verbklassen wie Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben abzugrenzen (cf. Kapitel 12.1.2). Die spezifische Logik intentionaler Verben ließ sich relationslogisch rekonstruieren, indem auf relationlogische Annahmen und Begründungen von Peirce Descombes zurückgegriffen und somit die Kategorie der intentionalen Relation etabliert wurde (cf. Kapitel 12.2.1). Relationslogisch wurden intentionale Verben außerdem entlang der semiotischen Kategorie der Transitivität analysiert, um die zeigen, auf welche Weise diskursive Normen an ihrer Konstitution mitwirken. Das Konzept der indirekten Transitivität hat sich dabei als ertragreich erwiesen (cf. Kapitel 12.2.2). Das Grundlagenmodell dient der Darstellung der signifikativen Grundstruktur intentionaler Verben und führt die theoretischen Erkenntnisse der vorherigen Kapitel zusammen (cf. Kapitel 12.3). Da sich viele intentionale Verben aber nicht auf diese signifikative Grundstruktur reduzieren lassen, habe ich das Grundlagenmodell anschließend um soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen (cf. Kapitel 12.4) und eine inferenzielle Gliederung (cf. Kapitel 12.5) ergänzt. Das Ergebnis dieses Kapitel ist damit ein Modell zur Analyse diskursiver Praktiken sowie eine neue 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 273 verbpragmatische Perspektive auf handlungslogische Aspekte dieser Praktiken. Die in diesem Kapitel entwickelte Analyse und Modellierung von diskursiver Intentionalität, intentionalen Verben und Relationen dient dazu, die in den sprach- und zeichentheoretischen Grundlagen skizzierten und in den Theorien Peirces, Brandoms, Shorts und Millikans explizierten Annahmen zur Intentionalität analysierbar zu machen. Intentionalität entsteht dabei bei der Verbinstanziierung als Signifikanz und kann daher mithilfe des Grundlagenmodells, sowie der typologischen wie verbpragmatischen Erweiterungen in diskursiven Praktiken anhand von (impliziten wie expliziten) Zeichenereignissen analysiert werden. Weil es sich dabei, wie z. B. die handlungslogischen Implikationen zeigen, nicht nur um eine Verbanalyse i. e. S. handelt, sondern um eine neue Perspektive auf diskursive Praktiken und deren Analyse, ist die Analyse auch anschlussfähig für Fragen der Konstitution von sprachlichen Handlungen, Interlokutorenfunktionen und Involviertheit diskursiver Normen. Insofern kann sie auch über Verben hinweg Anwendung in linguistischen Analysen finden. 274 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration Abstract: The reflection on the significance of intentional verbs is applied to the verb “ to ascribe ” . The premises of pragmatics developed in the previous chapter are demonstrated here on the basis of the discursive practices that establish intentionality as a socialnormative emergence in communication. Robert B. Brandom's vocabulary is extended by theoretical aspects and an acceptance criterion is added, which ensures the socialcommunicative structuring of these practices. Zusammenfassung: Die Reflexion zur Signifikanz intentionaler Verben werden auf das Verb “ zuschreiben ” angewandt. Die im vorherigen Kapitel entwickelten Prämissen einer linguistischen Pragmatik werden hier anhand der diskursiven Praktiken demonstriert, die Intentionalität als sozial-normative Emergenz in der Kommunikation etablieren. Das theoretische Vokabular Robert B. Brandoms wird hierzu um Aspekte erweitert und ein Akzeptanzkriterium ergänzt, welches die sozial-kommunikative Gliederung dieser Praktiken sichert. Keywords: ascription, intentionality, acceptance criterion Schlüsselbegriffe: Zuschreibung, Intentionalität, Akzeptanzkriterium Das Grundlagenmodell intentionaler Verben und die linguistische Verbpragmatik bieten zwar eine Perspektive auf diskursive Praktiken, doch bleibt bisher die Frage nach der strukturellen Zugehörigkeit diskursiver Intentionalität im Rahmen der Deskription von Personen noch undeutlich. Zwar habe ich erklärt, dass intentionale Relationen handlungspotenzielle Leerstellen (diskursive Rollen) eröffnen und diese sich (in ihrer Instanziierung) auf Personen beziehen können, doch habe ich die Prozesse, die dies ermöglichen, bisher nicht ausreichend erklärt. Mithilfe der Begriffe der Zuschreibung und Attribuierung sollen diese Prozesse auch analytisch erfassbar werden, wobei auch hier der analytische Zugang über die Struktur der Verben zuschreiben und attribuieren erfolgt. Diese Verben beschreiben Praktiken, die an der Konstitution diskursiver Intentionalität beteiligt sind und auf der Signifikanz des intentionalen Verbs gründen. Doch obwohl die theoretische Perspektive bisher insbesondere Emergenzphänomene, Relationen und Verben in den Blick genommen hat, soll damit nicht bezweifelt werden, dass an diskursiven Praktiken Interlokutoren beteiligt sind, die auf gewisse Weise an der Konstitution diskursiver Intentionalität teilhaben. Die Frage der Beteiligung von Individuen an der Konstitution von Intentionalität in diskursiven Praktiken ist bereits in der Diskussion des Intentional Stance, der interpretierenden und einfachen intentionalen Systeme* (IIS und EIS), skizziert worden und intentionale Zeichen sind als wesentliches Element für Interpretations-, Zuschreibungs- und Attribuierungsprozesse herausgestellt worden (cf. Kapitel 8.2). Nachdem diese intentionalen Zeichen mit Shorts, Millikans und Descombes' Theorien genauer bestimmt und analytisch zugänglich gemacht worden sind, kann die Mittlerfunktion intentionaler Zeichen nun mithilfe intentionaler Verben erfasst werden. Kurz: Mit ihnen kann analysiert werden, wie Individuen zu Diskursteilnehmer bzw. diskursiven Wesen werden. Dieser Prozess wird dabei von Individuen angestoßen, indem diese kraft intentionaler Verben diskursive Intentionalität zuschreiben bzw. attribuieren. Allerdings folgt aus dieser Erkenntnis nicht, dass Zuschreibungen bzw. Attribuierungen bewusste Prozesse sind und auch nicht, dass Zuschreibung oder Attribuierung hinreichend sind, um entsprechende sozial-kommunikative Individuen für ihre Zuschreibung bzw. Attribuierung verantwortlich zu machen. Nichtsdestotrotz ist das Verhältnis zwischen IIS und EIS, welches kraft intentionaler Verben gestiftet wird, für die Emergenz von diskursiver Intentionalität relevant. Um die sozial-kommunikative Involviertheit von Individuen zu analysieren, soll das theoretische Vokabular der Zuschreibung und Attribuierung erklärt und um die Termini Inskription und Inauguration erweitert werden. Damit wird ein weiteres soziales Moment eingeführt, welches erklärt, inwiefern die Anerkennung von Intentionalität, Handlungsgründen, -motiven und -absichten bereits sozial strukturiert und damit vorausgesetzt ist, sodass Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration als Spuren in diskursiven Praktiken verfolgt werden können. Damit wird der Bezug zum Transkript in der Einleitung (cf. Kapitel 1) hergestellt. In der zeitgenössischen germanistischen Linguistik, insbesondere in der Konversationsanalyse und Gesprächslinguistik, hat sich der Ausdruck Zuschreibung zur Beschreibung spezifischer kommunikativer Akte etabliert (cf. z. B. Proske 2017, Reineke 2016, 2018). Auch wenn der Ausdruck intuitiv eine bestimmte Semantik trägt, die den dahinterliegenden Prozess zumeist auch angemessen umreißt, bleibt eine theoretische Reflexion dieses Aktes oftmals aus. 1 Aber bereits die mediale Perspektive der Schrift, welche sich in Zuschreibungen verbirgt, erfordert eine Reflexion, wenn der Begriff auch im Rahmen von konversationsanalytischer bzw. gesprächslinguistischer Forschung verwendet werden soll. Dabei schlage ich folgenden Weg ein: Der Akt der Zuschreibung wird entlang von valenzähnlichen Strukturen des Verbs reflektiert, um anschließend diese diskursive Praxis im Rahmen einer sozialen, interlokutiven und diskursiven Struktur anhand des Verbs zu erläutern. 1 Vermutlich orientiert sich das semantische Verständnis von Zuschreibung dort an Attributionstheorien im Rahmen sozialpsychologischer Perspektiven auf Verhalten (cf. z. B. Fiedler/ Freytag 2009, Heider 1977, Kelley 1967, Malle 2006) oder eher kulturwissenschaftlich orientierten Perspektiven auf soziale Strukturen (cf. z. B. Butler 2006, 2012). Beide Aspekte sind in der folgenden Erklärung des Konzepts aufgehoben, doch wird der Prozess über eine Verbsemiotik erklärt. 276 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Abb. 13: Zuschreiben als diskursiver Akt Interessant für die theoretische Analyse des Zuschreibungsaktes, aber auch von Attribuierungs-, Inskriptions- und Inaugurationsakten, welche in dieser Hinsicht strukturäquivalent sind, sind die in Abb. 13 dargestellte valenzähnliche Struktur des Verbs zuschreiben im hier fraglichen Sinne eines handlungstheoretisch relevanten Zuschreibungsaktes kraft sprachlicher Äußerungen mit anderen Verben als zuschreiben und die Darstellung der obligatorischen und fakultativen Leerstellen. Die vermeintliche trivalente Struktur ( “ Jemand (A) schreibt jemandem/ etwas (B) etwas (C) zu. ” ), so eine hier vertretene zentrale These, ist für die Analyse des Aktes nicht hinreichend, sondern sie muss notwendigerweise um den Wert D ergänzt werden: “ Jemand (A) schreibt jemandem/ etwas (B) etwas (C) kraft etwas (hier: des intentionalen Verbs) (D) zu. ” Im Sinne der Analyse der Signifikanz intentionaler Zeichen, die für die Interpretation von Verhalten als Handlung relevant sind (cf. Kapitel 9.1), steht also stattdessen D im Mittelpunkt der Betrachtung der Praxis. Die obligatorischen Leerstellen A, B, C und D können außerdem um den fakultativen Wert E ergänzt werden. Dieser repräsentiert die soziale und interlokutive Einbettung des Aktes, welche im Folgenden insbesondere bei Inskriptionen und Inaugurationen offensichtlich ist. Aus der Akzeptanz, dass mit E eine soziale und interlokutive Komponente in die Verbstruktur integriert wird, folgt zudem, dass der Akt der Zuschreibung selbst sozial und dann beurteilbar, akzeptierbar bzw. sanktionierbar wird: “ Jemand (A) schreibt jemandem gegenüber (E) jemandem/ etwas (B) etwas (C) kraft etwas (D) zu. ” Diese allgemeine Formel zur Darstellung der Verbstruktur von zuschreiben lässt sich außerdem in Sinne der Analyse diskursiver Intentionalität, intentionaler Relationen und Verben folgendermaßen spezifizieren: “ Jemand (A) schreibt jemandem gegenüber (E) jemandem (B) diskursive Intentionalität (C) kraft eines intentionalen Verbs (D) zu. ” Es entsteht eine Handlungsituation kraft Zuschreibung. Zuschreiben stellt damit eine grundlegende diskursive Praktik bereit, die auf Basis der Analyse des Verbs die Emergenz diskursiver Intentionalität analysierbar macht. Allerdings lassen sich nicht alle Emergenzeffekte diskursiver Intentionalität auf den Akt der Zuschreibung (im engeren Sinne) zurückführen. Vielmehr ist es sinnvoll, die Akte, die zu diskursiver Intentionalität führen können, entlang der neu eingeführten Leerstellen D und E zu unterscheiden. Denn einerseits können Akte wie Zuschreibungen stets nur Inanspruchnahmen bzw. Geltungsansprüche sein, die soziale Akzeptanz erfordern (E). Andererseits muss auch hier die signifikative Suffizienz des intentionalen Verbs (D) berücksichtigt werden. 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 277 Bevor die verschiedenen Akte erläutert werden, ist es zunächst sinnvoll, die Differenz zwischen den individuellen Akten der Zuschreibung und der Attribuierung zu erklären. Robert Brandoms Definition dieser Akte bringt uns hier theoretisch auf einen guten Weg: Das Zuweisen von Überzeugungen oder Festlegungen ist eine praktische Einstellung, die implizit in jenen Kontoführungspraktiken enthalten ist, in deren Rahmen allein etwas die Signifikanz einer Behauptung oder eines Urteils besitzen kann. Das Zuschreiben von Überzeugungen oder Festlegungen ist das Explizitmachen jener implizit praktischen Einstellung, und zwar in Form einer Behauptung. (BB: 226 f.) Zuweisungen [attributions] bzw. Attribuierungen 2 sind demnach Performanzen, die auf praktischen Einstellungen von Interlokutoren beruhen. Sie sind sprachliche Praktiken, wobei jene sprachlichen Zeichen, die die propositionalen Einstellungen attribuieren, in Brandoms Definition implizit bleiben. Bei Zuschreibungen hingegen sind diese sprachlichen Zeichen explizit und tragen zur Performanz bei, indem sie hinreichende Strukturen exponieren, die zur Festlegung auf diskursive Intentionalität nötig sind. Die Differenz von Zuschreibung und Attribuierung ist für die Deskription und Analyse diskursiver Praktiken insofern interessant, als dass sie verschiedene Formen diskursiver Signifikanz markiert. Beide Akte konstituieren sowohl die intentionale Relation als auch deren Relata (z. B. diskursive Rollen), basieren aber auf unterschiedlichen Zeichenprozessen bzw. Signifikanzstrukturen. Zuschreibungen sind, wie die theoretischen Implikationen der Struktur des substantivierten Verbs nahelegen, pragmatisch explizit. Die Signifikanz des intentionalen Verbs ist hinreichend, um damit eine Zuschreibung zu vollführen. Soweit das Zeichen, welchem Signifikanz zukommt, also explizit geäußert wird, handelt es sich um eine Zuschreibung: (1) I 1 : “ Simone hat mir gesagt, dass sie morgen ins Kino gehen möchte. ” Dieser Akt, der kraft des expliziten Zeichenereignisses sagen möglich ist, ist hinreichend, um das Relatum (X=Simone) als diskursive Rolle zu konstituieren und dem Referenzobjekt diskursive Intentionalität zuzuschreiben. Die Signifikanz der Struktur [[X]INTENTIONA- L EMSIF [Y, Z]], auf welcher das Verb beruht, ermöglicht also, dass diskursive Intentionalität zugeschrieben wird. Attribuierungen hingegen ziehen die Kraft ihres Aktes nicht ausschließlich aus dem expliziten Zeichenereignis, sondern aus ihren inferenziellen Relationen bzw. weiteren Zeichen, die latent oder implizit vorhanden sind oder andere Zeichen diskursiv sättigen können. Auch bei Attribuierungen werden Relata als diskursive Rollen konstituiert, aber nicht nur auf Basis des expliziten Zeichens selbst. Die Signifikanz des zu interpretierenden Zeichens ist also nur notwendig, aber nicht hinreichend, sodass das Zeichenereignis diskursiv angereichert werden muss: (2) I 1 : ? “ Schau, da läuft Simone! ” Ob (2) eine Intentionalitätsattribuierung ist, erklärt sich nicht aus der diskursiven Signifikanz von laufen, aus der sprachlichen Handlung oder gar aus den impliziten 2 Statt des Ausdrucks Zuweisung, wie er in der deutschen Übersetzung von Expressive Vernunft (cf. EV) verwendet wird, soll der Begriff Attribuierung gewählt werden, der sich am englischsprachigen Original orientiert, um mögliche essenzialistische Lesarten des Konzepts zu vermeiden. 278 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben inferenziellen Gehalten. Laufen bleibt normativ und intentionalistisch unterspezifiziert, weil es auf einer [[X]INTENTIONAL EMSIB [Y]]-Struktur beruht bzw. beruhen kann. Die Struktur ist also auf weitere inferenzielle Relationen angewiesen, um diskursive Intentionalität zu ermöglichen. Diese normative Anreicherung, die kraft inferenzieller Relationen gelingt, ähnelt damit pragmatischen Konzepten wie Sättigung [saturation] oder Anreicherung [free (pragmatic) enrichment] (cf. z. B. Carston 2002 a: 183 f., Recanati 1989, 2002, 2014), ist aber aufgrund von signifikativen Strukturen und nicht von Satzbzw. Äußerungsbedeutung möglich. 3 Zuschreibungen und Attribuierungen unterscheiden sich also hinsichtlich Explizitheit und Implizitheit der signifikativen Suffizienz, was allerdings wesentliche Konsequenzen für diskursive Praktiken hat: Zuschreibungen diskursiver Intentionalität setzen das intentionale Zeichen explizit. Folglich kann sich in der weiteren diskursiven Praxis auf diese Äußerung (und ihr intentionales Verb) berufen werden (im Sinne von “ x hat gesagt, dass y ” ). I 1 kann sich daher auch nicht von einer expliziten Zuschreibung distanzieren, ohne sich von der gesamten Festlegung zu distanzieren. Auf jede Distanzierung von einer Zuschreibung folgt damit eine diskursive Tilgung des geäußerten propositionalen Gehalts, da Distanzierung und geäußerter propositionaler Gehalt in inkompatibler Relation stehen, die sich logisch widersprechen. Berufung und Distanzierung auf bzw. von Attribuierungen diskursiver Intentionalität sind einerseits nur auf Basis weiterer inferenzieller Relationen (Berufung) und andererseits ohne explizite Tilgungen möglich. Berufungen sind deshalb nicht auf Basis des expliziten Zeichenereignisses möglich, da das Zeichenereignis als Attribuierung nicht allein diskursive Intentionalität zuschreibt. Um sich also auf diskursive Intentionalität berufen zu können, müssen Interlokutoren die implizite inferenzielle Relation explizit machen. Aus diesen Gründen ist auch eine Distanzierung von Attribuierungen ohne explizite Tilgung der Festlegung möglich. Da diskursive Intentionalität durch das Zeichenereignis nicht explizit zugeschrieben wird, können sich Interlokutoren von diesem distanzieren, ohne die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur hinsichtlich diskursiver Intentionalität zu verändern. Auch wenn Zuschreibungen und Attribuierungen unterschiedliche Funktionen in der diskursiven Praxis und in der Konstitution diskursiver Rollen und diskursiver Intentionalität haben, involvieren diese in sprachlichen Praktiken auch weitere inferenzielle Relationen, denn zu “ einer Zuschreibung gehört immer das Zuweisen einer doxastischen Festlegung und, da Zuschreibungen ihrerseits Behauptungen oder Urteile sind, das Eingehen einer anderen ” (BB: 230). Wer also zuschreibt, der lizensiert auch mögliche weitere inferenzielle Relationen (pragmatisch) und muss auch entsprechende Attribuierungen bezüglich der Zuschreibung akzeptieren. Zuschreibungen sind demnach insbesondere epistemisch stärker als Attribuierungen, weil sie sich aus der Explizitheit des Zeichenereignisses speisen. 3 Die theoretischen Konzepte der Sättigung, der Anreicherung, aber auch der Erweiterung oder der Komplettierung sollen die latenten semantischen Gehalte (im Sprachgebrauch) erfassen (für einen Überblick cf. Depraetere/ Salkie 2017 a) und unterscheiden sich von dem hier vorgeschlagenen Konzept der Attribuierung. Denn Attribuierung, obgleich auch eine Form der Unterspezifikation, fokussiert die normative Struktur diskursiver Praktiken auf Basis der inferenziellen Gliederung. 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 279 Allerdings sind sowohl Zuschreibungen als auch Attribuierungen individualistische Akte. Sie signifizieren den normativen Status bzw. die normative Einstellung von Interlokutoren bezüglich des Relatums X (und ggf. auch Z) und sind damit Geltungsansprüche, die die diskursive Intentionalität einer diskursiven Rolle postulieren. Damit wir (als Sprach- und Diskursgemeinschaft) aber bestimmte Objekte der Wirklichkeit als diskursive Rollen konstituieren und behandeln, erfordert es den theoretischen wie sozialen Schritt vom individualistischen Akt über Akzeptanz hin zu kollektiven Akten: Inskriptionen und Inaugurationen. Hierzu ist es notwendig, nicht nur Interlokutoren als Individuen zu betrachten, sondern ihre Funktion in einer interlokutiven Relation. Inskriptionen beruhen dabei auf der impliziten oder expliziten Aushandlung der Gültigkeit von Zuschreibung bzw. Attribuierung. Inaugurationen hingegen sind diskursive Setzungen, die insbesondere von Personen mit institutioneller Macht getätigt werden und daher kaum anzweifelbar sind. Um nun die Kraft unterschiedlicher sprachlicher Handlungen bezüglich der Akzeptanz intentionaler Verben beurteilen zu können, müssen Interlokutoren in der Lage sein, auf entsprechende intentionale Zeichen, also nicht nur Verben, sondern auch sprachliche Handlungen, unterschiedlich reagieren zu können. Es muss interaktives Verhalten signifizierbar sein, um den normativen Status bzw. die normative Einstellung von I 2 zu I 1 analysieren zu können, welcher bzw. welche sich z. B. in der Sanktion des kommunikativen Verhaltens oder der Verifikation des Geltungsanspruchs zeigt. Um die Interaktion von Interlokutoren auch anhand von Zeichenpraktiken erkennbar zu gestalten, ist die Einführung eines Vokabulars von Meta-Regeln sinnvoll, die die Interaktion von sprachlichen Handlungen hinsichtlich Geltungsansprüchen ohne Rekurs auf Mentales erklärt. Dies kann ein Akzeptanzkriterium sein, welches im Folgenden auf die hier als relevant gesetzten Akte angewandt werden soll. Ein Akzeptanzkriterium, wie es z. B. Harendarski (2012: 130 f.) formuliert, dient dazu, die Funktion der verschiedenen sprachlichen Zeichen und Zeichenprozesse anhand ihrer nachfolgenden Strukturen zu bestimmen. Es ist eine “ Analyse einer Äußerung aufgrund der Frage, was passiert, wenn die Äußerung 1. akzeptiert wird, 2. mit explizitem Unverständnis beantwortet wird, 3. explizit zurückgewiesen wird, 4. nicht anerkannt wird (und daher als Prämisse für weitere Handlungen oder Inferenzen konsequenzlos bleibt). ” (Harendarski 2012: 131) Die verschiedenen Elementarprinzipien, die das Akzeptanzkriterium bilden, gelten bei Harendarski für Äußerungen, sollen im Folgenden aber auch auf die konstitutive Kraft intentionaler Verben angewandt bzw. auf diese übertragen werden. Somit wird neben der signifikativen Suffizienz auch eine soziale Komponente in die Struktur der Akte eingefügt. Folgende Formulierungen erfassen das Akzeptanzkriterium für die diskursiven Praktiken der Zuschreibung und Attribuierung: a. Zuschreibungen und Attribuierungen werden von Interlokutor I 2-n akzeptiert. b. Zuschreibungen und Attribuierungen werden von Interlokutor I 2-n mit explizitem Unverständnis beantwortet. 280 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben c. Zuschreibungen und Attribuierungen werden von Interlokutor I 2-n explizit zurückgewiesen. d. Zuschreibungen und Attribuierungen werden von Interlokutor I 2-n nicht anerkannt (und bleiben daher für weitere Zuschreibungen, Attribuierungen oder Inferenzen konsequenzlos). Die diskursiven Reaktionen auf Zuschreibungen und Attribuierungen lassen sich mithilfe der notwendigen responsiven Folgehandlungen in diskursiven Praktiken erklären. Damit werden latente diskursive Performanzen nahegelegt, die auf Zuschreibungen und Attribuierungen folgen können, wobei eine ausführliche Beschreibung der relevanten sprachlichen Handlungen noch folgt (cf. Kapitel 14). a. Die Akzeptanz der Festlegung auf einen propositionalen Gehalt und dessen Gültigkeit ermöglicht, dass der entsprechende propositionale Gehalt bzw. ein inferenziell gegliedertes Objekt auch von Interlokutor I 2 zugewiesen werden kann, weil I 2 diesen auch akzeptiert. Die Akzeptanz kann dabei z. B. durch affirmative Antwortpartikeln oder andere Äußerungen markiert werden. b. Auf eine Zuschreibung oder Attribuierung kann von Interlokutor I 2 aber auch in Form eines expliziten Unverständnisses bezüglich des behaupteten propositionalen Gehalts, welcher eine Zuschreibung bzw. Attribuierung enthält, reagiert und eine Konkretisierung eingefordert werden. Die Nachfrage (als sprachliche Handlung) kann Interlokutor I 1 auffordern, Inferenzen zu explizieren (Inferenzexplikation), und ist ein geeignetes Mittel, um Unverständnis zu markieren. Entsprechend können inferenzielle Relationen expliziert werden, um die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur von Interlokutoren zu verstehen. c. Explizite Zurückweisungen von Zuschreibungen und Attribuierungen sind z. B. kraft Anfechtungen möglich. I 2 behauptet einen propositionalen Gehalt, der inkompatibel mit dem anzufechtenden propositionalen Gehalt von I 1 ist. Im Moment der Anfechtung ist die Gültigkeit der propositionalen Gehalte vakant, da die beiden sich gegenseitig widersprechen (Inferenzkontingenz durch Inkompatibilität). d. Nicht-Anerkennungen fechten nicht gesamte propositionale Gehalte, sondern lediglich “ latente Sachverhalte ” (Harendarski 2012: 131) an, die zwar propositional sind, aber nicht als solche in Erscheinung treten, weil ihnen die propositionale Form fehlt. Dennoch können sie expliziert, propositional geformt werden und auch diskursive Signifikanz erlangen. Dies betrifft z. B. die latente propositionale Struktur von Adjektiven oder Adverbien, aber auch mögliche Inferenzen wie Präsuppositionen oder Implikaturen. Eine diskursive Tilgung dieser latenten propositionalen Gehalte tilgt aber nicht die gesamte propositionale Festlegung von Interlokutoren, sodass sich diese propositionale Festlegung weiterhin diskursiv entfalten kann. Die verschiedenen Interaktionen von I 2 mit der Äußerung bzw. Zuschreibung oder Attribuierung dienen dazu, nicht nur Zuschreibungen und Attribuierungen, sondern auch Inskriptionen und Inaugurationen modellieren zu können. Die Akzeptanz und die Nicht- Anerkennung latenter propositionaler Gehalte sind für Inskriptionen besonders interessant: Interlokutor I 1 schreibt zu bzw. attribuiert, wobei der propositionale Gehalt (und damit auch diskursive Intentionalität bzw. intentionale Relation) von anderen Interlokutoren I 2-n übernommen wird bzw. werden kann: 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 281 (3) I 1 : “ Simon widersetzt sich meinen, wohl manchmal etwas strengen, Anweisungen. ” (Zuschreibung) (4) I 2 : “ Was macht er denn genau? ” (Nachfrage) (5) I 2 : “ Simon ist doch nur ein launischer und unaufmerksamer Junge. ” (Anfechtung) (6) I 2 : I 2 : “ So streng finde ich deine Anweisungen nicht. ” (Nicht-Anerkennung) (7) I 2 : “ Ja, bei mir macht er das auch ständig. ” (Akzeptanz) Auf die Zuschreibung der diskursiven Intentionalität in (3) kraft des intentionalen Verbs widersetzen kann von I 2 auf unterschiedliche Weise reagiert werden. (4) fordert kraft der Nachfrage zu einer Inferenzexplikation des Verbs widersetzen auf. Damit wird das Verhalten näher beschrieben. Entsprechend der weiteren Inferenzexplikation bzw. Erklärung kann dann von I 2 z. B. auf die propositionalen Gehalte und Verben eingehen, die I 1 expliziert hat. Im Moment der Nachfrage wird die Intentionalitätszuschreibung aber weder akzeptiert noch ihr widersprochen. Durch die Anfechtung in (5) hingegen wird die Intentionalitätszuschreibung zurückgewiesen. Mithilfe der Setzung eines inkompatiblen propositionalen Gehalts (Festlegung von I 2 ) wird die Gültigkeit des Geltungsanspruches von (3) infrage gestellt, sodass während der Anfechtung die Intentionalitätszuschreibung kontingent ist. Die Inkompatibilität zwischen (3) und (5) lässt sich hier folgendermaßen formulieren: Jemand, der sich widersetzt, der hat Gründe für sein Handeln (intentional). Wer launisch und unaufmerksam ist, der handelt impulsiv (eher kausal). Beide Deskriptionen derselben Person sind also diskursiv (normalerweise) nicht miteinander vereinbar. Welche Deskription des Verhaltens diskursive Geltung erlangt, kann sich nur durch die weitere diskursive Praxis entscheiden. Mit der Nicht-Anerkennung durch (6) wird versucht, den latenten propositionalen Gehalt der Adverbialphrase diskursiv zu tilgen, doch wird nicht auf den übergeordneten propositionalen Gehalt und damit auch nicht auf die Intentionalitätszuschreibung eingegangen. Insofern wird die normative Einstellung von I 2 zur Intentionalitätszuschreibung in (3) nicht expliziert, kann aber durchaus in der weiteren diskursiven Praxis wirksam sein und ggf. sogar über andere sprachliche Handlungen nochmals thematisiert werden. 4 Die Akzeptanz des propositionalen Gehalts von (3) durch I 2 in (7) affirmiert zugleich die Intentionalitätszuschreibung. Das Verhältnis der Äußerung von I 1 und den Folgehandlungen von I 2 zeigt, dass sich theoretische Modellierungen der diskursiven Praktiken und ihrer Intentionalität nicht bei Zuschreibungen und Attribuierungen verweilen, sondern auch sprachliche Folgehandlungen berücksichtigt werden sollten. Insbesondere bei normativen Signifikanzen entscheidet erst die pragmatische Signifikanz der Folgehandlung, ob bzw. wie mit der Zuschreibung bzw. Attribuierung diskursiv verfahren wird. Während mit Zuschreibungen und Attribuierungen propositionale Gehalte (und deren Zuschreibungen und Attribuierungen) lediglich zur Disposition stehen, muss der Gehalt und dessen Struktur kraft Interlokutoren I 2-n lizenziert werden. So können auch Zuschreibungen und Attribuierungen durch Inskriptionsakte (explizit oder implizit) bestätigt werden. 4 Insbesondere in hierarchisch strukturierten Gesprächs- und Kommunikationssituationen kann eine entsprechende Äußerung auch zur Gesichtswahrung dienen. Dann wird die Zuschreibung implizit abgelehnt und nicht notwendigerweise sprachlich markiert, wie die linguistische Höflichkeitsforschung zeigt (cf. z. B. Grunzig 2019). 282 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Inskriptionsakte basieren zu einem gewissen Grad auf Kollektivität, die in individuellen Zuschreibungen und Attribuierungen ihren Anfang nehmen, aber erst über weitere Interlokutoren vervollständigt werden. Die Zuschreibung bzw. Attribuierung wird damit kollektiviert bzw. kultiviert, sodass z. B. das Referenzobjekt (von X) nicht nur in Anspruch genommen wird, sondern tatsächlich (über die individuelle normative Einstellung hinaus) kraft Konstitution als diskursives Wesen bzw. diskursive Rolle gilt. Die Unterscheidung von expliziten (z. B. bei affirmativen Gesprächsbeiträgen) und impliziten Inskriptionsakten (z. B. bei Negation eines latenten, aber nicht des übergeordneten propositionalen Gehalts) und der Differenz von Zuschreibungen und Attribuierungen führt zugleich zur theoretischen Möglichkeit, dass es Akte gibt, die keine Akzeptanz bzw. Affirmation erfordern und dennoch kollektive Geltung erlangen. In einem solchen Akt müsste der sozial-kollektive Affirmationsaspekt implizit bleiben. Solche Akte sind Inaugurationen. Es handelt sich um ritualisierte Akte, die auf der signifikativen Oberfläche die Form von Zuschreibung oder Attribuierungen haben, aber bereits (z. B. institutionell) affirmiert sind. Interlokutor I 1 besitzt dann bereits die sozial-kollektive Autorität, um ohne nachgängige Affirmation diskursive Intentionalität in einen Leib zu inaugurieren. Eine solche diskursive Autorität ist ebenfalls diskursiven Normen unterworfen, aber im Akt der Inauguration kann diese Autorität nicht angezweifelt werden. Da die Affirmation der Zuschreibungen oder Attribuierungen bereits stattgefunden hat, müssen Interlokutoren I 2-n die Inauguration, die die semiotische Struktur einer Zuschreibung bzw. Attribuierung zu haben scheint, nicht mehr bestätigen bzw. können dies in den meisten Fällen nicht, da ihnen wiederum die entsprechende Autorität fehlt. Ähnlich den Inskriptionen lassen sich allerdings unterschiedliche Formen von Autorität aufzeigen, die zu Inaugurationen führen bzw. Inaugurationen erlauben. Zwei wesentliche sollen hier vorgestellt werden: Berufung auf die Autorität anderer und Berufung auf eine kontextuelle bzw. institutionelle Autorität. Im Sinne der Lizenzierungspraktiken durch Berechtigungen können Äußerungen von anderen Interlokutoren übernommen und unter (impliziter) Berufung auf Lizenzgeber geäußert werden: (8) I 1 zu I 2 zu t 1 : “ Ich bin überzeugt, dass p. ” (9) I 2 zu I 3 zu t 2 : “ I 1 ist überzeugt, dass p. ” Durch die Vererbung des geäußerten propositionalen Gehalts p von I 1 zu I 2 in (8) kann I 2 p unter Berufung auf I 1 zu I 3 äußern. Eine entsprechende Affirmation ist in solchen kommunikativen Praktiken nicht mehr nötig, wenn I 3 weiß, dass I 1 eine verlässliche Autorität ist. Entsprechend ist eine diskursive Tilgung des propositionalen Gehalts in (9) von I 2 ausgeschlossen, ohne die Autorität von I 1 und I 3 infrage zu stellen. Insbesondere die Lizenzierung (kraft Festlegungs- und Berechtigungsstruktur) in (8) führt dazu, dass I 2 in (9) inaugurieren darf, sodass eine Affirmation kraft der Berufung auf die Autorität von I 1 nicht notwendig ist. Berufungen auf eine kontextuelle bzw. institutionelle Autorität hingegen kommen ohne eine unmittelbare Lizenzierung anderer Interlokutoren aus und müssen diskursiv inferiert werden. Die institutionelle Rahmung und die diskursiven Normen der diskursiven Praxis ermöglichen dabei die Autorität, um Zuschreibungen bzw. Attribuierungen zu Inaugurationen zu machen. Die inferenziellen Relationen, die die institutionelle Autorität stützen, 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 283 sind damit kaum anhand einzelner Behauptungs- und anderer Handlungsrelationen darstellbar. Institutionelle Autoritäten, die ohne personale Berufung oder Affirmationen inaugurieren können, sind jene Interlokutoren, denen in der jeweiligen diskursiven Praxis eine spezifische a-priori-Autorität zukommt, wobei auch diese diskursiv konstituiert ist: Hochschulrektoren, Schulleiter, Richter und andere Autoritäten. Die Autorität zur Inauguration diskursiver Intentionalität ergibt sich aus der akzeptierten Autorität der Diskursgemeinschaft. … individueller Geltungsanspruch … sozial-kollektive (ggf. kulturelle) Konstitution explizite(r) … Zuschreibung kraft der normativen Signifikanz des intentionalen Verbs Inskription kraft … … direkter Affirmation des propositionalen Gehalts durch Interlokutor (z. B. durch Modalpartikeln) … indirekter Affirmation des propositionalen Gehalts (z. B. durch die Infragestellung latenter propositionaler Gehalte) durch Interlokutor implizite(r) … Attribuierung kraft der normativen Signifikanz des Verbs und der normativen Saturation aufgrund pragmatischkontextuellen Inferenzen Inauguration kraft … … Berufung auf personale Autorität … Berufung auf kontextuelle bzw. institutionelle Autorität Tab. 9: Signifikanz von Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration Die tabellarische Darstellung der Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration (Tab. 9) fasst verschiedene Praktiken zusammen, die bei der Emergenz diskursiver Intentionalität beteiligt sind. Denn zu Beginn dieses Abschnitts stand die Frage im Mittelpunkt, wie Personen kraft intentionaler Verben über diskursive Intentionalität verfügen und als diskursive Wesen gelten können. Damit wurde das in Kapitel 8.2 skizzierte Modell der interpretierenden und einfachen intentionalen Systeme* (IIS und EIS) um die Signifikanz intentionaler Verben ergänzt. Die Analyse der dabei präsentierten Praktiken beruht damit ganz im Sinne des hier dargestellten Forschungsprogramms einer linguistischen Verbpragmatik auf der Analyse von Verben, weist aber mit der Einbettung von sprachlichen Handlungen über diese hinaus. Dieses Kapitel schließt damit die Rahmung eines Forschungsprogramms einer linguistischen Verbpragmatik ab. Verbpragmatik analysiert wesentliche diskursive und pragmatische Prozesse in Sprach- und Handlungssituationen mit einer analytischen Perspektive ausgehend von Verben, insbesondere intentionaler Verben. Zu Beginn dieses Kapitels wurde diskursive Intentionalität von ähnlichen Konzepten im Rahmen von phänomenologischen, sozialpsychologischen und handlungstheoretischen Betrachtungen unterschieden. Insbesondere phänomenale Intentionalität, Intention und Volition stellten sich dabei als strukturähnliche Phänomene heraus, die aber nuanciert andere Forschungsperspektiven aufweisen. 284 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben Weil ein Konzept von Intention und Intentionalität aber für eine linguistische Pragmatik nicht nur relevant, sondern in zeitgenössischen Theorien auch wirkmächtig ist, wurde im Folgenden anhand einer Kritik am Intentionalismus das Desiderat der diskursiven Intentionalität vorgestellt. Dieses Desiderat enthält die wesentlichen Aspekte, die ein Konzept von diskursiver Intentionalität aufweisen sollte, wenn es nicht nur mit den hier formulierten zeichen- und sprachtheoretischen Prämissen vereinbar, sondern auch analytisch zugänglich sein soll. Zudem bietet es die Möglichkeit, ein Intentionalitätskonzept zu vertreten, welches ohne starke ontologische Annahmen auskommt. Anschließend wurde ein entsprechendes Konzept der diskursiven Intentionalität durch eine inferenzialistische und semiotische Perspektive entwickelt. Anhand von Brandoms Inferenzmodell, aber auch dessen Interpretation von Dennetts Intentional Stance eröffnete sich die Möglichkeit, Intentionalität als Emergenzphänomen diskursiver Praktiken zu verstehen. Im Rahmen von Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen kann Intentionalität dort als Signifikanz verstanden werden, welche über Zuschreibungen und Attribuierungen Geltung erlangen kann. Außerdem diente Brandoms Handlungstheorie (Handlungen aus Gründen und Handlungen mit Gründen) der Differenz der Handlungsinvolviertheit von Personen, die später in der Modellierung intentionaler Verben aufgenommen wurde. Die semiotische Perspektive auf diskursive Intentionalität, die insbesondere Short, aber auch Millikan zu verdanken ist, versteht Intentionalität dann entlang eines Signifikanzbegriffs, der im Mittelpunkt der Typisierung von Verhalten steht. Shorts Perspektive geht außerdem insofern über andere Handlungstheorien hinaus, als dass er intentionalen Verben die wesentliche Funktion der Konstitution diskursiver Intentionalität in Praktiken zuweist. Mit dieser Annahme ist nicht nur eine pragmatische bzw. pragmatistische, sondern eine linguistische bzw. verbpragmatische Perspektive auf diskursive Praktiken eröffnet worden. Millikans Theorie des intentionalen Ikons konnte unter Berücksichtigung der zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen insofern in das Forschungsprogramm integriert werden, als dass dort eine Differenzierung von intentionalen Zeichen bzw. Verben bereits latent vorhanden ist, aber noch explizit modelliert werden musste. Nachdem mit EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs ein theoretisches Vokabular zur Analyse subsentenzialer inferenzieller Relationen eingefügt wurde, wurde diskursive Signifikanz intentionaler Verben relationslogisch betrachtet. Zunächst wurde diskursive Intentionalität als eine handlungs- und diskurslogische Heuristik etabliert, die einen anderen Status aufweist als andere Sachverhalte, Relationen und Prozesse in diskursiven Praktiken. Die These der hyperonymischen Abstraktion wurde durch einen Vergleich intentionaler Verben mit Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben untermauert, sodass die Analyse intentionaler Verben ihre eigene Relationslogik erfordert. Mithilfe der Relationslogik Peirces bzw. deren Interpretation von Vincent Descombes konnte die Relationsstruktur von intentionalen Verben bzw. intentionalen Relationen offengelegt werden. Insbesondere die Involviertheit diskursiver Normen in der Konstitution von intentionalen Relationen, aber auch deren systematische Integration sowie das Verhältnis zu realen Relationen zeigte sich dabei als relevant für eine linguistische Verbpragmatik. Anhand des Begriffs der indirekten Transitivität konnte eine mehrdimensionale Abhängigkeit der intentionalen Relation von diskursiven Normen bekräftigt werden. 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration 285 Auf Basis der zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen, der Reflexion Brandoms, Shorts und Millikans zur Intentionalität sowie der relationslogischen Analyse Peirces und Descombes' konnte anschließend ein Grundlagenmodell intentionaler Verben entwickelt werden. Anhand von diskursiven Normen, Signifikanzstruktur und Objektrelationen konnten wesentliche Aspekte der Emergenz diskursiver Intentionalität kraft Verben veranschaulicht werden. Über soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen wurde das Grundlagenmodell anschließend erweitert, um nicht nur das Verhältnis zwischen diskursiver Rolle und intentionalem Objekt, sondern auch zwischen diskursiven Rollen modellieren zu können. Dabei spricht viel dafür, dass viele intentionale Verben (insbesondere soziale und sozial-kommunikative Handlungsverben) eine solche Struktur aufweisen. Dass sich intentionale Verben aber nicht nur hinsichtlich ihrer Sozialität, Kooperativität und Kollektivität analysieren lassen, sondern auch hinsichtlich ihrer signifikativen Suffizienz, hat anschließend die Analyse ihrer inferenziellen Gliederung offenbart. Dabei weist sich nur eine spezifische Klasse als genuin intentionale Verben aus, während viele stattdessen durch EMSIBs zwar das signifikative Potenzial aufweisen, aber weitere inferenzielle Relationen erfordern, um Intentionalität zu signifizieren. Außerdem gibt es Verben, die eine Signifikation von Intentionalität explizit ausschließen (über EMSIIs). Die relationslogische Analyse und Modellierung intentionaler Verben in verschiedenen Facetten führte dann zum Forschungsprogramm einer linguistischen Verbpragmatik, welche nicht nur intentionale Verben, sondern auch deren inferenzielle Einbettung in diskursive Praktiken erfasst. Anhand von verschiedenen Verben (z. B. suchen, finden und diskutieren) konnte gezeigt werden, dass diese Verben weitere Relationen involvieren, die diskursiv explizit auftreten bzw. auftreten können und daher als konstitutiv für eine sequenzielle Deskription von Verhalten als Handlung in diskursiven Praktiken gelten können. Mit der linguistischen Verbpragmatik steht damit ein Forschungsprogramm bereit, welches Äußerungen, Performanzen und Verhalten anhand der Signifikanz von Verben analysieren kann. Im Folgenden werden die Grundlagen einer linguistischen Verbpragmatik auf Analyseobjekte einer linguistischen Pragmatik angewandt, um zu zeigen, dass die Perspektive auf diskursive Praktiken durch das Verb ein neues analytisches Instrumentarium bietet. Dabei geht es um drei relevante Bereiche: sprachliche Handlungen, Interlokutoren bzw. Delokutoren und diskursive Normen. 286 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Bevor im Folgenden einige Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms aufgezeigt werden können, ist es sinnvoll, hier kurz zu resümieren, an welcher theoretischen Position die entsprechenden Perspektiven angemessen sind. Die ersten Kapitel haben die zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen dargestellt und reflektiert, um sowohl Zeichen- und Sprachbegriff zu explizieren als auch Hinweise zur Interpretation der Theoriebildung zu geben. Die Reflexionen zu Intentionalität, insbesondere im Rahmen inferenzialistischer und semiotischer Theorien, ermöglichen dann die Etablierung einer Forschungsperspektive, die von intentionalen Verben auf die Analyse diskursiver Praktiken blickt. Das Grundlagenmodell intentionaler Verben, die Beschreibung sozialer, kooperativer und kollektiver intentionaler Relationen sowie deren inferenzielle Gliederung, eröffnen dann eine differenzierte Analyse von Verhalten und Handlungen in diskursiven Praktiken. Mithilfe von relationslogischer und verbpragmatischer Analyse kann außerdem diskursives Potenzial, das über das Verbereignis selbst hinausgeht, veranschaulicht werden. Mit Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration stehen zudem Praktiken bereit, die Intentionalität in diskursiven Praktiken etablieren können. Die bisherigen relationslogischen und verbpragmatischen Darstellungen und Analysen von intentionalen Verben haben jedoch einen selbstzwecklichen Charakter. Zwar dienen sie z. B. der signifikanzstrukturellen Begründung von Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration, doch reduziert sich die diskursive Signifikanz intentionaler Verben nicht auf diese Praktiken. Daher möchte ich im Folgenden zeigen, inwiefern eine verbpragmatische Perspektive auch Aspekte einer linguistischen Pragmatik beschreiben kann, die über Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration hinausgehen. Die Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms beschränke ich dabei im Folgenden auf drei Aspekte, die aber nicht notwendigerweise die Grenzen einer linguistischen Verbpragmatik aufzeigen müssen: (1) Linguistische Pragmatik ist seit jeher mit handlungstheoretischen Fragestellungen beschäftigt und insbesondere sprachliche Handlungen stehen dabei im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Auch eine verbpragmatische Perspektive kann zu Fragen der Handlungskonstitution Erkenntnisse beitragen, nämlich hinsichtlich der Frage, inwiefern Äußerungen in diskursiven Praktiken als sprachliche Handlungen behandelt werden. Eine linguistische Verbpragmatik untersucht anhand des Konzepts der pragmatischen Signifikanz das Verhältnis von Äußerung und intentionalen Verben, aus welchen sich Handlungskraft diskursiv konstituiert. (2) An eine Analyse der pragmatischen Signifikanz anschließend können mithilfe intentionaler Verben auch Diskursakteure (hier: Interlokutoren und Delokutoren) hinsichtlich ihrer Involviertheit in diskursive Praktiken betrachtet werden. Weil intentionale Verben durch ihre diskursiven Rollen auch Handlungspotenzial für ihre Relata bereitstellen, lässt sich durch Verben ein sozial-kommunikatives Geflecht analysieren. (3) Auch die Involviertheit diskursiver Normen, die im Rahmen des Grundlagenmodells intentionaler Verben eine konstitutive Funktion haben, kann aus Perspektive einer Verbpragmatik expliziert werden. Während viele pragmatische Theorien diskursive Normen (z. B. in Form von Prinzipien oder Maximen) als diskursive Voraussetzung betrachten, kann eine Verbpragmatik plausibilisieren, dass sich deren Effekte über intentionale Verben in der Semiose entfalten können. Diese drei Aspekte linguistischer Pragmatik, also sprachliche Handlungen, DiskursakteurInnen und diskursive Normen, werden anhand relationslogischer und verbprag- III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms 289 matischer Analysen veranschaulicht und anhand verschiedener Verben exemplifiziert. Entlang der Analysen entwickelt sich nicht nur die theoretische Deskription diskursiver Praktiken, sondern auch das Modell intentionaler Verben kann entsprechend erweitert werden. 