eJournals Kodikas/Code 24/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2001
241-2

Körper/Arzt/Medizin/Technik

61
2001
Jan-Oliver Decker
kod241-20009
Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Fallbeispiele zur Konzeption der Person in der deutschen Literatur zwischen 1730-1830 Jan-Oliver Decker Tbis article examines the function of medical technics and of physicians using them in paradigmatic examples of german literature during the gennan 'Aufklärung' and 'Goethezeit'. The thesis is, that dealing with medical technics and physicians indicates both the exclusion of the physical body and of sexuality from the cop.cept of person in the 'Aufklärung'. The discourse of medical technics allows the topic of the sexual body and at the same time the failure of physicians facilitate to exclude it form the concept of person. The norm to be shown is, that reason dominates the physical body and inner conflicts with emotion and sexuality. Because of the body representing conflicts conceming the concept of person the physical therapies of physicians have to fall just as their attempts to solve the inner and the social problems of their patients. The examples demonstrate the medical technics as a neglecting kind of 'social work', so the physicians looses with the progression of 'Aufklärung' more and more importance in literary texts of the german 'Goethezeit'. At this point of less importance is in the German 'Klassik' a reevaluation of the 'social work' of physiscians in Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre invented. This text tries to solve the contradictions evoluted in the thinking of 'Aufklärung' and the literature of 'Aufklärung' and 'Sturm und Drang' regarding the concept of person. In the Wanderjahre the rote of physician is restructured on the basis of 'Aufklärung' as well as the discourse of medical technics, so that a scuccessful kind of 'social work' is modelled. Vorbemerkungen Untersuchungen belegen, dass medizinisches Wissen einen relevanten systematischen Bezug zwischen dem Denken und der Literatur der deutschen Aufklärung (1730-1770) und dem Denken und der Literatur der Goethezeit (1770-1830) stiftet 1 (vgl. exemplarisch Mauser 1988 und vor allem Wernz 1993)2. Im Zentrum stehen als Ergebnis dabei vor allem Aussagen, wie sich Teilbereiche des Denksystems wie der medizinische Diskurs zum Literatursystem funktional zueinander verhalten. 3 In diesem Rahmen wird im Folgenden eine Perspektive eingenommen, bei der an Fallbeispielen untersucht wird, wie Elemente des Medizin-technischen Diskurses den Normen der Literatursysteme zur Zeit der Aufklärung unterworfen werden und welche Funktionen die Elemente des medizintechnischen Diskurses in den konkreten Textbeispielen übernehmen. Unter medizintechnisch werden dabei diejenigen Elemente verstanden, die eine institutionalisierte Medizin betreffen, wie Arztrolle, Diagnostik und Heilmethoden. Der medizintechnische Diskurs ist dabei als ein Teildiskurs in den übergeordneten medizinischen Diskurs eingebettet. 4 10 Jan-Oliver Decker Die aus den Fallbeispielen abgeleiteten Ergebnisse sind als Eckwerte zu verstehen, die den Umgang mit medizintechnischem Diskurs und Arztrolle im Drama der Aufklärung vorstellen und seine Entwicklung exemplarisch anzeigen. Im Zentrum stehen dabei Christlob Mylius' Die Aerzte. Ein Lustspiel infuenf Aufzuegen von 1745 und Christian Felix Weißes Romeo und Julie. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von 1767. Abschließend wird schlaglichtartig Johann Wolfgang Goethes Roman Wil"helm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden von 1829 unter dem Aspekt der Arztrolle beleuchtet, um aufzuzeigen, wie die anhand des Dramas der Aufklärung vorgestellten Funktionen des medizintechnischen Diskurses und der Arztrolle am Ende der Goethezeit in neue Kontexte integriert werden. Primär steht in den untersuchten Texten durch die explizite Thematisierung von Elementen institutionalisierter Medizin der faktisch oder scheinbar erkrankte Körper im Vordergrund, der als Problem nicht mehr vom betroffenen Subjekt bewältigt werden kann. Damit eröffnen sich zwei miteinander verbundene Zusammenhänge in den untersuchten Texten: 1. Der Körper wird mit Hilfe des medizintechnischen Diskurses als Problemfeld aufklärerischer Werte und Normen thematisch. Das Körperliche steht zeichenhaft für .etwas, was das Subjekt nicht bewältigen kann. Damit wird in den Texten eine Konzeption der Person deutlich, bei der einem als 'Außen' gedachten Körper ein metaphorisch bezeichnetes 'Innen' des Subjekts entgegen steht, sei es ein internalisiertes 'Außen' sozialer Werte und Normen oder ein das Subjekt fundamental bedrohendes Inneres. Wenn das Körperliche aber nicht das eigentlich zentrale Problem ist, das gelöst werden muss, dann gelingt dariiber hinaus durch die Problematisierung des Körpers die fundamentale Ausgrenzung von Körperlichem als relevante Kategorie bei der Konzeption der Person. Wenn der Körper immer nur ein zu lesender für ein zu korrigierendes Inneres ist, dann wehren die Texte eine denkbare Unabhängigkeit und Unmittelbarkeit des Körperlichen ab. 2. Die Elemente des medizintechnischen Diskurses wie Arztrolle, Diagnostik und Heilmethoden werden typischen Kriterien des Denkens undArgumentierens unterworfen. Eine Funktion ist dabei, mögliche konkurrierende Wissensmengen im medizinischen Diskurs jenseits desselben durch die Ereignisstruktur des literarischen Textes untereinander zu hierarchisieren und zu favorisieren. 5 Die Handlung der Texte belegt gleichsam die 'richtigen' und relevanten Wissensmengen im medizintechnischen Diskurs. 6 Darüber hinaus haben auch die vorgeführten Diagnose- und Heilmethoden des zeichenhaft problematischen Körpers eine metaphorische Funktion. 'Richtige' oder 'falsche' Diagnose stehen ebenso wie gelingende und misslingende Heilmethoden für adäquate oder inadäquate Strategien der Lösung des im Körper bezeichneten Problematischen. Insgesamt lassen sich daraus wiederum auch Rückschlüsse über die Konzeption einer idealen Arztrolle ziehen. Wenn das Körperliche nicht das zentrale Problem ist, dann ist die rein berufliche Rolle des Arztes als Heiler körperlicher Krankheit in der Literatur entweder von geringer Bedeutung oder aber die Arztrolle wird über das Kurieren körperlicher Krankheit hinaus zur Rolle eines fundamentalen Problemlösers aufgewertet. Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik ■ Das Fallbeispiel Die Aerzte. Ein Lustspiel in fuenf Aufzuegen (1745) von Christlob Mylius Zum Kontext der Ärztesatire in der Frühautldärung 11 Zur Zeit der von Gottsched mit dem Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730) angestrebten Theaterreform war der Barbier eine beliebte Figur der Hanswurstiaden und des derb-sinnlichen Volkslustspieles. 7 Als 'Chirurgus', der kleine medizinische Operationen wie Aderlassen und Zähneziehen durchführte, war er dabei nicht nur Figur auf der Bühne, sondern gelegentlich auch Betreiber einer solchen, um durch improvisierte, schauspielerische Einlagen seine medizinischen Künste auf dem Jahrmarkt anzubieten. 8 Der Barbier als mehr oder weniger qualifizierter medizinischer Fachmann war somit nicht nur als Figur auf der Bühne in einen von Gottsched abgelehnten Theaterkontext gestellt, sondern repräsentierte auch die von ihm abgelehnte Form des Theaters selbst. So erstaunt es zunächst, dass Mylius als Autor aus dem Gottsched-Umkreis in seinen den drei Einheiten verpflichtetenAerzten mit "Pillifex" und "Recept" zwei 'Doctores' vorführt, die mit ihrer Fehldeutung einer Schwangerschaft als falsch gesetztes Klistier eine Ebene derb-sexueller Komik, ähnlich den traditionellen Barbier-Figuren, im Stück etablieren. Diese Ebene scheint zunächst wie der tollpatschige Diener Matthes ein Reflex auf die literarischen Vorläufer des Lustspieles zu sein, der in der Frühaufklärung noch in das Lustspiel integrierbar ist. Pillifex und Recept finden ihre literarischen Vorläufer jedoch nicht nur in der Tradition des Volklustspieles, sondern auch in der französischen Lustspieltradition, deren prominentester Vertreter Moliere von den Gottscheds als Vorbild für ein genuin deutsches aufklärerisches Lustspiel adaptiert wurde. 9 Das Motiv der anmaßenden Ärzte in Mylius' Aerzten, die einen eingebildeten Kranken ausbeuten und als Ehepartner für anderweitig verliebte Töchter im Spiel sind, findet sich so auch schon vorbildhaft in Molieres Ärztesatiren L' amour Medecin (Die Liebe als Arzt) von1666 und Le malade imaginaire (Der eingebildete Kranke) von 1673. Handlungs-und Konfliktstruktur, Werte und Normen Trotzdem Mylius in seinenAerzten auf vorgefundene Stereotypen und etablierte Handlungsmuster zurückgreift, setzt er aber nicht die Tradition der Ärztesatire fort, in der allein die Karikierung des medizinischen Standes im Mittelpunkt steht. Vielmehr finden Arzt und Medizin als Inventar und Thema Eingang in die neue Aufklärungskomödie, die durch Vorführen und Sanktionieren exemplarischer Abweichungen übergeordnete Werte und Normen auf der Folie von Tugend vs. Laster propagiert, mit neuen sozialen Werten wie der Regelung des freundschaftlich-familiären Umganges miteinander und der Paarbildung kombiniert und gewissermaßen als Einübung in das aufklärerische Denksystem fungiert. 10 Dass Frau Vielgutin in die Fänge der verbrecherischen Ärzte Pillifex und Recept gerät, die ihr Krankheiten einreden und sie ständig medizinischen Pseudokuren unterwerfen, um sie finanziell ausbeuten zu können, bildet nur den Hintergrund für den eigentlichen Werte- Konflikt von Vertrauen vs. Misstrauen. Frau Vielgutin vertraut den Ärzten so sehr, dass sie ihre Tochter Luisgen an einen der beiden verheiraten möchte. Luisgen misstraut den Ärzten so sehr, dass sie niemals einen Arzt heiraten würde. Beide zeichnen sich damit durch einen 12 Jan-Oliver Decker unvernünftigen Eigensinn aus: die Mutter durch die irrationale Wertschätzung des Ärztestandes, die auch durch die absurdesten medizinischen Vorgehensweisen von Pillifex und Recept nicht erschütterlich ist; die Tochter durch die irrationale Abwertung des Ärztestandes, den sie in Pillifex und Recept in toto repräsentiert sieht. Beide müssen ihre an den Beruf des akademisch ausgebildeten Arztes gebundenen Vorurteile abbauen und belehrt werden: Die Mutter, weil sie sonst ihr Vermögen und ihre Tochter an Pillifex und Recept gleichermaßen verliert; denn beide haben einen "Contract" geschlossen, dass trotz der künftigen Ehe mit nur einem von ihnen sowohl das Geld der Mutter als auch der sexuelle Gebrauch von Luisgen geteilt werden. Die Tochter, weil sie sonst ihr Liebesglück mit Damon gefährdet, einem jungen Mediziner auf der Rückreise von der Universität, der seine Erbschaft antreten und sich den Doktortitel erwerben will, sich aufgrund von Luisgens Verachtung jedweden Mediziners ihr gegenüber aber als Jurist ausgibt. Ursache für das ausgenutzte Vertrauen der Frau Vielgutin ist letztlich die mehr als fünfjährige Abwesenheit ihres Mannes, des reichen Kaufmanns Vielgut, der während einer Ostindienreise als verschollen gilt. Das Motiv der zu vertrauensvollen Ehefrau, die während der Absenz des Familienoberhauptes der Familienführung nicht gewachsen ist, findet sich beispielhaft vorgeprägt in der Frau Glaubeleichtin in Luise Adelgunde Viktorie Gottscheds Lustspiel Die Pietisterey im Fischbeinrocke von 1736. Die Gefährdung des individuellen Glückes im Diesseits durch ein übersteigertes Misstrauen findet sich später paradigmatisch ausgearbeitet in Johann Friedrich von Cronegks Lustspiel Der Mißtrauische aus dem Jahr 1760. Die Handlung in Mylius' Aerzten wird durch den Plan von Frau Vielgutin initiiert, die Tochter gegen deren offen bekundete Abneigung nach einem medizinischen Wettstreit mit demjenigen Arzt zu verheiraten, der die Krankheit ihrer Köchin Dorchen richtig diagnostiziert und sie erfolgreich therapiert. Gleichzeitig bemühen sich Damon, Luisgen und Friedrich, Herrn Vielguts alter Diener, die kriminellen Motive und quacksalberischen Methoden von Pillifex und Recept zu entlarven und so Frau Vielgutin von der Scharlatanerie und Niedertracht ihrer Leibärzte zu überzeugen. Dies gelingt erst, als die von den Ärzten diagnostizierte Wassersucht Dorchens sich als Schwangerschaft herausstellt und diese dem Arzt Recept im Verlauf des Stückes einen Sohn gebärt. Frau Vielgutin kommt schließlich selbständig durch Akzeptieren des offensichtlich Wahrnehmbaren zur Erkenntnis; sie wird durch die Realität selbst belehrt. Demgegenüber scheitern die vorhergehenden Bemühungen von Damon, Luisgen und Friedrich, Frau Vielgutin durch Vorlage des von beiden Ärzten unterschriebenen "Contract [ ... ] die gemeinschaftliche Heyrath Jungfer Luisgens betreffend" (S. 70) 11 zu belehren. Dieser Handlungsstrang um die Aneignung des Vertrages und das Gespräch darüber hat vor allem die Funktion, Luisgen davon zu überzeugen, dass Damon aufgrund seiner Vernunft und seiner ehrlichen Zuneigung zu ihr liebenswert ist, so dass die von ihrer Unvernunft geheilte Frau Vielgutin schließlich der Verbindung von Luisgen und Damon zustimmt. Letztlich dient die Handlung vor allem dazu, neue Bedingungen der Paarbildung durchzusetzen und die elterliche Verfügungsgewalt über die Paarbildung der Kinder aufzuweichen: Auf der Basis von Vernunftgebrauch und gegenseitiger, höflich-freundschaftlicher Fürsorge wird der Partner nach Neigung gewählt. Erweist sich der künftige Partner dann noch als sozial gleichwertig und damit als angemessen, müssen die Eltern der Verbindung zustimmen. 12 Diese Aufweichung elterlicher Befehlsgewalt wird im 5. Akt noch einmal in Frage gestellt, als Herr Vielgut überraschend nach Hause zurückkehrt und die von Vater zu Vater beschlossene Verehelichung von Luisgen mit dem Sohn eines befreundeten Kaufmanns verkün- Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 13 det. Da sich jedoch dieser als der junge Mediziner Damon herausstellt, wird das am Ende des Lustspiels erreichte Gleichgewicht nicht mehr gestört. Der Vater stellt vielmehr als oberste Norminstanz zum einen symbolisch die Ordnung wieder her, die durch seine Abwesenheit gestört wurde und vertreibt nacheinander unter Androhung von Prügeln Pillefex und Recept, den er zur Ehelichung Dorchens zwingt. Zum anderen ist er die Autorität, die Luisgen von ihrem Eigensinn heilt, mit der absoluten Ablehnung jedes Arztes auch den nach allen Bedingungen der Neigung, des Standes und der elterlichen Wahl optimalen Partner Damon abzulehnen: Kannst Du wohl deinem Eigensinne zu Gefallen, die zaertliche Vorsorge deiner Aeltem, die zartliche Liebe deines vemuenftigen Liebhabers, und dein eignes Vergnuegen so gering schaetzen? Verachte alle unvemuenftigen Aerzte, und verehre die vernuenftigen; (S. 126, z. 13-18) Arztrolle und medizinische Techniken in aufklärerischer Kritik Grundsätzliche Merkmale der Ärzte Pillifex und Recept sind, wie in der Regel im Lustspiel der Frühaufklärung, verdeckter Eigennutz, kriminelles Vorgehen, Dummheit und vor allem Selbstüberheblichkeit und Anmaßung, wie sie vor allem aus folgenden Äußerungen Pillifex' ableitbar sind: Wenn werdet ihr doch aufhören, euch an den Werkzeugen der goettlichen Bannherzigkeit zu versuendigen? (S. 32, 2.1-4) und später: Sie [gemeint ist die Medizin] ist die allerschwerste Wissenschaft in der ganzen Welt. (S. 66, z. 3/ 4) Im Selbstverständnis von Pillifex sind die Ärzte also in einen übergeordneten göttlichen Kontext eingebunden, der sie rückwirkend als allmächtig und allwissend über alle anderen Menschen erhebt. Auf der Ebene ihrer spezifischen Rolle als Mediziner werden Pillifex und Recept zunächst vor allem durch ihre Sprache ausgegrenzt 13: Sie verwenden lateinische Fachausdrücke zur Diagnose, die auch übersetzt oft genug keinen zusammenhängenden Sinn ergeben. Die Unverständlichkeit ihrer Äußerungen verstößt dabei zum einen gegen die aufklärerische Konversationsnorm der vernünftigen Rede. Zum anderen dient die Verwendung des den akademischen Stand bezeichnenden Lateins als unangemessene Überhöhung über den Gesprächspartner. So wird die Gleichberechtigung der Redepartner auf der Ebene der verwendeten Sprache von Luisgen im Verlauf des Stücks immer wieder angemahnt: Luisgen: Nein, Nein, Teutsch wollte ichs gerne wissen: Lateinisch verstehe ich nicht (S. 52, z. 23/ 24) und die Fachsprache der Ärzte als unverständlich und irrational abgewertet und dämonisiert: Luisgen: Stets werfen sie Init abscheulichen barbarischen Woertern herum, nicht anders als ob sie Zaubereyen trieben und die eingebildeten Krankheiten meiner Mutter beschwoeren wollten. (S. 19, Z. 29 - S. 20, Z. 2) 14 Jan-Oliver Decker Die medizinische Sprache neigt dabei zu maßlosen Übertreibungen, die Frau Vielgutin in Angst und Schrecken versetzen und sie sich auch physisch schwerkrank fühlen lassen. So droht ihr Pillifex: Sie koennen unmoeglich laenger verziehen; es entsteht sonst obstructio vasorum, lentor humorum und ruptura vesicae urinariae daraus. (S. 42, Z. 22-25) also Gefäßverschluss, Zähflüssigkeit der Säfte und Harnblasenriss, wenn sich Frau Vielgutin nicht sofort zwecks Urinbeschau auf ihren Nachtstuhl begibt, was sogleich der Kritik der Diener Friedrich und Matthes unterzogen wird: FRIEDRICH: Sie kann es nicht alleyne und der Herr Doctor hat gerne seine Nase dabey. MA'ITIIES: Die Doctores muessen hier naerrisch seyn. Sie nehmen Dinge vor, die ich von meinem Herren und anderen Medicinern, mein Lebtage noch nicht gesehn und gehoert habe. (S. 43, Z. 15-21) Neben der Unsinnigkeit des traditionellen Diagnoseverfahrens der Urinbeschau manifestiert sich hier auch eine normverletzende Nähe der Ärzte, die ihren Patienten ganz konkret zu nahe zu Leibe rücken und natürliche biologische Vorgänge so an sich binden, dass diese nicht mehr von selbst ausgeführt werden können. Sie versetzen den Patienten tatsächlich durch das Einreden schlimmer Krankheiten in einen physisch angeschlagenen Zustand. Neben den Diagnoseverfahren steht besonders auch die Anwendung medizinischer Heilverfahren auf dem Prüfstand. So will Pillifex eben der Pillendreher nicht nur Frau Vielgutin und Luisgen sein angeblich universell wirkendes Allheilmittel, die "Merkurialpillen", beijeder Gelegenheit andrehen, sondern er schlägt auch Damon vor, der vorgibt einen Husten zu haben: PilLIFEX: Sie muessen purgieren. Ich will ihnen von den pillifexischen Merkurialpillen eine Dosin eingeben; und wenn dieses nicht hilft, so will ich ihnen ein Clystir setzen; und schlaegt auch dieses nicht an, so will ich ihnen ein Bomitiv setzen. (S. 64, Z. 22-27) Und als Damon einwendet, dass man seines Wissens nur funktional bei Erkrankungen des Magen-Darmtraktes Einläufe sowie Abführ- und Brechmittel einsetzt, offenbart Pillifex die ganze Irrationalität seines medizinischen Denkens: PilLIFEX: Sie sind gewiß ueber einen mechanischen Quacksalber gekommen, der ihnen weiß gemacht hat, der menschliche Koerper waere wie eine Muehle, und die Seele haette ihm nichts zu befehlen. Es gehet alles durch die Seele; und diese ist in toto corpore tota. Wenn sie nun macht, daß sie den Husten und Schnupfen haben muessen: so kann man ihr ueberall, hinten und vorne, oben und unten, beykommen und sie an ihre Pflicht erinnern und ein wenig zur raison bringen (S. 65, Z. 15-25) Ex negativo wird an Pillifex deutlich gemacht, dass das vom Text vertretene medizinische Ideal ein empirisch auf den Körper als defekte Maschine gerichtetes Diagnose- und Heilverfahren ist. Nur die Physis soll Gegenstand ärztlicher Kunst sein, nicht jedoch die Seele, die der Arzt durch Bestrafung und Züchtigung des Körpers manipulieren möchte. 14 Die Seele wird damit der Verfügbarkeit der medizinischen Autorität entzogen. Dieses Merkmal teilt die Kritik des medizinischen Diskurses dabei in Mylius' Aerzten mit dem Kampf gegen die spiritistisch-pietistischen Schwärmer in der Pietisterey im Fischbeinrocke der Gottschedin. Hier wie dort gilt die aufldärerische Kritik dem unvernünftigen Denken und Argumentieren von Institutionen, aus denen sich der einzelne durch Vernunftgebrauch zu befreien hat. Implizit legt das Stück nahe, dass sich der medizinische Diskurs in Mylius' Aerzten wie der Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 15 theologische in der Pietisterey der Gottschedin gemäß den aufklärerischen Normen der Rationalität und empirischer Überprüfbarkeit zu strukturieren hat. 15 Der Irrsinn von Pillifex und Rezept gipfelt letztlich in der Fehldiagnose, dass Dorchens, statt schwanger zu sein, die Wassersucht hätte. Ihre Diagnose gewinnen die Ärzte wider besseres Wissen zumal von Recept als Vater des Kindes durch reine Spekulation, in~ konsequente Syllogistik und bloßes Befragen der sich zierenden Dorchen, die genau weiß, wie es um sie bestellt ist. So bewusst Pillifex, eher wegen des Geldes, und Recept, eher wegen des Auslebens seiner Wollust mit Luisgen, Frau Vielgutin betrügen und ihr Krankheiten einreden, so dumm und einfältig glauben sie an eine vermeintliche Krankheit Dorchens, als diese die Fassade ihrer Jungfräulichkeit aufrechterhält, um ihre Schande zu verbergen. 16 Dabei werden letztlich Dorchen, die Frau aus der Unterschicht, und Recept, als Mediziner Vertreter der akademischen Schicht, einander im in der Epoche kriminalisierten außerehelichen Sexualakt angenähert und zugunsten und auf der Folie der nicht durch ihre Sexualität, sondern durch ihre Neigung definierten Liebenden Damon und Luisgen abgewertet. Insgesamt werden auf der Basis aufklärerischer Werte und Normen in Mylius' Aerzten also einerseits traditionelle Elemente des medezintechnischen Diskurses wie die Urinbeschau, aber auch ein Leib-Seele-Konzept, bei dem sich Körper und Seele unmittelbar aufeinander beziehen, durch die kriminalisierten Ärzte Pillifex und Recept ausgegrenzt. Deutlich wird in Mylius' Aerzten auf der Folie konkurrierenden medizinischen Wissens in der Epoche das Konzept der totalen Trennung von Körper und Seele als das gültige Modell in der Medizin propagiert. Verwunderlich bleibt, warum das Stück nur ex negativo auf ein Ärzteideal referiert, zumal mit Damon als vernünftigem Mediziner ein positives Gegenmodell von Arztrolle und Rekonfiguration des medizinischen Diskurses in der Auseinandersetzung mit Pillifex und Recept vorliegen könnte, dieses Potenzial im Text aber weitgehend ungenützt bleibt. . Körperlichkeit, Konzeption der Person und das 'Vernunftsomatische' Die weitgehende Leerstelle der im Sinne der Aufklärung positiven Modelle von Arztrolle und medizinischen Verfahren liegt in Mylius' Aerzten darin begründet, dass der Körper als ein potenziell relevanter Teil der Konzeption der Person in der Frühaufklärung ausgegrenzt werden muss. Diese Ausgrenzung funktioniert nur dann, wenn eine mögliche Relevanz des Körperlichen als absurd und unvernünftig dargestellt und durch die Anbindung an negative Figuren der Lächerlichkeit als irrelevantes Problem preisgegeben werden kann. Mit dem aufklärerischen Primat der Diesseitsorientierung, dem Versprechen einer individuellen Sinnbestätigung und Daseinserfüllung im KontextderTheodicee-Diskussion, 17 könnte der Körper als Ort körperlicher Funktionen bei der Erfüllung von innerirdischer Glückseligkeit eine elementare Qualität bei der Konzeption der Person werden. Demgegenüber ist in der Aufklärung jedoch zu beobachten, dass die im dominanten theologischen Diskurs vorhandene traditionelle Spaltung der Person in ein vom Subjekt distanziertes körperliches 'Außen' und ein das Subjekt definierendes 'Innen' aufrecht erhalten bleibt. Nur das 'Innen' wird in der Aufklärung bei der Konzeption der Person ausgetauscht: Der diesseits ausgerichtete Verstand substituiert die auf das Seelenheil im Jenseits orientierte Seele. 18 Im Verlauf des Dramas der Aufklärung wird geradezu vorgeführt, wie vor allem das Verhaftetsein von Figuren an das an den Körper gebundene Sexuelle immer stärker zu Lastern und damit zwangsläufig zum Sinnverlust und zum Scheitern der Person führt. So z.B. Johann 16 Jan-Oliver Decker Gottlob Benjamin Pfeils Lucie Woodvil (1756), deren vorehelicher Sexualakt als nichtgewusster Inzest zu Hass, Wahnsinn und schließlich zu Mord und Selbstmord führt oder auch Lessings Miss Sara Sampson (1755), die im Sinne der positiv vom Text bewerteten Protagonistin schließlich verdientermaßen für ihren außerehelichen Geschlechtsverkehr mit Mellefont mit der Ermordung durch dessen ehemalige Geliebte Marwood bestraft wird. Die traditionelle Sexualmoral wird im Verlauf des Dramas der Aufklärung neu begründet und zementiert, bis mit dem Einsatz der 'Empfindsamkeit' jedwede Körperlichkeit weitgehend aus den Dramen verbannt ist. 19 Demgegenüber finden sich im Lustspiel der Frühaufklärung einige Texte, die die mögliche Relevanz des Körperlichen problematisieren. Am deutlichsten tun dies die Dramen, die das Thema des eingebildeten Kranken mehr oder weniger dominant diskutieren. So paradigmatisch in Theodor Johann Quistorps Der Hypochondrist, aber auch z; B. an der Figur der Frau von Tiefenborn in Das Testament der Gottschedin, beide von 1745. Auffällig ist, dass, wenn Krankheit und medizinischer Diskurs im Drama derAufklärung präsent sind, niemals ernsthaft physisch Kranke vorgeführt werden. Die negativ von den Texten bewerteten Veränderungen der Person gehen in der Regel nie vom Körper der Person aus, sondern vom Innenleben der Person. An den hypochondrischen Figuren wird als negativ gerade vermittelt, dass sie ihrem Körper zu viel Aufmerksamkeit widmen, dass dieses 'Zuviel' an Relevanz des Körperlichen zwangsläufig ein 'Zuwenig' an Vernunft bedeutet, wie an Frau Vielgutin in Mylius' Aerzten beispielhaft vorgeführt wird. Grundsätzlich lassen sich damit solche niemals primär physisch Kranken pointiert als 'vemunftsomatisch' Kranke klassifizieren. Was wieder hergestellt werden muss, ist die Dominanz eines durch Vernunftgebrauch definierten 'Innen' der Person und die Abwehr des als distanziertes 'Außen' gedachten Körperlichen und damit nicht weniger als die Herstellung einer harmonischen Ordnung der Person: LUISGEN [zu ihrer Mutter]: Und es hat auch nicht anders kommen koennen, da sie ihnen immer hunderterley Arzeneyen untereinander eingegeben und ihre Natur aus der Ordnung gebracht haben. (S. 81, Z. 1-4) In diesem Kontext wird erklärbar, warum.in Mylius' Aerzten Damon nicht als positiver Vertreter seiner Zunft herausgearbeitet wird. Da weder Frau Vielgutin noch Dorchen wirklich körperlich erkrankt sind und das vom Text positiv bewertete Konzept der Medizin nur den Körper der Berufsrolle des Arztes unterstellt, darf Damon gar nicht als Arzt in den Heilungsprozess von Frau Vielgutin eingreifen. Demgegenüber versagen die Ärzte Pillifex und Recept, per se ja eigentlich Spezialisten der Deutung von Körperlichkeit und qua Berufsrolle auf die Relevanz der Wahrnehmung von Körperlichkeit trainiert, kläglich. Beide demonstrieren zusammen mit Frau Vielgutin im Textverlauf die negativen Folgen, zu denen die Fokussierung auf den Körper und seine Funktionen führt. Durch die Strategie, die ausgeübte Arztrolle im Text abzawerten, wird vom Text das Körperliche als relevante Kategorie für die Konzeption der Person ausgegrenzt. Im Fall der vernunftsomatisch kranken Frau Vielgutin muss die gestörte Ordnung der Natur der Person durch Belehrung von außen und durch eigenständigen Vernunftgebrauch wieder hergestellt werden. Damon als positiv vom Text bewerteter weil in diesem Fall nicht als Mediziner agierender-Arzt kann darauf vertrauen, dass Frau Vielgutin durch selbständigen Vernunftgebrauch von ihrer eingebildeten Krankheit geheilt wird und ihre Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Körper ab- und dem Wohle ihrer Familie zuwendet. Dass mit der Irrelevanz des Körperlichen zeichenhaft vor allem die Irrelevanz des Sexuellen für die Konzeption der Person vorgeführt wird, demonstriert sich schon allein daran, dass Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 17 Damon und Luisgen während ihrer gemeinsamen Zusammenkünfte ohne andere Figuren alles Körperliche total ausblenden und emotional-freundschaftliche, auf gegenseitige Fürsorge gerichtete Dialoge führen, die ihre gegenseitige Sympathie ausdrücken. Die erste öffentliche körperliche Berührung am Ende des Dramas, Luisgen ergreift Damons Hand, muss sogar ausdrücklich von Mutter und Vater als Norminstanzen legitimiert werden. Dieser Händedruck ist dabei keine Geste zärtlicher Zuneigung, sondern besiegelt den freundschaftlichen Bund zwischen Damon und Luisgen, der durch ein öffentliches Eheversprechen legitimiert wird. Die Darstellung des Körperkontakts ist in der Frühaufklärung nur erlaubt, wenn dieser durch einen Sprechakt als Signifikat einer im Denk- und Literatursystem adäquaten Beziehung ausgewiesen wird. Demgegenüber ist die Sprache der Ärzte durch den Kontext von Dorchens Schwangerschaft als fehlgeschlagenes Klistier immer stark sexuell konnotiert: PILLIFEX: Hat sie etwan eine materiam tumificantem oder dickmachende Materie zu sich genommen? [... ]Hat sie sich etwan einmal ein Clystir geben lassen, welches so uebel angeschlagen? (S. 47, Z. 18-27) Durch den impliziten Vergleich der Klistierspritze mit dem Phallus wird das Merkmal des illegitim Sexuellen auf die von den Ärzten angewendeten medizinischen Techniken übertragen. Damit erscheint auch der medizinische Umgang mit Frau Vielgutin als normverstoßende sexuelle Belästigung, wenn Pillifex sie bei "offenem Leibe erhalten" (S. 32) will und Friedrich daraufhln reagiert: Und hat ihr zuweilen was gefehlet: Ist nicht das viele Einschuetten, Eingießen und Einspruetzen aller ihrer Quacksalbereien, hinten, vorne, oben und unten Schuld daran gewesen? (S. 32, Z. 29 -S. 33, Z. 1) Der männliche Arzt macht die Frau also krank, indem er sie durch alle möglichen Körperöffnungen mit Hilfe seiner medizinischen Instrumente penetriert und von ihm zubereitete Flüssigkeiten in ihren Innenraum ergießt. So, wie der männliche Samen im direkten sexuellen Kontakt Leben zeugend ist, sind die technisch-künstlich aufbereiteten Heilmittel des Arztes in Wirklichkeit die Inversion von Leben, die auch Luisgen droht: Da kommen sie mit Glaesern, Buechsen, Pulvern, Kraeutern, Pillen und hunderterley anderem naerrischem Zeuge gerennet, und schuetten es nicht nur meiner Mutter ein, sondern wollen auch mir ihr Geschmiere mit Gewalt einzwingen. (S. 20, Z. 3-8) Zeichenhaft bilden die medizinischen Techniken hier somit letztlich das ab, was Luisgen auch auf der Handlungsebene bevorsteht, wenn der Plan der Ärzte Erfolg hätte und Luisgen gemäß ihres beiderseitigen Vertrages sexuelle Verfügungsmasse für Pillifex und Recept sein soll. Mit den medizinischen Techniken und ihrer Abwehr durch Luisgen wird im Stück das Sexuelle, für das der medizinisch untersuchte und therapierte Körper stellvertretend steht, wahrnehmbar gemacht. Diese Strategie des Textes, das eigentlich Gemeinte des Sexuellen an den ausgegrenzten medizinischen Umgang mit dem Körper zu binden, gibt dabei gleichzeitig das Verfahren vor, wie das Körperliche und damit das Sexuelle aus der Konzeption der Person auszugrenzen ist: Das Sexuelle ist das potenziell Gefährliche und Gefährdende, das im als 'Außen' gedachten Körper sichtbar ist und von der Vernunft im 'Innen' der Person eigenständig durch Selbstkontrolle zu distanzieren ist. Es liegt eben in der Eigenverantwortung der Person, dass sie durch ihr Handeln die Grenze zwischen 'Innen' und 'Außen' aufrecht erhält und die innen wirkende Vernunft über das äußerlich Körperliche dominieren lässt. 18 Jan-Oliver Decker 'Semiologie' als 'Symptomatologie': Der Körper als Zeichensystem im Drama der Aufklärung Das Körperliche ist im Lustspiel der Frühaufklärung noch als zentrales Problem z.B. der hypochondrischen Charaktere oder im direkten Umgang mit Ärzten und Medizin präsent, wird jedoch zunehmend in den 1750er Jahren durch die Etablierung des 'empfindsamen' Diskurses ignoriert, der das Innenleben der Person als maßgeblich setzt. Mit Lessings Miss Sara Sampson (1755) wird dabei der grundsätzliche Umgang mit dem Körperlichen vorgeführt. Die ganze Handlung wird durch den außerehelichen Sexualakt von Sara und Mellefont ursächlich ausgelöst. Der konkrete körperliche Sexualakt wird jedoch als zentraler Normverstoß in die Vorgeschichte verbannt, während mit Dramenbeginn als Reaktion emotionale Befindlichkeiten ausgebreitet werden. Diese dienen letztlich dazu, das Körperliche in der Vorgeschichte zu nivellieren und die Dominanz des Innenlebens der Person über den Körper wieder herzustellen. Das zentrale Konfliktfeld ist von der Leitopposition Körper vs. Seele und ihrer räumlichen Semantik als außen vs. innen in das Innere der Person als Konflikt zwischen Gefühl vs. Vernunft verlagert worden. Das unmittelbar Körperliche ist als relevantes Problemfeld auch ganz direkt aus dem Drama der mittleren Aufklärung ausgegrenzt. 