eJournals Kodikas/Code 24/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2001
241-2

Die Technik im Drama des Expressionismus

61
2001
Karl Leydecker
kod241-20073
KODIKAS / CODE Ars Semeiotica Volume 24 (2001) · No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Die Technik im Drama des Expressionismus Karl Leydecker This essay summarizes the representation of technology in Expressionist drama in general and in the plays of Ernst Toller in particular and takes issue with the critical consensus that it was the First World War which triggered a decisive shift in the depiction oftechnology in German literature. lt concludes that the presentation of technology remains ambivalent, but that around the time of the first World War there is a shift from a vitalistic enthusiasm for technology towards a more sober acceptance of the need to recognize the positive potential of technology, despite all its present negative effects. In diesem Aufsatz befasse ich mich mit dem Drama des Expressionismus als Teilsystem der Literatur der Frühen Modeme. Da ich mich auf das Drama konzentriere, haben wir es hauptsächlich eher mit dem Spätexpressionismus zu tun. Denn im Gegensatz zur lyrischen Produktion wurden die Hauptwerke des expressionistischen Dramas, die sich mit der Technikfrage befassen, mit wenigen Ausnahmen erst gegen Ende oder nach dem ersten Weltkrieg verfasst. Also befassen wir uns überwiegend mit dem Zeitraum von ungefähr 1916 bis Anfang der zwanziger Jahre. In der Forschung zum Thema Expressionismus und Technik heißt es, im frühen Expressionismus sei die Einstellung zur Technik noch relativ positiv, nicht zuletzt wegen der Rezeption des italienischen Futurismus in Deutschland. So argumentierte z.B. Karl-Heinz Daniels, daß Reinhard Johannes Sorge in seinem Stück Der Bettler von 1912 "den Flieger als neuen Menschentypus" darstellt (Daniels 1969: 354). Der erste Weltkrieg wird dann gern als entscheidender Auslöser einer Wandlung zu einem für den Expressionismus typischen tiefgreifenden Pessismus gesehen. Eberhard Lämmert z.B. meinte, "Der Erste Weltkrieg bedeutet mindestens in Deutschland [ ... ] für die Literatur einen tiefen Einschnitt in ihrem Verhältnis zur Maschinenwelt" (Lämmert 1994: 65). Unmittelbar darauf weist Lämmert auf zwei Stücke die auf den ersten Blick doch von einem tiefgreifenden Pessimismus zeugen, Kaisers Gas-Dramen von 1920 und Tollers Die Maschinenstürmer von 1922 (Lämmert 1994: 65-6). Jedoch hat Harro Segeberg, der auch die These von der zentralen Bedeutung des Kriegserlebnisses für die Expressionisten vertritt ("Für die expressionistischen Autoren wird das Kriegserlebnis Anlaß, ihre Einstellung zur Technik grundlegend zu überdenken" (Segeberg 1987 a: 209)), sich eingehender mit genau diesen Dramen beschäftigt und eine gewisse Ambivalenz vor allem in Tollers Einstellung zur Technik entdeckt (Segeberg 1987a: 212-28). Es ist die Natur dieser Ambivalenz, die meines Erachtens nicht nur für Toller, sondern für das expressionistische Drama im allgemeinen charakteristisch ist, die wir recherchieren wollen. Die Frage wäre also, welche Denkstrukturen der Epoche zu dieser eher ablehnenden, aber letztendlich ambivalenten Haltung der Technik gegenüber geführt haben? Und markiert der erste Weltkrieg tatsächlich eine tiefgreifende Wende im Verhältnis von Technik und Literatur? Zunächst jedoch einige allgemeine Beobachtungen zur Darstellung der Technik im expressionistischen Drama. Diese Beobachtungen werden hauptsächlich mit Verweis auf 74 Karl Leydecker Ernst Tollers Dramen illustriert, da Tollers Dramen von Die Wandlung bis zu Hoppla, wir leben! vielleicht die intensivste und anhaltendste Auseinandersetzung mit dem Thema Technik im Drama des Expressionismus bilden. Jedoch werden auch andere wichtige Texte herangezogen, damit festgestellt werden kann, inwieweit Tollers Behandlung der Technik zeittypisch ist. Im expressionistischen Drama wird überwiegend die Technik der Schwerindustrie und des Krieges dargestellt. Im Falle der Schwerindustrie ist das wichtigste Stichwort "Maschine", während die Kriegsindustrie häufig durch das Wort "Giftgas" signalisiert wird, am auffälligsten in Kaisers Gas II, aber auch durchgehend in Tollers Dramen und z.B. auch in Reinhard Goerings Seeschlacht (1917). Die Technologien der Schwerindustrie und des Kriegs werden am auffälligsten in Paul Zechs Drama Das Rad kombiniert, wo das Endprodukt des Eisenwalzwerks Maschinengewehre sind. Andere wichtige Technikbereiche, die auch vorkommen, sind die medizinische Technologie und die Technologien des Verkehrswesens und der Massenkommunikation (Funk). Auffallig ist, daß die Nutzung bzw. die Nützlichkeit von diesen Technologien im Krieg betont wird. So wird zum Beispiel in Die Wandlung die Medizin als wichtiger Teil des Kriegssystems charakterisiert, deren Rolle mit der der Rüstungsindustrie verglichen wird: Professor: Wir könnten uns die positive Branche nennen, Die negative ist die Rüstungsindustrie (Toller 1978: II 30). Neue Verkehrstechnologien, die gerne erwähnt werden, sind das Flugzeug, dessen Nutzung im Krieg häufig erwähnt wird, und das U-Boot, das ja ausschließlich eine Funktion im Krieg hatte. Und nicht zufällig endet die Szene in der Radiostation in Hoppla, wir leben! mit der Erwähnung der Möglichkeit der Massenvernichtung durch funkähnliche elektrische Wellen: "Es gibt Maschinen mit elektrischen Wellen, wenn man die in London einschaltet, würde morgen Berlin ein Haufen Trümmer sein. Wir werdens nicht ändern" (Toller 1978: III 83). Wie wird die Technik charakterisiert? Zunächst einmal wird die Maschine gerne als Dämon, als Ungeheuer bezeichnet. Dies wird besonders in Die Maschinenstürmer betont, wo von dem "höllische[n] Maschinenungeheuer" die Rede ist (Toller 1978: II 139). Es ist aber auch in anderen Stücken der Fall, wie zum Beispiel Zechs Das Rad, wo die Figur des Dämons regelmäßig hinter dem Rad hervortritt. Die Maschine wird auch häufig als lebendiges Wesen wahrgenommen ("Ich aber sage euch, die Maschine ist nicht tot ... / Sie lebt! Sie lebt! " (Die Maschinenstürmer, Toller 1978: II 184)), und ihr werden (raub)tierähnliche Merkmale zugeschrieben (sie wird z.B. als "das reißende Tier'' in Die Maschinenstürmer beschrieben, Toller 1978: II 139-40). Im expressionistischen Drama ist die Technik für die Menschen auf zwei Ebenen tödlich. Zum einen ist die Technik tödlich auf der biologischen Ebene, da Menschen durch Kriegstechnik, aber auch durch Unfälle in Fabriken getötet werden (z.B. Die Wandlung, 8. Bild, Toller 1978: 41 ). Die Gefährlichkeit der Maschinen in der Fabrik wird besonders drastisch in Die Maschinenstürmer dargestellt, wo Artur von der Maschine gepackt und zermalmt wird, bzw. in den Regieanweisungen heißt es, "das Schwungrad packt ihn", wobei die Lebendigkeit der Maschine signalisiert wird. Zum anderen wird im expressionistischen Drama die Tödlichkeit der Technik auf metaphorischer Ebene betont, da die Technik mit einem metaphorischen Tod-im-Leben, mit dem sogenannten Nicht-Leben korreliert wird. 1 Diese Korrelation von Technik und Nicht-Leben läßt sich sehr schön mit einem