290 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz Abstract: This chapter applies the verbpragmatic premises to the analysis of linguistic actions. Starting from the “ game of giving and asking for reasons ” , different types of linguistic actions are presented and put in relation to each other. Subsequently, the linguistic action of assertion is described as an element in semiosis and analyzed with the help of the corresponding intentional verb. This results in an analytical potential to analyze the illocutionary force and pragmatic significance of linguistic actions with the help of action descriptions. Zusammenfassung: Dieses Kapitel wendet die verbpragmatischen Prämissen auf die Analyse sprachlicher Handlungen an. Ausgehend vom “ Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen ” werden verschiedene Typen sprachlicher Handlungen vorgestellt und in ein Verhältnis gesetzt. Anschließend wird die sprachliche Handlung der Behauptung als Element in der Semiose beschrieben und mithilfe des entsprechenden intentionalen Verbs analysiert. Daraus resultiert ein analytisches Potenzial, mithilfe von Handlungsdeskriptionen Handlungskraft bzw. pragmatische Signifikanz sprachlicher Handlungen zu analysieren. Keywords: linguistic action, pragmatic significance, assertion Schlüsselbegriffe: sprachliches Handeln, pragmatische Signifikanz, Behauptung Die Perspektive, die durch zeichen- und sprachtheoretische Reflexionen und insbesondere durch eine relationslogische und verbpragmatische Signifikanzanalyse intentionaler Verben eröffnet wurde, soll im Folgenden auf einen wesentlichen Bereich der linguistischen Pragmatik angewandt werden: sprachliche Handlungen und Sprachhandlungssequenzen. Die These, die bisher verfolgt und in der Modellierung intentionaler Verben eine grundlagentheoretische Begründung gefunden hat, ist weiterhin, dass sich diskursive Praktiken, zu denen auch sprachliche Handlungen gehören, anhand der Signifikanzstruktur ihrer Verben analysieren lassen. Eine relationslogische und verbpragmatische Analyse sprachlicher Handlungen und Sprachhandlungssequenzen kann dabei wesentliche Handlungsstrukturen aufzeigen, ohne ontologisch starke Annahmen wie vorgeordnete Intentionen oder Subjektstatus zu machen. Allein durch die Analyse des Verbs zeigt sich, dass dort bereits ein Handlungspotenzial angelegt ist, welches sich signifikativ in diskursiven Praktiken entfalten kann. Um zu einer relationslogischen und verbpragmatischen Analyse von sprachlichen Handlungen und Sprachhandlungssequenzen zu kommen, soll ein theoretischer Dreischritt erfolgen, der hier kurz skizziert wird. Im ersten Schritt wird mit Brandoms Modell der deontischen Kontoführung ein Kommunikationsmodell vorgestellt, das wesentlich auf einer Klassifikation von sprachlichen Handlungen beruht. Neben der für die folgende verbpragmatische Analyse wichtigen Unterscheidung von propositionalem Gehalt und pragmatischer Signifikanz führt Brandom in Expressive Vernunft auch fünf sprachliche Handlungstypen ein, die als Grundlage der folgenden Analyse dienen können: Behauptungen, Berufungen, Distanzierungen, Nachfragen und Anfechtungen. Die Vorstellung von Brandoms Modell der deontischen Kontoführung dient dabei nicht nur einer Integration in die hier etablierten zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen wie Reflexionen, sondern skizziert auch ein überschaubares Set an sprachlichen Handlungstypen, welche exemplarisch vertieft werden können. In einem zweiten Schritt wird Brandoms Modell der deontischen Kontoführung am Beispiel der sprachlichen Handlung der Behauptung semiotisiert. Während Brandom noch das Wechselspiel von Interlokutoren und sprachlichen Handlungen untersucht, kann eine Semiotisierung der sprachlichen Handlung der Behauptung zeigen, dass Interlokutoren eher als Effekt der als Behauptung signifizierten Äußerung verstanden werden können. Anstatt Interlokutoren also für das bzw. im Zeichenereignis vorauszusetzen, entstehen diese als kommunikative Funktion erst in der Behauptung selbst. Dieser Schritt dient also der Abkehr von Interlokutoren als vorgeordneten kommunikativen Instanzen und soll zeigen, dass die Analyse der Äußerung bzw. der Behauptung für die pragmatische Signifikanz der Praktik hinreichend sein kann. Im dritten (genuin relationslogischen und verbpragmatischen) Schritt wird dann von der Perspektive der sprachlichen Handlungen insofern Abstand genommen, als dass Äußerungen als durch Verben signifiziert verstanden werden. Eine Äußerung als Behauptung zu interpretieren, bedeutet demnach, dass bei der Signifikation ein intentionales Verb beteiligt ist. Kurz: Behauptung kommt von behaupten. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Interlokutoren- und Sprachhandlungsperspektive (erster und zweiter Schritt) kann die pragmatische Signifikanz von Äußerungen dann anhand der sie signifizierenden Verben analysiert werden. Dabei erweist sich das theoretische Vokabular der intentionalen Verben zur Analyse von sprachlichen Handlungen und verbpragmatisches Vokabular zur Analyse von Sprachhandlungssequenzen als nützlich. Die damit skizzierte verbpragmatische Analyse von sprachlichen Handlungen soll keine ausgearbeitete Theorie von sprachlichen Handlungen darstellen, dient aber einer grundlegenden Neuorientierung dieses Forschungsbereichs der linguistischen Pragmatik und soll sich damit als ein Ausblick für weitere Forschung erweisen. 292 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms 14.1 Sprachliche Handlungen im Rahmen eines inferenzialistischen Modells diskursiver Praktiken Sprachliche Handlungen, so der mittlerweile etablierte wissenschaftliche Konsens, sind sozial strukturiert (cf. z. B. Arundale 2020, Kissine 2013, Liedtke 2019). In vielen Fällen bedeutet dies, dass an der Konstitution einer Äußerung als sprachliche Handlungen nicht nur eine, sondern mindestens zwei Personen beteiligt ist und sind. Da sprachliche Handlungen einen Kernbereich der linguistischen Pragmatik darstellen und im Rahmen diskursiver Praktiken verschiedene Aspekte aufweisen, die analysierbar sind, sollen im Folgenden relevante Aspekte herausgegriffen werden, die im Mittelpunkt sprachhandlungstheoretischer Analysen stehen. Es geht im Folgenden um ein rudimentäres Modell diskursiver Praktiken, welches sowohl propositionale Gehalte als auch pragmatische Signifikanzen umfasst. Dieses Modell kann dann für eine exemplarische Semiotisierung der beteiligten Prozesse und Relationen dienen, um wesentliche Aspekte mithilfe einer linguistischen Verbpragmatik explizieren zu können. Die folgenden Darstellungen schließen damit einerseits an die sprachtheoretischen Grundlagen an (cf. Kapitel 3), bereiten aber gleichzeitig eine semiotische Interpretation sprachlicher Handlungen vor (cf. Kapitel 14.2). Dabei geht es nicht darum, eine vollständige Theorie sprachlicher Handlungen vorzulegen, sondern ein Fundament rationaler Praktiken zu beschreiben, die sich mithilfe von diskursiver und pragmatischer Signifikanz analysieren lassen (cf. Kapitel 14.3). Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff der Behauptung als Element diskursiver Praktiken. Diese grundlegende Dimension der Behauptung stellt einen Bezugspunkt für weitere Praktiken dar. Als hilfreich für eine Explikation von pragmatischen und performativen Aspekten diskursiver Praktiken kann sich Brandoms Modell der deontischen Kontoführung erweisen, welches wesentliche sprachliche Handlungen innerhalb von diskursiven Praktiken analysiert. Brandoms deontische Kontoführung ist zunächst ein Kommunikationsmodell, welches die wesentlichen Züge innerhalb eines Sprachspiels zu erklären versucht. Neben Fragen der Bedeutung von Äußerungen innerhalb diskursiver Praxis erklärt Brandom ebenfalls die sozial-normative Dimension von Kommunikation, welche Konzepte der Handlungsmöglichkeit und -fähigkeit und damit auch der Autorität diskursiven Handelns impliziert. Der Aspekt des Handelns kann dann mithilfe von pragmatischer Signifikanz spezifiziert werden. Brandom nennt sein Modell der diskursiven Praxis ein “ Spiel des Lieferns und Forderns von Gründen ” (EV: 219). Damit orientiert er sich nicht nur an der Sprachspieltheorie Wittgensteins, sondern verweist auch auf eine implizit inferenzielle Praxis, die die Gehalte diskursiver Praxis bereitstellt. Gründe [reasons] lassen sich hier nicht als explizite Begründungszusammenhänge verstehen. Sie dienen vielmehr dazu, die implizite sozialnormative Handlungsgliederung diskursiver Praktiken offenzulegen (cf. Kapitel 8.3). Innerhalb der deontischen Kontoführung gibt es unterschiedliche diskursive Züge, welche zu unterschiedlichen pragmatischen Signifikanzen innerhalb diskursiver Praxis führen. Grundlegender Zug ist bei Brandom die Behauptung (cf. EV: 219): Eine Äußerung als Behauptung zu behandeln, heißt, dass Interlokutoren mit ihr eine bestimmte Festlegung eingehen, deren Folge die Konstitution bzw. Transformation des sozial-normativen Status 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 293 innerhalb der diskursiven Praxis ist (cf. EV: 220). Brandoms Begriff der Behauptung impliziert dabei theoretisch sowohl ein alltägliches Verständnis des Verbs behaupten 1 als auch eine sprachhandlungstheoretische Definition 2 . Sein Fokus liegt aber insbesondere auf der Konstitution eines sozial-normativen Verhältnisses zwischen Interlokutoren, welches kraft der Behauptung konstituiert wird. Jeremy Wanderer fasst Brandoms Begriff der Behauptung daher folgendermaßen zusammen: An account of assertion, as used here, is neither an account of the intentions or other propositional attitudes associated with asserter and assertee under idealized circumstances, nor of the conventional-institutional setting in which the speech act occurs. Rather, an account of asserting specifies the idealized function of that speech act within an up-and-running discursive practice. This is done by describing, in structural terms (i. e. in terms of its authority and responsibility structure broadly construed), the ideal outcome of a success instance of the act in the context of its performance in an up-and-running-instance of such a practice. The function described is idealized in the sense that it specifies the ideal outcome of a successful instance of asserting. (2008: 54) Der Begriff der Behauptung ist also zunächst ein deskriptiver Begriff (und ermöglicht allein noch keine Sprachhandlungsanalyse), um eine grundlegende kommunikative Funktion sprachlicher Akte innerhalb diskursiver Praktiken zu explizieren. Behauptungen dienen dabei aber nicht nur der Analyse einer wesentlichen pragmatischen Signifikanz sprachlicher Handlungen. Sie beinhalten auch eine propositionale Struktur. Setzen Interlokutoren eine Behauptung innerhalb diskursiver Praktiken, dann ist diese Behauptung gleichzeitig durch einen propositionalen Gehalt strukturiert. Neben der diskursiven Festlegung beinhalten Behauptungen allerdings noch eine weitere Signifikanzstruktur, deren Struktureigenschaften ebenfalls expliziert werden müssen: Berechtigungen. Diskursive Festlegungen berechtigen zu weiteren Festlegungen. Die Festlegung durch Behauptung auf einen propositionalen Gehalt projiziert mögliche weitere Festlegungen in der diskursiven Praxis: Zukünftig darf eine entsprechende Festlegung dann von entsprechenden Interlokutoren eingegangen werden (Festlegungs- und Berechtigungsstruktur). Während Festlegungen einerseits zu weiteren Festlegungen berechtigen, schließen sie andere Festlegungen aus. Behauptungen implizieren also auch eine Signifikanz der Inkompatibilität: Zukünftige Festlegungen werden durch die Behauptung ausgeschlossen, weil sie in einer inkompatiblen Relation zu getätigten Festlegungen stehen. Somit lässt sich nicht nur eine inferenzielle Struktur, sondern auch eine pragmatische Signifikanz der Behauptung mithilfe der festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen erklären (cf. EV: 255 f.). Diese inferenziellen Relationen lassen sich anhand der folgenden sprachlichen Handlung veranschaulichen: (1) I 1 : “ Die Katze springt vom Dach. ” 1 Mit dem Sprechakt des Behauptens will man demnach “ etwas sagen, was man für wahr hält ” (Harras/ Winkler/ Erb/ Proost 2004: 37). Hiermit wird die wahrheitsfunktionale wie wahrheitskorrelative Funktion der sprachlichen Handlung fokussiert. 2 So formuliert John Searle (1971: 48): “ Eine Proposition ist etwas, das im Akt des Behauptens behauptet [ … ] wird. ” Der Akt der Behauptung ist demnach insbesondere die Setzung einer Proposition, sodass das korrelative Verhältnis zwischen Sprache und Welt betont wird. 294 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die sprachliche Handlung (1) steht sowohl in inferenzieller Relation zu anderen semantischen Gehalten (propositional) als auch zu pragmatischen Signifikanzen (performativ). Daher können sowohl Gehalte als auch Signifikanzen anhand inferenzieller Relationen untersucht werden (cf. Kapitel 11). Die festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen können hier als eine Vernetzung von semantischem Gehalt und sozialnormativem Status verstanden werden: (2) I 1 : DIE KATZE IST EIN SÄUGETIER (3) I 1 : DIE KATZE LANDET AUF DEM BODEN (4) I 1 : DIE KATZE IST VOM DACH GEFALLEN Die hier markierten Strukturen der Behauptung und deren inferenzielle Relationen lassen sich zunächst semantisch bestimmen: Der propositionale Gehalt von (2) steht in einer festlegungserhaltenden inferenziellen Relation zu (1), sodass sich I 1 durch die Behauptung (1) auch auf (2) festlegt ( “ Jede Katze ist auch ein Säugetier. ” ). (3) hingegen steht in einer berechtigungserhaltenden inferenziellen Relation zu (1), sodass die Behauptung von (1) I 1 zu (3) berechtigt ( “ Wenn eine Katze von Dach springt, dann landet sie (wohl) auf dem Boden. ” ). Gleichzeitig schließt die Behauptung (1) die Festlegung auf (4) für I 1 aus, sodass (1) in einer inkompatiblen inferenziellen Relation zu (4) steht ( “ Wer springt, der fällt nicht. ” ). Allerdings reicht eine Erfassung der semantischen Gehalte für eine Analyse der Signifikanzen diskursiver Praktiken nicht aus. Relevant ist auch der sozial-normative Status, welchen Interlokutoren (hier: I 1 ) durch die Behauptung des propositionalen Gehalts erlangen. Die pragmatische Signifikanz der Äußerung ist dem semantischen Gehalt vorgeordnet. Es gilt: Die sprachliche Handlung bestimmt den propositionalen Gehalt. Faktisch bedeutet das: Normative Einstellungen und Status und die propositionalen Gehalte, die mit der Setzung einer Behauptung einhergehen, sind interdependente Größen und sozial konstituiert. Die Strukturen von Festlegung, Berechtigung und Inkompatibilität einer Behauptung sind nicht individuell. Eine Festlegung ist eine Behauptung “ nur wegen der Signifikanz, die diesem Akt von denen beigelegt wird, die die Festlegung zuerkennen oder anerkennen ” (EV: 245). Interlokutoren müssen Behauptungen - und deren semantische wie pragmatische Binnenstruktur - als solche lizenzieren, sodass auch hier die soziale Perspektive relevant ist. Etwas zu äußern ist nicht hinreichend, damit es als Behauptung lizenziert werden kann. Vielmehr erfordert es die signifikative Bestätigung von weiteren Interlokutoren, damit diese Äußerung als Behauptung bestätigt wird. Aber nicht nur der sprachliche Akt muss als Behauptung lizenziert werden, sondern auch Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten: In einer diskursiven Praxis legt sich Interlokutor I 1 nicht nur auf einen propositionalen Gehalt p fest, sondern lizenziert gleichzeitig, dass Interlokutor I 2 diese Festlegung zuweist. Während die Behauptungsstruktur zunächst als individuelle propositionale Gehaltsstruktur keine unmittelbaren sozial-normativen Konsequenzen hat, ist es die Berechtigung, die zeigt, was es heißt, jemanden als auf einen propositionalen Gehalt festgelegt zu behandeln: Durch die Behauptung eines propositionalen Gehalts p berechtigt I 1 I 2 , sie oder ihn auf p festzulegen. Hier zeigt sich die sozial-normative Signifikanz der diskursiven Autorität in diskursiven Praktiken, denn der sozial-normative Status, der durch die Setzung einer Behauptung eingegangen wird, macht I 1 verantwortlich für p. Die interlokutiv konstituierte Berech- 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 295 tigung, die I 1 I 2 durch die Behauptung ermöglicht, lässt sich als diskursive Autorität begreifen, wie Brandom am Beispiel des Versprechens zeigt (cf. EV: 248 f.). Bei Nicht- Einhaltung eines Versprechens von Interlokutor I 1 besitzt I 2 die Autorität, I 1 ggf. zu sanktionieren, weil das Versprechen eine Berechtigung zur Sanktionierung impliziert. Diese Autoritätspraxis gilt auch für andere sprachliche Praktiken. So darf I 2 I 1 z. B. für inkompatible propositionale Gehalte sanktionieren, wenn diese der inferenziellen Gliederung der diskursiven Praxis nicht entsprechen. Das Eingehen und Zuweisen von Festlegungen und Berechtigungen bildet somit den Grundstein des Modells diskursiver Praktiken Brandoms: Jene implizite normative Praxis, für die der Gebrauch der Sprache ein Musterbeispiel ist, ist anhand zweier deontischer Status zu diskutieren, nämlich Festlegung und Berechtigung. Der Begriff des normativen Status und der Signifikanz von Akten, die ihn ändern, ist seinerseits anhand der praktischen deontischen Einstellungen zu verstehen, jemanden als festgelegt oder berechtigt zu betrachten oder zu behandeln. Diese ist zunächst einmal das Zuweisen einer Festlegung oder einer Berechtigung. Das Einnehmen dieser praktischen Einstellung läßt sich zunächst einmal als Disposition oder Bereitschaft erklären, Sanktionen aufzuerlegen. (EV: 251, Hervorh. im Original) Behauptungen in diskursiven Praktiken weisen dabei beiden Interlokutoren Festlegungen bzw. Berechtigungen zu, die den deontischen Status ändern. Deontische Einstellung und deontischer Status unterscheiden sich, weil zweiterer aus ersterem folgt. Wenn Interlokutor I 2 Interlokutor I 1 als auf p festgelegt behandelt, dann folgt daraus, dass I 2 I 1 einen deontischen Status zuweist. Diese Differenz zwischen Einstellung und Status ist notwendig, um nicht auf grundlegende Weise von identischen deontischen Status und Einstellungen in diskursiven Praktiken auszugehen, sondern eine perspektivische Differenz bezüglich unterschiedlicher Einstellungen und Status zu ermöglichen. Dass I 2 I 1 einen bestimmten deontischen Status zuweist, bedeutet nicht, dass I 1 sich deshalb auch als auf denselben deontischen Status festgelegt begreift. Auf dieser Grundlage lässt sich das grundlegende Prinzip sozialer bzw. diskursiver Praktiken formulieren: “ Soziale Praktiken sind Spiele, in denen jeder Teilnehmer verschiedene deontische Status hat - d. h. Festlegungen und Berechtigungen - , und jede praktisch signifikante Performanz verändert in irgendeiner Weise diese Status. ” (EV: 252) Abhängig von deontischen Status haben Behauptungen und deren Festlegungs- und Berechtigungsstruktur sowohl Folgen für Interlokutoren als auch für deren diskursive Autoritäten. Festlegungserhaltende, berechtigungserhaltende und inkompatible inferenzielle Relationen bestehen somit nicht nur zwischen den einzelnen Behauptungen von Interlokutoren, sondern auch zwischen Interlokutoren selbst. Dadurch, dass Interlokutoren durch eine Behauptung einerseits die Verantwortung für die inferenzielle Gliederung übernehmen bzw. sich auf diese festlegt und andererseits damit weitere Interlokutoren autorisieren, lizenzieren und berechtigen, sie auf diese Behauptung festzulegen, entsteht eine interlokutive Relation zwischen den beteiligten Interlokutoren, die sich mit Begriffen der Autorität und Verantwortlichkeit erfassen lässt. Es handelt sich um eine sozialnormative Signifikanz, die die interlokutive Relation aufweist. Diese Autorität einer berechtigungserhaltenden inferenziellen Relation lässt sich auf drei Arten beschreiben und unterscheiden (cf. EV: 263 f.): 296 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms 1. Rechtfertigung des Inhalts 2. Berufung auf die Autorität von Behauptenden 3. Autorität als verlässliche nicht-inferenzielle Berichterstatter Behauptungen können gerechtfertigt werden, indem weitere Behauptungen gesetzt werden, die in inferenziellen Relationen zur rechtfertigenden Behauptung stehen. Diese Relation zwischen Rechtfertigungsbehauptung und zu rechtfertigender Behauptung muss nicht notwendigerweise expliziert werden. Die sozial-normative Logik der inferenziellen Relationen strukturiert den Rechtfertigungsgehalt implizit mit. Durch die inferenzielle Gliederung der Rechtfertigungsstruktur wird der zu rechtfertigende Gehalt als Prämisse oder Konklusion in eine inferenzielle Relation eingebunden. Die Rechtfertigung selbst kann dabei wiederum rechtfertigungsbedürftig sein, wobei hier diskursive Normen der Praxis der Rechtfertigungsstruktur vorgreifen und einen infiniten Regress verhindern: Gerechtfertigt werden muss nur, was in der diskursiven Praxis rechtfertigungsbedürftig ist. Während die Rechtfertigung des Inhalts gewissermaßen intralokutiv ist und zwischen den propositionalen Gehalten, sprachlichen Handlungen und deren sozial-normativen Strukturen stattfindet, ist die Berufung auf die Autorität eines Behauptenden explizit interlokutiv (cf. EV: 265). Interlokutor I 1 steht selbst nicht für die Begründung des propositionalen Gehalts ein, sondern verweist auf Interlokutoren, die den propositionalen Gehalt gerechtfertigt haben bzw. in der Lage seien, diesen zu rechtfertigen. Durch die Berufung auf die diskursive Autorität von weiteren Interlokutoren wird die interlokutive Berechtigungsstruktur der Behauptungen nutzbar gemacht. Das Zuerkennen eines deontischen Status erlaubt es, Behauptende als Lizenzgeber der Behauptung einzusetzen und sie für notwendige Rechtfertigungen zu verantworten. Neben der inter- und intralokutiven Rechtfertigungsstruktur (Rechtfertigung des Inhalts und Berufung auf Autorität) kann ebenfalls der Verweis auf nicht-inferenzielle Autoritäten als Rechtfertigung gelten. Werden Interlokutoren als verlässliche Berichterstatter lizenziert, dann können z. B. Wahrnehmungsurteile ebenfalls als Rechtfertigung für Behauptungen gelten. Diese Autorität ist dabei aber selbst sozial-normativ lizenziert und auch inferenziell gegliedert, da die Relation nicht nur zwischen Autorität als verlässliche Berichterstatter und zu rechtfertigendem Gehalt, sondern auch zwischen den interlokutiven Autoritäten besteht: Denn nur wer zuvor lizenziert wurde, kann auch über nicht-inferenzielle Autorität verfügen. Die Autorität als verlässliche Berichterstatter kann unter gegebenen Umständen auch diskursiv getilgt werden, wenn z. B. Wahrnehmungsurteile von Interlokutoren nicht mit den Wahrnehmungsurteilen anderer Interlokutoren übereinstimmen. Auch hier kann diskursiv sanktioniert werden. 3 In diskursiven Praktiken ist aber weder erforderlich, dass Interlokutoren ihre Festlegungen und Berechtigungen permanent rechtfertigen, noch sind Festlegungen und Berechtigungen nicht revidierbar. Hier greift eine Vorschuss- und Anfechtungsstruktur der Berechtigung (cf. EV: 265 f.). Der sozial-normative Status der Interlokutoren beeinflusst die 3 Eine ausführliche Debatte der inferenziellen Gliederung nicht-inferenzieller Bedeutungsgehalte soll hier nicht erfolgen. Brandom (EV: 316 f.) widmet dieser Frage einige Kapitel, indem er Sellars Konzept der Autorität nicht-inferenzieller Berichte (cf. Sellars 1997) weiterentwickelt. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 297 Praktikabilität von Rechtfertigungen. Konkret heißt das: Gerechtfertigt werden muss nur, was in der diskursiven Praxis rechtfertigungsbedürftig ist. Andere Gehalte bleiben als diskursive Voraussetzungen zunächst unhinterfragt. Auch die Intensität der Rechtfertigung, also die Menge der rechtfertigenden Behauptungen, misst sich dabei am sozialnormativen Status. Außerdem muss nicht jede Festlegung explizit gerechtfertigt werden bzw. worden sein. In der diskursiven Praxis können Festlegungen und Berechtigungen auch akzeptiert werden, wenn sie nicht begründet worden sind. Bei harmonischen deontischen Status und Einstellungen weisen Interlokutoren nicht nur einander diskursive Autorität zu, sondern sie haben in der Regel eine Vorschussautorität, sodass z. B. Wahrnehmungsurteile nicht explizit durch die Begründung der Wahrnehmungsfähigkeit gerechtfertigt werden müssen. Die Vorschussstruktur kann allerdings - unter den entsprechenden diskursiven Voraussetzungen - jederzeit angefochten werden, wenn sich z. B. Interlokutor I 1 nicht als verlässlich der Berichterstattung von Wahrnehmungsurteilen erweist, sodass die Autorität durch Interlokutor I 2 diskursiv getilgt werden kann. Diese Sanktionen, die Interlokutor I 2 hier bezüglich I 1 verhängt, sind interne Sanktionen (cf. EV: 269 f.). Durch die Verletzung des deontischen Status können sich Interlokutoren nicht nur eine Autorität bezüglich Festlegungen und Berechtigungen gegenseitig aberkennen, sondern auch die Festlegungen und Berechtigungen auf weitere propositionale Gehalte, sozial-normative Status und inferenzielle Relationen unterbinden. Die Festlegungs- und Berechtigungssowie die Vorschuss- und Anfechtungsstruktur kreuzen sich in Brandoms theoretischem Modell, sodass an deren Knotenpunkt das sozialnormative Kommunikationsmodell entsteht: deontische Kontoführung. Es geht im Folgenden dabei aber weniger um semantische Gehalte und deontische Status und Einstellungen, obwohl diese an der Konstitution von pragmatischen Signifikanzen beteiligt sind bzw. sein können. Im Modell der deontischen Kontoführung geht es auch um die Frage, was es bedeutet, eine Äußerung als sprachliche Handlung zu behandeln. Zum Modell der deontischen Kontoführung: In einer diskursiven Praxis kommunizieren Interlokutoren bezüglich ihrer deontischen Status. Die sozialen und diskursiven Normen, die die deontischen Konten leiten, auf denen deontische Status verschiedener Interlokutoren dokumentiert werden, beherrschen die unterschiedlichen sprachlichen und nichtsprachlichen Performanzen, Äußerungen und sprachlichen Handlungen. Festlegungen und Berechtigungen bisheriger diskursiver Praktiken sind ebenfalls auf diesen Konten verzeichnet. Deontische Konten, die Interlokutoren nicht nur über sich selbst, sondern auch über alle anderen Interlokutoren führen, sind wesentlich an dem beteiligt, was die pragmatische Signifikanz von sprachlichen Handlungen auszeichnet. Pragmatische Signifikanzen werden als Lizenzierungen sozial-normativ motiviert, bestehen zwischen Interlokutoren in den jeweiligen Praktiken und lassen sich mithilfe der diskursiven Autoritätsstruktur deontischer Konten rekonstruieren: Sprachliches Kontoführen über behauptende Festlegungen und Berechtigungen enthält Analogien zu beiden Dimensionen der Autorität über das Punktekonto. Einerseits sind die tatsächlichen Einstellungen der Kontoführer maßgebend für die Bestimmung des Kontostandes, andererseits ist die Bildung dieser Einstellungen selbst Normen unterworfen: Kontoführen ist etwas, was korrekt und inkorrekt getan werden kann. (EV: 276) 298 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die Analyse der deontischen Kontoführung als diskursive Praxis muss sich daher an der jeweiligen diskursiven Wirklichkeit orientieren, die ihrerseits durch diskursive Normen mitstrukturiert ist. Diese diskursiven Normen der Praxis sind dabei aber nicht auf einzelne Interlokutoren beschränkt. Sie erlangen ihre Relevanz vielmehr in der interlokutiven Praxis selbst. Brandom erläutert das Modell deontischer Kontoführung anhand des Baseballspiels. 4 Der Punktestand der verschiedenen Mannschaften bedeutet an sich nichts. Erst in der Relation der Punktestände beider Mannschaften eröffnet sich ein Handlungspotenzial, welches sich auf Folgehandlungen auswirkt. So wird eine Mannschaft bei Rückstand anders agieren als bei einer Führung. Sie wird womöglich aktiver und aggressiver spielen, um in der verbleibenden Zeit bzw. den verbleibenden Innings (Spielabschnitten) den Rückstand aufzuholen. Spielzüge sind dabei nicht nur als Ganze zielführend, sondern auch ihre einzelnen Teilaspekte sind in ihrer Relation abhängig von der Gesamtheit des Spielzugs. Das theoretische Vokabular des Baseballs, z. B. ball, strike und out dient der Beschreibung eines Beitrags zum Spiel. Diese Beiträge können unterschiedliche Konsequenzen für die weitere Spielentwicklung haben. Aus ball, strike und out und anderen elementaren Spielzügen komponiert sich das Baseballspiel, ähnlich, wie sich die diskursive Praxis aus z. B. verschiedenen Festlegungen und Berechtigungen zusammensetzt. Brandoms Erläuterung des Modells der deontischen Kontoführung zeigt, dass sprachliche Handlungen und andere Performanzen ebenso wie die Spielzüge beim Baseball aus verschiedenen Elementen komponiert sind. Die elementaren Performanzen diskursiver Praktiken lassen sich demnach auch mithilfe von Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen analysieren. Die Relation verschiedener Festlegungen und Berechtigungen gilt deshalb auch für die Signifikanz sprachlicher Handlungen. Expemplarisch lässt sich zeigen, inwiefern die jeweilige sprachliche Handlung mit den jeweiligen deontischen Konten in festlegungserhaltender, berechtigungserhaltender und inkompatibler inferenzieller Relation steht: (5) I 1 : “ Hiermit taufe ich dich auf den Namen Martin. ” Diese deklarative sprachliche Handlung steht in unterschiedlichen festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen zu anderen sprachlichen Handlungen. Inwiefern diese Äußerung eine pragmatische Signifikanz aufweist, hängt von den deontischen Konten der beteiligten Interlokutoren ab. Interlokutor I 1 bedarf einer diskursiven Autorität, die von anderen beteiligten Interlokutoren (I 2 , I 3 , … I n ) während der Äußerung nicht notwendigerweise erteilt, aber zumindest akzeptiert oder toleriert werden muss. Zur Festlegung auf die deklarative sprachliche Handlung muss I 1 zumindest von I 2 , I 3 , … I n berechtigt werden, damit diese sprachliche Handlung gelingen kann. Sollte die sprachliche Handlung missglücken, dann liegt dies an den inkompatiblen inferenziellen Relationen der sprachlichen Handlung zum deontischen Konto von I 1 bei z. B. I 2 . Die 4 Auch wenn im deutschsprachigen Raum die Regeln des Baseballspiels wenig bekannt ist und eine Regelkunde nicht vorausgesetzt werden kann, bietet sich Baseball zur Deskription des Modells deontischer Kontoführung dennoch an. Die Statik, Statistik und Analytik des Baseballspiels ermöglicht eine schritthafte Analogie, wie sie bei dynamischen Sportarten nicht möglich ist. Die Übersetzung der deontischen Kontoführung ins Fussballvokabular findet sich bei Harendarski (2007, 2012: 281 f.). 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 299 sprachliche Handlung könnte hingegen bei I 3 gelingen, wenn dieser z. B. nicht weiß, dass I 1 nicht über die entsprechende diskursive Autorität verfügt. Damit bleibt I 1 aus Perspektive von I 3 solange berechtigt, bis I 1 in eine inkompatible inferenzielle Relation zum deklarativen Sprechakt eintritt. Die Komplementierung der festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen und der pragmatischen und normativen Signifikanzen sowie diskursiver Autoritäten erfüllt sich demnach auch in der diskursiven Praxis der deontischen Kontoführung. Schlussfolgern, so Brandom, “ ist somit der Schlüsselbegriff, der semantischen Gehalt und pragmatische Signifikanz verknüpft ” (EV: 284). Es geht also sowohl um semantische Gehalte, als auch um die Frage, wann eine Äußerung pragmatische Signifikanz aufweist, sodass sie als sprachliche Handlung interpretiert wird. Neben der sprachlichen Handlung der Behauptung, welche die grundlegende sprachliche Handlung der diskursiven Praxis in Brandoms Modell darstellt und die sozial-normative und inferenzielle Gliederung der deontischen Kontoführung nicht nur ermöglicht, sondern auch konstituiert, ergänzt Brandom vier weitere sprachliche Handlungen, die die Handlung der Behauptung diskursiv ergänzen: Berufungen, Distanzierungen, Nachfragen und Anfechtungen (cf. EV: 286 f.). Diese vier sprachlichen Handlungen stehen in einem Strukturverhältnis zur Sprachhandlung der Behauptung, weil sie sequenziell auf Behauptungen, deren pragmatische und normative Signifikanz und propositionalen Gehalt, folgen können. Sie und ihre pragmatische Signifikanz zeigen für diskursive Praktiken nicht nur eine vielfältige Sprachhandlungspraxis, sondern auch ein sequenzielles und inferenzielles Potenzial auf, das die sprachliche Handlung der Behauptung aufweist. Im Folgenden werden diese vier Komplementärhandlungen im Rahmen von Brandoms Modell der deontischen Kontoführung vorgestellt und in ein Verhältnis gesetzt. Berufungen unterscheiden sich hinsichtlich der sozial-normativen Struktur ihres inferenziellen Gehaltes nicht von Behauptungen, da sie ebenfalls über eine Begründungs- und Rechtfertigungsstruktur verfügen. Während Behauptungen aber eine intralokutive Begründungs- und Rechtfertigungsstruktur aufweisen, da sich der inferenzielle Gehalt über die diskursive Autorität der Interlokutoren konstituiert, erfordern Berufungen interlokutive Strukturen. Um den propositionalen Gehalt einer sprachlichen Handlung zu rechtfertigen, wird auf die diskursive Autorität von I 3 verwiesen, dessen deontisches Konto (vor I 2 ) die Lizenzierung der sprachlichen Handlung übernimmt. Interlokutor I 2 begutachtet daher gewissermaßen zunächst nicht das deontische Konto von I 1 , sondern setzt sich in ein interlokutives Verhältnis zu I 3 , um zu beurteilen, ob die diskursive Autorität zur Begründung und Rechtfertigung der sprachlichen Handlung von I 1 hinreichend ist: (6) I 1 : “ Jackson Pollock war einer der talentiertesten Maler des vergangenen Jahrhunderts! ” (Behauptung, dass p) (7) I 2 : “ Ja? Warum glaubst du das? ” (8) I 1 : “ Mein Professor (I 3 ) hat immer von Pollock geschwärmt. ” (Berufung) I 1 übernimmt die Begründung und Rechtfertigung der Festlegung p nicht selbst, sondern verweist auf I 3 . I 2 kann nun beurteilen, ob die diskursive Autorität von I 3 hinreicht, um den 300 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms propositionalen Gehalt p von I 1 zu rechtfertigen und zu begründen. 5 Die Beurteilung der Autorität von I 3 ist nur möglich, weil I 1 durch seine Berufung auf I 3 diesen berechtigt, die Begründungs- und Rechtfertigungsstruktur für p zu übernehmen. Distanzierungen dienen der diskursiven Tilgung von Festlegungen, die Interlokutoren eingegangen sind. Da sprachliche Handlungen inferenziell gegliedert sind, legen sich Interlokutoren kraft einer Behauptung nicht nur auf die expliziten propositionalen Gehalte, sondern auch auf gewisse Folgeinferenzen fest, die wiederum in festlegungserhaltenden, berechtigungserhaltenden und inkompatiblen inferenziellen Relationen stehen. Durch die Asymmetrie der deontischen Kontoführung unterscheiden sich nicht nur die deontischen Status, sondern können sich Interlokutoren aus ihren Perspektiven als auf verschiedene propositionale Gehalte festgelegt verstehen. Distanzierungen unterstützen dabei die diskursive Flexibilität deontischer Status. Ohne Distanzierungen wäre es kaum möglich, den deontischen Status bei anderen Interlokutoren in der diskursiven Praxis zu verändern: (9) I 1 : “ Richard Wagner war wirklich ein klasse Kerl. ” (Behauptung, dass p) (10) I 2 : “ Den magst du? Der war Antisemit! ” (Behauptung, dass q) (11) I 1 : “ Stimmt, ich mag auch nur seine Opern. ” (Distanzierung von q) (12) I 2 : “ Ach so, ich habe mich schon gewundert! ” (Akzeptierung derDistanzierung) In dieser Äußerungssequenz beansprucht I 1 die diskursive Tilgung eine inferenziellen Relation q, die I 2 aus der Behauptung von I 1 und deren propositionalem Gehalt p inferiert hat. Inferenziell lässt sich die Festlegungsstruktur des deontischen Status von I 1 auf dessen deontischem Konto von I 2 folgendermaßen veranschaulichen: Regel: RICHARD WAGNER WAR ANTISEMIT Ergebnis: I 1 MAG RICHARD WAGNER Fall: I 1 MAG ANTISEMITEN I 1 beansprucht durch die Distanzierung eine diskursive Tilgung der Konklusion, indem die Angemessenheit der Inferenz, hier durch das Modaladverb markiert, angezweifelt wird. I 1 spezifiziert die inferenziellen Relationen von p, sodass I 1 bei gelungener Distanzierung zu anderen inferenziellen Relationen berechtigt ist. Akzeptiert I 2 nun die Distanzierung, dann verändern sich die inferenziellen Relationen auf dem deontischen Konto von I 1 bei I 2 . Distanzierungen selbst führen keinen neuen semantischen Gehalt in die diskursive Praxis ein, sondern korrigieren die deontischen Status, indem sie deren inferenzielle Relationen kontrollieren. Die pragmatische Signifikanz der Distanzierung unterscheidet sich deshalb auch von der Signifikanz von Behauptungen und Berufungen, weil nicht eine inferenzielle Sequenzierung der diskursiven Praxis, sondern ihre diskursive Tilgung erfolgt. Distanzierungen können auch fehlschlagen, so wie es alle sprachlichen Handlungen können. 5 Dieses fiktive Gespräch kann sich anschließend unterschiedlich entwickeln. Die Akzeptanz der diskursiven Autorität von I 3 berechtigt I 1 (vorläufig) zur Festlegung p. Akzeptiert I 2 hingegen die Rechtfertigung nicht - weil ProfessorInnen der Kunstgeschichte, die von Jackson Pollock schwärmen, vielleicht befangen sind und das Talent nicht unabhängig beurteilen - , legt I 2 I 1 zwar auf p fest, übernimmt p aber nicht nur nicht selbst, sondern stellt ggf. nicht nur die kunstkritische Autorität von I 3 , sondern auch von I 1 infrage. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 301 Das Gelingen einer Distanzierung hängt dabei wesentlich vom normativen Status der sich distanzierenden Interlokutoren ab. Wenn sich Interlokutoren bereits als unzuverlässige Distanzierer erwiesen haben, weil sie z. B. trotz Distanzierung die getilgten inferenziellen Relationen immer wieder eingegangen sind, kann ihnen die Möglichkeit der Performanz diskursiv aberkannt werden. Während Behauptungen, Berufungen und Distanzierungen an erster Position von I 1 initiiert werden, besteht die pragmatische Signifikanz von Nachfragen in dem Versuch, die inferenzielle Festlegungs- und Berechtigungsstruktur der behauptenden Personen offenzulegen, und ist damit aus sequenzieller Perspektive eine responsive sprachliche Handlung. Interlokutor I 2 entgegnet auf eine Festlegung p von I 1 , indem I 2 sich auf p bezieht und mögliche inferenzielle Relationen (q, r, s, t, … ) in der diskursiven Praxis expliziert, um die Möglichkeit der Verbuchung von q, r, s, t, … auf dem deontischen Konto von I 1 bei I 2 zu bestätigen oder darauf zu verzichten: (13) I 1 : “ Mein Fahrradsattel wurde gestern geklaut. ” (p) (14) I 2 : “ Heißt das, dass wir unsere Fahrradtour absagen müssen? ” (Nachfrage) In diesem Beispiel fordert I 2 I 1 auf, eine mögliche Folgeinferenz q, die p nahelegt, und deren Legitimität zu prüfen. Die inferenzielle Gliederung, die zum Nachfragen führt, lässt sich folgendermaßen veranschaulichen: Regel: OHNE SATTEL KANN MAN NICHT FAHRRAD FAHREN Ergebnis (1): DER FAHRRADSATTEL VON I 1 WURDE GEKLAUT Ergebnis (2): WIR (I 1 und I 2 ) WOLLEN AM WOCHENENDE GEMEINSAM FAHR- RAD FAHREN Fall: ? DIE FAHRRADTOUR MUSS ABGESAGT WERDEN (q) Inwiefern die Konklusion q angemessen ist und in festlegungserhaltender inferenzieller Relation zu p steht, bleibt während der Nachfrage noch offen. Je nachdem, wie I 1 nun antwortet, wird I 2 entweder zur Konklusion berechtigt oder sollte sie entsprechend zurückweisen (im Sinne der deontischen Konten). Ähnlich wie Distanzierungen führen Nachfragen keinen neuen propositionalen Gehalt in diskursive Praktiken ein, sondern korrigieren deontische Status. Nachfragen sind geeignete Mittel, um Folgebehauptungen, Berufungen und Distanzierungen von Interlokutor I 1 zu fordern. Anfechtungen sind ebenfalls responsive sprachliche Handlungen, die, wie Nachfragen, zunächst an zweiter Position von I 2 initiiert werden. Die inferenzielle Bedingung zur Anfechtung der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur von I 1 sind Inkompatibilitätsrelationen, denn man kann “ eine Behauptung nur anfechten, indem man eine mit ihr unvereinbare Behauptung aufstellt ” (EV: 268). Wenn sich I 2 auf einen propositionalen Gehalt q festlegt, der mit der Behauptung p von I 1 inkompatibel ist, greift auch hier die Berechtigungsstruktur. Doch ist es nicht möglich, sowohl auf p als auch auf q festgelegt zu sein. Die Gültigkeit des propositionn Gehalts p (bzw. q) in der deontischen Kontoführungspraxis zeichnet sich durch Kontingenz aus, denn im Moment der Anfechtung können sowohl p als auch q gültig sein: (15) I 1 : “ Alle Katzen haben buschiges Fell. ” (p) (16) I 2 : “ Nein, Nacktkatzen haben überhaupt keine Haare. ” (Anfechtung kraft q) 302 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die Anfechtung, die hier von I 2 vorgenommen wird, setzt q als inkompatiblen propositionalen Gehalt zu p. Welcher propositionale Gehalt in der weiteren diskursiven Praxis gültig ist, bleibt während der Anfechtung kontingent. Diese Kontingenz kann sich über die weitere diskursive Praxis auflösen. Hierzu müssen sich die Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen der Interlokutoren verändern und insbesondere Berechtigungen entzogen oder erteilt werden, damit die Inkompatibilität der deontischen Status aufgehoben wird. Anfechtungen ermöglichen Interlokutor I 2 , vorherige Berechtigungen von Interlokutor I 1 diskursiv zu tilgen, denn die “ Signifikanz einer solchen Anfechtung besteht darin, Zuweisungen ungedeckter Berechtigungen in Frage zu stellen, sofern die anfechtende Behauptung eine ist, zu der der Anfechter zumindest prima facie berechtigt ist ” (EV: 288). Im oberen Beispiel zweifelt I 2 die Gültigkeit des propositionalen Gehalts p der Festlegung von I 1 durch die Setzung von q an. Beide propositionalen Gehalte p und q sind inkompatibel. Die hier entstandene Kontingenz beider Behauptungen kann nur durch eine evidenz- oder autoritätsorientierte diskursive Praxis gelöst werden und erfordert damit Folgehandlungen, z. B. eine Distanzierung von p durch I 1 oder eine Berufung auf I 3 (z. B. Katzenzüchter) durch I 1 . Diese Zusammenstellung von sprachlichen Handlungstypen, die ein rudimentäres Modell diskursiver Praktiken bereitstellt, zeigt, welche pragmatischen Signifikanzen die verschiedenen sprachlichen Handlungen aufweisen, nicht nur allein, sondern insbesondere in Bezug auf andere Handlungen und propositionale Gehalte (cf. Tab. 10). Außerdem stehen diese sprachlichen Handlungen im Rahmen sozialer und inferenzieller Praktiken in interlokutiven Relationen, die sich anhand der deontischen Kontoführung explizieren lassen. Das Set an sprachlichen Handlungen hat dabei nicht den Anspruch, alle Handlungen in diskursiven Praktiken analysieren zu können, bietet aber eine überschaubare Menge von diesen, die zudem in kommunikativen Relationen zueinander stehen. Daher bietet es sich für eine verbpragmatische Analyse exemplarisch an. Zusammenfassend bietet dieses Kapitel nicht nur ein rudimentäres Modell diskursiver Praktiken, sondern es zeigt auch, dass sich verschiedene Performanzen und deren Signifikanzen (normativ wie pragmatisch) hinsichtlich ihrer vorhergehenden und folgenden Performanzen beurteilen lassen. Damit ist einer verbpragmatischen Analyse von sprachlichen Handlungen insofern ein Weg geebnet, als dass mögliche inferenzielle Relationen, die sich aus pragmatischen Signifikanzen ergeben, entsprechend dem Verhältnis von sprachlichen Handlungen (z. B. Behauptung und Distanzierung) modelliert werden können. Gleichzeitig konnte anhand der deontischen Kontoführung demonstriert werden, dass die pragmatischen Signifikanzen realiter diskursive Konsequenzen für die Interlokutoren haben, indem sie in eine Festlegungs- und Berechtigungsstruktur eingebunden werden. Diese Beobachtung legt eine Modellierung mithilfe diskursiver Rollen nahe. Außerdem zeigt die analytische Unterscheidung zwischen pragmatischen wie normativen Signifikanzen und propositionalen wie semantischen Gehalten, dass es zwar diskursive Verstrickungen zwischen Gehalt und Handlung gibt, diese aber theoretisch wie analytisch unterschieden werden können oder gar sollten. Durch die Fokussierung auf Signifikanz mit Berücksichtigung der beteiligten inferenziellen und interlokutiven Strukturen kann nun ein Schritt zur Semiotisierung des Modells diskursiver Praktiken und der Analyse von sprachlichen Handlungen unternommen werden. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 303 14.2 Semiose der Behauptung Das hier präsentierte rudimentäre Modell diskursiver Praktiken, welches einige sprachliche Handlungen und ihre Funktionen expliziert, aber nicht alle Performanzen zu erklären sucht, kann als Grundlage der Analyse von Sprachhandlungen bzw. Sprachhandlungssequenzen dienen. Allerdings orientiert sich das bisher vorgeschlagene Modell noch an der kommunikativen Autorität der Interlokutoren. Im Folgenden soll exemplarisch anhand der sprachlichen Handlung der Behauptung gezeigt werden, wie diese eine semiosische Dimension besitzt, welche zunächst ohne Rekurs auf Interlokutoren analysiert werden kann, aber dennoch die Erkenntnisse des Modells der deontischen Kontoführung berücksichtigt. Anstatt die diskursive Praxis also allein anhand der Festlegungs- und Berechtigungsstruktur der Interlokutoren zu entwickeln, lässt sich die Festlegungs- und Berechtigungsstruktur auf eine Semiose der sprachlichen Handlung und hier insbesondere eine Semiose der Behauptung übertragen, sodass diskursive Praktiken nicht vorwiegend intersubjektiv, sondern semiosisch analysiert werden können. Behauptung (intralokutive Inferenz) I 1 legt sich auf p fest I 1 legt sich mit p auf Folgeinferenzen q, r, s, … fest, ist zu diesen berechtigt bzw. nicht berechtigt (Inkompatibilität). I 1 ist berechtigt, p (durch q, r, s, … ) zu begründen. I 1 berechtigt I 2 , I 1 auf p festzulegen. I 1 berechtigt I 2 , p(I 1 ) in weiteren diskursiven Praktiken zu verwenden. I 1 berechtigt I 2 , I 1 bei nicht-p zu sanktionieren. Berufung (interlokutive Inferenz) Distanzierung (diskursive Inferenztilgung) Nachfrage (Inferenzexplikation) Anfechtung (propositionale Kontingenz durch Inkompatibilität) I 1 legt sich auf p fest. I 1 legt sich auf p fest. (I 1 legt sich auf ? fest.) (I 1 legt sich auf p fest.) I 1 berechtigt I 3 , p zu begründen. I 2 legt I 1 auf (p und) q fest. (I 1 berechtigt I 2 , nach ? zu fragen.) I 2 legt sich auf q fest. I 1 tilgt q. I 2 : p? q ist inkompatibel mit p. I 2 berechtigt I 1 , sich auf inkompatible Inferenzen von q festzulegen. I 1 legt sich auf p, nichtp etc. fest. I 2 darf (oder darf nicht) I 1 auf q, r, s, … festlegen. Tab. 10: Behauptung und Folgesprachhandlungen 304 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Dass im Folgenden die sprachliche Handlung der Behauptung als Semiose analysiert wird, hat insbesondere zwei Gründe. Erstens bildet sie im Rahmen der deontischen Kontoführung die grundlegende Handlungseinheit und bildet daher die Grundlage zur semiosischen Analyse anderer sprachlicher Handlungen. Um Berufung, Distanzierung, Nachfrage und Anfechtung zu analysieren, ist ein semiosischer Begriff der Behauptung also unverzichtbar. Zweitens stellen Behauptungen auch außerhalb des hier präferierten Modells kommunikativer und diskursiver Praktiken eine wesentliche sprachliche Handlung dar. Insofern beansprucht die Beschreibung Gültigkeit über das Modell der deontischen Kontoführung hinaus. Die Reflexionen zur Semiose der Behauptung beruhen damit weiterhin auf Brandoms Modell der deontischen Kontoführung (cf. 14.1), nehmen aber die semiotischen Aspekte stärker in den Blick. Ausgangspunkt der Analyse ist Ulf Harendarskis kategoriale Analyse des Standardindikativs der Behauptung (cf. 2012: 233). Behauptungen werden hier mithilfe des Peirce'schen Vokabulars analysiert. Die Reflexionen dieses Kapitels gehen aber in einigen Aspekten über die Darstellung Harendarskis hinaus. Denn im Folgenden steht insbesondere die inferenzielen Folgen der Signifikant der Behauptung im Mittelpunkt. Hierzu interpretiere ich die Konzepte der Festlegung, Berechtigung und Inkompatibität Brandoms zeichenlogisch. An dieser Stelle wird die reziproke Integration der Theorien Brandoms und Peirces eingelöst (cf. Kapitel 4). Eine Analyse der Semiose der Behauptung findet dabei immer im Rahmen sozialnormativer und diskursiver Praktiken statt, wie das Modell deontischer Kontoführung zeigt. Welche spezifischen sozialen und diskursiven Normen von den jeweiligen Behauptungen evoziert werden, bleibt dabei den jeweiligen Praktiken überlassen und ist inferenziell rekonstruierbar. Es lassen sich diskurslogische und semiosische Relationen aufzeigen, welche entlang der Behauptung entwickelt werden. Eine formalsemiotische Analyse der Behauptungspraxis scheint aber weitestgehend ausgeschlossen (cf. Harendarski 2016: 20), denn die kleinste semiotische Einheit, die diskurslogische Relevanz erlangen kann, ist nicht, wie bei strukturalistischen Ansätzen, unterhalb der Satzebene angesiedelt (z. B. Phoneme, Grapheme, Morpheme etc.), sondern umfasst einen Handlungsaspekt, der sich diskursiv etablieren muss. Behauptungen, die bereits diskursiven Normen der jeweiligen Praxis unterworfen sind, sind basale Handlungs- und grundlegend pragmatische Zeicheneinheiten, die es in der diskursiven Praxis zu analysieren gilt. Es ist deshalb sinnvoll, zunächst die Behauptung als semiotisches Handlungselement des Sprachgebrauchs zu betrachten und daraus semiosische Folgebeziehungen zu modellieren. Der Grundgedanke zur Deskription und Modellierung einer semiosischen Behauptungspraxis setzt dabei an den Beschreibungen der kategorialen Analyse des Standardindikativs (Behauptung) anhand des Deutschen für die Behauptung aller möglichen und existierenden Sachverhalte an, wie sie Ulf Harendarski (2012: 227 f.) vornimmt. Harendarskis kategoriale Analyse des Standardindikativs der Behauptung untersucht die semiotische und universalkategoriale Binnenstruktur des Handlungszeichens Behauptung und bietet somit nicht nur die Möglichkeit, die externe Zeichenkonstitution der Behauptung sowie deren interlokutive Relationen zu explizieren, sondern fokussiert zugleich eine Anwendung im Rahmen einer 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 305 germanistischen Linguistik, auch wenn der Anspruch des Modells über einzelsprachliche Grenzen hinausverweist. Zunächst sollen daher die wesentlichen Elemente der Darstellung der kategorialen Analyse der Behauptung nachgezeichnet werden, um anschließend die Verknüpfung zwischen interner und externer Zeichenkonstitution (als Handlungseinheit der Behauptung, cf. auch Kapitel 2.1.4) herzustellen. Die Darstellung der kategorialen Analyse der Behauptung zeigt dabei nicht nur, welche Zeichenrelationen die Behauptung intern strukturieren, sondern weisen zugleich einen starken Repräsentationalismus zurück, der von einer Analogierelation von Behauptung und Sachverhalt ausgeht, indem die semantische, pragmatische und interpretative Unterdetermination bereits strukturell impliziert wird. Diese Offenheit der dynamischen Struktur ermöglicht nicht nur die Interpretation einer Äußerung als Behauptung in der diskursiven Praxis, sondern enthält gleichzeitig die Möglichkeit der Setzung der Behauptung im Rahmen der deontischen Kontoführung sowie die Positionierung der diskursiven Rollen hinsichtlich des Handlungszeichens. 6 Die folgende Darstellung dient daher der Fundierung der semiosischen Behauptungsanalyse. Im Folgenden soll insbesondere die Gesamtdarstellung (1. Darstellungsschritt) erläutert werden, um durch die Beschreibung der Behauptung als Semiose eine inferenzielle und dann auch verbpragmatische Analyse der sprachlichen Handlungen vorzubereiten. Eine Behauptung, so Harendarski (2012: 230), “ ist eine Äußerung und wird im Kontext einer Situation geäußert bzw. rezipiert und fungiert u. a. für den Moment der Rezeption als Index ” . Um dieser Prämisse Rechnung zu tragen, muss auch eine Analyse von Behauptungen deren Ereignishaftigkeit in der diskursiven Praxis simulieren. Im Rahmen des simulierten Ereignisses der Behauptung gelten daher folgende relationalen Eigenschaften: Die Relation zwischen Etwas und Qualität ist “ ein reines Abstraktum ” (Harendarski 2012: 235). Sie ordnet dem indexikalisch relationierten Objekt (Etwas) des Bezugswortes eine universale Kategorie zu und schafft somit die “ Möglichkeit der Relationierung ” (ebd.) bzw. ermöglicht die Erfahrung, Vorstellung und Wahrnehmung des indexikalisch relationierten Objektes. Die Relation zwischen Etwas und Qualität ist dabei reziprok. Sie stellt nicht nur sicher, dass vorstellige Objekte versprachlicht und/ oder zeichenhaft werden und somit diskursive Relevanz erhalten können, sondern auch, dass Behauptungen eine außersprachliche und thematische Stabilität erlangen, indem sie Referenzierungspotenzial besitzen. Etwas und Qualität müssen allerdings nicht realiter in einer Relation stehen. Die hier markierte Relation steht allein für die Möglichkeit, dass Bezugswörter in außersprachliche Relationen treten, sei es in einem Sprache-zu-Welt- oder einem Welt-zu- Sprache-Verhältnis. 6 Die Positionierung diskursiver Rollen wird bei dieser verbpragmatischen Analyse von sprachlichen Handlungen zunächst nicht ausführlich diskutiert, weil es insbesondere um Handlungskraft bzw. pragmatische Signifikanz gehen soll. Das theoretische Argument, welches diskursive Rollen an der Struktur von sprachlichen Handlungen beteiligt und deren Signifikanz epistemisch vor die Funktion von Interlokutoren setzt, ist folgendes: Die sprachliche Handlung der Behauptung leitet sich vom Verb behaupten und dessen Signifikanzen ab, sodass in der sprachlichen Handlung selbst durch das Verb bereits diskursive Rollen involviert sind. Dieses Argument soll später elaboriert werden (cf. Kapitel 14.3). 306 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Abb. 14: Kategoriale Analyse des Standardindikativs (Behauptung) nach Harendarski (2012: 233) 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 307 Referenz heißt hier die Relation zwischen Bezugswort (oder Bezugskonstruktion) und Etwas. Anstatt von einer konventionellen Relation zwischen Bezugswort und Etwas auszugehen, konstituiert sich diese Relation dank ihrer kategorialen Zweitheit, sodass sie eine indexikalische Relation ist. Tatsächlich steht die Feststellung, dass Bezugswörter in indexikalischen Relationen zu ihren Objekten stehen, nicht in Widerspruch zu der Annahme der konventionellen Relation von Wort und Objekt: Allein während des Aktes ist die Behauptung ein Hinweis zur Referenzierung hinsichtlich eines noch nicht gefundenen Objekts. Komplementär zur Indexfunktion des Bezugswortes zeichnet sich die Prädikation der Behauptung durch ihre doppelte indexikalische Relation und Funktion aus. Stellvertretend für die ikonische Relation, die traditionell zwischen Prädikat und Sachverhalt angenommen wird, führt Harendarski den ikonischen Effekt des Prädikats auf eine doppelte Indexikalität zurück. Das prädizierende Verb ist demnach nicht nur durch Modalität (zumeist als Behauptung im Indikativ), Tempus und Aspekt (zeitliche Faktoren) ein indexikalisches Zeichen, sondern “ indiziert darüber hinaus die Relation zwischen Bezugswort und Prädikation ” (Harendarski 2012: 235). Im Akt der Prädikation ereignet sich damit ebenfalls ein Verhältnis zwischen Prädikat und Bezugswort, welches aber, um zu gelingen, indexikalisch konstituiert werden muss. Über den Akt der Prädikation, welcher mögliche Bezugswörter evoziert, greift das Verb zudem auf deren Bezugsobjekte (hier: Etwas) zu, sodass die Referenzierung des prädizierenden Verbs sich nicht nur über die Perspektivierung des (Teil-)Ereignisses ergibt, sondern auch über die Übertragung des Prädikats auf das Referenzobjekt des Bezugswortes: Durch die gewählte Darstellung zeigt sich, dass Bezugswort (Index) und Prädikation durchaus eine Beziehung zu Etwas und Qualität haben. Die Beziehung beruht auf der indexikalischen Relation von Bezugswort (Index) und dem Erfahrungsgehalt Etwas. Dreh- und Angelpunkt ist das Bezugswort in einer sprachlich aktualisierten Beziehung ihrer Zweitheit. Aber aufgrund dieser Relation kann sich nicht die gesamte Relation von Bezugswort und Prädikation ergeben, weil die Relation von Etwas und Qualität eben nicht aus eigener Kraft indexikalisch oder zweitheitlich ist, sie geschieht in einem Prozess. In der Proposition der Behauptung dagegen verhält es sich anders. Hier haben beide Relata eine nicht zu bezweifelnde Relation der Zweitheit innerhalb der Äußerungseinheit. Aber diese Relation haben sie nicht direkt zueinander, sondern sie sind allein per Vermittlung des Verbs relationiert. (Harendarski 2012: 236) Mit dieser relationalen Vermittlungsfunktion des Verbs verweist Harendarski nicht nur auf eine Ähnlichkeit seiner Darstellung zur Valenzgrammatik (ebd.), sondern stabilisiert auch Annahmen von diskurskognitiven Leerstelle-Füller-Relationen (cf. z. B. Ziem 2008) oder Post-Grice'sche Konzepten wie der unartikulierten Konstituente (cf. z. B. Recanati 2002), die sich mit ähnlichen Strukturphänomenen beschäftigen. Für Harendarski gilt allerdings auch Folgendes: Das Verb eröffnet in der Behauptungspraxis für Interlokutoren einen semiotischen Rahmen, welcher im Gebrauch interpretiert und um ein Bezugswort (und dessen Objekte) ergänzt werden kann. Hiermit zeigt sich auch der Unterschied zwischen Verben als grammatischer und sprachsystematischer Kategorie und Verben als Zeichenelementen der Behauptungspraxis. Während die sprachsystematische Kategorie des Verbs über verschiedene Qualitäten (Abstrakta) verfügt, konstituieren Verben im Sprachgebrauch entsprechende Performanzen mit, indem sie diskurslogische Relationen zwischen sich, dem 308 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Bezugswort und dessen Bezugsobjekt herstellen. Die sozial-normativen Konsequenzen des Verbs ergeben sich damit erst kraft seines Gebrauchs in der assertiven Praxis. Folgt man hier Harendarskis Beschreibung der relationalen Vermittlungsfunktion des Verbs, dann scheint eine verbpragmatische Perspektive, die Praktiken mithilfe der Signifikanzen von Verben zu erklären sucht, theoretisch nicht weit entfernt. Allein eine differenzierte Analyse der Verben selbst, die diese Signifikanzen aufweisen, fehlt im Rahmen der Beschreibungen der kategorialen Analyse des Standardindikativs (Behauptung) anhand des Deutschen für die Behauptung aller möglichen und existierenden Sachverhalte noch. Dass bei Harendarski dennoch eine Verbperspektive enthalten ist, die über syntaktische und semantische Analyseverfahren hinausgeht, zeigt sich in dessen Explikation von Zeitlichkeit. Denn eine semantische Untersuchung des Verbs reicht nicht aus, so Harendarski (2012: 236), da Verben außerdem über einen Zeitindex verfügen, der zwar auf der Konventionalität des Verbs gründet, aber dennoch sozial-kommunikative und indexikalische Zeichenmomente impliziert: Der Verbgebrauch stellt über seine Grammatik eine Relation zur Äußerungszeit her (Tempus). Dieser Zeitindex verweist auf die situative Einbettung der Behauptung und etabliert diese damit innerhalb eines zeitlichen (und semiosischen) Kontinuums, doch er sollte von der Indexikalität des Bezugswortes unterschieden werden: Während das Bezugswort ein Index für wahrnehmbare, erfahrbare und vorstellige Objekte ist, ist der Zeitindex des Verbs im Sprachgebrauch ein Hinweis auf Äußerungs- und Rezeptionszeit, die mit den InterlokuturInnen verbunden ist. Die temporal-situative Indexikalität des Verbs ist es auch, welche gegen einen theoretischen Vorrang der Konzeption einer repräsentationalen Eigenschaft des Verbs spricht: Selbstverständlich wirkt es, als würden Verben spezifische Gehalte repräsentieren, doch lässt sich dies nicht durch die Binnenstruktur der Behauptungspraxis erklären bzw. rechtfertigen. Vielmehr eröffnen Verben indexikalische Leerstellen, die sich nach ihrer Interpretation als ikonische Effekte entfalten. Somit können Verben in ihrer inferenziellsequenziellen Gliederung ikonisch interpretiert werden, aber sind es während der assertiven Praxis nicht, denn im Moment der Äußerung als Behauptung gelten die ikonischen Aspekte noch nicht. Sie können im Rahmen einer sequenziellen Folge von Behauptungen oder anderen sprachlichen Handlungen als ikonische Zeichen auftreten, indem sie sich z. B. in Antezedensrelationen befinden. Die hier vorgestellte kategoriale Analyse der Behauptung Harendarskis ähnelt zwar der Zeichendefinition des Dicizeichens Charles S. Peirces (cf. Kapitel 2.1.3.3), unterscheidet sich aber im Wesen von diesem: Während Dicizeichen sich innerhalb verschiedener Zeichenprozesse finden lassen, 7 fokussiert Harendarski nicht nur diskursive Praktiken, sondern etabliert Behauptungen als sprachliche Strukturen in der linguistischen Pragmatik. Die Behauptungsstruktur sowie deren assertive Praxis ermöglicht somit eine Analyse der entsprechenden diskursiven Praktik. 7 Inwiefern das Dicizeichen bzw. Propositionalität auf alle Zeichensysteme ausgeweitet werden kann, ist eine aktuelle Debatte in der Peirce-Forschung. Während z. B. Frederik Stjernfelt (2014) dem Dicizeichen einen umfassenden Allgemeinplatz in der Natur einräumt, kritisiert Pape (2015: 112 f.) eben die Generalisierung auf alle (biotischen) Zeichensysteme. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 309 Kraft ihrer indexikalischen Eigenschaften lässt die Behauptung keine repräsentationale Reduktion zu. Aufgrund folgender Zeichenaspekte entzieht sich das Verb einer analogen Repräsentation: 1. Ikonischer Effekt 1.1 Indexikalische Prädikation auf das Bezugswort 1.2 (Mögliche) indexikalische Referenz über das Bezugswort 2. Zeitindex über die Grammatik des Verbs 3. Inferenzielle und sequenzielle Gliederung des Verbs über die Möglichkeit, selbst als ikonische Qualität zugeordnet zu werden Neben den indexikalischen Strukturen, die abgesehen vom Zeitindex einen ikonischen Effekt des Verbs schaffen, ist es insbesondere die inferenzielle und sequenzielle Gliederung des Verbs, aber auch der Behauptung selbst, welche sich der repräsentationalen Darstellung entzieht. Die inferenzielle Gliederung lässt sich aber nicht nur im Rahmen eines normativen Inferenzialismus, sondern auch mithilfe eines Zeichenbegriffs modellieren, um die pragmatisch-semantische Gliederung der Behauptung nicht nur inferenziell, sondern auch semiotisch, also zeichenlogisch, zu begründen. Es geht also im Folgenden darum, wesentliche Aspekte, die strukturell an Behauptungen anschließen, auch semiotisch zu modellieren. Dabei wird zwar weiterhin inferenzielles Vokabular verwendet, aber in Beziehung zu semiotischen Aspekten gesetzt. Die These ist dabei die folgende: Sowohl Perspektivität als auch Aspekte der interlokutiven Relation lassen sich als semiotische Effekte von Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten erfassen. Auch Folgeinferenzen können hinsichtlich ihrer normativ-semiotischen Struktur formalisiert werden, die für eine kategoriale Analyse der Behauptung anschlussfähig ist. Um verschiedene Aspekte einer erweiterten Behauptungsanalyse aufzuzeigen, wird das Argument anhand von fünf Darstellungsschritten sukzessive entwickelt, um sowohl propositionale Gehalte, inferenzielle Relationen, Signifikanzen, als auch Interlokutoren als semiotische Effekte zu modellieren. Zeichenlogisch lassen sich Festlegungen, Berechtigungen und Inkompatibilitäten hinsichtlich ihrer propositionalen Strukturrelationen erfassen. Denn die sie konstituierenden Akte, also insbesondere Behauptungen, nehmen eine wesentliche Rolle in der Konstitution von Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen ein: (F) Es erfolgt eine Festlegung, dass q. (B) Es erfolgt eine Berechtigung, dass q. (I) Es erfolgt eine Inkompatibilität, dass q. Der propositionale Gehalt q, der in jedem Teilakt (F, B, I) beinhaltet ist, markiert die Qualität der Behauptungsstruktur und enthält daher Elemente und Eigenschaften der Semiose der Behauptung. Allerdings unterscheiden sich diese hinsichtlich ihrer normativen Struktur, da die diskursive Qualität der Inferenzen divergiert: (F) beansprucht Gültigkeit von q, (B) zeichnet sich durch eine Möglichkeit von q aus und (I) schließt q inferenziell aus. In der Darstellungsweise scheinen die Teilakte der Festlegung, Berechtigung und Inkompatibilität die propositionalen Gehalte noch zu repräsentieren, da ein vermeintliches Analogie- 310 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms verhältnis zwischen den Teilakten und den propositionalen Gehalten bestünde. Während einige der jeweiligen Teilakte einer Behauptung aber situativ gesetzt werden können und daher zumindest eine zeitlich-räumliche und diskursive Hermetik erfahren, ist die inferenzielle Gliederung der propositionalen Gehalte stets unterdeterminiert und auf holistische Relationen (semantisch und signifikativ) angewiesen. Insofern muss eine zeichenrelationale Analyse im Rahmen eines normativen Inferenzialismus auch innerhalb der Deskription der inferenziellen Gliederung der Behauptungsstruktur Berücksichtigung finden: (FIR) Es erfolgt eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation, dass q, weil p. (BIR) Es erfolgt eine berechtigungserhaltende inferenzielle Relation, dass q, weil p. (IIR) Es erfolgt eine inkompatible inferenzielle Relation, dass q, weil p. Die inferenziellen Relationen (FIR, BIR und IIR), die sich aus der normativen Kraft der Behauptung ergeben, zeigen Möglichkeiten der Begründung und Rechtfertigung sowie normative und pragmatische Signifikanz der inferenziellen Gliederung auf. Behauptungen stehen damit nicht nur logisch, sondern im Akt der Behauptung auch semiotisch-indexikalisch in Relationen zu anderen sprachlichen Handlungen, Teilakten und propositionalen Gehalten. Mit dem Verhältnis von q und p lassen sich also nicht nur semantische bzw. propositionale Strukturen, sondern auch Sprachhandlungsverhältnisse anzeigen. Propositionale Gehalte, inferenzielle Relationen und entsprechende Signifikanzen erfordern allerdings eine signifikative Oberfläche, die eine inferenzielle Praxis ermöglicht. Als sprachliche Zeichen müssen sich diese entlang von Signifikanzen entwickeln und damit als zeichenhaft erweisen. Dieser Aspekt der signifikativen Oberfläche, der im Rahmen der signifikativen Suffizienz bereits thematisiert wurde (cf. Kapitel 9.2), wird durch ein signifikantes Zeichenmittel (hier: P) garantiert. Mit der Signifikanz, der Oberfläche und dem signifikanten Zeichenmittel wird eine Entfaltung diskursiver Praktiken eigentlich erst möglich. Denn, so formuliert es Harendarski, “ [k]raft der normativen und pragmatischen Signifikanzen der Behauptung und kraft gegenseitiger zugeschriebener, veränderbarer Verlässlichkeit legen sich Interaktionspartner gegenseitig auf Folgen fest und lizensieren solche ” (2016: 21, Hervorh. im Original). Damit sollte Signifikanz also als eine konstitutive Bedingung der deontischen Kontoführung sowie ihrer Interlokutoren verstanden und bei der Modellierung von Verben und diskursiven Rollen entsprechend berücksichtigt werden: (FIR-SEMIO) Es erfolgt eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation, dass q, weil p kraft P. (BIR-SEMIO) Es erfolgt eine berechtigungserhaltende inferenzielle Relation, dass q, weil p kraft P. (IIR-SEMIO) Es erfolgt eine inkompatible inferenzielle Relation, dass q, weil p kraft P. Die Signifikanz von P sowie die Semiose (SEMIO), die durch eine Inkraftsetzung von Behauptung und deren Teilakten ermöglicht wird, ermöglicht erst den diskursiven Zugang zur inferenziellen Gliederung der Behauptungsstruktur. Das Verhältnis von sprachlichen Handlungen und Teilhandlungen (normativ), propositionalen Gehalten und inferenziellen Relationen (semantisch-pragmatisch) und der Sig- 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 311 nifikanz kraft Oberfläche der sprachlichen Zeichen (semiosisch) erklärt zwar eine Dynamik der semiotischen und linguistischen Prozesse, doch kommt die Darstellung der Behauptung bisher ohne Interlokutoren aus. Insofern sollen im nächsten Darstellungsschritt auch Interlokutoren zur Behauptungsstruktur, ihren Teil- und Folgeakten in ein Verhältnis gesetzt werden. Zunächst ist es sinnvoll, das Verhältnis zwischen den explizierten inferenziellen Relationen und I 1 darzustellen. Mithilfe der Perspektivität der Behauptungsstruktur lässt sich die Strukturbeschreibung entsprechend um I 1 erweitern: (FIR-SEMIO-PERSP) Es erfolgt eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation aus der Perspektive von I 1 , dass q, weil p kraft P. (BIR-SEMIO-PERSP) Es erfolgt eine berechtigungserhaltende inferenzielle Relation aus der Perspektive von I 1 , dass q, weil p kraft P. (IIR-SEMIO-PERSP) Es erfolgt eine inkompatible inferenzielle Relation aus der Perspektive von I 1 , dass q, weil p kraft P. Mit der Perspektivität der Behauptungsstruktur (PERSP) wird ein Weg beschritten, welcher nicht nur propositionale Gehalte, inferenzielle Relationen und Signifikanzen umfasst, sondern auch Interlokutoren eine spezifische Funktion zuweist bzw. sie als Funktion von sprachlichen Handlungen etabliert. Als diskursive Rollen, so kann man hier bereits vorausgreifen, sind sie nicht der diskursiven Praxis vorgelagert, sondern konstituieren sich während des Akts durch diskursive Normen und eine entsprechende signifikative Verbstruktur. Anstatt hier also allein das Programm der deontischen Kontoführung zu rekonstruieren, zeigt die Erweiterung der Semiose der Behauptung durch die Perspektivität bereits, dass es eine semiotische Simultanität zwischen Behauptungsstruktur und Interlokutoren gibt: Interlokutoren behaupten zwar Behauptungen, aber die Behauptungsstruktur ist es, welche die Behauptung als sprachliche Handlung und damit auch Interlokutoren (als Behauptende) erst ermöglicht. Die assertive Relation zwischen Behauptung und den Interlokutoren (als Behauptende) wird kraft der Perspektivität diskursiv relevant. Somit sind Interlokutoren semiotisch keine irreduziblen Instanzen, sondern diskursiv vom Inkraftsetzen der Behauptungsstruktur abhängig. Was das Modell der deontischen Kontoführung Brandoms außerdem lehrt, ist nicht nur die Perspektivität einer Sprachhandlungsinstanz, sondern die sozial-kommunikative Reziprozität, welche sich entlang der Setzung von Behauptungen etabliert. Die Semiose der Behauptung kann daher nicht allein in ihrer Perspektivität bezüglich I 1 verbleiben, sondern sollte von einer genuinen Sozialität der diskursiven Praxis und der Behauptungsstruktur ausgehen, welche sich ebenfalls mit dem Zeichenereignis der Behauptung entwickeln lässt: (FIR-SEMIO-SOZ) Es erfolgt eine festlegungserhaltende inferenzielle Relation von I 1 aus der Perspektive von I 2 , dass q, weil p kraft P. (BIR-SEMIO-SOZ) Es erfolgt eine berechtigungserhaltende inferenzielle Relation von I 1 aus der Perspektive von I 2 , dass q, weil p kraft P. (IIR-SEMIO-SOZ) Es erfolgt eine inkompatible inferenzielle Relation von I 1 aus der Perspektive von I 2 , dass q, weil p kraft P. 312 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die Behauptung als kleinstes Handlungszeichen etabliert nicht nur den propositionalen Gehalt, sondern auch die doppelte Perspektivität der Interlokutoren. Dass eine Perspektive von I 2 auf I 1 nicht nur eine Perspektivität zweiter Ordnung, sondern tatsächlich bereits eine soziale Relation (SOZ) ist, erklärt sich über die sozial-normative Signifikanz der Behauptung als sprachlicher Handlung: Behauptungen finden stets in einem sozialen Rahmen statt, der zumindest eine weitere Person erfordert, die eine Äußerung als sprachliche Handlung lizenziert. Weil das sprachliche Handlungszeichen als Behauptung seine Interlokutoren produziert und es als Handlungselement sozial-normative Signifikanz besitzt, kann es eine normative wie pragmatische Signifikanz diskursiv auf die konstituierten Interlokutoren (z. B. als Handlungen aus Gründen oder Handlungen mit Gründen) übermitteln. Außerdem markieren die Beschreibungen der Behauptungsstruktur allein die unidirektionale Relation (Perspektive von I 2 auf I 1 ) eines bibzw. multidirektionalen Netzwerks. Bereits in bivalenten Kommunikationen impliziert jede Behauptung sowohl eine Perspektive von I 2 auf I 1 als auch eine Perspektive von I 1 auf I 2 . Anstatt also von einer Perspektive mehrerer Interlokutoren auf eine Behauptung auszugehen, kann die Perspektivierungsleistung der Behauptung selbst (als Handlungszeichen) modelliert werden. Sie wirkt gewissermaßen vektoriell auf ihre diskursiven Rollen ein, indem sie diese erst konstituiert. Interlokutoren sowie ihre diskursiven Autoritäten sind damit Produkte und Effekte einer assertiven Praxis und des Handlungszeichens. Sie sind, als Teilnehmer der deontischen Kontoführung, an einem “ always already up-and-running holistic network of implicitly normative practices ” (TMD: 78) beteiligt, welches sie kraft sprachlicher Handlungen (hier: Behauptungen) als Interlokutoren konstituiert. Die Semiose der Behauptung wäre nicht vollständig, ohne dass die indexikalische Objektrelation und semantische Unterspezifikation um eine pragmatische Unbestimmtheit ergänzt würde: die Ambiguität der sprachlichen Handlung. Tatsächlich sind während der Äußerung weder Objektrelation, semantischer Gehalt noch Sprachhandlungstyp notwendigerweise offensichtlich. Vielmehr erfordert auch eine pragmatische Signifikanz selbst eine diskursive Bestätigung, welche bereits Charles S. Peirce beschrieben hat: No object can be denoted unless it be put into relation to the object of the commends. A man, tramping along a weary and solitary road, meets an individual of strange mien, who says, ‘ There was a fire in Megara. ’ If this should happen in the Middle United States, there might very likely be some village in the neighborhood called Megara. Or it may refer to one of the ancient cities of Megara, or to some romance. And the time is wholly indefinite. In short, nothing at all is conveyed until the person addressed asks, Where? - ‘ Oh about half a mile along there ’ pointing to whence they came. ‘ And when? ’ ‘ As I passed. ’ Now an item of information has been conveyed, because it has been stated relatively to a well understood common experience. (SS: 197, Hervorh. im Original) Diese Darstellung erklärt nicht nur, dass mit einer Folgehandlung, die z. B. auf eine Behauptung folgen kann, nach den Objektrelationen sowie semantischem und propositionalem Gehalten der Behauptung gesucht werden kann und diese ggf. erfüllen können. Vielmehr geht es auch um Fragen der pragmatischen Signifikanz, die durch die Folgehandlung bestätigt wird: Erst durch die Nachfragen wird die sprachliche Handlung als Behauptung lizenziert. Insofern gehören zur Semiose der Behauptung nicht nur eine kategoriale Analyse und eine Semiotisierung der inferenziellen Prozesse, sondern auch eine 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 313 Berücksichtigung des Sprachhandlungsumfelds, hier entsprechende Folgeakte (cf. Briese/ Klix i. E.). Die Semiose der Behauptung erfüllt somit mehrere Aspekte für eine theoretische Begründung der diskursiven Praxis sowie für ihre Modellierung und Analyse. Anstatt die verschiedenen sprachlichen Praktiken von vorhergehenden Äußerungen und Interlokutoren zu betrachten, ermöglicht die Analyse der Semiose der Behauptung, von dem Ereignis einer assertiven sprachlichen Handlung auszugehen, deren Signifikanz zu berücksichtigen und Teil- und Folgehandlungen dementsprechend zu analysieren. Mithilfe des semiotischen Pragmatismus und des normativen Sprachpragmatismus können nicht nur die inferenziellen, normativen und interlokutiven Relationen expliziert, sondern auch pragmatische Signifikanz sowie subsentenziale Strukturen der Behauptung analysiert werden. Außerdem folgt aus der deontischen Kontoführung, die mithilfe der Semiose der Behauptung spezifiziert werden konnte, eine Positionierung der diskursiven Rollen, die an den jeweiligen Praktiken beteiligt sind. Für Interlokutoren gilt daher folgendes: Sie stehen in einer assertiven Relation zur Behauptung. Sie verhalten sich entsprechend der diskursiven Normen der Praktiken nicht nur zueinander, sondern tun dies auch hinsichtlich des Zeichenereignisses einer Behauptung. Zusammenfassend zeigt die kategoriale Analyse der Behauptung sowie deren Erweiterung durch eine spezifisch semiosische Perspektive auf Äußerungen, dass wesentliche Aspekte diskursiver Praktiken anhand des entsprechenden Zeichenereignisses (hier: Behauptung) analysiert werden können. Dies betrifft nicht nur semantische Gehalte und inferenzielle Relationen, sondern insbesondere auch Interlokutoren bzw. diskursive Rollen und normative wie pragmatische Signifikanzen. Die Erklärung des Entstehens diskursiver Praktiken ist damit nicht mehr notwendigerweise an eine Vielzahl vorgelagerter Prinzipien gebunden, sondern kann tatsächlich anhand einer zeichenlogischen und -relationalen Analyse von Zeichenereignissen und deren Performanzsystematik erfolgen. Ein Rekurs auf vorgeordnete kommunikative Instanzen bleibt dabei aus, weil diese erst kraft des Zeichenereignisses Relevanz erlangen. 14.3 Verbpragmatik und pragmatische Signifikanz Mit der Beschreibung der deontischen Kontoführung und der Einführung der Semiose der Behauptung sind wesentliche Schritte gemacht, pragmatische Signifikanzen in diskursiven Praktiken anhand von (expliziten oder impliziten) Zeichenereignissen zu analysieren. Weil nun nicht Interlokutoren, deren Intentionen oder andere vorgelagerte Strukturen im Mittelpunkt der Analyse stehen, sondern das Zeichen in seiner Handlungsstruktur, handelt es sich um einen genuin semiotischen wie pragmatischen Ansatz. Allerdings ist der theoretische Schritt mithilfe der linguistischen Verbpragmatik bisher ausgeblieben, wobei in den bisherigen Analysen das Verb stets latent beteiligt war. Denn wenn von Behauptungen, Berufungen, Distanzierungen, Nachfragen und Anfechtungen die Rede ist, dann handelt es sich um Derivate der entsprechenden Verben (behaupten, berufen (auf), (sich) distanzieren, nachfragen und anfechten). Die Perspektive der linguistischen Verbpragmatik einzunehmen, bedeutet hier also, dass Äußerungen kraft der Signifikanz des entsprechenden Verbs als sprachliche Handlung interpretiert und behandelt werden. 314 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Insofern kann eine verbpragmatische Analyse der Verben zeigen, welche Signifikanzstruktur, welche diskursiven Rollen, aber auch welche inferenziellen Relationen nötig sind, um eine Äußerung als sprachliche Handlung zu interpretieren. Im Folgenden soll diese verbpragmatische Perspektive exemplarisch anhand der sprachlichen Handlung der Behauptung und der Anfechtung aufgezeigt werden. Hierbei finden Elemente der theoretischen Reflexion zur diskursiven Signifikanz intentionaler Verben Anwendung: Aufgangspunkt ist das Grundlagenmodell intentionaler Verben (cf. Kapitel 12.3). Die beiden in diesem Kapitel fokussierten Verben behaupten und anfechten signifizieren jeweils intentionale Relationen, die signifikativ auf eine bestimmte sozialkommunikative Handlung verweisen. Dass diese beiden Verben nicht isoliert voreinander, sondern zur in Beziehung zueinander analysiert werden können, liegt auch an deren sozialen intentionalen Relationen (cf. Kapitel 12.4), denn insbesondere anfechten präsupponiert diskursive Rollen, die bereits in sozial-kommunikative Praktiken involviert sind. Die inferenzielle Gliederung und deren verbpragmatische Konsequenzen führen außerdem dazu, dass behaupten und anfechten gemeinam eine Art Signifikanzmuster bilden, also in ihrer Verkettung eine bestimmte Handlungsfolge signifizieren (cf. Kapitel 12.5 - 12.6). Über diese beiden Verben kann damit exemplarisch demonstriert werden, welchen Beitrag eine linguistische Verbpragmatik zur Analyse sprachlicher Handlungen leisten kann. In einem ersten Schritt wird behaupten anhand relationslogischer und verbpragmatischer Parameter analysiert. Dabei soll gezeigt werden, dass eine Analyse des Verbs bereits wesentliche Aspekte der pragmatischen Signifikanz von Performanzen erläutern kann. Weil sprachliche Handlungen sich aber nur in Sequenzen entwickeln und bestätigen, wird behaupten in einem zweiten Schritt mit anfechten in ein verbpragmatisches Verhältnis gesetzt. Anfechten erweist sich dabei als ein gutes Beispiel sowohl hinsichtlich der Struktur des in Frage gestellten propositionalen Gehalts als auch hinsichtlich der beteiligten Interlokutoren (cf. auch Harendarski 2021 a: 45 f.). Mithilfe der Analyse der Sprachhandlungssequenz bzw. Folge intentionaler Verben [BEHAUPTEN]-[ANFECHTEN] lässt sich das Strukturierungspotenzial der inferenziellen Relationen einer sprachlichen Handlung hinsichtlich der pragmatischen Signifikanz schließlich aufzeigen. Das intentionale Verb behaupten lässt sich hinsichtlich seiner pragmatischen Signifikanz entlang zweier intentionaler Relationen analysieren, die sich entsprechend dem eingeführten Vokabular folgendermaßen darstellen lassen: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] und [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Erstere beschreibt die intentionale Relation zwischen den im Verbereignis beteiligten Interlokutoren. Letztere erfasst die intentionale Relation der behauptenden Person zum selbst gesetzten intentionalen Objekt bzw. dem propositionalen Gehalt der Behauptung. Bevor eine ausführliche Analyse des Verbs behaupten anhand dieser beiden Relationen vorgenommen werden kann, sollte hervorgehoben werden, dass die beiden Relationen voneinander abhängig sind. Und zwar auf hierarchische Weise: [[X DRausG ]INTENTIO- NAL EMSIF → [Y iO ]] sollte insofern als abgeleitet von [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] verstanden werden, als dass der im Verbereignis latente propositionale Gehalt nur in solchen kommunikativen Situationen relevant ist, in denen es ein kommunikatives Gefüge von Interlokutoren gibt. Zwar sind beide Relationen in der Instanziierung des Verbs enthalten und daher temporal- 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 315 sequenziell gleichwertig, doch zeichenlogisch lässt sich Y iO eher als Effekt der im Verb signifizierten interlokutiven Relation verstehen. An dieser Stelle soll darauf nicht weiter eingegangen werden, doch insbesondere bei der Analyse der Konstitution von Interlokutoren und Delokutoren kraft diskursiver Rollen wird sich zeigen, dass es sich bei den verschiedenen Positionen sowohl zeichenlogisch, sozial als auch kategorial um unterschiedliche Strukturen handelt (cf. Kapitel 15). Behaupten als [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] hinsichtlich seiner pragmatischen Signifikanz weist eine relativ typische Signifikanzstruktur auf, denn es handelt sich um ein sozial-kommunikatives Handlungsverb. Die intentionale Relation, die kraft des Verbs signifiziert wird, kann als soziale intentionale Relation beschrieben werden, denn sie konstituiert zwei diskursive Rollen, die zueinander in Beziehung stehen. Die diskursiven Rollen weisen außerdem eine für sozial-kommunikative Handlungsverben typische Handlungsstruktur auf: X ist eine diskursive Rolle, die Handlungen aus Gründen signifiziert. Konkret bedeutet das, dass die signifizierte Person als über Handlungsintentionen (hier: Kommunikationsintentionen) verfügend konstituiert wird. Damit gilt X als sprachhandlungsbefähigte Person. Y verfügt kraft der intentionalen Relation nicht über Handlungsintentionen, wird aber über das Verb dennoch als adressierte bzw. beteiligte Instanz gesetzt. Denn antworten auf Behauptungen können nur diskursive Wesen, denen ein Mindestmaß an kognitiver Struktur und insbesondere Normverfügen zugewiesen wird. Weil X und Y nur abhängig voneinander (in der Handlungsdeskription) über die entsprechende Handlungsstruktur verfügen, kann diese als sozial beschrieben werden. Neben der sozialen intentionalen Relation zeichnet sich [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] außerdem durch seine inferenzielle Gliederung aus. Weil sich behaupten hinsichtlich der Konstitution diskursiver Intentionalität als EMSIF auszeichnet, das Verb also hinreichend für eine Zuschreibung diskursiver Intentionalität ist, kann es als intentionales Verb kategorisiert werden. Dass behaupten hinsichtlich seiner Signifikanzstruktur mithilfe von EMSIFs analysiert wird, ist außerdem ein Hinweis darauf, dass es für Sprachhandlungsanalyse besondere Relevanz hat. Die zweite Relation [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] weist weniger eine soziale intentionale Relation auf als vielmehr ein Verhältnis zwischen der behauptenden Instanz (X DRausG ) und der Äußerung bzw. dem gesetzten propositionalen Gehalt (Y iO ). Es handelt sich hier zwar um eine intentionale Relation, aber nicht um eine phänomenale Gerichtetheit im engeren Sinne. Denn Y iO zeichnet sich durch seine propositionale Struktur sowie inferenzielle Gliederung aus. Damit weist es andere Qualitäten auf als Wahrnehmungsobjekte (phänomenal), weil es als Element in die weitere diskursive Praxis eingegliedert wird. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn mithilfe linguistischer Verbpragmatik die Sprachhandlungssequenz und deren Gehalte anhand von Verben rekonstruiert werden. Wenn die beiden intentionalen Relationen [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] und [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] als Abstraktion eines gemeinsamen Verbs und damit als im Konkreten miteinander verbunden analysiert werden, dann impliziert behaupten eine weitere latente Relation, die weiteres inferenzielles Potenzial aufweist: [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Diese Relation markiert, dass Z DRmitG mit Y iO in ein Verhältnis treten kann, z. B. indem die Behauptung verstanden wird oder indem durch eine andere sprachliche Handlung auf den propositionalen Gehalt und den Behauptungsakt 316 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms reagiert werden kann. Diese Relation ist zeichenlogisch kein explizites, aber latentes Element von behaupten und kann über Folgeverben markiert, in der diskursiven Praxis gesetzt und damit expliziert werden. Diese intentionalen Relationen von behaupten lassen sich nun diagrammatisch in ein Verhältnis setzen, welches zeigt, inwiefern die verschiedenen Relata in Beziehung stehen. Abb. 15: Zeichenrelationale Triangulation von behaupten Die verschiedenen Relata stehen nicht nur (auf Ebene der Einzelrelationen) in genuin triadischen Relationen zueinander, sondern sie lassen sich als triadische Relationen potenzieren (Abb. 15): Sie stehen als triadische Relationen selbst in einem triadischen Verhältnis zueinander, denn jedes Relatum steht (explizit oder latent) in mehreren intentionalen Relationen. Dass es sich nicht nur um eine Menge von dyadischen Relationen handelt, also um eine degenerative triadische Relation, zeigen die verschiedenen Ausrichtungen der Relationen. Y iO stellt sich hier als Effekt der sozialen intentionalen Relationen heraus und kann insofern als von der primären intentionalen Relation [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] abgeleitet begriffen werden. Die Darstellung zeigt außerdem, dass behaupten als Handlungsdeskription ein Triangulationspotenzial aufweist. Kraft des Verbs kann Handlung als Triangulation ausgewiesen werden, wobei Y iO das Triangulationsobjekt bildet (und in der weiteren diskursiven Praxis als solches behandelt wird). Die relationslogische Analyse des Verbs behaupten erweist sich so als eine tiefenstrukturelle Präsentation der Signifikanzen, hier der pragmatischen. Allein aufgrund der Explikation der zwei bzw. drei intentionalen Relationen, die das Verb involviert, lässt sich eine Handlungssituation assoziieren, die die Beteiligten nicht nur in ein normatives Verhältnis zueinander, sondern auch zur gesetzten Äußerung stellt. Wie insbesondere die Darstellung der zeichenrelationalen Triangulation zeigt, geht die Analyse über die grammatische Oberfläche hinaus, orientiert sich an Signifikanz und weist inferenzielle Potenziale aus, die sich pragmatisch erfüllen lassen. Analog zu behaupten fällt auch eine relationslogische Analyse von anfechten aus. Es handelt sich dabei zeichenlogisch explizit sowohl um eine soziale intentionale Relation [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] als auch um eine intentionale Relation [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Isoliert betrachtet unterscheidet sich anfechten hinsichtlich seiner sozialen intentionalen Relation also nicht von behaupten, sondern erst im Verhältnis zueinander entstehen signifikative Unterschiede. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 317 Latent verfügt anfechten außerdem über [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Insofern muss eine relationslogische Analyse von anfechten hier nur um diejenigen Aspekte ergänzt werden, die für eine weitere verbpragmatische Analyse relevant sind. Denn der Vergleich der intentionalen Relationen von behaupten und anfechten zeigt, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Verben gibt, welcher zu einer verbpragmatischen Analyse führt: die Achse, die inferenziell von behaupten durch die latente Relation [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] ermöglicht wird. Das Verb signifiziert also eine latente Folgehandlung, die diskursiv gesetzt werden kann und in diesem Beispiel durch anfechten markiert ist. Oder: Behaupten setzt inferenziell einen propositionalen Gehalt, während anfechten die Gültigkeit eines bereits gesetzten propositionalen Gehalts durch die Setzung eines anderen propositionalen Gehalts infrage stellt (propositionale Kontingenz durch Inkompatibilität, cf. Kapitel 14.1). Behaupten und anfechten beziehen sich inferenziell also auf denselben propositionalen Gehalt. Dass sich diese Struktur auch relationslogisch analysieren lässt, zeigt bereits die zeichenrelationale Triangulation von behaupten: Die latente intentionale Relation [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] von behaupten, die als Berechtigung im Verb vorliegt, wird gewissermaßen durch die intentionale Relation [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] (inkl. anaphorischer Relation) von anfechten erfüllt. In der Handlungsdeskription tritt die vorher als Y DRmitG markierte diskursive Rolle als X DRausG mit Y iO in Interaktion, indem dieser propositionale Gehalt (Y iO ) angefochten wird. Dieses Verhältnis von behaupten und anfechten lässt sich mithilfe einer verbpragmatischen Darstellung nicht nur als Handlungsstruktur, sondern auch als Handlungssequenz aufzeigen. Hierfür kann exemplarisch [BEHAUPTEN]-[ANFECHTEN] aus Perspektive von behaupten (t 0 ) skizziert werden, wobei auf Basis der hier fokussierten Aspekte auf weitere Elemente verzichtet wird. Abb. 16: Verbpragmatische Teildarstellung von behaupten hinsichtlich anfechten Diese verbpragmatische Teildarstellung von behaupten, welche deren Relation zu anfechten skizziert, ergänzt die relationslogischen Analysen nicht nur um mögliche Komplementärverben, sondern auch um eine sequenzielle Struktur: Aus der Perspektive von [BE- HAUPTEN] (t 0 ) ist [ANFECHTEN] (t 1 ) eine konsekutive Relation, die sich aus der EMSIB von behaupten ergibt. Kurz: Behauptungen können angefochten werden. Gleichzeitig setzt [ANFECHTEN] (t 0 ) ein [BEHAUPTEN] (t -1 ) voraus, sodass dieses als präteritale Relation modelliert werden kann. Kurz: Angefochten werden kann nur, was vorher behauptet 318 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms wurde. 8 Bezugspunkt beider Relationen ist dabei stets der geäußerte propositionale Gehalt (Y iO ), welcher im Verhältnis der pragmatischen Signifikanz der beiden Verben als kontingent markiert wird. Diese kurze relationslogische und verbpragmatische Analyse der intentionalen Verben behaupten und anfechten zeigt, inwiefern die Analyse von sprachlichen Handlungen und pragmatischer Signifikanz auch mithilfe von intentionalen Verben, hier insbesondere sozial-kommunikativen Handlungsverben, geschehen kann. Zusammenfasst schließt diese verbpragmatische Teildarstellung von behaupten und anfechten außerdem den Entwurf einer Analyse der pragmatischen Signifikanz sprachlicher Handlungen ab, der in diesem Kapitel entwickelt wurde. Ausgehend von Brandoms Modell der deontischen Kontoführung konnten sprachliche Handlungen als inferenziell gegliedert analysiert werden (cf. Kapitel 14.1). Anhand der Semiose der Behauptung habe ich demonstriert, dass eine semiotische Interpretation von sprachlichen Handlungen diese als signifikative Struktur erkennbar macht, welche Interlokutoren sowie inferenzielle Strukturen als deren kommunikative Effekte begreift (cf. Kapitel 14.2). Die Semiose der Behauptung wurde anschließend aus einer verbpragmatischen Perspektive betrachtet, sodass sich die pragmatische Signifikanz anhand intentionaler Verben rekonstruieren lässt. Damit finden die theoretischen Reflexionen zur diskursiven Signifikanz einen konkreten Anwendungsbereich in der linguistischen Pragmatik, dem Bereich der Analyse sprachlicher Handlungen. Auch wenn die hier skizzierte Analyse noch keine entwickelte Sprachhandlungsanalyse ersetzen kann oder soll, zeigt sie doch insofern Potenziale auf, als dass schon die Analyse der Verben eine komplexe Handlungsstruktur aufzeigen kann wie die Analyse des Verhältnisses von behaupten und anfechten veranschaulicht hat. Mithilfe der Analyse der pragmatischen Signifikanz, die sich kraft Verben entfaltet, kann unter Berücksichtigung der hier etablierten theoretischen Voraussetzung erklärt werden, warum eine bestimmte Äußerung als Sprachhandlung interpretiert wird. 8 Im engeren Sinne können hier auch andere Verben (z. B. sagen, äußern etc.) als präteritale Relationen vorausgesetzt werden. Diese Darstellung soll aber weder die Verben behaupten oder anfechten bzw. deren Relationen erschöpfend erklären, sondern lediglich verbpragmatische Potenziale aufzeigen. 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 319 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen Abstract: The analysis of pragmatic significance in the previous chapter is supplemented here by the concept of discursive roles and applied to the pragmatic function of the speaker and the hearer in communication. Speaker and hearer prove to be verbpragmatic effects of the significance of intentional verbs. In addition to the irreducible connection between speaker and hearer, which is captured by the concept of the interlocutor, the concept of the delocutor can be used to analyze the third-personal communicative roles as a kind of significance. A reflection based on Charles S. Peirce's phaneroscopic categories compares the relationship between interlocutors and delocutors with triangulation and marks the triangulative significance of intentional verbs. Zusammenfassung: Die Analyse der pragmatischen Signifikanz des vorherigen Kapitels wird hier um das Konzept der diskursiven Rolle ergänzt und auf die pragmatische Funktion des Sprechers und des Hörers in der Kommunikation angewandt. Sprecher und Hörer erweisen sich verbpragmatisch dabei als Effekte der Signifikanz intentionaler Verben. Neben der irreduziblen Verbindung von Sprecher und Hörer, die über das Konzept des Interlokutors erfasst wird, kann mithilfe des Konzepts des Delokutors die drittpersonale kommunikative Rolle als Signifikanz analysiert werden. Eine Reflexion auf Basis der phaneroskopischen Kategorien Charles S. Peirces vergleicht das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutor mit Triangulation und markiert die triangulative Signifikanz intentionaler Verben. Keywords: speaker, hearer, interlocutor, delocutor, triangulation Schlüsselbegriffe: Sprecher, Hörer, Interlokutor, Delokutor, Triangulation Mit dem Begriff der pragmatischen Signifikanz, welche über die Darstellung von zeichenrelationalen Triangulationen als multirelationale Struktur analysiert wird, habe ich mich der Frage der Handlungskonstitution in diskursiven Praktiken zugwandt. Dass dabei aber nicht nur Handlungen, sondern selbstverständlich auch Personen beteiligt sind, soll im Folgenden untersucht werden. Damit schließt das folgende Kapitel nicht nur an die Analyse der pragmatischen Signifikanz, sondern auch an Beschreibungen von intentionalen Systemen* (cf. Kapitel 8.2) und Zuschreibungen, Attribuierungen, Inskriptionen und Inaugurationen (cf. Kapitel 13) an. Es geht also um die Frage, inwiefern in diskursiven Praktiken jemand auf Basis sozialer Normen als Sprecher oder Hörer identifizieren wird und damit bestimmte kommunikative Funktionen zugewiesen bekommt. Sprecher und Hörer werden damit nicht mehr als sozial-kommunikative Voraussetzungen diskursiver Praktiken verstanden, sondern sind selbst auf gewisse Weise Ergebnisse dieser. Diese Frage erfordert die Abgrenzung des Rahmens der theoretischen Argumentation, sowohl terminologisch als auch hinsichtlich seines Erkenntnisobjekts. Analysiert werden sollen im Folgenden diejenigen diskursiven Instanzen, die als Handelnde beschrieben werden. Im Mittelpunkt stehen dabei weiterhin intentionale Verben, insbesondere deren diskursive Rollen. Anstatt aber allein das Handlungspotenzial dieser zu untersuchen, möchte ich hier die Etablierung einer grundlegenden sozial-kommunikativen Differenz vorschlagen, die unterschiedliche Grundpositionen in diskursiven Praktiken umfasst und sich verbpragmatisch analysieren lässt: Interlokutoren und Delokutoren bzw. Interlokutor- Delokutor-Relationen. Interlokutor und Delokutor stellen im Rahmen der theoretischen Argumentation sozial-kommunikative Funktionen dar, die kraft diskursiver Rollen unterschiedlichen sozial-kommunikativen Grundpositionen zugewiesen werden. Der Unterschied zwischen Interlokutor und Delokutor ist damit zunächst ein Unterschied der Position, so wie er z. B. bereits in der origorelativen Unterscheidung von ich und du einerseits und er, sie und es andererseits markiert ist. Weil intentionale Verben und ihre diskursiven Rollen aber nicht nur sprachliche Handlungen signifizieren, subsumiert sich das theoretische Vokabular der Interlokutoren und Delokutoren unter den Begriff der Diskursakteure. Der Begriff der Diskursakteure orientiert sich im Folgenden an Darstellungen aus der Diskurslinguistik, ohne sich notwendigerweise in voller Schärfe auf diese zu berufen. So schreibt beispielsweise Philipp Dreesen (2013: 225): Der Akteur ist kein außerdiskursives Konzept eines autonom handelnden Individuums oder einer Organisation, sondern jemand, der durch die diskursive Ordnung in die Lage versetzt wird, sich in bestimmter Art und Weise zu artikulieren, während andere dies nicht in gleicher Weise tun können. Der Akteur ist Produzent und Produkt des Diskurses gleichermaßen. Mit diesem Begriff wird also eine Position innerhalb der diskursiven Ordnung bzw. diskursiven Praktiken erfasst, welche nur in ihr bestehen kann. Insofern vermeidet der Begriff eine vorsprachliche bzw. vordiskursive Struktur, die wesentlichen Einfluss auf die Konstitution von Diskursakteuren hat. Anstatt aber im Folgenden von diskursiven Ordnungen im Allgemeinen zu sprechen, möchte ich (im Sinne der linguistischen Verbpragmatik) das diskursive Konstitutionspotenzial von Verben diskutieren. Kurz: Kraft diskursiver Rollen kann jemand Diskursakteur werden. Das theoretische Fundament sowie eine entsprechende Argumentation für eine Analyse von Diskursakteuren anhand intentionaler Verben möchte ich in folgenden Schritten vorstellen: Zunächst soll mithilfe von Per Aage Brandts schematischem Äußerungskonzept (cf. 2016) an die handlungstheoretische Analyse der Semiose der Behauptung angeschlossen werden, um die Konstitution von Interlokutoren, aber auch Delokutoren (und anderen Triangulationsobjekten) anhand von Äußerungen zu demonstrieren. Brandt Äußerungskonzept fokussiert dabei die wesentlichen Grundpositionen und weniger die pragmatische Signifikanz, was es aber nicht weniger anschlussfähig macht, wie sich zeigen wird. Es ermöglicht eine weitere Perspektive auf die Konstitution von Diskursakteuren und verortet diese mittels der theoretischen Beschreibungen der Semiose der Behauptung in der Signifikanzstruktur intentionaler Verben. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 321 Anschließend sondiere ich kurz das begriffliche Feld zur Darstellung eben jener sozialkommunikativen Funktionen. Weil insbesondere die sozialrelationalen und semiotischpragmatistischen Aspekte in einigen Modellen im Hintergrund bleiben, schließt eine Zusammenfassung von Francis Jacques' Dialogtheorie (cf. insb. 1986, 1991) an diese theoretischen Annahmen an. In Kombination mit den Analysen der pragmatischen Signifikanz sowie deren Einbettung in ein Modell diskursiver Praktiken (deontische Kontoführung, Semiose der Behauptung und der Folgehandlungen) soll damit nicht nur eine Definition von Interlokutor und Delokutor vorgelegt, sondern auch deren sozialkommunikative Verstrickung plausibilisiert werden. Die Vorstellung von Theorien gemeinsamer Aufmerksamkeit, Triangulation sowie der sozialkategorialen Grundpositionen im Rahmen der semiotischen Anthropologie dient anschließend nicht nur der universalkategorialen Bestimmung von Interlokutor und Delokutor, sondern auch einer Modellierung von universalsemiotischen Grundpositionen und -relationen, die als Fundament der Interlokutor-Delokutor-Relation angesehen werden können. Anschließend kann die Erweiterung einer relationslogischen und verbpragmatischen Analyse zeigen, inwiefern sich Interlokutoren und Delokutoren als diskursive Effekte intentionaler Verben analysieren lassen und inwiefern verschiedene Verbgefüge (exemplarisch die [SAGEN]-[BERUFEN AUF]-Relation) bereits Positionswechsel ihrer Diskursakteure signifizieren. 15.1 Äußerungen und diskursive Rollen Äußerungen signifizieren diskursive Rollen. Die Erklärungsstrategie kehrt die alltägliche Annahme um, dass Sprecher und Hörer Äußerungen kommunikativ vorausgesetzt seien. Stattdessen wird deren kommunikative Funktion aus der Signifikanz der Äußerung erläuert und schließt damit an die Semiose der Behauptung an (cf. Kapitel 14.2). An vielen Äußerungen sind aber nicht nur Interlokutoren beteiligt, sondern auch andere kommunikative Rollen. Diese These wird im Folgenden anhand Per Aage Brandts schematischem Äußerungskonzept (cf. 2016) elaboriert. Dieses Äußerungskonzept dient im Weiteren als Bezugspunkt für die Entwicklung verschiedener kategorialer Grundpositionen als Signifikanz von Äußerungen (cf. Kapitel 15.3) und dem triangulativen Effekt intentionaler Verben (cf. 15.4). Um die Konstitution von Interlokutoren und Delokutoren in diskursiven Praktiken mithilfe einer relationslogischen Analyse und linguistischen Verbpragmatik zu exemplifizieren, ist es sinnvoll, noch einmal zur Äußerung bzw. sprachlichen Handlung als grundlegender Handlungseinheit linguistischer Praktiken zurückzukehren. Auch wenn die folgende Analyse am Ende wieder auf Signifikanz von Verben beruht, so ist angesichts des verschobenen Fokus der folgenden Analyse dieser Schritt notwendig: Während es bei Fragen der pragmatischen Signifikanz sprachlicher Handlungen insbesondere darum geht, eine Äußerung oder ein sprachliches Verhalten als sprachliche Handlung zu signifizieren, liegt hier der Fokus weniger auf der Äußerung selbst als auf deren Evokationspotenzialen hinsichtlich Diskursakteuren. Die signifizierte Handlung ist dabei für diese Analyse zunächst insofern irrelevant, als dass sie zwar eine Handlungsstruktur bereitstellt, aber 322 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms im engeren Sinne nicht Diskursakteure erfasst. Diese Funktion übernehmen diskursive Rollen von Verben. Dass aber Äußerungen nicht nur als sprachliche Handlungen signifiziert werden können, sondern dass ausgehend von diesen auch eine Form der Sozialität modelliert werden kann, zeigen bereits die theoretische Entwicklung von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen (cf. Kapitel 12.4), aber auch das Triangulationspotenzial im Rahmen der Analyse der pragmatischen Signifikanz (cf. Kapitel 14). Ausgehend von der Instanziierung von Äußerung kann daher zunächst mithilfe von Per Aage Brandts schematischem Äußerungskonzept (cf. 2016) Folgendes festgehalten werden: Firstly, enunciation is a schema: personhood is a basic relation between three instances, a first person (P1), a second person (P2), and the object of shared attention called third person (P3). The relation itself is a schematic act of showing. P1 shows P3 to P2. P2 is thus in a dative position, receiving P3 from P1 as a ‘ gift. ’ Showing is ‘ donner à voir, ’ with a French expression. P1 ‘ gives ’ P3 to P2. P3 is the target of the showing, which is again the root of the deictic pointing. P3 is an object presented in a demonstrative mode: This! - ‘ I want you to attend to this (here, now)! ’ - and it is therefore possible to say that the basic schematic relation between P1 and P2 is already protodeictic. The relation develops real deicticity through a further semiotic unfolding. The basic schema, secondly, allows a semio-syntactic iterativity in two directions. One is dialogical: in a subsequent substructure, P2 (you) becomes P1 (I) and P1 is included in a new P2, when the addressee answers to the speaker and possibly to other hearers. It typically has propositional P3s: ‘ You tell me that X, but I insist that -X! ’ P3 thus unfolds a maintained theme ‘ X ’ across the turns of speech. Another form of iterativity, embedded enunciation, occurs when P3 includes a new substructure with P1 - P2 - P3 structure, and so on: ‘ I say (to you) that he says (to someone) that she says (to everyone who wants to listen) that X …’ The structure of full-blown deixis contains both types of iterativity. (Brandt 2016: 4) Äußerungen können laut Brandt als eine schematische Struktur verstanden werden, die die Positionen P1, P2 und P3 umfasst. Die verschiedenen Relationen lassen sich dabei anhand indexikalischer bzw. deiktischer Strukturen darstellen. Die proto-deiktische Relation P1-P2 erfasst Brandt hier ebenso wie zwei Formen der Iterativität: Die semio-syntaktische Iterativität umfasst das Potenzial einer dialogischen Struktur, die den Positionswechsel von P1 und P2 erfordert. Hier ist bereits das wesentliche soziale Moment der Äußerung enthalten, denn ausgehend von dieser lässt sich die Beteiligung von mehreren Interlokutoren als konstitutiv annehmen. P3 bleibt bei der semio-syntaktischen Iterativität das Objekt der gemeinsamen Aufmerksamkeit bzw. das Triangulationsobjekt [object of shared attention]. Allerdings kann P3 als eingebettete Äußerung, die selbst eine latente P1-P2-P3- Struktur aufweist, auch einen tatsächlichen Personstatus erlangen. Brandts Äußerungsschema weist damit Strukturen auf, die bereits in der bisherigen Analyse intentionaler Verben aufgetaucht sind. Zunächst lässt sich die proto-deiktische Relation P1-P2 als eine spezifische Form der sozialen intentionalen Relation erfassen. Als interlokutive Relation umfasst sie eben jene Dialogstrukturen, die verschiedene sprachliche Handlungen bzw. Sprachhandlungsverben auszeichnen. Interessant ist außerdem Brandts Beschreibung von P3 in eingebetteten Äußerungen. Was bereits bei der sprachlichen Handlung der Berufung als pragmatische Signifikanz herausgestellt wurde (cf. Kapitel 14), erweist sich hier auch als Struktur der sprachlichen Handlung hinsichtlich der Konstitution von DiskursakteurInnen: In der Instanziierung der 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 323 Äußerung bzw. der Sprachhandlung handelt es sich bei P3 zwar um Diskursakteure, doch sind diese nicht sozial-kommunikativ an der sprachlichen Handlung beteiligt. Für diese Differenz wird im Folgenden von Interlokutoren einerseits und Delokutoren andererseits gesprochen. Der Fokus auf die P1-P2-P3-Struktur ergänzt damit die Beschreibungen der kategorialen Analyse des Standardindikativs (Behauptung) anhand des Deutschen für die Behauptung aller möglichen und existierenden Sachverhalte von Harendarski (2012: 227 f., cf. Kapitel 14.2) insofern, als dass interlokutive bzw. soziale Strukturen der Äußerung bzw. der sprachlichen Handlung hier hinzugefügt werden können. Sprachliche Handlungen weisen damit sowohl pragmatische Signifikanzen (und deren inferenzielle Gliederung) als auch interlokutive bzw. soziale Strukturen auf, die es im Rahmen einer linguistischen Pragmatik zu analysieren gilt. Fundamental ist nun, dass sich die Zentriertheit des Verbs, welche sowohl in Harendarskis Beschreibungen angelegt als auch im Rahmen dieser Arbeit ausgearbeitet wurde, auch auf Brandts Modell der Äußerung als Schema anwenden lässt: Anstatt Äußerungen zu analysieren, ist bereits ein Blick auf die Signifikanzstruktur intentionaler Verben hinreichend, um entsprechende interlokutive bzw. soziale Strukturen herauszuarbeiten. Im Folgenden soll dies nicht nur mithilfe der diskursiven Rollen, sondern mit einer Ausarbeitung der von Brandt skizzierten Positionen P1, P2 und P3 geschehen, indem mit Interlokutoren und Delokutoren ein theoretisches Vokabular eingeführt wird, mit dem man spezifische sozial-kommunikative Positionen in diskursiven Praktiken analysieren kann. 15.2 Theoretisches Vokabular der Interlokutor-Delokutor-Relation Per Aage Brandts schematisches Äußerungskonzept stellt zwar ein Fundament von signifikativen Äußerungsstrukturen hinsichtlich diskursiver Rollen bereit, ist aber kein Beitrag zu handlungstheoretischen Aspekten diskursiver Praktiken. Brandt fokussiert vielmehr eine phänomenologische und kognitionslinguistische Perspektive auf Äußerungen. Dass diskursive Praktiken über eine ähnliche Grundstruktur verfügen und damit nicht auf Sprecher-Hörer-Adjazenden reduziert werden können, möchte ich im Folgenden entwickelt. Die Reflexionen satteln dabei weiterhin auf Bradnoms deontischer Kontoführung auf (cf. Kapitel 14.1), entwickeln diskursive Rollen aber aus dem Zeichengebrauch heraus (cf. schon Kapitel 14.2). Über die Begriffe Interlokutor und Deloktor werden kommunikative Funktionen eingeführt, die sich aus der Signifikanz intentionaler Verben ableiten lassen. Diese Begriffe beruhen nicht nur deshalb auf ontologisch schwächeren Annahmen, weil sie aufgrund ihrer sozial-normativen Versticktheit deontologisch sind. Sie setzen für eine Analyse diskursiver Praktiken außerdem keinen kommunikativen Instanzen vor, sondern verstehen diese als Emergenz dieser Praktiken. Die beiden Begriffe werden außerdem aus deren Beziehung zueinander entwickelt, sodass auch hier Peirces relationslogische Prämissen greifen (cf. Kapitel 12.2). Dieser Zugang verknüft also sowohl Brandoms Konzept des Interlokutors, ergänzt um einen Delokutor, mit den semiotischen Grundlagen Peirces (cf. Kapitel 4). Die Einführung des theoretischen Vokabulars der Interlokutor- Delokutor-Relation bereitet daher eine verbpragmatische Reflexion vor: Kommunikative Funktionen sind Effeke der vom intentionalen Verb signifizierten Relation. 324 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Äußerungen können als schematische Strukturen über die Positionen P1, P2 und P3 analysiert werden. Dass sich diese Strukturen auch als Relationen im Rahmen sozialer Handlungen und Verben erfassen lassen, soll die linguistische Verbpragmatik ebenfalls zeigen. Im Folgenden soll theoretisches Vokabular entwickelt werden, welches die Positionen P1, P2 und P3 nicht nur als schematische, sondern auch anhand handlungsstruktureller Funktionen erfasst. Hierfür werden die Begriffe Interlokutor bzw. Lokutor und Allokutor sowie Delokutor eingeführt. Mithilfe der Dialogtheorie Francis Jacques' kann das Vokabular nicht nur spezifiziert, sondern auch in ein Verhältnis gesetzt werden. Dies mündet in einer Anwendung auf die Semiose der Behauptung, welche die Unterschiede zwischen Interlokutoren und Delokutoren herausstellt. Insbesondere das Verhältnis zwischen Interlokutoren und Delokutoren (Interlokutor-Delokutor-Relation) steht dabei im Mittelpunkt. Da es sich bei der Interlokutor-Delokutor-Relation nicht um ein strukturäquivalentes Substitut von Konzepten wie Sprecher oder Hörer handelt, grenze ich diese Begriffe außerdem von verschiedenen Konzepten im Rahmen der Linguistik ab. Um die unterschiedlichen kommunikativen Funktionen zu erläutern, die durch diskursive Rollen markiert werden, sollen im Folgenden also die Begriffe Lokutor, Allokutor und Delokutor etabliert werden. Lokutor und Allokutor leiten sich dabei vom Konzept der Interlokutoren ab. Dieses theoretische Vokabular ermöglicht es, sowohl eine zeichenhafte als auch eine diskursive Konstitution kraft diskursiver Rollen zu betonen. Die Begriffe orientieren sich dabei an der Unterscheidung von Jacques Damourette und Edouard Pichon (1983: 74 f.), welche in der romanistischen Linguistik verbreiteter ist als in der germanistischen (cf. aber z. B. Bellmann 1990: 177, Cartagena/ Gauger 1989: 220, Thun 1986: 83, Volkmann 2005: 264). Die sprachsystematische Dreigliederung Lokutiv, Allokutiv und Delokutiv verweist hier auf die unterschiedlichen Flexionskategorien, schließt aber gleichzeitig die kommunikativen Funktionen der Positionen mit ein, indem die grammatischen Markierungen mit der Beteiligungsrolle in Bezug gesetzt werden: Lokutiv, Allokutiv und Delokutiv sind damit keine strukturalen und grammatikalisch-syntaktischen Kategorien mehr, sondern stellen Grenzgänger zu kommunikativen Funktionen dar. Die Konzepte Lokutor, Allokutor und Delokutor, die sich aus den Beschreibungen Damourettes und Pichons ableiten lassen, umfassen außerdem sozial-kommunikative Beteiligungsrollen, wie sie innerhalb der enunziativen Pragmatik und poststrukturalistischen Diskurstheorie gebraucht werden (cf. Angermüller 2007 a: 145 f., Angermüller 2008). Die Konzepte Lokutor und Allokutor, die Oswald Ducrots Enunziationstheorie (1984) entlehnt sind, markieren dort den Urheber einer Äußerung respektive deren Adressierung. Insofern ähneln sie den Beteiligungsrollen Kirsten Adamziks (2002: 245 f.). Lokutor, Allokutor und Delokutor, wie sie hier als von diskursiven Rollen signifiziert verstanden werden, gehen aber über die direkte Äußerungsbeteiligung hinaus, denn sie involvieren Konzepte wie Verantwortung, Autorität, Handlung und Intentionalität, die innerhalb von diskurslinguistischen Zugängen eher vermieden werden. 1 1 Oswald Ducrot (1984: 193) weist Lokutoren zwar Verantwortlichkeit [responsibilité] zu, erörtert damit aber die enunziative Beziehung zwischen Äußerung und Lokutor (cf. auch Angermüller 2007 b: 63). Verantwortlichkeit in weiterem Sinne umfasst jedoch mehr, als die eigene Äußerung zu autorisieren, und umfasst Handlungsaspekte, die nicht im engeren Sinne linguistisch, pragmatisch bzw. handlungstheoretisch sind. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 325 Im Folgenden soll mithilfe der Entwicklung des theoretischen Vokabulars der Interlokutoren und Delokutoren eine Handlungsstruktur intentionaler Verben weiterentwickelt werden. Dabei beziehe ich mich zunächst auf die Dialogtheorie Francis Jacques', um diese anschließend anhand von einer Analyse zu exemplifizieren. Lokutoren und Allokutoren sind spezifische Handlungspositionen, die im Rahmen diskursiver Praktiken konstituiert werden. Francis Jacques unterscheidet sie von Individuen, welche eher Zuschreibungsobjekte der Handlungsfunktionen darstellen: [L]ocutor and allocutee are agencies brought about by and in discourse, not concrete individuals - even if in the real world they can secondarily be attributed to individuals. In particular, the locutor must not be confused with the speaking subject, from which it is explicitly distinguished, for instance in indirect discourse. Equally, the allocutee must not be confused with the listener, a particular real individual who overhears the discourse or eavesdrops on it when it was not intended for his or her ears. (1991: 122) Insofern können Lokutoren und Allokutoren als diskursive Zeicheneffekte und -produkte verstanden werden. Die bisherigen Analysen diskursiver Praktiken, die sich insbesondere an der deontischen Kontoführung, der Semiose der Behauptung sowie der Signifikanzstruktur intentionaler Verben entfaltet haben, orientierten sich noch an interlokutiven Relationen (also Lokutor und Allokutor), was angesichts der Fokussierung der Ich-Du- Sozialität Brandoms (cf. hierzu Reichold 2016) nicht verwunderlich ist. 2 Diskursive Praktiken entfalten sich jedoch nicht nur entlang ihrer Interlokutoren, sondern sie sind vielfach auch triangulative Praktiken, sodass nicht nur eine interlokutive Reziprozität, sondern die gesamten signifikativen Positionen hinsichtlich ihrer sozial-normativen Struktur untersucht werden sollten. Daher sollten diskursive Autorität, Personenstatus und andere normative Signifikanzen nicht nur für Interlokutoren, sondern auch für Delokutoren analysiert werden. Während sich ersteres bereits aus der pragmatischen Signifikanz intentionaler Verben im Rahmen der deontischen Kontoführung ermitteln ließ, sollen im Folgenden Delokutoren als Zeicheneffekte diskursiver Praktiken im Mittelpunkt stehen. Um ein Analysemodell der Delokutoren zu erstellen, sollten diskursrollenspezifische Signifikanzen ermittelt werden, welche Delokutoren von Interlokutoren einerseits und anderen Triangulationsobjekten andererseits unterscheiden. Eine Analyse von Delokutoren konzentriert sich zunächst auf das Verhältnis von Delokutoren zu Interlokutoren und die damit einhergehende relative Absenz von Delokutoren. Diese, welche sich spezifisch mit zeitlich-räumlicher Absenz, aber diskursiver Präsenz ausdifferenzieren lässt, kann die Funktion von Delokutoren im Rahmen der deontischen Kontoführung, der Semiose der Behauptung sowie der Signifikanzstruktur intentionaler Verben konkretisieren. 2 Ob der Ich-Du-Sozialität nach Brandom ein Vorrang eingeräumt werden muss, ist hingegen diskussionswürdig. Zwar beschäftigt sich Brandom (EV) vorrangig mit der diskursiven Praxis von Interlokutoren (Ich- Du-Sozialität), aber es gibt doch Indizien, die darauf verweisen, dass die Wir-Ich-Sozialität eine ebenbürtige Funktion hat. Nicht nur verweist Brandom gleich zu Beginn der Einleitung von Expressive Vernunft auf die Wichtigkeit des Wir (cf. EV: 35 f.), sondern er spricht an anderer Stelle auch davon, dass “ the arrival of thought [ … ] in individuals always presupposes already up-and-running discursive practices ” (RE: 334) und damit bereits eine kollektive und plurale Praxis (Wir). Brandoms Unterscheidung von Ich-Du- und Wir-Ich- Sozialität ist daher eher methodisch-funktional als ontologisch. 326 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Delokutoren unterscheiden sich phänomenologisch zunächst nicht von anderen Triangulationsobjekten. Hinsichtlich ihrer universalkategorialen Struktur lassen sich Delokutoren zunächst als drittheitliches Relatum erfassen (cf. Kapitel 2.1.1). Dennoch unterscheiden sich Delokutoren hinsichtlich ihrer normativen Signifikanz von anderen Triangulationsobjekten, da sie über sozial-normative Strukturen verfügen, welche anderen Triangulationsobjekten in diskursiven Praktiken nicht gewährt werden: Während sich Triangulationsobjekte z. B. durch empirische Prädikate wie X ROT , X RUND , X SPRINGEND und X GLATTE OBERFLÄCHE (= roter Gummiball) auszeichnen, gelten für Delokutoren genuin diskursive Signifikanzen, die auf sozialen Normen beruhen und sie dadurch als Handlungselement in diskursive Praktiken einbetten. Durch diesen Unterschied wird die zentrale Frage der Konstitution von Delokutoren in den Mittelpunkt gestellt: Wie transformiert sich ein Triangulationsobjekt zu Delokutoren? Das Modell diskursiver Praxis, welches auf deontischer Kontoführung, der Semiose der Behauptung und intentionalen Verben beruht, soll also entsprechend um ein Modell von Delokutoren und deren Signifikanzen ergänzt werden. Mithilfe der Darstellung des delokutiven Registers 3 nach Francis Jacques (1986, 1991) sowie dessen Einbettung in ein Modell diskursiver Praxis möchte ich eine Delokutorenanalyse entwerfen. Die Beschreibung des delokutiven Registers und die damit einhergehende theoretische Entwicklung von Delokutoren sowie die Einbettung in ein Modell diskursiver Praktiken lässt sich in die bisherigen theoretischen Begründungen eingliedern. Denn sowohl Francis Jacques' Theorie des Dialogs als auch Brandoms deontische Kontoführung zeichnen sich durch eine grundlegende Relationalität aus. Insbesondere Francis Jacques betont die Bedingung der Relationalität für die Konstitution von interlokutiven Verhältnissen (cf. hierzu auch Quincey 2000: 150). 4 Francis Jacques unterscheidet in seiner Theorie des Dialogs zwischen einem allokutiven und einem delokutiven Register: Ich und Du stehen gemeinsam dem Er gegenüber wie die Person einer Nicht-Person, wie das Register für Personen dem für Gegenstände, während sie innerhalb des Registers für Personen einander gegenüberstehen als der, der spricht, und der, an den man sich wendet. In dieser Struktur dürfen Disparität und Asymmetrie nicht durcheinandergebracht werden. Zwischen dem delokutiven Register (das wovon man spricht) und dem allokutiven (definiert durch die Wechselbeziehung zwischen dem, der spricht, und dem, mit dem man spricht) besteht eine echte Disparität: Die Form ‘ er ’ steht der Nicht-Person ‘ dies ’ ( ‘ cela ’ ) insofern gegenüber, als sie sich in bezug auf die Korrelation der Subjektivität bestimmt, in der ‘ ich ’ und ‘ du ’ sich spezifizieren. 5 (1986: 35, Hervorh. im Original) 3 Der Ausdruck des delokutiven Register wird an geeigneter Stelle mit Begriff “ Delokutor ” übersetzt, um Missverständnisse hinsichtlich der varietäten- und soziolinguistischen Stilkategorie der funktionsspezifischen Schreib- oder Redeweise zu vermeiden. 4 So schreibt Jacques: “ Wenn wir miteinander verbunden sind, dann deshalb, weil wir bereits in der Wechselrede vereint waren. [ … ] Dieser Vorrang [ … ] unterstreicht aber bereits die Bedeutung der dialogischen Kategorie Subjekt - Adressat. Eine neue Sprachdimension wird sichtbar: Die Bewegung auf den Anderen zu, der nicht mehr nur Nachbar, Vertrauter, Kunde oder auch Mitarbeiter ist, sondern Gesprächspartner. Die Person des Anderen als Adressat: Man kann nicht über ihn sprechen, man kann ihn nur ansprechen. ” (1986: 33, Hervorh. im Original) 5 Die Unterscheidung zwischen Person und Nicht-Person ist ein Hinweis auf die Disparität bei Émile Benveniste: “ Man darf sich die ‘ 3. Person ’ nicht als eine Person vorstellen, die entpersönlicht werden kann. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 327 Die Beschreibung des allokutiven Registers von Francis Jacques lässt sich mithilfe der interlokutiven Relationen erklären, die bereits im Rahmen von sozial-kommunikativen Handlungsverben expliziert wurden. Bemerkenswert ist des Weiteren insbesondere die Deskription der Disparität zwischen interlokutiver Relation bzw. Interlokutoren und Delokutoren. Die Konstitution der Interlokutoren sowie deren diskursive Autoritäten entwickeln sich mehr oder minder aus deren Relation zueinander (cf. hierzu auch Arundale 2020). Die interlokutive Relation ist auf diese Weise hinreichend für die Konstitution von Interlokutoren. Delokutoren hingegen stehen sowohl in einer universalkategorialen Abhängigkeit als auch in einer sozial-normativen Dependenz zur interlokutiven Relation. Delokutoren sind also nicht aus sich selbst heraus konstituierbar, sondern erfordern Interlokutoren (als Effekt einer interlokutiven Relation). Francis Jacques definiert das delokutive Register hier noch als Objektergänzung, welches “ die Gegenstände ihres Diskurses bezeichnet ” (Jacques 1986: 105). Insofern gehören alle Triangulationsobjekte auch zum delokutiven Register. In der Einleitung von Difference and Subjectivity (1991) hingegen wendet sich Jacques den spezifischen Besonderheiten zu, die Delokutoren von anderen Triangulationsobjekten unterscheiden: Delocutive discourse about a third person is no less valid for attributing personal predicates to that person, however we choose to define properly personal predicates (as the reader will see, my definition is not the same as Strawson's) [ … ]. What is new here is the idea that there can be no personal identity without a certain relationship to an absent or distant third party. [ … ] This meant taking account of the third person and integrating it into the identificational process, as a third, but a person nevertheless. [ … ] The third person is relative to the first two in the circuit of their conversation, in relation to which it is precisely a third entity. (Jacques 1991: xv) Francis Jacques erfasst hier nicht nur das triangulative Verhältnis in diskursiven Praktiken, sondern auch die Besonderheit von Delokutoren: Während andere Triangulationsobjekte von der diskursiven Praxis bezüglich ihrer personalen und identitätsstiftenden Möglichkeiten unberührt bleiben, stehen Interlokutoren und Delokutoren in einer reziproken personalitäts- und identitätsstiftenden Relation. Die zuvor hervorgehobene Disparität von Interlokutoren und Delokutoren bleibt von dieser reziproken personalitäts- und identitätsstiftenden Relation weitgehend unbeeinflusst. Dennoch haben Delokutoren einen Platz entlang der interlokutiven Relation ( “ circuit of their conversation ” ). Kurz: Delokutoren sind diskursiv beteiligt, zeitlich-räumlich aber abwesend. Auf diese Weise lässt sich auch Francis Jacques' Explikation der Darstellungskategorien von Delokutoren erklären: In my definition, the third is a relatively absent person. This he/ she is not a person outside all possible communication, for that would mean being nobody. He or she is first and foremost a specific other, a third person who is still to some extent priviledged by the fact that one of the other two has already spoken, or will one day speak, to him or her, or might at least have done so in the past. He/ She does not stand outside the interlocutive process, but is simply not present at the moment when it is happening. [ … ] He/ She is not the you of this you who is my partner, another person's other, but instead is a person in his or her own right, because even if he or she is not a Es gibt keinen Wegfall der Person, sondern vielmehr eine Nicht-Person, die als Merkmal das Fehlen dessen besitzt, was spezifisch das ‘ ich ’ und das ‘ du ’ kennzeichnet. Weil sie keine Person impliziert, kann sie jedes beliebige Subjekt annehmen oder keines enthalten, wird niemand als ‘ Person ’ aufgestellt. ” (Benveniste 1974: 257 f.) 328 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms participant in the presently lived relation, he or she still retains a relationship both with a communicational past and with that invocation by others which gives him or her a future. (Jacques 1991: xvi, Hervorh. im Original) Delokutoren sind im Moment abwesende Personen [relatively absent persons], welche sich hinsichtlich ihrer semiotischen Präsenz (in Form sprachlicher Zeichen) auszeichnen. Die relative Absenz von Delokutoren konstituiert sich kraft der zeitlich-räumlichen Perspektivität der Interlokutoren. Sie sind sowohl über die diskurssemiotische Präsenz als auch durch eine zeitlich-räumliche Abwesenheit mit Delokutoren verbunden. Delokutoren sind dann diejenigen, die über die Möglichkeit verfügen, entsprechende diskursive Handlungen, auch sprachliche, auszuführen, aber es durch eine zeitlich-räumliche Absenz nicht tun (können). Im Ereignis der interlokutiven Relation, welche zeitlich-räumlich etabliert ist, findet damit auch eine sozial-normative Relation zwischen Interlokutoren und Delokutoren statt, weil Delokutoren bereits diskursive Handlungen ausgeführt haben (könnten) (präterital) oder hinsichtlich dieser befugt werden (konsekutiv). Die Setzung von Delokutoren (kraft sprachlicher Zeichen, hier intentionaler Verben) impliziert damit eine Akzeptanz von Delokutoren als mögliche Interlokutoren, zumindest dann, wenn die Setzung durch sozial-kommunikative Handlungsverben bzw. Sprechaktverben stattfindet. Die Setzung von Delokutoren in diskursiven Praktiken stellt eher die Regel als die Ausnahme dar. Dies liegt nicht nur daran, dass Delokutoren ebenso wie andere Triangulationsobjekte Thema in diskursiven Praktiken sein können, sondern insbesondere, weil dadurch ein flexibler Anschluss an andere Konstellationen von Praktiken geschaffen wird: In short, I am thoroughly delocuted by everyone, in according with the inherent relationship structures of my culture and the particular idioms by which they are actualized in my family, which are simply different ways for the group to understand that it exists within a social space. (Jacques 1991: 45, Hervorh. im Original) Die relative Reziprozität von Interlokutoren und Delokutoren findet hier ihre theoretische Reproduktion. Im Rahmen diskursiver Praxis konstituieren Interlokutoren Delokutoren wesentlich mit, indem sie kraft sprachlicher Zeichen personalitäts- und identitätsstiftende Relationen hervorbringen bzw. aufrufen. Andererseits stellen Interlokutoren selbst mögliche Objekte anderer diskursiver Praktiken dar, wo sie als Delokutoren auftreten können (z. B. bei Berufungen). Mit Progression und Reproduktion des Verhältnisses von Interlokutoren und Delokutoren projiziert Jacques also die sozial-kommunikative Dreigliedrigkeit, die sich bereits im triangulativen Potenzial intentionaler Verben abgezeichnet hat, auf komplexe Kommunikationsprozesse, sodass die Konzeption von Kommunikation als SprecherIn-HörerIn-Adjazenz, also die vermeintlich unmittelbare Relation zwischen beiden Funktionen, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Vielmehr zeigen Progression und Reproduktion die Vielschichtigkeit von Kommunikations- und Vergesellschaftungsprozessen an. Delokutoren kommt dabei eine konstitutive Funktion zu, da deren Existenz im Rahmen diskursiver Praktiken eine kommunikative und gesellschaftliche Differenzierung ermöglicht (cf. dazu Jacques 1992). Delokutoren hinsichtlich ihrer Absenz im Rahmen der interlokutiven Relation zu analysieren, bereitet die Deskription ihrer normativen Signifikanz in diskursiven Praktiken vor. Während Interlokutoren in der diskursiven Praxis bereits verortet wurden und sich kraft der deontischen Kontoführung um die Semiose der Behauptung positionieren, indem 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 329 sie in einer reziproken Festlegungs- und Berechtigungsstruktur stehen, bleibt die Position von Delokutoren in der Semiose der Behauptung bisher offen. Wenn sich das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutoren auch in diskursiven Praktiken konstituiert, dann lässt es sich auch mithilfe der Semiose der Behauptung modellieren. Tatsächlich hilft die Differenz von diskursiver Präsenz und zeitlich-räumlicher Absenz, um das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutoren zu spezifizieren und auch auf Äußerungspraktiken anzuwenden. Rückt die Behauptung in den Mittelpunkt der diskursiven Praxis, dann gilt das Verhältnis von Interlokutoren und Delokutor als ein antonymisches Verhältnis: Während des semiosischen Behauptungsereignisses zeichnen sich Delokutoren durch diskursive Präsenz, aber zeitlich-räumliche Absenz aus, während Interlokutoren zeitlich-räumlich präsent, aber diskursiv abwesend sind. Diese Antonymie ist zunächst kontraintuitiv und scheint den Prinzipien der deontischen Kontoführung zu widersprechen. Allerdings erweist sie sich bei genauerer Betrachtung nicht nur als funktionale Beschreibung zur Analyse von Delokutoren, sondern auch als konstitutiver Faktor, welcher eine pragmatische Unterscheidung von Diskursakteuren ermöglicht und zugleich deren potenzielle Positionswechsel in einem Kontinuum erfasst. Auch hier hilft Francis Jacques' Darstellung vom delokutiven Register bzw. von Delokutoren: Delokutoren nehmen an diskursiven Praktiken nicht teil, weil deren zeitlich-räumliche Präsenz verschoben ist. Ihre diskursive Anwesenheit lässt sich kraft Zeichenpraktiken ermitteln, da die Möglichkeit der Triangulation eine Signifikanzstruktur erfordert, um triangulative Signifikanz zu erzeugen. Während sich konstitutive Eigenschaften von Delokutoren aus der Beschreibung Francis Jacques' ergeben, ist das antonymische Verhältnis der konstitutiven Eigenschaften von Interlokutoren im semiosischen Behauptungsereignis erklärungsbedürftig: Die zeitlichräumliche Präsenz von Lokutoren lässt sich mithilfe von Origorelationen erklären. Da Behauptungen aber erst über das Ereignis der Folgesprachhandlung (explizit) oder der Interpretation (implizit) von Allokutoren ihre pragmatische Signifikanz erlangen, gilt die zeitlich-räumliche Präsenz der Allokutoren während des Behauptungsereignisses ebenfalls. Interlokutoren ereignen sich in der zeitlich-räumlichen Struktur der sprachlichen Handlung zueinander. Die diskursive Eigenart der Behauptungsstruktur ist es, dass sie eine drittpositionelle Signifikanz eröffnet (triangulatives Potenzial), welche im Rahmen der kategorialen Behauptungsanalyse eine indexikalische Objektrelation erfordert (cf. Kapitel 14.2). Hier zeigt sich nicht nur der Unterschied zwischen Behauptungen und anderen sprachlichen Handlungen, sondern auch zwischen Behauptungsereignis und Behauptungsinterpretation. Andere Sprachhandlungen ermöglichen selbstverständlich andere Positionierungen von Diskursakteuren, z. B. Selbstbekundungen oder andere expressive Sprachhandlungen. Behauptungen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie in einer diskursiven Distanz zu ihren Interlokutoren stehen. Daher lassen sich Interlokutoren auch nicht in Behauptungsstrukturen positionieren, sondern positionieren sich stets zu ihr mithilfe deontischer Kontoführung. Die Ereignishaftigkeit der Behauptung, welche bereits für ihre kategoriale Analyse erfasst wurde, ist auch für die diskursive Abwesenheit der Interlokutoren beachtenswert: Sequenziell nach dem Behauptungsereignis kann eine sprachliche Handlung die Relation zwischen Delokutoren und Interlokutoren herstellen (konsekutiv), aber diese Behauptungsinterpretation mit ihren eigenen inferenziellen Relationen hat mit 330 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms dem unmittelbaren Behauptungsereignis zunächst nichts zu tun. Das Behauptungsereignis selbst besitzt keine inferenziellen Relationen hinsichtlich des Verhältnisses und der Transformation von Delokutoren zu Interlokutoren (und vice versa), sondern kann allein instanziieren und positionieren. Das Behauptungsereignis strukturiert dabei allein virtuell die Folgeinferenzen, erfordert aber wiederum andere sprachliche Handlungen und/ oder Behauptungsinterpretationen, welche Folgeinferenzen instanziieren bzw. explizieren. Eine Analyse eines Behauptungsereignisses kann die Diskrepanz zwischen einer sprachlichen Markierung und der signifikativen Setzung bzw. Positionierung von Delokutoren exemplifizieren: (1) I 1 : “ Ich bin müde. ” Diese Äußerung ist hinsichtlich ihrer Sprachhandlungsklasse und damit auch der Setzung bzw. Positionierung von Delokutoren ambig. Sie kann einerseits als Behauptung interpretiert werden - z. B. im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung - und damit Geltungsansprüche formulieren. Andererseits kann es eine expressive Sprachhandlung sein, welche aber dann keinen interlokutiven Geltungsanspruch markiert, sondern lediglich eine private Empfindung. Während die Äußerung bei beiden Interpretationen dieselbe bleibt (erstpersonal), unterscheidet sie sich bezüglich des Setzungsbzw. Positionierungspotenzials und damit auch der Signifikanz. Während eine private Empfindungsmitteilung tatsächlich auf die Position von Lokutoren verweist und diese damit hervorhebt, gilt dies nicht für eine Behauptung. Vielmehr setzen sich Lokutoren damit selbst als Triangulationsobjekt, welches drittpositionell ist ( “ Jemand, der ich bin, ist müde. ” ). Somit erklärt sich auch die diskursive Absenz der Interlokutoren im Behauptungsereignis. Weil es drittpositionelle Strukturen eröffnet, kann die diskursive Position des Behauptungsereignisses nicht von Interlokutoren besetzt werden. Die Interpretation der diskursiven Position als interlokutive Position führt zwangsläufig zur Interpretation der Äußerung als nicht-assertive sprachliche Handlung. Anhand der Semiose der Behauptung lässt sich somit die Position von Delokutoren bestimmen. Behauptungen konstituieren eine dritte bzw. delokutive Position, sodass Delokutoren in der Behauptung und damit diskursiv präsent sein können. Allerdings muss nicht jede dritte Position auch zwangsläufig Delokutoren erfordern. Eben jener Unterschied zwischen Delokutoren und anderen Triangulationsobjekten erfordert eine Spezifikation im Rahmen einer linguistischen Pragmatik. Francis Jacques wendet sich für diese Spezifikation eben jenen sprachlichen Zeichen zu, die im Rahmen dieser Arbeit als konstitutiv herausgearbeitet wurden: The personal pronoun ‘ he/ she ’ in the delocutive register and its grammatical flexions ( ‘ him/ her, ’ ‘ to him/ her ’ ) allow the attribution of certain predicates: in that case, the third person is delocuted as well, taking the objective position of active or passive participant in the action expressed by the verb in the statement. (Jacques 1991: 37) Anstatt von einer Anwendbarkeit von spezifischen (semantischen) Prädikaten auszugehen, hebt er die expressive Kraft von Verben hervor. Somit stehen weder logische Prädikate noch Personalpronomen im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses Jacques', sondern eine normative Signifikanz von Verben und deren diskursiven Positionierungspotenzialen. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 331 Zur Expressivität des Verbs hinsichtlich Delokutoren, so Francis Jacques, gesellt sich auch die relative Abhängigkeit der Delokutoren von Interlokutoren, welche sich auch entlang einer temporalen Kommunikationsachse entfaltet: In the case of the third person, the form ‘ he/ she/ it ’ calls down an indication onto someone or something. But he/ she and him/ her nevertheless refer to a person, the so-called third person. This is not because he/ she is you to the you who is the partner, the other's other. But because to make a third, it takes two others in a present relation, two others in relation to whom he/ she is a third. But he/ she remains a person because, while he or she ist not a participant in the presently lived relation, he or she continues to maintain a double link with a communicational past and with an address from someone else which gives him or her a future. (Jacques 1991: 37. Hervorh. im Original) Hinsichtlich der hierarchischen Staffelung salienter Elemente lässt sich das Verhältnis von Expressivität des Verbs und Relation von Delokutor und Interlokutor folgendermaßen zusammenfassen und auf das Konzept der Personalität übertragen: Man kann jemanden nur als Person benennen, wenn man zunächst seinen Diskurs als ein Ereignis in die Welt eingliedert und dann in der Nachricht selbst die Positionen des Sprechers und Angesprochenen bestimmt. (Jacques 1986: 119, Hervorh. im Original) Die Signifikation von etwas als Person (kraft des Verbs) etabliert diese in einem diskursiven Kontinuum. Aus der Delokutor-Interlokutor-Relation lässt sich außerdem ein Begriff der Personalität gewinnen, welcher im Rahmen einer linguistischen Pragmatik bzw. linguistischen Verbpragmatik nutzbar sein kann: [T]he very possibility of personhood implies that an individual can take his or her place within a communicational universe, with the opportunity of exercising his or her pragmatic competence. This is the condition sine qua non of his or her recognition there as a particular person. The individual then establishes him or herself in a network of interpersonal, and not just interindividual, relationships. (Jacques 1991: 242) Anstatt Personalität anhand diskurspezifischer Eigenschaften zu definieren, entwickelt sich die conditio sine qua non der Personalität entlang der sozial-kommunikativen Praxis und der pragmatischen Fähigkeiten von Delokutoren und Interlokutoren. Personalität, zumindest im Rahmen einer linguistischen Pragmatik, kann als normative Signifikanz verstanden werden, welche stets in Abhängigkeit von einem Netzwerk an interlokutiven Relationen steht. Nichts Anderes stellt letztlich das Konzept der diskursiven Intentionalität dar (cf. Kapitel 8.1). Mithilfe dieses Begriffs der Personalität und der Konstitution kraft der Semiose der Behauptung lässt sich das theoretische Vokabular der Interlokutor-Delokutor-Relation auch von anderen Begriffen in der Linguistik abgrenzen. Denn traditionell haben sich in der linguistischen Pragmatik theoretische Begriffe durchgesetzt, die das, was ich Interlokutoren und Delokutoren nenne, zu erfassen suchen: Sprecher und Hörer bzw. Adressat (ausführlich cf. z. B. Adamzik 2002). Vielfach wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Personen, die diese kommunikativen Funktionen übernehmen, auch über eine vorausgesetzte epistemische, diskursive und sozial-kommunikative Autorität verfügen (cf. exemplarisch Grice 1989, Searle 1971). Inwiefern diese Autoritäten aber selbst Effekte und Produkte diskursiver Praktiken sein können, wird dabei nicht immer hinreichend berücksichtigt. Zudem bleibt auch eine Sprecher-Hörer-Adjazenz selbst häufig unreflek- 332 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms tiert, was zu einer theoretischen Isolation der Sprecherbzw. Hörer-Position führen kann. Wenn man aber Interlokutoren und Delokutoren als Effekte der im Rahmen diskursiver Praxis involvierten diskursiven Rollen versteht, ist ihre reziproke Relationalität eine notwendige Bedingung ihrer Existenz, was eine Isolation der entsprechenden Positionen theoretisch ausschließt. Auch Delokutoren unterscheiden sich von begriffsähnlichem Vokabular: Referenzobjekt fokussiert die dingliche Seite, aber nicht die Möglichkeit, über Personalität zu verfügen; Bezeichnete, Besprochene, Beschriebene erfassen einen semiotischen, medial mündlichen bzw. medial schriftlichen Prozess, aber nicht die sozial-normativen Implikationen; die Konstruktion Reden über ist als idiomatische Prägung zwar relativ neutral, aber nicht nur metaphorisch, sondern sagt letztlich nichts über das dahinterliegende Konzept aus. Delokutoren hingegen sollten als diskursive Effekte von Praktiken erfasst werden, die sich wesentlich von Referenz- oder Triangulationsobjekten unterscheiden: weil sie als über Gründe verfügend signifiziert werden und damit diskursiv auch die Position von Interlokutoren übernehmen können. Außerdem unterscheiden sich Lokutor, Allokutor und Delokutor von Diskursrollen, welche “ eine durch ein sprachliches Etikett ausgedrückte Selbstund/ oder Fremdzuschreibung von Sprecherinnen und Sprechern innerhalb eines Diskurses [ist], die dadurch einer Akteursgruppe zuzuordnen sind, welche relativ zum Diskurs stabil ist ” (Müller 2015: 37). Während Diskursrollen die soziokommunikative Gruppenund/ oder Institutionszugehörigkeit beschreiben, erfassen Lokutor, Allokutor und Delokutor sozial-normative Befähigungen, die zwar einzeldiskursiv erlebt und konstituiert werden, aber teilweise eine universaldiskursive Gültigkeit beanspruchen. Denn unabhängig davon, in welchen spezifischen diskursiven Praktiken identifikatorische Selbst- und Fremdzuschreibungen stattfinden, setzen diese die Möglichkeit der sozial-kommunikativen Beteiligung theoretisch voraus. Weil bei der Verwendung des traditionellen theoretischen Vokabulars die oben genannten Schwierigkeiten entstehen können, wurde hier von dieser Terminologie Abstand genommen, um sich über ein alternatives Vokabular dem Phänomen nähern zu können. Denn schließlich ist das Spektrum der personalen Bezeichnungsformen mit den traditionellen Begrifflichkeiten nicht erschöpft (für einen Überblick cf. schon Tesnière 1980: 107 - 111, insb. 110). Zusammenfassend zeigt diese theoretische Verortung der Konzepte Interlokutor und Delokutor und die Abgrenzung von anderen theoretischen Begriffen, dass sie für ein Modell diskursiver Praktiken nicht nur anschlussfähig sind, sondern dieses erweitern. Anschließend an Francis Jacques' Theorie des Dialogs, welche die Interdependenz von Interlokutoren und Delokutoren aufzeigt, können diese Konzepte nicht nur auf eine Semiose der Behauptung, sondern auch auf Verben angewandt werden. Diese Verben konstituieren dann auch interlokutive und delokutive Relationen und Relata. Diskursakteure werden damit konsequent aus der Perspektive des Verbs bzw. deren signifikativer Struktur analysiert. Sie lassen sich als Spuren in Handlungsdeskriptionen nachweisen. Damit stehen mit Interlokutor und Delokutor analytische Begriffe bereits, um die explizite und implizite Verstrickung von Personen in diskursiven Praktiken zu demonstrieren. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 333 15.3 Universalkategoriale Strukturen der Interlokutor-Delokutor-Relation Bevor die sozialen, interlokutiven und delokutiven Relationen und Relata anhand intentionaler Verben im Rahmen der linguistischen Verbpragmatik erforscht werden können, soll ein argumentativer Schritt vollzogen werden, der von der Involviertheit von Delokutoren und Interlokutoren in diskursive Praktiken zu einer sozialkategorialen Grundstruktur führt. Denn Interlokutoren und Delokutoren als Strukturelemente von Verben zu betrachten, ist insofern irreführend, als dass es sich dabei traditionell um Personen oder Akteure und nicht um verbstrukturelle Merkmale handelt. Dass Interlokutoren und Delokutoren dennoch als von Verben signifizierte Elemente diskursiver Praktiken analysiert werden können, zeigt sich über die Darstellung der universalkategorialen Grundstruktur, auf der die verschiedenen Strukturpositionen von Interlokutoren und Delokutoren beruhen. Daher werde ich im Folgenden eben jene Grundstruktur in der Analyse diskursiver Praktiken veranschaulichen. Dazu möchte ich mit einem Vergleich des Konzepts der gemeinsamen Aufmerksamkeit und der Triangulation strukturelle Ähnlichkeiten herausarbeiten, die sich in einem weiteren Schritt (und einer Orientierung an der semiotischen Anthropologie) als kategorial motiviert begreifen lassen. Anschließend lässt sich eine universalkategoriale und soziale Grundstruktur erfassen, die sich auch in Strukturen (vieler) intentionaler Verben wiederfindet. Die kategoriale Analyse, die in diesem Kapitel vollzogen wird, basiert auf der universalen Kategorienlehre Peirces (cf. Kapitel 2.1.1). Ich folge dabei der These, dass sich sowohl das Konzept der gemeinsamen Aufmerksamkeit als auch Triangulation als semiotische Universalien verstehen lassen, die mithilfe der Kategorienlehre Peirce rekonstruieren werden können. Über dieses Argument erhält nicht nur die Signifikanz diskursiver Rollen eine universalkategoriales Grundgerüst (cf. Kapitel 12.4 und 15.2). Auch Brandoms Modell der deontischen Kontoführung wird damit als semiotisch fundiert verstanden (cf. Kapitel 14.1). In der Sozialpsychologie ist gemeinsame Aufmerksamkeit [joint attention] ein etabliertes Konzept. 6 Zur Einführung: Säuglinge im Alter von neun bis zwölf Monaten beginnen, sich nicht nur mithilfe indexikalischer und deiktischer Gesten auf Objekte zu beziehen, sondern entwickeln Verhaltensweisen, die andere Individuen - z. B. Mutter oder Vater - in den Aufmerksamkeitsbereich sowie den Erkenntnisprozess einbeziehen. Sie koordinieren ihr Verhalten mithilfe des anderen Individuums, sodass die Interaktion “ in einem referenziellen Dreieck von Kind, Erwachsenem und Gegenstand oder Ereignis ” (Tomasello 2002: 78) stattfindet. Während die bisherige Interaktion mit der Welt in einem Wechselverhältnis zwischen Kind und Objekt bestanden hat, wird hier erstmals die Aufmerksamkeit mit anderen Individuen koordiniert. Dieser ontogenetische Entwicklungsschritt bildet eine Vorstufe zur Fähigkeit der Theory of Mind (ToM), welche sich in den Folgemonaten und -jahren ausbildet. Deshalb definiert Michael Tomasello die gemeinsame Aufmerksamkeit als “ emerging understanding of other persons as intentional agents ” (Tomasello 2014: 103). Tatsächlich beinhaltet gemeinsame Aufmerksamkeit nicht nur die Grundlagen einer ToM. Vielmehr entwickelt sich aus den präsozialen Gesten des Kindes im Rahmen der gemein- 6 Einen Überblick bieten hier z. B. Eilan/ Hoerl/ McCormack/ Roessel (2005), Metcalfe/ Terrace (2013), Moore/ Dunham (2014) und Seemann (2011). 334 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms samen Aufmerksamkeit eine Form von sozialen Indices (cf. West 2014: 36 f.), welche die soziale Bezüglichkeit zwischen den Individuen herstellen. Gemeinsame Aufmerksamkeit findet immer vermittelt statt. Sie erfordert also Zeichen, um zu gelingen und den Aufmerksamkeitsbereich zu koordinieren. Zur Koordination bedarf es indexikalischer oder deiktischer Zeichen, die je nach ontogenetischer Entwicklungsphase des Kindes prototypische, präsoziale, soziale und/ oder sprachliche Formen annehmen (cf. hierzu West 2012, insb. 320): Zunächst steht das Kind in einer präsozialen indexikalischen Relation zu den Objekten seiner Umwelt, indem es diese mit seinen Blicken erfasst. Erst im Laufe der Kindesentwicklung lernt es den Blicken und Gesten anderer Individuen zu folgen und auf die entsprechenden Objekte zu richten (soziale unidirektionale Indexikalität) und anschließend im Rahmen der gemeinsamen Aufmerksamkeit die soziale Relation zu anderen Individuen mithilfe indexikalischer Gesten und Blicke zu koordinieren. In einem letzten Schritt können dann indexikalisch-symbolische Hybridzeichen (deiktische und sprachliche Zeichen) genutzt werden, um koordinierte Aufmerksamkeitsbereiche zu konstituieren. Erst ab der Ebene der gemeinsamen Aufmerksamkeit lässt sich tatsächlich von einer sozialen und indexikalischen Koordination zwischen den unterschiedlichen Individuen und Objekten sprechen. Das Konzept der gemeinsamen Aufmerksamkeit sowie deren Vorläufer- und Nachfolgerentwicklungsstufen zeigen einerseits, dass Kleinkinder im Rahmen ihrer Entwicklung die Koordination mit verschiedenen Personenbzw. Objektpositionen erlernen und diese in soziale Relationen einbinden. Gleichzeitig zeigt sich, dass sprachliche Fähigkeiten zunächst nicht notwendig sind, um gemeinsame Aufmerksamkeit zu koordinieren, was eher für eine universalsemiotische als für eine universalsprachliche Strukturierung von gemeinsamer Aufmerksamkeit spricht. Dennoch erwerben Kleinkinder mit sprachlichen Zeichen ein ausdifferenziertes Verweissystem, welches Koordination der gemeinsamen Aufmerksamkeit einerseits vereinfacht und andererseits komplexere Koordinationsprozesse ermöglicht. Auch die Sprachphilosophie Donald Davidsons verfügt über ein Konzept, welches die Individuum-Welt-Interaktion und soziale Beziehungen erfasst und sie als eine Bedingung von Objektivität markiert: Die Grundsituation ist eine, an der mindestens zwei gleichzeitig miteinander und mit ihrer gemeinsamen Welt interagierende Lebewesen beteiligt sind. Ich nenne das Triangulation. Sie ist das Resultat einer dreifachen Interaktion - einer Interaktion, die vom Standpunkt jedes der beiden Akteure zwei Seiten hat: Jeder der beiden interagiert gleichzeitig mit der Welt und dem jeweiligen anderen Akteur. (Davidson 2004: 220, Hervorh. im Original) Tatsächlich ähneln sich das Konzept der Triangulation und der gemeinsamen Aufmerksamkeit theoretisch (cf. Eilan 2005: 7 f.), fokussieren aber unterschiedliche Aspekte von interaktionalen, sozialen und diskursiven Praktiken: Triangulation ist nicht nur eine Bedingung einer ToM, sondern der sozial-normativen Denkfähigkeit im Allgemeinen (cf. Davidson 2004: 220). Während andere Lebewesen zwar die Fähigkeit der (wechselseitigen) Aufmerksamkeit besitzen, ist eben die gemeinsame Bezugnahme, die gleichzeitig zwischen Objekten und sozialen Wesen stattfindet, eine Bedingung eines propositionalen Denkens, welches über sozial-normativ gegliederte und inferenzielle Begriffe und Konzepte verfügt. Erst in der Triangulation wird diese sozial-normative Denkfähigkeit hergestellt. Das Konzept der Triangulation sattelt sich damit theoretisch auf das Konzept der gemeinsamen 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 335 Aufmerksamkeit auf, indem es nicht nur von einer gemeinsamen Aufmerksamkeit der Individuen, sondern von deren sozial-normativer Verstrickung innerhalb von Interaktionsprozessen ausgeht. Erst die sozial-normative und triangulierte Ausgestaltung der Lebenswelt als Zeichenwelt, die über indexikalische und deiktische Zeichen hinausgehen, ermöglicht eine Teilhabe als diskursives Wesen. Dass sowohl die Konzepte der gemeinsamen Aufmerksamkeit als auch der Triangulation auf universalbzw. sozialkategorialen Strukturen beruhen, kann mithilfe eines Arguments der semiotischen Anthropologie bekräftigt werden. Diese semiotische Anthropologie beruht auf den universalen Kategorien Charles S. Peirces und ist daher mit den hier eingeführten zeichentheoretischen Grundlagen vereinbar. Im Frühwerk Charles S. Peirces finden sich bereits Hinweise, dass sich die Grundpositionen, die vom Konzept der gemeinsamen Aufmerksamkeit und Triangulation beschrieben werden, mithilfe der universalen Kategorienlehre erklären lassen: Erstheit, Zweitheit und Drittheit nennt Peirce um 1859 noch I, IT und THOU (cf. Fisch 1982: xxviiff., W1: 46) und bezeichnet diese damit mithilfe von Personalpronomina, die aber nicht nur eine substitutive, sondern auch eine soziale Funktion implizieren (cf. hierzu z. B. Bakker 2011, Wiley 1994: 18 f.). Die universalen Kategorien situieren die jeweiligen sozialen Relationen in einer phänomenalen Grundstruktur. Zeichengebrauch positioniert entsprechende Objekte entlang von phänomenalen Achsen, die sich als semiotische Grundpositionen entwickeln lassen. Außerdem gilt: Wenn die universalen Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit eine theoretische Entwicklung von I, IT und THOU sind, dann können die Aspekte der Kategorialität und der Relationalität, die für universale Kategorien gelten, auch für I, IT und THOU angenommen werden (cf. Kapitel 2.1.1). Die von I, IT und THOU markierten Grundpositionen unterscheiden sich demnach phänomenal, stehen aber dennoch in Relation zueinander. Die universalsemiotischen und sozialen Grundpositionen und Relationen von I, IT und THOU macht sich die semiotische Anthropologie zu eigen, um ihre anthropologische Konstanz zu belegen und die fehlenden Ausführungen Peirces zu I, IT und THOU nachzuholen. Sie verbinden die universalen Kategorien mit sozialen Funktionen, sodass diese einen “ all-embracing ahistorical context in which every other species of discourse could be assigned its proper place or rank ” (Rorty 1982: 161, cf. auch Leaf 1989: 172) darstellen. I, IT und THOU stellen somit einen diskursiven Kontakt zwischen den ahistorischen, universalanthropologischen und phänomenologischen Kategorien und den historischen, semiotischen und auch diskursiven Praktiken her. Insbesondere in der Verbindung mit einer semiotischen Analyse von sozial-kommunikativen Prozessen stellen I, IT und THOU ein phänomenales Bezugssystem dar. So fasst Murray J. Leaf zusammen: Thus semiotic analysis is at one and the same time an analysis of communication, culture and social structure; the I-thou-it paradigm is the basic framework of communication, the conceptual basis of cultural traditions, and the building block of social structure. It is not just a logical analysis or elaboration of a general view of what the presumptions of communication must be. (1989: 175) Das I-THOU-IT-Paradigma, welches Leaf auch “ self-other-it-relation ” (1989: 187) nennt, ist ein Fundament von sozial-kommunikativen und diskursiven Prozessen und figuriert die Grundpositionen und -relationen präsemiotisch. Obwohl sich das I-THOU-IT-Paradigma 336 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms präsemiotisch figuriert, konstituieren sich die jeweiligen Grundpositionen im Rahmen diskursiver Praktiken stets neu. Die jeweiligen Grundpositionen und -relationen lassen sich allerdings nicht nur über indexikalische und deiktische Zeichen erschließen, wie es noch das Konzept der gemeinsamen Aufmerksamkeit nahelegt. Vielmehr impliziert jeder referenzielle Zeichenprozess einen Bezug zum I-THOU-IT-Paradigma, sodass auch andere Zeichen im Rahmen sozialkommunikativer Prozesse auf die entsprechenden Grundpositionen und -relationen verweisen. Damit wird das I-THOU-IT-Paradigma als anthropologische Konstante und semiotische Universalie behandelt. Die epistemische Kluft zwischen universalen Kategorien und sozialen bzw. diskursiven Funktionen erklärt auch, warum die entsprechenden universalen Kategorien, die das I- THOU-IT-Paradigma spezifizieren, sich nicht verändern, während die jeweiligen Diskursakteure, unterschiedliche Grundpositionen im I-THOU-IT-Paradigma einnehmen können. Da die entsprechenden sozialen bzw. diskursiven Funktionen sich während diskursiver Praktiken stets kon- und refigurieren und dadurch stets neu konstituieren (cf. hierzu Singer 1984: 74 f.), lassen sich z. B. die Interlokutoren und Delokutoren als zeichenprozessuale Momente begreifen und nicht als zeitlich-räumliche und historische Konstanten. Mithilfe des I-THOU-IT-Paradigmas der semiotischen Anthropologie, welches die Grundlage von gemeinsamer Aufmerksamkeit und Triangulation bildet, lässt sich nun eine Darstellung der verschiedenen theoretischen Elemente entwickeln, welches die universalen Kategorien mit sozialen und diskursiven Funktionen verbindet. Das Modell, welches die Anwendung des I-THOU-IT-Paradigma auf intentionale Verben vorbereitet, umfasst damit sowohl eine soziale bzw. sozial-kognitive (im Sinne von Interlokutoren und Delokutoren, der Theorie gemeinsamer Aufmerksamkeit und Triangulation) als auch eine phänomenal-anthropologische Dimension (im Sinne der semiotischen Anthropologie). Im Rahmen der Relationalität von Zeichenprozessen können Grundpositionen und -relationen Abb. 17: Grundpositionen und -relationen 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 337 zudem in ein Verhältnis gesetzt werden, was die Grundpositionen als relationale Produkte oder Effekte (Relata) der kategorialen Relationen markiert. Diese Darstellung der Grundpositionen und -relationen markiert unterschiedliche Funktionen innerhalb der Konstitution von sozialen Relationen, ohne zunächst vom expliziten Gebrauch spezifischer grammatischer Strukturen (im Sinne von z. B. Pronomina) auszugehen. Somit stellt es eine Deskription der unterschiedlichen Zeicheneffekte und -produkte bereit, welche bei der kategorialen Konstitution von diskursiven Rollen beteiligt sind. Diagrammatisch verwendet das Modell zwei wesentliche Konstituenten: sozialkategoriale Relationen und ihre sozialen Relata. Die sozialkategorialen Relationen sind mithilfe der kategorialen Universalien Charles S. Peirces bezeichnet und verweisen somit auf die phänomenologische Grundstruktur der im Modell dargestellten Relationen. Die sozialen Relata sind Effekte und Produkte der sozialkategorialen Relationen und stehen außerdem in gegenseitigen Kraftverhältnissen zueinander. Die hier gewählten Bezeichnungen orientieren sich zwar an den deutschsprachigen Personalpronomina, doch lassen sie sich nicht auf diese reduzieren. Deshalb werden die Relata im Folgenden nicht mit grammatischen Benennungen ( “ ich ” , “ du ” , “ er/ sie/ es ” usw.), sondern mit Kapitälchen bezeichnet, um den kognitiv-semiotischen Aspekt des jeweiligen Zeichenereignisses bzw. -typs zu veranschaulichen (ICH, DU, ER-SIE-ES usw.). Dadurch kann die semiotische Nachbarschaft zwischen grammatischen Partikeln und kognitiv-semiotischen Zeichenereignissen bzw. -typen einerseits betont werden, aber auch ihre kategoriale Differenz aufrechterhalten bleiben. Als Kapitälchen markieren sie die sozialkategorialen Funktionen und sind nicht diskursiv etabliert, aber semiotisch konstituiert, da ihnen zu diskursiven Rollen noch eine sozialnormative Einbettung fehlt. Das Modell der Grundpositionen und -relationen entwickelt sich aus der zweitheitlichen Relation zwischen ICH und DU. Es stellt das Zentrum der Entwicklung der sozialen Rollen dar, was allerdings nicht bedeutet, dass es sich um eine höherrangige sozialkategoriale Relation handelt. Vielmehr stellt es eine grundlegende Differenz zwischen sozialen Funktionen her und entfaltet somit einen Raum, der die Differenzierung unterschiedlicher Grundpositionen eröffnet. ICH und DU sind soziale Funktionen, die kraft dieser sozialkategorialen Relation konstituiert werden, wobei diese weder Sender und Empfänger noch Sprecher und Hörer sind, sondern phänomenologische Positionen, die sich aus Zeichenereignissen konstituieren. Während die sozialkategoriale Zweitheit eine Differenz von ICH und DU konstituiert, konstituieren diese gemeinsam auf Pluralebene ein funktionales WIR. Während der Konstitution verhält sich WIR allein als additive Einheit. WIR konstituiert sich zwar im Rahmen einer ICH-DU-Relation, doch ist es mengentheoretisch offen, sodass die Anzahl der Konstituenten potenziell unbegrenzt ist. Der Singular komplementiert sich mit einem ER-SIE-ES-Relatum, welches nur im Verhältnis zur ICH-DU-Relation besteht, aber gleichzeitig die Dynamik der sozialkategorialen Relationen einerseits garantiert und andererseits durch dessen Existenz triangulative Prozesse erst ermöglicht. Sozialkategorial zeichnet es sich daher als Drittheit aus, welche sich in reziproken Relationen äußert. Die Richtung, die zwischen ER-SIE-ES und der ICH- DU-Relation markiert ist, markiert das Fakultativitätsverhältnis von ER-SIE-ES und WIR. 338 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Während eine ICH-DU-Relation hinreichend ist, um ein WIR zu konstituieren, ist das Verhältnis zwischen WIR und ER-SIE-ES im Rahmen der phänomenalen Struktur kontingent: Ob ER-SIE-ES ein Element vom WIR ist, kann sich erst innerhalb einer diskursiven Praxis zeigen. Im Plural reproduzieren sich die sozialkategorialen Relationen und sozialen Relata, sodass die jeweiligen Funktionen im Plural dieselben sind wie im Singular. Dies umfasst sowohl die universalen Kategorien als auch ihre Fluchtlinien. Der wesentliche Unterschied ist die Binnenstruktur der pluralen Relata, die somit die Möglichkeit unterschiedlicher Relationen eröffnet, die nicht im Modell abgebildet sind. Die differenzierten Relationen ermöglichen dann die Intensivierung der sozialkategorialen Relationen, welche wiederum komplexe Relata konstituieren (z. B. exklusives oder inklusives WIR). Das Modell der Grundpositionen und -relationen ist nicht hermetisch, sondern stellt ein dynamisches und offenes System dar, sodass sich die sozialkategorialen Relationen auf höherer Ebene immer wieder reproduzieren können und sich dann rekursiv durch ihre jeweiligen Elemente der untergeordneten Ebene definieren, was sich bereits am Verhältnis von Singular und Plural zeigt. Allerdings kommen in diesem Rahmen keine weiteren sozialkategorialen Funktionen hinzu, sondern allein Relata. Resümierend lässt sich feststellen, dass die Darstellung der Grundpositionen und -relationen die sozialkategorialen und kognitiv-semiotischen Funktionen markiert und relationiert, die Interlokutoren und Delokutoren (und auch diskursive Rollen) innerhalb von diskursiven Praktiken begründen. Die phänomenale Struktur der Grundpositionen und -relationen etabliert somit eine universalsemiotische Architektur, die die Dynamik der sozialen Funktionen erst ermöglicht. Diese kurze Zusammenfassung der Konzepte der gemeinsamen Aufmerksamkeit, der Triangulation und von Aspekten semiotischer Anthropologie zeigt also, dass sich diskursive Praktiken auch anhand von universalsemiotischen Grundpositionen und -relationen analysieren lassen. Diese fundieren kommunikative und soziale Funktionen, die von Interlokutoren und Delokutoren in diskursiven Praktiken übernommen werden. Die universalsemiotischen Grundpositionen und -relationen, die hier vorgestellt wurden, erklären die kategoriale Struktur diskursiver Praktiken. Die vorstellten kommunikativen Funktionen, die von Äußerungen signifiziert werden (cf. Kapitel 14.2 und 15.2), sind damit keine frei flottierenden Zeichen mehr, sondern werden in diskursiven Praktiken an diese kategoriale Struktur rückgebunden. Damit erfüllt sich auch die Annahme der semiotischen Kontinuität von Handlungsinterpretation. Handlungskonstitution und Handlungsdeskription. Denn in dem hier präsentierten Verständnis sind intentionale Verben als semiotische Elemente untrennbar mit einer kategorialen Grundstruktur verbunden, sodass die von ihnen signifizierten kommunikativen Funktion mit Personen verknüft werden. 15.4 Verbpragmatik und Triangulation Die bisherigen Reflexionen zu Diskursakteuren haben sich auf das schematische Äußerungskonzept Per Aage Brandts (cf. Kapitel 15.1), Interlokutoren und Delokutoren (cf. Kapitel 15.2) und universalkategoriale Strukturen (cf. Kapitel 15.3) beschränkt. Die Einlösung eines verbpragmatischen Forschungsprogramms ist bisher offengeblieben. Daher 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 339 demonstriere ich mithilfe einer relationslogischen Analyse, die auf dem theoretischen Vokabular der diskursiven Signifikanz intentionaler Verben fusst (cf. Kapitel 12), wie soziale und kommunikative Funktion verbpragmatisch darstellbar sind. Die relations- und zeichenlogischen Grundlagen Peirces (cf. Kapitel 2, 9.1 und 12.2) und sprach- und handlungstheoretische Aspekte Brandoms (cf. Kapitel 3 und 8) werden hierzu um die Analyse der letzten Kapitel ergänzt. Die folgende Analyse reflektiert damit Konzepte wie gemeinsamer Aufmerksamkeit und Triangulation oder das Dialogmodell Francis Jacques' unter verbpragmatischen Gesichtspunkten. Die sozialen und kommunikativen Funktionen, die von Personen in diskursiven Praktiken inkorporiert werden und hier exemplarisch an Francis Jacques' Theorie des Dialogs erklärt und mithilfe der Konzepte der gemeinsamen Aufmerksamkeit, der Triangulation und von Aspekten semiotischer Anthropologie vertieft wurden, sollen im Folgenden verbpragmatisch analysiert werden. Intentionale Verben verfügen über Signifikanzstrukturen, die nicht nur die Grundpositionen und -relationen nachbilden, sondern auch soziale und kommunikative Gefüge in diskursiven Praktiken etablieren. Dass intentionale Verben nicht nur Handlungen und pragmatische Signifikanz konstituieren, sondern auch Strukturen signifizieren, die über die intentionale Relation selbst hinausgehen, hat bereits die theoretische Entwicklung diskursiver Rollen und sozialer, kooperativer und kollektiver intentionaler Relationen gezeigt (cf. Kapitel 12.4). Während diskursive Rollen aber Handlungspotenziale von Personen aufzeigen, habe ich mithilfe der Begriffe der Interlokutoren und Delokutoren eine Analysemöglichkeit aufgezeigt, welche auch die Positionierung in diskursiven Praktiken erfasst, ganz im Sinne erst-, zweit- und drittpersonaler Deskription. Diese Möglichkeit, kombiniert mit dem Handlungspotenzial diskursiver Rollen, soll im Folgenden eine Analyse von Interlokutoren und Delokutoren in diskursiven Praktiken ermöglichen. Anhand exemplarischer Analysen soll nicht nur die Definition der diskursiven bzw. zeitlich-räumlichen Präsenz bzw. Absenz veranschaulicht werden. Auch möchte ich die Komplexität delokutiver und interlokutiver Relationen bzw. Relationsgefüge in diskursiven Praktiken aufzeigen. Die Analyse von Interlokutoren und Delokutoren unterscheidet sich dabei insbesondere in zwei Aspekten von der Analyse der pragmatischen Signifikanz: Es handelt sich dabei um eine Analyse von Personen und nicht von Handlungen. Auch wenn intentionale Verben und damit auch deren Handlungsdeskription im Mittelpunkt des Modells stehen, liegt der Fokus hier auf diskursiven Rollen sowie auf den jeweiligen Grundpositionen und -relationen. Es geht also weniger darum, was inferenziell (und handlungstheoretisch) aus Handlungsdeskriptionen folgt. Vielmehr geht es um eine Analyse der Verhältnisse von Diskursakteuren, die aus interlokutiven und delokutiven Relationen erwachsen. Die Deskription folgt damit eher anaphorischen Relationen und Bezugsrelationen als Handlungsinferenzen. Im Modell, so soll sich zeigen, spiegelt sich dies durch diagrammatische Anschlussstellen wider: Während sich latente Handlungsstrukturen und pragmatische Signifikanz entlang der Kante des triangulativen Modells erfassen lassen (z. B. als präteritale oder konsekutive Handlungsdeskriptionen, cf. Kapitel 12.6), sind es die Knoten des Modells (also diskursive Rollen und deren anaphorische Relationen), welche für eine Analyse von Interlokutoren und Delokutoren relevant sind. Im Folgenden möchte ich das Analysemodell, welches bereits in der Analyse der pragmatischen Signifikanz angelegt ist, weiterentwickeln und anhand einiger Beispiele 340 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms veranschaulichen. Zunächst soll die Signifikanzstruktur einer sprachlichen Handlung die Positionierung von Interlokutoren und Delokutoren nochmals exemplifizieren und die Notwendigkeit einer Verbanalyse betonen. Anschließend dienen die Handlungsdeskriptionen der Verben verkaufen und berufen auf als strukturgebende Beispiele, wie sich anhand von kooperativen bzw. sozial-kommunikativen Handlungsverben Handlungsgefüge entfalten, die komplexe Interlokutor-Delokutor-Relationen beinhalten. Die damit beschriebene Analyse von Interlokutoren und Delokutoren ergänzt dann sowohl die Deskription diskursiver Rollen als auch die Analyse von pragmatischer Signifikanz. Die zeichenrelationale Triangulation im Rahmen der Semiose der Behauptung, die bereits in der Analyse der pragmatischen Signifikanz erörtert wurde (cf. Kapitel 14), dient als Ausgangspunkt der Argumentation und Analyse von Interlokutoren und Delokutoren. Exemplarisch ist dabei folgender Deklarativsatz: (2) Vor einem Jahr wurde der Landtag in Kundus eröffnet, gebaut mit deutschen Steuermitteln. (aus: DIE ZEIT Nr. 36/ 2018) Dieser Deklarativsatz ist hinsichtlich seiner pragmatischen Signifikanz ambig, wenn er in sozial-kommunikativen Praktiken noch nicht als Handlung interpretiert wurde. Plausibel ist es, diese syntaktische Einheit als Behauptung zu verstehen, sodass über die Äußerungsebene hinaus auch pragmatische Aspekte bei der Analyse berücksichtigt werden sollten. Die Signifikanzstruktur sowie die zeichenrelationale Triangulation des Modells intentionaler Verben zur Konstitution von sprachlichen Handlungen lässt sich damit auf den Deklarativsatz anwenden, sodass folgende intentionale Relationen an der Konstitution des Deklarativsatzes als Behauptung beteiligt sind: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]], [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Diese drei intentionalen Relationen markieren pragmatisch eben jene Aspekte, die bereits in der Analyse der pragmatischen Signifikanz berücksichtigt wurden. Die Äußerungsebene von (1) zeigt nun, dass die syntaktische Einheit auf ein Relatum Y iO (Eröffnung des Landtags in Kundus) verweist, aber weder X DRausG noch Z DRmitG explizit markiert werden. Diese Annahme deckt sich nicht nur mit der konstitutiven Kraft der Semiose der Behauptung, sondern auch mit dem Distinktionsmerkmal von Interlokutoren als zeitlich-räumlich präsent, aber diskursiv absent. Das Thema (hier: Eröffnung des Landtags in Kundus) sowie ggf. die weiteren semantischen Gehalte der sprachlichen Handlung gelten hier als intentionales Objekt. Weil [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]], [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] sich im Modell außerdem triangulativ anordnen, ist dies eine drittpersonale Markierung (grammatisch), während die kraft der Signifikanzstruktur positionierten Interlokutoren erstbzw. zweitpersonal sind (Lokutor und Allokutor). Schon auf dieser Ebene zeigt sich, dass Behauptungen stets als triangulative Strukturen analysiert werden können. Allerdings weist Y iO hier keinen Status als Delokutor auf. Allein auf Basis von Inferenzen (und der damit einhergehenden Attribuierung von diskursiver Intentionalität) kann der grammatisch drittpersonalen Position kein Handlungspotenzial zugewiesen werden, sondern allein möglichen inferierten beteiligen Personen (z. B. denjenigen, die den Landtag eröffnet haben). Insofern dient dieses Beispiel zwar der Analyse der impliziten Involviertheit von Interlokutoren, die kraft der Interpretation des Deklarativsatzes als Be- 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 341 hauptung konstituiert werden, doch noch nicht einer Delokutoren-Analyse. Damit es sich bei einem Triangulationsobjekt tatsächlich um Delokutoren handelt, muss diskursive Intentionalität vermittels salienter und damit auch signifikativer Oberflächenaspekte zugeschrieben oder diese in eine Konklusion zur Attribuierung von Intentionalität eingebunden werden. Erst dann zeigt sich ein pragmatisches und sozial-kommunikatives Geflecht, in welchem Interlokutoren und Delokutoren in Relation zueinanderstehen. Delokutoren lassen sich erst im Rahmen von Zuschreibungen oder Attribuierung diskursiver Intentionalität erfassen. Exemplarisch kann hier das kooperative Handlungsverb verkaufen dienen: (3) Da nach wie vor unklar ist, wo die Tordesillas-Linie auf der anderen Erdhälfte verläuft, verkauft Kaiser Karl V. die spanischen Eventualansprüche auf die Gewürzinseln für 350000 Dukaten an Portugal. (aus: Zeit Geschichte, 15.02.2011, S. 106) Die Äußerung als Behauptung (3) involviert Signifikanzstrukturen, die sich mit der folgenden relationslogischen Analyse erfassen lassen. Für die Interlokutoren gelten folgende intentionale Relationen: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]], [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Die Konstitution der interlokutiven Relation unterscheidet sich damit zunächst nicht von (2). Allerdings hat die Zuschreibung von diskursiver Intentionalität kraft des Verbs verkaufen eine diskursive Konsequenz für die drittpersonale Position: Y iO der konstituierten Relationen von behaupten stellt eine Delokutoren-Position dar, die selbst eine kooperative Handlung sowie entsprechende Relata signifiziert: [[X DRausG ] ← KOOP INTENTIONAL EMSIF → [Z DRausG ]] ( “ jemand verkauft etwas an jemanden ” ), [[X DRausG ]NTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] ( “ jemand verkauft etwas ” ) und [[Z DRausG ]NTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] ( “ jemand kauft etwas ” ). Die primäre kooperative intentionale Relation ist signifikativ in der Zuschreibung diskursiver Intentionalität impliziert. Aus dieser präteritalen Relation folgen sequenziell und inferenziell weitere Relationen, wobei insbesondere die (synchrone) Komplementärhandlung (kaufen) für das Verstehen und Beherrschen des Verbs verkaufen notwendig ist. Dass solche Signifikanzstrukturkomplexe bei der Analyse von Delokutoren wohl eher häufig auftreten, zeigt eine ausführlichere Analyse des Verhältnisses [BERUFEN AUF]- [SAGEN], welches die Signifikanzstruktur der sprachlichen Handlung Berufung einerseits sowie der ursprünglichen Äußerung andererseits darstellt. Ausgangspunkt der folgenden Analyse ist die Annahme, dass die Äußerung als Berufung interpretiert wird, wobei sowohl sprachliche Handlungen wie Behauptung und Aufforderung ebenfalls interpretativ möglich wären: (4) Der Bundeskanzler hat einmal gesagt, der Frieden in dieser Region ist nicht Sache der Israelis und der Palästinenser allein, sondern es ist unsere Sache. (aus: Berliner Morgenpost, 19.10.1997, S. 6) Für eine relationslogische wie verbpragmatische Analyse von (4) ist neben der Darstellung der intentionalen Relationen und des Setzens der triangulativen Zeichenrelationen (doppelte Triangulation) auch eine temporale Modellierung der verschiedenen Zeichenrelationsebenen notwendig: (4) stellt einerseits eine sprachliche Handlung der Berufung zu t 1 dar, die als kommunikativer Akt im Rahmen der deontischen Kontoführung verhandelt werden kann und auch den Bedingungen der Semiose von sprachlichen Handlungen unterworfen ist. Andererseits ist es eine Handlungsdeskription eines Verhaltens zu t 0 (als 342 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Intentionalitätszuschreibung), welche selbst als intentionale Relation analysiert werden kann. (4) stellt also mehrere verbpragmatische Elemente bereit: Als Handlungsdeskription gruppieren sich verschiedene sprachliche Elemente um das intentionale Verb sagen, welches explizit auftritt. Gleichzeitig handelt es sich bei der gesamten Äußerung um eine sprachliche Handlung, mit der sich jemand auf die sozial-kommunikative Autorität einer anderen Person (hier: Bundeskanzler) beruft. Diese Handlungsinterpretation, sich mithilfe des Verbs berufen auf erfassen lasst, zeigt die implizite signifikative Struktur der Äußerung auf und kann die pragmatische Signifikanz der Äußerung erklären. Weil es sich sowohl bei berufen auf als auch bei sagen um sozial-kommunikative Handlungsverben handelt, zeigt sich hier die kommunikative Achse, an welcher Delokutor (zu t 1 ) und Interlokutor (zu t 0 ) changieren und die Interlokutor-Delokutor-Relation stattfindet. Die hier signifizierte sprachliche Handlung von (4) lässt sich mithilfe folgender intentionaler Relationen erfassen: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] ( “ jemand beruft sich auf jemanden vor jemandem ” ), [[X DRausG ]NTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] ( “ jemand beruft sich auf jemanden ” ) und [[Z DRmitG ]NTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] (z. B. “ jemand zweifelt etwas an ” (mehrere Anschlussverben möglich)). Als sozial-kommunikatives Handlungsverb gelten für berufen auf ähnliche Signifikanzstrukturen wie für behaupten. Bemerkenswert ist hier aber die latente konsekutive intentionale Relation, die durch Folgeverben markiert werden kann. Diese Signifikanzstelle scheint offener zu sein und mehrere sozial-kommunikative Anschlussverben zu ermöglichen als z. B. versprechen, wodurch ausschließlich nicht-sprachliche Handlungen motiviert werden (cf. Briese 2020 b). Dies liegt wohl daran, dass sich berufen auf insbesondere durch seine präteritalen Relationen auszeichnet (ähnlich wie finden), weil es auf eine vorherige Handlung rekurriert, in diesem Fall eine Behauptung oder eine andere sprachliche Handlung, die propositionale Gehalte in die diskursive Praxis einbringt. Auch sagen zeichnet sich durch mehrere intentionale Relationen aus: [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]], [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]. Ähnlich wie bei behaupten ist die latente intentionale Relation [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] eine sozial-kommunikative Anschlussstelle für Folgehandlungen. Die relationslogischen Analysen von berufen auf und sagen reichen für eine Interlokutoren- und Delokutoren-Analyse allerdings noch nicht aus. (3) zeichnet sich vielmehr durch zwei triangulative Zeichenrelationen aus, die als doppelte Triangulation bezeichnet werden können. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 343 Abb. 18: Doppelte Triangulation von berufen auf und sagen Diese Darstellung kombiniert die beiden relationslogischen Analysen der Verben zu einer Interlokutorenbzw. Delokutoren-Analyse. Relevant ist hier insbesondere die Achse, die durch die situative anaphorische Relation markiert ist. Die Person, die in den berufen auf- Relationen als Y iO dargestellt ist (Delokutor), ist in den sagen-Relationen ein Relatum X DRausG (Interlokutor). Hier und in (3) zeigt sich eben jenes diskursive Verhältnis, welches in den Deskriptionen von Interlokutoren und Delokutoren hervorgehoben wurde: diskursive und zeitlich-räumliche Präsenz und Absenz. Gleichzeitig wird über die Markierung der anaphorischen Relation gezeigt, inwiefern Delokutoren in diskursiven Praktiken kraft Zuschreibungen von diskursiver Intentionalität als Interlokutoren aufgetreten sind (präterital) bzw. auftreten können (konsekutiv). Außerdem zeigt diese Darstellung, wo ein relevanter Unterschied in der Analyse von pragmatischer Signifikanz und Interlokutoren bzw. Delokutoren liegt: Während sich präteritale und konsekutive pragmatische Signifikanzen über die Kanten des Diagramms darstellen lassen (z. B. [BEHAUPTEN]- [ANFECHTEN]), sind für eine Analyse von Interlokutoren bzw. Delokutoren insbesondere Knoten bzw. anaphorische Relationen des Diagramms beachtenswert. Diese Skizze einer relationslogischen und verbpragmatischen Analyse diskursiver Praktiken zeigt, inwiefern in intentionalen Verben bereits triangulative Signifikanzstrukturen angelegt sind. Insbesondere die [SAGEN]-[BERUFEN AUF]-Relation verweist nicht nur auf die Setzung von Diskursakteuren als Interlokutoren bzw. Delokutoren kraft diskursiver Rollen, sondern auch auf Relationen, die zu sozial-kommunikativen Positionswechseln (hier: von Interlokutor (t 0 ) zu Delokutor (t 1 )) führen können. Das Verhältnis von linguistischer Verbpragmatik, relationslogischer Analyse und signifizierter Triangulation, hier stellvertretend für das Modell der Grundpositionen 344 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms und -relationen, ergänzt die bisherigen Ausführungen damit auf zweierlei Weise. Zunächst exemplifiziert es das Argument, welches die Signifikanzstruktur nicht nur als handlungs-, sondern auch als akteurskonstitutiv versteht. Über die Darstellung von Jacques' Dialogtheorie konnte ich die diskursiven Vernetzungen von Interlokutoren und Delokutoren erfassen und anhand der Signifikanzstruktur intentionaler Verben modellieren. Konzepte wie gemeinsame Aufmerksamkeit, Triangulation und die sozialkategorialen Grundpositionen im Rahmen der semiotischen Anthropologie dienten mir dann zur Fundierung der Grundpositionen und -relationen zur Konstitution von Interlokutoren und Delokutoren. Mithilfe dieses Arguments stellen Interlokutoren und Delokutoren nicht mehr isolierte kommunikative Instanzen dar und lassen sich auch nicht auf Sprecher-Hörer-Adjazenz reduzieren. Vielmehr sind sie Effekte komplexer sozialer, kommunikativer und diskursiver Geflechte, die sich in diskursiven Praktiken kraft Verben konstituieren. Außerdem ergänzt die Analyse von Interlokutoren und Delokutoren die Analyse der pragmatischen Signifikanz. Nicht nur die theoretische Entwicklung des Modells entlang von Knoten und Kanten, sondern bereits die Analyse der Semiose von Äußerungen und Behauptungen hat gezeigt, dass sich pragmatische Signifikanz und Diskursakteuren im Rahmen von Handlungsbeschreibungen aufeinander beziehen. Insofern ist die Analyse von Interlokutoren und Delokutoren zunächst einmal eine andere Perspektive auf diejenigen Prozesse, die diskursive Praktiken auszeichnen können. Zusammenfassend schließt dieses Kapitel die Reflexionen zu Diskursakteuren ab und schlägt eine neue Perspektive auf der Konstitution und ihre Analyierbarkeit vor. Mithilfe relationslogischer und zeichentheoretischer Darstellungen kann demonstriert werden, wie intentionale Verben kommunikative Situationen signifizieren, die all jene Aspekte aufweisen, die unter Begriffe wie gemeinsamer Aufmerksamkeit, Triangulation oder kommunikativen Rollen verhandelt werden. Unter der Annahme der semiotischen Kontinuität von Handlungsinterpretion, Handlungskonstitution und Handlungsdeskription kann eine Handlungsbeschreibung dann als Spur nicht nur der Handlung selbst, sondern auch von deren diskursiven Rollen analysiert werden. Über die Einbettung in eine kategoriale Struktur sind diese Handlungsbeschreibungen dann auch keine linguistischen Oberflächenphänomene, sondern stellen semiotische komplexe Einheiten dar, die über die Textebene hinaus auch Einfluss auf beschriebenes Verhalten, beschriebene Objekte und Personen haben. Hier finden dann die Konzepte wie Zuschreibung und Attribuierung Anwendung (cf. Kapitel 13). Nachdem sowohl sprachliche Handlungen als auch Diskursakteure verbpragmatisch analysiert wurden, möchte ich im Folgenden diese Perspektive erneut erweitern, um dasjenige Element, was handlungs- und akteurs-, aber auch relationskonstitutiv ist, sowohl argumentativ als auch analytisch zu explizieren: diskursive Normen. Damit können die exemplarischen Analysen von pragmatischer Signifikanz und Diskursakteuren insofern ergänzt werden, als dass der konstitutive Effekt diskursiver Normen plausibilisiert und analytisch expliziert wird. 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 345 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken Abstract: In verb pragmatics, discursive practices as pragmatic-signifying and social are irreducibly normative. An analysis of the inferential structure of intentional verbs can show to what extent discursive norms are applied in the constitution and evaluation of behavior as social action. To this end, the chapter distinguishes between discoursespecific and discourse-universal norms, the latter being illustrated by the significance of H. P. Grice's maxims and discussed via the concepts of presumption rules and presumption rule expectations. An inferential analysis of intentional verbs then demonstrates the extent to which discursive norms can be understood as constitutive of discursive practices via the method of substitution. Zusammenfassung: Diskursive Praktiken als pragmatisch-signifikativ und sozial sind im Sinne der linguistischen Verbpragmatik irreduzibel normativ. Eine Analyse der inferenziellen Gliederung intentionaler Verben kann zeigen, inwiefern diskursive Normen bei der Konstitution und Beurteilung von Verhalten als soziale Handlung angewandt werden. Hierzu unterscheidet das Kapitel zwischen diskursspezifischen und diskursuniversalen Normen, wobei letztere anhand der Signifikanz der Maximen H. P. Grices veranschaulicht und über die Konzepte der Präsumtionsregeln und Präsumtionsregelerwartungen diskutiert werden. Eine inferenzielle Analyse intentionaler Verben demonstriert anschließend, inwiefern über das Verfahren der Substitution diskursive Normen als konstitutiv für diskursive Praktiken verstanden werden können. Keywords: discursive norms, normativity, presumption rules, presumption rule expectations, substitution Schlüsselbegriffe: diskursive Normen, Normativität, Präsumtionsregeln, Präsumtionsregelerwartungen, Substitution Diskursive Normen sind diejenigen Normen, welche kognitive, sprachliche und performative Aspekte des sozialen Miteinanders prägen (cf. Kapitel 3.1.2, Beiträge in Townsend/ Stovall/ Schmid 2021). Dass sie auch für eine Analyse von Intentionalität relevant sind, zeigen nicht nur aktuelle philosophische Debatten (cf. die Beiträge in Kore ň et al. 2020), sondern sowohl die Grundlagen des normativen Sprachpragmatismus als auch die Darstellungskategorie der diskursiven Normen im Grundlagenmodell intentionaler Verben. Bisher habe ich die Analyse diskursiver Normen allerdings vernachlässigt, was angesichts der bisherigen Modellierung möglicherweise verwunderlich ist. Denn diskursive Normen nehmen in der Deskription und Konstitution von Handlungen stets einen prominenten Platz ein und bilden auch im Grundlagenmodell das konstitutive Element der Signifikanzstrukturen. Anstatt nun aber diskursive Normen allein zur a-priori-Voraussetzung in diskursiven Praktiken zu erheben, soll im Folgenden eine verbpragmatische Perspektive auf diskursive Normen entwickelt werden. Diese Perspektive unterscheidet sich insofern von anderen Handlungsnormbeschreibungen, als dass die Involviertheit von Normen in diskursiven Praktiken ausgehend von intentionalen Verben inferiert werden soll. In der verbpragmatischen Analyse diskursiver Normen werden diese Normnen damit nicht mehr als sozial-kommunikative Voraussetzungen konzeptualisiert, sondern sollen an das unmittelbare Zeichenereignis (Verb) theoretisch zurückgebunden werden. Exemplarisch dient im Folgenden eine Analyse von diskursuniversalen Normen der Illustration dieser These. Es geht bei diskursuniversalen Normen um diejenigen diskursiven Normen, die für sozial-kommunikatives Handelns derart konstitutiv sind, dass sie als universal bzw. zumindest als epistemisch robust angenommen werden können. Dies unterscheidet diskursuniversale Normen von diskursspezifischen Normen, die nicht entsprechend lexikalisiert sind, sondern in verschiedenen historischen und institutionellen Zusammenhängen unterschiedlich sein können. Im Folgenden werde ich diejenigen diskursuniversalen Normen verbpragmatisch analysieren, die im Rahmen der linguistischen Pragmatik einen hohen Stellenwert genießen: Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen. Allerdings erweisen sich Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen nicht als unmittelbar übertragbar in ein verbpragmatisches Vokabular. Denn Grice versteht Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen als kommunikative Voraussetzungen, die auch bei kommunikativer Verletzung ihre Gültigkeit bewahren. Die Frage, inwiefern sie überhaupt in jeder sozial-kommunikativen Situation gültig beanspruchen, stellt sich bei der Perspektive Grices nicht. Diesem vorgeordneten Prinzipienstatus von Kooperationsprinzip und seinen Konversationsmaximen folgt diese Arbeit nicht, insofern, als dass die Frage beantwortet werden soll, wann für Interlokutoren und Delokutoren überhaupt entsprechende Prinzipien, Maximen bzw. diskursive Normen gelten. Über eine verbpragmatische Analyse soll eben jener sozial-kommunikativer Moment zugänglich gemacht werden, in dem diskursuniversale Normen Geltung für Interlokutoren und Delokutoren erlangen. Daher werden Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen mit Donald Davidsons Prinzip der wohlwollenden Interpretation flankiert. Aufgrund ihrer Sprecherzentrierung werden sie außerdem mithilfe von Oliver R. Scholz' Konzept der Präsumtionsregel umformuliert und auf Zeichenereignisse gemünzt. Anschließend wird die Gültigkeit diskursuniversaler Normen über die Kategorie der Interlokutoren hinaus auch auf Delokutoren ausgeweitet, sodass sich auch hier ein Bezug zu den vorherigen Analysen herstellen lässt. Diese zeichenbasierte Etablierung von diskursuniversalen Normen in Praktiken dient dann einer exemplarischen verbpragmatischen Normanalyse anhand des Verbs behaupten. Auf diesem Weg, der die Involviertheit diskursiver Normen in der Handlungskonstitution plausibilisieren soll, kann nicht nur an die Analysen der pragmatischen Signifikanz, Interlokutoren und Delokutoren angeschlossen, sondern auch das Modell intentionaler Verben erweitert werden. 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 347 16.1 Diskursuniversale Normen als Präsumtionsregelerwartungen Dass diskursive Praktiken normativ strukturiert sind, ist Grundlage des normativen Sprachpragmatismus (cf. Kapitel 3). Eine verbpragmatische Perspektive geht zudem davon aus, dass intentionale Verben auch auf die diskursiven Normen hinweisen, die zur Beurteilung von Verhalten als Handlung herangezogen werden. Dies betrifft nicht nur diskursspezifische Normen, die sich je nach Praxis oder Institution unterscheiden, sondern auch diskursuniversale Normen, also jene Normen, die über spezifische Praktiken hinaus Anspruch erheben. Im Folgenden werde ich solche diskursuniversalen Normen vorstellen, insbesondere das Kooperationsprinzip Grices und Davidsons Prinzip der wohlwollenden Interpretation, um sie anschließend für eine Verbpragmatik zu diskutieren. Unter Voraussetzung eines Regelbegriffs Wittgensteins (cf. Kapitel 3.1.2) werden diskursuniversale Normen als Präsumtionsregelerwartungen definiert. Dieses Konzept trägt der Annahme Rechnung, dass nicht die Frage relevant ist, ob eine Regel besteht, sondern ob Regeln, Konventionen und Normen in den jeweiligen Praktiken dadurch Anwendung finden, dass sie erwartet werden. Über ein solches Verständnis lassen sich dann auch intentionale Verben als Spuren diskursiver Normen analysieren. Im Folgenden möchte ich damit einen analytischen Zugang zur Wirksamkeit diskursiver Normen ermöglichen, der sich verbpragmatisch in die bisherige Analyse diskursiver Praktiken integrieren lässt. Ziel ist es, diesen Zugang über die tiefenstrukturellen Signifikanzen des Verbs herzustellen. Zu Beginn stelle ich kurz das Grice'sche Kooperationsprinzip und deren Konversationsmaximen vor, um diese dann unter Bedingung der bisher eingeführten Annahmen von Semiose der Behauptung und deontischer Kontoführung zu kritisieren. Dabei wird weniger die Gültigkeit der Prinzipien angezweifelt, als deren Formulierung und Sprecherzentrierung hinterfragt. Als Ergänzung dient dann Donald Davidsons Prinzip der wohlwollenden Interpretation als sozial-interpretative Variante des Kooperationsprinzips. Dieses kann zeigen, wie soziale Relationen und diskursuniversale Normen aus der Perspektive einer Interpretationsgemeinschaft betrachtet werden können. Mithilfe von Oliver R. Scholz' Präsumtionsregeln, die später von mir zu Präsumtionsregelerwartungen erweitert werden, soll dann ein zeichenbasiertes Verständnis von Normverfügen etabliert werden, da dieses sowohl mit Semiose der Behauptung, deontischer Kontoführung als auch linguistischer Verbpragmatik vereinbar ist. Dazu stelle ich die Grundlagen von Präsumtionen, Präsumtionsformeln und Präsumtionsregeln vor und wende sie auf die zuvor eingeführten Prinzipien bzw. Maximen Grices und Davidsons an. Daraus resultiert ein zeichenkonstitutives Verständnis diskursuniversaler Normen. Die Frage nach Gültigkeit diskursuniversaler Normen wende ich nicht nur auf Interlokutoren, sondern auch auf Delokutoren an. Weil Delokutoren sich durch ihre zeitlich-räumliche Absenz und diskursive Präsenz von Interlokutoren unterscheiden (cf. Kapitel 15.2), gelten diskursuniversale Normen auf eine andere Weise für sie: Während diskursive Normen für Interlokutoren tatsächlich handlungsleitend sind, werden Delokutoren über Äußerungen positioniert. Daher werden sie lediglich nach Normen handelnd 348 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms beschrieben, sodass es eine Diskrepanz zwischen der wechselseitigen normativen Handlundinterpretation der Interlokutoren und der Handlungsdeskription der Delokutoren gibt. Für eine Modellierung der Effekte diskursuniversaler Normen im Rahmen einer verbpragmatischen Analyse, die kraft intentionaler, hier insbesondere sozial-kommunikativer Handlungsverben, aktiviert werden, bietet sich eine Transformation des Kooperationsprinzips und der Konversationsmaximen H. P. Grices an. Denn das Kooperationsprinzip bietet nicht nur eine Grundlage vieler linguistisch-pragmatischer Betrachtungen und dient dabei als normative Voraussetzung kommunikativen Handelns. Die linguistische Verbpragmatik zeigt auch, inwiefern sich Effekte des Kooperationsprinzips, die bei Grice als Konversationsmaximen formuliert sind, auch ohne starke epistemische Annahme und Transzendentalstatus entfalten können. Ausgangspunkt der Analyse dieser diskursuniversalen Normen ist auch hier eine Äußerung, insbesondere Behauptung, die ein intentionales Verb enthält und entsprechend Delokutoren konstituiert. Für die Äußerung gelten dann die gleichen theoretischen Grundannahmen der deontischen Kontoführung und Semiose der Behauptung, wie sie in vorherigen Kapiteln formuliert wurden. Die diskursiven Normen, die durch die Setzung einer Äußerung in Anspruch genommen werden, gelten dann auch für die markierten Diskursakteure, sodass diskursuniversale Normen z. B. auch soziale Relationen konstituieren können. Als Ausgangspunkt einer Skizze des Grice'schen Programms und der Entwicklung einer Analyse der diskursuniversalen Normen dient das Kooperationsprinzip zunächst als theoretisches Substrat: Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged. (Grice 1989: 26) Anstatt das Kooperationsprinzip als kommunikativen Imperativ für Kommunikationspartner zu verstehen und es entsprechend im Rahmen einer linguistischen Pragmatik zu etablieren, lässt es sich mithilfe der Semiose der Behauptung auch entlang der Okkurrenz eines konversationellen oder textuellen Beitrags (als Zeichenereignis) darauf übertragen. Stellvertretend für Kommunikationspartner, die bei Grice einen konversationellen Beitrag leisten und dem Kooperationsprinzip unterworfen sind, können Zweck und Ausrichtung diskursiver Praktiken anahnd mithilfe der Okkurrenz von Sprachhandlungen (im Sinne der Semiose) analysiert werden. Das Kooperationsprinzip gilt dabei zwar weiterhin als sozialkommunikatives Grundprinzip (und eben als diskursuniversale Norm), doch muss theoretisch nicht von kompetenten Sprecher-Hörer-Adjazenzen ausgegangen werden. Vielmehr wird ein sozial-kommunikativer Normstandard, welcher innerhalb diskursiver Praktiken nicht nur befolgt, sondern auch verletzt werden kann, kraft Behauptungen und anderer sprachlicher Handlungen in der Interaktion bzw. Handlungsdeskription hergestellt. Entlang des Kooperationsprinzips müssen sich daher auch die Konversationsmaximen entsprechend der deontischen Kontoführung und der Semiose der Behauptung umformulieren und umstrukturieren und als diskursuniversale Normen erfassen lassen: 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 349 Maxim of Quantity 1.1. Make your contribution as informative as is required (for the current purposes of the exchange). 1.2. Do not make your contribution more informative that is required. Maxim of Quality 2.1. (Supermaxim) Try to make your contribution on that is true. 2.1.1. (Specific Maxim) Do not say what you believe to be false. 2.1.2. (Specific Maxim) Do not say that for which you lack of adequate evidence. Maxim of Relation 3.1. Be relevant. Maxim of Modality 4.1. (Supermaxim) Be perspicuous. 4.1.1. (Specific Maxim) Avoid obscurity of expression. 4.1.2. (Specific Maxim) Avoid ambiguity. 4.1.3. (Specific Maxim) Be brief (avoid unnecessary prolixity). 4.1.4. (Specific Maxim) Be orderly. (cf. Grice 1989: 26 f.) Im Folgenden suche ich nach der Kompatibilität der Konversationsmaximen mit deontischer Kontoführung und Semiose der Behauptung. Obwohl insbesondere das Relevanzprinzip immer wieder als eine dominierende Maxime interpretiert wird (cf. traditionell Sperber/ Wilson 1995), suchen unterschiedliche neo- und postgrice'sche Sprachtheorien weiterhin nach einer Konnexion der verschiedenen Maximen (für einen Überblick: Liedtke 2016, Rolf 2013). Einigkeit besteht jedoch darin, dass Konversationsmaximen für sozialkommunikative Praktiken notwendig sind und Äußerungen und Interpretationen beeinflussen. Die Tatsache, dass kommunikative Prozesse Kooperationen sind, ist auf gewisse Weise eine Herausforderung für Konversationsmaximen. Denn die Konversationsmaximen sind aus einer imperativen Erste-Personbzw. Sprecherperspektive formuliert. Somit perspektivieren sowohl Kooperationsprinzip als auch Konversationsmaximen weder die Sprecher- Hörer-Adjazenz geschweige denn eine Pluralität an Diskursakteuren, sondern zentrieren die Sprecherposition derart, dass anderen kommunikativen Instanzen allenfalls periphere diskursive Verantwortlichkeiten und Autoritäten zugewiesen werden. Wenn diskursive Normen aber sozial, kommunikativ und diskursiv geteilt werden und damit nicht auf Individuen reduziert werden können, sollten auch die Formulierungen der Konversationsmaximen entsprechend angepasst werden. Donald Davidson, dessen Interpretationsbegriff ebenfalls auf kommunikativen Prinzipien beruht, transformiert das Kooperationsprinzip sozial-interpretativ und schlägt eher einen sozial-kommunikativen Weg ein, indem er die interpretativen Prozesse untersucht. Sein Konzept der radikalen Interpretation, welches sich am Konzept der radikalen Übersetzung (cf. Quine 1980) orientiert, gründet dabei ebenfalls auf einem Leitprinzip, welches er das Prinzip der wohlwollenden Interpretation [principle of charity] nennt. Radikale Inter- 350 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms pretation setzt dabei an den Verstehens- und Verständigungsprinzipien an, die erfüllt sein müssen, damit Äußerungen angemessen interpretiert werden können. Zwar gehen, so Donald Davidson, Sprecher derselben Sprache von gewissen Voraussetzungen aus, doch sei die Frage nach der Rechtfertigung dieser damit noch nicht beantwortet (cf. Davidson 1990 a: 183). In seiner Analyse der radikalen Interpretation folgert Davidson, dass Interpretationen nachsichtig sein müssten. Wenn eine tendenzielle Nachsichtigkeit nicht erfüllt werde, dann würde die Interpretationsinstanz letztlich nicht das Kommunikat verstehen, sondern lediglich imaginierte Geltungsansprüche annehmen. Davidson ergänzt außerdem, dass Sprecher vornehmlich wahre, wahrhaftige bzw. gültige Überzeugungen zugeschrieben werden müssten, um überhaupt zu Interpretationen zu gelangen, was Irrtümer oder Meinungsverschiedenheiten aber nicht ausschließe (cf. Davidson 1990 a: 280). Die Nachsichtigkeit der Interpretation ist die Grundlage für das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, welches - um es im Vokabular H. P. Grices zu formulieren - sich in zwei Interpretationsmaximen untergliedert, welche Donald Davidson Kohärenz- und Korrespondenzprinzip nennt: Durch das Kohärenzprinzip wird der Interpret dazu veranlaßt, im Denken des Sprechers einen gewissen Grad an logischer Konsistenz ausfindig zu machen, während er durch das Korrespondenzprinzip veranlaßt wird, den Sprecher so aufzufassen, als reagiere er auf die gleichen Merkmale der Welt, auf die auch er selbst (also der Interpret) unter ähnlichen Umständen reagieren würde. Beide Prinzipien können als Prinzip der Nachsichtigkeit oder der wohlwollenden Interpretation bezeichnet werden (und sind tatsächlich als solche bezeichnet worden): Das eine Prinzip unterstellt dem Sprecher ein Quentchen Logik, während ihn das andere mit einem gewissen Grad an wahren Meinungen über die Welt ausstattet. Eine erfolgreiche Interpretation kann gar nicht umhin, auf seiten des Interpretierten eine gewisse Basisrationalität vorauszusetzen. (Davidson 2004: 349) Kohärenz- und Korrespondenzprinzip sind interdependente Prinzipien und stehen in einem Verhältnis zueinander: Während das Kohärenzprinzip eine referenzweltliche Korrespondenz erfordert, um keine willkürlichen Überzeugungen bzw. Überzeugungsnetzwerke zu ermöglichen, vermittelt das Korrespondenzprinzip eine kohärente logische Gliederung der Korrespondenzerfahrungen. Davidson verwendet die Begriffe Kohärenz und Rationalität dabei weitestgehend synonym. Beachtenswert ist außerdem das hierarchische Verhältnis von Kohärenzprinzip und Korrespondenzprinzip. Das Korrespondenzprinzip besagt nicht, dass Sprecher in der Interpretationspraxis ausschließlich wahre Überzeugungen zugeschrieben werden, sondern dass eine Distanzierung von der Einstellung des Für-Wahr-Haltens der Interpretationsinstanz mittelfristig kaum zu einer Praxis führt, die interpretativ genannt werden kann. Somit ist das Korrespondenzprinzip dem Kohärenzprinzip hierarchisch untergeordnet. Selbst wenn in einer Interpretationspraxis allein ungültige, falsche, also der Korrespondenzwelt widersprechende Überzeugungen zugeschrieben werden, die nicht dem Für-Wahr-Halten der Interpretationsinstanz entsprechen, können diese Überzeugungen immer noch kohärent sein und einer spezifischen Logik folgen. Mit Grices Konversationsmaximen und Davidsons Prinzip der wohlwollenden Interpretation beschäftigt sich auch Oliver R. Scholz (2016). Er fasst diese unter dem Begriff der hermeneutischen Präsumtionsregeln zusammen, die nicht nur wesentlich differenzierter 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 351 sind als das Kooperationsprinzip und das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, sondern außerdem sprachtheoretische Anschlüsse im Rahmen linguistischer Pragmatik, Semiose der Behauptung und deontischer Kontoführung herstellen und eine verbpragmatische Analyse diskursuniversaler Normen ermöglichen. Oliver R. Scholz unterscheidet zwischen Präsumtionen, Präsumtionsformeln und Präsumtionsregeln. Präsumtionen besitzen nicht nur eine logisch-semantische Form, sondern artikulieren sich auch sprachlich. Das grundlegende Schema zur Beschreibung und Darstellung einer Präsumtion ist folgendes: (Pr) Es gibt eine Präsumtion, daß Q. (Scholz 2016: 150) 1 (Pr) beschreibt, dass es einen propositionalen Gehalt Q gibt, der angenommen wird. Unklar bleibt in diesem Schema allerdings, wie Präsumtion Q entsteht bzw. auf welcher inferenziellen Grundlage sie stattfindet. Entsprechend erfordert das Ereignis einer Präsumtion eine Begründung. Als vollständige Präsumtionsformel, welche die strukturelle Begründung der Präsumtion übernimmt, schlägt Scholz deshalb folgende Formulierung vor: (Pr-F) Aufgrund von P wird Q präsumiert. (Scholz 2016: 151) Die hier formulierte Begründungsrelation zwischen P und Q kann zunächst auf dreierlei Weise beschrieben werden. Sie ist normativ, weil die begründete Relation zwischen P und Q von den jeweiligen diskursiven Normen der Praktiken, in denen P auftritt, nahegelegt wird. Sie ist semiotisch, weil das Zeichenereignis P eine propositionalen Gehalt Q signifizieren kann. Sie ist aber auch inferenziell, weil Q auf Basis von P angenommen wird. Die inferenzielle Relation der Präsumtion unterscheidet sich von Präsuppositionen, weil Präsumtionen revidierbar sind, ohne dass die Gültigkeit des propositionalen Gehalts P getilgt wird. Während Präsuppositionen in einer beständigen inferenziellen Relation zu den propositionalen Gehalten der Behauptungsstruktur stehen (Konstanz unter Negation), ist die Gültigkeit der Präsumtionen von der prinzipiellen Struktur der diskursiven Praxis abhängig. Die Gültigkeit der Präsumtionsformel lässt sich mithilfe von Präsumtionsregeln erklären, die auch dann gelten, wenn der konkrete Anwendungsfall der Präsumtionsformel in der diskursiven Praxis ungültig bzw. unangemessen ist. Präsumtionsregeln lassen sich folgendermaßen formulieren: (Pr-R) Gegeben p ist der Fall, verfahre so, als sei q der Fall, bis Du zureichende Gründe hast, zu glauben, daß q nicht der Fall ist. (Scholz 2016: 151) Nicht nur die Revidierbarkeit von Präsumtionen ist in der Präsumtionsregel enthalten, sondern die Präsumtionsregel ist auch in spezifischen diskursiven Praktiken aufhebbar. So kann die Präsumtionsregel in diskursiven Praktiken, in denen das Befolgen der Präsumtionsregel zu sozial-normativen Sanktionen führt, annulliert werden (cf. Scholz 2016: 152). Die Präsumtionsregel kann sowohl auf das Prinzip der wohlwollenden Interpretation als auch auf das Kooperationsprinzip angewandt werden und bietet die Möglichkeit, es im 1 Scholz verwendet Majuskel (P, Q) für konkrete Anwendungsfälle und Minuskel (p, q) für generische Positionen in der Präsumtionsregel. 352 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Folgenden auch auf die Semiose der Behauptung und die deontische Kontoführung anzuwenden. Das Kohärenzprinzip der wohlwollenden Interpretation lässt sich demnach folgendermaßen formulieren (für die Rationalitätsannahme cf. Scholz 2016: 117): (PC-RAT-Pr-R) Interpretiere die fremde Person so, dass sie als eine rationale Person beschrieben wird, bis du zureichende Gründe hast, zu glauben, dass sie keine rationale Person ist. Die Rationalitätspräsumtionsregel (PC-RAT-Pr-R) ermöglicht nicht nur Interpretations- und Verstehensprozesse, sondern gliedert diese zugleich in eine normative und inferenzielle Praxis ein. Zugleich stehen Interlokutoren und nicht nur Sprecher im Zentrum der diskursiven Praxis. Auch das Korrespondenzprinzip, welches dem Kohärenzprinzip hierarchisch untergeordnet ist, lässt sich als Präsumtionsregel formulieren: (PC-KORRES-Pr-R) Interpretiere die fremde Person so, dass sie sich so verhält, wie du dich unter ähnlichen Umständen verhalten würdest, bis du zureichende Gründe hast, zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. Die Korrespondenzpräsumtionsregel (PC-KORRES-Pr-R) ist hinsichtlich ihrer prinzipiellen Gültigkeit der Rationalitätspräsumtionsregel nachgeordnet. Interlokutoren und Delokutoren können hinsichtlich ihrer Behauptungen die Korrespondenzpräsumtionen annullieren, wenn sich z. B. I 1 aus der Perspektive von I 2 irrational bzw. nicht den diskursiven Normen entsprechend verhält. Dennoch bleibt die inferenzielle Gliederung von I 1 hinsichtlich der Korrespondenzwelt vornehmlich kohärent, sodass die Tilgung von (PC-KORRES- Pr-R) innerhalb von diskursiven Praktiken ungewöhnlich ist. Scholz wendet die Methode der Präsumtionsregel außerdem auf Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen an, sodass das Kooperationsprinzip sich folgendermaßen als Präsumtionsformel formuliert: (INT-KOOP-Pr-F) Der Umstand, daß dein Mitunterredner 2 einen Satz (oder eine Folge von Sätzen) in einem gemeinsamen geführten Gespräch geäußert hat, erzeugt die Präsumtion, daß dieser Satz ein geeigneter Beitrag zum dem wechselseitig akzeptierten Zweck oder der wechselseitig akzeptieren Richtung des Gesprächs ist. (Scholz 2016: 167) Ganz im Sinne des Kooperationsprinzips tritt (INT-KOOP-Pr-F) in kommunikativen Praktiken nicht unmittelbar auf, sondern muss (über inferenzielle Relationen, bei Grice: Implikaturen) erst hergestellt werden. Entsprechend kann eine Präsumtionsformel in der diskursiven Praxis verletzt, wobei die entsprechende Präsumtionsregel erhalten bleibt: 2 Bartelborth/ Scholz (2002: 179) sprechen in der englischsprachigen Fassung der Präsumtionsformel vom “ interlocutor ” , dessen Übersetzung als Interlokutor angemessener ist als Mitunterredner oder Gesprächspartner, weil damit die kommunikative Reziprozität der sozialen Relation markiert werden kann. 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 353 (INT-KOOP-Pr-R) Wenn dein Gesprächspartner eine Äußerung in einem gemeinsamen Gespräch getan hat, dann interpretiere sie als einen in Hinblick auf den wechselseitig akzeptierten Zweck oder die wechselseitig akzeptierte Richtung des Gesprächs angemessenen Beitrag zu diesem Gespräch, solange bis du zureichende Gründe für die gegenteilige Annahme hast. (Scholz 2016: 167, cf. auch Ullman-Margalit 1983: 454 f.) Der Unterschied von (INT-KOOP-Pr-R) zum Kooperationsprinzip besteht hier in zwei wesentlichen Punkten: Zunächst wendet sich Scholz hier einer interpretativen Praxis zu, sodass die Sprecherposition nicht im Zentrum des Prinzips steht, sondern wechselseitige Interpretation. Außerdem interpretieren Interlokutoren hier nicht andere Interlokutoren, sondern ein Kommunikat, welches im Rahmen der diskursiven Praxis gesetzt wurde, sodass der Zugang zu diskursuniversalen Normen nur vermittelt über ein Zeichenereignis möglich ist. Auch wenn die Kooperationspräsumtionsregel mithilfe der interpretativen Praxis erklärt wird, bedeutet dies nicht, dass eine Sprecherzentrierung für eine einseitige Interpretationszentrierung aufgegeben wird. Im Sinne deontischer Kontoführung und Semiose der Behauptung ist die Affirmation und Ko-Konstruktion von sprachlichen Handlungen sowie deren normativen und inferenziellen Konsequenzen einer stetigen Ver- und Aushandlungspraxis unterworfen, sodass Kooperationspräsumtionsregeln vielmehr eine interpretative Kontaktstelle der Interlokutoren als eine immanente Kompetenz oder Eigenschaft darstellen. Dennoch muss der heuristische Charakter der Kooperationspräsumtionsregel betont werden, denn die spezifischen Zeichenereignisse (Kooperationspräsumtionen), die auf Kooperationspräsumtionsregeln verweisen, haben einen vielfältigen Charakter. Für die analytische Praxis hingegen bieten sie eine Möglichkeit der Darstellung der diskursiven Autoritäten, die sich entlang der assertiven Praxis entfalten. Da sich das Kooperationsprinzip als modellhafte Kooperationspräsumtionsregel formulieren lässt, können auch die Konversationsmaximen dementsprechend transformiert werden: 3 1. (QUAN-Pr-R) 1.1. Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie als so informativ wie für die diskursive Praxis erforderlich, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 1.2. Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie als nicht weniger informativ als für die diskursive Praxis nötig, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 3 Oliver R. Scholz formuliert allein die Qualitätsmaxime als Präsumtionsregel (cf. 2016: 168). Ich halte es nicht nur aus formalen Gründen, sondern auch für eine zukünftige Bezugnahme für sinnvoll, alle Konversationsmaximen einmal als Präsumtionsregeln zu formulieren. Auch die Qualitätsmaxime, die sich an der Formulierung von Oliver R. Scholz orientiert, übersetze ich in das theoretische Vokabular der deontischen Kontoführung sowie der Semiose der Behauptung. 354 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms 2. (QUAL-Pr-R) 2.1. Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie als für die diskursive Praxis wahre Äußerung, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 1.1.1 Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie nicht als für die diskursive Praxis falsch, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast, zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 1.1.2 Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie als für die diskursive Praxis hinreichend begründet, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 3. (RELA-Pr-R) 3.1. Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie als für die diskursive Praxis relevant, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 4. (MODAL-Pr-R) 4.1. Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie als für die diskursive Praxis nachvollziehbar, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 1.1.3 Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie nicht als für die diskursive Praxis unklar, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 1.1.4 Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie nicht als für die diskursive Praxis mehrdeutig, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 1.1.5 Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie als für die diskursive Praxis angemessen ausführlich, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 1.1.6 Wenn Interlokutoren eine Äußerung zur diskursiven Praxis beitragen, dann interpretiere sie als für die diskursive Praxis geordnet, solange du nicht hinreichende Gründe dafür hast zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. Diese Formulierung der Konversationsmaximen als Präsumtionsregeln ermöglicht, die interlokutiven und delokutiven Relationen in den Blick zu nehmen und eine sozialnormative Reziprozität von Interlokutoren zu modellieren. Zugleich bleibt der zeichentheoretische Aspekt der Präsumtionen erhalten: Im Mittelpunkt stehen weiterhin Äußerungen und nicht Sprecher oder Hörern. Dennoch müssen die Präsumtionsregeln in Sinne der deontischen Kontoführung, der Semiose der Behauptung und der linguistischen Verbpragmatik angeglichen werden, sodass sowohl assertiver Aspekt als auch normativ-inferenzielle Struktur und ihre diskursiven Rollen exponiert werden. Auch wenn für diskursive Praktiken auch andere sprachliche Handlungen relevant sind, bilden Behauptungen doch einen zentralen kommunikativen Akt (cf. Kapitel 14.2). Daher ist es sinnvoll, anstatt die Präsumtionsregel der 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 355 Konversationsmaximen auf alle sprachlichen Handlungen auszuweiten, sich zunächst auf die Signifikanzstruktur der Behauptung zu konzentrieren. Ausgehend von (Pr-F) setzt eine Behauptung eine Präsumtion (Präsumtionsformel), welche mittels Präsumtionsregel (hier: Prinzip der wohlwollenden Interpretation und Kooperationsprinzip sowie deren Folgeprinzipien und -maximen) erklärt werden kann. Kraft des Ereignisses der Behauptung kann die Gültigkeit der Präsumtionsregeln auf die beteiligten Interlokutoren transponiert werden, sodass es wirkt, als würden Interlokutoren über diese Präsumtionsregeln selbst verfügen. Das würde wiederum eine Erste-Person-Formulierung der Konversationsmaximen rechtfertigen. Dass Interlokutoren Präsumtionsregeln befolgen, ist aber vielmehr ein Transpositionseffekt der Behauptung: Erst ausgehend von der Behauptung kann gefolgert werden, dass auch die Interlokutoren entsprechend einer Normerwartung handeln. Dieser inferenzielle Schritt kündigt sich bereits in der Analyse der Semiose der Behauptung an (cf. Kapitel 14.2), kann hier aber für diskursuniversale Normen expliziert werden. Kurz: Aus Behauptungen und nicht aus Interlokutoren wird die Involviert diskursiver Normen in Praktiken geschlussfolgert. Dieser Transpositionseffekt der Behauptung problematisiert außerdem den Ausdruck der Präsumtionsregel. Anstatt die Regelhaftigkeit der Präsumtionen in den hierarchischen Strukturen der diskursiven Praxis zu verorten, lässt sich eine Instanziierung der Regel mithilfe der Semiose der Behauptung spezifizieren. Präsumtionsregeln sollten weder als explizite Regelanweisungen noch konkrete Regelmäßigkeiten der diskursiven Praxis gelten (cf. Kapitel 3.1.2). Vielmehr evoziert das Zeichenereignis der Behauptung spezifische Präsumtionsregelerwartungen, welche im Rahmen der diskursiven Praxis (z. B. über Ko- Konstruktionen) zunächst latent und erst in der Folgehandlung signifikant werden können. 4 Präsumtionsregelerwartungen stellen somit einerseits die Relation zwischen den semantischen Gehalten und den diskursiven Signifikanzen der ko-konstruierten sprachlichen Handlungen her und transponieren diese dann andererseits auf ihre diskursiven Rollen. Aufgrund der inferenziellen Struktur, die sich anhand der Instanziierung der Präsumtionsregelerwartung kraft der Präsumtionsformel ergibt, stellen diese außerdem normative Rahmen bereit, welche die Erwartung von spezifischem Folgeverhalten ermöglichen. Präsumtionsregelerwartungen lassen sich deshalb auch im Sinne der Semiose der Behauptung als eine Vorschuss-und-Anfechtungsheuristik verstehen. Interlokutoren erwarten kraft des Behauptungsereignisses, dass sich die beteiligten Instanzen hinsichtlich der Behauptung entsprechend der Präsumtionsregelerwartungen verhalten, wobei die Verletzung der erwarteten Präsumtionsregel zur Inferenzbildung (z. B. Implikaturen) und zu Folgesprachhandlungen (z. B. Nachfragen) beiträgt. Die kraft der Behauptung evozierte Präsumtionsregel ist zumeist derart robust, dass sie auch unter Verletzung der Regel konstant bleibt. Dass Präsumtionsregelerwartungen nicht nur für Interlokutoren, sondern auch für die Konstitution von Delokutoren wichtig sind, ergibt sich bereits implizit aus der schema- 4 Insbesondere das Conjoint Co-constituting Model of Communicating (cf. z. B. Arundale 1999, 2008, 2020, Grunzig 2019, Haugh 2008, 2014) hat hier in den letzten Jahren im Rahmen der interaktionalen Pragmatik Fortschritte gemacht und die Konstitution von semantischen Gehalten kraft Implikaturen um eine interaktionale Dimension ergänzt. 