Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2000
233-4
Jens Wernecken: Wir und die anderen ... Nationale Stereotypen im Kontext des Mediensports (= Beiträge des Instituts für Sportpublizistik 6), Berlin: Vistas 2000, ISBN 3-89158-271-4, 530 S.
121
2000
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod233-40369
Reviews 369 kam es auch zu Berührungspunkten der Fachsprachenforschung (manchmal auch in etwas engführender Analogie zu anderen "Bindestrich-Linguistiken" kurz Technolinguistik genannt) mit gesprächsanalytischen Ansätzen zur Erforschung der Kommunikation in Institutionen und mit solchen der neueren Verständlichkeitsforschung. Unverständlichkeit sei ja das hervorstechende Merkmal einer hermetischen Fachsprache mit all ihren standardisierten, spezialisierten, formalisierten, partikularisierten, kondensierten, deagentivierten, latinisierten oder anglisierten Konventionen der Formulierung. Der Umformung dieser in der Welt der Wissenschaft funktional adäquaten Redeweisen in die der anderen Gesetzen gehorchenden Welt der Öffentlichkeit gilt das Hauptinteresse des Buches. Dazu legt der Verf. gleichsam einen Schnitt durch die Wissenschaftsberichterstattung, beleuchtet also den gesamten Prozeß von der ersten fachinternen Formulierung für Experten über mehrere Transferschritte hinweg bis zum journalistischen Artikel in den Printmedien. Gestützt auf ein Corpus von Texten, die sich auf ein bestimmtes physikalisches Thema beziehen (die sog. Hochtemperatur-Supraleitung), kann der Verf. (der zum Glück zugleich auch Physiker ist) die Techniken und Strategien der Popularisierung, die sprachbezogenen Aspekte populärwissenschaftlicher Wissenschaftsvermittlung und das Verhältnis von fachinterner und fachexterner Kommunikation genauer profilieren. Er zeigt, wie sich im Umgang mit der spezialisierten Fachterminologie eine Reihe von Erklärungsverfahren herausgebildet haben, die indes oft eher den Stilpräferenzen der Autoren folgten als sich an systematischen Erfordernissen orientierten. Während im wissenschaftlichen Text die Abbildung der lliustration des dargestellten Sachverhalts diene, ziele sie in der populärwissenschaftlichen eher auf die Aufmerksamkeitslenkung. An die Stelle des sachbetonten, deskriptiven, argumentativen Diskurses trete dann die erzählende Darstellung mit ihrem Interesse eher an der Person des Wissenschaftlers, mit ihrer Orientierung am (gesellschaftlichen) Nutzen, mit ihrer Erklärung durch Bezug auf Alltagserfahrungen. Das Buch ist solide strukturiert: der Verf. beginnt mit einem Blick auf den gegenwärtigen Stand der Fachsprachenforschung, problematisiert den Terminus Fachsprache selbst und sichtet bisherige Ansätze zur Analyse linguistischer Aspekte der Vermittlung und Popularisierung von Wissenschaft. Dabei berücksichtigt er auch Ergebnisse der Medien- und Publizistikwissenschaft sowie neuere Erkenntnisse der Verständlichkeitsforschung. Von semiotischem Interesse sind da-. bei besonders die Elemente wissenschaftlicher Darstellung, die sich der 'rein' linguistischen Analyse entziehen, die Vertextungsmuster in ihrem polycodierten Aufbau von Text, Apparat, Bild und Graphik. Hier könnte eine Analyse der journalistischen Aufbereitung wissenschaftlicher Ergebnisse in den elektronischen Medien anschließen mit ihren weiteren Besonderheiten der Visualisierung, Personalisierung und narrativen Rekonstruktion des Erkenntnisprozesses. Aber das würde den selbstgesteckten Rahmen einer solchen Einzeluntersuchung weit übersteigen, weil derlei heute empirisch sinnvoll nur noch in Forschungsteams geleistet werden kann. Dem Buch kommt zugute, daß der Verf. nicht nur selbst über die Doppelkompetenz in der Linguistik und in der Physik verfügt, sondern auch aktiv im Wissenschaftsjournalismus aktiv ist. Die Bedeutung seines Themas nicht nur für die moderne Fachsprachenforschung, sondern auch für die Einstellung zur Wissenschaft allgemein und in der Öffentlichkeit kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn "die Wissenschaftsberichterstattung bestimmt auch das öffentliche Bild von Wissenschaft, denn für die meisten Leute ist nach Ablauf von Schulzeit oder Studium die Wissenschaftsberichterstattung der einzige Kontakt zur Wissenschaft" (S. 234). Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern) Jens Wernecken: Wir und die anderen ... Nationale Stereotypen im Kontext des Mediensports ( = Beiträge des Instituts für Sportpublizistik 6), Berlin: Vistas 2000, ISBN 3-89158-271-4, 530 S. In der aus seiner Dissertation am Institut für Sportpublizistik der Universität Münster hervorgegangenen Studie setzt sich Jens Wernecken das 370 Reviews Ziel, Entstehung, Verwendung, Qualität und Funktionen nationaler Stereotypen im Mediensport zu untersuchen und Fragen wie "Was ist typisch deutsch? " oder "Wie schätzen Deutsche im Sport sich selber (resp. ihre Landsleute), wie schätzen sie Vertreter anderer Nationen ein? " zu klären. Er versteht seine Untersuchung als Grundlagenarbeit zur "Image-Forschung" im Kontext der Medien. Die empirischen Untersuchungsdaten wurden 1995 mittels Analyse und Interpretation der Sportberichterstattung der Medien Zeitung und Fernsehen, sowie Publikumsbefragungen (Stadioninterview, Passantenbefragung und Telefoninterview) erhoben. Diese mehrmethodische Vorgehensweise soll ermöglichen, die Konstrukte der "Sportmedienrealität" zu den Publikumsbildern in Bezug bringen zu können. In einem ausführlichen ersten Teil (ca. 140 S.) wird der aktuelle Forschungsstand im Hinblickauf die Dimensionen und den sozialen Stellenwert des Sports, den Mediensport, die Wirkungen der Massenmedien, die Medienbilder und Publikumsbilder gesichtet. Außerdem werden die für die Untersuchung wichtigsten Begriffe (Image, Stereotyp etc.) definiert und abgegrenzt. Erst im sechsten Kapitel werden Leitfragen und Hypothesen aufgestellt und dann im siebten das "Untersuchungsdesign" erläutert. Das achte Kapitel enthält dann die Ergebnisse der Untersuchung, gegliedert nach Methoden. Zum Schluss folgt die Diskussion der Ergebnisse in Form einer "Hypothesendiskussion". Die Diskussion des Themas "Sport" verlange die Berücksichtigung von Wirtschaft, Medien und sozialen Faktoren. Sportlichkeit könne als Leitbild oder Erscheinungsform der modernen Gesellschaft gesehen werden, wobei seine (soziale) Bedeutung eine erhebliche Veränderung erfahren habe. Seit den 50er Jahren sei das Interesse am aktiven Sport stetig gewachsen. Die Art der sportlichen Tätigkeit und ihr Stellenwert habe sich in verschiedenen Bereichen ständig gewandelt: (i) die sportlichen Aktivitäten hätten sich vom organisierten Sport (Vereinssport) zu nichtorganisierten Sportaktivitäten (individuelles Sporttreiben) verlagert; (ii) die Anhängerschaft des Passivsports (Besuch von Sportveranstaltungen, Konsum von Mediensport als Unterhaltung) habe in den 80er und 90er Jahren zugenommen; (iii) seit Mitte der 80er Jahre habe sich auch das Interesse von Wirtschaft und Medien vermehrt dem Sport zugewandt, was zu einer sozialen Aufwertung des Sports geführt habe. Medien haben den Sport vermarktet und instrumentalisiert: am offensichtlichsten zeichnet sich dies an der Inszenierung des kommerzialisierten Schau- und Spitzensports ab, der heute ganz auf die Unterhaltungs- und Konsumbedürfnisse der Gesellschaft ausgerichtet ist. Es ergibt sich ein stabiles "magisches Dreieck" der Wechselwirkungen zwischen Medien, Sport und Wirtschaft. Die Sportberichterstattung im Fernsehen und in den Printmedien sind publikums- und marktabhängig und damit den Gesetzen den Marktes unterworfen: diese bringen eine Uniformierung der Berichterstattung, die sich formal, stilistisch und inhaltlich in einer weitreichenden "intermediären Konvergenz" niederschlägt. Für die Tageszeitungen ist ein umfangreiches, aktuelles, ereignisreiches Sportangebot Verkaufsinstrument. Die Sportberichterstattung im Vergleich zwischen verschiedenen Tageszeitungen ist weitgehend konform, maßgeblich dafür sind Selektions- und Konstruktionsfaktoren des Sportjournalismus. Für die Sportberichterstattung