eJournals Kodikas/Code 25/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2002
251-2

Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten:

61
2002
Karl-Heinrich Schmidt
Thomas Strauch
In diesem Artikel behandeln wir die klassische Metz'sche Syntagmatik zur Analyse von Bewegtbilddaten. Dies geschieht anhand einer empirischen Neuanalyse des von Metz paradigmatisch klassifizierten Films "Adieu Philippine". Wir konzentrieren uns dabei auf die chronologischen Syntagmen der Metz'schen Syntagmatik. Ihre Reorganisation gründet sich im wesentlichen auf die folgenden drei Neuansätze: Wir nutzen im Unterschied zu Metz die semantische Differenz zwischen Denotation und Exemplifikation zur Analyse (filmischer) Bewegtbilddaten. Ferner ist hier für die taxonomische Einordnung einzelner Syntagmen eine Neubehandlung von Raumzeitzusammenhängen entscheidend. Schließlich beschränken wir uns im Unterschied zu Metz nicht nur auf eine Hierarchieebene von Syntagmen. Insgesamt ergibt sich damit eine vollständige Neubehandlung des chronologischen Anteils der Metz'schen Taxonomie und eine vollständige Neuanalyse des zugehörigen empirischen Materials. Ergebnis ist insbesondere auch eine formalisierbare Behandlung filmischer Syntagmen, die auch den Anforderungen neuerer grammatikorientierter Dokumentenbeschreibungssprachen genügt.
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Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten Eine semiologische Reklassifikation der Großen Syntagmatik von Metz (anhand einer Neuanalyse des Spielfilms “Adieu Philippine”) Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch Zusammenfassung In diesem Artikel behandeln wir die klassische Metz’sche Syntagmatik zur Analyse von Bewegtbilddaten. Dies geschieht anhand einer empirischen Neuanalyse des von Metz paradigmatisch klassifizierten Films Adieu Philippine. Wir konzentrieren uns dabei auf die chronologischen Syntagmen der Metz’schen Syntagmatik. Ihre Reorganisation gründet sich im wesentlichen auf die folgenden drei Neuansätze: Wir nutzen im Unterschied zu Metz die semantische Differenz zwischen Denotation und Exemplifikation zur Analyse (filmischer) Bewegtbilddaten. Ferner ist hier für die taxonomische Einordnung einzelner Syntagmen eine Neubehandlung von Raumzeitzusammenhängen entscheidend. Schließlich beschränken wir uns im Unterschied zu Metz nicht nur auf eine Hierarchiebene von Syntagmen. Insgesamt ergibt sich damit eine vollständige Neubehandlung des chronologischen Anteils der Metz’schen Taxonomie und eine vollständige Neuanalyse des zugehörigen empirischen Materials. Ergebnis ist insbesondere auch eine formalisierbare Behandlung filmischer Syntagmen, die auch den Anforderungen neuerer grammatikorientierter Dokumentenbeschreibungssprachen genügt. Gliederung Wir beginnen mit einer kurzen Darstellung (“Einleitung und Methode”) unseres Vorgehens. Dann schließt die eigentliche Analyse mit der Definition der “Einheiten der weiteren Analyse” und der Einführung von “Denotation, Exemplifikation und der Zeitlichkeit von Syntagmen” an. Im Anschluß werden im Abschnitt “Autonome Einstellungen: Planszene und Einfügungen” die Metz’schen ‘Einfügungen’ und die ‘Plansequenz’ behandelt. Dann werden die linearen narrativen Syntagmen der Metz’schen Syntagmatik in den Abschnitten “Die narrativen Syntagmen: Basale narrative Syntagmen” und “Narrative Hierarchisierung” neu klassifiziert. Im Abschnitt “Das sogenannte alternierte Syntagma” behandeln wir dann ausführlich die Metz’schen Probleme mit dieser syntagmatischen Kategorie. Eine die vorstehenden Analysen vervollständigende Behandlung des empirischen Materials erfolgt im Abschnitt “Narrative Reklassifikationen in Adieu Philippine”. In dem Abschnitt “Exemplifikatorische Grenzen einer denotativen Klassifikation” kommen wir zu den Beschränkun- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 25 (2002) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 66 gen unserer Analysemethoden. Der Abschnitt “Das deskriptive Syntagma” behandelt schließlich das in der vorangehenden Argumentation noch fehlende chronologische Syntagma der Metz’schen Syntagmatik. Im “Schluss” wird das ganze denotative Inventar, das zur Klassifikation von Adieu Philippine erforderlich ist, in einer Übersicht zusammengestellt. Einleitung und Methode Seit Mitte der 1960er Jahre veröffentlichte Christian Metz Untersuchungen 1 zum Problem einer Grammatik des Spielfilms. Seine Arbeiten förderten allerdings unterhalb der Einstellungsebene keine kleinsten, diskreten bedeutungstragenden Einheiten zu Tage. Vom “Mikroraum des Films” verlagerte er deshalb sein Interesse auf den “Makroraum des Films” und definierte sogenannte Syntagmen, welche besonders zwei Fragenstellungen behandeln: 1. Fragen der sogenannten autonomen Einstellungen; 2. Fragen der Zusammenfassung von - autonomen und nicht autonomen - Einstellungen zu komplexeren syntagmatischen Formen. Das Ergebnis dieser Arbeit nannte er “Große Syntagmatik des Films”. Diese ist keine formale Grammatik, enthält aber eine Taxonomie, welche auf den ersten Blick recht ansprechend ist 2 . In der theoretischen Weiterentwicklung und der applikativen Filmanalyse führte diese Syntagmatik aber zu vielfältigen praktischen und theoretischen Problemen. Die Metz’schen Bemühungen mögen im Ergebnis heute wenig erscheinen, doch war die Metz’sche Syntagmatik lange Jahre außergewöhnlich erfolgreich im wissenschaftlichen Diskurs, weil sie erstmalig suggerierte, in Form einer Taxonomie Filmsyntagmen im Prinzip vollständig und begrifflich sauber zu erfassen und dabei in Form einer’Wenn nicht dies, dann das’ - Methode einen schnellen und leichten Zugriff auf Filmstrukturen zu ermöglichen. Bald überwogen allerdings die Stellungnahmen zu den Begrenztheiten und Problemen der großen Syntagmatik. Die Diskussion zeigte, dass man mit aus der Linguistik entwickelten Begriffswerkzeugen dem Film zumindest empirisch nicht angemessen beikommen konnte. Möller-Naß hat für den deutschsprachigen Raum eine vorläufig abschließende Kritik der großen Syntagmatik vorgelegt: Er sieht ihren Nutzen eher skeptisch, denn wenn man ihre Schwächen durch weitere Unterteilungen versuchen wolle aufzuheben, so Möller-Naß, verlöre sie das wichtigste Merkmal ihres Charmes: die Einfachheit. Sie sei einfach genug, um sie für didaktische oder analytische Zwecke zu lernen, aber komplex genug, um nicht trivial zu erscheinen 3 . Anders als Möller-Naß und im Anschluß an Colin 4 werden wir den (film-)grammatischen Ansatz im Anschluss an die Große Syntagmatik weiterentwickeln, weil sie für strukturale Untersuchungen nach wie vor einen guten Einstieg bietet und für eine grammatische Sicht für die elektronische Verarbeitung von Dokumenten wesentlich ist. Ausgangspunkt unserer Auseinandersetzung ist die applikative Analyse des Films Adieu Phillipine, 1960 von Jacques Rozier, welche Metz selber als beispielhaft publizierte 5 ! Dabei gehen wir so vor, dass wir die Metz’sche Syntagmatik möglichst “entlang” des Films Adieu Philippine rekonstruieren und anhand des empirischen Materials klassifikatorische Probleme gleich angehen. Vollständigkeitskriterium für unsere Arbeit ist, daß wir alle (! ) Segmente diskutieren, in der wir von der Metz’schen Klassifikation abweichen (und sei es auch nur in Fußnoten). Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 67 Metz und seinen Mitarbeitern lag Adieu Philipine in einer Filmkopie vor. Wir haben den Film in digitaliserter Form vorliegen und zudem in diejenigen Bestandteile zerlegt, welche Metz schriftlich beschrieben hat, so dass wir jederzeit ein in Diskussion stehendes Segment visualisieren können. Dies ist gegenüber der Analyse eines fotomechanischen Films sehr komfortabel, da man sich kritische Stellen jederzeit schnell und problemlos immer wieder ansehen kann. Natürlich kann man in keiner Weise sicher sein, dass diejenige Kopie, welche für Metz und seine Mitarbeiter Grundlage der Analyse war, unserer Kopie des Films entspricht. Unterschiedliche Sichtweisen in der Zuordnung von Syntagmen könnten sich also theoretisch aus der Unterschiedlichkeit von Kopien ergeben. Andererseits entspricht die sprachliche Beschreibung der Syntagmen in der Abhandlung von Metz sehr gut unserer Kopie des Films, so dass wir davon ausgehen, dass wir Editionsfragen vernachlässigen können, zumal wir Metz ja nicht Fehler nachweisen wollen, sondern Probleme diskutieren, an Hand derer man lernen kann, wie man eine möglichst vernünftige Klassifikation zusammenbaut. Für Leser, die die Metz’schen und unsere Aussagen mit dem Filmeindruck vergleichen möchten, zitieren wir die analysierten Segmente in einem Web-Dokument 6 mit den folgenden Inhalten: 1. Einer HTML-Version dieses Textes mit Links auf die Filmsegmente (Videozitat); 2. Einer HTML-Version des Metz’schen Textes mit Links auf die Filmsegmente (Videozitat). Die Nummerierung der Segmente orientiert sich an der Metz’schen Nummerierung. Einheiten der weiteren Analyse Mit ‘Segment’ bezeichnet Metz grundsätzlich jeden Analyseabschnitt, welcher eine zu klassifizierende Einheit darstellt: Ein ‘Segment’ ist also ein Abschnitt, dessen spezifische Klassifikation noch nicht erfolgt ist. Wir übernehmen den Begriff Segment 7 in der Metz’schen Bedeutung. Metz differenziert Segmente in seiner Taxonomie in einem ersten Schritt in ‘autonome Einstellungen’ und ‘Syntagmen’. Eine ‘autonome Einstellung’ bietet nach Metz eine Sinneinheit innerhalb einer ununterbrochenen Einstellung dar, während ein ‘Syntagma’ eine Sinneinheit durch Montage mehrerer Einstellungen zusammensetzt. Diese Differenz von autonomer Einstellung und Syntagma ist fundamental: Im Unterschied zur Wahrnehmung eines Bildkontinuums wird ein Film erst auf der Montageebene zu einem für Betrachter erkennbaren digitalen Symbolschema mit einzelnen Einstellungen als Realisationen von Zeichen. Auf dieser Ebene kann der Sinn eines Syntagmas i.a. nur durch erlernte Kognition, welche zwei oder mehrere Einstellungen zu verbinden weiß, erschlossen werden. Segment Syntagma autonome Einstellung Fig. 1: Primäre Differenzierung nach Metz Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 68 Denotation, Exemplifikation und die Zeitlichkeit von Syntagmen Fundamental für unsere Reorganisation der Metz’schen Klassifikation ist die Einführung der Differenz “denotativ” - “exemplifikatorisch”. Grundsätzlich kann man jede Einstellung und jedes Syntagma denotativ oder exemplifikatorisch analysieren (das “oder” ist dabei natürlich nicht ausschließend, wie wir auch in Einzelanalysen sehen werden). Denotation wird hier im Sinne von Nelson Goodman verwendet: Denotativ verwendete Zeichen “passen als Etiketten auf … alles, was sie darstellen, benennen oder beschreiben” 8 . Mit der Analyse eines Films behandeln wir den Spezialfall der pikturalen Denotation: Diese umfaßt “Abbildung oder Repräsentation, und zwar durch eine Zeichnung, ein Gemälde, eine Skulptur, eine Fotografie, einen Film und so weiter” 9 . Für den filmischen Spezialfall wiederum unterstellen wir hier die Treue der filmischen Abbildung in dem Sinne, dass die aufgenommenen Einstellungen im folgenden Sinne denotativ als “gute Messungen” angesehen werden können: Grundsätzlich (d.h. mit definierten Ausnahmen) herrscht für den Beobachter kein Zweifel über den in einer Einstellung gemessenen Gegenstandsbereich 10 . Ist Denotation Bezugnahme durch ein Etikett auf etwas, worauf es zutrifft, so ist Exemplifikation umgekehrt “Bezugnahme durch einen Einzelfall einer Probe auf ein Etikett, das ihn denotiert 11 . So exemplifiziert “ein Farbfleck auf einer Musterkarte die eigene Farbe und den eigenen Glanz” 12 . Die Differenz “denotativ - exemplifikatorisch” verwenden wir im Unterschied zu Metz als Leitdifferenz zur Analyse von Adieu Philippine. Dabei stellt sich gleich die Frage: Wie verhält sich diese Differenz zu der Zeitlichkeit von Einstellungen und damit zur Metz’schen Leitdifferenz “chronologisch - achronologisch”? Jede filmische Einstellung repräsentiert unvermeidlich auch einen zeitlichen Ablauf im gemessenen Gegenstandsbereich. Dieser Ablauf in den Einstellungen kann auf der Ebene eines denotativen Syntagmas zu einem chronologischen Verhältnis aggregiert werden, muss aber nicht. Ebenso kann eine exemplifikatorische Bezugnahme auf der Ebene der Syntagmen ein chronologisches Verhältnis exemplifizieren, muss aber nicht. Chronologie (“chronologisch - achronologisch”) und Weisen der Bezugnahme (“denotativ - exemplifikatorisch”) sind auf der Ebene der Syntagmen zunächst unabhängig voneinander. Insgesamt ergibt sich ein Vierfeld mit den Achsen “Bezugnahme” und “Zeitlichkeit”, in dem sich die nachstehenden syntagmatischen Klassen der Metz’schen Syntagmatik finden: Bezugnahme Zeitlichkeit denotativ exemplifikatorisch chronologisch Narrative Syntagmen und das deskriptive Syntagma (s.u.) sieht die Metz’sche Syntagmatik nicht vor 13 achronologisch Paralleles Syntagma (s.u) Syntagma mit zusfass. Klammerung (s.u.) Je ein achronologisches und ein chronologisches Syntagma werden gleich in der Exposition des Films Adieu Phillipine von Metz für zwei unterschiedliche Segmente zur Klassifikation benutzt: Ein (sogenanntes) ‘Syntagma mit zusammenfassender Klammerung’ (Segment 1) und eine (sogenannte) ‘gewöhnliche Sequenz’ (Segment 2), welche hier durch eine (sogenannte) Fusion 14 miteinander verbunden sind. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 69 Allgemein ist für Metz ein ‘Syntagma mit zusammenfassender Klammerung’ eine achronologische Abfolge von Einstellungen, welche typische Elemente aus einer bestimmten Realität aneinanderhängt, um visuell einen Begriff zu exemplifizieren. Eine ‘gewöhnliche Sequenz’ ist für Metz eine chronologische Abfolge von Einstellungen, welche ein einheitliches Geschehen darstellen, wobei unwichtige Abschnitte der Handlung elliptisch ausgelassen werden können. Das ‘Syntagma mit zusammenfassender Klammerung’ exemplifiziert im Fall von Adieu Philippine am Anfang des Films den Begriff eines “regen Fernsehbetriebs”. Die Amalgamierung von scheinbar spontan gesehenen Bildern, welche sich einem rhythmischen Gefüge der Musik fügen, dienen der Kreation einer speziellen Atmosphäre. Die anschließende ‘gewöhnliche Sequenz’ denotiert den Gang der Hauptperson Michel durchs Studio, welcher einen Kopfhörer holt, verkürzt durch Weglassen des Unwichtigen. Ein Problem eröffnet aber die Fusion in dieser Sequenz. Formal noch am unkompliziertesten wäre es, wenn die letzte Einstellung des vorangehenden Segmentes die erste Einstellung des nachfolgenden Segmentes wäre. Gleich an diesem Beispiel wird aber deutlich, dass die Fusion sich über mehrere Einstellungen in Form von Protension/ Retension-Verhältnissen erstreckt. Michel agiert in mehreren Einstellungen des ‘Syntagmas mit zusammenfassender Klammerung’ als Kabelhelfer, ohne dass Zuschauer, welche den Film das erste Mal sehen, ihn als eine potentielle Hauptfigur erkennen können. Erst nach der Dialogszene wird für den Beobachter rekonstruierbar, dass Michel, der innerhalb der folgenden Sequenz eindeutig die Hauptrolle spielt, schon innerhalb des ‘Syntagmas der zusammenfassenden Klammerung’ Rhema war, denn wir kennen ihn, den unscheinbaren Kabelhelfer, als nebensächlichen Teil innerhalb eines dynamischen Ganzen: des lebendigen Aufnahme-Sets im Studio. In dem Moment, in welchem er auf Anweisung eines Kameramanns den Set verlassen muss, um eine Botentätigkeit auszuüben, wird er Thema. Was Metz als die Abfolge zweier Syntagmen darstellt, ist ein dichtes Geflecht von Vor- und Rückbezügen, das sich durch die syntagmatische Analysen alleine nicht erschließt. Zunächst lässt sich feststellen: Die (im einzelnen von uns noch zu behandelnden) Klassen ‘Syntagma der zusammenfassenden Klammerung’ und ‘gewöhnliche Sequenz’ lassen sich im Metz’schen Sinne (! ) zur Klassifikation in diesem Beispiel heranziehen, wenn man Probleme der Fusion außen vor lässt. Dies ist auch leicht erklärlich: Fusionen verbinden auch Elemente unterhalb der hier betrachteten syntagmatischen Ebene. Die Metz’sche Klassifizierung des ersten Segmentes durch ein ‘Syntagma mit zusammenfassender Klammerung’ als achronologisches Syntagma ist damit nur dann stichhaltig, wenn man die folgende starke (! ) Annahme 15 macht: Die zugehörigen Einstellungen inklusive der fusionierten “letzten” Einstellung werden unter dem Gesichtspunkt einer exemplifikatorischen Bezugnahme ohne Berücksichtigung von Zeitverhältnissen aufaggreggiert. Wie sich dieses Problem klassifikatorisch einordnet, entwickeln wir (aus systematischen Gründen) am Ende dieser Arbeit im Abschnitt “Exemplifikatorische Grenzen einer denotativen Klassifikation”. Wir machen aus darstellungstechnischen Gründen zunächst diese Annahme mit, so dass sich das bisherige Schema wie folgt differenziert: Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 70 Segment Syntagma autonome Einstellung Chronologie Achronologie gewöhnliche Sequenz Syntagma mit zusammenfassender Klammerung Fig. 2: Erweitertes Schema nach Metz Autonome Einstellungen: Planszene und Einfügungen Bei der bisherigen Analyse ist eine Schrifttafel ganz am Anfang des Films nicht berücksichtigt. Diese Tafel stellt dem Film die Information 1960 - 6. Jahr des Algerienkrieges voran. Metz wird diese Schrifttafel übergangen haben, da sie eine rein sprachliche Erscheinung zu sein scheint. Es handelt sich aber um die filmische Einbindung einer sprachlichen Mitteilung des Erzählers. Die Schrifttafel ist nicht nur für die Sichtweise der Exposition wichtig, sie ist selbst Teil der filmischen Exposition und konstitutiv für das Verständnis des Films. Hinzuzufügen ist der Analyse des Films daher ein Segment, welches die Schrifttafel erfasst. In der Metz’schen Terminologie spricht man wohl am besten von einer ‘nicht diegetischen Einfügung’ 16 . Diese ist eine sogenannte autonome Einstellung, welche hier als Titelschrift einen Kontext erzeugt: Mit der schlichten Mitteilung 1960 - 6. Jahr des Algerienkrieges konnotierte damals ein Komplex von Erzählungen und Berichten, welche dem Rezipienten mehr oder weniger zur Verfügung standen und damit mehr oder weniger Teil des interpretatorischen Kontextes wurden. Allgemein führt Metz den Begriff Einfügung in vier Verwendungsweisen ein: 1. als ‘subjektive Einfügung’ zur Darstellung mentaler Zustände (z.B. Erinnerungen, Träume, Befürchtungen, Vorahnungen etc.); 2. als ‘explikative Einfügung’ (z.B. Visitenkarten in Großaufnahme); 3. als ‘nicht-diegetische Einfügung’, die einen Gegenstand außerhalb der Handlung darstellt (z.B. oben erwähnte Schrifttafel); 4. als ‘deplacierte diegetische’ oder ‘versetzte’ Einfügung außerhalb der normalen filmischen Umgebung (dazu kommt gleich noch ein Beispiel). Vollständigkeit dieser Klassifkation (Sind das alle Einfügungstypen? ) und ihre Disjunktivität sind bei Metz nicht recherchierbar geklärt. Auch nach Möller-Naß bedarf die Metz’sche Klassifikation von Einfügungen einer gründlichen Überarbeitung 17 . Für die klassifikatorische Arbeit in diesem Papier kann man allerdings annehmen, dass die sogenannten nicht-diegetischen und versetzten Einfügungen als einzelne Einstellungen aufgrund ihrer Störung im diegetischen Ablauf einer Formalisierung zugänglich sind: Zumindest dann, wenn man verlangt, dass diese Störung im gemessenen Urbild vorliegt und für einen spezifizierten Mustererkenner durch große Veränderungen im Datensatz erkennbar ist. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 71 Unter dieser Annahme benutzen wir für die empirische Analyse von Adieu Philippine die nicht-diegetische und die versetzte Einfügung. Es fehlt bei den autonomen Einstellungen gemäß Metz nun nur noch die sogenannte ‘Sequenz-Einstellung’ oder ‘Plansequenz’. Eine ‘Plansequenz’ ist nach Metz eine autonome Einstellung, welche ein Geschehen in genau einer Einstellung wiedergibt. Die Autonomie der ‘Plansequenz’ rührt nach Metz ausschließlich von der Einheit der abgebildeten Handlung her. Damit ist eine scharfe Definition einer ‘Plansequenz’ als autonomer (! ) Einstellung nur dann möglich, wenn man über eine scharfe und möglichst auch weithin akzeptierte Definition einer Handlungseinheit verfügt 18 . Wir gehen deshalb wie folgt vor: Wir verwenden den Begriff ‘Plansequenz’ aufgrund seiner Unschärfe nicht mehr. Stattdessen verwenden wir den Terminus Planszene dort, wo eine einzelne Einstellung keinem anderen Syntagma als Einstellung oder als Einfügung zugeordnet werden kann 19 . Wenn man Syntagmen grundsätzlich auffasst als Mengen von Einstellungen, die zusätzliche Bedingungen erfüllen müssen, spielt eine Planszene dann die Rolle eines einpunktigen Syntagmas. Damit ergibt sich Segment Syntagma autonome Einstellung Chronologie Achronologie Einfügung Planszene (“Plansequenz”) gewöhnliche Sequenz Syntagma mit zusammenfassender Klammerung Fig. 3: Verändertes Metz’sches Schema Nach diesen Einschränkungen kommen wir nun zum Kern unserer Reklassifikation der Metz’schen Syntagmatik. Die narrativen Syntagmen: Basale narrative Syntagmen Die Planszene ist sehr eng mit der Metz’schen ‘Szene’ verwandt. Eine ‘Szene’ ist formal eindeutig erkennbar, wenn man eine Ersetzungssprobe vornimmt. Dies heißt, dass man in einem Gedankenexperiment die ‘Szene’ als eine Einstellung in einem räumlichen Zusammenhang inszeniert. Dies hat folgenden theoretischen Hintergrund: Gemeinsam ist einer Planszene und einer ‘Szene’, dass der zeitliche Ablauf kontinuierlich ist. In einer Planszene folgt die Kamera Objekttrajektorien; in einer ‘Szene’ wird dagegen ein diskontinuierlicher Wechsel des Kamerastandpunktes vorausgesetzt - unter Wahrung einer wichtigen Randbedingung: Der räumliche Zusammenhang muss anhand der abgebildeten Gegenstände erkennbar sein; ein nur vom Beobachter rekonstruierter Zusammenhang, der nicht Bezug auf tatsächlich abgebildete Gegenstände Bezug nimmt, reicht nicht aus. Genau diese Randbedingung unterscheidet Analysen konventioneller Denotationen eines räumlichen Sachverhalts (etwa in der Linguistik) von der Analyse nomistischer Denotationen eines räumlichen Sachverhaltes, die durch Meßdaten (insbesondere also auch durch Filmaufnahmen) erfolgen. Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 72 Wir verlangen damit definitorisch: Ein Syntagma, das aus mindestens zwei Einstellungen besteht, heißt Szene, wenn • das vereinigte Raumurbild aller Einstellungen von einem Beobachter unter Bezug auf das abgebildete Urbild als zusammenhängend konzeptionalisiert werden kann, • die Vereinigung der in den Einstellungen denotierten Zeiten von einem Beobachter als zusammenhängend konzeptionalisiert werden kann, • die Reihenfolge der Einstellungen und der zeitliche Ablauf im Urbild von einem Beobachter als homomorph angenommen werden kann. Eine mögliche Operationalisierung der Konzeptionalisierung des räumlichen Zusammenhanges durch einen Beobachter ist das Anlegen einer Karte der räumlichen Verhältnisse. Ein Beispiel liefert dafür die Analyse von Segmenten aus ‘The Barefoot Contessa’ durch Colin 20 . Eine mögliche Operationalisierung der Konzeptionalisierung des zeitlichen Zusammenhanges ist eine interpolationsfreie Abbildung (im mathematischen Sinne) der Einstellungen auf ein zusammenhängendes Stück Weltzeit 21 . Die Definition verzichtet auf jede handlungstheoretische Fundierung; sie ist daher weniger restriktiv als Definitionen, die Handlungseinheiten einbeziehen: Unsere Definition hat deshalb ggf. einen größeren extensionalen Träger als diese. Dass die obige Definition sich schließlich auf filmische Syntagmen bezieht, ergibt sich lediglich aus dem Wort ‘Einstellung’: Die Einstellungen müssen in filmischen Dokumentenarchitekturen angelegt werden können. Szenen sind schließlich maximale Szenen, wenn die Hinzunahme einer weiteren Einstellung zu einer Szene keine Szene im definierten Sinne mehr ergibt 22 . Für diese Auffassung relevante erste Segmente sind in Adieu Philippine das Segment 3 und Segment 4. Diese Analyseeinheit gliedert Metz in eine Szene und eine versetzte Einfügung. Seine Klassifikation ist fast richtig; wir können nun aber genauer hinsehen. Insgesamt finden sich in dieser Szene mit Einfügung 13 Einstellungen, die wir wie folgt in ihrer logischen Struktur 23 repräsentieren: Der oberste Knoten repräsentiert (als “Wurzel”) den ganzen Film Adieu Philippine; in ihm findet sich (dargestellt durch den nachfolgenden Knoten) aggregiert Segment 3 und Segment 4 als Szene mit Einfügung; diese enthält wiederum die eigentliche Szene im Cafe (nachfolgender linker Knoten für das Segment 3) und die eingefügte Einstellung (Knoten für das Segment 4) zur Arbeitsumgebung Micheles. Vor der Einfügung finden sich 8, nach der Einfügung 3 Einstellungen: Fig. 4: Logische Struktur der aggregierten Segmente 3 und 4 Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 73 Inhaltlich stellt sich die Szene als Gespräch in einem Cafe zwischen der männlichen Hauptperson Michel und den beiden weiblichen Hauptpersonen, Liliane und Juliette, dar. Da das obige Gedankenexperiment in diesem Fall für den eigentlich szenischen Anteil des Segmentes 3 möglich ist, handelt es sich bei dem Gespräch zwischen Michel und den Mädchen um eine Szene in unserem Sinne, obwohl die Szene durch eine Einfügung unterbrochen wird. Diese Einfügung springt in das Studio und zeigt Michel in seiner Funktion als untergeordneter Helfer 24 . Vor der eigentlichen Szene ist als poinierte Hartmontage die Darstellung einer Musikbox angeschlossen (ganz linker unterer Knoten). Diese Einstellung wäre