eJournals Kodikas/Code 25/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2002
251-2

Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung

61
2002
Regula Fankhauser
kod251-20027
Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung Regula Fankhauser Die “Atalanta fugiens” - eines der schönsten alchemistischen Emblembücher der Frühen Neuzeit. Unter dem Titel “Atalanta fugiens, hoc est emblemata nova de secretis naturae chymica” erscheint 1618 in Oppenheim ein Buch, in dem der Alchemiemediziner Michael Maier gemeinsam mit dem Stecher Matthaeus Merian das alchemistische Lehrgebäude als formvollendeten Kosmos präsentiert. Fünfzig Embleme, gefolgt von einem erklärenden Diskurs und in der ursprünglichen lateinischen Fassung 1 begleitet von einem musikalischen Fugensatz, führen den Leser und Betrachter in die Welt der Alchemie ein; in üblicher, wenn auch nicht gattungsrelevanter Dreiergliederung bestehend aus zusammenfassendem Motto oder inscriptio, visualisierender pictura 2 und präzisierender subscriptio stellen die Embleme die für die Alchemie entscheidenden Prinzipien, Prozessstufen und Verfahrensweisen dar und greifen zu diesem Zweck auf die bekanntesten Darstellungsmittel der Epoche zurück. Emblematischer Vermittlungsmethode bedient sich auch der jedem Emblem nachgestellte Discursus; getreu emblematischer Gattungsspezifik vereinigt er die Darstellung einer res significans, also einem Sachverhalt, der Zeichencharakter hat, mit deren Auslegung und bleibt, was die Schlussfolgerung anbelangt, offen. 3 Inhaltlich orientiert sich die “Atalanta” sowohl an der alchemistischen Tradition und deren einschlägiger Literatur wie auch an den Themen der Emblemliteratur. Der Zitatcharakter, der die Alchemie wie deren Geschichtsschreibung dominiert und für viele ihrer Probleme verantwortlich zu machen ist, zeichnet auch Maiers Werk aus; die Zitate, die er kompiliert - in den meisten Fällen als solche ausgewiesen -, sind denjenigen alchemistischen Quellen entnommen, die um 1600 Standard sind und in den Sammelausgaben dieser Zeit auch immer wieder veröffentlicht werden. 4 Daneben greift Maier regelmässig, wenn auch kursorisch auf Platon und Aristoteles und auf einzelne Bücher der Bibel, vorzugsweise das Buch K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 25 (2002) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Regula Fankhauser 28 Salomon zurück. Das Einbringen von medizinischen Kenntnissen und breitem enzyklopädischem Wissen, dessen Herkunft allerdings selten expliziert wird, und die bevorzugte Stellung der griechisch-antiken Mythologie entsprechen den gattungstypischen Merkmalen der Emblematik. Das Emblem, das hier nun zur Diskussion gestellt werden soll, erscheint im letzten Teil der Sammlung als Nummer 39. Die res significans, die dargestellt und ausgedeutet wird, ist der antike Mythos von Oedipus und der Sphynx. Die inscriptio beschränkt sich dabei auf eine kürzelartige Inhaltsangabe des Mythos, die subscriptio ergänzt das Motto um den für das Emblem zentralen Wortlaut des Rätsels, das die Sphynx Oedipus vorgelegt haben soll. Der Discursus nimmt sich eine doppelte Auslegung der res vor: in einer komplizierten und verschachtelten Argumentation baut er zwei verschiedene Deutungsebenen auf, die übereinandergelegt eine Art alchemistischen Methodendiskurs bilden. Und das Ikon schliesslich visualisiert einerseits den verbalen Text - also den antiken Mythos und dessen doppelte Auslegung - und fügt diesem andererseits noch ein neues Moment hinzu, indem es durch seine spezifische Bildsprache eine selbständige Erörterung gestaltet, die man als dritte Deutungsebene bezeichnen könnte. Das Textganze des Emblems konstituiert sich also als Resultat eines komplexen Verweisungszusammenhangs zwischen verbalem und visuellem Text. 5 Ein Verweisungszusammenhang, der meines Erachtens evidenziert, worum es beim Emblem als Gattung vorrangig geht. Ohne an dieser Stelle auf die ausführliche Gattungsdiskussion in der Emblemforschung eingehen zu wollen, ist es doch notwendig, kurz die zentralen Kriterien, die das Emblem meiner Meinung nach ausmachen und seine Definition ermöglichen, anzusprechen. 6 Auch wenn es nicht darum gehen kann, einen emblematischen Idealtypus bestimmen zu wollen, so müssen doch gattungsspezifische Merkmale gegeben sein, damit von emblematischer Kunst gesprochen werden kann: es sind dies zum einen die Kombination von Verrätselung und Deutung oder von Repräsentation und Interpretation, und zum anderen die synthetisierende Form, d.h. die Verbindung von visuellen und verbalen Zeichen, die das Emblem als Glied der “pictura-poesis-Tradition” ausweisen. Die Verbindung von Wort und Bild, von verbalem und visuellem Text, aus der vielfältige Interferenzen und Korrelationseffekte entstehen, ist für die Komplexität der emblematischen Kunst massgebend. Die Verschränkung von visuellem und verbalem Code ergibt ein Ineinanderspiel von Wahrnehmung und Lektüre und konstituiert die komplizierte Gesamttextur der emblematischen Darstellung. Wenn bestimmte