Zitat aus Hinkemann belegen, wo es allerdings um das Leben der Soldaten im Krieg geht: "Herrgott, was führten wir denn für ein Leben! Ein Ersatzleben Die Technik im Drama des Expressionismus 75 wars, aber kein Leben! Ein Maschinenleben! " (Hinkemann, Toller 1978: II 221 ). Das Maschinenleben ist mit anderen Worten dem Nicht-Leben äquivalent. Die gleiche Metaphorik des Tod-im-Lebens, des Nicht-Lebens findet man in Kaisers Gas, wie die folgenden Zitate belegen: Wo blieb mein Bruder? [...] In Arbeit stürzte er. Die brauchte er nur die eine Hand von ihm die den Hebel drückte und hob - Minute um Minute auf und nieder auf die Sekunde gezählt! keinen Hub ließ er aus pünktlich schlug sein Hebel an, vor dem er stand wie tot und bediente (Kaiser 1971: II 39). Thr habt den Gewinn - und kein Leben! Was. soll euch der Gewinn, den der Fuß schafft- der den Mann arm zu leben macht? - - Thr habt die Zeit verloren - - und in der Zeit das Leben alles habt ihr verloren - - Zeit und Leben (Kaiser 1971: II 43). Zu der Tödlichkeit der Technik für die Menschen kommt hinzu, daß Menschen sowohl metaphorisch als auch wortwörtlich in Maschinen verwandelt werden. Auf der metaphorischen Ebene, indem sie immer wieder die gleiche Arbeit verrichten, wobei der Mensch in seine Bestandteile aufgelöst und als nicht-lebend charakterisiert wird: "Einer ist Arm, einer ist Bein ... einer ist Hirn ... / Und die Seele, die Seele ... ist tot ... " (Die Maschinenstürmer, Toller 1978: II 184). Hier ist zu bemerken, daß dieser Prozeß der Auflösung der Person als abtötend bezeichnet wird, während wie vorher angeführt, die Maschine selbst, die die Menschen "frißt", vor Leben strotzt. Wortwörtlich vollzieht sich die Verwandlung der Menschen in Maschinen in Die Wandlung, wo im 6. Bild die Krüppel automatenhaft mit künstlichen Armen und Beinen "wie aufgezogene Maschinen" aufmarschieren: Wie aufgezogene Maschinen schreiten von irgendwo sieben nackte Krüppel. Tore Körper bestehen aus Rümpfen. Arme und Beine fehlen. Statt ihrer bemerkt man künstliche schwarze Arme und Beine, die sich automatisch schlenkernd bewegen. In Reih und Glied marschieren sie vor die Leinwand (Die Wandlung, Toller 1978: II 30). Eine weitere Wirkung der Technik auf die Menschen besteht darin, daß die Einführung der Technik zur ''ungeheuerliche[n] Knechtschaft" (Die Maschinenstürmer, Toller 1978: II 129) der Arbeiter, zu deren Versklavung, führt. Im expressionistischen Drama treten verschiedene Gegensätze zu Technik auf. Die wichtigste Opposition ist sicher die zwischen der Technik und dem Menschen. Einige Textbeispiele aus Tollers Dramen lassen dies ganz deutlich sehen. So heißt es in Die Wandlung: Aber ich warne euch vor den Worten des Mannes, der euch zurief: Marschiert! [ ... ]Heute ruft er: Das Volk ist Gott! Und morgen wird er verkünden: Gott ist eine Maschine. Darum ist das Volk eine Maschine. Er wird sich trotzdem freuen an den schwingenden Hebeln, wirbelnden Rädern, hämmernden Kolben. Volk aber ist für ihn Masse. Denn er weiß nichts vom Volk. Glaubt ihm nicht, denn ihm fehlt der Glaube an sich, an den Menschen. Ich aber will, daß ihr den Glauben an den Menschen habt, ehe ihr marschiert (Die Wandlung, Toller 1978: II 50). Die Opposition Technik versus Mensch wird auch in Die Maschinenstürmer betont, wo die Maschine als "des Menschen Feind" beschrieben wird (Die Maschinenstürmer, Toller 1978: II 183) und die Bindung der Arbeiter an die Maschine als eine Entmenschlichung dargestellt wird: Albert: [...] Du Georges wirst Hand und knüpfst ... und knüpfst ... und knüpfst. Und deine Ohren werden taub ... Dein Hirn verdorrt ... Charles: Ich werde Bein! 76 Karl Leydecker Georges: Ich werde Hand! [...] Charles: Wir sind doch Menschen! John Wible: Vorbei! Vorbei! (Die Maschinenstürmer, Toller 1978: II 140). Dieser Opposition nahe verwandt ist die zwischen Technik und Geist, die vor allem in Die Wandlung betont wird, sicherlich weil Toller hier am stärksten unter dem Einfluß von den Ideen Gustav Landauers stand, worauf noch zurückzukommen sein wird. So heißt es: Und so seid ihr alle verzerrte Bilder des wirklichen Menschen! [...] Denn ihr habt den Geist vergraben ... Gewaltige Maschinen donnern Tage und Nächte Tausende von Spaten sind in immerwährender Bewegung, um immer mehr Schutt auf den Geist zu schaufeln (Die Wandlung, Toller 1978: II 59). Andere Gegenparte zu Technik sind die Natur und die Seele. So wird in Masse Mensch eine Opposition zwischen der Fabrik und der "Mutter Erde" aufgebaut, wobei die Technik interessanterweise als eine männliche Größe dargestellt wird: Verstoßen hat man uns von unsrer Mutter Erde, Die reichen Herren kaufen Erde sich wie feile Dirnen, Belustgen sich mit unsrer gnadenreichen Mutter Erde, Stoßen unsre rauhen Arme in Rüstungsfabriken. Wir aber siechen, von Scholle entwurzelt, Die freudlosen Städte zerbrechen unsre Kraft (Masse Mensch, Toller 1978: 11 82). An einer Stelle in Hinkemann wird die Opposition zwischen Technik und Seele ganz deutlich zum Ausdruck gebracht: Und weißt du, wie die Seele ausschaut? Nichts Lebendiges ists. Die eine Seele ist ein Speckgenick, die zweite eine Maschine, die dritte ein Kontrollzähler, die vierte ein Stahlhelm, die fünfte ein Gummiknüppel (Hinkemann, Toller 1978: II 234) Dieses Zitat ist von besonderem Interesse, denn die Technik wird hier nicht einfach in Opposition zur Seele gestellt, sondern wird mit verschiedenen anderen Sachen korreliert: mit Ausbeutung ("Speckgenick"); Beaufsichtigung ("Kontrollzähler"); Militarismus ("Stahlhelm"); und polizeilicher Gewalt ("Gummiknüppel"). Die Technik wird mit anderen Worten als Teil eines umfassenden Systems betrachtet, das als Staatssystem beschrieben werden kann.2 Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die Technik als Teil des negativen Staatssytems dargestellt wird und in Opposition zu verschiedenen positiven Werten (Mensch, Geist, Seele, Natur) des humanistischen wilhelminischen Bildungsbürgertums steht. Im expressionistischen Drama werden gerne Zukunftsprojektionen für die Technik und ihre Wirkung aufgestellt. Auffallend ist, wie die (wachsende Dominanz der) Technik als unaufhaltbar dargestellt wird, am deutlichsten sicherlich in Die Maschinenstünner, aber auch schon in Die Wandlung und in den anderen expressionistischen Dramen Tollers. So heißt es in Die Wandlung: "O dieses ewig knirschende Stampfen / Gepeitschter Maschine" (Die Wandlung, Toller 1978: II 21), und wiederum in Die Wandlung stellen die Soldaten fest: Erster Soldat: Ewig fahren wir. Zweiter Soldat: Ewig stampft die Maschine. Dritter Soldat: Ewig gatten sich Menschen (Die Wandlung, Toller 1978: II 22). Hier wird die Technik mit anderen Worten als existentieller Zustand wahrgenommen. Die Technik im Drama des Expressionismus 77 Die logische Schlußfolgerung aus dem, was bisher über die Darstellung der Technik in Tollers Dramen gesagt wurde, wäre, daß diese fortschreitende Entwicklung und Dominanz der Technik als etwas ausgesprochen Negatives zu betrachten wäre eben die Haltung der Arbeiter in Die Maschinenstürmer. Die gleiche Logik durchzieht auch Kaisers Gas-Stücke. Denn