ohne Ton einfach eine zusätzliche Planszene, da es keinen räumlichen Anker zur Musikbox in den weiteren Einstellungen gibt; sie wird aber über einen intendiert diegetischen Ton mit der Szene so verbunden, dass man sie dem Tonurbild als der eigentlichen Szene hinzurechnen muss. Klassifiziert man Adieu Philippine als Tonfilm (und das tut Metz immer, wenn er sich zum Beispiel auf Gesprächsinhalte bezieht), dann handelt es sich um eine einzige Szene. Insgesamt ist festzuhalten, dass ein Syntagma, hier eine Szene, nach Metz von einem anderen Segment, in diesem Fall einer Einfügung, unterbrochen werden kann. Dies scheint uns nur für den Fall von nicht-diegetischen und versetzten Einfügungen unproblematisch zu sein, da man diese i.a. sicher durch fehlende Anker im gemessenen Urbild der Nachbareinstellungen identifizieren kann. In ihrer Erzählfunktion setzt die Einfügung in der Regel die erzählte Zeit für einen Moment außer Kraft, so dass wir am Ende der Einfügung der Narration weiterfolgen können, als sei keine Zeit vergangen 25 . Dieser Punkt des (ggf. unterbrochenen) zeitlichen Zusammenhanges unterscheidet die Szene grundsätzlich von den schwächeren Anforderungen an eine Sequenz, die keinen zeitlichen Zusammenhang verlangt. Ein Syntagma, das aus mindestens zwei Einstellungen besteht, heißt im weiteren Sequenz, wenn • das vereinigte Raumurbild aller Einstellungen von einem Beobachter als zusammenhängend konzeptionalisiert werden kann, • die Vereinigung der in den Einstellungen denotierten Zeiten von einem Beobachter in keiner Weise als zusammenhängend konzeptionalisiert werden können, • die Reihenfolge der Einstellungen und der raumzeitliche Ablauf von einem Beobachter als homomorph angenommen werden kann. Diese Definition ist insofern raumzeitlich streng, als sie es nicht erlaubt, z.B. den Eintritt in ein Restaurant und das Platznehmen an einem Tisch als Sequenz zu klassifizieren, wenn der räumliche Zusammenhang für einen Beobachter nicht durch eine Kette von räumlichen Ankern erkennbar ist. Minimal kann man für solche Situationen fordern, dass aus allen Einstellungen einer Sequenz Paare mit wiederidentifizierbaren räumlichen Ankern so gebildet werden können, dass insgesamt die Aufnahmen als Messungen eines zusammenhängenden Raumes konzeptionalisiert werden können. Sequenzen sind maximale Sequenzen, wenn die Hinzunahme einer weiteren Einstellung zu einer Sequenz keine Sequenz im definierten Sinne mehr ergibt. Diese Definitionen weichen stark ab von der Metz’schen Intuition, die auf räumlichen Zusammenhang verzichtet und statt dessen auf die Einheit einer komplexen Handlung verweist, von der in einer Sequenz “unwichtige” Anteile entfallen 26 . Das Thema der Einheit von Handlungen zur syntagmatischen Klassifikation ist für uns erst in nicht basalen Syntag- Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 74 men relevant: Die bisherigen raumzeitlichen Zusammenhangsforderungen unterscheiden im weiteren Sequenzen von narrativen Folgen, wo auch nicht in den Messdaten verankerbare Zusammenhangsforderungen benutzt werden können. Eine solche Zusammenhangsforderung ist zum Beispiel, dass in einer Folge von Einstellungen verschiedene Etappen eines Handlungsplanes an verschieden Orten durchgeführt werden, ohne daß dieser Zusammenhang in den Messdaten der Einstellungen verankerbar ist. Das Segment 9 und das Segment 10 sind ein Prüfstein für diese Definition, die sich von den Metz’schen Auffassungen unterscheidet. Metz klassifiziert diese beiden Tischszenen syntagmatisch als Szene. Wir priorisieren in unserer Definition von Sequenz den räumlichen Zusammenhang und erlauben zeitliche Sprünge. Insbesondere gilt: Enthält eine Sequenz mehrere räumlich zusammenhängende maximale Szenen, so ist das Ganze eine basale Sequenz. So auch hier: Der zeitliche Sprung zwischen Segment 9 und Segment 10 ist syntagmatisch unerheblich. Wir werden nun für den narrativen Fall (in Abweichung von Metz) begründen, dass die Klassen Planszene, Szene und Sequenz als basale narrative Syntagmen vollkommen ausreichend sind. Alle anderen narrativen Einheiten ergeben sich durch Hierarchisierung zu sogenannten narrativen Folgen, welche Metz schon selbst eher unscharf identifiziert und benannt, aber nicht in sein Klassifikationsschema eingefügt hat. Narrative Hierarchisierung Damit kommen wir zu dem von Metz beschriebenen Segment 5 des Films. Dies ist nach Metz eine sogenannte ‘Sequenz durch Episoden’ (bei ihm das dritte linear narrative Syntagma neben Szene und Sequenz). Inhaltlich sehen wir Michel und die beiden Mädchen zunächst auf dem Bahnhof, dann auf einem Feld, schließlich auf einem Flugplatz zusammen gehen und stehen und dabei Smalltalk treiben. Der übergeordnete diegetische Zusammenhang ist ein ‘sonntäglicher Ausflug’. Schon im Einklang mit den Metz’schen Kategorien der Syntagmatik (ohne Neueinführung einer ‘Sequenz durch Episoden’ als Klasse! ) ist aber auch die Aufsplittung des Segmentes in drei Syntagmen begründet. Die erste sogenannte Episode spielt auf einem Bahnhof. Die Kamera fährt rückwärtsblickend vor den Hauptdarstellern her, welche am Schluss leicht nach hinten links abbiegen. Dies ist eine Planszene. Dieselbe formale Struktur lässt sich auch für die zweite Episode feststellen. Die dritte sogenannte Episode ist etwas komplizierter gebaut. Es handelt sich um eine Sequenz, die wiederum aus drei Teilen besteht. Wir sehen in der ersten Einstellung die drei Hauptdarsteller, und im Hintergrund startet ein Flugzeug. In der zweiten Einstellung agieren und sprechen die Hauptdarsteller miteinander. Die dritte Einstellung ist ein Cutaway zu einem landenden Flugzeug. Das startende und landende Flugzeug stellt eine diegetische Klammer her. Grundsätzlich ist ein Beobachter der letzten Sequenz gehalten, ihr Urbild auf einen räumlichen Zusammenhang zu beziehen, weil der diegetische Ton für alle drei Bildeinstellungen der Sequenz denselben raumzeitlichen Zusammenhang herstellt. Hier wird also wieder zur Klassifikation benutzt, dass ein Tonfilm vorliegt: Solange angenommen werden kann, dass der gehörte Ton aus dem Urbild des Filmbildes kommt, befindet man sich an dem zusammenhängenden Ort der Schallquelle. Zusammenfassend ergibt sich hier auf jeden Fall nicht die grammatische Notwendigkeit einer Erweiterung der narrativen Syntagmen um eine sogenannte ‘Sequenz durch Episoden’. Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 75 Das Segment 7 wird von Metz nun ebenfalls mit ‘Sequenz durch Episoden’ klassifiziert. Auch die Analyse dieses Komplexes legt nahe, dass die Klasse ‘Sequenz durch Episoden’ auf der Ebene der basalen chronologischen Syntagmen irreführend ist und man auf dieses Syntagma verzichten muss. Inhaltlich geht es in diesem Komplex darum, dass Michel und seine Freunde in einer Autowerkstatt ihr gemeinsam gekauftes Auto abholen. Dann sehen wir sie in der freien Landschaft das Auto Probe fahren. Schließlich treffen sie zwei fremde Mädchen und überreden sie, mit ihnen gemeinsam weiter zu fahren. Auf dieser Ebene der Beschreibung scheint eine Klassifikation als ‘Sequenz durch Episoden’ sinnvoll, denn der Komplex lässt sich als aus drei Segmenten zusammengesetzt beschreiben. Allerdings entspricht diese Struktur in keiner Weise dem, was sich feiner granuliert syntagmatisch abspielt. Zunächst sehen wir die jungen Männer in der Werkstatt, wie sie unter den aufgebockten Wagen schauen. Sie äußern sich kritisch. Dann sehen wir in einer anderen Einstellung unvermittelt den Mechaniker, wie er den Wagen herunterlässt. Schließlich sehen wir wieder die jungen Männer, welche nun das Innere des Wagens bewundern. Man kann dies als Szene klassifizieren, da von einem Beobachter der raumzeitliche Zusammenhang des Geschehens in der Werkstatt konzeptionalisiert werden kann. Nun folgt ein außergewöhnlicher Komplex von drei Einstellungen. Wir sehen in der ersten Einstellung, wie der Wagen rückwärts anfährt und mit hoher Geschwindigkeit zurücksetzt. Eine scheinbare Wiederholung des Ereignisses wird nochmals in einer unbedeutend näheren Einstellung wiedergegeben. Die dritte Einstellung zeigt nun das Auto an einem anderen Ort, wie es abrupt, aber vorwärtsfahrend, anhält. Diese drei Einstellungen sind als Ganzes nur abhängig von der folgenden Prämissenbildung über die Einzeleinstellungen zu klassifizieren: Fall I: In der zweiten Einstellung wird tatsächlich mit einer anderen Einstellungsgröße und mit einer zweiten Kamera dasselbe Ereignis noch einmal dargestellt. In diesem Fall führt die Erzählung eine Irritation herbei, die die Aufmerksamkeit auf das Erzählen selbst lenkt. Damit ist das ganze Segment nicht mehr basal narrativ; es wird eine Metanarration eingeführt, die den Erzählvorgang mitthematisiert. Dies ist mit unseren bisherigen narrativen Kategorien allein nicht zu klassifizieren und soll hier auch nicht gelöst werden. Fall II: In der zweiten Einstellung wird ein zeitlich nachfolgendes zweites Rückwärtsfahren an demselben Ort dargestellt. Das Ganze ist dann eine Sequenz, weil das Vorfahren des Autos zwischen der ersten und zweiten Einstellung elliptisch ausgelassen wird. Fall III: Es ist überhaupt kein zeitlicher Ablauf (Gleichzeitigkeit oder sequentielle Abfolge) repräsentiert und damit nicht einmal eine chronologische (viel weniger narrative) Klasse anwendbar. Dann liegt ein Syntagma der zusammenfassenden Klammerung vor, in dem die wiederholt gezeigte Art des Autofahrens z.B. einen Begriff der jugendlichen Ungezügeltheit exemplifiziert. Vom Material her scheint uns mit normaler Beobachtung keine Entscheidung zwischen den letzten zwei Fällen möglich. Man kann dieses Entscheidungsproblem dahingehend lösen, dass alle möglichen Klassen dieses Segment disjunktiv klassifizieren: Als Bezeichner für die Klasse könnte man dann einen Oder-Ausdruck “Sequenz ODER Syntagma mit zusammenfassender Klammerung” verwenden - in demselben Sinne wie eine vorgegebene Menge von Farben aus einem Farbprospekt als “dunkel” disjunktiv zusammengefaßt werden kann 27 . Was nach diesem Komplex im Metz’schen Segment 7 folgt, ist eine Planszene, in der wir eine Reparatur beobachten. Dann folgt eine Sequenz, in der die jungen Männer mit ihrem Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 76 Auto über Land fahren. In einer weiteren Planszene wird erzählt, wie sie zwei fremde Mädchen treffen und schließlich in einer Szene, wie sie sich mit den Mädchen im Auto unterhalten. All dies ist narrativ komplex. In welchem Sinne? Eine triviale, filmisch narrative Struktur hat nur maximal eine Ebene von montierten Segmenten: Planszene, Szene oder Sequenz. In anderen medialen Zusammenhängen ist dies auch die einzig zulässige basale “Erzählform”: etwa in Überwachungsprotokollen, wo ohne Montage Ereignisse (ggf. stückweise) mitgeschnitten werden. Die Trivialität dieser narrativen Strukturen rührt daher, dass hier nur die Raumzeit Zusammenhangsbedingungen liefert. Wird eine zweite Montageebene von montierten Segmenten konzeptionalisiert, verlassen wir für den narrativen Fall den Bereich der obigen “basalen” Syntagmen. Geschieht dies so, dass die zeitliche Reihenfolge der solchen Objekten untergeordneten basalen narrativen Syntagmen (Planszene, Szene oder Sequenz) und der diesen wiederum untergeordneten Einstellungen nicht gestört wird, haben wir es mit einer einfachen narrativen Struktur zweiter (und ggf. höherer Ordnung (s.u.)) zu tun. Eine narrative Folge (erster Ordnung) setzt sich also aus • mindestens zwei basalen narrativen Syntagmen oder • mindestens zwei Planszenen oder • mindestens einer Planszene und einem weiteren basalen narrativen Syntagma zusammen. Diese höhere narrative Einheit bildet i.a. einen übergeordneten diegetischen Sinnzusammenhang. Aber Vorsicht: Was erlaubt eigentlich die Abgrenzung narrativer Folgen voneinander oder von anderen Segmenten? Zur Beantwortung dieser Frage ist zumindest ein Maximalitätskriterium für narrative Folgen erforderlich. Ein formales Kriterium für diese Maximalität ist uns nicht bekannt - im Unterschied zu unserer Auffassung von Szenen, wo wir definitorisch immer Anfang und Ende angeben können. Was eine Szene maximal integriert, ist die vom Beobachter erkennbare raumzeitliche Kontinuität der dargestellten Situation. Diese Kontinuität gibt es in einer narrrativen Folge definitionsgemäß nicht (sonst läge u.U. eine Fehlklassifikation einer Szene als narrative Folge vor). Gleichwohl erkennen wir oft problemlos eine maximal narrative Folge. Es muß also in ihr mindestens eine narrative Invariante analog zum Raumzeitkontinuum in einer Szene geben, die uns diese maximale Abgrenzung problemlos gestattet. Die Klassifikation dieser Invarianten ist kein spezifisch filmisches Problem und fällt nicht allein in die hier durchgeführte klassifikatorische