Bedeutungsmomente des visuellen Textes erst durch Hinweise im verbalen Text erschliessbar werden, so eröffnet umgekehrt der verbale Text erst seine ganzen Deutungsmöglichkeiten durch Akzentuierungen im visuellen Text. Auch die Frage nach der Dominanz eines Ausdruckscodes über den anderen - ideelle Priorität des Bildes oder des Wortes? - erübrigt sich letztlich, wenn man in Anlehnung an die semiotische Theorie zwischen denotativen und konnotativen Bild-Text-Elementen einerseits und zwischen den verschiedenen Funktionen der linguistischen Botschaft andererseits unterscheidet: im Falle des Emblems haben wir es zum einen mit einer Kombination von konnotativer visueller mit konnotativer linguistischer Botschaft und zum anderen mit zwei verschiedenen Funktionen, die die linguistische Botschaft im Verhältnis zur visuellen ausübt, zu tun. Die beiden nach Barthes 7 grundsätzlichen Funktionen der Verankerung und der Korrelation werden im Emblem miteinander kombiniert. Bezieht man nun diese Ueberlegungen auf die spezifische Struktur des zur Diskussion stehenden Emblems, so lassen sie sich wiefolgt präzisieren: das Ikon, d.h. Merians Kupferstich, wird in seiner Polysemie vorerst von Inscriptio und Subscriptio eingeschränkt und als Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung 29 Mythos identifiziert oder eben “verankert”. Dass es sich bei den Bildfiguren um den antiken Mythos von Oedipus handelt, wird erst durch den verbalen Text, der das Ikon einrahmt, lesbar, die Repräsentation der res significans erst durch verbale Ueberschriftung des Bildes bewerkstelligt. Die Interpretation dieser res dagegen verläuft gewissermassen in einer umgekehrten Bewegung: vergleicht man nämlich den zweiten verbalen Textteil, d.h. den discursus, mit dem Ikon, so wird deutlich, dass das Ikon eine Art semantische Erweiterung vornimmt. Es visualisiert nämlich nicht nur die beiden Deutungen, die der discursus entwickelt, sondern ergänzt diese um eine zusätzliche eigene. Das Ikon ist deshalb um diese letzte Deutungsebene komplexer als der discursus; seine Komplexität aber erhält es nur im Verweis auf den verbalen Text. Die Komplexität des Visuellen resultiert - dies die Schlussfolgerung - aus der Korrelation zwischen Visuellem und Verbalem. Deutungsebene I: Das alchemistische Opus Auf einer ersten und vom Autor explizit intendierten Deutungsebene, die der Discursus entwickelt, wird der Mythos von Oedipus und der Sphynx als Allegorie des alchemistischen Werks ausgelegt. Die Deutung setzt dort ein, wo der Autor auf das Rätsel der Sphynx und dessen Bedeutung zu sprechen kommt. Das Rätsel ist bekannt, ebenso seine landläufige Auflösung: Was morgens auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen läuft, ist der Mensch. Dieser gängigen Deutung der Lebensalter hält Maier die alchemistische entgegen: das Vierfüssige meint die Lehre der vier Elemente, das Zweifüssige die Hemisphäre mit ihrer geraden und krummen Linie und das Dreifüssige die Dreiprinzipienlehre von corpus, spiritus und anima oder Sol, Luna und Mercurius. Analysiert man die Prioritäten in dieser Deutung, so fällt ins Auge, dass die Zahl und nicht die logische Abfolge innerhalb eines gegebenen zeitlichen Rahmens wie in der bekannten Deutung der Lebensalter ausschlaggebend ist. Die Vier und die Drei sind innerhalb eines alchemistischen Deutungshorizontes unmissverständlich - der Bezug zu einem anderen Emblem (Nr.21) ergänzt überdies die in Nr. 39 gegebene Bedeutung der Drei um die wichtigen Aequivalente der Farbbzw. Prozessstufen: Corpus entspricht der Schwärze Saturns, was gleichbedeutend ist mit der moritificatio oder putrefactio, d.h. der formalen Auflösung, Spiritus der Weisse Lunas, also der sublimatio oder Reinigung, und Anima der Gelbe Citrinus, d.i. der fixatio oder coagulatio, der zweitletzten Prozessstufe vor der vollendenden und das Werk abschliessenden Rötung. Die Zwei nun deutet Maier etwas überraschend und durchaus nicht dogmenkonform als Hemisphäre und/ oder Luna; wenn man aber von der Betonung der geraden und krummen Linie, einem für die Geometrie grundlegenden Gegensatz ausgeht, so kann man auch hier die Dualität als wichtigstes alchemistisches Prinzip erkennen. Die Deutung allerdings wirkt forciert, wenn man bedenkt, dass die Sukzession, die im Rätsel zentral ist, aufgegeben wird. Denn: alchemistisch richtig wäre die Reihenfolge anders: aus der vereinigten Dualität entspringen die vier Elemente als qualitative Ausformung der Materie und erst von hier aus ergibt sich die Drei als eine durch den alchemistischen Prozess erreichte höhere Komplexitätsstufe. 