Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2002
251-2
Michael Hanke, Kommunikation und Erzählung. Zur narrativen Vergemeinschaftungspraxis am Beispiel konversationellen Traumerzählens, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, 300 S., ISBN 3-8260-1950-4, 72,90 €
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2002
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod251-20193
Reviews 193 Michael Hanke, Kommunikation und Erzählung. Zur narrativen Vergemeinschaftungspraxis am Beispiel konversationellen Traumerzählens, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, 300 S., ISBN 3 - 8260 -1950 - 4, 72.90 Das hier vorzustellende Buch des in Brasilien an der Universität von Minas Gerais in Belo Horizonte lehrenden Medienwissenschaftlers Michael Hanke, Schüler noch des früh verstorbenen Bonner Kommunikationsforschers Gerold Ungeheuer, basiert auf einer (1998 von der Universität-GH Essen angenommenen) Habilitationsschrift. Das merkt man ihr auch nach ihrer Überarbeitung noch an. Sie argumentiert auf hohem Niveau und versagt sich stilistische Konzessionen an den flüchtigen Leser. Sie versteht sich als Beitrag zu einer sozialwissenschaftlich fundierten und empirisch ausgerichteten Gesprächsanalyse. Diese weist dem kommunikativen Handeln, insbesondere dem alltagsweltlichen, einen zentralen Stellenwert zu im Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft. Sie steht damit in einer Theorietradition, deren Spannweite zwischen den Entwürfen von Georg Simmel und Alfred Schütz und Thomas Luckmann liegt. Zu Alfred Schütz hat der Autor übrigens auch gerade eine weitere Monographie vorgelegt, die eine sehr gut lesbare Einführung in dessen Werk bietet und im Passagen-Verlag zu Wien erschienen ist. Auf dem Boden eines so umrissenen theoretischen Fundaments gilt das Interesse des Autors dem alltagsweltlichen Erzählen als einer Kommunikationsform mit ganz spezifischer Funktionalität, einer Form, die er als einen Teilbereich und Baustein allgemeiner semiotischer Kompetenz versteht: als Sprach- und Symbolfähigkeit des Handelnden leistet sie einen konstitutiven Beitrag zu alltagsweltlicher Kommunikation schlechthin. Dies wird am konkreten Beispiel des Träumens als einem von zahlreichen möglichen Erzählgegenständen mit den methodischen Instrumentarien der empirischen Gesprächsanalyse untersucht. Das Träumen, das als ubiquitäre menschliche Erfahrungsmodalität einen festen Bestandteil eines jeden individuellen Wissenshaushalts bildet, weist typische Besonderheiten auf wie seine Abkehr zugleich von der Sozialwelt und von der Privatheit, aber auch eine spezifische “Ereignislogik”, die sich dadurch auszeichnet, im konventionellen Sinne weder “Ereignis” noch “logisch” zu sein. Diese Eigentümlichkeiten stellen einen potentiellen Erzähler und das sprachliche Erzählschema vor eine besondere Aufgabe, die vom Erzähler zu lösen ist gemäß dem Postulat der Vergemeinschaftung individueller Erfahrungen, die erst als sprachliche zu sozial geteilten Wissensbeständen werden. Der sozialwissenschaftliche, genauer: soziosemiotische Zugang stellt das Erzählen als Konstruktionsleistung erster Ordnung durch die Kommunikationspartner in Rechnung, die in sinnhaften Handlungen das Objekt der Analyse konstituieren. Als Konsequenz aus dem Stellenwert des Gesprächs als funktionaler Matrix der Kommunikation kann dies nur eine Gesprächsanalyse sein, die das Erzählen als Konstruktions- und Kommunikationsleistung in den Blick nimmt. Deshalb unternimmt es der Verf., ein umfangreiches Corpus alltagsweltlicher Traumerzählungen unter verschiedenen Gesichtspunkten (wie z.B. ihrer strukturellen Spezifik und ihrer argumentativen Gesprächseinbettung) empirisch zu analysieren. Nach einem solchermaßen skizzierten einleitenden Problemaufriß folgen Überlegungen, die den besonderen Stellenwert von Gespräch und Dialog für die Kommunikation sowie ihrer Theorie hervorheben, wobei sich die Arbeit als “Studium der Zeichen im sozialen Kontext” im wohlbekannten Saussureschen Sinne verortet. Ihrer Ausrichtung gemäß wird die Kommunikationsform des Erzählens unter anderem unter dem Aspekt ihres Stellenwerts und ihrer Funktionalität charakterisiert, bevor die Spezifik des Erzählgegenstands insoweit thematisch wird, als diese für den Erzählvorgang einschlägig ist. Mit dem Schützschen Konzept der mannigfaltigen Wirklichkeiten wird das ‘Träumen’ als Erfahrungsmodalität eigener Sinnprovinzen bestimmt, dessen Erzählen als kommunikatives Handeln