wie in Tollers Dramen scheint die Logik der Kaisersehen Texte darin zu bestehen, daß die Technik menschenfeindlich ist. Der Milliardärsohn betont, daß die Technik zur Verstümmelung der Menschen und zum Nicht-Leben geführt habe, schon vor der Explosion: "War einer heil im Werk, das aufflog? [ ... ]Erschlagen wart ihr vor dem Einsturzverwundet vor dem Einschlag - -: mit einem Fuß mit einer Hand mit heißen Augen im toten Kopf wart ihr vorher Krüppel! " (Kaiser 1971: II 46). Darüber hinaus scheint die Technik nicht nur unaufhaltbar zu sein, sondern mündet scheinbar notgedrungen in die Kriegstechnik, d.h. aus Gas wird Giftgas. Die Tatsache, daß das Gas immer wiedet explodieren wird, kann als Metapher für die selbstzerstörerische Natur der Technik interpretiert werden. Nur an einer Stelle wird behauptet, daß nicht die Technik selbst, sondern die Menschen für die negative Entwicklung der Technik verantwortlich seien. Wie der Milliardärsohn bemerkt: "Die Maschinen ließen sich aufhalten -die Menschen nicht! " (Kaiser 1971: II 25). Jedoch wird sowohl in Die Maschinenstürmer als auch in Masse Mensch die Ablehnung der Technik als unklug dargestellt und die Auflehnung gegen sie als zum Scheitern verurteilt. Die Frau in Masse Mensch stellt fest: Die Frau: [...] Erkenntnis ist: Fabrik ist nicht mehr zu zerstören. Laßt eine Nacht der Tat Fabriken sprengen, Im nächsten Frühjahr wärn sie auferstanden Und lebten grausamer als je (Toller 1978: II 81). Und in Die Maschinenstürmer bemerkt Jimmy: "Ich weiß, daß die Maschine unser unentrinnbar Schicksal ist" (Toller 1978: II 183). Während die Ablehnung der Technik als Irrweg dargestellt wird, wird der Versuch. der Frau in Masse Mensch und Jimmy Cobbetts in Die Maschinenstürmer, die Technik zu akzeptieren und das Beste für die Menschen daraus zu machen, gutgeheißen. Die Frau betont: Fabriken dürfen nicht mehr Herr, Und Menschen Mittel sein. Fabrik sei Diener würdigen Lebens! Seele des Menschen bezwinge Fabrik! (Toller 1978: II 81). Auf gleiche Art und Weise versucht Jimmy, die positiven Aspekte der Technik hervor~ zuheben: "Denkt, wenn ihr statt sechzehn Stunden acht nur schaffet ... Und die Maschine wär' euch Helfer, nicht Feind! " (Toller 1978: II 143). Die Arbeiter müssen also lernen, daß die Technik gezähmt werden muß: Jimmy: Der Mensch soll führen, nicht die Maschine! Artur: Der ... der ... Mensch ... Mensch ... soll führen ... nicht ... nicht die Maschine ... (Toller 1978: II 143) Dennoch ist nicht zu übersehen, daß sowohl die Frau als auch Jimmy letztendlich zum Scheitern verurteilt sind Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß in Tollers Dramen die Technik als eine ambivalente Größe dargestellt wird. Einerseits wird die Technik als menschenfeindlich charakterisiert und mit Krieg, Tod, Nicht-Leben, Entfremdung und einem negativen Staats- 78 Karl Leydecker system korreliert. Andererseits wird in Masse Mensch und Die Maschinenstümier die These vertreten, daß die Technik an und für sich weder positiv noch negativ sei. Es kommt nämlich darauf an, wie die Menschen mit der Technik umgehen. Kann aber von einem Wandel in der Darstellung der Technik in Tollers Dramen gesprochen werden? Wäre es richtig zu behaupten, Toller habe seine anfängliche Technikfeindlichkeit überwunden und sei zu einer neutraleren Auffassung der Technik übergegangen? Die Frage ist m.E. mit nein zu beantworten. Denn noch in Hoppla, wir leben! von 1927 wird die Technik als eindeutig negativ charakterisiert. In diesem Stück wimmelt es noch vor Kriegstechnologie, Gasfabriken, Giftgas, Kampfflugzeugen, Maschinen, die