8 Die Reduktion der im Mythos gegebenen Prioritäten - Zahl und Sukzession - auf nur eine, ist jedoch methodisch erklärbar und verpflichtet sich der emblematischen Intentionalisierung der Mehrdeutigkeit. Ausgehend von dieser Reduktion in der alchemistischen Auflösung des Rätsels der Sphynx, kann der Autor nun die Fortsetzung der Deutung des Mythos vornehmen. Der Vatermord, den Oedipus an Laios verübt, bedeutet die Beseitigung der Ursache (Vater) Regula Fankhauser 30 durch deren Wirkung (Sohn), oder die Ursache, die in die Wirkung einfliesst und darin aufgeht (der Sohn, der den Vater ersetzt). Angesprochen wird hier - anders als es die Terminologie Maiers nahelegen würde - nicht die Wirkursache, diese wird meist als Vulcanus oder Feuer personifiziert, sondern die formale Ursache, die aristotelische causa formalis. Die als Blutschande bezeichnete Heirat mit der Mutter schliesslich allegorisiert zweierlei, nämlich einerseits die Vereinigung der Gegensätze, also Sol und Lunas, des Männlichen mit dem Weiblichen, Aktiven mit dem Passiven etc., und andererseits die Verbindung des Aehnlichen, wie es seit Demokrit, dem das Theorem zugesprochen wird, Topos geworden ist. 9 Verbildlicht wird das “Simil simili gaudet” oder das “natura natura laetatur” im Motiv des Inzests. Offen bleibt in dieser vom Autor gegebenen Auslegung die Bedeutung der Sphynx. Rückwirkend und mit Blick auf das Ikon bleibt es dem Leser überlassen, diese Deutungslücke zu schliessen. Geht man davon aus, dass Oedipus mit Sol, d.h. dem aktiven männlichen Prinzip gleichgesetzt wird, 10 so muss die Ueberwindung des Untiers, das im Ikon als schlangenschwänziges Monstrum dargestellt wird, als Bemächtigung des materiellen durch das formale Prinzip gelesen werden. Die Sphynx wäre dann die Personifizierung der Urmaterie, alchemistisch der materia prima, die in ihrer Bedeutung als Ausgangs- und Endpunkt sowie als Medium des Grossen Werks meist als Ouroboros, d.h. als Schlange, die sich in den Schwanz beisst, dargestellt wird. 11 Der Discursus jedoch lässt diese Auflösung offen und greift stattdessen auf ein Attribut der Oedipusfigur zurück, um die Allegorese noch einmal neu aufzubauen. Die geschwollenen Füsse Oedipus’, die ihn am schnellen Lauf hindern, die Assoziation mit der Kröte, die als Binde- oder Fixiermittel figuriert, und der Hinweis auf seine Feuerresistenz, mit dem der Discursus endet, verlassen die Linearität der narrativ zusammengefassten Opus-Beschreibung und fügen stattdessen zum Zwecke der erneuten Verhüllung ein attributives Detail an, dessen Auflösung ein “grosses Geheimnuss” bleibt. Abgesehen von diesem eher erzwungenen Schluss erweist sich der Discursus in Bezug auf die erste Deutungsebene, die er anvisiert, d.h. die Vermittlung der Eckpfeiler des alchemistischen Werks, als stimmig und in seiner Intention klar. Getreu emblematischer Darstellungsmethodik baut er eine geeignete res significans, hier den antiken Mythos, in seiner Mehrdeutigkeit auf, um ihn dann hinsichtlich des intendierten Aussageinhaltes zu bündeln, zu deuten und die letzte Konsequenz der Auflösung, hier die Bedeutung des Rätseltiers, dem Adressaten zu überlassen. Die Aussage, bestehend aus verschiedenen Teilaussagen, ist so elementar wie altbekannt. Elementenlehre, Dualitätsprinzip, Corpus-Spiritus-Anima-Theorie, Kausalität und die Vereinigung der Gegensätze als letztes Ziel der Alchemie sind einem alchemistisch belesenen Zeitgenossen Grundlagenwissen, das ihm die Verkleidung in Gestalt eines Mythos mnemotechnisch wiederholen hilft. Genau auf diese Funktion der Allegorese aber konzentriert sich die zweite Deutungsebene, die der Discursus aufbaut. Deutungsebene II: Die Verschlüsselung Der Discursus nämlich setzt nicht mit dem Aufbau der res significans ein, sondern mit einem Zitat aus der “Turba philosophorum” 12 , einem der meistzitierten Texte der Alchemiegeschichte: “Was ihr suchet ist nicht ein geringes / dann ihr suchet den grössten Schatz und das Amt des grossen Gottes.” Und als freie Paraphrase die Fortsetzung: “Ueberleget also O ihr begierige Sucher was längstens die Philosophi geschrieben / die Wahrheit werde nicht ohne Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung 31 Fehl erkannt / ”. Das Thema, das hier eingeführt wird, könnte mit “Suche und Irrtum” umschrieben werden und beruft sich durch das Turbazitat auf die dort formulierte Einsicht, dass Wahrheit nur durch Irrtum erkannt werden könne. Die Fortsetzung der Zitatparaphrase bringt eine genauere Erläuterung dessen, was gemeint ist: wer meint, er habe die Aufgabe gelöst, d.h. das Werk vollbracht, wird sich als Ignorant herausstellen, das Resultat wird ihm unter den Händen zerrinnen und sich als nichts erweisen. Die Textstelle spielt implizit auf den in der Turbaliteratur auftretenden Topos von den “Verkäufern” an. Mit den “Verkäufern” werden dort diejenigen gemeint, die ungeduldig auf Resultate drängen, um Wissen möglichst schnell marktgerecht absetzen zu können. Ihnen fehlt sowohl die richtige Haltung der Erkenntnis gegenüber als auch die Einsicht in das, was sie tun und was sie mit ihrem Tun bezwecken. Der vorrangige Gedanke an den Nutzen und d.h. den ökonomischen Zweck des Wissens verstellt ihnen den Weg zu ebendiesem. Der Zusammenhang zum Irrtum als heuristischer Grösse ist offensichtlich: nur wer geduldig ist und den Prozess der Wissenserarbeitung vorerst resultatunabhängig vornehmen kann, ist auf dem rechten Weg. Geduldiges Studium meint im Kontext der alchemistischen Wissenschaften