im Fernsehen ist ein "duales Rezeptionsverhalten" (S. 83) zu beobachten: die privaten und die öffentlich-rechtlichen Sender haben ein entweder eher unterhaltungssuchendes bzw. ein eher informationsorientiertes Zielpublikum. Im intermediären Konkurrenzkampf hat die Sportberichterstattung im Fernsehen gegenüber der in den Zeitungen Überhand genommen. Als Gründe dafür sind u.a. Reichweitenverluste und geringe Nutzungsdauer der Tageszeitungen auszumachen. Die Funktionalisierung des Sports in den Medien bringt eine sprachliche Effekt-Orientierung mit sich: wettbewerbsorientierte Sportberichterstattung erfordert eine marktfähige Sprache. Merkmale dieser Sprache sind: einfache, verständliche Sätze, Bildhaftigkeit, beschränkte Lexik und ein begrenztes Repertoire von Redewendungen, Übertreibungen, rhetorischen Fragen, Klangfiguren. Für die massenkommunikative Publikums- und Wirkungsforschung steht der Transfer der "Medienrealität" zum Publikum und deren Rezeption durch das Publikum im Mittelpunkt. Die Reviews 371 in den 70er Jahren entwickelten Ansätze des "Agenda-Settings" und der "Kultivierungshypothese" haben die Bedeutung der Individualität der Rezipienten hervorgehoben. Ihr Wissen, ihre Aufmerksamkeit und ihr Problembewusstsein bestimmen ihren Umgang mit der durch die Medien gelieferten Information. Diese kann mitbestimmen, worüber Rezipienten denken, aber nichtwas sie denken. Bei der Kultivierungshypothese stehen die langfristigen Auswirkungen der Medien im Vordergrund des Interesses. Nach dieser Hypothese entstehen die Bilder, welche die Menschen sich von etwas machen, die "Publikumsbilder", weniger aus PrimäI'erfahrungen des Individuums als aus Medienerfahrungen. "Medienrealität", also das durch die Medien vermittelte Bild der Realität, bezieht sich zwar grundsätzlich auf "die Welt", entspringt aber einem "vielstufigen Interpretations-, Auswahl- und Konstruktionsprozess" (S. 104) und vermittelt dadurch eine 'modifizierte Realität', auch der "Sportmedien-Realität". Die Bedeutungsfelder von Bild und Image überschneiden sich zwar, aber da letzteres einem wirtschaftspsychologischen Kontext entstammt, ist es spezifischen Einschränkungen unterworfen. Stereotyp und Vorurteil unterscheiden sich darin, daß Stereotypen nicht a priori Negativ-Wertungen sind, daß Vorurteile sich prinzipiell auf "die anderen" beziehen und Selbstwahrnehmung ausgrenzen, und daß Stereotypen gegenüber Veränderung immun sind, während Vorurteile als eine Art "Wahrnehmungsblocker" mit Abwehrfunktion fungieren. Für das Verhältnis von Images, Kommunikation und Medien werden solche semantischen Nuancen relevant. Images werden durch Medienkommunikation mitgeprägt, transportiert und vermittelt. Die subjektiven Konstrukte und die Entstehung von Stereotypen sind eng mit ihren sprachlichen Korrelaten verbunden. Aber die Imageforschung steht im Hinblick auf die "Publikumsbilder" des Mediensports noch am Anfang. Deshalb will der Verf. mit seiner Studie die "Qualitäten, Verwendungsweisen, Entstehungszusammenhänge und Funktionen der Medien- und Publikumsbilder des Sports erörtern" (S. 141), wobei die "kontextrelevanten Bezüge durch Images" im Mittelpunkt stehen sollen. Auf der Basis von 16 forschungsleitenden Fragen formuliert er dogmatisch-provokativ 13 Hypothesen, die durch die Studie verifiziert oder falsifiziert werden sollen. Dazu wählt er ein mehrmethodisches Vorgehen, das Auswertungen sowohl nach qualitativen als auch quantitativen Kriterien zuläßt und Publikumsanalyse (Befragungen per Telefoninterview, von Passanten, von Stadionbesuchern) mit Medienanalyse (Analyse von TV- Sportsendungen, Zeitungsartikeln) verbindet. Die wichtigsten Ergebnisse aus der Medienanalyse (S. 178-278) werden hier nur stichwortartig und geordnet nach den Kriterien Form, Inhalt, (nationale) Image-Bezüge und Sprache wiedergegeben. Die Sportberichterstattung im Fernsehen ist demnach gekennzeichnet (i) formal durch einen hohen Uniformitätsgrad, einen Trend zum "Infotainment" und die "Ereigniszentriertheit" der