subjektiv Gewußtes in Zeichen übersetzt. In der Folge wird solches konversationelles, gesprächsweises Traumerzählen empirisch untersucht, wobei das Instrument des Gruppengesprächs als nicht-direktive Methode zur Erhebung solcher Erzählungen zur Anwendung gelangt. Der Darstellung des Untersuchungs- Reviews 194 designs folgt die Spezifik von Gesprächssituation und Kommunikationsstil sowie deren Auswirkungen auf das Korpus und seine Entstehung, bevor dann die materialreiche Analyse - das empirische Material wurde wohl der besseren der Lesbarkeit wegen aus dem Text in einen Anhang ausgegliedert - des konversationellen Traumerzählens durchgeführt wird. Diese macht für die nähere Bestimmung dessen, was unter einer Erzählung zu verstehen ist, von der konversationsanalytischen Beobachtung Gebrauch, daß die Kommunikationspartner sich gegenseitig den Charakter ihrer Kommunikationshandlungen den Organisationserfordernissen gemäß ausweisen, so daß auch die Konstituierung des Objekts ‘Erzählung’ und seine linguistische Markierung durch die Erzähler erfolgt. Im weiteren Verlauf werden die strukturellen, die semantischen und die pragmatischen Besonderheiten des Gegenstands untersucht und die spezifischen Muster der untersuchten Traumerzählungen herausgearbeitet. Strukturell erweist die (methodisch an Labov & Waletzky orientierte) Analyse der Erzählstruktur sich als Kombination obligatorischer und optativer Teilschemata eines als dialogisch strukturiert ausgewiesenen Objektes. Auf der semantischen Ebene wird dessen “Antilogik” und Chimärismus (im Sinne von Ungeheuer) herausgestellt und gezeigt, wie auftretende “Widersprüche” durch die Leistungen des Erzählschemas eingeebnet werden. Die pragmatisch akzentuierte Untersuchung trägt der Tatsache Rechnung, daß Erzählungen in einem kommunikativen Gesprächskontext vorkommen, in den sie auf unterschiedlichen Ebenen eingebunden sind. Diese global und lokal operierende Gesprächskohärenz, die auf der Basis der jeweils subjektiven Relevanz gemeinschaftlich etabliert wird, dient der Einbettung in das fortlaufende Gespräch und als Beitrag zum “Geprächsthema”; daher sind Erzählungen auch in ihrem Charakter argumentativ, wie verschiedene Schemata solcher Argumentationsmuster anschaulich belegen. In einer ausgreifenden Synthese werden schließlich die theoretischen und empirischen Befunde zusammengeführt und in den weiträumigen Rahmen gestellt, den die Ausgangsfragen gesteckt haben. Dabei wird zu Recht die Bedeutung des Gesprächs als primärer Kommunikationssituation vorgeführt und als Ort, an dem die kommunikativ Handelnden ihre intellektuellen und kognitiven Möglichkeiten entfalten. Dabei schließt der Verf. an die von Gerold Ungeheuer geprägte Formel für den Kommunikationsbegriff an, wonach hierfür (mindestens zwei) Menschen konstitutiv sind, die gemeinsam in einer Sache tätig sind und handeln, indem sie Zeichen verwenden - eine Bestimmung von Kommunikation, die soziologische, anthropologische und semiotische Aspekte zusammendenkt. Der herausgestellte Prozeßcharakter bestimmt übrigens auch die zentrale Rolle von Aufzeichnung und Transkription, die zudem die verschiedenen Gliederungs- und Reflexionsaktivitäten der Gesprächsteilnehmer repräsentiert. Das Typisierungsmittel des Erzählens gehört zum problemlösenden Verfahrenswissen, das das Problem der Repräsentation, der Erklärung etc. absenter Ereignisse und Handlungen im hic et nunc der Erzählsituation dient; Erzählen steht - damit an Karl Bühler anschließend - im Dienste der Darstellungsfunktion der Sprache; als Element des Repertoires kommunikativer Typen oder Kommunikationsformen geht Erzählen eine Verbindung mit Wissenselementen ein, so daß sich ein durch mannigfaltigen Gebrauch “abgeschliffenes” Erzählschema ergibt, dessen Verwendung eine unbeschränkte Menge von Erzählunikaten erbringt. Das Erzählen eines Traums wird als spezifisches Kommunikationsproblem gefaßt, zu dessen Lösung sprachliche Zeichen in spezifischer Weise verwendet werden. Dem Lösungsziel dienen die eingesetzten Mittel, die somit in kommunikativer Funktion stehen, womit das Problemlösungsschema des Erzählens als entsprechendes semiotisches Instrument fungierend aufgefaßt wird. Die besondere signitive Beziehung der appräsentierenden Traumerzählung ist deren “appräsentierter Chimärismus”, d.h. widersprüchliche Elemente und unverträgliche Handlungs- und Ereignisabläufe unterschiedlicher Formen. Die Linearisierung des Erzählens, die allgemein Diskontinuität