vorrangig zweierlei: lectio und experientia 13 , d.h. also mehrmaliges Lesen derselben Grundlagentexte und wiederholtes Ausführen derselben Verfahrensweisen. Nur so, dies die Schlussfolgerung, können Fehler überhaupt als solche erkannt werden. Demgegenüber machen die “Verkäufer” nur Fehler, ohne sich dessen bewusst zu sein. Das selbstreflexive Moment, das Theorie wie Praxis begleiten muss, geht solchem Vorgehen ab. Von hier aus wird das Einstiegszitat verstehbar als Appell zu geduldigem Suchen, das sich das Risiko des Irrtums leistet und mühsame Umwege als notwendige Verzögerungen des Erkenntnisgewinns begreift. Das Aergernis des Vorhandenseins von Verkäufern hat aber seit jeher - so die Fortsetzung von Maiers Argumentation - zu Gegenmassnahmen geführt. Wirksamstes Mittel: die Verschlüsselung des Wissens. Der Topos von der “Verdunkelung” benennt das Methodenproblem der Alchemie. Auch er findet sich bereits in der Turbaliteratur, ja einer ihrer Argumentationsschleifen zufolge verdankt sich die Zusammenkunft der Philosophen, von der die “Turba” ja Zeugnis ablegt, der beklagten Dunkelheit der alchemistischen Literatur und dem Ansinnen, terminologisch Klarheit zu schaffen. Kritisiert werden die sogenannten “Neider”. Diese verhalten sich spiegelbildlich zu den “Verkäufern”: wenn die “Verkäufer” Wissen nur im Hinblick auf dessen prestigeträchtige und gewinnbringende Veröffentlichung betrachten, so gilt den Neidern die Erkenntnis als Privateigentum, das eifersüchtig geschützt werden muss. Die absichtliche Verdunkelung ihrer Rede ist also eine Taktik, die gleichzeitig vom eigenen Wissensvorsprung zeugt, ohne dass dieser in seinem Inhalt preis gegeben werden müsste. Diese rhetorische Geheimnistuerei der “Neider” wird in der “Turba” einerseits hart kritisiert - insofern nämlich, als die terminologische Verwirrung reiner Selbstzweck ist und ausschliesslich den Interessen der “Neider” dient. Andererseits aber - und darin zeigt sich die ambivalente Haltung, die die Alchemisten dieser Frage gegenüber einnehmen - ist ein gewisses Mass an Verdunkelung gerade angesichts der “Verkäufer” und ihrem schonungslosen Zugriff auf das Wissen notwendig. Die kryptische Codierung schiebt schneller Aneignungspraxis einen Riegel vor und zwingt, dies die Pointe, den Adepten zum Erlernen eines Codes und zum geduldigen Suchen nach der verheissenen Wahrheit. Der alchemistische Code nun, bestehend aus allegorischen Decknamen, funktioniert nach einem so einfachen wie verwirrenden Prinzip: der Vielfalt der Namen entspricht die Einfachheit der genannten Sache. Die wuchernde Decknamenpraxis hat also letztlich einen didaktischen Wert: die immer wieder neuen Namen für die gleiche Sache überlisten den Adepten, die als notwendig statuierte Wiederholung wird als solche nicht erkannt und willig nachvollzogen. Regula Fankhauser 32 Dies ist also der diskursgeschichtliche Hintergrund, der es nun erlaubt, Maiers Fortgang der Argumentation zu verstehen. An dieser Stelle nämlich, hier wo es um die notwendige Verdunkelung der Rede als Schutz vor vorschnellen Zugriffen geht, führt der Autor unvermittelt und ohne vorher auf den antiken Mythos, den das Emblem vorstellt, einzutreten, die Sphynx als Personifikation für kryptische Rede ein. Losgelöst vom griechisch-mythologischen Kontext erscheint die Sphynx im Zusammenhang altägyptischer Priesterweisheit als Altarfigur, die “das Heiligthum in seiner Bedeutung darstellete”, 14 d.h. als personifizierte Verschlüsselung sakralen Wissens und Schutz vor dessen Profanisierung. Analog zum anderen, griechischen Ueberlieferungszweig, ruht sie in den weisen Büchern “wie ein Wächter vor der Thebaner Thore”. Hier nun scheint es dem Autor geboten, eventuelle Missverständnisse auszuräumen: der allegorische Charakter des Tiers wird in aller Deutlichkeit betont und Maier lässt es sich nicht nehmen, jegliche Deutung nach dem “sensus litteralis”, also nach dem eigentlichen Wortsinn als kindisch zu bezichtigen. Mehr noch: durch das Wörtlich Nehmen und das Erklären “nach dem Buchstaben” werden die “allerherrlichsten Wissenschaften zu Mährlein und Gedichten”, das Kleben am Buchstaben also verkennt den Verweischarakter allegorischer Rede und verstellt sich dadurch den Weg zu adäquater Wahrheitserkenntnis. Deshalb die apodiktische Klarstellung: “Der Philosophische Sphynx hat eine menschliche Stimm gehabt und Griechisch geredt.” Hier also wird griech.