Arbeit einer großen Filmsyntagmatik, sondern ist eine vom Darstellungsmedium unabhängige Aufgabe. Zusammenfassend ist aber festzuhalten, dass eine narrative Folge erster Ordnung bei uns definitorisch nicht basal und immer ein Syntagma zweiter Ordnung ist. Schon dies ist bei Metz nicht grundsätzlich geklärt: Die Problemlage findet sich exakt in seiner ‘Sequenz durch Episoden’ oder seiner eigenen Rede von einer ‘narrativen Folge’. Für Metz ist die ‘Sequenz durch Episoden’ eine (schlecht definierte) Klasse für die basale Aggregation von Einstellungen 28 ; diese basale Ebene haben wir allein für die Möglichkeit der Etablierung raumzeitlicher Zusammenhangsbedingungen vorbehalten. Zugleich benutzt Metz aber auch selbst solche Konstrukte wie das der ‘narrativen Folge’ z.B. als Oberbegriff für das unstrittig Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 77 szenische Segment 6, das Segment 7 und das Segment 8; auch dieses Konstrukt gruppiert narrative Elemente, bleibt aber undefiniert und taucht auch in seiner syntagmatischen Klassifikation nicht auf: Metz bleibt mit seinem bloßen Verweis auf diegetische Zusammenhänge definitorisch im Ungefähren. Unser Fortschritt an dieser Stelle ist, dass wir immerhin die Konstituenten einer narrativen Folge angeben können. Aber auch wir verfügen über kein Maximalitätskriterium. Metz selbst hat seine klassifikatorische Unzulänglichkeit an dieser Stelle anscheinend nicht bemerkt. Darüber hinaus setzt jede Klassifikation von narrativen Syntagmen höherer Ordnung die stichhaltige Klassifikation der basalen narrativen Syntagmen voraus. Schon dies gelingt Metz nicht immer. So sind das Segment 11 und das Segment 13, welche Metz als Szene ansieht, eindeutig Planszenen. Es gibt aber keine hinreichend nachprüfbare Erklärung für diese Fehlentscheidung. Denkbar ist, dass wir unterschiedliche Kopien zugrunde legen. Dagegen spricht aber die schriftliche Szenenbeschreibung, die Metz gibt. Segment 16 ist ebenfalls vermutlich eine Fehlinterpretation; allerdings kann man nur ein Plausibilitätsargument führen. Das beobachtbare Segment ist wahrscheinlich keine Szene, wie Metz meint, sondern eine Sequenz. Der räumliche Zusammenhang wird allein durch das Innere eines Autos definiert, in dem ein Gespräch zwischen drei Akteuren inkl. Fahrer stattfindet. Raumzeitliche Sprünge werden wahrscheinlich, wenn man, statt auf das Gespräch im Auto zu achten, durch die Scheiben die Umgebung betrachtet. Der Dialog stellt vermutlich eine Raffung eines Gesprächs dar, welches länger gedauert haben muss. Da mehrere Einstellungen vorliegen, handelt es sich also um eine Szene oder eine Sequenz. Da dies ohne zusätzlich Annahmen über den Zeitzusammenhang nicht entscheidbar ist, sollte man disjunktiv Szene ODER Sequenz klassifizieren. Auch Segment 17 stellt eine einfache Fehlanalyse dar. Statt der behaupteten autonomen Einstellung wird eine Szene, bestehend aus zwei Einstellungen, gezeigt. Wir sehen einen Umschnitt von einer Totalen in eine Art Halbtotale. All diese Klassifikationsprobleme lassen sich mit den bisherigen begrifflichen Mitteln zur Klassifikation narrativer Strukturen behandeln. Schwieriger ist das vierte und letzte narrative Syntagma in der Metz’schen Klassifikation: das sogenannte ‘alternierte Syntagma’, dem wir uns nun zuwenden und mit dem Metz selbst nicht glücklich war. Das sogenannte ‘alternierte Syntagma’ Das ‘alternierte Syntagma’ ist nach Metz eine Konstruktion, in der zwei oder mehr distinkte zeitliche Abfolgen vermischt werden 29 . In Adieu Philippine taucht das ‘alternierte Syntagma’ das erste Mal im Segment 12 auf. Hier handelt es sich nach unserer Auffassung aber um ein narratives Syntagma, das den räumlichen Zusammenhang des Ganzen wahrt. Das Segment stellt inhaltlich eine Mustervorführung eines Films in einem Kinopräsentationsraum dar. Wir sehen die Beteiligten im Zuschauerraum, aber wir sehen auch das, was sich auf der Leinwand abspielt. Diese zwei Handlungsebenen haben wohl Metz dazu veranlasst, vom “alternierten Syntagma” zu sprechen. Dieses ist unnötig, denn der Umschnitt auf den Film ist kein Cutaway in eine raumzeitlich oder diegetisch andere Situation. Wir bleiben im Vorführraum und sehen die Leinwand, auf der ein Film abläuft. Die bestrahlte Leinwand ist ein Teil des raumzeitlichen Kontinuums wie die Stühle, der Projektionsstrahl und die Zuschauer. Das sich hier zufällig bewegte Bilder präsentieren, ist syntagmatisch unerheblich. Wollte man film- Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 78 grammatische Konsequenzen zugestehen, wären für jede Film- und Diaprojektion und für jeden Durchblick durch ein Fenster auf die Straße die syntagmatischen Auswirkungen nicht kontrollierbar; entscheidend ist allein der raumzeitliche Zusammenhang des Urbildes. Da mehrere Einstellungen vorliegen, handelt es sich also um eine Szene oder eine Sequenz. Da dies ohne zusätzlich Annahmen über den Zeitzusammenhang nicht entscheidbar ist, sollte man disjunktiv Szene ODER Sequenz klassifizieren. Auch in Segment 19 und in Segment 20 gibt es eine alternierende Struktur - diesmal durch Telefonate von Michel mit Liliane und Juliette. Metz stellt diese Alternanz hier aber für die Klassifikation in Abrede: Die “Einstellungen, die Michel zeigen, [sind] nicht genug entwickelt und nicht häufig genug …, um die zweite Serie eines alternierten Syntagmas zu bilden.” 30 Das ist eher subjektives Empfinden als nachvollziehbare Analyse. Worum geht es genau? Auf der untersten Ebene der Syntagmen sehen wir eine Folge von zunächst zwei einleitenden Planszenen und zwei anschließenden Sequenzen, die alternierend dargestellt werden. In der ersten Planszene sehen wir eine Frau, wie sie (vermutlich nach Annahme eines Telefongespräches) Juliette ruft; in einer zweiten Planszene ohne erkennbaren räumlichen Zusammenhang zur ersten Planszene spricht jene Frau am Telefon mit Michele. Dann kommen die beiden Sequenzen. Metz klassifiziert diese beiden Sequenzen gemeinsam als ‘Sequenz durch Episoden’ verschnitten mit vier autonomen Einstellungen. Genauer gliedert er diese Serie von Gesprächen in zwei ‘Sequenzen durch Episoden’ plus vier Einfügungen. Die problematischen und eher subjektiven Rechtfertigungen dafür haben wir schon benannt. Da Metz selbst mit Hilfe eines Syntagmas (der ‘Sequenz durch Episoden’) arbeitet, das wir durch eine narrative Struktur zweiter Ordnung ersetzt haben, liegt es nahe, auch die alternierende Struktur hier als Struktur zweiter Ordnung aufzufassen. Diesen Weg werden wir beschreiten. Dazu bedarf es aber noch einer grundsätzlichen Behandlung der Metz’schen Analyse des “alternierten Syntagmas”. Metz führt anhand des gerade behandelten Segmentes 19 und des Segmentes 20 das ‘alternierte Syntagma’ mittels des klassischen Beispiels des Telefongesprächs ein. Wir untersuchen nun noch dieses Beispiel und ziehen dann daraus klassifikatorische Konsequenzen für diese Segmente. Typischerweise beinhaltet eine Telefongesprächssituation mit zwei Teilnehmern zwei zusammenhängende Raumgebiete über dasselbe Zeitintervall; ihre filmische Wiedergabe ist nach Metz auf vierfache Art und Weise möglich in: “- einer Sequenz: sie wird selten benutzt, denn dann wird die Unterhaltung selbst verstümmelt. - einer Szene ohne Einfügungen: nur einer der Gesprächspartner erscheint auf der Leinwand … - einer Szene mit Einfügungen: in eine Szene, die um einen Partner zentriert ist, werden separate Einstellungen mit dem anderen eingeblendet … - einem alternierten Syntagma: die Einstellungen mit den beiden Gesprächspartnern werden in gleich langen oder verschieden langen Serien kombiniert.” 31 Die ersten drei Fälle sind klassifikatorisch kompatibel mit unseren basalen narrativen Klassifikationsmitteln: Entscheidend für die bisherige Analyse der basalen narrativen Strukturen (Planszene, Szene, Sequenz) war dabei die Untersuchung einfach zusammenhängender Raum- Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 79 Zeit-Gebiete, die nur im Falle der Sequenz in mehrere zeitliche Zusammenhangskomponenten zerfallen durften. Was ist aber mit dem vierten Fall der obigen filmischen Repräsentationsmöglichkeiten für Telefongespräche? Hier zerfallen die Raumgebiete typischerweise in mehrere Zusammenhangskomponenten: Es liegen räumlich getrennte Situationen vor, und wir erleben Ortswechsel bei kontinuierlich weiterlaufender Zeit. Die sich hier ergebende Aggregation zweier Sequenzen ist also einfach nur ein weiterer Spezialfall der narrativen Folge. In Adieu Philippine sehen wir im Segment 19 und Segment 20 alternierend Michel, an einem Miettelefon stehend, und Liliane in ihrer häuslichen Umgebung. Es handelt sich eindeutig um zwei Sequenzen, welche auf einer zweiten Ebene als alternierende Folge (s.u.) narrativ integriert sind. Würde dieses Gespräch in einem Raum stattfinden, müssten wir bei Identifizierbarkeit des räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs von einer Szene sprechen. Da die beiden aber räumlich getrennt sind, erleben wir einen Ortswechsel bei kontinuierlich weiterlaufender Zeit. Dies ist auch das Kriterium für eine alternierende Folge von zwei Sequenzen 32 , eines Spezialfalls der narrativen Folge, den wir weiter unten definieren. Die Analyse des Segmentes 22, des Segmentes 23 und des Segmentes 24 können wir nun als Prüfstein für das bisher Erarbeitete nutzen 33 . Metz zerlegt diese Segmente in eine Szene, welche durch autonome Einstellungen unterbrochen wird, und in ein “alterniertes Syntagma”. Inhaltlich stellt sich die Szene mit Einfügungen folgenderweise dar: Wir sehen in eine TV-Regie hinein, in der jemand am Mischpult arbeitet. Dieser nimmt ein Telefongespräch an. Dann sehen wir den Mann am Mischpult, wie er das Telefongespräch an Michel weitergibt, ihn aber auffordert, dieses an einem separaten Apparat in einer Nische zu führen. Jetzt sehen wir die beiden Mädchen in der Telefonzelle, können aber von dem, was sie sagen, nichts hören, denn die Aufnahmeapparatur befindet sich außerhalb der Zelle. Die nächste Einstellung zeigt Michel, im Hintergrund der Regie telefonierend. Nun wird auf Michel halbnah, dann wieder auf die Mädchen und zum Schluss wieder auf Michel geschnitten. Das Geschehen innerhalb der Regie bis zum ersten Umschnitt in die Telefonzelle kann man mit Metz als Szene ansehen, denn eine konzeptionalisierbare Einheit von Raum und Zeit bleibt gewahrt. Aber mit der weiteren Klassifikation von Segment 22 und Segment 23 können wir uns nicht einverstanden erklären, denn erstens ist das Argument, die zwei stummen Einstellungen der Mädchen (Segment 23) wären diegetisch peripher und rechtfertigten keine Entscheidung für Alternanz, schwer zu begründen; denn aus der Mimik und der Gestik der Mädchen erfahren wir das Wesentliche dieser Einstellungen: die wichtige Emotionalität der Reaktion der Mädchen auf für die Geschichte eigentlich nebensächliche Inhalte. Zweitens unterbricht der Umschnitt in die Telefonzelle die Zeitkontinuität. Wir schlagen für Segment 22 und Segment 23 mit dem bisher Erarbeiteten die folgende Reklassifikation vor: Auf der syntagmatischen Ebene haben wir es mit allem, was sich im Regieraum abspielt, aufgrund unserer Maximalitätsregel für Szenen und Sequenzen mit einer Sequenz zu tun. Auch die beiden Einstellungen in der Telefonzelle betrachten wir als eine Sequenz. Beide Sequenzen werden nun auf der höheren Hierarchiestufe der alternierenden Folge (s.u.) durcheinander geschnitten. Die obige Klassifikation des Segmentes 19 und des Segmentes 20 und diese Klassifikation des Segmentes 22 und des Segmentes 23 lassen sich also zwanglos durch Hierarchisierung erledigen. Wenn wir uns nun dem Segment 24 zuwenden, kompliziert sich das Ganze. Beschreiben wir zunächst einmal, was Metz im Segment 24 als ‘alterniertes Syntagma’ zusammenfasst. Wir sehen, wie Michel selbst ein Telefongespräch einleitet. Ein kurzer Zwischenschnitt auf Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 80 den Mann am Mischpult folgt, dann sind wir wieder bei Michel. Jetzt folgt ein Hin- und Herschneiden zwischen Michel und dem freien Filmproduzenten Pachala, welchen wir in einer Großeinstellung sehen. Aus solch einer Einstellung wird schließlich in eine Totale von Pachalas Büro geschnitten, und wir sehen, wie im Hintergrund jemand den Raum betritt. Dann sind wir wieder im Regiegeschehen, um schließlich in einer Schuss-/ Gegenschusssituation einem Gespräch Pachalas mit einer Frau zu folgen. Dieses alles, was hier nur grob skizziert ist, ist alles andere als ein basales ‘alterniertes Syntagma’, wie Metz meint. Es ist ein komplizierter Teilkomplex einer narrativen Folge, welche auf der Ebene der basalen Syntagmen nicht auflösbar ist. Die Analyse führt zu einer Hierarchisierung von Syntagmen, welche