356 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms tischen Ausrichtung der Semiose der Behauptung (P1-P2-P3, cf. Kapitel 15.1). Was Francis Jacques bereits als “ place within a communicational universe ” (Jacques 1991: 242, cf. Kapitel 15.2) bezeichnet hat, erfüllt sich auch hinsichtlich der Gültigkeit diskursiver Normen. Während die Gültigkeit der Präsumtionsregelerwartung des Kooperationsprinzips bei Interlokutoren aber an deren zeitlich-räumliche Präsenz gebunden ist, kann dies für Delokutoren, die sich durch diskursive Präsenz, aber zeitlich-räumliche Absenz auszeichnen, nicht gelten. Dennoch lässt sich normative Signifikanz, die im Rahmen des Kooperationsprinzips auch für Delokutoren gilt, als eine Form von sozialer Kommunikabilität erfassen: Während Interlokutoren entsprechend Präsumtionsregelerwartungen kommunizieren, behandeln Interlokutoren Delokutoren so, als ob sie kommunizieren könnten. Diese Als-Ob-Kategorie der sozialen Kommunikabilität ermöglicht damit eine Eingliederung von Delokutoren in diskursive Praktiken unter Geltung diskursuniversaler Normen. Neben diesen netzwerkartigen Verflechtungen von Delokutoren in sozial-kommunikative Relationen gilt für sie außerdem eine gewisse Rationalitätsannahme, welches mit Donald Davidsons Kohärenz- und Korrespondenzprinzip gut darstellbar ist. Dieses Rationalitätsprinzip bzw. die Rationalitätspräsumtionsregelerwartung gliedert dann zugeschriebene bzw. attribuierte propositionale Einstellungen und Gehalte in eine kohärente und korrespondierende Struktur. Dies deckt sich mit den bereits modellierten Handlungsgründen und -folgen, welche diskursiven Rollen als signifikative Struktur inhärent sind (cf. Kapitel 12.3 und 12.4). Zur sozialen Kommunikabilität und Rationalitätsannahme gesellt sich außerdem ein Prinzip der Normsensibilität und normativen Bewertbarkeit. Denn Rationalität bedeutet in diesem Rahmen nicht nur, dass über ein kohärentes Set an propositionalen Einstellungen und Gehalten verfügt wird, sondern auch, dass die entsprechenden diskursspezifischen Normen gelten. Insofern gilt hier, dass Delokutoren auch ein bestimmtes Normverständnis und -verhältnis zugewiesen wird. Soziale Kommunikabilität, Rationalität und Normsensibilität dienen als Heuristiken zur Erklärung und Deskription des Verhaltens von Delokutoren und können daher auch als Präsumtionsregelerwartungen formuliert werden. Da Delokutoren nicht unmittelbar an diskursiven Praktiken teilnehmen, sondern in der Semiose der Behauptung konstituiert werden, gelten für sie weder das Kooperationsprinzip noch seine Konversationsmaximen im engeren Sinne, sodass eine diskursive Unterscheidung zwischen Kooperationsprinzip und seinen Konversationsmaximen einerseits und den Prinzipien der sozialen Kommunikabilität, Rationalität und Normsensibilität andererseits sinnvoll ist: Während Delokutoren potenziell nach Prinzipien der sozialen Kommunikabilität, Rationalität und Normsensibilität beurteilt werden, gelten signifikative Formen des Kooperationsprinzips und des Prinzips der wohlwollenden Interpretation wohl eher für Interlokutoren. 5 5 Bartelborth/ Scholz sprechen ebenfalls von hierarchischen interpretativen Präsumtionen und stellen Rationalitätsbzw. Kohärenzpräsumtion, Kooperationspräsumtion und Konversationspräsumtionen (Konversationenmaximen) hierarchisch hintereinander (cf. 2002: 180), wollen sich aber nicht auf eine eindeutige Ordnung festlegen (cf. 2002: 184). Eine Analyse der Personalität in der diskursiven Praxis könnte hingegen zeigen, dass Rationalitätsbzw. Kohärenzpräsumtionen wirklich diskursiv robuster und Kooperationspräsumtion sowie Konversationspräsumtionen hierarchisch untergeordnet sind. 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 357 Für eine Analyse von Delokutoren in der Semiose der Behauptung und dann auch im Rahmen linguistischer Verbpragmatik können daher folgende Präsumtionsregelerwartungen formuliert werden: 1. Präsumtionsregelerwartung der sozialen Kommunikabilität (Möglichkeit der Kommunikation, Als-ob-Kommunikation), aber nicht der kommunikativen Kooperation Bezeichne Delokutoren so, als könnten sie sozial kommunizieren, solange du nicht hinreichende Gründe hast, zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 2. Präsumtionsregelerwartung der kohärenten und korrespondierenden Rationalität Bezeichne Delokutoren so, als seien sie rational, solange du nicht hinreichende Gründe hast, zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. 3. Präsumtionsregelerwartung der Normsensibilität (sowie der normativen Bewertbarkeit und Normativität der Rechtfertigungs- und Begründungstruktur) Bezeichne Delokutoren so, als seien sie hinsichtlich der diskursspezifischen Normen sensibel, normativ bewertbar und würden über eine Rechtfertigungs- und Begründungstruktur verfügen, solange du nicht hinreichende Gründe hast, zu glauben, dass dies nicht der Fall ist. Diese Normformulierungen, die für die diskursive Konstitution von Delokutoren in diskursiven Praktiken gelten dürften, fassen alternative diskursuniversale Normen zusammen, die mit einer Zuschreibung bzw. Attribuierung von diskursiver Intentionalität einhergehen. Die Folge von Zuschreibungen bzw. Attribuierungen ist also auch, dass ein Triangulationsobjekt, was dann als Delokutor konstituiert wird, hinsichtlich diskursiver Normen beurteilbar wird. Und zwar in dem Sinne, dass es als Handlungsakteur konstituiert wird, was eben auch soziale Kommunikabilität, Rationalität und Normsensibilität umfasst. Zusammenfassend bildet das Konzept der Präsumtionsregelerwartung eine epistemisch mildere Voraussetzung für die Involviertheit von Normen in diskursiven Praktiken. Dieses Verständnis ist nicht nur mit Brandoms Konzept der diskursiven Normativität verträglich, weil es ebenfalls von einer flexiblen Anwendungbarkeit diskursiver Normen ausgeht (cf. Kapitel 3.1.2). Es fusst auch auf Peirces Inferenzbegriff: Präsumtionsregelerwartungen funktionieren inferenziell letztlich abduktiv (cf. Kapitel 2.1.3.3). Die Anwendung diskursiver Normen hängt von der Erwartung des Eintretens des Falls ab. Das Ergebnis, also z. B. das stattgefundene Verhalten, wird also unter einer erklärenden Hypothese normativ eingebettet. Die Umformulierungen von Kooperationsprinzip und Prinzip der wohlwollenden Interpretation als Präsumtionsregelerwartungen sowie deren Anbindung an die Instanziierung sprachlicher Handlungen bieten eine neue Perspektive auf die Involviertheit diskursiver Normen. Nicht nur hat sich gezeigt, dass unterschiedliche diskursuniversale Normen für Interlokutoren und Delokutoren angenommen werden müssen, sondern auch, dass diskursive Normen als Strukturelementw verstanden werden sollten, die in Zeichenereignissen stattfinden. Die hier vorgestellten Grundlagen von Kooperationsprinzip und Prinzip der wohlwollenden Interpretation, die mithilfe des Konzepts der Präsumtionsregelerwartung in einen zeichenbasierten Normbegriff transformiert wurden, können nun 358 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms als Grundlage in eine verbpragmatische Analyse diskursiver Normen implementiert werden. 16.2 Verbpragmatik und diskursive Normen Diskursive Normen lassen sich auch verbpragmatisch analysieren. Diese These wird im Folgenden Kapitel eingelöst. Hierzu greife ich auf die relationslogischen und signifikanztheoretischen Beschreibungen zurück (cf. Kapitel 12). Weil diskursive Normen einen zentralen Status in der Konstitution von Verhalten als Handlung haben, werden in dieser Analyse die verschiedenen Aspekte noch einaml zusammengeführt und um eine Elaboration von diskursiven Normen aus verbpragmatischer Perspektive ergänzt. Es geht dabei darum zu zeigen, wie diskursive Normen (als Präsumtionsregelerwartungen) nicht nur Teil diskursiver Praktiken nicht, sondern inwiefern sich ihre Spuren in Handlungsdeskriptionen wiederfinden und analysen lassen. Am Beispiel des Verbs behaupten wird dessen triangulative Struktur (cf. Kapitel 15.4) um die Komponente der diskursiven Norm ergänzt, um die zeigen, welche Einfluss diskursive Normen auf Handlung und Handlungsakteure haben. Unter Rückgriff auf die Peirce'sche Relationslogik (cf. Kapitel 12.2) kann dieses triangulative Verhältnis als irreduzible Drittheit beschrieben werden. Dass (und auch welche) Normen bei der Konstitution dieser Relation eine relevante Rolle spielen, lann anschließend über einen Substitutionstest veranschaulicht werden, der sich der inferenzielle Gliederung intentionaler Verben bedient (cf. Kapitel 12.5). Über die Differenz verschiedener, aber inferenziell verknüpfter Signifikanzstrukturen, die über Handlungsdeskriptionen signifiziert werden können, lässt sich veranschaulichen, welche Beschreibung Handlungsnormen involvieren und welche nicht. Dass Intentionalität etwas mit diskursiven Normen zu tun hat, hat nicht nur das Grundlagenmodell intentionaler Verben gezeigt, sondern auch die Analyse der verschiedenen Praktiken, die zur Konstitution diskursiver Intentionalität führen (Zuschreibung, Attribuierung, Inskription, Inauguration). Inwiefern aber über eine verbpragmatische Analyse auch die Involviertheit diskursiver Normen an bestimmten diskursiven Positionen erklärt werden kann, soll im Folgenden veranschaulicht werden. Die Erklärung und Darstellung setzt dabei wieder beim Grundlagenmodell und dessen Relationslogik an, ist aber gleichzeitig mit anderen Bereichen der linguistischen Verbpragmatik verknüpft, insbesondere mit pragmatischer Signifikanz und diskursiven Rollen bzw. Diskursakteuren. Exemplarisch dient im Folgenden abermals das intentionale Verb behaupten zur Analyse. Es bietet sich hier nicht nur an, weil es ein sozial-kommunikatives Handlungsverb ist. Die vorgeführte Analyse der Involviertheit diskursiver Normen kann auch an die signifikanzstrukturellen und relationslogischen Analysen des Verbs behaupten der vorherigen Kapitel anschließen und sie entsprechend erweitern. Dazu werden einige der Ergebnisse der vorherigen Kapitel kurz resümiert, um die Erweiterung der Analyse vorzubereiten. Die Verbindung zwischen intentionalen Verben und diskursiven Normen möchte ich nun demonstrieren. Mithilfe einer erneuten Reflexion des Grundlagenmodells unter den Erkenntnissen der pragmatischen Signifikanz und der Explikation relationslogischer und universalkategorialer Aspekte kann die Signifikanzstruktur intentionaler Verben, insbesondere jener, die soziale, kooperative oder kollektive intentionale Relationen 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 359 signifizieren, spezifiziert werden. Dass diskursive Normen dabei eine prominente Funktion einnehmen, die sich nicht auf eine einzige intentionale Relation reduzieren lässt, ist dem triangulativen Potenzial dieser Verben zu verdanken (cf. Kapitel 14.3). Mithilfe der erneuten Exposition von genuin triadischen Relationen und der indirekten Transitivität intentionaler Verben kann dann eine inferenzielle Tiefenstruktur dieser Verben exemplifiziert werden, die ich nutze, um die Involviertheit diskursiver Normen nicht nur in der Konstitution, sondern auch hinsichtlich kommunikativer Prinzipien und Maximen zu demonstrieren. Insbesondere über den Prozess der Substitution lässt sich dann plausibilisieren, warum trotz strukturähnlicher Deskriptionen von Verhalten manches als normfolgende Handlung interpretiert wird, während anderes keinen entsprechenden diskursuniversalen Normen unterworfen ist. Das Verb behaupten stellt für diese verbpragmatische Analyse der Involviertheit diskursiver Normen den Ausgangspunkt dar. Im Folgenden zeige ich an verschiedenen bisher eingeführten Analysemöglichkeiten, welche signifikativen Strukturen das Verb aufweist und wie diese gemeinsam eine Analyse der Involviertheit diskursiver Normen ermöglichen. Dabei beziehe ich mich auf das 1. Grundlagenmodell intentionaler Verben (cf. Abb. 6), die 2. Analyse von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen (cf. Kapitel 12.4) sowie die 3. zeichenrelationale Triangulation (cf. Abb. 15). 1. Weil behaupten ein intentionales Verb ist, gelten für es diejenigen Elemente, die im Grundlagenmodell intentionaler Verben (cf. Abb. 6) dargestellt sind: Behaupten signifiziert eine intentionale Relation, die eine propositionale Einstellung (z. B. Kommunikationsabsicht), HandlungsakteurIn und intentionales Objekt umfasst. Der Unterschied zu anderen Verben, die eine phänomenale Beziehung zwischen Person und Objekt signifizieren (z. B. zusehen), ist, dass die vermeintlich unmittelbare Relation zwischen HandlungsakteurIn und intentionalem Objekt durch diskursive Normen konstituiert wird. Im Sinne Peirces handelt es sich also um eine genuin triadische Relation, weil sie nicht auf mehrere dyadische Relationen reduziert werden kann (cf. Kapitel 12.2). Im Grundlagenmodell intentionaler Verben bilden diskursive Normen, X (als diskursive Rolle) und Y (als intentionales Objekt) damit eine irreduzible Triade, sodass behaupten eine [[X]INTENTIONAL → [Y]]-Relation signifiziert. 2. Dieses irreduzible Verhältnis der verschiedenen Elemente von behaupten gilt nicht nur für die [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]]-Relation, also die Beziehung zwischen X und Y. Die Analyse der sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen hat gezeigt, dass intentionale Verben über eine komplexe Signifikanzstruktur verfügen und oftmals nicht auf eine intentionale Relation reduziert werden können. Behaupten als sozialkommunikatives Handlungsverb weist ebenfalls mehr als eine intentionale Relation auf. Es signifiziert eine soziale intentionale Relation zwischen zwei Personen, die als [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] notiert werden kann. Behaupten umfasst als Handlungsdeskription also mehr als eine Person. Außerdem signifiziert behaupten auch ein latentes Handlungspotenzial (und eine mögliche Folgehandlung), die als [[Z DRmitG ] INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] formalisiert wird. Wie z. B. die Analyse des Verhältnisses von behaupten und anfechten gezeigt hat, kann anfechten als eine Folgehandlung verstanden werden, die bereits latent von behaupten signifiziert wird (cf. Abb. 16). 360 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Für die verbpragmatische Analyse der Involviertheit diskursiver Normen ist insbesondere interessant, dass die Elemente der Struktur des Grundlagenmodells intentionaler Verben nicht nur für [[X DRausG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]], sondern auch für [[X DRausG ] ← SOZ INTENTIONAL EMSIF → [Z DRmitG ]] und [[Z DRmitG ]INTENTIONAL EMSIF → [Y iO ]] gelten. Das heißt: Nicht nur das Verhältnis von X und Y, sondern auch die Verhältnisse zwischen X und Z sowie Z und Y müssen als von diskursiven Normen konstituiert verstanden werden. Da es sich ebenfalls um intentionale Relationen handelt, gilt die genuine Drittheit auch für diese beiden Relationen. 3. Während das Grundlagenmodell intentionaler Verben sowie die Relationslogik zeigt, dass intentionale Relationen genuin triadische Relationen sind, demonstriert die Analyse der sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relation, dass intentionale Verben nicht nur mehrere intentionale Relationen umfassen. Für alle diese intentionalen Relationen gilt, dass sie genuin triadische Relationen sind, die kraft diskursiver Normen konstituiert werden. Dass das Verb behaupten nicht drei voneinander unabhängige intentionale Relationen signifiziert, sondern diese miteinander in Beziehung stehen, hat die zeichenrelationale Triangulation veranschaulicht. Jede intentionale Relation, die über die Elemente des Grundlagenmodells intentionaler Verben verfügt, steht über seine Relata im Verhältnis zu den anderen intentionalen Relationen. So steht z. B. das Relatum X DRausG sowohl mit Y iO als auch mit Z DRmitG in Relation. Aus diesen Verhältnissen bildet sich damit eine weitere irreduzible Triade wie Abb. 15 demonstriert. Ein Verb wie behaupten signifiziert also nicht nur unterschiedliche intentionale Relationen, sondern auch unterschiedliche Typen von triadischen Relationen: Die einen entsprechen dem Modell intentionaler Verben (cf. Abb. 6), die anderen der zeichenrelationalen Triangulation (cf. Abb. 15). Diese signifikativen Elemente des Verbs behaupten lassen sich für eine verbpragmatische Analyse der Involviertheit diskursiver Normen nutzen, indem diskursive Normen als Element des Grundlagenmodells intentionaler Verben in die zeichenrelationale Triangulation integriert werden. Im Verhältnis der verschiedenen intentionalen Relation zueinander bildet sich daraus ein Tetraeder, der die Involviertheit diskursiver Normen demonstriert. 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 361 Abb. 19: Darstellung intentionaler Verben als Tetraeder am Beispiel von behaupten Diese Darstellung umfasst die drei intentionalen Relationen, die behaupten signifiziert und deren zeichenrelationale Triangulation, wobei die Darstellung den Aspekt der diskursiven Normen fokussiert. Die drei Seitenflächen des Tetraeders stellen jeweils Variationen der intentionalen Relation dar, die mit dem Grundlagenmodell intentionaler Verben analysiert worden ist. An den Ecken finden sich jeweils die Relata der intentionalen Relation, also X DRausG , Y iO und Z DRmitG . Wie im Grundlagenmodell demonstriert, werden diese Relationen zwischen den Relata von diskursiven Normen konstituiert, was sie zu genuin triadischen Relationen macht. Daher taucht in der Darstellung nicht nur ein Platzhalter für diskursspezifische bzw. diskursuniversale Normen an der oberen Ecke auf, sondern auch die jeweilige Kategorienbezeichnung an den Kanten markiert die Drittheit der intentionalen Relationen. Die Grundfläche des Tetraeders stellt die zeichenrelationale Triangulation der intentionalen Relationen von behaupten dar. An den jeweiligen Kanten finden sich die Bezeichnungen der intentionalen Relationen, die Teil der zeichenrelationalen Triangulation sind. 362 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Die tetraedrische Darstellung, die das Grundlagenmodell intentionaler Verben und die zeichenrelationale Triangulation kombiniert, zeigt die Relevanz diskursiver Normen in der Konstitution intentionaler Relationen noch einmal auf. Während das Grundlagenmodell aber demonstriert hat, dass diskursive Normen einzelne intentionale Relationen konstituiert, zeigt die tetraedrische Darstellung, dass diskursive Normen für alle beteiligten intentionale Relationen relevant sind. Wenn man die Darstellung, ähnlich wie das Modell intentionaler Verben, aus Perspektive der Position der diskursiven Normen interpretiert, dann lässt sich veranschaulichen, wie diskursive Normen auf gewisse Weise für alle beteiligten Personen der signifizierten Handlungssituation gelten. Dies möchte ich nun mithilfe eines Substitutionstest des Verbs behaupten anhand der Präsumtionsregelerwartung der Kooperation demonstrieren. Die verbpragmatische Analyse der Involviertheit diskursiver Normen nutzt dabei die inferenziellen Tiefenstrukturen des intentionalen Verbs, hier behaupten. Dabei geht es einerseits darum, die synchronen Relationen der Handlungsdeskription bzw. -interpretation mithilfe von behaupten für die Analyse zu verwenden (cf. Kapitel 12.6). Es sollen diejenigen Deskriptionselemente untersucht werden, die zum selben Zeitpunkt hätten gebraucht werden können, um Verhalten als Handlung (oder nicht) zu konstituieren. Die hier analysierten Relationen stehen außerdem in inferenziellen Relationen zu behaupten. Über dieses inferenzielle Verhältnis lässt sich damit etwas über das diskursive Verhältnis von intentionalen und realen Relationen sagen (cf. Kapitel 12.2). Denn für die Deskription, so möchte ich zeigen, gibt es Alternativen, die nicht den diskursiven Handlungsnormen unterworfen, aber doch angemesse Beschreibungen wären. In der inferenziellen Tiefenstruktur intentionaler Verben wie behaupten gibt es so etwas wie einen Punkt, an denen das gewählte Verb (z. B. als Substitut) keine intentionale, sondern eine reale Relation erfasst und damit eine andere signifikative Struktur aufweist, die nicht über Handlungsnormen erfassbar ist. Relationslogisch handelt es sich dann nicht mehr um genuin triadische, sondern um dyadische Relationen. Kurz: Statt Handlungsdeskriptionen handelt es sich dann um Tätigkeitsbeschreibungen. Im Folgenden kann anhand der inferenzielle Tiefenstruktur des intentionalen Verbs behaupten gezeigt werden, inwiefern alternative, aber inferenziell verbundene Handlungsbzw. Tätigkeitsdeskriptionen unterschiedliche Normen zur Geltung bringen. Ausgangspunkt ist nun die tetraedrische Darstellung des Verbs behaupten (cf. Abb. 19), wobei im Folgenden angenommen werden soll, dass sich auch andere Verben, die Verhalten als Handlung oder Tätigkeit konstituieren, entsprechend dargestellt werden können. Um die Involviertheit diskursiver Normen in der Signifikanzstruktur von behaupten und das Verhältnis von inferenzieller Tiefenstruktur und Substitution zu veranschaulichen, verwende ich die Verben sagen und artikulieren. Beide signifizieren synchrone Relationen des Verbs behaupten. Sie erfassen das von behaupten beschriebene Verhalten zwar auf alternative Weise, stellen aber gleichzeitig mögliche Teilelemente der Handlungsdeskription durch behaupten dar. 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 363 Abb. 20: Inferenzielle Tiefenstruktur und Substitute von behaupten Diese Darstellung von Aspekten der inferenziellen Tiefenstruktur von behaupten ist der erste Schritt in der verbpragmatischen Analyse der involvierten diskursiven Normen. Ausgehend von den intentionalen Relationen, die behaupten signifiziert, lassen sich subsentenziale inferenzielle Relationen zu anderen Handlungsdeskriptionen respektive deren intentionalen (und realen) Relationen herstellen. Die hier dargestellte inferenzielle Gliederung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Behaupten (als Handlungsdeskription oder -interpretation) steht in inferenzieller Relation zu sagen und artikulieren, sodass sagen und artikulieren das Verb behaupten substituieren können. Oder: Wer ein Verhalten als Behauptung interpretiert bzw. beschreibt (und sich damit darauf festlegt), der legt sich gleichzeitig darauf fest, dass diese Handlung auch etwas impliziert, was man als sagen und artikulieren interpretieren bzw. beschreiben kann. Um des Arguments willen sollten sich die von den drei Verben behaupten, sagen und artikulieren signifizierten Relationen entsprechend der tetraedrischen Darstellung vorgestellt werden. Die Verben signifizieren mehrere Relationen, die auch in zeichenrelationaler Triangulation zueinanderstehen. Entsprechend steht Abb. 20 weniger für mehrere einzelne intentionale Relationen, die in inferenzieller Relation stehen, als vielmehr für mehrere tetraedrische Gebilde, die über Inferenzen miteinander verbunden sind. Betrachtet man nun diese Konstellationen an intentionalen Relationen über die inferenziellen Relationen (von behaupten über sagen zu artikulieren) hinweg, dann fällt auf, dass sich nur behaupten und sagen als intentionale Verben analysieren lassen: Sie beschreiben Handlungssituationen, die mehrere Personen involvieren, die in einer sozialen Beziehung stehen und auch das intentionale Objekt (die Behauptung bzw. Aussage sowie deren Gehalt) kann als inferenziell gegliedert verstanden werden. Diese Analyse des Verbs als intentionale Relation gelingt bei artikulieren nicht, zumindest dann nicht, wenn es im Sinne phonetischer Emission interpretiert wird. Artikulieren signifiziert weder eine intentionale Relation noch involviert es genuin mehrere Personen. Auch die phonetische Emission kann trotz syntaktischer oder grammatischer Wohlgeformtheit nicht als inferenziell gegliedert verstanden werden. 6 Vielmehr steht artiku- 6 Der mögliche Einwand, dass ja auch phonetische Emission als Sprache, Äußerung oder sogar Behauptung verstanden werden könnten, zeigt die Relevanz dieser verbpragmatischen Analyse. Denn in dem Moment, in 364 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms lieren für eine Tätigkeit, in der eine Person bzw. ein Artikulationsorgan eine Zeichenemission erzeugt. Zwischen Artikulationsorgan und Zeichenemission besteht dabei durchaus eine Relation, die sich auch relationslogisch analysieren lässt, doch handelt es sich dabei nicht um eine intentionale, sondern um eine reale Relation: Die Beziehung zwischen Artikulationsorgan und Zeichenemission ist unmittelbar, sodass auch das Verb artikulieren als transitives Verb beschrieben werden kann (cf. extrinsische Transitivität in Kapitel 12.2.2). Der Unterschied der verschiedenen Handlungen und Tätigkeiten, die mit behaupten und sagen einerseits und artikulieren andererseits beschrieben werden können, liegt nun weniger in deren physischer Beschaffenheit. Vielmehr gelten für Verhaltensweisen, welche als behaupten bzw. sagen interpretiert bzw. beschrieben werden, spezifische sozialkommunikative Handlungsnormen. Wird dasselbe Verhalten als artikulieren interpretiert oder beschrieben, werden diese Normen nicht beansprucht. Die Differenz von behaupten bzw. sagen und artikulieren ist also kein ontologischer, sondern ein normativer. Dieser Umstand, dass sich behaupten und sagen einerseits und artikulieren andererseits hinsichtlich der Möglichkeit der Beurteilung auf Basis sozial-kommunikativer Handlungsnormen unterscheiden, lässt sich nun auf die Analyse der Involviertheit diskursiver Normen anwenden. Denn über die inferenzielle Tiefenstruktur und Substitution der drei Verben lässt sich zeigen, inwiefern diskursive Handlungsnormen hier Anwendung finden. In Anschluss an die vorherigen Kapitel lässt sich diese Involviertheit insbesondere anhand diskursuniversaler Normen veranschaulichen, da sich diskursspezifische Normen aus den jeweiligen charakteristischen historischen und institutionellen Praktiken ergeben und damit eine signifikante kontextuelle Anbindung erfordern. Für die linguistische Pragmatik kann eine verbpragmatische Analyse aber bei der Involviertheit diskursuniversaler Normen ansetzen, hier exemplarisch an (INT-KOOP-Pr-R), also der Präsumtionsregelerwartung der Kooperation (cf. Kapitel 16.1). Für inferenzielle Gliederung und Substitution kann so demonstriert werden, warum diese diskursuniversalen Normen für Handlungsituationen gelten, die als behaupten oder sagen interpretiert bzw. beschrieben werden, aber nicht für artikulieren. Dass behaupten diskursive Normen involviert, veranschaulicht bereits das Grundlagenmodell intentionaler Verben respektive die tetraedrische Darstellung. Allerdings fungiert das Relatum der diskursiven Normen sowohl im Grundlagenmodell als auch in der tetraedrischen Darstellung noch als Platzhalter. Zwar demonstriert der Platzhalter, warum intentionale Verben genuin triadische Relationen signifizieren, doch werden dabei keine konkreten diskursiven Normen genannt, die intentionale Relationen konstituieren bzw. in diesen involviert sind. Dass die Präsumtionsregelerwartung der Kooperation bei Handlungssituationen Anwendung findet, die als behaupten signifiziert werden, lässt sich plausibilisieren, wenn für den Platzhalter die diskursuniversale Norm (INT-KOOP-Pr-R) eingefügt wird. Der tetraedrischen Darstellung folgend gilt die Präsumtionsregelerwartung der Kooperation dann für X DRausG , Z DRmitG und Y iO , wobei sich der Schwerpunkt der normativen Signifikanz jeweils verändert. In der Normformulierung von (INT-KOOPdem eine phonetische Emission als Behauptung interpretiert wird, wäre nicht mehr artikulieren, sondern eben behaupten die angemessene Deskription. 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 365 Pr-R) (cf. Kapitel 16.1) finden sich bereits diejenigen Elemente, die behaupten signifiziert: Gesprächspartner (X DRausG und Z DRmitG ), die Äußerung und deren Gehalt (Y iO ) und den wechselseitigen Zweck und die wechselseitig akzeptierte Richtung des Gesprächs, die als Aspekte der sozialen intentionalen Relation von behaupten verstanden werden können. Für die normsensiblen Wesen, die mit X DRausG und Z DRmitG signifiziert werden, gilt damit (in der jeweiligen Handlungssituation) die Präsumtionsregelerwartung der Kooperation: Die Äußerung von X DRausG kann von Z DRmitG als angemessener Beitrag zum Gespräch akzeptiert werden, wenn es sich um eine Behauptung handelt. Gleichzeitig wird auch Z DRmitG ein gewisser Grad an Rationalität und damit die Möglichkeit der sozial-kommunikativen Erwiderung (z. B. in Form von Anfechtungen) zugewiesen. Auch wenn Z DRmitG durch behaupten nicht als handelnde Person signifiziert wird, impliziert die signifikative Struktur des intentionalen Verbs doch signifizierte Anschlusshandlungen, die Z DRmitG vollführen kann (cf. Kapitel 14.3). Inwiefern die Präsumtionsregelerwartung der Kooperation tatsächlich für von intentionalen Verben signifizierten Handlungsituationen Geltung beansprucht und nicht für alle Tätigkeitsdeskriptionen, kann ein Substitutionstest veranschaulichen. Wenn artikulieren das Verb behaupten (in Texten, Gesprächen oder Inteprretationen) substituiert, dann findet (INT-KOOP-Pr-R) keine Anwendung mehr. Sowohl die inferenzielle Tiefenstruktur von behaupten als auch die tetraedrische Darstellung legen dies nahe, da artikulieren keine diskursiven Handlungsnormen involviert. Auch lassen sich die Elemente der Normformulierung (Gesprächspartner, Äußerung und wechselseitige Gesprächsbeziehung) nicht in der Signifikanzstruktur von artikulieren wiederfinden: Die artikulierende Person muss weder Teil einer Gesprächssituation und damit Gesprächspartner sein, noch gilt die Zeichenemission notwendigerweise als vollwertige Äußerung bzw. Gesprächsbeitrag im Sinne der Präsumtionsregelerwartung der Kooperation. Die Differenz von behaupten und artikulieren besteht also auch darin, dass für die von behaupten signifizierte Handlungssituation die Präsumtionsregelerwartung der Kooperation gilt, während für artikulieren diese diskursuniversale Norm nicht in Anspruch genommen wird, auch deshalb, weil artikulieren keine Handlung, sondern eine Tätigkeit ist. Diskursive Normen als Teil der signifikativen Struktur intentionaler Verben zu analysieren, kann über diese Substitution ermöglicht werden. Ausgehend von einer tetraedrischen Darstellung intentionaler Verben, die sich aus Grundlagenmodell und zeichenrelationaler Triangulation herstellen lässt, kann der Aspekt der diskursiven Norm prominent gemacht werden. Über die inferenzielle Tiefenstruktur intentionaler Verben, die gleichzeitig als inferenzielle Relationen für Substitutionen dienen, lässt sich die Involviertheit diskursiver Normen dann erproben. Wenn konkrete diskursive Normen als Element der signifikativen Struktur analysiert werden sollen, kann die relationslogische Analyse und die tetraedrische Darstellung als Hilfsmittel dienen. Dies habe ich exemplarisch an der Präsumtionsregelerwartung der Kooperation gezeigt. Zusammenfassend zeigt die verbpragmatische Perspektive auf diskursuniversale Normen, wie sich die Involviertheit diskursiver Normen in Praktiken analysieren lässt. Während dies zwar keine handlungstheoretische Beschreibung diskursiver Normen ersetzen kann bzw. soll, so lassen sich doch an einzelnen Verben verschiedene Normbefolgungen veranschaulichen. Anstatt diskursive Normen als Voraussetzung von Praktiken 366 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms zu verstehen, kommt eine verbpragmatische Analyse nicht nur ohne starke epistemische Annahmen aus, sondern hebt hervor, dass sich die Involviertheit diskursiver Normen nur in Praktiken selbst nachweisen lassen kann, und ist damit grundlegend gebrauchsbasiert. Diese Analyse diskursiver Normen schließt damit die Reflexionen zur relationslogischen und verbpragmatischen Anwendung intentionaler Verben in Kernbereichen linguistischer Pragmatik ab. Ausgangspunkt war es, Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms zu entwickeln und damit die grundlegenden Prämissen der linguistischen Verbpragmatik (cf. Kapitel 12) anwendungsbezogen zu demonstrieren. Die Anwendung hat dabei in drei Bereichen stattgefunden, die der linguistischen Pragmatik zuzuordnen sind: Sprachliches Handeln, Diskursakteure und diskursive Normen. Der Übertrag und die darauf resultierende Weiterentwicklung der theoretischen Grundlagen intentionaler Verben führt die einer verbpragmatische Analyse in diesen Kernbereichen der Pragmatik: Sprachliches Handeln lässt sich demnach mithilfe der pragmatischen Signifikanz intentionaler Verben analysieren. Im Sinne der deontischen Kontoführung stellen die von Verben beschriebenen Handlungen Züge im Sprachspiel dar. Intentionale Verben bieten daher Verkettungsmöglichkeiten an, die inferenziell gegliedert sind. Diskursakteure lassen sich wiederum über diskursive Rollen rekonstruieren. Dass sozial-kommunikative Praktiken nur selten Sprecher-Hörer-Adjazenzen sind und häufig Delokutoren involvieren, kann auch auf die triangulative Struktur intentionaler Verben zurückgeführt werden. Interlokutoren und Delokutoren ordnen sich entlang der Signifikanzstruktur dieser Verben. Auch diskursive Normen können verbpragmatisch als Element von deren Signifikanz analysiert werden. Wenn diese als Präsumtionsregelerwartungen analysiert werden, dann zeigt sich deren Anwendung in der Konstitution von Verhalten als Handlung, was über Substitution veranschaulicht werden kann. Die linguistische Verbpragmatik zeigt damit nicht nur, wie aus einer Verbperspektive verschiedene pragmatische Relationen und Prozesse analysieren werden können. Auch hat sich das Modell intentionaler Verben während der Analysen weiterentwickelt, sodass eine breitere Anwendung auf diskursive Praktiken möglich zu sein scheint. 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 367 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 17 Zusammenfassung und Fazit Diese Arbeit hat Grundlagen für eine Analyse handlungstheoretischer Aspekte diskursiver Praktiken gelegt. Dabei wurden verschiedene Elemente, insbesondere sozial-kommunikative Handlungen selbst sowie die an ihnen beteiligten AkteurInnen und Personen, entlang der Signifikanz intentionaler Verben analysiert und modelliert. Intentionale Verben als wesentliche soziale, normative und kognitive Zeichenelemente dienen dabei auf verschiedenen Ebenen der Handlungskonstitution, wie bereits das Transkript von Hannah und ihrer Mutter gezeigt hat (cf. Kapitel 1). Denn intentionale Verben und ihre Signifikanzstruktur können sowohl Aspekte der 1. Handlungsinterpretation, der 2. Handlungsdeskription als auch der 3. signifizierten Handlungsumgebung (z. B. vorausgehende, gleichzeitige und nachfolgende Handlungen) analysierbar machen: (1.) Auf Ebene der Handlungsinterpretation sind sie kognitivnormative Elemente, deren signifikative Struktur es ermöglicht, Verhalten als Handlung zu interpretieren. (2.) Als Zeichen der Handlungsdeskription, z. B. in Texten oder Gesprächen, explizieren sie die Handlungsinterpretationen, wobei diese dadurch auch sozial-normativ und kommunikativ eingebettet werden, was sowohl für Interlokutoren als auch Delokutoren diskursive Konsequenzen im Sinne deontischer Kontoführung hat. (3.) Intentionale Verben signifizieren auf Basis ihrer material-inferenziellen Struktur außerdem die Handlungsumgebung insofern mit, als dass in ihnen bereits mögliche weitere Handlungsinterpretationen und -deskriptionen angelegt sind. Die mit präteritalen, synchronen und konsekutiven Relationen modellierten Signifikanzstrukturen intentionaler Verben zeigen auf, inwiefern Verben nicht nur Verhalten als Handlung in der Interpretation bzw. Deskription konstituieren, sondern auch, dass sie z. B. Folgehandlungen bzw. Folgehandlungsdeskriptionen bereits signifikativ bereitstellen. Anstatt also Handlungskonstitution, Handlungsinterpretation, Handlungsdeskription und signifizierte Handlungsumgebung mithilfe unterschiedlicher Konzepte zu erklären, können diese über intentionale Verben als Zeichen analysiert werden, wobei sich allein Explizitheit und Implizitheit bzw. die fokussierten signifikativen Strukturen der intentionalen Verben in der Analyse unterscheiden. Ausgangspunkt der Analyse handlungstheoretischer Aspekte diskursiver Praktiken ist dabei ein differenzierter pragmatistischer Zeichen- und Sprachbegriff, der insbesondere auf den Arbeiten Charles S. Peirces und Robert B. Brandoms basiert. Obwohl eine ausführliche Beschreibung des Zeichen- und Sprachbegriffs nicht nur verschiedene Teilelemente des Zeichens (Repräsentamen, Objekt bzw. Objektrelation und Interpretant) und Kraft- und Effektverhältnisse wie Materialität, Medialität, Repräsentation, Signifikation, Referenz und Inferenz veranschaulicht, ist zumindest Folgendes nachdrücklich hervorzuheben: Der Begriff des Zeichens, insbesondere sprachlicher Zeichen, ist für diese Arbeit der zentrale Begriff, weil er es erlaubt, Prozesshaftes anhand expliziter Elemente (z. B. in Form von Handlungsdeskriptionen) zu rekonstruieren, aber sie gleichzeitig auf Implizites (z. B. Handlungsinterpretationen) anzuwenden. Dieser Zeichen- und Sprachbegriff unterscheidet sich insofern von vielen im Rahmen linguistischer Forschungen verwendeten Zeichenbegriffen, als dass er irreduzibel hinsichtlich seiner drei wesentlichen Aspekte ist: Objektrelationen (hier z. B. Handlungsdeskriptionen, die auf Verhalten verweisen), Repräsentamen (hier z. B. Verben als signifikative und grammatische Formen) und Interpretanten (hier z. B. Beurteilungsnormen, die sich habituell sedimentiert haben) bilden nur zusammen ein Zeichen (hier intentionale Verben) im semiotischen Kontinuum. Ein Zeichenbegriff, der diese verschiedenen Aspekte jeweils reduziert, z. B. vom Primat der grammatischen Form ausgeht, kann für die theoretische Argumentationslinie dieser Arbeit, also in Hinsicht auf Handlungsinterpretation bis hin zu Handlungsdeskription und signifizierter Handlungsumgebung nichts leisten, weil er die Fülle der signifikativen Kräfte, z. B. diskursiver Normen oder kognitiver Strukturen in spezifischen diskursiven Praktiken, nicht erfasst. Neben Irreduzibilität ist auch der Begriff der Inferenz für diesen Sprach- und Zeichenbegriff relevant. Denn er erlaubt nicht nur, unterschiedliche Voraussetzungen und Konsequenzen von Handlungsinterpretationen und Handlungsdeskriptionen zu analysieren und zu modellieren, sondern zeigt auch, wie sprachliche Zeichen strukturellen Einfluss auf das semiotische Kontinuum haben: Sie eröffnen Möglichkeiten der Folgedeskription von Handlungen und der beteiligten Akteure und Personen. Inferenzen im hier vertretenen Sinne sind außerdem nicht nur erkenntnistheoretische Postulate, sondern gelten als strukturgebend für sozial-kommunikative Praktiken. Insofern reichen Inferenzen (und auch inferenzielle Relationen) über einzelne KommunikationsteilnehmerInnen hinaus, weil sie in Festlegungs- und Berechtigungsstrukturen eingebunden werden. An der Schnittstelle von normativer Pragmatik und inferenzieller Semantik im Sinne Brandoms bilden intentionale Verben und ihre inferenzielle Struktur also nicht nur semantische Gehalte. Vielmehr verbinden sie Interlokutoren während der Konstitution von Verhalten als Handlung im sozial-kommunikativen Sinne, entweder, weil sie über die Handlungsdeskription (von Delokutoren) in Beziehung stehen oder weil sie sich wechselseitig als sozial-kommunikative Wesen verstehen (z. B. über die implizite Konstitution sprachlicher Handlungen). Der pragmatische Zeichen- und Sprachbegriff, der insbesondere auf material-inferenziellen und signifikativen Strukturen fußt, ermöglicht eine differenzierte Analyse von handlungstheoretischen wie pragmatischen Elementen diskursiver Praktiken. Dabei habe ich ein theoretisches Vokabular entwickelt, welches jene flüchtigen Handlungsaspekte zugänglich machen soll. Insbesondere die Begriffe 1. Signifikanz, 2. diskursive Intentionalität, 3. intentionales Verb, 4. intentionale Relation, 17 Zusammenfassung und Fazit 369 5. diskursive Rolle und 6. präteritale, synchrone und konsekutive Relation haben sich dabei als analytischer Zugang erwiesen, welcher sowohl der pragmatistischen als auch der inferenziellen Perspektive dieser Arbeit treu bleibt. 1. Signifikanz stellt zwar zunächst keinen handlungs-, sondern einen zeichentheoretischen Aspekt diskursiver Praktiken dar, wird in der hier vorgeschlagenen Analyse aber handlungsdeskriptiv und -interpretativ genutzt. Signifikanz ist dabei keine Einheit der Äußerungs- und Zeichenebene. Sie setzt unterhalb der Zeichenebene an und stellt eben jene Elemente bereit, aus denen sich Handlungszeichen zusammensetzen. Dies gilt insbesondere für intentionale Verben, deren signifikative Struktur sich durch diskursive Rollen und intentionale Relationen auszeichnet. Signifikanz als Komplement zum Zeichenbegriff zu nutzen, erweist sich dabei auf mehrere Weise als zielführend. Erstens ermöglicht der Begriff der Signifikanz, Elemente unterhalb der Zeichenebene zu analysieren und zu modellieren, die im Moment der Zeichenwerdung selbst (noch) keine Zeichen sind, aber im weiteren diskursiven Verlauf explizit gemacht werden können. Weil er auch kognitive Aspekte umfasst, weist der Begriff der Signifikanz an dieser Stelle durchaus Nähe zu frametheoretischen Ansätzen auf, wobei er sich stets aus Perspektive des Zeichens und nicht der Kognition (als neuronales Korrelat) entwickelt. Weil sich Signifikanz zweitens aus Zeichen in der Semiose ableitet, enthält sie - ebenso wie signifikative Strukturen - ein dynamisches Moment. Signifikanz gilt nicht als manifester Gehalt, sondern als flüchtiges, aber konventionalisiertes Moment in diskursiven Praktiken. Diese inhärente Dynamik verhindert eine theoretische wie analytische Externalisierung von Signifikanz als Gehaltselement von Zeichen, was mit dem hier vertretenen Zeichenbegriff einhergeht. Da Signifikanz drittens während der Zeichenwerdung ansetzt und daher noch keine vollwertige Zeichenstruktur besitzt, ordnet sie sich in der Signifikation noch nicht einer semantischen oder pragmatischen Seite der Kommunikation zu. Sie bildet vielmehr die zeichenhafte Voraussetzung, damit sich z. B. Handlungsdeskriptionen als semantische Elemente in Texten oder Gesprächen wiederfinden lassen oder Verhalten als Handlung (auf Basis pragmatischer Signifikanz) interpretiert werden kann. Diese Flexibilität des Signifikanzbegriffs ermöglicht eine kontinuierliche Analyse von Handlungsdeskriptionen, Handlungsinterpretationen und Handlungsumgebung, die sich zwar unterschiedlich semantisch oder pragmatisch und implizit oder explizit kommunikativ sedimentieren, aber alle auf signifikativen Strukturen beruhen. 2. Der Begriff der diskursiven Intentionalität rahmt die verschiedenen inferenziellen und pragmatistischen Überlegungen und Modelle dieser Arbeit ein. Er ist deshalb so relevant, weil er die handlungstheoretischen Aspekte betont und sich damit einerseits von einem phänomenologischen Intentionalitätsbegriff und andererseits von Intention, Volition und Agentivität abgrenzt. Für diese Untersuchung ist aber weniger eine strikte Definition von diskursiver Intentionalität von Relevanz, als sei diese ein Objekt, welches empirisch nachzuweisen sei. Vielmehr zeigt die Beschäftigung mit diskursiven Normen, inferenziellen Relationen, intentionalen Systemen*, Signifikanz, Handlungen mit Gründen und Hand- 370 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms lungen aus Gründen, dass es sich eher um eine Konstellation verschiedener diskursiver Elemente handelt, die die notwendige Voraussetzung für die Emergenz von (sozialkommunikativen) Handlungen ist. Denn es geht hier darum zu zeigen, wie aus Verhalten Handlungen erwachsen. 3. Über intentionale Verben wird diskursive Intentionalität nicht nur analytisch zugänglich und diskursiv explizierbar, sondern auch zeichentheoretisch modellierbar. Mithilfe von T. L. Shorts Peirce-Interpretation können diese nicht nur mit Signifikanz in Verbindung gebracht, sondern auch als inferenzielles Zentrum der Emergenz diskursiver Intentionalität betrachtet werden. In der Beschäftigung mit intentionalen Verben, die sich verblogisch von anderen Verbanalysen in der Linguistik unterscheiden, zeigen sich unterschiedliche signifikative Strukturen, die für Zuschreibung und Attribuierung von diskursiver Intentionalität relevant sind. Gleichzeitig können intentionale Verben weder auf semantische noch auf grammatische Strukturen reduziert werden, denn sie stellen signifikativ vielmehr das semiotische Zentrum diskursiver Normen, intentionaler und inferenzieller Relationen und von Handlungsgründen dar. 4. Durch die relationslogische Perspektive auf intentionale Verben können signifikative Strukturen nicht nur präziser analysiert, sondern auch entlang von Kraft- und Inferenzlinien modelliert werden. In Rückgriff auf Peirces universale Kategorien sowie die Kraft- und Wirkungsverhältnisse in Zeichenprozessen können - ausgehend von expliziten oder impliziten Verbsignifikationen - deren Strukturen in der Zeichenwerdung bestimmt werden. Dies betrifft einerseits die tiefenstrukturelle, inferenzielle und diskursiv-normative Ebene der Verben, wenn es um eine relationslogische Analyse der vermeintlichen Transitivität intentionaler Verben geht. Andererseits können aus der intentionalen Relation und deren inferenzieller Struktur (EMSIFs, EMSIBs und EMSIIs) auch weitere signifikative und handlungstheoretisch relevante Elemente abgeleitet werden, insbesondere diskursive Rollen, soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen sowie eine verbpragmatische Handlungsumgebung in Form von präteritalen, synchronen und konsekutiven Relationen. 