-alchemistische Literatur als Grundlage definiert, in denen sich der Adept auskennen muss. Demjenigen, der im Lesen dieser Texte erfahren ist, sie also wieder und wieder gelesen hat, werden die allegorisch-dunklen Stellen kein Hindernis sein. Die allegorische Redensart, in der etwas gesagt wird und etwas anderes gemeint wird, fallen seinem Verständnis nicht nur leicht, sondern werden von ihm als notwendig erkannt. An dieser Stelle endet die zweite Deutungsebene und der Discursus geht in die erste, d.h. die Allegorese des alchemistischen Werkes über. Fassen wir zusammen: Res significans dieser zweiten Deutungsebene ist die Sphynx; ihre Bedeutung die alchemistische Wissenscodierung. Eine Prioritätenanalyse dieses auch als “Monstrum” 15 bezeichneten Fabelwesens ergibt drei Merkmale, nämlich die Rätselrede, die Wächterfunktion und die Bedrohung, die als Codifizierungstechnik, Selektionsmechanismus und Irrtum 16 gelesen werden können. Oedipus bleibt auf dieser Ebene der Deutung die offene Stelle, deren Bedeutung der Leser selbständig erschliessen muss. Gemäss des aufgebauten Deutungsrasters kann Oedipus nur als Personifikation der sinnerschliessenden Lektüre selbst gelesen werden. Er wäre dann der geübte Leser, der den Code knackt, in der zweideutigen, d.h. allegorischen Rede deren Sinn entziffert und damit als Eingeweihter nicht nur in die alchemistische Gemeinschaft Aufnahme findet, sondern auch dem Geheimnis des alchemistischen Werks auf die Spur kommt. 17 Deutungsebene III: Die verschlossene Stadt Die komplexe Verschachtelung von zwei verschiedenen Deutungsebenen, die der Discursus vornimmt, potenziert sich nun zusätzlich, wenn man die emblematische Bilddarstellung, d.h. den Kupferstich Merians betrachtet und mit der Lesart des Discursus konfrontiert. Auffällig ist zunächst einmal die zirkuläre Anordnung, die die verschiedenen Stationen des Mythos in eine kreisförmige, im Gegenuhrzeigersinn zu lesende Abfolge bringt. Auffällig ist überdies die deutliche Aufteilung der Bildfläche in Vordergrund und Hintergrund über das Mittel der Grössenverhältnisse und der gezielte Einsatz der Fluchtperspektive. Den mittleren Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung 33 Vordergrund und damit fast die Hälfte der gesamten Bildfläche besetzen drei Figuren, die unschwer als Darstellung des landläufigen, von Maier aber als falsch verworfenen Rätselsinns zu erkennen sind. Ein auf allen Vieren kriechendes, nacktes Kleinkind, ein kräftiger, auf beiden Beinen stehender Erwachsener und ein am Stock gehender Greis dominieren in augenfälliger Weise den Bildinhalt. Der Stecher setzt also die von Maier als verfehlt abgetane Lösung der drei Lebensalter an prominente Stelle, kennzeichnet die Figuren aber auf der Stirne mit einem geometrischen Zeichen, das als signum für die alchemistisch “richtige” Auslegung steht. Obschon sich die Figurengruppe im Vordergrund in die kreisförmige Anordnung einfügt, beansprucht sie durch das den Personen beigefügte Kennzeichen doch eine Sonderstellung. Im Unterschied nämlich zu den anderen Figuren und Figurengruppen wird hier die Zweideutigkeit auf der Ebene der Bildsprache explizit thematisiert und visualisiert. Die Stationen im Hintergrund bleiben mimetische Illustration der res significans, d.h. des Mythos von Oedipus und der Sphynx. Deren doppelte Uebertragbarkeit wird erst durch den Discursus und die darin entfalteten beiden Deutungsebenen eröffnet. Dagegen jedoch nimmt die bildnerische Darstellung des Rätselsinns die doppelte Bedeutung in die Bildebene hinein. Der mimetisch-abbildlichen Wiedergabe der drei Lebensalter gesellt sich die als signitives Kürzel dargestellte alchemistische Lösung hinzu. Beide gleichberechtigt vereint in einem Bildgegenstand 18 . Die Bildaussage dieser Dreiergruppe im Vordergrund ist also die Doppeldeutigkeit selbst, auf der jede Allegorese gründet. Damit verfolgt dieses Bild methodisch und darstellerisch ein grundsätzlich anderes Verfahren als sonst in der “Atalanta” üblich. In der Mehrzahl der Abbildungen nämlich beschränkt sich Merian darauf, die res significans, d.h. die alchemistische Allegorie, darzustellen und die Auflösung entweder dem Epigramm oder dem Discursus zu überlassen. Hier aber thematisiert er das Medium der Aussagenvermittlung selbst und macht das Thema von Verrätselung und Deutung zur inhaltlichen Mitte seines Bildes. Diese Bildabsicht gewinnt zusätzlich an Plausibilität, wenn man den perspektivischen Fluchtpunkt ins Auge fasst: genau hinter und oberhalb der Dreiergruppe, in der Verlängerung der Diagonalen, befindet sich die Sphynx, als Ausgangs-, Durchgangs- und Endpunkt des alchemistischen Prozesses und als Allegorie alchemistischer Verschlüsselung sinnfällig ins perspektivische Zentrum des Bildes gesetzt. Zwischen ihr und der Dreiergruppe schweift also das Auge des Betrachters hin und her, die dazwischen radial angeordneten Oedipus-Szenen bleiben vergleichsweise sekundär. Beachtet man schliesslich die unterschiedliche Blickrichtung der Figuren, so wird nicht nur die zeichentheoretische Bedeutung, sondern auch die rhetorische Geste des Bildes offensichtlich: die Sphynx nämlich richtet als einzige Figur des Bildes ihren Blick direkt zum Bildbetrachter; alle anderen Figuren sind sich entweder über die Richtung des Blicks symmetrisch gegenübergestellt oder aber richten ihren Blick aus dem Bild hinaus (so bei der Lebensaltergruppe). Einzig die Sphynx fasst den Bildbetrachter über den ganzen Bildinhalt hinweg direkt ins Auge - er also ist der Adressat des Rätselspruchs. Der Blick des Betrachters, der durch denjenigen der Sphynx gelenkt wird, konstituiert über die bildkompositorisch vorgegebene Verbindung zwischen