sich zu übergeordneten Folgen zusammenschließen: Alles, was sich im Regieraum, in der Telefonzelle und bei Pachala im Büro abspielt, sind jeweils Sequenzen. Die Sequenz in der Regie ist die dramaturgisch leitende, da man nur über sie zu den anderen Sequenzen gelangt. Wenn man für die Klassifikation des gesamten Komplexes 22-24 fordert, dass die basalen Syntagmen maximal, die Tiefe der narrativen Hierachisierung aber minimal sein soll, so stellt sich dieser Komplex als eine alternierende Folge von drei Sequenzen dar: Fig. 5: Hierarchisierung 1. Ordnung für die Segmente 22-24 34 Dagegen ist das Telefongespräch in Segmenten 30 und 31 leicht als alternierende Folge von zwei Sequenzen zu erkennen 35 . Komplizierter wird es dagegen wieder in Segment 32, obwohl wir es auch mit den bisherigen Mitteln behandeln können. Metz klassifiziert dieses Segement ebenfalls als ‘alterniertes Syntagma’ die Zeitstruktur ist allerdings komplizierter als im vorigen Falle, weil eine aktuelle Geschichte - Liliane und Juliette reden zusammen - mit einer Rückblende kombiniert wird, in welcher gezeigt wird, was Liliane berichtet. Zunächst muss der Komplex auf Einstellungsebene betrachtet werden. Die Einstellungsfolge stellt sich wie folgt dar: Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 81 Einstnr./ Sequenz Beschreibung des Inhalts Einstellungs- Größe Bemerkung 0,04167 Die Mädchen Liliane und Juliette im Zimmer miteinander redend Halbtotal Musik, O-Ton 02 B Juliette verlässt die Essenstafel im Restaurant Total Rückblende, künstlicher Ton Juliette 03 B Michel redet zu Liliane im Restaurant Groß Rückblende, stumm 04 C Liliane trifft Michel auf der Straße Total > halbtotal Rückblende, O-Ton 05 C Liliane spricht zu Michel auf der Straße Groß Rückblende, O-Ton 06 C Liliane und Michel stehen auf der Straße Halbtotal Rückblende, O-Ton 0,291667 Die Mädchen gehen redend in den Flur Halbtotal >total Musik, O-Ton 0,333333 Die Mädchen reden im Schlafzimmer Halbtotal Musik, O-Ton 09 C Liliane und Michel auf der Straße Halbtotal Rückblende, O-Ton 10 C Liliane spricht zu Michel Groß Rückblende, O-Ton 11 C Liliane und Michel auf der Straße, nach hinten weg gehend Halbtotal > Total Rückblende, O-Ton 0 Die Mädchen reden im Schlafzimmer Halbtotal Musik, O-Ton A: 1 Sequenz bestehend aus 4 Einstellungen B: 1 Szene bestehend aus 2 Einstellungen C: 1 Sequenz bestehend aus 5 Einstellungen Aus dieser Übersicht lassen sich die folgenden syntagmatischen Konsequenzen ziehen: 1. Die erzählte Gegenwart stellt sich als eine Sequenz (A) dar und wird schon allein über den diegetischen Ton (Abspielen einer Schallplatte) integriert. 2. Die Rückblende zerfällt in zwei Teilbereiche: Zum einen (B) gibt es eine Szene oder zwei Planszenen: Klassifikatorisch kann dies hier unentschieden bleiben. Zum anderen (C) liegt deutlich mindestens eine Sequenz (C) vor. Insgesamt ist dieser Komplex eine alternierende Folge, welche Gegenwart mit visualisierter Vergangenheit verbindet: Das, was wir in der Rückblende sehen, ist die Visualisierung des Inhaltes der gegenwärtigen Erzählung von Liliane 36 . Mit all diesen empirischen Befunden ergibt sich für alternierende Folgen: Eine alternierende Folge ist zunächst ein Spezialfall einer narrativen Folge und muss deren Definition (s.o.) genügen. Eine narrative Folge kann allerdings schon mit zwei Planszenen auskommen. Darüber hinaus kann etwa ein Telefonat bestehend aus zwei Einstellungen des einen Teilneh- Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 82 mers und einer mittigen Einstellung des anderen Teilnehmers als Sequenz mit eingeschnittener Planszene behandelt werden. Um wirklich von einer “Alternanz” reden zu können, braucht man also allgemein mindestens vier Einstellungen. Eine narrative Folge heißt deshalb alternierende Folge, wenn • sie mindestens 4 Einstellungen enthält; • die Menge der vorhandenen (mindestens vier) Einstellungen sich in mindestens zwei Mengen von Einstellungen mit jeweils mindestens zwei Elementen partitionieren lässt; • jeder dieser partitionierenden Mengen sich als basales narratives Syntagma klassifizieren lässt; • in der Darstellung für jede partitionierende Menge zwischen dieser und den anderen Mengen mindestens dreimal gewechselt wird; • in jeder partionierenden Menge sich eine Einstellung findet, die ein zeitliches Verhältnis zu mindestens einer Einstellung außerhalb dieser Menge hat. Die dritte Bedingung ist restriktiv: Sie greift nicht, wenn in einer partitionierenden Menge kein basales Syntagma vorliegt wie in einem last minute rescue, wo das sich nähernde Rettende an verschiedenen Orten gezeigt wird. Die fünfte Bedingung rührt daher, dass die Definition sich in den ersten vier Punkten auch auf Beispiele für zwei Mengen von Einstellungen anwenden lässt, die Metz als Fälle des (achronologischen und darum von uns nicht behandelten) ‘parallelen Syntagmas’ behandelt 37 . Um dem abzuhelfen, wurde die fünfte Bedingung eingeführt, die dafür Sorge trägt, dass auch zwischen den einzelnen partitionierenden Mengen eine (schwache) zeitliche Relation besteht 38 . Narrative Folgen dritter und höherer Ordnung und maximale Syntagmen Wir haben bisher die basalen narrativen Syntagmen Plansszene, Szene und Sequenz definiert. Entscheidend für ihre Definition sind raumzeitliche Zusammenhangsbedingungen, die sich auf den in den Einstellungen gemessenen Gegenstandsbereich beziehen. Darüber hinaus haben wir ohne Angabe der tatsächlichen Zusammenhangsbedingungen narrative Folgen erster Ordnung und als ein Spezialfall davon die alternierende Folge untersucht. Nun behandeln wir Hierarchisierungen über mehr als zwei Ebenen. Grundsätzlich lässt sich die Definition einer narrativen Folge auch rekursiv für Syntagmen höherer Ordnungen anwenden, wenn man verlangt: Ein Syntagma heißt narrative Folge n-ter Ordnung, wenn • es für n = 1 die Definition des narrativen Syntagmas erster Ordnung erfüllt oder • für n > 1 jedes enthaltene Syntagma eine maximal narrative Folge maximal (n-1)-ter Ordnung ist und • mindestens ein enthaltenes Syntagma tatsächlich (n-1)ter Ordnung ist. Die Anwendung dieser Definition bei der applikativen Analyse beruht erneut auf der impliziten Verwendung eines Maximalitätskonzeptes für narrative Folgen mit den entsprechenden Konsequenzen: Denn grundsätzlich kann die Aggregation von narrativen Syntagmen zu Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 83 “längeren” narrativen Folgen solange erfolgen, wie es etwas narrativ (! ) zu aggregieren gibt. Dies ist in Adieu Philippine im Komplex der Segmente 35 - 42 der Fall. Was macht Metz aus diesem Komplex? Metz klassifiziert Segment 35 richtig als autonome Einstellung. Wir erleben hier ein Gespräch der beiden Mädchen im Kaufhaus mit, in welchem sie planen, Michele an einen einflussreichen, älteren Mann zu vermitteln. Es folgt ein harter Schnitt zu Segment 36. Die beiden Mädchen sitzen nun vor einem Telefon und verabreden konkret für den Abend ein Treffen mit dem potentiellen Gönner. Metz klassifiziert hier Szene. Allerdings ist eine Klassifikation als Sequenz naheliegender, da deutliche Schnitte zeitraffend interpretiert werden können. In der folgenden Sequenz (Segment 37), hier klassifizieren Metz und wir identisch, fahren die Mädchen und Michele durch die städtische Nacht zum verabredeten Treffpunkt, einem Tanzcafe. Was nun aber innerhalb des Tanzcafes folgt, sehen wir völlig anders als Metz, denn er fasst zwar zunächst das Geschehen im Publikumsraum richtig zu einer Sequenz zusammen (Segment 38), gliedert aber das Geschehen im Publikumsraum nach einem Toilettenraumbesuch der Mädchen als zwei unabhängige ‘ Szenen’ (Segment 41 und Segment 42) aus. Noch kurioser wirkt eine andere Klassifikationsentscheidung: Der Toilettenraumbesuch der Mädchen wird nach Metz durch eine autonome Einstellung (Segment 40) unterbrochen. Diese zeigt das Geschehen im Publikumsraum (die beiden wartenden Männer am Tisch sitzend), während sich die Mädchen im Toilettenraum unterhalten. Was bleibt davon auf der Basis der bisherigen Definitionen bestehen? Das Kerngeschehen spielt in den Metz’schen Segmenten 38, 40, 41, 42 im räumlich zusammenhängenden Publikumsraum des Tanzclubs. Aufgrund der erkennbaren Einheit des Raumes können das Verabschieden des älteren Mannes (Segment 41: Planszene 39 ) und das abschließende Gespräch (Segment 42: Szene) nicht als eigenständige Segmente aufrechterhalten werden: Diese bilden mit den Segmenten 38 und 40 eine genuine Sequenz. Kommen wir zum in der Toilette spielenden Nebenstrang im Segment 39. Wie ordnet sich dieses Segment in die große umgebende Sequenz ein? Die Segmente 38 bis 42 sind insgesamt einfach eine alternierende Folge, da 1. mehr als 4 Einstellungen enthalten sind; 2. aus den vorhandenen Einstellungen sich zwei Mengen von Einstellungen mit jeweils mindestens zwei Elementen bilden lassen: hier zwei Sequenzen mit einmal 2 Einstellungen (Segment 39) und einmal mehr als 2 Einstellungen (Segmente 38, 40, 41, 42); 3. jede dieser Mengen sich selbständig als basales narratives Syntagma klassifizieren lässt (Segment 39: Sequenz und Segment 38, 40, 41, 42: Sequenz) ; 4. in der Darstellung zwischen den einzelnen Mengen mindestens dreimal gewechselt wird; 5. zwischen den beiden Mengen sowohl Vorals auch Nachzeitigkeitsverhältnisse bestehen. An diesen narrativen Kern kann die Planung des Abends im Kaufhaus (Segment 35) und die dann erfolgende Verabredung (Segment 36: Sequenz 40 ) und die Fahrt zum Handlungsort (Segment 37: Sequenz) als Einleitung hinzuaggregiert werden. Die Metz’sche Segmentstruktur bleibt hier erhalten. Der ganze Komplex 35 - 42 ist damit zu klassifizieren als narrative Folge zweiter Ordnung und ergo als Syntagma dritter Ordnung: Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 84 Fig. 6: Narrative Hierarchisierung 3. Ordnung Diese Folge ist für den menschlichen Beobachter offenbar “narrativ maximal”. (Solange es allerdings kein scharfes Definiens narrativer Maximalität gibt, muss man mit der empirischen Möglichkeit alternativer Klassifikationen leben.) Auf jeden Fall bleibt der ganze Komplex 35 - 42 sowohl bei unserer Lesart als auch nach der (indiskutablen) Metz’schen Klassifikation zusammengesetzt aus rein narrativen Syntagmen. Im Unterschied zu Metz können wir solche Komplexe aber als Syntagmen dritter (und höherer) Ordnung behandeln und auch dort klassifizieren, wo Metz die Probleme in Nebenbemerkungen versteckt 41 . Ferner ist klar: Ohne eine Lösung des obigen Maximalitätsproblems ist eine formalgrammatische Entscheidung nicht möglich. Man benötigt für die Abgrenzung narrativer Folgen die Angabe nicht raumzeitlicher Zusammenhangsbedingungen wie etwa Generierung und Ausführung eines Plans an zwei oder mehr verschiedenen Räumlichkeiten (wie im obigen Beispiel) oder Ursache-Wirkungs-Beziehungen (s.u.). Theoretisch erstrebenswert ist eine Basis voneinander unabhängiger nicht raumzeitlicher Zusammenhangsbedingungen, aus denen sich jeder nicht raumzeitliche, aber narrative Zusammenhang erzeugen lässt. Narrative Reklassifkationen in Adieu Phillipine In diesem Abschnitt werden die narrativen Segmente 43ff von Adieu Phillipine behandelt - allerdings ohne die Segmente 49 und 83, die im nächsten Abschnitt, und ohne die Segmente 45 und 71, die im übernächsten Abschnitt untersucht werden. Wir unterziehen dabei nur die Segmente einer Einzelanalyse, die Metz anders behandelt als wir, so dass die Metz’sche Analyse 42 und dieser Aufsatz zusammen eine vollständige Klassifikation aller Metz’schen Segmente ergeben. Das Segment 43 ist ziemlich komplex und besteht aus 45 Einstellungen. Davon zeigen zehn Einstellungen (1, 4, 6, 8, 17, 21, 28, 30, 32, 44) nur einen Monitor mit einem geschnitte- Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 85 nen Fernsehbild. Weitere 14 Einstellungen zeigen einen Regieraum. Metz klassifiziert diese als zwei von drei “diegetisch simultane[n] Serien” eines alternierten Syntagmas. Der Monitor ist aber über mehrere Regieraumeinstellungen (Einstellung 12, 36, 38, 40 und 43) als Monitor in der Regie zu identifizieren. Diese insgesamt 24 Einstellungen lassen sich konsistent als räumlich zusammenhängend konzeptionalisieren. Zwischen mehreren Paaren dieser Einstellungen gibt es einen zeitlichen Sprung. Darum bilden sie insgesamt eine einzige Sequenz. Für die Analyse des ganzen Komplexes können diese Regieeinstellungen bis auf die Einstellung 12 (s.u.) ausfaktorisiert werden. Für die Analyse der restlichen 21 Einstellungen gibt zwei Möglichkeiten: 1. Ein Klassifikator konzeptionalisiert keinen räumlichen Zusammenhang zwischen Regie und Aufnahmeort - weder über das Bild noch über den Ton. Dann ist das ganze Segment 43 sicher nicht basal. Im rein narrativen Fall muss es dann eine narrative