20 Die Kontrolle des Körpers wird, wie an Mylius' Aerzten paradigmatisch vorgeführt, in der Frühaufklärung an die Person und nicht an den traditionellen und institutionalisierten Diskurs der Medizin delegiert. Damit ergibt sich eine paradoxe Konzeption der Person, in der der Körper und seine Funktionen nicht primär zur Person gehören, diese das unmittelbar Körperliche aber abwehren und von der Vernunft als werthaftem Kern der Person distanzieren muss. Die Person erscheint implizit eben doch als irreduzibles, unteilbares Ganzes aus Körper und Seele. Logische Grundlage für diese paradoxe Konzeption ist dabei im Denksystem der Aufklärung das Postulat der sinnlichen und damit körperlichen Vermittlung empirischer Daten, auf denen der Vernunftgebrauch basieren soll. 21 Diese Medialisierung des Körpers ist das eigentlich zu bewältigende Problem, das in der Frühaufklärung virulent wird. Anhand des einen empirisch wahrnehmbaren Körpers manifestieren sich somit zwei Konzepte von Körperlichkeit: 1. das Konzept einer positiv bewerteten medialen Qualität des Körpers, die die Bereitstellung empirischer Daten als Grundlage des Vernunftgebrauchs garantiert und 2. das Konzept einer negativ bewerteten Körperlichkeit, die als Bedrohung durch den Selbstverlust an das Sexuelle immer als das die Einheit der Person Gefährdende und Gefährliche vom 'Innen' der Person eigenverantwortlich abgewehrt werden muss. Insofern der nur eine faktisch wahrnehmbare Körper in beiden Konzepten von Körperlichkeit auf das Innenleben der Pers.on und dessen Primat bezogen ist, verwundert es nicht, das in den Dramen der mittleren Aufklärung oftmals Dialoge gerade um die empirische Wahrnehmbarkeit und Deutung des faktischen Körpers kreisen. Dass der Körper grundsätzlich ein zu deutendes semiotisches Problem darstellt, aus dem Rückschlüsse aufdas Innenleben der Person ableitbar sind, wird dabei als Strategie direkt dem medizinischen Diskurs entlehnt. 22 Der Körper wird als Objekt einer Symptomatologie verstanden, bei dem körperliche Zeichen ursächlich auf Anderes verweisen. Der faktisch wahrnehmbare Körper offenbart in den literarischen Texten zwar keine physischen Krankheiten im Sinne des medizinischen Diskurses, dafür verweist er aber indexikalisch auf ein mögliches krankhaftes Innen der Person. 23 Dabei konzentriert sich die Deutung des faktischen Körpers und des in ihm manifesten Innenlebens stellvertretend an der Physiognomie, der Mimik und der Gestik einer Person, die als natürliche Zeichen im Sinne des unmittelbar Wahrnehmbaren und konkreten organisch-physischen Körpers gedacht werden und ihn substituieren. 24 Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 19 So forscht zu Beginn von Johann Gottlob Benjamin P{eils Lucie Woodvil (1756) ihr Vater Wilhelm ausführlich in Lucies Gesichtszügen, um zu priifen, ob sich in ihnen eine maßlos leidenschaftliche, normverstoßende, inzestuöse Liebe zu ihrem Bruder manifestiert. Da in der Vorgeschichte faktisch dieser inzestuöse Sexualakt stattgefunden hat, zeichnet sich gleichsam dieser Normverstoß körperlich in Lucies Gesicht ab, wenn ihr Vater feststellt: Aber Freund! Was für eine quälende Entdeckung habe ich für mich gemacht! Ihr Auge verrät seit einiger Zeit einen heimlichen Gram (S. 193) 25 Das Körperliche erscheint hier als zu interpretierendes und sprachlich zu dekodierendes Zeichensystem für das emotionale 'Innen' der Person. Was der Körper als Zeichensystem vermittelt, sindunkontrollierbare Affekte, leidenschaftliche Emotionen und soziale Normverstöße, die durch sprachliche Dekodierung objektiviert und lesbar und schließlich der sozialen Kontrolle durch das Familienoberhaupt unterworfen werden müssen. Auf die Beobachtung folgt unmittelbar Lucies inquisitorische Befragung durch den Vater. An Lucie manifestiert sich im weiteren Verlauf des Dramas auch eine neue Konzeption der Person. Lucie, die eininal das Körperliche nicht abwehren konnte, verliert immer mehr ihre emotionale Kontrolle und wird damit fortschreitend zu immer schwereren Normverstößen getrieben. Gleichzeitig erlangt sie jedoch eine Perfektion in der Kontrolle über ihren Körper: Sie wird zu einer Künstlerin der Verstellung. 26 Der Körper, seine Gestik und Mimik, werden als objektives Zeichensystem vom konkreten Körper getrennt und als manipulierbare Sprache funktionalisiert. Die unkontrollierte Emotion nimmt damit die Vernunft in den Dienst, um den Körper als Maske der Person und ihres normverletzenden Innenlebens zu gebrauchen. Das Körperliche, der einmalige konkrete Sexualakt in der Vorgeschichte, ist sozusagen durch seine sinnliche Wahrnehmung in das emotionale 'Innen' Lucies eingedrungen und als normverletzende inzestuöse Leidenschaft internalisiert worden. Das Innere der Person wird somit in Pfeils Text nicht mehr noch wie bei Mylius' Aerzten allein durch Vernunft, sondern durch Vernunft und Emotion definiert und differenziert. Die Vernunft ist dabei ex negativo die oberste Kontrollinstanz der Person. Das primär Gefährliche ist nicht mehr das konkrete körperliche 'Außen' sondern das emotionale Innenleben der Person. Die Verschiebung des Gefahrenpotentials vom Körperlichen als einem als ein faktisches 'Außen' des konkreten Körper gedachtes in das emotionale 'Innen' der Person verhält sich dabei reziprok zur Kontrolle des Körperlichen. Der konkrete Körper ist als bloßer Reflex des Inneren der Person soweit aus der Konzeption der Person ausgegrenzt, dass das Paradoxon eines äußerlich kontrollierten, innerlich emotional aber völlig aus der Kontrolle geratenen Subjekts entstehen kann, paradigmatisches Phänomen vor allem der gleichnamigen Hauptfiguren in den heroischen Trauerspielen Christian Felix Weißes Richard III. (1759) und Rosemunde (1761). Mit der radikalisierten Ausgrenzung des Körperlichen aus der Konzeption der Person und der Verlagerung des 'Innen' vs. 'Außen'-Konfliktes auf den Konflikt zwischen Vernunft und Gefühl im Inneren der Person tritt das Phänomen einer doppelten Abspaltung des Körperlichen auf: Vom werthaften Kern der Person, ihrer Vernunft, muss das Gefühl als zu kontrollierendes, gefährliches Potenzial des Körperlichen abgespalten werden, um das konkret körperlich-Sexuelle, das, was in der Regel den faktischen Normverstoß in den Dramen darstellt, weiterhin von der Person in einem abgespaltenen Zustand zu lassen. Letztlich tritt damit im Verlauf der Aufklärung im Drama eine zunehmende Differenzierung zwischen einem äußerlich wahrnehmbaren Körper als semiotisches Problem und einer abzuwehrenden Körperlichkeit als Problem bei der Konzeption der Person auf. 20 Jan-Oliver Decker An diesem Punkt findet sich in den Dramen der Aufklärung eine neue Relevanz von Elementen des medizinischen Diskurses, die, wie die traditionelle Säftelehre, sicherlich zu einem allgemeinen kulturellen Wissen der Epoche geworden sind Paradigmatisch fassbar ist diese neue Relevanz des medizinischen Diskurses in Christian Felix Weißes Trauerspiel Der Fanatismus oder Jean Calas (1780). Ursache für den handlungsauslösenden Selbstmord des Marc Antoine, dem Sohn von Jean Calas, ist ein "gallensüchtiges, störrisches Wesen" (S. 22) 27 , das in einer übersteigerten Einbildungskraft begründet wird. Das aus der Säfte- und Temperamentenlehre bekannte Modell des Melancholikers wird hier zur Pathologisierung der neuen psychischen Größe der Einbildungskraft funktionalisiert. Das konkrete, physische Körperliche scheint hier nicht das zentrale zu deutende oder zu bewältigende Problem zu sein. Marc Antoines Einbildungskraft wird im Text schließlich durch den Selbstmord verherrlichende Bücher falsch genährt und so seine eigene Selbsttötung motiviert. 28 Die Einbildungskraft, stellt damit eigentlich so etwas wie einen Kanal dar, der ein 'Außen', die Bücher, an das 'Innen' der Person vermittelt. Gleichzeitig ist die Einbildungskraft aber auch ein Teil des konstitutiven 'Innen' der Person, indem sie die Wahmehmungen aus dem 'Außen' filtert und mit den Emotionen der Person verbindet. Als Bestandteil des Innenlebens der Person ist die Einbildungskraft somit ein potenziell die Person Gefährdendes, das unter Kontrolle zu bringen ist. Sie ersetzt dabei das Konzept einer mediatisierten Körperlichkeit, die organischphysisch manifeste sinnliche Wahmehmung, und übernimmt den Status, den der konkrete Körper noch in der Frühaufklärung wie in Mylius' Aerzten übernommen hat. Die Einbildungskraft stellt damit das ambivalente Problem eines neu Abzuwehrenden und Abzuspaltenden in der Konzeption der Person, das zugleich wesentliche integrierende Funktionen im Inneren der Person übernimmt. 29 Als These lässt sich formulieren, dass die zunehmende Differenzierung und Problematisierung des 'Innen' bei dieser Konzeption der Person den konkreten Körper und das sexuell bedrohliche Körperliche als Problem auf eine Schwundstufe zurückführt. In dem Moment, wo diese Schwundstufe erreicht ist, können aus· der Körperlichkeit abgeleitete Bilder des medizinischen Diskurses, wie aus der traditionellen Säftelehre, in Weißes Jean Calas zur Stigmatisierung Marc Antoines und damit zur Pathologisierung von innerpersonellen Größen am Rande wieder Eingang in das Drama der Aufklärung finden. ■ Das Fallbeispiel Romeo und Julie. Ein bürgerliches Trauerspiel infü,nfAufzügen (1768) von Christian Felix Weiße Die Vorrede legitimiert den seinerzeit sehr erfolgreichen Text durch Orientierung an den Originalquellen, seine als realitätsnah postulierte Prosa und die Konzentration auf die Schlusskatastrophe implizit als Verbesserung der Shakespeareschen Vorlage, deren wesentliche Handlungsstränge (Feindschaft der beiden Häuser Capellet und Montecchio, heimliches Kennenlernen von Romeo undJulie, Ermordung Tebaldos durch Romeo, heimliche Hochzeit) als Vorgeschichte berichtet werden. Trotz der Behauptung, sich an die Originalquellen zu halten, nimmt Weiße zwei entscheidende Veränderungen vor. Zum einen führt er als Helferfigur für Romeo und Julie den Arzt Benvoglio ein. Zum anderen versucht er nach dem Tod der Kinder durch die Versöhnung der Väter Capellet und Montecchio über den Leichnamen der Kinder der Katastrophe einen Sinn zu geben. 30 Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 21 Handlungs- und Konfliktstruktur, Werte und Normen Der Text beginnt nach der Heirat von Romeo und Julie, von der die Eltern beider nichts wissen, mit Romeos heimlichen Abschied in die Verbannung nach Mantua. Julies Vater Capellet will sie, gegen den Widerstand seiner Tochter und deren Partei ergreifende Mutter, spätestens am nächsten Morgen mit dem Partner seiner Wahl, dem Grafen Paride von Lodrona, verheiraten. Benvoglio, Arzt beider Familien und Vertrauter des heimlichen Ehepaares, versetzt daraufhin Julie in den Scheintod, um ihr aus der Familiengruft die Flucht zu Romeo nach Mantua zu ermöglichen. Da Romeo sich nicht an den eigentlichen Fluchtplan hält und nie in Mantua ankommt, erfährt er nichts von Benvoglios Plan, wohl aber von Julies als wahr geglaubtem Scheintod. Er dringt in die Familiengruft, um sich aus Liebeskummer zu vergiften. Nach Einnahme des Giftes erwacht Julie und beide erkennen, dass ihr jeweils überstürztes Handeln selbstverschuldet in die Katatstrophe führte. Nach Romeos Tod kann der hinzukommende Benvoglio nicht verhindern, dass sich Julie in Romeos Degen stürzt. In den später weggelassenen letzten beiden Auftritten bekommt die Katastrophe einen Pseudo-Sinn. Montecchio und Capellet treffen am Grab der Kinder aufeinander, bereuen ihre Familienfehde als Ursache des Todes der Kinder und versöhnen sich. Ganz dem Aufklärungsdenken verhaftet, soll die Katastrophe eine bessernde und belehrende Funktion im Diesseits bekommen, obwohl unklar bleibt, welchen Sinn die Versöhnung der mit Romeo und Julie ausgestorbenen Familien am Ende noch haben soll. Die zentralen Werte des Stückes sind wie die aufgesetzte Sinngebung am Schluss ebenfalls relevanten Normen aufklärerischer Literatur verpflichtet: So bewertet der Text durch seine durchgehende Krankheitsmetaphorik Romeos und vor allem Julies extreme Leidenschaft als ein unvernünftiges 'Zuviel' an Emotion, das zwangsläufig zu individuellem Fehlverhalten und notwendig zu Sinnverlust und Scheitern der Protagonisten im Diesseits führen muss. Zugleich verwahrt sich der Text gegen den autoritären elterlichen Zwang der Partnerbestimmung, eigentlich zur Zeit der Textproduktion veraltetes Anliegen der Lustspiele in der Frühaufklärung. So tritt Julies Mutter vergeblich für ein längst in der Literatur etabliertes Modell der Paarbildung ein, bei dem der nach Neigung der Kinder gefallenen Partnerwahl zuzustimmen ist, wenn sich der Partner als sozial gleichwertig erweist. 31 Julies Vater erhebt demgegenüber nicht nur den Anspruch, unumschränkt über seine Tochter, sondern auch über seine Frau zu herrschen. Ex negativo lässt sich damit aus dem Handlungsverlauf schließen, dass der Text für eine harmonische Paarbeziehung plädiert, bei der der Mann die Frau zwar dominiert, aber auf ihre vernünftigen Ratschläge eingeht und alle familiären Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Erscheint auf dieser Folie Julies Widerstand gegen ihren Vater vielleicht noch legitim, bewertet der Text das Belügen der Mutter als relevanten Normverstoß Julies. Julie wird von ihrer sie verständnisvoll liebenden Mutter immer wieder genötigt, die wahren Gründe für ihre Ablehnung Parides offenzulegen. Julies mangelndes Vertrauen in die Liebe der Mutter führt zu einer Transformation ihrer Person, einem wahnhaft gesteigerten, generellen Misstrauen auch gegen die Figuren, die ihr helfen wollen. Sie erzählt ihrer sonst in alles eingeweihten Vertrauten Laura nichts vom Plan mit dem Scheintod, so dass Laura Romeos Diener von Julies vermeintlich faktischem Tod erzählt und Romeo schließlich mit Selbstmordabsicht an Julies Grab zurückholt. Selbst den Benvoglio verdächtigt sie schließlich, sie nicht nur in den Scheintod zu versetzen, sondern sie faktisch aus Selbstschutz ermorden zu wollen, da er vermeintlich Rache ihres Vaters für die Unterstützung von Julies Heirat mit Romeo fürchtet. Über die faktischen Zusammenhänge hinaus gesteigertes Misstrauen und Vorspielen des 22 Jan-Oliver Decker Scheintodes setzt der Text dann als die zentralen Normverstöße Julies schließlich in einen unmittelbaren Zusammenhang: Die Trauer um Julies Tod ist bei Vater und Mutter ungeheuer groß. Julies Mutter droht der Tod aus Kummer über den Verlust der Tochter, zumindest aber der ständige Selbstverlust durch andauernde und unvermeidbare Ohnmachtsanfälle. Julie ist zeichenhaft zur Muttermörderin geworden, die ihren vorgespielten Tod mit dem faktischen Tod bezahlen muss. Darüber hinaus löst Julies Scheintod beim Vater einen Lernprozess aus. Er bereut im Kreise der Familie und ihrer Vertrauten seine Härte und den Zwang, den er Julie angetan hat, als vermeintliche Ursache ihres Todes aus Erschöpfung und versucht Julies Seele in ihren Körper zurück zu holen, indem er ihr unumschränkt das Recht zur Partnerbestimmung einräumt. Insgesamt erweist sich ganz im Sinne aufklärerischen Denkens der unvernünftige Eigensinn aller Figuren als Ursache der Katastrophe. Die Kinder halten eigensinnig an ihrem 'Zuviel' an leidenschaftlichen Emotionen fest. Die Eltern, vor allem der Vater, halten eigensinnig an einem 'Zuwenig' an Emotionen gegenüber der Tochter und an einer unsinnigen und über die Generationen vererbten Familienfehde fest. Im Ganzen plädiert der Text damit für ein Mittelmaß an Emotionen durch eine vemunftgesteuerte, affektive Selbstkontrolle sowohl der Eltern als auch der Kinder, die beide gleichermaßen Schuld an der Zerstörung ihrer Familien haben. 