perspektivischem Mittelpunkt (Sphynx, d.h. Rätselspruch) und Bildvordergrund (Lebensaltergruppe, d.h. Rätselsinn) die Rotationsachse, um die herum die zirkuläre Anordnung der Oedipus-Allegorie kreisen kann. Der geschlossene Kreis steht auf der ersten Deutungsebene natürlich für die alchemistische Idee der Metallumwandlung, die analog dem natürlichen Prozess von Werden und Vergehen als zyklische Metamorphose verstanden wird. Die Sphynx als personifizierte Materia prima ist hier als Ausgangspunkt zugleich Durchgangs- und Endpunkt der Umwandlung. Auf der zweiten Deutungsebene, der Ebene der figürlich dargestellten Allegorese, verbildlicht der Regula Fankhauser 34 Kreis den selbstreferentiellen Prozess der unendlichen Auslegung, wo jeder aufgedeckte Sinn seinerseits wieder Zeichen für einen weiteren werden kann oder wo jedes Zeichen gleichzeitig Inhalt und Verweis sein kann. Ueber das Mittel des gelenkten Blicks zieht das Bild also den Betrachter in den Bildinhalt und dessen Aussage mithinein. Die rhetorische Aufforderung, die an ihn ergeht, beschränkt sich in unserem Beispiel nicht darauf, das Dargestellte mit Hilfe des Textes zu deuten, sondern vielmehr, Einsicht in die Bedingungen des Deutungsprozesses zu gewinnen. Die Mehrdeutigkeit, die der Discursus gerne in eine eindeutig richtige alchemistische Lesart überführen möchte, wird hier bildgerecht inszeniert. Die dritte Deutungsebene, die das Ikon aufbaut, zielt also auf das Offenlegen der Bedingungen und des Selbstverständnisses alchemistischer Erkenntnis: sie ist Lektüre, d.h. Interpretation, und sie ist dies nur, solange die Mehrdeutigkeit nicht in einem Sinn aufgehoben oder kurzgeschlossen wird. Von hier aus wird das letzte Moment, das sich im Ikon abzeichnet, erkennbar. Der Diskurs der Alchemie ist ein Wahrheitsdiskurs, d.h. ein Diskurs, der unablässig um die Wahrheitsfrage kreist. Diese Tatsache hat Merian im Emblem 39 der “Atalanta fugiens” unübersehbar gemacht - als Stadt im Hintergrund. Bei dieser Stadt nun handelt es sich keineswegs um eine Vedute, die als Bildhintergrund und malerische Einbettung des Bildinhalts dienen würde, sondern um einen wichtigen Teil des Inhalts selbst. Die Stadt hat signitiven Charakter: dominierendes Merkmal sind die geschlossenen Tore und damit der abweisende Charakter. Alle andern Stadtansichten in der “Atalanta” werden in irgendeiner Form geöffnet, gebrochen und aufgelockert, sei dies durch Brücken, Zufahrtswege oder ausufernde Stadtränder und Ruinen. All dies fehlt hier. Prioritär an dieser Stadtansicht ist ihre Verschlossenheit. Die verschlüsselte Botschaft, auf die die verschlossene Stadt hinweisen soll, wird hier wörtlich genommen, die Metapher vom Verschlüsseln auf ihren Wortsinn zurückgeführt und zum Gegenstand der Abbildung gemacht. 19 Der wahre Sinn des Textes, seine eigentliche, von Gott in ihm niedergelegte Bedeutung, bleibt verschlossen. Dagegen muss auffallen, dass sich das allegorische Spiel von Verschlüsseln und Entschlüsseln vor den Toren der Stadt abspielt. Hier entfaltet sich der gelehrte Umgang mit den Zeichen, hier werden Texte kompiliert, gelesen und gedeutet, hier wird jeder Kommentar wieder zu einer neuen auszudeutenden Schrift, Kommentar des Kommentars. Ein Reigen, der von seinem ursprünglichen Text, seiner Wahrheit hermetisch abgekoppelt bleibt. Durch die bildkompositorische Anordnung und die deutliche bildnerische Formensprache wird klar, worum es dem Stecher geht: um die Betonung des Hermetischen - die verschlossene Stadt - und um die Markierung der Verdoppelung, als die der Zeichenprozess erscheint und dadurch zu einer Chimäre wird: die kreishafte Figur nämlich, die die allegorischen Episoden bilden, wiederholt noch einmal die kreisrunde Stadtbefestigung, aber ohne sich mit ihr zu berühren. Merians Stich legt so vor dem Betrachter eine eigenständige Erörterung aus. Das “argumentum” 20 des Bildes unterläuft die verbale Aussage des emblematischen Diskursus, der die alchemistische Sinnerschliessung als Inbesitznahme eines geistigen Territoriums definiert und behauptet, dass der alchemistisch geschulte Leser problemlos den Wächter “Dunkelheit” in den Texten überwinden werde. Die visuelle Botschaft dagegen ist komplexer: durch die offensichtliche Trennung von verschlossener Stadt und alchemistischem Figurenreigen und durch die Spiegelung der kreisrunden Befestigung im Zirkel der alchemistischen Deutung wird das vielleicht zentralste Moment der frühneuzeitlichen Alchemiegeschichte hervorgehoben und veranschaulicht: die alchemistische Rede vom Geheimnis des Grossen Opus und Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung 35 seinem Ziel, der Transmutation, ist nichts anderes als Inszenierung dieses Geheimnisses, d.h. Vergegenwärtigung eines Geheimnisses als Rede. Damit kennzeichnet die ikonische oder dritte Deutungsebene den epistemologischen Ort, von dem aus die Alchemie der frühen Neuzeit zu verstehen ist. Mit Foucault 21 ist daran zu erinnern, dass sich um 1600 eine Form der Episteme von einer anderen ablöst: auf eine Epoche, in der