Folge erster oder höherer Ordnung sein. Da zwischen den Regieeinstellungen und den Seteinstellungen die Anforderungen an eine alternierende Folge erfüllt sind, liegt also entweder insgesamt eine alternierende Folge vor oder eine narrative Folge höherer Ordnung, die eine alternierende Folge enthält. Dies ist im wesentlichen die Metz’sche Position. Die genaue Ordnung der narrativen Folge des gesamten Segmentes bestimmt sich dann aus der Klassifikation der verbleibenden 21 Einstellungen. Dies können wir hier offen lassen - auf jeden Fall liegt eine narrrative Folge vor. 2. Der Klassifikator konzeptionalisert Atelieraum und Regie als einen (! ) Studioraum. Dies ist gerechtfertigt durch die Einstellung 12: Sie zeigt einen Blick aus der Regie in einen Atelierraum. Damit besteht zwischen der Regie und dem Atelier als Teil des Aufnahmeortes ein räumlicher Zusammenhang. Ohne Einzelanalyse der verbleibenden 21 Einstellungen am Aufnahmeort kann man damit klassifizieren, dass keine alternierende Folge für das ganze Segment vorliegen kann. Macht man die zusätzliche Annahme, dass die verbleibenden 21 Einstellungen nicht als Ganzes basal sind, muss es sich um eine narrative Folge erster Ordnung handeln, da die verbleibenden 21 Einstellungen sich auf jeden Fall in basale narrative Syntagmen gruppieren lassen 43 . Das Segment 44 wird von Metz als Sequenz klassifiziert mit der Begründung, es bestehe eine kurze Ellipse zwischen den zwei Gesprächshauptmomenten ‘Disput mit dem Aufnahmechef’ und ‘Ferienprojekt’. Schaut man sich das Segment mehrmals an, muss man das Segment als Szene begreifen: die Einstellungen werden über einen intendiert diegetischen Ton szenisch miteinander verbunden (Rein bildgrammatisch hat man es mit mehreren Planszenen zu tun). Segment 45 behandeln wir wie angekündigt im übernächsten Abschnitt. Segment 46 ist zweifelsfrei eine Sequenz, besteht aber aus drei Einstellungen und nicht zweien, wie Metz meint. Das Problem des Abreißens des Raumzeitkontinuums kann man sehr schön an Segment 47 und Segment 48 beobachten. Metz kategorisiert hier völlig unverständlich zwei Szenen. Dies ist eindeutig falsch. Es handelt sich um eine (einzige) Szene oder Sequenz. Inhaltlich ist in der ersten Einstellung ein Boot mit sich tummelnden Menschen sichtbar, in der zweiten Einstellung aber nicht. Im Ablauf der Handlung und der Konfiguration der Personen kann man einen deutlichen Zeitsprung beobachten: Ein Interaktant, der in einer Einstellung liegt, sitzt in der folgenden, ohne dass das Aufrichten beobachtbar ist. Also klassifizieren wir Sequenz. Segment 49 behandeln wir wie angekündigt im nächsten Abschnitt. Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 86 Das Segment 50 ist eine Planszene und keine Szene, da nicht geschnitten wurde. Die Klassifikation der Segmente 51 bis 54 ist bei den von uns unterstellten Interpolationsleistungen des menschlichen Beobachters (Vermutlich wurden alle Einstellungen nur mit einer Kamera erzeugt! ) mit Metz jeweils als Szene durchzuführen. Das Segment 55 wird von Metz als Szene klassifiziert. Dies kann nicht sein, da zwischen der ersten Einstellung und den nachfolgenden Einstellungen eine nicht quantifizierbare zeitliche Diskontinuität zu konstatieren ist. Das Segment zerfällt in eine Planszene und eine Sequenz, deren Einstellungen über einen intendiert diegetischen Ton miteinander verbunden werden. Segment 56 zerfällt in zwei Planszenen. Für Segment 57 gilt: Nur dann, wenn die erste Einstellung räumliche Anker enthält, die in den nachfolgenden Einstellungen noch einmal identifiziert werden können (Kandidaten sind die Steine und der Bach), hat Metz mit der Klassifikation als Sequenz recht. Andernfalls zerfällt dieses Segment in eine 1. Planszene mit anschließender 2. Sequenz, die über den Ton integriert ist: Inhaltlich sehen wir in vier Einstellungen einen Zeltaufbau durch die beiden Mädchen und das Aufsuchen eines Biwakortes durch Michele; dann folgt eine 3. Szene: eine Panoramaaufnahme mit anschließender Rückkehr Micheles in das aufgebaute Zelt; schließlich folgt eine weitere 4. Szene: Michele unterhält sich mit den beiden Mädchen im Zelt. In Segment 58 klassifiziert Metz die vorhandenen fünf Einstellungen als ‘Sequenz durch Episoden’. Diese gibt es in unserer Klassifikation nicht mehr. Das Segment zerfällt in eine 1. Szene mit drei Einstellungen, die wieder über den Ton (Grillenzirpen) räumlich integriert sind. Dann folgt eine 2. Planszene, die das weinende Gesicht Lilianes zeigt (die Einstellung ist weder extradiegetisch noch diegetisch versetzt, weil sie sich zeitlich als der vorigen Szene nachfolgend konzeptionalisieren lässt: Das Verhalten von Juliette verursacht das nachfolgende Weinen von Liliane). Schließlich folgt eine letzte 3. Planszene, die Juliette und Michele zeigt. Das Segment 59 ist (mit Metz) in unserer Terminologie eine Planszene. Das Segment 60 besteht aus 18 Einstellungen und ist damit keine Planszene. Ist es überhaupt basal? Es ist sicher keine Szene, weil schon beim Übergang von der zweiten zur dritten Einstellung zeitraffend geblendet wird. Ist es eine Sequenz? Dazu muss eine Raumeinheit konzeptionalisiert werden können. Ein Problem sind dabei mindestens die Einstellungen 11, 14 und 16, die Michele an einem Strand mit einem Sandsaum badend zeigen. Ein Sandstrand ist allenfalls auch im Hintergrund der Einstellungen 4 und 7 erkennbar. Es gibt aber keine räumlichen Anker, die uns eine sichere Einbettung des Badeortes Micheles an die Sandstrandlokalisation in diesen beiden Einstellungen erlauben. Damit ist unsere Randbedingung, dass der räumliche Zusammenhang anhand der abgebildeten Gegenstände erkennbar sein muss, verletzt; ein nur vom Beobachter rekonstruierter Zusammenhang, der nicht Bezug auf abgebildete Gegenstände Bezug nimmt, reicht ja nicht aus (s.o.). Damit kann das ganze Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 87 Segment nicht basal sein. Ist es narrativ, muss es eine narrative Folge sein. Ohne die räumlichen Argumente im Detail auszuführen, lassen sich die Einstellungen 11, 14 und 16 als Sequenz und alle anderen Einstellungen als weitere Sequenz (insbesondere durch Hintergrundanalysen) klassifizieren. Die narrative Aggregation dieser beiden Sequenzen zu einer narrativen Folge erster Ordnung beruht auf der reinen Konzeptionalisierung des Raumzusammenhanges ohne räumliche Verankerung. Segment 61 besteht aus mehreren Einstellungen. Für diese gilt: 1. das vereinigte Raumurbild aller Einstellungen kann von einem Beobachter anhand räumlicher Anker als zusammenhängend konzeptionalisiert werden; 2. die Reihenfolge der Einstellungen und der raumzeitliche Ablauf kann von einem Beobachter als homomorph angenommen werden. Von demselben Ort werden weitere Einstellungen gezeigt, die Metz als Segmente 62, 63, 65 und 66 gruppiert und in dieser Reihenfolge als autonome Einstellung, Szene, Szene und Szene klassifiziert. Das können wir mit unserem Begriffsinstrumentarium nicht mitmachen: Als Prioritätsregel haben wir etabliert, dass, falls eine Sequenz mehrere (maximale) Szenen enthält, das Ganze eine basale(! ) Sequenz ist. Alle Einstellungen der Metz’schen Segmente 62, 63, 65 und 66 gehören damit zum basalen narrativen Syntagma, das in Segment 61 begonnen wurde. Damit ist das Ganze entweder eine Szene oder eine Sequenz. Die Entscheidung ist aber leicht. Schon innerhalb des Segments 63, welches von Metz ja als Szene klassifiziert wird, sind Zeitsprünge zu beobachten: Wir sehen, wie eines der Mädchen einem Fremden behilflich ist, aus einem Taucheranzug auszusteigen. Dieser Vorgang wird durch Schnitt gerafft, so dass eindeutig das Zeitkontinuum mehrmals abreißt, obwohl die Kameraeinstellung statisch bleibt (Stopptrick). Zwischen einzelnen Gruppen, die Metz segmentiert, vergeht ferner deutlich viel Tageszeit. Also liegt insgesamt eine Sequenz vor. Das eingeschnittene Segment 64 ist (mit Metz) in unserer Terminologie eine Planszene. Segment 67 zerfällt in drei kurze Planszenen. Die anschließende Panoramaaufnahme, die Metz dem Segment 68 zuordnet, ist eine weitere Planszene. Diese und die restlichen 11 Einstellungen des Segmentes 68 werden von Metz als Sequenz klassifiziert 44 . Was liegt tatsächlich vor? Entscheidend für die Anwendung unserer Klassifikation narrativer Syntagmen ist die Konzeptionalisierung eines umfassenden Raumes, an den eine Zusammenhangsforderung gestellt wird. Dieser ist maximal ein (wie auch immer mathematisierter) räumlicher Abschluss des Urbildes der Messung. Jeder dieser Abschlüsse enthält alle Teile des Urbildes der Messung. Für szenische Zusammenhänge genügt es, die Zusammenhangsforderung an Teile des Urbildes zu stellen. Wir benutzen dazu das hier in allen Einstellungen sichtbare Auto. Für diesen “Autoraum” können wir von den verbleibenden 11 Einstellungen für die ersten fünf eine szenische Integration über Bild oder Ton konzeptionalisieren. In der sechsten, achten und zehnten Einstellung sehen wir das Zurücklassen Horatios. Die sechste und achte Einstellung lassen sich zu einer Sequenz zusammenfassen. In der siebten, neunten und elften Einstellung sehen wir das davonfahrende Trio Michele, Liliane und Juliette. Alle sechs Einstellungen enthalten dann eine (auch von Metz diskutierte) alternierende Folge, wenn von den letzten die letzten drei Einstellungen mindestens zwei zusammen wiederum ein basales narratives Syntagma bilden. Das geht hier nicht, da ein räumlicher Zusammenhang nicht konstruierbar ist. Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 88 Also zerfällt das Metz’sche Segment 68 in eine einleitende Planszene (Panoramaaufnahme); dann folgt eine Szene; darauf eine Sequenz mit eingeschnittener Planszene; schließlich folgen drei Planszenen. In der Szene kündigt Michele seinen Plan an, Horatio loszuwerden. Anschließend sehen wir die Ausführung dieses Plans. Dieser (nicht raumzeitliche) Zusammenhang legt eine narrative Folge nahe, die aus den letzten vier Syntagmen besteht. Segment 69 ist mit Metz eine Szene. Segment 70 ist bei Unterstellung einer räumlichen Integration über den Ton mit Metz eine Szene. Segment 71 wird im letzten Abschnitt behandelt. Segment 72 besteht aus zwölf Einstellungen, beginnend mit der Einfahrt in den Hafen. Gäbe es nur die ersten fünf Einstellungen, bildeten diese über Ton und räumliche Anker eine Szene; da aber auch die zeitversetzte achte Einstellung zum räumlichen Zusammenhang der ersten fünf Einstellungen gehört, kommen sogar die ersten acht Einstellungen zusammen für ein narratives Syntagma in Frage: Konzeptionalisiert man über die in der sechsten Einstellung sichtbare Rauchfahne einer Kanone einen raumzeitlichen Zusammenhang zu den ersten fünf Einstellungen, liegt in den ersten acht Einstellungen eine szenischer Zusammenhang vor. Ist das nicht der Fall, bilden die Einstellungen sechs und sieben, neun und zehn, elf und zwölf jeweils eine Szene; sie können zusammen nicht als Sequenz aufgefasst werden, da die nötigen Raumanker sowohl im Bild als auch im Ton fehlen. Das Ganze ist damit eine narrative Folge: entweder bestehend aus drei Szenen (Einstellungen 1 bis 8, 9 und 10, 11 und 12) oder bestehend aus einer ersten Sequenz (Einstellungen 1-5 und 8) und einer eingeschnittenen (Einstellungen 6 bis 7) sowie zwei anschließenden Szenen (Einstellungen 9 bis 12). Segment 73 wird von Metz als Sequenz klassifiziert. Es ist aber in unserem Sinne eine Szene, da die Einstellungen wiederum über einen intendiert diegetischen Ton miteinander verbunden werden. Segment 74 ist bei Metz eine ‘Sequenz durch Episoden’, die es hier nicht mehr gibt. Die ersten fünf Einstellungen sind räumlich zusammenhängend; ihr zeitlicher Zusammenhang muss aber offen bleiben. Es handelt sich also um eine Szene ODER Sequenz. Die sechste Einstellung ist eine Planszene. Die folgenden vier Einstellungen werden über den diegetischen Ton zu einer Szene integriert. Die verbleibende Einstellung ist eine Planszene. Das Ganze lässt sich (mit derselben Begründungslage wie bei den Segmenten 35 - 42) als narrative Folge auffassen. Segment 75 ist bei Metz eine Sequenz. Die beiden ersten Einstellungen sind nicht über räumliche Anker zuverlässig in eine Szene oder Sequenz zu integrieren. Es sind daher Planszenen. Die folgenden Einstellungen sind aber problemlos eine Szene. Segment 76 ist mit Metz eine Szene. Segment 77 ist bei Metz eine Szene, aber nicht geschnitten; also muss es eine Planszene sein. Segment 78 ist bei Metz eine Sequenz. Das ganze Segment besteht aus 21 Einstellungen. Die zweite Einstellung und die vierte Einstellung ist jeweils eine eigene Planszene. Die restlichen 19 Einstellungen bilden in der Tat eine Sequenz. Zusammen bilden sie eine narrative Folge. In Segment 79 (bei Metz eine ‘Sequenz durch