nach Amerika schießen können usw. Eher kann man also von einem Schwanken zwischen den beiden Positionen in Tollers Dramen sprechen. Die grundlegende Frage wäre dann: Welche Denkstrukturen der Epoche haben in Tollers Dramen zu der schwankenden Einstellung gegenüber der Technik geführt? Hier ist es zunächst sinnvoll, das Verhältnis zwischen Literatur und Technik im Zeitraum zwischen dem Naturalismus und dem ersten Weltkrieg kurz zusammenzufassen. Tessy Korber, die neulich die Darstellung der Technik von 1890-1914 untersucht hat, stellte fest, daß im wilhelminischen Deutschland "die Mehrheitseinstellung fortschrittsgläubig und technikzugewandt [blieb]" (Korber 1999: 25), und im Grunde teilten.die Naturalisten zumindest theoretisch, wenn auch nicht immer in ihren literarischen Texten, den "Technikoptimismus" des Zeitalters. Ab 1900 setzt dann der Vitalismus bzw. die Lebensideologie ein, die sehr grob als Reaktion des in einer Krise geratenden Bildungsbürgertums gesehen werden kann.3 Martin Lindner stellte fest, daß "im lebensideologischen Denken viele Quellen zusammen[strömen], deren gemeinsamer Nenner ein doppelter Abwehrkampfist: Einerseits gegen das dominierende orthodox-bürgerliche Ideologiekonglomerat aus Idealismus und Historismus, andererseits gegen den "Mechanismus" und "Atomismus" der entstehenden kapitalistischen Massengesellschaft'' (Lindner 1994: 120). Wie Korber bemerkt, konnte Technik einerseits "im Rahmen des lebensphilosophischen Entwurfs dem ''toten" Pol [mit anderen Worten dem Nicht-Leben - KL] zugerechnet werden" (Korber 1998: 135). Jedoch war andererseits die Technik als "eine Sphäre des aktiven und schöpferischen Lebens begreifbar" und "ermöglichte[ ... ] das sinnliche Erlebnis der Lebensprinzipien Bewegung und Identität" (Korber 1998: 136). Korber stellt dann eine Fülle von Texten vor, die im Zeitraum von 1900 bis 1914 eher von einer Technikbegeisterung zeugen, bevor sie zum Schluß auch ein Kapitel den "ablehnende[n] Positionen zur literarischen Verarbeitung vitalistischer Technikmotive im Frühexpressionismus" (Korber 1998: 369) widmet. Interessanterweise wird Sorges Der Bettler (1912), bekanntlich eins der ersten expressionistischen Dramen, sowohl unter der Rubrik Technikbegeisterung und vor allem Fliegerbegeisterung diskutiert (Korber 1998: 352-8) als auch als Beispiel der Ablehnung der Technik erwähnt (Korber 1998: 384-9). Also war eine starke Ambivalenz der Technik gegenüber schon ein typisches Merkmal des frühexpressionistischen Dramas. Ist die früher festgestellte Ambivalenz der Technik gegenüber in den Dramen Tollers einfach mit Verweis auf die im lebensideologischen Denken angelegte Ambivalenz der Technik bzw. dem Kapitalismus gegenüber zu erklären? Sollte man diese Erklärung akzeptieren, dann könnte es nicht heißen, der Erste Weltkrieg habe einen tiefgreifenden Wandel in der Einstellung zur Technik unter den Expressionisten verursacht. Allenfalls könnte man behaupten, die Erfahrungen des mechanisierten Kriegs haben die ohnehin bekannten negativen Aspekte der Technik lediglich mehr in den Vordergrund gerückt, und es ist sicherlich etwas Wahres daran. Die früher festgestellte eindeutige Korrelation zwischen Technik und Krieg in Die Technik im Drama des Expressionismus 79 Tollers und auch in Kaisers Dramen wäre hier zu erwähnen. Aber obwohl bei Toller die Technik mit Krieg korreliert wird, ist dies nur ein Teilaspekt der Darstellung der Technik in Tollers Dramen, so wie der Krieg in Die Wandlung nur ein Teil der negativen Erlahrung von Friedrich ist. Nicht zufällig ist die Schlüsselszene der Wandlung die Szene in der großen Fabrik. 4 Mit anderen Worten, die entscheidende Technikerlahrung in Tollers Dramen ist die Erlahrung der kapitalistischen Großindustrie und nicht des Krieges, und dies gilt auch für Klrisers Gas I. Die Technik fungiert also bei Toller, wie auch bei Kaiser, als Signifikant der modernen kapitalistischen Industriegesellschaft und des modernen militaristischen Staats. Wenn die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die Technikauffassung Tollers und anderer Expressionisten also nicht überschätzt werden darl, so ist auch festzustellen, daß in den Dramen Tollers und anderer Spätexpressionisten, die gegen Ende bzw. nach dem Krieg verlasst worden sind, eine von der Lebensideologie gespeiste Technikbegeisterung völlig fehlt. Die ambivalente Haltung der Technik gegenüber in Tollers Dramen hat also andere Gründe als die Ambivalenz zum Beispiel in Sorges Der Bettler. Vielmehr ist meines Erachtens die Ambivalenz in Tollers Dramen auf die Technikdebatte innerhalb des Marxismus zurückzuführen. Und hierist der Name Gustav Landauer von zentraler Bedeutung, der ja bekanntlich einen großen Einfluß auf Toller aber auch andere Expressionisten ausübte (hierzu ter Haar 1977: 120-151). In Landauers Aufruf zum Sozialismus (erste Ausgabe 1911) findet man die gleichen negativen Merkmale gegenüber der Technik wie in Tollers Dramen. Hier wie da wird die Entfremdung der Arbeiter in der Fabrik, die "Entmenschlichung" (Landauer 1919: 91), die dadurch verursacht wird, betont. So heißt es bei Landauer: "Die mit dem Kapitalismus verbündete Technikmacht ihn zum Anhängsel am Räderwerk der Maschine" (Landauer 1919: 91), und es wird bemerkt, daß die Technik die Tätigkeit der Arbeiter "geistlos und tödlich langweilig" macht (Landauer 1919: 85). Bei Landauer findet man auch die gleiche Dämonisierung der Maschine, die als ''unerbittlich" und als "metallner Teufel" (Landauer 1919: 90) beschrieben wird. Die gleiche Metaphorik der Technik als Raubtier wird auch von Landauer verwendet, indem er beschreibt, wie die Arbeiter aus den Fabriken "ausgespieen" werden (Landauer 1919: 51). Er baut auch die in Tollers Dramen beobachtete Opposition zwischen Technik einerseits, und Mensch, Geist, Natur andererseits, auf. Schließlich wird die Tödlichkeit der Technik für die Menschen auch von Landauer betont: "Die Grenzen der Technik [... ] sind über die Grenzen der Menschheit hinausgegangen. Es kommt nicht einmal auf Leben und Gesundheit der Arbeiter viel an" (Landauer 1919: 91). Der Kern von Landauers Überlegungen zur Technikfrage liegt aber in seiner Ablehnung der Marxistischen Technikauffassung. Landauer warl den Marxisten vor, daß sie die Technik· als Motor des Kapitalismus betrachten, die zwangsläufig zur Krise des Kapitalismus und schließlich zur sozialistischen Revolution führen werde. D.h. "Marx prophezeite aus dem Dampf' (Landauer 1919: 48) und. sei letztendlich von der Technik fasziniert. Landauer hingegen war der Auffassung, daß nicht die Logik des von der Technik gespeisten Kapitalismus zur Revolution führen würde, sondern nur der Geist einen wahren Wandel herbeiführen könne: "Keinerlei Fortschritt; keinerlei Technik, keinerlei Virtuosität wird uns Heil und Segen bringen; nur aus dem Geiste, nur aus der Tiefe unsrer inneren Not und unsres inneren Reichtums wird die große Wendung kommen, die wir heute Sozialismus nennen" (Landauer 1919: 11). Dennoch war Landauer kein einfacher Gegner der Technik. Er war der Meinung, daß im Sozialismus die Technik im Dienste der Menschen stehen würde, vorausgesetzt, die geistige Wandlung habe vorher stattgefunden. So stellt er fest: 80 Karl Leydecker Die Marxisten und die Arbeitermassen, die unter ihrem Einfluß stehen, lassen ganz außer Acht, wie gründlich sich in dieser Hinsicht die Technik der Sozialisten von der kapitalistischen Technik unterscheiden wird. Die Technik wird sich in einem .Kulturvolk ganz nach der Psychologie der Freien, die sich ihrer bedienen wollen, richten müssen" (Landauer 1919: 91-92). Konkret heißt es, es müsse eine Verkürzung der Arbeitszeit geben (Landauer 1919: 92), und einer Rückkehr zur "Ländlicbkeit [ ... ] und zu einer Vereinigung von fudustrie, Handwerk und Landwirtschaft" (Landauer 1919: XVI). Also kann man Landauers Verhältnis zur Technik als eher negativ, aber dennoch ambivalent charakterisieren, denn er, und nach ihm Toller, sieht das positive Potential der Technik, wenn auch nur in der Zukunft. Diese Ambivalenz hat eine auffällige Ähnlichkeit mit der in Tollers Dramen und hat nichts mit der Faszination durch Technik zu tun, die in dem von der Lebensideologie inspirierten Frühexpressionismus noch vorhanden war. Also vollzieht sich tatsächlich ein Wandel in der Darstellung der Technik im expressionistischen Drama um die Zeit des ersten Weltkriegs, jedoch liegen die Gründe dafür nicht einfach in der Kriegserfahrung der expressionistischen Dichter. Die vitalistische Technikbegeisterung verschwindet, die Tödlicbkeit der Technik rückt mehr in den Vordergrund, aber die Einstellung zur Technik bleibt ambivalent, wenn auch diese Ambivalenz jetzt andere Gründe hat als in den Jahren vor dem Krieg. Anmerkungen Über Nicht-Leben in der Literatur der Frühen Modeme siehe Wünsch 1983 und Lindner 1994. 2 Vgl. die.Beobachtung von Kirn, die in ihrer Analyse von Tollers Die Wandlung die gleiche Assoziation von Technik bzw. Industrie mit dem Staatssystem festgestellt hat: "das Fabrikmotiv [kommt] für das Staatssytem oft vor" (Kirn 1999: 100). 3 Zum Bildungsbürgertum siehe Vondung (ed.) 1976. 4 Über die Konstruktion von Die Wandlung siehe die überzeugende Analyse von Kirn 1999: 18-105. 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Lindner, Martin 1994: Leben in der Krise: Zeitromane der Neuen Sachlichkeit und die intellektuelle Mentalität der klassischen Modeme: mit einer exemplarischen Analyse des Romanwerks von Arnolt Bronnen, Ernst Glaeser, Ernst von Salomon und Ernst Erich Noth, Stuttgart: J. B. Metzler. Richter, Karl und Jörg Schönert (ed.) 1983: Klassik und Moderne: Die Weimarer Klassik als historisches Ereignis und Herausforderung im kulturgeschichtlichen Prozeß, Stuttgart: Metzler. Segeberg, Harro 1987a: Literarische Technik-Bilder. Studien zum Verhältnis von Technik- und Literaturgeschichte im 19. undfrühen 20. Jahrhunderl, Tübingen: Niemeyer. Die Technik im Drama des Expressionismus 81 Segeberg, Harro (ed.) 1987b: Technik in der Literatur: Ein Forschungsüberblick und 12 Aufsätze, Frankfurt am Main: Suhrkamp. ter Haar, Carel 1977: Ernst Toller: Appell oder Resignation? , München: tuduv. Toller, Ernst 1978: Gesammelte Werke, ed. John Spalek und Wolfgang Frühwald, 5 Bände, München: Hanser. Vondung, Klaus (ed.) 1976: Das wilhelminische Bildungsbürgertum: Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Wünsch, Marianne 1983: "Das Modell der» Wiedergeburt« zu »neuem Leben« in erzählender Literatur 1890-1930", in: Richter und Schönert (ed.) 1983, 379-408. Zech, Paul 1924: Das Rad: Ein tragisches Maskenspiel, Leipzig: Schauspiel-Verlag (geschrieben Sommer 1918).