32 Liebeskrankheit, körperliche Metaphorik und das 'Emotionssomatische' Mit Julie liegt am Anfang zunächst keine primär physisch Kranke vor, auch wenn sie im Verlauf des Stückes zu einer solchen wird, und sich blass, matt und abgeschlagen entweder auf ihre Vertraute Laura oder ihre Mutter stützen muss und schließlich von ihren Eltern auch ihr Scheintod als Tod aus Erschöpfung akzeptiert wird. Julies Krankheit ist ähnlich wie die vernunftsomatische Krankheit der Frau Vielgutin in Mylius Aerzten eine Krankheit, die ihre Ursache im Innern der Person hat: LAURA: Ihre Krankheit muß tiefer als des Tebaldo Grabe liegen: vielleicht in ihrem Herzen ... und ich fürchte, man wird es ihr zerreißen, wenn man ihr Übel herausgraben will. (S. 252, z. 14-17) 33 Julies körperliche Krankheit wird hier eindeutig als Zeichen für einen inneren emotionalen Konflikt der Personangesehen. Die Ursache dieser, pointiert als 'emotionssomatisch' benennbaren, Krankheit, liegt dabei in der Trennung vom Geliebten begründet. Julies "milzsüchtiger Gram" (S. 256), ihre Melancholie, ihre emotionalen Ausbrüche und Wahnvorstellungen steigern sich im Dramenverlauf mit der zeitlich wachsenden Trennung von Romeo. Julie wird somit vor allem durch ins Extreme gesteigerte Gefühle, durch eine leidenschaftliche Liebe zu Romeo definiert, wie sie selbst offenbart, als sie Laura gegenüber ihre Hoffnung ausspricht, dass ihre Liebe zu Romeo vielleicht die Familienfehde beenden könnte: JULIE: Unsere gegenseitige Leidenschaft, dachte das alberne Mädchen, kann vielleicht das Mittel zu einem festen und dauerhaften Frieden werden! (S. 242, Z. 9-11) Diese Liebe entwickelt sich nicht, wie noch die von Luisgen und Damon, sondern sie überwältigt die Person vom ersten konkreten Augenblick an: JULIE: Dm sehen und ihn lieben war eins. (S. 241, z. 16/ 17) Körper/ A,zt / Medizin/ Technik 23 Romeo ist dabei für Julie der eine und einzige optimale Partner, von dessen Erlangung für das Subjekt die Existenz vollständig abhängt. 34 Der geliebte Mensch ist dabei in folgender ambivalenter Stelle nicht nur als Vorstellung vollständig in das Innere der Person eingedrungen und wird gleichsam aus dem Inneren heraus selbst produziert, sondern der Geliebte ist zugleich auch ein genaues Abbild des eigenen Kerns der Person: JULIE: Romeo war wie ein Bild meiner Seele! (S. 242, Z. 18/ 19) Die Vorstellung des Geliebten 'Du' ersetzt das eigene 'Ich'. Genau diesen Selbstverlust soll Benvoglio auf der Handlungsebene durch die Wiedervereingung der Liebenden in der Gruft heilen: JULIE (zu Benvoglio): [...], haben Sie kein Mittel, mir das Leben zu erhalten? kein Mittel, diesen kranken Leib mit seiner Seele zu vereinigen? (S. 273,18/ 19) Doch genau gegen diesen Selbstverlust des Subjektes durch seine übersteigerte Leidenschaft schreibt der Text durch die Sanktionen im Handlungsverlauf an. In Julie manifestiert sich nicht nur durch die Trennung vom Geliebten eine Spaltung der Person, sondern das vom Text favorisierte Modell eines Gleichgewichts von emotionalem 'Innen' und körperlichen'Außen' gerät grundsätzlich durch die leidenschaftliche Liebe von Romeo und Julie verloren. 35 Dies manifestiert sich paradigmatisch in Julies Erzählung von ihrem gegenseitigen Liebesgeständnis: JULIE: Mit jedem Finger, der mich berührte, drückte er mir einen Pfeil der Liebe ins Herz. (S. 241, z. 24/ 25) Romeo dringt hier metaphorisch als personifizierter Liebesgott in das Innen von Julie. Diese Besitznahme durch Penetration wird im folgenden dann auch sexuell konnotiert: JULIE: Was er mir nur eingeben konnte, zerfloß wie Schneeflocken vor dem Hauche der wärmeren Luft und befruchtete die Liebe in dem Innersten meines Herzens. (S. 242, Z. 18/ 19) Durch Farbe und Konsistenz wird hier implizit eine Vergleichsebene zum männlichen Samen eingerichtet, der zielgerichtet eine gesteigerte Emotionalität der Frau verursacht. Der Mann gibt der Frau durch den Akt der emotionalen Penetration das Geschenk gesteigerten Lebens: JULIE: Von Romeos Lippen floß Balsam! meine Seele schwamm in einer unaussprechlichen Wollust! (S. 242, Z. 28/ 29) Dieses gesteigerte, allein der Emotion verpflichtete Leben wird hier metaphorisch auf genau den Höhepunkt getrieben, in dem der Kern von Julies Person droht, sich in der Hingabe an das Gefühl aufzulösen. Dieser Verlust der emotionalen Kontrolle und diese Lust an der Aufgabe der emotionalen Kontrolle führen schließlich dazu, dass Julies Einbildungskraft außer Kontrolle gerät und sie faktisch gegen Ende des Stückes zunehmend wahnsinniger wird: LAURA (über Julie): Ihre Phantasie spielet mit dem Grabe als wie mit ihrem Brautbette und malet ihr die Leichenfarbe als die schönste Farbe in der Natur vor. (S. 252, Z 1-3) Julie entwickelt eine faktische Todessehnsucht, die die Vereinigung mit Romeo in einem Grab schon zu Beginn des Dramas als endgültige Wiedervereinigung und Ziel beim Abschied· von Romeo vorformuliert: 24 Jan-Oliver Decker JULm: Sieh mich noch recht an - Du scheinst mir bleich wie das Grab! Scheine ich dir nicht auch so? - Oh Romeo, laß mich meine Seele in die deinige atmen! (Sie fällt ihm um den Hals.)- und sterben- (S. 249, Z. 8-11) Insgesamt repräsentiertJulie eine Konzeption der Person, bei der das auszugrenzende Gefährliche nicht mehr der konkrete körperliche Sexualakt wie noch in Mylius' Aerzten ist. Das Sexuelle wird in Weißes Romeo und Julie vielmehr auf das Emotionale als relevantem Kern der Person projiziert. Der emotionale Teil des Kernes der Person muss dabei von der Vernunft dominiert und unter Kontrolle gebracht werden, wie noch in der Frühaufklärung das konkrete Körperliche. Gelingt dies nicht, so demonstriert der Text an Julie, kommt es zu elementarem Kontrollverlust, eben jenen Wahnsinnsausbrüchen, die in einer nicht mehr in einem Gleichgewicht integrierbaren Einbildungskraft begründet werden. Diese Einbildungskraft vermittelt dabei zum einen das konkrete körperliche 'Außen' der Beziehung von Romeo und Julie an Julies emotionalen Kern im Inneren ihrer Person. Das körperlich Sexuelle wird in innere Bilder übersetzt. Zum anderen vermittelt Julies Einbildungskraft ihr gestörtes Gleichgewicht zwischen Emotion und Vernunft an das sie umgebende 'Außen', indem es Zeichen auf ihrem eigenen konkreten Körper hinterlässt. Diese Zeichen können nun als Krankheitszeichen wahrg~nommen und unter Referenz auf einen medizinischen Diskurs thematisiert und interpretiert werden. Es kommt zu einer symptomatologischen Diskussion des Sexuellen unter dem Aspekt einer inneren Krankheit der Person. Damit wird zum einen gewährleistet, dass eine konkrete körperliche Ebene ausgeblendet bleiben, sprachlich-zeichenhaftjedoch verbalisiert und pathologisiert werden kann. Zum anderen wird die Gefährlichkeit des körperlich Sexuellen als solches verschärft und radikalisiert. Dem Text geht es nicht mehr so sehr um den konkreten Sexualakt zwischen Romeo und Julie, beide sind, wenn auch ohne die Zustimmung der Eltern, immerhin verheiratet. Der Text behauptet vielmehr, dass die Internalisierung des körperlich-Sexuellen in den emotionalen Kern der Person die eigentlich relevante Gefahr für das Subjekt ist. Das, was eigentlich draußen bleiben muss, bemächtigt sich des Innenlebens der Person. Der Arzt als versagender Sozialhelfer In Weißes Romeo und Julie ist der Familienarzt Benvoglio letztlich die zentrale Figur, die in den eigentlich schützenswerten Raum der Familie eindringt und gleichsam katalysatorisch die in den Figuren angelegten Normverstöße in die chemische Reaktion der Handlung umsetzt. Rudimentär referiert Benvoglio noch auf das Stereotyp der abgewerteten Mediziner in Mylius Aerzten. Zwar fügt er nicht wie sie aus krimineller Absicht seinen Patienten Schaden zu, doch ähnlich wie sie hat er z.B. einen sprechenden Namen, 'Gutes Wollen', aber Böses schaffen, wie man ergänzen möchte. Ähnlich wie Pillifex und Recept maßt er sich unrechtmäßig eine übergeordnete, allwissende Position an, die er am Ende als Normverstoß erkennt: BENVOGLIO: Menschenweisheit war unnütze : ich glaubte den Gipfel der Vorsicht und Klugheit erstiegen zu haben: ...aber siehe, alles schlägt fehl! (S. 301, Z. 36- S. 302, Z. 1) Diese übergeordnete Position wird im Text mit Julies ärztlich erzeugtem Scheintod in der Handlung verbunden. Der auf den Scheintod folgende faktische Tod der Liebenden kennzeichnet Benvoglios ärztliche Kunst schließlich als Anmaßung der göttlichen Allmacht; Leben zu nehmen und zu geben. Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 25 Auch Benvoglio nützt ähnlich wie Pillifex und Recept die Familie aus, zwar nicht fmanziell, doch eignet er sich in der Vorgeschichte zunächst die Vaterstelle für Julie an: JULIE: Sie wissen, unter ihren Augen - Sie vertraten Vaterstelle habe ich' s ihm zugesagt. Der Pater Laurentius legte unsre Hände ineinander und die Lippen stammelten vor Freude ''Ja", [...] (S. 272, Z. 31-33) Was sich Benvoglio damit im Sinne des Textes widerrechtlich aneignen will, ist offenbar eine nicht vorhandene eigene biologische Familie, wie sich nach Romeos und kurz vor Julies Selbstmord herausstellt: BENVOGLIO: Um Gottes Willen meine Julie! meine Freundin! meine geliebteste Tochter! ... ja Sie sollen meine Tochter sein in meinem Herzen und in meiner Sorgfalt! - Verlassen Sie diese schwarzen Gedanken! folgen Sie mir! lch habe den Romeo wie einen Bruder, wie einen Sohn geliebt! das wissen Sie! mit Gefahr meines Lebens und meines Glücks habe ich an dem Ihrigen, an Ihrer Vereinigung, an der Erfüllung ihrer beiderseitigen Wünsche gearbeitet Rauben Sie mir nicht noch sich! (S. 301, Z 25-31). Damit wird, pointiert formuliert, die von Benvoglio vorangetriebene Ehe seiner quasi-Adoptivkinder rückwirkend als metaphorischer Inzest semantisiert und damit in der Literatur der Zeit per se zum Scheitern verurteilt. 36 Benvoglio wird vom Text somit grundlegend als von den geltenden Normen abweichende Figur ausgegrenzt und, ähnlich wie die Mediziner in Mylius' Aerzten, in seiner Funktion als Personifikation der medizinischen Praxis desavouiert. Er ist der Kurpfuscher, der, statt Leben zu erhalten, mit dem Scheintod Julies den Selbstmord seiner Patienten herbeiführt. Der Text bildet dabei eine grundsätzliche Strategie der von den Figuren favorisierten Heilmethoden auf der Ebene der Handlung ab: Quasi homöopathisch wird der Patient mit dem kuriert, wovon er eigentlich geheilt werden soll. 37 So ist die Ursache für Julies Liebeskrankheit ihr 'Zuviel' an Emotionen für Romeo, deren Ausleben sie als einziges Heilmittel akzeptiert. So favorisieren ähnlich die Eltern Julies eine Therapierung der Liebeskrankheit ihrer Tochter durch die Liebe zu Pari.de. So will Julie den Schmerz über die Trennung von Romeo hinwegkommen, indem sie mit Benvoglio immer über seine Abwesenheit spricht. Für Julie ist Benvoglio "itzt recht ein Arzt für unsre verwundeten Seelen! " (S. 242). Sie erwartet von ihm also keine Heilung ihres Körpers sondern ihrer Person. Julie delegiert mit ihrer Auslieferung an Benvoglio insgesamt einen Teil der Eigenverantwortung für ihr personelles Gleichgwicht an den sie behandelnden Arzt. Sie projiziert ihr intrapersonales Problem auf die Beziehung Arzt-Patient, die Benvoglio fast begierig und seine Position genießend annimmt. Benvoglio ist in seinem Selbstverständnis so etwas wie ein 'Sozialhelfer', der nicht nur Romeo undJulie zu ihrem Liebesglück verhelfen, sondern auch durch den im Hintergrund angeblich operierenden Prinzen von Verona die verfeindeten Familien versöhnen will. Der Text führt an Benvoglio aber insgesamt vor, dass seine 'Sozialhilfe' zum Scheitern verurteilt ist. Auf dieser Folie bekomnit auch die Vaterfunktion Benvoglios eine neue Bedeutung: Die zärtlich-fürsorgliche Familie, ist der einzig denkbare Raum, in dem das einzelne Subjekt die vernunftgemäße Kontrolle seines innerpersonellen Gleichgewichtes erlernen kann. Diese Aufgabe der Familie kann nicht an Vertreter institutionalisierter Diskurse z.B. der Medizin delegiert werden. Obwohl die Familie im konkreten Fall versagt, wird sie durch das Versagen des inadäquaten Vaterersatzes Benvoglio, der ja eben nur Gutes will, als soziales Regulativ der Kontrolle idealisiert und trotz des Scheiterns im vorgeführten Einzelfall als abstrakte Idee gegen denkbare Alt~rnativen immunisiert. 26 Jan-Oliver Decker In diesem ideologischen Zusammenhang bekommt auch die intertextuelle Komponente, der explizite Verweis auf Shakespeare in der Vorrede, eine übergeordnete Bedeutungsdimension. Die Shakespearesche Vorlage und der Bezug auf sie bedingt zwangsläufig das Scheitern der Liebesbeziehung von Romeo und Julie. Indem Weiße insoweit auf die Vorlage zurückgreift, aber ihr entgegengesetzt anstatt des Mönches die Rolle des Helfers mit dem Arzt Benvoglio besetzt, gelingt dem Text durch Aufgreifendes medizinischen Diskurses insgesamt die Abwehr von 'Sturm und Drang' -Tendenzen, wie der leidenschaftlichen Liebeskonzeption von Romeo und Julie. Der Text verwendet den medizintechnischen Diskurs, um darin in der Zeit antimoderne Ideologeme zu verpacken und sich zugleich durch Bezug auf die literarische Vorlage und ihre angebliche Verbesserung aufliterarische Autorität und Qualität abzusichern. Pointiert gesprochen kann man sagen, dass Christian Felix Weißes Trauerspiel Romeo und Julie in diesem Sinne als Schutzimpfung traditioneller aufklärerischen Ideologie gegen den Verlust traditioneller Werte und Normen und der Familie als ihrer Institution im Denk- und Literatursystem fungieren will. Zum Kontext von Arztrolle und medizinischem Diskurs in der Literatur der Spätaufldärung Die deutlich antimodernistischen Tendenzen in Weißes Romeo und Julie bedingen, dass das, was abgewehrt wird, eine systemische Relevanz in <1: er Literatur und im Denken beansprucht. Nur das, was als relevante Gefährdung bestehender Normierungen angesehen wird, ist es auch wert, so massiv ausgegrenzt zu werden. Implizit stellt Weißes Romeo und Julie damit einen Text dar, der die Schwelle zwischen dem Literatursystem 'Aufklärung' und dem Literatursystem 'Goethezeit' (1770-1830) markiert, indem er vorweg auf das unmittelbar folgende Literatursubsystem 'Sturm und Drang' reagiert. Der 'Sturm und Drang' ist dabei als ein System zu verstehen, das Elemente der vorangehenden 'Empfindsamkeit' radikalisiert. 38 Als solche Elemente erscheinen in Weißes Text: 1. Die extreme Leidenschaft Romeos und vor allem Julies. Als Selbstverwirklichung gilt im Text allein die erfüllte Liebesbeziehung mit dem einen, als unaustauschbar gedachten, optimalen Partner. Diese Leidenschaft behauptet damit einen Anspruch auf Erfüllung als einzigen Sinn des Individuums im Diesseits. Angesichts ihrer drohenden Nicht-Erfüllung wird die erfüllte Liebesbeziehung und damit die Sinnstiftung zwar ins Jenseits projiziert, bleibt aber als diesseitiger Wunsch und Anspruch bestehen. 2. Die Mitschuld der Vätergeneration am Scheitern der Liebesbeziehung ihre Bedrohung der Familie als die Ordnung garantierende Institution von innen heraus postuliert ein implizites Recht der Kinder auf Erfüllung ihrer Liebe im Diesseits. Gerade Julies Krankheit ist dabei eine weibliche Form der Auflehnung der Jugend und ihrer von der Elterngeneration nicht verstandenen Rechte gegen die Autorität des Vaters durch ihre Verweigerung, die Rolle als gehorsame Tochter zu erfüllen 3. Trotzdem Romeo und Julie scheitern, beanspruchen sie für sich das Recht, sich selbst zu helfen und sich autonom jenseits gültiger sozialer Ordnungen, sei es der Regierungsbezirk des Fürsten oder die Verfügungsgewalt der Väter, im fernen Mantua selbst zu verwirklichen. Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 27 Gerade die Abwehr dieser Tendenzen in Weißes Romeo und Julie durch die Bestrafung ermöglicht dabei, im Rückblick allgemeine Thesen zum Umgang mit Arztrolle und medizinischem Diskurs in der Aufklärung abzuleiten. 1. Die Abwehr der Ärzte bedeutet in den aufklärerischen Texten immer die Wiederherstellung des Primates der sozial im Idealfall durch den Vater repräsentierten traditionellen Ordnung und Autorität. Diese Ordnung manifestiert sich in der Person durch den Primat des Vernunftgebrauchs und die Abwehr des die Person gefährdenden Körperlich-Sexuellen. Die Abwehr der medizinisch-ärztlichen Autorität dient der Beweisführung für die Autorität der familiären Ordnung. In dem Moment, wo im 'Sturm und Drang' die Auflehnung gegen die väterlichen Autoritäten als legitime Durchsetzung der individuellen Selbstverwirklichung vorgezeichnet wird, verliert die Arztrolle damit an Bedeutung. Wenn die Abwehr der ärztlichen Autorität den Machtanspruch der väterlichen Ordnung kennzeichnet und in diesem Sinne eine eigene mediale Qualität hat, dann kann ihre Abwehr durch die Helden des 'Sturm und Drang' nicht mit der Abwehr der väterlichen Ordnung korreliert werden. Entgegengesetzt erscheint es entsprechend auch wenig sinnvoll, die Anerkennung ärztlicher Autorität zum Zeichen der Befreiung von der väterlichen Ordnung zu semiotisi~ren. 2. Die Opfer der Ärzte und die Personen, die eine bedrohliche Körperlichkeit abzuwehren haben, sind dominant Frauen. Körperliche Manifestation innerpersoneller Konflikte zwischen Vernunft und Gefühl ereignen sich als vermeintlich körperliche Krankheit, bei der ein Arzt eingreifen kann, bevorzugt in weiblichen Opfern. Dieser weibliche Opferstatus verknüpft das Konzept eines bedrohlich Sexuellen mit der weiblichen Geschlechterrolle. Zu vermuten ist, dass mit der Abwehr der Macht der Ärzte über die Frauen auch eine latente Abwehr der weiblichen Sexualität als Bedrohliches einhergeht. Das Weibliche steht exemplarisch damit für die Hingabe an das faktisch Körperlich-Sexuelle und damit auch für die Reduktion um den implizit männlichen Verstand auf den Körper, was die väterliche Ordnung wie in Mylius Aerzten oder in Weißes Romeo und Julie gefährdet. Dass die Konzentration auf den faktischen Körper implizit als weiblich semantisiert wird, beweist paradigmatisch Quistorps Hypchondrist, in dem Gotthard so in sich hineinhorcht und sein Gefühl über die Vernunft walten lässt, dass er sich grundlos für lasterhaft hält. Gotthards 'Zuviel' an Innerlichkeit und Gefühl lässt ihn dabei sozial unsicher werden und als Mann, als Freund und Liebhaber, versagen. Dem entgegen baut der 'Sturm und Drang' seine Handlungen aber auf den männlich tatkräftigen Helden auf, die sich auf sich selbst verlassen können und versuchen, sich selbstbestimmt jenseits der sozialen Ordnung autonom zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang kann, wenn überhaupt, faktisch körperliche Krankheit nur zum Zeichen des Anti-Helden im 'Sturm und Drang' werden. 3. Wenn der pathologisch relevante Körper eine ihm eigene mediale Qualität besitzt, bei der Probleme bei der Konzeption der Person bezeichnet werden, dann schwindet mit der zunehmenden Differenzierung des Innenlebens der Person in die Kategorien Vernunft, Emotion und Einbildungskraft und ihrer Konkurrenz untereinander; wie ausgeführt wurde, die Relevanz des faktischen Körpers und seiner für einen Arzt kurierbaren Funktionsstörungen. Wie erläutert wurde, wird das Sexuell-Körperliche in das Innenleben der Person als internalisierter emotionaler Konflikt verlagert und dabei zugleich der ambivalente Status des faktischen Körpers auf die subjektinterne Größe der Einbildungskraft projiziert. Damit müssen notwendig medizinische Heilverfahren, die sich auf den kon- 28 Jan-Oliver Decker k: reten Körper richten, scheitern. Im semantischen Zentrum der Zeichenfunktion des kranken und durch einen Arzt therapierten Körpers stehen eben genau die Konflikte, die eine geschlossene Konzeption der Person als in sich in allen Teilen harmonisches und sinnvolles Ganzes bedrohen. Insofern in den vorliegenden Texten der Medizin externe Qualitäten von Normen bei der Konzeption des Inneren der Person vorgelagert werden, scheitert die inadäquate Sozialhilfe Benvoglios in Weißes Romeo und Julie ebenso wie die Therapierung der eingebildeten Leiden der Frau Vielgutin in Mylius' Aerzten. Beide Therapien verschärfen darüber hinaus noch die eigentliche Konfliktlage. 4. Anzunehmen ist, dass zumindest im medizintechnischen Diskurs im Verlauf der Aufklärung moralische Konzepte kaum noch mit medizintechnischen Verfahrensweisen verbunden werden können. Dort, wo es im Schwerpunkt um die Optimierung von Operationstechniken und der Medikation geht, zählt allein der empirisch und wissenschaftlich abgesicherte Heilerfolg bei organisch-physischen Funktionsstörungen. Das Problem der Verbindung von kulturellen Werten und Normen mit dem medizinischen Diskurs ist insofern ein Problem des medizinischen Diskurses selbst, der im Verlauf der Aufldärung zu seiner Umstrukturierung führt, wie die wachsende Traktateliteratur der Zeit belegt. 39 Damit ist zumindest in der Dramenproduktion des 'Sturm und Drang' kaum noch Raum für dominante Konfliktfelder und Zeichenfunktionen im Bereich von Arztrolle und medizintechnischem Diskurs. Unbenommen von dieser Irrelevanz des medizintechnischen Diskurses übernehmen jedoch popularisierte Elemente des medizinischen Diskurses weiterhin eine indizierende Funktion. So verweisen Bilder aus der traditionellen Säftelehre gleichsam indexikalisch auf Konzepte Persönlichkeits-interner Störungen. Der Melancholiker ist, so wie ihn Marc Antoine in Weißes Jean Calas verkörpert, auch physisch-organisch als solcher erkennbar. Umgekehrt belegen die physisch-organischen Veränderungen, die durch die innere Gemütsstörung hervorgerufen werden, den pathologischen Status des verlorenen inneren Gleichgewichts und der harmonischen Ordnung des Inneulebens der Person. 40 ■ Das Fallbeispiel Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Die Entsagenden (1829) von Johann Wolfgang Goethe Im Verlauf der 'Klassik' spielen Arztrolle und medizintechnischer Diskurs wie im 'Sturm und Drang' eine untergeordnete Rolle. 41 Umso erstaunlicher erscheint es damit zunächst, dass in Goethes Spätwerk Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Die Entsagenden (1829) die Arztrolle - Wilhelm erlernt schließlich den Beruf des Wundarztes eine so große Rolle im Textzusammenhang erhält. Festhalten lässt sich, dass diese Berufsrolle Wilhelms vom Text durchweg positiv bewertet wird und somit oberflächlich nicht ohne Weiteres an die hier im Drama der Aufldärung dargelegten Funktionen von Arztrolle und medizintechnischem Diskurs anbindbar ist, zumal auch mit dem Roman eine ganz andere Gattung vorliegt. Als Hypothese sei hier vorformuliert, dass sich die Arztrolle in den Wanderjahren durchaus auf ähnliche Elemente bezieht wie im Drama der Aufldärung nur unter anderen Vorzeichen und in neuen Funktionszusammenhängen. Als die wichtigsten Elemente sind hier der Bezug auf ein abzuwehrendes Körperlich-Sexuelles und die Rolle des Arztes als Sozialhelfer zu nennen. Dabei wird in den Wanderjahren, anders als im Drama der Aufldärung, nicht gleichzeitig mit der Arztrolle ein Sexuell-Körperliches abgewehrt, sondern durch die Arztrolle ein Sexuell- Körperliches sublimiert. Desweiteren wird in den Wanderjahren durch Umstrukturierung des Kö,per / Arzt/ Medizin/ Technik 29 medizintechnischen Diskurses im Rahmen der Ausbildung zum Wundarzt die Artztrolle als positiv bewertete Sozialhilfe vorgestellt. Damit ergibt sich anhand der Arztrolle in den Wanderjahren insgesamt das Prinzip einer Renormierung einer traditionell aufklärerischen Körperlichkeitsproblematik unter dem Aspekt einer Reformulierung von Elementen aufklärerischer Literatur, wie sie mit medizintechnischem Diskurs und Arztrolle vorliegen. 42 Auf der Oberfläche _des Zusammenhangs der Wanderjahre als Fortsetzung von Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/ 96) lässt sich in diesem Kontext eine latente Abbildungsmetaphorik konstruieren: So, wie die Rolle des Theaters in Wilhelm Meisters Lehrjahren in den Wanderjahren mit der Berufsrolle des Wundarztes ausgetauscht wird, nämlich unter den Vorzeichen einer Um- und Neubewertung von Vorhergehendem, genau so wechseln Arztrolle und medizintechnischer Diskurs vom Drama der Aufklärung in einen goethezeitlichen Roman. 43 Aus dieser Perspektive soll im folgenden der Bezug der Wanderjahre auf die bisherigen Ergebnisse Rück- und Ausblick zugleich sein. Zum Status der dargestellten Welt Die Wande~jahre stellen insgesamt das Problem der Kohärenz der Textteile und damit des Gültigkeitsanspruch des Dargestellten. 44 In einer partiell offenen Rahmenerzählung mit mehreren in sich nicht _abgeschlossenen Nebenhandlungen stehen in sich geschlossene Binnenerzählungen und die Wiedergabe von in sich nicht direkt zusammenhängenden anderen schriftlichen Texten, die von einer unbestimmten Erzählinstanz arrangiert werden. Diese Erzählinstanz kommentiert häufig das Erzählte und das Erzählen an sich, wobei eine Distanzierung der Erzählinstanz und damit eine Relativierung des Erzählten vorgenommen wird: Indem wir nun diese ätherische Dichtung, Verzeihung hoffend, hiemit beschließen, wenden wir uns wieder zu einem terrerstrischen Märchen, wovon wir eine vorübergehende Andeutung gegeben. (S. 457, Z. 16-19) 45 Die poetologische Kennzeichnung des Erzählten, der Verweis auf eine Textsortenspezifik des Erzählten, aktiviert dabei ein textuelles Wissen und markiert die Wanderjahre als prinzipiell paratextuellen Text. 46 Doch durch diese Strategien des Erzählens ist per· se noch keine Relativierung des Erzählten gegeben. Dass das innerhalb der Diegese Dargestellte darüber hinaus auch einen Anspruch auf Gültigkeit jenseits der Textgrenzen erhebt, belegt u.a. folgende Textstelle: Hierauf schlossen beide Freunde einen Blind und nahmen sich vor, ihre Erfahrungen allenfalls auch nicht zu verheimlichen, weil derjenige, der sie als einem Roman wohl ziemende Märchen belächeln könnte, sie doch immer als Gleichnis des Wünschenswerten betrachten dürfte. (S. 450, z. 10-14) Damit erweist sich explizit, dass die Wanderjahre ein als über den Text hinaus gültig behauptetes Werte- und Normensystem in einer Tiefenstruktur unterhalb der Textoberfläche vorstellen. Dass Elemente auf der Textoberfläche diesen Anspruch verschleiern, kann in Bezug auf das zeitgenössische Denksystem nur die Funktion haben, dass das vorgestellte WerteundNormensystemnicht ohne weiteres widerspruchsfrei in aktuelle Diskurse einbindbar und dementsprechend radikal ist. Zugleich muss die indirekte Leseanleitung, dass das Dargestellte auf im Text tiefer Liegendes zu beziehen ist, auch auf Wilhelms Arztrolle 30 Jan-Oliver Decker übertragen werden. Der Text gibt selbst vor, dass die Arztrolle metaphorisch übergeordnete und abstrakte Werte und Normen abbildet, auch wenn sie im literarischen Kontext der Zeit noch so unkonventionell erscheinen mag. Die Konzeption der Person: Wilhelms Ausbildung zum Wundarzt Im 3. Kapitel des 3. Buches (S. 327-339) legt Wilhelm dar, wie er während seiner medizinischen Ausbildung eine höhere Aufgabe entdeckt, die er zur Reform der Gesellschaft verbreiten möchte. Wilhelm behauptet: Jeder Arzt, er mag mit Heilmitteln oder mit der Hand zu Werke gehen, ist nichts ohne die genauste Kenntnis der äußeren und inneren G"ijeder des Menschen, [...] (S. 336, Z. 30-32) Täglich soll der Arzt, dem es Ernst ist, in der Wiederholung des Wissens, dieses Anschauens sich zu üben, sich den Zusammenhang dieses lebendigen Wunders immer vor Geist und Auge zu erneuern alle Gelegenheit suchen. (S. 336, Z. 36 - S. 337, Z. 3) Je mehr man dies einsehen wird, je lebhafter, heftiger, leidenschaftlicher wird das Studium der Zergliederung getrieben werden. Aber in eben dem Maße werden sich die Mittel vermindern; die Gegenstände, die Körper, auf die solche Studien zu gründen sind, sie werden fehlen, seltener, teurer werden, und ein wahrhafter Konflikt zwischen Lebendigen und Toten wird entstehen. (S. 337, Z. 9-15) Grundlage jeder ärztlichen Kunst ist explizit die Anatomie. Implizit votiert Wilhelm damit für eine einheitliche medizinische Grundausbildung, die die ständische Differenzierung in Arzt und Wundarzt aufhebt. Desweiteren plädiert Wilhelm, dass das anatomische Wissen immer präsent bleiben muss. Damit spricht er sich implizit dafür aus, dass sich jede ärztliche Behandlung an (anatomisch) empirisch belegbare, und objektive Grundlagen hält. Diese Auffasung von der Notwendigkeit der Anatomie wird nun aber problematisiert, da Wilhelm einen Mangel an anatomischen Studienobjekten feststellt. Dieser Mangel ist im Text darin motiviert, dass nur verurteilte Verbrecher oder Selbstmörder zu anatomischen Studienobjekten gemacht werden und dementsprechend zu befürchten ist, dass Menschen ermordet werden, um zu medizinischen Studienobjekten zu gelangen. 47 Damit wird auf der Textoberfläche ein Konflikt konstruiert, der auf dem Wert der Unteilbarkeit der Person basiert. Körper und Innenleben machen nicht nur im Leben die ganze Person, sondern auch nach dem Tod gilt der unbelebte Körper als essentieller Teil der Person. Diesen Zusammenhang von Körper und Person erfährt Wilhelm auch ganz konkret bei seinen eigenen anatomischen Studien, bei denen er nicht dem "unnatürlichen wissenschaftlichen Hunger" (S. 229) nachgeben kann, als er den Arm einer schönen jungen Frau präparieren soll: Er hielt sein Besteck in der Hand und getraute sich nicht, es zu eröffnen; er stand und getraute nicht niederzusitzen. Der Widerwille, dieses herrliche Naturerzeugnis noch weiter zu entstellen, stritt mit der Anforderung, welche der wissensbegierige Mann an sich zu machen hat und welcher sämtliche Umhersitzende Genüge taten. (S. 330, Z. 6-11) Grundlage der Schönheit der ganzen, unteilbaren Person ist hier die Natur, in der diese Konzeption der Person als universell gültiger Wert im Wortsinne organisch-physisch vorgefertigt angelegt ist. Dieser natürlichen Wertordnung steht die Norm der wissenschaftlichen Zerlegung entgegen, die von der sozialen Gruppe der anderen Studierenden befolgt wird Diese Grenzüberschreitung Wilhelms wird vom Text somit als legitim bewertet. Er folgt der Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 31 Natur, die anderen nicht. Eine ähnliche Auffassung der Natur als Reservoir allgemein gültiger Normen manifestiert sich in den Wanderjahren wie folgt: Denn das Gesetz haben sich die Menschen selbst auferelegt, ohne zu wissen, über was sie Gesetze gaben; aber die Natur haben alle Götter geordnet Was nun die Menschen gesetzet haben, das will nicht passen, es mag recht oder unrecht sein; was aber die Götter setzen, das ist immer am Platz, recht oder unrecht (S. 466, Z. 9-15) Hier werden menschliche und natürliche Wertordnung als prinzipiell oppositionell aufgefasst, wobei die in der Natur angelegte Wertordnung als von der inadäquaten menschlichen unabhängig und dieser universell gültig übergeordnet gedacht wird. In der Textstelle: Alles, was wir Erfinden, Entdecken im höheren Sinne nennen, ist die bedeutende Ausübung, Betätigung eines originalen Wahrheitsgefühles, das im stillen längst ausgebildet, unversehens mit Blitzesschnelle zu einer fruchtbaren Erkenntnis führt. Es ist eine aus dem Innern am Äußern sich entwickelnde Offenbarung, die den Menschen seine Gottähnlichkeit vorahnen läßt. Es ist eine Synthese von Welt und Geist, welche von der ewigen Harmonie des Daseins die seligste Versicherung gibt (S. 306, Z; 8-15) 48 manifestiert sich dann,. dass die Lösung des Konfliktes zwischen universeller natürlicher und mangelhafter menschlicher Ordnung ein Problem des subjektinternen Zuganges ist. Im Innern des Subjektes liegt in anthropologiesierter Form die natürliche Wertordnung vor. Was das Individuum Wertvolles und originär erfindet, gibt ihm die Stimme der inneren Natur ein, auf die das Subjekt nur hören muss. Ziel ist dabei letzlich, oppositionell Gedachtes miteinander zu harmonisieren. So, wie sich der Gegensatz zwischen menschlicher und natürlicher Ordnung im kreativen, erfindenden Individuum vereint, so wird auch durch Wilhelms Erfahrungen während des Anatomie-Studiums der Gegensatz von natürlichem Wert der ungeteilten Person und notwendiger anatomischer Wissenschaft vereint. Wilhelm geht bei einem "plastischen Anatom" (S. 336) in die Lehre, der die einzelnen organischen Strukturen des Körpers künstlich nachbildet und daraus das Modell eines vollständigen Menschen aufbaut. Durch die Umkehrung der traditionell mit der Arztrolle verbundenen medizinischen Technik der Anatomie in anatomisches Gestalten lernt Wilhelm aus der Rede seines Ausbilders, "[...] dass Aufbauen mehr belehrt als Einreissen, Verbinden mehr als Trennen, Totes beleben mehr als das Getötete noch weiter töten; " (S. 331, Z. 35 - S. 332, Z. 1) Damit nivelliert der Beruf des plastischen Anatom die fundamentale Grenze zwischen Leben und Tod, wobei diese Opposition in einem übergeordneten künstlerischen Zusammenhang aufgefangen wird: ''Der Mensch ohne Hülle ist eigentlich der Mensch, der Bildhauer steht unmittelbar an der Seite der Elohim, als sie den unförmlichen, widerwärtigen Ton zu dem herrlichsten Gebilde umzuschaffen wußten; solche göttlichen Gedanken muß er hegen, dem Reinen ist alles rein, warum nicht die unmittelbare Absicht Gottes in der Natur? Aber vom Jahrhundert kann man dies nicht verlangen[...] da wendete ich mich rückwärts, und da ich das, was ich verstand, nicht einmal zum Ausdruck des Schönen anwenden durfte, so wählte ich nützlich zu sein, und auch dies ist von Bedeutung." (S. 334, Z. 16-29) Der Künstler, der aufgrund moralischer Normen nicht den nackten Menschen darstellen darf, stellt den menschlichen Körper nackter als nackt dar, indem er ihn seiner Haut und bis ins kleinste organische Präparat eines vollständigen anatomischen Modells entkleidet. Dabei wird hier mit künstlerischen Mitteln und aus künstlerischen Motiven keine Kunst um ihrer selbst 32 Jan-Oliver Decker willen betrieben. Sie soll im Wesentlichen nützlich sein und verhindern, dass Personen um ihren Körper als essentiellen Teil beraubt werden. Der Nützlichkeitsaspekt ist dabei das entscheidende Kriterium, durch das selbst eine Harmonisierung von Kunst und Handwerk gelingt: Hieran schloß sich die Betrachtung, daß es eben schön sei zu bemerken, wie Kunst und Technik sich immer gleichsam die Waage halten und so nah verwandt immer eine zu der andern sich hinneigt, so daß Kunst nicht sinken kann, ohne in löbliches Handwerk überzugehen, das Handwerk sich nicht steigern, ohne kunstreich zu sein. S. 335, Z. 1-6) Auch die Theater-Erfahrung Wilhelms wird in diesem Umfeld in den Wanderjahren auf ähnliche Weise direkt mit der Arztrolle korreliert (S. 328). Durch das Erlernen der Körpersprache, mit deren Hilfe die Schauspieler den sprachlichen Text umsetzen, erhielt Wilhelm ~ grundlegende anatomische Kenntnisse, die nützlich für die Erlernung des Arztberufes waren. Dieser Aspekt der Nützlichkeit erworbenen Wissens gibt dabei die werthafte fundamentale Strategie des Textes vor, Wissensmengen nicht um ihrer selbst willen zu erwerben, sondern sie auf die Verwirklichung eines Zieles hin zu funktionalisieren. Wilhelm beschließt, den Beruf des plastischen Anatomen zu verbreiten und eine Schule zu gründen. Dabei vereinen sich in Wilhelm zwei Fähigkeiten: einmal die Fähigkeit des plastischen Anatomen, die eine künftige Verbesserung der Welt zum Ziel hat, weil keine Leichen mehr zur Anschauung von Medizinstudenten benötigt werden, zum anderen die Fähigkeit des praktischen Wundarztes, die wie folgt bewertet wird: Es sei nichts mehr der Mühe wert, schloß er endlich, zu lernen und zu leisten, als dem Gesunden zu helfen, wenn er durch irgendeinen Zufall verletzt sei: durch einsichtige Behandlung stelle sich die Natur leichter wieder her; die Kranken müsse man den Ärzten überlassen, niemand aber bedürfe desWundarztes mehr als der Gesunde. (S. 285, Z. 22-27) Hier wird direkt das ständische Denken umgekehrt. Höheren Wert als der an der Universität ausgebildete Arzt hat hier der Wundarzt. Der Arzt, der quasi nicht direkt am menschlichen Körper handwerklich tätig wird und nur durch Medikation heilt, befördert dabei in dieser Konzeption nur die Selbstheilungskräfte, die in der Natur des Menschen angelegt sind. Daraus lässt sich folgern, dass Krankheit als eine aus dem Gleichgewicht gebrachte, beziehungsweise als vernachlässigte, nicht beachtete Natur konzipiert ist. 49 Die Therapie einer solchen Krankheit ist in dieser Folge durch Dauer und Abwarten der Regeneration definiert. Dagegen behandelt der Wundarzt keine Kranken. Der operative Eingriffwird hier aus dem Kontext von Krankheit als organischer Funktionsstörung herausgelöst; organisch bedingte Eingriffe wie das Entfernen von Steinen in den inneren Organen wird hier nicht als eigentliche Tätigkeit des Wundarztes angesehen. Vielmehr behebt der Wundarzt eine aktuelle Funktionsstörung des tätigen Körpers, die sich bei der Benutzung des Körpers durch das lndivduum ereignet. Der "Zufall" blendet als unbestimmt bleibende Größe ein Selbstverschulden· des Individuums genauso aus wie andere Kausalzusammenhänge, die zu einer akuten physischen Verletzung führen. Zufall impliziert durch die Komponente des nicht-selbst-Verschuldens eine tragische Komponente, das heißt, er repräsentiert ein nicht vorhersehbares Schicksal. In diesem Kontext wird der Beruf des Wundarztes wie folgt stilisiert: Willst Du Dich ernstlich dem göttlichsten aller Geschäfte widmen, ohne Wunder zu heilen und ohne Worte Wunder zu tun, so verwende ich mich für Dich. (S. 286, Z. 17-20) Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 33 Hier werden zwei Wunder-Begriffe voneinander abgegrenzt. Zuerst wird die Tätigkeit des Wundarztes von der Quacksalberei distanziert und, wie aus den Ausführungen zur Anatomie gefolgert werden kann, auf eine empirisch wissenschaftliche Grundlage gestellt. Diese Heiltätigkeit wiederum wird als göttliches Eingreifen semantisiert, als Wunder, das man tut, ohne auf den Status des Wunderbaren zu verweisen. Der Wundarzt soll selbstlos durch seine Aktivität den beschädigten Körper wieder zum Funktionieren bringen. Der Wundarzt wird dabei als ein großer Einzelner gedacht, der über den normalen Menschen steht. Menschliche Tätigkeit substituiert in dieser Textstelle eine jenseitige, allmächtige Ordnung im Diesseits; denn die Tat des Wundarztes hebt die Sinnlosigkeit der Verletzung auf und stellt eine konsistente sinnvolle Weltordnung wieder her, die durch die zufällige, nicht selbst verschuldete physische Verletzung aus dem Gleichgewicht gebracht wird. So kann Wilhelm auch im 18. Kapitel des 4. Buches, dem Ende der Rahmenerzählung, seinen Sohn Felix vom Tode erretten. Felix, ganz gesunder Tatmensch, reitet am Ufer eines Flusses entlang bis dieses zufällig und unvorhergesehen wegbricht, Felix ins Wasser stürzt und aus diesem leblos an Land gezogen wird. Dort erweist Wilhelm seine Nützlichkeit als Wundarzt, indem er durch Aderlass Felix ins Leben zurückholt. Die Sublimation abweichender Erotik und die Konzeption der Person Wilhelms Berufswahl im 11. Kapitel des 2. Buchs (S. 272-286) wird im Text durch ein Jugenderlebnis motiviert (S. 273-282). Weil Wilhelm als Kind einen ertrunkenen Jugendfreund nicht ins Leben zurück holen konnte, erlernt er den Wundarztberuf, mit dem eine solche Rettung ermöglicht wird. Das ganze Kapitel, in dem dieses für Wilhelms Berufswahl ursächlich verantwortliche Jugenderelebnis präsentiert wird, stellt einen Brief Wilhelms an seine Frau Nathalie dar und beruht demzufolge auf einer Vergenwärtigung von Erinnertem iil der Erzählgegenwart des Briefes. Die zahlreichen Kommentare Wilhelms und seine Exkurse, die das eigentliche Jugenderlebnis umrahmen, verstehen sich dabei ganz explizit als Erinnerungs- und Erinnerlichungsarbeit, die versucht die gleichzeitige Gegenwärtigkeit von Verschiedenem im menschlichen Denken - Vergangenheit und Gegenwart ebenso wie individuelles Erlebnis und ihre Reflexion in eine schriftlich fixierte Erzählung zu transformieren. Erklärte Erzählabsicht Wilhelms ist dabei, das in der Erinnerung konservierte Erlebnis in einen sinnvollen biographischen Zusammenhang zu bringen. Wilhelms Erzählung soll die Wahl des Wundarzt-Berufes teleologisch im Jugenderlebnis begründen und damit einen Kausalzusammenhang zwischen Erleben und Fühlen auf der einen und Reflektieren und Handeln auf der anderen Seite stiften. 50 Im so in der Erzählgegenwart rückwirkend bedeutsam gemachten Jugenderlebnis reist Wilhelm als Kind an einem Pfingstmontag mit seinen Eltern aufs Land und freundet sich gleich mit dem etwas älteren Fischerjungen Adolf an. Dieser überredet Wilhelm zum Angeln an einem nahen Fluss. Dort will der geschickte Schwimmer Adolf aufgrund der Hitze des Tages das Angeln bald lassen und beschließt, nackt zu baden und auch Wilhelm dazu einzuladen: Aber bald auf dem Kies entkleidet, wagt' ich mich sachte ins Wasser, doch nicht tiefer, als es der leise abhängige Boden erlaubte; hier ließ er mich weilen, entfernte sich in dem tragenden Elemente, kam wieder, und als er sich heraushob, sich aufrichtete, im höheren Sonnenschein sich abzutrocknen, glaubt' ich meine Augen vor einer dreifachen Sonne geblendet: so schön war die menschliche Gestalt, von der ich nie einen Begriff gehabt Er schien mich mit gleicher 34 Jan-Oliver Decker Aufmerksamkeit zu betrachten. Schnell angekleidet standen wir uns noch immer unverhüllt gegeneinander, unsere Gemüter zogen sich an, und unter den feurigsten Küssen schwuren wir eine ewige Freundschaft. (S. 276, Z. 12-23) Festzuhalten ist zunächst, dass sich in dieser Textstelle Vergangenes und seine Bewertung in der Erzählgegenwart miteinander vermengen. In die Beschreibung dessen, was sich tatsächlich als Handlung und Wahrnehmungseindruck ereignete, wird die Bewertung des Wahrgenommenen zu einem späteren Zeitpunkt hineinprojiziert. Faktisch erblicken sich Wilhelm und Adolf nackt und werden von ihrer Nacktheit wechselseitig angezogen, was zu homoerotischen Handlungen führt. Rückwirkend wird diese Handlung durch die Wahrnehmung der Schönheit des nackten Körpers und damit durch ein ästhetisches Wahrnehmen motiviert .. Die homerotische Situation wird im ästhetischen Empfinden sublimiert. Einmal abgesehen davon, dass sich die menschliche Schönheit hier rein als männliche Schönheit erweist und damit den Mann als paradigmatischen Menschen impliziert, von dem die Frau als Abweichung distanziert wird, stiftet diese ästhetische Wahrnehmung einen Bezug zur Rede des plastischen Anatom(vgl. oben). Auch dieser betont, dass das Optimum an Schönheit der nackte menschliche Körper ist, den er aufgrund gesellschaftlicher Konventionen nicht darstellen darf und seine künstlerischen Fähigkeiten daraufhin im nützlichen Handwerk des plastischen Anatom kanalisiert. Ein solches Schönheitsempfinden des nackten männlich-menschlichen Körpers wird damit indirekt als eine Ursache der Berufswahl Wilhelms ausgewiesen. Dieses Schönheitsempfinden bewirkt jedoch noch mehr. Die gestiftete Freundschaft zwischen Wilhelm und Adolf ist die paradigmatische Mann-männliche Beziehung, in die das homoerotische Erlebnis transformiert wird. Dabei ist zu beachten, dass diese Empfindung in der oben angeführten Tetxstelle die faktisch homoerotische Handlung auf ein Innenleben der Handelnden verlagert. Die Wahrnehmung des nackten Körpers und seine Schönheit zeigen die in der Person angesiedelten "Gemüter'' an. Das im äußeren nackten Körper sichtbare Innenleben der Person wird dabei als Bild eingefroren und im Innern konserviert, so dass sich die längst wieder angezogenen Jungen paradoxerweise "noch immer unverhüllt" gegenüber stehen. Der bewusste Anblick des nackten Körpers ist somit Auslöser dafür, dass sich das Innenleben offenbart und in einem Moment in seiner Gänze aufgenommen wird. Damit wird der nackte Körper mit seinen möglichen sexuellen Implikationen zu Gunsten eines Bildes vom nackten Körper im Inneren der Person ersetzt. Dieses wahrgenommene Bild ermöglicht gerade erst in seiner Qualität als individuell erinnerlichtes und erinnertes Bild, dass sich die Innenleben zweier Personen aneinander annäheren können. Erst die Bildverarbeitung in der Einbildungskraft der Person ermöglicht eine emotionale Paarbildung von Wilhelm und Adolf als eine Mann-männliche Freundschaft, die auf leidenschaftlicher Empfindung füreinander gegründet ist. In dieser Textstelle wird damit ein mögliches körperlich-Sexuelles durch das Bilden von Bildern im Innenleben der Person und damit durch die und in der Einbildungskraft ersetzt und abgewehrt. Dass die virulent homosexuelle Komponente dieses Nacktbadeerlebnisses insgesamt eine abzuwehrende ist, legt der weitere Verlauf der Geschichte nahe. Zunächst wird das gerade gebildete Freundespaar voneinander getrennt. Die auf dem Land von Wilhelms Eltern besuchte Pastorenfrau entfernt Adolf von Wilhelm "mit stiller Bemerkung des Unschicklichen" (S. 276) und schickt ihn zum Krebsefischen an den Fluss. Dabei ertrinkt Adolf, weil vier Jungen dem Schwimmen im Fluss nicht wie er gewachsen sind, sich ertrinkend an ihn klammem und ihn in die Tiefe ziehn. Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 35 Der Text sanktioniert unmittelbar nach der Paarbildung von Wilhelm und Adolf die latent homosexuelle Komponente durch Partnerentzug und durch den Tod des Älteren, der den Jüngeren zum Baden verführte. Während Adolf ertrinkt, wird Wilhelm auf den heteroerotischen Pfad zurückgeführt. Er spaziert mit der blonden Pastorentochter durch den Pastoratsgarten. Aus der Erzählgegenwart bewertet Wilhelm nun ganz direkt beide Beziehungen, die zum älteren Adolf und die zut namenlosen, blonden und jüngeren Pastorentochter: 51 Betracht' ich nach so viel Jahren meinen damaligen Zustand, so scheint er mir wirklich beneidenswert. Unerwartet, in demselben Augenblick, ergriff mich das Vorgefühl von Freundschaft und Liebe. [...] Und wenn ich hier noch eine Betrachtung anknüpfe, so darf ich wohl bekennen: dass im Laufe des Lebens mir jenes erste Aufblühen der Außenwelt als die eigentliche Originalnatur vorkam, gegen die alles übrige, was uns nachher zu Sinnen kommt, nur Kopien zu sein scheinen, die bei aller Annäherung an jenes doch des ursprünglichen Geistes und Sinnes ermangeln. (S. 277, Z. 24 - S. 278, Z. 2) Beide Beziehungen werden hier, obwohl zeitlich nacheinander gestiftet, als gleichzeitig und als gleichwertig und insgesamt als ideales, sich in einem Ganzen ergänzendes Beziehungsgefüge des Menschen gedacht. Dieses ist universell in der Natur angelegt und entwickelt sich gleichsam unbewusst und selbständig. Zugleich ist dieses Beziehungsgefüge des Mannes innerhalb einer Generation zu (Ehe-)Frau und Freund, das zu erreichende Ziel. Die Ehefrau, Nathalie, erwarb sich Wilhelm in seiner Jugendzeit in den Lehrjahren. Den Freund, der ihm gestorben ist, erarbeitet er sich im Verlauf der War,derjahre als Vater eines im Textverlauf zum Jüngling heranwachsenden Sohnes während eines reiferen Lebensalters. In diesem Kontext markiert rückwirkend das erinnerte Erlebnis Wilhelms seine Initiation vom Kind zum Jugendlieben, dem das zu erreichende Ziel vor Augen geführt wird, welches er im Verlauf seines Lebens anstreben muss. Das vorbewusst realisierte und entzogene Ideal muss als Ideal ins Bewusstsein rücken und so den Übergang vom Kind zum Mann als natürliche Reifung und Entwicklung des Jünglings markieren. Die Ausübung des Arztberufes und die Reformulierung der Familie Die Erreichung der idealen Gemeinschaft mit Frau und Freund wird im Text als Erlangung einer höherwertigen Stufe der menschlichen Existenz semantisiert. Die Rahmenerzählung der Wanderjahre endet im 18. Kapitel des 4. Buches (S. 464/ 465) mit der erstmals dargestellten Ausübung von Wilhelms Beruf als Wundarzt bei der Rettung seines Sohnes Felix. Felix, bis zu dem Zeitpunkt über Jahre von Wilhelm getrennt, hat beschlossen, bis zu seinem Tod zu reiten, als er von seiner Jugendliebe Hersilie abgewiesen wird. Durch Zufall stürzt er in einen Fluss, auf dem Wilhelm in einem Boot fährt, in das Felix nach seinem Sturz gezogen wird. Landen, den Körper ans Ufer heben, ausziehen und abtrocknen war eins. Noch kein Zeichen des Lebens zu bemerken, die holde Blume hingesenkt in ihren Armen! Wilhelm griff sogleich nach der Lanzette, die Ader des Arms zu öffnen; das Blut sprang reichlich hervor und mit der schlängelnd anspielenden Welle vermischt, folgte es gekreiseltem Strome nach. Das Leben kehrte wieder; kaum hatte der liebevolle Wundarzt nur Zeit, die Binde zu befestigen, als der Jüngling sich schon mutvoll auf seine Füße stellte, Wilhelmen scharf ansah und rief: "Wenn ich leben soll, so sei es mit dir! " Mit diesen Worten fiel er dem erkennenden und erkannten Retter um den Hals und weinte bitterlich. So standen sie fest umschlungen, wie Kastor und Pollux, Brüder, die sich auf dem Wechselweg vom Orkus zum Licht begegnen. (S. 464, Z. 20-33) 36 Jan-Oliver Decker Der Vergleich des Aderlasses mit der griechischen Mythologie übeträgt auf die Situation der Lebensrettung den semantischen Rahmen, diese Rettung als überzeitlich gültiges Lösungsmodell eines grundsätzlichen menschlichen Problems zu bewerten. Dieses Problem ist die fundamentale Grenze zwischen Leben und Tod, die vom Tod zum Leben überschritten wird und damit eine vorher erfolgte Grenzüberschreitung vom Leben zum Tod nivelliert. Diese Rückkehr ins Leben markiert dabei gleichzeitig ein neues Leben. Die eigentliche biologische Konstellation aus Leben gebendem Vater und gezeugtem Sohn wird hjer durch ein erneutes Leben-Geben durch den Vater in die biologisch uneigentliche -Gemeinschaft liebender Geschwister transformiert. Der mythologische Vergleich mit den Dioskuren Castor und Pollux, dem unzertrennlichen Zwillingspaar, markiert hierbei, dass die hierarchische Gemeinschaft aus autoritärem Vater und ihm untergebenen Sohn in eine gleichberechtigte Gemeinschaft transformiert wird und sich die biologische Generationenfolge in einem überirdischen Ideal auflöst. Zum Mythos von Castor und Pollux gehört, dass auf Wunsch des göttlichen und unsterblichen Pollux, dieser seine Göttlichkeit mit dem menschlichen und sterblichen Castor teilt. Diese Teilung der Göttlichkeit führt dazu, dass im Ausgleich die Dioskuren die Hälfte des Jahres im Orkus bei den Toten und die andere Hälfte des Jahres bei den Göttern im Olymp verbringen. Hier wird im Mythos der Wechsel zwischen Leben und Tod und Tod und Leben ebenso vorgeprägt, wie die freiwillige Aufgabe eines übergeordneten Status, um in eine gleichberechtigte Gemeinschaft einzutreten. Dabei geben dem entgegengesetzt in den Wanderjahren sowohl Wilhelm als auch Felix etwas auf. Wilhelm verzichtet auf den väterlichen Status, Felix hingegen verzichtet auf erotische Leidenschaft als Grundlage seines Lebens. In seinem Sprechakt substituiert das gemeinsame Leben mit dem Vater das mögliche Leben mit seiner Jugendliebe Hersilie. Felix verzichtet nach dem Leben-wiedergebenden Aderlass auf seine erotische Selbstverwirklichung und unterwirft sich freiwillig der väterlichen Fürsorge. Diesen Verzicht auf Erotik durch Felix hat Wilhelm schon längst vollzogen. Er steht mit seiner Frau Nathalie nur schriftlich durch seine Briefe in Kontakt, wobei die Wanderjahre Nathalies schriftliche Antworten ausblenden. Was als gelebte Beziehung bleibt, ist die enge Gemeinschaft aus Vater und Sohn, die als geschwisterliche Gemeinschaft in eine vom Text ausgeblendete Zukunft als gelebtes Modell ausgelagert wird. Was Essenz des menschlichen Beziehungsgefüges ist, bezeichnen indirekt Wilhelms Briefe. Das zu lebende Ideal ist eine Diskursgemeinschaft gleichberechtigter Partner, die das konventionelle Ehe- und Familienmodell ersetzen soll, aber nur auf dessen Basis zu errichten ist. Der ideale Freund liegt nicht exogam mit dem sozial niedrig stehenderen Adolf in einer latent homosexuellen Beziehung vor, sondern endogam, indem sich der Vater den Sohn zum Freund gibt. Das Ideal menschlicher Beziehungen ist in den Wanderjahren eine enterotisierte und entsexualisierte Welt. . Auffällig ist jedoch die Parallelität zwischen dem Schicksal Adolfs und Felix'. Ni~ht nur die Todesgefahr fließenden Wassers und die Isolierung der Protagonisten auf Kiesgründen im Fluss gehört hierher. Als der junge Wilhelm den toten Adolf erblickt, heißt es: In dem großen Saale, wo Versammlungen aller Art gehalten werden, lagen die Unglückseligen auf Stroh, nackt ausgestreckt, glänzend-weiße Leiber, auch bei düsterem Lampenschein hervorleuchtend. Ich warf mich auf den größten, auf meinen Freund; ich wüßte nicht von meinem Zustand zu sagen, ich weinte bitterlich und überschwemmte seine breite Brust mit unendlichen Tränen. Ich hatte etwas von Reiben gehört, das in solchem Falle hülfreich sein sollte, ich rieb meine Tränen ein und belog mich mit der Wärme, die ich erregte. In der Verwirrung dacht' ich ihm Atem einzublasen, aber die Perlenreihen seiner Zähne waren fest verschlossen, die Lippen auf denen der Abschiedskuß noch zu ruhen schien, versagten auch die leisesten Zeichen der Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 37 Erwiderung. An menschlicher Hülfe verzweifelnd, wandt' ich mich zum Gebet; ich flehte, ich betete, es war mir, als wenn ich in diesem Augenblick Wunder tun müßte, die noch inwohnende Seele hervorzurufen, die noch in der Nähe schwebende wieder hineinzulocken. (S. 279, Z. 29 s. 280, z. 9) Deutlich manifestiert sich hier die Vorstellung der unteilbaren Person, die aus Körperhülle und in ihr verorteter Seele besteht und hier in einen latent nekrophilen Kontext eingebettet ist. Die verzweifelten Versuche Wilhelms, auf dem nackten Freund liegend durch eigen hervorgebrachte Körperflüssigkeit Wärme zu erregen und den toten Freund zu beatmen, sind implizit similar mit sexuellen Teilhandlungen. Die leidenschaftliche Mann-männliche Jugendfreundschaft und die faktische körperliche Interaktion gehören zum Raum des Todes. Dahingegen geht Wilhelm mit dem geretteten und nackt am Flussufer schlafenden Felix wie folgt um: Mit Gefallen sah unser Freund auf ihn herab, indem er ihn zudeckte.-''Wirst doch immer aufs neue hervorgebaracht, herrlich Ebenbild Gottes! " rief er aus, ''und wirst sogleich wieder beschädigt, verletzt von innen oder von außen." (S. 465, Z. 5-9) Der Umgang mit dem nackten, selbst mit erschaffenen Freund ist jetzt durch zärtliche Fürsorge um den nackten Körper bestimmt, nicht mehr durch körperliche Interaktion mit ihm. Dabei spielt der Wahrnehmungsakt des nackten Körpers wiederum die entscheidende Rolle. Indem das Bild des konkreten nackten Körpers auf das ideale Körperbild im Innern der Person bezogen wird, kann das konkret körperlich-Sexuelle vom Subjekt distanziert werden. Das wahrgenommene Bild wird subjektintern verarbeitet und auf ein subjektintern im ästhetischen Empfinden sublimiertes Bild von Körperlichkeit bezogen. Wilhelm kann den nackten Körper seines erwachsenen Sohnes seinen Blicken durch Bedecken mit seinem Mantel entziehen. Darüber hinaus belegt diese Textstelle, dass die Konzeption der Person als Ganzes sowohl körperlich als auch vom Innenleben der Person her bedroht ist. Durch den rein körperlichen Eingriff Wilhelms wird in diesem Zusammenhang die Ausübung der Arztrolle sowohl als Heilung des Körpers als auch des Innenlebens bezeichnet, beziehungsweise mit der Heilung des zufällig verletzten Körpers therapiert Wilhelm auch Felix verletztes Innenleben und indirekt sein eigenes. Der chirurgische Eingriff bildet damit fundamentale Heilungsprozesse im Innern der Person ab. Nach dem chirurgischen Eingriff, kann die nicht geglückte erotische Selbstverwirklichung von Felix mit einem Satz abgeschüttelt werden. Die erlernte medizinische Technik, der Aderlass, schließt darüber hinaus die Lücke zwischen den Erlebnissen Wilhelms mit Adolf und Felix. Während im ersten Fall eigene Körperflüssigkeit in den toten Körper transferiert werden soll, wird im anderen Fall eine Körperflüssigkeit aus dem vom Tode bedrohten Körper zum Austritt gebracht. Die am äußeren Körper des anderen angewendete medizinische Technik kompensiert das im eigenen Körper angelegte, latent homoerotische Verlangen. In diesem Sinne ist die medizinische Technik eine Art positiv bewertete Sozialhilfe für die Person des behandelnden Arztes und eine genaue Inversion des im Innern der Person von der Norm Abweichenden. Dass der medizintechnische Diskurs diese subjektinterne Funktion für das Personenkonzept des behandelnden Arztes hat, bringt dabei eine Bewertung aus der Erzählgegenwart während des Briefes mit dem Jugenderlebnis an Nathalie auf den Punkt: Wie müßten wir verzweifeln, das Äußere so kalt, so leblos zu erblicken, wenn nicht in unserm Innern sich etwas entwickelte, das auf eine ganz andere Weise die Natur verlterrlicht, indem es uns selbst in ihr zu verschönen eine schöpferische Kraft erweist. (S. 278, Z. 4-7) 38 Jan-Oliver Decker Diese Betrachtung Wilhelms ist in seinen Brief an Nathalie mit dem Jugenderlebnis eingefügt, bevor Wilhelm vom Tode Adolfs erfährt. Sie übernimmt eine vorausdeutende Funktion und fasst programmatisch das Prinzip der Sublimation und Kompensation zusammen. Dem Tode Adolfs gibt nur Sinn, dass sich seine Funktion als Partner durch das Leben-Geben des Aderlasses auf Felix überträgt. Der Aderlass am Textende füllt die Leerstelle beider verlorener (Erotik-) Partner durch die Beziehung von Vater und Sohn wechselseitig aus. Damit wird die erlernte Berufsrolle als für die eigene Person selbst und für andere nützliche Verwirklichung von subjektinternen Merkmalen konzipiert. Diese durch die Natur vorgefertigt im konkreten Subjekt angelegten Merkmale müssen im Verlauf des Lebens nur entwickelt und sinnvoll, das bedeutet nützlich für sich und andere, ausgeübt werden. Die Einbildungskraft als Filter der Wahmehmung und als Bildgeneratorwird durch die nützliche Tätigkeit des Wundarztberufes kanalisiert und kontrolliert und die innerpersonelle Problematik durch den Beruf des Arztes aus· der Einbildungskraft heraus auf den Dienst an einer Gemeinschaft projiziert. Der Bund der Wanderer und die Arztrolle als universelle Sozialhilfe Durch die Konzeption der Arztrolle als individuelle Sozialhilfe für Vater und Sohn wird eine implizit in der Natur als universellem Werte-und Normensystem angelegte Verbesserung der Welt ausgedrückt. Wilhelm wehrt das in ihm angelegte bedrohliche, konkrete Körperlich- Sexuelle ab und gelangt dadurch zu einer Auflösung des klassischen Familienmodells, in dem die Generationenfolge eine Hierarchie darstellt. Die Arztrolle ist nicht nur eine individuelle Sozialhilfe, sondern eine ideologische, die am Einzelbeispiel das paradigmatische Ziel am Textende verwirklicht, das die Allgemeinheit anstreben soll. Wilhelm repräsentiert durch seine individuelle Sublimationsleistung in Ausübung der Arztrolle ein herausragendes und einzigartiges Individuum, dass insofern mit einem Kollektiv versöhnt ist, als es ihm das Ideal künftig zeichenhaft vorlebt. Diese Zeichenfunktion der Arztrolle manifestiert sich im Text dominant im Bund der Wanderer. So propagiert Montan alias Jamo: "Narrenpossen", sagte er, "sind eure allgemeine Bildung und alle Anstalten dazu. Daß ein Mensch etwas ganz entschieden verstehe, vorzüglich leiste, wie nicht leicht ein anderer, darauf kommt es an, und besonders in unserm Verbande spricht es sich von selbst aus." (S. 285, Z. 36 -S. 286, Z. 4) Hiermit wird der Möglichkeit eine Absage erteilt, dass das Individuum universell die Wissensmengen der Zeit in sich vereinen kann. Diese Absage an ein. umfassendes Bildungskonzept ist nur auf der Folie des spätau: fldärerischen Denksystems zu verstehen, das zu einer unüberschaubaren Ausdehnung des Wissens und der Ausdifferenzierung und Neukonstitution der das Wisssen organisierenden Diskurse im Verlaufder Aufklärung geführt hat. Wenn einer nicht mehr alles wissen kann, dann muss er wenigstens einen Diskurs in Gänze wissen und beherrschen. So ist Lenardo, Führer des Bundes, Meister aller handwerklichen Tätigkeiten und Berufe (S. 341/ 342) und Friedrich, Nathalies Bruder, quasi als lebendes Diktiergerät ein Gedächtnisgenie. Der "Weltbunde" (S. 395) der Wanderer liefert sozusagen als Ganzes das Abbild eines als Ganzen gedachten Wissenssystems. Jeder seiner Mitglieder ist ein herausragendes Indivduum, ein Spezialist auf seinem Gebiet. Somit konkurrieren weder die ein~ zelnen Genies untereinander, noch das individuelle Genie mit der Gesellschaft. Heraus- Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 39 ragendes Individuum und gesellschaftliche Ordnung, zentraler Konflikt im 'Sturm und Drang' , 52 sind miteinander in den Wanderjahren harmonisch vereint. Die Arztrolle weist Wilhelm gerade dann im Text als Genie aus, wenn, wie oben ausgeführt, die Inversion medizinischer Grundlagenwissenschaft einen behaupteten gesellschaftlichen Konflikt abbildet und löst. Der eigentliche Konflikt, den die plastische Anatomie lösen soll, beruht dabei nur auf der Textoberfläche auf dem Magel an Leichen. Die plastische Anatomie löst vielmehr als Umkehrung der klassischen Anatomie einen ideologischen Konflikt bei der Vereinigung oppositioneller Strategien der Legitimation von Normensystemen, wie sich aus folgender Textstelle ableiten lässt. Hier visioniert der plastische Anatom, der Wilhelm ausbildet, die Schaffung eines räumlich und sozial extrem weit entfernten Raumes als Heimat für ihre Kunst. Diese soll abgesondert von der Gesellschaft in Gefängnissen in der neuen Welt auf der Grundlage eigener anatomischer Studien erarbeitet und gelehrt werden: ''Dort, mein Freund, in diesen traurigen Bezirken, lassen Sie uns dem Äskulap eine Kapelle vorbehalten, dort, so abgesondert wie die Strafe selbst, werde unser Wissen immerfort an solchen Gegenständen erfrischt, deren Zerstückelung unser menschliches Gefühl nicht verletze, bei deren Anblick uns nicht, wie es Ihnen bei jenem schönen, unschuldigen Arm erging, das Messer in der Hand stocke und alle Wißbegierde vor dem Gefühl der Menschlichkeit ausgelöscht werde." (S. 335, Z. 17-25) Das eigentliche Problem im Text ist damit ein Konflikt zwischen Wissenschaft als Sytsem des Wissenserwerbs und Humanität. Nicht wie die anderen Studierenden in Wilhelms anatomischem Seminar, die ohngeachtet seiner Schönheit den Körper des Mädchens zerstören, soll die Wissenschaft betrieben werden. Schönheitsempfinden ist dabei im Text, wie ausgeführt wurde, Element einer universellen natürlichen Ordnung, eben der unspezifiziert bleibenden Humanität, die sich subjektintem manifestiert und entwickelt. Zugleich impliziert sie eine im Subjekt angelegte Verbesserung der Welt, wie die Ausübung der Arztrolle an Felix demonstriert. Damit wird ein Modell von Wissenschaft um ihrer selbst willen vorausgesetzt, die jedwede Grenze überschreiten und so potenziell auch jedes bestehende und nicht-wissenschaftliche Werte- und Normensystem in Frage stellen kann. Dieser Wissenschaft um ihrer selbst willen, die z.B. religiöse Normensysteme radikal in Frage stellen würde, wird mit der intern in der Person angelegten natürlichen universellen Ordnung ein Riegel vorgeschoben. Im Subjekt selbst manifestiert sich eine göttliche Ordnung, die der als im 'Außen' des Menschen und am Äußeren operierend gedachten Wissenschaft als Werte- und Normensystem überlegen ist. Gleichzeitig lässt sich das Modell der natürlichen Optimierung der Familienbeziehung auch auf die Entwicklung der Wissenschaft übertragen. Wenn sich die Welt verbessert, weil sich die herkömmliche Familienordnung natürlich transformiert, dann besteht auch die Möglichkeit, dass in der in der Natur angelegten Verbesserung der Welt auch solche Wissensmengen künftig von selbst auftauchen, die in der Gegenwart nur durch eine radikal objektivierte Wissenschaft möglich wären. Mögliche und notwendige Erkenntnisse einer radikal objektivierten Wissenschaft werden in einer Zukunft versprochen, zu deren Erlangung keine Wissenschaft um ihrer selbst willen mehr nötig ist. Gleichsam von selbst werden sich zur rechten Zeit die notwendigen Wissensmengen nicht durch Wissenschaft, sondern aus der Natur heraus ergeben. Wenn Wilhelm dann als Mitglied des Wanderer-Bundes in die Welt hinausgeht, um seinen individuellen medizinischen Diskurs zu verbreiten und als allgemeingültige medizintech- 40 Jan-Oliver Decker nische Grundlage eines universellen Ärztestandes zu etablieren, dann ist seine ausgeübte Rolle als Medizinier eine praktische Sozialhilfe zur Verbesserung der Welt. Schlussbemerkung Damit ergibt sich; dass die Wanderjahre versuchen, auf Probleme zu reagieren, die sich im aufklärerischen Denken und in den aufldärerischen Literatur(sub)systemen am Beispiel der Konzeption der Person als neu hinzutretende Probleme stellen. Insofern aufklärerische Konsequenzen wie eine Wissenschaft um ihrer selbst willen auf objektiver Grundlage abgewehrt werden, ist auch verständlich; dass die Arztrolle in den Wanderjahren im Vergleich zu den aufklärerischen Fallbeispielen positiv bewertet wird. In Mylius Aerzten und Weißes Romeo und Julie dienen medizintechnischer Diskurs und Arztrolle der Abwehr von durch sie bezeichneten Widersprüchen zum aufklärerischen Denken. Dazu im Gegensatz dient der Wiederaufgriffvon Arztrolle und medizintechnischemDiskurs in den Wanderjahren der Abwehr der Konsequenzen aufklärerischen Denkens und seiner Reglementierung. Hinzu kommt, dass in allen drei Fallbeispielen durch Arztrolle und medizintechnischen Diskurs auf der Ebene der Konzeption der Person ein ihre Integrität und Funktionsweise bedrohendes körperlich-Sexuelles abgewehrt wird. Was sich mit der chronologischen Abfolge der Texte ändert, sind letztlich die Vorzeichen der positiven und negativen Wertung von Arztrolle und medizintechnischem Diskurs, nichtjedoch die Bezeichnungsfunktionen, in die sie eingebettet sind. Anzumerken bleibt, dass sich der Dreiklang in den Wanderjahren aus 1. individueller Sozialhilfe durch Möglichkeit der Sublimation von lnnerpersonellem in der Berufsrolle, 2. familiärer Sozialhilfe und 3. gesellschaftlich-kollektiver Sozialhilfe modellhaft bis heute in populären Texten finden lässt, die versuchen, diese Wirksamkeit von Arztrolle und medizintechnischem Diskurs am narrativen Beispiel zu entwickeln. 53 Anmerkungen 1 Vgl. zur Periodisierung der Literatur der Aufklärung und der Goethezeit und ihren Zusammenhang zum Denksystem allgemein Titzmann 1990 u. Titzmann 1984. Nach Titzmann 1990: bes. 137, der hier zu Grunde gelegt wird, reagieren die Literatur(sub)systeme auf den Wandel des Denksystems, der durch Lösungsversuche für systeminteme Probleme verursacht wird. Unterschieden werden nach Titzmann als sukzessive und sich auch überlagernde Literatursubsysteme im Literatursystem 'Aufklärung" 'Früh-Aufklärung' (ca. 1730-1750), 'Empfindsamkeit' (ca 1750-1770) und im Literatursystem 'Goethezeit' die Literatursubsysteme 'Sturm und Drang' (ca ab 1770) und 'Klassik' (ca. ab Ende der 1780er Jahre). 2 Mauser 1988 argumentiert, dass der anakreontischen Dichtung der Aufklärung im medizinischen Diskurs der Epoche die Funktion eines Therapeutikums zukomme, die den Rezipienten kompensatorisch innerirdische Glückseligkeit bereitet. Wemz 1993 belegt, dass die erzählende Literatur der Goethezeit für Sexualität tradierte Werte und Normen aufrecht erhält und damit wie der parallele medizinische Diskurs die ideologischen Prämissen der Zeit nicht den Kategorien des aufklärerischen Denksystems unterwirft, so dass sich in wissenschaftlichen wie in literarischen Texten trotz unterschiedlicher Verfahren das gleiche Wertesystem manifestiert. Vgl. zum Zusammenhang zwischen medizinischemDiskurs und v.a derLiteratur des BarockBenzenhöfer/ Kühlmann 1992. 3 Vgl. zur Terminologie der Begriffe 'Kulturelles Wissen', 'Diskurs', 'Denksystem' Titzmann 1989 und zum Zusammenhang dieser Kategorien mit dem Begriff 'Literatursystem' Titzmann 1991b, denen zufolge ein 'Diskurs' ein System des Denkens und Argumentierens ist, das die Produktion von Wissen steuert. 4 Vgl. übergreifend zum medizinischen Diskurs Focault 1976. Körper/ Am/ Medizin/ Technik 41 5 Der Begriff 'Ereignis' wird hier im Sinne des Kulturmodells von Lotman 1993 zur Untersuchung narrativer Strukturen verwendet. Nach Lotman definiert sich die Tiefenstruktur eines narrativen Textes durch eine paradigmatische Ordnung der dargestellten Welt, die in Form mindestens zweier oppositioneller semantischer Räume vorliegt. Überschreitet eine Figur die Grenze zwischen zwei semantischen Räumen, liegt im Lotmanschen Sinne ein 'Ereignis' vor. Durch die Verknüpfung mehrer Ereignisse in einer Ereignisstruktur lässt sich dabei rekonstruieren, wie ein Text inhärente semantische Räume hierarchisiert und bewertet. 6 Wie relevant diese Funktion der Literatur für den medizinischen Diskurs der Zeit ist, belegen ex negativo gegenwärtige Darstellungen der Medizingeschichte (Vgl. exemplarisch Schipperges 1985, Goerke 1998). Hier wird dominant die Zeit der Aufklärung ausgeblendet (Schipperges) oder unter Perspektive systematischer staatlicher Institutionalisierung der Medizin (Goerke) subsumiert. Antike und Mittelalter werden demgegenüber ebenso als geschlossene Konzepte medizinischen Wissens und medizinischer Verfahren vorgestellt wie die moderne Medizin ab Mitte des 19 Jh.s. Aus dieser Art der Darstellung lässt sich ableiten, dass die Anwendung neuer Denkkategorien zu einer kaum überschaubaren Explosion Medizin-technischer Entwicklung und Forschung und der Umstrukturierung des nicht mehr systematisch zusammenfassbaren medizinischen Diskurses als einheitliches Wissenssystem und auch als moralisches Wertesystem weit über die Aufklärung hinaus geführt hat (Vgl. zur Umstrukturierung des medizinischen Diskurses unter den Aspekten Wissenschaftlichkeit und Empirie Alber/ Dornheim 1983. Vgl. zur Entwicklung des medizinischen Diskurses als neues aufklärerisches moralisches Wertesystem im 18. Jahrhundert auch Wernz 1993 und vor allemBaker/ Porter/ Porter.1993). Diese Entwicklung ist auch an der ständig wachsenden Menge produzierter medizinischer Traktate nicht mehr nur für ein Fachpublikum in der Aufklärung abzulesen, die damit die Popularisierung medizinischen Wissens und die Konknrrenz seiner Elemente auch im Alltagswissen der Kultur demonstrieren (Vgl. zur Popularisierung medizinischen Wissens in der Aufklärung Dreissigacker 1970 u. Kunze 1971). 7 Vgl. Wicke 1965: 7-12. 8 Vgl. Goerke 1998: 140ff.; im 18. Jh. waren die Heilberufe im Groben dreifach ständisch differenziert: höchstes soziales Prestige genoss der an der Universität als 'Doctor' ausgebildetet Arzt, der nur mittels Medikation und individuell zugeschnittener Therapie heilte. Alle chirurgischen Eingriffe waren den in Zünften organisierten Barbieren im zivilen oder den Feldscherern im militärischen Bereich, als 'Chirurgus' gleichsam ein 'Handwerker', vorbehalten. Auf der untersten sozialen Stufe standen die Stein- und Starschneider, die 'Quacksalber', auf den Jahrmärkten. Vor allem zwischen den Barbieren und den Steinschneidern gab es vielfiiltige Abstufungen zu der sich auch das Gewerbe des 'Baders' gruppierte. 9 Vgl. dazu allgemein Steinmetz 1978 3• 10 Vgl. einführend zu Mylius Aerzten Krab 2001 und Wicke 1965: 13-46, bes. 24. 11 Zitiert wird nach Mylius 1745. 12 Vgl. zu diesem in der Frühaufklärung grundlegenden Paarbildungsmodell Titzmann 1990: 140-142. 13 Auch dies zunächst ein Merkmal, dass Pillifex und Recept mit den pietistischen Frömmlern in der Pietisterey der Gottschedin aber auch mit der Sprache der Gelehrten in Gellerts Die Stumme Schönheit oder Lessings Derjunge Gelehne (beide 1747) teilt. 14 Dass Ideal einer Trennung von Körper und Seele und einer totalen Entkoppelung des Seelischen vom Körperlichen wurde in der deutschen Aufklärung grundlegend von Christian Wolff vertreten und in seiner Folge zu einem zentralen Theorem des medizinischen Disknrses durch den Arzt Friedrich Hoffmann in Halle. Vgl zu Wolff und Hoffmann Rothschuh 1969 und Wienau 1983: 218f.. Vgl. zum Körperbild in der Aufklärung allgemein Beutelspacher 1986. 15 Die Verl>indung zwischen Pietismus und medizinischem Diskurs, wie er hier durch Vergleich des jeweiligen Umgangs mit dem Einen und dem Anderen in den beiden Texten vorgenommen wird, wird in der Epoche vor allem durch den Arzt Georg Ernst Stahl, wie sein Konknrrent Hoffmann aus Halle, paradigmatisch repräsentiert, vgl. Mauser 1988: bes.90f.. Stahl favorisiert ein Konzept, bei dem Seele und Körper unmittelbar zusammeuhängen und einander wechselseitig beeinflussen. Als Diagnose-Methode, die Seele und Körper gleichermassen berücksichtigt, propagiert er die 'Selbstbeobachtung', die er direkt aus dem ihn urugebenden pietistischen Kontext in seine medizinischen Verfahren integriert. 16 Vgl. zur restriktiven Sexualmoral vor allem für Frauen aus der Unterschicht im 18. Jh. Benker 1986. 17 Vgl. allgemein zur Theodicee-Problematik in der Aufklärung Wünsch 2001. 18 Vgl. Titzmann 1990: bes. 138-140. 19 Vgl. Titzmann 1990: 142-156. 20 Vgl. zum formalen Wandel des Literatursystems um 1750 Zeller 1988. 42 Jan-Oliver Decker 21 Grundlegend wird dieses Theorem in das Denken der Aufklärung durch John Lockes 'Sensualismus' eingeführt. In diesem Zusammenhang bekommen die Therapien der Ärzte Pillifex und Recept in Mylius' Aerzten auch eine zusätzliche Semantik. Illre medizinischen Vorgehensweisen erscheinen als den Körper zerstörende Folter, die Frau Vielgutin die Grundlage entziehen, aufgrund sinnlich-körperlich vermittelter empirischer Daten selbst ihre Vernunft zu gebrauchen und mit den Ärzten das Unheil von Luisgen und ihrer Familie abzuwehren. 22 Noch heute versteht man unter den Begriffen 'Semiotik' und 'Semiologie' im medizinischen Diskurs die Lehre von den Krankheitszeichen, synonym die 'Symptomatologie'. Vgl. die entsprechenden Einträge in Pschyrembel 1990: 1529 u. 1626. 23 Vgl. Wemz 1993: 70ff. 24 Eine solche semiotische Relevanz des Körperlichen manifestiert sich in der Aufklärung paradigmatisch durch das Werk Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (4 Bd.e, Leipzig/ Winterthur, 1775-1778) von Johann Caspar Lavater. Vgl. zur Relevanz physiognomischen Denkens Saltzwedel 1993. 25 Zitiert nach Pfeil 1968. 26 Vgl. zur Relevanz des Problems der Verstellung und Dekodierung der Person in der Anthroplogie des 18. Jh.s Geitner 1992. 27 Zitiert nach Weiße 1780. 28 hnplizit referiert der Text hier auf die äußerst erfolgreichen Leiden des jungen Wenher von Goethe, die 1774 genau in dem Jahr erschienen sind, in dem Weiße den Jean Calas verfertigte. Zum einen schreibt Weißes Drama damit gegen das durch Goethes Roman mit begründete Literatursubsystem des 'Sturm und Drang' an, zum anderen vertritt der Text hiermit eine medizinisch-pathologische Wirksamkeit von Literatur, wie sie Mauser 1988 auch als Merkmal für die anakreontische Literatur der Frühaufklärung behauptet 29 Vgl. ausführlich und grundlegend zu dieser Konzeption der Person und ihrer Problematik in der medizinischen Traktate-Literatur der Goethezeit Wernz 1993: 13-81. 30 Vgl. einführend zu Romeo und Julie Decker 2001. 31 Vgl. Titzmann 1990: 141. 32 Damit repräsentiert der Text paradigmatisch eine Konzeption von Gefühl und Bedrohung der Familie, wie es paradigmatisch Titzmann 1990: 142-156 für das Literatursubsystem 'Empfindsamkeit' darlegt. 33 Zitiert nach Weiße 1937. 34 Diese Liebeskonzeption entwickelt sich als Verschärfung der 'empfindsamen' Liebeskonzeption vor allem im 'Sturm und Drang'. Vgl. Titzmann 1990: 163-165. 35 Vgl. zur grundlegenden Annabrne eines zu haltenden Gleichgewichtes zwischen verschiedenen Systemen zwischen Körper und Seele ebenso wie auch das Ideal eines inneren Gleichgewichtes in der medizinischen Traktate-Literatur der Zeit Wemz 1993: 188-195. Festzuhalten ist, dass sich damit im medizinischen Diskurs der Zeit das Konzept einer Verbindung von Körper und Seele, das noch in der Frühaufklärung mit dem Konzept der totalen ·Trennung von Körper und Seele· konkurriert, mit der Entwicklung des Denksystems als dominant durchgesetzt hat. Vgl. für die Relevanz des Gleichgewichtsprinzips im Denk- und Literatursystem derGoethezeit Titzmann 1984. 36 Vgl. zur Rolle des Inzests in der Goethezeit Titzmann 1991c: bes. 265. Der metaphorische Inzest in Romeo und Julie markiert zeichenhaftkulturell verbotene Verhaltensweisen, wie hier die Hinagbe an den erotischen Genuss, die zu Wahnsinn und Selbstverlust führt. 37 Samuel Hahnemann begründete erst nach der Veröffentlichung von Romeo und Julie die Homöopathie, indem er in einem Aufsatz 1796 in Hufelands Journal der practischen Aruieykunde das sogenannte 'Simile'-Prinzip propagierte ("Similia similibus curentur"-"Ähnliches soll durch Ähnliches geheilt werden"). Wie Romeo und Julie belegt, ist Hahnemann derjenige, der eine solche Therapiekonzeption erstmals systematisch in den medizinischen Diskurs integriert, nicht jedoch der eigentliche Urheber einer solchen therapeutischen Vorstellung, die im Denksystem der Epoche schon als gegeben angenommen werden muss. Wie die Abwertung dieses Therapiekonzeptes durch ihr Scheitern in Weißes Text nahe legt, handelt es sich bei der Homöopathie um ein mit anderen konkurrierendes Konzept innerhalb des medizinischen Diskurses, das bis zum heutigen Tag geradezu synonym mit der Opposition zur gegenwärtigen modernen Schulmedizin gebraucht wird. Vgl. zur Geschichte der Homöopathie einführend Heinze 1996.. 38 Vgl zur Konzeption des 'Sturm und Drang' als Weiterentwicklung und Radikalisiereung der 'Empfindsamkeit'. Titzmann 1990: 157-165, auf dessen Modellskizze des 'Sturm und Drang' folgende Ausführungen beruhen. 39 Festhalten lässt sich, dass mit dem Herausdrängen des faktischen Körpers als Zeichen einer bedrohlichen Sexualität in der 'Empfindsamkeit' in der 'Goethezeit' die z.T. populäre medizinische Traktateliteratur zu Körper/ Arzt/ Medizin/ Technik 43 sexuellen Fragestellungen sprunghaft ansteigt, wie Wemz 1993: 7 konstatiert. Anzunehmen ist, dass dieser medizinische Teildiskurs, der im Verlauf der Entwicklung des medizinischen Diskurses in der Aufklärung entsteht, die Verbindung von medizinischem Diskurs und traditionellen Normen neu gewährleistet und die Literatur ihn rückwirkend aufgreift und seine Gültigkeit erweist (Vgl. Wernz 1993: 272-292). 40 Vgl. zum breit untersuchten Feld der Melancholie z.B.Schings 1977, Mattenk: lott 1985 u. Engelhardt et.al. 1990. 41 So wird z.B. in Goethes Revolutionskomödie Der Bürgergeneral (1793) mit dem Barbier Schnaps das Modell des Arztes als scheiternden Sozialhilfers durch die Berufsbezeichnung Barbier ebenso nur Reflex-artig abgerufen, wie der Rekurs auf das Modell der sächsischen Typenkomödie, dem der Barbier als komische Figur entstammt. Vgl. einführend Decker 2001. 42 Die Renormierung aufklärerischer Konflikte gilt nach Titzmann 1990: 165 als Merkmal der 'Klassik'. Zumindest hinisichtlich des Umganges mit Arztrolle und medizintechnischemDiskurs im Text sind die Wanderjahre damit partiell als 'klassischer' Text zu klassifizieren. 43 Unter dem Aspekt des Gattungswechsels ergeben sich hier Fragestellungen, die im Rahmen dieses Aufsatzes nur umrissen werden können. So könnte auf breiterer Korpusbasis untersucht werden, wie die erzählende Literatur der Goethezeit Elemente des medizintechnischen Diskurses aus dem Drama der Aufklärung aufgreift und transformiert. Oder anders formuliert, inwieweit sich die Gattungen innerhalb der Aufklärung bei der Konstruktion des medizintechnischen Diskurses ergänzen und wie ein solcher medizintechnischer Diskurs in der Litertaur der Aufklärung von der Literatur der Goethzeit aufgegeriffen wird. Eine solche Analyse würde erhellen, inwieweit poetologische Prämissen von Textsorten und die Strukturierung kultureller Diskurse im Denksystem zusammenhängen könnten. 44 Vgl. einführend zu den Wanderjahren Herwig 1997, an deren thematische Aufbereitung des Erzählten die wichtigsten Positionen der Forschung zum Roman angebunden werden. 45 Zitiert nach Goethe 1982. 46 Vgl. zum Phänomen der Paratextualität Genette 1993. Die Wanderjahre legen dabei zumindest eine explizite Spur, indem auf den englischen Autor Laurence Sterne und implizit auf sein Hauptwerk The Life and Opinions ofTristram Shandy, Gentleman (York 1759-London 1767) verwiesen wird (S. 485, Z.24-26, S. 489, Z. 23- S. 491, Z. 16). Der Bezug, der sich hier systemisch erstellt, ist der der Parodie einer Autobiografie ebenso wie einer des Erzählens selbst. 47 Der Vorwurf, zu morden, um medizinische Studien zu betreiben, wurde massiv ab der Renaissance kolportiert, wo anatomische Studien aufgrund religiöser Normen tatsächlich verboten waren. Im Verlauf des Barock etablierte sich die anatomische Kunst zunächst an den Universitäten, um schließlich zu expandieren und grundlegend verbreitet zu werden. In der Aufklärung hatten sich anatomische Studien als allgemeingültige Grundlage bereits durchgesetzt. 48 Die vorhergehenden zwei Textbeispiele stammen aus den Teiltexten "Makariens Archiv" und dieses aus den "Betrachtungen im Sinne der Wanderer". Diese Teiltexte stellen in der Mitte und am Ende des Romans so etwas wie die abstrakte Ordnung an Werten und Normen vor, auf deren Folie die Rahmen- und die Binnenerzählungen ablaufen. 49 Vgl. zur Relevanz des Gleichgewichtskonzeptes im Kontext des medizinischen Diskurses in der Goethezeit Wernz 1993: 188-192. 50 Vgl. Herwig 1997: 222-257. Herwig rekonstruiert den Kausalzusammenhang zwischen dem Tod Adolfs und der Rettung Felix', wie ihn die Narration vorgibt und konstatiert auch eine latent homerotische Komponente. Sie übersieht aber die daraus folgenden Funktionen für die Lösung fundamentaler Konflikte durch die Arztrolle, wie im Folgenden ausgef"tihrt wird. Herwig liest Arztrolle und medizinischen Diskurs in den Wanderjahren vor allem auf das zeitgenössische medizinische Wissen, den biographischen Kontext Goethes und mit diesem verbundene ästhetische Kontexte hin. 51 Die Asymmetrie bei der Kennzeichnung von Adolf und der Pastorentochter sind auffällig. Über Adolfs körperliches Aussehen schweigt sich der Text aus, wohingegen die Pastorentochter zwar nicht mit Namen, aber in der körperlichen Erscheinung greifbar wird. Damit verbindet sich folgende Strategie: Da Adolfs körperliche Erscheinung ausgeblendet wird, wird auch die Sublimation der homosexuellen körperlichen Attraktion nivelliert. Interesse am konkreten Körper hat der rückblickende Mann bei der Frau. Durch die Individualisierung des Freundes mit einem ihn identifizierenden Namen werden demenstprechend stärker die Gefühle Wilhelms für eine konkrete Person betont. Gleichzeitig wird latent die Beziehung zu Adolf als die damals und rückblickend wichtigere bewertet. 52 Vgl. Titzmann 1990: 159-162. 44 Jan-Oliver Decker 53 Verwiesen sei neben den Arztromanen vor allem auf das Genre der Arztserien im Fernsehen. Vgl. Wünsch/ Decker/ Krah 1996: 104-108. 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