Episoden’) bilden von der Metz’schen ersten Episode die ersten drei Einstellungen eine Szene; dann folgt eine Planszene. In der zweiten Episode liegt keine Szene vor, da zwischen der ersten und zweiten Einstellung Zeit vergangen sein muss. Also bliebe basal nur eine Sequenz. Dazu bedarf es einer räumlichen Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 89 Integration durch Anker. Diese ist nicht möglich für die dritte Einstellung und für die ersten beiden Einstellungen nicht plausibel erzeugbar. Also liegen drei Planszenen vor. Die dritte Episode ist eine Sequenz. Segment 80 zerfällt in zwei Planszenen. Das Segment 81 ist bei Metz eine Szene. Das ganze Segment besteht aus 22 Einstellungen. Die zwanzigste Einstellung zeigt als einzige ein stehendes Auto von außen ohne diegetischen Ton aus dem Inneren des Autos. Nur die erzählte Umgebung, aber nicht räumliche Anker im Bild erlauben den Schluss, dass diese Einstellung das Auto auf seiner momentanen Fahrt durch Korsika zeigt. Also liegt eine Klassifikation als Einfügung nahe. Da wir aber keine Theorie der Einfügungen haben und hier auch nicht bereitstellen können (cf. Fußnote 17), bleibt hier nur die Klassifikation als Planszene. Es verbleiben 21 Einstellungen aus dem Inneren des Autos, in dem die Interaktion stattfindet. Für den menschlichen Beobachter ist dieser mit den räumlichen Ankern als zusammenhängender Raum zu konzeptionalisieren (etwa durch Zeichnen einer Karte), da die drei Einstellungen 7, 9, 21 Liliane und Michele gemeinsam zeigen (ansonsten sehen wir entweder nur Michele hinter dem Steuer oder nur eines oder beide Mädchen auf dem Rücksitz). Da das ganze Gespräch vor und nach der Planszene auch jeweils zeitlich zusammenhängend als Planszene inszenierbar ist, liegt in den ersten 19 Einstellungen und in den letzten zwei Einstellungen eine Sequenz vor mit eingeschnittener Planszene. Segment 82 ist mit Metz eine Planszene. Das letzte Segment 83 behandeln wir nun im nächsten Abschnitt. Exemplifikatorische Grenzen einer denotativen Klassifikation Der Schwerpunkt unsrer bisherigen Analysen waren die narrativen Syntagmen. Mit diesen lässt sich das empirische Material aber nicht vollständig behandeln. Denn wie wir einleitend bemerkt haben, bekommt man schon das Segment 1 mit der Metz’schen Syntagmatik und mit den nunmehr vorliegenden Redefinitionen rein narrativer Syntagmen nicht in den Griff. Dieselbe empirische Situation findet sich nun im Segment 49 und im Schlußsegment 83; für beide bringt Metz erstaunlicherweise das Syntagma mit zusammenfassender Klammerung nicht in Anschlag, obwohl auch diese beiden Segmente in rein narrativer Lesart keinen rechten Sinn machen. Metz klassifiziert in Segment 49 schlicht Sequenz. Dies kann man zwar mit gewisser Berechtigung auch tun, denn wir sehen, wie ein Bus ankommt, Leute aussteigen und in unterschiedlichster Form begrüßt werden. Unter den Ankommenden sind die beiden Mädchen Liliane und Juliette, die von Michel und einem Freund gewissermaßen nebenher in Empfang genommen werden. Man kann die Reihung der Einstellungen als Sequenz klassifizieren. Andererseits gibt es etliche Einstellungen, deren zeitliche Einordnung in eine Narration möglich, aber nicht zwingend ist. Würde man all diese Einstellungen zusammen montieren, bekämen wir ein Segment, welches Metz als Syntagma der zusammenfassenden Klammerung klassifizieren müsste, da der Inhalt nicht mehr ausdrückt als ‘fröhliche Menschen feiern ausgelassen’. Für dieses Segment stellte sich - viel stärker noch als bei einfachen Einfügungen - die Frage nach ihrem syntagmatischen Status. Folgende alternative Klassifikation liegt nahe: Auf der untersten Ebene bilden einige Einstellungen eine Sequenz, andere aber ein Syntagma der zusammenfassenden Klammerung. Dabei müssen diejenigen Einstellungen, die sich zu einer Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 90 Sequenz, und diejenigen Einstellungen, die sich zu einem Syntagma der zusammenfassenden Klammerung aufaggregieren, nicht notwendig disjunkt sein. Bezugstheoretisch ist dies deshalb plausibel, weil eine Realisation eines Zeichens sowohl exemplifikatorisch als auch denotativ funktionieren kann 45 . Vor demselben Problem stehen wir im letzten Segment 83 des Films. Metz klassifiziert dieses Segment ebenfalls einfach als Sequenz. Dazu ist definitionsgemäß notwendig, dass die Reihung der Einstellungen einen zeitlichen Ablauf homomorph denotiert. Das kann man nur bis zu einem gewissen Punkt annehmen; dann muss man differenzierter hinsehen. Zunächst kommt in der Tat eine Sequenz, die man mit ‘Aufbruch zum Schiff’ bezeichnen kann. Diese Sequenz dauert bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Totale, welche links im Bild eine Schiffswand und rechts im Bild die Mole zeigt, durch eine Wischblende beendet wird. Die ersten drei Einstellungen dieser Sequenz sind durch die folgenden räumlich in ein Hafengebiet konzeptionell einbettbar; die vierte Einstellung bis zur Wischblende werden durch räumliche Anker und über den diegetischen Ton so räumlich integiert, dass für das Urbild der Messung leicht eine Karte angelegt werden kann. Dann kann man mit Metz versuchen, narrativ weiterzulesen, um die Sequenz fortzuführen. Allerdings können die weitere Reihenfolge der Einstellungen und der raumzeitliche Ablauf nicht homomorph sein: 1. Die Entfernungen, die das sich entfernende Schiff vom Hafenrand hat, stimmen nicht überein mit den Entfernungen der mehrmals auf den Hafen zurückblickenden Kamera auf dem Schiff; 2. zwei Einstellungen der laufenden und winkenden Mädchen auf einer Mole zeigen im wesentlichen dieselben Laufpositionen im Urbild, obwohl die Mädchen schon weitergelaufen sein müssten. Diese Unstimmigkeiten schließen eine rein denotative Lesart aus; sie ist vermutlich auch gar nicht intendiert: Nach der Wischblende beginnt eine “alternierende”, aber nicht narrative (also von uns auch klassifikatorisch noch nicht erfasste! ) Folge, welche zwei Syntagmen der zusammenfassenden Klammerung enthält: Das eine Syntagma der zusammenfassenden Klammerung drückt Abschied des Fortfahrenden aus, das andere Abschied der Bleibenden. Diese beiden Syntagmen zusammen bilden eine Einheit zweiter Ordnung, welche thematisch ‘Abschied’ ausdrückt. Die Einstellungen werden immer totaler, womit in der Tat das Sichentfernen denotiert wird. Alles zusammen ergibt ein Syntagma höherer Ordnung, welches man als ‘Schluss des Films’ überschreiben kann. Für diesen Schluss werden zwei exemplifikatorische Syntagmen im wesentlichen alternierend aufaggregiert 46 . Insgesamt wird hier die Trennung der Wege der beiden Mädchen einerseits und Michels andererseits inszeniert. Dieser Schluss nimmt inhaltlich auf den Anfang des Films Bezug, wo sich die Wege der Mädchen und Michels erstmalig kreuzten. Aber auch formal haben wir hier exakt dieselbe klassifikatorische Ausgangslage wie im Segment 1. Eine rein narrative Lesart des Schlusssegmentes ist auch der Reichhaltigkeit des filmischen Materials nicht angemessen, wenn man exemplifikatorische Bezugnahmen zulässt. Warum Metz das Segment 1 als Syntagma mit zusammenfassender Klammerung, das Schlusssegment aber rein denotativ klassifiziert, ist bei ihm zumindest nicht konsequent zu Ende diskutiert. Diese Diskussion kann grundsätzlich nicht ohne ein Beobachtermodell, das über die Möglichkeit denotativer Bezugnahmen hinausgeht, geführt werden. Wir stoßen hier mit dem bisher Erarbeiteten an die Grenzen einer rein denotativen Sicht. Eines gilt es aber fest- Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 91 zuhalten: Nur wenn man für das Beobachtermodell die exemplifikatorische Bezugnahme explizit ausschließt (dem Beobachter also insbesondere keine Gefühle zugeschrieben werden), kann man den exemplifikatorischen Anteil des obigen Schlusssegmentes deskriptiv lesen. Damit kommen wir abschließend zum denotativen Zwilling des Metz’schen Syntagmas mit zusammenfassender Klammerung: dem deskriptiven Syntagma. Das deskriptive Syntagma Metz selbst führt ein (basales! ) ‘deskriptives Syntagma’ wie folgt ein: “Abfolgen auf der Leinwand (entsprechen) keine diegetischen Abfolgen” 47 . Müller-Naß schreibt: “Beim deskriptiven Syntagma entspricht die Folge der Bilder eher einer Folge von Blicken auf Dinge, die gleichzeitig präsent sind (kopräsent), selbst aber keinen Zeitverlauf bilden (Landschaft, Teil der Landschaft usw.).” 48 Als ‘deskriptive Syntagmen’ klassifiziert Metz in Adieu Phillipine das Segment 45 und das Segment 71. Behandeln wir mit Metz das Segment 45 rein deskriptiv, muss für die Abgrenzung zum nachfolgenden Segment 46 angegeben werden, wo der deskriptive Teil aufhört und die Narration beginnt. Dazu bedarf es eines formalen Kriteriums des Überganges von Deskription zu Narration. Dieses Kriterium muß die Einführung einer denotierten zeitlichen Ordnung durch den Beobachter beinhalten. Dieses Problem ist uns schon bekannt: Mit den obigen Analysen könnte man auch Einstellungen, die in der Exposition im Segment 1 von Adieu Philippine gemeinsam exemplifikatorisch funktionieren, auch rein deskriptiv lesen (dann verlören sie natürlich ihre exemplifikatorische Eigenschaft). Auch dort wird eine Umgebung gezeigt, aus der Michele als Thema “herausgeht”. Ebenso verhält es sich in Segment 71, wo ein Schiff aus einer deskriptiven Beschreibung in eine narrative Darstellung übergeht. Der naheliegendste Vorschlag ist der, nur solche Einstellungen einem deskriptiven Syntagma zuzuschlagen, die untereinander ohne Einschränkung vertauschbar sind. In erster Näherung kann man dann in Analogie zu den Einträgen eines Telefonbuches definieren, dass ein deskriptives Syntagma vorliegt, wenn • alle Einstellungen E1, E2, …, En eines Segmentes miteinander vertauschbar sind. Im diesem Falle sind beliebige Lesewege für die Einstellungen eines Segmentes erlaubt. Syntagma mit zusammenfassender Klammerung und deskriptives Syntagma sind bei Zugrundelegung dieser Definition klassifikatorisch nah benachbart in dem Sinne, dass ggf. eine ohne Einschränkung vertauschbare Menge von Einstellungen exemplifikatorisch als Syntagma mit zusammenfassender Klammerung und rein denotativ als ‘deskriptives Syntagma’ gelesen werden kann 49 . Dabei bleibt allerdings für die denotative Lesart die Unterstellung einer von allen Einstellungen gemeinsam denotierten Weltzeit unberücksichtigt. Im Anschluß an Möller-Naß kann man daher alternativ definieren, dass ein deskriptives Syntagma vorliegt, wenn • für Einstellungen E 1 , E 2 , …, E n mit der jeweilig denotierten Weltzeit I(E ) = [start(E ), end(E )], 1 n und für der Intervallwert I(E ) in E 1 , E 2 , …, E n durch I ersetzt werden kann. Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 92 In dieser Definition wird der chronologische Charakter des deskriptiven Syntagmas explizit mit einbezogen: Das Intervall I ist sozusagen der minimale überdeckende Zeitcontainer für die einzelnen Einstellungen. Für welche Definition man sich entscheidet, kann im Rahmen der bisherigen syntagmatischen Überlegungen offen bleiben. Wir wenden sie nur auf das Segment 45 und das Segment 71 an. Von den vier deskriptiven Einstellungen des Segmentes 45 enthalten drei eine Darstellung von Michele; jede Montage dieser vier Einstellungen (insgesamt also 24) ist geeignet, Michele als Rhema für das narrative Thema in Segment 46 einzuführen. Damit liegt nach der ersten Definition ein deskriptives Syntagma vor. Zum Segment 71 gehört sicher nicht mehr die Einfahrt in den Hafen, in der auch Pachala zu sehen ist. Die in den vorhergehenden Einstellungen sichtbare Veränderung der Küstenlinie ist ohne erkennbaren narrativen Fortschritt. Wir fassen all diese zu einem deskriptiven Syntagma zusammen. Schluß Wir haben in diesem Papier - wie im Prinzip auch Metz - die denotativ chronologischen Syntagmen ausgearbeitet, die eine vollständige Klassifikation des ganzen Films Adieu Philippine (bis auf die von uns benannten exemplifikatorischen Besonderheiten im Segment 1, Segment 49 und Segment 83) ermöglichen. Eine Analyse von Adieu Philippine führt zu den folgenden syntagmatischen Klassen: Man benötigt drei Typen von autonomen Einstellungen, deren theoretischer Status in einer generellen Syntagmatik von uns allerdings nicht geprüft wurde: 1. die Planszene, 2. die diegetisch versetzte Einfügung und die nicht-diegetische Einfügung, Ferner sind drei Typen von basalen denotativen Syntagmen erforderlich, wovon die ersten beiden definitorisch auf raumzeitlichen Zusammenhangsbedingungen basieren: 1. die Szene, 2. die Sequenz, 3. das deskriptive Syntagma. Alle narrativen Zusammenhangsbedingungen, die sich nicht allein aus dem raumzeitlichen Zusammenhang des gemessenen Urbildes ergeben, haben wir zu Syntagmen höherer Ordnung zusammengefasst. Diese Typen sind: 1. die narrative Folge und als Spezialfall 2. die alternierende Folge. Das ist das ganze denotativ-chronologische syntagmatische Inventar, das zur Klassifikation von Adieu Philippine erforderlich ist. Eine Ausarbeitung syntagmatischer Kategorien ist insbesondere für den exemplifikatorischen und den denotativen und zugleich nicht-chronologischen Fall wünschenswert 50 . Dies Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 93 kann auch Spezialisierungen der obigen Definitionen erforderlich machen (man denke für die nicht narrativen Syntagmen nur an den Unterschied zwischen einer geordneten und nicht geordneten Liste). Metz liefert dazu nicht mehr als Andeutungen. Ferner ist eine Auflösung der Klasse der narrativen Folge in Subklassen gemäß noch zu definierender nicht raumzeitlicher Zusammenhangsbedingungen wünschenswert. Außerdem fehlt eine Theorie der Einfügungen. All dies muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Anmerkungen 1 Z.B. Metz (1964), Metz (1965), Metz (1966). 