sich das Wissen als Semiose und Hermeneutik konstituiert, folgt das klassische Zeitalter mit seinen neuen epistemologischen Formen des Unterscheidens, d.h. des Vergleichens nach Mass und Ordnung. Der Moment des eigentlichen Uebergangs erscheint als Moment des Auseinanderdriftens: die Zusammengehörigkeit von Sprache und Welt, von Wörtern und Sachen, die sich in der Renaissance als Signaturbegriff und Lehre von den Aehnlichkeiten ausprägte, beginnt sich zu zersetzen, die Aehnlichkeiten, einstmals Formen des Wissens, werden zu Gelegenheiten des Irrtums und zur Gefahr der Täuschung. Die Existenz eines ursprünglichen Textes, der als Garant göttlicher Wahrheit jedem Uebersetzungsdiskurs und jedem Kommentar als ihm zugrundeliegend angenommen wurde und ihn legitimierte, wird fragwürdig, die Wahrheit einer Erkenntnis, die sich als Interpretation versteht, dadurch problematisch. Die Alchemie nun artikuliert die Frage nach der Möglichkeit eines wahren Diskurses im Transmutationsproblem: die Möglichkeit der Metallumwandlung und insbesondere der Veredelung unedler Metalle zu Gold impliziert nicht nur ein technologisches Vermögen, sondern ebenso eine erkenntnistheoretische Position wie eine ontotheologische Verankerung. Nur so ist erklärbar, warum die Frage nach der Möglichkeit der Goldherstellung weit über die Kreise der Goldmacher, d.h. der Alchemisten hinaus, derart virulent war. Das alte Problem der Geheimwissenschaften, nämlich die Frage, wie sich eine Wissenschaft, deren Gegenstand eine geheime Wahrheit ist, als Wissenschaft verstehen und darstellen kann, führt in der frühen Neuzeit zu der bekannten Aporie, dass der Prüfstein alchemistischen Wahrheitsanspruches, nämlich die Transmutation, einerseits Geheimnis bleibt, weil nur so seine sakrale Anbindung aufrechterhalten werden kann, andererseits Kriterien der Nachprüfbarkeit erfüllen muss, um als Wahrheit öffentlich gelten zu können. Dieser Grundwiderspruch manifestiert sich in der frühen Neuzeit, d.h. im Zeitalter der epidemisch wachsenden Publikationspraxis, als Diskursivierung des Geheimen: als überbordende Rede über das Geheimnis - über das Für und Wider von dessen Möglichkeit, über das Prahlen mit dessen angeblichem Besitz, über das Versprechen, bald in dessen Besitz zu sein, etc.etc. Innerhalb dieser Diskursivierung des Geheimen also ist das Emblem Nr.39 aus der “Atalanta fugiens” zu verorten. Auf der Ebene der emblematischen Darstellung aber bleibt es dem Ikon vorbehalten, den Grundkonflikt zwischen Geheimhaltung und Offenbarung oder zwischen Esoterik und Didaxe, der die frühneuzeitliche Alchemiegeschichte leitmotivisch durchzieht, sinnfällig vor Augen zu führen. 22 Die “dem Kupffer … eingegrabenen Chymische Geheimnuss” 23 , d.h. also das in den Kupferstichen zur Darstellung gebrachte alchemistische Lehrgebäude, erfährt in der visualisierten Form eine metatheoretische Zuspitzung, der verbale Text durch den visuellen eine semantische Erweiterung: erst der visuell codierte Text verrät, was der Verbaltext verschweigen muss, um sich als Diskurs etablieren zu können. Dass nämlich (chymische) Geheimnisse nur dadurch existieren, dass sie in “Kupffer eingegraben” werden, oder allgemeiner: dass es Geheimnisse nur gibt, solange über sie geredet wird. Regula Fankhauser 36 Anmerkungen 1 Ich zitiere im Folgenden aus der deutschen Erstübersetzung von 1708, erschienen in Frankfurt unter dem Titel “Chymisches Cabinet / Derer grossen Geheimnussen der Natur”. 2 Da der Begriff “Bild” aequivok und metaphorisch belastet ist, verwende ich an seiner Stelle wenn möglich den zeitgenössischen Ausdruck “pictura” oder den in der Semiotik üblichen Terminus “Ikon”. 3 Vgl. Warncke 1987, S. 165ff. 4 Vgl. hierzu die Zusammenstellung der Quellen bei Jong; ein Grossteil der zitierten und/ oder kompilierten Literatur ist in der Sammelausgabe der Epoche, der “Artis auriferae quam Chemiam vocant …”, enthalten. Vgl. De Jong 1969, S. 330ff. 5 In Anlehnung an die semiotische Theorie verstehe ich den Begriff “Text” als strukturiertes Ensemble von Zeichen, und zwar unabhängig davon ob es sich um linguistische oder visuelle oder um deren Kombination handelt. Der Verständlichkeit halber unterscheide ich in Zukunft zwischen verbalem Text, d.h. den von Maier verfassten Textstücken der inscriptio, subscriptio und des discursus, und visuellem Text, d.h. dem von Merian gestochenen Ikon. 6 Zur Gattungsdiskussion vgl. den Ueberblick bei Sulzer 1992. 7 Barthes spricht von “ancrage” und “relais”. In: Barthes 1964, S. 44ff. 8 Vgl. hierzu die systematische Darstellung in Emblem Nr.21. 9 Ueberliefert und mehrfach zitiert z.B. in der “Turba”; vgl. Ruska 1931, S. 130. 10 Diese Lesart kann nicht nur mit dem Hinweis auf die hier erläuterte Hochzeit gestützt werden, sondern auch mit einem an anderer Stelle eingebauten Decknamenverzeichnis, das die verschiedenen, in der “Atalanta” immer wieder auftretenden mythologischen Figuren in Aequivalenzreihen gruppiert und so deren allegorische Bedeutung aufschliesst. Hier wird Oedipus mit Sol gleichgesetzt und Jokaste mit Luna. Sol für das aktive Prinzip ist innerhalb des alchemistischen Codes derart verbreitet und ubiquitär, dass es eigentlich nicht mehr als Deckname gelten kann. 11 Die bildnerische Darstellung der Sphynx erinnert allerdings eher an den Basilisk, wie er in den “Hieroglyphica” des Horapollo, einem Grundlagentext der frühneuzeitlichen Alchemie, beschrieben wird: “Und wenn sie Ewigkeit auf andere Weise darstellen wollen, malen sie eine Schlange, deren Schwanz so eingerollt ist, dass er vom übrigen Körper verdeckt wird. Diese nennen die Aegypter in ihrer Sprache Uräus, die Griechen aber Basilisk.” Horapollo 1997, S. 39. 12 Vgl. “Turba philosophorum”, sermo XXXIX, Ruska 1931, S. 146ff. 13 Ausführlich entwickelt im Diskurs zu Emblem Nr.11. 14 Damit wird natürlich gleichzeitig die alchemistische Ursprungslegende in verkürzter und eher allusiver Form mitgeliefert. Zum Mythos von Aegypten als Ursprungsland von Hieroglyphik und Hermetik vgl. Iversen 1961. 15 Monstrum bezeichnet in der Renaissance nicht nur ein unnatürlich-groteskes Fabelwesen, sondern v.a. auch dessen Zeichenhaftigkeit und Verweischarakter. Im Beispiel der Sphynx also die unnatürliche Verbindung von Menschenkopf und -torso und schlangenähnlichem Schwanzteil, der die Sphynx als allegorisches Wesen kennzeichnet. 16 Zwei im Discursus verstreute Bemerkungen spielen auf die negativen Folgen, die der Irrtum neben seinem heuristischen Wert auch haben kann, an. Nichts nämlich bereite den Menschen mehr Kümmernis als “der Fehler dieser Kunst und Arbeit.” Worin diese Kümmernis besteht, verrät eine Stelle etwas weiter unten: “wer nun bey solchem Thier vorüber gieng / durffte sich zwar keiner Gefahr besorgen / er verfiel sich dann in Vorwitz dessen Rätsel auffzulösen / da er / wo ers nicht errathen kunte / in Hertzens-Angst und Verlust seines Vermögens gekommen / so allein aus dem Irrthum dieser Arbeit geflossen.” Hier wird auf die unter Alchemisten weitverbreitete Verschleuderung von Geldern und Vermögen angespielt, die sich als Folge der Suche nach der Metalltransmutation und der damit verbundenen Aufwendung von “Forschungsmitteln” (Laboratorien, Werkzeug, Metalle, v.a. Gold und Silber) ergab. Vgl. dazu Kerschagl 1973. 17 Die Personifikation des Gelehrten als Oedipus ist im 17.Jahrhundert keine Seltenheit und einem belesenen Publikum daher bekannt. Vgl. z.B. folgenden Titel eines Werks des barocken Universalgelehrten Athanasius Kircher, das 1654 in Rom erschienen ist: “Oedipi Aegyptiaci Tomus III. Theatrum Hieroglyphicum (…)”. 18 Es scheint mir wichtig auf die Gleichberechtigung von mimetisch-genauer Abbildlichkeit und signitivem Kürzel hinzuweisen. Eine Gleichstellung, die sich zeitgenössischem Bildsprachenverständnis verdankt. Nur so ist es möglich, dass die geometrischen Zeichen als eigenständige Wiedergabe eines grundsätzlich anderen Bedeutungszusammenhangs und nicht als Attribute zu lesen sind. Vgl. hierzu Warncke 1987, S. 39ff. Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung 37 19 Es handelt sich hier also um die Abbildungsform der “figura”: ein abstrakter Sachverhalt wird dabei als Begriff ganz wörtlich genommen und in seinen eigentlichen Wortsinn zurückübersetzt. Die Anschaulichkeit liegt also nicht in der bildnerischen Darstellung, sondern im Wort - dem metaphorischen Begriff -, das zugrundeliegt. Vgl. ebd. 20 “Argumentum” in doppeltem Sinne: einmal als Gegenstandsrepräsentation, d.h. als Darstellung des Mythos, dann aber v.a. als erörternde Abhandlung. Zum Begriff und seinen kunsthistorischen Implikationen vgl. Warncke 1987, S. 111ff. 21 Foucault 1971, S. 46ff. 22 Ein Grundkonflikt, der im übrigen auch die Emblematik durchzieht und von dem aus die Affinität zwischen alchemistischer Lehre und emblematischer Darstellung verstehbar wird. 23 So Maier in seiner Vorrede zur “Atalanta”. Bibliographie Barthes, Roland: “Rhétorique de l’image”, in: Communications 4, Paris 1964, S.40-51. Foucault, Michel: “Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften“, Frankfurt/ M. 1971. Iversen, Erik: “The myth of Egypt and its hieroglyphs in European tradition“, Copenhagen 1961. Jong, H.M.E. de: “Michael Maier’s Atalanta fugiens. Sources of an Alchemical Book of Emblems“, Janus Suppléments 8, Leiden 1969. Kerschagl, Richard: “Die Jagd nach dem künstlichen Gold: Der Weg der Alchemie“, in: Volkswirtschaftliche Schriften 202, Berlin 1973. Maier, Michael: “Chymisches Cabinet/ Derer grossen Geheimnussen der Natur“, Frankfurt/ M. 1708. Ruska, Julius: “Turba Philosophorum. Ein Beitrag zur Geschichte der Alchemie“, Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaft und der Medizin 1, Berlin 1931. Sulzer, Dieter: “Traktate zur Emblematik. Studien zu einer Geschichte der Emblemtheorien“, St. Ingert 1992. Warncke, Carsten-Peter: “Sprechende Bilder - sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit“, Wolfenbütteler Forschungen 33, Wiesbaden 1987. Weingärtner, Helge (Hrsg.): “Horapollo. Zwei Bücher über die Hieroglyphen“, Kleine Reihe für Kunst, Kunstwissenschaft und Kultur 3, Erlangen 1997.