5. Von den verschiedenen inferenziellen Relationen und signifikativen Strukturen sind insbesondere diskursive Rollen hervorzuheben, weil sich aus ihnen die handlungstheoretische Anbindung an Personen und AkteurInnen ergibt. Denn während die intentionale Relation des intentionalen Verbs noch die Handlung selbst erfasst, sind es die diskursiven Rollen, die den Handlungen HandlungsakteurInnen zuordnen. Diese eher kontraintuitive, aber relationslogisch gerechtfertigte Perspektive leitet also Handlungs- und Diskursakteure aus den kraft des Verbs signifizierten intentionalen Relationen ab. Hier kommen dann auch die spezifischen handlungstheoretischen Differenzierungen zum Tragen, insbesondere die Unterscheidung von Handlungen aus Gründen und Handlungen mit Gründen. Diese Unterscheidung führt aber vorausgehende Absichten und Handlungsabsichten als mentales Korrelat nicht wieder ein, sondern versteht diese als inferenziell und damit handlungsbegründend strukturiert, wobei sich diese Strukturierung jeweils aus Zeichenrelationen ergibt. Über den Begriff der diskursiven Rollen können außerdem diejenigen Verben destilliert werden, die als soziale Handlungsverben die “ Kernkategorie ” (Harendarski 2021 a: 33) intentionaler Verben darstellen. Im Verhältnis der diskursiven Rollen lassen sich darüber 17 Zusammenfassung und Fazit 371 Binnendifferenzierungen dieser Verben vornehmen, die auf sozialen, kollektiven und kooperativen intentionalen Relationen gründen. Diese Differenzierungen haben nicht nur Konsequenzen für die Beschreibung der Handlungs- und Diskursakteure, sondern auch für die Signifikation der Handlungsumgebung mittels weiterer Verben. 6. Die signifikativen Strukturen, welche von intentionalen Verben in diskursive Praktiken eingebracht werden, beschränken sich aber nicht auf die Signifikation von Verhalten als Handlung respektive die Konstitution von HandlungsakteurInnen. Denn mithilfe der inferenziellen Gliederung intentionaler Verben können auch weitere, nicht realisierte intentionale Relationen modelliert werden. Die Begriffe der präteritalen, synchronen und konsekutiven Relationen können die inferenzielle Handlungsumgebung intentionaler Verben analytisch zugänglich machen. Dabei wird nicht nur angenommen, dass andere Verben inferenziell mit intentionalen Verben in Beziehung stehen, sondern auch, dass einige Realisierungsmöglichkeiten bereits material-inferenziell in der signifikativen Struktur intentionaler Verben angelegt sind. Damit verweisen intentionale Verben als Handlungsdeskriptionen also nicht nur auf Verhalten, sondern strukturieren auch vorausgehende und folgende Handlungsdeskriptionen und -interpretationen latent mit. Diese konkreten und latenten Strukturen macht sich eine verbpragmatische Perspektive zunutze, um Handlungsdeskriptionen und -interpretationen, die über das jeweils gewählte intentionale Verb hinausgehen, zu modellieren. Diese Perspektive konkurriert weniger mit Ansätzen zur Analyse von Sprachhandlungsmustern oder Musterhaftigkeit in der sozialen Interaktion. Vielmehr legt sie die signifikativen Strukturen offen, die es erst ermöglichen, ambige Äußerungen und Folgeäußerungen als Handlungsmuster zu interpretieren (cf. hierzu Briese/ Klix i. E.). Mithilfe der Begriffe der Signifikanz, der diskursiven Intentionalität, des intentionalen Verbs, der intentionalen Relation, der diskursiven Rollen und der präteritalen, synchronen und konsekutiven Relationen konnte anschließend eine verbpragmatische Perspektive auf diskursive Praktiken entwickelt werden. Dabei erweisen sich die Begriffe anwendbar auf die Bereiche der Analyse von sprachlichen Handlungen (pragmatische Signifikanz), von Diskursakteuren (Interlokutoren und Delokutoren) und diskursiven Normen (Präsumtionsregelerwartungen). In dieser Anwendung des grundlegenden theoretischen Vokabulars kann einerseits an bestehende Sprachtheorien angeschlossen, andererseits über die Verbperspektive eine zeichenfundierte Analyse garantiert werden. Die Perspektive auf diese Kernbereiche linguistischer Pragmatik entwickelt das Modell intentionaler Verben respektive der Verbpragmatik am jeweiligen Erkenntnisgegenstand weiter. Intentionale Verben erweisen sich dabei in den meisten Fällen nicht nur als eine Konstellation mehrerer intentionaler Relationen, sondern es lässt sich auch rechtfertigen, dass in der zeichenrelationalen Triangulation intentionaler Verben bereits latente Signifikanzen mitstrukturiert sind, die spezifische Folgehandlungen ermöglichen. Dass nicht nur Verben als Handlungsdeskriptionen, sondern auch die von ihnen signifizierten diskursiven Rollen für sozial-kommunikative Praktiken relevant sind, zeigt die Analyse von Diskursakteuren in der Verkettung intentionaler Verben. Anhand von Sprachhandlungsverben konnte die latente Involviertheit von DiskursakteurInnen analysiert werden, um den Übergang von Handlungssituation (Interlokutoren) zu Handlungsdeskription (Delokutoren) zu veranschaulichen. 372 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms Mithilfe einer Substitutionsanalyse auf Ebene der synchronen Relationen intentionaler Verben kann außerdem die Involviertheit diskursiver Normen in der Handlungsdeskription analysiert werden. Anhand diskursuniversaler Normen kann ich zeigen, auf welcher Deskriptionsebene entsprechende diskursive Normen greifen und als Präsumtionsregelerwartungen Wirksamkeiten in sozial-kommunikativen Praktiken entfalten. Ausgehend vom hier vertretenen pragmatistischen und inferenzialistischen Sprach- und Zeichenbegriff, dem relevanten theoretischen Vokabular sowie der Ausdifferenzierung der verbpragmatischen Perspektive auf verschiedene Erkenntnisobjekte der linguistischen Pragmatik lässt sich die Arbeit auch entsprechend zusammenfassen, das Forschungsprogramm explizieren und es lassen sich Vorteile des Ansatzes hervorheben. Die Arbeit begründet die These, dass sich wesentliche handlungstheoretische Elemente diskursiver Praktiken mithilfe intentionaler Verben analysieren lassen, wobei diese pragmatische Perspektive intentionaler Verben über eine rein wissenschaftliche Heuristik hinausgeht. Denn ausgehend von den hier präsentierten Argumenten unterscheidet sich der wissenschaftliche Zugang zu den handlungstheoretischen Aspekten diskursiver Praktiken nicht von denen der Interlokutoren in der sozialen Interaktion: Sowohl in konkreten Handlungssituationen und den damit verbundenen Handlungsinterpretationen, in Handlungsdeskriptionen als auch in der Analyse von Handlungsinterpretation und -deskription stellen intentionale Verben das signifikative Zentrum dar. Diese semiotische Kontinuität erweist sich analytisch als vorteilhaft, weil sie kategoriale Sprünge in der Analyse vermeidet und daher nicht annehmen muss, dass Kognition, Zeichenprozesse, soziale Kommunikation und Handlungspraktiken etwas grundsätzlich Unterschiedliches seien. Vielmehr ermöglicht der hier vertretene differenzierte Zeichenbegriff, die jeweiligen semiotischen Elemente in Hinsicht auf die verschiedenen Aspekte und Dimensionen diskursiver Praktiken zu untersuchen. Nicht nur die irreduzible Drittheit des Zeichenbegriffs Peirces, sondern auch dessen Einbettung in Semiose sowie die strukturelle Differenzierung in Zeichen, Signifikation (Zeichenwerdung) und Signifikanz ermöglichen eine Perspektive, die diese verschiedenen sozial-kommunikativen, normativen und kognitiven Ebenen eher durchkreuzt. Einer Zeichentheorie hingegen, die Zeichen auf Erkenntnisobjekte reduziert und sie damit in einer Welt “ da draußen ” verortet, entgleitet eine entsprechende Analyse angesichts der objekt- und nicht zeichenprozesslogischen Orientierung. Neben den analytischen und erkenntnistheoretischen Vorteilen, die sich aus dem differenzierten Zeichenbegriff ergeben, leistet diese Arbeit dem linguistic turn konsequent Folge. Denn trotz gerechtfertigter Kritik an diesem Paradigma in den Sozial- und Geisteswissenschaften, insbesondere als Reaktion auf poststrukturalistische Ansätze, gilt zumindest für die Sprachwissenschaften, dass es sinnvoll ist, ihr Vokabular aus dem von ihnen untersuchten Gegenstand zu rekrutieren. Mein Ansatz führt zu einer linguistischen Pragmatik, die sprachliche und handlungstheoretische Aspekte mithilfe sprachlicher Zeichen erklären und analysieren kann. Ein solches Unterfangen kann aber nur gelingen, und das hat diese Arbeit gezeigt, wenn sprachliche Zeichen als Elemente in Handlungszusammenhängen verstanden werden, ganz im Sinne eines pragmatic turn (cf. z. B. Bernstein 2010). 17 Zusammenfassung und Fazit 373 Die Verbindung linguistisch-semiotischer und pragmatischer Annahmen, die diese Arbeit mit sich bringt, ermöglicht, weder eine intentionalistische noch eine diskurs- oder gesprächslinguistische Perspektive auf Handlungspraktiken einzunehmen. Damit muss Intentionalität weder als mental (oder kulturell) vorausgesetzt begriffen noch als semantisches Oberflächenphänomen verstanden oder ganz abgelehnt werden. Ansätze, die Intentionalität als mentale (oder kulturelle) Voraussetzung verstehen (cf. Kapitel 7), verlagern viele Aspekte der hier analysierten Elemente wie Intentionalität, diskursive Normen oder Sozialität in eine vorsprachliche Kategorie. Obwohl diese Ansätze beeindruckende Erklärungsarbeit leisten, kommt die Orientierung an intentionalen Verben ohne starke ontologische und epistemische Annahmen aus, weil die analysierten signifikativen Strukturen bereits im Zeichenbegriff angelegt sind. Trotz einer ausführlichen Präsentation verschiedener Argumente für eine verbpragmatische Forschungsperspektive und einer kleinschrittigen Hinführung zum wesentlichen theoretischen Vokabular kommt die hier entworfene Verbpragmatik letztlich mit einem geringen Repertoire an Begriffen und Konzepten aus. Viele pragmatische Prozesse diskursiver Praktiken wie sprachliche Handlungen (und ggf. Handlungstypen), Emergenz sprachlicher Handlungsmuster, Sozialität (im diskursiven Sinne), sozial-kommunikative Rollen wie Sprecher und Hörer sowie die Involviertheit von kommunikativen Prinzipien als diskursive Normen lassen sich zunächst auf ein Verständnis intentionaler Verben zurückführen. Diese gelten dann als signifikativ strukturierender Ausgangspunkt der Betrachtung dieser sozial-kommunikativen Elemente, wobei jeweils spezifisches weiteres theoretisches Vokabular herangezogen wird. Dieses leitet sich aber zu einem großen Teil aus der Struktur intentionaler Verben ab, sodass angenommen werden kann, dass Verbpragmatik perspektivisch zumindest eine Grundorientierung in der Analyse diskursiver Praktiken bieten kann. Ein wesentlicher Beitrag dieser Arbeit zur linguistischen Pragmatik liegt auch darin, diese verbpragmatische Forschungsperspektive eröffnet zu haben. Obwohl eine pragmatistische Orientierung am intentionalen Verb zeichen- und sprachphilosophisch in den hier vorgestellten Ansätzen bereits angelegt bzw. ihnen implementierbar ist, führt diese Arbeit diese Ansätze systematisch zusammen. Dabei unterscheidet sich die verbpragmatische Forschungsperspektive durchaus von anderen linguistischen Theorien, die ähnliche Erkenntnisansätze verfolgen, insbesondere Ulf Harendarskis Theorie alltagssprachlicher Handlungsdeskriptionen (cf. Harendarski 2021 a). Harendarski fängt in seiner Analyse stets bei der Äußerung als Setzung an und abstrahiert von dort aus. Aus seiner Sicht enkodieren soziale Handlungsverben im deskriptiven, alltagssprachlichen Gebrauch bestimmbare, inferenziell gliedernde Aspekte. Ausgehend von solchen Token einer Handlungsdeskription ergibt sich, dass der analytische Zugang über die Ebene der Drittpersonalität erfolgt. Analysen von Handlungsdeskriptionen erfordern aus dieser Sicht stets die Abstraktion empirischer Ereignisse sozialer Handlungsverben im Gebrauch als Spur (Index) sozialer Interaktion. Auch wenn die im Rahmen dieser Arbeit vertretene Verbpragmatik auf ähnlichen Theorien beruht und deshalb auch ähnliches Vokabular gebraucht wie Harendarskis Theorie alltagssprachlicher Handlungsdeskriptionen, ist die Orientierung hier doch eine andere: Statt stets auf der Ebene der Handlungsdeskription (als Token) anzusetzen, soll der in dieser Arbeit 374 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms entwickelte verbpragmatische Ansatz signifikative Strukturen aus Handlungsdeskriptionen destillieren, um diese dann auch auf Handlungssituationen anwenden zu können, die explizit keine Handlungszeichen aufweisen. Es geht also weniger um eine Analyse von tatsächlichen Gesprächen und Texten im Sinne von Handlungsdeskriptionen als vielmehr um die Gewinnung von Strukturen und Mustern, die als Typen eine Konstanz aufweisen, und deren Anwendung z. B. auf sprachliches Handeln. Außerdem führt diese Arbeit erstmals verschiedene Argumente zusammen, die Verben als handlungskonstitutiv und nicht nur handlungsdeskriptiv verstehen, bzw. überführt sprach- und zeichenphilosophische Positionen in eine linguistische Perspektive. Dabei ist die Erkenntnis, dass Verben und Handlungen auf eine bestimmte Weise zusammenhängen, nicht neu. Nicht nur Austins performative Verben (cf. 2002), sondern auch Konzepte wie illokutionäre Verben (cf. Searle/ Vanderveken 1985), sprechhandlungsbezogene Verben (cf. Ehlich 2007) oder Handlungsverben (Rehbock 1977: 63 f.) nehmen darauf auf ihre Weise Bezug. Jochen Rehbock verfolgt außerdem eine alltagsprachliche Rekonstruktion von Handlungskonzepten anhand von Verben (cf. 1977: 1 f.), was der Perspektive dieser Arbeit in vielen Bereichen sehr nahekommt. Die irreduzible Verstrickung von Verben und Handlung auf semiotischer Ebene verfolgt aber keine dieser Arbeiten. Insofern ermöglichen die hier präsentierten Argumente auch eine Relektüre der theoretischen wie empirischen Erkenntnisse dieser Texte. Über die Eröffnung der verbpragmatischen Perspektive und die Zusammenführung handlungstheoretischer Argumente hinaus entwickelt diese Arbeit bereits die grundlegenden Elemente, die für eine verbpragmatische Analyse notwendig sind. Sowohl das Modell intentionaler Verben als auch deren Binnendifferenzierungen sowie die handlungstheoretische und inferenzielle Gliederung diskursiver Rollen ermöglichen eine erste Anwendung auf Handlungsdeskriptionen, Handlungsinterpretation und Sprachhandlungsstrukturen. Damit ist ein begrifflicher Rahmen gesetzt, der für weitere wissenschaftliche Forschung genutzt und weiterentwickelt werden kann. Diese Arbeit setzt aber nicht nur den begrifflichen Rahmen, sondern exemplifiziert auch Anwendungsbereiche eines verbpragmatischen Ansatzes. Damit können verschiedene sozial-kommunikative Aspekte wie sprachliches Handeln zwar in verschiedene Anwendungsbereiche (z. B. Analyse von sprachlichem Handeln, DelokutorInnen oder diskursiven Normen) unterteilt, aber doch über gemeinsame semiotische Prozesse untersucht werden. Dennoch kann diese Arbeit zunächst nicht mehr sein als der Aufschlag für eine neue Forschungsperspektive. Andere Ansätze, die Teilbereiche der hier fokussierten linguistischen Elemente untersuchen, verfügen zum jetzigen Zeitpunkt noch über ein differenzierteres Vokabular und können eine größere Menge an Analysen nachweisen. So zeigen nicht nur die Arbeiten Dietrich Busses (cf. insbesondere 2012), sondern auch das FrameNet, dass kognitive Aspekte von Kommunikation systematisch untersucht (und womöglich sogar lexikalisiert) werden können. Auch die Funktionale Pragmatik und ihre Analyse von Handlungsmustern in der Interaktion (cf. Ehlich/ Rehbock 1986) weist eine analytische Tradition auf, mit der diese Arbeit nicht konkurrieren kann und möchte, insbesondere, weil der Schwerpunkt der Analyse doch ein wenig unterschiedlich ist. Zuletzt ist auch die Bandbreite der gesprächsbezogenen Sprachdaten von Konversationsanalyse und Gesprächslinguistik nicht mit den hier vorgestellten Beispielen vergleichbar. 17 Zusammenfassung und Fazit 375 Dass eine verbpragmatische Perspektive, obwohl noch in Kinderschuhen steckend, aber trotzdem theoretische Schwierigkeiten anderer Ansätze bewältigen kann, zeigt unter anderem das vermeintlich “ prekäre Verhältnis von Kognition und Interaktion ” (Ziem/ Mroczynski 2021: 4). Während Kognitive Semantik und Interaktionale Linguistik aufgrund ihrer theoretischen Prämissen nur schwer ein grundlegendes Verhältnis kognitiver und interaktionaler Elemente annehmen können, ist nicht nur die soziale Aushandlung auch kognitiv-semantischer bzw. -pragmatischer Aspekte in der hier vorgeschlagenen verbpragmatischen Perspektive angelegt. Das Verhältnis ist sogar auch über einen entsprechenden Zeichen- und Signifikanzbegriff inferenziell nachweisbar. Diese Arbeit legt außerdem weder eine Liste intentionaler Verben noch ein striktes Interpretationsinventar für die Analyse diskursiver Praktiken vor. Stattdessen werden einzelne intentionale Verben entweder modellhaft oder in ihrer textuellen Umgebung untersucht, um grundlegende Argumente und Perspektiven der Arbeit zu veranschaulichen. Entsprechend gilt es, die vorgeschlagenen Begriffe, Konzepte und Modelle zunächst an verschiedenen Texten und Gesprächen zu erproben und anschließend signifikative Strukturen zu analysieren. Ein strenges Interpretationsinventar bzw. ein Lexikon intentionaler Verben zu entwickeln, ist außerdem kein einfaches Unterfangen, nicht nur, weil es eines größeren Forschungsprojektes bedürfte, sondern auch, weil Lexika dazu tendieren, objektlogisch zu verfahren. Sowohl das Handbuch deutscher Kommunikationsverben (cf. Harras/ Winkler/ Erb/ Proost 2004) als auch das Valenzwörterbuch deutscher Verben (cf. Schumacher et al. 2004), die einem Lexikon intentionaler Verben wohl am nächsten kommen würden und in dieser Arbeit zur Orientierung für verbpragmatische Analysen gedient haben, vermerken eher lexikalisch-grammatische als signifikative Strukturen, was insbesondere auf deren theoretische Prämissen zurückzuführen ist. Eine systematische und nach Signifikanzstrukturen und -mustern suchende Darstellung intentionaler Verben müsste aufgrund der starken Gebrauchsorientierung wohl auf strenge Beschreibungen spezifischer Verben verzichten und Textsegmente eher als Beispiele und nicht als Belege behandeln. Entsprechend ist eine analytische Anbindung an Texte bzw. Gespräche für eine systematische Analyse intentionaler Verben unabdingbar. Eine entsprechende zeichenlogische Liste und Darstellung intentionaler Verben bleibt ein Desiderat, wird aber von Ulf Harendarski und mir im Rahmen des Forschungs- und Lektürekolloquiums Sprachwissenschaft (FLeKS) verfolgt. Die stringente Verbperspektive, die in der Verbpragmatik gewählt wird, stößt an einigen Stellen auch noch an Grenzen in der Analyse. Obwohl mit diskursiven Rollen und verschiedenen inferenziellen Relationen nicht nur Verben analysierbar sind und weniger die grammatische Form für die Analyse relevant ist, ist es eine Herausforderung, die signifikativen und relationalen Aspekte in einigen Zeichenprozessen zu modellieren. Dies gilt z. B. für Verbkomplexe wie lassen-Konstruktionen, die vermittelte Handlungen wie überprüfen lassen signifizieren (cf. Behr 2021: 165 f.). Auf lange Sicht muss die hier vorgeschlagene verbpragmatische Perspektive die textuellen Verhältnisse von Haupt- und Modalverben grundlegend untersuchen können. Was für Modalverben gilt, gilt auch für das Verhältnis intentionaler Verben zu anderen Äußerungselementen, z. B. zu substantivierten Verben, die in Handlungsdeskriptionen eingebettet sind (z. B. auf Aufforderungen reagieren). Durch den flexiblen Zeichenbegriff lassen sich solche Verbkomplexe 376 III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms und (inferenzielle) Relationen aber über eine verbpragmatische Perspektive darstellen, sodass solche vermeintlichen Schwierigkeiten eher Aufgaben für die weitere theoretische wie analytische Arbeit sind. Diese Grenzen und Herausforderungen der verbpragmatischen Analyse von diskursiven Praktiken eröffnen gleichzeitig aber weitere Forschungsperspektiven. Dies betrifft unmittelbar die Anwendung des theoretischen Rahmens auf Gespräche und Texte, um verschiedene signifikative Strukturen und Muster zu ermitteln. Dies ermöglicht nicht nur die Differenzierung des theoretischen Vokabulars, sondern kann auch die verschiedenen Gebrauchsweisen intentionaler Verben aufzeigen. Neben der Aufgabe der Explikation der signifikativen Strukturen aus Gesprächen und Texten (Handlungsdeskriptionen) muss das theoretische Vokabular sich auch an impliziten Handlungsstrukturen erproben lassen. Dabei geht es insbesondere darum, inwiefern sich anhand von Verben wechselseitige Handlungsmuster rekonstruieren lassen (cf. aber schon Briese/ Klix i. E.) Auch wenn ich einer streng systematischen Entwicklung eines Lexikons intentionaler Verben skeptisch gegenüberstehe, sollte es möglich sein, eine erweiterte Darstellung intentionaler Verben zu erstellen, die über einzelne Token hinausgeht. Wie eine solche Darstellung, die einer Typisierung im Sprachgebrauch vollends Rechnung trägt, aussehen wird und welchen methodologischen Nutzen sie haben kann, ist dabei noch nicht ausgemacht. Abseits von Anwendungen auf Gespräche und Texte sowie einer Gesamtdarstellung intentionaler Verben muss auch das Verhältnis von handlungstheoretischer und normativer Signifikanzstruktur und grammatischer Form weiter untersucht werden. So sollte z. B. erklärt werden können, welchen diskursiven Unterschied es macht, eine Signifikanzstruktur als Verb (auffordern), als Substantiv (Aufforderung) oder als Adjektiv (auffordernd) zu realisieren. Außerdem wird das Grundlagenmodell intentionaler Verben an vielen Stellen zu erweitern sein. Während ich bisher z. B. den Schwerpunkt der inferenziellen Gliederung auf das Verb gelegt habe, ist es (im Sinne einer grundlegenden inferenziellen Gliederung aller sprachlichen Zeichen) plausibel anzunehmen, dass diskursiven Rollen über eine ähnliche inferenzielle Struktur verfügen. Obwohl diese im gewissen Sinne schon in der Differenz von Handlung aus Gründen und Handlung mit Gründen angelegt ist, muss noch untersucht werden, inwiefern inferenzielle Gliederung und handlungstheoretische Struktur diskursiver Rollen miteinander in Beziehung stehen und wie sich diese diskursiv realisiert. Auch wenn dies nur einige wenige Anschlussmöglichkeiten für die Fortführung der Arbeit sind, so zeigt sich doch, dass diese Arbeit nur der Beginn einer wissenschaftlichen Entwicklung sein kann, die grundlegende Fragen der linguistischen Pragmatik neu stellt und neue Arten von Antworten erwarten lässt. 17 Zusammenfassung und Fazit 377 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Siglenverzeichnis Robert B. Brandom (EV) Expressive Vernunft. Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung. (2000 a) (PP) Pragmatik und Pragmatismus. (2000 b) (BB) Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus. (2001 a) (AR) Articulating Reasons. An Introduction to Inferentialism. (2001 b). (TMD) Tales of the Mighty Dead. Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality. (2002 a) (MNI) Das Modale und das Normative der Intentionalität. (2002 b) (CCI) From a Critique of Cognitive Internalism to a Conception of Objective Spirit: Reflections on Descombes' Anthropological Holism. (2004) (BSD) Between Saying and Doing: Towards an Analytic Pragmatism. (2008) (RP) Reason in Philosophy. Animating Ideas. (2009) (RE) Reply to Jerry Fodor and Ernest Lepores's “ Brandom Beleaguered ” . (2010) (PoP) Perspectives on Pragmatism. Classical, Recent, and Contemporary. (2011) (EE) From Empiricism to Expressivism. Brandom reads Sellars. (2014 a) (IL) Intentionality and Language. (2014 b) (WI) Wiedererinnerter Idealismus. (2015) (AST) A Spirit of Trust. A Reading of Hegel's Phenomenology. (2019) Charles S. 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(2000) K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Intentionalität in Brandoms Sprach- und Handlungsphilosophie . . . . . . . 160 Abb. 2: Relationen von IIS, EIS und IZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Abb. 3: Wahrnehmungs- und Handlungspraktiken im Inferenzialismus nach Pollok . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Abb. 4: Handlungen mit Gründen und Handlungen aus Gründen nach Harendarski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Abb. 5: Inferenzen vom Zeichenereignisraum zum Abstraktionsobjekt . . . . . . . . . 208 Abb. 6: Intentionale Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Abb. 7: Inferenzielle Gliederung intentionaler Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Abb. 8: Verbpragmatisches Modell der intentionalen Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Abb. 9: Verbpragmatik von suchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Abb. 10: Verbpragmatik von finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Abb. 11: Verbpragmatik von diskutieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Abb. 12: Indirekte Transitivität von diskutieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Abb. 13: Zuschreiben als diskursiver Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Abb. 14: Kategoriale Analyse des Standardindikativs (Behauptung) nach Harendarski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Abb. 15: Zeichenrelationale Triangulation von behaupten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Abb. 16: Verbpragmatische Teildarstellung von behaupten hinsichtlich anfechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Abb. 17: Grundpositionen und -relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Abb. 18: Doppelte Triangulation von berufen auf und sagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Abb. 19: Darstellung intentionaler Verben als Tetraeder am Beispiel von behaupten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Abb. 20: Inferenzielle Tiefenstruktur und Substitute von behaupten . . . . . . . . . . . . . 366 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Tabellenverzeichnis Tab. 1: Charles S. Peirces universale Kategorien nach Pape (1989: 76) . . . . . . . . 33 Tab. 2: Typologie der Interpretanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Tab. 3: Modalverben zur Explikation impliziter Normativität nach Zifonun/ Hoffmann/ Strecker (1997: 1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Tab. 4: Robert B. Brandoms kategoriale Struktur der Festlegung nach Brandom (AST: 209) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Tab. 5: Diskursive Intentionalität im Feld der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Tab. 6: Aspekte zur Theorieintegration bei Brandom, Short und Millikan . . . . . 193 Tab. 7: Grundzüge der relationalen Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Tab. 8: Typologie der handlungslogischen Struktur intentionaler Verben . . . . . 260 Tab. 9: Signifikanz von Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Tab. 10: Behauptung und Folgesprachhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Literaturverzeichnis Abel, Günter 1993: Interpretationswelten. 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Die konstruktivistische Perspektive der Kognitiven Linguistik ” , in: Felder und Gardt (eds.) 2018: 243 - 276 Ziem, Alexander und Robert Mroczynski 2021: “ Mental Spaces und Frames in der interaktionalen Bedeutungskonstitution ” , in: Zeitschrift für Semiotik 43(1 - 2) (2021): 3 - 16 Zifonun, Gisela und Ludger Hoffmann und Bruno Strecker 1997: Grammatik der deutschen Sprache, Berlin / New York: De Gruyter Zlatev, Jordan 2010: “ Phenomenology and Cognitive Linguistics ” , in: Gallagher und Schmicking (eds.) 2010: 415 - 446 Zlatev, Jordan 2016: “ Turning back to experience in Cognitive Linguistics via phenomenology ” , in: Cognitive Linguistics 27(4) (2016): 559 - 572 Zlatev, Jordan und Johan Blomberg 2019: “ Norms of language: What kinds and where from? Insights from phenomenology ” , in: Mäkilähde und Leppänen und Itkonen (eds.) 2019 b: 69 - 101 Zybatow, Tatjana und Ulf Harendarski (eds.) 2013: Sprechen, Denken und Empfinden. Berlin / Münster: LIT Verlag 400 Literaturverzeichnis K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Autor / Author Briese, Joschka, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa-Universität Flensburg, Forschungsschwerpunkte: Linguistische Pragmatik, Sprach- und Zeichentheorie, Kognitive Linguistik Address of the Author Joschka Briese Europa-Universität Flensburg Institut für Germanistik Auf dem Campus 1 24943 Flensburg joschka.briese@uni-flensburg.de Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten Beiträge für die Zeitschrift K ODIKAS / C ODE (ca. 10 - 30 S. à 2.500 Zeichen [25.000 - 75.000], Times od. Times New Roman 12., 1.5-zeilig, Rand 2 - 3 cm l/ r) sind dem Herausgeber in elektronischer Form (Word- oder rtf-Datei) und als Ausdruck auf Papier einzureichen. Abbildungen sind getrennt vom Text in reproduzierbarer Form (mind. 300 dpi, schwarzweiß) beizufügen. Nach dem Titel des Beitrags folgt der Name des Autors (der Autoren) mit Angabe das Dienstortes. Dem Text (in deutscher, englischer, französischer oder spanischer Sprache, ggfs. gegengelesen von native speakers) ist eine kurze Zusammenfassung (abstract) in englischer Sprache voranzustellen (1-zeilig petit 10.). Die Gliederung des Textes folgt dem Dezimalsystem (1, 2, 2.1, 2.1.1). Auf separatem Blatt sind ihm die Anschrift des/ der Verf. und eine kurze bio-bibliographische Notiz (3 - 5 Zeilen) beizufügen. Zitierweise In der Semiotik gibt es eine Vielzahl konkurrierender Zitierweisen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Für K ODIKAS wird hier eine in vielen Disziplinen (und anderen semiotischen Zeitschriften) international verbreitete Zitierweise empfohlen, die sich durch Übersichtlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Vollständigkeit der Angaben und Sparsamkeit der Zeichenökonomie auszeichnet. Wörtliche Zitate werden durch normale Anführungszeichen kenntlich gemacht ( “…” ). Wenn ein Zitat die Länge von drei Zeilen überschreitet, wird es links 0.5 eingerückt und 1-zeilig petit (11.) geschrieben: Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein blinder Text zu sein. Man macht keinen Sinn. Man wirkt hier und da aus dem Zusammenhang gerissen. Oft wird man gar nicht erst gelesen. Aber bin ich deshalb ein schlechter Text? Ich weiß, dass ich nie die Chance habe im S PIEGEL zu erscheinen. Aber bin ich darum weniger wichtig? Ich bin blind! Aber ich bin gerne Text. Und sollten Sie mich jetzt tatsächlich zu Ende lesen, dann habe ich geschafft, was den meisten “ normalen ” Texten nicht gelingt. Ich bin ein Blindtext und bin blind geboren … (Autor Jahr: Seite). Zitatbeleg durch Angabe der Quelle gleich im Text mit einer auf das Literaturverzeichnis verweisenden bibliographischen Kurzangabe (Autor Jahr: Seite): “ [ … ] wird für die Herstellung des Zaubertranks die Beigabe von Dracheneiern empfohlen ” (Gaukeley 2006: 387). Wenn das Zitat im Original über eine Seite hinausgeht, wird entsprechend ein “ f. ” (= folgende) an die Seitenzahl angefügt (387 f.). Alle Auslassungen und Hinzufügungen in Zitaten müssen gekennzeichnet werden: Auslassungen durch drei Punkte in eckigen Klammern [ … ], Hinzufügungen durch Initialien des/ der Verf. (EHL). Hervorhebungen werden durch den eingeklammerten Zusatz “ (Hervorh. im Original) ” oder “ (Hervorh. nicht im Original) ” bzw. “ (Hervorh. v. mir, Initial) ” gekennzeichnet. Wenn das Original einen Fehler enthält, wird dieser übernommen und durch ein “ [sic] ” (lat. so) markiert. Zitate innerhalb von Zitaten werden in einfache Anführungszeichen gesetzt ( “… ‘…’ …” ). Auch nicht-wörtliche Zitate (sinngemäße Wiedergaben, Paraphrasen) müssen durch Verweise gekennzeichnet werden: Auch Dracheneier werden für die Herstellung eines solchen Zaubertranks empfohlen (cf. Gaukeley 2001: 387). Gundel Gaukeley (2001: 387) empfiehlt den Gebrauch von Dracheneiern für die Herstellung des Zaubertranks. Objektsprachlich gebrauchte Wörter oder grammatische Formen werden kursiviert: “ Die Interjektion eiapopeia gilt als veraltet. ” Die Bedeutung eines sprachlichen Elementes steht in einfachen Anführungszeichen: “ Fähe bedeutet ‘ Füchsin ’ . ” Standardsprachlich inkorrekte Formen oder Sätze werden durch Asterisk gekennzeichnet: “ *Rettet dem Dativ! ” oder “ *der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. ” Fußnoten, Anmerkungen Auf Anmerkungen und Fußnoten wird im Text durch eine hochgestellte Zahl verwiesen: [ … ] verweisen wir auf Gesundheitsgefahren, die mit regelmäßigen Geldbädern einhergehen. 2 Vor einem Satzzeichen steht sie möglichst nur dann, wenn sie sich direkt auf das Wort unmittelbar davor bezieht (z. B. die Definition eines Begriffs angibt). Fußnoten (am Fuße der Seite) sind gegenüber Anmerkungen am Ende des Textes vorzuziehen. Fußnoten (Anmerkungen) werden einzeilig petit (10.) geschrieben, mit 1.5-zeiligem Abstand zwischen den einzelnen Fußnoten (Anmerkungen). Bibliographie Die Bibliographie verzeichnet alle im Text genannten Verweise. Bei Büchern und Editionen: Nachname / Komma / Vorname / ggfs. Herausgeber (ed.) / ggfs. Auflage als Hochzahl / Jahreszahl / Doppelpunkt / Buchtitel kursiv / ggfs. Punkt bzw. Satzzeichen / ggfs. Untertitel / Komma / Ort / Doppelpunkt / Verlagsname: Gaukeley, Gundel 2001: Das kleine Einmaleins der Hexerei. Eine Einführung, Blocksberg: Hexenselbstverlag Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Bei Aufsätzen in Zeitschriften oder Sammelbänden (dort ggfs. mit Kurzverweis auf einen eigenen Eintrag des Sammelbandes), wird der Titel in Anführungszeichen gesetzt, dann folgen die Angaben mit Seitenzahlen: Gaukeley, Gundel 1999: “ Verbesserte Rezepturen für Bombastik-Buff-Bomben ” , in: Vierteljahresschrift des Hexenverbandes 7.1 - 2 (1999): 27 - 41 Duck, Donald 2000: “ Wie leihe ich mir einen Taler? Praktische Tips für den Alltag ” , in: Duck (ed.) 4 2000: 251 - 265 Duck, Dagobert (ed.) 4 2000: Wie verdiene ich meine erste Phantastillion? Ein Ratgeber, Entenhausen: Disney Gibt es mehrere Autorinnen oder Herausgeber, so werden sie in der Reihenfolge aufgeführt, in der sie auch auf dem Buchrücken oder im Titel des Aufsatzes erscheinen, verbunden durch “ und ” oder “ & ” (bei mehr als drei Namen genügt ein “ et al. ” [für et alii] oder “ u. a. ” 404 Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten nach dem ersten Namen). Dasselbe gilt für mehrere Erscheinungsorte, getrennt durch Schrägstriche (bei mehr als drei Orten genügt ein “ etc. ” ): Quack, Primus von & Gustav Gans 2000: Untersuchungen zum Verhältnis von Glück und Wahrscheinlichkeit, Entenhausen/ Quakenbrück: Enten-Verlag Duck, Dorette und Daniel Düsentrieb (eds.) 1999: Ente, Natur und Technik. Philosophische Traktate, Quakenbrück etc.: Ganter Wenn ein Buch innerhalb einer Buchreihe erschienen ist, kann der Reihentitel und die Bandnummer hinzugesetzt werden: Duck, Tick et al. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13), Quakenbrück etc.: Ganter Duck, Tick u. a. 2001: Ordens- und Abzeichenkunde für Fieselschweiflinge, Quakenbrück usw.: Ganter (= Schriftenreihe des Entenhausener Pfadfinderverbandes 13) Auch sog. ‘ graue ’ Literatur - Dissertationen im Uni- oder Reprodruck ( “ Zürich: Diss. phil. ” ), vervielfältigte Handreichungen ( “ London: Mimeo ” ), Manuskripte ( “ Radevormwald: unveröff. Ms. ” ), Briefe ( “ pers. Mitteilung ” ) etc. - muss nachgewiesen werden. Innerhalb des Literaturverzeichnisses werden die Autor(inn)en in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Gibt es mehrere Veröffentlichungen derselben Person, so werden sie in chronologischer Reihenfolge aufgelistet (innerhalb eines Jahres mit Zusatz eines kleinen lateinischen Buchstabens zur Jahreszahl - entsprechende Angaben beim Zitieren im Text): Duck, Daisy 2001 a: “ Enten als Vorgesetzte von Erpeln. Einige Beobachtungen aus der Praxis ” , in: Entenhausener Zeitschrift für Psychologie 7.1 (2001): 47 - 67 Duck, Daisy 2001 b: “ Zum Rollenverständnis des modernen Erpels ” , in: Ente und Gesellschaft 19.1 - 2 (2001): 27 - 43 Internetquellen Zitate aus Quellen im Internet müssen stets mit vollständiger URL inklusive Transferprotokoll (http: / / oder ftp: / / etc.) nachgewiesen werden (am besten aus der Adresszeile des Browsers herauszukopieren). Da Angaben im Internet verändert werden können, muß das Datum des Zugriffs in eckigen Klammern hinzugesetzt werden. Handelt es sich um einen innerhalb eines eindeutig betitelten Rahmens (Blogs, Onlinezeitschriften etc.) erschienenen Text, so wird genauso wie bei gedruckten unselbständigen Arbeiten zitiert: Gans, Franz 2000: “ Schon wieder keinen Bock ” , in: Franz Gans ’ Untaten. Blog für Arbeitsscheue, im Internet unter http: / / www.franzgansuntaten.blogspot.com/ archives/ 00/ art07.htm [15.01.2009] Trägt die Website, aus der ein zitierter Text stammt, keinen eindeutigen Titel, so wird der Text ähnlich wie eine selbstständige Arbeit zitiert: Klever, Klaas (o. J.): Wer wir sind und was wir wollen, im Internet unter http: / / www.entenhausenermilliadaersclub.eh/ organisation/ index.htm [15.01.2009] Ist der Verfasser nicht zu identifizieren, so sollte stattdessen die jeweilige Organisation angegeben werden, die für die angegebene Seite verantwortlich zeichnet: Entenhausener Onlineportal (ed.) 1998: Einbruch bei Dagobert Duck. Panzerknacker unter Verdacht, im Internet unter http: / / www.eopnet.eh/ aktuell/ lokales/ 980315/ art21.htm [15.01.2009] Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten 405 Instructions to Authors Articles (approx. 10 - 30 pp. à 2 ’ 500 signs [25.000 - 75.000] line spacing 1.5, Times New Roman, 12 pts) must be submitted to the editor both on paper and in electronic form (wordor rtf-file). Figures (graphics, tables, photos) must be attached separately (300 dpi minimum, black and white). The title is followed by name(s) of author(s), affiliation and location. The language of the text, preceded by a short summary (abstract) in English, must be German, English, French, or Spanish. The outline follows the decimal system (1, 2, 2.1, 2.1.1). On a separate sheet, the postal address(es) of the author(s), including e-mail address, and a short bio-bibliographical note (3 - 5 lines) is to be attached. Quotations Quotations are referred to in the text with author (year: page) and indicated by normal quotations marks “…” (author year: page), unless a quotation is more than three lines long, in which case its left margin is - 0.5, in single spacing and petit (11 pts): I am a blind text, born blind. It took some until I realised what it meant to be a blind text. One doesn ’ t make sense; one is taken out of context; one isn ’ t even read most of the times. Am I, therefore, a bad text? I know, I will never have a chance to appear in Nature or Science, not even in Time magazine. Am I, therefore, less important? Okay, I am blind. But I enjoy being a text. Should I have made you read me to the end, I would have managed what most of the ‘ normal ’ texts will never achieve! I am a blind text, born blind … (author year: page). The short bibliographical reference in the text refers to the bibliography at the end. All deletions and additions must be indicated: deletions by three points in square brackets [ … ], additions by initials of the author. If there is a mistake in the original text, it has to be quoted as is, marked by [sic]. Quotations within quotations are indicated by single quotation marks: “… ‘…’ …” . Paraphrases must be indicated as well: (cf. author year: page) or author (year: page). Foreign words (nota bene) or terms (the concept of Aufklärung) are foregrounded by italics, so are lexical items or grammatical forms (the interjection gosh is regarded as outdated); the lexical meaning is given in single quotation marks (Aufklärung means ‘ Enlightenment ’ ); incorrect grammatical forms or sentences are marked by an asterisk (*he go to hell). Footnotes (annotations) Footnotes are indicated by upper case numbers (as argued by Kant. 2 ). Footnotes at the bottom of a page are preferred to annotations at the end of the article. They are written in single spacing, with a 1.5 space between them. Please avoid footnotes for mere bibliographical references. Bibliography The bibliography lists all references quoted or referred to in alphabetical order. They should follow the form in the following examples: Short, Mick 2 1999: Exploring the Language of Poems, Plays and Prose, London: Longman Erling, Elizabeth J. 2002: “‘ I learn English since ten years ’ : The Global English Debate and the German University Classroom ” , in: English Today 18.2 (2002): 9 - 13 Modiano, Marko 1998: “ The Emergence of Mid-Atlantic English in the European Union ” , in: Lindquist et al. (eds.) 1998: 241 - 248 Lindquist, Hans, Steffan Klintborg, Magnus Levin & Maria Estling (eds.) 1998: The Major Varieties of English (= Papers from M AVEN 1997), Vaxjo: Acta Wexionensia No. 1 Weiner, George 2001: “ Uniquely Similar or Similarly Unique? Education and Development of Teachers in Europe ” , Plenary paper given at the annual conference, Standing Committee for the Education and Training of Teachers, GEC Management College, Dunchurch, UK, 5 - 7 October 2001. http: / / www.educ.umu.se/ ~gaby/ SCETT2paper.htm [accessed 15.01.09]. Instructions to Authors 407 Herausgegeben von Prof. Dr. Eva Martha Eckkrammer, Prof. Dr. Claus Ehrhardt, Prof. Dr. Anita Fetzer, Prof. Dr. Rita Finkbeiner, Prof. Dr. Frank Liedtke, Prof. Dr. Konstanze Marx, Prof. Dr. Sven Staffeldt und Prof. Dr. Verena Thaler Pragmatik, das Studium der Sprachverwendung in all ihren Facetten, hat sich zu einer allgemein anerkannten sprachwissenschaftlichen Disziplin entwickelt. Sie hat viele Fragestellungen benachbarter Disziplinen wie der Semantik oder der Syntax in sich aufgenommen und unter neuem Vorzeichen vorangetrieben. Dabei bezieht sie den Spracherwerb und Sprachwandel mit ein und reflektiert die Bezüge zu anderen Wissenschaften, zum Beispiel der Philosophie, Psychologie und Soziologie. Eine Folge dieser Entwicklung ist eine starke Ausdifferenzierung der Pragmatik in unterschiedliche Forschungsstränge und Teilparadigmen. Von der experimentellen bis zur formalen Pragmatik, von der Gesprächsforschung bis zur Textanalyse, von der Soziopragmatik bis zur pragmatischen Syntax erstreckt sich das Feld der pragmatischen Untersuchungsansätze. Die Studien zur Pragmatik bieten zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum ein Forum für qualitativ hochwertige Arbeiten zur Pragmatik in ihrer ganzen Breite. Sie sind theoretisch offen für die verschiedenen Strömungen dieser Disziplin und besonders geeignet für solche theoretisch und empirisch begründeten Untersuchungen, die die pragmatische Diskussion weiter vorantreiben. Die Bände der Reihe werden einem Peer-Review Verfahren unterzogen. Neueste Bände: Susanne Kabatnik, Lars Bülow, Marie-Luis Merten, Robert Mroczynski (Hrsg.) Pragmatik multimodal, Band 7, 1. Auflage 2024, 359 Seiten ISBN 978-3-8233-8582-0 Lisa Soder Diskursmarker im schriftlichen Standard. Status, Formen und Funktionen, Band 6, 1. Auflage 2023, 520 Seiten ISBN 978-3-381-10271-6 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de STUDIEN ZUR PRAGMATIK Special Issue: Pragmatik der diskursiven Intentionalität. Intentionale Verben, Signifikanz und diskursive Rollen by Joschka Briese 1 Einleitung I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen 2 Zeichentheoretische Grundlagen 3 Sprachtheoretische Grundlagen 4 Semiotischer Pragmatismus und normativer Sprachpragmatismus - Theorievergleich und reziproke Integration 5 Exkurs: Diagrammatik und die Signifikanz des Denkens - Die Semiotik des Modells II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 6 Intentionalität - Familienähnlichkeit und Demarkation 7 Intentionalismus in der linguistischen Pragmatik und der Mythos des Illokutionären 8 Diskursive Intentionalität aus inferenzialistischer Perspektive 9 Diskursive Intentionalität aus semiotischer Perspektive 10 Zwischenfazit: Diskursive Intentionalität, Signifikanz und intentionale Zeichen 11 EMSIFs, EMSIIs, EMSIBs - Theoretisches Vokabular zur Analyse subsentenzialer inferenzieller Relationen 12 Diskursive Signifikanz intentionaler Verben 13 Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration III Perspektiven eines verbpragmatischen Forschungsprogramms 14 Sprachliche Handlungen - Analyse der pragmatischen Signifikanz 15 Interlokutor und Delokutor - Analyse von DiskursakteurInnen 16 Diskursive Normen - Analyse von Normativität in diskursiven Praktiken 17 Zusammenfassung und Fazit narr.digital ISBN 978-3-381-13611-7