2 Der Übersicht halber reproduzieren wir hier noch einmal ihre graphische Repräsentation (aus Metz (1972, 198): ) 3 Möller-Naß (1986). Eine umfangreiche Liste der Metz’schen Veröffentlichungen findet sich in dieser Publikation. 4 M. Colin hat in Colin (1989) eine Revision der Metz’schen Syntagmatik vorgenommen; wir benutzen die engliche Übersetzung dieses Artikels in Buckland (1995). 5 Metz (1972, 199 - 237). Barry Salt behauptet in Salt (1992, 9), dass dies auch die einzige (! ) empirische Analyse eines ganzen Films sei, die Metz vorgelegt habe. 6 Die Web-Version findet man auf der Site des MedienZentrums der Universität Essen: http: / / www.mz.uniessen.de 7 Um die Metz’sche Terminologie von der unseren zu unterscheiden, legen wir folgende Konvention fest: - Wird ein Klassifikationsterm in Anführungsstriche gesetzt, so kommt er aus der Metz’schen Klassifikation. Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 94 - Klassifikationsterme, die kursiv gesetzt sind, sind entweder von uns vollkommen neu eingeführt (wie ‘Planszene’) oder finden sich als Term auch in der Metz’schen Klassifikation, haben von uns aber eine neue Definition bekommen. Am Beispiel des gerade eingeführten Begriffs Segment ist die Vorgehensweise ablesbar: Der Begriff wird ab dem Abschnitt im Text kursiv gesetzt, an dem er in unserer Klassifikation aufgegangen ist. 8 Goodman (1984, 127). 9 Goodman (1987, 89). 10 Zur exakten Begriffsbildung für diese Forderung cf. (Schmidt 1999), insbesondere Kapitel 3. 11 Goodman, Elgin (1989, 166). 12 Goodman, Elgin (1989, 35). 13 Exemplifikatorische und zugleich chronologische Segmente sind zumindest ad hoc konstruierbar: z.B. die metaphorische Exemplifikation von “ungezügeltem Fortschritt” durch mehrere zeitlich geordnete Einstellungen meherer wild galoppierender Pferdebeine. Zum Status solcher ad hoc Beispiele cf. Colin in Buckland (1995, p. 60f). 14 Bei einer Fusion ist eine Einstellung (z.B. die letzte) des vorausgehenden Syntagmas identisch mit einer (z.B. der ersten) Einstellung des nachfolgenden Syntagmas. Klassifikatorisch bedeutet die Einführung von Fusionen, dass eine einzelne Einstellung mehreren unterschiedlich klassifizierten Segmenten angehören kann. 15 Die Annahme ist deshalb stark, weil sie nur für das einleitende Segment funktioniert ohne Berücksichtigung des weiteren Fortganges. Für das einleitende Syntagma mit Klammerung könnte man den denotativen Bezug auf die Person Michels aufgeben (etwa durch Austausch des Darstellers) ohne klassifikatorische Konsequenzen: das erste Syntagma bliebe ein Syntagma mit Klammerung; das zweite Syntagma bliebe im Metz’schen Sinne eine Sequenz. 16 So auch Branigan (1999, 35f) 17 Cf. insbesondere Möller-Naß (1986, 208ff). Dieser Meinung sind wir auch. Ihre Ausarbeitung kann aber aus Platzgründen nicht erfolgen. 18 Cf. Metz (1972, 172). Metz hält sich im übrigen, wie Möller-Naß ebenfalls anhand von Adieu Philippine (Segmente 17 und 18 (s.u.)) zeigt, selbst nicht an seine Definition (cf. Möller-Naß (1986, 198f). 19 Namen von Klassen kann man vergeben wie man will: Der Name “Plansequenz” ist unseres Erachtens sowieso unglücklich, da er auf Namensebene eine Sequenz, die im Metz’schen Sinne inhaltlich sehr weit von einer einzelnen Einstellung entfernt ist, und einen besonderen Typ einer Einstellung sehr nah zusammenbringt! Falsch liegt Salt in Salt (1992, 99) mit seiner harschen Kritik am Metz’schen Klassifikationsschema, wenn er bemängelt, daß die inhaltlich Verwandtschaft von Szene und Plansequenz (bei uns im weiteren “Planszene”) sich auch im Klassifikationsschema auf Namensebene zeigen müsse. 20 Cf. Buckland (1995, 96ff). 21 Zur Axiomatisierung einer zusammenhängenden Weltzeit cf. Davis ( 1990, 212ff). 22 Auch hier ein Wort zur Terminologie: In der Informatik ist “Szene” typischerweise die Bezeichnung für das gemessene Urbild eines Sensors. Hier ist Szene der Name für ein Syntagma, das das Urbild unter Wahrung der obigen drei Bedingungen abbildet. Beide Sichten passen offenbar gut zusammen; der Unterschied ist aber im interdisziplinären Dialog zu beachten, da sonst für Verwechselungen zwischen denotierendem Zeichen und Denotat Tür und Tor geöffnet ist. 23 Dies ist in der Dokumententheorie der terminus technicus für die Struktursicht auf Dokumente. 24 Über unsere Bildanalyse hinaus macht diese Einfügung im übrigen nur Sinn, weil Adieu Phillipine ein Tonfilm ist, denn erst, wenn man die Einfügung mit dem großsprecherischen Verhalten Michels kontrastiert sieht, entsteht für einen normalen menschlichen Beobachter ein begreifbarer Zusammenhang. 25 Wenn in eine Planszene eine andere Einfügung oder ein Syntagma hineinmontiert würde, bliebe auch die diegetische Einheit trotz dazwischenmontierter Einfügung oder dazwischenmontiertem Syntagma erhalten. Aber syntagmatisch zerfiele eine Planszene im Unterschied zur Szene dadurch in zwei Planszenen. 26 Cf. Buckland (1995, 70). Eine weitere Lösung ist die von Colin unter Bezug auf Wunderlich vorgeschlagene: “In the sequence, space is constructed by the movement of an object, in the sense that the object ‘can follow a certain trajectory within space’”. Dies gilt im Unterschied zur Szene, für die gefordert wird: “space is constructed as a topological frame, so that ‘each point has a range of environments’.” (Buckland (1995, 71). Das Colin’sche Kriterium für Sequenzen bringen wir in Syntagmen höherer Ordnung unter (s.u.). 27 Das Segment kann also sowohl narrativ aufgefaßt werden, weil es eine Anzahl von Handlungen in Abfolge zeigen könnte, als auch als ein Syntagma der zusammenfassenden Klammerung, wenn angenommen wird, dass die wiederholt gezeigte Art des Autofahrens einen Begriff der jugendlichen Ungezügeltheit exemplifiziert, und Zur chronologischen Syntagmatik von Bewegtbilddaten 95 schließlich auch noch ggf. metanarrativ. Diese mehrfache Klassifizierbarkeit von Einstellungen unter exemplifikatorischen und denotativen Gesichtspunkten wird weiter unten noch einmal ausführlicher behandelt. 28 Das liegt vermutlich daran, dass eine Sequenz durch Episoden (im Gegensatz zu einer Sequenz mit versetzter Einfügung) die zeitliche Reihenfolge der Einstellungen nicht stört. 29 Metz (1972, 176). 30 Metz (1972, 210). 31 Metz (1972, 212). Sehr materialreich und umfassend zum Telefon im Film cf. Debatin, Wulff (1991). 32 Es sind Sequenzen und nicht Planszenen, wie man vielleicht denken könnte, weil die Zeit zwischen den Umschnitten weiterschreitet und wir nach Rückkehr aus der komplementären Szene nicht an dem Zeitpunkt anschließen, an dem wir die Einstellung vor Umschnitt auf die komplementäre Szene verlassen haben. 33 Zuvor noch ein Einspruch. Er gilt dem Segment 21: Hier spricht Metz von einer autonomen Einstellung. Dies kann schon alleine deshalb nicht sein, weil das Segment offenbar geschnitten ist. 34 Verzichtet man auf die Minimalitätsforderung (führt man also keine Limitationen für die Tiefe eines Strukturgraphen ein), ist an dieser Stelle eine auch eine alternative Klassifikation als narrativer Folge höherer Ordnung (s.u.) möglich. 35 Zuvor wieder einige Einsprüche: Die Metz’schen Segmente 25, 26 und 28 bilden eine Sequenz. Das Segment 27 ist eine Planszene. Alle vier zusammen bilden eine narrative Folge. - Das Segment 29 ist nach unseren Definitionen keine Sequenz, sondern eine narrative Folge. 36 Diese Interpretation als “direkte Rede” ist die theoretisch einfachste Interpretation. Würde man die Zeitverhältnisse anders interpretieren, kommt man um eine Zeitlogik wie etwa die Allen’sche Zeitlogik (Allen 1983) nicht herum: Dies ist hier für die Zwecke der Klassifikation aber nicht notwendig. 37 Metz selbst gibt nur textliche Beispiele für das parallele Syntagma an: etwa eine abwechselnde Folge aus Bildern aus dem Leben der Reichen und der Armen ohne einen intendierten zeitlichen Bezug auf einen Gegenstandsbereich. 38 Das geforderte zeitliche Verhältnis ist zu operationalisieren durch eines von sieben möglichen Relationen zwischen zwei Zeitintervallen, wie sie in Allen (1983) festgelegt sind. 39 Das Segment 41 ist keine Szene, wie Metz annimmt, sondern eine autonome Einstellung, da kein Schnitt beobachtbar ist. 40 Metz klassifiziert Segment 36 als Szene. Diese Entscheidung kann richtig, aber auch falsch sein: In diesem Komplex finden wir Schnitte und eine Wischblende. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob das Raumzeitkontinuum trotz dieser Konjunktionen erhalten bliebe. Wenn man sich die Übergänge von Einstellung zu Einstellung näher ansieht, stellt man allerdings fest, dass mindestens ein Schnitt formal und inhaltlich einen sehr harten Übergang darstellt, so, als ob hier etwas weggelassen wäre. Damit wäre aber der Tatbestand einer Sequenz gegeben. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Wischblende. Einerseits scheint die dargestellte Handlung ein klares Raumzeitkontinuum darzustellen. Andererseits ist eine Wischblende ein deutlich unterstützendes formales Signal, welches in der Regel so gedeutet wird, dass ein größerer Orts- oder Zeitwechsel erfolgt. Ein wiederholtes Ansehen der Sequenz oder Szene legt die Interpretation nahe, dass der Komplex vom Filmemacher als Szene gemeint war, dass er aber formale Schwierigkeiten hatte, den raumzeitlichen Zusammenhang darzustellen. Die Wischblende scheint gewählt zu sein, um zwei ähnliche Einstellungsgrößen harmonischer zusammenzufügen. Für den Schnitt bietet sich nur die vage Hypothese an, dass der szenische Zusammenhang aus zwei alternativen Einstellungen zusammengeschnitten wurde, weil sich vielleicht eine der Darstellerinnen in der ersten versprochen hatte. Dies sind aber ungesicherte Spekulationen. 41 Die narrative Folge als Syntagma zweiter Ordnung hatte Metz ja selbst außerhalb seiner Klassifikation eingeführt und benutzt. 42 Ganz Kapitel 6 aus Metz (1972). 43 Es ist in Analogie zu reinen Rechenaufgaben hier eine mühsame Fingerübung, die verbleibenden 21 Einstellungen hinsichtlich ihrer Basalität zu untersuchen. Wir ersparen dies dem Leser. 44 Metz diskutiert alternativ sogar ein ‚alterniertes Syntagma’ (! ), da sich eine Differenz von Einstellungen des wegfahrenden Trios Michele, Liliane, und Juliette und von Einstellungen eines verlassenen Begleiters ausmachen lasse. 45 Grundsätzlich ist an dieser Stelle noch die denotative Syntagmatik ergänzende Theoriearbeit zu leisten. Diese Arbeit lassen wir hier explizit außen vor. 46 Hier zeigt sich, dass auch nicht denotative Syntagmen zu Syntagmen höherer Ordnung aufaggregiert werden können. Im Rahmen einer Analyse von Adieu Philippine ist eine umfassende exemplifikatorische Syntagmatik aufgrund des geringen empirischen Materials allerdings nicht plausibel erzeugbar. Karl-Heinrich Schmidt und Thomas Strauch 96 47 Metz (1972, 175). 48 Hervorhebungen nicht übernommen. 49 Auf anderen Wegen kommt Colin in Buckland (1995, 68) zu demselben Urteil: “In other words, the bracket syntagma can also be considered as being descriptive; it does not then describe a specific situation, but a type of situation. In the case of the decriptive syntagma, the situation is specific and therefore localised in the diegesis (‘connected to the rest of the narrative’, as Metz would say), which is not true of a type of situation” - Die graphische Nachbarschaft in der Metz’schen Repräsentation beider Klassen im Schema der Großen Syntagmatik ist dagegen theoretisch zufällig. 50 So ist das “parallele Syntagma” bei Metz ein Spezialfall, der algebraisch allgemeiner behandelt werden kann. Wir haben es hier nicht behandelt, da es in Adieu Philppine nicht vorkommt. Literaturverzeichnis Allen, James (1983) Maintaining Knowledge about Temporal Intervalls, Comm. ACM 26: 832- 843. 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