in Erzählkontinuität überleitet, fungiert bei der gegenstandsspezifischen Inkohärenz der Traumerfahrung als konstitutiver Rahmen. Dies unterstreicht den instrumentellen Charakter des Erzählschemas, denn erst die Typik der Sprache und des Erzählschemas “ordnet” Reviews 195 das Geträumte zu Objekten und Handlungsabläufen. Der “Traum” ist aus dieser radikalen Erzählperspektive die referentielle Projektion seiner Erzählung; Temporalität und Kausalität, eingebracht durch die Form des Erzählschemas, verleihen dem Inhalt Kohärenz und eine “Logisierung” des Erzählten. Der kommunikationsbezogenen Sichtweise gilt Erzählen als dialogisch strukturiert und als kommunikatives Handeln, das Perspektivenübernahme erfordert, womit an mittlerweile etablierte interaktionistische Auffassungen angeschlossen wird. Der Erzähler operiert dabei zugleich auf den verschiedenen Ebenen des eigenen Wissenshaushalts, demjenigen der Zuhörer und auf der Gesprächsebene. Die Ebenen sind in der Erzählung als diegetische Elemente (d.h. darstellungsbezogene hinsichtlich der erzählten Welt) repräsentiert, etwa als auf das Hörerwissen bezogene Erzählerkommentare oder Paraphrasierungen, oder sie sind als gesprächsorganisatorische auf die Sprechsituation bezogen. Daß das Erzählen neben zahlreichen anderen Funktionen individuelle Erfahrungsbestände schließlich auch argumentativ vergemeinschaftet, wird an der Analyse der erzählinternen Struktur und ihrer externen Gesprächseinbettung, der thematischen Gesprächkohärenzierung, ihrer Anschlußformen und Erzählserialität exemplarisch aufgezeigt. - Kurzum: Ein wichtiger Beitrag zur soziosemiotisch akzentuierten Untersuchung dialogförmiger Kommunikation im Alltag am theoretisch reflektierten und empirisch genau beobachteten Beispiel eines interessanten und sonst in der Gesprächsanalyse kaum beachteten Erzählmusters. Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern) Lonni Bahmer, Schriftlichkeit und Rhetorik: Das Beispiel Griechenland. Ein Beitrag zur historischen Schriftlichkeitsforschung, Hildesheim/ Zürich/ New York: Olms 2000, 277 S., DM 68,00, ISBN 3-487-11117-9 Die hier anzuzeigende Arbeit erweckt Neugier durch ihren disziplinsystematischen Ort zwischen allen Stühlen und Bänken. Ihre Leitfrage lautet: “Wie verbindet sich der Gedanke der Didaktik mit dem Medium der Schrift? ” Sie will für das Gebiet der epideiktischen Beredsamkeit in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts am Beispiel sophistischer (genauer: den Sophisten zugeschriebener) Schriften aufzeigen, welche Rolle die Schriftlichkeit im Zusammenhang des Lehrens und Lernens bereits spielte. Dem geläufigen Diktum vom “Mündlichkeitscharakter der griechischen Kultur” möchte sie das vom Schriftlichkeitscharakter der antiken “Rhetorik als eines pädagogischen Zusammenhangs” gegenüberstellen. Damit will sie nicht nur einen Beitrag zur Geschichte der Rhetorik leisten, sondern zugleich auch zur Erhellung unserer Tradition literalen Lehrens und Lernens und überdies - mit dem Aufweis der Komplementarität von Mündlichkeit und Schriftlichkeit - zur historisch-diachronen Dimension der aktuellen Schriftlichkeitsforschung. Die Studie von Lonni Bahmer, die damit an ihre frühere Dissertation über den Beitrag der Rhetorik zur Didaktik des Schreibens anknüpft, die im selben Verlag 1991 unter dem Titel Antike Rhetorik und kommunikative Aufsatzdidaktik erschien, versteht sich ausdrücklich nicht etwa als genuin altphilologische Arbeit (S. 13), sie beansprucht vielmehr programmatisch interdisziplinären Status, was ihre Besprechung in diesem Rahmen über das Thematische hinaus rechtfertigt. Rhetorik, Pädagogik und Schriftlichkeitsforschung bilden das alles überlagernde Dreieck der Ansätze, wobei hier unter ‘Ansatz’ freilich weniger ein theoretischer Zugriff auf das Material zu verstehen ist, sondern eher die Focussierung auf bestimmte Funktionen und Inhalte der untersuchten Texte. Sie deshalb aber als sprach- oder textwissenschaftliche Arbeit zu verstehen, würde ihr wiederum auch nicht gerecht. Zu groß ist die ja an sich nicht unberechtigte Vorsicht der Verfasserin, mit heutigen Theorien dem historischen Corpus Gewalt anzutun - weswegen sie z.B. auf so einen Begriff wie ‘Graphem’ ausdrücklich verzichtet (S. 182, Fn. 186). Eine gewisse Theoriedistanz scheint überhaupt ein charakteristischer Wesenszug der Arbeit u sein. Was bleibt, ist eher ein beachtliches Stück philologischer Detektivarbeit, um in den untersuchten Texten Spuren der Wechsel-