Aufmerksamkeit; (ii) inhaltlich durch eine senderübergreifende Konformität, Fixierung auf einen (länderspezifischen) Kanon weniger TV- Sportarten, 'Schausport', positive Personalisierungen und "Aktiven-Perspektivierung" (die Athleten stehen im Mittelpunkt); (iii) imagebezogen durch Grundmuster nationaler Stereotypisierung, ethnozentristische Ausrichtung der Berichterstattung, Personenkult um die Sportler, primäre (Flaggen, Hymnen) und sekundäre Symbole (visuelle Images, Stereotypisierungen) für Länder und Nationen; (iv) sprachlich durch anschauliche Metaphorik, effektorientierte Hyperbolik, nationale Stereotypisierung, Formatierung, Akzentuierung. Sportberichterstattung in Tageszeitungen ist demgegenüber gekennzeichnet (i) formal durch variationsarme Stilformen, Vermischung von Information, Meinung und Unterhaltung innerhalb eines Textbeitrages; (ii) inhaltlich durch Ereignis- und Verwertungsorientierung, "Aktivenpointierung", unkritisch positive Bewertung von Sport und Sportlern, Fußball-Dominanz, Thematisierung von Randaspekten; (iii) imagebezogen durch weniger visuelle "Nationen-Images" und nationale Stereotypen als im Fernsehen; (iv) sprachlich durch mehr Chauvinismen, aber weniger Anakoluthe als im Fernsehen. Die Publikumsanalyse (durch Telefon- und Passantenbefragung mittels kognitiver Wissensfragen und affektiver Meinungsfragen) dient vor allem zur Analyse von Publikumsbildern und Grundgrößen der Stereotypisierung. Sie führt zu 372 Reviews folgenden Resultaten: (i) die Rezeption des Sportgeschehens ist untrennbar mit der emotionalen Haltung verbunden; (ii) Sport ist ein relevanter Faktor für die nationale Identifikation; (iii) positive Besetzung des "eigenen Landes" (Attribuierung von Fairneß, Erfolg, Professionalität) gegenüber negativer "der anderen" (Aggressivität, Fanatismus); (iv) Beteiligung der "eigenen" Sportler als Bedingung der identifikatorischen Wahrnehmung des Sports; (v) Fernseh-Sportberichterstattung ist der bedeutendste "Image-Former" für den Sport und verstärkt die affirmative Haltung der Rezipienten ihr gegenüber; (vi) medial vermittelte Sportereignisse werden besser erinnert und als wichtiger eingestuft als andere, wobei Interesse nicht unbedingt zu mehr Wissen führt; (vii) "Agenda-Setting"-Effekte und "Mainstream"-Wirkung der Sportmedien sind klar erkennbar: Meinungen und Einstellungen zum Sport sind bei Rezipienten des Mediensports homogener als beim Rest des Publikums, Sportberichterstattung und Publikumsbilder verstärken sich wechselseitig. In der abschließenden Hypothesendiskussion (S. 436ff.) werden die meisten der eingangs aufgestellten Hypothesen verifiziert, einige falsifiziert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß Sportmedien das "Bild des Sports in unseren Köpfen" prägen (S. 451); daß aufgrund der hochgradigen intermediären Konvergenz Tageszeitungssport kein Komplementärangebot zum TV-Sport bildet; daß "gezielte Nationalismen" und Stereotypisierungen als Wettbewerbsinstrumente zur "publikumsattraktiven" Inszenierung medialer Sportereignisse dienen; daß "Medienbilder des Sports" national codiert sind und eine wichtige Rolle für die Rezeption des Mediensports spielen; daß zwischen "Medien- und Publikumsbildern des Sports" klare Konvergenzen auszumachen sind, was auf die Funktion der Medien als "sport-image-former" schließen läßt; daß die "Erforschung nationaler Stereotypen im Kontext des Mediensports" aufdie Bereiche Werbung, Marketing und Sponsoring ausgedehnt werden muß. Jens Wem.ecken legt mit dieser empirischen Studie eine umfangreiche und genau recherchierte Untersuchung vor, die den Anspruch des Verf., eine Grundlagenarbeit zu der auf den Sektor der Sportmedien angewandten "Image-Forschung" zu leisten, sicherlich erfüllt. Die Zwischenresumes erlauben trotz des Materialreichtums und der Methodenbzw. Kategorienvielfalt (auch der gelegentlichen terminologischen Überfrachtung) eine gute Übersicht über die Ergebnisse der Untersuchung. Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern)